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German Pages 408 Year 2015
Joachim Baur Die Musealisierung der Migration
2009-09-21 15-19-11 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221439906310|(S.
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) T00_01 schmutztitel 1264.p 221439906318
Joachim Baur (Dr. rer. soc.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und lehrt Museumswissenschaft an der Universität Tübingen. Im Auftrag des Landes Niedersachsen entwickelt er derzeit ein Konzept für die Musealisierung des Grenzdurchgangslagers Friedland.
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) T00_02 autoreninfo 1264.p 221439906326
Joachim Baur
Die Musealisierung der Migration Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation
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) T00_03 innentitel 1264.p 221439906334
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Detail der Installation »Unikate, Sammlungsgruppen und Archive« von Christian Philipp Müller aus der Ausstellung »Projekt Migration«, Köln 2005; © Joachim Baur, 2005 Lektorat & Satz: Joachim Baur Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1264-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Vorwort
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Einleitung: Die Musealisierung der Migration. Besichtigung einer Konjunktur
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Koordinaten des Einwanderungsmuseums. Grundlagen, Forschungsperspektive und Methode
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Amerikanische Ansichten: Das Ellis Island Immigration Museum
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Mosaik, Museum, Multikulturalismus: Pier 21 – Canada’s Immigration Museum
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Migrationsrepräsentation Down Under: Das Immigration Museum Melbourne
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Kreuzungen, Knotenpunkte, Anschlussstellen
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Anhang
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Sachregister
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Vorwort Einleitung: Die Musealisierung der Migration. Besichtigung einer Konjunktur Koordinaten des Einwanderungsmuseums. Grundlagen, Forschungsperspektive und Methode Schauplatz: Das Museum – Produktionsstätte von Bedeutung Kontext: Impulse der Musealisierung von Migration in den USA, Kanada und Australien Ethnic revival und Multikulturalismus Historiographische Entdeckungen der Migrationsgeschichte Das Museum im Wandel: Sozialgeschichte, New Museology, Museumsboom Fokus: Einwanderungsmuseen und die Re-Vision der Nation Museum und Nation Die Krise nationaler Meistererzählungen Die Inszenierung von Migration als Inszenierung der Nation Zugang: Zu Methodik und Material der Untersuchung Drei Fälle Rekonstruktion musealer Produktionen Ausstellungen lesen Amerikanische Ansichten: Das Ellis Island Immigration Museum Vorgeschichte des Ellis Island Immigration Museum Ellis Island aktiv (1892-1954) Latenzzeit (1954-1982) Die Produktion des Ellis Island Immigration Museum Überblick: Chronologie, Akteure, Kontext Negativfolie: Das American Museum of Immigration Restaurierung als Geschichtsschreibung: Die Produktion eines authentischen Ortes Zuspitzungen/Ausdehnungen: Die Produktion der permanenten Ausstellung Fundraising – und die Produktion eines Images von Ellis Island Zwischenfazit Präsentationen des Ellis Island Immigration Museum Ein Gang durchs Museum Dramatis Personae: Eine Galerie typischer Einwanderer Family Album: Gleich-gültige Inklusion Treasures from Home: Multikultur als Gemischtwarenladen Through America’s Gate: Kollektive Transformationen
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Das andere Ellis Island/das Andere Ellis Islands: Zur Feier der Grenze als Ort des Willkommens Geschichtscontainer Great Hall Ausgestellte Gemeinschaft: Flag of Faces und Wall of Honor Ein Grabstein für die Indianer: Grenzen einer Meistererzählung der Migration Ellis Island, Lady Liberty und die Skyline: Zur Topographie der Erinnerung in New York Harbor Im Shop Fazit: Einwanderungsgeschichte im Ellis Island Immigration Museum Mosaik, Museum, Multikulturalismus: Pier 21 – Canada’s Immigration Museum Eine kurze Geschichte von Pier 21 Die Produktion des Museum Pier 21 Die Anfänge: Pier 21 Society Auf dem Weg zur Realisierung Ausstellungskonzept und Gebäudegestaltung Eröffnung und Mediendiskurs Lokaler Blick zurück: Zur Produktion von visitability Telling the larger story: Planungen zur Expansion des Museums Die Präsentationen des Museum Pier 21 Ein Gang durchs Museum Die Ordnung der Migranten The Immigration Experience – Erlebnis Einwanderung First Steps: Nationale Neugeburten Erlebnis der Grenze – Grenzen des Erlebnisses „Deeply grateful, all my life…“ – Zum Diskurs der Dankbarkeit Die Erfindung einer Tradition des Multikulturalismus Fazit: Einwanderungsgeschichte im Museum Pier 21 Migrationsrepräsentation Down Under: Das Immigration Museum Melbourne Die Produktion des Immigration Museum Melbourne Auseinandersetzungen um den australischen Multikulturalismus und Melbournes Ambitionen als Kulturhauptstadt Australiens Dead End: Die gescheiterte Musealisierung von Station Pier Im Zweiten Anlauf: Das Immigration Museum als Ableger von Museum Victoria Komplexe Konsultationen: Die Einbindung von Einwanderer-Communities Veränderungen seit der Eröffnung
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Die Präsentationen des Immigration Museum Melbourne Ein Gang durchs Museum The Lucky Country (ex negativo): Australien-Bilder zwischen Sein und Schein Beispielhafte Biographien: Diesseits und jenseits des Mustermigranten Aporien des „guten Einwanderers“ in der postkolonialen Siedlergesellschaft: Der Fall Niel Black Alle in einem Boot: Die Nation als transhistorische Reisegesellschaft Immigranten und Aborigines: Offene Spannungen und narrative reconciliation Perspektivwechsel: Von der Konstruktion zur Dekonstruktion der Einwanderernation Fazit: Einwanderungsgeschichte im Immigration Museum Melbourne
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Kreuzungen, Knotenpunkte, Anschlussstellen Varianten der Musealisierung von Migration Produktionen: Initiativen, Akteure, Konzeptionen, Transfers Präsentationen: Schau-Plätze, Perspektiven, Das Bild der Migranten, Bilder der Migration, Kolonialismus und indigene Geschichte Das Einwanderungsmuseum: Bühne zur Inszenierung der multikulturellen Nation darüber hinaus: Ausblick in zwei Richtungen Lose Enden, mögliche Anschlüsse Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche
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Anhang
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Sachregister
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Vorwort
Ich kann meine erste Begegnung mit einem Einwanderungsmuseum genau datieren. Unter dem 5. Juli 2001 – wenige Wochen vor den Anschlägen – verzeichnet das Tagebuch einer Reise, die mich auch nach New York führte: „War heute im Financial District (World Trade Center, Wall Street), Blick auf Freiheitsstatue (alles furchtbar touristisch). Leider nicht auf Ellis Island gewesen (zu teuer und nervige Fähre).“ Damals zog ich es vor, das Museum links liegen zu lassen und zum Kaffeetrinken ins nahe East Village abzubiegen. Doch einige Jahre später kehrte ich zurück, zunächst aus Faszination für die Stadt, dann auch für den historischen Ort. Und bald war die Fähre von Manhattan nach Ellis Island nicht mehr „nervig“, sondern liebgewonnener Teil eines spannenden Projektes, das mich über Jahre beschäftigt und an zahlreiche interessante Orte geführt hat und das nun zu einem ersten Abschluss kommt. Die Unterstützung vieler hat die geographischen und intellektuellen Reisen, die mit diesem Projekt verbunden waren, erst ermöglicht. Prof. Gottfried Korff und Prof. Rosmarie Beier-de Haan haben die Entstehung der Arbeit, die 2008 als Dissertation an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Tübingen angenommen wurde, von Beginn an mit großem Interesse und wertvollen Hinweisen begleitet und mir mehrfach die Möglichkeit gegeben, meine Thesen und Ergebnisse im größeren Rahmen zu diskutieren. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Bei den drei Einwanderungsmuseen in den USA, Kanada und Australien, die im Zentrum dieser Untersuchung stehen, traf ich – nach manch anfänglicher Verwunderung, was gerade einen deutschen Forscher an ihre Häuser verschlägt – auf viel Offenheit und Gesprächsbereitschaft. All jenen, die sich in Interviews meinen Fragen stellten und deren Stimmen so in den Text Eingang fanden, gilt mein herzlicher Dank. Darüber hinaus haben sich besonders folgende Personen für mein Anliegen eingesetzt und für äußerst fruchtbare und angenehme Aufenthalte vor Ort gesorgt: Diana Pardue, Eric Byron, George Tselos, Doug Tarr und 9
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Barry Moreno am Ellis Island Immigration Museum, Carrie-Ann Smith am Museum Pier 21 sowie Padmini Sebastian und Maria Tence am Immigration Museum Melbourne. Ohne die großzügige finanzielle Förderung einer Reihe von Institutionen wäre die Durchführung der Studie nicht machbar gewesen. Zu Dank verpflichtet bin ich in dieser Hinsicht der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Deutschen Historischen Institut in Washington D.C. und dem John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Auf vielfältige Weise haben zahlreiche weitere Personen zum Entstehen und Gelingen des Projektes beigetragen: Paula Lutum-Lenger hat mit ihrem untrüglichen Gespür für inszenierte Bildwelten und ihrer scheinbar nie nachlassenden Leidenschaft für das Ausstellen vor Jahren im Haus der Geschichte BadenWürttemberg mein Interesse am Museum – als Arbeits- wie Untersuchungsfeld – geweckt. Bruce Altshuler und Jeffrey Feldman haben an der New York University erste Erkundungen des hier beackerten Terrains kommentiert und mit ihrer wohlwollenden Kritik eine umfänglichere Auseinandersetzung ermutigt. Sasha Archibald, die eine tiefe Abneigung gegen Danksagungen hegt, hat mich wiederholt bei sich in New York aufgenommen und war ein wichtiger Fixpunkt meiner dortigen Aufenthalte. Silvester Stahl schließlich hat mir aus purer Freundschaft über Monate sein Wohnzimmer als Arbeitsraum zur Verfügung gestellt und mir damit einen willkommenen Freiraum zum Schreiben verschafft. Ihnen allen sei recht herzlich gedankt. Einer merkwürdigen Konvention folgend, kommen diejenigen, die den größten Anteil haben, stets am Schluss. So auch hier: Katrin Pieper hat das Projekt von Anfang bis Ende, vom ersten Entwurf über unzählige Museumsbesuche bis zur Drucklegung des Textes aufs Engste begleitet. Ihr kritischer Blick war und ist für mich unschätzbar. Dafür und für soviel mehr, das nicht hierher gehört, sei ihr aufs Herzlichste gedankt. Fiete sei dafür gedankt, dass er die Einsamkeit des Schreibtischs in den letzten zwei Jahren oft lautstark durchbrochen und die eingebildete Bedeutsamkeit der väterlichen Forschung unwiderstehlich relativiert hat. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern – für ihre jahrelange Unterstützung und die Ruhe, die sie mir gegeben (und gelassen) haben, meinen Weg zu gehen. Berlin, im August 2009
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Joachim Baur
Einleitung: Die Musealisierung der Migration. Besichtigung einer Konjunktur
Die Musealisierung der Migration hat Konjunktur. In einer Vielzahl von Ländern, in einer Vielzahl verschiedener Museen werden in zunehmendem Maße die Themen Einwanderung und Auswanderung aufgegriffen. Vor dem Hintergrund der Aktualität globaler Wanderungsprozesse, motiviert durch Paradigmenwechsel in der Museumswelt und nicht zuletzt durch lauter werdende Forderungen von Migrantinnen und Migranten nach Anerkennung ihrer Geschichte, gerät nun, was lange Zeit vernachlässigt wurde, verstärkt in den Blickpunkt des Interesses. Sammlungen werden nach Spuren von Migration durchforstet, vorhandene Objekte neu betrachtet, neue Sammlungsgebiete erschlossen. Wechselausstellungen thematisieren unterschiedlichste Aspekte von Wanderungsbewegungen, in Dauerausstellungen werden Kapitel über Migration eingefügt oder bei der Neukonzeption berücksichtigt. Museumspädagogische Programme entdecken Migrantinnen und Migranten als Zielgruppe und spezielle Führungen betonen die Bedeutung des Komplexes. Der allgemeine Befund ist so augenfällig, dass sich ein Nachweis im einzelnen fast erübrigt. Einige kaleidoskopische Beobachtungen mögen genügen: Das Museum of London präsentierte bereits Anfang der 1990er Jahre seine groß angelegte Ausstellung „The Peopling of London: 15.000 years of Settlement from Overseas“ und zahlreiche weitere Projekte in Großbritannien folgten (HooperGreenhill 1997). In den Jahren 2000-2003 realisierten Museen aus sechs Ländern Europas – aus Schweden, Großbritannien, Dänemark, Österreich, Deutschland und Spanien – gemeinsam das Projekt „Migration, Work, Identity“ mit etlichen Wechsel- und Wanderausstellungen zur Migrationsgeschichte (Walsted 2003; Neuland-Kitzerow 2005). In einem der ältesten historischen Museen Neuseelands, dem Otago Settlers Museum, stellt Migration heute ebenso einen Schwerpunkt (Henare 2005: 107f.) wie in den Planungen für ein Museum of Belize (Price/Price 1995: 102). In zahlreichen nationalen Geschichtsmuseen hat das 11
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Thema inzwischen einen festen Platz. Genannt werden könnten nicht nur das National Museum of American History, das kanadische Museum of Civilization, das National Museum of Australia oder das Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, sondern gleichermaßen das Museo Nacional de Costa Rica, Singapurs Asian Civilisations Museum oder das im Aufbau befindliche nationale Geschichtsmuseum Polens (Hinz [2010]). In Deutschland, wo lange Zeit Zurückhaltung und Widerstände in Bezug auf die Einbeziehung der Geschichte der Migration in museale Darstellungen überwogen, was nicht zuletzt einem Verständnis von Einwanderung als temporärer Ausnahmeerscheinung geschuldet war, wie sie dem Begriff „Gastarbeiter“ eingeschrieben ist, kam das Thema spätestens im Jahr 2005 im nationalen Geschichtsmuseum an. Unter dem Obertitel „Zuwanderungsland Deutschland“ war im Deutschen Historischen Museum in Berlin zum einen die Ausstellung „Die Hugenotten“ zu sehen, zum anderen eine Gesamtschau deutscher Einwanderungsgeschichte in der longue durée mit dem Titel „Migrationen 1500-2005“ (Beier-de Haan 2005b; vgl. auch Beier-de Haan 2003). Unmittelbar danach folgte die zuvor in Bonn und hernach in Leipzig weilende Schau „Flucht, Vertreibung, Integration“. Kurz zuvor war in Köln die ambitionierte Ausstellung „Projekt Migration“ gezeigt worden (Kölnischer Kunstverein u.a. 2005).1 Ähnlich lebhaft scheint die Entwicklung in Frankreich (Teulières 2008; Stevens 2007a), Skandinavien (Goodnow/Akman 2008) oder Österreich (Böse 2005). Auch das vieldiskutierte International Slavery Museum in Liverpool lässt sich schließlich in diesem Kontext nennen. Seit seiner Eröffnung im Sommer 2007 behandelt es auf exponierte Weise das Thema des Sklavenhandels und stellt es dezidiert in den Kontext globaler Migrationen.2 Die vorliegende Arbeit befasst sich mit diesem Phänomen der Musealisierung der Migration. Sie widmet sich jedoch nicht der Gesamtheit ihrer möglichen Ausprägungen, sondern fokussiert ein spezifisches, besonders prominentes und dynamisches Segment des Feldes. Sie nimmt ihren Ausgang von der Beobachtung, dass sich neben der Behandlung von Migration als Thema bestehender Museen in jüngster Zeit um und für den Komplex Migration eigenständige Museen gründen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dieser neuartige Museumstyp: das Migrationsmuseum, genauer: das Immigrationsmuseum, das Einwanderungsmuseum. Damit ist von Beginn an eine Eingrenzung in dreierlei Hinsicht vorgenommen. Zum einen werden dezidiert Migrationsmuseen in den Blick ge-
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Einige weitere deutsche Ausstellungen zum Thema dokumentieren Motte/Ohliger 2004, Hampe 2005 und Horn/Mörchen 2006. Auf die lange verschüttete Tradition von Migrationsausstellungen in Deutschland verweist Eryılmaz (2004: 312ff.). So lautet der erste Satz seiner Selbstdarstellung: „The transatlantic slave trade was the greatest forced migration in history.“ (http://www.liverpoolmuseums.org.uk/ ism/about (11.5.2009)).
EINLEITUNG
nommen, nicht jedoch Verhandlungen des Themas Einwanderung in anderen Arten von Museen. Statt allein für Repräsentationen von Migration, wie sie auch in temporären oder permanenten Ausstellungen von Stadt-, Regional- oder Nationalmuseen, von Kunst-, Geschichts-, Volks- und Völkerkundemuseen verschiedener Couleur zu untersuchen wären, interessiert sich die vorliegende Studie gerade für die Prozesse der Institutionalisierung im Verhältnis von Migration und Museum, ihre Bedingungen, Verläufe und Implikationen. Zum anderen ist mit dem Untersuchungsgegenstand Einwanderungsmuseum eine Abgrenzung gegen den verwandten und ebenfalls vergleichsweise neuen Typ des Auswanderungsmuseums vorgenommen.3 Wenngleich die Verbindungen und Überschneidungen mannigfaltig sind – thematisiert werden mitunter dieselben, in jedem Fall komplementäre Geschichten und, aufs Ganze gesehen, Wanderungsbewegungen, die sich ohnehin nur künstlich in Immigration und Emigration separieren lassen – ist davon auszugehen, dass die Implikationen, insbesondere die geschichtspolitischen Implikationen der beiden Institutionen andere sind, was zunächst eine gesonderte Behandlung nahelegt. Als Einwanderungsmuseum seien schließlich nur solche Institutionen betrachtet, die sich nicht auf die Migrationsgeschichte einer Herkunftsgruppe beschränken. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von Museen spezifischer Einwanderer-Communities, die hier weitgehend außen vor bleiben.4 3
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Auswanderungsmuseen sind, soweit ich sehe, ganz im Gegensatz zu Einwanderungsmuseen ein rein europäisches Phänomen. Die älteste Einrichtung scheint das Utvandrarnas Hus im schwedischen Växjö zu sein, das seit 1965 besteht (Harzig 2006: 11). Das Norsk Utvandrermuseum in Ottestad, Norwegen, wurde, basierend auf Vorläufereinrichtungen, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, im Jahr 1973 als Teil eines Freilichtmuseums eröffnet und 1988 institutionell eigenständig. Im Rahmen eines Forschungszentrums zeigt das Museo dell’Emigrante San Marino seit 1997 seine Ausstellungen. Weitere Auswanderermuseen finden sich im isländischen Hofsos und im nordirischen Omagh, wo der Ulster American Folk Park Auswanderung als Living History inszeniert. 2001 eröffnete in Fafe, Portugal, das Museu da Emigração e das Communidades, das eine Ausstellung vor Ort mit einem virtuellen Museum im Internet verbindet (Rocha-Trindade/Monteiro 2007). Im Sommer 2005 wurde das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven eingeweiht (Baur 2006a; Deutsches Auswandererhaus 2007), zwei Jahre später folgte die BallinStadt – Auswandererwelt Hamburg (Groppe/Wöst 2007). In Italien existieren über ein Dutzend lokal oder regional verankerter Emigrationsmuseen, von denen viele erst in den letzten Jahren gegründet wurden (vgl. die Beiträge in der Zeitschrift Studi Emigrazione Nr. 167, Sommer 2007). Beispiele wären etwa das Italian American Museum oder das Museum of Chinese in the Americas (Tchen 1992), beide in New York City, das Arab-American National Museum in Dearborn, Michigan, das Museu Histórico da Imigração Japonesa in São Paulo oder das Ukrainian Museum of Canada in Saskatoon (Prebushewsky Danyliuk 2005). Ich folge mit der Bezeichnung „Community Museum“ Moira G. 13
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Das Auftauchen des neuen Typs Einwanderungsmuseum in der globalen Museumslandschaft reicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht weiter als zwanzig Jahre zurück. Ein knapper Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit lässt die Dynamik der Entwicklung erkennen:5 Das erste Museum seiner Art dürfte das American Museum of Immigration gewesen sein, das seit 1951 geplant, jedoch erst 1972 eröffnet und bereits 1991 wieder geschlossen wurde. 1986 eröffnete das älteste noch bestehende Einwanderungsmuseum, das Migration Museum in Adelaide, Australien (Szekeres 1989, 2002; Simpson 1996: 64-66). Mit dem Ellis Island Immigration Museum in New York City folgte 1990 das bis heute größte und prominenteste Einwanderungsmuseum weltweit. Unweit davon, an der Südspitze Manhattans, öffnete 1994 das Lower East Side Tenement Museum seine Pforten. Im Ambiente einer musealisierten Mietskaserne verbindet es die Darstellung von Migrationsgeschichte mit der Geschichte von Lebens- und Arbeitsbedingungen im wohl berühmtesten Einwandererviertel der USA (Abram 2005; Russell-Ciardi 2006; Baur 2006b). Ende der 1990er Jahre folgte eine ganze Welle von Neugründungen: 1998 das Immigration Museum Melbourne und das Memorial do Immigrante/Museu da Imigração in São Paolo, gelegen in der Hospedaria dos Imigrantes, dem zentralen Ort der Abfertigung von Einwanderern nach Brasilien zwischen 1886 und 1978 (Xavier 1999; Vieira 2007). 1999 schloss sich das kanadische Einwanderungsmuseum Pier 21 in Halifax an und
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Simpson (1996: 80), die darunter Museen fasst, die von Einwanderern oder indigenen Gruppen in Nordamerika, Australien und Neuseeland errichtet wurden. Insbesondere ist damit die Abgrenzung gegen den Begriff „ethno-specific museum“ vorgenommen, der ex negativo der Verschleierung der spezifischen Positioniertheit von Mainstream-Museen Vorschub leistet. Simpson referiert in diesem Zusammenhang zustimmend die ehemalige Direktorin des National African American Museum Projects der Smithsonian Institution, Claudine Brown: „[H]istorically all American museums have been ethnic- or culturally-specific by virtue of their exclusionary practices.“ Einschlägig für das vielschichtige Verhältnis von Museum und Community vgl. Karp u.a. 1992; Simpson 1996: 81-106; Crooke 2006 und speziell für den australischen Kontext Gordon 2005. Der Begriff „community“ selbst wird in dieser Studie häufiger erscheinen. Dabei gilt es auch seine problematischen Facetten zu reflektieren. Gisela Welz (1996: 207f.) merkt an: „,Community’ wird im amerikanischen [wie im anglokanadischen und australischen, J.B.] Sprachgebrauch zunehmend eingesetzt, um die Bevölkerungsgesamtheit einer ethnischen Gruppe oder anderer Minderheiten zu bezeichnen. Der Terminus ist nur scheinbar neutral, denn er trägt Assoziationen mit homogenen Gemeinschaften und eindeutigen, kollektiven Identitäten in sich.“ Wie Kirchberg (2005: 98) halte ich eine wörtliche Übersetzung von „community“ in „Gemeinschaft“ für unglücklich. Kirchbergs Übersetzung in „Gemeinwesen“ trägt in diesem Zusammenhang allerdings ebenfalls nicht, sodass im Folgenden der englische Ausdruck beibehalten wird. Eine Liste mit den Websites der genannten Institutionen findet sich im Anhang.
EINLEITUNG
ein Jahr darauf das Lwandle Migrant Labour Museum nahe Kapstadt, Südafrika (Witz 2006). 2001 eröffnete das argentinische Museo Nacional de la Inmigración in Buenos Aires, das auch den historischen Bau einer ehemaligen Durchgangsstation und Unterkunft für Immigranten nutzt (Ochoa de Eguileor 2005). Zur gleichen Zeit wurden in Australien Pläne für eine drittes Einwanderungsmuseum diskutiert (McShane 2001: 122), das unter dem Titel Migration Heritage Centre indes nur als virtuelles Museum in Verbindung mit dem Powerhouse Museum Sydney realisiert wurde. In Europa setzte die Entwicklung verzögert ein. Seit wenigen Jahren existiert in Furesø bei Kopenhagen ein Dänisches Einwanderungsmuseum. Was bislang trotz seines Namens nicht mehr ist als ein kleines lokalgeschichtliches Museum, das sich neuerdings einen migrationshistorischen Schwerpunkt gegeben hat, soll in Zukunft zu einer Einrichtung mit nationalem Profil ausgebaut werden (Hermansen/Møller 2007). Dezidiert lokal verankert ist das Londoner Museum 19 Princelet Street. In einem unrenovierten Stadthaus aus dem 18. Jahrhundert dokumentiert es anhand der Geschichte des Gebäudes und seiner Umgebung die verschiedenen Schichten der Migration im Londoner East End. Als erstes Einwanderungsmuseum von nationalem Rang in Europa eröffnete im Oktober 2007 in Paris die Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration (Green 2007; Vinson 2007). In zahlreichen weiteren Ländern Europas sind solcherart Projekte in der Diskussion oder Planung: In der Schweiz liegen Konzepte für ein Immigrationsmuseum in Zürich vor, in Deutschland engagiert sich seit Jahren der Verein DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration nach Deutschland e.V. in diesem Sinne (Eryılmaz 2004). In Italien wurde im Oktober 2007 mit einer groß angelegten Tagung der erste Schritt in Richtung Realisierung eines Museo Nazionale delle Migrazioni getan, das Emigration und Immigration umfassen soll (Lombardi/Prencipe 2008). Ein vergleichbares Konzept verfolgt das Serbische Migrationsmuseum (Srpski Muzej rasejanja i seoba) in Belgrad, dessen Gründung Ende 2007 bekannt gegeben wurde.6 Unweit von Barcelona entsteht das Museo de Historia de la Inmigración de Cataluña und in Galizien wird eine ähnliche Einrichtung kontrovers diskutiert (Núñez 2002: 249). Ausdruck der Virulenz und zunehmenden Wahrnehmung des Phänomens ist schließlich die Gründung zweier internationaler Netzwerke von Migrationsmuseen: zum einen durch die UNESCO im Oktober 2006 und zum anderen durch die International Coalition of Historic Site Museums of Conscience im August 2008.7
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Vgl. http://www.Serbian.Migration.Museum.Eurowiki.net (25.4.2009). Das Protokoll der Gründungskonferenz des UNESCO-Netzwerks ist abgedruckt in der Zeitschrift Museum Aktuell 10/2007 (auch: http://www.migrationmuseums.org (10.1.2008)). Die International Coalition of Historic Site Museums of Conscience wurde im Jahr 1999 vom Lower East Side Tenement Museum in New York initiiert und vernetzt ansonsten Museen, die sich mit Menschheitsverbrechen und Fragen 15
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Signifikant – und untersuchenswert – erscheint das Phänomen Einwanderungsmuseum indes nicht allein aufgrund der schieren quantitativen Konjunktur, sondern auch aufgrund der Erwartungen und Deutungen, die an die neuartige Institution geheftet werden. Migrationsmuseen, so ist etwa dem Abschlussprotokoll der Gründungskonferenz des erwähnten UNESCO-Netzwerks zu entnehmen, seien Prototypen eines inklusiven Museums. Sie seien Foren für den Dialog von Kulturen und die kulturelle Verständigung zwischen den Generationen. Museale Präsentationen von Migrationsgeschichte könnten Verständnis und Empathie in der Mehrheitsgesellschaft erzeugen und zu einer Dekonstruktion von Stereotypen beitragen. Indem sie die Beiträge von Migranten zur aufnehmenden Gesellschaft würdigten, könnten die Museen diesen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln und eine bedeutende Rolle in der komplexen Ausbildung ihrer Identität und Selbstachtung spielen. Migrationsmuseen leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migranten, zur Förderung kultureller Vielfalt und zum friedlichen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Neben dieser „sozialreformerischen“ Lesart, die sich von der neuen Institution einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme mit Mitteln und auf dem Feld der Kultur verspricht, liegt ein anderer – und anregenderer – Diskursstrang, der das Potential der neuen Institution weiter fasst. Migrationsmuseen werden hier gedeutet als Indiz und paradigmatischer Ausdruck einer Transnationalisierung von Erinnerungskulturen. Sie werden gehandelt als Beispiele und nicht selten Hoffnungsträger für die Überwindung unzeitgemäßer nationaler Fixierungen in der Darstellung von Geschichte, die insbesondere der Institution Museum von jeher eingeschrieben waren. Sie gelten als Schauplätze für die Präsentation von Gegenerzählungen, in denen nicht nur lange vernachlässigte Stimmen zu Wort kommen, sondern ganz neue – transnationale, globale, nomadische – Perspektiven erprobt und etabliert werden können. So formuliert Christiane Harzig (2006: 13) im Zusammenhang mit Erinnerungsorten der Migration im internationalen Kontext, unter denen sie Einwanderungsmuseen einen prominenten Platz einräumt: „Indem wir die individuellen Erinnerungen von MigrantInnen und die persönlichen Erfahrungen von Migration, Fremdheit und Kulturkontakt in Beziehung zu den nationalen der Menschenrechte befassen (vgl. http://www.sitesofconscience.org (18.5.2009); auch Abram 2005: 37-42). Das aus diesem Kreis initiierte Immigration Sites of Conscience Network umfasst bislang überwiegend US-amerikanische Einrichtungen (New York Times 19.3.2009: F2). Ein spezieller Fall eines Einwanderungsmuseum ist Atlit, das „Museum der illegalen Einwanderung“, nahe Haifa, Israel. In einem ehemaligen Internierungslager der britischen Armee wird die Ha’apala dokumentiert, die Geschichte der über 130.000 Juden, die unter Umgehung der Einreisequoten während der britischen Mandatsherrschaft nach Palästina einwanderten (Magence o.D.; auch Cohen 2006: 152f.). 16
EINLEITUNG
Erzählungen setzen, können die Rahmensetzungen nationaler Geschichten erweitert und die Grenzen hin zu einer transnationalen und transkulturellen Erlebniswelt geöffnet werden. Nationalisierungsprozesse treten dann eher in den Hintergrund oder erscheinen in einem anderen Licht.“
Mareike König und Rainer Ohliger (2006: 13) argumentieren ähnlich, wenn sie Repräsentationen von Migrationsgeschichte, wie sie in Einwanderungsmuseen produziert werden, als Herausforderung „zentralistischer“ Vorstellungen der Vergangenheit im Paradigma des Nationalstaats begreifen: „Migration history and its representation can thus serve to decentralise historical memory. As it transcends politically and historiographically imagined and implemented borders of nation-state orders, it provides an opportunity to create an image of the past that breaks through national concepts and limitations.“
Gisela Welz (2000: 63) stellt in diesem Zusammenhang explizit die enge historische Verbindung der Institution Museum mit dem Konzept der Nation heraus und folgert daraus den besonderen, besonders umstrittenen und zugleich wegweisenden Charakter des Einwanderungsmuseums: „Such a museum deals with the intrusion, the often reluctant admission of strangers into a collectivity that defines itself as nation, placing the museum at a flashpoint of contestation and controversy in society.“
Laurent Gervereau (1999) schließlich konstatiert, Einwanderungsmuseen seien Orte der Betrachtung von „mixed cultures“ und könnten Bewusstsein erzeugen für die „hybrid nature of world cultures“. Wie als Fazit dieser „transnationalen“ Tendenz postulieren Aytaç Eryılmaz und Martin Rapp (2005: 584f.) apodiktisch: „Ein Migrationsmuseum ist kein ritueller Ort kultureller Erinnerung, vielmehr dekonstruiert es historische Selbstvergewisserungen, die überwiegend national orientiert sind. Es macht gesellschaftliche Veränderungsprozesse sichtbar und weist zugleich über das Bestehende hinaus.“8 8
Im engeren Sinn auf den deutschen Kontext bezogen, namentlich auf die Debatte um die Ausrichtung eines zukünftigen Migrationsmuseums in Deutschland, formulieren Horn/Mörchen (2006: 72) mit ähnlichem Tenor, allerdings explizit normativ gewendet: „Die Antwort wird nicht ausschließlich in einer Erweiterung bestehender historischer Narrative und kultureller Selbstbilder bestehen können. Die Musealisierung der Migrationsgeschichte und damit verbundene Auseinandersetzungen um kulturelle Repräsentation in der Einwanderungsgesellschaft rütteln vielmehr an deren Grundfesten: an der Nation und dem Nationalstaat als Ausgangs- und Fluchtpunkt der (deutschen) Geschichte sowie an einer weitgehend als homogen und starr vorgestellten ‚deutschen Kultur’. Versuche die Migrationsgeschichte ins Museum 17
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Das Phänomen Einwanderungsmuseum vor dem Hintergrund dieser Deutungen erstmals empirisch zu vermessen ist das Vorhaben dieser Studie. Die Formen, Facetten und Funktionen, die Grundlagen und Grundzüge, die poetics und politics des neuen Museumstyps zu beleuchten, ist ihr Ziel. Ich nähere mich diesem in der Untersuchung dreier real-existierender Einwanderungsmuseen in drei verschiedenen Ländern. Detailliert in den Blick genommen werden das Ellis Island Immigration Museum in New York City, USA, das Museum Pier 21 in Halifax, Kanada, und das Immigration Museum Melbourne, Australien. Die drei Institutionen stellen zum gegebenen Zeitpunkt die größten und etabliertesten Einwanderungsmuseen weltweit dar.9 Alle drei haben überlokale Reichweite oder verfolgen mit ihren Präsentationen – implizit oder explizit – einen nationalen Anspruch. Als solche werden sie vielfach als Vorbilder oder Vorläufer für neue Museumsprojekte genannt und erscheinen mithin für eine Untersuchung prädestiniert. Mit der Wahl dieser Fälle ist gleichwohl eine weitere, offensichtliche und bereits im Titel angezeigte Konturierung des Untersuchungsgegenstandes verbunden: die Konzentration auf die nationalen Kontexte der USA, Kanada und Australien. Neben einer Reihe von Unterschieden und Eigenheiten, die insbesondere im nächsten Kapitel zu entfalten sein werden, weisen diese eine zentrale Gemeinsamkeit auf. Bei allen drei handelt es sich, mit Rainer Geißler (2003: 24f.) gesprochen, um Einwanderungsländer klassischen Typs, die sich durch eine lange Einwanderungsgeschichte, eine lange multiethnische Tradition, ein Selbstverständnis als inklusive Staatsnation und strukturell vergleichsweise gut platzierte
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zu holen, müssen sich daher unter anderem daran messen lassen, ob es ihnen gelingt, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit nationalen historischen Narrativen und Kulturbegriffen anzuregen.“ Gottfried Korff (2005:13) deutet das Migrationsmuseum als besonders exponierte Spielart des Sloterdijkschen „Museums der inneren Ethnologie“ und damit als „Heimatmuseum für die globalisierte Welt“. Inzwischen wäre auch die französische Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration in dieser Reihe zu nennen. Deren Realisierung und Öffnung für das Publikum – ein unerlässliches Kriterium im Rahmen dieser Studie – erfolgte jedoch zu spät, als dass das Museum adäquat in die Untersuchung hätte einbezogen werden können. Im australischen Kontext wäre auch das Migration Museum in Adelaide als Fallstudie in Betracht gekommen. Den Ausschlag für das Immigration Museum Melbourne gaben letztlich drei Aspekte: Zum einen scheint dieses sowohl hinsichtlich der Besucher als auch der Wahrnehmung in der internationalen Museumswelt inzwischen größere Ausstrahlung zu besitzen, zum zweiten wurde es ungeachtet dessen erst seltener besprochen als das Museum in Adelaide (zu diesem vgl. Bann 1989: 108-111; Szekeres 1989, 2002; Van Hear 1989; Bennett u.a. [1991]: 12-15; Finnimore 1994; Simpson 1996: 64-66). Drittens schließlich wurde dieses in den Jahren 2005/06 komplett überarbeitet, was forschungspraktische Komplikationen nach sich gezogen hätte. Beide hier ausgesonderten Fälle werden im Ausblick in knapper Form in die Diskussion einbezogen.
EINLEITUNG
ethnische Minderheiten auszeichnen. Mit John Hutchinson (1992: 3) lassen sie sich begreifen als Siedlergesellschaften, die sich zu Einwanderernationen transformiert haben. Unter Rückgriff auf ein Modell von Anthony D. Smith versteht er unter dieser Kennzeichnung „’new world’ societies, founded by colonists from (in most cases) a single ethnic core who, dispossessing the indigenous inhabitants, establish an independent state and later admit waves of migrants from many ethnic backgrounds, seeking to absorb them through equal citizenship rights. Thereby an ethnic is transformed into a multicultural territorial political community.“
Die Verortung der drei Museen in dieser historischen und gesellschaftlichen Konstellation stellt mithin eine wichtige Determinante der Studie. Inwieweit die aus der Analyse der hier fokussierten Einwanderungsmuseen gewonnenen Erkenntnisse Aufschlüsse und Anschlüsse für anders gelagerte Kontexte, etwa Einwanderungsländer modernen Typs wie Deutschland (Geißler 2003: 25), beanspruchen können, wird ausblickend im letzten Kapitel zu diskutieren sein. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung ist ein dreifaches: Zum einen sollen die drei Museen als bedeutende kulturelle Produktionen aus eigenem Recht betrachtet werden. Mit Zehntausenden, im Falle Ellis Islands mehreren Millionen Besuchern im Jahr, mit zahlreichen Auszeichnungen und zum Teil beträchtlicher Beachtung in der internationalen Museumswelt konstituieren die Einrichtungen je für sich genommen signifikante Untersuchungsobjekte. Ihre Entstehung, Präsentationen und Operationen vor dem Hintergrund ihres historischen und kulturellen Kontexts zu erhellen und zu diskutieren, ist mithin das erste Ziel der Studie. Den folgenden Fragen wird dabei nachzugehen sein: Welches sind die gesellschaftlichen Triebkräfte hinter den Museumsprojekten, deren Positionen und Intentionen? Wie verlief jeweils der konkrete Produktionsprozess? Welche Akteure nahmen teil, welche Debatten und Aushandlungen fanden statt? Dann: Welche Migrationsgeschichte wird in den Museen gezeigt? Welcher Zeitraum, welche Aspekte werden thematisiert, welche Einwanderergruppen? An welchen Orten wird die Geschichte präsentiert und wie beeinflusst die Wahl des Ortes die präsentierte Geschichte? Wie ist das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart der Migration gestaltet? Wie wird die Einbindung (oder Abweisung) des/der Fremden kulturell kodiert? Welche Perspektiven werden gewählt, welche Bilder erzeugt?10 Zum zweiten sollen, darauf aufbauend, in der Zusammenschau der 10 Ich nähere mich dem Phänomen mithin aus etwas anderem Winkel als Gottfried Korff (2005) in seinen einleitenden „Fragen zur Migrationsmusealisierung“. Unter Verweis auf die Eigenheit der Institution Museum, in symbolischen Ordnungen zu abstrahieren und zuzuspitzen, also stets „inszenierte Merkwelten“ statt „gelebte Wirkwelten“ zu präsentieren, stellt dieser die Entwicklung generell auf den Prüfstand: „Ist das Museum also überhaupt die richtige Art und der richtige Ort, um 19
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
drei Museen Varianten der Musealisierung von Migration sichtbar werden. Hervortreten werden Unterschiede und Ähnlichkeiten, Verbindungen, Muster und Transfers zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Typs Einwanderungsmuseum und zwar sowohl im Hinblick auf die Produktion der Museen als auch das museale Produkt. Der engere Fokus der Untersuchung, zum dritten, richtet sich schließlich auf das Wechselverhältnis der Inszenierung von Migration und Nation. Hintergrund ist die verbreitete Vorstellung eines antagonistischen Charakters dieses Verhältnisses, wie sie in den bereits erwähnten Äußerungen zum transnationalen Potential des Migrationsmuseums zum Ausdruck kommt. Die Erinnerung der Migration und ihre Institutionalisierung wird hier stets als Herausforderung, wenn nicht Überwindung, des hegemonialen Konzepts der Nation begriffen und begrüßt. Zu zeigen sein wird nun, dass das Verhältnis komplexer ist, dass insbesondere die Annahme eines Automatismus zwischen der Repräsentation von Migration und der Dekonstruktion der Nation vorschnell ist. Die These, die diese Arbeit verfolgen wird, lautet, dass in den hier untersuchten Einwanderungsmuseen die Nation vielmehr im Zentrum steht, dass sie in der Inszenierung einer Geschichte der Migration nicht de-zentriert, sondern gerade re-zentriert wird. Die Musealisierung der Migration stellt demnach eine reformierte Version der Inszenierung des Nationalen im Museum dar, basierend auf einem gewandelten Verständnis von Nation – multikulturell statt homogen –, doch in erneuertem affirmativem Ton. Einwanderungsmuseen fungieren als „staging ground“ (Annis 1986) einer ReVision der Nation im Zeichen des Multikulturalismus. Dieser Fokus wird im folgenden Kapitel mit Blick auf die Entwicklungen im Verhältnis von Museum und Nation und die Verortung der Genese von Einwanderungsmuseen in dieser Geschichte weiter ausgeführt. Die Studie fügt sich so in ein expandierendes Feld der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Museum, seiner Funktionen, Funktionsweisen und Funktionalisierungen. Während noch vor kaum zwanzig Jahren allenthalben ein Mangel an kritischer Reflexion der Institution diagnostiziert wurde (Leon/ Rosenzweig 1989: xif.; Hooper-Greenhill 1992: 3), ist die Literatur heute kaum migrationsmuseale Dokumentations- und Repräsentationsarbeit zu leisten? Denn das Museum hat es immer mit einer Reduktion von Komplexität zu tun, jener Komplexität, die das Leben in Fülle bietet“ (Korff 2005: 7). Seine Antwort fällt vorsichtig optimistisch aus: Wenn die Darbietungen von Museen nicht als Abbilder der Wirklichkeit, sondern als deren komplexe, gegenwartsgebundene Verarbeitung gesehen würden, könnten sie auch auf dem Feld der Migration „Deutungs- und Orientierungsleistungen, die über den Tag hinausgehen“, erbringen. Ich werde hier, wie in meinen Fragen zur Migrationsmusealisierung angedeutet, weniger die grundsätzliche Sinnhaftigkeit musealer Repräsentationen von Migration diskutieren, sondern vielmehr untersuchen, wie Migrationsgeschichte in diesem Prozess spezifisch geformt wird und zu welchem Ende. 20
EINLEITUNG
mehr zu überblicken (Beier-de Haan 2005a: 12; Macdonald 2006: 1). Anders als früher, als sich das Interesse auf die in Museen gesammelten und ausgestellten Objekte anderer Zeiten und anderer Kulturen richtete, ist das Museum nun selbst zum Studienobjekt geworden, als Artefakt unserer eigenen Gesellschaft (Ames 1992: 44; auch Haas 1996: 7). Nicht nur ist die Zahl der Veröffentlichungen rapide angewachsen, auch das Spektrum der Untersuchungen hat sich ausdifferenziert. Zahlreiche verschiedene Museumsthemen und Museumstypen wurden in den Blick genommen, historische und zeitgenössische, in allen Teilen der Welt und aus der Perspektive so unterschiedlicher Disziplinen wie Geschichte, Kunstgeschichte, Kulturanthropologie, Soziologie, Literaturwissenschaft und Philosophie, um nur die prominentesten zu nennen.11 Im Mittelpunkt einer Vielzahl neuerer Studien stand dabei die Politik der Repräsentation und die Re-Produktion von Differenz – etwa entlang der Linien von Klasse, Geschlecht und „race“12 – im und durch das Museum (Clifford 1988; Coombes 1994; Duncan 1995; Muttenthaler/Wonisch 2006). Richard Handler und Eric Gable (1997: 8f.) verweisen auf einige wiederkehrende Fragenkomplexe: Wie sammeln, klassifizieren und präsentieren Museen Erzeugnisse materieller Kultur und wie transportieren sie dadurch Bilder vom Menschen, von verschiedenen Gruppen sowie Vorstellungen von deren kultureller Verschiedenheit? Welche Ideologien und Interessen liegen solchen Repräsentationen zugrunde oder werden durch sie gestützt? Wer 11 Einen nützlichen Überblick über Themen und Tendenzen der neueren Museumsforschung mit besonderer Berücksichtigung der angelsächsischen Literatur gibt Starn 2005. Einen gelungenen Versuch der Sondierung und Systematisierung unternimmt auch Sharon Macdonald (2006) in der Einleitung des von ihr herausgegebenen Companion to Museum Studies, das die Bandbreite und den Stand der aktuellen Diskussion gut abbildet. Eine Vielzahl klassischer und neuerer Texte versammeln einige Anthologien, die in den letzten Jahren – auch im Sinne eines Zwischenfazits der beachtlichen Entwicklung des Feldes – auf den Markt gekommen sind: Anderson 2004; Carbonell 2004; Preziosi/Farago 2004; Corsane 2005. 12 Auch der Begriff „race“ bleibt, wie oben für „community“ ausgeführt, im Folgenden durchgängig englisch stehen, nun als Abgrenzung zu dem anders konnotierten deutschen „Rasse“. Vgl. hierzu etwa die Ausführungen in der instruktiven Ausgabe der Zeitschrift WerkstattGeschichte zur „Farbe Weiß“: „Der Begriff ‚Rasse’ gilt hierzulande, ganz anders als ‚race’ im angloamerikanischen Sprachraum, wo seit Jahrzehnten unter dem analytischen Blickwinkel von ‚race’ geforscht, entsprechende universitäre Curricula mittlerweile fest etabliert sind und ‚race’ in der politischen Auseinandersetzung um die Beschreibung und Gestaltung der Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt, bislang weitgehend als analytisch untauglich und politisch höchst fragwürdig. (Das ist zum einen eine Folge des Nationalsozialismus und seiner Rassenideologie, zum anderen gab es in Deutschland, anders als in den USA, keine soziale Bewegung, die Veränderungen unter diesem Begriff eingefordert hat.) Das englische ‚race’ und das deutsche ‚Rasse’ sind weder in ihren Bedeutungsfeldern noch in ihren Konnotationen deckungsgleich“ (Lüdtke/Mörchen 2005: 5). 21
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
gründet Museen und bestimmt ihren Inhalt? Auf welcher Grundlage, zu welchem Zweck? Schließlich: Wie konstituieren Museen ein bestimmtes Publikum, welche Teile der Öffentlichkeit werden angesprochen, welche eher ferngehalten? Und wie nimmt dieses Publikum die musealen Präsentationen auf – zustimmend, ablehnend oder auf ganz eigene Weise? Insbesondere untersuchten zahlreiche neuere Beiträge die Herausforderungen und Transformationen, denen sich Museen in multikulturellen Gesellschaften gegenüber sehen. Kritisch begleitet und diskutiert wurden die Veränderungen ihres Selbstverständnisses von elitären zu populären Einrichtungen, die Pluralisierung des Publikums wie der Akteure musealer Produktionen, die Rolle von Museen bei der Inszenierung kultureller Vielfalt und deren Zusammenhang mit staatlicher Politik, Ansprüchen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und dem Wandel von Selbstbildern in lokaler und nationaler Dimension (Karp/Lavine 1991; Karp u.a. 1992; Coombes 1992; Kaplan 1994a; Hooper-Greenhill 1997; Beier-de Haan 2005a; Karp u.a. 2006; Goodnow 2008; Goodnow/Akman 2008). Die Musealisierung der Migration hat in diesem Rahmen – trotz der augenscheinlichen Anschlüsse für solcherart Fragen und der unübersehbaren Dynamik der Entwicklung – bislang kaum Beachtung gefunden. Ein Großteil der schmalen Literatur, die zum Thema vorliegt, sind Beiträge von Museumspraktikern, die zumeist über eine rein deskriptive Darstellung ihrer Projekte nicht weit hinausgehen. Dies gilt, was erstaunen mag, nicht nur für die deutsche oder europäische Debatte, sondern auch für die hier interessierenden Kontexte USA, Kanada und Australien, wo die Entwicklung bereits früher einsetzte. Systematische Betrachtungen, die den Fokus über einzelne Fälle ausweiten und dem Phänomen analytisch nahezukommen versuchen, fehlen nahezu völlig.13 Eine Ausnahme bildet
13 Für den deutschen Kontext unternehmen Horn/Mörchen (2006) mit der Gegenüberstellung von vier Migrationsausstellungen der letzten Jahre einen Schritt in diese Richtung. Braunersreuther (2007) versucht ähnliches, wenn sie entlang der Kategorie Fremdheit „Formen der Präsentationen von Migrationsgeschichte und deren Folgen“ zu untersuchen unternimmt. Eine sondierende Übersicht zu Projekten und Tendenzen der Migrationsmusealisierung bietet weiters Korff 2005. Neue Impulse für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Musealisierung der Migration scheint die Eröffnung der Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration zu geben. Die Doppelausgabe der Zeitschrift Museum International 59 (2007) 1-2 befasst sich schwerpunktmäßig mit dieser Neugründung und versammelt neben Beiträgen Projektbeteiligter auch Artikel kritischer Beobachter. Mit der bislang unveröffentlichten Dissertation von Mary Stevens (2007b) konzentriert sich auch die einzige Monographie zum Thema auf diesen Fall. Basierend auf teilnehmender Beobachtung über einen Zeitraum von achtzehn Monaten analysiert die Autorin so akribisch wie anregend den komplexen Entstehungsprozess und die Ausstellungen des nationalen französischen Einwanderungsmuseums sowie seine politischen und gesellschaftlichen Implikationen. 22
EINLEITUNG
hier ein instruktiver Aufsatz von Ian McShane (2001), der einen Überblick über Varianten der Musealisierung von Migration in Australien gibt, Tendenzen ordnet und ins Verhältnis zu politischen Entwicklungen, namentlich Diskussionen über Vor- und Nachteile des Multikulturalismus, setzt. John Bodnars (1995) Beitrag über Erinnerungen der Einwanderung in der US-amerikanischen Kultur geht in dieser Hinsicht ähnlich vor, greift aus dem musealen Kontext allerdings nur auf das Beispiel Ellis Island zurück und orientiert sich ansonsten stärker auf die Medien Schulbuch und Film. Gisela Welz (1996) analysiert im Rahmen ihrer groß angelegten Studie über „Inszenierungen kultureller Vielfalt“ unter anderem drei Migrationsmuseen in New York City: neben dem Ellis Island Immigration Museum das Lower East Side Tenement Museum und das Museum of Chinese in the Americas. Ihr spezielles Forschungsinteresse richtet sich gleichwohl nicht auf Formen der Musealisierung von Migration, sondern auf Einflüsse und Effekte volkskundlichen Wissens in kulturellen Produktionen in Form von „cultural brokerage“. Die drei Institutionen erscheinen so in thematisch unterschiedlich ausgerichteten Kapiteln und werden nicht zueinander in Bezug gesetzt (dies bei Baur 2005). International vergleichende Studien schließlich stellen ein echtes Desiderat der Forschung dar. Einzig ein unlängst erschienener Aufsatz von Nancy Green (2007) versucht anhand des Ellis Island Immigration Museums und der Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration eine Zusammenschau. Ausgehend von der Frage, warum zu bestimmten Zeiten solcherart Großprojekte zur Migrationsgeschichte initiiert und realisiert werden, konzentriert Green sich auf die Entstehung der beiden Museen und kann zeigen, dass in beiden Fällen Auseinandersetzungen über die thematische, historische und gruppenspezifische Reichweite prägend wurden. In Bezug auf die hier zu untersuchenden Fälle ist die Forschungslage disparat. Weitaus die meisten Beiträge – im Vergleich der drei Museen, aber auch hinsichtlich Migrationsmuseen überhaupt – liegen, wie in den obigen Ausführungen bereits angedeutet, zum Ellis Island Immigration Museum vor. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Barbara Blumberg (1985) und F. Ross Holland (1993), die eine hilfreiche Chronik der Vor- und Frühgeschichte des Museumsprojekts liefern, letzterer dezidiert aus der Perspektive eines Beteiligten. Kritischer angelegt sind die Analysen von Michael Wallace (1996: 55-73), Barbara KirshenblattGimblett (1998a: 177-187) und Gisela Welz (1996: 170-188; 2000). Wallace fokussiert vor allem die Entstehung des Museums und stellt insbesondere die geschichtspolitischen Motivationen der Initiatoren um Ronald Reagan und Lee Iacocca deutlich heraus. Kirshenblatt-Gimblett nähert sich dem Museum hingegen stärker über dessen Präsentationen und diagnostiziert eine patriotische Funktionalisierung und Mythisierung der Einwanderungsgeschichte. Ihre hellsichtige Dekonstruktion ausgewählter Inszenierungen verliert gleichwohl etwas durch die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber den Komplexitäten der Realisierung des Museums, die den verfehlten Eindruck einer autoritativen Steuerung des Projekts 23
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
und seiner Inhalte durch Eliten in Politik und Wirtschaft nahelegt. Welz findet hier eine Verbindung, indem sie sowohl Produktion wie Präsentationen des Museums untersucht und in Bezug zueinander sowie zu parallelen Diskursen in der amerikanischen Gesellschaft setzt. In dieser Hinsicht baut meine Analyse auf ihren Ausführungen auf. Besonders zu beachten sind daneben die neueren Aufsätze von Luke Desforges und Joanne Maddern (2004) bzw. von Maddern (2004a, 2004b). Der Befund einer „multivocal and fragmented heritage landscape“ auf Ellis Island, der diesen zugrunde liegt, also der Hinweis auf divergierende und zum Teil konfligierende Interessenkonstellationen und deren Niederschlag im Museum, stellt einen weiteren Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Dabei wird die empirische Grundlage durch bislang ungesichtetes Archivmaterial und vertiefte Analysen der Inszenierung erheblich erweitert und im Ergebnis das dort gezeichnete Bild in Teilen korrigiert. Rand (2005) schließlich wählt für ihren Zugang zum Museum gleichsam die Hintertür. Ausgehend von einer faszinierten und faszinierenden Betrachtung diverser kommerzieller Kitschprodukte des Museumsshops bahnt sie sich einen Weg durch Teile der Ausstellung und entdeckt mehr Überschneidungen als erwartet. Aus der Perspektive der Gender-Forschung interessiert sie sich dabei insbesondere für Repräsentationen von Geschlecht und (Hetero-)Sexualität. Wenngleich der Schwerpunkt hier anders gesetzt wird, sind ihre Interpretationen auch für diese Arbeit anregend und aufschlussreich. Im Hinblick auf das kanadische und australische Einwanderungsmuseum ist die Forschungslage wesentlich dürftiger. Pier 21 wird, von einer kurzen Besprechung abgesehen (Lafferty 2001), nur in zwei unveröffentlichten Diplomarbeiten (Vukov 2000; Zorde 2001) und einem Aufsatz, der aus einer der beiden hervorging (Vukov 2002), wissenschaftlich behandelt. Dieser nimmt seinen Ausgang von den Eröffnungsfeierlichkeiten des Museums und diskutiert im Weiteren einige der Präsentationen und Verlautbarungen. Vukov kennzeichnet Pier 21 dabei als Dramatisierung und Emotionalisierung einer romantisierenden Nationalmythologie und Ausdruck einer ostentativen „Xenophilie“, die gleichwohl nur die eine Seite der Medaille im (geschichts-)politischen Umgang der kanadischen Siedlernationen mit Migration darstelle. Xenophobe Tendenzen, etwa im Hinblick auf „unerwünschte Einwanderer“ heute, würden darin verschleiert. Ihre luzide Argumentation soll hier vertieft und erweitert werden. Die Veröffentlichungen zum Immigration Museum Melbourne beschränken sich auf einige Beiträge seitens der Museumsmacher (McFadzean 1999; Gillespie 2001a; Horn 2006; Sebastian 2007) und wenige knappe Rezensionen (Reinke 1999; Young 1999; Wills 2001; Barr 2002). Hervorzuheben ist dabei der Artikel von Helen Barr, insofern er nicht nur die Ausstellungen diskutiert, sondern auch versucht, das Museumsprojekt in der kulturpolitischen Landschaft Melbournes zu verorten. Insbesondere ihr Hinweis auf das in dieser Hinsicht maßgebliche Strategiepapier „Arts 21“ wird hier aufgenommen und weiter geführt. 24
EINLEITUNG
Für das Ellis Island Immigration Museum stellt die vorliegende Studie entsprechend eine Ergänzung, Vertiefung und partielle Revision der existierenden Literatur dar, für Pier 21 und das Immigration Museum Melbourne ist sie die erste umfassende Analyse. In Bezug auf den Gesamtkomplex, die Musealisierung der Migration, begreift sie sich als Beitrag zu einem Forschungsfeld in der Entstehung. Über die institutionelle Arena des Museums hinaus sieht sich die Studie ferner als Beitrag zur Untersuchung von Geschichtspolitik, Repräsentation und nationaler Identitätsarbeit im postkolonialen und multikulturellen Kontext. Sie schließt in dieser Hinsicht an Arbeiten von John Tunbridge und Gregory Ashworth (1996; auch Graham u.a. 2000) über dissonantes kulturelles Erbe und Formen seines politischen Managements, von Eva Mackey (1999) über Transformationen dominanter Selbstbilder in Kanada oder von Lyn Spillman (1997) und Tony Bennett u.a. (1992) zu nationalen Jubiläumsfeierlichkeiten, ihren Inszenierungen und begleitenden Diskursen in den USA und Australien an. Die Arbeit gliedert sich im Weiteren in fünf Kapitel: drei Fallanalysen gerahmt von zwei Kapiteln zu übergreifenden Aspekten. Das folgende legt in vier Schritten die Grundlagen der Studie. Sein erster Abschnitt entfaltet zunächst das für die Untersuchung maßgebliche konstruktivistische Verständnis des Museums als Produktionsstätte von Bedeutung. In diesem Zusammenhang werden auch zentrale Begriffe wie Inszenierung, Geschichtspolitik und Meistererzählung eingeführt. Der nächste Abschnitt geht sodann jenen Impulsen nach, die der Musealisierung der Migration in den USA, Kanada und Australien zugrunde liegen, und umreißt im gleichen Zug die gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontexte, in denen sich die drei Museumsgründungen situieren. Im Einzelnen ausgeführt werden drei eng verknüpfte Aspekte: die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich unter den Stichworten „Multikulturalismus“ und „ethnic revival“ fassen lassen, sowie Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft einerseits und der Museumswelt andererseits. Das folgende Unterkapitel vertieft in einem Dreischritt den spezielle Fokus der Arbeit. Zunächst wird unter Rückgriff auf Benedict Andersons (1996) Konzept der „imagined community“ das traditionell enge Verhältnis von Museum und Nation skizziert. Im Anschluss werden aktuelle Herausforderungen der musealen Inszenierung der Nation, namentlich Globalisierung und gesellschaftliche Pluralisierung, diskutiert, um dann die These einzuführen, dass Einwanderungsmuseen über die Inszenierung einer Meistererzählung der Migration letztlich der Re-Vision der Nation verpflichtet sind. An der Schnittstelle zu den drei Fallanalysen stelle ich schließlich die Methodik dar, die diesen zugrunde liegt, und nenne forschungspraktische Implikationen. In den folgenden drei Kapiteln werden die Analysen des Ellis Island Immigration Museum, des Museums Pier 21 in Halifax und des Immigration Museum Melbourne ausgebreitet. Ausgehend von einem doppelten methodischen Zugriff folgt die Darstellung jeweils einer zweigeteilten Grundstruktur mit Ausführungen zur Produktion der Museen einerseits und ihren Präsentationen andererseits. In25
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
nerhalb dessen entfalten sich die Kapitel aus der Dynamik der individuellen Fälle. Im Fall von Ellis Island und Pier 21, wo jeweils der historische Ort, wie bereits im Namen angezeigt, von zentraler Bedeutung ist, wird überdies ein Abschnitt zu dessen prä-musealer Geschichte vorgeschaltet. Die Fallstudie zum Ellis Island Immigration Museum ist dabei wesentlich ausführlicher als die beiden anderen, was sich zum einen aus dem größeren Umfang seiner Präsentationen und der höheren Komplexität seines Entstehungsprozesses ergibt, zum anderen der ungleichen Materiallage, sowohl im Hinblick auf Sekundärliteratur als auch Primärquellen, geschuldet ist (mehr dazu im Abschnitt zur Untersuchungsmethode). Das abschließende Kapitel führt die Erkenntnisse der Fallanalysen zusammen und diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf neuralgische Punkte. Mit dem Aufzeigen von Anschlüssen für weitere Studien zur Musealisierung der Migration und der kurzen Skizze eines „Migrationsmuseums, das ich mir wünsche“ kommt die Arbeit zu ihrem Ende. Im Verlauf der gesamten Untersuchung werde ich versuchen, jenen Auftrag im Auge zu behalten, den Michael Ames (1992: 4) in seiner viel zitierten kritischen Abhandlung zur „Anthropology of Museums“ späteren Museumsforschern ins Stammbuch geschrieben hat: „It is easy enough to criticize museums for being what they are or for failing to be what one thinks they should be, and to judge from one’s own moral perspective the actions and inactions of others. It is more difficult to propose changes that are feasible, and to ground both criticism and reform in an understanding of the situation, the economic foundations, and sociopolitical formations of the museums to be gauged […] Useful criticism needs to combine assessment with the empirical examination of real situations, recognizing the complexity and intermingling of interests involved, as well as relations between the individual and the social, and the conditions within which they operate.“
Eine umsichtige Einschätzung der drei Museen unter Beiziehung ihres jeweiligen Kontexts und im Bewusstsein ihrer Komplexität soll jederzeit der Anspruch sein. Die Formulierung praktischer Verbesserungsvorschläge, wie Ames sie von Studien wie dieser erwartet, steht dagegen, vom letzten Abschnitt abgesehen, nicht im Vordergrund. Wenn sie sich implizit finden oder ex negativo destillieren lassen sollten – umso besser.
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Koordinaten des Einwanderungsmuseums. Grundlagen, Forschungsperspektive und Methode
Schauplatz: Das Museum – Produktionsstätte von Bedeutung Im Zentrum dieser Untersuchung steht mit dem Einwanderungsmuseum ein neuer thematischer Typ der alten Institution Museum.1 Aus diesem Grund sei zunächst verdeutlicht, wie das Museum im Rahmen dieser Studie konzeptionell gefasst werden soll. Denn schließlich lässt sich die facettenreiche Institution in zahlreichen verschiedenen Dimensionen und Funktionen betrachten: Museen sind Schatz- und Rumpelkammern der Kultur, Instrumente der Stadtumgestaltung und der Staatsbürgererziehung, Fixpunkte touristischer Routen und öffentlicher Debatten, Standortfaktoren und Subventionsgräber, Lernorte und Musentempel, Forschungsstätten, Erlebniszentren und vieles mehr. Im Folgenden interessiert das Museum vor allem in seiner Kapazität als Produktionsstätte von Bedeutung, als spezifische Weise der Welterzeugung (Kirshenblatt-Gimblett 2004: 187, mit Bezug auf Nelson Goodman 1984). Mit diesen Wendungen sei von vornherein eine Anschauung zurückgewiesen, wonach Museen in einem Abbild-Verhältnis zur Welt außerhalb ihrer Mauern stünden oder diese in ihren Darstellungen spiegelten. Museen, museale Sammlungen und Ausstellungen, entwerfen in aktiver Weise Bilder der Welt, die keine Spiegelbilder sind. Soziale, kulturelle, politische oder historische Phänomene werden im Museum nicht abgebildet, sondern re-konstruiert und kulturell kodiert. Museen sind dabei als „kulturelle Produktionen“ (MacCannell 1999: 24-28) abhängig von den Kontexten, aus denen sie entstehen und tragen im Gegenzug ihren Teil zu deren Konstitution bei. 1
Zu Entstehung und Geschichte des Museums allgemein vgl. Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995; Pomian 1998; Gerchow 2002; Vedder 2005. 27
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Eine solche Position basiert wesentlich auf einer konstruktivistischen Auffassung des Konzepts der Repräsentation. Dieses ist in den letzten Jahrzehnten zu einem der meist diskutierten Felder der Kulturwissenschaft avanciert.2 Regina Bendix und Gisela Welz (2002: 28) stellen dazu fest: „Der Begriff der Repräsentation signalisiert die Abkehr von jeglicher unproblematischen Auffassung vom spiegelbildlichen Reproduzieren sozialer Realität und kultureller Handlungen durch die Wissenschaft. Die Politik der Repräsentation: das bedeutet ein kritisches Bewusstsein bei jeglicher Darstellung von volkskulturellen Äußerungen, gerade da, wo bisher darauf bestanden wurde, dass wir Kultur doch nur in einen neuen Rahmen oder performativen Kontext transponieren und das Transponierte dabei unverändert bleibt.“
Was Bendix/Welz vor dem Hintergrund der wegweisenden „Writing Culture“Debatte in der US-amerikanischen Kulturanthropologie (Clifford/Marcus 1986) für den Bereich der Herstellung volkskundlichen wissenschaftlichen Wissens skizzieren, lässt sich auf den gesamten Komplex der Repräsentation beziehen. Repräsentationen sind immer Darstellungen von Vorstellungen. Als solche sind sie zum einen Konstruktionsleistungen spezifischer, also stets spezifisch positionierter Produzenten. Zum anderen sind Repräsentationen im Wortsinn produktiv. Sie sind Generatoren von Bedeutung und zwar ungeachtet dessen, ob sie – im Verhältnis zur Komplexität der Wirklichkeit unumgänglich – selektiv oder reduktiv sein mögen (Welz 1996: 13ff.; auch Lidchi 1997). Dass diese Bedingungen auch für Repräsentationen vergangener Wirklichkeit gelten, dass Geschichte sich also immer von der Gegenwart herschreibt, dass wir – wie nicht zuletzt Hayden White (2000) gezeigt hat – „Vergangenheiten konstruieren“, ist im Zeichen einer kulturwissenschaftlich orientierten Geschichtswissenschaft zum festen Wissensbestand geworden. Der Begriff der Repräsentation gewinnt hier zusätzliche Prägnanz, insofern darin die Gegenwartsbindung jeder Darstellung von Geschichte expressis verbis aufgerufen ist. Repräsentation von Geschichte ist Präsentifikation, Vergegenwärtigung, gegenwärtige Konstruktion von Vergangenheit. Um diese konstruktivistische Perspektive noch deutlicher hervortreten zu lassen, schreibe ich im Folgenden „Re-Präsentation“. 2
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So untersucht Stuart Hall (1997) unter diesem Begriff etwa, wie Identitäten – ethnische, nationale, soziale – dargestellt, inszeniert und in politischen und ökonomischen Diskursen verankert werden. Im deutschsprachigen Raum erforscht ein Sonderforschungsbereich an der Humboldt-Universität seit 2004 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“, verstanden als „öffentlich ausgehandelte oder durchgesetzte, gesellschaftlich konsensfähige oder umstrittene Vorstellungen und Bilder […] die vergangene, gegenwärtige oder zukünftige gesellschaftliche Wirklichkeiten darzustellen beanspruchen und in denen Entwürfe des Eigenen wie des Anderen enthalten sind“ (vgl. http://www.repraesentationen.de [25.2.2009]).
KOORDINATEN DES EINWANDERUNGSMUSEUMS
Re-Präsentationen sind medienabhängig, und das Museum – genauer: die museale Ausstellung – stellt ein spezifisches Medium der Re-Präsentation. Die Besonderheit, das Alleinstellungsmerkmal des Museums liegt in der Sammlung, Klassifikation und – dies soll im Weiteren im Mittelpunkt stehen – der Exposition von Objekten.3 Nach Gottfried Korff und Martin Roth (1990: 15) basiert die spezifische Qualität der musealen Ausstellung auf dem „unmittelbaren Kontakt mit dem originalen Gegenstand, mit dem authentischen Objekt“. Dieses sei „Dokument und Zeuge“ und trage zugleich „sinnliche Anmutungsqualität“. „Den Grund für die ‚Faszination des Authentischen’“, so Korff/Roth (1990: 17) weiter, „bildet das den Objekten eingelagerte Spannungsverhältnis von sinnlicher Nähe und historischer Fremdheit, das Ineinander von zeitlich Gegenwärtigem und geschichtlich Anderem.“ Im Zusammenspiel von Reizwert und Dokumentationswert und nicht zuletzt aufgrund der unumgänglichen Fragmentarik der Überlieferung sei das museale Artefakt in besonderem Maße dazu angetan, die Imagination anzuregen.4 Nun gilt es gleichwohl zu beachten, dass im Rahmen der musealen Ausstellung ein „unmittelbare[r] Kontakt mit dem originalen Gegenstand“ im eigentlichen Sinn nie gegeben ist. Denn dieser ist immer eingebunden in und überformt durch größere Ordnungen, die das aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herausgebrochene Objekt re-kontextualisieren und re-dimensionieren (Korff/Roth 1990: 18; vgl. auch Lidchi 1997: 162f.).5 Diese Ordnung sowie die kulturelle Praxis ihrer Herstellung heißt „Inszenierung“. Inszenierung in musealen Ausstellungen beschreibt das Arrangement von Exponaten im Raum, ihr Zusammenspiel mit Text und Architektur, mit Licht, Ton und Farbe sowie die ge3
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Der Entschluß, den Schwerpunkt der Untersuchung auf museale Ausstellungen statt Sammlungen zu legen, reflektiert die Akzentverschiebung in der Museumwelt von der depositorischen zur expositorischen Dimension (Beier-de Haan 2005a: 180). Diese Beobachtung korrespondiert mit Barbara Kirshenblatt-Gimbletts (1998: 18ff.) Überlegungen zur „poetics of detachment“. So argumentiert auch Tony Bennett (2006a: 8.5): „[I]t is true of the museum just as much as it is of the laboratory that it does not need to ’put up with the object as it is’. The museum object is, indeed, always non-identical with itself or with the event (natural, social or cultural) of which it is the trace. Its mere placement within a museum frame constitutes a detachment from its ‘in itselfness’, and one that renders it amenable to successive reconfigurations through variable articulations of its relations to other, similarly constituted objects. It is equally true that in ‘bringing objects home’, detaching them from where they ‘naturally’ occur, museums are able to manipulate those objects on their own terms in ways that make new realities perceptible and available for mobilisation in the shaping and reshaping of social relationships.“ Ivan Karp (1992: 7) ergänzt, die „Biegsamkeit“ und stetige Neubewertung der Dinge im Kontext des Museums illustrierend: „[T]he same objects are made to stand for different identities; for example, at different places and at different times the same object can be a piece of art, a sign of a culture’s place in an evolutionary hierarchy, a sign of heritage, or a mark of oppression.“ 29
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
zielte Zuweisung von Positionen für Ausstellungsbesucher in diesem Gefüge.6 Die Imagination, als dessen Quelle Korff/Roth das originale Objekt ausmachen, wird darin gebündelt, gerichtet, gelenkt. Das Museum zeigt Objekte nicht nur, es argumentiert mit ihnen. Für die Konstruktion von Bedeutung maßgeblich erscheint insofern nicht in erster Linie das einzelne Objekt, sondern die Inszenierung in ihrer doppelten Dimension als Praxis und Produkt einer Praxis.7 Funktion und Wesen der Inszenierung ist es, eine Interpretation zur Anschauung zu bringen (Korff/Roth 1990: 22). Museale Inszenierungen sind demnach „spatial arguments about the world that they denote“ und konstituieren zugleich „a point of view from which [the world] is addressed by subjects“ (Fyfe 2006: 35). Eine ähnliche Konzeption verfolgt Sharon Macdonald (1996: 14), wenn sie feststellt: „Any museum or exhibition is, in effect, a statement of position. It is a theory: a suggested way of seeing the world.“8 „Statement of position“ lässt sich
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Der Begriff ist damit weiter gefasst als bei Schober (1994) oder Scholze (2004). Während letztere darunter eine spezifische Darstellungsform versteht, die sich durch „szenische Arrangements“ und eine Tendenz zur naturalistischen Rekonstruktion von anderen Formen wie Klassifikation, Chronologie und Komposition abhebt, ist hier mit Inszenierung eine Grundbedingung der musealen Ausstellung gemeint, unabhängig von ihrer konkreten Gestalt. Bei Korff/Roth (1990: 21f.) bleibt unentschieden, wie umfänglich der Begriff zu verstehen ist. Zum einen ist „Inszenierung“ als „Anordnung und Installation der Objekte in einem Raum“ relativ offen gehalten, zum anderen grenzen sie inszenierte Ausstellungen gegen „Leseausstellungen“ ab und suggerieren einen Gegensatz von Inszenierung und Texten in Ausstellungen (die meines Erachtens, wie erwähnt, als ein spezielles Element immer Teil der Inszenierung sind). Die dem Museum inhärente Notwendigkeit der Inszenierung ist – in Abgrenzung zur Geschichtsschreibung wie zu der Vorstellung einer „reinen“ Objektpräsentation – detailliert ausgeführt bei Beier-de Haan (2005a: 176-187). Eine kurze Geschichte des Begriffs „Inszenierung“ und seiner vom Theater ausgehenden Karriere in unterschiedlichen Kontexten skizziert Fischer-Lichte 2000. Eingedenk der erheblichen Ausweitung des begrifflichen Bezugsrahmens definiert sie „Inszenierung“ allgemein als „ästhetische und zugleich anthropologische Kategorie“, die „auf schöpferische Prozesse [zielt], in denen etwas entworfen und zur Erscheinung gebracht wird – auf Prozesse, welche in spezifischer Weise Imaginäres, Fiktives und Reales (Empirisches) zueinander in Beziehung setzen“ (ebd.: 22). Hervorzuheben ist dabei, dass sich Bedeutung letztlich erst im Akt des Lesens des musealen Texts – im weiten Sinne – aktualisiert. Dieser Zusammenhang ist näher dargestellt in den Ausführungen zur Methodik dieser Untersuchung. Der Begriff „theory“ spielt hier natürlich mit der griechischen Etymologie des Wortes von șİȦȡİȓȞ, also „beobachten, betrachten, anschauen“. Die Betonung und Privilegierung des Sehsinns durch das Museum ist vielfach dargestellt worden (vgl. Alpers 1991; Bennett 2006b). Kritisch beleuchtet wird dabei mitunter nicht nur die Institution selbst, sondern auch die Tendenz, in Untersuchungen der Institution allein auf diese Dimension zu fokussieren. Indem ich mich hier auf Re-Präsentationen
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dabei auf zweierlei Weise verstehen: Ausstellungen sind einerseits Ausdruck bestimmter Standpunkte. Sowohl der institutionelle Rahmen, in dem sie agieren, wie die Informationen, die sie bieten, sind niemals neutral, sondern in je spezifischer Weise politisch, sozial, historisch und kulturell geprägt. Ausstellungen vertreten und verbreiten bestimmte Vorstellungen und Deutungen der Welt, bestimmte Sichtweisen und Positionen, bestimmte Werte und Ideale. Zugleich sind museale Inszenierungen „statements of position“ im Sinne von Standortbestimmungen: Sie geben Auskunft über den raumzeitlichen Zustand einer Gesellschaft. Ausstellungen sind Indikatoren für zeitspezifisch relevante Themen und Problemstellungen sowie Träger gesellschaftlicher Diskurse, verstanden als „öffentliche Argumentationsweisen, die soziale Praktiken des Wissens, Denkens, Redens und Handelns definieren und die damit der Gesellschaft nach innen Konventionen schaffen und nach außen Grenzen setzen“ (Kaschuba 2001: 23). Eingedenk dieses doppelten Verhältnisses und eines konstruktivistischen Verständnisses von Re-Präsentation ist Tony Bennett (1995: 132) zu folgen, wenn er dafür plädiert, Institutionen wie Geschichtsmuseen weniger im Hinblick auf die Korrektheit ihrer Darstellung gegenüber der historischen Überlieferung zu untersuchen, sondern als „publicly instituted structuring of consciousness“. Sein spezifisches Gewicht erhält das Museum, das historische zumal, durch den Diskurs der Authentizität. In der Echtheit und sinnlichen Anmutungsqualität originaler Objekte oder – im Hinblick auf die in dieser Studie untersuchten Fälle besonders signifikant – historischer Stätten lässt das Museum eine scheinbar unmittelbare Verbindung zu vergangenen Zeiten und entfernten Orten erfahren. Zugleich tritt damit der inszenierte Charakter jeder musealen Geschichtsdarstellung in den Hintergrund. Stärker als bei Korff/Roth (1990) konzeptualisiert, gilt es somit das Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Inszenierung zu betonen. Tanjev Schultz (2003) führt im Hinblick auf die visuelle Kommunikation medialer Bildwelten etwa aus, wie „Authentizität“ und „Inszenierung“ als gegensätzliche, sich ausschließende oder jedenfalls spannungsreiche Konzepte verwendet werden. Was inszeniert ist, verliere an Authentizität; was authentisch ist, komme ohne Inszenierung aus. Mit Inszenierung verbinde sich die Vorstellung eines absichtsvollen Handelns, das seine Effekte gegenüber einem Publikum ins Kalkül zieht. Das Authentische dagegen scheine, aus sich selbst heraus zu bestehen. Ich verstehe Authentizität hier mit Barbara Kirshenblatt-Gimblett (1998: 167) als „collaborative hallucination“. Der wirkmächtige Eindruck der Echtheit und Unmittelbarkeit von Objekten, Orten, Geschichten stiftet einen impliziten Vertrag zwischen Besuchern und Museum und verleiht diesem seine Glaubwürkonzentriere und etwa performative Aspekte des Museums, also die Wirkung auf die Körper der Besucher oder die Rolle in der Einübung von Verhalten und Manieren, weitgehend außen vor lasse, ließe sich ein solcher Einwand legitimerweise auch gegen diese Studie vorbringen 31
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digkeit. Weniger als der Frage nach der „tatsächlichen“ Authentizität der Dinge im Museum nachzugehen, gilt es dabei, „Authentizität“ als rhetorischen Modus zu begreifen, den das Museum als Institution selbst produziert und aus dem es zugleich seine Überzeugungskraft schöpft. Angelehnt an Mieke Bals (1996) Ausführungen zum Wesen der Ausstellung als Sprechakt ließe sich formulieren, dass die Rhetorik der Authentizität darauf abzielt, den Fokus von der 1. Person des ausstellerischen Sprechakts (der Institution, ihrer Macher…) auf die 3. Person (das Ding, den Ort…) zu verschieben. Indem das Museum seine Operationen auf die „Autorität der Sache“ gründet, wird die Autorität der Macher, die die Dinge in musealen Inszenierungen stets für etwas stehen lassen, verschleiert.9 Mit James Clifford (1990: 91) lässt sich dieser Mechanismus auf museale RePräsentationen im Allgemeinen beziehen: „Die Herstellung von Bedeutung in der musealen Klassifizierung und Präsentation wird als adäquate Repräsentation mystifiziert. Zeit und Ordnung der Sammlung löschen die konkrete gesellschaftliche Arbeit ihrer Erzeugung aus.“ In diesen Formulierungen ist ein Aspekt aufgerufen, der in der neueren Literatur über Rolle und Charakter von Museen stets betont wird: die Implikation des Museums mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen.10 Wenn die Metapher des 9
Die Formulierung von der „Autorität der Sache“ ist Benjamins Kunstwerk-Aufsatz entnommen (Benjamin 1977: 13). Hier lässt sich nochmals die Ambivalenz von Authentizität und Inszenierung verdeutlichen. Nach Benjamin basiert die geschichtliche Zeugenschaft einer Sache im Prinzipiellen auf ihrer Echtheit, verstanden als „Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren“. Welches Zeugnis die Dinge ablegen bzw. wofür sie als Zeugen herbeizitiert werden, ist damit nicht entschieden. Eingegrenzt und Betrachtern nahegelegt, wenn auch aufgrund der widerspenstigen Polysemie der Dinge nie vollständig determiniert, ist dies erst in der Inszenierung. Abhängig von spezifischen Interessen, von der Autorität der Zeigenden also, können die authentischen Dinge so im Wandel der Zeit oder der Perspektiven ganz Unterschiedliches bezeugen. Zum Konnex von Authentizität und Autorität vgl. auch Crew/Sims (1991: 163): „Authenticity is not about factuality or reality. It is about authority. Objects have no authority; people do. […] Authenticity – authority – enforces the social contract between the audience and the museum, a socially agreedupon reality that exists only as long as confidence in the voice of the exhibition holds.“ Als Beispiel für die wandernden Bedeutungen eines Museumsobjekts, hier im Übergang vom kolonialen zum postkolonialen Kontext vgl. Karp/Kratz 2000: 194f.. Ein Beispiel der zielgerichteten Inszenierung von Authentizität wird im Rahmen dieser Studie am Fall des Ellis Island Immigration Museum ausgeführt. 10 Theoretisiert sind diese Analysen wahlweise mit Bezug auf Antonio Gramscis Theorie kultureller Hegemonie, Louis Althussers Analyse Ideologischer Staatsapparate und allen voran Michel Foucaults Überlegungen zu epistemischen Ordnungen und zum Konzept der Gouvernementalität (Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995; Luke 2002; Marchart 2005). Vgl. als Überblick Mason 2006. Kritisch zum „FoucaultEffekt“ in der neueren Museumsforschung äußert sich Starn 2005: 74f.
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Spiegels in Bezug auf das Museum eine Berechtigung haben kann, dann nur, wie Patricia Davison (1999: 145f.) vorschlägt, im Sinne von „museums as mirrors of power“. Machtverhältnisse spiegeln sich in musealen Sammlungen, die – in ihrem Bestand wie in ihren Leerstellen – vielfach von kolonialer Eroberung oder kriegerischer Auseinandersetzung, von Geschmack und Einfluss herrschender Schichten, von patriarchaler Dominanz sowie allgemein von vergangenen und gegenwärtigen Interessenkonstellationen zeugen. Sie spiegeln sich in der Aufspaltung und Hierarchisierung in Definierende und Definierte, in Sprechende und Besprochene, die den Kategorisierungen und Inszenierungen des Museums zugrunde liegt. Sie spiegeln sich in der Beachtung bestimmter Themen und Ereignisse und im Ignorieren anderer, im Bewahren bestimmter Geschichten und dem Vergessen anderer, in der Einnahme bestimmter Perspektiven und der Ausblendung anderer. Im Blick auf Geschichtsmuseen illustriert Davison die Frage von Macht in Abgrenzung zur persönlichen Erinnerung von Individuen. Wie diese setzen Museen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zueinander in Bezug, doch im Gegensatz zu dieser geben Museen autorisierten Versionen der Vergangenheit Gestalt und verankern so in institutionalisierter Form ein offizielles Erinnern.11 An diesem Prozess der Festlegung autorisierter Erinnerungsbestände nehmen neben Kuratoren Deutungseliten aus Wissenschaft, Politik und öffentlichem Leben teil, die Wulf Kansteiner (2002: 179) als „memory makers“ bezeichnet. Eine Funktion musealer Inszenierungen kann dabei sein, gegebene politische Verhältnisse zu legitimieren oder zu naturalisieren. Flora Kaplan (1994b: 3) kommt entsprechend zu dem Urteil, Museen seien „purveyors of ideology and of a downward spread of knowledge to the public“. Eine solche Bewertung ist, wenn sie auch richtigerweise den politischen Charakter der Institution Museum prononciert, gleichwohl vereinfacht. Die Vorstellung, dass Eliten mit ihren Instrumenten, etwa dem Museum, gleichsam topdown bestimmte Deutungen oder gar Identifikationen – etwa als Nation oder ethnische Gruppe – durchsetzen könnten, bleibt mechanistisch. An musealen Inszenierungen ist stets eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil konträren Vorstellungen beteiligt und die Rezeption durch das Publikum erfolgt nicht willfährig und passiv. Die Implikation des Museums und seiner Re-Präsentationen mit Macht bedeutet gerade nicht, dass hier ausschließlich unwidersprochene, gar ob-
11 So auch Nancy Wood (zit. n. Kansteiner 2002: 188): „[W]hile the emanation of individual memory is primarily subject to the laws of the unconscious, public memory – whatever its unconscious vicissitudes – testifies to a will or desire on the part of some social group or disposition of power to select and organize representations of the past so that these will be embraced by individuals as their own. If particular representations of the past have permeated the public domain, it is because they embody an intentionality – social, political, institutional and so on – that promotes or authorizes their entry.“ 33
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rigkeitlich verordnete Darstellungen und Deutungen zur Aufführung kommen. Vielmehr gilt es, das Museum als Feld der Auseinandersetzung zu denken, als „umkämpftes Terrain“ (Lavine/Karp 1991: 1) oder, wie Kylie Message (2005: 472f.) noch martialischer formuliert, als „battlegrounds for the disputation of various individual agendas and state ideologies“. Insofern das Museum eine Institution der Anerkennung und Verhandlung von Identität12 par excellence darstellt (Macdonald 2006: 4), ist es stets – und in jüngerer Zeit in zunehmendem Maße – auch ein Austragungsort für Deutungskämpfe und mitunter konfligierende Identitätspolitiken13. Neben das Bild von Museum als Bühne, das im Begriff 12 (Kollektive) Identität ist in den letzten Jahren zu einem der verbreitetsten Konzepte kulturwissenschaftlicher Forschung geworden (für einen Überblick vgl. Assmann 2006: 205-234). Der Kritik an dessen Ubiquität und mangelnder begrifflicher Schärfe steht die Einschätzung gegenüber, dass „die Analyse der Produktionsformen kulturellen Wissens heute kaum mehr ohne diesen Begriff auskommen“ wird (Beier-de Haan 2005a: 285). Im Rahmen dieser Studie wird der Begriff gleichwohl zurückhalten verwendet und zwar im Anschluss an die Ausführungen des amerikanischen Kulturanthropologen Richard Handler. Handler (1994) arbeitet heraus, wie sehr der Begriff der – individuellen und kollektiven – „Identität“ modern westlich geprägt ist und wie in der Rede von „Identität“ historisch und kulturell kontingente Vorstellungen – etwa von Einheit, Homogenität, Dualismen von innen/außen, Beständigkeit – universalisiert und essentialisiert werden. Handler geht schließlich noch weiter und behauptet, dass selbst die Rede von der „Konstruktion“ von Identität oder Identitäten Gefahr laufe, die Problematik implizit zu verlängern, indem sie „Identität“ in gewisser Weise – zumindest als potentielle Gegebenheit (mitsamt den oben genannten Implikationen) – voraussetzt: „to talk about identity is to change or construct it“. Er folgert daraus: „As analysts, we need a language other than the discourse of identity in order to be able to comment creatively upon that discourse“ (ebd.: 30). Weniger problematisch als „Identität“ per se zu verhandeln, scheint es mir hingegen, auf „Identität“ gerichtete Ziel- oder Wunschvorstellung und politische Projekte zu identifizieren. Was insofern hier von Interesse ist, sind jene Versuche der Inszenierung von „Identität“. 13 Identitätspolitik, ihr Gehalt und ihre Dynamik, lässt sich mit Peter Lohauß (1999: 67) in allgemeiner Weise wie folgt beschreiben: „Multikulturelle identitätspolitische Gruppen machen eine persönliche, nicht selbst gewählte und meist nicht wählbare Eigenschaft wie ethnische Herkunft, Geschlecht, Lebensalter u. ä. zum Mittelpunkt ihrer politischen Aktion und fordern nicht nur die Toleranz der Mehrheitsgesellschaft und Chancengleichheit, sondern öffentliche Anerkennung und Unterstützung ihrer Gruppenidentität, den Ausgleich der Benachteiligungen und die Gleichberechtigung mit der Mehrheitskultur.“ Dabei wird Identität selbst immer als relationaler Begriff gedacht, also in Verhältnis und Abgrenzung zu anderen Identitätsentwürfen: „Identitätspolitik meint im Kern gerade diesen Vorgang der ständigen Beobachtung anderer, zumal konkurrierender Selbstbilder, der Regelveränderungen im öffentlichen Raum, der thematischen Konjunkturen, um in Reaktion darauf das eigene Profil immer wieder neu zu schärfen und in seiner symbolischen Wirkung zu effekti34
KOORDINATEN DES EINWANDERUNGSMUSEUMS
der Inszenierung impliziert ist, tritt so das Bild vom Museum als Arena.14 Die öffentliche Aushandlung von Deutungen der Geschichte im Dienste der Gegenwart, bei der solcherart unterschiedliche Positionen aufeinander treffen und für die das Museum den Schauplatz abgeben kann, dessen Produkt es aber auch ist, verstehe ich als Geschichtspolitik (vgl. auch Kaschuba 2001). Daniel Sherman und Irit Rogoff (1994: XI) werfen einen weiteren Begriff in die Debatte, wenn sie schreiben, Museen konstruierten und stützten „cultural master narratives that achieve an internal unity by imposing one cultural tendency as the most prominent manifestation of any historical period“. Der Hinweis auf die Bedeutung von „master narratives“ soll hier – auch als Untersuchungsbegriff für das Folgende – aufgegriffen werden. „Master narrative“, „Meistererzählung“ lässt sich mit Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow (2002: 16) definieren als „eine kohärente, mit einer eindeutigen Perspektive ausgestattete und in der Regel auf den Nationalstaat ausgerichtete Geschichtsdarstellung, deren Prägekraft nicht nur innerfachlich schulbildend wirkt, sondern öffentliche Dominanz erlangt“. Dabei sei insbesondere zu beachten, „wie sehr Meistererzählungen Produkte innerer Auseinandersetzungen oder äußerer Kämpfe sind und wie sehr ihre jeweilige Dominanz von sich verändernden politisch-sozialen Rahmenbedingungen abhängt“ (ebd.: 27). Meistererzählungen wirkten sozial integrierend, insofern und solange sie Identifikationsbedürfnisse in der Gesellschaft befriedigten. Deren Wandel motiviere den Auf- und Abstieg dominanter Deutungsmuster. Von besonderer Bedeutung für die Durchsetzung eines Narrativs sei die öffentliche Anerkennung, z. B. in Reden von Politikern, und die institutionelle Verfestigung, etwa durch die Schaffung von neuen Feiertagen oder die Umsetzung in Gedenkstätten und Museen (ebd.: 28). Museen sind mithin Orte, an denen sich
vieren“ (Kaschuba 2001: 30). Jay Winter (2001: 8) ergänzt, stärker auf den engeren Kontext der Geschichtsschreibung bezogen: „Identitätspolitik ist hier eine Sammlung von Erzählungen, eine „Gegengeschichte“, welche die falschen Verallgemeinerungen einer ausschließlichen Geschichtsschreibung in Frage stellt.“ 14 Mit Gordon Fyfe (2006: 35) lässt sich diese Akzentverschiebung als Übergang vom „calculated“ zum „conflicted space“ des Museums beschreiben. Zum Museum als „Arena“ (hier allerdings im Kunstkontext) vgl. Kravagna 2001; zum Museum als „Bühne“ vgl. Korff 2002c: 174. Korff verweist auf die (vor allem in süddeutschen Idiomen bekannte) Doppelbedeutung von Bühne als Podium/Schaubühne einerseits und als Speicher/Abstellkammer andererseits und fasst damit sinnfällig die expositorische und depositorische Dimension des Museums. Im Blick auf letztere könnte eingewendet werden, dass das Bild nicht ausreichend differenziert zwischen der planmäßigen, prinzipiengeleiteten Sammlung, wie sie – bei aller Unwägbarkeit und dem mitunter dramatischen Scheitern, eine Ordnung zu erhalten (vgl. etwa Penny 2002: 163-197) – als Ideal dem Museum eignet, und der wilden, chaotischen, meist zufälligen Ansammlung, die sich in der Regel auf der (Speicher-) Bühne bildet (zu dieser Unterscheidung sehr prägnant Meran 2005; vgl. auch Clifford 1990). 35
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Meistererzählungen niederschlagen, und zugleich Indikatoren für deren Konjunkturen und Veränderungen im Zuge gesellschaftlichen Wandels. Museen seien somit als Agenturen der Konstruktion, Inszenierung, Authentisierung, aber auch der Anfechtung und Infragestellung von Geschichte und Geschichten verstanden. Aus ihrer Gegenwartsorientierung folgt nicht zuletzt ihre Veränderungsneigung, die sich auf Formen, wie auf Inhalte richtet. Die Dynamik des Wandels, die einzelnen Museen wie der Institution als Ganzes eingeschrieben ist, sieht Bennett (1995: 90f., 102f.) überdies in zwei immanenten Widersprüchen begründet, die das öffentliche Museum seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert prägen und fortwährende Forderungen nach Reform bedingten (und noch bedingen): Der erste Widerspruch besteht laut Bennett zwischen der demokratischen Rhetorik des Museums als für alle frei zugängliche Bildungsanstalt, die ein Publikum aus Freien und Gleichen adressiert, und dem tatsächlichen Funktionieren als Instrument zur Differenzierung der Bevölkerung sowie der Aussonderung, Regulierung und „Besserung“ devianten Verhaltens. Mehr interessiert hier der zweite Widerspruch, den er im „Prinzip der adäquaten Repräsentation“ begründet sieht. Bennett argumentiert, dass das Museum von seinen Anfängen als demokratische, öffentliche Institution an letztlich stets den Anspruch erhob, dass die Ordnungen von Dingen und Menschen, die es entwarf, allgemeingültig und repräsentativ seien, während zugleich jede konkrete museale Re-Präsentation als selektiv und einseitig kritisiert werden konnte. Es war insofern gerade der umfassende Anspruch auf Gültigkeit bzw. die nicht zu schließende Kluft zwischen dem universellen Anspruch und der Wirklichkeit je spezifischer, historisch sich verschiebender Selektivität, der anhaltende Forderungen nach Aufnahme marginalisierter Aspekte und Geschichten (wie etwa der Geschichte von Frauen, unterbürgerlichen Schichten oder eben Migranten) erzeugte und diesen Legitimation und politisches Gewicht verlieh. Wenn damit ein Ansatz zur Erklärung des Phänomens stetigen Wandels musealer Re-Präsentationen skizziert sein mag, so lässt sich daraus nicht ableiten, zu welchem Zeitpunkt jeweils welche neuen Themen und Perspektivwechsel eingefordert wurden und sich schließlich durchsetzten. Zu diesem Zweck gilt es die gesellschaftlichen Bedingungen zu beleuchten und wirksame Impulse zu identifizieren, was im Folgenden im Hinblick auf die Musealisierung der Migration geschehen soll.
Kontext: Impulse der Musealisierung von Migration in den USA, Kanada und Australien In den USA, Kanada und Australien erfolgte der Anstieg des Interesses von Museen an Migrationsgeschichte und das verstärkte Aufgreifen des bis dato wenig beachteten Themas in Ausstellungen weitgehend parallel in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts (Anderson 1987; Vecoli 1990; McShane 36
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2001; Ashley 2005). Gemessen an der langen Geschichte der Einwanderung in diese drei Länder und deren wesentlicher Prägung durch sukzessive Migrationen15 erscheint dieser Zeitpunkt spät – und damit erklärungsbedürftig. Offensichtlich waren erst im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts die gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen erfüllt, die dem Komplex Migration im Museum auf die Agenda verhalfen. Im Folgenden soll das Set miteinander verknüpfter Faktoren beleuchtet werden, das der Musealisierung der Migration zugrunde liegt und den übergreifenden Kontext der Genese von Einwanderungsmuseen in den USA, Kanada und Australien stellt. Insofern ich davon ausgehe, dass die Grundstruktur der Entwicklung in allen drei nationalen Kontexten eine ähnliche war, erfolgt die Darstellung nicht gesondert nach Ländern, sondern orientiert sich an wirksamen Impulsen und reflektiert deren partiell unterschiedliche Ausprägung. Als Impulse betrachte ich die allgemein-gesellschaftlichen Veränderungen, die sich mit den Stichwörtern „ethnic revival“ und „Multikulturalismus“ verbinden, die Entwicklung der historiographischen Grundlagen und schließlich die Verschiebungen in der Museumslandschaft, die ich in den drei Dimensionen der thematischen Schwerpunktverlagerung, der konzeptionellen Neubestimmung und der quantitativen Expansion diskutiere. Diese Aspekte, deren Differenzierung aufgrund ihres engen Zusammenspiels künstlich sein mag, zugunsten analytischer Klarheit jedoch geboten erscheint, verstehe ich als im doppelten Sinne konstitutiv: Sie stellen die Basis für die Entstehung von Einwanderungsmuseen und sind den einzelnen Fällen zugleich in unterschiedlichem Maße fortwirkend eingeschrieben.
Ethnic revival und Multikulturalismus Als zentrale Impulse der Musealisierung der Migration in den USA, Kanada und Australien sind zunächst die Prozesse der Veränderung kollektiver Identität(en) und die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die mit diesen einhergingen, zu nennen. Hervorzuheben sind dabei die Identitätspolitik ethnischer Gruppen16 und das Konzept des Multikulturalismus. 15 Darstellungen der jeweiligen Migrationsgeschichte vgl. für die USA: Dinnerstein/Reimers 1999; Zolberg 2006; für Kanada: Avery 1995; Kelley/Trebilcock 1998; für Australien: Jupp 2002. Eine konzise Zusammenschau findet sich bei Pearson (2001: 77-101) und Lynch/Simon (2003: 11-122). Für die Behandlung im größeren Rahmen weltweiter Migrationen seit dem Mittelalter vgl. Hoerder 2002. 16 Hoerder (1995: 62) definiert „Ethnie“ als „jede Gruppe, die sich auf der Basis von aktuellen kulturellen Praktiken und realen oder vermuteten historischen Gemeinsamkeiten als Einheit versteht bzw. von der Mehrheitsgesellschaft so gesehen wird (askribierter Gruppenstatus). Ethnische Gruppen unterscheiden sich innerhalb des politischen Systems durch ihre zentrale oder marginale Position, Interaktion ist also auch von Machtverhältnissen bestimmt. Ethnische Gruppen sind soziologisch gese37
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Ungeachtet der unterschiedlichen Ausprägungen gemein ist den Entwicklungen in den drei Ländern, dass die leidenschaftlichen Diskussionen über Zustand und Zukunft der multikulturellen Gesellschaft nicht zuallererst durch die Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung in Gang gesetzt wurden, sondern auf veränderten professionellen und politischen Wahrnehmungen gesellschaftlicher Realität basierten. Entscheidend war ein „Wechsel der Semantik, eine Umstellung der Codes, in denen die Gesellschaft sich selbst beschreibt“ (Radtke 1994: 230). Multikulturalismus beschreibt mithin in erster Linie einen Paradigmenwechsel, der in allgemeinster Weise verstanden werden kann als die Anerkennung der Koexistenz einer Pluralität von Kulturen innerhalb eines Nationalstaats (Stratton/Ang 1998: 135).17 Die prinzipielle Gemeinsamkeit verschiehen heterogen und u.a. nach Geschlecht, sozialem Status, Ankunftszeitpunkt differenziert.“ Mit Friedrich Heckmann (zit. n. Stender 2000: 74) ist zu präzisieren, dass die Rede von „ethnische Gruppen“ im strengen, Max Weber’schen Sinn des Wortes irreführend sein könnte: „Ethnische Gruppen sind Großgruppen – das heißt eigentlich überhaupt keine Gruppen, sondern soziale Kategorien – und können dennoch Merkmale von Primärgruppen zeigen: starkes ‚Wir-Gefühl’ und hohe Identifikation mit der Gruppe, Emotionalität und starke Zentralität der Einstellung zur Gruppe, Empfindung von Nähe und Vertrautheit in den Beziehungen, Dauerhaftigkeit der Beziehungen.“ Ethnische Gruppen sind mithin, wie Nationen, „vorgestellte Gemeinschaften“, wenngleich auf anderer Ebene (Anderson 1996). (Ethno-)kulturelle Identität ist dabei wie andere Spielarten von Identität nicht natürlich gegeben, sondern konstruiert. Sie entsteht durch sozialen Kontakt und Abgrenzung von anderen und erlangt je nach Situation Bedeutung oder tritt hinter andere Loyalitäten zurück (Welz 1996: 112ff.; einschlägig auch Sollors 1989. Mit der Übersetzung „kulturelle Identität“ für „ethnicity“ folge ich den terminologischen Vorschlägen von Welz 1993: 267). Zu beachten ist ferner, dass nicht nur, wie Hoerder vermerkt, die Interaktion zwischen ethnischen Gruppen, sondern bereits die Praxis solchen Bezeichnens von Machtverhältnissen geprägt ist. Diesen Aspekt betont MacCannell (1992: 121f.), wenn er darauf verweist, dass der Begriff „ethnisch“, obgleich er sich prinzipiell auf jede Bevölkerungsgruppe beziehen lässt, zumeist nur zur Kennzeichnung von Minderheiten durch gesellschaftlich dominante Gruppen verwandt wird. Im Umkehrschluss erlaubt ein solcher Gebrauch diesen dominanten Gruppen, ihre Kultur, wenngleich ebenfalls ethnisch konnotiert, als normal und neutral darzustellen. Einen Literaturbericht zum Komplex „ethnische Identität“ und dem Phänomen des „ethnic revival“ vgl. Stender 2000. 17 Multikulturalismus als Paradigma, Programm oder Projektentwurf ist insofern immer mehr als die faktische Feststellung, eine Gesellschaft sei multikulturell. „Multikulturelle Gesellschaft“ als historischer oder sozialer Tatbestand ist, wie Puhle (1994: 77) anmerkt, nichts prinzipiell Neues, da jede Gesellschaft, die nicht besonders klein und homogen ist, mehr oder weniger multikulturell ist. Dies gilt insbesondere, wenn man „multikulturell“ im weiteren Sinne versteht und neben Unterschieden der Herkunft auch religiöse oder konfessionelle, klassenbasierte oder regionalspezifische Differenzen in die Betrachtung einbezieht. 38
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dener multikulturalistischer Sichtweisen gründet dabei nach Gisela Welz (1996: 107) auf drei Prämissen: erstens der Betrachtung von Einwanderern als Menschen verschiedener nationaler, ethnischer, regionaler oder religiöser Herkunft, zweitens dem Zugeständnis eines Rechts auf kulturelle Eigenständigkeit und drittens der positiven Wertung einer im Verlauf der Migration „mitgebrachten“ kulturellen Vielfalt. Beschrieben ist damit die Abkehr von früheren Modellen einer möglichst raschen Integration oder gar rückhaltlosen Assimilation von Zuwanderern an eine hegemoniale, einheitlich gedachte Kultur. Wenn die maßgeblichen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse so aufs Allgemeinste beschrieben sein dürften, so gilt es gleichwohl die Differenzen in Entstehung und Gehalt verschiedener Versionen des Multikulturalismus zu berücksichtigen (Welz 1996: 107; Pearson 2001: 129, 104-118), die einen genaueren Blick auf die spezifischen Verhältnisse in den USA, Kanada und Australien erforderlich machen: In den USA begannen in den sechziger Jahren parallel zum und motiviert durch das Erstarken der afroamerikanischen Civil Rights-Bewegung mehr und mehr Amerikaner nicht-britischer Herkunft, sich mit Stolz zu ihrem kulturellen Erbe als Einwanderer zu bekennen. Der amerikanische Migrationshistoriker Rudolph Vecoli (1990: 26) beschreibt: „In the sixties, everyone came out of the closet and it felt good. Black was beautiful, but so was Polish, Swedish, Italian, etc. The discovery that people were not only different, but that it was ,ok’ to be different, led to the discovery of different histories.“ Dieses sogenannte „ethnic revival“ initiierte gleichsam einen „Multikulturalismus von unten“ (Radtke 1994: 229; auch Stratton/Ang 1998: 137). Die Metapher des „Melting Pot“ – popularisiert durch Israel Zangwills gleichnamiges Theaterstück von 1908 und über Jahrzehnte wirksam als Vorstellung, dass die Einwanderer, welcher Herkunft auch immer, in Amerika zu einem „neuen Volk“ verschmolzen würden, wenn sie nur bereit wären, ihre Geschichte und kulturellen Traditionen hinter sich zu lassen – wurde nun vielerseits leidenschaftlich angegriffen. „The Rise of the Unmeltable Ethnics“, so Michael Novaks paradigmatischer Titel von 1972, signalisierte, dass die Phase unwidersprochener Assimilation, die immer Forderung und Versprechen zugleich gewesen war, endgültig vorüberging (Vecoli 1985: 11f.). Möglichst rasches Vergessen der eigenen oder familiären Migrationsgeschichte durch die rückstandslose Anpassung an einen amerikanischen Mainstream wich nun der Besinnung auf die eigenen „Wurzeln“. Reflektiert und verstärkt wurde diese „Revolution im historischen Bewusstsein“ (Vecoli 1990: 27) im durchschlagenden Erfolg von Alex Haleys 1977 ausgestrahlter, 12-stündiger Fernsehserie Roots. Basierend auf dem ein Jahr zuvor veröffentlichten und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman begibt sich der afroamerikanische Autor darin auf die dramatische Suche nach der Geschichte seiner Familie, die ihn bis zur Versklavung seiner Vorfahren im Afrika des 18. Jahrhundert zurückführt. Die Serie, die sämtliche Zuschauerrekorde brach, fand besonderen Widerhall in der afroamerikanischen Bevölkerung. Das sogenannte 39
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„Roots phenomenon“ blieb indes nicht auf diese beschränkt, sondern griff schnell auch auf ethnische Minderheiten über. Effekt war nicht zuletzt eine ungeahnte Popularisierung genealogischer Forschung in weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung, einer Beschäftigung, die sich vormals auf elitäre Familien mit Verbindungen zu den Pilgrim Fathers oder den Helden der Amerikanischen Revolution beschränkt hatte (Kammen 1991: 641-645). Michael Kammen (1991: 641) resümiert: „During the mid- and later 1970s, collective memories of ethnic groups, multi-generational families, and even individuals achieved a visibility that they had not previously enjoyed. As a consequence, what might be called subnational and subsectional traditions have been noticed as never before.“ Ein bedeutsamer Aspekt des „ethnic revival“ ist, dass die ethnischen Gruppen, die „ethnics“, die Träger dieser Bewegung waren, gewissermaßen in einer Zwischenposition der gesellschaftlichen Hierarchie standen: Es waren Einwanderer europäischer Herkunft, die in der amerikanischen Gesellschaft inzwischen als Weiße anerkannt wurden18, aber nicht zu den White Anglo-Saxon Protestants (WASPs) zählten, „akzeptierte Minderheiten, die noch nicht zu den Herrschenden gehörten, aber nach mehr Einfluß strebten“ (Puhle 1994: 79). Als solches funktionierte die Affirmation ihres spezifischen kulturellen Erbes nicht nur als Abgrenzung gegen die WASPs, sondern auch gegen „people of color“, also Latinos, African, Asian und Native Americans (Hutcheon 1994: 164). Im Blick auf den Diskurs des Multikulturalismus in den USA gilt es zwei Varianten zu unterscheiden, die Gary Gerstle (2001) im Anschluss an Gordon Wood (1994) als „soft“ und „hard multiculturalism“ bezeichnet. „Weicher Multikulturalismus“ bezeichnet die Anerkennung kultureller Vielfalt bei gleichzeitiger Wertschätzung der Nation, soweit und solange in deren Rahmen der Ausdruck kultureller Unterschiede und Traditionen möglich ist. Dieses Konzept, das als „cultural pluralism“ mit wechselndem Zuspruch schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der amerikanischen Debatte vertreten wurde, bildete den intellektuellen Hintergrund des „ethnic revival“ und fand damit insbesondere in der europäischstämmigen Bevölkerung große Unterstützung. Durch die skizzierten Entwicklungen der 1960er und 1970er Jahre erhielt die Position nachhaltigen Aufschwung und schaffte den Durchbruch zu weitestgehender Akzeptanz. Zum Ausdruck kam die gesellschaftliche Etablierung eines „weichen Multikulturalismus“ etwa in der Verabschiedung des „Ethnic Heritage Act“ durch den US-Kongress im Jahr 1972, der die finanzielle Förderung der Pflege kultureller Traditionen ethnischer Gruppen vorsah (Kammen 1991: 616). Gleichfalls spiegelte sie sich in zahlrei-
18 Die Formulierung zielt auf den in den „Whiteness Studies“ etablierten Befund, dass es sich bei der Frage, welche Gruppen als „weiß“ zu gelten haben, um eine kontingente und historisch veränderliche soziale Konstruktion handelt (vgl. Dyer 1997; Frankenberg 1997; Lüdtke/Mörchen 2005). Einschlägig hierzu etwa Noel Ignatievs (1995) Untersuchung vom Weiß-Werden der irischen Einwanderer in den USA. 40
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chen Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeit im Jahr 1976, so in der groß angelegten Ausstellung der Smithsonian Institution „A Nation of Nations“, die die kulturelle Vielfalt der USA ostentativ feierte und daran die Größe der Nation festmachte (Gerstle 2001: 349f.; Marzio 1976). Von dieser Denktradition abzugrenzen ist ein „harter Multikulturalismus“, der ein neues Phänomen in den 1980er Jahre darstellte und als solcher scharfe Kontroversen in der amerikanischen Gesellschaft provozierte. In seinem Kern ging es um eine radikale Infragestellung des etablierten Kanons amerikanischer Kultur und Werte, der als eurozentristisch und patriarchal gebrandmarkt wurde. „Harte“ Multikulturalisten vertraten den Standpunkt, dass Rassismus, Eroberung und Imperialismus die Fundamente der amerikanische Nation in einem solchen Maße prägten, dass deren Konstitution nur prinzipiell abgelehnt werden könne. Diese Position, die Anhänger im Wesentlichen unter Minderheiten wie African Americans, Latinos, Native und Asian Americans, aber auch unter Homosexuellen und Feministinnen fand, „definiert das Multikulturelle als Herzstück einer Revolte der Beherrschten gegen die prägende Gruppenmacht der Herrschenden“ (Puhle 1994: 78). Im Extrem wurde darin jede gruppenübergreifende kollektive Identität der USA zugunsten partikularistischer Minderheitenkulturen abgelehnt, deren Konzeption mitunter – wie im Konzept des Afrozentrismus, der die Überlegenheit einer als rein und authentisch gedachten afrikanischen Zivilisation proklamierte – durchaus essentialistische Züge trug. Zentrales Kampffeld stellte die Bildung und die Forderung nach alternativen, die Unterdrückung von Minderheiten reflektierenden Lehrplänen für Schulen und Universitäten dar (Gerstle 2001: 350-352). Wenngleich diese Spielart des Multikulturalismus sich zum prominenteren Diskursstrang im amerikanischen Kontext entwickelte (Stratton/Ang 1998: 137), so ist es der „weiche Multikulturalismus“ und mithin die Identitätspolitik weißer ethnischer Gruppen, von dem die maßgeblichen Impulse für die Musealisierung der Migration in den USA ausgingen. Auch in Kanada und Australien meldete sich eine Vielzahl von Minderheiten im Verlauf der sechziger und siebziger Jahre mit neuem Selbstbewusstsein zu Wort und forderte die Anerkennung ihres kulturellen Erbes. Im Unterschied zu den USA entstand hier jedoch zusätzlich ein „Multikulturalismus von oben“, der zum bestimmenden Rahmen dieser Entwicklungen wurde. Die Besonderheit Kanadas, wo Begriff und Politik des Multikulturalismus erfunden wurden, besteht in der speziellen Konstellation, dass das Land seit der europäischen Kolonisierung nicht durch eine Kultur, sondern vielmehr durch die Konkurrenz zwischen einer Mehrheit der Anglo- und einer Minderheit der Frankokanadier geprägt wurde. Der Konflikt zwischen diesen beiden „Gründernationen“ bildete denn auch den Hintergrund und Ausgangspunkt für die gesellschaftlichen Veränderungen im Zeichen des Multikulturalismus, die sich seit den 1960er Jahren abzuzeichnen begannen. Zunächst galt allerdings bis weit in die 41
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Mitte des 20. Jahrhunderts im dominanten britischen Mainstream das Leitbild der Anglo-Konformität, also die Vorstellung, dass sich Einwanderer anderer Herkunft möglichst schnell und gründlich an die vorherrschende Kultur der britischen Bevölkerung assimilieren sollten und würden. Dieses Ideal drückte sich in der Migrationspolitik aus, die die Zuwanderung von (Nord-)Europäern privilegierte, Migration aus dem Süden und aus Asien dagegen stark einschränkte bzw. ausschloss, weil Zuwanderer aus diesen Regionen – wie die in die Isolation der Reservate gezwungenen First Nations – für nicht-assimilierbar erklärt wurden (Burnet/Palmer 1988: 223)19. Das Leitbild bestimmte jedoch gleichermaßen öffentliche Geschichtsdarstellungen. Noch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren ständige Ausstellungen kanadischer Geschichte in nationalen und regionalen Institutionen außerhalb Quebecs dominiert von monolithischen und immer gleichen Erzählungen der britischen Besiedelung. Die Geschichte und Kultur der indigenen Bevölkerung oder – in diesem Kontext relevanter – anderer Migrationen und Migrantengruppen wurde, von ethnographischen Re-Präsentationen abgesehen, nicht behandelt (Ashley 2005: 9). Dies sollte sich jedoch bald ändern. Auch in Kanada waren die 1960er Jahre diejenige Dekade, in der nachhaltige Veränderungen eingeläutet wurden und zwar sowohl im Hinblick auf die offizielle Politik als auch – parallel zur Entwicklung in den USA – die immer offensiver artikulierten Forderungen von Einwandererminderheiten nach Anerkennung ihrer Kultur und Geschichte (Pearson 2001: 108). Den Anstoß zur Diskussion und Neuformulierung kanadischer Identität gab zunächst der sich verschärfende Konflikt zwischen den beiden sogenannten „founding races“. Angesichts eines wachsenden Nationalismus und Separatismus in Quebec trat 1963 die „Royal Commission on Bilingualism and Biculturalism“ zusammen, die Kanada offiziell als bikulturell und zweisprachig definierte und weitgehende Regelungen zur Gleichstellung der beiden Sprachen und Kulturen durchsetzte. Wenn auf diese Weise ein pragmatischer Ansatz zur Befriedung der frankokanadischen Ansprüche und zum Erhalt der Konföderation gefunden worden war, so brachen zugleich andere Widersprüche auf, die einen weitergehenden Wandel bedingten. Denn das Konzept des Bikulturalismus ignorierte gleichermaßen die Position von Indigenen wie von Einwanderern anderer Herkunft und wurde als neuerlicher Versuch ihrer Assimilation gedeutet (Tunbridge/Ashworth 1996: 189). Die Kritik am sogenannten „Bi and Bi Report“ avancierte so zum Fokus des politischen Aktivismus der „other ethnic groups“ und zum Kondensationspunkt ihrer mit wachsendem Selbstbewusstsein vorgetragenen Forderung nach kultureller Anerkennung. Maßgeblich getragen wurde die Entwicklung dabei von Einwanderern europäischer Herkunft, die in 19 Die zeitweise Eingliederung des Büros für „Indian Affairs“ in das 1950 geschaffene Department of Citizenship and Immigration illustriert den gleichermaßen auf Indigene wie auf Neuankömmlinge gerichteten Druck der Anpassung an einen englischdominierten monokulturellen Mainstream (Pearson 2001: 108). 42
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Entwicklung dabei von Einwanderern europäischer Herkunft, die in zwei Wellen um 1900 und nach dem Zweiten Weltkrieg ins Land gekommen waren und im Vergleich zu späteren Einwanderer aus dem Süden und aus Asien bereits wesentlich besser etabliert waren (Burnet/Palmer 1988: 224). Die zahlenmäßig stärksten Gruppen waren Deutsche, Italiener, Holländer, Polen, Norweger und Ukrainer (Geißler 2003: 20), wobei letztere in politischer Hinsicht besondere Virulenz entfalteten. Aus ihren Reihen ging etwa das einflussreiche Konzept der „Dritten Kraft“ hervor, das diesen ethnischen Gruppen eine Vermittlerposition zwischen Anglo- und Frankokanada zuschrieb und zugleich ihre Gleichrangigkeit proklamierte. Die kanadische Bundesregierung reagierte auf die stürmischen Proteste und die gesellschaftliche Dynamik mit einer zügigen Modifikation der Leitlinie des Bilingualismus und Bikulturalismus. Im Oktober 1971 verkündete der liberale Premierminister Pierre Trudeau die „Politik des Multikulturalismus in einem zweisprachigen Rahmen“, die bis heute die gültige Staatsideologie darstellt (Geißler 2003: 21f.). Deren Zielrichtung wurde gleich zu Beginn der Erklärung folgendermaßen formuliert: „The government will support and encourage the various cultures and ethnic groups that give structure and vitality to our society. They will be encouraged to share their cultural expression and values with other Canadians and so contribute to a richer life for us all.“ (Zit. n. Burnet/Palmer 1988: 225) Hauptakzent des Programms in seinen frühen Jahren war also die Förderung vielfältiger kultureller Traditionen und zwar insbesondere derjenigen der europäischen Minderheiten.20 Die Vorstellung von Kanada als kulturell monolithischer Block oder als Gegenüber zweier Blöcke wurde damit endgültig und offiziell von einem neuen Leitbild abgelöst, das bald in der Metapher des Mosaiks gefasst wurde: Wie die farblich und in der Form verschiedenen Teile eines Mosaiks sollte nun jede ethno-kulturelle Gruppe ihre Eigenheiten erhalten und in der Summe zu einem bunten, vielgestaltigen Gesamtbild beitragen (Geißler 2003: 21). Wenn dieser Paradigmen- und Politikwechsel sich auch nur langsam und nicht ohne Widerstände im öffentlichen Bewusstsein durchsetzte (Burnet/Palmer 1988: 226), so trug er doch maßgeblich zur Verbesserung der Bedingungen für Ausdruck und Wahrnehmung der Geschichte und des kulturellen Erbes der Einwanderung in Kanada bei.
20 Geißler (2003: 22) ergänzt, dass das Konzept des Multikulturalismus seit diesen Anfängen weiterentwickelt wurde: 1985 wurde es als Grundrecht in der Verfassung verankert und 1988 mit dem Multikulturalismus-Gesetz rechtlich konkretisiert. Die Akzente verschoben sich dabei von der Förderung kultureller Vielfalt hin zu AntiRassimus und Chancengleichheit und vom Fokus auf europäischstämmige Kanadier hin zu den Belangen später eingewanderter sogenannter visible minorities. Geißler formuliert prägnant: „Ein mehr folkloristischer Multikulturalismus verwandelte sich in einen stärker bürgerrechtlichen Multikulturalismus“. 43
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
In Australien stellte – wie in Kanada – der Druck zunehmend politisierter ethnischer Minderheiten in Verbindung mit der Genese eines regierungsoffiziellen Multikulturalismus zentrale Parameter für die Musealisierung der Migration (Anderson 1987: 108). Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung war hier eine im Vergleich zur kanadischen Situation größere kulturelle Homogenität, die ihre Grundlage zum einen in der rein britischen Kolonialisierung, zum anderen in noch restriktiveren Einwanderungsbestimmungen hatte. Seit Gründung der australischen Föderation im Jahr 1901 galt eine dezidierte Politik des rassistischen Ausschlusses nicht-weißer Immigranten, die als „White Australia Policy“ firmierte und nach Castles u.a. (1992: 46) auf drei Prämissen basierte: Australien wurde als kulturell homogene Gesellschaft auf Grundlage britischer Werte und Institutionen definiert. Diese Homogenität sollte und würde auch bei zahlenmäßig starker Zuwanderung aus Europa erhalten bleiben. Migration aus Asien sei dagegen kulturell nicht zu verkraften und damit auszuschließen. Diese Grundsätze blieben offiziell bis in die 1960er Jahre in Kraft, begannen seit Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch zu erodieren, zunächst auf dem Feld der Migrationspolitik, dann jedoch auch im gesellschaftlichen Selbstentwurf. Aufgrund akuten Arbeitskräftemangels wurden mehr und mehr Zuwanderer nicht-britischer Herkunft ins Land gelassen, die sich (in der Logik rassistischer Kategorisierung) immer weiter vom britischen Ideal entfernten und – wie Migranten ost- oder südeuropäischer Herkunft – immer „dunklere Nuancen von Weiß“ (Ghassan Hage) repräsentierten. Unter dem Druck der Ökonomie und erstarkender anti-rassistischer Tendenzen in der australischen Gesellschaft wurde die „White Australia Policy“ 1966 für beendet erklärt (Curthoys 2000: 26f.; Hage 2003: 54ff.). Innergesellschaftlich hatte die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen und das Anwachsen der nicht-britischen Bevölkerung zunächst zu einem Erstarken der Forderung nach Assimilation der neuen Einwanderer an den britisch geprägten Mainstream geführt.21 Mitte der sechziger Jahre verlor dieser Diskurs jedoch zunehmend an Boden. Zum einen wurde offensichtlich, dass sich das hegemoniale Wunschbild kultureller Homogenität realiter nicht durchsetzen ließ. Assimilation fand nicht wie gefordert statt, denn die nicht-britischen, nach wie vor überwiegend europäischen Migranten pflegten weiterhin kulturelle Traditionen und Praxen. Kulturelle Vielfalt als gesellschaftlicher Tatbestand wurde immer unübersehbarer (Stratton/Ang 1998: 154). Zum anderen ging diese Entwicklung
21 Aborigines, die zuvor als „aussterbende Rasse“ betrachtet worden waren, wurden seit Mitte des 20. Jahrhunderts ebenfalls in zunehmend aggressive Assimilationsbestrebungen einbezogen. Bekannteste, unter dem Schlagwort der „Stolen Generation“ in den letzten Jahren viel diskutierte und kritisierte Maßnahme war die gewaltsame Trennung von Kindern, insbesondere „Mischlingskindern“, von ihren Eltern und die Verschleppung in weiße Pflegefamilien und Heime (vgl. Curthoys 2000: 25f.). 44
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einher mit einer wachsenden Politisierung der Organisationen und Bewegungen ethnischer Gruppen, die in den siebziger Jahren weiter an Dynamik gewann.22 Kulturelle Differenz wurde zum Mobilisierungsfaktor, auch und gerade wo es um Forderungen nach sozialen Verbesserungen ging (Castles u.a. 1992: 119). Besonders gut organisiert und politisch einflussreich waren die Vereine griechischer und anderer südeuropäischer Einwanderer (Baringhorst 2003: 12). Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen und der Angst vor gesellschaftlichen Spannungen angesichts massenhafter nicht-britischer Einwanderung vollzog die australische Bundesregierung unter Labor-Premier Gough Whitlam 1973 einen grundlegenden Kurswechsel: Australien wurde erstmals offiziell als multikulturelle Gesellschaft definiert und der frühere Ansatz einer Assimilation von Migranten an eine dominante und festgeschriebene Kultur oder einen „Australian way of life“ zugleich für beendet erklärt (Jupp 2001: 261; Gore 2002: 44-47; Teo 2003: 142). Das Bekenntnis zum Multikulturalismus als neuer Staatsdoktrin und Grundlage der nationalen Identität stellte „ein Eingeständnis des Scheiterns der rassistischen Einwanderungs- und assimilatorischen Integrationspolitik der Vergangenheit“ (Baringhorst 2003: 15) dar. Als offizielle Regierungspolitik beinhaltete die neue Strategie die öffentliche Anerkennung von Einwandererminderheiten als eigenständige Communities, die sich von der Mehrheitsgesellschaft in Sprache, Kultur und Sozialverhalten unterscheiden und eigene Organisationen und soziale Infrastrukturen unterhalten (Jupp 2001: 261f.; Teo 2003: 142).23 Ein bedeutender Schritt in der Ausgestaltung des australischen Mutikulturalismus erfolgte 1978 mit der Veröffentlichung des „Review of Post-Arrival Programmes
22 Wie in den USA oder Kanada hatte auch in Australien die Kultur verschiedener Einwanderergruppen bereits früher öffentlichen Ausdruck gefunden, etwa in Form von Folklore-Festivals. Von Migranten aus Osteuropa waren diese etwa seit den späten 1940er Jahren nicht zuletzt als Zeichen des Protests gegen die kommunistische Herrschaft und die Unterdrückung nationaler Selbstbestimmung in ihren Heimatländern inszeniert worden (Jupp 2001: 272) In den sechziger und siebziger Jahren gewannen diese kulturellen Manifestationen durch die Dringlichkeit in der Anerkennung eingefordert wurde sowie die Verknüpfung mit politischen Forderungen aber eine neue Qualität. Konsequenz war ein Ausbruch aus den jeweiligen Nischen und das resultierende „Mainstreaming“ kultureller Vielfalt. 23 In seinem frühen Stadium war der Multikulturalismus dabei vor allem eine Reaktion auf die Einwanderung aus Mittel- und Südeuropa und hatte wenig mit der neueren Migration aus Asien zu tun, deren Anteil seit Beginn der 1970er Jahren und nicht zuletzt im Zuge der Flüchtlingsmigration aus Vietnam 1975 zu wachsen begann. Politik und Diskurs des Multikulturalismus stellten sich nur langsam auf diese Veränderung ein. Wirklich in den Fokus öffentlicher Debatten geriet die Migration aus Asien erst seit Mitte der 1980er Jahre, dann jedoch unter den Vorzeichen eines neuen Rassismus, der in der australischen Gesellschaft alte Angstfantasien einer „Asian Invasion“ schürte (Curthoys 2000: 28; Jupp 2001: 265). 45
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
and Services to Migrants“, des sogenannten „Galbally Report“. In diesem wurde empfohlen, ethnischen Communities und kulturellen Institutionen stärkere Unterstützung für den „Erhalt von Kulturen“ („preservation of cultures“) zukommen zu lassen. Argumentiert wurde, dass die Demokratie in Australien durch einen Prozess „multikultureller Interaktion“ gestärkt würde und hierfür die selbstbewusste Identifikation aller Australier mit der Kultur ihrer Herkunftsgruppe förderlich sei (Castles u.a. 1992: 67-70).24 Als konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels wurde unter anderem die Gründung der multikulturellen Fernsehund Rundfunkanstalt SBS (Special Broadcasting Service) beschlossen, die 1980 ihre Arbeit aufnahm und seither als eine der wichtigsten Institutionen des Multikulturalismus gelten kann (Jupp 2001: 268ff.). Nochmals bekräftigt und kodifiziert wurde der Paradigmenwechsel von der mono- zur multikulturellen Gesellschaft und die Politik der Förderung kultureller Vielfalt in der 1989 von allen Parteien verabschiedeten „National Agenda for a Multicultural Australia“, die neben sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz die staatliche Unterstützung der Artikulation spezifischer kultureller Identitäten als Kernauftrag des Regierungshandelns festlegte (Baringhorst 2003: 15). Auf der Ebene symbolischer Politik fand diese Ausrichtung prominenten Ausdruck in den groß angelegten Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der europäischen Besiedelung Australiens 1988. Unter dem Slogan „Living Together“ wurde mit einer Fülle von Aktivitäten die kulturelle Vielfalt und multikulturelle Identität Australiens in Szene gesetzt (Bennett et al. 1992). Zugleich kristallisierten sich an diesem Ereignis heftige geschichtspolitische Kontroversen. Gegenstand im engeren Sinne war die Bewertung der europäischen Landnahme und der Politik gegenüber Aborigines, im weiteren Sinn jedoch die Frage nach den Konturen australischer Nationalgeschichte im Ganzen. Die „History Wars“, die daraus erwuchsen und die Debatten über Geschichte und Identität Australiens seit den achtziger Jahren prägten (Frie 2007; Kleist 2008), stellten, wenn nicht einen Anstoß, so doch einen diskursiven Rahmen für die Musealisierung der Migration in Australien dar. 24 Castles u.a. (1992: 69f.) vermerken kritisch, dass der „Galbally Report“, indem er Familie, Community und kulturellen Einrichtungen die entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Migranten zuschrieb, das Zurückfahren staatlicher finanzieller Leistungen an Neuankömmlinge legitimierte. Mit ähnlichem Tenor – der Kritik einer Kompensation von Sozialleistungen durch Kultur – analysiert Hage (2003: 59f.) die Verschiebung von einem „life chances multiculturalism“, der sozioökonomische Aspekte in den Vordergrund stellt, zu einem „lifestyle multiculturalism“, der kulturellen Pluralismus anstrebt. Als Träger der letzteren Variante, die sich in der australischen Fassung durchsetzte, identifiziert er vor allem eine ethnische (nichtbritische) Mittelschicht, der es – gerade in der Konkurrenz mit einer etablierten anglo-keltischen Mittelschicht – zwar nicht an Materiellem, wohl aber an der Anerkennung des Werts ihrer kulturellen Traditionen fehlte. 46
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Auf welche Weise wirkten die tiefgreifenden Wandlungsprozesse in den drei Ländern nun aktivierend auf die Musealisierung der Migration? Zwei unmittelbare Effekte lassen sich identifizieren. Zum einen schlug sich die Identitätspolitik ethnischer Gruppen in der Gründung einer Vielzahl eigener Museen nieder. Wenn Ausstellungen des Einwanderererbes von Migrantengruppen, etwa im Rahmen von Jubiläumsfeierlichkeiten und Folklore-Festivals, insbesondere in den USA, bereits eine längere Tradition hatten (Bodnar 1992), so erhielt diese Bewegung nun einen nachhaltigen Schub. Seit Ende der sechziger Jahre wuchs die Zahl der Museen und Kultureinrichtungen, die sich dem Sammeln und Ausstellen der materiellen Kultur spezifischer Einwanderergruppen widmen, in allen drei Ländern rapide an (Simpson 1996: 73ff., 81ff.). In Nordamerika entstanden innerhalb kürzester Zeit Hunderte solcher Community Museums, in Kanada allein 24 zu Geschichte und Kultur der ukrainischen Einwanderer (MacDonald 1992: 284). Den Museumsgründungen von europäischen Einwanderer-Communities folgten solche der asiatischen und lateinamerikanischen Immigranten sowie von Afroamerikanern mit ihrer besonderen Geschichte der Zwangsmigration im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels. In Australien war die Entwicklung eine ähnliche, als prominente Beispiele für Neugründungen seien nur die Italian Historical Society (1980), das Jewish Museum of Australia (1982) oder das Museum of Chinese Australian History (1984), alle in Melbourne, genannt. Diese Museen, deren Konjunktur nicht zuletzt eine Reaktion auf die Unterrepräsentation von Minderheiten in bestehenden Museen war, zielten auf den Erhalt einer hergebrachten kulturellen Identität, auf den Zusammenhalt der Community und auf Stolz und Selbstbewusstsein ihrer Mitglieder. Zudem fungierten sie als Schaufenster, durch die Geschichte und Traditionen der jeweiligen Einwanderergruppe einer weiteren Bevölkerung präsentiert und zur Kenntnis gebracht werden sollten. Ungeachtet des Umstands, dass viele, wie Simpson (1996: 81f.) ausführt, in diesem Bemühen einem statischen Kulturbegriff anhingen und eine Tendenz zur nostalgischen Verklärung zeigten, entwickelten sich diese Einrichtungen so zu frühen Formen und Foren der Musealisierung von Migration. Der zweite Effekt bestand in der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Projekte zur Migrationsgeschichte in bestehenden Museen. Direkt zeigte sich dies in Kanada und Australien, wo seit Einführung der Multikulturalismus-Politik mit zahlreichen staatlichen Programmen versucht wurde, kulturelle Vielfalt aktiv zu fördern und zugleich zu managen (Tunbridge/Ashworth 1996: 189; Gore 2002: 125-127). Museen wurde dabei, wie anderen Kulturinstitutionen, eine besondere Bedeutung zugemessen, wodurch sie zu Trägern und Popularisierungsagenturen des politischen Paradigmenwechsels wurden (McShane 2001: 124f.). Seinen Niederschlag fand dies zum einen in finanzieller Unterstützung für Ausstellungsprojekte oder pädagogische Angebote zum Komplex Migration, zum 47
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anderen in Aufrufen zur Veränderung der Sammlungspolitik. In Australien verpflichtete etwa der 1991 veröffentlichte „Plan for Cultural Heritage Institutions to Reflect Australia’s Cultural Diversity“ sammelnde Institutionen wie Bibliotheken, Museen und Archive auf die Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ein multikulturelles Australien und betonte die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Institutionen und Communities (Curthoys 2000: 29; Jupp 2001: 263f.). In den USA war die Entwicklung in Anbetracht des Fehlens einer offiziellen Politik des Multikulturalismus weniger dezidiert politisch gesteuert. Im Zuge der gewandelten Diskurse verbesserte sich aber auch hier die Situation für Projekte zur Migrationsgeschichte in bestehenden Museen, nicht zuletzt durch die verstärkte Bezuschussung seitens staatlicher Institutionen, Stiftungen oder privater Unternehmen (Simpson 1996: 74f.).
Historiographische Entdeckungen der Migrationsgeschichte Ein weiterer Effekt der gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1960er Jahren entfaltete seine Wirkung auf die Musealisierung der Migration in den drei Ländern eher mittelbar: die Entdeckung der Migrationsgeschichte durch die Geschichtsschreibung. Im Kontext von „ethnic revival“ und Multikulturalismus boomte in allen drei Ländern die historische Forschung zur Einwanderung. Für den US-amerikanischen Kontext zieht der Migrationshistoriker John Higham (2001: 106f.) eine direkte Verbindung zwischen der gesellschaftlichen und der disziplinären Entwicklung: „In the 1960s the myths that had long shaped the ways Americans thought about themselves were badly shaken. […] The melting pot shivered into a thousand pieces. But the study of ethnic groups and their subdivisions flourished as never before.“ Die lange Zeit dominierende consensus history, die eine stereotype Geschichte sich entfaltender Freiheit, der wachsenden Lebenschancen und des sozialen Fortschritts erzählte, um eine amerikanische Identität vom alten Europa abzugrenzen, wurde nun zunehmend aufgeweicht. Vertreter einer neuen Sozialgeschichte stellten die Deutungshoheit und Zentralstellung männlicher weißer Eliten in Frage und rückten stattdessen historiographisch marginalisierte Gruppen wie jüdische, ost- und südeuropäische Einwanderer in den Mittelpunkt (Jarausch 2002: 159). Hatte Rudolph Vecoli, einer der profiliertesten Kenner amerikanischer Migrationshistoriographie, noch 1969 konstatiert, dass die Forschung zur Geschichte der Einwanderung nach wie vor ein unterentwickeltes Feld sei, so fiel seine Einschätzung nur 15 Jahre später gänzlich anders aus: In den siebziger Jahren habe die wissenschaftliche Beschäftigung mit Migrationsgeschichte floriert wie nie zuvor. Mehr Dissertationen seien entstanden als in allen vorangehenden Epochen zusammen. Die Anzahl der Publikationen zu einzelnen Aspekten und Einwanderergruppen habe eine kaum mehr zu überblickende Fülle erreicht. Quantitativ und qualitativ sei damit ein neues Niveau erreicht (Vecoli 1985: 13ff.). 48
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Die Entwicklung in Kanada verlief ähnlich, hier wiederum zusätzlich und in besonderem Maße stimuliert durch die Einführung der offiziellen Politik des Multikulturalismus. Bis in die späten 1960er Jahre war die Geschichte der „other ethnic groups“, also der nicht-britischen und nicht-französischen Einwanderer, von Seiten der professionellen Geschichtswissenschaft praktisch vollständig ignoriert worden. Anders gelagerte Interessen, mitunter Borniertheit der zumeist britisch- oder französischstämmigen Historiker, dürftige archivalische Überlieferung und anhaltende Ressentiments gegenüber neueren Einwanderern hatten dazu geführt, dass das Feld der „ethnic history“ nahezu ausschließlich von Amateurhistorikern aus den ethnischen Communities selbst beackert wurde. Deren Schriften, häufig idealisierende Beschreibungen mit starkem Akzent auf den positiven Beiträgen der jeweiligen Einwanderergruppe und ohne Sinn für den größeren Kontext kanadischer Geschichte, wurden von der akademischen Geschichtswissenschaft zumeist abgetan (Palmer 1990a: 57f.). Diese Situation änderte sich im Verlauf der siebziger Jahre, angestoßen durch den Aufstieg der Sozialgeschichte, den verbreiteten „roots“-Diskurs und nicht zuletzt die Verabschiedung des Multikulturalismus als Staatsideologie 1971, grundlegend. Die Förderung der wissenschaftlichen Erforschung kanadischer Einwanderungsgeschichte war von Beginn an in der neuen Politik verankert. Initiiert wurde so etwa die Veröffentlichung einer umfangreichen Reihe zur Geschichte ethnischer Gruppen in Kanada unter der Herausgeberschaft von Jean Burnet und Howard Palmer (1988) oder die Gründung von Multicultural History Societies, etwa in Ontario im Jahr 1977. Deren Auftrag lag in der Erhaltung, Sammlung und Erforschung von Quellen der multikulturellen Geschichte Kanadas und zwar in enger Zusammenarbeit zwischen Einwanderergruppen und akademischen Historikern. Aus dieser langjährigen Kooperation ging 1999 die Encyclopedia of Canada’s Peoples hervor. Auf Grundlage solcher und weiterer Initiativen wuchs der Bestand an wissenschaftlicher Literatur zur Einwanderung nach Kanada seit den siebziger Jahren beständig an (Harzig 2003: 275).25 Im Falle Australiens muss die Entdeckung einer ausdifferenzierten Migrationsgeschichte im Kontext der späten Herausbildung einer eigenständigen Nationalgeschichtsschreibung gesehen werden. Die geringe Anzahl an Universitäten und mehr noch die bis in die 1950er Jahre verbreitete Annahme, dass Australien keine eigene Kultur und Geschichte von Wert habe, führten dazu, dass australische Geschichte lange Zeit als reines Epiphänomen britischer Geschichte behandelt wurde. Damit einher ging eine starke Fokussierung auf den anglo-keltischen Teil der australischen Bevölkerung und, wenn Migration thematisiert wurde, al25 Palmer (1990a: 78) konstatiert in seinem detaillierten Forschungsüberblick zur kanadischen Migrationshistoriographie, dass die Entwicklung der Disziplin ungeachtet des rapiden Aufschwungs in den vergangenen Jahrzehnten trotz allem nicht mit dem Stand in den USA vergleichbar sei. 49
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lein auf diejenige britischer Provenienz. Die schrittweise Emanzipation von dieser britisch-perspektivierten Rahmenerzählung begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Es dauerte jedoch weitere zwei Jahrzehnte, bis sich eine nationale Historiographie etabliert hatte, die die Eigenheiten australischer Geschichte ins Zentrum rückte (Curthoys 2003: 23-28; Frie 2007: 129-137). Erst in dieser Situation kamen die vielfältigen Migrationsgeschichten nicht-britischer Einwanderer ins Blickfeld professioneller Geschichtsschreibung. Die Einführung der offiziellen Multikulturalismus-Politik in den 1970er Jahren, flankiert von einem auch in Australien merklichen Aufschwung der neuen Sozialgeschichte, schuf schließlich ein günstiges Klima für die verstärkte Beschäftigung mit der Geschichte ethnischer Gruppen. Während einzelne Werke zur griechischen und chinesischen Immigration nach Australien bereits in den 1960er und 1970er Jahren erschienen waren, dauerte es so bis in die 1980er Jahre bis sich die Entwicklung in einer Masse von Publikationen spürbar niederschlug. Exemplarisch für diese Welle an Werken zu nennen wäre die zwischen 1983 und 1988 veröffentlichte Australian Ethnic Heritage Series von Michael Cigler mit 16 Bänden zu jeweils einer Herkunftsgruppe oder das groß angelegte Nachfolgeprojekt The Australian People: The Nation, Its People and Their Origins, herausgegeben von James Jupp (Teo 2003: 145f.).26 Diese Entwicklungen der Historiographie, in Australien ebenso wie in den USA und Kanada, waren entscheidende Bedingungen für die Musealisierung der Migration, insofern sie erst die wissenschaftliche Grundlage für eine breite Thematisierung des Komplexes im Museum bereitstellten.
Das Museum im Wandel: Sozialgeschichte, New Museology, Museumsboom Nach der Skizze übergreifender Veränderungsprozesse in Gesellschaft und Wissenschaft seien im Folgenden Impulse für die Musealisierung der Migration genannt, die im engeren Sinne die Institution Museum betreffen: die thematische Schwerpunktverlagerung mit der Hinwendung zur Sozialgeschichte, die konzeptionelle Neubestimmungen im Zeichen der „New Museology“ und die quantitative Expansion im Zuge des Museumsbooms. 26 Teo (2003: 147f.) weist explizit auch auf die problematischen Aspekte vieler dieser Darstellungen hin: „Early ethnic histories were often celebratory, monumental narratives, recognizable as the genre of ,contributory’ history made familiar by women’s history when it first appeared in the 1970s. […] [T]he problem was that by accepting the nation-building paradigm of grand national history, these additions might rate a fleeting acknowledgement – ‘women and ethnic groups were there and did their bit too – but they hardly de-centred or transformed the focus of Australian history on ‘white’ people of British/Irish descent. […] Popular culture was often equated with a static traditional folk culture, and the study of this was produced along anthropological lines.“ 50
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Zum ersten Aspekt: Die Geschichte der Migration erreichte das Museum in den USA, Kanada und Australien im Zuge einer allgemeinen Hinwendung zur Sozialgeschichte. Die „New Social History“ hatte sich in den sechziger und siebziger Jahren als Fachwissenschaft an den Universitäten etabliert und setzte sich phasenverschoben auch im Museum durch. Mike Wallace (1996: 116) stellt den Vorgang, der einem veritablen Paradigmenwechsel gleichkam, mit Bezug auf den amerikanischen Kontext plastisch dar: „In the 1940s, 1950s, and 1960s, America’s history museums drowsed happily on the margins of a go-ahead culture, tending their genteel artifacts, perpetuating regnant myths in which African Americans, women, immigrants, and workers figured as supporting actors or not at all. But then came rude poundings at the door.“ In den siebziger und achtziger Jahren nahm eine neue Generation von Kuratoren, inspiriert durch die sozialen Bewegungen der sechziger Jahre und die reformierte Lehre an der Universität, in mehr und mehr Museen die Arbeit auf. Mit ihr kamen neue Themen, neue Perspektiven und ein neues Bewusstsein der politischen Relevanz der Institution. Ausstellungen griffen nun bislang vernachlässigte, verstärkt auch kontroverse Aspekte der Geschichte auf (Dubin 1999). Thematisiert wurden Fragen von „Rasse“, Klasse und Geschlecht, von Imperialismus, Kolonialismus und Ökologie, von Marginalisierung, Macht und Minderheiten. Anstelle der Hochkultur rückten Alltag und Lebenswelten in den Mittelpunkt des Interesses. Die „kleinen Leute“ lösten Eliten und prominente Persönlichkeiten – vornehmlich „Dead White Males“, wie es nun hieß – als Protagonisten musealer Präsentationen ab.27 Mitunter produzierte eine solche engagierte „Geschichte von unten“ dabei, wie Leon/Rosenzweig (1989: xviii) in der Einleitung einer repräsentativen Textsammlung zu diesem spezifischen historischen Moment in der Karriere des historischen Museums in den USA anmerken, bei aller Abgrenzung gegen ältere Darstellungen im Grundsatz ähnlich verklärende Narrative wie die traditionelle „Geschichte großer Männer“. Wenngleich der Einzug der Sozialgeschichte ins Museum und die Ausweitung musealer Themenstellungen, die mit ihm einherging, nicht überall gleich verlief, sich also in verschiedenen Institutionen abhängig von ihrer Größe und Ausrichtung in unterschiedlichem Maße niederschlug (ebd.), so ist die Tendenz nicht zu verkennen – und zwar für die Museumslandschaft international, zumindest jedoch für die hier betrachteten Länder. In Australien traf diese Entwicklung auf eine spezielle Situation: die verzögerte Herausbildung historischer Sammlungen im Allgemeinen. Wenn das Geschichtsmuseum gemessen an anderen Museumsarten generell eine vergleichsweise junge Formation darstellt, so setzte deren Entstehung hier nochmals später ein. Ursache war das erwähnte, lange verbreitete 27 Für eine kritische Fallstudie zu den Transformationen der „New Social History“ im Museum, namentlich der Living History-Anlage „Colonial Williamsburg“ vgl. Handler/Gable 1997. 51
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Urteil, dass Australien keine eigenständige Geschichte von Belang habe. Australische Museen widmeten sich so früh der Erforschung und Dokumentation der als exzeptionell angesehenen natürlichen Gegebenheiten, der Archäologie und – aus der Perspektive einer kolonialen Ethnographie – der Kultur der Aborigines. Dezidierte historische Sammlungen und Abteilungen wurden demgegenüber erst ab den 1970er Jahren, zumeist jedoch erst in den 1980er Jahren eingerichtet (Anderson 1997: 8ff.; Anderson/Reeves 1994: 100-106).28 Museen befassten sich erst seit dieser Zeit in konzentrierter und institutionalisierter Form mit der nichtindigenen Bevölkerung Australiens. Während der Aufstieg der neuen Sozialgeschichte andernorts also einen Perspektivwechsel in der Interpretation und Präsentation bestehender historischer Sammlungen und Museen motivierte, führte er in Australien erst eigentlich zu deren breiter Durchsetzung und Verankerung. In jedem Fall stellte die neue sozial- und alltagshistorische Ausrichtung musealer Aktivitäten, der Fokus auf die „kleinen Leute“ und speziell auf Marginalisierte, eine wichtige Grundierung für die Musealisierung der Migration. Mit dieser thematischen Verschiebung eng verknüpft, doch prinzipiellerer Natur sind die Neuorientierungen in der Museumswelt, die sich mit dem Begriff der „New Museology“ verbinden. Die Diskussion der Geschichte und Funktionsmechanismen von Museen, die Reflexion ihrer gesellschaftlichen Rolle und Macht sowie deren Niederschlag in einer modifizierten Museumspraxis, die unter dem Schlagwort zusammengefasst sind, wirkten gleichfalls förderlich auf die Musealisierung der Migration. „New Museology“, Neue Museologie bezeichnet ein unscharfes, heterogenes Feld von Veränderungen in der Art und Weise, Museen zu denken und zu gestalten. Seinen Namen entlehnt die Bewegung, die im engeren Sinne nie eine war, sondern vielmehr eine Tendenz und ein Diskurs, von dem Titel eines Sammelbandes aus dem Jahre 1989, herausgegeben vom britischen Kunsthistoriker Peter Vergo.29 Wiewohl kein Manifest und explizit ohne repräsentativen Anspruch, lässt sich die allgemeine Stoßrichtung gut an der Einleitung des Bandes verdeutlichen. Vergo (1989: 3) schreibt: „What then is a definition of the ‚new’ museol28 Eine Ausnahme, ein altes und lange Zeit das einzige Geschichtsmuseum Australiens, stellt das nach längeren Planungen 1941 eröffnete Australian War Memorial in Canberra dar. Bennett (1995: 122ff., 141-146) deutet den Anstieg des Interesses australischer Museen an australischer Geschichte als Ausdruck des Bemühens um die endgültige historiographische Ablösung von Großbritannien und die Produktion und Organisation einer definitiv eigenständigen, nationalen Vergangenheit. Kulminationspunkt in dieser Hinsicht waren die langen Debatten um ein National Museum of Australia, das schließlich 2001 in Canberra eröffnet wurde (Anderson/Reeves 1994; Young 2001; Trinca/Wehner 2006). 29 Der Begriff „New Museology“ war indes bereits früher im Umlauf (vgl. etwa Mayrand 1985, hier im Zusammenhang mit der Bewegung der ecomusées in Frankreich und Quebec), wurde von Vergo also nicht erfunden, sondern nur popularisiert. 52
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ogy? At the simplest level, I would define it as a state of widespread dissatisfaction with the ‚old’ museology, both within and outside the museum profession […] What is wrong with the „old“ museology is that it is too much about museum methods, and too little about the purposes of museums.“ Die alte Museologie würde sich mit praktischen Fragen der Verwaltung von Museen beschäftigen, mit den Methoden und Techniken der Konservierung von Objekten oder mit der Zufriedenstellung eines gegebenen Publikums. Die neue Museologie hingegen müsse nun stärker die gesellschaftliche Bedeutung von und die Konstruktion von Bedeutungen durch Museen thematisieren, also etwa fragen: Welche Bilder von Geschichte und Gesellschaft produzieren Museen – explizit oder implizit? Wie sind solche Vorstellungen bedingt von ungleichen Machtverhältnissen gesellschaftlicher Gruppen bzw. zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten? Wie wirken ökonomische, politische, kulturelle Faktoren in diese Konstruktionen hinein usw. „New Museology“ steht mithin als Kürzel für die selbstreflexive Wende des Museums, die sich seit Mitte der 1980er Jahre in Theorie und Praxis durchzusetzen begann und insbesondere im angelsächsischen Raum Widerhall fand (Kreps 2003: 4-11; Macdonald 2006: 2ff.). Reflektiert wurden nun verstärkt die Leerstellen und Entstellungen in vergangenen musealen Repräsentationen. Kritisiert wurde insbesondere deren Komplizenschaft mit imperialer und kolonialer Politik durch die Produktion und Verbreitung rassistischer, eurozentristischer und patriarchaler Ideologie (Clifford 1988; Ames 1992; Coombes 1994). Kritisiert wurde weiterhin die gesellschaftliche Rolle der Institution als Tempel der Eliten, als Maschine zur Reformierung der Massen und damit als Instrument der Befestigung sozialer Hierarchien (Bennett 1995; Duncan 1995). Radikaler noch, da unmittelbar auf die Gegenwart bezogen, wurde der modus operandi des Museums im Ganzen hinterfragt. Reflektiert und in der Folge relativiert wurden der Objektivitätsanspruch und die Neutralitätsrhetorik der Institution. Angestoßen durch die „Krise der Repräsentation“ in verschiedenen akademischen Disziplinen, allen voran der Ethnologie (Marcus/Fischer 1986; Clifford/Marcus 1986), und die postkoloniale Dekonstruktion der Mechanismen des „Othering“ und des Orientalismus (Said 1978), wurde die Autorität des Museums als Institution des Zeigens, Ordnens und Definierens freigelegt. Die Standortgebundenheit jeder Art von Repräsentation, die Abhängigkeit von politischen und kulturellen Annahmen, Einstellungen und Machtverhältnissen wurde herausgestellt (Crew/Sims 1991; Handler/Gable 1997: 4f.). Die Frage „Wer spricht im Museum über wen und mit welcher Legitimation?“ rückte in den Mittelpunkt kritischer Betrachtung und sukzessive ins Bewusstsein von mehr und mehr Museumsmachern (Beier-de Haan 2005a: 111). Die Kritik der Konstruktion von Eigenem und Fremdem sowie der Produktion von Ein- und Ausschluss – sowohl auf der Ebene des Zugangs zu Museen als auch der Repräsentation in Museen – wurden zum zentralen Punkt der Auseinandersetzung (Karp/Lavine 1991). 53
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Als Auftrag für die Gegenwart erwuchs daraus im Umkehrschluss die Forderung nach Öffnung der Institution. Soziale Verpflichtung und Inklusivität wurden zum Leitmotiv (Sandell 2002, 2007; Janes/Conaty 2005). Eingebunden wurden zum einen neue Themen, wobei das neue Bewusstsein der Gegenwartsrelevanz des Museums nicht zuletzt zu einem verstärkten Aufgreifen brisanter und kontroverser Aspekte führte. Zum anderen – und wichtiger noch – galt es auch neue Stimmen und Perspektiven zu ihrem Recht kommen zu lassen. Die identitätspolitisch fundierten Forderungen von Gruppen außerhalb des Museums nach Kontrolle oder zumindest Mitsprache bei der Repräsentation ihrer Kultur und Geschichte wurden von Vertretern der „New Museology“ aktiv aufgenommen und unterstützt. Die Demokratisierung musealer Praxis durch die Partizipation von Communities wurde zum weithin anerkannten, wenn auch nicht stets in gleichem Maße umgesetzten Gebot. Dialog, Multiperspektivität und Polyvokalität sollte – so zumindest der Anspruch – an die Stelle autoritärer Setzung uniformer Geschichtsbilder treten (Kreps 2003: 10; Karp u.a. 1992). Museen begannen, sich im Wechselspiel zwischen Druck von außen und Reformbemühungen von innen so zunehmend als Ort der sozialen Identitätsbildung vielfältiger Gruppen zu verstehen, wie der Soziologe Gordon Fyfe (2006: 39) resümiert: „[W]hereas museums once submerged difference in the bounded selves of universal citizenship, they are today called to recognize the plurality and flux of identities“. Im Zuge dessen versuchte sich die Institution auch in einer dritten Weise zu öffnen, nämlich hin zu neuen Besuchern und dabei in besonderem Maße zu museumsfernen Gruppen (Hooper-Greenhill 1997). Im Ganzen lässt sich die „New Museology“ mit Gail Anderson (2004: 1) mithin begreifen als „the general movement of dismantling the museum as an ivory tower of exclusivity and toward the construction of a more socially responsive cultural institution in service to the public“. Die Musealisierung der Migration ist insofern Produkt dieser Strömung, als darin versucht wurde, den Anstoß zu größtmöglicher Inklusivität aufzunehmen. Das gesteigerte Bewusstsein für die Leerstellen vergangener Museumsdarstellungen motivierte das Aufgreifen des lange vernachlässigten Komplexes. Zudem entsprach die unmittelbare Gegenwartsrelevanz und der potentiell kontroverse Charakter des Themas Einwanderung dem neuen, engagierten Profil des Museums. Überdies konnten über solcherart Präsentationen Migranten als neue Besucher und allgemeiner als neue Klientel des Museums angesprochen und eingebunden werden. Schließlich profitierte die Entwicklung von einer weiteren Tendenz im Rahmen der „New Museology“: der Verschiebung der Gewichte innerhalb des Museums von Sammlungen zu Ausstellungen und hinsichtlich letzterer von Objekten zu Ideen oder Konzepten (Beier-de Haan 2005a: 180; Dubin 2006: 479). Aufgrund dieser Schwerpunktverlagerung von objektbasierten zu konzeptbasierten Ausstellungen, die mit einem verstärkten Einsatz von Präsentationsformen jenseits des dinglichen Exponats einherging, konnte das „objektschwache“ Thema der Migration, zu dem lange Zeit kaum gesammelt wurde und auf54
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grund der spärlichen materiellen Überlieferung auch nur schwer gesammelt werden konnte, erst eigentlich im Museum seinen Platz finden. Als dritter im engeren Sinne museumsbezogener Impuls für die Musealisierung der Migration – und nun speziell deren Institutionalisierung – sei schließlich die quantitative Expansion der Museumslandschaft in den letzten Jahrzehnten genannt. Zu konstatieren ist, dass die Gründung von Einwanderungsmuseen in die Phase eines globalen Museumsbooms fällt. Einige wenige Zahlen mögen dies illustrieren: Von der Gesamtheit der Museen weltweit wurden 90-95 Prozent nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet (Kreps 2003: 20f.; Hoelscher 2006: 201). In England sind drei von vier Museen jünger als vierzig Jahre (Fyfe 2006: 39). In den USA verdoppelte sich die Anzahl der Geschichtsmuseen, zu denen Migrationsmuseen zu zählen sind, allein im Zeitraum zwischen 1960 und 1978 (Leon/Rosenzweig 1989: xv). Neben Museen stieg dort auch die Anzahl historischer Stätten und anderer Institutionen des kulturellen Erbes rapide an. Die Zahl der Einträge im National Register, in dem alle für erhaltenswert erachteten kulturellen Ressourcen verzeichnet sind, etwa explodierte zwischen 1968 und 2004 von 1.200 auf 77.000 (Hoelscher 2006: 201). Auch in Australien und Kanada wuchs der Museumssektor in den 1970er und 1980er Jahren nachhaltig, und für andere Länder sind die Befunde ähnlich (Beier-de Haan 2005a: 11; Kirchberg 2005: 20-28).30 Die Gründe, die sich für dieses Phänomen heranziehen lassen, sind vielfältig. Sharon Macdonald (2006: 4f.) verweist zum einen auf die bereits erwähnte Welle von Community Museen, betont jedoch sogleich, dass sich die Entwicklung nicht auf diese reduzieren lasse. Neben der Zunahme kleiner, community-orientierter Institutionen sei etwa – am anderen Ende des Spektrums – auch ein Anstieg Aufsehen erregender Großmuseen zu verzeichnen, seien es spektakuläre Firmenmuseen, ikonische „Superstar-“ oder hybride „Meta-Museen“31. Am besten zu ver30 Eine 1997 veröffentlichte Studie der UNESCO über den Zusammenhang von Kultur, Tourismus und wirtschaftlicher Entwicklung nennt Tourismus und Museen gar als die am schnellsten wachsende Sektoren weltweit (vgl. van den Bosch 2005: 81). 31 Unter dem Begriff „superstar museum“ fassen Frey/Meier (2006: 410f.) vor allem Kunstmuseen mit globalem Markenimage und Appeal, die mit großem finanziellen Aufwand eingerichtet und vermarktet werden, vor allem in touristischen Metropolen angesiedelt sind und gleichsam in einer eigenen Liga miteinander konkurrieren. Als Beispiele wären das Museum of Modern Art in New York, das GuggenheimNetzwerk mit seinen Parade-Filialen in New York und Bilbao oder der Louvre mit seiner Außenstelle in Abu Dhabi zu nennen. „Meta-museums“ sind nach Mark W. Rectanus (2006: 386, 394) Museumskomplexe, die nicht nur zahlreiche Einzelmuseen unter einem Dach versammeln, sondern diese – wie das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie – mit avantgardistischen, an neuen Technologien interessierten Formen künstlerischer Produktion verbinden und ihre Aktivitäten als multidimensional, nicht-linear, interaktiv und netzwerkorientiert begreifen. 55
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stehen sei der allgemeine Trend als Zusammenspiel teils verknüpfter Motive und Aspekte, darunter die Besorgnis gegenüber „sozialer Amnesie“, die Sehnsucht nach Authentizität im Angesicht beschleunigten Wandels in einer Konsum- und Mediengesellschaft (vgl. auch Korff 2002c: 168), Versuche der Bewältigung von Individualisierung und Fragmentierung von Identitäten und das Bedürfnis nach lebenslangem Lernen. Gordon Fyfe (2006: 40) sekundiert mit weiteren Ursachen für das „museum phenomenon“. Er sieht die Entwicklung mit Prozessen verknüpft, die sich wahlweise als post-industriell oder post-kapitalistisch, als Ausdruck der Spät-, Post- oder Zweiten Moderne beschreiben ließen (auch Beier-de Haan 2000, 2005a; Witcomb 2003: 13f.): die ökonomische Verschiebung innerhalb kapitalistischer Gesellschaften zugunsten des Dienstleistungssektors, Deindustrialisierung, Transformationen regionaler Wirtschaftsstrukturen (u.a. mit Wachstum der Tourismus-Industrie), die Entstehung einer relativ großen Mittelschicht und die Auflösung der Schranken zwischen Hoch- und Populärkultur. Die Ursachen des Museumsbooms sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen weiter verfolgt werden. Im vorliegenden Kontext entscheidend ist allein der Hinweis, dass der globale Anstieg der Museumszahlen ein günstiges Klima für die Genese des neuen Museumstyps Einwanderungsmuseum und seine Realisierung an verschiedenen Orten darstellte.
Fokus: Einwanderungsmuseen und die Re-Vision der Nation Nachdem nun das Set an Impulsen ausgebreitet wurde, das der Musealisierung der Migration in den USA, Kanada und Australien zugrunde liegt und die Entstehung von Einwanderungsmuseen begünstigt hat, werde ich mich dem neuen Museumstyp noch von einer anderen Seite konzeptionell nähern. Zu fragen wäre: Wenn im Zuge des Museumsbooms alle möglichen Arten von Museen neu entstanden oder einen Zuwachs verzeichneten, worin besteht dann die spezifische Relevanz des Einwanderungsmuseums? Die Antwort, so das Argument der vorliegenden Studie, wird in den Verbindungen zwischen der Inszenierung der Migration und der Inszenierung der Nation zu suchen sein. Diese spezifische Perspektive soll im Folgenden konturiert werden. Ich werde dabei in drei Schritten vorgehen: Zunächst sei das traditionell enge Verhältnis von Museum und Nation skizziert. Sodann werde ich aktuelle Herausforderungen der musealen Inszenierung der Nation diskutieren, namentlich Globalisierung und gesellschaftliche Pluralisierung, um im Anschluss die These einzuführen, dass Einwanderungsmuseen über die Inszenierung einer Meistererzählung der Migration letztlich der Re-Vision der Nation, im doppelten Sinne einer Negation und Affirmation älterer Re-Präsentationen der Nation, verpflichtet sind.
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Museum und Nation Seit seiner Geburt als öffentliche Institution im 18. Jahrhundert und seiner Karriere im 19. Jahrhundert ist das Museum aufs Engste mit der Etablierung, Konsolidierung und kulturellen Legitimierung des Konzepts Nation und des Nationalstaats verknüpft. 32 Zahlreiche Autoren haben in den letzten Jahren auf diese Verbindung hingewiesen.33 Als zentrale Referenz der meisten Abhandlungen – und so auch hier – dient Benedict Andersons Konzept der Nation als „imagined community“. Anderson (1996: 15) definiert die Nation als „eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän“. Vorgestellt sei die nationale Gemeinschaft, weil ihre Mitglieder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelten, ohne einander in der Mehrzahl persönlich zu kennen, sich je direkt begegnet zu sein oder auch nur von einander gehört zu haben. Sie sei als begrenzt vorgestellt, weil keine Nation sich mit der Menschheit im Ganzen gleichsetze, sondern sich immer nur als bestimmter Teil von dieser definiere und als solcher von anderen Nationen abgrenze. Als souverän gedacht wird die Nation in der Tradition der Aufklärung mit ihrer Auflösung dynastischer Legitimität und der Ersetzung durch das Streben nach unmittelbarer Freiheit und Selbstbestimmung, das seinen Maßstab, sein Ziel und Symbol im souveränen Nationalstaat findet. Gemeinschaft ist die Nation, indem sie „unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung als ‚kameradschaftlicher’ Verbund von Gleichen verstanden wird“ (ebd.: 17). Die Erklärung der Karriere des Konzepts Nation sieht Anderson in seiner kulturellen Fundierung begründet. Die Leistung des Nationalismus bestehe in der Herstellung und Plausibilisierung einer organischen, gleichsam natürlichen Verbindung einer bestimmten Bevölkerung mit einer bestimmten Kultur und einem bestimmten geographischen Raum. Besondere Bedeutung misst Anderson dabei der Entwicklung einer chronologischen Zeitvorstellung und der Herausbildung und Verbreitung von Landessprachen durch einen kapitalistisch organisierten Buchdruck und Buchmarkt bei. Daneben identifiziert er (nun im engeren Sinne auf koloniale Verhältnisse bezogen) drei wirkungsvolle Technologien politischer 32 An dieser Stelle mag es angebracht sein, knapp die notwendige Differenzierung zwischen Nation und Nationalstaat anzuzeigen: Während „Staat“ ein politisches, rechtliches, bürokratisches System meint, bezieht sich „Nation“ auf die Erfahrungen der Menschen innerhalb dieses Systems im Sinne einer angenommenen Einheit durch gemeinsame Sprache, Kultur oder Tradition. Die Konstruktion der Nation hat dabei insbesondere die Funktion, eine identifikatorische Brücke zwischen Bevölkerung und Staat herzustellen, der sich selbst als abstrakte Form der Regierung nicht zur Identifikation eignet (Stratton/Ang 1998: 139). 33 Vgl. Pomian 1992; Kaplan 1994a; Bennett 1995; Macdonald 2000; für einen Forschungsüberblick vgl. McLean 1998, 2005. Eine Vielzahl einschlägiger Texte versammelt Boswell/Evans 1999. 57
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Macht: Zensus, Landkarte und Museum. Während der Zensus Wissen über die beherrschten Menschen und die Landkarte über die Geographie des Herrschaftsgebiets bereitstelle, käme dem Museum die Funktion zu, dem Staat die Legitimität seiner Herkunft zu sichern (ebd.: 163f.). Im Verbund mit den beiden anderen Instrumenten konstituiere es ein „auf Totalität ausgelegte[s] Klassifikationsraster, das mit unendlicher Flexibilität auf alles angewendet werden konnte, was unter der tatsächlichen oder angestrebten Kontrolle des Staates stand: Völker, Regionen, Religionen, Sprachen, Produkte, Monumente usw.“ (ebd.: 185). Andersons sporadische und allein auf den Kolonialstaat gemünzten Bemerkungen zur Rolle des Museums bei der Herausbildung und stetigen Aktualisierung nationaler Identität weitet Sharon Macdonald (2000: 126-130) aus. Insbesondere geht sie der Frage nach, was das Museum, ausgehend von seiner klassischen Phase im 19. Jahrhundert, für die „Denkbarkeit“ des Nationalstaats, für nationale „Identitätsarbeit“ prädestiniert. Ausgangspunkt ist Andersons Analyse, dass nationale Identifikation die Projektion von Zugehörigkeitsgefühlen über die unmittelbare Erfahrung hinaus erfordert. Da solcherart Identifikation sich mithin nicht auf soziale Beziehungen stützen kann, muss sie stattdessen kulturell fundiert sein – verankert „in verbindenden Ideen und Gepflogenheiten, in einer Gemeinsamkeit der Repräsentation, des Rituals und der Symbolik“ (ebd.: 126). Zentrales Element nationaler Diskurse wurde, wie Macdonald im Anschluss an Richard Handler (1988) darstellt, die Vision einer ganz spezifischen, „eigenen Kultur“. Das Museum eignete sich nun in besonderem Maße zu deren Inszenierung, da es sich bereits als Ort der Versammlung bedeutender „kultureller Objekte“ etabliert hatte. Was einst die Macht und Sammelleidenschaft von Fürsten dokumentiert hatte, wurde im Gefolge der Öffnung der Institution für das Volk zum Beleg der „inneren Tiefe“ der Nation umkodiert. Gleichsam national gewendet, konnten die Sammlungen und ihre Arrangements die ersehnte „eigene Kultur“ repräsentieren und so Nationalbewusstsein und -stolz befördern. Daneben erlaubte der Besitz von Artefakten anderer Kulturen insbesondere Kolonialnationen, sich ihrer Fähigkeit zu rühmen, jenseits nationaler Grenzen zu sammeln und Kontrolle auszuüben, was zugleich den weltpolitischen Rang und Anspruch der Nation bezeugen sollte. Über separierende Darstellungen ließen sich überdies Vorstellungen von der eindeutigen Abgrenzbarkeit verschiedener Kulturen kommunizieren und mittels evolutionistischer Reihungen mit den Erzeugnissen der „eigenen Kultur“ an der Spitze kulturelle, technologische und moralische Überlegenheit proklamieren. Macdonald (2000: 128) resümiert: „Das Museum konnte also zwei aus verschiedenen zeitlichen Perspektiven gesehene Narrative artikulieren: zum einen den ganz unverwechselbar eigenen Werdegang einer Nation und zum anderen die Nation als triumphales Endstadium eines stetigen Fortschreitens. Dass das Museum – durch Auswahl bestimmter Artefakte und durch
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deren Zueinanderordnung – beide Optionen simultan präsentieren konnte, war Teil seiner Magie.“34
Tony Bennett (1995: 141f.) knüpft in seinen Ausführungen zum Verhältnis von Museum und Nation in ähnlicher Weise an Benedict Anderson an und verbindet dessen Ansatz mit Überlegungen des Staatstheoretikers Nicos Poulantzas. Von diesem entlehnt er die Einsicht, dass der moderne Staat die Einheit der Nation organisiert, indem er ein spezifisches Verhältnis von Zeit und Raum, von Geschichte und Staatsgebiet einsetzt. Dieses drücke sich in der doppelten Bewegung der Historisierung eines Territoriums und der Territorialisierung von Geschichte aus. Die Funktion der Inszenierung des Nationalen sei die Fabrikation dieser Kopplung von Geschichte und Territorium. Geschichtsmuseen und historischen Stätten käme in diesem Prozess aufgrund ihrer Nähe zu staatlicher Kulturpolitik und ihrer institutionellen Autorität eine besondere Bedeutung zu. In Museen wird eine nationale Vergangenheit demnach nicht dokumentiert, sondern erst produziert.35 Es sind Orte der Aktualisierung von „Ursprungsmythen, die die Gegenwart in die Vergangenheit zurückprojizieren“ und von „Erzählungen der Nation, die das Individuum mit größeren, bedeutenderen nationalen historischen Ereignissen verbinden“ (Stuart Hall, zit. n. Kaschuba 2001: 29). Die klassische Variante der musealen Inszenierung des Nationalen – dies gilt es festzuhalten und herauszustreichen – gründet mithin auf einem maßgeblichen Prinzip: der Produktion und Artikulation einer gemeinsamen Geschichte und Kultur. Eine solche Konstruktion hat zwei Implikationen: Sie wirkt zum einen sozial harmonisierend, indem sie divergierende Interessen und gesellschaftliche Konflikte in ein größeres Ganzes einzubinden sucht – erinnert sei an Benedict Andersons Formulierung von der vorgestellten Gemeinschaft der Nation als „kameradschaftlicher Verbund“ unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung. Zum anderen tendiert sie im Ideal der unverwechselbaren „eigenen Kultur“ zur Homogenisierung kultureller Heterogenität (Foster 1991: 249). Der Di34 Macdonald führt im Anschluss noch eine dritte Qualität des Museums aus: die Tendenz, sich etwa durch klassizistische Architektur an antike Vorbilder anzulehnen und damit eine überzeitliche Kontinuität zu behaupten. Über das Einüben distanzierter Blicke und eines scheinbar unbeteiligten Beobachterstandpunkts schärften Museen schließlich, wie sie mit Bezug auf Timothy Mitchell (1988) argumentiert, auch ein abendländisches Verständnis von Objektivität und Wirklichkeit. 35 In diesem Sinne auch Mitchell (2001: 212): „One of the odd things about the arrival of the era of the modern nation-state was that for a state to prove it was modern, it helped if it could also prove it was ancient. A nation that wanted to show it was up to date and deserved a place among the company of modern states needed, among other things, to produce a past. […] As every recent theorist of nationalism has pointed out, deciding on a common past was critical to the process of making a particular mixture of people into a coherent nation.“ 59
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
asporatheoretiker Khachig Tölölyan vermerkt in diesem Sinne, aufs Allgemeine gemünzt, doch ohne Weiteres in Bezug auf die symbolischen Operationen im Imaginationsraum Museum zu lesen: „The [nation-state] always imagines and represents itself as a land, a territory, a place that functions as the site of homogeneity, equilibrium, integration; this is the domestic tranquility that hegemonyseeking national elites always desire and sometimes achieve.“ (Tölölyan 1991: 6)
Die Krise nationaler Meistererzählungen: Globalisierung und heritage dissonance Nun sind Museen heute weit entfernt von der Selbstgewissheit, die die Präsentationen ihrer Vorgänger im 19. Jahrhundert prägte. Die emphatische Feier der Größe der Nation, ihres Ruhmes und ihrer Mission, ihrer zivilisatorischen oder gar rassischen Überlegenheit ist heute seltener zu finden. Gesellschaftlicher Wandel im Allgemeinen und die kritische Wende, die mit Neuer Sozialgeschichte und „New Museology“ Einzug hielt, im Besonderen haben ihre Spuren hinterlassen. Der einseitige Bezug auf Glanz und Gloria nationaler Geschichte ist größtenteils differenzierteren Tönen gewichen (Davison 2001; Beier-de Haan 2005a). Inszenierungen der Nation, im Museum wie andernorts, sind jedoch vor weit grundlegendere Herausforderungen gestellt als die Frage des richtigen Tons oder der angemessenen Mischung von Leistung und Schuld, Triumph und Trauma in der Darstellung. Die Konturen der „vorgestellten Gemeinschaft“ an sich müssen vielerorts neu verhandelt werden. Denn Erzählungen der Nation sind, auch und gerade weil es sich um gegenwartsabhängige Konstruktionen handelt, weder statisch, noch ad libitum zu machen. Sie müssen ihre Plausibilität stets vor einem gegebenen Zeithorizont unter Beweis stellen. Die Grundlagen der nationalen Erzählung, ihre narrativen Strategien und Versatzstücke, müssen unter je herrschenden gesellschaftlichen und historischen Bedingungen glaubhaft sein, um geglaubt zu werden und Wirkung zu erzielen (Foster 1991: 241; Kaschuba 2001: 29). In der Gegenwart ist dieser Vorgang prekär geworden. Die Konstruktion der Nation als Kultur-, Geschichts- und Erinnerungsgemeinschaft hat im Zuge von Globalisierung und innergesellschaftlicher Pluralisierung an Überzeugungskraft verloren. Die Kongruenz von Kultur, Bevölkerung und Territorium, die nach Anderson die „imagined community“ fundiert, wird zunehmend fragwürdig und die symbolischen Operationen, sie zur Deckung zu bringen, schwieriger (Curthoys 2003; Cerwonka 2004; Kaplan 2006).36 Wenngleich Nationalstaaten zu keiner Zeit die hermetisch abgeschlossenen, eindeutig identifizierbaren kulturellen Räume waren, als die sie gewöhnlich dargestellt und wahrgenommen wur36 Nicht zu vergessen ist, dass neben symbolischen Operationen durchaus auch „realhistorische“ Operationen existieren, um eine solche Übereinstimmung zu erzielen: Vertreibungen, „ethnische Säuberungen“, Genozid. 60
KOORDINATEN DES EINWANDERUNGSMUSEUMS
den, so hat die gewaltige Zunahme transnationaler Bewegungen von Menschen, Waren, Informationen und Ideen und die allgegenwärtige Diskursivierung dieser Prozesse simplen Narrationen einer distinkten nationalen Identität die Grundlage entzogen. Migration spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle. Arjun Appadurai (1998) etwa konstatiert nachhaltige Veränderungen bei der sozialen und kulturellen Entstehung von Gruppenidentitäten. Gleichsam als Gegenbild zur nationalen Territorialisierung von Geschichte und Kultur beschreibt er die „Enträumlichung“ von Personen, Vorstellungen und Ideen als Signatur der Epoche. In globalen ethnischen Räumen, die aus den kulturell heterogen Praxen und Anschauungen mobiler Akteure wie Touristen, Immigranten, Flüchtlinge, Exilanten etc. entstünden, löse sich die Imagination vom Raum bzw. realisierten sich „vorgestellte Gemeinschaften“, die quer zu nationalstaatlichen Grenzen liegen.37 James Clifford (1997: 250f.) ergänzt, dass speziell Diasporas über die Territorialität und Temporalität des Nationalstaats ausgreifen. Diese seien dadurch gekennzeichnet, dass sie wichtige Loyalitäten und praktische Verbindungen zu einer entfernten Heimat oder zu verstreuten Gruppen andernorts aufrecht erhielten und auf diese Weise transnationale Beziehungsnetze etablierten. Indem Diasporas mithin eine „kollektive Heimat fern der Heimat“ hätten und so „routes“ und „roots“ in permanenter Spannung hielten, ließen sie sich nicht ohne Weiteres in nationale Imaginationen und Narrative einpassen. Mit Akhil Gupta und James Ferguson (1992: 11) lässt sich dieses Phänomen deterritorialisierter Identitätskonstruktionen und deren antagonistische Stellung zu einfachen Erzählungen der Nation im Bild der zwei Brennpunkte fassen. Die aktuelle Situation sei gekennzeichnet durch eine „profound ‚bifocality’ that characterizes locally lived lives in a globally interconnected world“. Bei der Ausprägung einer solchen Konstellation schreiben sie gerade der Erinnerung eine bestimmende Rolle zu. Die Erinnerung an entfernte Orte bzw. die Konstruktion erinnerter Orte aus geographischer Distanz stelle etwa für Migranten einen symbolischen Anker bei der Ausbildung von Identität und Gemeinschaft dar. Mary Ste37 Einige Auswirkungen dieser Prozesse auf die Verfasstheit der Geschichtsschreibung beschreibt Iain Chambers (1996: 90). In der postkolonialen Welt werde „die Achse der Zeit, Linearität, Nation und Identität sowie der ‚Fortschritt’ der okzidentalen Geschichte umgebogen in verschiedene Räume, welche die einzige, geschlossene Narration aufbrechen, um vielfältigen Sprachen, Narrationen, Geschichten – his-stories and her-stories – und einer Heteronomie verschiedener Rhythmen Zugang zu gewähren.“ An die Stelle der großen Erzählungen der Homogenität, unter denen die des einheitlichen Nationalstaats besondere Prominenz innehatte, träten nun Tropen wie Migration, Verschiebung, Entortung. Jenseits mono- und ethnozentrischer Konzeptionen von Literatur, Kultur, Geschichte, Religion, Identität, Sprache etc. gälte die Aufmerksamkeit nun Momenten der Unreinheit, der Kreuzung, des Palimpsests und zusammengesetzten, kosmopolitischen Identitäten. 61
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
vens (2006) argumentiert in eine ähnliche Richtung und hebt dabei insbesondere das widerständige Potential von Erinnerung im Kontext von Migration und Postkolonialismus sowie die resultierende Herausforderung der Konstruktion von Nation hervor: „In the postcolonial context memory has often been seen as a strategy to resist hegemonic power. Diasporic cultural memory has been perceived as particularly subversive since it preserves within the bounds of the country of residence the presence of an elsewhere, an outside. It is not necessary for the memory itself to be emancipatory (indeed it may be imbued with a repressive nostalgia that hinders the development of the subject). The very existence of a set of stories that can only with difficulty be incorporated into accounts of a shared national past constitutes a form of resistance.“
Solcherart transnationale Dynamiken – manifeste wie imaginative, reale Migrationen ebenso wie grenzüberschreitende Erinnerungen und Vorstellungswelten – stellen Erzählungen der Nation in Frage, indem sie über die Grenzen des Nationalstaats hinausstreben und dessen einst eindeutig und determinierend gedachte Konturen aufweichen. Zugleich gerät das klassische Ideal nationaler Imagination – „one land, one nation, one people, one culture“ (Bennett/Carter 2001: 254) – durch kulturelle Pluralisierung im Innern von Nationalstaaten in die Krise. Anstelle von „vorgestellter Gemeinschaft“ auf Grundlage von Kultur und Geschichte wird zunehmend Fragmentierung und Konflikt diagnostiziert. In besonderem Maße gilt dies für Siedlergesellschaften38 wie die USA, Kanada und Australien, die in den letzten Jahrzehnten von tiefgreifenden „heritage dissonances“ erschüttert wurden. Unter diesem Begriff diskutieren John Tunbridge und Gregory Ashworth (1996: 179-222; auch: Graham u.a. 2000: 96-111) mit speziellem Fokus auf den kanadischen Kontext, im Weiteren jedoch explizit die beiden anderen Länder einbeziehend, die Schwierigkeiten, die sich hier beim Versuch der Konstruktion einer auf Geschichte und kulturellem Erbe basierenden nationalen Identität ergeben. Die Grundsituation sei eine Fragmentierung in „heritage identities“, bei der sich idealtypisch betrachtet drei gesellschaftliche Gruppen gegenüberstehen, die wiederum in sich fragmentiert sind. Zum einen sind dies die sogenannten „Gründergesellschaften“, die in den USA und Australien britisch, in Kanada britisch und französisch geprägt sind. Traditionell stellen diese die nationalen Ur38 „Siedlergesellschaften“ („settler societies“) definiere ich im Anschluss an Stasiulis und Yuval-Davis (1995: 3) als „societies in which Europeans have settled, where their descendants have remained politically dominant over indigenous peoples, and where a heterogenous society has developed in class, ethnic and racial terms.“ Die Autorinnen machen deutlich, dass es sich dabei nicht um eine fest umrissene Kategorie, sondern um ein Kontinuum handelt, das weitere Differenzierungen nötig macht. Auf die entsprechende Unterscheidung der USA als „settler republic“ von den „white dominions“ Kanada und Australien sei hier nur pauschal verwiesen. 62
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sprungsmythen und dominieren die nationale Erzählung. Herausgefordert werden sie in neuerer Zeit vor allem von zwei Seiten: einerseits den indigenen Bevölkerungen, die auf Anerkennung ihrer Sicht der Kolonisierung des Landes, auf Eingeständnis der kolonialen Verbrechen und nicht zuletzt materielle Wiedergutmachung drängen; andererseits den späteren Einwanderern und ihren Nachkommen, die ihr eigenes kulturelles Erbe respektiert und ihre Geschichte in die nationale Erzählung aufgenommen sehen wollen.39 Auf dieser Grundlage ergäben sich Spannungen, wodurch der Bezug auf Geschichte und Kultur vielfach nicht gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern zentrifugale Tendenzen fördere.40 Die Situation in den USA stellt nach Tunbridge/Ashworth (1996: 179) in diesem Zusammenhang eine gewisse Besonderheit dar, die es zu reflektieren gilt. Die Verschiedenheit des kulturellen Erbes erreiche hier ein Höchstmaß und, insbesondere mit Blick auf die Geschichte des Sklavenhandels, eine besondere Brisanz. Konflikte und Differenzen würden jedoch durch die Existenz und Pflege einer wirkmächtigen Nationalmythologie entschärft.41 Denn nationale Identität ist hier stärker politisch-ideologisch fundiert als in den beiden anderen Ländern. Der „American Creed“, die amerikanische Zivilreligion, die sich bis auf die Erfahrung der Revolution zurückverfolgen lässt, speist sich aus einem säkularen politischen Universalismus, der im Kern Werte statt Kultur zur Grundlage nimmt (Stratton/Ang 1998: 141-147). Seine zentralen Komponenten sind Individualismus und individuelle Freiheit, Gleichheit vor dem Recht und Privateigentum und die bedeutendsten Symbole die Freiheitsstatue und Liberty Bell. 39 Als vierte Konfliktlinie nennen die Autoren die Forderungen von Frauen, Homosexuellen und Behinderten. 40 Die Tiefendimension dieses Befundes referiert Pearson (2001: 8f.) mit Blick auf die historischen Prozesse des nation-building in diesen Gesellschaften: „Nationstatehood is not easily achieved in settler and post-settler societies. There is a constant tension between three linked historical trajectories. First, the process of colonisation resulting in aboriginal disposession. Second, the process of settlement within which settler elites, at least in the early decades of settlement, are as attached to their societies of origin as to the societies they are in the process of transforming in their own image […] Thirdly, the process of ‘foreign’ immigration which brings added populations with equally problematic allegiances into the society of settlement. These historical trajectories, in cumulative fashion, continue to influence the shape of contemporary ethnic politics. And when one acknowledges the class, gender and other points of division within these processes, the establishment of the ‘nation’ as a unified ‘abstract community’ is rendered even more difficult.“ Diese historisch eingeschriebenen Spannungen – so könnte der Anschluss an Tunbridge/Ashworth hergestellt werden – werden in Debatten um kulturelles Erbe oder Memorialisierung aktualisiert, also neu aufgelegt und mit gegenwärtigen Auseinandersetzungen verknüpft. 41 So auch John Higham (2001) in einem Vergleich zwischen dem Mythenrepertoire der USA und Australiens. 63
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Ungeachtet dieser Eigenheit lässt sich gleichwohl feststellen, dass auch in den USA die zunehmende Artikulation gruppenspezifischer Geschichten und die Auflösung gemeinschaftsstiftender Erzählungen registriert und – teils mit Unbehagen – kommentiert wurde. Arthur M. Schlesinger, altgedienter Demokrat und prominenter Intellektueller, stellte etwa eine direkte Verbindung zwischen der Pluralisierung des kulturellen Erbes und einer Erosion des Zusammenhalts der Nation dar. So warnte er 1991 in einem Essay im Time Magazine: „the growing emphasis on the USA’s ‚multicultural’ heritage exalts racial and ethnic pride at the expense of social cohesion “ (zit. n. Stratton/Ang 1998: 135). In der Bekräftigung ethnischer Identitätspolitik diagnostizierte er eine Aufwertung von Gruppenidentitäten, die sich gleichsam zwischen das Individuum und seine Loyalität zur amerikanischen Nation zu schieben und so zentrifugale Kräfte auszulösen drohten. In Anlehnung an das amerikanische Nationalmotto E pluribus unum konstatierte er: „The balance is shifting from unum to pluribus“ (zit. n. Stratton/ Ang 1998: 145). Zu befürchten sei, wie einer seiner Buchtitel proklamierte, nichts weniger als „The Disuniting of America“, falls es nicht von Neuem gelänge, eine überzeugende Klammer für die wachsende kulturelle Vielfalt zu etablieren. In Kanada und Australien meldeten sich, zumeist im konservativen Spektrum, ähnliche Stimmen zu Wort, die vor der „Tribalisierung“, „Balkanisierung“ oder „Babylonisierung“ einer multikulturellen Gesellschaft ohne gemeinsame Basis warnten (Jupp 2001: 265; Geißler 2003: 23). Gleich wie man die Entwicklung werten mag – als problematischen Zerfall nationalen Zusammenhalts oder als begrüßenswerte Befreiung sub-nationaler Kollektividentitäten – ist unübersehbar, dass die Konstruktion einer verbindlichen und verbindenden nationalen Erzählung in den drei Gesellschaften komplexer geworden ist. Mit John Docker und Gerhard Fischer (2000: 6) lassen sich einige der Widersprüche und Konfliktlinien, die auch und gerade in Geschichtsdarstellungen virulent werden, noch einmal prägnant benennen: „colonial versus post-colonial, old settlers versus new settlers, indigenous people versus invaders, majority versus innumerable minorities, white against black or coloured, the search for a collective, inclusive or ‚national’ identity (in an era of post-national globalisation) vis-à-vis the search for individual and personal or group identity, based on ethnicity, language, country of origin, or religion.“
Im Museum schlägt sich die Pluralisierung des kulturellen Erbes und die Auflösung verbindlicher „großer Erzählungen“ in zwei Tendenzen nieder: Zum einen lässt sich – im Sinne von Tunbridge und Ashworths Diagnose der „heritage dissonance“ – eine Zunahme an Kontroversen um Ausstellungen und Museumsprojekte registrieren und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Quantität als auch ihrer Intensität (Beier-de Haan 2005a; Dubin 2006; Kaplan 2006). Zum zweiten ist eine Ausdifferenzierung, wenn nicht Fragmentierung der Museumslandschaft mit 64
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dem starken Anstieg identitätspolitisch motivierter, die Geschichte und Kultur einzelner Gruppen fokussierender Institutionen zu verzeichnen (Doering 2002: 10; König/Ohliger 2006: 14).42 Beide Tendenzen sind gleichermaßen Indiz und Impuls für eine Krise der Inszenierung des Nationalen im Museum. Zugleich jedoch – und dies ist in einem Verständnis von Krise als Entscheidungssituation und Wendepunkt bereits nahegelegt – führt die Verunsicherung in der Fundierung der „imagined community“ auch zur verstärkten Suche nach neuen Formen der Konstruktion von Nation, nach alternativen gemeinschaftsstiftenden Erzählungen und bislang wenig beackertem „common ground“.43
42 Zahava Doering (2002) verweist zur Illustration der identitätspolitischen Fragmentierung der nationalen Geschichtslandschaft in den USA exemplarisch auf die Entwicklung an der National Mall in Washington D.C., wo immer neue, eigenständige Museen sogenannter Minderheiten entstehen. Nach der Eröffnung des National Museum of the American Indian 2004 wird derzeit ein National Museum of African American History and Culture realisiert und Initiativen für ähnliche Projekte von Latinos und Asian Americans sind in der Planung. In gewisser Weise lässt sich auch das 1993 eröffnete U.S. Holocaust Memorial Museum in diesem Kontext nennen, obgleich es als Manifestation der moralischen Überlegenheit amerikanischer Werte in der Konfrontation mit dem historischen „Gegenereignis“ Holocaust über die partikulare Bedeutung für amerikanische Juden hinausweist (Pieper 2006: 189-191). 43 Die ersten Orte solcher Suchbewegungen und Neuformulierungen sind naturgemäß die eigentlichen kulturhistorischen Nationalmuseen. In Kanada und Australien wurden entsprechende Institutionen in den letzten Jahrzehnten, teils auf der Grundlage älterer Sammlungen, neu gegründet – und inzwischen breit erforscht: das Canadian Museum of Civilization in Ottawa/Hull, eröffnet 1989 (MacDonald 1992; Delaney 1994; Mackey 1999: 73-88; Dean/Rider 2005) und das National Museum of Australia in Canberra von 2001 (Gore 2002; Message 2005; Cvoro 2006 sowie mehrere Beiträge in Healy/Witcomb 2006). Das nationale Geschichtsmuseum der USA, das National Museum of American History der Smithsonian Institution in Washington D.C., ist derzeit im Prozess der Neuformierung. Die Schwierigkeiten bzw. die schiere Unmöglichkeit, in multikulturellen und identitätspolitisch durchsetzten Kontexten eine synthetische und kohärente Erzählung der Nation zu erzeugen, lassen sich an diesem Fall beispielhaft verfolgen. Richard Handler (2003) zeigt in seiner Skizze der Neukonzeption des Museums eindrücklich, wie die Ausstellungsmacher hier nach ausführlichen Debatten von dem Versuch Abstand nahmen bzw. nehmen mussten, eine kohärente nationale Geschichte zu erzählen. Das nicht minder angestrebte Gefühl von Gemeinschaft soll nun nicht mehr aus dem spezifisch RePräsentierten, der „historical substance“ selbst, erwachsen, sondern – wie Handler mit Bezug auf Durkheims funktionalistisches Modell des säkularen Ritus interpretiert – als „rituelle Solidarität“ im reinen Akt des gemeinsamen Konsums attraktiver Ausstellungen, deren eigentlicher Inhalt sekundär ist. Das übergreifende Phänomen der „neuen Nationalmuseen“ mit ihren Ausformungen und ideellen Verortungen in der Zweiten Moderne ist umfassend analysiert bei Beier-de Haan 2005a. 65
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Die Inszenierung von Migration als Inszenierung der Nation Robert Foster (1991: 237) wirft eine für diese Suchbewegung zentrale Frage auf: „[H]ow can the construction of national boundaries be sustained in a world now more than ever open to cultural flows? Can a collectivity imagine or be made to imagine itself as a bounded entity when its members are increasingly exposed to a ‘cosmopolitan cultural regime’ through media, travel, and encounters with migrants and refugees?“
Und Castles u.a. (1992: 5) ergänzen, stärker auf die innere Verfasstheit kulturell heterogener Gesellschaften gemünzt: Mit dem Multikulturalismus rücke die Feier kultureller Vielfalt in den Vordergrund und löse lange Zeit vorherrschende rassistische Stereotype der Nation ab. Doch bringe diese Entwicklung auch Schwierigkeiten mit sich: „[H]ow is the tension between ethnic puralism and the cohesiveness of society as a whole to be resolved? How can a nation be defined, if not in terms of ethnic identity, shared history, traditions, culture and language?“ Zusammengefasst ließe sich also fragen: Wie kann in Zeiten mannigfacher transnationaler Dynamiken und innergesellschaftlicher Pluralisierung die Nation als Gemeinschaft vorgestellt werden, im Innern vereint, nach außen begrenzt und an ein bestimmtes Territorium gebunden? Zugespitzt formuliert: Wie lässt sich die multikulturelle Nation im Kontext der Globalisierung erzählen und inszenieren? Und kann dem Museum in diesem Prozess überhaupt eine Rolle zukommen? Denn wenn man Sharon Macdonald (2000: 124) folgt, wirft die Krise nationaler Re-Präsentation aufgrund der historisch engen Beziehung zwischen Museum und Nation auch Fragen für die Institution selbst auf: „Wenn der Nationalstaat und die Art von ‚Öffentlichkeit’, mit der er verbunden war, möglicherweise bereits überholt sind, welche Zukunft bleibt dann dem Museum? Ist das Museum vielleicht zu sehr verknüpft mit einem material- und ortsverankerten, homogenen und abgegrenzten Verständnis von Identität, um sich der Problematik zu stellen, die sich in der Zweiten oder Spätmoderne für die Identität auftut?“
Ich möchte in dieser Studie vorschlagen, dass sich die Entstehung von Einwanderungsmuseen als eine Strategie zur Bewältigung der Krise der Inszenierung des Nationalen im Museum interpretieren lässt. Im Kern und bei aller Differenz in ihrer konkreten Gestalt geht es in ihnen, so die These, um die Präsentation von Einwanderung als übergreifende Erzählung und, darauf aufbauend, um die Inszenierung einer „imagined community“ von Migranten. Eingebunden werden dabei nicht nur die disparaten Geschichten von Immigranten unterschiedlicher Herkunft, sondern diese werden zugleich in einem größeren Ganzen mit der Erzählung der ursprünglichen Siedler, die nun ebenfalls als Einwanderer firmieren, vereinigt. Auf diese Weise fungieren Einwanderungsmuseen als Bühne zur Har66
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monisierung von dissonantem Kulturerbe und Plattform zur multikulturellen ReVision der Nation.44 Im Begriff der „Re-Vision“ seien dabei zwei Dimensionen aufgerufen: zum einen eine inhaltliche Erneuerung, zum anderen eine strukturelle Konsolidierung des Konzepts der Nation. Für den ersten Pol steht die Anerkennung der Geschichte lange Zeit Marginalisierter, die Aufwertung von Gegennarrativen nichthegemonialer Gruppen und vor allem die Verlagerung von homogenisierenden Konstruktionen auf die Betonung kultureller Vielfalt. Der zweite Pol entdeckt sich in der Tendenz diese Vielfalt in einer Meistererzählung der Migration einzufassen. Über die Grenzen des Nationalstaats hinausstrebende Imaginationen werden darin gebündelt, gebändigt und auf diesen zurückgeführt. Einwanderungsmuseen operieren als Instrumente zur Re-Zentrierung (insbesondere ethnischer) Identitätspolitiken, als Orte nationaler Identitätspolitik durch die Aggregation und Absorption partikularer Identitätspolitiken. Sie wirken als „staging ground“ (Annis 1986) der reformierten Nation im Zeichen des Multikulturalismus. In dieser Form stehen Einwanderungsmuseen sowohl in Abgrenzung als auch in Kontinuität zu älteren musealen Inszenierungen der Nation. Mit Blick auf die Kontinuitäten wird im Verfolg dieser Argumentation insbesondere zu beachten sein, inwieweit in der Inszenierung einer „vorgestellten Gemeinschaft“ der Migranten soziale Ungleichheiten und Konflikte verschleiert bzw. im Zuge von Ethnisierung und Kulturalisierung in kulturelle Vielfalt umkodiert werden.45 Überdies gilt es das Verhältnis der Inszenierungen zum konstitu44 Mit Bendix/Roodenburg (2000: xii) lässt sich deren Einrichtung in den größeren Kontext aktuell hoher Erwartungen an die Problemlösungskapazität kultureller Institutionen und Kulturpolitik im Allgemeinen stellen: „[N]ation states seek to gain a handle on a variety of ethnic problems, often settling on cultural policies and celebratory representations of diversity as a means to manage potential conflict.“ Vielfach fungieren solcherart kulturelle Initiativen auch und gerade als Versuch der Kompensation für die Reduktion staatlicher Leistungen auf dem Feld Sozialpolitik. Turner (1993: 67) stellt fest, dass speziell in postkolonialen Nationen wie Australien und Kanada die Tendenz besteht, Kulturpolitik in den Dienst nationaler Agendas zu stellen. Erwartet wird in diesen Kontexten, dass deren Hervorbringungen eine offizielle Version nationaler Identität stützen und befördern. 45 Im Anschluss an Gisela Welz (1996: 115) sei damit die „Betonung ethnischer Unterschiede als Erklärung für soziale Konflikte und die gleichzeitige Dethematisierung sozioökonomischer Ungleichheit als eine neue und hochgradig funktionale Form des gesellschaftlichen Konfliktmanagements“ fokussiert. Diese Stoßrichtung trifft sich mit einer Kritik am („weichen“) Multikulturalismus „von links“, in der in der Regel auf die problematische Harmonisierung tieferliegender gesellschaftlicher Widersprüche (entlang der Trias Klasse, Geschlecht und „race“) abgehoben wird (für Kanada Ng 1995; Mackey 1999 sowie die Literatur bei Geißler 2003: 22f.; für Australien Castles u.a. 1992; Teo 2003: 143f.; für ähnliche Kritiken im weniger multikulturell institutionalisierten Setting der USA vgl. Puhle 1994; Lenz 1998). 67
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tiven Außen einer nationalen Meistererzählung der Migration, heißt: zu Geschichte und Perspektive der indigenen Bevölkerung, zu beleuchten und, allgemeiner, zu reflektieren, wie in der Präsentation eines dezidiert inklusiven Narrativs neue, spezifische Formen des Ausschlusses produziert werden.
Zugang: Zu Methodik und Material der Untersuchung Am Übergang zum empirischen Hauptteil der Studie, den Kapiteln über die drei Einwanderungsmuseen, seien schließlich im Folgenden die Grundzüge deren Untersuchung skizziert. Wie lassen sich Museen angemessen erforschen? Welche Zugänge, welche Methoden stehen zur Verfügung? Welches Material gilt es zu verwerten? Wenngleich in den letzten Jahren die Diskussion solcher Fragen lebhafter geworden ist und vereinzelt Vorschläge formuliert wurden (Dicks 2000; Scholze 2004; Muttenthaler/Wonisch 2006), ist nach wie vor ein Mangel an Analysemethoden zu konstatieren. Verbindliche Vorgaben fehlen. Ich verfolge hier einen kombinierten Ansatz, der durch drei Elemente gekennzeichnet ist. Zum einen wähle ich – im Gegensatz zu einem stärker an „querliegenden“ thematischen Aspekten orientierten Zugang – das Untersuchungsgenre Fallstudie. Innerhalb dieser verknüpfe ich eine praxisreflexive mit einer formorientierten Perspektive. In erster Hinsicht nutze ich das Instrumentarium der Mikrogeschichte zur Analyse der Entstehungsprozesse der Museen. In letzterer Hinsicht operiere ich mit dem der Literaturwissenschaft entlehnten Konzept des close reading und nähere mich damit den jeweiligen Präsentationen.
Drei Fälle Die drei hier untersuchten Museen sind Fälle oder Fallbeispiele im besten Sinne: Sie sind Konkretisierungen eines allgemeineren Sachverhalts, konkrete Ausprägungen einer bestimmten Gattung, eines Typs Museum nämlich, des Einwanderungsmuseums (Süßmann 2007: 14f.). Als solche sollen sie hier erforscht werden.46
46 Süßmann (2007: 8-10) verweist auf die unterschiedlichen Traditionen und Akzeptanzen von Fallstudien in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. In den Sozialwissenschaften stellten sie nach wie vor einen „heißen“, also: umstrittenen, Gegenstand dar, dem mitunter vorgeworfen werde, als Aussageform zu holistisch, als Erhebungsmethode zu subjektiv und insgesamt zu wenig an Begriffs- und Theoriebildung interessiert zu sein. In der kulturwissenschaftlich gewendeten Literaturund Geschichtswissenschaft und in der Kulturwissenschaft selbst, der empirischen zumal, zeigt sich eine gänzlich andere Situation. Fallstudien sind hier ein weithin akzeptiertes, wenn nicht das präferierte Genre der Untersuchung und Darstellung. 68
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Fallstudien stellen Individualitäten mit ihrer Eigendynamik, Vielschichtigkeit und mitunter Widersprüchlichkeit in den Mittelpunkt und versuchen diese, stets unter Berücksichtigung ihres spezifischen Kontexts, in möglichst großer Detailschärfe zu vermessen. Die Erfassung von Komplexität ist nach Süßmann (2007: 12) ihr wesentliches Kennzeichen und ihre zentrale Leistung. Charakteristisch sei dabei der Vorgang der Darstellung, der aspektereicher, differenzierter, ambivalenter sei als die begriffliche Explikation. In der Konsequenz eigne dem Genre eine charakteristische Zweigesichtigkeit: „Die Fallstudie ist eine hybride Aussageform. […] Sie ist Datenprotokoll und darstellerische Deutung; beides ist in ihr unauflöslich verschränkt“ (ebd.: 20). Das Verhältnis zwischen den drei Fallstudien, die hier in diesem Sinne unternommen werden, soll sich dabei an Laura Naders (1994) Forderung nach „comparative consciousness“ orientieren. „Vergleichen“ bedeutet darin nicht die Konzentration auf a priori festgelegte Ausschnitte des Untersuchungsgegenstands, sondern ist zunächst und zuvorderst als Entdeckungsprozess und gegenseitige Bespiegelung der individuellen Fälle im Forschungsverlauf gedacht. Die doppelte Stoßrichtung, die innerhalb der Fallstudien verfolgt wird, geht von einem Vorschlag Henrietta Lidchis (1997) aus. In ihrem Essay „The Poetics and Politics of Exhibiting Other Cultures“ skizziert diese zwei Dimensionen der musealen Re-Präsentation und zugleich zwei Varianten ihrer kritischen Reflexion. Unter dem Begriff „politics“ nimmt sie die historische Natur von Museen, ihren Sammlungen und Ausstellungen, in den Blick, reflektiert ihre Verankerung in Diskursen und Machtverhältnissen sowie die Rolle spezifischer Akteure und Aushandlungen. Mit „poetics“ zielt sie dagegen auf die Art und Weise, wie Ausstellungen analog zu sprachlichen Texten Bedeutungen konstruieren, und stützt sich hierfür auf Ansätze aus der Semiotik. Eine solche differenzierte Herangehensweisen, die zwischen Re-Präsentation als sozialer, historisch fundierter Praxis und Re-Präsentation(en) als Übersetzung dieser Praxis unterscheidet, ohne ein lineares Verhältnis zwischen beiden anzunehmen oder das eine unbesehen aus dem anderen abzuleiten, soll für die folgenden Fallstudien fruchtbar gemacht werden. Konkret gliedern sie sich auf dieser Grundlage in zwei im Folgenden näher auszuführenden Teile, die nicht nur einen unterschiedlichen Fokus wählen, sondern auch von einer unterschiedlichen Untersuchungshaltung geprägt sind. Für jedes Museum geht es – um es auf eine Formel zu bringen – um die Rekonstruktion des Produktionsprozesses und die Dekonstruktion des Produkts.47
47 Gisela Welz (1996: 171f.) geht in ihrer Kritik des Ellis Island Immigration Museum ähnlich vor. Zunächst untersucht sie die Entstehung des Museums durch eine „institutionensoziologische und -geschichtliche Analyse“. In einem zweiten Schritt, den sie „kulturanalytisch“ nennt, fokussiert sie auf die Ausstellung, um deren Effekte zu dekonstruieren. 69
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Rekonstruktion musealer Produktionen Es gibt ein chinesisches Sprichwort: „Wenn der Weise mit dem Finger auf den Mond zeigt, schaut der Einfältige auf den Finger.“ Der erste Teil einer jeden Fallstudie wird genau diese „einfältige“ Perspektive einnehmen und versuchen, den Museen und ihren Machern „auf die Finger zu schauen“. Genauer gesagt, sollen die „Gesten des Zeigens“ (Muttenthaler/Wonisch 2006) über die (imaginären) Finger hinaus zurückverfolgt werden zu den Zeigenden, um diese, ihre Positionen und die Hintergründe der Geste sichtbar zu machen. Gefragt wird nach den Bedingungen und Akteuren der Museumsgründungen, nach den Produktionsverhältnissen und Autoren der musealen Erzählung, ihren Vorstellungen, Motiven und Interessen. Mit Konrad Jarausch und Martin Sabrow (2002: 18) lässt sich diese Perspektive explizit auf die Untersuchung der Konstruktion von Meistererzählungen beziehen: „Mit dem Begriff der Meistererzählung verbindet sich die Frage nach den Meistern der Erzählung, nach den Trägern gesellschaftlich akzeptierter Sinnstiftungen: welche Individuen, Gruppen oder Institutionen besitzen zu welchen Zeiten die Hegemonie über die Deutung der Vergangenheit, welche Produktions- und Rezeptionsbedingungen verschaffen ihnen Gehör – oder lassen sie mundtot bleiben?“
Wenn in diesem Sinne die „Meister der Erzählung“ aus der Kulisse des Museums geholt und in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden, so soll dabei explizit nicht von einem monolithischen, statischen Block ausgegangen werden. Die Entwicklung musealer Präsentationen, die Gründung neuer Museen zumal, ist immer ein kollaboratives, vielfach konfliktives Unternehmen. Museale Narrative haben nicht einen, sondern viele Autoren, deren unterschiedliche Stimmen mal lauter, mal leiser sein können, sich teils überlagern und mitunter widersprechen. Die Akteure dieser Aushandlungsprozesse sind weiters eingebunden in größere Konstellationen, die ihren Handlungsspielraum beeinflussen. Museumsmacher sind nicht völlig frei in ihrer Arbeit. Sie müssen die Erwartungen eines heterogenen Publikums und verschiedener Interessengruppen einbeziehen und müssen ihre eigenen Vorstellungen und Intentionen vermitteln mit den baulichen und historischen Implikationen eines gegebenen Gebäudes sowie den Möglichkeiten, Beschränkungen und nicht selten Idiosynkrasien einer Sammlung. Museale Produktionsprozesse sind schließlich – im Gegensatz zum Bild des Museums als Ort der Ordnung – nicht selten bestimmt von allerlei Unwägbarkeiten und einer schwer zu bändigen „messiness“ (Macdonald 1996: 5). Zufälle kommen ins Spiel, manches Vorhaben scheitert und hehre Konzeptionen gehen verwandelt hervor aus der Kollision mit den Realitäten des Sammelns, Gestaltens und Ausstellens.
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In den drei folgenden Fallstudien wird eine möglichst detailgenaue Analyse dieser Prozesse angestrebt. Die Grundlage hierfür bilden zum einen Archivmaterialien in gedruckter und ungedruckter Form, also Konzeptpapiere aus verschiedenen Phasen der Projekte sowie interne Berichte, Protokolle, Notizen und Korrespondenz. Zum zweiten stützt sich die Untersuchung auf insgesamt 19 semistrukturierte, qualitative Interviews mit Beteiligten, acht zu Ellis Island, sieben zu Pier 21 und vier zum Immigration Museum Melbourne.48 Ergänzt werden diese durch Presseberichte und, wo vorhanden, Ausführungen in der Sekundärliteratur. Wenn oben der Anspruch einer Mikroanalyse der Entwicklung der drei Museen formuliert wurde, so muss dieser in Abhängigkeit von der Quellenlage in Teilen eingeschränkt werden. Denn während für das Ellis Island Immigration Museum eine Fülle an Archivmaterial vorhanden und auch zugänglich ist, ist die Situation in Bezug auf die beiden anderen Museen wesentlich schwieriger, was nicht zuletzt der relativen Neuheit der Institutionen geschuldet sein dürfte. Ian McShane (2001: 122) ist mit Blick auf diese Fälle zuzustimmen: „In some ways the museum industry’s recording of its own history leaves much to be desired.“49 Pier 21 verfügt über kein Hausarchiv, so dass die Recherche hier im Wesentlichen nur solche Unterlagen einbeziehen konnte, die mir von Mitarbeitern direkt zur Verfügung gestellt wurden. Im Falle des australischen Einwanderungsmuseums werden relevante Dokumente im Archiv des Mutterhauses Melbourne Museum aufbewahrt. Diese sind jedoch mit Verweis auf vertrauliche persönliche und finanzielle Daten noch auf Jahre hinaus gesperrt, weshalb auch hier nahezu ausschließlich auf halböffentliche Konzeptpapiere zugegriffen werden konnte, dies allerdings in größerem Umfang als für Pier 21. In der Konsequenz stütze ich mich in der Darstellung des Produktionsprozesses dieser beiden Museen stärker auf die Interviews. Nichtsdestotrotz erreicht die Fallstudie zum Ellis Island Immigration Museum aufgrund der besseren Materiallage einen ungleich höheren Grad an Detailschärfe.
Ausstellungen lesen Re-Präsentationen sind nur in Teilen kontrollierbar durch ihre Produzenten. Sie sind nicht bis ins Letzte determiniert von deren Positionen, sondern geprägt von einer Vielzahl weiterer Faktoren, nicht zuletzt den Konventionen und Bedingungen des Genres Ausstellung selbst. Die Poetik musealer Ausstellungen produziert Bedeutungsüberschüsse, die jedes Konzept transformieren und transzendieren. Aus diesem Grund sind Re-Konstruktionen des Entstehungsprozesses eines Mu-
48 Ein Verzeichnis sämtlicher Interviews und der eingesehenen Archivbestände findet sich im Anhang. 49 Eine kurze Skizze der Entwicklung, des Potentials und der Schwierigkeiten von Museumsarchiven (mit besonderem Fokus auf die USA) gibt Fink 2006. 71
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seums und die Deutung seines Gehalts zwei Seiten einer Medaille: nicht zu trennen, doch auch nicht mit demselben Blick zu erfassen. Weder kann vom musealen Produktionsprozess auf das Produkt, noch umgekehrt einfach geschlossen werden (Macdonald 1996: 4f.). Statt der politics legt der zweite Teil jeder Fallstudie das Augenmerk auf die poetics des Museums – die vielfältige Art und Weise wie in dem und durch das Museum Bedeutung konstruiert wird. Erschlossen werden soll dies mithilfe eines close reading der Präsentationen. In der Literaturwissenschaft bezeichnet close reading die sorgfältige, aufs Detail aufmerksame Interpretation einer Textpassage. Die Vorgehensweise legt großen Wert auf das Spezielle, achtet genau auf einzelne Wörter, Syntax und die Reihenfolge, in der sich Wörter und Sätze im Akt des Lesens entfalten. Die Konzentration gilt dabei den werkimmanenten Strukturen und Verbindungen, Fragen nach Autor und Kontext treten demgegenüber in den Hintergrund (Wagner-Egelhaaf 2006).50 Die Anwendung dieser Herangehensweise auf das Museum basiert auf einigen Vorannahmen und Übersetzungen. Zum einen werden museale Präsentationen als Texte begriffen. Wenn hier vom „Text“ des Museums gesprochen wird, so meint dies keineswegs allein den Text im engeren, alltagssprachlichen Sinn, wie er in Objektbeschriftungen oder auf Überblickstafeln erscheint. „Text“ sei hier vielmehr in der Erweiterung verstanden, wie sie etwa von Roland Barthes 50 Anknüpfungspunkte und Überschneidungen in der Herangehensweise ergeben sich dabei sowohl mit Ausstellungsanalysen, die sich im Jargon der Ethnographie als „dichte Beschreibungen“ verstehen (vgl. Offe 2000; Muttenthaler/Wonisch 2006: 49-53), als auch mit solchen, die mit dem Vokabular der Kultursemiotik operieren. Knapp skizziert, geht es in diesen um die Analyse von Signifikationsprozessen, die Erfassung und Interpretation von Zeichen. Zentral ist dabei, wie Roland Barthes bei der Analyse eines Werbespots vermerkt, in jedem kulturell codierten Objekt – und dies können Alltagsgegenstände oder eben Elemente musealer Präsentationen sein – von einer „Architektur der Mitteilungen“ auszugehen, die sich aus verschiedenen Ebenen zusammensetzt. Insbesondere zu unterscheiden sind darin Denotationen, also explizite Bezeichnungen, und Konnotationen, die eher unauffällig ihre Wirkung tun und vom Rezipienten nicht kritisch reflektiert werden. Eine dritte Ebene, Metakommunikation genannt, reflektiert schließlich die Rolle des allgemeinen Museums- bzw. Ausstellungskontextes sowie den Einfluss intentionaler Handlungen auf die Wahrnehmung einer Ausstellung. Die Aufgabe des Semiotikers wäre es nun diese verschiedenen Ebene freizulegen (Scholze 2004: 11-39). Der praktische Mehrwert dieser Methodik, also die tatsächliche Verfeinerung der Analyse durch den Einsatz semiotischer Begrifflichkeiten, muss sich indes erst noch erweisen. Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass das Label „Semiotik“ im Kontext der Museumsforschung inzwischen recht weit gefasst wird. In der Regel wird es generell zur Kennzeichnung von Studien genommen, die auf die Analyse musealer Präsentation fokussieren (also: Ausstellungen „lesen“), ob diese nun explizit mit dem Vokabular der Semiotik arbeiten oder nicht (so etwa Macdonald 1996: 4f.). 72
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oder Clifford Geertz vorgeschlagen wurde, also prinzipiell als ein Gefüge von Zeichen.51 Zum zweiten muss die spezifische Sprache des Museums erfasst werden. Die materiellen und medialen Eigentümlichkeiten der Institution bedingen, dass hier in besonderem Maße vielfältige Formen der „visuellen Rhetorik“ zu reflektieren sind (Korff/Roth 1990: 23; auch Heinisch 1988). Das Museum „spricht“ durch seine Architektur, durch Objekte, durch die Anordnung von Objekten innerhalb von Vitrinen, im Raum, in der Abfolge von Räumen, durch die sich Erzählmuster ergeben. Es spricht durch spezifische Inszenierungen – Licht, Farbe, Formen – und über Texte im engeren Sinn, ihre Zuordnung zu Objekten und Räumen etc. Schließlich gilt es die Eigenheiten des musealen Textes zu reflektieren. Er entfaltet sich als dreidimensionales Gebilde, ist mithin von einem hohen Maß an Gleichzeitigkeit verschiedener Elemente und Medien geprägt, die sich einer linearen Wahrnehmung entziehen, selbst dort wo Laufwege und -richtungen vorgegeben sind. Er ist immobil, also anders als literarische Texte stets und ausschließlich am selben Ort zu lesen. Zugleich ist er seinerseits nur in der Bewegung zu erschließen, erfordert also einen Modus der Rezeption, der den gesamten Körper involviert. Ein Beispiel für das close reading eines Museums liefert Mieke Bal (1996: 9). In ihrer Analyse des American Museum of Natural History in New York City fokussiert sie dabei hauptsächlich auf das Verhältnis von Objekten und ihrer Explikation auf Texttafeln und versucht Widersprüchlichkeiten, Inkongruenzen und unintendierte Konsequenzen zu eruieren. Übernommen wird aus ihrer Herangehensweise der Versuch des genauen Blicks auf das Ausgestellte und das Hinterfragen scheinbar selbstverständlicher Verbindungen, ohne sich zunächst für die „eigentlichen“ Kommunikationsabsichten und intendierten Inhalte der Macher zu interessieren. Verfolgt wird mithin nicht die Frage „Was wollen die Autoren des Museums sagen?“, sondern gleichsam „Was ‚sagt’ das Museum selbst?“. Leitend ist dabei ein „fröhlicher Positivismus“ (Michel Foucault), der sich auf das konzentriert, was zu sehen ist, dessen bedeutungsproduktivem Potential nachspürt und weniger Leerstellen im Verhältnis zu außerhalb der 51 Roland Barthes’ „Mythen des Alltags“ (original: Mythologies, 1957) war wegweisend für die Ausdehnung des Textbegriffs, indem dort so unterschiedliche kulturelle Formen wie Wrestling, Spielzeug, Zeitschriften-Cover oder der Eiffelturm als Texte aufgefasst und gelesen wurden. Clifford Geertz prägte in seiner Essay-Sammlung „The Interpretation of Cultures“ (1973), mit der er die hermeneutisch-interpretative Richtung der (amerikanischen) Kulturanthropologie begründete, die einflussreiche Formel von „Kultur als Text“. Vgl. auch die Ausführungen unter dem Lemma „Text“ in Bennett u.a. (2006: 345ff.), wo vermerkt wird, dass der Begriff sich zu einem „pan-disziplinären Konzept“ entwickelt habe, das jeden kulturellen Untersuchungsgegenstand umfassen könne, einschließlich der gesamten Bandbreite an (visuellen, auditiven und materiellen) Medien, Ritualen, sozialen Aktivitäten, Waren und Räumen. 73
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
spezifischen Re-Präsentation stehenden Texten (etwa der Geschichtsschreibung) nachzuweisen versucht.52 Der Fokus der Betrachtung wird hier jedoch im Vergleich zu Bals Analyse weiter gefasst. Untersucht wird nicht nur das Verhältnis von Objekten und ihren Betextungen, sondern Erscheinungen unterschiedlicher Form und Dimension: von einzelnen Objekten, einzelnen Texten und deren Kombination über Objektensembles und Installationen sowie Raumbilder und, weiter, Raumsequenzen, die nur in der Bewegung zu realisieren sind und sich dabei zu Ausstellungen fügen, bis hin zum Museum als Ganzes, dem Gebäude und der inneren Organisation seiner verschiedenen Sphären. Im Falle des Ellis Island Immigration Museum wird schließlich auch der weitere topographische Kontext einbezogen. Eingeschränkt ist dieser weite Fokus nur insofern, als ich mich auf permanente Präsentationen, also die Dauerausstellung der drei Museen und ihre spezifischen Orte, konzentriere. Wechselausstellungen bleiben damit ebenso außen vor wie museumspädagogische Programme. Das Augenmerk richtet sich in all dem auf „das Zusammenspiel visueller Elemente mit Text und Raum als Voraussetzung für die in der Ausstellung transportierten Narrative“ (Muttenthaler/Wonisch 2006: 51). Von Interesse ist dabei im Anschluss an Tony Bennett (1995: 132) nicht nur, was die Präsentationen bedeuten, sondern auch wie sie bedeuten, auf welche Weise sie Bedeutung konstruieren. Die Frage, wo das close reading anzusetzen hat, woran es sich festmacht, lässt sich indes nicht generell beantworten, sondern hängt maßgeblich von Perspektive und Sensorium des Untersuchenden ab. Ausgewählt werden hier, bewusst offen formuliert, Momente, an denen sich etwas zeigt, an denen sich mir etwas zeigt bzw. an denen ich etwas zeigen kann. Die Lektüre changiert so zwischen der Feststellung bestimmter Elemente der Inszenierung, die signifikant erscheinen, ihrer Verbindung mit Deutungen und Assoziationen, denen eine Ambivalenz zwischen individuell und kollektiv-kulturell eignet, und ihrer Inanspruchnahme als Vorlage für weitergehende Beobachtungen. Sie entfaltet sich in einem Kontinuum zwischen „objektiver“ Gegebenheit, subjektiver Gültigkeit (für mich) und explizit positioniertem Geltend-Machen (durch mich). Dieser Herangehensweise, die mit der Absage an eine „totale“ Lesart einhergeht, einer Vorstellung, dass Museen in toto erfasst und auf den Nenner zu bringen wären, werde ich auch in der Darstellung Rechnung zu tragen versuchen. Entwickelt werden soll die Analyse nicht als festgefügte Argumentation, sondern als lose, prinzipiell auch in anderer Folge lesbare Reihe von Betrachtungen, die sich stets von einzelnen neuralgischen Punkten der Präsentationen ausgehend entfalten. An wenigen
52 Denn Ansätzen, die sich schwerpunktmäßig dem Aufdecken von solcherart „Missrepräsentation“ verschreiben, ließe sich mit Preziosi/Farago (2004: 623) die Gegenfrage stellen: „But then what representation is not a mis-?“ 74
KOORDINATEN DES EINWANDERUNGSMUSEUMS
Stellen werde ich überdies von einer „reinen“ Lektüre abgehen und Erkenntnisse aus der Untersuchung des Produktionsprozesses einfließen lassen.53 Im Konkreten gestaltete sich die Praxis der Untersuchung folgendermaßen: In einem ersten Durchgang wurden die Präsentationen jedes Museums – die eigentlichen Ausstellungen, aber auch andere Facetten wie das Gebäude und sein Umfeld, der Eingangsbereich oder der Museumsshop – einmal vollständig mit hoher Aufmerksamkeit und möglichst offenem Blick durchstreift. In diesem Schritt wurden zum einen der generelle Aufbau und die Struktur des musealen Textes ermittelt, zum anderen signifikante Stellen identifiziert. Signifikanz wurde dabei sowohl solchen Inszenierungen beigemessen, die von sich aus hervortreten, etwa durch besonders prominente Platzierung oder auffällige Gestaltung, als auch solchen die spontan bemerkenswert, vielfach auch unerwartet, im Wortsinne merkwürdig erschienen. Diese Stellen wurden in einem zweiten Schritt einer eingehenderen Analyse unterzogen. Gefragt wurde insbesondere nach Spannungen zwischen expliziten und impliziten Bedeutungen, nach Konnotationen und Assoziationen, nach komplementären und kontradiktorischen Verbindungen zu anderen Teilen der Inszenierung sowie nach ihrer Stellung im und Bedeutung für das Gesamtnarrativ. Abschließend wurden die Präsentationen im Ganzen ein weiteres Mal durchkämmt, um sie auf einige spezifische Punkte zu überprüfen, namentlich die behandelten Zeiträume, Migrantengruppen und Arten der Migration; die Protagonisten und Perspektiven der musealen Erzählung; die Gestaltung des Verhältnis von Kultur der Migranten und Kultur des dominanten Mainstream sowie von Geschichte und Gegenwart der Migration; die Thematisierung schwieriger Aspekte wie Rassismus, Abschottung und gesellschaftliche Konflikte und schließlich den Umgang mit indigener Geschichte. Mit diesem dreischrittigen Verfahren wurde gewährleistet, dass sowohl die Individualitäten der drei Einwanderungsmuseen als auch ihre übergreifende Problematik angemessene Berücksichtung finden. Beobachtungen und Deutungen wurden über den gesamten Verlauf der Untersuchung in einem Feldtagebuch festgehalten und anschließend, unterstützt durch eine umfassende fotografische Dokumentation, ausgewertet. Durchgeführt wurden diese Analysen im Wesentlichen in den Jahren 2005 und 2006. Mein erster Besuch eines Einwanderungsmuseums, des Ellis Island 53 Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass die Untersuchung des musealen Produktionsprozesses einerseits und seines Produkts andererseits hier nicht als Dichotomie erscheinen soll. Vielmehr handelt es sich bei den beiden alternativen Ansätzen vor allem um eine Verlagerung des Blicks. Erkenntnisse des einen Zugangs werden bei der gewählten kombinierten Methodik immer in die Ergebnisse des anderen einfließen. Eine vollständige Trennung ist – nicht zuletzt eingedenk der Tatsache, dass auch der Forscher nur über einen Kopf verfügt – schlechterdings nicht möglich. Dies auch gegen Scholze (2004: 62, Anm. 83), die vorgibt, ihre semiotische Ausstellungsanalyse losgelöst von Informationen zur Geschichte der jeweiligen Museen durchzuführen, diese Hintergrundinformationen zugleich jedoch selbst referiert. 75
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Immigration Museum, datiert vom 14. Oktober 2003, noch vor Entwicklung des Forschungsdesigns, jedoch bereits mit sporadischen Notizen. Weitere vorbereitende Besuche folgten im ersten Halbjahr 2004. Die eigentliche und hauptsächliche Forschung wurde hier von Januar-April 2005 durchgeführt, ergänzt um einen kurzen Aufenthalt zur „Nachuntersuchung“ im August 2006. Die Recherchen am Museum Pier 21 fanden im April 2005 und August 2006 statt, die am Immigration Museum Melbourne im Januar/Februar 2006. Die zeitliche Verortung der Untersuchung ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil Museen, relativ junge zumal, dynamische Organismen sind. Sie wechseln – zum Glück! – von Zeit zu Zeit ihre Gestalt, wandeln ihr Erscheinungsbild, nehmen Neues auf und streifen Altes ab. Und wenngleich hier, wie erwähnt, ausschließlich „permanente“ Präsentationen in den Blick genommen werden, so sind auch diese mitunter Veränderungen unterworfen. Die Ausstellungseinheit „Leavings“ des Immigration Museum Melbourne, die im entsprechenden Kapitel besprochen ist, wurde seither überarbeitet und eine ehemalige Wechselausstellung („Station Pier: gateway to a new life“) zum Bestandteil der ständigen Ausstellung umgewidmet. Diese Neuerungen können ebenso wenig Eingang in die Analyse finden, wie das „Community Exhibition Program“, das Pier 21 zwischenzeitlich gestartet hat, oder die neuen Ausstellungen zur Geschichte des U.S. Public Health Service im Ferry Building auf Ellis Island. Was im Hinblick auf die Re-Präsentation von Migrationsgeschichte von einigen meiner Interview-Partner als größtes anzunehmendes Übel kritisiert wurde, lässt sich im Hinblick auf die Lektüre und resultierende Re-Präsentation der Migrationsmuseen kaum umgehen: die Darstellung des Gegenstands als „frozen moment in time“. Verschiedentlich werde ich versuchen, dieses Bild aufzubrechen und auf vergangene Veränderungen oder zukünftige Planungen verweisen. In manchem wird die Realität gleichwohl dem hier gezeichneten Bild bereits enteilt sein. Im Mittelpunkt der folgenden Fallstudien sollen also die Produktionen und Präsentationen dreier Einwanderungsmuseen stehen. Jegliche Ausführung zu den Ansätzen ihrer Erforschung wäre jedoch unvollständig, wenn nicht auch die dritte Dimension des Mediums Museum reflektiert würde: die Rezeption oder, in aktiverer Formulierung, die Konsumption der produzierten Präsentationen, des musealen Texts. In der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung wie in der Museumsforschung wurde in den letzten Jahren stets die aktive Rolle des Lesers bzw. Besuchers betont. Ein einfaches Sender-Empfänger-Modell, nach dem klar definierte Nachrichten ausgesandt und unverändert aufgenommen werden, ist demnach für das Museum, wie für jede andere Art von Text, untauglich. Auszugehen ist vielmehr von einem dynamischen Prozess, bei dem sich Bedeutung erst im Akt des Lesens entfaltet. Entgegen der Vorstellung, dass die (eine) Bedeutung aus einem gegebenen Text herauszulesen sei, ist jede Lektüre eine Aneignung, die mit Rekontextualisierungen und Umformungen einhergeht (Bennett u.a. 2006: 347). Texte werden dabei von unterschiedlichen Lesern unterschiedlich ak76
KOORDINATEN DES EINWANDERUNGSMUSEUMS
tualisiert. 54 Was für literarische Texte gilt, trifft analog auch für das Museum zu. Museale Präsentationen werden von Besuchern je nach ihrem individuellen und kulturellen Hintergrund, der Situation des Besuches und anderen Faktoren verschieden gedeutet (Annis 1986; Scholze 2004: 24f.; Hooper-Greenhill 2006). Für die folgenden Fallstudien, insbesondere die Passagen zu den jeweiligen Präsentationen, ergeben sich aus diesem Umstand zwei weitreichende Konsequenzen. Zunächst gilt es zu betonen, dass auch die hier verfolgte und vorgestellte Lesart eine kreative Aneignung darstellt. Sie für allgemein gültig zu nehmen oder von ihr auf die Rezeptionen eines größeren, heterogenen Publikums zu schließen, wäre verfehlt. Ich kann und will nicht beanspruchen, zu erhellen, was die Besucher aus den Präsentationen der drei Museen machen. Ein solches Untersuchungsinteresse erforderte einen grundsätzlich anderen Zugang und müsste mit Instrumenten der Besucherforschung operieren, was nicht Teil dieser Studie ist.55
54 So konstatiert Korte (2004: 53): „Wenn literarische Texte als grundsätzlich offen für Bedeutungskonstitutionen gesehen werden, werden die Leser zur eigentlichen bedeutungsstiftenden Instanz. Extrem formuliert: Die Leser werden zum Autor […] Sinnstiftung findet im Akt des Lesens allein statt, wenn auch auf der Basis von Text, die ein ‚Schrift-Steller’ zu Papier gebracht hat.“ Diese Einsicht wird unter Rückgriff auf die Rezeptionsästhetik der Konstanzer Schule von Gottfried Korff (2002c: 173) explizit auf das Museum übertragen. Nach einer Erörterung der Bedeutung räumlicher Objektarrangements als Voraussetzung für Imaginationsvorgänge bemerkt er: „Rezeptionsästhetisch gewendet: Der Betrachter ist Produzent, in der Rezeption der Dingarrangements wird er Sinnproduzent – analog zu Wolfgang Isers ‚Appellstruktur der Texte’.“ Die Übersetzung rezeptionsästhetischer Ansätze für die Museumsforschung ist weiter ausgearbeitet bei Buschmann 2009. 55 Die Gründe hierfür sind dreierlei. Neben meinen spezifischen Forschungsinteressen und -präferenzen sind es forschungspraktische und forschungstheoretische: Externe Besucherbefragungen sind, zum ersten, selbst wenn sie im Rahmen dieser Studie geplant und zu leisten gewesen wären, zumindest im Ellis Island Immigration Museum schlicht nicht möglich. Nach den Bestimmungen des U. S. National Park Service, der das Museum betreut, können sie ausschließlich von diesem selbst durchgeführt oder in Auftrag gegeben werden. Für die beiden anderen Museen wurde die entsprechende Handhabung nicht abgefragt, dürfte aber ebenfalls wenig Spielraum lassen. Unabhängig davon scheint mir, zum zweiten, die Besucherforschung methodisch nicht unproblematisch. Die Mehrzahl der vorliegenden Ansätze und Untersuchungen konzentriert sich neben quantitativen Erhebungen auf die Abfrage von Lerninhalten und zielt auf die Verbesserung der Kommunikation von Museen mit ihren Besuchern ab (vgl. etwa Noschka-Roos 2003). Dies ist jedoch nicht Interesse dieser Arbeit. Als Überblick über Entwicklung und Stand der Besucherforschung vgl. Hooper-Greenhill 2006; Kirchberg 2009. Zu den hier untersuchten Museen liegen Besucherstudien nur zum Immigration Museum Melbourne vor (Horn 2006). Über eine quantitative Evaluation und allgemeine Einschätzungen der Besucherzufriedenheit gehen diese jedoch nicht hinaus. 77
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Wenngleich somit keineswegs repräsentativ, ist meine Lektüre von der Wahrnehmung anderer nicht gänzlich abgekoppelt. Denn sie entfaltet sich im Dialog mit alternativen Interpretationen, wo diese (wie in wissenschaftlichen Abhandlungen oder Presseartikeln) explizit und öffentlich artikuliert sind. Eingedenk des notwendig partikularen und parteilichen Charakters jeder Deutung musealer Präsentationen kommt der Person des Deutenden ein besonderer Stellenwert zu. Es gilt somit, als zweite Konsequenz, meine Position als Autor zu reflektieren. Ohne hier die insbesondere in Cultural Studies-inspirierten Untersuchungen lange Zeit hoch im Kurs stehenden, ritualisierten Bekenntnisformeln zu exerzieren, die George Marcus (1998: 199) als sterile Form der Identitätspolitik kritisiert hat und nach denen ich mich als männlich, weiß, deutsch, heterosexuell, akademisch gebildet, links, Angehöriger der prekarisierten Mittelschicht etc. ausweisen könnte, scheint mir ein Umstand relevant und reflexionsbedürftig. Ich bin kein Migrant. Weder in den Gesellschaften, die hier im Mittelpunkt stehen, noch in dem Land, in dem die Arbeit verfasst und in dessen Sprache sie geschrieben ist. Unmittelbar dürfte sich dies im Hinblick auf die „authentischen“ Orte der Einwandererselektion auswirken, die im Zentrum von zwei der drei Museen stehen. Fraglos ist deren Wahrnehmung eine andere bei Personen, die durch diese eingewandert sind, aber auch bei Migranten, die Erfahrung haben mit vergleichbaren Einrichtungen, wie sie heute und andernorts existieren. Die „Erinnerungsveranlassungsleistung“ (Korff 2002a: 143) der Orte wird sich für diese in anderem Maße und auf andere Weise entfalten, und was für die Orte gilt, wird auch die weiteren Museumsdinge betreffen, Objekte, Texte, Bilder. Ich werfe dagegen einen Blick von der Warte der Mehrheitsgesellschaft auf RePräsentationen der Migration. Wie sich diese Positioniertheit im Einzelnen niederschlägt, wie sie die Deutung und Darstellung färbt, liegt jenseits meines Urteilsvermögens. Es bleibt nur festzuhalten, dass – wie das Museum kein Spiegel der Wirklichkeit ist – auch die folgenden Fallstudien die drei Museen nicht wirklich abbilden. Es sind spezifische Re-Präsentationen musealer Re-Präsentation.
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Amerikanische Ansichten: Das Ellis Island Immigration Museum
„The whole of the world is represented on Ellis Island.“ (C.L.R. James, Mariners, Renegades and Castaways) Das Ellis Island Immigration Museum ist vieles zugleich. Es ist das größte und bekannteste Migrationsmuseum der Welt und Vorbild für zahlreiche Projekte weltweit. Es ist Teil des Weltkulturerbes und zugleich ein Nationalmuseum amerikanischer Einwanderung. Mit knapp zwei Millionen Besuchern im Jahr ist es eines der beliebtesten Touristenziele New Yorks, für manche jedoch nur Anhängsel zur Freiheitsstatue in unmittelbarer Nachbarschaft. Es ist ein Pilger- und Erinnerungsort, ein Schmuckstück inmitten von Ruinen, eine Quelle der Inspiration, ein Sedativ. Doch – Moment – das geht zu schnell. Die Stimmen überschlagen sich und dabei soll hier Ordnung geschaffen werden und Klarheit. Deshalb nun Schritt für Schritt in medias res. Im Folgenden werde ich zum einen die Produktion des Museums zwischen 1982 und der Eröffnung im September 1990 analysieren. Gezeigt werden wird, dass im Rahmen des Projekts eine Vielzahl von Akteuren mit teils konträren geschichtspolitischen Motivationen und Intentionen aufeinander trafen. Eine patriotisch glorifizierende Sicht von Einwanderungsgeschichte stand dabei – knapp gefasst – gegen eine kritische Geschichtsschreibung in der Tradition der New Social History. Die Aushandlungen zwischen diesen Positionen zeitigten für verschiedene Dimensionen des Projekts unterschiedliche Ergebnisse. In einem zweiten Schritt werde ich das Ellis Island Immigration Museum einem close reading unterziehen. Seine Präsentationen deute ich dabei als Inszenierung einer Meistererzählung der amerikanischen Einwanderernation. Zunächst beginne ich jedoch mit einer knappen Beschreibung der Geschichte des Ortes Ellis Island als Vorgeschichte und zentraler Referenzpunkt des Ellis Island Immigration Museum. 79
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Abb. 1: Das Ellis Island Immigration Museum vor Manhattan, New York
Vorgeschichte des Ellis Island Immigration Museum Im Anfang war der Ort: Ellis Island. An diesem Ort, der kleinen Insel im Hafen von New York mit ihrer großen immigration station, kristallisierten sich die Diskussionen um und die Planungen für ein amerikanisches Einwanderungsmuseum seit den 1950er Jahren. Weil die Entwicklungen damit immer schon ihren Fixpunkt hatten, lohnt ein kurzer Blick auf die Geschichte Ellis Islands, um dann im Folgenden zu rekonstruieren, wie die Verwandlung von site zu sight, vom historischen Schauplatz zum gegenwärtigen Schau-Platz vonstatten ging.
Ellis Island aktiv (1892-1954) Am 1. Januar 1892 eröffnete das amerikanische Bureau of Immigration auf Ellis Island eine Einwanderer-Kontrollstation für Schiffspassagiere der Dritten Klasse.1 Die Einrichtung war beschlossen worden, nachdem die Bundesregierung in Reaktion auf die verstärkte Einwanderung seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Zuständigkeit für Zulassung und Abweisung von Immigranten von den Bundesstaaten übernommen und die Bestimmungen verschärft hatte (Reimers 1998). Die seit 1855 vom Staat New York unterhaltene Station Castle Garden an der Südspitze Manhattans wurde für unzureichend befunden. Bei der Suche nach Alter1
80
Der Name „Ellis Island“ leitet sich von Samuel Ellis her, einem New Yorker Kaufmann, zu dessen Besitz die Insel im 18. Jahrhundert gehörte (Moreno 2004: 72).
ELLIS ISLAND IMMIGRATION MUSEUM
nativen fiel die Wahl der günstigen Lage und Verfügbarkeit wegen auf Ellis Island. Die Insel, die bis dahin eine wechselvolle, aber stets unscheinbare Geschichte als traditioneller Fischplatz und privater Park, als Teil des New Yorker Festungssystems und Munitionsdepot hinter sich hatte, rückte damit schlagartig in den Mittelpunkt der großen Migrationen, die zwischen 1892 und 1924 über 20 Millionen Menschen vornehmlich aus Süd- und Osteuropa in die USA bringen sollten (Moreno 2004). Die ersten Gebäude der Kontrollstation brannten bereits 1897 vollständig nieder, und im Jahr 1900 wurde das neue Hauptgebäude eröffnet, ein imposanter Beaux-Arts-Bau aus roten Ziegeln mit hellen Kalkstein-Dekorationen und vier filigranen Türmen. Über die Jahre wurden hier, wo heute das Museum untergebracht ist, mehr als 12 Millionen Einwanderer in einer normalerweise vier bis fünf Stunden dauernden Prozedur kontrolliert und abgefertigt. Mit der wachsenden Zahl der Einwanderungswilligen – der Höhepunkt wurde 1907 mit über 1,1 Millionen Einwanderern pro Jahr erreicht – wuchs auch die Insel. Durch Aufschütten von Landmasse wurde sie sukzessive von 1,3 Hektar auf über elf Hektar vergrößert, wobei sich schließlich zwei durch einen kleinen Fährhafen getrennte Teile ergaben. Zahlreiche neue Gebäude, insbesondere zur Unterbringung von kranken und zeitweilig internierten Immigranten, entstanden. Nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg wurde die Insel dem Kriegsministerium unterstellt und zur Internierung von enemy aliens sowie als Zwischenstation für auslaufende Soldaten und zur Behandlung Kriegsversehrter genutzt. Nach dem Ende des Krieges wurde sie zwar wieder dem Bureau of Immigration übergeben, doch aufgrund veränderter Kontrollprozeduren und einer restriktiveren Einwanderungspolitik blieben die Zahlen, die während des Krieges stark gefallen waren, relativ gering. Mit dem Quota Law von 1921 und schließlich dem Immigration Act von 1924 endete die Ära der Massenmigration in die USA. Anträge auf Einwanderung wurden von nun an in US Konsulaten bearbeitet, und die wenigen, die Visa erhielten, wurden bei ihrer Einreise an Bord ihrer Schiffe untersucht. Nach Ellis Island kamen nur noch diejenigen Immigranten, die die Untersuchung nicht bestanden bzw. medizinisch behandelt werden mussten, und die Insel wandelte sich von einer Einrichtung der bürokratischen Kontrolle zu einem Internierungs- und Abschiebelager für illegale und politisch unerwünschte Einwanderer, vor allem Kommunisten und Anarchisten. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Ellis Island wiederum von der amerikanischen Armee genutzt. Die Einrichtungen dienten als Stützpunkt der Küstenwache, als Hospital für verwundete Veteranen und abermals zur Internierung von enemy aliens. Die Anzahl der Internierten stieg dabei von durchschnittlich 236 pro Tag im Jahr 1940 auf über 800 in den Jahren 1943-44. Auch als nach dem Krieg die Zahl der Einwanderer in die USA insgesamt wieder anstieg, kamen nur wenige davon durch Ellis Island. Der letzte Aktivitätsschub auf der Insel resultierte vielmehr aus der Verabschiedung des Internal Security Act von 1950 81
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
und der folgenden Internierung und Abschiebung von einwanderungswilligen Mitgliedern faschistischer und kommunistischer Organisationen. Im März 1951 wurde das Krankenhaus auf Ellis Island wegen seines veralteten Zustands und Unterbelegung aufgegeben. Als 1952 im Kongress eine Liberalisierung der Internierungspolitik beschlossen wurde, verloren auch die verbleibenden Einrichtungen ihre Funktion. Die letzten Internierten wurden auf Bewährung entlassen, Küstenwache und Immigrationsbehörde räumten ihre Gebäude, und im November 1954 wurden sämtliche Einrichtungen auf Ellis Island offiziell geschlossen (Blumberg 1985: 4-7; Bolino 1990: 46ff.; Moreno 2004: xi-xix).
Latenzzeit (1954-1982) Eine neue Nutzung war nicht vorbereitet, die Insel wurde zunächst sich selbst überlassen. Wind und Wetter forderten ihren Tribut, Plünderer besorgten den Rest. Die 34 verbliebenen Gebäude verfielen rasch. Es entstand ein „interval of neglect“, das sich mit J. B. Jackson (1980: 102) als notwendige Bedingung für die spätere Wiederentdeckung als Museum fassen lässt: „[R]uins provide the incentive for restoration, and for a return to origins. There has to be […] an interim of death or rejection before there can be renewal and reform. The old order has to die before there can be a born-again landscape.“ Diese Zwischenphase des Verfalls – und erst recht die spätere „Auferstehung“ – war Mitte der 1950er Jahre jedoch keineswegs vorgezeichnet. Denn wenn auf Ellis Island nun auch Ruhe herrschte, wurde es um Ellis Island nie ganz still. Die Suche nach einer neuen Nutzung für die Insel lief noch 1955 an, gestaltete sich allerdings höchst kompliziert und langwierig. Nachdem sich keine Bundesbehörde für die Liegenschaft interessiert hatte, wurden die benachbarten Staaten und ausgewählte Non-Profit-Organisationen angefragt. Aus New York kamen Vorschläge für ein Senioren- und Obdachlosenheim oder eine Klinik für Alkoholkranke. Politiker aus New Jersey, zu dessen Gebiet der größte Teil der Insel gehört, machten sich für ein Naherholungsgebiet stark und formulierten erstmals Ideen für ein „ethnisches Museum“ zum Gedenken an die Millionen von Einwanderern (Blumberg 1985: 95f.). Im Wesentlichen aus finanziellen Erwägungen wurden sämtliche Entwürfe der öffentlichen Hand jedoch verworfen, und im September 1956 wurde Ellis Island zum Verkauf an private Interessenten ausgeschrieben. Die Annonce pries die Insel als geeigneten Standort für die Lagerung von Öltanks, für Lagerhäuser oder Produktionsstätten aller Art. Die unmittelbare Folge waren öffentliche Proteste von ehemaligen Ellis Island-Immigranten sowie von Politikern aus New York und New Jersey. Bereits nach wenigen Tagen verfügte Präsident Eisenhower einen Stop der Verkaufspläne und die Ausdehnung der Suche nach einer öffentlichen Nutzung. Doch auch dieses Mal ließen sich keine praktikablen Konzepte finden. Alle Überlegungen für ein Museum trafen auf erheblichen Wider82
ELLIS ISLAND IMMIGRATION MUSEUM
stand von Befürwortern eines American Museum of Immigration in der benachbarten Freiheitsstatue – ein Konflikt, der sich bis in die 1990er Jahre hinziehen sollte. In den folgenden Jahren wurden verschiedene Alternativen erwogen, von der Einrichtung einer Universität, eines Frauengefängnisses oder Apartmentkomplexes bis hin zur Umgestaltung zu einer futuristischen neuen Stadt nach einem Design von Frank Lloyd Wright. Wirkliche Bewegung kam jedoch erst wieder in die Angelegenheit, als sich ab 1962 ein Unterkomitee des Kongresses in Washington der Sache annahm. Zunehmend in den Mittelpunkt rückte dabei der Vorschlag, Ellis Island dem National Park Service (NPS), einer nachgeordneten Behörde des Innenministeriums, zu unterstellen und die Insel damit in das weitläufige System amerikanischer Nationalparks und national monuments einzugliedern. Die Position des NPS war zunächst ablehnend: „[Ellis Island] does not possess the scenic or scientific attributes that would justify Federal operation as a National Park, Monument or Recreation Area. […] In these circumstances, we believe that Federal operation or development of the island for memorialization or national monument purposes would not be in the public interest.“ (zit. n. Blumberg 1985: 100)
Hintergrund dieser negativen Einschätzung war nicht zuletzt das Engagement des NPS für das geplante American Museum of Immigration und die Bedenken, dass damit in unmittelbarer Nachbarschaft zwei Museen der Einwanderung entstehen könnten, die noch dazu beide vom Park Service unterhalten werden sollten.2 Auf Drängen des Kongress-Komitees revidierte der NPS jedoch im folgenden Jahr seine Position und erklärte: „Ellis Island has been as important in fact as Plymouth Rock has become in fancy for the descendants of those who came in the first colonization wave“ (zit. n. Blumberg 1985: 101). Die Übernahme wurde nun ausdrücklich befürwortet, um die historische Signifikanz des Ortes herauszustellen und seine angemessene Erhaltung zu gewährleisten. Im Verhältnis zum American Museum of Immigration wurde ein Kompromiss angestrebt, wonach in der Freiheitsstatue die allgemeine Geschichte der Einwanderung präsentiert werden solle mit Ellis Island als authentischer Vertiefung. Entsprechend erklärte Präsident Lyndon B. Johnson Ellis Island am 11. Mai 1965 zum national monument und verfügte die Angliederung an das Statue of Liberty National Monument unter der Zuständigkeit des National Park Service. Nur drei Monate später bewilligte der Kongress 6 Millionen Dollar zur Ausgestaltung des neuen Nationaldenkmals (Blumberg 1985: 95-104; Bolino 1990: 131-137). 2
Die Freiheitsstatue, Standort des geplanten American Museum of Immigration, war bereits 1924 zum Nationaldenkmal erklärt und 1933 dem National Park Service unterstellt worden (Moreno 2000: 65, 171f.). 83
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Ein Ende der Ruinenzeit auf Ellis Island war damit noch lange nicht erreicht. Grund dafür war einerseits Uneinigkeit über die angemessene Form der Gestaltung der Insel, die in einer Reihe alternativer Konzepte zum Ausdruck kam. Letztlich scheiterte eine Realisierung jedoch in allen Fällen an mangelnder Finanzierung. Der erste Vorschlag wurde im Auftrag des Innenministeriums vom New Yorker Stararchitekten Philip Johnson entwickelt. Der Plan sah vor, den ruinösen Zustand der Gebäude ins Positive zu wenden, also nicht zu restaurieren, sondern die Hauptgebäude auf dem nördlichen Teil der Insel als Ruinen zu erhalten. Von Weinranken, Pappeln und anderen Pflanzen überwachsen, sollten sie ein romantisches und nostalgisches Ensemble für kontemplative, sentimentalische Spaziergänge bilden. Die Gebäude auf dem Südteil, insbesondere das ehemalige Hospital, sollten komplett abgerissen und durch ein Picknick- und Festivalgelände ersetzt werden. Eine knapp 40 Meter hohe, kreisförmige „Wall of 16 Million“ mit den Namen aller Ellis Island-Einwanderer sollte als zentrales Denkmal fungieren. Das Konzept wurde in der Presse nahezu einhellig als „romanticism run riot“ (zit n. Blumberg 1985: 109) und – unter anderem mit Rekurs auf die Berliner Mauer (NYT 26.2.1966: 16) – als völlig verunglückte Symbolisierung abgelehnt. Nach kurzer Zeit wurde es aufgrund zu hoher Kosten ad acta gelegt. Der erste Master Plan des NPS von 1968 zielte in eine ähnliche Richtung: Sämtliche Gebäude mit Ausnahme des Hauptgebäudes seien abzureißen, weil ihr historischer Wert in keinem Verhältnis zu den Kosten für ihre Erhaltung stünde. Der Großteil der Insel sei zu einem Park umzugestalten, um neben einer Ausstellung zur Geschichte der immigration station vor allem Platz für die Präsentation von Kunsthandwerk, für Festivals und andere kulturelle Aktivitäten ethnischer Gruppen zu bieten. Manchen im NPS ging die Zerstörung eines Großteils der gebauten Geschichte auf der Insel zu weit, andere, wie der ehemalige Direktor Conrad L. Wirth, favorisierten dagegen noch radikalere Lösungen: „Ellis Island could be cleared of all its present developments, be restored to its primitive condition and used by school classes and adult study groups. A day’s visit to this restored natural area could be part of the schools’ natural history program. This might be the only experience some people would have to better understand our natural environment.“ (NYT 27.3.1966: 201)
Auch diese Vorschläge, Festivalisierung ebenso wie Biotopisierung, erhielten Zuspruch und Gegenrede – und verschwanden nach einiger Zeit wegen Unterfinanzierung in den Schubladen. Im Frühjahr 1970 versuchte eine Gruppe Native Americans erfolglos die Insel zu besetzen, wo sie ein „living center of Indian culture“ etablieren wollten. Wenige Monate später gelang einer Gruppe von African Americans die Besetzung. Ihr Vorhaben, ein Selbsthilfe-Zentrum für Drogenabhängige und ehemalige Häftlinge aufzubauen, wurde vom NPS zunächst positiv betrachtet, scheiterte nach kurzer Zeit allerdings an Finanzierungsproblemen und 84
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geringem Interesse der Zielgruppe. Nach neuerlichen Überlegungen, Ellis Island an Privatpersonen oder Firmen zur kommerziellen Nutzung zu verkaufen, und neuerlichen Protesten dagegen entwickelte sich erst im Hinblick auf die Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1976 eine neue, nun partiell erfolgreiche Initiative. Unter Federführung des Präsidenten der Fairleigh Dickinson Universität in New Jersey, Peter Sammartino, gründete sich im April 1975 das Restore Ellis Island Committee (später umbenannt in Ellis Island Restoration Commission) aus interessierten Geschäftsleuten, Wissenschaftlern und Vertretern verschiedener ethnischer Organisationen. Durch intensives Lobbying gelang es dem Komitee, 1,5 Millionen Dollar vom Kongress zu erhalten. Das mittelfristige Konzept sah – ungeachtet des Namens der Organisation – ebenfalls den Abriss von 90% der Gebäude auf Ellis Island und die Gestaltung eines Parks vor. Kurzfristiges Ziel war jedoch die begrenzte Öffnung der ehemaligen Kontrollstation für das Publikum, und nach rudimentären Reparaturen wurde dies im Mai 1976 erreicht (Blumberg 1985: 108-123; Bolino 1990: 137-144). Damit begann im Sommer 1976 Ellis Islands „second life as display“ (Dicks 2003: 136; siehe auch Kirshenblatt-Gimblett 1998a: 150).3 Bis 1984 brachte eine Fähre zwischen Mai und Oktober mehrmals täglich Touristen von der Freiheitsstatue oder von Manhattan auf die Insel, jährlich zwischen 45.000 und 70.000 Besucher. Dort konnten sie auf festgelegten Wegen in Gruppen durch die Ruinen spazieren und die „institutional ghost town“, zu der die Kontrollstation geworden war, erkunden (Frisch/Pitcaithley 1987: 161; vgl. auch The New Yorker 11.7.1977: 20f.). Ein Park Ranger versuchte dazu, auf lebhafte Weise die Geschichte und Atmosphäre Ellis Islands erzählerisch auferstehen zu lassen. 3
Dieses „life as display“ war jedoch nicht gänzlich neu für Ellis Island, denn kurioserweise hatte die Kontrollstation schon in ihrer aktiven Zeit ein parallele Existenz als Ausstellung. Ganz im Zeichen der Faszination für das Fremde und Exotische sowie für die sozialen Umwälzungen der Zeit empfahlen New Yorker Reiseführer in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen Ausflug zu der Insel. So vermerkte ein Buch von 1903 etwa (zwischen Beschreibungen des Aquariums und Vanderbilt’s Tomb): „Ellis Island – The landing place of all immigrants at the Port of New York. Out in the Upper Bay. Steamboat from the Battery. A vastly interesting picture of foreign peoples, the peasantry of Europe“ (Childe 1903: 22f.). Im Jahr 1912 ließ die Verwaltung der Station einen offiziellen „Visitors’ Guide to Ellis Island“ erstellen, der bereits im folgenden Jahr in erweiterter Form neu aufgelegt wurde und Besucher auf die interessantesten Merkmale Ellis Islands hinwies (Unrau 1984: 269, 545f.). Ihren Reiz hatte die Insel dabei als Ort eines „inversen Tourismus“: Interessierte mussten nicht in fremde Länder reisen, sondern diese kamen hier in Gestalt der Migranten gleichsam zu ihnen. Auf sehr spezielle Weise erfüllte Ellis Island so lange vor seiner Umwidmung ein zentrales Prinzip des Museums – das Nahe-Bringen der Ferne, „bringing ‚there’ here“ (Dicks 2003: 3ff.). 85
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Nicht nur aufgrund der inhärenten Grenzen dieser dramatischen Aufbereitung, sondern auch in Reaktion auf die angeblichen Erwartungen der Besucher seien diese Führungen, wie Frisch/Pitcaithley (1987: 164) resümieren, in der Regel in einem affirmativen Rahmen geblieben. Eine kritische Betrachtung der Kontrollstation oder der U.S.-Einwanderungspolitik im Allgemeinen blieb außen vor, was allerdings ganz im Sinne des Initiators Sammartino gewesen sein dürfte. Dieser hatte bereits bei den Feierlichkeiten zur Öffnung im Mai 1976 eine patriotische Lesart in den Vordergrund gerückt: „It is on this Island that we can pause and think dispassionately of how fortunate we are. Yes, we have problems, we have inequities, and who hasn’t? But when all is said and done, we must rejoice in the fact that we are the most favored of any land in the history of civilization. […] And if we have now become too soft, too demanding, too wasteful, perhaps this Island can be a reminder that we must be thankful for what we have.“ (zit. n. Bolino 1990: 145f.)
Als Konsequenz aus den positiven Erfahrungen mit den Führungen und aufgrund eines Wandels seiner Restaurierungsphilosophie legte der NPS 1980 ein neues Konzept für Ellis Island vor, in dem nun erstmals die grundsätzliche Abkehr vom Abriss historischer Bauten als bevorzugte Alternative formuliert wurde. Gemäß diesem Plan sollten Haupt- und angrenzende Gebäude auf der Nordseite erhalten, im Innern aufwendig renoviert und für Ausstellungen nutzbar gemacht werden. Die Gebäude auf der Südseite sollten lediglich stabilisiert bzw. zur späteren Behandlung im bestehenden Zustand belassen werden (Blumberg 1985: 129-135; Bolino 1990: 145-150; NPS 2003: 103-109). Wenn auf diese Weise seit Mitte der 1970er Jahre etwas Leben in die Ruinenlandschaft auf Ellis Island gekommen war, so war eine dauerhafte Lösung noch immer nicht in Sicht. Die acht Millionen Dollar, die zwischen 1978 und 1982 vom Kongress bereitgestellt wurden, machten gewisse Reparaturen und Stabilisierungsarbeiten möglich. Doch fielen diese so gering aus, dass sie für Besucher kaum sichtbar waren und auch den Verfall nicht stoppen konnten. Was ein NPSBericht von 1978 festhielt, traf auch noch Anfang der achtziger Jahre zu: „[L]ittle interest and even less money has relegated the site into a second-class member of the National Park System“ (zit. n. Blumberg 1985: 131). Und diese Zweitklassigkeit galt auch im Hinblick auf das öffentliche Interesse. Denn trotz der begrenzten Öffnung für Touristen, trotz der sporadischen Medienberichterstattung und der periodisch auflodernden Debatten um das Schicksal der Insel spielte Ellis Island weder im Bewusstsein der Stadt, noch der Nation eine bedeutende Rolle. Der NPS-Historiker F. Ross Holland (1993: 251) kam zu dem Schluss, dass überhaupt nur wenige Amerikaner zu dieser Zeit mit dem Namen Ellis Island etwas verbanden. Dies änderte sich ab 1982 – und damit endet die Vorgeschichte, und es beginnt die Geschichte des Ellis Island Immigration Museum-Projekts. 86
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Die Produktion des Ellis Island Immigration Museum Die Diskussionen um Ellis Island seit 1954 können gesehen werden als „fine example of America’s changing sense of what we should historically commemorate and how“ (Frisch/Pitcaithley 1987: 157). Mit der Öffnung für das historisch interessierte Publikum 1976 und spätestens seit Beginn der achtziger Jahre war klar, dass die Insel musealisert werden würde. Eine Entscheidung über das what war somit gefallen, die nicht minder komplizierte Frage des how musste in den kommenden Jahren verhandelt werden. Im Folgenden werde ich versuchen, diesen Prozess zu re-konstruieren. Zur Orientierung und gleichsam als Folie werde ich dazu zunächst einen chronologischen Überblick über die acht Jahre dauernde Entwicklung des Museums bis zur Eröffnung im September 1990 geben sowie die entscheidenden Akteure und Akteursgruppen vorstellen, um dann im Weiteren an einigen zentralen Stellen analytisch in die Tiefe zu gehen. Namentlich werde ich die Produktion des Ortes, der Ausstellungen und des Images von Ellis Island in den Blick nehmen. Ich werde dabei im Anschluss an Desforges/Maddern (2004) und Maddern (2004a, b) argumentieren, dass im Ellis Island Immigration Museum-Projekt Akteure mit verschiedenen, teils widerstreitenden ideologischen Vorstellungen und Interessen aufeinander trafen und dass sich diese in verschiedenen Aspekten des Projekts in unterschiedlichem Maß durchsetzten. Insbesondere wird – entgegen der Auffassungen von einer konservativen oder kommerziellen Steuerung des Projekts (Kirshenblatt-Gimblett 1998a: 177-187) – zu zeigen sein, dass in der konkreten Realisierung des Museums Positionen einer kritischen Sozialgeschichte und der New Museology bestimmend wurden.
Überblick: Chronologie, Akteure, Kontext Der letztlich entscheidende Grund, warum auf Ellis Island seit den sechziger Jahren keines der Konzepte für eine dauerhafte öffentliche Nutzung realisiert worden war, lag in der mangelnden Finanzierung für ein Vorhaben dieser Größe und Komplexität. Im Zusammenhang mit zwei Entwicklungen Anfang der achtziger Jahre veränderten sich die Rahmenbedingungen hier grundlegend. Statt der öffentlichen wurde nun eine private Finanzierung angestrebt und dies mit ungleich größerem Erfolg. Der erste Schritt war eine Ergänzung des National Historic Preservation Acts im Jahr 1980.4 Von nun an war es dem NPS erlaubt, historische Gebäude zu vermieten und den Erlös direkt für Restaurierungsmaßnahmen zu verwenden, statt wie zuvor in den allgemeinen Staatshaushalt abzuführen. Bei der Größe, 4
Zur Entwicklung des National Historic Preservation Acts und der Geschichte des Denkmalschutzes in den USA allgemein vgl. Dickey 2005. 87
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Vielzahl und Lage der Gebäude auf Ellis Island boten sich hier lukrative Möglichkeiten (Johnson 1984: 158; Holland 1993: 143ff.). Für die Produktion des Ellis Island Immigration Museum maßgeblicher wurden jedoch die Vorbereitungen zum 100-jährigen Jubiläum der Freiheitsstatue im Jahr 1986. Diese Feierlichkeiten waren nicht zuletzt als Kontrast und Komplementär zu den Feiern um das 200-jährige Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeit im Jahr 1976 gedacht. Während darin die koloniale Geschichte der USA und die Nachkommen der ältesten amerikanischen Familien im Mittelpunkt standen, sollten nun auch die Generationen der späteren Einwanderer ihren Feiertag und ihre Würdigung erhalten. Planungen für das Ereignis hatte es im NPS bereits seit 1977 gegeben, doch nahmen diese erst ab 1980 Form an, als sich mehrere Geschäftsleute und Organisationen unabhängig voneinander anboten, das private Fundraising für die Restaurierung des nationalen Wahrzeichens und die Jubiläumsfeierlichkeiten zu übernehmen.5 Um diese Unternehmungen zu koordinieren, drängte der NPS auf die Einrichtung einer Dachorganisation, deren Zuständigkeit auf das benachbarte Ellis Island ausgedehnt wurde. Am 17. Mai 1982 verkündete US Präsident Ronald Reagan die Gründung der Statue of Liberty-Ellis Island Centennial Commission aus 21 renommierten Vertretern aus Wirtschaft, Medien und Kultur und gab damit gleichsam den Startschuss für das Projekt. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der Vorstandsvorsitzende von Chrysler, Lee A. Iacocca, bestimmt. Als Sohn italienischer Einwanderer verkörperte er mit seinem Aufstieg vom einfachen Autohändler zum Chef des amerikanischsten aller Autokonzerne geradezu idealtypisch das Bild des amerikanischen Selfmademan und die „unbegrenzten Möglichkeiten“ des Einwanderungslandes USA. Über die Werbeanzeigen Chryslers war er zudem einem breiten amerikanischen Publikum bekannt und fungierte so in der Folge auch als das „Gesicht“ der Fundraising-Kampagne für die Freiheitsstatue und Ellis Island. Als „working arm“ der Centennial Commission wurde die Statue of Liberty-Ellis Island Foundation (SL-EIF) gegründet, die im September 1982 ihre Arbeit aufnahm (Holland 1993: 10-12, 17). In einer beispiellosen Kampagne sammelte sie bis 1990 über 300 Millionen Dollar von Unternehmen, ethnischen und anderen Organisationen sowie reichen und weniger reichen Privatpersonen.
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Hintergrund dieses regen Interesses war, dass das Fundraising für öffentliche Zwecke in den USA durchaus ein lukratives Geschäft sein kann. Maßstäbe setzte in dieser Hinsicht die zeitgleich stattfindende Kampagne zur Finanzierung der Olympischen Spiele in Los Angeles 1984, die einen Überschuss von knapp 250 Millionen Dollar erwirtschaftete und so weithin den Wunsch nach Übernahme der Spendensammlung für vergleichbare Großprojekten entfachte. Vorbilder für die Kooperation des privaten und öffentlichen Sektors in historischen Projekten erwähnt Kammen (1991: 455-458, 615f.). Zur Tradition der Verbindung von Patriotismus und Business in amerikanischen Centennials vgl. McDonald/Méthot 2006.
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162 Millionen davon flossen in das Ellis Island Immigration Museum, und das Projekt wurde damit ganz ohne den Einsatz öffentlicher Mittel realisiert (Holland 1993: 78-99).6 Die veränderte Finanzierungslage antizipierend, veröffentlichte der National Park Service im September 1982 einen neuen General Management Plan, der sich in geradezu enthusiastischer Weise als „much more extensive and ambitious“ von den Konzepten der Vergangenheit absetzte. Nun sollten alle historischen Gebäude erhalten und genutzt werden: „[T]he National Park Service has determined that a strategy of cooperative management with private enterprise is an effective way of ensuring full preservation and use of the historic complex on Ellis Island.“ (NPS 1982a: 7) Zu diesem Zweck wurde die Insel in eine „Preservation/Interpretation Subzone“ und eine „Adaptive Use Subzone“ aufgeteilt, erstere für Ausstellungen und historische Dokumentation, letztere zur Vermietung. Die Restaurierung des Hauptgebäudes sollte 1986 abgeschlossen sein, die aller anderen Gebäude zur 100-Jahr-Feier 1992. Die Vergabe der Nutzungsrechte für die „Adaptive Use Zone“, im Wesentlichen den ehemaligen Krankenhauskomplex auf der Südseite der Insel, war in der Folge stark umkämpft. Den Zuschlag erhielt zunächst ein Plan zur Einrichtung eines Konferenzzentrums mit Hotel, der auf Intervention von Lee Iacocca jedoch gestoppt wurde. Als Alternative lancierte dieser ein Konzept des Architekten John Burgee, das er mit Rekurs auf die Living History-Stadt Colonial Williamsburg als „ethnic Williamsburg“ bezeichnete. Die Auseinandersetzung zog sich mehrere Jahre hin, wobei sich die Kontrahenten gegenseitig der Kommerzialisierung Ellis Islands ziehen, und versandete schließlich ergebnislos. Die Gebäude verfielen weiter (Burgee 1982; NYT 25.8.1984: 23; Holland 1993: 144-150, 205ff.). Die museale Nutzung der Gebäude auf dem Nordteil der Insel, insbesondere des ehemaligen Hauptgebäudes der Kontrollstation, war zwar weitgehend unumstritten, doch auch hier verzögerten sich die Arbeiten erheblich. Zum Zeitpunkt der geplanten Fertigstellung im Frühjahr 1986 konnten die Restaurierungsarbeiten gerade erst beginnen. Unvorhergesehene Schwierigkeiten und Konflikte über das Vorgehen behinderten den Fortgang weiter, und so dauerte es bis Ende 1989, bis die Arbeiten abgeschlossen werden konnten (Holland 1993: 121). Die Entwicklung des Ausstellungskonzepts verlief reibungsloser. Auf der Grundlage der Analysis of Alternatives von 1980 entwickelte der NPS 1982 einen Interpretive Prospectus, in dem die Grundprinzipien einer historischen Präsentation niedergelegt und eine kurzfristige Umsetzung vorgeschlagen wurden, die 6
Die Stiftung setzte auch nach Eröffnung des Museums ihre Aktivitäten fort. Bis 2001 erwirtschaftete sie Spenden von über 500 Millionen USD (Moreno 2004: 223). 2004 rückte die Organisation nochmals in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit, als Kritik an überhöhten Gehältern ihrer Manager und der undurchsichtigen Verwendung von Spendengeldern laut wurde (Rand 2005: 153-156). 89
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sich stark an das seit 1976 praktizierte Modell anlehnte: „The intimate and emotional nature of the story and the deteriorating condition of the building suggest that personal services, in the form of guided tours, are the ideal mode of interpretation. The goal is to let the building speak for itself with a minimum of modern intrusion“ (NPS 1982b: 4). Vier Themen sollten dabei gemeinsam abgedeckt werden: in erster Linie die „Immigrant Experience“ auf Ellis Island, weiterhin aber auch Einwanderung nach Amerika allgemein, die amerikanische Einwanderungspolitik und die bauliche Entwicklung Ellis Islands. Mit der Veränderung des Planungsumfelds und der Aussicht auf größere Mittel wurde die Art der Präsentation im Jahr darauf überdacht und nun ein offensiverer Ansatz favorisiert, der stärker auf neugestaltete Ausstellungen setzte. Das Themenspektrum blieb dabei im Wesentlichen dasselbe, wurde nun aber in zwei separate Blöcke ausdifferenziert: „The Ellis Island Story“ und „Immigration to America“ (NPS 1983). Im Mai 1983 versammelte sich auf Einladung des NPS eine Gruppe renommierter Migrationshistoriker und diskutierte die bisherige Konzeption. Nachhaltigstes Ergebnis war die Berufung des History Committee, eines Historischen Beirats, der von nun an alle weiteren Schritte kritisch begleitete (Holland 1993: 159f.). Im Januar 1984 legte der NPS ein nochmals überarbeitetes Ausstellungskonzept vor, das nun, nicht zuletzt auf Empfehlung des neuen Beirats, einen dritten thematischen Block enthielt, der „America: Melting Pot or Mosaic?“ genannt wurde, inhaltlich allerdings unterbestimmt blieb (NPS 1984). Weil der NPS ein Projekt dieser Größenordnung – das größte in seiner Geschichte (Parker 1991: 82) – nicht mit eigenen Kapazitäten realisieren konnte, wurde der Auftrag für die konkrete Umsetzung an private Ausstellungsbüros ausgeschrieben und im Outsourcing-Verfahren vergeben.7 Den Zuschlag erhielt ein Konsortium aus drei Firmen, das sich Liberty/Ellis Island Collaborative nannte. Die zentrale Rolle kam der Firma MetaForm Inc. zu, die nicht nur das Design der Ausstellungen entwarf, sondern auch für die gesamte Recherchearbeit sowie die Sammlung des größten Teils der Ausstellungsobjekte verantwortlich zeichnete. Die weitere Entwicklung des Projekts wurde damit maßgeblich von dieser Firma geprägt. MetaForm legte auf der Grundlage der NPS-Konzepte im Dezember 1984 ein erstes Conceptual Program vor, das breite Anerkennung fand und in den folgenden Jahren stetig ergänzt und verfeinert wurde (MetaForm 1984, 1986, 1987, 1989a, 1989b). Das Final Text Package wurde im Juli 1989 abgezeichnet und wenig später begann der Aufbau der Ausstellungen. Am 9. September 1990 wurde das Museum schließlich feierlich eröffnet.8 7
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Dabei war es den Vertretern des NPS wichtig festzuhalten, dass der Interpretive Prospectus von 1984 Richtlinienfunktion als „improved document“ und „evolving plan“ hatte (EIIMA 1). Zum Outsourcing oder „contracting out“ von Museumsdienstleistungen als allgemeiner Trend vgl. Boylan 2006: 421ff. Für kurze Selbstdarstellungen des Museums vgl. Giuriceo 1999; Pardue 2004.
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Die Entstehungsgeschichte des Ellis Island Immigration Museum spannte also nahezu ein Jahrzehnt und fügt sich mühelos in den Kontext der achtziger Jahre in den USA. Seine Gründung reflektiert das nachhaltig gestiegene Interesse an Migrationsgeschichte und „ethnic history“ in der amerikanischen Öffentlichkeit und Geschichtswissenschaft. Die Eröffnung markiert sinnfällig die Vollendung eines Paradigmenwechsels – einer regelrechten „revolution in historical consciousness“ (Vecoli 1990: 27) – in Bezug auf die Anerkennung des kulturellen Erbes der Einwanderung. In finanzpolitischer Hinsicht war das Projekt symptomatisch für die Agenda der Reagan-Administration. Ganz im Zeichen neoliberaler Ausgabenbeschränkung war es das erste staatliche Museum in den USA, das ohne Einsatz öffentlicher Gelder realisiert wurde. Es galt über die eigenen Grenzen hinaus gar als „flagship project of President Ronald Reagan’s vaunted public-private cooperation program“ (Holland 1993: x). In geschichtspolitischer Hinsicht ließ sich das Museumsprojekt für neokonservative Offensiven nutzbar machen. In Reagans Version stand die Geschichte der Einwanderung rückhaltlos für die Größe der Nation und belegte den amerikanischen Exzeptionalismus. Die „patriotische Rhetorik und das missionarische Welt- und Geschichtsverständnis des Präsidenten“ (Heideking 2003: 447) fand darin einen idealen Resonanzboden, so etwa wenn er im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten für die Freiheitsstatue am Vorabend des 4. Juli 1986 erklärte: „[T]here was some divine providence that placed this great land here between the two great oceans, to be found by a special kind of people from every corner of the world, who had a special love of freedom“ (zit. n. Ritter/Henry 1992: 119).9 In dieser Fassung von Einwanderungsgeschichte war das Ellis Island-Projekt für Reagan, der es wie kaum ein anderer verstand, durch die Verbindung seiner Person mit nationalen Symbolen Unterstützung für seine Politik zu generieren (Lipsitz 1996: 255), ein willkommener Anlass und eine perfekte Bühne „to rejuvenate traditional symbols and beliefs“ (Bodnar 1986: 150). Der Vize von Reagans Nachfolger George H. W. Bush, Dan Quayle, brachte die konservative Anschauung bei der Eröffnung des Museums denn auch auf die Formel: „What we celebrate in Ellis Island is nothing less than the triumph of the American spirit“ (NYT 10.9.1990: B1).10
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Nicht zufällig findet sich in dieser heilsgeschichtlichen Geschichtsdeutung das Motiv des „gefundenen Landes“, das auch im Zentrum des „Plymouth Rock“Mythos steht. Zur Tradition der vor allem durch den slowenischen Einwanderer Louis Adamic seit Ende der 1930er Jahre popularisierten Parallelisierung von Ellis Island und Plymouth Rock vgl. Sollors 1991: 555f., 562f.; Seelye 1998: 619-629. 10 Eine solcherart politische Instrumentalisierung Ellis Islands betrieben nicht nur Ronald Reagan und seine republikanischen Nachfolger im Weißen Haus. 1965 hatte schon Lyndon B. Johnson die Erklärung Ellis Islands zum Nationaldenkmal als Kulisse für die Ankündigung seiner neuen Einwanderungspolitik genutzt (Blumberg 91
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Nur scheinbar im Widerspruch zu dieser enthusiastischen Indienstnahme der Einwanderungsgeschichte stand dabei, dass Reagans Amtszeit den Wendepunkt zu einer restriktiven Politik gegen aktuelle Einwanderungsbewegungen markierte und damit auch dazu beitrug, dass sich der öffentliche Diskurs über Migration merklich verschärfte: „In the early 1980s, in part sparked by Ronald Reagan’s inflammatory comments about the danger of being overrung by ‚feet people’ from Central America, old-style nativist rhetoric took on new life“ (Daniels 2001: 49; auch Vecoli 1985; Reimers 1998).11 In diesem Klima konnte die Präsentation einer erfolgreichen Geschichte älterer, inzwischen etablierter Einwanderergruppen als Maßstab für neuere Einwanderer funktionalisiert werden. Herangezogen werden konnte sie als Beleg von deren Unzulänglichkeit oder zumindest zur Erhöhung des Anpassungsdrucks bei gleichzeitiger Reduktion staatlicher Leistungen. Lee Iacocca, der als Vorsitzender der Centennial Commission und vor allem als zentrale Figur der Fundraising-Kampagne das Außenbild des Museumsprojekts wesentlich bestimmte, lag mit Reagan auf einer Linie, wenn er bemerkte: Ellis Island „gives us a chance to honor those who came before us and the values they cherished: individual enterprise, hard work, and voluntary sacrifice“ (Wallace 1996: 57).12 Michael Wallace (1996: 57f.) resümiert treffend: „At the heart of the Reagan/Iacocca reading of the history of immigration was the ‚upfrom-poverty’ saga of the model white ethnics. They, the story went, escaped squalor and repression and came to the land of opportunity, where American freedom made it possible for them to climb the ladder of success through their own individual, family 1985: 11f., 103). Im Präsidentschaftswahlkampf 1988 hielten sowohl der demokratische Kandidat Michael Dukakis als auch der republikanische Anwerber für die Vize-Präsidentschaft Dan Quayle Veranstaltungen auf der Insel ab und warben um die Stimmen von „ethnischen Amerikanern“ (NYT 4.9.1988: 30; NYT 6.9.1988: D12). Zuletzt nutzte Präsident George W. Bush Ellis Island am ersten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 als Bühne für Appelle an den Patriotismus der Amerikaner und die Wehrhaftigkeit der Nation ((NYT 12.9.2002: B8). 11 Auch Leo R. Chavez (2001: 107-127) vermerkt in einer aufschlussreichen Analyse amerikanischer Zeitschriften-Covers für die Zeit ab 1982 – just dem Jahr, in dem das Ellis Island Immigration Museum-Projekt seinen Take-off erlebte – ein signifikantes Anschwellen des anti-Einwanderungsdiskurses. 12 Jenseits dieser Übereinstimmung im geschichtspolitischen Ansatz gab es jedoch heftige Konflikte zwischen Iacocca und seinen Anhängern auf der einen Seite sowie Reagan und seinem Innenministerium auf der anderen. Diese hatten ihre Ursache in Iacoccas Kritik an Reagans Wirtschaftspolitik und Gerüchten über seine Ambitionen, als Kandidat der Demokraten das Präsidentenamt anzustreben. Die Differenzen kamen zum Ausbruch im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Nutzung der Südseite Ellis Islands und gipfelten in Iacoccas Abberufung von der Centennial Commission im Frühjahr 1986 (Holland 1993: 58, 199-207). In der FundraisingKampagne spielte er jedoch weiterhin eine entscheidende Rolle. 92
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and community efforts, without help from big government or the taxpayer […] It also suggested that contemporary immigrants and African Americans should rely on themselves, and implied their depressed situation was a temporary phenomenon. In time, blacks, Asians, and Hispanics too would move to the suburbs. And if they did not, the record of prior immigrant success would prove their failure to be a matter of insufficient grit and determination.“
Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, dass frühzeitig Bedenken im Hinblick auf die Unabhängigkeit und das zu erwartende Ergebnis des Ellis Island-Projekts laut wurden. Lynn Johnson (1984: 159, 162) etwa prophezeite: „If successful in their fundraising, the Centennial Commision will no doubt exert a considerable amount of influence in determining the nature of development at Ellis Island“ und diagnostizierte in verkürzter Ideologiekritik eine „dominant class control of history […] under the auspices of the federal government“. Doch auch wenn Lee Iacocca im Blick auf die restaurierte Freiheitsstatue selbstbewusst verlauten ließ: „I built it!“ (Wyden 1987: 359) und seine Rolle im Ellis Island-Museumsprojekt wohl kaum geringer eingeschätzt haben dürfte: Eine solch mechanistische Sicht der direkten „Kontrolle“ oder Beeinflussung der Präsentationen auf Ellis Island im skizzierten Sinn durch Geldgeber, Geldsammler oder die große Politik lässt sich nicht halten.13 Die Vorstellung einer konservativen Determinierung des Projekts geht nicht zuletzt deshalb fehl, weil an der Produktion des Museums weitere Akteure teilhatten, die ebenfalls dezidierte Positionen vertraten. Im Wesentlichen sind dies der National Park Service (NPS), der Historische Beirat und die Design- und Recherchefirma MetaForm Inc.14 13 Dies bekräftigt Fred Wasserman (Interview 11.2.2005), einer der Mitarbeiter der Design- und Recherchefirma MetaForm, etwa im Hinblick auf Iacoccas Statue of Liberty-Ellis Island Foundation: „I don’t particularly recall there being content input from the Foundation.“ Und Beiratsmitglied Virginia Yans-McLaughlin (Interview 21.2.2005) negiert eine Kontrolle oder erkennbare Beeinflussung des Projekts durch Reagans Innenministerium. Gisela Welz (1996: 176) betont zurecht, dass es sich bei der Produktion des Museums um Aushandlungsprozesse handelte, überschätzt allerdings die Rolle von Sponsoren und Foundation, wenn sie behauptet, dass ihnen „sehr viel mehr Gewicht im Herstellungsprozess, als dem öffentlichen Charakter des Projekts angemessen war“, zugekommen sei. 14 Daneben waren zwei Architektur-Büros, Beyer Blinder Belle (New York City) und Anderson Notter Finegold (Boston), an dem Projekt beteiligt. Insofern ihr Beitrag stärker technischer Natur war, bleiben sie hier außen vor. Streng genommen ist die Rede von Akteuren im Hinblick auf die genannten Gruppen oder Organisationen problematisch, insofern darin potentiell konträre Auffassungen in deren Innerem vereinheitlicht werden. Dies wird im Folgenden noch verstärkt durch die Praxis, Aussagen einzelner als indikativ für die Positionen dieser kollektiven, institutionellen Akteure zu nehmen. Es handelt sich dabei um eine unumgängliche Vergröberung in der Modellierung und in der Konstruktion meines Narrativs. 93
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Dem NPS kam als institutionellem Träger Ellis Islands die Entwicklung der inhaltlichen Richtlinien und die organisatorische Steuerung des Projekts zu. Von einem homogenen Akteur mit klar identifizierbaren Positionen zu sprechen, wäre allerdings falsch. Mindestens fünf verschiedene Stellen der Organisation waren an dem Projekt mit unterschiedlichen Vorstellungen und Kompetenzen beteiligt. Neben den Mitarbeitern vor Ort waren dies das Regionalbüro in Boston und das Hauptquartier in Washington D.C. sowie ein Team in Denver, das die Restaurierungsarbeiten beaufsichtigte, und eines in Harpers Ferry (West Virginia), das die Entwicklung der Ausstellungen koordinierte. Während der NPS insgesamt in der Tradition konservativer und patriotischer Geschichtsdarstellungen steht, hatten sich seit den siebziger Jahren insbesondere auf der mittleren Ebene Tendenzen einer kritischen Sozialgeschichte etabliert, die auch ins Ellis Island-Projekt Eingang fanden. Ein Parameter, der die Positionen des NPS jenseits dieser Differenzen charakterisierte, war – gemäß des allgemeinen Auftrags der Pflege von National Historic Sites – ein starker Fokus auf den konkreten Ort Ellis Island bzw. eine besondere Sorge für dessen prominente Thematisierung (Bodnar 1992: 169205; Kammen 1993: 465-473, 610-614; NPS 2000). Eindeutiger bestimmen lassen sich die Konturen des Historischen Beirats, obwohl auch in diesem verschiedene Personen und Positionen vetreten waren.15 Michael Wallace (1996: 72, Anm. 3) bemerkt: „Despite differences in perspective and approach among the scholars, on the whole they were agreed in contesting the uses to which the immigration saga was then being put by the Reagan Administration.“ Zentral für die Mitglieder des Beirats war die Ablehnung jeglicher Romantisierung und Mythisierung der Einwanderung nach Amerika, das Aufzeigen der Komplexität des Migrationsprozesses, die Einbeziehung unterschiedlichster individueller und kollektiver Erfahrungen und das Herausstellen der aktuellen Relevanz des Themas.16 Das 1983 auf Anregung des NPS gegründete, ehrenamtliche Gremium agierte formal als History Committee der Centennial Commission, arbeitete de facto allerdings vor allem mit dem NPS und MetaForm zusammen und hatte in dieser Funktion einen nachhaltigen Einfluss auf die Präsentationen im Ellis Island Immigration Museum (Holland 1993: 159).
15 Ursprüngliche Mitglieder des Historischen Beirats waren Kathleen Neils Conzen, Jay P. Dolan, Angier Biddle Duke, Victor R. Greene, Bara Levin, Moses Rischin, Rudolph J. Vecoli (Vorsitzender), Virginia Yans-McLaughlin. John Higham, der ebenfalls am Symposium in Harpers Ferry (West Virginia), aus dem der Beirat hervorging, teilgenommen hatte, sagte seine Beteiligung mangels Kapazitäten ab, wirkte später allerdings im separaten Beraterkreis für MetaForm. Zu einem späteren Zeitpunkt in den Historischen Beirat aufgenommen wurden Roger Daniels, William H. Harris, Joan M. Jensen, Louise Año Nuevo Kerr und Alan Kraut (vgl. EIIMA 2). 16 Als Beleg für diese Positionen lassen sich auch die Veröffentlichungen der beteiligten Historiker anführen vgl. etwa Kraut 1982; Vecoli 1990; Daniels 2001. 94
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Die New Yorker Firma MetaForm Inc. schließlich war für die konkrete Umsetzung der Museumsentwicklung verantwortlich. Fred Wasserman skizziert die zentrale Stellung in seiner Sicht des Produktionsprozesses: „In a sense it was complicated because there were a lot of different players and a lot of different participants and in a certain way it was simple because, you know, a few people at MetaForm did the research and created the exhibits. Things were reviewed by lots of other people and we had to take into account that input, and it was certainly a complicated multi-phased kind of project, but as I say, in a certain sense it came down to a few of us.“ (Interview 11.2.2005)
In ihren thematischen Prioritäten und geschichtspolitischen Positionen stimmten sie weitgehend mit den Historikerinnen und Historikern des Beirats überein: „The kinds of scholars who we were dealing with and what we were doing was very much growing out of the New Social History that had emerged in the Sixties and Seventies which was effectively moving away from the sort of great man theory of history to a much broader kind of social and cultural history and was trying to look at – not exactly a popular history, but a history that would include people of color and women and gay men and lesbians and immigrants and the working class and the poor and on and on [lacht]. People whose histories have not traditionally been told. I think that was very much at the root of what we were doing.“ (Interview Wasserman 11.2.2005)17
Auf Grundlage dieser inhaltlichen Übereinstimmungen entwickelte sich im Verlauf des Projekts eine „truly collaborative working relationship“ zwischen MetaForm, dem Historischen Beirat und dem NPS (Wallace 1996: 64).18 Ausdruck davon ist das positive Feedback, das MetaForm während verschiedener Phasen seiner Recherche und Ausstellungsentwicklung bekam. Schon nach der Vorstellung des ersten Konzeptes schrieb der Vorsitzende des Historischen Beirats: „The 17 Neben seinen Forschern und Designern stützte sich MetaForm auf einen eigenen Beraterkreis, dem so renommierte Wissenschaftler wie Nathan Glazer oder John Higham angehörten. 18 Symptomatisch noch einmal für die frühen, in gewisser Weise automatisierten Bedenken mancher Kommentatoren gegen eine konservative geschichtspolitische Steuerung des Projekts ist dagegen der ganz andere Tenor in einem älteren Artikel von Wallace (1987a: 50). Dort konstatiert er nach positiver Wertschätzung der Arbeit seiner Peers im Historischen Beirat alarmiert: „[T]he actual work has since been turned over to a consortium of exhibition designers, over whose work the historians will have no control.“ Auch die Interpretation von Welz (1996: 177), die bei MetaForm und dem NPS Inkompetenz diagnostiziert und deren Arbeit gegen die des Fachbeirats stellt, erscheint an dieser Stelle stark überzogen. In ihrer a priori Parteinahme für die professionellen Historiker zeigt sie eine offene Flanke zur Wissenschaftsgläubigkeit. 95
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
History Committee was overall very favorably impressed with the presentation“. Ein leitender NPS-Pädagoge lobte gegen Ende der Konzeptionsphase: „As one who has been involved with this project longer than I care to remember, I must say that the museum is shaping up better than I ever imagined possible. I think the Collaborative deserves recognition for a job well done.“ Und Vecoli gab abschließend zu Protokoll „how impressed I am by the thought, effort, and care that has gone into the design and creation of the exhibitry. I also appreciate the careful consideration that Phyllis Montgomery [von MetaForm, J. B.] has given to the suggestions and criticisms of the History Committee“ (EIIMA 3). Das Verhältnis zu den anderen Akteuren gestaltete sich dagegen weit komplizierter. Insbesondere die Beziehungen zwischen dem NPS und der Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, über die sämtliche Gelder liefen, waren aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten, Differenzen über die Vergabe von Geldern und unterschiedlichen institutionellen Kulturen über lange Strecken nachhaltig gestört (Holland 1993: 139, 238f.).19 Auffällig ist mit Blick auf die Akteure in der Produktion des Ellis Island Immigration Museum, dass die lebenden Objekte der Musealisierung, die Einwanderer selbst bzw. ihre Nachkommen im wörtlichen, wie übertragenen Sinne, keine aktive Rolle im Prozess spielten. Weder ehemalige Ellis Island-Immigranten, noch ethnische Organisationen oder jüngst eingewanderte Migranten und ihre Organisationen wurden in die Konzeption des Museums einbezogen. Als Lieferanten für Material – für Ausstellungsobjekte, Oral History-Zeugnisse und nicht zuletzt für Spendengeld – wurden sie umworben, als selbstbestimmte und mitbestimmende Akteure ihrer Musealisierung blieben sie außen vor.
Negativfolie: Das American Museum of Immigration in der Freiheitsstatue Bevor nun der Produktionsprozess in größere Detailschärfe betrachtet werden soll, lohnt der Blick auf ein Museum, das zugleich als Vorläufer und Antithese des Ellis Island Immigration Museum gefasst werden kann: das American Muse-
19 Diese Spannungen sind zum Teil heute noch hinter den Kulissen des Museums spürbar. Insbesondere das Aufeinandertreffen zweier Organisationskulturen auf dem Terrain des Museums – unternehmerisch geprägte Organisation der Privatwirtschaft auf der einen, staatliche Behörde auf der anderen Seite mit entsprechenden Unterschieden in Kommunikation, Arbeitsabläufen und nicht zuletzt Bezahlung – würde eine ganz eigene Studie rechtfertigen. Nach der Eröffnung des Museums kam es auch zu Konflikten zwischen NPS und MetaForm, die im Wesentlichen finanzielle Angelegenheiten zum Gegenstand hatten und in einem ausgedehnten Gerichtsverfahren mündeten (EIIMA 4). Auf die Gestaltung des Museums hatte dies keinen Einfluss. 96
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um of Immigration (AMI) in der Freiheitsstatue. Ich skizziere seine Entwicklung und Leitlinien hier als Negativfolie, vor der manche der Entscheidungen im Ellis Island-Projekt besser sichtbar oder verständlich werden dürften. Das AMI war – beinahe tragisch – ein Museum, das zu spät kam, und nicht zuletzt aus diesem Grund von der (Rezeptions-)Geschichte bestraft wurde. Denn auch wenn es erst 1972 eröffnet wurde, war es eigentlich ein Museum der fünfziger Jahre. Die 1951 gestartete Initiative ging zurück auf prominente Angehörige der alten New Yorker Elite, die zunächst die ehemalige Einwandererstation Castle Garden an der Südspitze Manhattans vor der Zerstörung bewahren wollten, dann jedoch die weitergehende Idee eines Einwanderungsmuseums entwickelten.20 Mit dem Leitmotiv „Unity out of Diversity“ sollte das Museums explizit die Überlegenheit des amerikanischen Gesellschaftsmodells im Kalten Krieg kommunizieren und in den Worten der Initiatoren dazu beitragen, „[to] renew our faith and strengthen America’s role in the worldwide struggle for men’s minds and aspirations“ (zit. n. Blumberg 1985: 28). Mit dieser Ausrichtung fand das Vorhaben schnell die Unterstützung von Präsident Eisenhower und des National Park Service, der den Sockel der Freiheitsstatue als Standort vorschlug und 1956 ein Ausstellungskonzept vorlegte.21 Die nationale Fundraising-Kampagne, die das Projekt finanzieren sollte, geriet allerdings bald ins Stocken bzw. erzielte so klägliche Resultate, dass die Realisierung des Museums auf Jahre hinaus verschoben werden musste. Erst als der Kongress nach und nach Mittel bewilligte, konnte das Museum schließlich am 26. September 1972 durch Präsident Nixon eröffnet werden (Blumberg 1985: 28-50). Das erklärte Ziel des Museums war die Präsentation einer Meistererzählung von Amerika als „nation of immigrants“ oder – in den viel zitierten Worten Walt Whitmans – einer „Nation of Nations“. Das Vorwort des Konzeptentwurfs von 1955 beginnt: „At the foot of the Statue of Liberty The American Museum of Immigration will tell for all time the most majestic theme in our history: the making of America by men and women who have come here from all over the world, since the earliest times, to seek and find the blessing of life, liberty and the pursuit of happiness. To tell this story is, essentially, to tell the story of America.“ (Pitkin 1955: III) 20 Führend unter ihnen waren Alexander Hamilton, ein direkter Nachfahre des ersten Finanzministers der USA, der schwerreiche Industrielle Pierre S. du Pont III. und Ulysses S Grant III, Enkel des Bürgerkriegsgenerals und 18. Präsidenten der USA (Blumberg 1985: 28ff.). 21 Bodnar (1992: 197ff.) situiert das Interesse des NPS an dem Projekt im Kontext einer Verlagerung des programmatischen Schwerpunkts von den Nationalparks des Westens hin zu stadtnahen historischen Stätten im Osten der USA, die insbesondere dazu beitragen sollte, neue Zielgruppen ansprechen und in die patriotische Sache einzubinden. 97
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Die Prinzipien der Ausstellung lassen sich, wie folgt, zusammenfassen: Das Grundgerüst bildete eine chronologische Ordnung, die die gesamte Geschichte Nordamerikas spannte, von den prähistorischen Wanderungen der American Indians bis in die jüngste Zeit. Den Schwerpunkt, „the heart of the story“ (Pitkin 1955: 3), stellten dabei die europäischen Migrationen des langen 19. Jahrhunderts (bis 1914) dar. Quer zu dieser Chronologie und in gewisser Weise als Merkmal prägender lag die Gliederung nach abgegrenzten, ethnisch definierten Einwanderergruppen: „the Spaniards“, „the English“, „the Negroes“, „the Germans“ etc. Im Zentrum der Darstellung jeder Gruppe standen die spezifischen Beiträge („contributions“) zum Fortschritt der USA auf den Feldern Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und nicht zuletzt Krieg. Hervorgehoben wurden zu diesem Zweck insbesondere berühmte und erfolgreiche Repräsentanten dieser Gruppen, denen zudem am Ende der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet wurde, in dem sie als „Immigrant Inventors“, „Immigrant Artists“, „Immigrant Manufacturers“ usw. gefeiert wurden. Das präsentationsleitende Paradigma und die intendierte Botschaft war die Vorstellung der USA als melting pot, in dem die besten „Zutaten“ aller Einwanderergruppen zu einer neuen, homogenen Einheit verschmolzen würden. Der Ort des Museums, der Sockel der Freiheitsstatue, passte in geradezu idealer Weise zu dieser geschichtsteleologischen und patriotisch-glorifizierenden Version von Einwanderungsgeschichte und verlieh der Deutung des Museum eine weitere pikante Facette. Eine ausgedehnte öffentliche und fachwissenschaftliche Begutachtung des Ausstellungskonzepts im Jahr 1958 verlief weithin positiv. Als die Pläne nach den finanzierungsbedingten Verzögerungen zehn Jahr später wieder auf den Tisch kamen, war das Ergebnis jedoch ein ganz anderes. Blumberg (1985: 63) folgert zurecht: „What had happened? The content of the exhibits had not changed very much, but the climate of opinion in the country had.“ Das Konzept und seine Verantwortlichen von AMI und NPS kamen nun unter scharfen Beschuss von Vertretern der afroamerikanischen, insbesondere aber der polnischund italienisch-amerikanischen communities. Hauptkritikpunkte waren die Fehloder Unterrepräsentation dieser Gruppen sowie mangelnde Sensibilität gegenüber eigenständigen Gruppenidentitäten. Ein Einwurf etwa lautete: „By lumping many ethnic groups together under the title ‚Old Empires’ you are perpetuating the results of Hapsburg imperialism. Nothing could be more offensive. It is a distorted picture.“ Auch das melting pot-Modell und das zentrale Motiv der „Unity out of Diversity“ wurde nun vehement in Frage gestellt. „What does unity mean – sameness? There would be greater unity if we cultivate cultural backgrounds“, empfahl ein Kommentator und ein anderer attackierte die alten Gewissheiten noch radikaler: „We do not have unity: we have a question mark at the end of the Museum. There is polarization and fragmentation, not unity.“ Dem Historiker Thomas Pitkin, der das ursprüngliche Konzept entworfen hatte, blieb dazwischen nur ein resignatives Seufzen: „One of the objectives of the Museum was to foster unity. Now whatever we do, ethnic groups will be displeased.“ (EIIMA 5) 98
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Neben Vertretern ethnischer Gruppen liefen auch Sozial- und Migrationshistoriker, vornehmlich der jüngeren Generation, gegen das Konzept des Museums Sturm. Sie forderten eine Abkehr vom als überholt charakterisierten ethnic contributions- und melting pot-Ansatz zugunsten einer Beschreibung von Migrationsursachen und kulturellen Kontinuitäten, eine stärkere Berücksichtigung der sogenannten „New Immigration“ (post-1890) statt der „Old Immigration“ (prä1890), eine Verschiebung der Perspektive von wenigen berühmten auf die vielen „gewöhnlichen“ Einwanderer unter expliziter Einbeziehung von Frauen sowie eine Reduktion des Aspektes Krieg zugunsten der Verbindung von Migration mit sozialgeschichtlichen Themen wie Arbeit, politische Organisierung, Bildung und Religion. Da die stärkste Kritik erst kurz vor der geplanten Eröffnung des Museums an die Oberfläche kam bzw. erst dann von den Verantwortlichen ernst genommen wurde, konnten nur noch kosmetische Korrekturen vorgenommen werden – sehr zur Unzufriedenheit der Kritiker. Einer ihrer Wortführer, der Migrationshistoriker Rudolph J. Vecoli von der University of Minnesota, resümierte: „I must conclude […] that our efforts to bring about a redesign of the Museum by weight of scholarly opinion have failed“ (zit. n. Blumberg 1985: 72).22 Das AMI hatte den Paradigmenwechsel in Gesellschaft und Wissenschaft, der sich während der sechziger Jahre vollzogen und insbesondere auf den sensiblen Feldern der Migrationshistoriographie und der Identitätspolitik ethnischer Gruppen seine Spuren hinterlassen hatte, komplett verschlafen und war nun bereits bei seiner Eröffnung kein zeitgemäßes Geschichtsmuseum, sondern ein Museum der Vergangenheit (Blumberg 1985: 51-81; Wallace 1996: 59f.). Für das Ellis Island-Projekt waren die Vorgänge um das AMI aus drei Gründen von Bedeutung. Zum einen musste in der Realisierungsphase ein modus vivendi mit dem älteren Museum gefunden werden. Alle Versuche der Kooperation, insbesondere der Plan zur Verlagerung der Ausstellung nach Ellis Island, 22 Damit spiegelt sich in der Debatte um das AMI auch ein Stück amerikanischer Wissenschaftsgeschichte in nachgerade personalisierter Form. Das bis in die 1960er Jahre unumstritten maßgebliche Werk zur Einwanderungsgeschichte der USA war Oskar Handlins The Uprooted (zuerst Boston 1951) und Handlin, Professor in Harvard, war von Beginn an Mitglied des Historischen Beirats des AMI. Rudolph J. Vecoli hatte im Dezember 1964 dagegen im Journal of American History einen einflussreichen Artikel mit dem Titel Contadini in Chicago veröffentlicht, in dem er Handlins Befund der vollständigen Aufgabe aller traditionellen Bindungen durch die Einwanderer zum ersten Mal und mit nachhaltiger Wirkung einer grundsätzlichen Kritik unterzog (Vecoli 1990: 28f.). Der Konflikt um das AMI bot nun einer jüngeren Generation von Migrationshistorikern jenseits der konkreten Sache auch ein Forum, um den von ihnen eingeforderten Paradigmenwechsel öffentlich zu propagieren. Mit der Berufung Vecolis zum Vorsitzenden des Historischen Beirats für das Ellis Island Immigration Museum im Jahr 1983 zeigt sich die Etablierung der neuen Perspektive als nun hegemoniale Deutung. 99
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scheiterten allerdings am anhaltenden Widerstand aus den Reihen des AMI, und nach einer kurzen Phase der Koexistenz wurde das Museum, als auch die letzten prominenten Unterstützer verstorben waren, im Januar 1991 vom NPS einfach geschlossen (Holland 1993: 159-165; Wallace 1996: 69). Für die Produktion des Ellis Island Immigration Museum wesentlicher war jedoch, dass es schon früh als Alternativprojekt gegen das AMI gedacht wurde und sich damit auch immer in Abgrenzung zu dessen Konzeption entwickelte. So war schon 1973 die Rede von „critics of AMI, who see in the development of Ellis Island an opportunity to rectify what they consider the mistakes of the Museum“ (EIIMA 6). Dabei wurde der Ort Ellis Island nie als lediglich verfügbares Gelände, als tabula rasa, verstanden, sondern von Beginn an explizit in bedeutungsvollen Kontrast zur Freiheitsstatue gesetzt. Während so die Vertreter des AMI argumentierten, „that the immigrants came to this country seeking freedom, liberty, and the other things the statue symbolized“, hielten die Befürworter des Standorts Ellis Island dagegen, dass die meisten Migranten aus ökonomischen Gründen gekommen seien und die ehemalige Kontrollstation insofern eine sinnvollere, weil profanere Verbindung zur Einwanderungsgeschichte darstelle (Holland 1993: 162).23 Als nun Anfang der achtziger Jahre das Ellis Island-Projekt angeschoben wurde, wurde der überfällige Paradigmenwechsel also auf musealer Ebene nachvollzogen und die Konstellation aus den Siebzigern umgekehrt. Am Sinnfälligsten zeigt sich dies darin, dass Rudolph J. Vecoli, der engagierteste Kritiker des AMI, zum Vorsitzenden des Historischen Beirats für das Ellis Island Immigration Museum ernannt wurde. Doch das negative Vorbild wirkte auch auf anderen Ebenen, vom Fundraising bis hin zur Ausstellungskonzeption. Für diese erklärt Fred Wasserman von MetaForm: „AMI had a very particular approach. It really was the ‚ethnic contributions approach’ and the ‚famous immigrants approach’ that we were reacting against“ (Interview 11.2.2005). Auch eine Ordnung der Ausstellungen nach ethnischen Gruppen war nach den Erfahrungen mit dem Museum in der Freiheitsstatue – und nicht zuletzt aus Angst vor ähnlich aufreibenden Kontroversen um adäquate Repräsentation – vollkommen undenkbar. Noch im Jahr 2004 charakterisierte die leitende Kuratorin auf Ellis Island das Konzept ihres Museums mit Rekurs auf das längst geschlossene AMI: „In contrast to the nationalistic approach used in the American Museum of Immigration, once located in the base of the Statue of Liberty, which used the melting pot theory of migration, the Ellis Island Immigration Museum takes a broader, global perspective.“ (Pardue 2004: 25f.) Das Statement zeigt, wie nachhaltig und prägend die abgrenzende Auseinandersetzung mit dem ungeliebten älteren Nachbarn war. Es lässt erahnen – und dies wäre der dritte Punkt, dass das AMI im Laufe der Zeit und mit Abnahme seiner tatsächlichen Relevanz mehr und mehr zur Pro23 Vgl. auch die zunehmend verzweifelten Bemühungen der AMI-Verantwortlichen gegen die Museumspläne auf Ellis Island (EIIMA 7). 100
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jektionsfläche und zum konzeptionellen „low Other“ degradiert wurde. Dem neuen Ellis Island Immigration Museum diente und dient es als Vorlage zum Distinktionsgewinn und zur Stilisierung als korrekte und aufgeklärte Geschichtsdeutung auf der Höhe der Zeit, die ideologische Fehlsichten der Vergangenheit hinter sich gelassen hat.
Restaurierung als Geschichtsschreibung: Die Produktion eines authentischen Ortes Damit zum eigentlichen Projekt. Wie eingangs erwähnt und wie schon im Namen angezeigt, ist der spezifische Ort Ellis Island von größter Bedeutung für die Präsentation von Geschichte im Ellis Island Immigration Museum. Dieser Ort wurde allerdings nicht einfach vorgefunden, sondern im Prozess der Musealisierung als „authentischer Ort“ erst produziert.24 Dabei lässt sich in zwei Schritten zeigen, wie durch Konzentration auf bestimmte Teile der Insel einerseits und deren spezifische Ausgestaltung andererseits eine Zuspitzung auf die Geschichte der Einwanderung erfolgte und wie im gleichen Zug andere historische Schichten und mögliche Geschichten verdrängt wurden. Das Argument ist also, dass hinter der scheinbar natürlichen Verbindung von „Ellis Island“ und „Immigration“ im Namen des Museums ein ganz ambivalentes Verhältnis steckt: ein starker Bezug auf den Ort, um eine bestimmte Version der Einwanderungsgeschichte zu zeigen, insbesondere in Abgrenzung zum AMI, und gleichzeitig ein schwacher Bezug auf den Ort im Hinblick auf andere Aspekte oder Geschichten, die sich hier verorten ließen. In dieser Hinsicht ist das Museumsprojekt ein Beispiel für eine „politics of place and place-making“ (Adams u.a. 2001).
Folgenreiche Fokussierung Mit Beginn des Museumsprojekts standen auf Ellis Island über dreißig Gebäude, die verschiedene Phasen in der Geschichte der Insel und den Wandel ihrer Funktionen reflektierten. Diese Vielfalt an Überresten machte Entscheidungen nötig, die Auswirkungen auf die zu präsentierende Geschichte haben würden. Die NPSHistoriker Frisch und Pitcaithley (1987: 160) beobachteten, insbesondere mit Blick auf die Assoziation der Insel mit Einwanderung einerseits und mit Internierung und Abschiebung andererseits: „The tension comes to earth in highly tangible form: which buildings get restored, and to what period?“ Und weiter: „If we can do almost anything with the site, what should be done and why?“ 24 Zu meinem Verständnis von Authentizität im Anschluss an Barbara KirshenblattGimbletts (1998: 167) Begriff der „collaborative hallucination“ vgl. die Ausführungen im Kapitel „Schauplatz: Das Museum – Produktionsstätte von Bedeutung“. 101
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Eine wirklich offene Frage war dies jedoch nie. Finanzielle Sachzwänge und common sense führten bereits in der frühesten Phase des Projektes zu dem Beschluss, den Museumsbereich auf die Nordseite der Insel zu begrenzen, mit dem ehemaligen Hauptgebäude der Einwanderer-Kontrollstation als Kernstück (NPS 1982a). Begründet wurde die Wahl mit der herausragenden historischen und architektonischen Signifikanz sowie mit dem Umstand, dass es sich um das „most emotion packed building“ handle (EIIMA 8). Mit der Ausgliederung der Südseite der Insel aus den Museumsplänen gerieten der ehemalige Krankenhaus-Komplex mit angeschlossener Psychiatrie und die Quarantäne-Station weitgehend aus dem Blick. Das heißt, sie blieben physisch sichtbar, doch die Aspekte, die sich mit den Gebäuden verbinden ließen – etwa die Pathologisierung kultureller Devianz oder der stigmatisierende Diskurs um Einwanderer als Träger ansteckender Krankheiten (Kraut 1994; Markel/Stern 1999), traten in den Hintergrund.25 Auf der Nordseite wurde derweil gründlicher gearbeitet. In den 1930er Jahren war angrenzend an das Hauptgebäude eine größere Fläche mit Zäunen umgrenzt worden, um – im Sinne einer „Humanisierung“ der Haft – einen Freibereich für die wachsende Zahl der Internierten zu schaffen. Diese Zäune, die in den vierziger Jahren mit Stacheldraht ausgestattet und mit vier Wachtürmen ergänzt worden waren, verwiesen nun sinnfällig auf die Rolle Ellis Islands als Internierungslager und Abschiebegefängnis (NPS 2003: 88-95). Im Zuge der Restaurierungsarbeiten wurden sie restlos entfernt und seit 1993 wurde an dieser Stelle die sogenannte American Immigrant Wall of Honor errichtet.26 Es gilt also auch hier: Wie es keine Erinnerung geben kann ohne Vergessen (Hahn 2000: 33), so kommt auch Restaurierung, eines Erinnerungsortes zumal, nicht ohne Zerstörung aus.
25 In neuerer Zeit scheinen sich hier Veränderungen anzudeuten. Seit 2001 versucht die Initiative „Save Ellis Island!“ in Kooperation mit dem NPS, Spenden für Erhalt und Restaurierung der Gebäude auf der Südseite der Insel einzuwerben. Bis zum Abschluss meiner Recherchen im Sommer 2006 konnten die dortigen Gebäude so zumindest stabilisiert und vor weiterem Verfall geschützt werden. Sporadisch wird das Gelände nun für spezielle Gruppen, nicht allerdings für reguläre Besucher, geöffnet (Für eine Dokumentation der verlassenen und halb verfallenen Gebäude des Hospitalkomplexes vgl. Wilkes 2006). Im Sommer 2007 eröffnete im Ferry Building, das Süd- und Nordseite der Insel verbindet, schließlich eine neue Ausstellung mit dem Titel „Immigration, Public Health and the Ellis Island Hospitals“ (vgl. http://www.saveellisisland.org (26.5.2009)). 26 Wann genau die Zäune und Wachtürme abgerissen wurden und auf wessen Veranlassung, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auf Bildern aus den 1970er Jahren sind sie noch zu sehen (Tifft 1971: 150f.) und Frisch/Pitcaithley (1987: 160) erwähnen Erhalt oder Entfernung des Zauns noch als offene Frage. Interessant ist, dass ein ähnlicher Zaun auf der Südseite der Insel in einem Konzept von 2003 nun offiziell als erhaltenswert eingestuft wird (NPS 2003: 137). 102
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Ein weiteres Baudenkmal, das unter anderem für die Praxis der Internierung steht, ereilte ein anderes Schicksal. Das Baggage & Dormitory Building, in direkter Nachbarschaft des Hauptgebäudes gelegen, war 1909 erbaut worden, um Schlafgelegenheiten für diejenigen Einwanderer bereitzustellen, deren Fall nicht mehr am Tag ihrer Ankunft entschieden werden konnte oder bei deren Abfertigung sich Komplikationen ergaben. Zudem und verstärkt nach Ende der Phase der Massenimmigration wurde das Gebäude als Internierungs- und Abschiebelager genutzt. Im General Management Plan von 1982 wurde es, weil im Museumsbereich auf der Nordseite der Insel gelegen, zumindest teilweise zur Nutzung vorgesehen. Das Obergeschoss sollte die Geschichte der Schlafsäle mit den Aspekten Internierung und Deportation thematisieren: „Visitors should come away from these rooms with an appreciation of those emotions [der Spannung und Angst vor Abweisung, J.B.], as well as the more desperate plight of the detainees turned away at the door awaiting deportation.“ (NPS 1982a: 13) Im Verlauf der Planungen rutschte die Nutzung des Gebäudes und seiner thematischen Möglichkeiten auf der Prioritätenliste jedoch immer weiter nach hinten. Im ersten Conceptual Program der Firma MetaForm von 1984 war es noch als integraler Bestandteil des Museumskomplexes vorgesehen, jedoch bereits in veränderter Funktion als reine black box, in der die übergreifende Geschichte der Immigration in die USA erzählt werden sollte (MetaForm 1984).27 Als der NPS dann entschied, im ehemaligen Küchengebäude auf Ellis Island seine Büros einzurichten, wurde die Restaurierung und Nutzung des Baggage & Dormitory Building endgültig abgeschrieben. Der zuständige Regionaldirektor des NPS erklärte: „The total budget for Ellis will remain the same, with the required funds for the increased work in the Kitchen/Laundry Building being funds deleted from the budget of the stabilization of the Baggage/Dormitory Building.“ In der Folge wurde selbst einer Außenrestaurierung des Gebäudes aus den Reihen des NPS vehement widersprochen, zum einen wieder aus finanziellen Erwägungen, zum anderen weil es keinen Bedarf an einer Nutzung als Teil des Museums gäbe: „It was agreed that the National Park Service had neither the need nor the money to develop a program for that space.“ Als nachgeordnete Priorität tauchte die behelfsmäßige Restaurierung des Gebäudes erst 1990 wieder auf einer Liste des NPS auf, in erster Linie allerdings, um diesen für Besucher weithin sichtbaren „Schandfleck“ zu entfernen (EIIMA 10). In den folgenden Jahren wurde jedoch nichts unternommen. Der Bau verfiel weiter, und noch im Sommer 2006 stand das Gebäude, in dem sich wie in keinem anderen auf Ellis Island die Geschichte der Internierung verkörpern ließe, als Ruine neben dem prächtigen Hauptgebäude.
27 Als solches war es auch noch während der konkreteren Planungen des Jahres 1985 präsent und zur Eröffnung 1987 vorgesehen (vgl. EIIMA 9). 103
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Abb. 2: Innenansicht des Baggage & Dormitory Buildung, Sommer 2004 Das so erfolgte Styling der Insel bedeutet nicht, dass Aspekte wie Internierung, Abschiebung, Krankheit und Quarantäne im Museum gänzlich außen vor gelassen wurden. Doch mit der Konzentration auf das Hauptgebäude wurde eine Vorentscheidung über die Präsentationen getroffen, indem in baulicher Gestalt nahezu ausschließlich die Geschichte der Einwanderung thematisiert und zudem der Blick auf die relativ reibungslose Seite des administrativen Vorgangs privilegiert wurde (Maddern 2004a: 160f.).
Umstrittene Ausgestaltung Mit der Konzentration auf das Hauptgebäude der ehemaligen EinwandererKontrollstation war die Produktion des Museumsortes nicht abgeschlossen, sondern verlagerte sich auf die Frage, wie mit diesem Gebäude umzugehen sei – ein Problem, das die Architektur-Kritikerin der New York Times, Ada Louise Huxtable, schon in den 1960er Jahren als „architectural challenge with overtones of a nightmare“ (NYT 25.2.1966: 28) bezeichnet hatte. Neben dem schlechten Zustand des Baus stellte dabei seine schiere Größe eine Herausforderung dar. Über 6000 qm Fläche auf drei Ebenen, mit zwei Seitenflügeln und einer immensen Halle im Zentrum galt es zu bearbeiten und einer Nutzung zuzuführen. Anders als Huxtable, die der Architektur nur geringen Wert beigemessen und entsprechend für die Ruinen-Romantik Philip Johnsons votiert hatte, wurde das Bau104
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denkmal nun jenseits seiner historischen Bedeutung auch als architektonisches Meisterwerk eingeschätzt und zunächst einer detaillierten denkmalpflegerischen Beurteilung unterzogen. Die Richtlinien für Erhalt und Restaurierung legten daraufhin fest: „Work at Ellis Island is viewed as a preservation project and great weight is placed on retaining the character of the Main Building. While the interpretive program will emphasize the immigration years, the entire continuum of history will be represented. Key areas intimately associated with the immigrant-processing story, such as the Registry Room and Baggage Room, will receive little or no modification.“ (NPS 1984: 29; so auch Pardue 2004: 24f.)
Der erwähnte Registry Room, die „Great Hall“, in der zu Hochzeiten der Kontrollstation die Einwanderer abgefertigt worden waren, stand dabei unter besonderer Beachtung und das nicht nur weil er im Zentrum des Gebäudes lag, sondern weil er auch im Zentrum des Ausstellungsnarrativs stehen sollte. Hier verbanden sich die Arbeit am Gebäude und die Arbeit an der Ausstellung aufs Engste. Ein Kurator des NPS-Regionalbüros plädierte im August 1983 für eine puristische Lösung: „If it were my choice, I would leave the space wholly empty and allow visitors to truly imagine themselves as immigrants unsurrounded by the distraction of exhibits or simulated sounds that try to recreate the ‚babble’ of immigrant voices. We don’t need simulation. The real thing is far too effective.“ Und ein Ausstellungsplaner des NPS verkündete wenig später den entsprechenden Beschluss: „The plan is to leave it as it is, and to have virtually no development there at all, no exhibits, no audio-visual treatment, but essentially retain its rather evocative character.“ (EIIMA 11) „The real thing“, „leave it as it is“ oder „allow the resource ‚to speak for itself’“, wie es an anderen Stellen heißt (MetaForm 1986: 2) – die Museumsplaner setzten in diesem zentralen Teil also ganz auf die „Authentizität“ des Ortes, die sie aus dem Erhalt eines originalen Zustands ableiteten und der sie eine unmittelbare Wirkung zuschrieben.28 Die Strategie, oder besser: Rhetorik der „retention“, also des „Beibehaltens“ oder „Bewahrens“, wurde damit in den Planungen omnipräsent. Hinter dieser scheinbar unproblematischen Rede verschwand jedoch der Umstand, dass das „Herzstück“ des Museums auf Ellis Island durchaus nicht nur erhalten, sondern zielgerichtet gestaltet wurde, und dass damit auch das Prob-
28 Gewiss wäre es an dieser Stelle möglich, einiges zu der Vorstellung zu sagen, Objekte könnten ohne weiteres selbst und unmittelbar sprechen. Was Peter Vergo für Kunstwerke feststellt, kann dabei auch für ein Gebäude gelten: „Left to speak for themselves, they often say very little“ (Vergo 1989b: 49; auch Bennett 1995: 146f.). Hier kommt es mir aber nicht darauf an, das „Sprechen“ zu problematisieren, sondern das behauptete „itself“. 105
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lem aufgerufen war, welche Geschichte im Museum präsentiert werden bzw. präsent sein solle. 29 Der Vorgang lässt sich am besten an einer internen Kontroverse verdeutlichen, die die Entwicklung des Museums über mehrere Jahre begleitete. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Wiederaufbau einer Treppe vom Baggage Room im Erdgeschoss des Hauptgebäudes in den Registry Room im 1. Stock. Eine erste Treppe im Zentrum des Raumes war 1911 abgebrochen worden und durch eine andere im östlichen Teil ersetzt worden. 1923 war aufgrund des starken Rückgangs der Einwandererzahlen und veränderter Kontrollprozeduren auch diese Treppe entfernt worden. Der Zugang zu den oberen Stockwerken erfolgte seither über kleinere Treppen in den Seitenflügeln. Abhängig von diesem prominenten Merkmal der Innengestaltung ergaben sich mithin drei historische Phasen und vor diesem Hintergrund verband sich die Entscheidung für oder gegen einen Wiederaufbau mit der Frage, ob in der Restaurierung eine spezifische historische Phase privilegiert werden solle. NPS-Regionaldirektor Cables legte im Juni 1983 in einem Brief an den Direktor und zahlreiche an der Planung beteiligte Stellen den seinerzeit maßgeblichen Standpunkt fest. Im offensichtlichen Bemühen, eine bereits lang andauernde Debatte zu beenden, schrieb er: „The position of the regional office throughout the planning process was that the building has no ‚period of greatest historical significance’, that all changes made to it between 1902 and 1954 have historical significance, and that all of these changes should be preserved so that the entire story of Ellis Island would be reflected in its fabric.“
Eine „period restoration“ oder auch die selektive Rekonstruktion einzelner Elemente, wie etwa der Treppe, sei daher grundsätzlich abzulehnen.30 Vielmehr böte gerade der Erhalt des Hauptgebäudes in seinem „evolved state“ die Möglichkeit einer multi-dimensionalen Präsentation, die der Komplexität der Materie eher gerecht würde: „Structural alterations which resulted due to expansions and contractions in the volume of immigrants are part of the phenomenon that constitutes the Island’s history and should be preserved to represent the totality of Ellis’ role as both an immigration and deportation station.“ (EIIMA 12) 29
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Die Spannung zwischen einer Rhetorik des Erhalts und der gleichzeitigen Produktion von Neuem deutet Kirshenblatt-Gimblett (1998a: 149) als Charakteristik des kulturellen Erbes insgesamt: „Heritage is not lost and found, stolen and reclaimed. Despite a discourse of conservation, preservation, restoration, reclamation, recovery, re-creation, recuperation, revitalization and regeneration, heritage produces something new in the present that has recourse to the past“. Die Kontroverse steht im Kontext lang anhaltender Debatten im NPS um Nutzen und Nachteil historischer Rekonstruktionen. Die ablehnende Haltung Cables’ reflektiert die seinerzeit gültige NPS-Position (Mackintosh 2004).
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Gegen diese Position stand die Empfehlung des neu formierten Historischen Beirats, sich mit aller Konsequenz auf die Geschichte der Masseneinwanderung zu konzentrieren: „We recommend that the primary emphasis in the treatment of the Great Hall be to convey the quality of the Ellis Island experience of the immigrants. We feel that the building itself should be used to evoke this experience as much as possible. […] It follows that we support the restoration of the main spaces in the Great Hall (the baggage room, the ticket office, the registry room) to their character as of the period of mass immigration (1900-1915). We favor […] the removal of the Coast Guard era additions (the staircase, partitions, etc.). Since the replacement of the stairway from the baggage room to the registry room would add to the authenticity of the experience, we recommend its restoration.“ (EIIMA 13)
Trotz der Vehemenz, mit der Cables die Position des NPS vorgetragen und untermauert hatte, und der Einigkeit, die innerhalb des Park Service und mit den Architekten erzielt wurde, kehrte damit in der Frage keine Ruhe ein. In einem neuerlichen Brief an den NPS-Direktor vom November 1983 schildert Cables, dass sich nun außerhalb des Park Service das Anliegen formiert hätte, die Treppe rekonstruieren zu lassen, und ersuchte noch einmal dringlich: „With little to gain and much to lose if it were replaced, I urge you to allow the development of the baggage room without the distraction and obstruction of a reconstructed stair.“ (EIIMA 14) Tatsächlich war diese Position nun jedoch nicht mehr zu halten. Die Befürworter einer Rekonstruktion in der Centennial Commission und im Historischen Beirat setzten sich durch, und Cables – „recognizing that the momentum for the re-creation of historic access to the Registry Room has reached the point where a ‘no-stair’ option is not realistic“ – blieb im Januar 1984 nur, mit einiger Resignation einen Kompromiss vorzuschlagen: Wiederaufbau, aber mit eindeutig moderner Anmutung (EIIMA 15). Ein Bericht vom Sommer 1984 setzte den Schlusspunkt hinter die Debatte und skizzierte die Richtlinien für die Rekonstruktion der Treppe und daran anknüpfend die Restaurierung des Hauptgebäudes im Allgemeinen. Den Kompromissvorschlag aufnehmend, wurde beschlossen eine moderne Treppe an einem der historischen Standorte zu bauen. Argumentiert wurde dabei zum einen mit einem optimierten Besucherfluss, zum anderen mit dem anvisierten Prinzip der Ausstellung, die Museumsbesucher den Weg der Einwanderer durch den Kontrollprozess nachempfinden zu lassen: „The stairway was an intrinsic phase of this procedure and it is most desirable to recreate that route and that experience for the park visitor.“ Der Standort wurde mit Rücksicht auf ein anderes architektonisches Merkmal gewählt. Im Jahr 1918 war im Registry Room eine kunstvolle Fliesendecke eingezogen worden, die sich gut erhalten hatte und als weiterhin erhaltenswert galt. Um keine „Inkonsistenz“ entstehen zu lassen, fiel die Entschei107
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dung entsprechend für den Standort der späteren, von 1911-1923 existenten Treppe, was weitere Konsequenzen nach sich zog: „This conclusion led us to the subsequent decision to generally respect the 1918-1923 appearance of the Registry Room in reference to many other design issues, such as which walls should stay and which should be removed.“ (EIIMA 16) In Abhängigkeit von zwei Parametern, Treppe und Decke, wurde nun also ganz im Gegensatz zu früheren Konzepten eine „period restoration“ beschlossen, die sich auf die letzte Phase der Hochzeit Ellis Islands als EinwandererKontrollstation bezog. Mit der Fokussierung auf diese eng begrenzte Periode von 1918-1923 waren auch zwei willkommene Nebeneffekte verbunden: Zum einen war nun implizit mitentschieden, die Sperrgitter, die bis 1911 zur Kanalisierung der Einwanderer den Raum unterteilt hatten, nicht wieder aufzubauen, wie vereinzelt angeregt worden war, und zum zweiten gewann der Raum durch die Entfernung nach 1923 eingezogener Wände an Größe und Grandeur. Der Registry Room erhielt so ein ganz bestimmtes Erscheinungsbild.31 Mit der Entscheidung für die Privilegierung einer spezifischen Phase und Geschichte Ellis Islands als Grundlage der Restaurierung brach sich in Negation des anfangs favorisierten „multi-dimensionalen“ Ansatzes eine Tendenz zur geschlossenen Erzählung Bahn. Als Ausgleich wurden an verschiedenen Stellen des Gebäudes Tafeln und Fotos angebracht, die diese Einschränkung transparent zu machen versuchen bzw. den Zustand des Registry Room zu verschiedenen Zeiten zeigen. Eine weitere gestalterische Zuspitzung erfolgte dagegen im Zuge der Ausstellungskonzeption. Im Sinne früherer Vorschläge zur minimalistischen, „präservierenden“ Ausgestaltung des Raumes formulierte MetaForm in einem konkretisierten Konzept zunächst: „To preserve the special atmosphere of the space, the room will be kept bare except for two items – reproductions of inspectors’ desks and some of the original benches that immigrants actually used.“ (MetaForm 1987: 18)32 31
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Kirshenblatt-Gimbletts (1998a: 179) Kommentar, wonach die Restaurierung von den „dictates of architectural, not immigrant, history“ bestimmt worden sei, ist nur teilweise richtig. Mit Blick auf die Fliesendecke (oder das entsprechende „Anfangsdatum“ der restaurierten Periode 1918) trifft der Befund zu, mit Blick auf die rekonstruierte Treppe (oder das „Enddatum“ 1923) nicht. Vielmehr scheint es, als ob die Macher in der gewählten Periode 1918-1923 in idealer (oder idealisierter) Weise beide Aspekte abgedeckt sehen konnten. Noch einmal – mit gleicher Stoßrichtung wie in der Treppen-Frage und wiederum erfolglos – hatte sich das NPS-Regionalbüro, nun auch gegen die Kollegen vor Ort, für eine noch zurückhaltendere Gestaltung eingesetzt: „[W]e suggest that inspectors’ desks not be replicated and placed at the end of the Registry Room. The intent of the planning effort up to this time never envisioned a refurbished Registry Room. The desks limit the room to a single period when we want to convey a sense of the space ‘over time’.“ (EIIMA 17).
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Nirgends erwähnt, wie wohl für das Erscheinungsbild der Great Hall von größerer Bedeutung, ist jedoch ein drittes Element: zwei übergroße amerikanische Flaggen, die von beiden Seiten ins Zentrum des Raumes hängen, und als gleichsam natürlich zum Gebäude gehörend erscheinen. Tatsächlich finden sich historische Fotografien aus der Zeit, auf denen die Fahnen zu sehen sind, und in den Planungsunterlagen von MetaForm wurden diese Fundstellen aufmerksam vermerkt. Doch auch hier zeigt sich die zielgerichtete Selektion: Während andere identifizierte Elemente, wie etwa Pflanzen auf den Balkonen oder Bilder an den Wänden, keinen Eingang ins Museum fanden, scheinen die Fahnen zum angestrebten „authentischen“ Bild des Raumes gepasst zu haben und wurden deshalb aufgenommen (EIIMA 18). In der Produktion des Ortes setzte sich also, so ließe sich zusammenfassen, vor allem durch die Konzentration auf das Hauptgebäude, aber auch durch dessen Ausgestaltung eine Version der Ent-Komplizierung und Ein-Dimensionalisierung der Geschichte Ellis Islands durch. Statt der zahlreichen historischen Facetten, die sich an der Insel und ihren Gebäuden zeigen ließen – „the entire continuum of history“, wie es in einem der früheren Konzepte hieß – fokussierte die Restaurierung auf den Aspekt der Einwanderung und privilegierte den Blick auf dessen reibungslose Seite. Trotz vielerlei Abwägungen und partiellen Kontroversen war manchen Beteiligten eine solche Sichtweise von Beginn an selbstverständlich: „[T]here is no question about the Main Building. There we’ll take the pure approach to the history of immigration – that’s the sacred building“ (EIIMA 19). Der Begriff „pure“ ist dabei bezeichnend. Er signalisiert sowohl die Rhetorik der Authentizität, mit der Vorstellung eines identifizierbaren Urzustandes, dem durch seine originale Erhaltung nahezukommen sei, als auch ein Unter-Bewusstsein für die Notwendigkeit von Restaurierung als „Reinigung“, von baulichgestalterischer Veränderung als Bereinigung. Denn durch diese Reinigung konnte der Ort, der aufgrund des Wandels seiner Funktionen im Lauf der Zeit nach Frisch/Pitcaithley „almost anything“ bezeichnen könnte, auch nur heilig werden – oder in den Worten seines Hohepriesters Iacocca: „like a cathedral, […] a churchlike setting, a place to pray“ (Wyden 1987: 260). In der Restaurierung wurde Ellis Island also zu dem gemacht, was es sein musste, um als ikonischer Erinnerungsort der Einwanderungsgesellschaft wirksam zu werden.
Zuspitzungen/Ausdehnungen: Die Produktion der permanenten Ausstellung Parallel zur Produktion des Ortes Ellis Island und in Wechselwirkung mit dieser wurde am Konzept der permanenten Ausstellung für das Ellis Island Immigration Museum gearbeitet. In der folgenden Re-Konstruktion der Entwicklung dieses Konzeptes und seiner Realisierung werde ich nicht primär chronologisch vorgehen, auch nicht akteursorientiert oder mit Blick auf einzelne Ausstellungsabtei109
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lungen.33 Die Leitperspektive der Analyse, wie der Darstellung, wird vielmehr systematisch sein. Fokussiert werden Debatten und Entscheidungen über Thema, Reichweite und Perspektive der Ausstellungen im Ellis Island Immigration Museum. Unterhalb dieser Ordnung sollen die Dimensionen der Chronologie und der Akteure allerdings erkennbar bleiben und zur Veranschaulichung werden die Diskussionen mitunter an konkrete Ausstellungsteile angedockt. Zu diesem Zweck wird nicht allein die Entwicklung der Konzepte beleuchtet, sondern werden an manchen Stellen auch „nachgeordnete“ Ebenen des Arbeitsprozesses einbezogen, wie spezifische Sammlungsinitiativen oder die Redaktion von Ausstellungstexten. Um das museumsspezifische Verhältnis von Deponieren und Exponieren, von Sammeln und Ausstellen, nicht unkommentiert auf Letzteres zu verkürzen, seien den Analysen einige Bemerkungen zur Ausgestaltung dieses Verhältnisses im Fall des Ellis Island Immigration Museums vorangestellt.
Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Ellis Island Immigration Museum Am pointiertesten lässt sich das Verhältnis von Sammlung und Ausstellung in der Konzeption des Ellis Island Immigration Museum an einem kurzen Dialog während einer Planungssitzung im September 1985 illustrieren. Der Historiker Thomas Kessner postulierte: „What you can tell depends on the artifacts and materials you have available“ – doch MetaForm konterte umgehend: „We need to focus on what we want to show, than look for it. There is virtually no collection“ (EIIMA 20). Während Kessner also, wie selbstverständlich, vom Primat oder zumindest vom zeitlichen Prius der Sammlung ausging, stellte MetaForm diesen Ansatz gleichsam von den Füßen auf den Kopf und plädierte für die vordringliche Entwicklung des Ausstellungskonzepts. Zwei Gründe waren dafür maßgeblich: Zum einen, und wie explizit vermerkt, war ein solches Vorgehen aus der Not geboren. Das Ellis Island-Projekt konnte zwar auf die Sammlung des AMI zurückgreifen, die seit den 1960er Jahren auf33
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Ein chronologischer Ansatz eignet sich meines Erachtens im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil darin die Gleichzeitigkeit von Abläufen und Entscheidungen zu verschwinden droht. Die Komplexität und mitunter Chaotik des Produktionsprozesses wird so tendenziell in ein Narrativ organischer, sukzessiver Entwicklung überführt und damit domestiziert. Ein Ansatz, der die Positionen und Aktionen einzelner Akteure oder Akteursgruppen zum Ausgangspunkt nimmt (so sie quellenmäßig überhaupt zu fassen sind), läuft dagegen Gefahr, aus seiner eigenen Logik heraus Abgrenzungen und Konfliktlinien konstruieren und fixieren zu müssen, die der Vielschichtigkeit und Wechselhaftigkeit des Prozesses ebenfalls nicht gerecht werden. Ein Ansatz, der einzelne Ausstellungsteile identifiziert und ihre Entwicklung isoliert in den Blick nimmt, wird schließlich technisch, ohne die übergreifenden Prinzipien oder den „Geist“ eines Projekts zu erfassen.
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gebaut worden war, doch war diese – nicht zuletzt aufgrund des geringen Interesses des NPS an einer kontinuierlichen Erweiterung des Bestandes – für das neue, wesentlich größere Museum viel zu klein (Blumberg 1985: 61f., 88). Zum anderen reflektiert die Position von MetaForm aber auch eine Verschiebung der Gewichte von der deponierenden zur exponierenden Funktion, die sich im Gefolge der Neuen Museologie innerhalb des Museums im Allgemeinen vollzogen hatte: „Sind Museen traditionell der Ort der Sammlung von Dingen, so stehen mit der Neuen Museologie nicht mehr die Sammlungen als solche im Zentrum, sondern die Ausstellungen“ (Beier-de Haan 2005a: 180; vgl. auch Korff 2002c). Von einer primären Orientierung an gesammelten Objekten verschob sich der konzeptionelle Ansatz solcher Ausstellungen auf die Orientierung an Ideen und Narrativen, in die die Exponate in einem zweiten Schritt zur Illustration integriert wurden (Dubin 2006: 479). Auf der Basis des sich entwickelnden Ausstellungskonzepts suchten die Mitarbeiter von MetaForm also zielgerichtet nach Objekten. Über die Medien wurden Aufrufe an die Bevölkerung lanciert, spezielle Firmen, Organisationen und Institutionen wurden kontaktiert. Die Vorstellungen waren dabei vielfach sehr konkret, wie im Fall der Kinderschuhe von Immigranten unterschiedlicher Herkunft, denen über Monate mit großem Aufwand nachgespürt wurde (EIIMA 21). Zudem gingen die Macher auch unkonventionellere Wege, wie Fred Wasserman beschreibt: „I used to go to flea markets, I used to go to antique fairs, bought some things at auctions – for the bigger immigration story – which were not the kind of things immigrant families had or the kind of things that would already be in the collection.“ (Interview 11.2.2005) Wenn dabei die Widerspenstigkeit der Objektwelt, die nicht beliebige Verfügbarkeit der Dinge, das Verhältnis zwischen Sammlung und Ausstellung auch nicht gänzlich zur Einbahnstraße werden ließ, sondern mitunter Wechselwirkungen provozierte – „In part, what came in affected how we could tell our story“, wie Wasserman sagt –, so war die Produktion der Ausstellungen im Ellis Island Immigration Museum doch klar vom Primat des Konzepts und nicht der gesammelten Objekte geprägt. Im Folgenden werde ich mich aus diesem Grund an der Entwicklung des Ausstellungskonzepts orientieren und Aspekte des Sammelns einstreuen, wo deutlich wird, wie sich darin konzeptionelle Prinzipien spiegeln.
Im Spannungsfeld zwischen Ellis Island und Immigration: Thematische Konturierungen Zunächst gilt es nachzuvollziehen, wie im Prozess der Konzeptentwicklung das zentrale Thema bzw. die Themen für die permanente Ausstellung auf Ellis Island ausgehandelt wurden. Denn wenn die Vorgaben durch den Ort, durch vorgängige Diskussionen oder auch durch Erwartungen der Öffentlichkeit (Frisch/Pitcaithley 1987) die thematische Ausrichtung, nämlich auf den Komplex „Einwanderung“, 111
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determiniert zu haben scheinen, blieb großer Spielraum darüber, wie dieser Komplex zu fassen sei. Die Konturierung einer dem Museum eigenen Version von Einwanderungsgeschichte erfolgte in Verbindung und Abgrenzung zu anderen möglichen Varianten, insbesondere in drei Richtungen: gegen eine partikulare Erzählung, die sich einzig auf die Geschichte der Einwanderung am besonderen Ort Ellis Island stützt, gegen eine partikularisierende Erzählung, die mit dem Fokus auf die Kultur der Einwanderer bzw. der Eingewanderten die Frage ethnischer Identitäten ins Zentrum stellt, und gegen eine generalisierende Erzählung, die sich um das Phänomen allgemeiner Mobilität organisiert. „Is it just what happened at Ellis Island? Do we put Ellis Island in context? What happened after the people came here? How is it shown?“ (EIIMA 22)
Mit diesen einfachen, doch weitreichenden Fragen konfrontierten die Ausstellungsmacher von MetaForm im Verlauf der Planungen eine Runde von Experten. Die Ausgangsfrage verwies dabei auf die Spannung zwischen dem Ort und der zu erzählenden Geschichte, die schon in den Diskussionen um die Auswahl und Restaurierung der Gebäude auf Ellis Island im Mittelpunkt stand. Im vorigen Kapitel wurde gezeigt, dass in diesem Prozess der vielschichtige Ort Ellis Island auf den Aspekt der Einwanderungsgeschichte zugespitzt wurde. In der Entwicklung der Ausstellung stand nun zur Debatte, die Einwanderungsgeschichte über diesen Ort Ellis Island hinauszuheben. Es stellte sich mithin die Frage, wie stark sich die Präsentation auf die Vorgänge auf der Insel konzentrieren solle, wie stark der Kontext der Zeit eingebunden werden müsse und wie weit über diesen Komplex hinaus gegangen werden könne. Von Beginn an unstrittig war, dass die Geschichte der Einwandererkontrolle auf Ellis Island zwischen 1892 und 1924 mit all ihren Aspekten und Konsequenzen einen großen Teil der Präsentation einnehmen sollte. Unstrittig war ebenfalls die Einbettung dieser Geschichte in den Kontext der Massenimmigration in den letzen Jahrzehnten des 19. und den ersten des 20 Jahrhunderts und in die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA während dieser Zeit. Insbesondere durch den Historischen Beirats wurde darüber hinaus jedoch ein dritter thematischer Block eingefordert, der die lange Geschichte der Einwanderung in die USA – „from the 16th century to the present“ (EIIMA 23) – behandeln und daran anknüpfend die Frage nach der nationalen Identität der USA aufwerfen sollte. Gerade die jüngsten Migrationen in die USA sollten dadurch mit in den Blick genommen und eine Reduktion auf mittlerweile etablierte Einwanderergruppen vermieden werden. Eine Ausweitung über den engen Rahmen der Vorgänge in der Kontrollstation und ihrer historischen Bedingungen befürwortete auch der Vorsitzende der Centennial Commission Lee Iacocca, wenngleich aus anderen 112
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Gründen. Aus seiner Sicht bot sich darin die Möglichkeit, die kulturellen „Beiträge“ verschiedener ethnischer Gruppen zur amerikanischen Kultur zu feiern und Einwanderungsgeschichte in konservativ-patriotischer Manier zu einer romantischen Beitragsgeschichte zu verklären (EIIMA 24). Im NPS stand man diesen Initiativen, nicht zuletzt aufgrund des Auftrags und der Tradition der Pflege spezifischer historischer Schauplätze, skeptisch bis ablehnend gegenüber: „Much has been said in the past that we ought to emphasize the process for immigrants as it took place. Present thinking, in a sense prodded by outside forces, expands this to include a broader approach […]. This expansion is probably inevitable, but it vastly complicates the task.“ (EIIMA 25)34 Dass in dieser Frage verschiedenen Grundeinstellungen aufeinander trafen und die Auseinandersetzungen entsprechend nicht einfach waren, reflektiert auch Beiratsmitglied Virginia Yans-McLaughlin: „[T]he Park Service had a policy of interpreting what happened on a particular site. And we really tried to convince them that that was not a good way to be doing this museum. That they should do it really as a museum to immigration, not just about Ellis Island.“ (Interview 21.2.2005) Tatsächlich setzte sich die thematische Ausweitung trotz des Unwillens in den Reihen des NPS durch. Wie in der Produktion des Ortes verschoben sich auch im Verlauf der Ausstellungsentwicklung die Gewichte immer stärker von der Geschichte der Insel auf die Geschichte der Einwanderung.35 Wie seitens des NPS vermutet, entwickelte sich dabei die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung jenes Komplexes, der über Ellis Island in seinem historischen Kontext hinausgehen sollte, zum kompliziertesten Problem der gesamten Ausstellungskonzeption. Reflektiert ist dies in den zahlreichen, unterschiedlich konnotierten Titeln, die für diesen Teil zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Akteuren vorgeschlagen wurden: „Ethnic Celebration“, „Pluralistic Society“, „American 34
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Darüber hinaus knüpften sich an die zeitliche Ausdehnung des Betrachtungsrahmens die Bedenken, dass dann aufgrund der räumlichen Beschränkung die Geschichte der Insel zwischen 1924 und 1954 – also die Zeit als Internierungs- und Abschiebeanstalt – noch geringere Bedeutung erhielte. Ein NPS-Vertreter hielt im Hinblick auf diese späte Phase Ellis Islands fest: „While it is apparent that these years will be covered in the broader exhibit on the history of the island proper, we are concerned that adequate treatment of this important subject will be limited by space considerations. […] The use of Ellis Island after World War One as a major detention/deportation facility requires careful treatment.“ Explizit verbunden mit dieser Forderung war das Anliegen, Ellis Island nicht ausschließlich romantisierend als „Island of Hope“ zu präsentieren (EIIMA 26). So wurde etwa eine Ausstellungseinheit mit dem Titel „Life on Ellis Island“, die unter Einsatz einer Vielzahl von Medien den Alltag der Internierten anschaulich machen sollte, zugunsten einer Präsentation von Dingen, die Immigranten bei ihrer Einreise mit sich führten, stark reduziert (MetaForm 1986: 22; 1987: 43). 113
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pluralism“, „American Melting Pot“, „America: Melting Pot or Mosaic?“, „American Identity“, „America’s National Identity“ oder „We Americans“ (MetaForm 1984: 3; NPS 1984: 26; EIIMA 27). Realisiert wurde schließlich eine Ausstellung mit dem Titel „The Peopling of America“, die auf der Grundlage visualisierter Statistiken einen möglichst weiten Kontext aufspannen sollte, „connecting the historic Ellis Island site and the peak immigration years to the wider story of immigration to America over four centuries“ (MetaForm 1986: 10f.). Zunächst war noch eine räumliche Trennung der beiden großen thematischen Blöcke vorgesehen mit Ausstellungen zu „Ellis Island und seiner Zeit“ im Hauptgebäude und „The Peopling of America“ im angrenzenden Baggage & Dormitory Building. Als jedoch die Pläne zu dessen Nutzung verworfen wurden und zudem die Mitglieder des Historischen Beirats eine stärkeren Verzahnung anmahnten, kam es zu einer Integration des gesamten Programms unter einem Dach.36 Beschlossen wurde daraufhin eine Gliederung des Museums wie folgt: Das erste Obergeschoss mit den Räumen um den zentralen Registry Room sollte mit Ausstellungen zur Einwandererkontrolle auf Ellis Island zur Zeit der Massenimmigration und zum historischen Kontext von 1892-1924 bespielt werden. Von dieser „Schnittmenge“ dehnten sich die Ausstellungen dann, schematisch betrachtet, räumlich und thematisch in zwei entgegengesetzte Richtungen aus: Auf der darüber liegenden Ebene wurden in bescheidenerem Umfang Präsentationen zur wechselhaften Geschichte der Insel angesiedelt – also gleichsam Ellis Island jenseits von Immigration – und im Erdgeschoss die Ausstellung zur langen Geschichte der Einwanderung in die USA – also Immigration jenseits von Ellis Island. Mit der Einbindung dieser Ausstellung wurde das Ellis Island Immigration Museum konzeptionell von einer rein ortsspezifischen, partikularen Präsentation abgelöst und zum Modell eines nationalen Einwanderermuseums hin geöffnet.37
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Die resultierende Verkleinerung der Ausstellungsfläche und die Entscheidung für eine grafisch-statistische Form stieß durchaus auch auf Ablehnung. Noch Jahre später bemerkte das Beiratsmitglied Bara Levin etwa: „I still regret the loss of exhibit space to tell the big why – and the longer story with exhibit text, images and artifacts – of the migration to this continent. I accept that it was not possible to do so within the space and financial limitations ultimately set.“ (EIIMA 28). Fred Wasserman (Interview 11.2.2005) reflektiert die Relevanz dieser Spannung zwischen einem ortspezifischen Museum und einem nationalen Einwanderungsmuseum für die Produktion der Ausstellung: „You know, this was at one and the same time to be a sort of national museum of immigration, but it also was being done at a particular site where something specific had happened. And so it’s not the same story as building a new facility where you can sort of start from scratch and say what is the ideal national history of immigration. It’s very tied to the site […] And so that very much colored what we were going to do.“
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Neben dieser Bestimmung galt es, das Thema der Ausstellungen im Hinblick auf ein präsentationsleitendes Paradigma zu präzisieren. Der Historiker John Higham brachte das Feld der Alternativen, in dem sich das Museum zu situieren hätte, in der eingangs erwähnten Sitzung prägnant auf den Punkt: „The basic problem is migration vs. culture“ (EIIMA 29). „Migration“ sollte dabei zu verstehen sein als der eigentliche Akt des „Wanderns“, also als die Gesamtheit derjenigen Aspekte, die mit Reise und Bewegung oder, allgemeiner, mit Mobilität in Verbindung stehen. Im Gegensatz dazu verwies „culture“ auf die kulturelle Identität, die ethnicity, der Migranten. Gegen das Modell eines Museums, das die Kultur der Migranten bzw. bestimmter ethnischer Gruppen in den Mittelpunkt stellt und als Grundlage seiner Ordnung nimmt, grenzten sich die Ausstellungsmacher vehement ab. Mit symptomatischem Bezug auf das ältere American Museum of Immigration formulierte einer der Planer die Leitlinien: „We will change from the existing nationalistic approach that you will see at the American Museum of Immigration to a very broad, encompassing treatment. So rather than separate the Irish and the German and the Chinese as distinct entities, we would look at elements of immigration in its totality […]. So rather than talking about the Irish experience, we would talk about reasons for immigration per se and then we can talk about what was common for example of the Irish and German and what may have differed.“ (EIIMA 30)
Die konzeptionelle Entscheidung gegen eine starke Betonung kultureller Gruppenidentitäten in den Ausstellungen des Ellis Island Immigration Museum basierte also nicht zuletzt auf den negativen Erfahrungen mit und dem Abgrenzungsbedürfnis gegen das American Museum of Immigration. Wie bedeutend die Rolle des AMI als Negativbild war und wie stark die Traumatisierung durch die Proteste gegen dieses nachhallten, reflektiert auch die heutige Kuratorin des Museums Diana Pardue: „There was a very specific intent not to talk about individual ethnic groups. And one of the reasons for that was that the old American Museum of Immigration did just that. And the entire time it was open they were given very bad reviews and they were constantly being approached by different ethnic groups. […] I think we realized through that […] that there is no way you can create a museum where you have all these different nationalities and that in some way the focus should be looking at their common experience as coming to the United States as immigrants.“ (Interview 3.5.2005)
Statt einer tendenziellen Partikularisierung der präsentierten Geschichte durch den Fokus auf die jeweilige Kultur bzw. die kulturellen Identitäten der Einwanderer optierten die Ausstellungsmacher also – zum Teil als Problemvermeidungs115
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strategie – für eine starke Orientierung an gruppenübergreifenden, gemeinsamen Erfahrungen der Einwanderung. Die möglichen Probleme der Konstruktion einer solchen „common experience“ oder gar einer „universal immigrant experience“ (zit. n. Welz 1996: 182) waren den Machern dabei durchaus bewusst: „Another fine line we were walking was to mix up all the immigrant groups, to create a kind of master narrative of this immigration process and this immigration story while at the same time not losing the specificity of different groups. In order to tell a general story of immigration you had to kind of create this overall story. But it’s also true that all these different groups have different experiences – perhaps different reasons why they are coming, and different experiences once they are here – and so we wanted this master narrative to not completely bury the kind of individual experiences of individual groups or even, beyond that, of individual people.“ (Interview Wasserman 11.2.2005)
Die Grundsatzentscheidung, nicht Einwanderergruppen, sondern Individuen und ihre gemeinsamen Einwanderungserfahrungen in den Mittelpunkt des Ausstellungsnarrativs zu stellen, hatte auch Auswirkungen auf den Kontakt mit ethnischen Organisationen, wie Fred Wasserman etwa mit Blick auf die Sammlungsstrategie beschreibt: „We, by and large, avoided going to ethnic organizations to get materials from their specific ethnic group. And I think that that in part was a tactical decision. I think, in general, we didn’t need to do that – but, you know, you want to avoid getting involved with ‚special interest’, so that we could do what we felt had the kind of integrity that we wanted.“ (Interview 11.2.2005) In der Tat kam das „spezielle Interesse“ einzelner ethnischer Communities während der Planungen verschiedentlich zum Ausdruck, und die Ausrichtung des Konzepts musste gegenüber solcherlei Ansprüchen teils mühsam verteidigt werden. So sah sich NPS-Regionaldirektor Cables genötigt, auf eine Anfrage betreffend die Entwicklung eines „ethnic museum“ für Ellis Island und den Vorschlag zum Aufbau eines speziellen „black ethnic program“ einmal mehr die Leitlinien des Konzepts deutlich zu machen: „Rather than approach immigration in an ethnic group-by-group manner, it is our intention to develop the museum topically, drawing examples from the experiences of a wide cross-section of racial, ethnic, socio-economic, and religious groups.“ (EIIMA 31) Insbesondere von Vertretern der großen Einwanderergruppen wurde – vielfach in Verbindung mit der Fundraising-Kampagne – eine angemessene Darstellung der spezifischen Beiträge ihrer Gruppe sowie Mitspracherecht eingefordert. Der spezielle Fokus, der der übergreifenden Orientierung der Ausstellungsmacher entgegenstand, wird deutlich in der Äußerung eines italo-amerikanischen Vertreters: „What representation will there be from the Italian-Americans to have a voice in what will be included in that. In the past, we put in a lot of work and money, and we were left out. A bunch of people took it upon themselves to make the decisions and that did not 116
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meet with the approval of the Italian-Americans. Do we have a voice when the time comes to design the representation of Italo-Americans on Ellis Island?“
Und der Präsident des Polish American Congress stieß für „seine“ Gruppe ins gleiche Horn: „Are we going to get a closet space for our contributions? I’m not talking about money, I’m talking about contributions to this country. Are we going to be treated equally, with every single group, because that’s how it should be.“ (EIIMA 32) In der Regel konnten diese Ansprüche mit Verweis auf die wissenschaftliche Autorität und Objektivität des Historischen Beirats, den kulturellen Hintergrund einiger seiner Mitglieder bzw. der Mitglieder der Centennial Commission sowie einen geplanten Ort für kulturelle Veranstaltungen, der allerdings nie gebaut wurde, abgewiesen bzw. entschärft werden. Nur in einem Fall setzte sich die partikularisierende Version der Hervorhebung einzelner Herkunftsgruppen durch: Auf Initiative des Irish American Cultural Institute und erst nach längerem Widerstand durch den NPS wurde im Jahr 1993 eine Statue der irischen Emigrantin Annie Moore, der ersten Person, die im Jahr 1892 auf Ellis Island abgefertigt wurde, im Museum aufgestellt. Diese fungiert seither als besonderer Kristallisationspunkt für die Erinnerung an die Einwanderung aus Irland (Desforges/Maddern 2004: 451f.; Kelly/Morton 2004a; Maddern 2007).38 Die konzeptionelle Entscheidung gegen einen primären Fokus auf die Kultur und ethnischen Identitäten der Einwanderer, bedeutete nicht, dass diese Aspekte in der Produktion der Ausstellung gänzlich unbeachtet blieben. Zum einen kam eine solche Orientierung gleichsam unterhalb der Ebene des Konzepts wieder zum Tragen. So zeigt ein Blick ins Archiv des Museums, dass für bestimmte Teile der Ausstellung das Recherchematerial alphabetisch nach Herkunftsländern gegliedert und damit wohl auch in den Köpfen der Macher als Ordnungssystem nicht ausgeblendet wurde. Daneben sollte die Kultur der Einwanderer durchaus in den Ausstellungen auftauchen, aber eben als nachgeordnetes Thema und unter Berücksichtigung von Gemeinsamkeiten, in diesem Fall in einer neuen amerikanischen Kultur: „Attention should be given to the creation of a common American culture as well as to the persistence of ethnicity“ (EIIMA 33). Für die Ausstellung maßgeblich wurde aber, wie gezeigt, ein Begriff von Einwanderung und Einwanderungsgeschichte, der sich von der Hervorhebung partikularer kultureller Identitäten abgrenzte bzw. diesen Aspekt tendenziell von sich als Anderes abtrennte: „the broad story is not ethnicity, it’s immigration“ (EIIMA 34).
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Auf der Grundlage dieser Ausnahme wie Desforges/Maddern (2004: 450) von einem „ethnic space“ im Produktionsprozess (also nicht in der Rezeption!) zu sprechen, scheint allerdings überhöht. Vielmehr dokumentiert die singuläre Erscheinung gerade dessen weitestgehende Abwesenheit. Maddern (2007: 49f.) verweist darauf, dass die relativ starke Stellung der irisch-amerikanischen Community in der amerikanischen Gesellschaft für den Erfolg der Initiative maßgeblich war. 117
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Die Alternative zur thematischen Ausrichtung auf den Komplex Kultur wäre, nach John Higham, die Fassung des Phänomens Immigration im Paradigma der Mobilität. Dem wurde in den Debatten um das Konzept weniger Aufmerksamkeit geschenkt, verschiedentlich kamen jedoch Vorstellungen zum Ausdruck, die Präsentationen im Ganzen um das Narrativ der Reise zu organisieren. So wurde etwa vorgeschlagen, im Eingangsbereich die Attrappe eines Schiffes aufzubauen und ein Berater von MetaForm empfahl: „[U]se the Main Building as an evocative attempt to understand the meaning of movement […]. In the series of small rooms you can construct a cabin-class or 1st class cabin mock-up. The baggage room could hold a train.“ (EIIMA 35)39 Auch der Vorsitzende des Historischen Beirats, Rudolph Vecoli, forderte den Aspekt der Mobilität stärker zu berücksichtigen: „[S]omething should be included about the voyage to give a sense of what the immigrants had been through before arriving“ (EIIMA 36). Insgesamt blieben diese Interventionen allerdings minimal und Aspekte von Reise, Transport, Bewegung fanden an verschiedenen Stellen zwar Eingang in die Ausstellungen, wurden als strukturierende Elemente jedoch nicht relevant. Nathan Glazer fasste die Haltung zusammen: „It is hard to think of this as a museum of American Mobility – it’s too general“ (EIIMA 37). Entgegen der verbreiteten, gegen das Konzept des AMI gerichteten Rede von der Notwendigkeit, „to shift the emphasis from a narrow nationalistic approach to a global perspective“, wurde so die Möglichkeit einer thematischen Ausrichtung, die Migration jenseits der Beschränkung auf den nationalen Bezugsrahmen als Mobilität fasst und die Perspektive zu einer tatsächlich globalen Betrachtungsweise öffnen könnte, abgewiesen und das Ausstellungskonzept in seinem Begriff der Einwanderung auf den Rahmen des Nationalstaats zurückverwiesen.40
Inklusion als Prinzip (Probleme inklusive) Einer der Gründe für die Initiative, das Thema der Ausstellung über den engen Rahmen der Ellis Island-Einwanderung auszudehnen, war die insbesondere von Mitgliedern des Historischen Beirats vertretene Überzeugung, dass dieses spezielle Phänomen nur durch die Einbettung in den historischen Kontext seiner Zeit, aber auch in den Kontext der langen Geschichte der Immigration in die USA verständlich werden könnte. Ein zweiter, damit in direkter Verbindung stehender Grund war das geschichtspolitische Anliegen einer möglichst breiten RePräsentation und Relevanz, womit eine Hauptstoßrichtung der Neuen Sozial39 40
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Im Museum Pier 21 und im Immigration Museum Melbourne sind solche Installationen von Schiff und Zug realisiert. Als einziges Element, das globale Migration thematisiert, wurde in die Ausstellung „The Peopling of America“ ein Globus eingefügt, der mittels Leuchtdioden interkontinentale Migrationsbewegungen seit dem 18. Jahrhundert anzeigt.
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geschichte wie auch der Neuen Museologie zum Tragen kam. Das Museum sollte ganz bewusst vermeiden, die Ausschlüsse älterer Geschichtsdarstellungen zu reproduzieren, und stattdessen möglichst viele und vielfältige historische Erfahrungen und gesellschaftliche Gruppen in seine Präsentation einbeziehen. In der Ausweitung des thematischen Rahmens und der Öffnung hin zu einem nationalen Einwanderungsmuseum verstärkte sich die Forderung nach einer solchen Integration dabei gleichsam selbst. „Inclusiveness“ wurde zum Zentralbegriff der Ausstellungsproduktion.41 Die Bemühungen, „to be as inclusive as possible“ (EIIMA 38), zeigen sich in verschiedenerlei Hinsicht. Zunächst bezog sich die Initiative, wie skizziert, auf die Einbeziehung einer Vielzahl historischer Phasen der Migration in die Ausstellung „The Peopling of America“. Die denkbar weiteste Fassung des Einwanderungsnarrativs formulierte dabei das Beiratsmitglied Alan M. Kraut: „Beginning with the Siberian hunters who crossed the Bering landbridge about 30.000 years ago, America has been populated by travelers from around the globe. Americans all have a past somewhere else – whether their relatives arrived on foot thousands of years ago, or on a plane several months ago.“ (EIIMA 39) Wenn eine solch allumfassende Version auch nicht realisiert wurde, so optierten die Ausstellungsmacher doch für eine weite Konzeption, die die Geschichte der Einwanderung von 1600 bis in die Gegenwart spannen und Verbindungen zwischen historischen und aktuellen Migrationsbewegungen herstellen sollte. Deutlich werden sollte „that this is an ongoing story“ (MetaForm 1987: 10). Die Integration verschiedener Ursachen und Arten der Migration in dieses Narrativ, wie die Einbeziehung des Sklavenhandels, entsprach dabei ganz explizit den Intentionen der Macher und war nicht etwa von außen bestimmt, auch wenn Nathan Glazer in der Planungsphase einen „political demand for treatment of nonvoluntary immigration i.e. slavery“ identifizierte (EIIMA 40).42 41
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„Social Inclusion“ und „Inclusiveness“ als Zentralbegriffe der New Museology behandeln etwa Hooper-Greenhill 1997, Janes/Conaty 2005 und Sandell 2002, 2007. Vgl. auch meine obige Darstellung im Kapitel „Das Museum im Wandel“. So drängten der Historische Beirat und die NPS-Vertreter vor Ort etwa trotz schwieriger Materiallage auf eine Darstellung der Einwandererzahlen für die Zeit vor 1820 (vgl. EIIMA 41). In einem Fall lässt sich jedoch auch ein Anstoß von außen zur Ausdehnung des Fokusses belegen. In einem Schreiben an den NPS-Projektleiter heißt es: „As you know, the $ 500.000 that we received from the Ford Foundation came from their International Affairs Budget. It was given to us because of Ford’s interest over the past few years in refugees and the fact that ‚Peopling of America’ […] would cover refugees.“ In der Konsequenz führte dies z. B. zu konkreten Anweisungen an die Produzenten einer Interview-Dokumentation über heutige Einwanderer: „You MUST have a good representation of refugees or else we will have trouble with the Foundation and their sponsor, the Ford Foundation.“ (EIIMA 42). 119
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Während sich das Prinzip der Inklusivität in Bezug auf den Betrachtungszeitraum nur in einem Teil des Museums niederschlug, wurde es in anderer Hinsicht für die gesamte Präsentation grundlegend: Statt einer Fixierung auf wenige berühmte Immigranten sollte sich die Darstellung an den Erfahrungen der vielen einfachen und anonymen Einwanderer und Einwanderinnen ausrichten. Symptomatisch für diese Position, die sich in den Planungen schnell durchsetzte, ist die Reaktion des Beiratsvorsitzenden Rudolph Vecoli auf gegenteilige Überlegungen im ersten Konzeptentwurf von MetaForm: „[P]lease discard the idea of a gallery of distinguished immigrants. If any place in America should be dedicated to the experience of ordinary people it is Ellis Island. And that experience itself was of epic proportions. No need to search for heroes or heroines here.“ (EIIMA 43) Ganz im Sinne der Neuen Sozialgeschichte – und abermals gegen die Konzeption des älteren AMI – sollte also die breite Masse der Immigranten ins Zentrum der Darstellung gerückt und gleichsam zum kollektiven Helden der Erzählung gemacht werden. Mit dieser Einstellung wurde im gleichen Schritt auf der Ebene des Konzepts auch ein metonymischer Ansatz der Re-Präsentation ethnischer Gruppen abgewiesen: „To cite a pantheon of famous people as indicative of their ethnic group is false“ (EIIMA 44). Die Inklusion einer möglichst großen Bandbreite von ethnischen Gruppen wurde schließlich das wichtigste Anliegen und zugleich der komplexeste Punkt der Ausstellungsproduktion. Denn hier gab es auch „exklusive“ Sichten, wie ein ehemaliger Projektmitarbeiter mit Blick auf den Vorstand der Statue of LibertyEllis Island Foundation deutlich machte: „A prominent official on the board, who shall remain unnamed, […] determined that the most recent immigration since the Ellis Island period did not fit in line with their particular cultural perspectives and that this was going to be a white man’s museum.“ (zit. n. Holland 1993: 184) Diese Vorstellung von Ellis Island als „white man’s museum“ blieb für den konkreten Produktionsprozess jedoch marginal, nicht zuletzt weil sie der Auffassung der anderen, direkter beteiligten Akteure diametral entgegen stand. Maßgeblich wurde der Versuch, eine möglichst große kulturelle Vielfalt im Museum zu re-präsentieren. So formulierte das Ausstellungskonzept programmatisch: „In addition to the immigration story, interpretation will attempt to use Ellis Island as a symbol of the ethnic and cultural diversity in American culture“ (NPS 1984: 9). Besondere Beachtung sollten dabei gerade die nicht-europäischen Ellis Island-Einwanderer erhalten, wie das Beiratsmitglied Roger Daniels anmahnte: „It is especially important that those who do not feel an ancestral or ethnic attachment to Ellis Island and its tradition – Afro-Americans, Asian Americans, Hispanic Americans, or even deracinated Euro-Americans – be provided with a way to relate their own or family experience to what they will see.“ Und seine Kollegin Virginia Yans-McLaughlin forderte mit ähnlichem Impetus: „[E]very child and adult must get the feeling of how their experience, or their parents’ experience connects to the Ellis Island experience. An Afro-American 120
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child, a Puerto-Rican child, a Chinese child whose ancestors came through west coast portals – each of them are descendants of immigrants and the interpretation should help to place them as such.“ (EIIMA 45)43 Fred Wasserman von MetaForm konstatiert, dass die Entscheidung für eine möglichst breite Inklusion ethnischer Gruppen in die Ausstellung klar politisch motiviert und kritisch gegen eine Vorstellung von weißer Hegemonie gestellt war: „It was a very specific decision, the country is very diverse… It’s that combination – on the one hand being a site-specific National Park Service site, but on the other hand being a ‚national’ museum of immigration. And the United States certainly by the late 1980s when we were creating this had a lot of people who were not of Western European backgrounds and to solely create something that was a celebration of white ethnics […] would have been incorrect, short-sighted. I think as much as possible it was important for visitors to see themselves and a lot of visitors would be people – New York City school kids – who were not from Western Europe.“ (Interview 11.2.2005)
In diesen Statements, die als charakteristisch für die Positionen des Historischen Beirats, des NPS und MetaForm, mithin den drei unmittelbar mit der Produktion der Ausstellung befassten Akteuren, gelten können, wird deutlich, wie stark bei den Beteiligten das Bewusstsein ausgeprägt war, dass in den Präsentationen des Museums nicht eine vergangene Geschichte dargestellt oder „gespiegelt“, sondern ein Bild der amerikanischen Gesellschaft entworfen und kommuniziert werden würde. Zentral war dabei die Annahme, dass das Museum dann für eine Vielzahl von Besuchern relevant würde, wenn es Anschlüsse an deren „eigene“ Geschichte bieten würde, wobei diese Geschichte mit identitätspolitischem Einschlag als Teil einer kollektive Geschichte der jeweiligen ethnischen Gruppe gedacht wurde. Die Herstellung der erwünschten kulturellen Vielfalt sollte über zwei Wege erfolgen: zum einen über die Ausweitung des Betrachtungszeitraums in der „Peopling of America“-Ausstellung, wesentlicher aber durch Hervorhebung der diversity zu Zeiten der Ellis Island-Einwanderung selbst und damit im ganzen 43
Alan Kraut charakterisiert diese Haltung als Konsens im Historischen Beirat (Desforges/Maddern 2004: 449). Auch seitens des NPS wurde stets die Bedeutung möglichst großer „Ausgewogenheit“ der Re-Präsentation in dieser Hinsicht betont. So forderte NPS-Regionaldirektor Cables in Reaktion auf den Entwurf eines frühen Ausstellungskonzepts (MetaForm 1986): „Better balance of ethnic representation. Present proposal seems overweighted by Europeans.“ (EIIMA 46). Gisela Welz’ (1996: 185) Deutung dieser ernsthaften Bemühungen um Inklusion als Alibi und reine „political correctness“ greift dagegen zu kurz und bleibt – bei richtiger Kritik der Präsentationen – letztlich der Vorstellung einer konservativen Steuerung des Projekts verhaftet. 121
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Museum. Eine solche Gesamt-Inklusion stand allerdings jenseits der klaren konzeptionellen Befürwortung vor nicht geringen Schwierigkeiten, wie im Folgenden am Beispiel der Re-Präsentation von African Americans im Ellis Island Immigration Museum illustriert werden soll. Das Problem einer breiten Re-Präsentation lag auf der Hand: Die historische Einwanderung über Ellis Island in den Jahren 1892-1924 war ganz überwiegend europäisch und weiß geprägt.44 Damit verwies auch ein Großteil des Materials für die Ausstellungen – die Objekte, Bilder, Geschichten – auf diese europäischkonnotierte Geschichte, was durch das aktive Interesse etwa von polnisch- oder italienisch-stämmigen Amerikanern noch verstärkt wurde. In dieser Situation erwies es sich gewissermaßen als historiographischer Glücksfall, dass unter den 12 Millionen Ellis Island-Immigranten auch etwa 300.000, also 2,5 Prozent, schwarze Einwanderern waren, die vornehmlich aus der Karibik, zu einem geringeren Teil aus Afrika stammten. Dadurch wurde es möglich, ganz in Übereinstimmung mit dem Ausstellungskonzept auch in den Sektionen des Museums, die sich ausschließlich mit Ellis Island und seiner Zeit befassen sollten, schwarze Einwanderer zu integrieren. Über ihre spezifische Geschichte hinaus sollten diese zudem, so lässt sich das Kalkül vermuten, sichtbar für die Gesamtheit der schwarzen Amerikaner stehen und kulturelle Vielfalt in den Präsentationen signalisieren. Allein, diese „Vorzeige-Schwarzen“ zeigten sich nicht. Das verzweifelte Bemühen der Ausstellungsmacher an Objekte dieser Gruppe zu kommen, ist greifbar in zahlreichen Pressemitteilungen, die in verschiedenen Zeitungen im ganzen Land abgedruckt wurden.45 Ein Aufruf vom 3. August 1987 mit dem Titel „Ellis Island Museum project needs artifacts from Black Americans“ endet etwa (nach einer Aufzählung gesuchter Objekte) mit dem eindringlichen Anliegen: „According to the National Park Service, without these materials, the story of Ellis Island would be incomplete“ (EIIMA 48). Ein knappes Jahr später stellte sich die Situation nicht besser dar. In einem Brief schildert die leitende Wissenschaftlerin von MetaForm, dass inzwischen zusätzlich zu den allgemeinen Veröffentlichungen gesonderte Aufrufe an 400 Medienanstalten, die sich speziell an ein schwarzes Publikum richten, verschickt wurden: „And STILL we have veritably nothing from them“ (EIIMA 49). Im August 1988 versuchten die Macher es mit einem letzten, zunehmend desillusionierten Versuch: „An urgent appeal is being made to Black Americans for mementoes relating to immigration to this country between 1890-1924. […] A nationwide call was made last year for objects from 44
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Dass es sich bei den Begriffen „weiß/schwarz“ nicht um Wesenheiten, sondern um historisch kontingente, veränderliche Zuschreibungen handelt, wurde in den letzten Jahren durch Arbeiten aus den Whiteness Studies aufgezeigt und sei hier stets mitreflektiert (vgl. etwa Dyer 1997; Frankenberg 1997; Lüdtke/Mörchen 2005). Ähnliche, speziell gerichtete Presseaufrufe wurden auch für Hispanic Americans, Japanese Americans und Chinese Americans verfasst (EIIMA 47).
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all former immigrants and their descendants, but so few items were obtained from Black Americans that their story cannot be adequately represented under the present circumstances.“ (EIIMA 50)46 Nun wurden selbst Objekte akzeptiert, die keinen direkten Bezug zu Ellis Island hatten, solange sie nur in Beziehung zu der „Kernzeit“ standen. Der Ertrag war dennoch gering, wie die Daily News am 16. September 1988 vermeldete: „[T]here has been only an ‚anemic response’ to requests for artefacts from blacks and Hispanics, the organizers said.“ Die Gründe für diese „blutleere“ Reaktion mögen vielfältig sein, doch verweist sie nicht zuletzt auf das spannungsvolle Verhältnis von schwarzen Amerikanern zum Narrativ der Einwanderung, wie es sich in Ellis Island kristallisiert. Aus Anlass des Jubiläums der Freiheitsstatue im Juli 1986 – auf der Höhe der Museumsentwicklung – kamen diese Spannungen in Äußerungen von Repräsentanten der afro- und karibisch-amerikanischen Communities zum Vorschein. Neben manchen, die ein Feiern der Einwanderungsgeschichte positiv sahen, solange der Anteil der freiwilligen Migration aus der Karibik gewürdigt würde, äußerten viele Skepsis und Ablehnung. Der Historiker John Hope Franklin etwa gliederte sich selbst in symptomatischer Weise aus der Gemeinschaft der Einwanderer aus: „It’s a celebration for immigrants and that has nothing to do with me. I’m interested in it as an event, but I don’t feel involved in it“ (NYT 30.5.1986: A1). Die demonstrative Indifferenz gegenüber einer Geschichte, die nur andere betrifft, wendete sich vielfach in die Kritik, dass in der Betonung des EinwandererNarrativs die Geschichte des Sklavenhandels und der Sklaverei als zentraler identitätskonstituierender Komplex schwarzer Amerikaner überschrieben und damit im öffentlichen Bewusstsein tendenziell gelöscht werde. So kommentierte der damalige Bürgermeister von Atlanta Andrew Young: „No one in the black community is really excited about the Statue of Liberty. We came here on slave ships, not via Ellis Island“ (zit. n. Vecoli 1994: 68).47 Die zurückhaltende Reaktion auf die Sammlungsinitiative kann insofern auch als passiver Widerstand gegen die Inkorporation der ganz anderen Migration des Sklavenhandels in ein übergreifendes Einwanderer-Narrativ gewertet werden. Die Ausstellungsmacher hielten ungeachtet dieser Stimmen und dieser Stimmung an ihrer Strategie der Inklusion fest und versuchten in Verfolgung ihres Konzeptes, auch die dürftige Objektlage kreativ zu bewältigen. Aufschlussreich ist eine interne Notiz des NPS-Projektleiters Gary Roth anlässlich einer Beschwerde nach Eröffnung des Museums. Der Absender hatte sich zum einen über 46 47
Im Hinblick auf Oral History-Interviews war die Lage ähnlich (vgl. EIIMA 51). Für weitere Aspekte zum Verhältnis von schwarzen Amerikanern und der Statue of Liberty bzw. dem Einwanderernarrativ vgl. auch Glassberg 2003: 5; Low u.a. 2004: 55. Zu Sklavenhandel und Sklaverei als identitätsbildender Komplex für schwarze Amerikaner und dessen Verarbeitung in öffentlichen Geschichtsdarstellungen vgl. Horton/Horton 2006. 123
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mangelnde Repräsentation der karibischen Immigration beklagt, zum anderen bemerkt, dass an einer Wand mit zahlreichen Fotografien von Einwanderern verschiedener Herkunft die Bilder eines karibischen Vaters und seiner Tochter so weit voneinander entfernt zwischen anderen Porträts gezeigt wurden, dass der familiäre Zusammenhang kaum mehr zu entdecken war. Roth schilderte zunächst noch einmal die intensiven, aber weitgehend erfolglosen Bemühungen von MetaForm, an Objekte von schwarzen Einwanderern zu gelangen, und die Konsequenz, dass praktisch jeder eingegangene Artikel als Exponat seinen Weg in die Ausstellung fand. In Bezug auf die Fotos merkte er abschließend an: “I don’t know the specific photograph, but would not find it hard to believe that MetaForm may have stretched things a bit for the purpose of being inclusive rather than exclusive.“ (EIIMA 52)48 Die Notiz macht deutlich, wie die Projektbeteiligten, ganz im Gegensatz zu Vorwürfen der intentionalen Verengung auf das Segment der europäischen Einwanderer (Ball 1990), in der Produktion der Ausstellung beinahe krampfhaft versuchten, eine möglichst breite Re-Präsentation zu erreichen. Zunächst hatten sie sich mit großem Einsatz um den Ausgleich des Ungleichgewichts und die Stärkung unterrepräsentierter Gruppen auf der Ebene der Objekte bemüht. Als die Realität des Sammelns das Konzept jedoch nachgerade konterkarierte, versuchten sie, gleichsam als ultima ratio in der Rettung des Inklusionsprinzips, durch geschickte Verteilung ihres spärlichen Bestandes einen Ausgleich auf der Ebene der Ausstellung. Der schwierige Vorgang der Sammlung macht aber auch deutlich, dass die Produktion der Ausstellung, mithin am „authentischen“ Ort, keine voluntaristische Setzung sein konnte, sondern immer schon mit vorgängigen Konnotationen und gesellschaftlichen Deutungen kollidierte. In welcher Form das zentrale Prinzip der Inklusion aus dieser Kollision hervor- und in das Produkt der Ausstellung einging, wird weiter unten im Abschnitt „Family Album: Gleichgültige Inklusion“ diskutiert.
Perspektiven und Positionen Jenseits der Frage nach der thematischen Ausrichtung und der Weite des Bezugsrahmens galt es zu bestimmen, welches Bild von den Einwanderern die Ausstellung im Ellis Island Immigration Museum zeichnen sollte. Auch hier setzten sich
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Eine ähnliche Strategie des Ausbalancierens der ethnischen Re-Präsentationen, wenn auch weniger kunstvoll, lässt sich für die Produktion der Video-Interviews mit neueren Einwanderern in der „Peopling of America“-Ausstellung zeigen: „We view the ‚New Immigrant’ programs as an opportunity to present members of ethnic groups underrepresented in the Main Building exhibits. To this end, we will undoubtedly be speaking with a larger proportion of Asian, South American, Caribbean, and African immigrants than with Europeans.“ (EIIMA 53).
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die Macher vehement gegen ältere Konzeptionen ab und versuchten, den Paradigmenwechsel in der amerikanischen Migrationsgeschichtsschreibung nachzuvollziehen. Entschieden formulierte etwa das Regionalbüro des NPS: „The theory of immigration that will form the basis for many of the exhibits should not be based on Oskar Handlin’s work. Over thirty years old now, Handlin’s theories have been superseded by more recent historical inquiries.“ (EIIMA 54) Gemeint war in dem ablehnenden Bezug auf Oskar Handlin und sein Standardwerk The Uprooted aus dem Jahr 1951 im Wesentlichen ein Auffassung der Immigranten als „lost souls“ und Entwurzelte, die von Kräften jenseits ihrer Kontrolle aus vertrauten Umgebungen und Bindungen gerissen und gänzlich individualisiert in eine fremde und entfremdete Welt geworfen worden seien. Die Ausstellung sollte die Einwanderer dagegen im Anschluss an neuere Untersuchungen, wie John Bodnars programmatisch gegen Handlin gerichtete Studie The Transplanted von 1985, als rationale Akteure zeigen, die in Abwägung zur Verfügung stehender Optionen und im Verbund mit ihren Familien ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen und somit aktiv ihre Zukunft gestalteten (Vecoli 1990: 27f.).49 Zum Ausdruck kam diese Haltung in der scharfen Kritik des Historischen Beirats an dem Film „Island of Hope, Island of Tears“, der als Überblick und Einstimmung zum Museumsbesuch dienen sollte und von einer außenstehenden Firma produziert wurde. Neben der Vernachlässigung einer globalen Dimension der Migration und dem Aspekt der Rückmigration kritisierten die Historiker vor allem die stereotypisierende Darstellung der Einwanderer als Opfer: „The basic flaw however, is the portrayal of the immigrant as victim […] It is sooo heavy-handed, sooo depressing and sooo inaccurate […] There is a strong sentiment among the History Committee to disassociate ourselves from this film and perhaps to go as far as to lodge a public protest should it be accepted by the National Park Service in the present form. It really is that bad!“ (zit n. Desforges/Maddern 2004: 448)50
Insbesondere die Mitglieder des Beirats distanzierten sich damit auch von dem populären Bildrepertoire, das sich seit Beginn des Jahrhunderts im Anschluss an Emma Lazarus’ Gedicht „The New Colossus“ in der Vorstellung von den Einwanderern gebildet hatte. Dessen viel zitierte Verse „Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free…“ zierten seit 1903 den 49 50
Für Ansätze einer Kritik der organologischen und essentialisierenden rootsMetaphorik, die beiden Titeln zugrunde liegt, vgl. Malkki 1992 und Köstlin 2000. In diesem Fall scheint die Einschätzung des Beirats von derjenigen der NPSMitarbeiter im Regionalbüro und vor Ort differiert zu haben, die den Film schon in seiner ersten Fassung positiv aufgenommen hatten (vgl. EIIMA 55). Öffentlicher Protest war dennoch nicht nötig – der Film wurde der Kritik entsprechend überarbeitet und fand schließlich auch die Zustimmung des Beirats (vgl. auch Holland 1993: 241; EIIMA 56). 125
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Sockel der Freiheitsstatue und hatten einerseits dazu beigetragen „Lady Liberty“ zur „Mother of Exiles“ umzudeuten, andererseits die Immigranten zu uniform freiheitsliebenden Elendsflüchtlingen stilisiert. Mit der skizzierten revisionistischen Perspektive einher ging nun der Versuch der Verschiebung des Akzents bei den Migrationsursachen weg vom individuellen Streben nach Freiheit hin zu ökonomischen Erwägungen und mithin der Relativierung der engen Verbindung zwischen der Statue of Liberty und Ellis Island. Eine solche Position hatte sich schon im starkem Plädoyer gegen den Standort des AMI in der Freiheitsstatue artikuliert und setzte sich nun im Eintreten für Zurückhaltung im Rekurs auf die Ikonographie Lady Libertys in den Ausstellungen sowie allgemein im Bemühen um ein entromantisiertes Bild der Einwanderer fort. Zu dieser Entromantisierung gehörte auch die Ablehnung einer Beitragsgeschichte, wie sie im AMI verfolgt, von Lee Iacocca und Vertretern ethnischer Communities aber auch für das Ellis Island Immigration Museum favorisiert wurde. Gegen diese vereinfachende und harmonisierende Sicht formulierte Thomas Kessner, einer der Berater von MetaForm, den Konsens der Ausstellungsmacher: „To say ‚contribution’ means they were motivated to give, which is historically inaccurate.“ (EIIMA 57)51 Komplementär zum differenzierten Porträt der Einwanderer sollte auch ein nüchternes Bild von Ellis Island und des Einwanderungslandes USA gezeichnet werden. So warnte Rudolph Vecoli in Reaktion auf die erste Konzeptvorstellung MetaForms vor einem allzu positiven Ton der Darstellung : „[R]eference was made to an ‚upbeat’ way of looking at the immigrant experience. Sure, there is much that was positive and inspirational, but let us not forget that Ellis Island was called the ‘Isle of Tears’ in many languages.“ (EIIMA 59) Entsprechend sollten auch Aspekte wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, restriktive Einwanderungspolitiken und bürokratische Härten sowie die Zusammenhänge von Migration und Arbeitsmarkt nicht ausgespart bleiben. Der Projektleiter von MetaForm, Jack Masey, beschreibt emphatisch die gemeinsame Verpflichtung auf schonungslose „historische Genauigkeit“: „We wanted to be historically accurate, rather than flamboyant […], we wanted facts. We wanted to tell certain stories that were very troubling […]. Not only the good things, but the bad things, about how one day we wanted immigrants to come to this country, and the next day we didn’t want them to come, one day we exploited them for cheap labor, and the next day we were afraid of them and didn’t want them in the country.“ (Interview 8.3.2005)
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Dass sie sich mit einer solchen Entscheidung im Konflikt mit dem Vorsitzenden der Centennial Commission befanden, war den Historikern dabei durchaus bewusst, wenn nicht gar willkommen: „When this opens in 1987, will Lee Iacocca be happy with it if it doesn’t have the celebratory emphasis on immigrants’ contributions?“ (EIIMA 58).
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Darüber hinaus drängten einige Beteiligte auf eine sensible Wahl der Sprache, vor allem um ostentativen Patriotismus zu vermeiden. So kritisierte NPSProjektleiter Gary Roth gegenüber MetaForm mit Blick auf den einführenden Text: „I have difficulties with your use of ‚our’ here and elsewhere. Sounds too much like the kind of things they write in USA Today and immediately tells foreign visitors that they are outsiders looking in.“ (EIIMA 60) Und Beiratsmitglied Bara Levin forderte mit der gleichen Stoßrichtung, abgedroschene oder besetzte Begriffe wie „the American Dream“ oder „our shores“ zu vermeiden und durch neutralere zu ersetzen (EIIMA 61). Tatsächlich wurden diese Vorschläge nahezu vollständig umgesetzt und so bis zuletzt versucht, die Präsentation zu versachlichen: Aus „nearly 26 million people landed on our shores“ im Intro-Text zur Ausstellung „Peak Immigration Years“ wurde „nearly 26 million people entered the country“. Aus „a dynamic process that continues to bring new arrivals to our shores“ in der Einführung zu „Peopling of America“ wurde „…bring new arrivals to the United States“. Und der Überblickstext zum gesamten Museum spricht nun statt, wie ursprünglich, von „our parents, grandparents und greatgrandparents“ distanzierter von den 100 Millionen Amerikanern, deren familiäre Herkunft auf Einwanderer zurückgeht, und statt faktisch von „a land of freedom and opportunity“ von einem „unknown land“, an das sich die Erwartungen der Einwanderer hefteten (MetaForm 1989a; 1989b). In diesen Feinjustierungen wie in den stärker richtungsweisenden Entscheidungen zeigt sich der Anspruch der direkt an der Ausstellungsproduktion Beteiligten, zuallererst der Mitglieder des Historischen Beirats, aber auch bei MetaForm und im NPS, eine reflektierte und „ausgewogene“ Darstellung der Einwanderungsgeschichte zu erreichen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Produktion der Ausstellung das Thema des Ellis Island Immigration Museum weit über das partikulare Phänomen der Ellis Island Einwanderung ausgedehnt wurde. Die Spannung zwischen dem Ort und der zu präsentierenden Geschichte blieb dabei bestehen bzw. wurde in gesteigerter Form in die Spannung zwischen einem Museum des spezifischen Ortes Ellis Island und einem nationalem Einwanderungsmuseum überführt. In der Abgrenzung von einem Fokus auf Kultur und kulturelle Identitäten einerseits und auf globale Mobilität andererseits wurde zudem implizit ein Begriff der Einwanderung entwickelt, der gegen Tendenzen der Partikularisierung die Gemeinsamkeiten zwischen Einwanderern in den Vordergrund rückt und gegen Tendenzen der Generalisierung den nationalen Rahmen der Präsentationen privilegiert. Innerhalb dieser thematischen Setzungen wurde ganz im Sinne der Neuen Museologie und teils unter größten Mühen versucht, eine möglichst breite Re-Präsentation zu erreichen und keine Ausschlüsse gesellschaftlicher, insbesondere ethnischer Gruppen zu produzieren. In dieser Form sollte Ellis Island zum Symbol kultureller Vielfalt in Amerika werden bzw. zum Symbol des kulturellen Erbes der Einwanderernation, wie es schließlich im Überblickstext des Museums festgeschrieben wurde. Der Blick auf die Einwanderer bzw. auf die Kontrollstation Ellis Island sollte dabei jedoch nach dem Willen der maßgeblichen Projekt127
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beteiligten von konservativ-patriotischen und romantisierenden Deutungen entlastet und für eine kritische Sozialgeschichte geöffnet werden. Es bleibt der Blick auf Entscheidungen über die Form der Ausstellung bzw. die Perspektive, die Besucher in ihr einnehmen sollten. Im Zentrum der Präsentation sollte das Nachempfinden der historischen Erfahrungen der Einwanderer auf Ellis Island stehen. Das Museumsprojekt setzte damit an den seit Mitte der siebziger Jahre durchgeführten Führungen durch das Hauptgebäude an und richtete seine Ausstellungen nach dieser Maßgabe aus. Auch wenn die Ausstellungsmacher früh erkannten, dass in dem Gebäude aufgrund seiner Größe und Bauweise keine eindeutigen und festgelegten Laufwege zu realisieren sein würden, sollten Besucher doch ermuntert werden, den gleichen Weg zu nehmen, wie seinerzeit die Einwanderer – „symbolically following in the footsteps of the immigrants“ (MetaForm 1986: 9). Aus diesem Grund wurde, wie beschrieben, die zentrale Treppe von der Eingangshalle in den Registry Room wiederaufgebaut und beschlossen, die Räume, in denen die medizinischen und juristischen Untersuchungen stattgefunden hatten, für die Darstellung eben jener Themen zu nutzen. Das übergreifende Ziel des Museums auf Ellis Island sollte in den Worten des Ausstellungskonzepts demnach sein: „to capture the impressions of the profound human drama that unfolded there“ (MetaForm 1986: 1). Zu diesem Zweck wurde an zahlreichen Stellen eine Emotionalisierung der Präsentation betrieben, die ein leitender Museumspädagoge des NPS gegenüber MetaForm an einem Beispiel positiv hervorhob: „The text for ‚Treasures From Home’ is beautiful and touches the soul. We may need to provide tissues next to the exhibit to wipe the tears of joy and sorrow that will be shed there.“ (EIIMA 62) Mit dieser Strategie lag das Projekt im Trend von Entwicklungen in der Museumswelt, die sich immer stärker an Kategorien des Erlebens und Erlebnisses sowie der Förderung individueller Identifikation orientierten (Dicks 2003: 165). Wie weit die Strategie der Empathisierung und Emotionalisierung gehen sollte bzw. konnte, ohne die gleichermaßen eingeforderten wissenschaftlichen Standards sowie die Sensibilität für historische Veränderungen aus den Augen zu verlieren, war allerdings nicht unumstritten (Frisch/Pitcaithley 1987: 163). Wiewohl sich der Historische Beirat in der Diskussion um die Ausgestaltung des Hauptgebäudes für eine Einfühlung in die historischen Ellis Island-Einwanderer stark gemacht hatten, versuchten nun einige seiner Mitglieder eine einseitige Entwicklung in Richtung von „‚experiential type’ exhibits“ zu korrigieren. Wiederholt mahnte etwa Virginia Yans-McLaughlin die Berücksichtigung abstrakterer Kontext-Aspekte an: „I hope that the group (MetaForm, J.B.) is able to carry out its commitment to historical context. Right now I would say the exhibit places a bit too much emphasis upon the personal experience and upon objects, certainly not enough on context.“ (EIIMA 63) Mit ähnlicher Stoßrichtung, doch stärker denkmalpflegerisch motiviert, stellten sich Stimmen im NPS gegen dramatisierende Rekonstruktionen oder historisierende Inszenierungen von Räumen und Raum128
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ausstattungen, insbesondere dort, wo die gesicherte Dokumentation des historischen Zustands fehlte, und setzten sich damit größtenteils durch (EIIMA 64).52 Aus der Spannung zwischen Ansprüchen nach Nachempfindung einerseits und sachlich-nüchterner Darstellung andererseits und im Verbund mit der Bandbreite an thematischen Aspekten und denkmalpflegerischen Bedingungen wurden im Museum verschiedene Bereiche mit unterschiedlicher Präsentationsästhetik geschaffen, die teils stärker zum einen, teils zum anderen Pol tendieren. Für den größten Teil des Museums und seinen Charakter im Ganzen maßgeblich wurde jedoch eine Strategie, die MetaForm für die Gestaltung der Eingangshalle vorsah, namentlich „to recreate the ambiance“. Das Ziel der Ausstellung sollte also nicht die Wiederherstellung eines historischen Zustand sein, sondern – in einer Form von Pseudo-Mimesis – die Wiederherstellung einer bestimmten Atmosphäre. Diese „wiederhergestellte Atmosphäre“, die Nachempfinden ohne illusionistische Effekte gestatten soll, bildet die ästhetische53 Klammer um die verschiedenartigen Ausstellungen des Ellis Island Immigration Museums.
Fundraising – und die Produktion eines Images von Ellis Island Neben der Arbeit an Ort und Ausstellung des Ellis Island Immigration Museum wurde ein weiterer Komplex für das Projekt maßgeblich: die FundraisingKampagne unter der Ägide der Statue of Liberty-Ellis Island Foundation. Jenseits der immensen Erlöszahlen sind zwei Aspekte an dieser Kampagne bemerkenswert, insofern sie die Produktion des Museums in einer bestimmten Weise begleiteten und beeinflussten. Zum einen entzündeten sich am Charakter des Projekts als „public-private partnership“ heftige Debatten über Tendenzen der Kommerzialisierung eines nationalen Erinnerungsortes sowie, weitergehend, über Macht und Interessen des privaten Sektors in der Präsentation einer bestimmten Version von Geschichte. Dabei lässt sich zeigen, dass die Debatten in hohem Maße symptomatisch waren für die Stimmung in den USA der achtziger Jahre und nicht nur dort – Stichwort Disneyfication, dass aber gleichzeitig im konkreten Fall des Ellis Island-Projekts die in ihnen geäußerten Befürchtungen überzogen waren und entsprechende Prognosen über die schlussendliche Gestalt des Museums weitgehend fehlgingen. Subtiler, doch von größerer Bedeutung ist der zweite Aspekt: In der Fundraising-Kampagne erfolgte parallel zur Produktion des Museums als Ort und Ausstellung – also zu den Entscheidungen für oder gegen bestimmte Inhalte, Positionen, Perspektiven und Präsentationsweisen und damit parallel zur Bestimmung 52
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Ausnahme ist die Rekonstruktion eines Gerichtssaals von 1911, wo nun unter Beteiligung der Besucher regelmäßig Anhörungen zu rechtlich umstrittenen historischen Einwanderungsgesuchen nachgespielt werden. Ästhetik verstanden im ursprünglichen Sinne: ĮϥıșȘıȚȢ als sinnliche Erkenntnis. 129
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des Museums in seiner konkreten Gestalt – eine andere Art der Produktion des Museums. Diese ging nicht in den Köpfen und Büros der Ausstellungsmacher, der historischen Beiräte oder des Park Service, mithin intern, vonstatten, sondern in der Öffentlichkeit: die Produktion eines Bildes, eines Images, von Ellis Island und dem Ellis Island Immigration Museum.54 Auffällig ist dabei, dass in dieser diskursiven Produktion des Museums Bedeutungen konstruiert und kommuniziert wurden, die den in der Ausstellungskonzeption intendierten partiell zuwider liefen. Neben der Beteiligung anderer Akteure war für diese Verschiebung, so die These, eine immanente Logik des Fundraising ursächlich.
Kommerzialisierung – ein Schreckgespenst Die aufgeregte Debatte um eine Kommerzialisierung des Projekts begann im Zusammenhang mit der Renovierung der Freiheitsstatue. Anfang der achtziger Jahre war ein regelrechter Kampf darum entbrannt, welche Organisation das lukrative Fundraising-Geschäft durchführen dürfe. Als die Statue of Liberty-Ellis Island Foundation (SL-EIF) schließlich zum Monopolisten in diesem Bereich ernannt wurde, ging sie zunächst auf große Konzerne zu. Dreizehn Wirtschaftsgiganten, darunter Coca-Cola, Chrysler, Nestlé, Kodak und American Airlines, wurden als offizielle Sponsoren gewonnen und sagten knapp 60 Millionen Dollar zu. Die Summe fiel dabei insbesondere deshalb so hoch aus, weil die SL-EIF nicht die relativ geringen Mittel der Unternehmen für gemeinnützige Zwecke anvisiert hatte, sondern deren wesentlich größere Marketing-Budgets. Als Gegenleistung erhielten diese entsprechend die für ihren Wirtschaftszweig exklusiven Rechte, mit dem berühmten Denkmal und seiner Renovierung zu werben (Wiegner 1985: 248; NYT 3.11.1985: 1; Holland 1993: 82). Dieses „cause-related marketing“ nahm Mitte der achtziger Jahre beispiellose Ausmaße an. Die Freiheitsstatue war in der Werbung omnipräsent. Schnell wurde Kritik an einem solchen „Selling of Miss Liberty“ laut: Kommentatoren beklagten die „Logoisierung“ und „Privatisierung“ eines nationalen Symbols, die Entwertung seiner Bedeutung durch die Assoziation mit Autos, Softdrinks und Bier und allgemein die feindliche Übernahme des Projekts durch Konzerne und ihre Profitinteressen (Gratz/Fettmann
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Damit ist ein Aspekt aufgerufen, der sich nicht ohne Weiteres auf eine klare Phase oder ein eingegrenztes Set an Akteuren beschränken lässt. Der Diskurs um Ellis Island ist so alt wie die dortige Einwanderer-Kontrollstation selbst (vgl. etwa die Ausführungen zu Referenzen in Film und Literatur bei Moreno 2004: 85, 145f.). Hier ist jedoch nicht der Ort, um die lange Geschichte der Bildproduktion um eine der Ikonen amerikanischer Erinnerungskultur auszubreiten. Im Rahmen des Museumsprojekts und mithin im Zeitraum seit Beginn der 1980er Jahre, der hier im Mittelpunkt steht, stellte die Fundraising-Kampagne in der Öffentlichkeit zweifellos den diskursbestimmenden Komplex.
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1985a; NYT 15.6.1986: 29). Diese Stimmen begleiteten die gesamte Renovierung und fanden in der Ablehnung der pompösen Wiedereröffnung am 4. Juli 1986 ihren Höhepunkt (Wallace 1987b: 119f.). Die Vorwürfe der Kommerzialisierung verlagerten sich bald auf das „Schwesterprojekt“ Ellis Island, das nicht nur geographisch und organisatorisch, sondern eben auch über die Fundraising-Kampagne mit der Freiheitsstatue verbunden war. Hier entzündete sich die Debatte an Plänen zur Nutzung des südlichen, nicht für das Museum vorgesehenen Teils der Insel. Am stärksten in der Kritik stand ein von Lee Iacocca initiierter Entwurf. Der Plan des Chrysler-Chefs und Vorsitzenden der Statue of Liberty-Ellis Island Centennial Commission sah vor, das Gelände nach dem Vorbild der Living History-Stadt Colonial Williamsburg in ein „ethnic Williamsburg“ zu verwandeln. Entstehen sollte eine Art „permanent world’s fair“ mit Rekonstruktionen traditioneller Einwandererkulturen sowie Verkaufsständen für „ethnisches“ Kunsthandwerk und exotische Speisen (NYT 25.8.1984: 23; Sorkin 1986). Neben der Folklorisierung galt der Protest insbesondere der Kommerzialisierung der Einwanderungsgeschichte bzw. einer befürchteten Vermischung von seriöser historischer Darstellung und kommerzieller Entstellung, wodurch auch die Museumspräsentation unmittelbar getroffen wäre. Lynn Johnson (1984: 161) etwa kommentierte, flankiert von einer Karikatur mit dem Titel „McEllis Island 1892-1954: 20 Million Served“: „Major commercial development of public areas may well blur the lines between formal historical interpretation and crass commercial replications of the past. In a worst-case scenario, Ellis Island could become a Disney-like ‚Immigrant land’ – with smiling, native-garbed workers selling Coca-Cola to strains of ‚It’s a Small World After All’.“
Dieser Diskurs über die Privatisierung und Kommerzialisierung von Geschichte hatte seine Verankerung in der Mitte der achtziger Jahre allenthalben virulent werdenden Diagnose einer „heritage industry“. Autoren wie David Lowenthal (1985), Patrick Wright (1985) und Robert Hewison (1987) griffen die „Nostalgisierung“ und „Verzerrung“ von Geschichte in populären Freilichtmuseen und historic sites an. Haupstoßrichtung der Kritik waren die (manifesten oder mutmaßlichen) Einflussnahmen einer Allianz aus konservativer Politik und ökonomischen Interessen auf die Präsentation von Geschichte in der Ära von Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien. Im Dienste einer Ankurbelung von Tourismus und nationalem Sentiment würde an vielen dieser Orte ein oberflächliches und geschöntes Bild der Vergangenheit entworfen. Statt kritischer Auseinandersetzung würde Konsum und schale Unterhaltung gefördert und statt einer Diskussion der aktuellen Relevanz von Geschichte die gegenwartsvergessene Flucht in eine scheinbar goldene Vergangenheit. Zeitgleich registrierte Michael Wallace (1996: 133-157; zuerst erschienen 1985) besorgt die Ausbreitung explizit kommerzieller Entertainment-Anbieter wie Disney World nahe Orlando, Flo131
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rida, auf das Feld der Geschichte. Die dortigen Attraktionen kreisen zum Teil um historische Themen – vom Wilden Westen bis zur Amerikanische Revolution – und Disneyfication wurde von hier ausgehend zum Synonym für jede kommerziell motivierte Darstellung von Geschichte. Michael Kammen (1991: 628) resümiert die allgemeine Linie der Kritik: „The unfortunate thing about this heritage boom is that it can lead, and has led to commercialization, vulgarization, oversimplification, and tendentiously capricious memories – which means both warping and whitewashing a fenced-off past.“55 In diese Tradition stellt sich Gisela Welz (1996: 175; 2000: 65f.), wenn sie bei ihrer Analyse des Ellis Island Immigration Museum einen gewaltigen Einfluss der kommerziellen Sponsoren auf die Ausstellung insinuiert und den Kurator Fred Wasserman mit den Worten zitiert, Ellis Island sei ein „prime example for the privatization of the heritage of the country“.56 Doch wie zutreffend die Analysen auch für andere Orte und Projekte sein mögen, für Ellis Island stellt sich der Fall anders dar. Sämtliche Vorschläge in Richtung eines „EinwandererFreizeitparks“ wurde vom NPS bzw. der öffentlichen Meinung wirkungsvoll abgewiesen und die Rolle der privaten SL-EIF in den Entscheidungen über Form und Inhalt der Präsentationen im Museum blieb gering, wie nicht zuletzt die andersgearteten Aushandlungsprozesse in der Produktion des Ortes und der Ausstellung belegen.57 55
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Inzwischen ist diese Bewegung der „heritage critique“ selbst verstärkt in die Kritik gekommen. Steven Hoelscher (2006: 209) etwa wirft Hewison und anderen vor, dass sie die Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Museen und Vergnügungsparks nicht zur Kenntnis nähmen bzw. dem allgemeinen Publikum nicht zutrauten, diese zu erkennen. Bella Dicks (2003: 134) weist zurecht auf die Tendenz der Debatte hin, einen zu einfachen Gegensatz zwischen history und heritage, also zwischen wissenschaftlicher (vulgo: wertfreier, objektiver) einerseits und kommerzialisierter, interessegeleiteter Geschichtsdarstellung andererseits zu konstruieren. Statt Debatten über historische „Wahrheit“ vs. „Verzerrung“ zu verlängern, sei es fruchtbarer, die jeweiligen Logiken zu untersuchen, innerhalb derer verschiedene Formen der Vergegenwärtigung von Vergangenheit operierten und durch die ihre jeweiligen Versionen bedingt seien. Heritage will sie entsprechend verstanden wissen als „history made visitable“ und entlang des eleganten Konzepts der „Besuchbarkeit“(visitability) gelingt es ihr überzeugend, die Rahmenbedingungen der Geschichtsdarstellung in einer Vielzahl historischer Stätten, Freilichtmuseen und Vergnügungsparks freizulegen. In der Analyse des kanadischen Einwanderungsmuseums Pier 21 greife ich selbst auf Dicks’ Konzept der visitability zurück. Ich beziehe das Zitat hier bewusst auf die Position von Welz, denn Wasserman wies im Interview mit mir eine solche Anschauung und Zitierung explizit zurück. Ebenso wie die dramatische Prognose von Johnson lässt sich also auch die Einschätzung von Gratz/Fettmann (1985b: 582) nicht halten, wonach „Lee Iacocca and a small group of his trusted associates will decide the fate of Ellis Island behind closed doors“.
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Die wirkungsvolle Stellung der Projektverantwortlichen gegen eine Kommerzialisierung des Museums lässt sich auch an den Verhandlungen illustrieren, die die SL-EIF mit dem NPS über die Benennung bestimmter Räume im Hauptgebäude nach Hauptsponsoren führte. Im Januar 1985 schlug der Präsident der SL-EIF, William May, dem NPS-Regionaldirektor Cables ein solches Vorgehen vor und verwies auf die herausragende Bedeutung für das Fundraising sowie die allgemein übliche Praxis in vergleichbaren Kampagnen. Die beigelegte Liste nannte die vorgesehenen Preise: Great Hall 12 Millionen Dollar, Baggage Room 5 Millionen, Railroad Ticket Office 5 Millionen, Staircase 3 Millionen usw. In seiner Antwort gab sich Cables höflich zurückhaltend: Zweifellos sei eine angemessene Würdigung wichtiger Sponsoren möglich, doch dürfe diese in keiner Weise von der historischen Signifikanz der Räume und der Integrität der Ausstellungen ablenken (EIIMA 65). NPS-Projektleiter Gary Roth zeigte sich auch gegenüber einer Benennung sekundärer, nicht direkt für die Ausstellung genutzter Räume ablehnend: „the Kodak Family Album, the Hearst Oral History Studio, the Amercan Express Theater, the Telephone Pioneers Theater, the Citibank Family Genealogy Center, etc. Taken together, it starts to make the Main Building sound like a world’s fair.“ Nach einigem Ringen einigte man sich auf eine gemeinsame Tafel im hinteren Eingangsbereich und unauffällige Schilder mit dem Namen des Sponsors in einer Ecke des jeweiligen Raumes, wobei eine entscheidende Bedingung sichergestellt sein musste: „Under no circumstances would donors be allowed any control over the interpretive media in a space.“ (EIIMA 66)58 Darüber hinaus wurden die zentralen Teile des Gebäudes, wie die Great Hall, für „unverkäuflich“ erklärt und die auffällige Betitelung der sekundären Bereiche verworfen. Die Präsenz der offiziellen Sponsoren vor Ort wurde damit auf ein für amerikanische Museen unterdurchschnittliches Maß reduziert.59 Einen Sonderstatus erhielt dagegen die American Immigrant Wall of Honor, die von der SL-EIF als zentrales Fundraising-Instrument für die breite Öffentlichkeit erdacht wurde. Gegen eine Spende von 100.- Dollar sollte sie jedem ermöglichen, den Namen eines Familienmitglieds oder einer anderen Person an 58
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Die Absolutheit dieser Richtlinie ist mit Blick auf die stärkere Berücksichtigung von Flüchtlingen in der Ausstellung Peopling of America in Abhängigkeit von der Förderung durch die Ford-Stiftung wohl etwas zu relativieren (vgl. Anm. 42). Aufschlussreich ist dagegen – auch ohne inhaltliche Einflussnahme – die Zuordnung von Geldgebern und vorgegebenen Themen: So entschieden sich etwa die hochkonservativen und assimilationistisch ausgerichteten Daughters of the American Revolution für die Abteilung „New Americans“ und Volvo North Amerca zeichnete eine Ausstellungseinheit mit dem Titel „Across the Land“. Peg Zitko, Pressesprecherin der SL-EIF, bestätigt die entschiedene Position des NPS. Unternehmen und andere Sponsoren-Gruppen seien mit der so reduzierten Sichtbarkeit ihrer Beiträge nicht glücklich gewesen, hätten sich allerdings gebeugt (Interview 8.2.2005). 133
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prominenter Stelle zu verewigen – ganz gleich, ob diese durch Ellis Island eingewandert waren oder nicht (Holland 1993: 244). Der NPS stand dieser eigentümlichen Konstruktion einer Mischung aus privatisiertem Denkmal und Spendertafel von Beginn an skeptisch gegenüber und versuchte, die Auswirkung auf das Erscheinungsbild der Insel und des Museums zu minimieren. So wandte sich der designierte Museumsleiter für den Fall einer Unterbringung im Hauptgebäude mit der Forderung um „Schadensbegrenzung“ an seinen Vorgesetzten: „It has been proposed that the Statue of Liberty-Ellis Island Foundation use two to four of the dormitory rooms on the northern balcony for the Immigrant Wall of Honor. […] Here is a need for the Regional Director to direct MetaForm to be as creative as possible in designing this ‚exhibit’ so as to minimize the area that will be lost forever to the National Park Service use in this primary historic space.“ (EIIMA 67)
Auch die Platzierung auf einer Freifläche hinter dem Hauptgebäude, die nach einem kurzen Experiment mit Tafeln entlang der Kaimauer erwogen wurde, stieß auf heftigen Widerstand. In ätzender Ironie und offensichtlicher Abneigung gegen das gesamte Projekt kommentierte der stellvertretende NPS-Regionaldirektor die entsprechenden Designvorschläge: „All of the schemes presented suck. You best tell the consultant to start over baby. A modified Scheme B is your only hope. High vertical plastic panels are suggested in a golden arching shape. Panels should be buried into the walk on big mother piles that are driven to a depth of several thousand feet + or -. […] Ladders will need to be incorporated into the design to allow visitors to scramble up and try finding their name. We think some additional interest could be put into the project also if you did not list them in alphabetical order, mispellllled a few, and through [sic!] in a few ringers for laughs, e.g. Sadam H., Yasser A., Vanilla Ice, … […] Scheme F has a lot going for it but fails miserably because it’s too simple. For example, it introduces only one major new element into the historic scene – now that’s not much of a visual intrusion, is it? We can do better. […] The good part about the scheme is that it would allow the U.S. Government to break another promise with the Native Americans – just explain to them that the crypt/memorial site for the reburial remains we bumped into will need to be relocated unless maybe they come up with the big bucks. In that instance we might even put the names of their choice on the wall.“ (EIIMA 68)
In diesem Fall setzte sich trotz der Polemik und Kritik aus dem NPS die SL-EIF durch. Mit der Wall of Honor wurde so ein weithin sichtbares, doch in seinem Charakter verschleiertes kommerzielles Element in die Präsentationen Ellis Islands eingefügt.60 Doch auch wenn man diese wichtige Ausnahme in Betracht 60
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Dies reflektiert auch der NPS-Regionaldirektor Cables: „Maybe we wouldn’t have done the wall, there are a lot of purists in the Park Service. […] But the foundation
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zieht, wirkte sich die Konzeption des Ellis Island-Projekts als „public-private partnership“ nicht in der Weise auf das Endprodukt aus, wie es von kritischen Kommentatoren zu Beginn prophezeit worden war. Insbesondere hinterließ die für ein Regierungsprojekt beispiellose private Fundraising-Kampagne – mit Ausnahme der Wall of Honor – kaum physische Spuren auf der Insel. Im Ergebnis entstand ein durchweg seriöses Museum, kein Einwanderer-Disneyland und auch kein „ethnic Williamsburg“.61 Eine solche Form der manifesten Kommerzialisierung und Privatisierung von Geschichte blieb für Ellis Island ein Schreckgespenst.
Fröhlicher Patriotismus Dennoch blieb die Fundraising-Kampagne nicht ohne Wirkung auf das Projekt. Denn wenn sie auch die konkrete Ausgestaltung Ellis Islands und des Ellis Island Immigration Museum nicht wesentlich beeinflusste, so prägte sie wie kein anderer Komplex im Produktionsprozess deren Bild in der Öffentlichkeit. Statt physischer hinterließ sie gleichsam diskursive Spuren auf der Insel. Entscheidender Grund hierfür war, dass die Kampagne nicht allein auf das Einwerben möglichst großer Geldmittel, sondern auch auf die Schaffung einer „public awareness“ abzielte. Eine Verbreiterung der Anfang der achtziger Jahre erstaunlich geringen Bekanntheit und eine Steigerung der Popularität Ellis Islands wurde als Voraussetzung einer möglichst erfolgreichen Spendensammlung gesehen. Denn die Fundraising-Initiativen der SL-EIF richteten sich nicht nur an Unternehmen, sondern auch an Privatpersonen sowie politische, ethnische und wohltätige Organisationen, und damit galt es zunächst das Projekt in der Öffentlichkeit als unterstützenswert zu etablieren. So erschienen allein bis Juni 1986 knapp 100.000 längere Beiträge in überregionalen Medien, wobei viele den Schwerpunkt auf die Renovierung der Freiheitsstatue legten, Ellis Island jedoch immer miterwähnten (EIIMA 69). Nach der Wiedereröffnung der Statue setzte sich die Medienkampagne mit unveränderter Intensität fort, nun jedoch mit ver-
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raised $300 million, and we owe a great deal to that process. We are in no position to second guess“ (NYT 2.9.1990: 32). Bis Oktober 2001 brachte die Wall of Honor alleine einen Ertrag von etwa 70 Millionen USD (Desforges/Maddern 2004:448). Alan Bryman (2004: 50) zeichnet demnach ein verfehltes Bild des Museums, wenn er es – unter Bezug auf Kirshenblatt-Gimblett (1998: 9) – mit dem Argument, dass es dort wie hier um eine „immersive experience for the visitor“ gehe, als Beispiel für „Disneyization“ in eine Reihe mit verschiedenen Living HistoryDörfern stellt und in seinem Charakter gar mit Colonial Williamsburg gleichsetzt. Sowohl im Ausmaß als auch in den Techniken der Erzeugung dieser „experience“ sowie in seinem gesamten Erscheinungsbild hebt sich das Ellis Island Immigration Museum jedoch deutlich von solchen Total-Rekonstruktionen ab. 135
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stärktem Fokus auf Ellis Island. Zudem wurde ein spezielle Schulkampagne62 und eine „National Ethnic Campaign“ ins Leben gerufen sowie im großen Stil das seit den 1970er Jahren vor allem von der amerikanischen „Neuen Rechten“ erprobte Mittel der Direktwerbung per Post eingesetzt (Holland 1993: 88-90; Guggisberg 2002: 308). Die Verlautbarungen der SL-EIF waren dabei stets in einem leichten, heiteren Ton gehalten und verfolgten darin nach deren Mitarbeiter Ross Holland (1993: 80) eine bewusste Strategie: „The fundraiser is always upbeat and cheerful.“ Demnach resultierte der positive Ton sowie der Versuch, überwiegend positive messages zu kommunizieren, aus der Notwendigkeit einer attraktiven Positionierung auf dem Spendenmarkt. Für das Projekt im Ganzen signifikant ist, dass im Verfolg dieser Logik in der Fundraising-Kampagne Bedeutungen konstruiert und kommuniziert wurden, die Positionen der Ausstellungsproduktion widersprachen. An drei Aspekten lässt sich diese Verschiebung beispielhaft verdeutlichen. Zunächst ist dies die Verbreitung leicht konsumierbarer Mythen und gefälliger Stereotype über Ellis Island, die Migration nach Amerika und das Einwanderungsland USA in der Werbung für die American Immigrant Wall of Honor. Die Werbebroschüren und Spendenaufrufe, in denen die Wall of Honor stets zu einer selbständigen, wenn nicht der bedeutendsten Ausstellung des Museums erhoben wurde, waren voll von triumphalistischen Beschwörungen, wie die folgenden Beispiele illustrieren: „The American Immigrant Wall of Honor® is the newest permanent exhibit at the Ellis Island Immigration Museum. It pays tribute to those brave individuals who risked everything for the chance to build a new life in the land of the free.“ (EIIMA 70) Über die eingravierten Namen ist in einem „persönlichem“ Werbebrief von Lee Iacocca zu lesen: „They will serve as a testament to the heroisms and triumphs your family experienced in coming to America. The many thousand visitors who will come to Ellis Island each year will recognize and respect your family’s role in fulfilling the American Dream of hope, freedom and opportunity for all.“ (EIIMA 71) Und ein abgedrucktes Zitat einer glücklichen Spenderin bezeugt: „We’re very proud of our heritage. This is a way for us kids to say thanks… It’s like a recognition of the input of my culture in the melting pot.“ (EIIMA 72) „American dream“, „land of the free“, „the melting pot“ – die simplen Schlagwörter und überkommenen Deutungen, die die Ausstellungsmacher für ihre Präsentation zu vermeiden versuchten, bildeten in der Werbung für die Wall of Honor die zentralen kommunikativen Versatzstücke. Zum einen lag dies zweifellos daran, dass mit der SL-EIF unter Lee Iacocca Akteure für diesen Bereich verantwortlich zeichneten, die eine deutlich konservativere Agenda hatten. Über 62
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Smith (1992: 86) verweist bei der intensiven Einbindung von Schulkindern in die Geldsammlung und Popularisierung des Projekts auf die Parallelen zu amerikanischen Weltausstellungen Ende des 19. Jahrhunderts (dazu spezifisch Rydell 1984).
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diese individuellen Positionen hinaus dürfte jedoch die Eigenlogik der Werbung eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die Fundraiser setzten auf einen einfachen, fröhlichen Patriotismus und ein uneingeschränkt positives Bild von Ellis Island, um ihr Produkt – die symbolische Assoziation mit diesem Ort – für ein breites Publikum attraktiv zu machen.63 Die überwältigende Resonanz in der amerikanischen Öffentlichkeit belegte den werbetechnischen Erfolg dieser Strategie. Bis zur Eröffnung im September 1990 hatten sich circa 200.000 Personen registrieren lassen und bis heute stieg die Zahl auf über 700.000. Zieht man jedoch in Betracht, dass die Werbung für die Wall of Honor als größter Faktor in der Popularisierung Ellis Islands und des dort entstehenden Museums gelten kann (Interview Zitko 8.2.2005) und noch heute vor Ort massiv präsent ist, so müssen die darin produzierten Bilder und Bedeutungen zumindest aus Sicht der Ausstellungsmacher als kommunikativer Kollateralschaden verbucht werden. Eine spezifische Verschiebung der Bedeutungen lässt sich, zum zweiten, im ungleichen Bezug auf „Beiträge“ verschiedener Einwanderergruppen ausmachen. Während die Ausstellungsmacher sich, nicht zuletzt in Abgrenzung zum älteren American Museum of Immigration, entschieden gegen ein Darstellung von Einwanderungsgeschichte als Beitragsgeschichte stellten, trat in der FundraisingKampagne das Motiv der „contributions“ stark in den Vordergrund und zwar insbesondere im Kontakt mit ethnischen Organisationen. Im Rahmen der „National Ethnic Campaign“ organisierte die SL-EIF Fundraising-Veranstaltungen für Vertreter spezieller ethnischer Communities, wie etwa der italienisch-, polnischund irisch-stämmigen Amerikaner. Hier wurden routinemäßig die bedeutenden kulturellen Leistungen der betreffenden Gruppe herausgestellt und – etwa durch Aufstellen entsprechender Nationalfähnchen – das jeweilige ethnische Sonderbewusstsein bedient. Der Begriff der „contributions“ eignete sich in diesem Rahmen nicht nur aufgrund seiner offensichtlich positiven Grundstimmung als Aufhänger, sondern auch und gerade wegen seiner semantischen Ambiguität. Er changierte bei diesen Veranstaltungen stets zwischen den vergangenen kulturellen Beiträgen der Einwanderergruppen und den von ihnen zu leistenden finanziellen Beiträgen zur Spendenkampagne. Damit wirkte er als Transmissionsriemen zwischen Würdigung und Verpflichtung und verfing in dieser Dopplung wirkungsvoll bei den ethnischen Organisationen: Über die finanziellen Beiträge zur Restaurierung der Freiheitsstatue und Ellis Islands galt es, den andersgearteten Beiträgen der Vorfahren gerecht zu werden und darüber hinaus ein weithin sichtbares Zeichen der anhaltenden Beitragsbereitschaft zu setzen. Unmittelbar aufgerufen war in diesem doppelten Blick auf die „Beiträge“ der Einwanderer auch die Konkurrenz zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, wie ein Re63
Das in der Kampagne vorherrschende Prinzip „Patriotism Sells“ beschreibt, allerdings affirmativ, auch Holland (1993: 18) in Bezug auf die Bereitstellung kostenloser TV-Werbung durch das nationale Advertising Council. 137
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präsentant der italienisch-amerikanischen Community deutlich machte: „We’ve got to get together and get our Italian-American organizations behind this project. We don’t want to be outdone by the Poles, the Irish, the Germans or any other group. We must raise money.“ (EIIMA 73) Was in der Ausstellung also in jedem Fall vermieden werden sollte – die Separierung einzelner ethnischer Gruppen und der Fokus auf ihre „Beiträge“ – wurde in der Fundraising-Kampagne offensiv eingesetzt. Die gleiche asymmetrische Konstellation zeigt sich in einem dritten Aspekt: dem Verhältnis von Ellis Island und Freiheitsstatue. Wie angedeutet, versuchten die Mitglieder des Historischen Beirats in den Präsentationen auf Ellis Island, eine allzu enge Assoziation der Kontrollstation mit der berühmten Lady in the Harbor zu vermeiden, um den Prozess der Einwanderung nicht konnotativ auf eine romantisierte Version des individuellen Strebens nach Freiheit festzulegen. Insofern galt ihr Bestreben einer tendenziellen Lockerung der Verbindung, die sich durch die geographische Nähe im Laufe der Zeit etabliert und durch die administrative Verquickung gefestigt hatte. Die Fundraising-Kampagne stand diesen Relativierungsversuchen diametral entgegen. Hier wurde aktiv an einer Verkopplung von Ellis Island und Freiheitsstatue im öffentlichen Bewusstsein gearbeitet und dies nicht in erster Linie aufgrund konträrer geschichtspolitischer Positionen, sondern ökonomischer Rationalität. Bereits zu Beginn der Kampagne hatte eine Marktanalyse ergeben, dass der Wiedererkennungswert für die Freiheitsstatue 75 Prozent, für Ellis Island dagegen nur 20 Prozent betrage, was für den gelernten Autohändler Lee Iacocca nur heißen konnte: „The statue is an icon, a world symbol. Ellis Island is a much tougher sell“ (NYT 2.9.1990: 32). Entsprechend stellte die SL-EIF auch bei ihrer Werbung für die Restaurierung Ellis Islands die Freiheitsstatue in den Mittelpunkt und bediente sich, selbst als deren eigene Restaurierung längst abgeschlossen war, in intensiver Weise ihrer Ikonographie (Holland 1993: 80f.; Bodnar 1995: 17). Ellis Island wurde in diesem Prozess – entgegen den Maximen der Ausstellungsmacher – nicht als bedeutungsmäßig eigenständig gezeichnet, sondern ganz der Statue of Liberty angegliedert bzw. subsumiert und überdies verstärkt mit patriotischen Konnotationen aufgeladen, wie die folgenden Beispiele illustrieren. Eine Anzeige aus der New York Times (23.4.1986: B10) erklärte unter der Überschrift „A report to the American people on the progress of the Statue of Liberty-Ellis Island restoration“ etwa: „The Statue of Liberty was the symbol of freedom. But Ellis Island was the reality […] Liberty will be reborn. Ellis Island will be restored […] The progress of the restoration is an affirmation of the American people’s belief that these symbols stand for America’s future, not just its past […] Together we will Keep the Dream Alive.“
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Eine Werbebroschüre der SL-EIF (1984) ging in ihrem optimistisch-patriotischen Pathos und ihrer Verschmelzung der beiden Denkmäler noch weiter. Im Vorwort von Lee Iacocca heißt es: „Together, Liberty and Ellis Island represent two different orders of force which combined have produced the world’s most powerful and productive nation. That is why the Statue of Liberty and Ellis Island are two complementary parts of a single monument to our way of life. […] They represent the spirit of freedom and hope that inspired our immigrant forebears and attracted new citizens from around the world. […] It’s time we restored and rebuilt these monuments to our greatness.“
In etwas subtilerer, doch letztlich radikalerer Weise aktualisierte schließlich die Einladungskarte für ein Fundraising-Dinner das Motiv der Verschmelzung von Ellis Island und Freiheitsstatue. Sie zeigt die Zeichnung einer Masse anonymer Einwanderer vor dem Hauptgebäude der Kontrollstation und unter ihrem Titel „Freedom“ die berühmten Zeilen aus Emma Lazarus’ Gedicht: „Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free…“ (EIIMA 74). Hier bezieht sich das Gedicht nicht mehr, wie ursprünglich, auf Lady Liberty. Die Kontrollstation tritt buchstäblich an ihre Stelle und wird unter dem Label der Freiheit mit ihr eins. Durch den Fokus auf die Freiheitsstatue und die Betonung ihrer engen, gleichsam natürlichen Verbindung zu Ellis Island war die Fundraising-Kampagne wirtschaftlich erfolgreich und trug im gleichen Zug dazu bei, Ellis Island bekannter und populärer zu machen. Die Beispiele dürften jedoch deutlich gemacht haben, wie sehr das so entworfene Bild von Ellis Island im Besonderen und Einwanderungsgeschichte im Allgemeinen in Kontrast zu den Vorstellungen der in der Ausstellungsproduktion maßgeblichen, einer kritischen Sozialgeschichte verpflichteten Akteure stand.64 Der SL-EIF-Mitarbeiter Ross Holland (1993: 98) blieb von solcherlei Spannungen unbeeindruckt, wenn er enthusiastisch resümiert: „It had been a wildly successful fundraising effort, spurred on by an outpouring of patriotic feelings from the American people. The campaign had been an important element in lifting the American people out of the Vietnam syndrome and making them once again feel good about themselves as a people.“
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John Bodnar (1986: 138, 143) konstatiert (und kritisiert) also völlig zurecht die Existenz und Wirkmächtigkeit der spezifischen Verknüpfung von Freiheitsstatue und Ellis Island. Die zentrale Rolle der Fundraising-Kampagne in dieser Konstruktion bleibt bei ihm jedoch unterbelichtet, was dazu führt, dass er die Verantwortung für die resultierende Verkürzung einseitig dem NPS anlastet. 139
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Die Einschätzung mag hoch gegriffen und patriotisch verbrämt sein, doch mit der Zuschreibung einer Relevanz jenseits der engeren Funktion einer Geldsammlung trifft sie einen entscheidenden Punkt. Die Fundraising-Kampagne war äußerst produktiv, nicht nur im ökonomischen, sondern auch im diskursiven Sinn. Ihr fröhlicher Patriotismus lieferte mehr als die seichte Begleitmusik zur Produktion des Ellis Island Immigration Museum als Ort und Ausstellung. Sie produzierte Bedeutungen und Bilder, die auf andere Weise, doch in gleichem Maße in das Gesamtprodukt eingingen.
Zwischenfazit Die Produktion des Ellis Island Immigration Museum war ein komplexer Prozess, der sich über mehrere Jahre zog und in dessen Verlauf die Insel eine tiefgreifende Metamorphose durchlief: von einer erbärmlich Ruinenlandschaft zur strahlend renovierten Touristenattraktion, von einem ungeliebten Stiefkind im Verbund des U.S. National Park Service zu seinem größten historischen Museum, von einem im öffentlichen Bewusstsein vernachlässigten Schauplatz amerikanischer Geschichte zu einem bedeutenden Erinnerungsort. Den Anstoß zu dieser Verwandlung hatte das patriotisch aufgeladene Jubiläum der Freiheitsstatue gegeben, in dessen Gefolge die Musealisierung Ellis Islands im konservativen Kalkül Reagans und seiner Administration eine Gelegenheit bot, die inzwischen etablierten europäischen Einwanderer zu feiern und einen erneuerten Patriotismus zu befördern. In der Realisierung traf dies jedoch auf konträre Positionen. Insbesondere öffnete sich für kritische Sozial- und Migrationshistoriker ein window of opportunity, um ihre Vorstellungen einer angemessenen Darstellung von Einwanderungsgeschichte zu verwirklichen und damit die Unzulänglichkeiten älterer Versionen zu revidieren. Die Geschichtspräsentation, die in diesen Verhandlungen geschaffen wurde, hing von mehreren Faktoren ab: von strukturellen Vorgaben (z. B. im Hinblick auf den Auftrag des NPS), finanziellen Bedingungen und Prioritäten (wie in der Restaurierungsfrage), von Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten (vornehmlich in der Abgrenzung zum AMI) und schließlich den Positionen und Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Akteure. Die zentralen Richtungsentscheidungen seien im Folgenden noch einmal zusammengefasst. Ellis Island als Ort für das Museum wurde in bewusster Abkehr vom Standort des AMI in der Freiheitsstatue gewählt und zwar wegen seines Charakters als Schauplatz der Massenimmigration und seiner weniger eindeutig beladenen Symbolik. Die Restaurierung und Ausgestaltung der auf der Insel befindlichen Gebäude konzentrierte sich dann jedoch auf den reibungslosen Akt der Einwanderung, wodurch andere Aspekte der komplexen und vielschichtigen Geschichte Ellis Islands, wie Internierung und Abschiebung, in den Hintergrund gedrängt wurden. Diese entkomplizierende Zuspitzung, in deren Prozess das Ellis 140
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Island Immigration Museum geboren wurde, lässt sich mithin als eine Bedingung der sight sacralization (MacCannell 1999: 42-45) deuten, durch die die Insel ihren ikonischen Status erst gewann. In dieser spezifischen Form wurde sie sowohl in die amerikanische Erinnerungskultur, als auch in die New Yorker TourismusRoute eingeschrieben.65 In der Konzeption der Ausstellungen wurde versucht, das Thema Einwanderung über Ellis Island hinauszuheben und die gesamte, lange Geschichte der Migration in die USA einzubeziehen. Der Impuls hierfür, der insbesondere aus dem Historischen Beirat kam, entstand aus dem geschichtspolitisch motivierten Anliegen, eine Fixierung auf die eng begrenzte Phase der „New Immigration“ und damit verbunden eine Privilegierung europäischer Einwanderer oder white ethnics zu vermeiden. Der Schwerpunkt der Präsentation blieb allerdings auf Ellis Island und seiner Zeit, was zum einen im Ort des Museum nahegelegt, vor allem jedoch im Auftrag des NPS begründet war. Eine relativ willkürliche administrative Entscheidung aus den 1960er Jahren wirkte damit nachhaltig in der wesentlich späteren Museumskonzeption nach. Aus dieser Konstellation ergab sich eine eigentümliche Spannung zwischen ortsspezifischem Museum einerseits und nationalem Einwanderungsmuseum andererseits.66 Als Fluchtpunkt der Erzählung diente das Konstrukt einer gemeinsamen Einwanderungserfahrung innerhalb eines nationalen Rahmens. Differenzen zwischen Gruppen und Individuen sollten dabei erkennbar bleiben, wodurch sich insgesamt ein prekäres Verhältnis zwischen Individuum, spezifischen Gruppen und übergreifendem Narrativ in den Präsentationen ausprägte. Die starke Betonung einer gemeinsamen Geschichte resultierte insbesondere aus der Abgrenzung gegen das AMI und seine partikularisierende Ordnung nach ethnischen Gruppen. Eine transnationale oder globale Fassung von Migrationsgeschichte wurde ver65
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„Sight Sacralization“ ist nach MacCannell der Prozess, der Sehenswürdigkeiten zu Attraktionen macht und so aus einer Masse touristischer Optionen heraushebt. Er verläuft in fünf Stufen: „naming“, „framing and elevation“, „enshrinement“, „mechanical reproduction“ und „social reproduction“. Entscheidend ist im vorliegenden Fall die erste Phase. Benannt im MacCannell’schen Sinn wurde die Einrichtung bereits durch ihre Ernennung zum Nationalpark, vor allem aber durch die spezifizierende Kennzeichnung und Ausgestaltung als Ellis Island Immigration Museum. Für eine beachtenswerte Übertragung des MacCannell’schen Modells auf Museumsführungen vgl. Fine/Speer 1985. Die Spannung ist bis heute in den Äußerungen zentraler Akteure der Ausstellungsentwicklung greifbar. Während die NPS-Kuratorin Diana Pardue im Interview den Charakter als historic site betonte und eine Sicht des Museums als nationales Einwanderermuseum abwies, bejahte Beiratsmitglied Roger Daniels eine solche emphatisch (Interviews 3.5.2005 bzw. 26.6.2005). Kuratorin Judy Giuriceo (1999: 18) bezeichnet die Notwendigkeit, in dieser Frage eine Balance zu finden, als zentrales Problem des Museums. 141
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einzelt eingeworfen und rhetorisch aufgegriffen, jedoch nie signifikanter Bestandteil des Konzepts. In die so perspektivierte Erzählung wurde, wiederum im Bemühen, Ausschlüsse zu vermeiden und Anschlüsse für ein heterogenes Publikum zu schaffen, ein breites Spektrum historischer Erfahrungen und vor allem ethnischer Gruppen integriert. Die Ausstellungsmacher bemühten sich darüber hinaus um ein Bild der Einwanderer als aktive und rationale Akteure, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Motivationen in die USA einwanderten, und setzten sich damit von Vorstellungen der Migranten als Opfer oder Erdulder einer schicksalhaften Entwurzelung ab. Die Kontrollstation auf Ellis Island und die Realitäten im Einwanderungsland USA sollten dabei nüchtern gezeichnet werden, ohne zu romantisieren oder negativ zu dramatisieren. Kritische Aspekte wie Rassismus, ökonomische Ausbeutung und Rückmigration sollten nicht ausgespart bleiben. Die Perspektive der Besucher schließlich wurde in großen Teilen des Museums bewusst derjenigen der einfachen historischen Immigranten nachmodelliert und in die „wiederhergestellte Atmosphäre“ des Hauptgebäudes eingebettet. Während in der Ausstellungskonzeption Positionen einer kritischen Sozialgeschichte einflussreich wurden, setzte die Fundraising-Kampagne zur gleichen Zeit werbestrategisch wirksam auf die Verbreitung stereotyper Bilder und positiver Mythen über die Einwanderung in die USA und verband sich darin mit der patriotischen Rhetorik Ronald Reagans und anderer politischer Instrumentalisierungen. Insofern ergab sich in der Produktion des Ellis Island Immigration Museum eine Kluft zwischen den Intentionen und Positionen der Ausstellungsmacher einerseits und dem öffentlichen Diskurs um Ellis Island andererseits (Wallace 1991: 1030; Holland 1993: 243). Es stellt sich mithin die Frage, weshalb das Museumsprojekt – insbesondere am Vorabend der US-amerikanischen Culture Wars – keine größeren (oder anderen) Debatten hervorgerufen hat. Denn im Hinblick auf Prominenz, Relevanz und Brisanz des Themas wäre die Einrichtung eines Museums der Migration etwa mit der wenig später so umkämpften Ausstellung der Enola Gay – des Flugzeuges, von dem die erste Atombombe abgeworfen wurde – im National Air and Space Museum in Washington D.C. durchaus vergleichbar (Dubin 1999, 2006; Zolberg 1996). Zum einen mögen die wenigen Jahre eine Rolle gespielt haben, die die Entwicklung des Museums von den Kontroversen Anfang der neunziger Jahre trennte. Die neo-konservative Wende strebte noch nicht in dem Maße nach Zugriff auf den Kulturbereich und die Debatten kreisten so weniger um Fragen von Moral und Identität, denn – von links – um Kommerzialisierung und Privatisierung. Zudem dürfte die Trägerschaft des NPS das Projekt für konservative Kommentatoren gänzlich unverdächtig gemacht haben. Vor allem aber gab es im Fall des Ellis Island Immigration Museum keine klare Frontlinie, an der sich ein öffentlicher Konflikt hätte entzünden können und das nicht im Blick auf das Thema, sondern eben den Prozess der Produktion. Die Frage scheint falsch gestellt: Denn eben 142
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durch das Nebeneinander von patriotisch-glorifizierender Rhetorik und sozialhistorisch-solider Ausgestaltung mit kritischer Nuancierung ermöglichte das Projekt eine selektive Rezeption, die die offene Konfrontation gegensätzlicher Positionen verhinderte.67 Zielte die Produktion des Ellis Island Immigration Museum also aktiv auf die Konstruktion und Präsentation einer nationalen Meistererzählung der Immigration? Barbara Kirshenblatt-Gimblett (1998a: 180) bejaht dies und legt die Steuerung des Vorhabens durch politische und wirtschaftliche Eliten nahe. Wie die ReKonstruktion des Produktionsprozesses gezeigt hat, ist dagegen Desforges/ Maddern (2004: 443ff.) zuzustimmen, wenn sie kritisieren, dass eine solche Sicht den komplexen Prozess einseitig verkürzt, konträre Positionen, Differenzen und Friktionen nicht ausreichend in Betracht zieht und – so wäre hinzuzufügen – Gefahr läuft, die Rhetorik der einen Akteure für die Praxis der anderen zu nehmen. Denn insbesondere in der Ausstellungskonzeption wurde nicht das Projekt einer nationalen Meistererzählung hegemonial, sondern das Anliegen, über die Präsentation von Einwanderungsgeschichte ehemals marginalisierte historische Erfahrungen und soziale Gruppen im Museum zu ihrem Recht kommen zu lassen. Gleichwohl stellt Maddern/Desforges’ (2004: 453) Befund einer „multivocal and fragmented heritage landscape“ auf Ellis Island die Positionen in zu starke Opposition. Denn bei aller Differenz in den Intentionen und geschichtspolitischen Programmen bleibt zu vermerken, dass auch und gerade diejenigen Beteiligten, die sich einer New Social History-Position verpflichtet fühlten, mit ihren Forderungen nach Erzählen einer gemeinsamen Geschichte, nach einer Perspektive „von unten“ und vor allem nach „Inklusion“ möglichst breiter Bevölkerungsteile Elemente bereitstellten, durch die das Ellis Island Immigration Museum im Effekt zur Bühne für die Präsentation eines gefeierten nationalen master narrative wurde. Doch damit zunächst genug vom Produktionsprozess und den Standpunkten der Macher. Es gilt zu sehen, wofür das Produkt, das Museum, selbst steht.
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Nach der Eröffnung kam es in zwei Fällen zu punktuellen Kontroversen, die sich jeweils an der Konkurrenz zweier Einwanderergruppen entzündeten. Im einen Fall erreichte der armenisch-türkische Konflikt das Museum anlässlich einer Wechselausstellung, die unter anderem Fotografien des Völkermords an den Armeniern zeigte. Im anderen Fall protestierten jüdische New Yorker gegen die Verwendung des Begriffs „Konzentrationslager“ in der Wanderausstellung „America’s Concentration Camps. Remembering the Japanese-American Experience“, die auch auf Ellis Island gezeigt wurde (Dubin 1999: 231f.; Maddern 2004a: 165ff.). In ihrer Reichweite und Resonanz blieben diese Auseinandersetzungen, wiewohl sie die prinzipielle Brüchigkeit einer gruppenübergreifenden Migrationserzählung andeuten, jedoch vergleichsweise gering. 143
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Präsentationen des Ellis Island Immigration Museum Ein Gang durchs Museum Wo beginnt das Ellis Island Immigration Museum? An der Südspitze Manhattans, im Schatten der Skyscraper des Financial Districts, steht das alte Castle Clinton, ehemals Festung, später Opernhaus, Einwanderer-Kontrollstation und Aquarium. Heute werden hier Tickets verkauft, für die Freiheitsstatue und Ellis Island. Der umliegende Battery Park ist Schauplatz des täglichen Aufeinandertreffens von Museumsbesuchern und Souvenir-Verkäufern und markiert – gemeinsam mit den Sicherheitskontrollen seit den Anschlägen des 11. September – sinnfällig die Zone des Übergangs von draußen nach drinnen. Auch wenn die Insel noch ein halbe Stunde entfernt ist: Hier liegt der Eingang des Museums. Die ersten Schritte führen auf die obligatorische Fähre. Für Besucher gibt es keinen anderen Weg nach Ellis Island, und die Freiheitsstatue ist, von Manhattan kommend, der erste Stopp.68 Viele steigen aus, andere zu, Liberty Island wird umrundet und nach weiterer kurzer Fahrt läuft das Boot in den engen Fährhafen von Ellis Island ein. Das mächtige rot-weiße Hauptgebäude der ehemaligen Kontrollstation mit den großen halbrunden Fenstern und den vier Türmen an jeder Ecke dominiert das bauliche Ensemble der Insel. Zur linken, durch das Hafenbecken getrennt, liegen die unscheinbareren, unrenovierten Hospitalgebäude. Eine neu gestaltete Überdachung führt von der Anlegestelle zum imposanten Eingang des Hauptgebäudes. Beim Betreten wird unmittelbar deutlich, dass das Museum versucht, die originalen Räume der Kontrollstation dazu zu nutzen, die Erfahrung der historischen Einwanderer nachzubilden (vgl. auch Wallace 1996: 64).69 Im Zentrum der Eingangshalle, des ehemaligen Baggage Room, türmt sich eine in die Breite gestreckte Installation mit hunderten Koffern, Kisten, Körben und Karren, Replikaten typischer Stücke (für Bilder vgl. auch Chermayeff u.a. 1991: 267). Darüber hängen vergrößerte Schwarzweißfotografien von historischen Einwanderern beim Von-Bord-Gehen, inmitten ihres Gepäcks, wartend in langen Schlangen. Hier stauen sich die Massen der Besucher, die schubweise in Bootsladungen eintreffen, was Kommentatoren regelmäßig und ganz im Sinne des Museums annehmen lässt, dass das Gedränge und die Lautstärke in gewisser Weise die Ein-
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Von New Jersey auf der anderen Seite von New York Harbor führt auch eine Behelfsbrücke auf die Insel, die jedoch nur von Mitarbeitern genutzt werden kann. Die Boote von dort steuern zunächst Ellis Island und dann die Freiheitsstatue an. Das Museum hat sich seit seiner Eröffnung im Jahr 1990 insgesamt nur unwesentlich verändert. Die zentralen Ausstellungen sind – nicht zuletzt mangels ausreichenden Budgets für Überarbeitungen – gleich geblieben, eigene Wechselausstellungen wurden seit 2000 nicht mehr erarbeitet.
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wanderungserfahrung wiederhole (Smith 1992: 88). Förmlich spürbar ist der Versuch rhetorischer Verführung: Das Ensemble ist eine Form des „truth speak“, „the discourse that claims the truth to which the viewer is asked to submit, endorsing the willing suspension of disbelief that rules the power of fiction. For the visitor entering through this hall, the discourse of realism sets the terms for the contract between viewer or reader and museum or storyteller“ (Bal 1996: 22, mit Bezug auf das American Museum of Natural History in New York City).
Abb. 3: Inszenierung in der Eingangshalle des Ellis Island Immigration Museum Der Blick geht an der Installation entlang nach links zur Information und nach rechts zu einer Treppe, die zum zentralen Registry Room im ersten Stock führt. Feste Laufwege, einen vorgeschriebenen Parcours durch das Museum, gibt es nicht. Die Dauerausstellung ist vielmehr in fünf eigenständige thematische Großeinheiten gegliedert, die sich über ca. 9.000 qm und drei Stockwerke erstrecken und sich in beliebiger Reihenfolge besuchen lassen. Die Form der Darstellung variiert dabei innerhalb des Museums: Die Präsentation in situ konzentriert sich auf den beschriebenen Eingangsbereich, einige kleinere re-konstruierte Räume und in eingeschränktem Maß den Registry Room. Der größte Teil der Ausstellungen, wie wohl ebenfalls in den Räumen der ehemaligen Kontrollstation platziert, verfolgt dagegen einen in context-Ansatz und nutzt das Gebäude weitestgehend
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wie eine neutrale Hülle.70 Der in den Konzeptpapieren vorgeschlagene Rundgang durch das Museum scheint aufgrund der baulichen Gegebenheiten unpraktikabel (MetaForm 1987: 2ff.). Ich folge im Weiteren der Route, die mir am plausibelsten erscheint. Es geht „auf den Spuren der Einwanderer“ die erwähnte Treppe hinauf. Im ersten Stock befindet sich das Herz des Museums, der Registry Room (auch Great Registry oder Great Hall genannt), in der die Personalien der Einwanderer geprüft wurden. Die weite, zweigeschossige Halle mit der gewölbten Fließendecke und den Säulen zu beiden Seiten ist weitestgehend leer gelassen. Von der rund umlaufenden Galerie hängen zwei mächtige amerikanische Flaggen ins Zentrum des Raumes, durch die Fenster zur rechten sieht man Manhattan, durch die zur linken das Hospital. Am anderen Ende stehen einige einfache Holzbänke, historische Stücke, auf denen einst die Immigranten warteten, dazwischen Reproduktionen von Pulten der Einwanderungsbeamten. Eine Tür in der Ecke des Raumes führt zur ersten Ausstellung. „Through America’s Gate“ befasst sich in den originalen Räumen mit dem Inspektionsprozess, den Einwanderungswillige auf Ellis Island durchlaufen mussten. Die 14 Stationen sind Themen wie „Ankunft“, „Medizinische Untersuchung“, „Juristische Überprüfung“, „Erlaubnis zur Einreise“, „Geldwechsel“, „Ticketverkauf für die Weiterfahrt“, „Psychologische Tests“, „Krankenpflege“ und „Internierung“ gewidmet.71 In einem rekonstruierten Gerichtssaal von 1911 werden unter Beteiligung der Besucher regelmäßig Anhörungen zu rechtlich umstrittenen historischen Einwanderungsgesuchen nachgespielt (vgl. ausführlich bei Rand 2005: 239-259). Aufgrund konservatorischer Auflagen und um die Wirkung der restau70
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Ich folge mit diesen Bemerkungen der speziellen Definition von in situ/in context bei Kirshenblatt-Gimblett (1998a: 19-23). In situ will sie verstanden wissen als eine Präsentationsform, in der das immer schon fragmentarische ethnographische Objekt ausgedehnt wird, indem mehr Relikte (auch als Replikate) aus seinem ursprünglichen Kontext in die Präsentation eingebunden werden. Ansätze dieser Art tendierten zu mimetischen Re-Konstruktionen, die Kulturen – und das dürfte übertragbar sein auf historische Verhältnisse – als kohärente Ganzheiten auffassten und gleichzeitig den notwendig konstruktiven und anfechtbaren Charakter dieser Gebilde durch eine Rhetorik des Lebensechten verschleierten. In contextPräsentationen arbeiten demgegenüber mit langen Texten, Diagrammen oder anderen abstrakt-erklärenden Hilfsmitteln und integrieren das Objekt vielfach in klassifizierende Schemata, durch die eine starke „kognitive Kontrolle“ auf das einzelne Objekt ausgeübt wird und dem Betrachter ein bestimmtes Verstehen komplexer Sachverhalte ermöglicht werden soll. Wenn unter in situ allgemeiner eine Präsentation von Geschichte am historischen Schauplatz verstanden wird, trifft dies zweifellos das gesamte Museum. Die Struktur dieser Ausstellung ist antizipiert in einer Monographie des Beiratsmitglieds Alan M. Kraut (1982).
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rierten Räume nicht zu mindern, konzentriert sich die Präsentation ansonsten auf „Informationsinseln“ in der Mitte eines jeden Raumes, die sich leicht vom Boden abheben, gleichsam schweben.72 Wenigen Exponaten stehen viele Fotos und Texte gegenüber. Zitate und Interviewausschnitte vermitteln die Perspektive der einfachen Immigranten, die über lebensgroße, gerasterte Figuren auf transparenten Tafeln präsent sind. In der Anmutung „Geistern“ gleich bevölkern sie so die ehemalige Kontrollstation (Parker 1991: 87). Originales Graffiti an den Wänden des letzten Raums „Isle of Hope/Isle of Tears“ steht für die manifesten Spuren der Einwanderer im Gebäude.
Abb. 4: Through America’s Gate
Abb. 5: Peak Immigration Years
Leicht kafkaeske Flure führen zurück in die Great Registry und durch diese in den jenseitigen Flügel des Gebäudes, wo die zweite Ausstellung „Peak Immigration Years: 1880-1924“ gezeigt wird. Diese stellt die Vorgänge auf Ellis Island in den weiteren historischen Kontext und thematisiert die größeren Dimensionen der Einwanderung in die USA während der Phase der „New Immigration“. Zehn aufeinander folgende Räume beleuchten Ursachen der großen Migrationsbewegungen, Bedingungen der Überfahrt und die Verteilung der Einwanderer über das ganze Land, wechselnde Einwanderungspolitiken und Haltungen gegenüber Neuankömmlingen sowie Kontinuitäten und Veränderungen ethnischer Communities und der amerikanischen Gesellschaft im Ganzen. In diesem Teil des Muse72
Anders als Gisela Welz (1996: 174), die, wie es scheint, eine re-konstruierende Gestaltung aller Räume vorgezogen hätte und die konservatorischen Auflagen entsprechend als „deutlich einschränkend“ begreift, erscheint mir die „Insel-Lösung“ gerade als Stärke. Die augenscheinliche Künstlichkeit der Präsentation, die sich bewusst vom Raum abhebt, lässt im Gegensatz zu totalisierenden Rekonstruktionen auch am originalen Schauplatz die Möglichkeit der distanzierten Reflexion. 147
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ums wird der Einfluss der neuen Sozialgeschichte auf die Konzeption besonders deutlich (Smith 1992: 93). Dargestellt sind sowohl Zusammenhänge zwischen Einwanderung und den Forderungen eines kapitalistischen Markts nach billigen Arbeitskräften – laut Mike Wallace (1996: 66) „a panoramic perspective on the re-making of the American working class“ – als auch Formen und Konjunkturen von Fremdenfeindlichkeit und innergesellschaftlichem Rassismus. Wenig problematisiert sind dagegen Klassenzusammensetzung und Konflikte innerhalb ethnischer Communities oder die interne Migration von Schwarzen aus dem Süden in den Norden (ebd.). Der betrachtete Zeitrahmen dehnt sich dabei nach vorn über die aktive Zeit Ellis Islands hinaus, um eine als einheitlich verstandene Periode der Einwanderung komplett abzudecken. Innerhalb dieses Rahmens sind auch andere Kontrollstationen wie Angel Island bei San Francisco erwähnt, wo Einwanderer aus Asien ungleich härtere Bedingungen erlebten. Auch in dieser Ausstellung dominieren Fotografien und Text. Unter den wenigen Objekten finden sich zahlreiche Pässe, Schiffslisten und Poster von Anwerbe-Agenturen, zeitgenössische Karikaturen, eine Vitrine mit Kinderschuhen sowie Notenblätter und Schallplatten-Cover „ethnischer Musik“. An Hörstationen können zu verschiedenen Aspekten Erzählungen ehemaliger Einwanderer abgerufen werden, und in dem kleinen Atrium, das die Ausstellung umschließt, zeigen großformatige Porträtaufnahmen ein Panorama der Ankömmlinge. Die Ausstellung „Treasures from Home“, die über eine Rolltreppe in den zweiten Stock erreicht wird, setzt indes ganz auf das originale Exponat. Etwa 1000 Dinge, die Einwanderer auf ihrem Weg nach Amerika mit sich führten – von Geburtsurkunden über Gebetbücher bis zu Musikinstrumenten und Trachten, drängen sich in vier Vitrinen mit den Themen „Clothing and Ornament“, „Personal Papers“, „Spiritual Life“ und „Family Life“. Vitrinen zu einzelnen Familien ergänzen das Bild. In den angrenzenden Räume befindet sich eine dreigeteilte Ausstellung, die sich mit der langen Geschichte des Ortes Ellis Island befasst. „Ellis Island Chronicles“ skizziert dabei die Entwicklung der Insel von der Zeit als Fischplatz von Native Americans bis zur Schließung der Kontrollstation im Jahr 1954. Im Zentrum stehen fünf detaillierte Modelle, die den Ausbau der Insel und die Veränderung der Bebauung in Abhängigkeit von ihrer Nutzung zeigen. „Silent Voices“ steht mit Vitrinen voller verstaubter Möbel, Schilder, Gebrauchsgegenstände und anderer Gerätschaften, die in den Ruinen gefunden und hier assoziativ inszeniert wurden, für die Zeit des Verfalls. „Restoring a Landmark“ schließlich beschreibt die Restaurierung des Gebäudes. Ebenfalls im dritten Stock des Museum, einsehbar von der Galerie des Registry Room, befindet sich ein auf das Jahr 1908 restaurierter Schlafraum mit einfachen Stockbetten, der als Ersatz für die weitaus größeren, nicht zugänglichen und anders genutzten ehemaligen Schlafquartiere der Einwanderer und Internierten in anderen Teilen des Gebäudes steht. 148
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Abb. 6: The Peopling of America Im Erdgeschoss, hinter der eingangs beschriebenen Koffer-Installation, befindet sich schließlich die letzte Ausstellung des Museums (oder die erste, wenn man anders geht). „The Peopling of America“ behandelt in merklich veränderter visueller Rhetorik anhand von Statistiken die lange Geschichte der Einwanderung in die USA und geht der Frage nach, wie und woher zu welchen Zeiten die Menschen nach Amerika kamen. In einem chronologischen Abriss wird der Bogen von der Kolonisierung Amerikas über die Zwangsmigration afrikanischer Sklaven bis zur territorialen Expansion der USA im 18. und 19. Jahrhundert gespannt. Eine wandfüllende Kurve verzeichnet die Hochs und Tiefs der Einwandererzahlen von 1820 bis heute und setzt sie in Bezug zu politischen und ökonomischen Faktoren. Dreidimensionale Grafiken visualisieren die Verteilung der Immigranten nach Weltregionen in 20-Jahres-Intervallen seit 1820, ihre Differenzierung nach Geschlecht sowie einen Vergleich der Zahlen von Ein- und Auswanderern. Eine interaktive Landkarte zeigt auf der Grundlage aktueller Zensusdaten die Anteile aller erfassten ethnischen Gruppen und races an der Gesamtbevölkerung und ein „Word Tree“ verfolgt die ethnischen Ursprünge bestimmter Wörter im amerikanischen Englisch. Die Verortung der Einwanderung nach Amerika im globalen Kontext versucht ein Globus, auf dem wechselnde LED-Anzeigen weltweite Migrationsbewegungen seit 1700 anzeigen. Im Zentrum des Raumes befindet sich die sogenannte Flag of Faces. Als einzige Thematisierung zeit149
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genössischer Migration berichten heutige Einwanderer in Video-Interviews von den Problemen in ihren Heimatländern und den nun glücklichen Umständen ihres Lebens in den USA. Von negativen Erfahrungen in ihrer neuen Heimat, etwa Rassismus oder Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, ist hier keine Rede. Neben den eigentlichen Ausstellungen umfasst das Museum zwei Kinos, in denen die Dokumentation „Island of Hope, Island of Tears“ gezeigt wird73, ein Theater für wechselnde, eigens produzierte (Rühr-)Stücke über Ellis Island74, ein Learning Center für Schulklassen, begrenzte Flächen für Wanderausstellungen sowie die unvermeidlichen Komponenten Museumsshop und Cafeteria. Letztere stellt sich ebenfalls in den Dienst der Einfühlung in die Einwanderungserfahrung: Die Wände zieren historische Aufnahmen aus den Speisesälen der Kontrollstation. Im April 2001 wurde das von der Statue of Liberty-Ellis Island Foundation betriebene American Family Immigration History Center eröffnet, in dem Besucher gegen Entgelt in Schiffslisten nach Vorfahren recherchieren können. Außerhalb des Museumsgebäudes schließlich, auf der Manhattan zugewandten Seite, steht die mächtige American Immigrant Wall of Honor, ein Edelstahl-Rund von knapp 40 m Durchmesser. Eingraviert sind über 700.000 Namen von Einwanderern und anderen Personen, die bereit waren, mindestens 100 US Dollar für das Restaurierungsprojekt zu spenden. In dieser Form verharrt die prominente Installation in einem eigentümlichen Zwitterstatus zwischen überdimensionierter Spendertafel und seltsam demokratisiertem Denkmal der Einwanderung.75
Dramatis Personae: Eine Galerie typischer Einwanderer Im ersten Stock des Museums, zwischen Registry Hall und der Ausstellung „Peak Immigration Years“, befindet sich ein kleines, lichtdurchflutetes Atrium. An den Wänden hängen großformatige Schwarzweißfotografien, abwechselnd auf gleicher Höhe mit dem Betrachter knapp lebensgroße Bilder kleiner Gruppen 73 74
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Für eine wohlwollende knappe Besprechung vgl. Morrison 1993. Im Sommer 2006 lief ein Stück mit dem Titel „Embracing Freedom“, ein Jahr zuvor war „Remember the Dream“ zu sehen. Beide nehmen Zeugnisse historischer Immigranten zur Grundlage und verfolgen in losen Szenen den Weg einzelner Einwanderer von ihren Heimatländern über Ellis Island nach Amerika. Die kostümlastige Dramatisierung zeichnet dabei in beiden Fällen ethnisierende Klischeebilder historischer Migranten und setzt vor allem auf stereotype Elemente der Ellis Island-Erzählung, wie dem erhebenden Anblick der Freiheitsstatue und die Begrüßung durch Familienangehörige am sogenannten „Kissing Post“. Dieses Modell einer Finanzierung qua Denkmal ist inzwischen auch in anderen Migrationsmuseen adaptiert worden, etwa im kanadischen Museum Pier 21. In der BallinStadt – Auswandererwelt Hamburg sollte ursprünglich zum gleichen Zweck eine Skultptur unter dem Motto „Wings of Hope“ entstehen, wurde zwischenzeitlich aber verworfen.
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zu zwei oder drei Personen und hoch an der Wand Nahaufnahmen von Gesichtern einzelner. Zu sehen sind, der Kontext lässt keinen Zweifel, Einwanderer, die dramatis personae der musealen Erzählung.76 Besonders eindrucksvoll sind die gewaltigen Porträts, die sich deutlich gegen Vorstellungen der Migranten als gesichtslose Masse stellen: ein älterer Mann mit Vollbart und wettergegerbtem Gesicht, darüber eine Uniformmütze; eine junge Frau, um die dreißig, mit weißem Kopftuch und einer mehrfach um den Hals geschlungenen Perlenkette; ein Mann, das dunkle Gesicht mit dem schmalen Oberlippenbart von einem weißen Turban gerahmt; ein weiterer Mann mit tief liegenden Augen, schwarzem Hut und schwarzem Vollbart, darunter eine helle Krawatte… Der Ausdruck fast aller ist ernst (oder müde? oder gelassen?), der Blick geht zumeist leicht am Fotografen vorbei, in eine leere Ferne. Und doch sind es unverkennbar individuelle Gesichter. Wer sind diese Menschen? Die Texttafeln geben Auskunft: „Danish immigrant, Ellis Island“, „Ruthenian immigrant, Ellis Island“, „Algerian immigrant, Ellis Island“, „Armenian Jew, Ellis Island, 1926“. Fast alle Labels geben als Charakterisierung der Abgebildeten einzig ihre Nationalität an, nicht den Namen, nichts zu ihrem Alter, ihrem Beruf, den Gründen ihrer Migration, kurz: ihrer individuellen Geschichte.77 Die Texte der Tafeln fixieren die Bedeutung der Bilder in bestimmter Weise (Kelly 2004: 124): Die Personalisierung und Individualisierung, die in den Porträtaufnahmen nahegelegt ist, verkehrt sich in ihr Gegenteil. In der standardisierten Bezeichnung wird das Individuum und seine spezifische Biographie zum Ver-
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Einige der Fotografien zieren auch die finalen Konzeptpapiere von MetaForm (1989a, b) und lassen sich entsprechend als inoffizielle Signets des Projektes lesen. Einige wenige vermerken zusätzliche Kommentare des Fotografen Lewis W. Hine, die jedoch vielfach nicht über die Typisierung der Individuen hinausgehen, sondern sie vielmehr verstärken. So heißt es etwa zum Bild des erwähnten armenischen Juden: „The photographer noted: ‚This Armenian Jew probably left his native land to escape the Turkish persecution of the post-war period. His beard is typical of that worn by the orthodox Jews of Europe and the Near East.’“ Und bei einem anderen Bild: „Albanian woman, Ellis Island, 1905. The photographer noted: ‚This woman is wearing her native costume. At times the island looked like a costume ball with the multicolored, many-styled national costumes.’“ Hoerders (1987: 421) Einschätzung, dass Hine die Immigranten grundsätzlich nicht in ethnischen Kategorien gefasst sehen wollte, lässt sich so zumindest an den im Museum gezeigten Bildern und ihren Beschriftungen nicht nachvollziehen. Die Namen der Abgebildeten und weiterführende Informationen seitens der Kuratoren finden sich nur zu der Fotografie „Italian immigrants, Ellis Island, 1905“: „This mother and her children came to represent the immigrant experience when their photograph was published worldwide. Eight decades later they were identified as Anna Sciacchitano and her children, Paul, Mary, and Dominick, who came to join her husband, Giovanni Gustozzo, in Scranton, Pennsylvania.“ 151
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
schwinden gebracht (Welz 2000: 71). Die so kategorisierten Immigranten sind nicht tatsächlich Individuen, sondern Exemplare eines bestimmten Typs, Repräsentanten von Nationen und ethnischen Gruppen78, und die Galerie der Einwanderer gerät zur „gallery of nations“.79 Was ich sehe, sind Schein-Individuen, Charaktermasken kultureller Vielfalt.
Abb. 7: „Ruthenian Immigrant“
Abb. 8: „Algerian Immigrant“
Nun wäre es verkürzt, die reduzierte und reduzierende Form der Bezeichnung allein den Ausstellungsmachern anzulasten, sie etwa verantwortlich zu machen für das Fehlen von Informationen, die schlicht nicht überliefert sind. „Expository agency“, das Subjekt des Zeigens, die erste Person Singular des ausstellerischen Sprechakts, ist nach Mieke Bal (1996: 8, 16f.) immer mehr als die Intention und Praxis einzelner Kuratoren. Sie sind Teil einer langen Kette, die das Ausstellen in einer bestimmten Weise ermöglicht, und Teil dieser Kette ist auch die Beschaf78
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Die doppelte Charakterisierung in meiner Analyse als „Repräsentanten von Nationen und ethnischen Gruppen“ ergibt sich durch einen doppelten Bezugsrahmen: Als „Repräsentanten von Nationen“ gezeigt sind die Migranten mit Blick auf ihre Herkunft. „Repräsentanten ethnischer Gruppen“ sind sie gleichsam als Vorwärtsprojektion, im Hinblick auf ihre zukünftige „Bindestrich-Existenz“ in der amerikanischen Gesellschaft: Italian-Americans, Polish-Americans etc. Eine Differenzierung nach ethnischen Gruppen innerhalb der Herkunftsländer wird hingegen, von Juden abgesehen, nicht vorgenommen. Zur Tradition der „gallery of nations“ als Organisationsprinzip von Büchern und später von ethnographischen Ausstellungen vgl. Kirshenblatt-Gimblett 1998a: 37f.
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fenheit des vorhandenen Materials und seine Tradition. Die Fotografien der Einwanderer-Galerie gehören zu den prominentesten und langlebigsten der ganzen Ellis Island-Geschichte und sind als solche fest im „amerikanisches Bildgedächtnis“ verankert (Welz 2000: 71). Und sie sind untrennbar verbunden mit den Bedingungen ihrer Entstehung. Aufgenommen wurden die meisten der ausgestellten Bilder von Lewis W. Hine und Augustus F. Sherman. Hine war einer der profiliertesten Dokumentarfotografen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, „America’s exemplary documentarian“, dessen Bilder ursprünglich im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit sozialreformerischer Kampagnen entstanden und gesehen wurden. Sein spezieller, wiedererkennbarer Stil wurde dabei zum „symbol not only of a concern to discover and disclose social reality, but also of liberal reformers’ authority and ability to explain and ameliorate that reality“ (Stange 1989: 55). Wenn er bei aller Faszination für die besonders malerischen Aspekte seines Gegenstandes auch zu vermeiden suchte, die Einwanderer, ihr Aussehen und ihre Kleidung, einem amerikanischen Publikum als Kuriositäten vorzuführen, so sind seinen Fotografien doch die Prinzipien des reformerischen Projekts eingeschrieben, das neben der Verbesserung der sozialen Verhältnisse auch immer darauf gerichtet war, eine liberale Mittelklasse zu versichern „that social oversight was both its duty and its right“ (Stange 1989: xiii; vgl. auch Hoerder 1987). Anders als Hine war Augustus F. Sherman Hobbyfotograf, im Hauptberuf dagegen Beamter der amerikanischen Einwanderungsbehörde und von 18921925 auf Ellis Island stationiert. Seine fotografische Leidenschaft für Einwanderer resultierte weniger aus vertiefter ideologischer Überzeugung, denn alltäglicher Gelegenheit. Dabei entwickelte er ein besonderes Interesse sowohl für außergewöhnliche Motive, wie Zwerge und Riesen (Bolino 1990: 105)80, als auch für Dinge, die er für außergewöhnlich typisch (und vom Verschwinden bedroht) hielt. Aus diesem Grund ließ er Einwanderer für die Aufnahmen regelmäßig Trachten anziehen und verstärkte damit zielgerichtet die typisierende Konstruktion seiner Bilder. Dass die so zum Einsatz gebrachten Trachten, wie KirshenblattGimblett (1998b: 299) anmerkt, vielfach keineswegs „traditionell“, sondern durchaus neueren Datums waren und ihre spezifische Form einem Prozess der ideologischen Aufladung und marktkonformen Veränderung verdankten, war
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Zur langen Tradition der Zurschaustellung solcher, als „Freaks“ definierter Menschen vgl. Stewart (1984: 108-111): „Often referred to as a ‚freak of nature’, the freak, it must be emphasized, is a freak of culture. His or her anomalous status is articulated by the process of the spectacle as it distances the viewer, and thereby it ‚normalizes’ the viewer as much as it marks the freak as an abberration“ (109). In dieser Funktion sei der „Freak“ aufs Engste mit dem kulturell Anderen verknüpft. Im Blick auf das Andere, das als Anderes in diesem ver-andernden Blick erst entsteht, liegt auch die innere Stringenz von Shermans disparater Motivwahl. 153
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dem „salvage photographer“81 wohl kaum bewusst und tat seinem Unternehmen einer Erfassung „typischer“ Einwanderer auch keinen Abbruch (Mesenhöller 2005; Sperrfechter 2007). Wie verhält sich nun das Museum zu dieser Geschichte seiner Geschichtsdokumente? Ein Raumtext zu einem der beiden Fotografen liefert Hintergründe: „Augustus F. Sherman Augustus F. Sherman, a U.S. Immigration Service employee on Ellis Island from 1892 to 1925, was also an amateur photographer. Sherman generally asked immigrants to pose for the camera dressed in their native costumes. His collection of over 135 images provides an extraordinary record of the many nationalities who came to the United States during the peak years of immigration. While Sherman was stationed on Ellis Island, his photographs were framed and hung in the main building. Today, Sherman’s work is once again on display, both here in the second-floor atrium and throughout the other exhibits.“
Der Text bezieht sich vorbehaltlos positiv auf die Arbeit und die resultierenden Aufnahmen Shermans. Mit dem Verweis auf die als Rückgewinnung und Rückbesinnung konnotierte Wiederaufnahme früheren Zeigens stellt sich das Museum in affirmative Kontinuität zu der Kontrollstation, wodurch – als doppelter Effekt – seiner Präsentation Authentizität und den Bildern kuratorische Autorität verliehen wird. Darüber hinaus unterstreichen sowohl der Hinweis auf Shermans Status als Amateurfotograf, als auch die Bezeichnung des Bestandes als „extraordinary record“ dessen dokumentarische Wahrhaftigkeit. Die spezifische Inszenierung der Immigranten in den Bildern wird erwähnt, allerdings nicht problematisiert, sondern vielmehr als Garantie für die so veranschaulichte Vielfalt an – explizit – Nationalitäten genommen. In dieser Logik folgerichtig ist, dass das Vorliegen zusätzlicher Informationen kein Auswahlkriterium für die Bilder gewesen zu sein scheint. Zahlreiche Aufnahmen, bei denen zumindest die Namen der Abgebildeten dokumentiert sind (Mesenhöller 2005), wurden so nicht berücksichtigt oder der Name wurde, wie im Fall des schlicht als „Danish Immigrant“ präsentierten Peter Meyer, als Signifikant des Individuums gar getilgt. Das Museum übernimmt somit nicht allein die problematisch fragmentarisch überlieferten Informationen, sondern schreibt in seinen Beschriftungen aktiv den ent-individualisierenden Blick auf die Individuen als Stellvertreter für Nationen fort.82 81
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Die Bezeichnung benutze ich in Abwandlung von James Cliffords (1986: 112f.) Charakterisierung der Anthropologen des frühen 20. Jahrhunderts als „salvage ethnographers“. In ihren Texten stilisierten diese ihre Unternehmungen zu Rettungsaktionen der Erzeugnisse vermeintlich dem Untergang geweihter Kulturen. In vielen Fällen wird überdies der inszenierte Charakter der originalen Fotografien Shermans durch die Wahl bestimmter Bildausschnitte kaschiert. Eine sorgfältig der Größe nach aufgereihte vielköpfige englische Familie wird so (ebenso wie eine
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Die ethnisierende Präsentation einzelner als typische Vertreter nationaler oder ethnischer Großgruppen zeigt sich schließlich auch in der Wahl bestimmter Bildausschnitte, exemplarisch am Bild zweier schwedischer Mädchen. In der Aufnahme Shermans sind die beiden nebeneinander frontal im Brustbild zu sehen. Beide tragen eine weiße, bestickte Bluse und Dirndl. Die blonden Haare sind zurückgesteckt und von einem weißen Tuch zusammengehalten. Das Mädchen links ist etwas jünger, mit dunklen Augen und einem leicht abschätzigen Blick (vgl. Moreno 2005: 77). In der Ausstellung zu sehen ist jedoch nur die Großaufnahme der rechten. Warum? Ihre strahlend blauen Augen, der offene Blick und die Sommersprossen auf der Nase dürften den Machern als „typischer“ erschienen sein, weshalb bewusst sie gewählt wurde (EIIMA 76). Sie ist die „schwedischere“ der beiden und somit in der Logik der Einwanderer-Galerie die passendere.83 Sowohl die Fotografen in der Produktion als auch das Museum in der ReProduktion der Bilder verstehen, so lässt sich schließen, die Welt als unterteilt in verschiedene Nationen, Völker und Volksgruppen und kulturelle Differenz als Korrelat dieser Aufteilung. Mit Gupta und Ferguson (1992: 16) wäre hingegen für eine Umkehrung des Blicks zu plädieren. Sie begreifen kulturelle Differenz nicht als Ausgangs-, sondern als Endpunkt. In den Fokus kommen damit nicht als bestehend angenommene separate Gruppen, sondern ein „difference-producing set of relations“, die Bedingungen und Mechanismen der Konstruktion von Differenz. So gesehen etablieren die auf Nationalität fixierte Betextung der Fotografien und die aktive Selektion typischer Exemplare Nationalität – und mit Blick
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gleichermaßen gestellte holländische Familie und eine Gruppe russischer Männer) auf wenige Personen reduziert, was vordergründig den Platzbedingungen im Museum geschuldet sein mag, darüber hinaus allerdings eine scheinbare Natürlichkeit der Aufnahmen suggeriert. Das Bild einer Gruppe äthiopischer Einwanderer wurde dagegen trotz des akuten Mangels an Dokumenten außereuropäischer Immigration nicht in die Präsentation einbezogen. Waren in dessen Komposition die unerwünschten Anklänge an die Ikonographie populärer Völkerschauen nicht zu verbergen? Für die unbeschnittenen Aufnahmen und weitere Informationen zu Sherman vgl. Mesenhöller 2005 sowie EIIMA 75. Für Fotografie und Völkerschauen als Techniken des „Othering“ vgl. Maxwell 1999. Eine Strategie der offensiven Problematisierung der Inszenierungen ist angedeutet in Ed Grazias unbetitelter Spiegelbild-Fotografie von 1988, auf die folgender Text geschrieben ist: „My grandmother arrived at Ellis Island in 1912 from Poland. She had her picture taken as an American Indian“ (Smith 1992: 100, Anm. 21). Folgerichtig ist, dass die umstrittene Statue der ersten Ellis Island-Einwanderin Annie Moore, das einzige prominente Objekt mit spezifisch ethnischer, nämlich irischer Konnotation, ebenfalls in diesem Rahmen präsentiert wird. Die Skulptur ist hinlänglich und luzide analysiert bei Kelly/Morton 2004a und 2004b bzw. Maddern 2007 und wird aus diesem Grund hier nicht vertieft diskutiert. 155
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auf die Platzierung in der amerikanischen Gesellschaft: Ethnizität – erst als vorrangiges Identitätslabel und Differenzkriterium. Soziale und ökonomische Aspekte treten demgegenüber in den Hintergrund.84 Die Vermessung und Ordnung der Immigranten entlang ethnisch-nationaler Linien setzt sich in anderen Teilen des Museums fort. Eine Vitrine in der Ausstellung „Peak Immigration Years“ etwa zeigt sechs Paar Kinderschuhe. Auch hier sind die Objekte in standardisierter Weise als „Greek, Italian, Albanian, Chinese, Czech, Austrian“ bezeichnet85 und stehen mithin nicht für ihre vormaligen Träger, sondern metonymisch für die nationale Herkunftsgruppe. Die Installation „Money Exchange“ in der Ausstellung „Through America’s Gate“ schließlich perfektioniert die nationale Abstraktion des Individuums: Eine Plexiglaswand versammelt Geldscheine und Münzen aus einer Vielzahl von Ländern, die, metonymisch gelesen, die nationalisierten Immigranten signifizieren. In Gestalt des „allgemeinen Äquivalents“ (Marx) erscheinen diese – wie die verschiedenen Währungen – als äußerlich maximal different voneinander und zugleich – wie Geld – an sich maximal gleich. Und somit, das wäre impliziert, auch ohne Weiteres eintauschbar in eine neue Form.
Family Album: Gleich-gültige Inklusion In all diesen Präsentationen zentral ist die Inszenierung kultureller Vielfalt (Welz 1996), die folgerichtig als ethnisch-nationale Vielfalt verstanden wird.86 Die Fotografien der Galerie zeigen Einwanderer aus einer Vielzahl von Ländern, und diese „bunte Mischung“ setzt sich fort in der Einheit „Family Album“ im dritten Stock des Museums, zwei Bilder-Wänden, die die Ausstellung „Treasures from Home“ flankieren. Peinlich genau wurde hier wie dort bei der Auswahl der Foto84 85
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Die Fotogalerie ignoriert damit die Forderung von Johnson (1984: 165), dass kulturelle Identität immer in Verbindung mit Klasse gezeigt werden müsse. Ein wenig erinnert diese Kategorisierung an Louis-Ferdinand Célines Reise ans Ende der Nacht und die Arbeit seines Helden als Flohzähler auf Ellis Island: „Gegen Abend hatte ich mir vor lauter Flöhezerdrücken die Nägel am Daumen und am Zeigefinger abgebrochen, und dabei war meine Arbeit noch nicht beendet, denn es blieb noch das Wichtigste zu tun übrig; ich mußte noch den täglichen Aufnahmebestand notieren: soviel Flöhe aus Polen…so viele aus Jugoslawien…aus Spanien. Soviel Filzläuse aus der Krim…Krätzen aus Peru…Alles, was auf der verelendeten Menschheit schwarzfährt, ging durch meine Nägel. Es war ein Lebenswerk, monumental, und dabei bis ins kleinste ausgeführt.“ (Céline 1992: 218f.) Dass Kultur und entsprechend kulturelle Vielfalt weitaus facettenreicher und widersprüchlicher gefasst werden könnte, wird nicht erst mit Blick auf Raymond Williams’ klassische Definition von Kultur als (in einer von drei Dimensionen des Begriffs) „a particular way of life, whether of a people, a period or a group“ deutlich (Williams 1976: 80; siehe auch Bennett u.a. 2006: 63-69).
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grafien auf Proporz geachtet. Eigens erstellte Listen und nach Herkunftsländern sortierte Ordnungssysteme sollten adäquate quantitative Repräsentation garantieren (EIIMA 77). Besonders deutlich ist dabei das Bemühen, nicht-europäische Einwanderer in die Präsentation einzubeziehen, um größtmögliche „inclusiveness“ zu erreichen. Die resultierende Ausweitung der Betrachtung über die engere Ellis Island-Geschichte hinaus, die zwei Stockwerke tiefer in der Ausstellung „The Peopling of America“ ihren Höhepunkt findet, lässt sich dabei begreifen als Ringen der Ausstellungsmacher mit dem Ort und seiner klar europäischen historischen Konnotation. Zu sehen sind also neben Einwanderern aus zahlreichen europäischen Ländern Bilder von Immigranten aus China und Japan, aus Mexiko und der Karibik, teils vor ihrer Reise, teils danach, teils auf Ellis Island, teils an anderen Grenzstationen. Dabei finden auch hier die bereits oben skizzierten Typisierungen statt, etwa wenn bestimmte Bilder von Einwanderern aus China trotz des Mangels an Fotografien asiatischer Immigranten nicht einbezogen wurden, wohl weil den Abgebildeten das ostentativ Chinesische fehlt (EIIMA 78). Doch es geht hier um einen weiteren Punkt, der sich am besten an zwei nebeneinander hängenden Aufnahmen, wiederum von Augustus Sherman, demonstrieren lässt. Die Komposition der Bilder ist ganz ähnlich: Beide zeigen je zwei Frauen in Lebensgröße, mit Hüten und eleganter Kleidung. Dem Betrachter zugewandt, stehen sie nebeneinander vor der Einwanderer-Kontrollstation auf Ellis Island. Auch die Beschriftungen gleichen sich: „English Family, arrived on S.S. Adriatic, Ellis Island, April 17, 1908“ – „Women from Guadeloupe, French West Indies, arrived on S.S. Korona, April 6, 1911“. Dazu kommen einige Abweichungen: Eine der englischen Frauen hält ein Kind auf dem Arm, sie tragen dunkle Mäntel und Schals, die Frauen aus Guadeloupe dagegen helle Kleider. Doch es gibt, beinahe unbemerkt, obschon offensichtlich, noch mehr als einen kleinen Unterschied: Die einen sind weiß, die anderen schwarz. Wie im Zeigen der national fixierten Immigranten deren individuelle Biographie verschwindet, so ist auch dieses Nebeneinander geprägt von gleichzeitiger An- und Abwesenheit, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. In der gleichförmigen Präsentation und, allgemeiner, in dieser gleich-gültigen Inklusion nicht adressiert, ja aus dem Blickfeld gedrängt, sind die Parameter des Rassismus und die fundamentale Dimension der (sozial konstruierten) Kategorie race. Race ist aber, wenn man Stratton und Ang (1998: 146, 159) folgt, nicht nur historisch und aktuell ein zentrales Organisationsprinzip gesellschaftlicher Verhältnisse in den USA auf allen Ebenen des Lebens, sondern in Siedlergesellschaften allgemein das inhärente „sign of fracture“, das die Konstruktion harmonischer nationaler Identitäten durch den Verweis auf koloniale Gewalt und Traumatisierung unmöglich macht. Wenn in den Bildern der Frauen aus Guadeloupe, die nicht als Sklavinnen in die USA kamen, die historischen Individuen dieser Gewalt auch nicht direkt betroffen sind, so lässt sich ihre Gleichsetzung mit den weißen englischen Frauen doch als Unsichtbar-Machen der gesellschaftlichen Bedeutung von race 157
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bzw. dessen Umdeutung in eine leichter integrierbare Facette ethnisch-kultureller Vielfalt lesen.87 In mindestens einem Fall werden im bedingungslosen Bemühen um Inklusion selbst die Opfer rassistischer Ausgrenzung nachträglich zu Immigranten befördert. Ein Bild inmitten der Einwanderergalerie von Augustus Sherman zeigt, laut Label, eine „Gypsy family from Serbia“. Zu sehen sind ein zufrieden lächelnder Mann im weißen Hemd, sitzend, vor ihm auf dem Boden zwei Jungen, wohl seine Söhne. Neben im steht eine Frau mit Kopftuch und bunten Kleidern, ein kleines Kind auf dem Arm. Die Frau strahlt übers ganz Gesicht – ein Genrebild des stereotypen „lustigen Zigeuners“. Das Bild muss aufgenommen worden sein, bevor den Leuten die Nachricht von ihrer Nicht-Zulassung und Abschiebung bekannt gegeben wurde. Während die abgebildeten Personen so aus dem Land entfernt wurden, zirkulierten ihre Bilder in der Folge nicht unbeträchtlich: Die Ankunft und schnelle Abschiebung der Roma wurde zum Aufhänger einer medialen Kampagne, in der sich der Commissioner von Ellis Island, William Williams, mit positiver Resonanz seiner kompromisslosen Haltung gegenüber „unerwünschten Einwanderern“ rühmte.88 Die museale Präsentation vermerkt jedoch nichts von einer Deportation und nichts von der rassistischen Kampagne und impliziert damit ganz selbstverständlich und ebenso falsch, dass es sich um glückliche Einwanderer, gar glückliche Neu-Amerikaner handelt. 87
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Zur Kontrastierung von ethnicity als selbstgewählter Identität, die nur bestimmte Aspekte des Alltagslebens betrifft, mit race als in erster Linie fremdbestimmte Zuschreibung, die die Erfahrungen von Individuen umfassend und zumeist in Form von Diskriminierung prägt vgl. Forest 2002: 235-247. In diesem Punkt scheint sich das Museum mit einer früheren Ausstellung zur Einwanderungsgeschichte der USA, „A Nation of Nations“, zu treffen, die zum 200-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung von der Smithsonian Institution als Teil des National Museum of American History konzipiert wurde (vgl. dazu Hegeman 1991: insbes. 75ff). Die Sunday Times würdigte Williams anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt 1905 mit einer ganzen Seite, die unter der Überschrift „Four Years of Progress at Ellis Island“ neben einem Porträt des Commissioner einige Errungenschaften seiner Amtszeit im Bild dokumentierte. Zu diesen gehört auch eine Fotografie der Roma-Gruppe mit der Unterschrift „Hungarian Gypsies all of whom were deported…“ Das genaue Datum ließ sich nicht ermitteln; die Seite findet sich jedoch im Nachlass von William Williams in der New York Public Library, Scrapbook 1. In einem weiteren Scrapbook sammelte Williams, offenbar nicht ohne Stolz, neben den Fotos der Deportierten Berichte von Abschiebungen (vgl. auch einen Artikel in City Life and Municipal Facts, 8.6.1911 mit dem Bild der Roma-Gruppe). Dass Mitarbeiter von MetaForm bei ihren Recherchen zur Ellis Island-Ausstellung dieses Konvolut eingesehen haben, von der medienwirksamen Deportation der Roma mithin gewusst haben dürften, dokumentiert das Benutzerverzeichnis der New York Public Library. Ein Bild der Roma ohne Hinweis auf ihre Abschiebung findet sich auch im Official Souvenir-Guide des Museums (Hamblin 2003: 18).
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Diese gleich-gültige Inklusion, die weder qualitative Differenzen unterschiedlicher Einwanderungs- und Einwanderererfahrungen kennen will (und im Extrem selbst Abgeschobene retrospektiv integriert), noch die Frage nach den gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen den Re-Präsentierten stellt, setzt sich im Wortsinn auf anderer Ebene in der Ausstellung „The Peopling of America“ mit unterschiedlichen Migrationsbewegungen fort. Ergebnis ist ein umfassendes, aber harmonisiertes Bild, in dem die „signs of fracture“ durch scheinbare Gemeinsamkeit überdeckt sind.89
Treasures from Home: Multikultur als Gemischtwarenladen90 „Treasures from Home“ ist die Ausstellung im Ellis Island Immigration Museum, die sich als einzige ganz auf Objekte stützt.91 In wenigen Vitrinen drängen sich über 1000 der unterschiedlichsten Objekte, die Einwanderer mit nach Amerika brachten: Trachten, Musikinstrumente, Pässe, Bibeln und Ikonen, seltsam geformte Pfeifen, ein Hufeisen, eine Streichholzschachtel… Geordnet sind sie, von Vitrinen zu einzelnen Familien abgesehen, typologisch nach Objektklassen bzw. Oberthemen wie „Clothing and Ornament“ oder „Spiritual Life“, und darin entdeckt sich auch ein Überbleibsel des ursprünglichen Konzepts einer Schausammlung (MetaForm 1986: 20). Für Parker (1991: 87) findet sich hier der „menschliche Kern“ des Museums und laut Überblickstext vermittelt die Präsentation „insight into how immigrants prepared for life in an unknown land, what they expected to find here, and what hopes they had for the future“. Die Inszenierung zielt mithin auf Resonanz. Diese beruht laut Stephen Greenblatt (1991: 20f.) 89
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Cornbleth (1995: 46) stellt eine ähnliche Tendenz in den Anfang der 90er Jahre ausgetragenen Konflikten um die multikulturelle Revision der Schulcurricula fest. Sie deutet diese als Zeichen eines „Neonativismus“, der nun (im Gegensatz zum älteren nativism) statt Ausschluss aufgrund physischer Merkmale (wie Hautfarbe) ostentativ kulturelle Vielfalt zur Schau stellt, gleichzeitig jedoch über die Nivellierung gesellschaftlicher Konflikte hegemoniale Machtverhältnisse stützt: „Immer mehr einst ausgeschlossene Menschen werden dem alten amerikanischen Einwanderungsdiorama hinzugefügt werden und so wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit rassischen und ethnischen Konflikten auf ein Minimum reduziert.“ Meine Überschrift nimmt James Cliffords (1997: 215) Diktum vom „global department store of cultures“ auf. Demnach gibt die „flexible Akkumulation“ (David Harvey) von Traditionen, Identitäten und Stilen einerseits den Rahmen für die globale Ausbreitung von Museen ab und spiegelt sich andererseits in deren Charakter als dynamische, verbraucherorientierte Maschinen des Sammelns und Ausstellens vielfältiger Objekte von künstlerischem, kulturellem und kommerziellem Wert. Die museale Umwertung des alltäglichen, unscheinbaren und ausrangierten Objekts von „trash“ zu „treasure“ ist hier bereits im Namen der Ausstellung evident (vgl. zum Gesamtkomplex Thompson 2003). 159
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nicht auf visueller Stimulation, also der Schönheit, dem ästhetischen Charakter der Objekte, sondern „auf der spürbaren Intensität von Namen und hinter den Namen, wie schon der Ausdruck Resonanz es nahelegt, von Stimmen“. Die Schlüsselqualität, aus der heraus sich Resonanz einstellt, ist das „Anklingen einer größeren Gemeinschaft von Stimmen und Fertigkeiten, einer imaginären ethnographischen Dichte“. Doch diese Ansammlung, in besonderem Maße in der Residual-Vitrine „Family Life“, erscheint nur seltsam. Die Resonanz der „ethnographischen Dichte“ will sich bei aller räumlichen Dichte der Exponate nicht einstellen. Die Geschichten und Stimmen der einzelnen Immigranten materialisieren sich nicht und ebenso wenig die komplexen, dynamischen kulturellen Kräfte, aus denen die Objekte entstanden sind (Greenblatt 1991: 15). Der Grund mag sein, dass die Objektbeschriftungen, analog zu den erwähnten Porträts, wiederum eine nationale Perspektive in den Vordergrund rücken, indem sie als primäre Information in fetter Schrift das jeweilige Herkunftsland angeben. Bedeutsame regionale, lokale oder andere Differenzen werden damit zugunsten einer Norm der Nation ausgeklammert und den individuellen Dingen eine strenge Ordnung oktroyiert. Im Gegenzug (und mit Blick auf den amerikanischen Kontext) werden sie damit zu „ethnically marked objects“ gemacht (Hegeman 1991: 73).92 Die Unbestimmtheit mag auch daher rühren, dass nicht wirklich etwas über die Objekte zu erfahren ist, nur, wie erwähnt, das Herkunftsland, ein Titel, der Name des Besitzers und ein Datum, in seltenen Fällen ergänzt um einen knappen Satz der Beschreibung. Nichts über den kulturellen Kontext, in dem sie ursprünglich benutzt oder in den USA weitergenutzt wurden, ob oder wie sie in neuer Umgebung ihre Bedeutung behielten, verloren oder veränderten (Smith 1992: 93) – und dies obwohl durchaus Hintergründe zu einzelnen bekannt sind (Chermayeff u.a. 1991: 164-207).93 Schließlich ist es die Ordnung innerhalb der Vitrinen, die verwirrt: eine Kokosnuss neben einem Teppichklopfer, „Russia“ neben „West Guyana“, „1880“ neben „1924“ – alles in allem eine wilde Mischung, in der die Objekte zu isolierten Kuriositäten werden, Exotika aus einer anderen Zeit und Welt. 92
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Solcherart Stilisierung durch Benennung ist nur ein weiterer Schritt im Prozess der Glättung kultureller Erzeugnissen, der nach Clifford (1988: 231) oft schon beim Sammeln einsetzt: „What is hybrid or ‚historical‘ in an emergent sense has been less commonly collected and presented as a system of authenticity.“ Vgl. auch Cliffords Gegenüberstellung der Bedeutung von Objekten in „lokalen“ und „Mehrheitsmuseen“ (zu denen das Ellis Island Immigration Museum zu zählen wäre) in seinem Aufsatz über „Four Northwest Coast Museums“ (Clifford 1991). Diese Stillstellung der Objekte durch den Ausschluss ihrer relationalen Dynamik in wechselnden Kontexten trägt zugleich zur Verdinglichung ethnischer Gruppen bei (Teo 2003: 149). Die Ausgrenzung individueller Objektmerkmale und -geschichten ist dabei bereits im klassifizierenden Ausstellungsprinzip angelegt (Scholze 2004: 82).
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Abb. 9: Treasures from Home: Family Life Über „Treasures from Home“ liegt so deutlich der „Schatten des Ethnographischen“ (Dicks 2003: 145), ein Phänomen, das nicht begrenzt ist auf ethnologische Museen, sondern sich in jeder Präsentation zeigt, die sich das Leben und die Kultur von Menschen zum Objekt macht. Es gilt mithin auch und gerade für ein Immigrationsmuseum, dessen Charakter, wie Welz (2000: 63) zurecht feststellt, ohnehin zwischen ethnologischem und historischem Museum changiert. Am Werk ist in solcherart Zurschaustellung von abwesenden Menschen nach Dicks (2003: 145f.) eine Art „Orientalismus“ – eine Faszination für die „Andersartigkeit“ anderer Kulturen, Zeiten und Orte. Während der Blick dabei klassischerweise auf „fremde“ Orte und deren „fragile“ und „verschwindende“ Kulturen zielte, richte er sich zunehmend auf verschiedene Arten des „lost domestic ‚other’“. Museen zeigten damit sowohl das äußere Andere (die, die fremd sind), als auch das innere Andere (unsere Vorfahren), denn: „Every society necessarily has another society inside itself and beside itself: its past epochs and eras and its less developed and more developed neighbors“ MacCannell (1999: 82). Die Protagonisten des Ellis Island Immigration Museum, die historischen Einwanderer, die von ihren Objekten vertreten in den Schaukästen von „Treasures from Home“ stehen, sind in diesem Sinne doppelt Andere: Sie stehen für die fremden Orte ihrer Herkunft und die vergangene Zeit ihrer Ankunft. Ihre Exotisierung – neben der Assimilation (etwa in der Inszenierung materieller Kultur als „Kunst“) die 161
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dominante Form der Repräsentation des Anderen (Nederveen Pieterse 1997) – kann vor diesem Hintergrund nicht verwundern.94 Doch wie lässt sie sich hier deuten? Irit Rogoff (2000: 41f.) interpretiert die Unverständlichkeit der Objekte, ihr Fremd-Bleiben, als Manifestation des Abbruchs jeglicher Verbindung zwischen heutigen amerikanischen Betrachtern und einer vor-amerikanischen Vergangenheit: „[T]he line has been crossed, there is no looking back, and these relics stand guard to ensure that the past has been made well and truly ‚strange’.“ Damit liest sie die Installation als ex negativo-Bild einer totalen, homogenisierenden Transformation und Modernisierung. Die Objekte signifzieren dabei nichts als ihre Distanz und Differenz zum Betrachter und werden darin alle gleich.95 Relevant ist einzig, was Dicks (2003: 146) unter den Begriffen „enclosure“ oder „enframing“ als charakteristischen Mechanismus der modernen Institution Museum im Umgang mit nicht-modernen Zeiten und Orten versteht: „‚they’ are in there, ‚we’ are out here“.96 Dabei vernachlässigt Rogoff, dass die Objekte bei aller Unbestimmtheit sichtlich verschieden sind und es vor allem eine prominente Differenzierung zwischen ihnen gibt: Es handelt sich, wie erwähnt, um „ethnically marked objects“. 94
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Dabei dokumentieren die Objekte, ihre Auswahl und Buntheit, auch die Faszination für das Volk oder das „einfache Volk“ – ein Phänomen mit langer Tradition in der Sehnsucht nach einer einfacheren, vorindustriellen Vergangenheit, die sich als Projektion Anfangs des 20. Jahrhunderts auf die zeitgenössischen Immigranten richtete und nun in deren Musealisierung wieder durchbricht. (KirshenblattGimblett 1998a: 225). Als Grundbedingung und zentraler Gegenstand des Museums ist „Fremde (der, die, das)“ theoretisch gefasst bei Korff 2002b. In ähnlicher Weise liest Rogoff (2000: 41) auch die barriereartige KofferInstallation im Eingangsbereich: Sie kondensiere die Erfahrung der Einwanderung in eine einzige visuelle Metapher, wobei die einzelnen Stücke, gleichsam entleert, nicht mehr eine spezifische Kultur signifizierten, sondern nurmehr allgemein die Alte Welt, die im Gegensatz zur Moderne Amerikas stehe. Das Vorbeigehen als Überschreiten der symbolisierten Grenze verkörpere den Akt des „crossing over to the United States“. In Rogoffs wie in Dicks’ Bemerkungen hallt Dean MacCannells (1999: 8-9, 84) klassische Analyse wider, wonach der beste Beweis für den endgültigen Triumph der Moderne über andere soziokulturelle Formationen nicht das Verschwinden der vormodernen Welt, sondern ihre künstliche Erhaltung und Rekonstruktion durch Institutionen der modernen Gesellschaft sei. Museen und Tourismus etwa verankerten im Bewusstsein die Definition und Grenzen der Moderne, indem sie eben das vor Augen führten, was die Moderne nicht sei. Mit Norbert Bolz (2000: 55), Hermann Lübbe (1992: 78) zitierend, ließe sich diese Konstellation für die postmoderne Musealisierung der Moderne phasenverschoben weiterdenken: „Man könnte sagen: Die Europa-Touristen aus Japan und Amerika sind die postmodernen Beobachter der Moderne. Hermann Lübbe resümiert das so: ‚Postmodern existiert, wer die Hinterlassenschaften der Moderne als Denkmäler wahrnimmt.“
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Die entscheidende Bedeutung erschließt sich allerdings erst, wenn man einen Schritt zurücktritt, nicht mit Blick in die Vitrine, sondern auf die Vitrine als Ganze. Das Fehlen von Informationen zum Kontext der Dinge wird in dieser Perspektive unbedeutend. Die Objekte sind aufgehoben in einem neuen Kontext, mitsamt ihrer Differenzen kollektiv transformiert in ein größeres Ganzes, wo sie – wie verschieden sie auch sein mögen – alle ihren Platz finden.97 „Unity in diversity“ – „E Pluribus Unum“: Die Schaukästen sind perfekte Metaphern für ein säuberlich geordnetes und harmonisches multikulturelles Amerika.98 Die Frage der Einschätzung der Unterschiedlichkeit der Objekte ist von zentraler Bedeutung. Welz (2000: 71) etwa weist zurecht auf die fehlende Thematisierung ihrer ursprünglichen, sich wandelnden Kontexte hin und verweist auch auf die augenscheinlichen Differenzen zwischen den Objekten, legt dann jedoch eine verfehlte assimilationistische Interpretation nahe: „The proliferation of differences […] is intended to have a neutralizing effect. Everybody brought a cooking pot with them; so differences do not really matter.“ Was heißt dabei, die Differenzen seien nicht wirklich wichtig? Anzunehmen, die Verschiedenheit der Dinge sei nicht wirklich wichtig, wäre falsch. Denn sie ist ganz entscheidend in dem produzierten Bild einer multikulturellen Nation, das sich emphatisch gegen Vorstellungen kultureller Homogenität, etwa in Form von Anglo-Konformität, 97
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Aufhebung ist dabei durchaus im dreifachen Hegelschen Sinn als Abschaffen, Bewahren und Auf-höhere-Stufe-Stellen gedacht. Die Dimension des Bewahrens spielt eine besondere Rolle vor dem Hintergrund von Stuart Halls Analyse, wonach ein Element der Konstitution nationaler Identität die symbolische Fundierung in einem ursprünglichen oder reinen „Volk“ sei (nach McLean 1998: 251). Die in der Inszenierung als ethnisch definierten Objekte, die wie aus traditionellen Heimatmuseen importiert wirken, stellen einerseits diese Verbindung her, suggerieren in der Verschiedenheit ihrer Herkünfte aber eben nicht die eine, ausschließliche kulturelle Traditionslinie für Amerika, sondern die vielen „roots“ – was den metaphorisch daraus hervorgehenden nationalen „Baum“ ja nur stärker verwurzelt. Um diese von Rogoff (2000: 41) divergierende Lesart auch für die KofferInstallation durchzuspielen (vgl. Anm. 95): Die aufgereihten und aufgetürmten Koffer lassen sich nicht nur als metaphorisierte Grenze im Sinne von Migration als rückstandsloser Transformation lesen, sondern sie stehen in ihrer dichten Installation ebenso wie die Vitrinen in „Treasures from Home“ auch für die Nation der Einwanderer. Rogoff übersieht auch hier die Bedeutung der inszenierten Vielfalt und suggeriert mithin eine homogene Einheit. Die Koffer sind aber, wie die anderen Objekte, nicht vollständig von ihrer kulturellen „Verankerung“ abgelöst, vielmehr stehen sie gerade metonymisch für bestimmte Herkunftsländer und ethnische Gruppen, etwa wenn – in einem anderen Teilen des Museums – berichtet wird, dass geschulte Beamte bereits an der Eigenart der Knoten die Herkunft eines Koffers bestimmen konnten. Dass es sich hierbei nur um – im Wortsinne – oberflächliche Kennzeichnungen handelt, die Koffer an sich dagegen verschlossen und leer und damit in tieferem Sinne wiederum gleich sind, ist dabei unbestritten. 163
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richtet. Anders gelesen wird man der Installation eher gerecht: Die klar sichtbaren, gar betonten Unterschiede sind nicht wirklich wichtig.99 In Frage stehen kann mithin nicht das Vorhandenseins von Differenz in der Inszenierung, sondern ihre Qualität und ihr Gewicht. Wie in den Bildern der beschriebenen Fotogalerien ist Differenz in „Treasures from Home“ ethnisch-kulturell und harmonisch-konfliktfrei gezeichnet – das, was Bendix (2000: 81) „surface ethnicity“ nennt. Als solche stellt sie keine Herausforderung für die innere Ordnung und äußere Begrenzung der umgebende Hülle, der Nation als Vitrine, dar.
Through America’s Gate: Kollektive Transformationen Anders als in der gleichsam überhistorischen Momentaufnahme der typologischen Ordnung von „Treasures from Home“ regiert in den Ausstellungen „Through America’s Gate“ und „Peak Immigration Years“ die Sequentialität der Geschichte. Damit wandeln sich notwendig die Modalitäten der Wahrnehmung: Während das dortige Panorama der Objekte in toto visuell verfügbar ist und der panoramatische Blick eine „Ablösung des Betrachters von sich selbst“ befördert (Sternberger 1981: 14), erzwingt die räumliche Taktung und Reihung hier das genaue Gegenteil. Der „walking learner“ (Bal 1996: 18) ist ganz bei sich, muss bei sich sein, um sich die Geschichte Schritt für Schritt zu erschließen, sich in ihr zu ergehen. Diese ver-körperte Praxis des „organized walking“ (Bennett 1995: 6, 179-186) bezieht die Betrachter, die nun eben mehr sind als Betrachter – „minds on legs“ (ebd.) – , ganz anders, totaler, in die Dramaturgie der Präsentation ein. Thema der beiden Ausstellungen ist der Kontrollprozess auf Ellis Island bzw. der weitere Kontext des Weges der Einwanderer von ihren Herkunftsländern in die amerikanische Gesellschaft. Die Perspektive ist in beiden emphatisch die der einfachen Immigranten, ihr Erleben steht im Mittelpunkt. Der kritische Impuls dabei ist der Versuch, die Individuen nicht als passive Erdulder ihrer Geschichte zu zeigen oder sie in der Konzentration auf Bürokratie oder „die große Politik“ ganz aus den Augen zu verlieren. Entsprechend gibt auch der Weg der Immigranten durch Ellis Island im einen Fall bzw. nach Amerika und in die amerikanische Gesellschaft im anderen die Struktur der Ausstellungen vor. Aufeinander folgende Räumen behandeln einzelne Schritte (in Auswahl): „Arrival“, „Medical Inspection“, „Legal Inspection“, „Free to Land“, „Tickets to All Points“ bzw. „Leaving the Homeland“, „Passage to America“, „Ports of Entry“, „Between Two Worlds“, „New Americans“.100 Problematisch unklar bliebe in dieser Lesart gleichwohl, was für Welz wirklich wichtige Differenzen wären. Zu vermuten steht, dass damit im weitesten Sinne soziale Ungleichheiten gemeint sind. So interpretiert, ist ihrer Analyse zuzustimmen. 100 In „Through America’s Gate“ wie in „Peak Immigration Years“ ist grundsätzlich auch ein Begehen in anderer Richtung bzw. in den meisten Räumen über entspre-
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Drei Aspekte sind dabei bemerkenswert: Erstens, und dies gilt vor allem im Hinblick auf die Ausstellung zum Kontrollprozess, führt die in der Dramaturgie angelegte Einfühlung in die historischen Immigranten zu einer nur randständigen Thematisierung der politischen Hintergründe, die überhaupt erst zur Einrichtung der immigration station führten, und zur Vernachlässigung der Kritik an den Mechanismen und Techniken der Kontrolle. Die Durchführung von standardisierten Intelligenztests oder die Abweisung alleinstehender Frauen und potentieller Sozialfälle etwa wird – aus der Perspektive der mit den Regelungen Konfrontierten konsequent – als gegeben beschrieben.101 Es werden individuelle, auch widerständige Formen des Umgangs geschildert (Wallace 1996: 65), die Einrichtungen an sich jedoch nicht hinterfragt. Der Ausschluss Unerwünschter erscheint so als prinzipiell natürlicher Vorgang. Verlängert wird diese isolierte „Perspektive von unten“ mit Blick auf die Beamten der Einwanderungsbehörde, deren Arbeit über sorgfältig abgewogene Oral History-Zitate charakterisiert wird. Die Folge ist Personalisierung, Individualisierung und damit Trivialisierung der bürokratischen Maschine, die Ellis Island auch war (Smith 1992: 90f.). Zweitens folgt das Narrativ der Ausstellungen automatisch dem Weg und Schicksal der glücklichen Immigranten. Kritische Aspekte, wie medizinische und rechtliche Auslese in der einen Ausstellung oder Fremdenfeindlichkeit, Ausbeutung und Identitätskonflikte in der anderen, werden angesprochen, der Plot insgesamt ist jedoch in beiden gestaltet als Drama schwerer Prüfungen und Härten bei schlussendlich erfolgreicher Überwindung. Die Fälle Internierter, Deportierter oder Rückwanderer, die an verschiedenen Stellen präsentiert werden, erscheinen demgegenüber als Geschichten bedauernswerter Ausnahmen entlang des Weges der gewöhnlichen Immigranten zum „Train Ticket Office“ bzw. in die Identität als „New Americans“. Gestützt wird dieser Eindruck durch die Auszüge aus den Oral History-Interviews, bei denen es sich nicht im eigentlichen Sinne um Erzählungen von Einwanderern, sondern von ehemaligen Einwanderern handelt, die vom weitgehend positiven Fortgang ihrer Lebensgeschichte her gefärbt sind. Stimmen von Deportierten oder Rückwanderern sind – im Wortsinn – nicht zu hören. Verstärkt ist die Tendenz im Blick auf das Museum im Ganzen überdies
chende Ausgänge ein Ausstieg aus dem Narrativ möglich. Die Reihung der Räume, die aufeinander aufbauende thematische Dynamik sowie die Platzierung von Einführungstexten legt jedoch ein Durchschreiten von Anfang bis Schluss nahe (so auch vorgesehen im Ausstellungskonzept, vgl. MetaForm 1986: 16ff.). 101 In der entsprechenden Sektion „Mental Testing“ können Besucher diese Tests selbst durchspielen – ein Angebot, das rege genutzt wird, mitunter jedoch eigenwillige Aneignungen zeitigt, die die Probleme eines solcherart aktivierenden Nachvollzugs andeuten. So äußerte eine Besucherin beim Anblick der ausliegenden Test-Puzzles in freudiger Erregung gegenüber ihrer Gruppe: „Oh, I know this – they do these things in the magazines!“ (beobachtet am 3.5.2005). 165
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durch den Umstand, dass nur das Hauptgebäude der Kontrollstation restauriert wurde, Gebäude, die stärker mit Internierung und Deportation verknüpft sind, dagegen ungenutzt bleiben oder umgenutzt wurden. Drittens – und dies ist im Blick aufs Ganze der entscheidende Punkt – suggeriert das lineare Narrativ der Ausstellungen eine gemeinsame Erfahrung aller Einwanderer und trägt so dazu bei, eine „imagined community“ der Immigranten zu konstruieren. Was mit Blick auf den formalen Kontrollprozess noch vertretbar erscheint, wird spätestens in der Darstellung des weiteren Kontexts problematisch. Die zehn Räume von „Peak Immigration Years“, die als zehn aufeinanderfolgende Phasen durchschritten werden, produzieren die idealtypische Chronologie einer „universal immigrant experience“ (so bezeichnet von einer der Ausstellungsmacherinnen, zit. n. Welz 1996: 182). Differente Migrationsursachen oder ethnische und soziale Unterschiede, die im einzelnen durchaus erwähnt werden, sind in diesen Gesamtplot eingebettet und tendenziell durch diesen überschrieben. Welz (1996: 183) analysiert treffend: „Die räumlich getaktete Parallelisierung der Migrationserfahrung hebt nicht nur Ungleichzeitigkeiten auf, sondern ebnet Differenzen zwischen – und innerhalb von – Einwanderergruppen ein.“ Entwickelt wird die Geschichte dabei als leitmotivische Abstraktion einer repräsentativen Einwandererpersönlichkeit aus der Vielzahl der Einwandererschicksale. Illustrieren lässt sich diese Konstruktion eines Kollektivschicksal neben der linearen Struktur der Ausstellungsnarrative im Großen im Detail an der speziellen Ausgestaltung der Hörstationen, an denen zu einzelnen Aspekten Ausschnitte aus Oral History-Interviews mit Ellis Island-Einwanderern zu hören sind. Hier zeigen die Texttafeln, anders als bei den Porträts von Lewis Hine und Augustus Sherman, die individuellen Namen der Interviewten. Individuelle Geschichten sind dennoch nicht zu identifizieren. Weder wird in den Audios gekennzeichnet, wer spricht, noch folgt die Reihenfolge der Statements der streng alphabetischen der Tafeln: „Individuelle Stimmen vereinigen sich zu einem Chor, der Differenzen verschwinden lässt“ (Welz 1996: 184).102 An die Stelle vieler einzelner Immigranten tritt mit dieser chorischen Stimme ein „ideeller Gesamtmigrant“103 als 102 Eine Evaluationsstudie, die ansonsten zu positiven Einschätzungen des Ellis Island Oral History Projects kommt, beanstandet den entkontextualisierenden Umgang mit den Interviews in der Ausstellung insgesamt: „[I]ts resources have not been used to the fullest extent for the public benefit. For example, the tapes have been seen as sources for quotations that might be used in an exhibition after the show is planned rather than used as originators for exhibition ideas themselves. While using the interviews to illustrate various points is not bad, in and of itself, to see the Project’s tapes as simply a source of ‚quotable quotes’ is to trivialize them“ (Yerkovich/Solomon o.J.: 40). Zur Kritik der Ausbeutung von Oral History als Quelle ohne Reflektion der inhärenten Komplexität vgl. Minkley/Rassool 1999. 103 Der Begriff ist angelehnt an Friedrich Engels’ Charakterisierung des Staates als „ideeller Gesamtkapitalist“. 166
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Verkörperung der Einwanderernation. Dabei vereinigt diese Figur gleichsam eine doppelte Transformation in sich: die Transformation der vielen in ein Kollektiv der Einwanderer und deren kollektive Transformation in „neue Amerikaner“. Während mit „Treasures from Home“ also, wie gezeigt, die USA als harmonische multikulturelle Nation ins Bild gesetzt ist, re-präsentieren die beiden hier skizzierten Ausstellungen die prozessuale Dimension der Konstruktion. Im Verfolg des Weges durch die Kontrollstation und in die amerikanische Gesellschaft, der „universal immigrant experience“, vollzieht der Besucher dabei nicht nur die Transformation der Einwanderer nach, sondern schreibt sich selbst performativ in die narrative Konstruktion des ideellen Gesamtmigranten, der Einwanderernation, ein. Beide Aspekte – kollektive Transformation und Einschreibung ins Narrativ – sind zugespitzt in dem Umstand, dass die Kontrollstation und das Museum auf einer Insel liegen, einem Flecken Erde gleichsam zwischen den Welten – noch nicht auf dem amerikanischen Festland und nicht mehr jenseits des Ozeans. Immigranten damals und Besucher heute halten sich hier nur wenige Stunden auf. Befördert wird so eine Vorstellung von Immigration als Ereignis und mehr noch eine Vorstellung der ereignishaften Amerikanisierung. Das Bild, das unwillkürlich entsteht, ist das eines Knotenpunktes oder gar Trichters: Aus zahlreichen Ländern kommen die Menschen nach Ellis Island und wenn sie die Insel wieder verlassen, so will es scheinen, sind sie wundersam transformiert in neue (Bindestrich-)Amerikaner. Das in den Ausstellungen an manchen Stellen mühsam versuchte Nachzeichnen des langfristigen Immigrationsprozesses, die Widerständigkeit von Traditionen gegen einfache Assimilation sowie die möglichen Varianten der Bildung komplexer Identitäten, tritt gegenüber dieser assoziativen Ahnung in den Hintergrund. Ellis Island wird zum Schauplatz eines rite de passage, zum „portal to life in the nation-state“ (Bodnar 1995: 18), und das Museum aktualisiert durch Narrativ und Ort einen Gründungsmythos der amerikanischen Gesellschaft: „Basismodell der amerikanischen Ideologie, einer Art weltlicher Religion, ist die Transformation als eine säkularisierte Form des Wiedergeburtsmythos, der in spontaner Metamorphose den Amerikaner als neuen Menschen schafft“ (Bischoff/Mania 1991: 535).
Das andere Ellis Island/das Andere Ellis Islands: Zur Feier der Grenze als Ort des Willkommens Aufschluss über die spezifische Fassung des Ortes Ellis Island in der Präsentation gibt ein Umweg über einen musealen Nebenschauplatz. Hinter dem Hauptgebäude des Museums, zwischen den Tafeln der American Immigrant Wall of Honor und etwas unter Straßenniveau gelegen, sieht man die Fundamente des ehemaligen Fort Gibson, das nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als Teil der New Yorker Hafenbefestigung errichtet und bei Bauarbeiten freigelegt wor167
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den war. Eine Texttafel gibt unter der Überschrift „Fort Gibson: The Other Ellis Island Story“ in knappen Worten Auskunft über die Rolle und Bedeutung der Funde und schließt mit einer bemerkenswerten Kontrastierung: „[T]hese remains of the walls of Fort Gibson bear witness to the nearly 100 years when Ellis Island was used to ward off enemies rather than to welcome immigrants.“ Während die ehemalige Festung also, laut Text, Teil eines Abwehrbollwerks war, war die Einwanderer-Kontrollstation ein Ort des Willkommens. Während dort Feinde ferngehalten wurden, wurden hier Einwanderer freundschaftlich, so ist impliziert, begrüßt. Fort Gibson ist so das ganz Andere des Einwanderer-Ellis Islands. Doch wäre im Blick auf Ellis Island als Einrichtung des Grenzregimes nicht die Parallele angemessener als der Kontrast? Die Abwehr Unerwünschter mit militärischen Mitteln im einen Fall, mit ordentlich-bürokratischen im anderen?104 Die Rhetorik des „Willkommen!“, die sich auch in anderen Teilen des Museums findet, stellt das Phänomen von den Füßen auf den Kopf: Von der Funktion der Auslese Unwillkommener wird der Sinn der Kontrollstation umgedeutet und ideologisch aufgeladen in der Figur des Empfangs und Anfangs in der Neuen Welt.105 Verstärkt wird diese Verkehrung durch die narrative Parallelisierung der Museumsbesucher mit den historischen Immigranten. Nicht von ungefähr findet sie als solche Resonanz in der Berichterstattung, wie einige Headlines anlässlich der Museumseröffnung zeigen: „Gateway to America is Once Again Ready To Greet the Masses“ (NYT, 14.8.1990: C13), „The Golden Door, Re-opened“ (NYT, 9.11.1990) oder „Once Again, Ellis Island Will Open Its Arms in Welcome“ (NYT 9.6.1989: B1). Was für ein neues Museum angemessen erscheint – das emphatische willkommen heißen der anlandenden „Massen“, irritiert zunächst, wenn rückprojiziert auf eine Einrichtung des Grenzregimes. In der gegenseitigen Überblendung von Kontrollstation und Museum, von Immigrant und Museumsbesucher, gewinnt die Umwertung jedoch an Plausibilität. Damit sei nicht gesagt, dass die historische Funktion der Auslese auf Ellis Island in den Ausstellungen im einzelnen nicht erwähnt ist. Der Einführungstext zu „Through America’s Gate“ etwa vermerkt: „Ellis Islands main function was to
104 Wilson und Donnan (1998: 10) etwa bezeichnen Staatsgrenzen allgemein als erste staatliche „Verteidigungslinien“, als Institutionen sozialen Zwangs und Symbole der Staatsgewalt. 105 Es scheint damit kein Zufall zu sein, dass diese verborgene Schicht Ellis Islands freigelegt und dokumentiert wurde, nicht jedoch die des ehemaligen Hofes für Internierungs- und Abschiebehäftlinge, der sich seit 1915 an selbiger Stelle befand (NPS 2003: 62, 78, 88f.). Statt der Beförderung des Narrativs von der positiven Grenze in der Kontrastierung mit dem externen Anderen „Fort Gibson“ würde darin die immanente Ambivalenz und Problematik von Einwanderung und Grenze stärker in den Vordergrund rücken. 168
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screen out those considered undesirable – the incurably ill, the impoverished, the disabled, criminals, and all the others barred by the immigration laws of the United States.“ Doch tritt diese Einordnung gegenüber der übergreifenden Rahmung der Präsentation (und des Museumsbesuchs) im Zeichen des „Welcome!“ zurück. Zudem wirkt die Verkehrung auch in den Sektionen, in denen die Selektionspraxis explizit thematisiert ist. Der zitierte Einführungstext etwa fährt fort mit der Beschreibung, dass die übergroße Mehrheit nur wenige Stunden auf der Insel verbrachte, eine Minderheit für weitere Kontrollen länger festgehalten wurde und bemerkt dann: „For an unfortunate 2%, it meant exclusion and a return trip to the homeland.“ Diese Zahl der zwei Prozent Abgewiesener findet sich an verschiedenen Stellen in den Ausstellungen und erscheint – zumeist im Gegensatz zu den 80 Prozent der sofort Zugelassenen – wie die bedauerliche Ausnahme und Kehrseite der Operationen auf Ellis Island. Räumlich anschaulich ist dies im abschließenden Raum der Ausstellung „Through America’s Gate“, der unter der Überschrift „Isle of Hope/Isle of Tears“ ein Fazit zu ziehen versucht. Während der Betrachter beim Betreten des Raumes direkt auf eine Gruppe strahlender akzeptierter Einwanderer stößt, zeigen sich die Ausgeschlossenen erst auf der Rückseite, der Kehrseite der Foto-Wand. Dass sich jedoch nicht in der Mehrheit der „willkommenen“ Einwanderer, sondern gerade in den zwei Prozent der Ausgesonderten und Abgeschobenen die Funktion und, wenn man so will, das Wesen der Kontrollstation ausdrückt, geht in dieser Fassung verloren.106 Das Ellis Island Immigration Museum inszeniert die Grenze also nicht als Ort des Ausschlusses, sondern als Ort des Willkommens. Die Kontrollstation als Einrichtung des Grenzregimes wird zum „Gateway to America“107 – eine Umwertung, die auch das Bild der Nation nicht unberührt lässt. In dieser Fassung der Grenze konstituiert sich die Nation nicht negativ, durch Abgrenzung gegen ein Außen, sondern positiv als Gemeinschaft derer, die das viel zitierte magischmythische „gateway“, das Tor zur neuen Welt, durchschritten haben. Und erst in 106 Im strengen Sinn ist die Zahl der 2% auch rein quantitativ problematisch, insofern darin nur die tatsächlich auf Ellis Island Abgewiesenen erfasst sind. Dass Auswanderungswillige in den europäischen Häfen bereits mit Blick auf die USEinwanderungsbestimmungen kontrolliert und zum Teil ausgesondert wurden, nicht zuletzt weil die Kosten für die Rückfahrt Abgewiesener zu Lasten der Schiffsgesellschaften gingen, ist darin nicht reflektiert (Moreno 2004: 113-119). 107 Die Metapher des „Gateway to America“ ist dabei keine Erfindung des Museums, sondern hat lange Tradition und weite Verbreitung (siehe etwa die populären Titel von Shapiro 1986; Jonas 1989; Reeves 1991 oder die Gestaltung des Topos in zeitgenössischen Grafiken und Bildpostkarten (vgl. Blochel-Dittrich 2003: 101ff.). Das Museum dekonstruiert dieses Bild jedoch nicht, sondern reproduziert es, so etwa in der Überschrift des einführenden Textes „From Gateway to Museum“ oder im Ausstellungstitel „Through America’s Gate“. Zu den Implikationen vgl. weiters auch Baur 2006b: 146. 169
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
dieser Version wird es möglich, die Kontrollstation auf Ellis Island als Geburtsort der amerikanischen Einwanderergesellschaft zu feiern. Nicht ohne Ironie ist dabei, wie Kirshenblatt-Gimblett (1998a: 178) scharf in Erinnerung ruft, dass eben der Ort, an dem nun dieses „Willkommen!“ und die multikulturelle Nation gefeiert werden, nur deshalb für das Museum verfügbar wurde, weil zuvor die Auslese der Immigranten über eine restriktive Einwanderungspolitik ins Extrem der weitestgehenden Abschottung getrieben und damit die immigration station obsolet geworden war. In der Feier der Grenze als positivem Ort des Willkommens und des Neubeginns werden „[g]egenwärtige Einwanderungsbarrieren und Ausschlussmechanismen ebenso ausgeblendet wie die disziplinierende Funktion der ehemaligen Einreisekontrollstelle“ (Welz 1996: 187). Mit Blick auf heute entdeckt sich in der so qualifizierten Zentralstellung Ellis Islands im Einwanderungsnarrativ neben der Konstruktion der positiven Grenze noch ein zweiter Aspekt: die Sehnsucht nach und Glorifizierung der klaren Grenze. Das Museum wurde in eine Zeit hinein geplant und eröffnet, in der die Frage nach der Eindeutigkeit und Solidität der Grenze – und damit eines entscheidenden Faktors staatlicher Souveränität – massiv in der Debatte stand. Im Angesicht einer durchlässig und unkontrollierbar gewordenen Grenze nach Süden, verstärkter undokumentierter Immigration und, allgemeiner, der Erosion nationaler Grenzen im Zeichen der Globalisierung (Sassen 1996), erreichte der Diskurs über „Losing control of our borders“ Mitte der achtziger Jahre einen Höhepunkt (Chavez 2001: 113, 118; Rodríguez 1997). Ronald Reagan bediente diesen Topos etwa in seiner Erklärung zur Verabschiedung des Immigration Reform and Control Act 1986, mit dem die illegale Einwanderung in die USA reduziert werden sollte: „Future generations of Americans will be thankful for our efforts to humanely regain control of our borders and thereby preserve the value of one of the most sacred possessions of our people: American citizenship“ (zit. n. Daniels 2001: 52). Die Fixierung des Einwanderungsnarrativs in Ellis Island als Dreh- und Angelpunkt kann mithin als ein Versuch der ideologischen Rückgewinnung und Befestigung der klaren Grenze gelesen werden. In einer Zeit der Unsicherheit präsentiert das Museum mit dem „Gateway to America“ das Bild eines klar definierten und wohl kontrollierten Zugangs zu Staat und Nation. Es bedient damit nicht nur die Vorstellung eines eindeutigen und leicht fassbaren Übergangs von dort nach hier, von draußen nach drinnen, davor und danach, sondern auch ein überkommenes Idealbild domestizierter Migration.108 108 Einen zu dieser musealen Anrufung der klaren Grenze und der kontrollierten Immigration in gewisser Weise komplementären Entwurf stellt das National Border Patrol Museum in El Paso, Texas, dar. Unter dem Leitspruch „Where heroes and legends come alive!“ wird dort die Geschichte des U.S. Grenzschutzes und seines täglichen, heldenhaften Kampfs gegen illegale Einwanderung, insbesondere an der 170
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Geschichtscontainer Great Hall „Are we perhaps trying to re-enact some ancient myth of birth, death, and redemption?“ Was John B. Jackson (1980: 102) über die totalen Rekonstruktionen amerikanischer Living History-Dörfer schreibt – „places where we can briefly relive the golden age and be purged of historical guilt“ – gilt cum grano salis auch für die behutsamer restaurierte Kontrollstation auf Ellis Island. Räumlich gestaltet ist das Motiv von Tod und Erlösung in den aufeinander folgenden Ausstellungssequenzen „Silent Voices“ und „Restoring a Landmark“. Stimmungsvoll-sentimentalische Displays verstaubter Möbel, Schilder, Gebrauchsgegenstände und anderer Gerätschaften, die aus den leer stehenden Gebäuden geborgen wurden, stehen für die Zeit des Verfalls. In der Tradition der Ruinenromantik erwecken sie Gefühle von Melancholie, Verwunderung und Bewunderung in der Imagination eines erhabenen, verlorenen Urzustands (KirshenblattGimblett 1998a: 18). Doch mit der folgenden Präsentation der Restaurierungsgeschichte wird dieser Schwebezustand aufgelöst und die Einrichtung des Museums als geglückte Metamorphose inszeniert. Der in dieser Raumfolge implizit enthaltene Verweis auf die Rückgewinnung behaupteten früheren Glanzes ist ausformuliert in Werbebroschüren der Statue of Liberty-Ellis Island Foundation: „With the support of all Americans, Ellis Island will glow again.“ und weitergehend „Ellis Island […] will once again stand as a symbol of hope for all.“ (EIIMA 79)
Grenze zu Mexiko, zelebriert. Zu sehen sind Abzeichen, Fahnen und Waffen verschiedener Einheiten, aber auch Gefährte von Schleppern und missglückte Tarnungen von Migranten. Im Museumsshop erhältlich sind neben Mützen, T-Shirts, Stiefelsporen und Golfbällen mit der Aufschrift „I Support Our Border Patrol“ auch vergoldete Handschellen und Spielzeughelikopter. Der Buchladen führt Titel wie „Tales of the Rio Grande“ mit „real life short stories depicting the action and humor of actual Border Patrol Officers“, Anleitungen zu „people tracking skills and methods in the outdoors“ und treffenderweise auch einen Band mit Jagdgeschichten aus aller Welt (http://www.borderpatrolmuseum.com (25.5.2009); Barrera 2003; Dallas Morning News 2.9.2006). Das Thema kontrastierender Inszenierungen der Grenze ist (unter Einbeziehung Ellis Islands und des National Border Patrol Museums) weiter ausgeführt bei Baur 2007. Zur anhaltenden Aktualität des Diskurses und der Politik der Befestigung der Grenze in Verbindung mit der Beschwörung der „nation of immigrants“ vgl. eine Rede von George W. Bush am 27.3.2006, der sich zu diesem Anlass nicht zufällig vor einem Bild Ellis Islands ablichten ließ (http://www.whitehouse.gov/news/releases/2006/03/20060327.html (25.2.2008)). Als entschiedener Gegenentwurf zur Apologie der regulierten Migration und die positive Wertung der Grenze vgl. die Überlegungen zur „Autonomie der Migration“, wie sie der Kölner Ausstellung „Projekt Migration“ vom Herbst 2005 zugrunde lagen (Kölnischer Kunstverein u.a. 2005). 171
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Abb. 10: Great Registry Nirgendwo sonst ist diese sowohl zurück, als auch nach vorn gerichtete Beschwörung einer „goldenen Epoche“ der Einwanderung so verdichtet, wie im zentralen Raum des Museums, der Great Registry: „The historic Great Hall, where the immigrant ‚processing’ took place is beginning to sparkle again“ (EIIMA 80). Und wie sie funkelt – vor Größe und Bedeutung. Allein die Dimensionen beeindrucken: Die Decke aus 17.000 weißen Email-Fliesen überwölbt in 18 Meter Höhe eine Fläche von knapp 2000 qm. Zahlreiche Säulen stützen eine umlaufende Galerie, der rot geflieste Boden reflektiert das Licht, das durch mächtige, halbrunde Fenster von allen Seiten einfällt. Drei Gruppen von Objekten verdeutlichen nahezu modellhaft eine klimaktisch zugespitzte Situation der Einwanderung: Mehrere Reihen einfacher Holzbänke repräsentieren die Einwanderer, und ihre Position wird – bewusst oder als Nebeneffekt gängiger Museumsermüdung – von den Besuchern eingenommen. Fünf Pulte stehen für die Einwanderungsbeamten und, abstrakter, die Grenze. Zwei übergroße amerikanische Flaggen schließlich, die in die Mitte des Raumes hängen, signifizieren die amerikanische Nation. Ansonsten ist der Raum leer. Was bedeutet diese Leere? „We wanted visitors to sit there and imagine the ghosts“, sagt einer der Ausstellungsmacher (Parker 1991: 84). Gerade die Leere ermöglicht die Projektion einer Vielzahl von Gefühlen, in manchen Fällen Erinnerungen (Welz 2000: 65). Der leere Raum vereinigt atmosphärisch die gesamten einzelnen, disparaten Geschichten auf sich und in sich. Die Great Hall ist damit im großen Maßstab, was die Vitrine in „Treasures from Home“ im kleinen ist:
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ein Container, der Unterschiedliches unterschiedslos zusammenfasst.109 Die Differenzen zwischen verschiedenen individuellen Migranten, etwa in Klasse, Alter, Geschlecht, Herkunft, bisherigem und weiterem Schicksal, sind darin unerheblich. Entscheidend ist nur die Verortung in der Modell-Situation der Einwanderung, in der sie hier verbunden sind. Die Imagination der „Geister“ im Herzen Ellis Islands ist die Imagination der Einwanderernation, einer „imagined community“ der Immigranten. Nur scheinbar im Gegensatz zum Statement seines Kollegen äußert einer der zuständigen Designer kritisch gegenüber der Form der Restaurierung: „They lost the character of the place. It looks like a shopping mall. The ghosts were driven out“ (Interview Masey 8.3.2005; auch Pugliese 2003: Abs. 18). Er verweist damit auf einen anderen Aspekt: Der Raum ist nicht nur leer, er ist clean. Obwohl offensichtlich ein historischer Raum, zeigt er keine starken Zeichen von Geschichte, zeigt sich nicht gezeichnet von Geschichte. Auch evoziert er nicht die rückwärtsgewandte Nostalgie eines „Es war einmal…“, wie sie Rogoff (2000: 43) aus „Silent Voices“ liest.110 Er gibt sich vielmehr zeitlos gegenwärtig, verstrahlt die Kraft und den Glanz des „once again“, einer wiedergefundenen Kontinuität über die Zeit. Für die Imagination der Einwanderernation auf Ellis Island bedeutet dies nicht Einschränkung, sondern Erweiterung. Entscheidend, so scheint es, ist nicht die historische Spezifik, die den Raum notwendig an eine bestimmte Zeit und bestimmte Umstände bindet, sondern die Fiktion einer Grundsituation der Einwanderung. Damit steht das „Herzstück“ Ellis Islands in merkwürdiger Doppelbödigkeit für ein aus der Geschichte Ellis Islands abgeleitetes, aber über diese verlängertes, universales und damit auch aktuelles Versprechen der Einwanderernation: die unmittelbar ereignishafte Transformation aller Ankommenden in gleichberechtigte und chancengleiche Mitglieder einer egalitären amerikanischen Nation. In der Great Hall als zentrales Element des Museums und des musealen Narrativs verbinden sich mithin eine metaphorische und eine prozessuale Dimension der Inszenierung der Einwanderernation, die ich zuvor an den Ausstellungen „Treasures from Home“ bzw. „Through America’s Gate“/„Peak Immigration 109 Ich benutze den Begriff „Container“ für diese spezifischen Formen der Inszenierung in loser Anlehnung an Ulrich Becks (1997) Rede vom Container-Modell des Nationalstaats. 110 Rogoff interpretiert die Ausstellung zur Ruinenzeit Ellis Islands als Ausdruck der Trauer über den Verlust des Meta-Narrativs der Moderne, der Hoffnung und des Fortschritts, das mit den großen Migrationen aus Europa verknüpft und ebenfalls mit diesen von der Bildfläche verschwunden sei. Mehr noch: „Ellis Island in Ruinen“ zeige an, dass sich diese Erfolgsgeschichte mit pessimistischem Blick auf die neueren Migrationen aus Asien und Lateinamerika in eine Katastrophen- und Niedergangserzählung verkehrt habe. Mir scheint indes, dass die inszenierte „Auferstehung aus Ruinen“ nicht nur nostalgisch zu verstehen ist, sondern eben als Versuch der Aktualisierung eines als universalisierbar betrachteten Ideals. 173
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Years“ gezeigt habe. Zum einen fasst die Great Registry als leerer Geschichtscontainer die unterschiedlichsten Geschichten und erlaubt damit die Imagination von Gemeinschaft jenseits von Differenz und Ungleichheit. Zum anderen stilisiert die Inszenierung einer abstrakten Grundsituation der Einwanderung die Halle zum Ort der Klimax eines rite de passage und einer kollektiven Transformation. In dieser Dopplung versinnbildlichen sich gleichermaßen Idealbild und Ursprung der amerikanischen Einwanderernation. Es ist kein Zufall, dass gerade hier die Fahnen wehen.
Ausgestellte Gemeinschaft: Flag of Faces und Wall of Honor Der Ausstellung „The Peopling of America“ im Erdgeschoss des Museums kommt die Funktion zu, die Geschichte der Einwanderung in die USA explizit über Ellis Island hinauszuheben. Der einleitende Text macht deutlich: „Since 1600, over 60 million people from throughout the world have come to the United States, creating a multiethnic nation unparalleled in history.“ Eine Reihe visualisierter Statistiken soll die lange Geschichte der Migration in die USA beleuchten und, laut Chef-Kuratorin Diana Pardue (2004: 25), die „ambiguity of national identity through elements of ethnic retention and cross-cultural interaction“ untersuchen. Ein Globus, auf dem über LED-Anzeigen weltweite Migrationsströme seit 1700 angezeigt werden, soll überdies die globale Dimension des Themas aufrufen. Während dieser jedoch in einer hinteren Ecke platziert ist, bildet sinnfälligerund beabsichtigterweise eine andere Installation den Mittelpunkt der Ausstellung: die sogenannte Flag of Faces (MetaForm 1987: 16; Delano 1992: VIII). Es handelt sich um eine leicht geschwungene, etwa drei Meter hohe und fünf Meter breite Wand, die frontal im Zentrum des Raumes steht. Von der einen Seite betrachtet, zeigt sie Hunderte Porträts von heute lebenden Amerikanerinnen und Amerikanern, eine Zusammenstellung, die trotz der Schwarzweißfotografien ganz offensichtlich „bunt“ ist. Ich sehe Männer und Frauen, jung und alt, Menschen verschiedener Hautfarbe und, so ist zu vermuten, Herkunft. Fast alle lächeln oder lachen, wirken fröhlich, gar glücklich.111 Im Vorbeigehen verwandelt sich diese Standard-Visualisierung kultureller Vielfalt in die „Stars and Stripes“ der amerikanischen Flagge. Die Individualität der Gesichter – und übertragen: der Geschichten – wird darin unsichtbar: „Gefangen im Raster, gehen sie, die neuen Einwanderer, scheinbar harmonisch ein in die Gesamtheit der amerikanischen Nation“ (Welz 1996: 185f.). Die von Pardue behauptete „Uneindeutigkeit nationaler Identität“ kommt dabei ebenso wenig zum Ausdruck wie die über die 111 Die Bilder wurden 1989 im Auftrag von MetaForm vom New Yorker Fotografen Pablo Delano zum großen Teil an der Freiheitsstatue aufgenommen. Für eine Beschreibung des Projekts und eine Auswahl der Fotografien vgl. Delano 1992. 174
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Nation hinausweisenden Momente von Migration. Die Migranten sind fest im nationalen Rahmen gefasst, in dem sie bei aller Vielfalt im einzelnen aufgehoben und vereinheitlicht sind.112
Abb. 11 und 12: Flag of Faces aus zwei Perspektiven Die „symbolische Operation“ (Welz 1996: 186) gewinnt dabei an Glaubwürdigkeit und Seriosität durch ihre Platzierung inmitten von Grafiken, die über verschiedene Kennzeichen – etwa nüchternes Design, Quellenangaben bei Texten, reflektierte Problematisierung statistischer Daten – einen explizit „wissenschaftlichen“ Charakter signalisieren. Die Flag of Faces, die selbst keinerlei sachliche Information in sich trägt und eine rein normativ-propagandistische Funktion erfüllt, wird in dieser Umgebung mit epistemischer Autorität ausgestattet, rationalisiert und objektiviert (Bal 1996: 2, 37f.). Ikonographisch zeigt sich eine deutliche Analogie zur Situation in der Great Registry, die sich exakt ein Stockwerk über der Flag of Faces befindet: Während sich hier die amerikanische Flagge als Zeichen der Nation über die kulturell vielfältigen Gesichter heutiger Amerikanerinnen und Amerikaner legt, breitet sie sich dort über die in den leeren Raum imaginierten Einwanderer – Amerikaner „in the making“ also – wie über Besucherinnen und Besucher. Dass diese Parallele nicht von ungefähr rührt, sondern an den Kern des musealen Narrativs auf Ellis Island geht, darauf verweist die Struktur des Orientierungsfilmes, der an mehreren Stellen im Eingangsbereich in Endlosschleife gezeigt wird und die Ausstellungen des Museums knapp vorstellt. Er beginnt mit einem Schwenk über den leeren Registry Room in der Totalen und endet mit einer Kamerafahrt über die Flag of Faces – gleichsam vom Ursprung der Erzählung zu ihrem Fazit.
112 Vgl. für eine ikonographisch ganz ähnliche Inszenierung im kanadischen Museum Pier 21 das Kapitel „Die Erfindung einer Tradition des Multikulturalismus“. 175
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Dass die Flag of Faces als Symbolisierung der multikulturellen Einwanderernation gerade in der Ausstellung „The Peopling of America“ untergebracht ist, erscheint konsequent. Hier erfährt das Narrativ von den USA als Nation der Einwanderer seine maximale Ausdehnung. Integriert werden neben der Ellis IslandPhase so unterschiedliche Migrationsbewegungen wie die Kolonisierung des Landes durch europäische Siedler, die Zwangsmigration afrikanischer Sklaven oder die Einwanderung aus dem Süden und aus Asien seit Mitte der 1960er Jahre.113 Und mit dieser Ausdehnung des Narrativs einher geht die maximale Unschärfe im Blick auf die spezifischen, gänzlich unterschiedlichen Bedingungen und Verhältnisse dieser Migrationen wie auf die Phasen der Einwanderungsbegrenzung und die (etwa rassistisch motivierte) Abschottung gegen bestimmte Migranten. Wie in anderen Teilen des Museums verschiedene Einwanderungserfahrungen auf Ellis Island harmonisierend zusammengefasst werden, werden hier verschiedene Migrationsbewegungen zu einem großen Ganzen verbunden. So wird die Tradition und Kontinuität einer multikulturellen Nation begründet, wie symptomatisch auf einer Texttafel zu lesen ist: „By 1789, when George Washington was inaugurated president, we were already a multiethnic and multiracial society.“ Konflikte, Probleme und zentrifugale Tendenzen innerhalb der Einwanderungsgesellschaft, die eine bruchlose gemeinsame Geschichte – damals wie heute – fragwürdig erscheinen lassen, werden ausgeblendet.114 Es zählt vielmehr das emphatische, auf diese Weise historisch verankerte „Wir“ und man sieht dabei förmlich die glücklichen kulturell vielfältigen und von den Farben der Nation überlagerten Gesichter der Flag of Faces vor sich. In dieser gefeierten
113 Dass die Inklusion der „diasporic histories“ afrikanischer Sklaven, wie Maddern (2004b: 310) meint, eine einfache Konstruktion von Nation herausfordere, kann mit Blick auf die konkrete Präsentation nicht bestätigt werden. Vielmehr sind diese in der Inszenierung nahtlos integriert als ein Schritt im „Peopling of America“. Der explizite Wille zur Inklusion von African Americans zeigt sich auch in der Vergabe der Ellis Island Medal of Honor durch die Statue of Liberty-Ellis Island Foundation an die schwarze ehemalige Kongressabgeordnete Barbara Jordan oder posthum an Alex Haley (Sollors o.D.). Verschiedene, vielfach kontroverse Formen der amerikanischen Erinnerung an die Sklaverei diskutieren Horton/Horton 2006. 114 So handeln auch die Geschichten der neuesten Einwanderer, deren Interviews auf einem Monitor laufen, der in die Rückseite der Flag of Faces integriert ist, nahezu ausschließlich von den schlechten Bedingungen in ihren Herkunftsländern und ihrer Dankbarkeit und Zufriedenheit in der neuen Heimat USA. Auf die Tendenz von Museumshistorikern, die Darstellung gesellschaftlicher Spannungen, insbesondere ethnischer oder religiöser Art, aus Rücksicht auf negative Reaktionen des Publikums oder aus generellem Unbehagen gegenüber der Thematisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu vermeiden, verweist Thomas Schlereth (1989: 21). Für eine grundsätzliche Kritik des Diskurses über „who we are“ als immer schon fixierend und essentialisierend vgl. Handler 1994: bes. 30. 176
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Meistererzählung der Einwanderung sind Ungleichheiten zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen, in Geschichte und Gegenwart, nicht nur harmonisch entschärft. Als kulturelle Vielfalt sind sie in optimaler Weise für die Begründung der Nation fruchtbar gemacht.
Abb. 13: American Immigrant Wall of Honor Nirgendwo sonst auf der Insel manifestiert sich das Bild von der harmonischinklusiven und egalitären Einwanderernation so direkt und wirkungsvoll wie in der American Immigrant Wall of Honor außerhalb des Museums. In verschiedenen Broschüren wahlweise charakterisiert als „beautiful memorial“, „the largest wall of names in the world“, seriositätsignalisierend als „the newest permanent exhibit at the Ellis Island Immigration Museum“ oder an anderer Stelle schlichter als „the principal fundraising device“ für die Restaurierungskampagne (Holland 1993: 244) changiert die Installation, wie eingangs erwähnt, auf eigentümliche Weise zwischen Denkmal der Einwanderung und überdimensionierter Spendertafel. Doch gerade in diesem Zwitterstatus erreicht sie die maximale Inklusivität: „Nobody is being excluded from the wall“, proklamierte ihr Initiator Lee Iacocca und zielte damit nicht zuletzt auf ein möglichst hohes Spendenaufkommen (NYT 9.6.1989: B4). Ein Eintrag auf der Wall of Honor erfordert konsequenterweise keinerlei Nachweis. Weder müssen zu Ehrende über Ellis Island eingewandert sein, noch über einen anderen Hafen zu dessen Zeit, noch muss es sich überhaupt um Einwanderer handeln. Jeder und jede kann Namen anschreiben lassen, auf Wunsch auch den eigenen. Einzige Voraussetzung ist eine Spende von 100 Dol177
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lar (seit Oktober 2006 150 Dollar) pro Name. Dafür verspricht die Wall: „[Y]ou’ll know that for generations to come your family name will be on display at Ellis Island, honoring your family’s unique contribution to America’s heritage“.115 Doch welche „contribution“? Während in früheren Zeiten eine kulturelle Leistung oder zumindest der heldenhafte Tod fürs Vaterland für die Memorialisierung vonnöten war, ist der Nachruhm nun gesichert durch einen Beitrag von 100 Dollar. Ist das die Zukunft des Denkmals in Zeiten demokratisierter Warenförmigkeit? Bei aller Eigenartigkeit des Modells scheint sein Erfolg auf einen Paradigmenwechsel historischer Identifikation von descent zu consent/dissent hinzudeuten, also von Abstammung hin zu Zustimmung oder Ablehnung, und damit auf eine Öffnung im Vergleich zu früheren, starreren Konstruktionen (KirshenblattGimblett 1998a: 200). „The famous take their place among the hundreds of thousands of unsung individuals who are heroes to their grateful descendants“, heißt es in der Werbung zur Wall of Honor, und zu den Berühmtheiten in der anonymen Masse gehört etwa der Mayflower-Migrant Myles Standish oder George Washingtons Urgroßvater John.116 In die so konzipierte und ins Bild gesetzte Erinnerungsgemeinschaft einschreiben können sich sowohl Mitglieder der amerikanischen Aristokratie – wie Nachkommen der Pilgrim Fathers oder der Helden der Amerikanischen Revolution – als auch die Nachkommen ihrer früheren Sklaven oder ihre frisch immigrierten Kindermädchen aus der Dominikanischen Republik und ihre Taxifahrer aus Pakistan. Selbst Nicht-Amerikaner sind hier gleichberechtigt zugelassen, wenn sie zumindest nominell am amerikanischen Traum teilhaben wollen. Gerade diesen sei jedoch Barbara KirshenblattGimbletts (1998a: 181) Hinweis entgegengehalten: „The ease with which one can sign on to the American Immigrant Wall of Honor, however, obscures the very real obstacles to obtaining a visa and green card“. Und gewiss ebenfalls verschleiert in dieser Inszenierung der transhistorischen Einwanderergemeinschaft sind die ungleichen Chancen der realen Teilhabe an den Versprechen der amerikanischen Gesellschaft. Neben der völligen Offenheit des Zugangs spielt die Gestaltung der American Immigrant Wall of Honor eine entscheidende Rolle für ihre Bedeutung. Über 750 Edelstahltafeln vereinigen sich in einem baumbestandenen, parkähnlichen Areal hinter dem Museum zu einem weiten Rund, von dem aus der Blick direkt auf die Wolkenkratzer Manhattans geht. In die Tafeln sind in streng alphabetischer Ordnung die Namen von bislang über 700.000 Individuen, Paaren und Familien ein115 http://www.statueofliberty.org/Wall_of_Honor.html (25.5.2009). 116 Selbst First Lady Barbara Bush entrichtete eine Spende von 100 Dollar, um ihren Vorfahren Thomas Thayer, der 1630 aus England einreiste, an der Wall of Honor zu ehren (Sollors o. D.). Die genannten Personen und das Zitat vgl. https:// www.wallofhonor.org/wall_of_honor.asp (25.5.2009). 178
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graviert, Tendenz steigend.117 Die Anmutung und die schlichte Verzeichnung der Namen erinnert gleichermaßen an das Vietnam Veterans Memorial von Maya Lin in Washington D.C. und an Namenswände, wie sie in Holocaust-Gedenkstätten immer üblicher werden. Die Wall of Honor spiegelt damit einen allgemeinen, themenübergreifenden Trend der Denkmalsgestaltung.118 Umgangen sind darin Debatten um Inklusion und Exklusion, wie sie in jeder Form der gegenständlichen Gestaltung angelegt sind und etwa bei der Ergänzung des Vietnam Veterans Memorial durch Statuen von Soldaten und Sanitäterinnen zum Ausbruch kamen (Sturken 2004: 322; auch dies. 1997: insbes. 66-70). Zwei Aspekte sind wesentlich: Zum einen erlaubt das Denkmal das Gedenken an einzelne Immigranten und wendet sich insbesondere an dessen Angehörige, wie eine Werbebroschüre ausführt: „Families from across the country gather at Ellis Island to see their family name, touch it, and reconnect with and celebrate their own family’s immigrant heritage.“ Die Wall of Honor wird in dieser Dimension zum Zielpunkt von „family pilgrimages“, wie es das Gestaltungskonzept vorsieht, und das täglich wiederholte, massenhaft zu beobachtende Ritual des Berührens oder auch Abpausens individueller Namen zu deren Höhepunkt.119 117 Diese Beschreibung ist nicht ganz korrekt: Aufgrund des anhaltenden Interesses wurde die Wall of Honor seit ihrer Einweihung in dieser Form im Jahr 1993 stetig erweitert. Als sämtliche Tafeln gefüllt waren, wurden etwas abseits davon in gerader Linie neue Tafeln errichtet und die alphabetische Ordnung neu begonnen. Diese fallen in ihrer Anordnung gegenüber dem Rund ästhetisch deutlich ab: Wer zu spät zahlt, den bestraft das Design. Für Hintergründe zur Gestaltung und zu den Gründen für die Ersetzung einer früheren Variante der Wall, die seit 1990 entlang der Kaimauer verlief, vgl. Ralph Appelbaum 1992. 118 Sabine Sielke (2000: 88) nennt als Beispiele einer Denkmalsgestaltung, bei der die schlichte Nennung einer großen Anzahl von Namen das entscheidende Merkmal darstellt, das Vietnam Veterans Memorial, Elemente des U.S. Holocaust Memorial Museum (wie die Wall of Honor gestaltet von Ralph Appelbaum Associates) sowie den NAMES Project AIDS Quilt und verweist auf Einflüsse des „anti-monumentmovement“. Vgl. zu diesem Komplex auch Beier-de Haan 2005a: 245ff. 119 Nicht ohne Charme ist dabei die immanente Konterkarierung des Prinzips, die an einigen Stellen durch Namensdopplung entsteht und jedes Mal wirkt, als ob eine Schallplatte hängt oder ein Computer abzustürzen droht: Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen – Abraham Cohen (insgesamt zwölf Mal untereinander) oder Patrick Kelly – Patrick Kelly – Patrick Kelly – Patrick Kelly – Patrick Kelly… (immerhin noch zehn Mal). Was machen in diesem Fall nur die bedauernswerten Nachkommen auf der Suche nach ihren ganz eigenen Vorfahren? Zum Komplex der säkularen „Pilgerfahrten“ an Stätten nationaler Bedeutung als staatsbürgerliche Pflichtübung und patriotische Performance vgl. Berlant 1997: 2553. Die performative Dimension von Erinnerung betont Connerton 1989. 179
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Zum anderen fügt die strenge Ordnung der alphabetischen Liste die individuellen Namen in ein gleichförmiges Raster ein und vereinheitlicht sie darin. Wie in der Flag of Faces werden Differenzen neutralisiert und der Blick auf das harmonische, hier im Wortsinn: glänzende Ganze gelenkt (Kirshenblatt-Gimblett 1998a: 183f.).120 Die Wall of Honor – und letztlich die Präsentation auf Ellis Island im Ganzen – verbindet so wirkungsvoll Individuen mit der Nation und dies sowohl in Bezug auf die Geschichte als auch, vermittelt über die Institution der Familie121, die Gegenwart (Bodnar 1995: 19). Die historischen Einwanderer sind über die Namenslisten des Denkmals in die vorgestellte Gemeinschaft der Nation eingeschrieben. Heutige Besucher erweisen durch das Berühren dieser Namen nicht nur ihren Vorfahren ihre Reverenz, sondern sind im gleichen Zug „in touch“ mit der Nation. Die Geste und der Besuch allgemein werden so über die individuell-familiäre Dimension hinausgehoben und zu Ritualen der Nation.122 Etwas davon ist in der Widmung zu erahnen, die sich neben einem „Official Certificate of Registration“ für die Wall of Honor zufällig in dem Museumskatalog fand, den ich gebraucht bei Amazon gekauft habe: „Merry Christmas, Mom. We’ll go see the engraved wall in 1995. Love, Vicki, Tom, Nick and Tony“. Diese beliebige und – ich vermute einfach – typische amerikanische Familie wird nicht Ellis Island besuchen, den historischen Ort mit seiner komplexen, vielschichtigen Geschichte. Vicki, Tom, Nick und Tony unternehmen stattdessen eine Pilgerfahrt zu der gravierten Ehrentafel, um sich in Einklang zu wissen mit ihren Ahnen und ihren Mit-Immigranten der amerikanischen Nation.
120 Bei genauem Blick offenbart das Denkmal dank seiner zweiten Natur als Spendertafel allerdings ein der egalitären Vision entgegengesetztes Wissen: Einige sind offenbar gleicher als andere. Während die Masse der Namen in der Kategorie „Friends“ (Wovon eigentlich? Von Ellis Island? Untereinander?) geführt wird, versammelt sich am Beginn der alphabetischen Ordnung eine kleine, in sich nochmals gestaffelte (Spender-) Elite: „Leaders“ ($ 1000.- +), „Benefactors“($ 5000.- +) und „Patrons“($ 10.000.- +). 121 Die zentrale Rolle der Familie im Narrativ des Ellis Island Immigration Museum und die Scharnierfunktion familiärer Genealogie in der Vermittlung zwischen einzelnem und Einwanderernation – angedeutet etwa in dem omnipräsenten Werbespruch des Museums, wonach 40 Prozent aller Amerikanerinnen und Amerikaner ihre familiären Wurzeln zu einem Ellis Island-Immigranten zurückverfolgen können – ist ausführlich und mit scharfem Blick auf die (hetero-) normative Tendenz dieser Konstruktion beleuchtet bei Rand 2005: bes. 41-66. 122 In diesem Sinn lässt sich die Wirkungsweise der Wall of Honor an John Bodnars (1992) Analyse der Produktion offizieller Erinnerung anschließen, die er in seinem Buch Remaking America entfaltet. Nach Bodnar entsteht „official memory“ als hegemoniale Operation durch die Überblendung und Kolonisierung von persönlichen oder Familienerinnerungen (als Teil des von ihm so bezeichneten „vernacular memory“) mit patriotischen Idealen im Dienste einer Konstruktion der Nation. 180
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Ein Grabstein für die Indianer: Grenzen einer Meistererzählung der Migration Im Schatten der American Immigrant Wall of Honor, kaum beachtet, befindet sich ein anderes, weit unscheinbareres Ehrenmal. Auf dem Boden liegt eine kleine, schlichte Marmorplatte, daneben, in den Rasen gesteckt, zwei hüfthohe Latten aus Holz, die eine mit Querstrebe, fast wie ein Kreuz. Es ist ein Grab. Während der Bauarbeiten auf Ellis Island Mitte der achtziger Jahre waren an zwei Stellen Knochen und Skelette von insgesamt fünf Menschen gefunden worden. Untersuchungen ergaben, dass es sich um die sterblichen Überreste von Indianern handelte, die in der Zeit zwischen 800-1600 auf Ellis Island begraben worden waren. Im Juni 1987 wurde daraufhin von Angehörigen der Delaware Nation, Oklahoma, des Delaware Tribe of Indians, Oklahoma und der Stockbridge-Munsee Community of Mohican Indians aus Wisconsin, die als Träger des kulturellen Erbes identifiziert worden waren, ein religiöse Weihezeremonie abgehalten, bevor die Überreste dem NPS zur Obhut übergeben wurden. Am 1. Mai 2003 schließlich wurden sie durch Häuptlinge und Älteste der erwähnten Stämme feierlich bestattet (NYT 29.6.1987: B3; NPS 2002; Pooacha 2003). Der Umgang mit den Funden folgte so inzwischen eingespielten Mustern und verlief unauffällig und zur Zufriedenheit aller Beteiligter. Was bleibt und was den Fall signifikant macht, sind die Zeichen in der Landschaft und ihre Symbolik. Das Nebeneinander von monumentalem Denkmal der Einwanderung und unscheinbarem Grabstein, der Umstand, dass die Einwanderer-Kontrollstation und nun das Einwanderungsmuseum wortwörtlich auf einem indianischen Friedhof gebaut sind, verweist auf die Grenzen der Erzählung von der Einwanderernation in der Siedlergesellschaft der USA. Selbst wenn Ellis Island noch so emphatisch als „truly inclusive national symbol“ (Yans-McLaughlin/Lightman 1997: 78) beschworen wird, wenn die Integration verschiedenster Migrationen am spezifisch historisch und spezifisch europäisch konnotierten Ort und damit die Konstruktion eines allumfassenden Narrativs der Einwanderung, wiewohl zweifelhaft, so doch mit einiger Mühe noch möglich ist, so stößt dieses Bemühen an seine Grenze in der Existenz der Native Americans. Während der größte Teil der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft also im Zeichen des europäischen Einwanderers der Jahrhundertwende narrativ absorbiert werden kann, indem beispielsweise sowohl die ersten Siedler als auch ihre späteren Sklaven in Unterformen der Figur des „immigrant“ umgeschrieben werden, werden American Indians – zumindest wenn man nicht auf die abseitige These von den Ur-Einwanderern verfällt – durch die Meistererzählung der Einwanderung systematisch aus der nationalen Gemeinschaft hinaus geschrieben. Sie sind darin immer das Andere, das Außen der Siedlergesellschaft und Einwanderernation, wodurch nicht zuletzt darauf hingedeutet ist, dass jede Form der Inklusion eine spezifische Form der Exklusion produziert und umgekehrt. 181
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Ausgeschlossen im Narrativ der Einwanderernation sind jedoch nicht nur die Native Americans selbst, sondern auch eine kritische Perspektive auf die Geschichte des Kolonialismus und seiner Wirkung. Denn auch wenn eine Tafel in „Peopling of America“ erwähnt, dass der Kontakt mit Europäern den Indianern Krankheiten, Krieg, Deportation in Reservate und die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensformen brachte, sind diese Verbrechen in einer grundsätzlich positiven Erzählung eingerahmt und überschrieben. Als Teil des „pageant of immigration“, des „bunten Reigens der Einwanderung“, den der Einführungstext und die gesamte Museumspräsentation feiern, sind es die Kolonisatoren, auf denen die Tradition aufbaut, nicht die Traumata ihrer Opfer. Die Kolonisation Amerikas erscheint in diesem Kontext als notwendiger und – wenn auch mit unschönen Begleiterscheinungen verbunden – positiver erster Schritt in der Entstehung der „multiethnic nation unparalleled in history“.123 Bereits lange vor Eröffnung des Museums wies Michael Sorkin mit leiser, notgedrungen zynischer Stimme auf diesen Umstand hin: „Strikes me there’s a perfect use for the land and buildings, viable, appropriate, public, and poetic. Why not relocate the Museum of the American Indian to Ellis? What better place to remind ourselves that we are not exactly a nation of immigrants? What a lovely symbol of restitution.“ (Sorkin 1986) Wie gesehen und zu erwarten, wurde Ellis Island in seiner Musealisierung jedoch nicht zu einem „Symbol der Entschädigung“, sondern zum Kristallisationspunkt einer Erzählung von der harmonischen und egalitären Einwandernation, die sich von einem Kern der europäischen „New Immigration“ herschreibt, diesen jedoch aufbläst, um ganz andere Migrationen zu integrieren, und sich trotz immanenter Limitierung als universal inklusiv ausgibt.
Ellis Island, Lady Liberty und die Skyline: Zur Topographie der Erinnerung in New York Harbor Das National Museum of the American Indian wurde also offensichtlich nicht auf die Insel verlegt, sondern steht seit 1994 als Antipode in Sichtweite des Ellis Island Immigration Museum an der Südspitze Manhattans.124 Doch ist dies nicht
123 Maddern (2004b: 309f.) stellt zurecht fest, dass die Thematisierung des Schicksals der Native Americans auf Bemühungen des Historischen Beirats zurückgeht, eine allzu glatte patriotische Version von Einwanderungsgeschichte zu verhindern. Die folgende Diagnose, wonach sich hierin eine gebrochenen und teils widerständige Erzählung manifestiere, speist sich allerdings aus einer isolierten Betrachtung der erwähnten Tafel, die die Rolle des übergreifenden Narrativs und die Einbettung in eine grundsätzlich positive Erzählung außer Acht lässt. 124 Dies bleibt auch der Fall seit im September 2004 der neue Hauptsitz des Museums an der Mall in Washington D.C. liegt. Interessanterweise eröffnete die New Yor182
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die einzige bedeutungsvolle Beziehung, die über das Museum selbst und seine Insel hinausgeht. James E. Young (1993: 7) stellt fest, dass jedes Denkmal – und dies kann gleichermaßen für Museen gelten – inmitten seiner jeweiligen Geographie und in Bezug zu anderen signifikanten Orten seiner Umgebung wahrgenommen wird: „[A] monument becomes a point of reference amid other parts of the landscape, one node among others in a topographical matrix that orients the rememberer and creates meaning in both the land and our recollections.“ In besonderem Maße trifft dieser Befund auf die Topographie der Erinnerung im Hafen von New York zu, die in kaum zu steigernder Weise symbolisch verdichtet ist. Zu beobachten ist dabei ein Phänomen, das Owen J. Dwyer (2004) als „symbolic accretion“ beschreibt. „Symbolischer Zuwachs“ entsteht, wenn kommemorative Elemente zu einem bereits bestehenden Denkmal hinzugefügt werden und damit sowohl zu dessen Verstärkung als Gedenkort wie zu thematischer Ausweitung oder Veränderung beitragen.125 Wenn das Konzept auch für kleinere Objekte, wie Gedenktafeln oder -steine, entwickelt wurde, so beschreibt es doch sinnvoll die Beziehungen zwischen Großmonumenten wie Ellis Island und Freiheitsstatue sowie die Dynamik der weiteren Erinnerungslandschaft. Das Zentrum dieser Erinnerungslandschaft und das ursprüngliche Denkmal ist zweifellos die Statue of Liberty, die seit 1886 mitunter wechselnde Aspekte, doch stets zuvorderst individuelle Freiheit und die unbegrenzten Möglichkeiten der Vereinigten Staaten von Amerika symbolisierte (Vecoli 1994; Perea 1997; Glassberg 2003). Dieser geographisch und in der Wirkung am nächsten liegt Ellis Island. Die Verbindungen sind so vielfältig, dass nachgerade von einem Doppelmonument gesprochen werden kann: Die beiden Ort liegen nur wenige hundert Meter von einander entfernt, sie sind administrativ zusammengefasst und der Besuch des einen ist aufgrund der Fährverbindung nicht möglich ohne den Besuch des anderen. Dabei wurde die Kontrollstation auf Ellis Island, die nahezu zeitgleich mit Lady Liberty entstand, erst allmählich und nicht ohne Brüche zum ker Dependance 1994 mit einem Zyklus von drei Ausstellungen, die allesamt unter dem Motto „Journeys“ standen, zumindest metaphorisch einer Anknüpfung an das Migrationsnarrativ (Arieff 1995). 125 Dwyer entwickelt seinen Ansatz im Anschluss an Kenneth E. Foote (2003: 231f.). Dieser benutzt den Begriff „symbolic accretion“ in Zusammenhang mit einem musealisierten Schlachtfeld aus der Texanischen Revolution, auf dem in neuerer Zeit ein Denkmal für gefallene Vietnam-Veteranen errichtet wurde: „That is, once sanctified, the sites have attracted additional memorials. […] In effect the battlefield has become a repository for other memorials that help to reinforce its status as a meaningful place.“ Dwyer erweitert das Konzept und demonstriert, dass sich sowohl „allied accretion“ als auch „antithetical accretion“ beobachten lässt. Im ersten Fall, dem die Verbindung von Ellis Island, Statue of Liberty und den weiteren, hier skizzierten Elementen zuzurechnen wäre, stützen und befruchten sich verschiedene konnotative Schichten, im anderen Fall stehen sie gegeneinander. 183
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Denkmal der Einwanderung, und die Nähe zur prominenten Statue, die von Beginn an auch diskursiv hergestellt wurde, war eine wesentliche Bedingung dieser Entwicklung. Mit der gemeinsamen Restaurierung der beiden Wahrzeichen und der Eröffnung als Museum fand dieser Prozess seine Vollendung. Ellis Island ist der Freiheitsstatue nun aufs Engste beigeordnet, das Gedenken an die Einwanderung ist vom amerikanischen Symbol der Freiheit nicht mehr zu trennen. Damit konnotieren sich die beiden Denkmale gegenseitig: Ellis Island verstärkt die Wahrnehmung der Freiheitsstatue als „Mother of Exiles“, als Ikone der Immigration; im gleichen Zug überträgt sich in dieser Verbindung eine Sicht von Migration als individuelles Streben nach Freiheit auf Ellis Island. Diese eindimensionale und romantisierte Version, die bei aller Betonung in der FundraisingKampagne in der eigentlichen musealen Präsentation vermieden werden sollte, rückt damit in der weiteren Landschaft wieder in den Mittelpunkt. Um das Doppeldenkmal von Freiheitsstatue und Ellis Island arrangiert sich eine Reihe weiterer Gedenkorte. Der „symbolische Zuwachs“ hält an und je schwerer und dichter das symbolische Kräftefeld wird, desto stärker scheint seine Anziehungskraft.126 Battery Park an der Südspitze Manhattans, von wo die Fähre zu den beiden Sehenswürdigkeiten ablegt, ist der Standort von über zwanzig Denkmalen – für den Zweiten Weltkrieg, den Korea- und den Vietnamkrieg, für die ersten Siedler der Stadt, für berühmte Entdecker und Erfinder. Viele orientieren sich auf die Freiheitsstatue hin, doch einige beziehen Ellis Island als Referenzpunkt explizit mit ein. Offensichtlich ist dies in der 1983 errichteten Statuengruppe The Immigrants von Luis Sanguino sowie im imposanten Irish Hunger Memorial, das im Juli 2002 eingeweiht wurde (Kay 2003). Bemerkenswerter als diese thematisch unmittelbar anknüpfenden Objekte sind jedoch zwei andere, insofern sie das Doppeldenkmal von Freiheitsstatue und Ellis Island um eine weitere Dimension anreichern und dazu beitragen, es noch stärker symbolisch und ideologisch aufzuladen: das Museum of Jewish Heritage – A Living Memorial to the Holocaust und das Denkmal „Liberation“ von Nathan Rapoport. Beide sind dem Gedenken an die Shoa gewidmet, und beide stellen sich bewusst und im Wortsinn vor den Hintergrund von Freiheitsstatue und Ellis Island. Der Rundgang des Museums, dessen Dauerausstellung auf drei Ebenen jüdisches Leben in der Diaspora, dessen Zerstörung in der Shoa und den Neuanfang nach 1945 in Israel und den USA zeigt, endet in einem Raum, dessen Panoramafenster den Blick auf die beiden Wahrzeichen freigeben (Pieper 2006: 126 Dies im Übrigen nicht nur zur Freude der Bewohner von Lower Manhattan. Angesichts der in den letzten Jahren stark angewachsenen Zahl an Denkmalen in dieser Gegend, die im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 nochmals steigen wird, entstand bei manchen der Eindruck: „We’re like a dumping ground for memorials“ (Low 2004: 335; auch NYT 13.3.2003). Zur Diskussion der Erinnerungsund Denkmalslandschaft Lower Manhattans prä- und post-9/11 vgl. Zuber 2006. 184
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175f.). Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens, in Liberty State Park, New Jersey, zeigt „Liberation“ vor gleicher Kulisse einen jungen amerikanischen Soldaten in der Vorwärtsbewegung, den Blick auf den Boden gerichtet. In seinen Armen hält er, pietà-gleich, den abgezehrten Körper eines KZ-Opfers, dessen Regungslosigkeit und leerer Blick völlige Hilflosigkeit ausdrücken. In beiden Fällen wird das Doppelmonument Freiheitsstatue/Ellis Island zur Triade erweitert. Das Gedenken an die Befreiung der Lager und den Neubeginn jüdischen Lebens in den USA stellt sich bewusst in die Nähe und Tradition der berühmten, als Manifestationen von Freiheit und Pluralismus verstandenen Denkmale und aktualisiert damit eine „traditional self-perception of the nation’s role as rescuer in war and as sanctuary for the world’s ‚huddled masses’“ (Young 1993: 321, 7). Im gleichen Zug gewinnt deren Symbolik in Auseinandersetzung und Kontrastierung mit den Verbrechen der Shoa enorm an Gehalt und Strahlkraft. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 liegt Ellis Island zudem in unmittelbarer Nachbarschaft eines weiteren Nationaldenkmals: der gewaltsam veränderten Skyline Manhattans mit der Leerstelle der fehlenden Twin Towers. Dieser derzeit wohl mächtigste Erinnerungsort der USA steht im öffentlichen Diskurs für das Leid einer nationalen Schicksalsgemeinschaft und wird vielfach als Mahnung für die Notwendigkeit des Kampfs um westliche, amerikanische Werte herangezogen. Auch hier fungiert die Verbindung zur weiteren Erinnerungslandschaft, allen voran zu Ellis Island und der Freiheitsstatue, als symbolische Verstärkung und Einschreibung in eine spezifische Tradition. In geradezu paradigmatischer Weise findet sich dies in der Ansprache George W. Bushs anlässlich des ersten Jahrestags der Anschläge (NYT 12.9.2002: B8). Der Präsident hielt die sendungsbewusste Rede an die Nation, in der zum einen die Opfer beklagt, zum anderen die Stärke der Nation und die Notwendigkeit des „war on terror“ beschworen wurden, auf Ellis Island, mit der Freiheitsstatue im Rücken. Der Konnex zu Ellis Island verlief, wie zu erwarten, nicht über dessen historische Funktion der Internierung und Deportation unerwünschter oder politisch suspekter Einwanderer – in Zeiten verschärfter Überwachung und Drangsalierung von Immigranten mit muslimischem Hintergrund im Zeichen der „Terrorabwehr“ ein nicht ungeeignetes Thema – , sondern über das mythisierte Bild als Verkörperung des sicheren Hafens für die Unterdrückten dieser Erde: „Ours is the cause of human dignity: freedom guided by conscience, and guarded by peace. This ideal is the hope of all mankind. That hope drew millions to this harbour. That hope still lights our way.“ Ellis Island wurde demnach, laut Bushs Regierungssprecher, als Ort für die Rede gewählt, um Amerika einmal mehr an seine moralische Berufung und den höheren Zweck als „Leuchtturm der Freiheit“ für Menschen auf der ganzen Welt zu erinnern.127 127 CNN 11.9.2001: http://archives.cnn.com/2002/ALLPOLITICS/09/10/ar911.bush. speech/index.html (25.5.2009). 185
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Die Beispiele zeigen, wie sehr Ellis Island als substantieller Teil in eine in hohem Maße verdichtete Erinnerungslandschaft eingebunden ist, die sich durch „symbolischen Zuwachs“ gebildet hat und nun als Bühne für die stetige Aktualisierung der Erzählung von der Größe und den Werten der amerikanischen Nation dient. Ellis Island repräsentiert in dieser Erzählung wesentliche Aspekte, namentlich die Selbstwahrnehmung der USA als Zufluchtsort für die „huddled masses“ dieser Welt und als harmonische, multikulturelle und egalitäre Gesellschaft. Darüber hinaus steht es für den sendungsbewusst und exzeptionalistisch getönten Transformationsmythos vom Amerikaner als „neuem Menschen“ (Bischoff/ Mania 1991: 535). Gleichzeitig wird deutlich, wie Ellis Island und mithin auch das Ellis Island Immigration Museum in dieser Landschaft und in dieser Erzählung patriotisch aufgeladen werden. Der Umstand verweist nicht zuletzt auf die begrenzte Gestaltungsmacht der Ausstellungsmacher, die eine solch einseitige Lesart in ihrer Konzeption zu verhindern suchten. Was Jay Winter (2001: 7) über das United States Holocaust Memorial Museum schreibt, gilt in besonderem Maße für das Ellis Island Immigration Museum: „Die Präsentation freilich kann ihrem Standort nicht entkommen.“128 Das Zusammenspiel mit den anderen Bestandteilen der Topographie der Erinnerung im Hafen von New York und der patriotische Diskurs, der sich um diese organisiert, ist von innen her nicht zu kontrollieren und prägt dennoch das Bild Ellis Islands in entscheidender Weise. Eine letzte Beobachtung zum Ort des Ellis Island Immigration Museum in seiner spezifischen Umgebung bezieht sich weniger auf die symbolische, denn soziale Prägung der Landschaft und tangiert insbesondere das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart der Migration. Ellis Island ist ein reines Touristenziel. Durch seine Lage, aber auch durch die Wahrnehmung der New Yorker ist es komplett von der sozialen Wirklichkeit der Stadt abgelöst und ohne jede Bindung zur Aktualität von Einwanderung, die einem sonst überall präsent ist. Auch in diesem Sinne ist Ellis Island eine Insel. Besucher treffen erst zurück in Manhattan, in Battery Park, wieder auf die zeitgenössischen Realitäten von Migration: Illegalisierte Senegalesen verkaufen gefälschte Rolex-Uhren, Mexikaner T-Shirts und Ansichtskarten und Pakistanis heiße Pretzels. Man sieht es an den Reaktio-
128 Der Satz ist ausgezeichnet, impliziert er doch ein komplexes Verhältnis von Präsentation und Standort als je eigenständige, aber aufs Engste verbundene Einheiten mit unterschiedlichen Charakteristika: Der flexiblen, wandelbaren, dynamischen Präsentation steht der Standort als konstanterer, träger, vielleicht: klebriger Pol gegenüber und wird in dieser Eigenschaft potentiell vom Mit- zum Gegenspieler der Präsentation. Für das Holocaust Museum in Washington D.C. scheint Winters Befund gleichwohl nur eingeschränkt zu stimmen: Hier gab es keine dezidierten Versuche der Ausstellungsmacher, die Präsentation von der symbolisch aufgeladenen Szenerie der National Mall zu lösen. Vielmehr wurde die Nachbarschaft aus geschichtspolitischen Erwägungen explizit gesucht (Pieper 2006: 107-124). 186
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nen: Das Museum und die schöne Geschichte der Immigration sind an dieser Stelle schon wieder sehr weit weg (Rand 2005: 193-206).
Im Shop Regina Bendix (2000: 82) erwähnt in ihrem Aufsatz „After Identity“ en passant das Phänomen, dass bestimmte Wissensbestände, Redensarten und Verhaltensformen, wenn sie in der Welt der Erwachsenen vordergründig ausgedient haben und ausrangiert wurden, auf die Kinderspielplätze wandern. Dort können sie sich, wie der krude Kolonialismus des Cowboy-und-Indianer-Szenarios, noch eine Weile halten – dann in ihrer spielerischen Harmlosigkeit zur Kenntlichkeit entstellt. Ein ähnliches Phänomen scheint auch das Museum zu kennen, nur dass der Spielplatz hier der Museumsshop ist.129 In diesem Sinn steht am Schluss meiner Lesung des Ellis Island Immigration Museum ein kurzer Blick auf zwei Objekte aus dieser Halbsphäre des Museums. Das erste ist ein dreieckiger, querformatiger Wimpel. In seinem Zentrum zeigt er eine Abbildung des Hauptgebäudes der Einwanderer-Kontrollstation auf blauem Grund, daneben in gelb die Aufschrift „Ellis Island“. Das Bild ist am oberen und unteren Rand des sich nach rechts hin verjüngenden Objekts eingerahmt von einer Reihe von Nationalflaggen, die schließlich im Star-Spangled Banner der amerikanischen Fahne zusammenlaufen. Die Bildsymbolik des Wimpels schlägt eine Deutung von Einwanderungsgeschichte und der Rolle Ellis Islands vor, die von der des Museums nicht allzu weit entfernt ist. Einige Aspekte: Die Einwanderer – Individuen und/oder Gruppen – sind symbolisiert durch Nationalflaggen, heißt: einzig charakterisiert und unterschieden durch ihre Nationalität, die als eindeutig und klar abgegrenzt erscheint. Weder gibt es innerhalb der vom Flaggenfeld definierten Einheiten Ungleichmäßigkeiten, noch Übergänge oder Mischformen zwischen ihnen. Mit „ihren“ Farben vertreten sind neben Immigranten zahlreicher europäischer Staaten (Großbritannien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Griechenland, Norwegen, Tschechien…) auch solche außereuropäischer Länder wie China, Japan, Ägypten, die Dominikanische Republik, Mexiko und Puerto Rico – eine bunte Mischung, die in einheitlicher Form eine möglichst große Breite repräsentiert. Diese verbinden sich nun – in der westlichen Tradition von links nach rechts gelesen – in der amerikanischen Flagge, gehen unterschiedslos ein in die amerikanische Nation, wobei die so erzeugte 129 Gleiches vermerkt Kirshenblatt-Gimblett (1998: 176) für den Komplex Tourismus (mit adornitischem Einschlag in der impliziten Parallelisierung von Museum und Mausoleum; vgl. Adorno 1977): „Where do old ideas go to die? Tourism, a museum of the consciousness industry.“ Zum Souvenir als Form der privaten Aneignung öffentlicher, gerade auch nationaler Symbole grundlegend vgl. Stewart 1984: 132-151, bes. 138; weiters auch MacCannell 1999. 187
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und gekennzeichnete Spitze des Objekts dynamisch nach vorn weist. Das Bild im Zentrum des Wimpels verweist auf die Deutung Ellis Islands als Ort dieser kollektiven Transformation. Ein zweites Objekt zeigt wieder eher Zustand, denn Prozess und gibt Auskunft über das „Innenleben“ der so vorgestellten Einwanderernation: Ein Regal inmitten des Shops enthält eine Vielzahl von Tassen. Aufgedruckt ist neben dem standardisierten Schriftzug „Ellis Island, USA“ je ein weiterer, der in den verschiedensten Varianten zu haben ist: „Spanish American“, „Welsh American“, „German American“, „Russian American“, „Polish American“…130 Ergänzt ist die Schrift jeweils um die entsprechenden zwei, sich überkreuzenden Fahnen. Auch hier ist wieder die maximale Offenheit und Absorptionswilligkeit des Einwanderungsnarrativs von Ellis Island angedeutet, nun vor dem Hintergrund möglichst effektiven Marketings: Eine Tasse trägt den Schriftzug „African American“ und fügt den Begriff – trotz seines eigentlich immanenten Verweises auf die Geschichte der Sklaverei und die gesellschaftlich wirksame Demarkation entlang der Kategorie „race“ – nahtlos und gleich-gültig in die oben zitierte Reihe.131 Demonstrativ betonen die Tassen dabei ihre Verschiedenheit – und sind von den oberflächlichen Labels abgesehen doch alle gleich. In ihrer harmonischen Gesamtheit sind sie ideale Verkörperungen eines „weichen Multikulturalismus“, der Verschiedenheit in der Form von „surface ethnicity“ feiert, weitergehende Differenzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen (etwa im Hinblick auf race, Klasse und Geschlecht) aus Angst vor zentrifugalen Tendenzen und zum Wohle der Einheit der Nation ausblendet und unterdrückt. Lässt sich das Ellis Island Immigration Museum zu guter Letzt also auf diese kindischen und kitschigen Fabrikationen bringen? Spiegelt sich darin gar dessen Bedeutung? Sicher nicht. Doch die zwei Dinge verweisen noch einmal in übersteigerter Form auf eine Spur, die ich durch das Museum gelegt und verfolgt ha130 Einmal mehr zeigt sich dabei die Rigidität und Absurdität des national-zentrierten Zugriffs: Auf einer Tasse steht „Israeli American“ – vermutlich ein Versuch der Vermarktung an amerikanische Juden (vgl. auch Kirshenblatt-Gimblett 1998: 184ff.; Rand 2005: 13). 131 Stratton und Ang (1998: 147) weisen vor dem Hintergrund der Entwicklung einer selbstbewussten Identitätspolitik von Afro-Amerikanern seit den 1960er Jahren, die sich auf die symbolische und kulturelle Behauptung von „blackness“ stützt, explizit darauf hin, dass der Bindestrich-Begriff „African-American“, insofern darin die Kategorie „race“ aufgerufen ist, eine weitaus radikalere Bruchlinie in der amerikanischen Identität anzeigt als etwa „Italian-American“. Die Selbstidentifikation auf der Basis von „race“ stelle eine konsequente Distanzierung von einem WASP-geprägten Mainstream dar und der Diskurs um „race“ repräsentiere damit eine Art der Diskussion und Verortung von kultureller Differenz, die wesentlich konfliktreicher sei als die Rede von „ethnicity“, die sich im amerikanischen Kontext nur auf „Weiße“ bezieht. 188
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be: Das Ellis Island Immigration Museum präsentiert Einwanderungsgeschichte als Meistererzählung der Nation. Ausgangspunkt des Narrativs ist die Perspektive der einfachen Immigranten, die die Erfahrungen der breiten Masse abbilden und Besucher optimal in den Plot einbinden soll. Vorgestellt – im doppelten Sinne – werden die Einwanderer jedoch nicht als Individuen mit komplexen Geschichten, sondern als Repräsentanten von Herkunftsnationen und ethnischen Gruppen. In diesem reduzierenden Fokus auf Nationalität bzw. ethnische Identität treten andere Identitätsmarker und Differenzkriterien wie Klasse und Geschlecht in den Hintergrund und der Hauptstrang der Erzählung entwickelt sich als Drama des Übergangs von einer alten Nationalität in eine neue. Eingebunden sind von Beginn an und entgegen der dominanten Assoziation des Ortes mit der Einwanderung aus Europa auch nicht-europäische Immigranten, wobei sich das Narrativ nichtsdestotrotz an der Norm der europäisch geprägten „New Immigration“ orientiert. Ergebnis ist ein umfassendes, aber harmonisiertes Bild, in dem unterschiedliche Migrationsbedingungen sowie je nach Zeit und Herkunft unterschiedliche Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft auf die Einwanderer in den Hintergrund treten. Der gemeinschaftsstiftende Gehalt der Präsentation zeigt sich auf zwei, sich ergänzende Weisen. Eine prozessuale Dimension wird deutlich in dem Bemühen, eine idealtypische „universal immigrant experience“ zu destillieren, die sich in mehreren klar definierten und aufeinander folgenden Phasen entwickelt. Die beiden zentralen Ausstellungen des Museums „Through America’s Gate“ und „Peak Immigration Years“ folgen dieser Struktur und implizieren so eine gemeinsame Geschichte aller Einwanderer, die überdies durch die Orientierung am Schicksal der glücklichen Immigranten eine Erfolgsgeschichte ist. Ihr Ziel findet sie unvermeidlich in der Ankunft in Amerika bzw. in der neuen Identität als Amerikaner. Im Verfolg ihres Ausstellungsrundgangs werden Besucher in diese Geschichte eingebunden, wobei ihre Identifikation – durch die Erzählperspektive, die Bandbreite an „individuellen“ Gesichtern, den performativen Nachvollzug der Phasen sowie die Rhetorik und Realität der familiären Bindungen – klar bei den „New Immigrants“ ist. Kritische Aspekte (wie Fremdenfeindlichkeit oder restriktive Einwanderungspolitik) werden in dieser Fassung problemlos integriert, insofern sie sich auf die „alte“, vorgefundene Struktur beziehen und nicht die Helden der Geschichte treffen, die „wir“ sind. So kann einerseits eine „kritische“ Geschichte erzählt und andererseits durch Identifikation mit den in dieser Geschichte „Marginalisierten“ ein positives Kollektiv konstruiert und dessen Konstitution gefeiert werden. Grundbedingung ist allerdings, dass nur die Probleme der Vergangenheit thematisiert werden, die Realitäten von und der Umgang mit Einwanderung in der Gegenwart jedoch ausgeblendet bleibt. Hier trifft die Einschätzung von Mike Wallace (1996: 70): „It would be perfectly possible to leave Ellis Island with warm feelings toward old migrants, and preexisting resentments of goks, spics, and towel-heads left intact.“ 189
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Eine metaphorische Dimension entdeckt sich in den zahlreichen Sinnbildern einer harmonischen multikulturellen Nation, seien es die Objekt-Vitrinen in „Treasures from Home“, die Flag of Faces, die American Immigrant Wall of Honor oder die erwähnten Tassen im Museumsshop. Diesen ist gemeinsam, dass sie einerseits ethnisch-national verstandene Differenzen (über Namen, Gesichter, Objekte…) deutlich sichtbar machen, gar betonen, sie andererseits harmonisch in einen größeren, nach innen ordnenden und nach außen begrenzenden Rahmen integrieren, der die Einheit (im Sinne von unity und entity) der Nation signifiziert. Die Inszenierung verdichtet die beiden Dimensionen in Ellis Island und in besonderem Maße in seinem Zentrum, der Great Registry, wodurch der Ort zum Brennpunkt und zur Klimax der Erzählung wird. In den Vordergrund tritt dabei trotz der Dokumentation im einzelnen weniger seine historische Funktion als Teil eines Grenzregimes, dessen Zweck die Auslese Unerwünschter war, sondern vielmehr die Charakterisierung als „Gateway to America“, als positiver Ort, an dem die Immigranten Willkommen geheißen und in die amerikanische Gesellschaft initiiert wurden. Ellis Island erscheint in dieser Inszenierung als Knotenpunkt und Trichter und damit in doppelter Weise als Ursprung der amerikanischen Einwanderernation. Als Knotenpunkt erlaubt er die Vorstellung einer Verbindung zwischen Menschen, die aus den verschiedensten Ländern und Verhältnissen kamen und nach Ellis Island wieder auseinander gingen, sich über die ganzen USA verstreuten. Hier, ikonisch in der Great Registry, kreuzen und verknüpfen sich jedoch, so will es scheinen, ihre Wege und wirken damit für immer miteinander verbunden. Indem Ellis Island auf diese Weise Gemeinschaft vorstellbar macht, liefert es Basis und Legitimation für die „vorgestellte Gemeinschaft“ der Nation. Im gleichfalls evozierten Bild des Trichters erscheint Ellis Island als der Ort, der die Schicksale von Millionen Menschen nicht nur punktuell verknüpft, sondern tatsächlich aneinander annähert. Im Durchschreiten des „Gateway to America“ werden in unmittelbar ereignishafter Transformation aus (so definierten) Italienern, Polen, Armeniern usw. nicht vollständig assimilierte und homogenisierte Einheitsamerikaner – das wäre die ältere Vorstellung von melting pot und Anglo-Konformismus, aber Italian Americans, Polish Americans und Armenian Americans. Indem Ellis Island in dieser Form nicht nur eine, sondern eine Vielzahl partikularer Geschichten ins amerikanische Narrativ integriert, schafft es einen Erinnerungsort für verschiedene „hyphenated identities“ und betont gegen die potentiell zentrifugale Tendenz die gemeinsame Identität als Amerikaner. Das Ellis Island Immigration Museum dehnt seine Präsentation schließlich über den engeren Rahmen der Geschichte der „New Immigration“ aus und bindet frühere und spätere Migrationsbewegungen in sein Narrativ ein. So entsteht eine Erzählung, die von der Einwanderung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts her gefärbt, in ihrem Kern also weiß und europäisch ist, die sich nun jedoch über die gesamte Geschichte der USA erstreckt und sich mithin maximal integrativ 190
ELLIS ISLAND IMMIGRATION MUSEUM
zeigt. Neben seiner schieren Größe und Prominenz ist es diese Ausdehnung des Narrativs, die das Ellis Island Immigration Museum de facto zum nationalen Einwanderungsmuseum der USA macht. Mit einem „cleveren taxonomischen Schachzug“ (Kirshenblatt-Gimblett 1998: 200) subsumiert Ellis Island in dieser Form nicht nur alle Einwanderungsgeschichten, sondern auch alle Orte, an denen sich diese festmachen ließen, sowie die Mythen, die mit ihnen verbunden sind. Damit wirkt es zum einen demokratisierend, zum anderen begrenzend. Plymouth Rock etwa ist so nur ein Einreisehafen unter vielen, die Pilgrim Fathers nur eine Sorte Einwanderer und der alte elitär-exklusive Ursprungsmythos der amerikanischen Geschichte und Nation nur eine Variation der Erzählung von Aufbruch, Hoffnung und erfüllender Ankunft. Zugleich fordert und befördert der so konstruierte Meta-Erinnerungsort mit seinem inklusiven Narrativ – das, daran sei mit Blick auf die American Indians erinnert, gleichwohl Ausschluss produziert – die Projektion unterschiedlichster Geschichten auf den einen symbolischen Ort und stellt sich damit der Partikularisierung von Erinnerung und Erinnerungsgemeinschaften entgegen.132 Durch diese doppelte Bewegung der Öffnung und Zentrierung fundiert das Ellis Island Immigration Museum die Reichweite und Wirksamkeit der nationalen Meistererzählung der Einwanderung und konsolidiert die „Vorstellung von Gemeinschaft“ unter den Bedingungen der Multikultur.
Fazit: Einwanderungsgeschichte im Ellis Island Immigration Museum In der Fallstudie des Ellis Island Immigration Museum habe ich zwei Komplexe beleuchtet: zum einen die Geschichte des Museums mit besonderem Augenmerk auf den Produktionsprozess seit Anfang der 1980er Jahre und zum anderen die ständigen Ausstellungen und Präsentationen, die das Museum seit seiner Eröffnung im Jahr 1990 ausmachen. Im Hinblick auf den Produktionsprozess habe ich gezeigt, dass im Rahmen des Projekts eine Vielzahl von Akteuren mit teils konträren geschichtspolitischen Motivationen und Intentionen aufeinandertrafen. Dabei habe ich argumentiert, dass eine patriotisch-glorifizierende Sicht von Einwanderungsgeschichte zwar der Initiierung des Projekts durch die ReaganAdministration zugrunde lag und die Entstehung des Museums nicht zuletzt in Gestalt der Fundraising-Kampagne öffentlich begleitete. In der Ausstellungskonzeption maßgeblich wurden jedoch Verfechter der New Social History, die eine solche Version explizit ablehnten und stattdessen das Projekt einer engagierten und kritischen Sozialgeschichte verfolgten. Gelesen habe ich das Museums nun, 132 In die Richtung tendiert auch Bodnars (1986: 147) Kritik: „The National Park Service […] cannot develop the statue and the island without choking off the development of alternative symbols and images of both immigrant and American history.“ 191
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
was wie ein Widerspruch erscheinen mag, als Inszenierung einer Meistererzählung der Nation, in der die Geschichte der Einwanderung als gemeinschaftsstiftendes Element fungiert und Differenzen zwischen Individuen und Gruppen harmonisch integriert sind. Dieser Befund ist, insbesondere in Hinsicht auf die Rolle und Wirkung der New Social History-Position, erklärungsbedürftig. Zum einen wird, gleichsam im Blick zurück vom Produkt auf den Prozess seiner Produktion, der Einfluss dieser Position etwas relativiert werden müssen und zwar vor allem durch Einbeziehung derjenigen Aspekte, die über die inhaltliche Ausstellungskonzeption im engeren Sinne hinausgehen. Der Historische Beirat etwa fokussierte – von den Konzeptpapieren bis hin zu Objektbeschriftungen – stark auf Text, befasste sich jedoch in weit geringerem Ausmaß mit der bildlichen und räumlichen Umsetzung der so abgestimmten Inhalte. Dies lag zum einen an der mangelnden Erfahrung der Historiker mit dem Medium Ausstellung und dessen Eigengesetzlichkeit, zum anderen an der spezifischen Arbeitsteilung innerhalb des Projekts, die die Verantwortung für das gestalterische Vokabular allein den Designern übertrug (Parker 1991: 82). Neben der Vernachlässigung von Laufwegen und Raumwirkungen wirkte sich dies, laut Beiratsmitglied Virginia Yans-McLaughlin (Interview 21.2.2005), auch in einzelnen prominenten Inszenierungen wie der Flag of Faces aus, die sie als Verkörperung eines kruden Patriotismus von Beginn an ablehnte, die von den Designern aufgrund der visuellen Wirkmächtigkeit indes dennoch umgesetzt wurde. Überdies wurden die Bemühungen um eine nüchterne und differenzierte Darstellung von Einwanderungsgeschichte, die im Museum an einzelnen Stellen durchaus erreicht wird, durch die Einbindung Ellis Islands als Ganzes in eine symbolisch und patriotisch aufgeladene Landschaft und in einen entsprechenden Diskurs überformt. Daneben – und wichtiger – gilt es von einer dichotomen Betrachtung Abstand zu nehmen und zu erkennen, dass zwischen den beiden vermeintlich konträren Auffassungen zur Präsentation von Einwanderungsgeschichte auf Ellis Island im Effekt weit mehr Kongruenz besteht, ja, dass bestimmte Positionen der Vertreter einer neuen Sozialgeschichte die Konstruktion einer gefeierten nationalen Meistererzählung geradezu beförderten. Drei Punkte erscheinen mir wesentlich: Zum einen ist dies die Entscheidung, innerhalb des nationalen Rahmens eine gemeinsame Geschichte der Einwanderer, eine „universal immigrant experience“ zu erzählen. Diese Position speiste sich, daran sei erinnert, im Wesentlichen aus der Kritik am älteren American Museum of Immigration in der Freiheitsstatue, dessen Präsentation streng nach Herkunftsgruppen strukturiert war. Die Abgrenzung gegen diesen als ethnisierend verstandenen Ansatz führte jedoch nicht zur Betonung anderer Differenzkriterien zwischen Individuen und Einwanderergruppen oder zur Thematisierung von Ethnisierung als gesellschaftlichem Prozess, sondern zur Harmonisierung von Differenz sowie von sozialen Widersprüchen und Konflikten im Konstrukt einer gemeinsamen Geschichte. In dieser ist die Vorstellung der nationalen Gemeinschaft bereits angelegt. Dass unterhalb der Ebene 192
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der gemeinsamen Geschichte/der Nation auch im Ellis Island Immigration Museum nationale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit als maßgebliches gesellschaftliches Ordnungskriterium angenommen und ethnisierend re-produziert werden, liegt in dieser Form der Abgrenzung als Verdrängung begründet. Ein zweiter Punkt ist die Perspektivierung der Erzählung aus der Sicht der historischen Immigranten und ihre Charakterisierung als aktive und rationale Akteure, die sowohl gegen Vorstellungen der Immigranten als anonyme Masse wie als passive Erdulder ihres Schicksals gemünzt waren. Verbunden mit dem Topos der schweren Prüfungen und ihrer Bewältigung entsteht darin ein Heldengeschichte der Marginalisierten, die Empathie erzeugt und Besucher komfortabel ins Narrativ – und in die gemeinsame Geschichte der Einwanderernation – einbindet. Schließlich ist es die von den Vertretern der New Social History vehement geforderte Ausweitung der engeren Geschichte Ellis Islands zum Zweck der Inklusion möglichst vielfältiger historischer Migrationserfahrungen und Migrantengruppen, die der Meistererzählung der Einwanderung auf Ellis Island erst die notwendige Reichweite gibt. Doch, noch einmal, weshalb diese Versuche der breiten Inklusion und zu welchem Ende? Warum muss auf Ellis Island die ganz andere Geschichte des Sklavenhandels mit ins Bild gebracht werden? Warum die wiederum spezifischen heutigen Migrationen aus dem Süden und aus Asien? Warum muss das Museum anschlussfähig gemacht werden für African, Asian und etwa Mexican Americans? Warum kann Ellis Island nicht ein Ort der partikularen Erinnerung an die im Wesentlichen europäische Einwanderung der Wende zum 20. Jahrhundert sein? Es sind die Prinzipien einer engagierten und selbstreflexiven Museumspraxis im Kampf gegen die Tradition der Exklusion, die eine solche Position bedingen. Doch im Effekt ist es mehr. Der Einsatz für visibility der sogenannten Minderheiten, die inzwischen in den USA die Mehrheit stellen, der Einsatz für deren Re-Präsentation in der traditionell weißen Institution Museum, der Versuch, Zugangsbarrieren zu verringern, indem Geschichten gezeigt werden, die mit dem kulturellen Erbe dieser Minderheiten vereinbar sind, trifft sich hier mit dem herrschaftlichen Projekt der Integration gesellschaftlicher Unterschiede und Ungleichheiten in einem größeren Ganzen und der Stiftung umfassender Gemeinschaft in der (Einwanderer-)Nation.133 Zur Verdeutlichung soll das Verhältnis von Produktionsprozess und Produkt sowie die Bedeutung des Museums noch aus einem anderen Winkel beleuchtet werden und zwar in der Rückschau auf die einschlägige Literatur. Drei Analysen seien, notwendigerweise schematisiert, gegenübergestellt: Michael Wallace (1996: 55-73) geht vom Produktionsprozess aus. Dabei konstatiert er nach eini133 Als Kritik der zugrunde liegenden „pluralist vision of full inclusivity at privileged sites“ sowie dem alternativen Entwurf von „multiply centered histories of encounter“ im Rahmen einer „Kontakt-Perspektive“ vgl. auch Clifford 1997: 214. 193
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
ger Beunruhigung über den zunächst vermuteten großen Einfluss konservativer Positionen (in Gestalt von Reagan und Iacocca) zurecht die maßgebliche Rolle kritischer Historiker in der Ausstellungskonzeption. Seine Einschätzung des Museums erscheint dann jedoch als verkürzende Vorwärtsprojektion dieses Befunds, insofern er in den Ausstellungen (bei Betonung mancher Desiderata) zahlreiche kritische Einzelaspekte präsentiert findet, den Rahmen der zelebrierenden und mithin patriotisch gefärbten Meistererzählung jedoch außer Acht lässt. Barbara Kirshenblatt-Gimblett (1998: 177-187) geht gleichsam umgekehrt vor und kommt nicht zuletzt deshalb zu einem anderen Ergebnis. Sie liest Ellis Island zutreffend als „repository of patriotic sentiment“ und die Präsentationen des Museums als Verkörperungen eines „master narrative of immigration“, das in glorifizierender Weise und im Dienst der nationalen Einheit abweichende historische Erfahrungen subsumiert. Ausgehend von dieser Lesart tendiert sie jedoch zu einer verfehlten Charakterisierung des Produktionsprozesses als durch konservative Eliten determiniert und nimmt die Rhetorik politischer Funktionsträger und Vertreter der Statue of Liberty-Ellis Island Foundation als willkommenen Beleg hierfür. Indem sie so aus dem Produkt, dem Museum, die Bedingungen und Motive seiner Produktion ableitet, trifft hier die Kritik Sharon Macdonalds (1996: 4f.), wonach Analysen, die sich auf Ausstellungslektüren beschränken, dazu tendieren, die Chaotik („messiness“) des Produktionsprozesses und die Einflüsse konfligierender Agendas zu ignorieren. Eben diese Kritik nehmen Luke Desforges und Joanne Maddern (2004; auch Maddern 2004a) zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung und versuchen, wie auch hier geschehen, die Positionen verschiedener Akteure und ihren Einfluss auf verschiedene Aspekte des Projekts freizulegen. Mit diesem Blick entdecken sie das Ellis Island Immigration Museum als „multivocal and fragmented heritage landscape“ und ordnen einzelne Elemente der Präsentation einzelnen Agendas zu: Die Wall of Honor oder die Flag of Faces beschreiben sie so als Teil eines „national space“, die Tafel zur Zwangsmigration afrikanischer Sklaven oder die Darstellung verschiedener Härten für Immigranten (wie Rassismus und Ausbeutung) in der Ausstellung „Peak Immigration Years“ als Teil eines „space of resistance“. Wiewohl die Differenziertheit dieser Analyse in erhellender Weise auf die Komplexität des Museums (im Allgemeinen und des Ellis Island Immigration Museum im Besonderen) hindeutet, offenbart die scheinbar klare Abgrenzbarkeit einzelner Elemente der Präsentation und deren Koppelung mit zugehörigen geschichtspolitischen Positionen zwei Schwächen: Zum einen suggeriert sie ein gleichwertiges und gleich wirkendes Nebeneinander dieser Elemente/Positionen. Mir scheint hingegen angemessener, von einer stärker hierarchischen Struktur des musealen Textes auszugehen und insbesondere zwischen einer Rahmenerzählung und bestimmten Einzelaussagen zu unterscheiden. Wie gezeigt und wie Desforges/Maddern richtig herausstellen, thematisiert das Museum an zahlreichen Stellen kritische und potentiell kontroverse Aspekte von Einwanderungs194
ELLIS ISLAND IMMIGRATION MUSEUM
geschichte. Diese sind jedoch aufgehoben und entschärft in dem, was Frisch/ Pitcaithley (1987: 164) in anderem Kontext „celebratory framework“ nennen, einem affirmativen, patriotisch-glorifizierenden Rahmen. Zum anderen stellt der skizzierte Befund die abgegrenzten Elemente in zu starke Opposition und vernachlässigt die Kongruenzen, die sich bei den in vielen Punkten konträren geschichtspolitischen Positionen im Effekt ergeben. Deutlich wird dies insbesondere in Madderns (2004a: 161, 167; dies. 2004b: 309f.) Tendenz, den patriotischen Diskurs als ausschließlich kulturell assimilationistisch zu verstehen und die Einbeziehung einer breiten Palette von Einwanderungsbewegungen dagegen als widerständige Anerkennung extra- bzw. transnationaler Diaspora-Geschichten abzusetzen. Ich habe indes argumentiert, dass die Inszenierung kultureller Vielfalt auf Ellis Island gerade nicht Diasporas (mit ihren Konstitutionsbedingungen, ihrer internen und externen Dynamik) ins Bild setzt, durch die die unproblematische Konstruktion der einen Nation in Frage gestellt wäre (Clifford 1997: 250f.), sondern dass darin die Vorstellung der Nation lediglich im Sinne eines „weichen Multikulturalismus“ reformuliert und reformiert wird. Um in Desforges/ Madderns Schematisierung zu bleiben: Die Positionen der New Social History nach Inklusion konstituieren im Fall des Ellis Island Immigration Museum nicht notwendig einen „space of resistance“, sondern durchziehen gerade auch den „national space“ bzw. tragen dazu bei, dass dieser seine breite integrative Wirkung entfaltet. Wie lässt sich das Ellis Island Immigration Museum also im größeren Kontext der Museumslandschaft verorten? Terence M. Duffy (2004: 117) schlägt seine Einordnung in die neue Kategorie der „Museums of Human Suffering“ vor. Neben Museen und Gedenkstätten zu Holocaust und Genozid, zu Sklaverei, Gefangenschaft und Folter, zum Kampf um Bürgerrechte und Frieden würde das Einwanderungsmuseum hier in eine Reihe gestellt mit Projekten, die einen signifikanten Beitrag zum Schutz der Menschenrechte und dem Aufbau einer globalen „human rights culture“ leisten.134 Wiewohl eine museale Ausgestaltung in diesem Sinne durchaus denkbar wäre, etwa mit Blick auf das Leid der Abgewiesenen, Internierten und Deportierten, trifft sich diese Charakterisierung nicht mit der tat-
134 Eine solche Einordnung wird durch den Beitritt des Ellis Island Immigration Museum zur International Coalition of Historic Site Museums of Conscience im Oktober 2001 gestützt. Der Zusammenschluss wurde im Jahr 1999 vom Lower East Side Tenement Museum in New York initiiert und zählt unter anderem das Gulag Museum in Perm, Russland, das Maison des Esclaves auf der Île de Gorée im Senegal, die Martin Luther King Gedenkstätte in Atlanta, USA, und die KZGedenkstätte Auschwitz zu seinen Mitgliedern (vgl. Abram 2005: 37-42; vgl. auch http://www.sitesofconscience.org (18.5.2009)). 2008 wurde aus diesem Kreis auch ein dezidiertes Immigration Sites of Conscience Network initiiert, das zunächst überwiegend US-amerikanische Einrichtungen umfasste (NYT 19.3.2009: F2). 195
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sächlichen Ausrichtung des Museums. Zum einen, weil die Protagonisten nicht als Opfer, sondern als Helden der Geschichte gezeigt werden, vor allem aber weil die Darstellung fast vollständig auf den nationalen Rahmen beschränkt ist und universale Implikationen darin unterbelichtet bleiben. Joanne Maddern (2004b) diskutiert ausgehend von der Verleihung des Welterbe-Status an Ellis Island im Jahr 1984, inwieweit das Museum als Verkörperung eines Weltgedächtnisses betrachtet werden kann, insofern es das seinem Wesen nach globale Phänomen der Migration beleuchtet. Auch hier gilt, dass das Potential gegeben wäre, dieses in der spezifischen Ausgestaltung des Museums – der Indienstnahme der prinzipiell transnationalen Geschichten nicht für die Dezentrierung, sondern die Affirmation der Nation – jedoch nicht realisiert wird. Mir scheint es – gemessen nicht an der Möglichkeit, sondern der Wirklichkeit der musealen Präsentation – am plausibelsten, das Ellis Island Immigration Museum als Version eines neuen Nationalmuseums zu sehen. Hier wird, wie an nur wenigen anderen Orten denkbar, eine nationale Meistererzählung für die multikulturelle Gesellschaft inszeniert, die in Zeiten der Besorgnis über „The Disuniting of America“ (Arthur M. Schlesinger) verbindend und gemeinschaftsstiftend wirken soll und bis zu einem gewissen Grad wohl kann. Indem diese nichts zur Grundlage nimmt als den gleichsam technischen Akt der Immigration und zugleich ihren Rahmen so weit spannt, dass er die verschiedensten historischen Momente, die disparatesten sozialen und kulturellen Hintergründe umfasst, entledigt sie sich mancher Kontroversen um das historische Fundament der „imagined community“. So wird einer der Gründe für die Infragestellung nationaler Meistererzählungen – Migration – zum Prinzip eben ihrer Re-Konstruktion. Dass die Erzählung von der Nation der Einwanderer, wie sie auf Ellis Island inszeniert wird, dabei durchaus exklusiv ist beziehungsweise innerhalb einer universalisierenden Rhetorik bestimmte soziokulturell dominante Formen zur Norm erklärt, darauf wurde im Zusammenhang mit der Rolle der Native Americans und der Zentralstellung der weißen, europäischen Immigranten im Narrativ hingewiesen. In der Perspektive auf die Fundierung einer nationalen Meistererzählung, so lässt sich festhalten, ist jedoch nicht nur Exklusion, sondern gerade Inklusion das interessante und zu problematisierende Phänomen. Die Fragen bleiben dabei virulent: Wie wirkungsvoll lassen sich disparate Migrationsgeschichten auf Ellis Island vereinigen? Wie groß ist das Absorptionsvermögen dieses Ortes? Kann sich das Ellis Island Immigration Museum auch in Zukunft als nationales Einwanderungsmuseum und mithin Nationalmuseum der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft positionieren? Oder läuft es Gefahr, angesichts von Forderungen nach und Planungen für die Einrichtung alternativer Orte der Musealisierung von Migration an der amerikanischen Westküste oder der Grenze zu Mexiko, die den Schwerpunkt auf die Migration aus dem Süden und aus Asien legen, zu einem Museum der partikularen europäisch geprägten „New Immigration“ abzu196
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steigen?135 Und würde eine solche Dezentralisierung dazu beitragen, die nationale Meistererzählung der Einwanderung zu verbreitern oder vielmehr – über die Manifestation differenter Identitätspolitiken – zu fragmentieren und damit tendenziell aufzulösen? Im Kontext dieser Fragen und Entwicklungen gewinnt das aktuelle Vorhaben einer Erweiterung des Ellis Island Immigration Museum besondere Bedeutung. Geplant ist der Ausstellung „The Peopling of America“, in der das Narrativ über den engeren Rahmen Ellis Islands ausgeweitet wird, mehr Gewicht zu geben und so den Status als nationales Einwanderungsmuseum zu unterstreichen. Erklärtes Ziel ist „to embrace the experiences of all Americans across the centuries“ (ESI Design 2004: 2). Neben einer stärkeren Beleuchtung der prä-Ellis IslandEinwanderung soll besonders die Geschichte der neuesten, zeitgenössischen Immigration vertieft werden – und dies in der Logik marktrationaler Demokratisierung, die bereits in der breiten Öffnung der Wall of Honor eine Rolle spielte, nicht zuletzt um neue und mehr Besucher anzuziehen. Konkret soll die Fläche der betreffenden Ausstellung von ca. 700 qm um weitere 1000 qm in einem angrenzenden Gebäude ergänzt werden, während die übrigen Ausstellungen in der alten Form erhalten bleiben. Neben der Vergrößerung ist geplant, die bislang auf visualisierten Statistiken basierende Präsentation derart zu verändern, dass auch hier die „immigrants’ experiences“ erlebbar, die Besucher mithin emotional einbezogen werden. Die so vitalisierte „Große Erzählung“ der Einwanderung soll explizit auch andere amerikanische Orte der Migration wie Angel Island und Castle Garden abdecken und mit ihrem Anfang „from the time humans first crossed the Bering Strait“ nun selbst Native Americans integrieren (die als älteste Immigranten dann wohl nur noch sogenannte „Native“ Americans wären). Zusammengehalten werden soll dieses weite historische Feld im epochen- und phänomeneübergreifenden Motiv der „Reise in ein neues Leben“. Ihr Fazit bildet die Sektion „Becoming Americans“, „[that] celebrates those immigrants who chose to become American citizens“, sowie eine Installation mit dem Titel „An American Tapestry, an image made up of thousands of photographs of Americans from every background“ (ebd.: 29f.). Welche Ausrichtung die neue Ausstellung im Ergebnis haben wird, ob und inwieweit sich darin auch Aspekte einer transnationalen Perspektive oder kontroverse Themen der Gegenwart wiederfinden lassen, wie an einigen Stellen des Entwurfs angedeutet, lässt sich bei einem Projekt, das noch in der Planungsphase ist und, laut Kuratorin Diana Pardue, nicht vor 2011 135 In den USA sind momentan weitere drei Immigrationsmuseen im Aufbau: das New Americans Museum in San Diego, das seit Juni 2008 bereits erste Ausstellungen zeigt, das Pacific Coast Immigration Museum in San Francisco (beide Kalifornien) und das Paso Al Norte Museum in El Paso (Texas). Überdies sollen die Ausstellungen und Programme in der ehemaligen Einwanderer-Kontrollstation auf Angel Island in der San Francisco Bay ausgebaut werden (vgl. Hoskins 2004, 2006). 197
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realisiert werden wird, nicht abschließend beantworten. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die Präsentation der Konstruktion und Konsolidierung einer nationalen Meistererzählung verpflichtet bleibt. Migrationsgeschichte im Ellis Island Immigration Museum wäre dann auch in Zukunft vor allem die gefeierte Geschichte der Nation.
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Mosaik, Museum, Multikulturalismus: Pier 21 – Canada’s Immigration Museum
„Pier 21 is the personification of the promise that this country holds. It is a metaphor for Canadian diversity and the welcome point that our country has for all cultures.“ (Roberta L. Jamieson, Seven Wonders of Canada)1 Am 1. Juli 1999 öffnete das Museum Pier 21 sein Pforten. Gelegen in Halifax, der Hauptstadt der Provinz Nova Scotia an der kanadischen Ostküste, firmiert es seither selbstbewusst als Kanadas Einwanderungsmuseum. Betrachtet man allein seine Größe und Besucherzahlen, so ist es mit dem amerikanischen Gegenstück im Hafen von New York kaum zu vergleichen. Die Ausstellungsfläche beträgt mit ca. 900 qm gerade ein Zehntel des Ellis Island Immigration Museum. Die Besucherzahlen gehen nicht in die Millionen, sondern lagen seit der Eröffnung konstant um die 50.000 pro Jahr. Und auch die Dimensionen seiner Produktion waren andere. Statt eines nationalen Projekts unter der Obhut einer staatlichen Institution ging das Museum hier aus einer lokalen, privaten Initiative hervor. Dessen ungeachtet sind die beiden Museen, wie sich im Folgenden zeigen wird, verbunden durch Ähnlichkeiten und Transfers. Augenfälligste Überschneidung zwi1
Der Satz entstammt der Begründung, mit der Pier 21 und sein Museum im Jahr 2007 zu einem der „Seven Wonders of Canada“ erklärt wurden. In der Wahl, die von der staatlichen kanadischen Rundfunkanstalt CBC organisiert wurde, waren Kanadier aufgerufen, über eine Vielzahl eingereichter Vorschläge online abzustimmen (vgl. http://www.cbc.ca/sevenwonders (27.5.2009)). Der Umstand, dass die sieben Finalisten schließlich ohne Rücksicht auf das Resultat dieser Abstimmung von drei Juroren bestimmt wurden, stieß auf einige Kritik. Im Hinblick auf Pier 21, das in der öffentlichen Wahl über Platz 26 nicht hinaus kam, mag von Bedeutung gewesen sein, dass CBC zu einem der Hauptsponsoren des Museums zählt. 199
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schen Pier 21 und dem Ellis Island Immigration Museum ist – wie bereits im Namen der beiden impliziert – die Einrichtung in einer ehemaligen EinwandererKontrollstation. Wenn diese in Halifax auch anders aussehen mag – moderner, schlichter, so prägt die Verortung am „authentischen“ Ort auch hier das Narrativ des Museums wesentlich.
Abb. 14: Das Museum Pier 21 in Halifax Aus diesem Grund soll auch die Fallstudie des kanadischen Einwanderungsmuseums mit einer Skizze der Geschichte seines Ortes beginnen. Gefolgt wird diese von einer Re-Konstruktion des Produktionsprozesses des Museums und einer Analyse seiner Präsentationen. In der Darstellung wird deutlich werden, dass das Museum aus geschichtspolitischen und tourismusökonomischen Impulsen ein verklärtes Bild kanadischer Einwanderungsgeschichte entwirft. Komplexitäten und Kontroversen historischer und gegenwärtiger Migrationen treten im Bemühen der Re-Präsentation, Fundierung und Feier einer multikulturellen Nation in den Hintergrund.
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PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Eine kurze Geschichte von Pier 21 Pier 21 eröffnete im März 1928 als Teil eines neu gebauten, seinerzeit hochmodernen Ocean Terminal. Während im Erdgeschoss des industriellen Zweckbaus fortan Überseefracht verladen wurde, richtete das Department of Immigration and Colonization im ersten Stock eine Einwanderer-Kontrollstation ein, die bis 1971 in Betrieb war. Ähnlich wie im Falle Ellis Islands basierte die Einrichtung auf einer Verschärfung der Einwanderungspolitik. Während des gesamten 19. Jahrhunderts war die Migration nach Kanada im weitesten Sinne unbeschränkt gewesen. Diese „free-for-all immigration“ endete 1895 mit der Einführung von Beschränkungen für Personen mit angeblichen physischen oder psychischen Defekten, die als potentielle Sozialfälle eingestuft wurden, für Personen mit „zweifelhaftem Charakter“ und für Personen, die für „rassisch und kulturell nicht assimilierbar“ erklärt wurden. Mit Verabschiedung des Immigration Act von 1923 wurde die Einwanderung aus China und den meisten anderen asiatischen Ländern sowie aus Afrika (mit Ausnahme des weißen Südafrikas) gänzlich unterbunden. Bis zur Aufgabe der rassistischen Grundsätze der kanadischen Einwanderungspolitik im Jahr 1962 und der Ersetzung durch die Selektion entlang ökonomischer Verwertungskriterien privilegierten die Bestimmungen in erster Linie britische, in zweiter Linie europäische Einwanderer (Lynch/Simon 2003: 55-57; Parks Canada 2004: 9). In der schlichten Zweckmäßigkeit seiner baulichen Gestalt reflektierte die Einrichtung im Süden von Halifax, die an die Stelle einer älteren auf der anderen Seite des Hafens trat, die Prinzipien eines rationalisierten Einwanderungsprozesses. Sie umfasste mehrere Wartesäle, eine Krankenstation, zwei Küchen, einen Speisesaal, Schlafsäle sowie einen Block mit zehn fensterlosen Zellen. Neben der Einwanderungsbehörde und dem Zoll waren im Gebäude soziale und religiöse Organisationen zur Betreuung von Immigranten vertreten sowie Schalter für Zugfahrkarten und Geldwechsel. Einwanderer wurden hier, nachdem sie bereits vor Besteigen der Schiffe überprüft worden waren, einer medizinischen und bürokratischen Kontrolle unterzogen. Die meisten verbrachten nur wenige Stunden in der Station, bevor sie über den angeschlossenen Bahnhof ihre Reise in den Westen Kanadas fortsetzten. Diejenigen, die wegen ihrer Gesundheit, wegen fehlender Dokumente oder finanzieller Mittel, wegen ihrer Herkunft oder aus anderen Gründen aussortiert wurden, gelangten in die Krankenstation und die Internierungsabteilungen, die vom Hauptwartesaal abgesehen den Großteil von Pier 21 ausmachten und entlang rassistischer Prinzipien in Bereiche für britische Männer, für britische Frauen und für den gesamten Rest unterteilt waren. Abhängig vom Ausgang der weiteren Überprüfungen wurden die Internierten nach einiger Zeit zugelassen oder aber deportiert (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 13-21; Parks Canada 2004: 9f.).
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Im ersten Jahr seines Betriebs wanderten etwa 165.000 Immigranten über Pier 21 nach Kanada ein. Bereits kurz darauf kehrte sich die Hauptrichtung der Migration jedoch um: Im Zuge der Weltwirtschaftskrise fiel die Zahl der Einwanderer auf ein Zehntel, während die der Auswanderer, nicht zuletzt aufgrund der mit der Krise einhergehenden ausländerfeindlichen Stimmung in Kanada (Palmer 1990b: 183f.), stark anstieg. Pier 21 wandelte sich von einer Einreisezur Ausreisestation (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 51-52). Dieser Charakter hielt sich, wenngleich unter anderen Vorzeichen, auch während des Zweiten Weltkriegs. Halifax wurde zum wichtigsten Kriegshafen Kanadas und von Pier 21, das nun größtenteils dem Kommando des Militärs unterstellt war, liefen sämtliche kanadische Truppen aus. Einwanderung beschränkte sich in diesen Jahren auf deutsche Kriegsgefangene und 3000 britische Kinder, die vor dem Krieg in Sicherheit gebracht wurden (sog. „evacuee children“). Jüdische HolocaustFlüchtlinge wurden kaum aufgenommen (Abella/Troper 1982). Erst in der unmittelbaren Nachkriegszeit – und nur dann – wurde Halifax zum wichtigsten kanadischen Einwanderungshafen (Anick 1987). Pier 21 sah zunächst die Rückkehr der kanadischen Truppen und anschließend die Ankunft von knapp 50.000 zumeist britischer „War Brides“ und ihrer 20.000 Kinder. Seine volle Kapazität erreichte die Kontrollstation als Durchgangspunkt für circa 100.000 Flüchtlinge und Displaced Persons, vornehmlich aus Ost- und Südeuropa. Zeitweise waren über 400 von ihnen gleichzeitig interniert, während über ihre Zulassung oder Deportation entschieden wurde (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 83-95). Mit Ende der 1940er Jahre setzte eine regulierte und kontrollierte Arbeitsmigration ein, die in der aktiven Anwerbung von Arbeitskräften, insbesondere für die Landwirtschaft, gründete. In der folgenden Dekade wanderten jährlich circa 45.000 Menschen über Halifax nach Kanada ein, entsprechend der nach wie vor rassistisch begründeten Einwanderungspolitik vor allem aus Großbritannien, Italien, Holland, Deutschland, Frankreich und verschiedenen Staaten Osteuropas. Pier 21 fungierte als Filter zur Durchsetzung dieser Politik. Als in den 1960er Jahren der Flug- den Schiffsverkehr nach und nach zu ersetzen begann und die Besserung der ökonomischen Lage in Westeuropa sowie die Veränderung der kanadischen Einwanderungspolitik zu einer Verringerung der Zuwanderung aus Europa führten, nahm die Bedeutung Halifax’ als Einwanderungshafen rapide ab. Gegen Ende der sechziger Jahre wurde der Ozeanverkehr praktisch eingestellt und im März 1971, dem Jahr, in dem der Multikulturalismus in Kanada zur offiziellen Staatsideologie erhoben wurde, wurde die Kontrollstation am Pier 21 geschlossen. Ein Teil des Gebäudes wurde als Lagerhaus weitergenutzt, die Räumlichkeiten der Einwanderungsbehörde blieben lange Zeit leer. Ab Mitte der achtziger Jahre richteten sich zahlreiche Künstler illegal, aber geduldet, Ateliers in dem Komplex ein, bis ihn 1996 die Pier 21 Society mit ihren Plänen für ein Einwanderungsmuseum übernahm (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 162-166; Chronicle Herald 5.9.1996: B8; Parks Canada 2004: 4). 202
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Die Produktion des Museum Pier 21 Die Produktion des Einwanderungsmuseums am Pier 21 war, verglichen mit dem Ellis Island Immigration Museum, ein geradliniger und weniger komplexer Prozess. Beteiligt war eine überschaubare Anzahl Akteure. Scharfe Auseinandersetzungen über Form und Inhalt der Präsentation blieben aus. Aus diesem Grund wird die Entstehung im Folgenden weitestgehend chronologisch skizziert, wobei insbesondere die maßgeblichen Projektbeteiligten und ihre Positionen in den Blick genommen werden. Ergänzt und kontrastiert wird diese akteursorientierte Perspektive abschließend durch die Verortung des Projekts im Kontext der andauernden Umgestaltung des Hafens von Halifax zum Tourismus-Magnet. Im Anschluss an die Überlegungen von Bella Dicks (2003) wird das Museum mitsamt der aktuellen Planungen für seine Erweiterung dabei als Produkt einer „cultural economy of visitability“ interpretiert.
Die Anfänge: Pier 21 Society Am 8. März 1988, 17 Jahre nach Schließung der Kontrollstation, begann die Musealisierung von Pier 21. In einer Gedenkzeremonie wurde das 60-jährige Jubiläum der Eröffnung begangen, die Landung von Einwanderern nachgespielt, und eine improvisierte Führung durch das Gebäude fand beachtliches Interesse. Bereits einige Zeit zuvor waren in Halifax Stimmen für eine neue Nutzung des alten Geländes laut geworden. Die Multicultural Association of Nova Scotia etwa, die sich seit Beginn der achtziger Jahre um die Anerkennung des kulturellen Erbes der Einwanderung in der Provinz bemühte, hatte die Entwicklung einer „Multicultural Plaza“ angeregt, eines Komplexes mit Museum, Theater, Boutiquen und Büros (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 170; Chronicle Herald 5.3.1988: 17; Globe and Mail 5.3.1988). Seinen institutionellen Rahmen fand das Projekt einer Musealisierung von Pier 21 nun mit Gründung der Pier 21 Society im selben Jahr. Ziel der gemeinnützigen Organisation war es, das Gebäude der ehemaligen immigration station, der letzten erhaltenen seiner Art in Kanada, durch die Umgestaltung in ein Museum vor dem Verfall und seine Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Initiator, erster Vorsitzender und Ideengeber der Gruppe, die sich aus einer Handvoll lokaler Interessierter zusammensetzte, war der Weltkriegsveteran und frühere Direktor der Einwanderungsbehörde von Nova Scotia, J.P. LeBlanc. Dieser war als Soldat von Pier 21 ausgelaufen, seine Frau war als „War Bride“ nach Kanada gekommen, und er selbst hatte jahrelang vor Ort gearbeitet. Motiviert durch seine persönliche Verbindung hatte der HobbyHistoriker bereits 1978 einen ersten historischen Abriss von Pier 21 verantwortet und fungierte als Co-Autor der bis heute einzigen Monographie zu dessen Geschichte (Pier 21 Story 1978; Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988). Sein Blick
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auf Pier 21 war, den beiden Publikationen nach zu urteilen, geprägt von Romantisierung und Nostalgie. Im Vorwort der „Pier 21 Story“ von 1978 schreibt er: „For fifty years the people who staffed Pier 21 played a vital role in Canada’s immigration history. During that time over 1.5 million new Canadians joined our country through the portals of Pier 21 to start a new life. Through the long hours, the heartaches, the frustrations, a group of people represented Canada. They exemplified the best ideals of dedicated public service. This group was made up of volunteers from churches and other service organizations, and staff from various federal agencies, including, of course, our own immigration officials. They played host to strangers for annual special events such as Christmas. They communicated with hundreds of thousands of people including many whose language they did not understand. They had to reassure, to encourage, to supply information, to help literally thousands of special cases. […] This short story of Pier 21 is dedicated to the volunteers and officials who greeted the newcomers to Pier 21.“
In besonderem Maße lag seiner Sicht eine personalisierende Verklärung der Arbeit der Grenzbeamten zugrunde, die an anderer Stelle des Berichts als „people who acted as true humanitarians in welcoming thousands of new Canadians“ bezeichnet werden. In gleichem Sinn wertete er die Rolle der Kontrollstation als Ganzes: „Halifax’s Pier 21 can be proud of the gracious and humanitarian role that she has played in the building of modern-day Canada“ (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 166). Neben dem denkmalschützerischen Anliegen war die Initiative der Pier 21 Society so von Beginn an von einem geschichtspolitischen Impetus getragen: Zum einen ging es um die positive Würdigung der Leistung der Einwanderungsbehörde, zum anderen galt es die Einwanderung durch Pier 21 als Kernstück einer progressivistischen Meistererzählung der kanadischen Nation zu etablieren. Das Phänomen der Migration sowie in der Verlängerung die kanadische Gesellschaft wurden dabei kulturalistisch und harmonisch-organisch gefasst. Über die Migranten etwa heißt es: „Each of these new arrivals has served as the weaver at the loom that is Canada. Each has added the colours and textures of his own particular culture to the Canadian tapestry in progress.“ (Duivenvoorden Mitic/LeΒlanc 1988: 10) Die Aktivitäten der Pier 21 Society blieben in der Anfangszeit von geringer Reichweite. Sie beschränkten sich auf monatliche informelle Treffen, in denen Spenden gesammelt und Ideen ausgetauscht wurden, wie eine Würdigung der Geschichte von Pier 21 erreicht werden könnte. Als LeBlanc 1993 gesundheitsbedingt vom Vorsitz der Pier 21 Society zurücktrat, rückte Ruth Goldbloom an seine Stelle und fungierte nun bis weit nach der Eröffnung des Museums 1999 als treibende Kraft und maßgebliche Stimme des Projekts. Goldbloom, Spross einer jüdischen Familie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Russland nach Kanada eingewandert und inzwischen zu einigem Wohlstand gekommen war, hatte sich in Halifax bereits einen Namen als Mäzenin gemacht. Darüber hinaus ver204
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fügte sie über Erfahrung im Fundraising und beste Kontakte zur regierenden Liberal Party. Unter ihrem Vorsitz veränderte sich die Initiative in zweierlei Hinsicht: Zum einen wurde die Arbeit professionalisiert, eine Machbarkeitsstudie und die Entwicklung eines Master Plan in Auftrag gegeben. Überdies wurde aktives Lobbying für das Projekt, auch über Halifax hinaus, gestartet. Zum anderen wurde die inhaltliche Bestimmung um einen Aspekt erweitert. In Goldblooms Lesart sollte Pier 21 ein Zeichen für einen respektvollen Umgang mit Immigranten heute setzen sowie bestehenden Anti-Einwanderungstendenzen und Unzufriedenheiten mit dem Multikulturalismus in Kanada entgegenwirken (Tunbridge/Ashworth 1996: 189; Lynch 2001: 4f.). Die nostalgische Note J.P. LeBlancs wurde mithin um eine aktive und gestaltende Ausrichtung ergänzt. Die große Linie der Pier 21 Society blieb jedoch erhalten. Das zentrale Anliegen und die Strategie zur Schaffung gesellschaftlicher Akzeptanz gegenüber Migranten bestand in der wirkungsvollen Verbreitung der Erzählung von Kanada als Land der Einwanderer, wie Goldbloom beschreibt: „Our goals are to tell our children and other generations that we are a country of immigrants, that except for our First Nation people we are all immigrants. And whether you came in 1800 or 1900 or 2006 – people came for the same reasons. You came because of poverty, religious force, persecution or just wanting a better home life and family life for your own family. Nothing has changed! […] And when people say to me: ‚Well, you know, my family came in 1700.’ And I say: ‚Why?’ And they say: ‚Well, things were very difficult in Ireland, or things were very difficult here or there.’ And I say: ‚They’re immigrants!’ And there’s always a little bit of a startled look, because they don’t consider themselves immigrants. We’re all immigrants in this country […] And it’s through the immigrant population, it’s through the diversity of Canada that we have such a great country.“ (Interview 14.8.2006)
Erklärtermaßen sollte sich das Augenmerk dabei nicht auf problematische Facetten in der kanadischen Einwanderungsgeschichte, wie die jahrzehntelang gültigen rassistischen Grundsätze der Einwanderungspolitik, die ökonomische Ausbeutung von Migranten oder periodisch ansteigende Wellen von Xenophobie (Avery 1995; Henry u.a. 2000), richten. Ruth Goldbloom erklärt ihre Position: „Certainly we have blemishes, there is no country in the world that doesn’t have a blemish. […] But, you know, you can’t go back and keep accusing – you go forward. You can’t accuse. There are lots of tragic things that happened over the years in our world, but you have to move forward and hopefully you can make them better.“ (Interview 14.8.2006) Oder an anderer Stelle: „The revitalized Pier 21 will marry the best of our past and the promise of our future.“ (Cronicle Herald 16.10.1997) Im Frühjahr 1994 zeigte die Pier 21 Society in der Galerie der Mount Saint Vincent University in Halifax, deren Kuratoriumsvorsitzende Goldbloom war, 205
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
eine erste Ausstellung, die in Keimform bereits die spätere Präsentation im Museum Pier 21 erkennen ließ (In Transit 1994). „In Transit. Pier 21, Halifax, Nova Scotia“ betonte, ganz im Sinne der Positionen von LeBlanc und Goldbloom, die segensreiche Rolle der ehrenamtlichen Helfer und Grenzbeamten, die nicht davor zurückscheuten, mittellosen Migranten mit Geldgeschenken auszuhelfen. Die Einwanderer erschienen im Gegenzug als dankbare Empfänger, die dann ihrerseits bereitwillig einen Beitrag zum wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt Kanadas leisteten. Überdies wurde an die Rolle von Pier 21 im Zweiten Weltkrieg erinnert und die folgende Aufnahme der „War Brides“ als emotionaler Höhepunkt inszeniert. Das Fazit der Ausstellung bestand im emphatischen Bekenntnis zu einer egalitären, multikulturellen Einwanderernation: „We are all immigrants. […] We come from England, Scotland and Ireland, from France, Italy and Hungary, from Cuba and the Caribbean, from Africa and Asia, from all over the world. We are Canada.“2
Auf dem Weg zur Realisierung Das Projekt einer Musealisierung von Pier 21 nahm seinen Ausgang also als lokale und private Initiative, die keine formelle Verankerung in bestehenden Institutionen wie einem Museum, einer Universität oder im politischen Apparat hatte. Dennoch wäre es verfehlt, sie als gewöhnliche grass roots-Initiative zu beschreiben. Nicht zuletzt über die Person Goldblooms und ihre Kontakte war das Projekt, wie Tamara Vukov (2000: 91) richtig feststellt, in ein informelles, aber mächtiges soziales Netzwerk von „establishment heavyweights“ (Newman 1996: 56) eingebunden. Diese Nähe zur politischen und wirtschaftlichen Elite Kanadas zeigte sich etwa in der Zusammensetzung des National Advisory Board, das auf Betreiben Goldblooms eingerichtet wurde und insbesondere Lobby-Arbeit für das Projekt betreiben sollte. Neben Intendanten überregionaler Fernsehanstalten und Universitätspräsidenten fanden sich dort Vorstandsvorsitzende kanadischer Unternehmen sowie ein Mitglied des kanadischen Senats (Newsletter „Passages“ November 1997: 3). Der Durchbruch auf dem Weg zur Realisierung erfolgte im Zusammenhang mit dem Gipfel der sieben führenden Industriestaaten, der 1995 in Halifax stattfand. Goldbloom, von Vertrauten in der Hauptstadt Ottawa informiert, richtete den Schwerpunkt ihrer Lobby-Arbeit auf das Team, das ein halbes Jahr vor Beginn des G7 die Verhältnisse vor Ort klären sollte: „I talked about Pier 21 and I talked about what it would do for our country“ (Goldbloom-Interview 14.8.2006). Die spezielle Form der Erzählung, die die Geschichte der Einwande2
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Die Reihenfolge der Länder sowie die abnehmende Spezifik der Bezeichnung können als Ausdruck latenter Hierarchisierungen in dieser vermeintlich egalitären Ideologie gelesen werden.
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rung durch Pier 21 als nationale Erfolgsgeschichte präsentierte, und die politischen Kontakte Goldblooms zeitigten Erfolg: Premierminister Jean Chrétien verkündete zum Abschluss des Gipfels den Beschluss, das Museumsprojekt als Vermächtnis an die Gastgeberstadt zu unterstützen. Die Hälfte der für die Realisierung veranschlagten 9 Mio. kanadischen Dollar (heute knapp 6 Mio. Euro) sollte der kanadische Staat beitragen, wobei 2,5 Millionen vom Bund, 1,5 Million von der Provinz und 500.000 von der Stadt Halifax selbst kommen sollten. Mit der Sicherung der Hälfte der Finanzierung rückte das Vorhaben einer Musealisierung von Pier 21 aus dem Stadium einer Idee in die Nähe ihrer Verwirklichung. Um die ausstehenden Mittel einzuwerben, startete die Pier 21 Society in der Folge eine nationale Öffentlichkeits- und Fundraising-Kampagne. Adressiert wurden Vereinigungen von Veteranen und „War Brides“, ethnische und multikulturelle Organisationen, Politiker und Privatpersonen, in erster Linie jedoch große Unternehmen (Toronto Star 9.11.1996). Ähnlich wie in der weit größeren Kampagne für das Ellis Island Immigration Museum standen leicht vermittelbare, positive und patriotische Inhalte im Mittelpunkt, die sich in diesem Fall jedoch, nicht zuletzt aufgrund der personellen Überschneidung, ganz im Einklang mit den inhaltlichen Positionen der Museumsmacher befanden. Goldbloom etwa annoncierte Pier 21 als Höhepunkt in einer Fassung kanadischer Migrationsgeschichte, die ausschließlich entlang eines linearen Fortschrittsnarrativs vermessen war: „For so many millions of Canadians, their loved ones and ancestors, Pier 21 represented a turning point, a ‚passage’ from persecution to freedom, from war to homecoming and from poverty to opportunity.“ (Newsletter „Passages“ November 1997: 1) In dieser Form diente die Geschichte der Einwanderung und der Kontrollstation am Pier 21 im Wesentlichen als Beleg für die Größe Kanadas und als Anlass zur Feier einer behaupteten gemeinsamen Identität, wie der Journalist und begeisterte Unterstützer des Museumsprojekts, Peter C. Newman, anlässlich einer Fundraising-Veranstaltung proklamierte: „We are all boat people […] I believe it’s time we began to sing some songs in praise of ourselves. Too often, we put ourselves down.“ (ebd.) In dieses Narrativ konnten sich Unternehmen ohne Weiteres einschreiben und die Beteiligung von 36 Sponsoren, darunter Chrysler Canada, der Energiekonzern Petro-Canada und die Bahngesellschaft Canadian National, trug maßgeblich zur Erzielung der erforderlichen Summe bei . Dabei kann in diesem Projekt weder, wie Vukov (2000: 92) nahelegt, von einer Beeinflussung der Inhalte durch die großen Geldgeber, noch von einer Veränderung der Ausrichtung oder Rhetorik zugunsten einer leichteren Vermarktung ausgegangen werden. Vielmehr trafen sich hier die Vorstellungen der Pier 21 Society von Beginn an mit dem Bedürfnis der Sponsoren nach Assoziation mit positiven Bildern und Geschichten. Wenn der Vorsitzende von Chrysler Canada anlässlich der Übergabe von 250.000 Dollar und der Stiftung des Chrysler Welcome Pavillion für das Museum, Pier 21 als „permanent and living testament to freedom and 207
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to Canada“ (Chronicle Herald 24.6.1998) bezeichnete, so fügte sich dies nahtlos in das Konzept der Museumsmacher ein.3 Ein auffälliger Aspekt in der Werbekampagne für das Projekt sowie im Diskurs um das Museum im Allgemeinen war die permanente Bezugnahme auf Ellis Island, dessen 1990 eröffnetes Einwanderungsmuseum sich zum Zeitpunkt der Planungen in Halifax bereits erfolgreich als Besuchermagnet und touristisches Reiseziel etabliert hatte. Goldbloom titulierte Pier 21 etwa als „Canada’s answer to Ellis Island“ (Globe and Mail 28.6.1999: A5). An anderer Stelle versprach sie: „We’re going to do for Canada what Ellis Island did for the United States“ (Toronto Star 8.12.1998: F8).4 In der Berichterstattung fand diese Parallelisierung, die nicht zuletzt dazu dienen sollte, den relativ unbekannten Geschichtsort zu popularisieren, bereitwillig Aufnahme und Verbreitung. Was genau Pier 21 für Kanada, wie Ellis Island für die USA, tun könne, benannte ein Kommentator dabei mit beachtlicher Klarheit: „Pier 21 should do for Canada what Ellis Island has done for America – romanticize and idealize immigration, and put poetry around it to replace some of our whining“ (Toronto Star 27.6.1999: A13).5 Neben der diskursiven Dimension erfolgte ein Transfer von dem älteren und weitaus größeren Einwanderungsmuseum zum Museum Pier 21 in einzelnen Elementen. Bewusst oder unbewusst übernommen wurde etwa die Bezeichnung „Treasures 3
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Die starke Beteiligung von Sponsoren aus der Wirtschaft bei der Umgestaltung von Pier 21 scheint dabei nicht nur Zustimmung gefunden zu haben. Unter der Überschrift „Money for Pier 21“ berichtet ein kurzer Kommentar in der Halifax Daily News (25.6.1998: 16) anlässlich der öffentlich inszenierten Spende von Chrysler Canada von „some groans about the ‚commercialization’ of the Pier 21 revitalization project“. Woher die Unmutsbekundungen kamen bzw. welche Kreise sie zogen, ist dabei nicht dokumentiert und ließ sich auch nicht mehr rekonstruieren. Der Autor selbst jedenfalls verweist auf die Unumgänglichkeit dieser Art der Finanzierung und sieht in den Sponsoren gar Garanten einer erstklassigen Präsentation. Gegen eine Vorstellung der Einflussnahme vonseiten der Geldgeber grenzt sich James Morrison, Mitglied des Vorstands der Pier 21 Society, scharf ab: „It would be an interesting issue to try to fundraise without going to the corporate sector. I think what the issue becomes is to what extent is the corporate sector telling you what to do. That’s the issue. If their money is tied, we don’t want it.“ (Interview 16.8.2006). Mitunter gingen die Parallelisierung und die Ambitionen sogar noch weiter. In einem Vortrag, den sie bereits 1987 hielt, verkündete Goldbloom: „I hope the day will come when Halifax Harbor will boast its own version of the Statue of Liberty“ (Pier 21 Archiv 2). Ein anderer Kommentator nahm die verbreitete Rede von Pier 21 als „Canada’s Ellis Island“ dagegen zum Anlass einer Abgrenzung gegenüber dem Nachbarn USA bzw. für einen Appell an kanadisches Selbstbewusstsein: „Why do we have to relate all our Canadian institutions to American ones? I prefer to think of Ellis Island […] as America’s Pier 21“ (Chronicle Herald 6.7.1999: B2).
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from Home“, der Titel einer Ausstellung auf Ellis Island, für eine Objektvitrine. Die signifikanteste Übernahme erfolgte jedoch ebenfalls im Kontext des Fundraising: Nach dem Vorbild der American Immigrant Wall of Honor entwickelte die Pier 21 Society die Sobey Wall of Honour, benannt nach dem Hauptsponsor, der Stiftung eines kanadischen Supermarkt-Magnaten. Bei wesentlich schlichterem Design wurden dieser die selben Prinzipien zugrunde gelegt wie der amerikanischen Vorlage. Für 250.- kanadische Dollar können Tafeln mit dem Namen zu Ehrender erworben werden, die im Eingangsbereich des Museums präsentiert werden, wobei auch die spendenökonomisch sinnvolle Offenheit und die Diktion nahezu identisch übernommen wurden: „Whether your family arrived in Canada through Pier 21 or any other gateway, the Sobey Wall of Honour provides an opportunity for all Canadians to celebrate their heritage.“ (Pier 21 Archiv 1)
Ausstellungskonzept und Gebäudegestaltung Parallel zur Fundraising-Kampagne begannen ab 1996 die Ausarbeitung des Ausstellungskonzepts und die Planungen für die Umgestaltung des Gebäudes. Mit den Arbeiten betraute die Pier 21 Society die Firmen Lyden Lynch Architects aus Halifax, die bereits an anderen Projekten mit Goldbloom zusammengearbeitet hatten, und als deren Subunternehmer die Ausstellungsgestalter Design+ Communication aus Montreal. Zunächst führten diese konkreten Schritte zur Realisierung des Museums jedoch zu Widerspruch von zwei Seiten. Auf lokaler Ebene geriet das Museumsprojekt in Konflikt mit den über vierzig Künstlern, die in dem Gebäude Ateliers unterhielten und nun ihre Vertreibung fürchteten. Seit Mitte der achtziger Jahre hatte eine wachsende Anzahl von Künstlern und Kunsthandwerkern die ungenutzten Teile von Pier 21 bezogen, und nach und nach war ein lebendiger Zusammenschluss von Kreativen entstanden (Peck 1994; MacLean 1998). Der drohende Verlust ihrer Arbeitsgrundlage brachte diese nun in Antagonismus zu dem Vorhaben einer Musealisierung von Pier 21. In exemplarischer Weise adressierten sie dabei die Problematik der Umwidmung eines Ortes zur historischen Stätte im Angesicht seiner gegenwärtigen Nutzung. So forderte etwa einer der betroffenen Künstler: „The Pier 21 Society has to realize that there’s a Pier 21 happening today too“ (Halifax Daily News 30.7.1996: 30; auch Toronto Star 9.11.1996: H9). Das Motto der Flugblätter, auf denen sie unter dem Titel „Pier 21 Today“ für öffentliche Unterstützung warben, lautete denn auch: „Let’s not sweep away the present to memorialize the past!“6 Offensichtlich wurden in der Auseinandersetzung überdies die unterschiedlichen Vorstellungen vom zukünftigen Charakter des Geländes. Goldbloom hob den geplanten Ausbau zur touristischen Attraktion hervor und versuchte, die 6
Flugblatt der Pier 21 Creative Artisans Association (im Besitz des Autors). 209
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Künstler mit der Aussicht auf nationale und internationale Wahrnehmung sowie den Verkauf ihrer Arbeiten im „world’s greatest gift shop“, der im Museum entstehen sollte, einzubinden (Chronicle Herald 5.9.1996: B8). Diese betonten dagegen, dass es ihnen einzig um den Erhalt geeigneter Arbeitsräume gehe, und lehnten die Beteiligung an einem kommerzialisierten „big-money project“ ab (Halifax Daily News 14.7.1996). Als Versuche einer Übereinkunft an den unvereinbaren Positionen und räumlichen Bedingungen scheiterten, mussten die Künstler das Gebäude verlassen. Wenngleich für viele aufgrund öffentlichen Drucks in der Folge alternative Räume in einem nahegelegenen Gebäude zur Verfügung gestellt wurden, trug die erzwungene Aufgabe des Standorts Pier 21 zu einem Verlust des spontanen und unkontrollierten Charakters der Künstlergruppe bei (Interview Ken Parsons und Chris Shute, 17.8.2006). Vonseiten der Pier 21 Society ist zu dieser Episode aus der Produktion des Museum kaum etwas zu hören. In Interviews wie in Veröffentlichungen des Museums dominiert vielmehr die standardisierte Erzählung von der Rettung eines leeren, verlassenen Gebäudes.7 Insofern jedoch dieses Gebäude für die Umsetzung des Projekts erst geräumt werden musste und damit eine spezifische Nutzungsverschiebung einherging, die mittelfristig auch auf die weitere Umgebung abzustrahlen scheint, muss das Museum als ein Faktor in der fortschreitenden Gentrification von Halifax gewertet werden. Auf nationaler Ebene weckte das Projekt die Bedenken von Parks Canada, derjenigen Regierungsinstitution, der die Einrichtung und Pflege von Nationalparks und nationalen historischen Stätten obliegt. Das für die Ernennung von National Historic Sites zuständige Gremium, das Historic Sites and Monuments Board of Canada, hatte sich bereits 1987 erstmals mit Pier 21 befasst. Eine eigens beauftragte Studie, die die Rolle des historischen Ortes beurteilen sollte, kam jedoch zu dem Schluss, dass Halifax außer für die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner Bedeutung als Einwanderungshafen hinter anderen, allen voran Quebec City, zurückblieb (Anick 1987). Mangels nationaler Signifikanz wurde Pier 21 folglich nicht als Ganzes für schutzwürdig erklärt, sondern lediglich die Anbringung einer Tafel zur Geschichte der Nachkriegsimmigration beschlossen. 1996 wurde der Fall, nicht zuletzt angesichts der zunehmenden Aktivitäten der Pier 21 Society, erneut zur Beschlussfassung vorgelegt und die frühere Entscheidung revidiert. Der Ausschuss empfahl nun die Ernennung von Pier 21 zum National Historic Site, und zwar insbesondere wegen der Unversehrtheit des baulichen Ensembles. Verbunden war diese Empfehlung mit einer kritischen Stellungnahme gegenüber den laufenden Planungen vor Ort: 7
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Der Diskurs erinnert dabei in frappierender Weise an den kolonialen Mythos des zu kultivierenden unbesiedelten Landes, nun übertragen auf den lokalen, städtischen Kontext. Für eine eingehende Analyse dieser Diskursfigur am Beispiel der Gentrification von New Yorks Lower East Side vgl. Smith 1996: insbes. 33.
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„The Board understood that, if the Pier 21 Society was successful in leasing or otherwise acquiring the facility, it planned to introduce an interactive, animated interpretive program in the space formerly occupied by the immigration operations. It appeared that these plans, if carried out, would have a serious negative impact on the commemorative integrity of the resource and most likely preclude any possibility of active involvement by Parks Canada with the site.“ (Parks Canada 2004: 6)
Zwei Aspekte kommen in diesem Vermerk zum Ausdruck: zum einen die Bedenken, dass bei der projektierten Umgestaltung des Gebäudes in ein Museum denkmalschützerische Belange gegenüber den Ansprüchen des Ausstellungsdesigns in den Hintergrund geraten könnten, und zum zweiten die institutionelle Konkurrenz zwischen der privaten Initiative und der offiziellen staatlichen Organisation über die Federführung in der Präsentation von Einwanderungsgeschichte am Pier 21. Ein weiterer Bericht vom Juli 1998 konstatierte nach Erkundungen vor Ort in beiderlei Hinsicht ein schlichtes Resultat: Die Pläne der Pier 21 Society zum Einbau umfangreicher audio-visueller Ausstellungen seien bereits weit fortgeschritten und in diesem Zuge seien bereits architektonische Elemente im Inneren des Gebäudes entfernt worden (Parks Canada 2004: 6f.). Wenn aufgrund der abschließenden Einschätzung, die Präsentation entspräche im Großen und Ganzen den beabsichtigten Gedenkinhalten, ein offener Konflikt auch ausblieb, so war nicht zu übersehen: Parks Canada hatte mit seiner zögerlichen Haltung die Auseinandersetzung um die Musealisierung von Pier 21 verloren, bevor sie begann. Sowohl im Hinblick auf ihre Denkmalschutzansprüche als auch die inhaltliche Ausrichtung spielte die Organisation fortan keine Rolle mehr, und es blieb ihr nur, die Entscheidungen der Pier 21 Society abzusegnen.8 Diese hingegen hatte durch resolutes Vorpreschen die Situation zu ihren Gunsten gelöst und bestimmte mit ihren Partnern weiterhin unabhängig und allein verantwortlich die Konturen des neuen Museums. Wie verlief nun die Realisierung des Museums und was waren die Prinzipien seines Konzepts? Die maßgebliche Rolle in der Produktion der Ausstellung lag bei den Gestaltern von Design+Communication, wie deren Projektleiter Jacques Saint-Cyr darlegt: „For all the development of the content we were given pretty much carte blanche in developing the storyboard and in trying to figure out what would be the main themes that had to be put forward.“ (Interview 25.8.2006) Die Leitlinien wurden dabei frühzeitig festgelegt und veränderten sich vom ersten Master Plan bis zur Fertigstellung nur in Nuancen, was nicht zuletzt an der großen Übereinstimmung zwischen den Entwicklern und der auftraggebenden Pier 21 Society (in Person von Ruth Goldbloom) lag. Saint-Cyr berichtet:
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Am 17.8.1999, zwei Monate nach Eröffnung des Museums, wurde Pier 21 denn auch offiziell zum National Historic Site erklärt (Parks Canada 2004: 27). 211
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„It was clear from the very beginning that we wanted the visitor experience to translate the immigration process as the immigrants lived it at the time. So, all the ideas that came after that main idea was established led only to changes and adaptations within the space rather than coming with some other completely different concept. And the client agreed to that concept very early on in the process.“ (Interview 25.8.2006)
Das zentrale Anliegen war also die Übersetzung des von den Migranten erlebten Einwanderungsprozesses in ein Erlebnis für Museumsbesucher. Vier Prinzipien sollten die Umsetzung dieses Konzeptes garantieren: Erstens optierten die Ausstellungsmacher für eine enge Anbindung der Präsentation an die Geschichte der Kontrollstation am Pier 21. Die Konsequenz war die Konzentration auf die Jahre 1928 bis 1971 und auf die Einwanderung aus Europa.9 Als Nebenaspekt wurde die Rolle der Station als Kriegshafen im Zweiten Weltkrieg ins Museum aufgenommen. Zweitens sollte sich das Ausstellungsnarrativ an der Reise der Migranten orientieren, und dies sollte sich in augenfälliger Weise auch in der Gestaltung niederschlagen: „We defined a certain number of icons or iconic elements that would punctuate the visitor experience. It all started with taking a boat from whatever country they were leaving, getting to the building, through customs and getting their Canadian citizenship, and then taking the train to whatever destination they were going. So, boat, building and train – these are the three icons that we definitely wanted to find in this exhibition.“ (Interview Saint-Cyr 25.8.2006; auch Le Devoir 3./4.7.1999: D8)
Dreh- und Angelpunkt dieses Narrativs sollte, drittens, das Gebäude sein, das damit ganz in den Dienst der Ausstellung gestellt und zu diesem Zweck entsprechend umgestaltet wurde. Um für die neue Präsentation Platz zu schaffen, wurde der größte Teil der Innenausstattung entfernt, was, wie gesehen, die Bedenken des Denkmalschutzes hervorrief. Freigelegt bzw. erhalten wurden Metallträger im Raum und unter der Decke, um den industriellen Charakter zu betonen. Um den Raum jedoch nicht allzu trist erscheinen zu lassen, wurden die Seitenwände in hellem Gelb gestrichen (Le Devoir 3./4.7.1999: D8). Bewusst nicht in die Präsentation einbezogen wurden die Teile des Gebäudes, die ehemals zur Internierung von Immigranten und Abschiebehäftlingen gedient hatten. Deren Anmietung durch die Pier 21 Society und die Bespielung im Rahmen einer Ausstellung war, nach Aussage des Architekten Andy Lynch, verschiedentlich zwar erwogen, schließlich jedoch verworfen worden, da diese im Gegensatz zu anderen Teilen des Gebäudes ja nur von wenigen Migranten gesehen worden seien (Interview
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Die Verschiebungen im Muster der Migration nach Kanada seit den sechziger Jahren ist enorm: Zwischen 1946 und 1967 kamen über 75 Prozent der Einwanderer aus Europa, 1987 waren es unter 25 Prozent (Lynch/Simon 2003: 63).
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Andy Lynch, 17.8.2006; auch Christian Courier 29.6.1995: 12).10 Hier, wie im Fall des Ellis Island Immigration Museum, führte die klar positionierte Entscheidung für eine nur partielle Restaurierung zum tendenziellen Unsichtbar-Werden eines bestimmten, weniger leicht zu feiernden Teils der Einwanderungsgeschichte. In den Mittelpunkt rückten die Macher demgegenüber die Rekonstruktion des historischen Wartesaales. Intendiert war dabei kein originalgetreuer Nachbau, sondern vielmehr die Nachempfindung einer angenommenen Atmosphäre, wie Saint-Cyr weiter ausführt: „We wanted somewhat to recreate the spirit of the waiting room that they had at the time. This is why we somewhat recreated the benches and why we have the two Canadian flags and we show the model of the installations the way it was then.“ (Interview 25.8.2006) Im Motiv der Reise bereits angedeutet, sollte viertens schließlich die Perspektive der Immigranten die gesamte Präsentation leiten und dabei insbesondere die persönliche Ebene ihres Erlebens herausgestellt werden. Gemeint war mit dieser Entscheidung, die wesentlich vonseiten der Pier 21 Society angeregt war, weniger die Thematisierung komplexer, potentiell widersprüchlicher Aspekte des Gesamtphänomens im Blick auf den einzelnen als vielmehr die nachhaltige Emotionalisierung der Präsentation. Die (notwendigerweise ebenfalls re-konstruierten) Gefühle der Einwanderer sollten den Mittelpunkt des Museums bilden und deren Nachempfindung das Ziel des Besuchs.11 In besonderer Weise adressiert waren in dieser Ausrichtung Kanadier, die selbst als Immigranten durch Pier 21 gekommen waren. Diese Fokussierung war zum einen eine Konsequenz des starken Bezugs auf den genius loci und traf sich zum anderen mit der Betonung der nationalen Dimension der Migrationsgeschichte im Sinne einer Erzählung von vordringlicher Relevanz für (neue und alte) Kanadier. Entscheidendes Medium der Präsentation sollten neben einem eigens produzierten Film die Oral History-Zeugnisse von Einwanderern sein. Die starke Einbeziehung von Audio- und Video-Interviews war dabei sowohl Folge als auch Ursache des Konzepts. Denn das Museum begann seine Arbeit – ähnlich wie das 10 11
Die präzisere Darstellung dieses wichtigen, im Falle Ellis Islands breit diskutierten Sachverhalts verhindert, wie einleitend dargelegt, der Mangel an Quellenmaterial. Folgerichtig dienen Tränen der Rührung dem Museum als Zeichen seines Erfolgs (Thompson/van de Wiel 2002: 127,132; Broschüre „Is it a part of your past?“). Deutlich wird dies auch in Ruth Goldblooms Schilderung der Reaktionen auf das Museum: Mit besonderer Befriedigung erzählt sie die Geschichte eines Mannes, der am 50. Jahrestag seiner Ankunft in Halifax mit Bekannten Pier 21 besucht, während einer kurzen Ansprache in Tränen ausbricht und dann mit den anderen die kanadische Nationalhymne anstimmt. Oder die eines anderen Mannes, der im Angesicht der Schiffsliste mit den Namen seiner Familie auf die Knie sinkt, in Tränen ausbricht und verkündet, nun friedlich sterben zu können. Oder allgemein die Feststellung, dass seit der Eröffnung kein Tag vergehe, an dem keine Tränen im Museum vergossen würden (Interview Goldbloom 14.8.2006). 213
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Ellis Island Immigration Museum – ganz ohne auf eine bestehende Sammlung zugreifen zu können. Angesichts des völligen Fehlens von Ausstellungsobjekten rückten die mündlich erfragten Geschichten ehemaliger Pier 21-Einwanderer, von denen dank der von J.P. LeBlanc mitverantworteten Publikation bereits ein Grundbestand vorlag (Duivenvoorden Mitic/LeBlanc 1988), nahezu zwangsläufig in den Mittelpunkt der Präsentation. Die Ausstellungsmacher und die Pier 21 Society versuchten diesen Umstand in eine spezifische Stärke zu wenden und zwar bis zu dem Punkt, dass sie die Selbstbezeichnung „Museum“ für ihr Projekt rundweg ablehnten. Goldbloom etwa insistierte, Pier 21 sei „not a museum, I don’t even like the word in here. The last thing we need is another museum.“ Stattdessen bevorzugte sie, von „a high-tech, interactive space“ oder von „a living centre“ zu sprechen (Toronto Star 9.11.1996: H9 und 8.12.1998: F8).12 Im weiteren Verlauf wurde diese terminologische Abgrenzung relativiert und Pier 21 gängigerweise als „a museum of stories“ bezeichnet. Die Aufnahme von Oral History-Interviews (in Kooperation mit dem staatlichen kanadischen Fernsehen CBC) wurde zu einer der Hauptaufgaben in der Produktion der Ausstellung. Der Sammlung von Objekten rückte demgegenüber in den Hintergrund bzw. wurde nur sporadisch und wenig professionell verfolgt. Die heutige Kuratorin Kim Reinhardt kommentiert rückblickend: „The exhibit is what was given to the Pier 21 Society and put in the case, but it was never accessioned properly, so that we know the whole providence of it. And again, it wasn’t intended, from my understanding, to be a museum. They were making an exhibit, they needed stuff for the exhibit, they got it and put it in, without really thinking about the long term.“ (Interview 15.8.2006) Doch nicht nur der Umgang mit potentiellen Exponaten, auch die notwendigen Recherchen zur inhaltlichen Ausfüllung des Konzeptes insgesamt trugen vielfach improvisierten Charakter, wie Goldbloom andeutet: „I guess the research for it was a lot of leaning on a lot of people“ (Interview 14.8.2006). Dies lag nicht zuletzt am bescheidenen Umfang und Budget des Projekts: Die federführende Pier 21 Society beschäftigte während der gesamten Entwicklung neben einer Anzahl Ehrenamtlicher nur zwei Angestellte. Als Director of Research and 12
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Die Ablehnung des Begriffs „Museum“ im Zuge von Neugründungen folgt dabei einem Trend in Teilen der Museumswelt, durchaus auch international (vgl. etwa die Begriffschöpfungen „Haus der Geschichte“ für etliche deutsche Geschichtsmuseen der letzten Jahrzehnte). Hintergrund ist, dass der Ausdruck „museal“ nicht nur, wie Adorno (1977: 181) bekanntermaßen schrieb, „im Deutschen unfreundliche Farbe“ hat. Die von ihm konstatierte, über das Phonetische hinausgehende Assoziation von Museum und Mausoleum, die Vorstellung also, dass das Museum eine rückwärtsgewandte Institution ohne Gegenwartsrelevanz sei, ist verbreitet. In den Neubezeichnungen ausgedrückt ist mithin einerseits der (auch marketingstrategisch motivierte) Versuch der Loslösung von dieser Assoziation, andererseits auch die Verschiebung der Schwerpunkte von Sammlung zu Präsentation.
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Information Services fungierte ein Mitarbeiter, der ursprünglich zur Entwicklung der Internet-Homepage eingestellt worden war, nun jedoch auch für die Inhalte der Ausstellung verantwortlich zeichnete (Darby 1999). Auf Seiten der Ausstellungsdesigner war ein „content specialist“ beteiligt, der ansonsten ganz andere Themen betreut. Mit Ausnahme von James Morrison, Professor für Geschichte an der St. Mary’s University in Halifax, der im Vorstand der Pier 21 Society saß und die Sammlung von Oral History-Interviews begleitete, waren an der Produktion des Museums keine Fachwissenschaftler beteiligt. Ebenso wenig waren Organisationen von Einwanderer-Communities maßgeblich in die Konzeption der Ausstellung eingebunden.
Eröffnung und Mediendiskurs Die Eröffnung des Museums erfolgte am 1. Juli 1999, dem Nationalfeiertag Canada Day. Das Datum war passend gewählt, stand die Veranstaltung doch ganz im Zeichen der Feier der Nation. Als solches nahm das Spektakel, das mehrere Tausend Besucher anzog und landesweit live im Fernsehen übertragen wurde, die Rhetorik und Zielvorstellungen der Macher von Pier 21 auf. Tamara Vukov (2002: 20), deren Darstellung und Interpretation des Ereignisses ich hier weitgehend folge, stellt fest: „Enactments of remembrance, testimony, and affect were abundant throughout the day. Their continual repetition and circulation was crucial to the performance of the celebratory nation-building narrative of immigration dramatized at Pier 21.“ Der Tag begann mit der Schiffsankunft von 160 ehemaligen „War Brides“, die unter allgemeinem Jubel und überschwänglicher Ehrbezeugung von jungen Männer in Uniformen des Zweiten Weltkriegs an Land geführt wurden. Die Feierlichkeiten setzten sich mit einer öffentlich inszenierten Einbürgerungszeremonie fort. 56 ausgewählte Migranten aus 22 Ländern, darunter Albanien, Bosnien, Ägypten, Uganda und Mosambik, gelobten ihre Treue zu Queen Elizabeth, Königin von Kanada (NYT 2.7.99: A4). Premierminister Jean Chrétien lieferte in einer Video-Ansprache die begleitenden Worte. In seiner knappen Fassung kanadischer Geschichte spannte er Einwanderer wie Einwanderungsgeschichte für das Projekt der Nation ein und strapazierte einmal mehr die bürgerliche Ideologie formaler Gleichheit: „We had first the natives who were here before the French and the English, and after that people came from all over the world to build this nation. […] Here in Canada we are all equal“ (zit n. Vukov 2002: 20). Eine eigens produzierte Hymne mythisierte Pier 21 als Ort der Freiheit und des Neubeginns, bevor die Eröffnung mit einer theatralischen Umsetzung der gängigen Metapher für den kanadischen Multikulturalismus, dem Mosaik, seinen Höhepunkt erreichte. In gemeinschaftlicher Aktion wurden Puzzle-Teile über die Bilder von Pier 21-Einwanderern gelegt, bis diese sich nach und nach in eine kanadische Flagge verwandelten. Die Moderatorin des Events, die selbst als zwei215
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jähriges Kind eingewandert war, steuerte unter Tränen der Rührung die offensichtliche Deutung bei: „As the pieces of our puzzle show, we are one Canada. It doesn’t matter where you are from, we are one people. Pier 21 is a testament to this. Canada’s front door is now officially open“ (zit. n. Vukov 2002: 21).13 Die Inszenierung blieb nicht ohne Wirkung. In der Lokalzeitung von Halifax bekannte eine Kommentatorin angesichts der Feier: „[T]he jaded journalist in me evaporated and I got strangely patriotic“ (Halifax Daily News 3.7.1999: 23). Auch in der weiteren Presseberichterstattung wurde die harmonisierte und patriotische Version von Einwanderungsgeschichte zum größten Teil übernommen. Bereits tags zuvor hatte die Festansprache von Rosalie Silberman Abella die Zeichen auf Pathos gesetzt. Die prominente Juristin und spätere Richterin am Obersten Gerichtshof Kanadas war vierjährig als Tochter jüdischer HolocaustÜberlebender über Pier 21 nach Kanada immigriert. In ihrer Rede berichtete sie von der Verfolgung durch das nationalsozialistische Deutschland, der Ermordung ihres zweijährigen Bruders und der gesamten Familie ihres Vaters im Vernichtungslager Treblinka, ihrer Geburt im Displaced Persons Camp, der langersehnten Ausreise nach Kanada Anfang der fünfziger Jahre und ihrem glücklichen weiteren Schicksal. Die Rede endete mit einem nachgerade hymnischen Lobpreis auf Kanada und Pier 21: „This is Canada. With hard work, anything is possible. Those of us who were permitted to come to Canada were given a precious gift: the possibility of endless possibilities, and the freedom to pursue them in safety and security. […] This country is full of tenaciously grateful immigrants and their descendants who bloomed in Canada’s field of opportunities, nourished by its generosity and strengthened by its idealism. This triumphal triumvirate of opportunity, generosity and idealism is what this Pier stands for – Canada’s best self. It is the Canada that let us in, the Canada that took one generation’s European horror story and turned it into another generation’s Canadian fairytale.“ (Pier 21 Archiv 3; auch Toronto Star 1.7.99)
Die überragende Bedeutung eines Lebens in Freiheit für die Familie Abellas ist in keinster Weise geringzuschätzen und ebenso wenig ist der Ton zu kritisieren, mit der sie sich und anderen ihre Geschichte erzählt. Problematisch wird die Version jedoch in der Generalisierung der Erfahrung. Die Rede vom „kanadischen Märchen“ unterschlägt in ihrer vorgeblichen Allgemeingültigkeit, dass nicht jedes Einwandererschicksal eine so glatte Erfolgsgeschichte wurde und dass entsprechend nicht alle Immigranten Grund zu gleicher Dankbarkeit hatten. Der Diskurs der Dankbarkeit überhaupt, wie wohl individuell nachvollziehbar, ver13
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Das Motiv des Mosaiks und der Überblendung einzelner Gesichter durch die Nationalflagge taucht in Form einer Video-Präsentation dann auch in der Ausstellung auf. Vgl. auch die ganz ähnliche Ikonographie der „Flag of Faces“ im Ellis Island Immigration Museum.
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kennt, dass die Zulassung einer bestimmten Form der Einwanderung nach Kanada nicht in erster Linie eine humanitäre Aktion darstellte, dass diese weniger auf Idealismus, denn auf ökonomischer Rationalität basierte (Avery 1995: 144-168). Abellas Märchen vergisst schließlich, dass der Familie selbst und verfolgten Juden im Allgemeinen nur wenige Jahre zuvor die Einreise verweigert worden wäre – und dass Pier 21 als Grenzstation, in der die Abschottungspolitik exekutiert wurde, mithin noch in ganz anderem, komplizierterem und komplementärem Zusammenhang zu der „European horror story“ stand. Der strategische Einsatz der Erzählung einer Holocaust-Überlebenden bei der Eröffnung des Museums trug so zu einer Verklärung kanadischer Einwanderungsgeschichte und der Grenzstation Pier 21 bei. Ton, Inhalt und Pathos der Eröffnungsfeierlichkeiten reflektierten die Positionen der Macher von Pier 21, der Pier 21 Society und allen voran ihrer umtriebigen Vorsitzenden. Wenn Abella etwa ausrief: „The story of Canada is the story of immigrants, and Pier 21 is their proud celebratory symbol.“ (Toronto Star 1.7.99), so klang dies wie ein Echo der Rhetorik von Ruth Goldbloom. Deren zentrale Message durchzog die Produktion des Museums bis zu seiner Eröffnung: Die „immigration experience“ und Pier 21 müssten gefeiert werden als „the heartbeat and the pulse of what we’re all about“ (Toronto Star 8.12.1998).
Lokaler Blick zurück: Zur Produktion von visitability Bislang wurde die Entwicklung des Museums Pier 21 im Wesentlichen entlang der Vorstellungen maßgeblicher Akteure skizziert. Das neue Einwanderungsmuseum erscheint in dieser Perspektive als Produkt der Ideen einer kleinen Anzahl von Personen und die Entscheidungen für die beschriebene Version von Geschichte als Ausdruck deren Überzeugung. Herausgestellt wurde insbesondere die Charakterisierung von Pier 21 als emotional aufgeladene Verkörperung einer nationalen Einwanderungsgeschichte und mithin als Ort der Feier der Einwanderernation. Eine solche Konturierung des Projekts entstand gleichwohl nicht im luftleeren Raum und gründete nicht nur auf den dezidierten Positionen seiner Macher. Entsprechend soll diese Sicht der Dinge im Folgenden ergänzt und kontextualisiert werden und zwar mit Blick auf die lokalen Bedingungen, in denen das Museum produziert wurde – die Umgestaltung von Halifax im Zeichen des Tourismus. Die Entwicklung von Halifax war traditionell geprägt von seiner Lage am Atlantik. Als Garnisonsstadt gegründet, wuchs die Stadt begünstigt durch seinen natürlichen Hafen schnell zu einem bedeutenden Handelszentrum und Warenumschlagplatz. Als Stützpunkt der kanadischen Atlantikflotte, als Standort für Fischfang und Schiffsbau sowie später für Hochsee-Ölförderung kam die Stadt zu Wohlstand und wurde zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum nicht nur Nova Scotias, sondern der gesamten Atlantischen Provinzen Kanadas. Bedingt 217
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
durch den Strukturwandel der maritimen Industrie geriet Halifax in den fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts jedoch in die Krise. Die Entwicklung hatte dabei nicht nur Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung, sondern auch auf die städtische Struktur. Der Schwerpunkt von Halifax verschob sich vom Hafen weg ins Landesinnere, und das alte Zentrum am Wasser erlebte einen raschen Niedergang. Mitte der siebziger Jahre begann jedoch, angestoßen durch den Protest privater Initiativen gegen den Abriss des alten Kerns, die Wiederentdeckung des historischen Erbes der Stadt. Historic Properties, ein Komplex renovierter historischer Gebäude am Hafen mit Läden und Cafés, wurde zum Nukleus einer Entwicklung, die spätestens in den neunziger Jahren in den Versuch der Neuerfindung Halifax’ als Tourismus-Magnet mündete.14 Die lange Geschichte sowie der im Vergleich zu anderen kanadischen Metropolen beschauliche Charakter der Stadt – Facetten, die jahrzehntelang im Bemühen um ein modernes Image in den Hintergrund gedrängt worden waren – dienen nun als Ausgangspunkt und Aktivposten der Tourismus-Werbung (McClean 2003; zum weiteren Kontext vgl. Graham u.a. 2000: 129-178). Im Mittelpunkt der engagiert betriebenen Ausrichtung der Stadt auf Tourismus steht die Wiederbelebung des Hafens, die als Katalysator für die Entwicklung von Halifax zu einer „World City of Culture“ dienen soll.15 Pier 21 ist allein schon aufgrund seiner Lage aufs Engste in dieses Projekt eingebunden. So deklarierte der Bürgermeister von Halifax das Museum anlässlich seiner Eröffnung zum „cornerstone of the revitalization of the city’s south end“ (Halifax Mail Star 2.7.1999: A1f.). Ein anderer Kommentator äußerte ähnliche Erwartungen: „[O]fficials expect it to spark tourism as well as memories. […] The museum also improves the otherwise grimy local environment for disembarking cruise-ship passengers“ (Halifax Daily News 4.7.1999). Das Museum am Pier 21 wurde also von Beginn an im Kontext des Aufschwungs der lokalen Tourismus-Industrie gedacht. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass sich das Projekt als Neuling auf dem Markt aktiv in diesem Feld zu positionieren hatte und dies nicht zuletzt in Konkurrenz zu anderen Attraktionen in Halifax. Die Ausgangssituation hierfür war nicht nur günstig.16 14
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Dass diese Entwicklung vielfach mit der Gentrifizierung ganzer Stadtviertel einher und ohne echte Einbeziehung der lokalen Bevölkerung vonstatten ging, beschreibt ausführlich McClean 2003. Vgl. die offizielle Selbstdarstellung des „Seaport Redevelopment“-Projekts unter http://www.portofhalifax.ca (5.6.2009). Zum Phänomen der Umgestaltung vernachlässigter Hafenviertel zu städtischen Kultur- und Erlebniszentren vgl. Lorente 2002; zur „touristischen Stadt“ vgl. Judd/Fainstein 1999; Holert/Terkessidis 2006. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Projekt wesentlich von den Rahmenbedingungen des Ellis Island Immigration Museum, das sich allein aufgrund der gemeinsamen Fährverbindung mit der Freiheitsstatue eines enormen Besucherzuflusses sicher sein kann.
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Die Initiative war zunächst gänzlich unbekannt und hatte keine starke Institution im Rücken. Wichtiger noch, der Standort des Museums lag zwar am Hafen, jedoch ein gutes Stück vom Brennpunkt der touristischen Aktivität entfernt in einem wenig erschlossenen Gebiet zwischen Bahngleisen und alten Industrieanlagen. Schließlich konnte die Musealisierung einer Einwanderer-Kontrollstation thematisch sperriger erscheinen als Motive, die ansonsten die touristische Szene Nova Scotias dominieren, allen voran Dudelsack, Schottenmuster und „die gute alte Zeit“ (McKay 1994).17 In dieser Konstellation stellte (und stellt) sich für Pier 21 verschärft das Problem der „visitability“. Bella Dicks (2003) verhandelt unter diesem Begriff die Frage, wie Orte im Rahmen einer touristisch ausgerichteten Ökonomie und Kultur zur Attraktion, zum Reiseziel, zur „destination“ werden und welche Implikationen dies für ihre Repräsentation hat. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Prozessen der Produktion oder Umgestaltung von Orten in der Weise, dass sie aktiv die Aufmerksamkeit von Besuchern auf sich ziehen (Dicks 2003: 8). Die Vorstellung von „Besuchbarkeit“ impliziert dabei, nach Dicks, eine wesentlich moderne „touristische Einstellung“ (MacCannell 1999): das Bedürfnis nach dem Erlebnis von etwas ganz Anderem, von etwas, das zum Leben anderer gehört, zugleich aber in Bezug zu eigenen Erfahrungen gesetzt werden kann. In besonderem Maße fokussiert ihre Untersuchung Orte, die ihre „eigene“, lokale Kultur ausstellen, etwa Freilichtmuseen oder historische Altstadtviertel, daneben aber auch Vergnügungsparks und thematisch ausgelegte Einkaufszentren. Zahlreiche Beobachtungen lassen sich auf das Pier 21-Projekt übertragen. Zum einen analysiert Dicks, dass die Klarheit in Aussage und Charakter von großer Bedeutung sei: „Places whose identity seems inaccessible, confusing or contradictory do not present themselves as destinations. They do not, in other words, seem visitable. […] To avoid such a fate, places should ‚make the most of themselves’.“ (Dicks 2003: 1, 149) Zentral in der Produktion von „Besuchbarkeit“ sei des Weiteren eine Auffassung bzw. Darstellung von Kultur als etwas, das sich an einem konkreten Ort sicht- und vor allem erlebbar niederschlägt. Die Produktion von Kultur als Erfahrung und Erlebnis, als „experience“, lässt sich überhaupt als Kern der kulturellen Ökonomie der „visitability“ begreifen und der positive Gehalt des Erlebnisses als privilegierte Form. Schließlich seien im Hin17
Dazu kommt, dass Halifax aktuell aufgrund des relativ geringen Bevölkerungsanteils sogenannter „visible minorities“ nicht wirklich mit Einwanderung identifiziert wird. Die Stadt ist wesentlich „weißer“ als etwa die multikulturellen Metropolen Toronto, Montreal oder Vancouver (Graham u.a. 2000: 105). Allerdings wird seit einigen Jahren versucht, das mythische Bild eines rein „schottischen“ Nova Scotia (Harper/Vance 1999) durch die stärkere Berücksichtigung der Geschichte der französischer Besiedlung sowie afrikanisch-kanadischer und anderer Minderheiten zu ergänzen – dies auch zum Teil als Strategie touristischer Produktdiversifizierung (Graham u.a. 2000: 98). 219
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
blick auf staatliche Finanzierung insbesondere diejenigen Geschichtsorte erfolgreich, die einen doppelten Anreiz lieferten: einen Beitrag zur positiven Entwicklung der lokalen Ökonomie wie der lokalen Identität (Dicks 2003: 142f.). Im Lichte von Dicks’ Überlegungen zur „visitability“ lassen sich bestimmte Entscheidungen und Tendenzen in der Musealisierung von Pier 21 neu einordnen. Die Macher des Projekts wählten die beschriebene Verpackung der Geschichte von Pier 21 auch, um angesichts der notwendigen Positionierung auf einem touristischen Markt „das meiste aus sich zu machen“ und besonders „besuchenswert“ zu erscheinen. Zunächst erforderte dies, Pier 21 mit möglichst großer Bedeutung aufzuladen. Sowohl als Voraussetzung für das Einwerben öffentlicher und privater Gelder – landesweit und auf allen drei Ebenen des föderalen Systems – als auch für die Erschließung eines maximalen Besucherpotentials galt es energisch und unermüdlich die nationale Dimension von Pier 21 zu behaupten. Konsequent wurde der besondere Status – also: das Alleinstellungsmerkmal – als letzte erhaltene Kontrollstation ihrer Art in Kanada herausgestellt. Der Fokus blieb jedoch nicht, wie etwa im erwähnten Gutachten von Parks Canada (2004), auf den Spezialaspekt der architektonischen Signifikanz beschränkt, sondern wurde wesentlich ausgeweitet. Vermarktet wurde Pier 21 als nichts weniger als der Geburtsort der kanadischen Einwanderernation. Kuratorin Kim Reinhardt erläutert diese Strategie der Markenbildung: „It is a symbol – for people who came here directly it is that great connecting thing. But for everyone else, I think the idea – and especially that’s part of branding – is to develop it as an icon, a symbol of, you know, entering into Canada, of becoming a citizen, of coming home to Canada. And, I think, especially if we see the museum develop more in the next few years, with the expansion piece, that that sort of branding will be heard a lot more.“ (Interview 15.8.2006)
Merklich sind dabei immer eine gewisse Unsicherheit und die Bedenken, nicht in erwünschtem Maße wahrgenommen zu werden. Reinhardt etwa fährt fort: „Hopefully, people will see it, because a brand only works if people see it that way, but I think that being the last remaining immigration shed in Canada on the water, it can create that universal feeling.“ (Interview 15.8.2006) Nicht zuletzt aus dieser Position heraus erklärt sich die vielfach flamboyante Rhetorik Ruth Goldblooms zur Bedeutung von Pier 21. Und vor dem gleichen Hintergrund formulierte Projektmitarbeiter Erez Segal anlässlich der Eröffnung umso bestimmter und fast trotzig den Anspruch auf Geltung: „We’re not just a local little museum. We want to be (known) on the international scale. […] We want Pier 21 to be on the map“ (Daily Nation (Barbados) 4.8.1999: 33A). Die Zielrichtung dieser Forderung ergibt sich unmittelbar aus den Prinzipien der „visitability“: Nur was „on the map“ ist, kann eine „destination“ werden.
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Teil dieser Strategie der Schöpfung einer national und international anerkannten Marke „Pier 21“ war auch die bereits erwähnte Parallelisierung mit Ellis Island. Durch die Anlehnung an den weltbekannten Ort – oder auch: das touristisch eingeführte Produkt – konnte das neue Museum in der Konkurrenz um Fördermittel und Besucher Profil gewinnen und gleichsam im Windschatten des großen Vorläufers seinen Status als Besuchsziel steigern. Überdies artikulierte sich in der Rede von Pier 21 als „Canada’s Ellis Island“ der Anspruch auf maßgebliche Besetzung, wenn nicht Alleinvertretung, des Feldes der Migrationsgeschichte im Kontext der kanadischen Museumslandschaft. Die Erfordernisse der Produktion von „visitability“ schlugen sich jedoch nicht nur in der Image-Werbung, sondern auch in der Ausrichtung der Dauerausstellung nieder. James Morrison, Vorstandsmitglied der Pier 21 Society, bestätigt den Einfluss entsprechender Überlegungen auf den positiven Tenor der Darstellung: „It is a celebration, there’s no question about that. You see, one of the things that you quickly realize is that, because we’re not a government site, unlike Ellis Island, we have to attract an audience. And audiences are not really attracted by tragic stories [lacht]. I mean when you think of going to a film, you know, most people want to go to a film that has a happy ending. Otherwise they’re not gonna go to another one. So, you know, we do have that element running through it.“ (Interview 19.4.2005)18
Schließlich lässt sich auch die Entscheidung für das präsentationsleitende Konzept mit Verweis auf die Überlegungen von Bella Dicks aus der notwendigen Positionierung als touristische Attraktion deuten. Wie andernorts eine vergangene Zeit oder eine untergegangene Kultur, musste im Museum Pier 21 die Geschichte der Einwanderung zum Erlebnis werden. Die Strukturierung des musealen Narrativs entlang der Reise der Migranten und die Orientierung der Erzählperspektive an ihrem Erleben erscheint in dieser Logik als konsequenter Schluss. In einer Hinsicht scheint sich die touristische Strategie seit Beginn des Projekts verändert zu haben. Wie angedeutet, lehnte Goldbloom die Bezeichnung „Museum“ anfangs strikt ab. Die Profilierung als „high-tech, interactive space“ und ihr Verdikt „the last thing we need is another museum“ (Toronto Star 9.11.1996: H9) dürften dabei nicht zuletzt auf den lokalen Rahmen gemünzt gewesen sein, wo etwa mit dem Maritime Museum of the Atlantic ein größerer Konkurrent den Markt der Geschichtsmuseen dominierte. Mit verstärktem Blick auf ein nationales und internationales Publikum folgt die Produktion touristisch wertvoller Alleinstellungsmerkmale inzwischen einem anderem Kalkül. Im An18
Inwieweit sich Morrisons Annahme, dass Museumsbesucher Geschichten mit glücklichem Verlauf oder Ausgang präferieren, empirisch halten lässt, sei hier dahingestellt. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang einzig, dass eine solche Einschätzung in der Produktion des Museums handlungsleitend wurde. 221
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
gesicht einer geplanten Expansion wurde das Potential des prestigeträchtigen Begriffs „Nationalmuseum“ für das Projekt entdeckt und Ruth Goldbloom verlautbart entsprechend: „We would now like to be known as the national museum of immigration.“ (Interview 14.8.2006)
Telling the larger story: Planungen zur Expansion des Museums Während meiner Recherchen im Frühjahr 2005 und Sommer 2006 beherrschte ein Thema wie kein anderes die Gespräche mit Verantwortlichen des Museums am Pier 21: die Planungen für seine Erweiterung. In diesem aktuellen Projekt lässt sich abschließend die Verbindung zwischen dem geschichtspolitisch motivierten Anliegen der Inszenierung einer nationalen Meistererzählung und den Erfordernissen der Produktion einer erfolgreichen touristischen Attraktion beobachten, die bereits die Entwicklung des ursprünglichen Museums bestimmte. Im März 2003 gab Museumsdirektor Robert Moody die intern erarbeitete „Five Year Strategic Vision for a transformed Pier 21“ bekannt.19 Im Kern geht es dabei um eine Ausweitung des Betrachtungszeitraumes der Dauerausstellung. In Zukunft soll die kanadische Einwanderungsgeschichte seit Gründung der Konföderation 1867 bis heute dargestellt werden, wobei die bisherigen Präsentationen, die sich auf die aktive Zeit Pier 21s von 1928 bis 1971 konzentrieren, mit vierzig Prozent der Ausstellungsfläche als „jewel in the crown“ erhalten bleiben sollen. Die Absicht der Erweiterung sei es, so Kuratorin Kim Reinhardt, „to tell the larger story of Canadian immigration“ (Interview 15.8.2006). Drei aufs Engste miteinander verknüpfte Facetten lassen sich in der vielerseits wiederholten, meist nur leicht variierten Rede von der „größeren Geschichte“, die zukünftig am Pier 21 erzählt werden soll, erkennen. Zum einen ist dies die Absicht einer Ausdehnung der Reichweite der nationalen Meistererzählung der Einwanderung, wie sie im Museum präsentiert wird, und zwar in besonderem Maße mit Blick auf die jüngsten Migrationen. Im Zuge der Erweiterung könne eine „broader story of nation building“ erzählt und überzeugender die kulturelle Vielfalt Kanadas gefeiert werden. In Teilen reagiert diese Neuausrichtung auf Kritik am begrenzten Fokus der bisherigen Ausstellung, die sich ganz überwiegend auf die Migration aus Europa beschränkt. James Morrison formuliert die entsprechende, integrativere Perspektive: „So, what Pier 21 would like to do, or I would like it to do, would be to reflect the reality of the Canada of now rather than the reality of a Canada before 1971.“ (Interview 19.4.2005) Diese geschichtspolitische Dimension einer Ausweitung der präsentierten Geschichte steht in direkter Verbindung mit einem marktrationalen Kalkül der Expansion, namentlich dem bereits oben beschriebenen Streben nach Vergrößerung der Bedeutung von Pier 21 mit dem erhofften Resultat eines größeren Besu19 222
Vgl. http://www.pier21.ca/5_Year_Strategic_Plan.3246.0.html (4.1.2007).
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
cherzustroms und einer verbesserten Finanzierung. Denn der enge Fokus der bisherigen Ausstellungen erweist sich nicht nur in inhaltlicher Hinsicht als problematisch, wie Morrison (Interview 19.4.2005) schildert. Personen mit persönlicher Verbindung zu Pier 21, die heute einen wesentlichen Teil der Besucher ausmachen, würden älter und könnten auf Dauer nicht die Basis eines rentablen Betriebs stellen, „the memory of Pier 21“ allein reiche für die Attraktivität des Museums nicht aus. Und Reinhardt ergänzt: „That’s a place in time that that market will be here. And if we want the museum to be here in 50 years or 30 years, we have to reach out to all Canadians.“ (Interview 15.8.2006) Die geplante Erweiterung der Dauerausstellung solle mithin dazu beitragen „to extend our reach nationally“, sowohl im Hinblick auf die Erschließung neuer Besuchergruppen als auch auf private und staatliche Finanzierung. Zudem verbinden die Macher damit explizit die Erwartung einer optimierten Teilhabe am lokalen TourismusGeschäft: „We will enhance our role as a tourist attraction and event venue in Halifax“ (beide Zitate vgl. Pier 21 Society 2003).20 Schließlich meint die Rede von der „larger story“ auch ganz praktisch die physische Expansion des Museums. Neben einem neuen Wechselausstellungsbereich soll die Fläche der Dauerausstellung durch Einbau eines Zwischengeschosses wesentlich erweitert werden. Von Interesse ist dabei, wie das Museum durch diese Neugestaltung sowie durch parallel laufende Entwicklungen in seinem baulichen Umfeld mit anderen Nutzungen verquickt wird und welchen Einfluss dies auf seinen Charakter hat. An erster Stelle zu nennen sind der neue Terminal für den boomenden Kreuzfahrtverkehr, der sich im angrenzenden Gebäude befindet und bereits jetzt mit dem Museum direkt verbunden ist, und eine Kunstgalerie, die im Zuge des Umbaus ins Gebäude aufgenommen wurde. In der nahen Umgebung wurde im Sommer 2006 ein Kongresszentrum eröffnet, weiters geplant sind der Bau eines Luxushotels und die Ansiedlung eines Teils der renommierten Kunstakademie. Auf diese Weise soll um Pier 21 ein neuer „cultural district“ entstehen, in dessen Mittelpunkt das Einwanderungsmuseum stünde (Interview Kim Reinhardt 15.8.2006; Lyden Lynch Architects 2006). Im Sommer 2006 war der Umbau des Museums in vollem Gange. Symptomatisch ist, dass diese erste Phase der Expansion vor allem den Museumsshop betraf. Mit dessen Verlegung ins Erdgeschoss, in unmittelbare Nähe des Kreuzfahrtterminals, wurde eine noch stärkere Anbindung an die hier periodisch anlan-
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Der Wirtschaftsminister Nova Scotias visierte bei der Zusage finanzieller Unterstützung die lokale, nationale und internationale Ebene an: „We are helping Pier 21 develop a national immigration museum right here in Nova Scotia […]. Once completed, I expect this facility will increase the profile of Pier 21 around the world“ (Pier 21-Pressemitteilung 24.3.2005). Am 25.6.2009 wurde Pier 21 schließlich auch offiziell der Status eines kanadischen Nationalmuseums zuerkannt (vgl. http://pm.gc.ca/eng/media.asp?id=2656 (27.7.2009)). 223
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
denden Touristenmassen gesucht.21 In weiteren zwei Phasen sollen der Ausbau der Wechselausstellungsfläche sowie die Erweiterung der Dauerausstellung folgen. Durch die Beauftragung des Designer- und Architekten-Teams der ursprünglichen Ausstellung ist dabei ein hohes Maß an Kontinuität in Gestaltung und inhaltlicher Ausrichtung zu erwarten, was sich auch in einem ersten vorliegenden Konzept andeutet. Dominierendes Element soll demgemäß eine monumentale „Spiral of Dreams“ sein, die den Traum von einer besseren Zukunft in Kanada symbolisieren und ins Zentrum der Auseinandersetzung mit Migrationsgeschichte rücken soll (Lyden Lynch Architects 2006; Newsletter „Passages“ Sommer/Herbst 2006: 6). Bis die veranschlagten 10 Millionen kanadische Dollar (ca. 6 Millionen Euro) zur Finanzierung des Projekts eingeworben und die Pläne realisiert sind, werden noch einige Jahre vergehen. Mit Einbeziehung der prä- und post-Pier 21Migration wird sich die Präsentation wandeln. Ihr Grundgehalt wird sich durch die Beibehaltung der bisherigen Dauerausstellung und die Kontinuität hinsichtlich der Projektverantwortlichen jedoch kaum verändern. Die ohnehin schon starke Ausrichtung auf Tourismus wird eher noch zunehmen und sowohl mit Blick auf den bisherige Produktionsprozess des Museums als auch auf aktuelle Entwicklungen in seinem Umfeld ist denkbar, dass sich die Ausstellung zum Kern eines „exhibition-entertainment centres“ entwickeln wird, eines „themed buildings“ (Dicks 2003: 2f.), in dem die Inszenierung von Migrationsgeschichte den angenehmen kulturellen Hintergrund für leichte Unterhaltung und distinguiertes Shopping stellt. Doch das ist Zukunftsmusik und Spekulation – im Folgenden wird beleuchtet, wie sich das Museum im Sommer 2006 darstellte.
Präsentationen des Museum Pier 21 Ein Gang durchs Museum Es gibt zwei Wege zum Museum Pier 21. Der erste führt über das Wasser. Direkt an Pier 21 legen die Kreuzfahrtschiff an, die jährlich weit über 100.000 Besucher nach Halifax bringen. Von Bord gelangen diese in ein Terminalgebäude, dessen lang gestreckte Halle übervoll mit Souvenir-Ständen bestückt ist. Das Defilee der Touristen führt vorbei an Postkarten, bunt-bedruckten T-Shirts und Kunstgewerbe aller Art und endet in der Eingangshalle des Museums, wo sich auch
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Ein Blick auf den Umsatz des Museumsshops, eine der wichtigsten Einnahmequellen des Museums, belegt die überragende Bedeutung des Kreuzfahrttourismus: Im Geschäftsjahr 2005/2006 wurde an den 78 Tagen mit Kreuzfahrtverkehr mehr verkauft als an den restlichen 260 Öffnungstagen des Jahres (Pier 21, Annual Report. April 01, 2005 to March 31, 2006).
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Museumsshop und -café befinden. Von hier geht es eine Rolltreppe hinauf in die Ausstellung oder hinaus auf den Vorplatz, wo bereits Busse für die Stadtrundfahrt warten. Ich nähere mich dem Museum von der anderen Seite. Marginal Road führt vom südlichen Ende der Innenstadt mit ihren schmucken, englisch anmutenden Häusern und Straßen schnell in post-industrielles Brachland. Rechter Hand die Rückseite eines altehrwürdigen Hotels und der kleine Bahnhof; linker Hand, zum Wasser hin, der gewaltige Bau eines ehemaligen Elektrizitätswerks, der nun für Filmproduktionen genutzt wird, dazu Lagerhäuser und ein großer Parkplatz. Etwas verloren steht dort ein Schild, das neuerdings den vorläufigen Endpunkt des Halifax Harbourwalk anzeigt. In der Ferne die bizarren Formen einer gigantischen Getreide-Verladestation. Einige hundert Meter weiter öffnet sich die Straße zu einem kleinen Platz (mehr Kreisverkehr, denn Platz), in seiner Mitte ein Mast mit gehisster kanadischer Flagge. Eingefasst von Lagerhallen steht dort ein schlichtes Backstein-Gebäude mit modernem, silbrig-stilisiertem Portikus. Über diesem prangt der Schriftzug des Museums: Pier 21, Halifax, Canada. Im Eingangsbereich hängt eine große Zahl von Nationalflaggen von der Decke, ich sehe China, Mexiko, Deutschland, Äthiopien, Ghana, Irak, Marokko, Vietnam… Eine Reihe an der Wand befestigter Tafeln, die sogenannte Sobey Wall of Honour, verzeichnet die Namen von Spendern für das Museum. Die zugehörige Tafel vermerkt: „The Sobey Wall of Honour pays tribute to the profound contributions to Canada of immigrants, refugees, displaced persons, Canadian troops, war brides and evacuee children. The names acknowledged on the Sobey Wall of Honour represent people who have departed from Pier 21 for World War II or who entered through Pier 21 or any other immigration gateway to start a new life in Canada.“
Abb. 15: Außenansicht des Museums Pier 21
Abb. 16: Eingangshalle
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Eine Rolltreppe führt hinauf in den Chrysler Canada Welcome Pavilion, wo große Fenster den Blick auf den Hafen von Halifax freigeben. Am einen Ende dieses weiten Vorraumes liegt die Kenneth C. Rowe Heritage Hall, ein nach einem Großspender benannter Saal für Feiern und Events, dekoriert mit einer Unzahl weiterer Fahnen, am anderen Ende die ebenfalls nach einem Spender benannte, ca. 900 qm große Rudolph P. Bratty Exhibition Hall. Hier beginnt unter dem Titel „The Immigration Experience“ die eigentliche Ausstellung. Der Text der Einführungstafel, wie alle anderen Beschriftungen nach kanadischem Standard in Englisch und Französisch gehalten, beginnt mit den Worten: „If a building could speak, if its walls could whisper, then Pier 21 would have an incredible story to tell.“ Drei Dinge sind in diesem ersten Satz, der sich in leichten Variationen auch in Werbebroschüren vielfach wiederholt findet, von Beginn an verankert: Zum einen wird die Zentralität des Ortes Pier 21 etabliert. Zum zweiten wird betont, dass es im Folgenden um das Erzählen einer Geschichte gehe, genauer: einer unglaublichen oder wunderbaren Geschichte. Und drittens schließlich wird in Verbindung dieser beiden Punkte suggeriert, dass das Gebäude genau die im Folgenden entwickelte Geschichte selbst erzählen würde, wenn es nur könnte. Erzielt wird in dieser Formulierung ein rhetorischer Effekt, den man als „Authentizitätstransfer“ bezeichnen könnte: eine Verschiebung von der Echtheit des Gebäudes hin zu einer Echtheit, einer Objektivität des Narrativs.22 Die Ausstellungsmacher als Konstrukteure des Narrativs verschwinden, und dessen Charakter als eine spezifisch positionierte Version wird verschleiert. Die eigentliche Erzählung beginnt dann im zweiten Satz nach der Angabe historischer und quantitativer Rahmendaten mit der leitmotivischen Verschränkung individueller Erfahrungen und nationalem Geschick: „It is a story of a million people who immigrated to Canada through Halifax between 1928 and 1971. One million lives, one million experiences – a country transformed.“ Die Ausstellung verfolgt darauf in einem losen Parcours anhand von sechs Stationen den Weg der Einwanderer aus ihren Herkunftsländern nach Kanada: „Leaving“, „Travelling“, „Waiting“, „Customs“, „First Steps“, „Cross-Country“. Jede Sektion beginnt mit einem Zitat und einem kurzen einführenden Text, der die Besucher in der zweiten Person Singular in der Rolle der Migranten anspricht. Diesem beigestellt sind kleine Figuren aus Papier, in der Regel eine Einwandererfamilie aus Vater, Mutter und Kind, die die jeweilige Situation illustrieren.23 Die Präsentation stützt sich auf Texte, Fotografien, wenige Objekte, viele 22
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Dabei sei daran erinnert, dass Authentizität bezüglich musealisierter Gebäude und Objekte immer zuerst einen rhetorischen Modus darstellt, der sich aus einer „collaborative hallucination“ (Kirshenblatt-Gimblett 1998: 167) speist. Jacques Saint-Cyr berichtet im Interview (25.8.2006), dass die einführenden Tafeln und die Papierfiguren ursprünglich nur ins Konzept aufgenommen wurden, um einen unauffälligen und dennoch angemessenen Platz für die Auflistung von Sponsoren zu schaffen.
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Oral History-Interviews in Bild und Ton sowie die auffälligen Inszenierungen der drei ikonischen Elemente Schiff, Wartesaal und Zug. Die erste Einheit versucht anhand weniger Großfotografien die Vielzahl der Herkunftsländer und Migrationsursachen zu thematisieren. Zu sehen sind etwa ungarische Flüchtlinge nach der Revolution 1956, italienische Migranten auf dem Weg zur Auswanderungsagentur24 sowie jüdische KZ-Überlebende und Displaced Persons. Werbeplakate einer kanadischen Schiffsgesellschaft und des Ministeriums für „Kolonisierung und Entwicklung“ zur Anwerbung von Arbeitskräften zeigen das Zielland an und leiten zugleich über in die Sektion „Travelling“. Dominiert ist diese vom stilisierten Schornstein eines Ozeandampfers, an dem Fotografien einer Vielzahl von Auswandererschiffen angebracht sind. An einem Computer in seinem Inneren lassen sich deren technische Daten abrufen. Ergänzt wird die Installation durch Objekte, Fotografien und Texte zum Leben an Bord sowie zu zwei speziellen, kontrastierten Schiffen, dem Luxusliner und Truppenschiff „Aquitania“ und dem Fischerboot „Walnut“, auf dem 1948 mehrere Hundert baltische Flüchtlinge nach Kanada kamen.
Abb. 17: Blick in die Ausstellung
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Das gleiche Bild ist auch in der Ausstellung „Peak Immigration Years“ des Ellis Island Immigration Museum zu sehen, wo die Abgebildeten als zukünftige Einwanderer in die USA reklamiert werden (vgl. auch Chermayeff u.a. 1991: 27). 227
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Die Station „Waiting“ nimmt mit drei Elementen den größten Teil der Ausstellungsfläche ein. Ein Modell veranschaulicht die bauliche Situation während der aktiven Zeit der Kontrollstation sowie den Ablauf des Kontrollprozesses. Mehrere Reihen nachgebildeter Bänke und Fotografien von wartenden Einwanderern verweisen auf die historische Funktion des Raumes. Geflüsterte Gespräche, die aus Lautsprechern unter den Bänken dringen, sollen die Spannung der Wartenden illustrieren und die Stimmung des Wartesaals nacherleben lassen. Der rekonstruierte Schreibtisch eines Beamten der Einwanderungsbehörde, gerahmt von zwei kanadischen Flaggen und einem Schild mit der Aufschrift „Welcome to Canada“, schließt die Abteilung ab. Regelmäßig finden hier Rollenspiele statt, in denen als Beamte verkleidete Museumsmitarbeiter Besucher in kurzen fiktiven Befragungen auf Einhaltung der Immigrationsbestimmungen überprüfen und Einreisestempel vergeben. Flankiert ist die gesamte Inszenierung von mit Koffern gefüllten Drahtkäfigen, die für die Gepäckaufbewahrung stehen. Nur abseits der Hauptroute, auf der Rückseite einer museumsdidaktischen Installation für Kinder, finden sich sporadische Informationen zu den Grundsätzen und Veränderungen kanadischer Einwanderungspolitik.
Abb. 18: Travelling
Abb. 19: Waiting
Gestalterisch wesentlich schlichter und räumlich knapper präsentieren sich die beiden nächsten Sektionen. Tafeln mit Bildern, Zitaten und Anekdoten dokumentieren in der ersten die Arbeit des Zolls. Die zweite behandelt die Rolle der sozialen und kirchlichen Organisationen, die sich ehrenamtlich um das Wohl (und nicht zuletzt das Seelenheil) der Einwanderer kümmerten. Die abschließende Abteilung „Cross-Country“ spielt ganz in der Kulisse eines nachgebildeten Zuges. Dieser scheint sich beim Betreten in Bewegung zu setzten: Vibrierender Boden und eingespieltes Fahrtgeräusch simulieren effektvoll die Reise. Zur Rechten, sichtbar „durch Fenster“, die von Monitoren gebildet werden, ziehen kanadische Landschaften vorbei. In mehreren Abteilen zur Linken sind Video-Interviews mit Kanadiern unterschiedlicher Herkunft zu sehen, die von ihren Einwanderungs228
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
erfahrungen berichten. Am Ende des Zuges und damit des Rundgangs zeigt eine Video-Collage historische Aufnahmen von Einwanderern und Pier 21 zwischen Impressionen kulturell vielfältiger kanadischer Menschen, Städte und Landschaften, die sich schließlich gemeinsam in der kanadischen Flagge auflösen. Die dazu ertönenden Klänge der Nationalhymne „O Canada“ sind aufgrund der Offenheit des Raumes praktisch immer und überall zu hören und unterlegen so die gesamte Präsentation wie ein Soundtrack.25 Die Struktur der Ausstellung folgt mithin einem klassischen Plot: Auf die Einführung des Settings mit der Skizze von Bedingungen der Migration und dem Spannungsaufbau in der Darstellung der Ozeanüberquerung folgt die Klimax der Erzählung in der Konfrontation von Wartesaal und Beamtenschreibtisch. Mit Passieren dieser Inszenierung, zugespitzt in der Vergabe des Stempels „Landed Immigrant“, kommt die Situation zur Auflösung und findet nach einigen weiteren klärenden Schritten in der simulierten Zugfahrt durch das neue Land Kanada seinen Abschluss. Die Video-Collage steht dann noch als Coda im Sinne eines „Und wenn sie nicht gestorben sind…“ (Bennett u.a. 2006: 231). Am Rande dieser Kernerzählung finden sich drei weitere Elemente. An einer Reihe von Hörstationen in einer seitlichen Galerie können weitere Oral-HistoryInterviews mit Einwanderern und Bediensteten abgerufen werden. Das vom übrigen Raum abgegrenzte „World War 2 Deck“ beschreibt die Rolle von Pier 21 im Zweiten Weltkrieg, das Auslaufen und die Rückkehr kanadischer Truppen sowie die Ankunft der „War Brides“. Die gesamte Rückseite des Ausstellungsraumes schließlich wird von der Kulisse eines Ozeandampfers gebildet. Hinter ihr verbirgt sich ein Kinosaal, in dem halbstündlich der Film „Oceans of Hope“ gezeigt wird. In aufwändiger 3D-Technik produziert, von einem fiktiven Beamten der Einwanderungsbehörde erzählt und entschieden sentimental im Ton soll dieser, laut Museum, noch einmal die „emotional stories“ der Immigranten, die durch Pier 21 kamen, Revue passieren lassen. Des weiteren umfasst das Museum ein kleines „Research Centre“, in dem Schiffslisten nach Verwandten durchsucht werden können, und bislang begrenzte Flächen für Wechselausstellungen, die in aller Regel von anderen Institutionen übernommen und in manchen Fällen in Kooperation mit lokalen Einwanderer-Communities gezeigt werden.26 25
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Aufgrund des kontinuierlichen Besucherverkehrs und der Länge der VideoCollage ändert daran auch nichts, dass Bild und Ton nur gestartet werden, wenn ein Besucher herantritt. Im Sommer 2006 wurde die Ausstellung „One-Way Passage“ über die Lebensgeschichten von „War Brides“ gezeigt, gefolgt von einer zur Fluchtwelle nach dem ungarischen Volksaufstand von 1956. Beispiele früherer Ausstellungen waren „France – New France“ über die ersten französischen Siedler in Kanada, „Children of Nunavut“ mit Fotografien von Inuit aus Kanadas nördlichster Provinz und eine Präsentation von Seidenkunst chinesisch-kanadischer Künstler. Seit Abschluss meiner Recherchen im Sommer 2006 wurde die Fläche für Wechselausstellungen 229
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Die Ordnung der Migranten Im Museum Pier 21 findet sich, wie im Ellis Island Immigration Museum, ein Ort, an dem die Protagonisten der musealen Erzählung vorgestellt werden. Während dort die entsprechende Funktion der Fotografien von Augustus F. Sherman und Lewis W. Hine jedoch implizit bleibt, wird der Ort hier ausdrücklich benannt. Es ist die zuletzt erwähnte, mit Hörstationen bestückte Seitengalerie. Ihr Titel lautet „People“ und der einführende Text konkretisiert: „A million arrived here: immigrants, refugees, displaced people, war brides, evacuee and home children. A half million or more left from here – troops during the war years, deportees, those whose dreams did not work out. And through six decades, immigration and customs officials, workers and volunteers did their part as the backbone of Pier 21.“
Abb. 20 und 21: Zwei Hörstationen in der Ausstellungseinheit „People“ Drei Aspekte dieser Darstellung und der folgenden Installation sind charakteristisch für das Museum. Zunächst fällt im Kontrast zur Fassung auf Ellis Island auf, dass die Ausstellung andere Kategorien einführt, um zwischen der Ebene der Einzelpersonen und der Gesamtheit der Einwanderer zu vermitteln. Es entsteht
wesentlich vergrößert und soll in Zukunft mit aufwändigeren Produktionen bespielt werden. Überdies wurde unter dem Titel „Community Presents“ ein Programm entwickelt, mit dem Einwanderergruppen ermutigt werden sollen, eigene Ausstellungen zu realisieren. Die minimale Rolle von Communities in der Entstehung und den bisherigen Operationen des Museums soll damit ausgebaut werden. 230
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
gleichsam eine alternative Ordnung der Migranten. Während dort, wie gesehen, nationale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit in den Mittelpunkt gestellt werden, sortiert das Museum Pier 21 seine Einwanderer entlang historisch-rechtlicher Kriterien. Die Gliederung der Hörstationen bestätigt die Vorgaben des Textes: Mit jeweils einer lebensgroßen und plastisch gearbeiteten Fotografie zur Illustration bilden sie separate Einheiten für Immigranten vor dem Zweiten Weltkrieg, für „Home Children“, „Evacuee Children“, kanadische Soldaten, Flüchtlinge und schließlich die Einwanderer der Nachkriegszeit. In den Interviews wird die Herkunft der Sprechenden zwar verschiedentlich erwähnt, doch nirgends wird diese als prominenter Aspekt herausgestellt. Ähnliches zeigt sich in der weiteren Ausstellung. Eine große Vitrine in der Abteilung zum Zoll, die wie auf Ellis Island „Treasures from Home“ betitelt ist, zeigt die unterschiedlichsten Objekte, die Einwanderer mit nach Kanada brachten. Anders als dort gibt die Beschilderung jedoch keine Hinweise auf ihre Herkunft. Erst bei genauem Blick erkennt man diese in den Dingen selbst – in der Kennzeichnung eines Koffers mit dem Namen eines italienischen Ortes, im niederländischen „Bijbel“ auf dem Rücken eines dicken Buches oder im gestickten „Portugal“ auf einer bunten Kindermütze. Die schwache Bezugnahme auf die Herkunft der Migranten und ihre alternative Kategorisierung mag durch die im Vergleich zu Ellis Island größere Unterschiedlichkeit der Einwanderer im Hinblick auf rechtlichen Status und historischen Kontext bedingt sein (oder im Fall der Exponate mangelhafter Objektdokumentation geschuldet sein), kann aber auch als Hinweis auf die Zurückhaltung gegenüber ethnisierenden Charakterisierungen gedeutet werden. Als zweites wird deutlich, dass die Beamten der Einwanderungs- und Zollbehörden sowie die ehrenamtlichen Helfer vor Ort als integraler Bestandteil in die Erzählung einbezogen sind. Mehr noch: Als „Rückgrat von Pier 21“ kommt ihnen ein besondere Stellung zu und dies gilt nicht nur hinsichtlich ihrer historischen Funktion in der Führung der Kontrollstation, sondern auch für die Präsentation des Museums, wie noch zu zeigen sein wird. Folgerichtig sind auch sie in der Galerie der Menschen von Pier 21 mit Hörstationen repräsentiert, deren Reihe sie ergänzen und beschließen. Einwanderer und Offizielle sind in dieser Inszenierung Teil einer großen Familie, die sich auf und um Pier 21 gebildet hat. Zum Ausdruck kommt dies auch in der gemeinsamen Bezeichnung als „Pier 21Alumni“, wie sie das Museum in seinen Veröffentlichungen pflegt (vgl. etwa die Website des Museums). Der dritte Punkt zeigt sich nur gleichsam ex negativo, durch eine vielsagende Lücke. Im einführenden Text ist von Deportierten und enttäuschten Rückwanderern die Rede, im Folgenden ist von diesen jedoch nichts zu sehen und zu hören (so auch Lafferty 2001: 174). Ihr Fehlen bei den Hörstationen lässt sich noch durch das Problem mangelnder Quellen erklären, doch ist es für die weitere Ausstellung symptomatisch. Diese Kehrseiten der kanadischen Einwanderungsgeschichte sind in der Präsentation des Museums insgesamt aktiv „vergessen“. 231
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
The Immigration Experience – Erlebnis Einwanderung27 Am Eingang zur Dauerausstellung liegt für jeden Besucher ein kleines blaues Heft bereit. „Pier 21 Passport/Passeport“ steht darauf und eine Werbebroschüre richtet nicht nur an Kinder die Aufforderung zu dessen Einsatz: „Move through the seven stages of immigration with your Pier 21 passport.“ Mit der Einführung des Passes als Leitobjekt ist Migration im Museum Pier 21 von Beginn an ausschließlich als legale, dokumentierte Einwanderung gedacht. Doch mehr interessiert hier ein anderer Aspekt. „The Immigration Experience“ im Ganzen ist, wie gesehen, organisiert entlang einiger weniger dramatisierter Momente der Reise der Migranten aus den Herkunftsländer zu ihrem kanadischen Bestimmungsort. Diese Erzählung wird nun explizit als Reihe aufeinanderfolgender Phasen vorgestellt, die gleichermaßen von allen Immigranten durchlaufen werden. Auf diese Weise wird eine Vielzahl disparater Einwanderungserfahrungen, die in den Oral History-Interviews noch vereinzelt zum Ausdruck kommen, in eine abstrakte Norm überführt. Unterschiede hinsichtlich Klasse, Geschlecht, Alter, Herkunft und race werden unsichtbar. Wie an den ganz analogen Präsentationen im Ellis Island Immigration Museum hinlänglich dargestellt, entsteht so im Hauptstrang der Erzählung das Bild des einen und einenden Erlebnisses der Einwanderung und eines resultierenden Kollektivs der Einwanderer. Dabei wird auch die Differenzierung in verschiedene Migrantengruppen nicht aufrecht erhalten, die in der erwähnten Seitengalerie eingeführt wurde. Vielmehr werden Differenzen, wo sie aufscheinen, durch die Betonung oberflächlicher Gemeinsamkeit überlagert. Ein Text in der Abteilung zur Ozeanreise etwa beschreibt, dass im Laufe der Zeit über zweihundert Einwandererschiffe Pier 21 angesteuert hätten und hält weiter fest, dass darunter große und kleine, spartanische und luxuriöse gewesen seien. Statt von hier aus jedoch etwa die Unterschiede im ökonomischen Hintergrund der Passagiere zu thematisieren, fährt die Darstellung harmonisierend fort: „[A]ll carried the hopes, fears and expectations of people starting anew in Canada“. Die so modellierte „immigration experience“ bestimmt nun nicht nur das museale Narrativ, sondern soll, wie in dem imitierten Reisepass angedeutet, in direktem Übertrag auch die Wahrnehmung der Besucher strukturieren. Das Museum setzt sich also nicht nur zum Ziel eine bestimmte Erfahrung der Einwanderung zu präsentieren, sondern es will diese Erfahrung gleichsam selbst erfahrbar machen. Sarah Klein (2005: 10) fasst dieses Konstrukt als „Erlebnis zweiter Ordnung“: „Pier 21 does not structure itself as a sight to be seen, but as a place to be experienced. […] Visitor experience, as a kind of doubling or stand-in for immigrant experience, be-
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Die Semantik des englischen „experience“ changiert zwischen „Erfahrung“ und „Erlebnis“ und wird auch in dieser doppelten Bedeutung vom Museum eingesetzt. Die verschiedenen Facetten des Begriffs diskutiert Hetherington (2006).
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
comes in a sense the content of the exhibit. In this sense, Pier 21 is theatrical, both in that it casts the visitor in the role of the immigrant, and in that it requires the visitor’s performance (by moving through the exhibit) in order to be complete.“
Die Zuschreibung der Immigranten-Rolle erfolgt in der Ausstellung, neben dem performativen Nachvollzug vorgegebener Phasen im Verlauf des Ausstellungsrundgangs, nicht zuletzt auf sprachlicher Ebene. Die einleitenden Texte der einzelnen Stationen sind durchgängig in der 2. Person Singular gehalten, sprechen die Leser also direkt an. Mehr noch: Die grammatikalische Konstruktion setzt Immigranten und Besucher textlich in eins. Die Einführung zur Abteilung „Waiting“ etwa lautet: “You sat on wooden benches waiting to see the Canadian immigration officer. It could take hours before your turn came. […] Had you made the right decision? Would everything be alright? What lay ahead?“ Und zur folgenden „First Steps“ heißt es: „You had made it. You were a landed immigrant now. But you were exhausted from your trip, and everything appeared strange and new. How would you get to your final destination?“ In dieser aktiven Einbeziehung der Besucher in das „Erlebnis Einwanderung“, die im Vergleich zum Ellis Island Immigration Museum umfassender ist28, lassen sich verschiedene Bedeutungen erkennen. Zunächst ist sie, wie von Klein angedeutet, für das Museum eine schlichte Notwendigkeit. Über die Inszenierung der Einwanderung als Erlebnis für Besucher kann es sich als Attraktion darstellen und dies gerade angesichts des Fehlens interessanter Schaustücke.29 Des weiteren zielt die Form der Ausstellung, den Intentionen der Macher gemäß, unmittelbar auf Empathie mit den einfachen Migranten. Darüber hinaus verstärkt die Einbindung der Besucher jedoch die Konstruktion eines gleichsam universalen Einwanderers, der von jeder Spezifik gereinigt und auf Allgemein-Menschliches reduziert ist. Denn nur ein „Migrant ohne Eigenschaften“ kann, wie eine leere Hülle, die erwünschten Identifikationen und Projektionen eines heterogenen Publikums auf sich ziehen.30 Dass damit letztlich nicht individuelle Migranten im Mittel-
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Dort, daran sei erinnert, teilen nicht alle Ausstellungen die Perspektive der Immigranten und die direkte Ansprache von Besuchern als Einwanderer bleibt aus. Dieses Bestreben wird auch deutlich in der Aufschrift einer Tafel im Foyer des Museums. Unter dem Werbespruch: „Pier 21 – You will leave inspired, informed, proud.“ heißt es: „Warning: This one-of-a-kind interactive exhibition causes goosebumps.“ – als handele es sich bei dem Museum um eine Geister- oder Achterbahn. Auf den gegenwärtigen Trend von objekt- zu konzeptorientierten Präsentationen in der internationalen Museumswelt, in dessen Kontext eine solche Ausrichtung zu sehen ist, wurde einleitend hingewiesen. Zum Konzept des Erlebnismuseums vgl. zudem die Beiträge in Museumskunde 63 (1998) 2 zum Thema „Erlebnismuseum – Erlebnis Museum“. Dass der so geschaffene „Migrant ohne Eigenschaften“ durchaus nicht eigenschaftslos ist, sondern etwa weiß, heterosexuell (wie in den Vater, Mutter, Kind233
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
punkt der Präsentation stehen, sondern ein gleichsam in persona nachempfundenes Kollektiv, wird nicht zuletzt in Ankündigungen des Museums selbst deutlich, wenn es heißt, Pier 21 „gives life to the collective memories of so many Canadians who have passed through its doors“ (zit n. Zorde 2001: 62). In dieser Rede, wie in der Nachempfindung des Einwanderungserlebnisses durch Besucher, wird in doppeltem Effekt ein Kollektiv behauptet und diesem zugleich gewissermaßen Leben eingehaucht. Zudem wird die Erzählung des Museums mit Verweis auf die Wiederholung früherer Ereignisse authentisiert und legitimiert. Im Kern geht es damit im erlebnishaften Nachvollzug durch die Museumsbesucher um die Herstellung einer Verbindung zwischen der subjektiven Erfahrung ehemaliger Einwanderer und der institutionalisierten Geschichte der Einwanderernation, die über die Konzentration auf die Gefühle der Migranten zudem affektiv aufgeladen wird. Ihre Vollendung findet diese Verbindung in der Parallelisierung des Muts, des Willens und schließlich des Triumphs der Einwanderer mit der (so umgekehrt personalisierten) Nation: „Every immigrant must dream boldly, risk, and dare to create a new life. To achieve greatness, a nation must be equally bold in its dream. Pier 21 is a testament to Canada’s profoundly emotional immigration experience.“ (PR-Material, zit. n. Vukov 2002: 26) Unabdingbare Voraussetzung für den gelingenden Nachvollzug dieser „zutiefst emotionalen Erfahrung der Einwanderung“ als Basis für die Attraktivität von Pier 21 und die Wirksamkeit seines geschichtspolitischen Programms ist die Überzeugungskraft des authentischen Ortes. Folgerichtig steht dieser im Mittelpunkt der Veröffentlichungen des Museums und bildet, wie in der Diskussion des Einführungstext dargestellt, den Ausgangspunkt der Präsentation. Kurator Erez Segal betont: „We were trying to create an experience where people can relive what Pier 21 was. People who came through Pier 21 will see the same large spaces, the original doors and the waiting room, and there is no question there will be a sense of déjà vu.“ (Globe and Mail 28.6.1999: A5) Nicht immer scheint der erwünschte Effekt jedoch einzutreten. Ein Besucher, selbst ehemaliger Pier 21-Immigrant, äußerte sich in einem Leserbrief nach der Eröffnung im wahrsten Sinne des Wortes desillusioniert: „What a disappointment Pier 21 was. Nothing is left from the time our families spent there for six weeks in March of 1953 and 1954. Pier 21 is now a place you can eat and buy souvenirs, but don’t look for something real. It isn’t there. […] We expected to walk into ‚Pier 21’, but it is just a new-made building.“ (Halifax Chronicle Herald 3.7.1999: C5) Seine Kritik galt im einzelnen vor allem dem Fehlen von baulichen Überresten der Internierungseinrichtungen, der Verklärung der höchst einfachen, teils elenden Verhältnisse vor Ort und den mangelnden Hinweisen auf DiskrimiPapierfiguren angedeutet) und erfolgreich, steht zu diesem Befund nicht im Widerspruch, sondern bestätigt vielmehr den normalisierenden und damit herrschaftsförmigen Charakter dieser Konstruktion. 234
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
nierung, unter anderem seitens Ehrenamtlicher kirchlicher Organisationen. Neben diesen geht der Einwand aber aufs Ganze und offenbart das Dilemma einer Inszenierung, die ganz auf Empathie und Emotion setzt: Wenn die subjektive Erinnerung von ehemaligen Immigranten gegen die inszenierte Authentizität des Museums steht bzw. wenn die Re-Konstruktion aus anderen Gründen nicht gleichsam geglaubt wird, wenn das Einwanderungserlebnis zweiten Grades also ausbleibt, wird einer Präsentation, die mehr auf Gefühl als auf Verstehen setzt, die Grundlage entzogen.
Abb. 22: Eingang zum Kino, in dem der Film „Oceans of Hope“ gezeigt wird
First Steps: Nationale Neugeburten Schiff, Wartesaal und Zug – drei auffällige Inszenierungen prägen die Dauerausstellung im Museum Pier 21. Die ikonischen Zeichen Schiff und Zug verweisen dabei zunächst allein auf Bewegung im Raum, auf Mobilität. Die Bedeutungsdimensionen sind vielfältig, der Assoziationsraum weit offen. Migration, so ins Bild gesetzt, ist nicht beschränkt auf internationale Migration, auf Wanderung über Staatsgrenzen hinweg, und jenseits von Migration spielen verwandte Komplexe in die Imagination: Tourismus, Verkehr etc. Im Zentrum der Präsentation – sowohl räumlich als auch dramaturgisch – steht jedoch der Wartesaal und der Schreibtisch eines Grenzbeamten. Mit dessen Zentralstellung wird das Narrativ auf den bürokratischen Akt der Einwanderung zugespitzt, wodurch ein möglicher weiter Begriff von Migration aufgegeben und die Geschichte entlang nationaler Parameter vermessen wird. Was in der Veror235
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
tung des Museums in der ehemaligen Grenzstation angelegt ist, wird in der Inszenierung der Ausstellung vollendet: Der Grenzübertritt – verdichtet im vielstrapazierten Stempel „Landed Immigrant“ – wird zum Höhepunkt und Wendepunkt der Erzählung und zum eigentlichen Inbegriff von Migration stilisiert. Ausgeblendet ist darin nicht nur, dass der Weg zur Erlangung der kanadischen Staatsbürgerschaft für Einwanderer noch weit sein konnte. Suggeriert ist auch eine mühelose und erfolgreiche Integration in die kanadische Gesellschaft. Tatsächlich erscheint der Grenzübertritt in der Präsentation des Museums als Moment der augenblicklichen und vollständigen Transformation von Einwanderern in Kanadier.
Abb. 23: Inszenierter Schreibtisch eines Grenzbeamten im Zentrum der Ausstellung Der Titel der folgenden Abteilung „First Steps“ meint denn auch nur vordergründig die weiteren praktischen Schritte, die nach der Einreise zu erledigen waren, und auch nicht die realen ersten Berührungen kanadischen Bodens, sondern in metaphorisierter und mythisierter Weise die ersten Schritte „neugeborener“ Kanadier (Vukov 2000: 107). Ruth Goldbloom lässt an dieser Lesart keinen Zweifel, wenn sie von einer Immigrantin aus Osteuropa berichtet: „She said she was never able to give the name of the hospital she’d been born in. But when she saw the opening of Pier 21, she could finally say where she’d been born. She was born, as a Canadian at Pier 21.“ (Halifax Chronicle Herald 27.10.1999: C4) Vor dem Hintergrund dieses Bildes von Einwanderung als momenthafter Transformation und Neugeburt ist folgerichtig, dass die Ikonen der Mobilität, 236
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Schiff und Zug, in der Ausstellung nur eine Richtung kennen und die Reisen der Migranten nur ein Ziel: immer vorwärts, nie zurück. Im wörtlichen Sinne bedeutet dies, dass Rückwanderung in der Präsentation, obwohl für Pier 21 zu manchen Zeiten zahlenmäßig bedeutender als Einwanderung, keine Rolle spielt. Im metaphorischen Sinn ergibt sich eine geschlossene und lineare Erzählung von Aufbruch im alten und Ankunft in einem neuen, besseren, kanadischen Leben, ohne Brüche, Krisen, Scheitern. Das Museum verdichtet in seiner Inszenierung mithin die „epically conceived journey“, eine bestimmende Trope der klassischen Einwandererautobiographie, wonach sich der Immigrant auf eine Reise begibt, hin zu einer neuen Welt, in der buchstäblich ein neues Selbst entsteht (Boelhower 1990: 297). Die Oral History-Interviews, die in den Zugabteilen gezeigt werden, sind der einzige Ort, an denen mitunter Ambivalenzen aufscheinen. Ein junger Mann, der als Jugendlicher aus Vietnam immigrierte, erzählt von Erfahrungen eines Kulturschocks und seinen Schwierigkeiten, sich in Kanada zurecht zu finden. Ein anderer deutet Konflikte innerhalb seiner Familie an zwischen dem Vater, der die Entscheidung zur Auswanderung getroffen hatte, und der Mutter, die den Schritt noch lange bereute. Eine „War Bride“ berichtet von quälendem Heimweh und eine andere ältere Dame, die als Flüchtling nach Kanada kam, drückt in lakonischen Worten Gefühle der Fremdheit aus: „It was difficult. You know, like Kermit the Frog says: ‚It’s not easy to be green!’ It’s not easy to be different.“ Prägend sind solcherart Zwischentöne oder gar Dissonanzen für den Charakter der Ausstellung und die in ihr formulierte Geschichte der Einwanderung nicht. Dies liegt zum einen daran, dass sie im größeren Rahmen, also der Vielzahl glatter Berichte und der überschwänglich positiven Rhetorik der Ausstellung im Ganzen, übertönt werden und kaum ins Gewicht fallen; andererseits daran, dass keine Erzählung ehemaliger Immigranten aufgenommen wurde, deren Ende nicht glücklich wäre. Die Berichte von Zweifeln oder Schwierigkeiten sind so eingebettet in ein vertrautes Narrativ von schweren Prüfungen und Entbehrungen, die schlussendlich jedoch von Erfolg gekrönt waren (Vukov 2002: 19). Ihre wichtigste Funktion erfüllen die „Talking Head“-Interviews mithin als Teil einer dokumentarischen Authentisierungsstrategie, die Hito Steyerl (2005: 117) als Verfahren der Wahrheitsproduktion charakterisiert. Wenn Pier 21 im Blick auf Individuen als Ort der „Neugeburt“ als Kanadier und der ersten Schritte in ein besseres Leben inszeniert wird, so gilt dies gleichermaßen für ein Kollektiv der Einwanderer. Beiratsmitglied Peter C. Newman (1996) qualifiziert die Kontrollstation als „the place where we became Canadians“ und ein anderer Kommentator sekundiert: „[I]t would be tough to find a more fitting heritage site than Pier 21. In a sense, it’s where we all came from“ (Chronicle Herald, 29.6.1998: B1). Von Bedeutung ist dabei, was Tony Bennett (1993: 227f.) in anderem Zusammenhang als Verwandlung von ersten Malen in Ursprünge analysiert. In einer Untersuchung der Umgestaltung des Hafenviertels 237
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
von Sydney (The Rocks) zum historischen Bezirk vermerkt er den große Stellenwert, der zahlreichen „ersten Gebäuden“ dieser ältesten europäischen Siedlung auf dem australischen Kontinent beigemessen wird, um dann festzustellen: „What matters rather more is the way in which such firsts have been transformed into origins, and correspondingly, The Rocks itself into a centre of origins in the sense of being not merely the first area of settlement but one which contains the seeds of future and broader developments.“ Dieser Effekt würde erzielt „by organising the visitor’s experience within the terms of a rhetoric of consensus nationalism which, in overlayering the various objects and buildings encountered, enables them to function as origins of the subsequent unfolding of the nation’s history told as the gradual rise of a free, democratic, multicultural citizenry. The modus operandi of this archaeological epistemology is centrally dependent on the mechanisms it uses to exorcise conflict from the origins it constructs as well as from the subsequent history which flows from those origins.“
Am Pier 21 kommt nun nicht, wie in The Rocks, dem Gebäude selbst die Qualität der Erstmaligkeit zu. Der Bau liefert hier allein den Rahmen. Mit Bedeutung aufgeladen werden, wie gesehen, die vielen „ersten Schritte“, die in seinem Innern vollzogen wurden. Im Zentrum der Präsentation steht nicht eine ehemals hier entstandene neue Siedlung, sondern gleichsam hier entstandene neue Menschen, neue Kanadier. Doch jenseits dessen zeigen sich die Parallelen: Pier 21 wird als Ursprung der kanadischen Einwanderernation begriffen, die ersten Schritte in seinen Hallen tragen quasi keimhaft das Versprechen einer glückenden multikulturellen Zukunft in sich. Und auch hier sind jegliche Spuren von Spannung oder Konflikt, sowohl zwischen Einwanderern als auch zwischen Einwanderern und Staat, getilgt (Zorde 2001: 11f.).31 In dieser Perspektive lässt sich auch die abschließende Inszenierung des Zuges noch einmal anders deuten: Es sind nicht einzelne, die hier einem neuen Leben entgegenstreben, sondern viele gemeinsam. Der Zug setzt die Vorstellung eines harmonischen Kollektivs der Einwanderer ins Bild. Wie verschieden die Personen und Geschichten auch sein mögen, die in den verschiedenen Abteilen zu sehen und zu hören sind, sie sind vereinigt in dem einen Container des Zuges. Von Pier 21 ausgehend, so will es scheinen, werden ihre Geschichten eine Geschichte. Der Zug metaphorisiert so die Nation der Einwanderer, seine Vorwärtsbewegung deren stetes Fortschreiten und die apotheotische Video-Collage deren glänzende Bestimmung. 31
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Thomas Schlereth (1989: 21) beschreibt die Vermeidung der Darstellung gesellschaftlicher Konflikte, insbesondere ethnischer oder religiöser Art, als verbreitetes Phänomen in nordamerikanischen Museen. Die Ursachen dieser „Entpolitisierung der Sozialgeschichte“ sieht er in der Rücksichtnahme der Kuratoren gegenüber potentiell negativen Reaktionen des Publikums und ihrem Unbehagen gegenüber der Thematisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Erlebnis der Grenze – Grenzen des Erlebnisses Die Austreibung jedweder Spuren von Konflikt aus dem musealen Narrativ erstreckt sich auch auf die Interpretation des historischen Betriebs am Pier 21 sowie die Mechanismen der Grenze im Allgemeinen. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Darstellung der Grenzbeamten in der Präsentation. Diese bilden im Narrativ des Museums das Gegenstück zur Position der Immigranten. Während jene als Protagonisten der musealen Erzählung auftreten, stellen sie deren Erzähler. Deutlich ist dies im 3D-Film „Oceans of Hope“, der halbstündlich im Kino innerhalb der Ausstellung gezeigt wird. Ein Beamter erscheint auf der Bühne und stellt sich als einer derjenigen vor, die über Jahrzehnte hinweg in der Kontrollstation gearbeitet hätten. Er führt in die Geschichte von Pier 21 ein und lässt dann nach und nach, wie von seinen Erinnerungen angestoßen, kurze Szenen mit Einwanderern aus verschiedenen Zeiten erscheinen. Am Ende des Filmes tritt er abermals auf, um die von ihm getragene Erzählung zum Abschluss zu bringen. Er lässt noch einmal nostalgisch die Zeit Revue passieren, resümiert die Schwierigkeiten und die großen Freuden, bevor er das Schlusswort spricht: „What an amazing journey we took together!“ – und das Licht löscht.32 In der Ausstellung selbst übernimmt das Museumspersonal mit Hilfe historisierender Uniformen die Rolle der Grenzbeamten und führt in dieser Person die Besucher durch die Ausstellung und die Geschichte Pier 21s. Der Effekt dieser Darstellung und Zentralstellung der Beamten ist die Personalisierung des Grenzregimes sowie die Entschärfung des strukturellen Konflikts zwischen Einwanderern und Grenzern. Die Beamten erscheinen als wohlwollende Helfer, die die Neuankömmlinge willkommen heißen, sie gleichsam freundschaftlich an die Hand nehmen und auf ihren ersten Schritten nach Kanada geleiten (Zorde 2001: 70). Die strukturell gegen die Immigranten gerichtete Funktion der Kontrolle und Selektion tritt demgegenüber in den Hintergrund. Mit dieser Interpretation der Rolle der Beamten korrespondiert das weitgehende Fehlen von Bezugnahmen auf Internierung oder Deportation in der Ausstellung. Der Eintrag zu „Detention Facilities“ am zentralen Modell des Gebäudes vermerkt zur Sache etwa nur: „People who were ill or lacked proper papers stayed at Pier 21 until the situation was resolved.“ Im erwähnten Film kommt der erzählende Beamte an einer Stelle auf Abschiebungen zu sprechen, doch nur um sich gleichsam als Mensch dagegen abzusetzen: „I hated that part of my job!“ Verstärkung erfährt die Personalisierung und Harmonisierung der Grenz mechanismen durch das übergreifende Erlebniskonzept. Täglich finden an dem inszenierten Schreibtisch im Zentrum der Ausstellung Rollenspiele statt. Muse32
Die Figur des Beamten als Erzähler lässt sich als Hommage an den Initiator des Museums, den ehemaligen Direktor der Einwanderungsbehörde Nova Scotias J.P. LeBlanc, lesen. 239
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
umsmitarbeiter in Uniform befragen auf humorvolle Weise Einwanderer, die von Besuchern verkörpert werden, zu ihrer Person und den Gründen ihrer Migration. Dabei zeigen sich schnell die Grenzen im Erlebnis der Grenze: Gleich wer vor die „Beamten“ tritt und gleich wie das Gespräch verläuft, der Stempel „Landed Immigrant“ wird hier niemandem versagt. Internierungen oder Deportationen werden nicht nachgespielt. Die Rolle der Beamten wird dabei nicht selten von Angehörigen der sogenannten „visible minorities“, also Kanadiern asiatischer oder afrikanischer Herkunft, eingenommen.33 Während der überwiegenden Zeit, in der die Kontrollstation aktiv war, hätten diese selbst keine Chance gehabt, die Kontrollen zu passieren.
Abb. 24 und 25: Spielerische Inszenierung des Grenzübertritts „[T]he welcome was most kind and wonderful from the Canadian authorities“ – das Zitat einer italienischen Einwanderin ergänzt eine Tafel mit der kurzen Beschreibung des Kontrollprozesses. Es liest sich wie ein Resümee zur Inszenierung des Museums. Dabei treten in dieser Darstellung nicht nur bestimmte Aspekte, wie Internierung und Deportation, in den Hintergrund. Die Logik einer spezifischen Einwanderungspolitik wird reduziert auf den persönlichen Kontakt zwischen Beamten und Immigranten vor Ort. Doch was wäre geschehen, wenn die gleiche Italienerin nicht 1956, sondern wenige Jahrzehnte früher einen Einwanderungsversuch unternommen hätte? Was, wenn sie nicht in Italien, sondern wenige Kilometer südlich geboren worden wäre? Der Empfang wäre weit unerfreulicher ausgefallen. Durch die Konzentration auf eine individuelle und emo33
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„Visible minority“ wird im maßgeblichen Employment Equity Act von 1995 definiert als „persons, other than Aboriginal peoples, who are non-Caucasian in race or non-white in colour“ (http://laws.justice.gc.ca/en/E-5.401 (21.3.2008)). Im größeren Zusammenhang alternativer „Vorstellungen der Grenze“ diskutiere ich diese Inszenierung in Baur 2007.
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
tionale Ebene bleiben die Prinzipien und Wandlungen der kanadischen Einwanderungspolitik unterbelichtet, und das Museum trägt so zur Verdrängung der Geschichte rassistischen Ausschlusses aus dem kollektiven Gedächtnis Kanadas bei (vgl. hierzu Henry u.a. 2000: 69-117). Aufgegriffen ist das Thema der Restriktion von Einwanderung nur auf einer kleinen Tafel abseits der Hauptroute. In knappen Worten erwähnt wird der bis in die 1960er Jahre gültige Ausschluss der Migration aus Afrika, China und Indien, die in den 1920er Jahren verfügten Einreiseverbote für und Deportationen von politischen Linken34 sowie die Weigerung der Aufnahme jüdischer HolocaustFlüchtlinge. Die rassistischen Auswahlkriterien kanadischer Einwanderungspolitik, die eine der Grundlagen des Betriebs am Pier 21 stellten, sind dabei euphemistisch verklausuliert: „Until 1961, immigration policies favoured immigrants who would blend into the existing population.“ Mehr noch: In der Rede von den Einwanderern, die sich in die bestehende Bevölkerung (optisch) einfügen und mit dieser vermischen, wird eine rassistische Denkfigur kontinuiert, die das Gelingen von Integration mit Ähnlichkeit in Hautfarbe und Kultur in Verbindung bringt. Eingerahmt ist diese Darstellung überdies in ein Fortschrittsnarrativ, das die historischen Prinzipien der Auswahl scharf gegen gegenwärtige absetzt und darauf ein positives Bild Kanadas gründet. Der obige Text fährt fort: „Then a new system gave more weight to skills and education than to race or country of origin. This opened the door to immigration from all over the world. Today, Canada is arguably the most diverse country in the world.“ Wenn nicht zu bezweifeln ist, dass das neue System im Vergleich zum alten als liberaler und progressiver gelten kann (Avery 1995: 170-197), so wird in diesem einfachen Narrativ weder problematisiert, wie die lange Tradition rassistischer Einwanderungspolitik in der kanadischen Gesellschaft nachwirkt, noch, welche Ausschlüsse das geltende, auf kapitalistischen Verwertungskriterien gründende System produziert. Die bei allen inhaltlichen Verschiebungen konstante Logik der Definition von erwünschten und unerwünschten Einwanderern bleibt so in der Präsentation verborgen.35 Statt an der Offenlegung dieser Logik arbeitet das Museum vielmehr selbst an der Konstruktion des erwünschten Immigranten. Dieser zeichnet sich nun im Einklang mit der Verschiebung kanadischer Migrationspolitik nicht mehr durch Herkunft oder race, sondern durch seine Arbeitsethik aus: Ruth Goldbloom entwirft ihre Idealmigranten als „willing to work and keen to succeed“ (Pier 21 Ar-
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Tatsächlich beschränkte sich die Diskriminierung nicht auf die 1920er Jahre. Abschiebungen, etwa von Kommunisten, setzten sich bis in die dreißiger Jahre fort, und Einreiseverbote galten noch in den fünfziger Jahren (Palmer 1990b: 187, 193). Die Konstruktion des erwünschten bzw. unerwünschten Immigranten ist zentrales Thema der hervorragenden Arbeit von Tamara Vukov (2000). Sie deutet das institutionalisierte Erinnern im Museum Pier 21 dabei als Aktualisierung eines historisch früheren Moments der Erfindung der Figur des erwünschten Immigranten. 241
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
chiv 4). Die Interviews zelebrieren das Durchhaltevermögen der Einwanderer und ihre Bereitschaft zu harter Arbeit und die Ausstellung präsentiert insgesamt eine „story of over-achievement and mostly financial success“ (Walcott 2001: 29; auch Zorde 2001: 81). Auf dieser Grundlage erscheint denn das eingangs gezeigte Plakat mit dem Bild eines Arbeiters, der vor der kanadischen Flagge tatendurstig die Ärmel aufkrempelt, nicht nur als Illustration einer historischen Anwerbekampagne, sondern als Wunschbild des Museums und seiner unterschwelligen Propaganda des erwünschten Immigranten.
„Deeply grateful, all my life…“ – Zum Diskurs der Dankbarkeit Mit der Ausblendung politischer und ökonomischer Grundsätze der kanadischen Einwanderungspolitik sowie der Personalisierung der Grenze erscheint Einwanderung nach Kanada im Museum Pier 21 als wesentlich humanitär begründet. In verschiedenen Teilen der Ausstellung wird dieser Eindruck noch verstärkt. Wenngleich die meisten Einwanderer als angeworbene Arbeitsmigranten und nicht als Flüchtlinge ins Land kamen, rücken diese vielfach in den Vordergrund. So wird der Geschichte des Flüchtlingsbootes „Walnut“ vergleichsweise breiter Raum gegeben. Erzählt wird anhand von Texten, Videos, einem Fotoalbum und einem Modell die Geschichte der 347 Balten, die im Dezember 1948 in dem überfüllten Fischerboot am Pier 21 anlandeten. Obwohl die wenigsten Papiere, Visa oder Geld vorweisen konnten, wurden sie von den Beamten unter Umgehung geltender Einreisebestimmungen zugelassen. Was in der Ausstellung wie ein spontaner Akt universaler Menschlichkeit anmutet, passt sich indes in eine spezifische kanadische Flüchtlingspolitik ein, die Whitaker (1987; auch Finkel 1986) als doppelmoralisch beschrieben hat: Während im Zeichen des Kalten Krieges Flüchtlinge aus kommunistisch regierten Ländern willkommen geheißen wurden, blieb solchen aus rechten Diktaturen die Aufnahme versagt. Der humane und humanitäre Charakter der Einwanderung nach Kanada steht auch im Vordergrund der Ausstellungseinheit, die sich mit den ehrenamtlichen Helfern in der Kontrollstation befasst. Diese werden, wie die Grenzbeamten, als „Botschafter Kanadas“ vorgestellt, wodurch ihr Einsatz für das Wohl der Immigranten gleichsam als stellvertretend für Kanada als Ganzes genommen wird. Die spezifische Akzentuierung des Narrativs wird besonders deutlich in einem weiteren Fall: Während die nahezu vollständige Schließung der Grenzen für jüdische Holocaust-Flüchtlinge, wie erwähnt, im Kleingedruckten einer abseitigen Tafel verschwindet, bildet die Geschichte eines der wenigen NS-Verfolgten, die Aufnahme fanden, den prominenten Abschluss der Inszenierung.36 Der Text, ein 36
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Es handelt sich bei dem Immigranten um den späteren Chemie-Nobelpreisträger Gerhard Herzberg, der Deutschland verlassen musste, weil ihm aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin die Lehrbefugnis entzogen wurde.
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
Auszug aus einem Interview oder Lebensbericht, beschreibt dessen Ankunft als Flüchtling aus Deutschland, die freundliche Aufnahme in Kanada und endet mit den Worten: „Canada is really the country that saved me. I have a sort of a hunch that Canada IS my country.“ Der Effekt dieser Überbetonung der humanitären Grundlage der Einwanderung nach Kanada ist ein doppelter. Zum einen wird das Land als weltoffen, tolerant und gastfreundlich inszeniert und damit ein dominantes nationales Selbstbild bestätigt (Walcott 2001: 28; Mackey 1999). Kanada erscheint – insbesondere im Gegensatz zu den Herkunftsländern der Einwanderer – als „land of milk and honey“ (Lafferty 2001: 172). Einwanderungsgeschichte wird in dieser Version zu einem „tribute to the historic benevolence of the Canadian state and the Canadian people […] a pat on the back of Canadians“ (Zorde 2001: 71). Zum anderen liefert diese Darstellung die Grundlage für einen Diskurs der Dankbarkeit, der die gesamte Präsentation durchzieht. „I have been deeply grateful, all my life, for the warmth and kindness of our reception“, wird eine polnische Immigrantin auf einer Texttafel zitiert. Und eine andere gibt zu Protokoll: „How grateful we were for those kind souls who, speaking our language, were on hand to ease complete strangers through the formalities of officialdom.“ Zum Ausdruck kommt dieser Diskurs auch in der viel zitierten Geschichte einer ehemaligen Immigrantin und ihres Sohnes, die kurz vor Schließung der Kontrollstation auf der Suche nach einem bestimmten Beamten ans Pier 21 zurückkamen. Dieser habe dem Jungen bei der Einreise mit den Worten „your first Canadian money“ einen Penny geschenkt und die beiden kehrten nun zurück, um dem Beamten speziell für seine Freundlichkeit zu danken (In Transit 1994: 10). In leichter Variation findet sich die Geschichte im Film „Oceans of Hope“. Hier wird von einem Beamten berichtet, der Einwanderern mit seinem eigenen Geld ausgeholfen und dafür Jahre später einen Brief erhalten habe, in dem ihm unter Dankbarkeitsbezeugungen die entsprechende Summe zurückgezahlt wurde. Dankbarkeit ist in der Inszenierung von Pier 21 der dominante Modus der Reflektion auf das Erlebnis der Einwanderung. Bekräftigt wird so noch einmal die moralische Größe des Einwanderungslandes Kanada. Gleichzeitig werden darin – analog zu der Ausblendung problematischer Facetten in der Feier kanadischer Einwanderungsgeschichte im Ganzen – traumatische Momente der Migrationsbiographien einzelner positiv überschrieben. Schließlich überträgt sich die Dankbarkeit gegenüber den Repräsentanten Kanadas am Pier 21 auf Kanada an sich und wird so zum rituell wiederholten, emotionalen Ausdruck eines Einwandererpatriotismus. Dies trifft sich mit der routinemäßig an Immigranten gerichteten Forderung, die Loyalität zu ihrer neuen Heimat in besonderem Maße unter Beweis zu stellen. Die Präsentationen des Museums liefern das Vorbild für die Erfüllung dieser Forderung und propagieren mit dem Diskurs der Dankbarkeit das gültige Muster für das Verhältnis der Einwanderer zum Land ihrer Einwanderung (Vukov 2002: 26f.). Wie das Gefühl der Verpflichtung seitens der Ein243
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
wanderer im Film „Oceans of Hope“ mit der Rückzahlung der geliehenen Geldsumme eingelöst wird, so soll es in übertragenem Sinne zurückgezahlt werden mit erhöhter Loyalität.
Die Erfindung einer Tradition des Multikulturalismus Die Video-Collage am Ende des simulierten Zuges und damit am Ende der Ausstellung wirkt in vielem wie ein Fazit der Präsentation des Museums. Ins Bild gesetzt werden Land und Leute Kanadas, ihre Verbindung und deren Ursprung. Der Film beginnt mit Panorama-Aufnahmen unberührter kanadischer Landschaften. Über diese schieben sich nach kurzer Zeit historische Aufnahmen des Wartesaals von Pier 21, die abgelöst werden von einem Wechselspiel von Bildern historischer Immigranten und Landschaftsaufnahmen mit Feldern, Hügeln, Bergen, Wäldern und Wasserfällen. Auf den ersten Höhepunkt der begleitenden Musik „fährt“ die Fotografie eines Zuges von links ins Bild. Mit Einsetzen des Themas der Nationalhymne „O Canada“ wechseln die Bilder wieder in die Totale. Aufnahmen aus einem Flugzeug zeigen weite Landschaften und viel blauen Himmel. Aus diesem, aus der Tiefe des Bildes schiebt sich die Fotografie eines auf einem Feld arbeitenden Mannes nach vorn und verändert sich im Vordergrund von schwarz-weiß zu Farbe. In der Folge sind Großaufnahmen heutiger Kanadierinnen und Kanadier zu sehen, ältere und jüngere, aus verschiedenen Regionen und, ihren Gesichtern nach zu urteilen, unterschiedlicher Herkunft.37 Alle wirken fröhlich, ja glücklich. Noch einmal wechselt der Rhythmus des Films. Während die Begleitmusik dem Höhepunkt entgegentreibt, weichen die Großaufnahmen einer Vielzahl von Bildern, die, in schnellen Schnitten nebeneinander gestellt, Städte, Menschen, Landschaften und diese durchquerende Züge zeigen. Das visuelle Potpourri kommt schließlich zur Ruhe mit der Fotografie eines Piloten, der lachend den Daumen in die Höhe reckt. Die abschließende Reprise des musikalischen Themas, nun ergänzt um einen sanften Chor, wird wiederum begleitet von Bildern kulturell vielfältiger Menschen, die nacheinander vor einem Panorama schneebedeckter Berge und Hochebenen erscheinen, sich überlagern und langsam kleiner werden, gleichsam in den Hintergrund einsinken. Das letzte Bild zeigt ein lachendes schwarzes Mädchen, eine Baseball-Mütze mit der Aufschrift 37
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Lechte und Bottomley (1993: 33, 36) kritisieren solcherart Visualisierungen des Multikulturalismus (hier allerdings im australischen Kontext) darin, dass diese genau auf eben jene klare Identifizierbarkeit scheinbar eindeutiger und abgegrenzter Identitäten anhand sichtbarer Merkmale abzielen: „In many of the official representations of the multicultural, a collection of faces – often of children – beams out at the viewer. These faces have all the features of the stereotype that common sense will use to refer each one to a particular cultural/racial grouping.“ Das Bild kultureller Vielfalt entstehe dann gleichsam kumulativ aus den als rein gedachten und identifizierbar gemachten Gesichtern/Identitäten.
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
„Canada“ auf dem Kopf. Es bleibt einen Moment alleine stehen und sinkt dann – in wunderbarem Kontrast – in den Hintergrund der weißen Schneelandschaft. Diese wandelt sich in ein Mosaik von Bildern der zuvor Gesehenen, das schlussendlich von einer wehenden kanadischen Flagge überblendet wird. Der Film inszeniert quasi in Reinform die kanadische Staatsideologie des Multikulturalismus und setzt abschließend gar die diskursbestimmende Metapher des „ethnischen Mosaiks“ (Geißler 2003: 20f.) visuell um. Kanada wird gezeigt als Land, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit und races gleichberechtigt und harmonisch zusammenleben. Die bildliche Deutung des Zustands der kanadischen Gesellschaft heute wird – über die Schwarzweißfotografien von Immigranten und das wiederkehrende Motiv des Zuges – an die Geschichte der Einwanderung im Allgemeinen und der Einwanderung durch Pier 21 im Besonderen angekoppelt. Der erwähnte Übergang einer Fotografie von Schwarzweiß zu Farbe bildet die Schnittstelle und steht für die organische Verwandlung dieser Geschichte der Einwanderung in eine multikulturelle Gegenwart. Die Bilder des Filmes stehen dabei in einer Hinsicht in eigentümlicher Spannung zur übrigen Präsentation des Museums. Während hier versucht wird, ein möglichst „buntes“ Bild der kanadischen Gesellschaft zu zeichnen, sind in der Ausstellung praktisch ausschließlich Einwanderer europäischer Herkunft zu sehen. Die Ursache dieses Umstands liegt in der Konzentration auf die aktive Zeit der Kontrollstation von 1928-1971, in der die Einwanderung von außerhalb Europas stark eingeschränkt war. Mit diesem zeitlichen Schwerpunkt, der in der Wahl des Ortes vorentschieden ist, kann das Museum letztlich nur eine spezifische Phase der Migration nach Kanada erfassen. Im Blick auf die Ausstellung kommentiert Rinaldo Walcott (2001: 28) denn auch in beißender Kritik: „The work of making North American nations white is never done, and Pier 21 is a great example of this work in progress in the Canadian context.“ Das Video erscheint nun – ebenso wie die skizzierten Pläne für eine Erweiterung des Museums – wie eine Reaktion auf diese Kritik und zudem wie eine Untermauerung des bei aller Begrenztheit des historischen Materials umfassenderen Anspruchs auf Geltung. Doch wie wird die Kluft zwischen der engeren Geschichte der Migration aus Europa und der Re-Präsentation einer inklusiven multikulturellen Gesellschaft überbrückt? Die Lösung liegt in der Universalisierung des Erlebnisses der Einwanderung durch Pier 21. Eine Broschüre des Museums verkündet: „When you step through the doors of Pier 21 you do not simply walk in the footsteps of the one million people who passed through this landmark between 1928 and 1971 – you experience the emotions and feelings of every immigrant to this country, whether their journey brought them here 300 years ago or as recently as last week.“ (Pier 21 Archiv 5)
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Pier 21 wird pars pro toto für die Einwanderung nach Kanada als Ganzes genommen. Es wird zum Nukleus einer „immigration experience“, die nun nicht mehr auf eine bestimmte Phase und spezifische historische Bedingungen beschränkt ist, sondern als allgemeingültig verstanden wird. Die Gefühle und „ersten Schritte“, die im Museum inszeniert werden und von Besuchern nacherlebt werden sollen, implizieren so nicht mehr nur die kleine Gruppe derer, die durch das Gebäude kamen, sondern einen überhistorisch gedachten UniversalImmigranten. Auf diese Weise wird die Einwanderung, die zu anderen Zeiten oder an anderen Orten stattfand, in das Narrativ integriert und gleichsam in diesem Ort konzentriert. Disparate historische Bewegungen werden dabei vereinheitlicht und etwa die Kolonisierung Nordamerikas als eine Form der Einwanderung positiv gewendet. Die Harmonisierung von Konflikten, die sich in der Ausstellung bereits hinsichtlich der Verhältnisse zwischen Immigranten oder zwischen Immigranten und Staat finden ließ, wird in der so inszenierten nationalen Meistererzählung auf die gesamte kanadische Geschichte ausgedehnt. Namentlich die Spannungen zwischen Anglo- und Frankokanadiern, über Jahrhunderte hinweg als die kanadische Frage verstanden (Smith 2006), werden im einheitsstiftenden Narrativ des „country of immigrants“ neutralisiert (Klein 2005). Zugleich wird Pier 21 zum Beleg, Anker und Ursprung einer langen Geschichte des Multikulturalismus. Eine Tafel vor dem Gebäude fasst dies noch deutlicher und mit weiter gehender Konsequenz: „Building a Nation – Through these doors have come immigrants and refugees from every part of the world […] We, today’s Canadians owe much to their commitment, hard work and loyalty. The heritage which they bequeathed on us is a unique multicultural nation committed to the full and equitable participation of individuals of all origins, bound together by citizenship and the common values of peace, respect for diversity, and adherence to the rule of law.“
Hier sind schließlich jegliche Verweise auf die europäische Prägung der Einwanderung durch Pier 21 getilgt und die Spannung zwischen dem partikularen Charakter des historischen Ortes und der angestrebten übergreifenden nationalen Bedeutung aufgelöst. Indem in Verkennung der historischen Verhältnisse behauptet wird, dass tatsächlich Einwanderer und Flüchtlinge aus der ganzen Welt durch Pier 21 immigriert seien, wird die in der Ausstellung synekdochisch behauptete universelle Gültigkeit wörtlich ausbuchstabiert. Mehr noch: Aus dieser Einwanderung wird die „unique multicultural nation“ in direkter Weise als kulturelles Erbe abgeleitet und mit einem Ensemble von Werten aufgeladen. Die kanadische Einwanderungsgesellschaft hat den Multikulturalismus indes nicht automatisch, quasi urwüchsig hervorgebracht (Geißler 2003: 22; Burnet/ Palmer 1988: 223-228). Das Konzept wurde Ende der 1960er Jahre im administrativen Apparat Kanadas entwickelt. Es lässt sich mit Roxana Ng (1995: 35) beschreiben als „an ‚ideological frame’ put in place by the Trudeau government 246
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
in 1971, to reorder a society away from Anglo-conformity to govern a new reality“. Nötig wurde diese Neuorientierung, wie einleitend dargestellt, zunächst angesichts erstarkender separatistischer Bestrebungen in Quebec, die dazu zwangen, das Verhältnis der englischen und französischen „Gründerkulturen“ zu überdenken. In diesem Prozess konnten europäische Minderheiten als „dritte Kraft“ erfolgreich ihre Ansprüche geltend machen, was zur Ersetzung des Konzepts des Bikulturalismus durch das des Multikulturalismus führte. Ng argumentiert weiter, dass diese Ideologie, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als Strategie des Krisen- und Gesellschaftsmanagements im Hinblick auf die Einheit der Nation zielgerichtet installiert wurde, nun normalisiert und verselbständlicht wird und damit als Staatsideologie unsichtbar wird. In diesem Sinne arbeitet Pier 21 an der Erfindung einer Tradition des Multikulturalismus (Zorde 2001: 65).38 Dem vergleichsweise jungen politischen Konzept wird eine historische Tiefe gegeben, indem es auf die gesamte Geschichte der Einwanderung nach Kanada rückprojiziert wird. So kann Pier 21, das historisch in einer Phase der Anglo-Konformität und des Ausschlusses nichteuropäischer Migranten anzusiedeln ist, mit der Idee des Multikulturalismus mithin nichts zu tun hat, ebenso als Ausdruck des kanadischen Multikulturalismus gelten wie sämtliche vor- und nachgängigen Migrationen nach Kanada, die in ihm pars pro toto verdichtet sind. Statt die Veränderungen und Brüche der kanadischen Einwanderungsgeschichte zu beleuchten – etwa die wechselnden Politiken der Steuerung von Migration mit der jeweiligen Definition erwünschter bzw. unerwünschter Migranten – und diese ins Verhältnis zu sich wandelnden Formen des kanadischen Selbstverständnisses zu setzen, wird ein Kontinuum impliziert und der Multikulturalismus – im Sinne von Roland Barthes’ (1964) Begriff des Mythos – aus Geschichte in Natur, in eine „Wesenheit“ Kanadas verwandelt. So ist es konsequent, wenn Pier 21 sich selbst auch als „Canada’s National Historic Soul“ bezeichnet (Pier 21 Archiv 6). Denn die Geschichte der Migration wird im Museum zuallererst als Grundlage des Wesens der kanadischen Nation inszeniert, einer Nation, in der die Bürger – wie die oben zitierte Tafel reklamiert – nicht nur durch Staatsangehörigkeit, sondern durch eine (vorgeblich) gemeinsame historische Erfahrung der Einwanderung sowie hieraus natürlich erwachsende gemeinsame Werte, wie Frieden, Respekt für kulturelle Vielfalt und Loya38
Im Hintergrund steht hier natürlich Eric Hobsbawms klassische Analyse einer „invention of tradition“. „Erfundene Traditionen“ sind nach Hobsbawm (1998: 98) gekennzeichnet durch eine „fiktive Kontinuität“ zur Vergangenheit: „Es handelt sich also um Antworten auf neue Situationen, die die Gestalt eines Bezugs auf alte Situationen annehmen oder sich mittels einer quasi obligatorischen Wiederholung ihre eigene Vergangenheit schaffen“. Am weitesten verbreitet seien jene, „die den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder die Mitgliedschaft in Gruppen, wirklichen oder künstlichen Gemeinschaften, herstellen oder symbolisieren“ und wirksam würden sie insbesondere in Zeiten schnellen sozialen Wandels (ebd.: 109, 102). 247
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
lität gegenüber dem Gesetz, harmonisch zusammengebunden sind. Was Tunbridge und Ashworth (1996: 189; auch Mackey 1999) in Bezug auf den kanadischen Multikulturalismus im Allgemeinen feststellen, trifft so auch auf die Präsentation des kanadischen Einwanderungsmuseums zu: „[T]hus has the innate and growing centrifugality of Canadian identity been repackaged as a virtuous expression of an unusually tolerant society.“
Fazit: Einwanderungsgeschichte im Museum Pier 21 Pier 21 – Canada’s Immigration Museum ist ein kleines Museum mit großen Ambitionen. Seine Entstehung habe ich erklärt aus den geschichtspolitischen Positionen der wenigen an der Entwicklung beteiligten Akteure und der Notwendigkeit der Produktion einer Attraktion im Rahmen einer touristisch geprägten Ökonomie. Im Hinblick auf ersteres konnte gezeigt werden, dass die Planungen von Beginn an der Präsentation einer nationalen Meistererzählung der Einwanderung verpflichtet waren. Durch die Betonung von Kanada als „country of immigrants“ sollte das Museum einen positiven Blick auf Einwanderung – in Geschichte und Gegenwart – befördern und die in den Augen der Macher bislang unterbewerteten Beiträge der Einwanderer hervorheben. Ein weiteres Anliegen, insbesondere motiviert durch die Initiative des ehemaligen Direktors der Einwanderungsbehörde Nova Scotias, war es, die Arbeit der Grenzbeamten und ehrenamtlichen Helfer am Pier 21 positiv zu würdigen und einen Ort der Erinnerung, speziell für die Gruppe der Pier 21-Einwanderer, zu schaffen. Dem Projekt wurde mit dieser Ausrichtung eine merklich nostalgische Note verliehen. Die Präsentation sollte vor allem die positiven Seiten der Einwanderungsgeschichte Kanadas in den Blick nehmen und über die Inszenierung emotionaler Aspekte die Empathie der Besucher wecken. Das Konzept der Ausstellung konzentrierte sich auf die aktive Zeit der Kontrollstation am Pier 21 von 1928-71 und mithin auf die Migration aus Europa. Zentrales Prinzip wurde der Versuch, die historische Erfahrung der Einwanderung nachzustellen und so für Besucher ein „Erlebnis zweiter Ordnung“ zu schaffen. Umgesetzt wurde dieses durch die Orientierung des Narrativs an der Reise der Migranten, dessen Perspektivierung aus Sicht der Einwanderer und die Einbeziehung einer Vielzahl von Oral History-Zeugnissen. Auffällig war, dass an der Entwicklung des Museums kaum Fachwissenschaftler und ebenso wenig Vertreter ethnischer Communities beteiligt waren. Der Blick auf den Kontext der Museumsentwicklung, insbesondere die Neuerfindung der Stadt Halifax im Zeichen des Tourismus, machte darüber hinaus deutlich, dass die spezifische Gestalt des Museums nicht allein von den Positionen der Macher abhing, sondern auch durch die Notwendigkeit der Produktion einer attraktiven destination bedingt war. Das Erlebniskonzept, der positive Tenor der Präsentation und nicht zuletzt die forcierte Beanspruchung einer nationa248
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
len und internationalen Bedeutung fanden darin eine weitere Grundlage. Ich habe schließlich argumentiert, dass das Streben nach Inszenierung einer wirkungsvollen nationalen Meistererzählung und dem Angebot eines erfolgreichen touristischen Produkts in der aktuellen Expansion des Museums und der Ausdehnung der narrativen Reichweite auf die gesamte Einwanderungsgeschichte Kanadas seine konsequente Fortsetzung findet. Die Präsentation am spezifischen historischen Ort über den Ort und die mit ihm in Verbindung stehende Zeit wird aus Gründen der touristischen Vermarktung und der ideologischen Verwertung zu überhistorischer nationaler Dimension gebracht. Im Folgenden wurde herausgearbeitet, wie in der Dauerausstellung die „imagined community“ der Einwanderer und das Bild von Kanada als weltoffenes und tolerantes Land inszeniert wird. Als Aspekte genannt wurden die Integration disparater Migrationsgeschichten in der Darstellung von Einwanderung als Abfolge standardisierter Phasen und resultierend als eine und einende Erfahrung; die Dramatisierung des Grenzübertritts und der „ersten Schritte“ als individuelle und kollektive Neugeburt sowie die Überakzentuierung des humanitären Charakters der Immigration mit doppeltem Effekt, der Betonung der Gastfreundlichkeit Kanadas einerseits und dem Diskurs der Dankbarkeit als Artikulation eines Einwandererpatriotismus andererseits. Hingewiesen wurde darauf, wie diese Version von Migrationsgeschichte auf verschiedenen Ebenen von Konflikt gereinigt wurde. Die Personalisierung des Grenzregimes und die Verdrängung der Aspekte Internierung und Deportation lassen die Operation der Kontrollstation konfliktfrei erscheinen. Die weitgehende Ausblendung wechselnder Migrationspolitiken und mit diesen einhergehender Definitionen erwünschter und unerwünschter Immigranten suggeriert eine bruchlosen Tradition der Einwanderung und verschleiert, dass es sich dabei stets um ein umkämpftes Feld handelt. Schließlich wird – man denke an die abschließende Video-Präsentation – ein harmonisiertes Bild der heutigen multikulturellen Gesellschaft Kanadas gezeichnet. Die Einwanderernation wird als kulturell und ethnisch vielfältig, aber sozial und politisch geschlossen vorgestellt (Zorde 2001: 81). Die in der zukünftigen Expansion des Museums vorgesehene Erweiterung des Narrativs über den engen Betrachtungszeitraum hinaus reagiert auf die Kritik einer Privilegierung der europäischen, „weißen“ Geschichte Kanadas (Walcott 2001: 28; Vukov 2002: 29). Sie öffnet so prinzipiell den Raum für die Präsentation größerer Komplexität. Mit der Beibehaltung der bestehenden Ausstellung als „jewel in the crown“ wird indes die Vorstellung eines europäischen Kerns der kanadischen Einwanderernation perpetuiert. Überdies werden in der Universalisierung der „immigration experience“ durch Pier 21 disparate historische Bewegungen vereinheitlicht. Die Ausdehnung eines abstrakten Begriffs der Einwanderung auf die gesamte kanadische Geschichte trägt so insbesondere dazu bei, die Kolonisierung Nordamerikas und die Wurzeln der Siedlernation Kanada in der Enteignung und Vernichtung der indigenen Bevölkerung positiv umzuschreiben. 249
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Wie lässt sich die Musealisierung der Migration im Museum Pier 21 also abschließend einordnen? Zweifellos trägt die prominente und geradezu euphorische Präsentation kanadischer Einwanderungsgeschichte zur Anerkennung kultureller Vielfalt und der Würdigung einer Vielzahl von Herkünften bei. Im Unterschied zur Vorstellung einer ursprünglichen, homogenen nationalen Kultur, wie sie etwa in Deutschland traditionell vorherrschte, oder zu auch in Kanada lange Zeit hegemonialen Konzepten der Assimilation von Migranten an eine der beiden „Gründernationen“ präsentiert das Museum ein multikulturelles Leitbild. Gegenüber den anderen Modellen, die Nation zu denken und museal ins Bild zu setzen, ist dies als Demokratisierung zu begrüßen. Die Limitationen sind indes nicht zu übersehen. Für Pier 21 trifft in der Tat zu, was Niklas Luhmann in falscher Pauschalisierung der Institution Museum an sich vorgeworfen hat: Es nähert sich seinem Gegenstand nicht modo analytico, sondern modo nostalgico (Luhmann 1984: 67, nach Korff 1988: 13). Und dieser Modus ist keineswegs unschuldig – weniger zwar, weil darin, wie Luhmann weiter anführt, die Präsentation von Geschichte zum Zweck der „Selbstbezweiflung der Gegenwart“ betrieben würde, doch weil aus einer rosig gezeichneten Vergangenheit eine geschöntes und ideologisch motiviertes Bild der Gegenwart abgeleitet wird. Statt gesellschaftliche Konflikte (historisch und gegenwärtig) zu benennen, statt auf bestehende Ungleichheiten – sozialer und ökonomischer Natur, zwischen Einwanderern unterschiedlicher Herkunft bzw. unterschiedlicher Zeiten der Ankunft in Kanada – hinzuweisen, statt die Eigenheiten historischer Migrationen in den Blick zu nehmen und ins Verhältnis zur je geltenden Politik zu setzen, zielt die Präsentation in erster Linie darauf die „imagined community“ der Einwanderer zu inszenieren. Statt den Gründungsmythos der Einwanderung, der in Siedlernationen gleichsam notgedrungen die Bezugnahme auf die Verwurzelung in einem ursprünglichen Land und einer ursprünglichen Kultur ersetzt, kritisch zu beleuchten oder die transnationale Dynamik von Migrationen sichtbar zu machen, arbeitet das Museum an der Aktualisierung und Emotionalisierung einer nationalen Meistererzählung – „Pier 21 will celebrate what may be the central unifying fact of the Canadian Experience: Immigration and Multiculturalism“ (Toronto Star 23.1.1999, zit. n. Zorde 77). In dieser Form ist nicht verwunderlich, dass das Museum von Zeit zu Zeit der großen Politik als Bühne für affirmative Selbstrepräsentationen dienen kann. Im Dezember 2004 traf US-Präsident George W. Bush während seines ersten offiziellen Besuchs in Kanada hier begleitet von Protesten mehrerer Tausend Demonstranten mit Premierminister Paul Martin zusammen. Der amerikanische Präsident warb in seiner Rede vor allem um Unterstützung für den weltweiten Kampf der USA gegen Terrorismus. In diesem Zusammenhang charakterisierte er Pier 21 als „historic place, which has welcomed home so many Canadians who defended liberty overseas, and where so many new Canadians began their 250
PIER 21 – CANADA’S IMMIGRATION MUSEUM
North American dream“.39 Während Bush den museal aufbereiteten Ort – dem Anlass entsprechend – als Beleg für Wehrhaftigkeit und Ausgangspunkt individueller Erfolgsgeschichten verstanden wissen wollte, nahm Paul Martin ihn als Vorlage für die Beschwörung kollektiver Identität und eines kanadischen Nationalcharakters: „This is Pier 21. Over the course of more than 40 years during the 20th century, almost a million immigrants landed here, enriching our national character and helping to forge the spirit of multiculturalism that today helps to define us to the world. […] Mr. President, this place is Canada.“40 Mit seiner Version von Einwanderungsgeschichte schafft das Museum einen Ort und Rahmen für die diskursive Operation, Kanada in dieser Weise auf den Punkt zu bringen. Angesichts zunehmender Sorge um Verbindendes innerhalb einer komplexen Gesellschaft stellt sich Pier 21 so ganz in den Dienst einer Inszenierung der multikulturellen Nation. Wenn Ruth B. Phillips (2006) die jüngere Entwicklung der kanadischen Museumslandschaft mit Blick auf die verstärkte Re-Präsentation indigener Geschichte unter dem Motto „De-Celebrating the Canadian Nation“ zusammenfasst, so wäre für die Darstellung von Einwanderungsgeschichte im Museum Pier 21 die entgegengesetzte Devise zutreffend: „Re-Celebrating the Canadian Nation“.
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http://www.whitehouse.gov/news/releases/2004/12/20041201-4.html (22.2.2007). http://www.pco-bcp.gc.ca/default.asp?Language=E&Page=archivemartin&Sub= speechesdiscours&Doc=speech_20041201_345_e.htm> (22.2.2007). 251
Migrationsrepräsentation Down Under: Das Immigration Museum Melbourne
„Moving Stories“ – seit seiner Eröffnung im November 1998 zeigt das Immigration Museum Melbourne unter diesem Slogan bewegende Geschichten von Menschen in Bewegung. Jährlich um die 100.000 Besucher finden den Weg in das alte Zollgebäude im Herzen von Melbourne, wo sich die Dauerausstellung über eine Fläche von 1200 qm erstreckt. Das dritte Einwanderungsmuseum, das im Rahmen dieser Studie untersucht wird, hebt sich auf den ersten Blick in zweierlei Hinsicht von den beiden anderen ab. Zum einen erhebt es weder explizit – wie das kanadische Museum Pier 21 – noch implizit – wie das Ellis Island Immigration Museum – den Anspruch, ein nationales Museum der Migration zu sein. Stattdessen fokussiert es in besonderem Maße den regionalen Kontext des Bundesstaats Victoria, wenngleich die nationale Dimension auch hier den Rahmen stellt. Maßgeblicher, weil für die Präsentation im Ganzen prägender, ist der zweite Punkt: Die institutionelle Genealogie ist im Vergleich zu dem amerikanischen und kanadischen Museum eine andere. Die Einrichtung eines Einwanderungsmuseums entzündete sich hier nicht, wie in den beiden anderen Fällen, an einem authentischen Gebäude, sondern es wuchs gleichsam aus einem anderen Museum heraus.
Die Produktion des Immigration Museum Melbourne Im Folgenden soll also zunächst die Produktion des Immigration Museum Melbourne beleuchtet werden, bevor im zweiten Teil der Fallstudie seine Präsentationen analysiert werden. Der Geschichte des eigentlichen Projekts vorgeschaltet ist die Skizze eines alternativen Versuchs der Musealisierung der Migration in Melbourne, der gescheiterten Umwandlung von Station Pier in einen Museumsund Entertainment-Komplex. Die Episode verweist nicht nur auf die Kontingenz 253
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
der Entwicklung eines Einwanderungsmuseum in der australischen Metropole, sondern verdeutlicht die Implikationen seiner Verortung. Denn erst als die zunächst auch hier geplante Einrichtung eines Museums am „authentischen“ Ort der Migration obsolet wurde, konnte sich die heutige Konzeption durchsetzen. Die Realisierung des Immigration Museum Melbourne beleuchte ich sodann in vier Schritten und zwar mit Blick auf die institutionelle Struktur, den Standort, die Grundlinien des Ausstellungskonzepts und die Einbindung von EinwandererCommunities. Im Anschluss daran diskutiere ich signifikante Veränderungen des Museums seit der Eröffnung. Insgesamt wird deutlich werden, wie sehr das Museum den Prinzipien der Neuen Museologie verpflichtet ist und den Komplexitäten einer multikulturellen Gesellschaft gerecht zu werden versucht.
Abb. 26: Das Immigration Museum Melbourne Zunächst gilt es jedoch den doppelten Kontext zu beleuchten, in dem das Museumsprojekt zu sehen ist: den strategischen Ausbau des kulturellen Sektors in Victorias Hauptstadt und die Auseinandersetzungen um den australischen Multikulturalismus. Denn entgegen der Einschätzung von Gründungsdirektorin Anna Malgorzewicz, die die Einrichtung des Immigration Museum Melbourne in keiner Weise als politisches Statement verstanden oder mit den Debatten um Multikulturalismus verknüpft wissen will (The Age 13.10.1998: 17), ist das Museum aufs Engste in eben diese politische Entwicklung eingeschrieben.
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IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Auseinandersetzungen um den australischen Multikulturalismus und Melbournes Ambitionen als Kulturhauptstadt Australiens Die Musealisierung der Migration ist, wie eingangs dargestellt, auch in Australien ein junges Phänomen. Bis in die 1980er Jahre erschien die Geschichte der Einwanderung nur als Nebenaspekt der Biographien „großer Männer“ – der Entdecker, der ersten Siedler oder kolonialer Wirtschaftseliten – und beschränkte sich auf das kulturelle Erbe anglo-keltischer Provenienz.1 Erst im Zusammenhang mit der Etablierung von Sozial- und Alltagsgeschichte und der neuen Politik des Multikulturalismus rückte Einwanderung als eine der zentralen Aspekte australischer Geschichte in den Fokus von Museen. Diese begannen in der Folge, auch die materielle Kultur nicht-britischer Gruppen zu sammeln und in Ausstellungen aufzugreifen (Reeves 1989; Anderson 1997: 8ff.; Young 1999: 31). Als Katalysator weiterer Entwicklungen in diesem Feld diente die 1989 auf Bundesebene veröffentlichte „National Agenda for a Multicultural Australia“, worin das Recht zum Ausdruck individueller kultureller Identität neben sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz als zentraler Baustein multikultureller Politik festgelegt wurde (Baringhorst 2003: 15).2 Speziell wurde darin die Notwendigkeit betont, sammelnde Institutionen, wie Bibliotheken, Kunstgalerien, Museen und Archive, in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ein multikulturelles Australien zu unterstützen. Der 1991 entwickelte „Plan for Cultural Heritage Institutions to Reflect Australia’s Cultural Diversity“ bekräftigte dieses Anliegen und forderte insbesondere die entsprechende Zusammenarbeit staatlicher Institutionen mit Einwanderer-Communities (Curthoys 2000: 29). Wie das erste dezidierte Einwanderungsmuseum Australiens, das 1986 eröffnete Migration Museum in Adelaide, entstand das Immigration Museum Melbourne denn als „product of government commitment to multiculturalism“ (Anderson 1987: 108). Zu beachten ist gleichwohl, dass sich in den knapp fünfzehn Jahren, die zwischen der Einrichtung der beiden Museen liegen, sowohl die öffentliche Unterstützung der Multikulturalismus-Politik als auch ihre spezifische Ausformung nicht unwesentlich veränderten. Als Hochphase des offiziellen Multikulturalismus in Australien beschreibt James Jupp (2001: 260) die Zeit zwischen 1978, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des sogenannten GalballyBerichts zur Fragen der Einwandererintegration, und der Veröffentlichung der
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Der Begriff „Anglo-Celtic“ bezeichnet im australischen Kontext den Teil der Bevölkerung englischer, irischer, schottischer und walisischer Abstammung. Vorangegangen war eine ausgedehnte Fachdiskussion über die Repräsentation von Migration und Multikulturalismus in sammelnden Institutionen, die auch in den Bericht Eingang fand. Sie ist dokumentiert bei Birtley/McQueen (1989), wobei für den Zusammenhang hier besonders die Beiträge von Reeves (1989) und Szekeres (1989) aufschlussreich sind. 255
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
zweiten multikulturellen Agenda der australischen Regierung 1995. In der Phase, in der das Immigration Museum konkret geplant und eröffnet wurde, hatte dieser mithin den Zenit überschritten. Der Enthusiasmus dem Konzept gegenüber wich zunehmend skeptischeren Tönen. War in der australischen Bevölkerung bereits seit Mitte der achtziger Jahre Kritik an angeblich zu hoher Einwanderung laut geworden, so initiierte die konservative Regierung von John Howard nun seit 1996 einen regelrechten migrations- und integrationspolitischen Backlash.3 Einher ging dieser mit einer Neuausrichtung multikultureller Politik, deren Inhalt unter Beibehaltung des Leitbegriffs „multiculturalism“ sukzessive ausgehöhlt wurde. In der „New Agenda for Multicultural Australia“, die schließlich 1999 beschlossen wurde, standen nicht mehr soziale und kulturelle Rechte im Mittelpunkt, sondern nationaler Zusammenhalt und Harmonie, sinnfällig illustriert durch die Einführung eines jährlichen „Harmony Days“ mit den Schlüsselbegriffen „inclusiveness“, „productive diversity“ und „community harmony“. Zeitgleich erschien Mitte der neunziger Jahre die rechtspopulistische One Nation Party unter Pauline Hanson auf der Bühne der australischen Politik und feierte mit Angriffen gegen den Multikulturalismus als Quelle sozialer Desintegration, dem Schüren von Ängsten vor einer „Asian invasion“ sowie dem Plädoyer für eine Rückkehr zur Assimilationspolitik und White Australia Policy Wahlerfolge. Ihren Höhepunkt im Hinblick auf das Wahlergebnis – 8,4 Prozent der Stimmen bundesweit – erreichte die Partei 1998, just in dem Jahr, in dem das Immigration Museum Melbourne eröffnet wurde (Jupp 2001: 265f.; Baringhorst 2003: 12-16). Neben den politischen Entwicklungen wurde auch das geschichtspolitische Klima rauher. Seit Mitte der achtziger Jahre erlebte Australien eine ausgedehnte Phase sogenannter „History Wars“. Gegenstand der Auseinandersetzungen, die zu verschiedenen Anlässen aufflammten, zunächst im akademischen Bereich geführt wurden, bald jedoch die weitere Öffentlichkeit erreichten, war im engeren Sinn die Bewertung der europäischen Landnahme und der Politik gegenüber Aborigines. Im weiteren Sinn wurde darüber jedoch die Frage nach dem Gehalt der gesamten australischen Geschichte und Identität verhandelt. Während linke, liberale und indigene Kommentatoren eine schonungslose Aufarbeitung kolonialer Verbrechen sowie die Anerkennung der Perspektive, Rolle und Rechte von Aborigines forderten, beharrten Historiker des konservativen Lagers, denen sich seit 1996 Premierminister John Howard zugesellte, auf den zivilisatorischen Errungenschaft der europäischen, insbesondere britischen Besiedelung und lehnten eine gegenteilige Sicht als „black armband history“, also: als politisch korrekte, selbstanklägerische Geschichtsdeutung ab (Frie 2007; Kleist 2008).
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Internationale Aufmerksamkeit und Kritik von Menschenrechtsorganisationen erregte insbesondere die restriktive und inhumane Behandlung von Asylbewerbern (Baringhorst 2003: 16f.).
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Die Planungen für das Museum fallen insofern in eine Zeit heftiger Auseinandersetzungen in der australischen Gesellschaft über Zuwanderung, die Zukunft der multikulturellen Gesellschaft und die Konturen nationaler Identität. Für die Entwicklung des Projekts maßgeblich wurde dabei die Haltung der Regierung des Bundesstaates Victoria unter Premier Jeff Kennett. Dieser verfolgte einen partiell anderen Kurs als John Howard, wenngleich beide der konservativen Liberal Party angehörten. Während Howard auf Bundesebene die Mittel für multikulturelle Kulturpolitik einschneidend kürzte, unterstützte Kennett weiterhin Programme, die die kulturelle Vielfalt des Staates anerkannten und förderten.4 Zugleich vollzog er die skizzierte Schwerpunktverlagerung im Verständnis des Multikulturalismus mit und akzentuierte statt der kulturellen und materiellen Rechte einzelner Gruppen den Aspekt des harmonischen Zusammenlebens, die Bildung nationaler Identität auf Basis von kultureller Vielfalt sowie die – gerade auch ökonomischen – Vorteile, die daraus entstünden: „I cannot think of another country in the world where so many people from such different cultures live together in such a peaceful and harmonious way as they do in Australia. […] Australia’s identity as a nation as we approach the twenty-first century is very much determined by our multicultural make-up. It is a vital part of our nationhood and underpins the truly global country we have become in our first century of federation.“ (Kennett 1999: 4) Auf dieser Grundlage – Förderung kultureller Projekte bei Betonung ihrer gemeinschaftsstiftenden Funktion – entwickelte sich Kennett zu einem leidenschaftlichen Fürsprecher für ein Museum der Einwanderung in Melbourne. Neben dem nationalen ist die Entstehung des Immigration Museum Melbourne auch im lokalen politischen Kontext zu betrachten und hier insbesondere vor dem Hintergrund einer neuen kulturpolitischen Strategie für den Staat Victoria und seine Hauptstadt Melbourne (Barr 2002: 64f.). 1994 legte die Regierung Victorias unter dem Titel „Arts 21“ ein ambitioniertes Konzept zur Kulturpolitik vor (Arts 21 1994). Erklärtes Ziel war es, den kulturellen Sektor zu einer dynamischen und ökonomisch einträglichen Industrie zu entwickeln. Victoria sollte zum „State for the Arts“ werden und Melbourne – vor seinem ewigen Konkurrenten Sydney – zur kulturellen Metropole Australiens. Kulturpolitik wurde in dieser Neuformulierung vom verzichtbaren Anhängsel zum integralen Bestandteil und einer zentralen Priorität der Regierungspolitik (Jacobs 1997).5 Der Schwerpunkt 4
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Durch die generelle Verlagerung der Zuständigkeiten für Fragen des Multikulturalismus von der Bundes- auf die Staatenebene (Jupp 2001: 271) gewann die abweichende Haltung Kennetts noch an Bedeutung. Die gesteigerte Priorität von Kunst und Kultur drückte sich bald auch in einer Umstrukturierung des administrativen Apparats aus. Nach den Wahlen in Victoria vom März 1996 übernahm Premier Jeff Kennett selbst zusätzlich den Posten des 257
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
der Strategie lag auf der Nutzung kultureller Ressourcen als Mittel für ökonomische Entwicklung und zur Stärkung des internationalen Profils Victorias und speziell Melbournes. Finanzielle Förderung sollten insbesondere Projekte erhalten, die Melbourne und Victoria in positiver Weise nach außen repräsentierten (Dixon-Ward/Atwell 1998: 61, 70; Stevenson 2000: 81f.). Die erhoffte Steigerung der Attraktivität von Stadt und Staat zielte dabei neben einer allgemeinen Verbesserung des Wirtschaftsstandorts insbesondere auf die Belebung des Kultur-Tourismus. Zu diesem Zweck sollte in besonderer Weise die kulturelle Vielfalt Victorias und das vielfältige kulturelle Erbe seiner Bewohner als Kapital und Werbemittel hervorgehoben werden (Arts 21 1994: 41).6 Die neue Kulturpolitik „Arts 21“ schlug sich auf frappierende Weise in der kulturellen und urbanen Landschaft Melbournes nieder. Seit Mitte der neunziger Jahre lässt sich in der Stadt ein regelrechter Boom der Neugründung oder Erweiterung kultureller Einrichtungen im Allgemeinen und von Museen im Besonderen verzeichnen. Die National Gallery of Victoria wurde durch einen neuen Anbau wesentlich vergrößert, die prächtige Staatsbibliothek wurde renoviert und in Teilen für Ausstellungszwecke nutzbar gemacht. Im Jahr 2000 wurde als größtes Museum Australiens das spektakuläre, multidisziplinäre Melbourne Museum eröffnet, auf das im Folgenden noch einzugehen sein wird. Ein Jahr später, pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum der australischen Föderation, entstand mit Federation Square ein neuer Hauptplatz im Herzen der Stadt, an dem sich ein neues Filmmuseum, ein Filialmuseum der National Gallery für australische Kunst, ein Museum für Design sowie die Hall of Fame des in Australien höchst populären Pferderennsports ansiedelten. Binnen weniger Jahre wurde so im Bemühen, Melbourne zur Kulturhauptstadt Australiens und einer Metropole von globalem Format zu entwickeln, mehr als eine Milliarde australische Dollar (ca. 600 Millionen Euro) investiert (Gillespie 2001b: 112). Dem Immigration Museum kam innerhalb dieser gewaltigen Entwicklung insgesamt nur eine nachgeordnete Rolle zu. Zugleich ist es selbst ohne diese nicht zu denken. Im Sinne eines Schaufensters der kulturellen Vielfalt Victorias passte es nahtlos in die neue kulturpolitischen Strategie der Kennett-Regierung. Die Kosten von 19 Millionen australischen Dollar (gut 10 Millionen Euro) wurden vom sogenannten Community Support Fund getragen, der in diesem Rahmen neu geschaffen wurde und sich aus Abgaben auf Glücksspieleinahmen speiste (Jacobs 1997: 18). Gleichwohl verlief die Entwicklung eines Einwanderungsmuseums in Melbourne nicht geradlinig. Im Ende 1994 veröffentlichten Bericht
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Kulturministers und trieb als solcher die maßgeblichen Projekte voran (Zeitschrift Arts 21 2,2 (Juni 1996): 8). Für eine Kritik der „Arts 21“-Strategie als Förderung künstlerischer Mittelmäßigkeit im Zeichen ökonomischer und touristischer Verwertbarkeit vgl. Palmer (1995) und mit ähnlichem Tenor die umfassendere Analyse bei Stevenson (2000: 81-85).
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
„Arts 21“ ist das alte Zollgebäude, wo wenige Jahre darauf das Immigration Museum eröffnet wurde, zwar bereits als neue kulturelle „World Class Facility“ vorgesehen, jedoch nicht mit seiner späteren Nutzung, sondern als Dependance der National Gallery of Victoria. Und auch ein „Museum of Migration“ war bereits angedacht, doch konzentrierten sich die Planungen zu dieser Zeit ganz auf einen anderen Ort – Station Pier (Arts 21: 20, 22).
Dead End: Die gescheiterte Musealisierung von Station Pier Station Pier, gelegen im Hafen von Melbourne an der weiten Port Phillip Bay, war eine der zentralen Anlaufstellen der australischen Nachkriegsimmigration. Von den späten vierziger bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts landeten hier mehr Einwanderer an als in jedem anderen Hafen Australiens. Mit Zunahme des Flugverkehrs gingen die Aktivitäten rapide zurück, und bald verkehrten hier statt Einwandererschiffen nur noch Kreuzfahrtdampfer und die Fähre nach Tasmanien (Immigration Museum Consultancy o. D.: 1.5f.; Barnard 2004). Im Folgenden soll das Vorhaben der Einrichtung eines Einwanderungsmuseums an diesem Ort skizziert werden. Von Interesse ist dieses nicht allein als Vorläuferprojekt, das das Thema aufgriff und kulturpolitische Unterstützung gewann, als noch niemand an das Immigration Museum in der heutigen Form dachte. Seine Relevanz ergibt sich insbesondere aufgrund der Parallelen zum Ellis Island Immigration Museum, an dem es sich explizit orientierte, und zum kanadischen Museum Pier 21. Wie diese nahm das Station Pier-Projekt einen „authentischen“ Ort der Ankunft von Einwanderern zum Ausgangspunkt seines Konzepts, wie diese setzte es auf dessen emotionalen und mythischen Effekt. Wie bei diesen resultierte daraus eine Spannung zwischen der Betrachtung einer „Kernzeit“, die sich mit der Geschichte des Ortes verbindet (hier: die Nachkriegsmigration), und dem Versuch, eine lange Geschichte der Einwanderung zu präsentieren. Insbesondere mit Pier 21 teilte das Projekt schließlich die starke Ausrichtung auf einen touristischen Markt. Das Scheitern der Musealisierung von Station Pier, so das Argument, öffnete den Weg für ein anderes Modell von Einwanderungsmuseum, eine Alternative zur „Ellis Islandisierung“ von Migrationsgeschichte. Die Initiative zur Einrichtung eines Museums an Station Pier ging von Alan Howe, dem Herausgeber der konservativen Melbourner Tageszeitung Herald Sun, aus, der von England kommend selbst über Station Pier eingereist war (PROV 1). Auf dessen Vorschlag ernannte Premier Jeff Kennett im Juni 1994 ein Komitee aus Regierungsmitgliedern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, das die Umrisse und Realisierungschancen eines „Museum of Australian Migration“, so der Arbeitstitel, sondieren sollte.7 Der politische Stellenwert, der 7
Gillespie (2001a: 363f.) erwähnt, dass die Idee für die Gründung eines solchen Museums bis in die späten 1980er Jahre zurückreicht, jedoch erst mit der Wahl 259
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dem Projekt beigemessen wurde, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Premier selbst an sämtlichen Sitzungen teilnahm und die Diskussion aktiv vorantrieb.8 Als einen seiner ersten Beschlüsse hielt der Ausschuss einmütig fest, dass Station Pier „aus historischen und emotionalen Gründen“ der einzig geeignete Ort für ein Museum der Einwanderung in Melbourne sein könne (PROV 3). Die persönliche Erinnerung vieler ehemaliger Einwanderer verleihe diesem eine unvergleichliche Bedeutung und lasse überdies ein hohes Spendenaufkommen für die Realisierung des Projekts erwarten. Bedenken hinsichtlich der Kosten für Renovierung und Instandhaltung traten demgegenüber schnell in den Hintergrund.
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Kennetts zum Premier Gestalt annahm. Eine Beratungsfirma legte etwa im Jahr 1991 eine Machbarkeitsstudie für ein „Migration and Ocean Travel Centre“ an Station Pier vor, in der auch populäre Ausstellungen vorgesehen waren. Die Anregungen wurden zu diesem Zeitpunkt nicht weiterverfolgt, flossen aber in das spätere Station Pier-Konzept ein (Immigration Museum Consultancy o. D.: ES2f.). Die ambitionierten Planungen wurden auch außerhalb Victorias aufmerksam verfolgt und gaben vereinzelt Anlass für Misstöne. So wandte sich der Premier des benachbarten Bundesstaates South Australia am 4.1.1995 in der Sorge um die angemessene Würdigung dortiger Errungenschaften an Kennett: „I have been most interested to hear of the Victorian Government’s plans to establish a migration museum in Melbourne. Whilst my own Government regards this as a most positive move in terms of collecting and preserving the history of cultural diversity in Australia, we have been somewhat dismayed at the presentation of these plans in the media. They are being presented as a national initiative and a first for Australia. I would like to point out that the South Australian Government established a migration museum [in Adelaide, J.B.] more than ten years ago and its success has given rise to ideas of similar developments in other States, including New South Wales and Western Australia. […] I would be most grateful if the Victorian Government when presenting information to the media is careful to maintain historical veracity.“ Kennetts Antwort kam ebenso prompt wie jovial: „I am surprised such a small matter warrants your attention or concern. We are well aware of what exists throughout Australia, but Station Pier was the main entry port for new settlers to this country. I certainly don’t intend to reiterate every time I speak on the issue, all matters associated with the history of immigration.“ (PROV 2) Der knappe Briefwechsel fügt sich ein in den Kontext der Entwicklung des kulturellen Sektors in Australien, wie ihn Stevenson (2000: 85-88) analysiert. Demnach nahm der Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesstaaten in den neunziger Jahren signifikant zu, da alle nach symbolischem und finanziellem Profit aus neuen Kultureinrichtungen strebten. Die angedeuteten Initiativen zur Gründung von Migrationsmuseen in weiteren Staaten Australiens, die ihrerseits von Melbourne genau beobachtet wurden, kamen über das Stadium der Idee nicht hinaus. In New South Wales wurde schließlich unter dem Titel Migration Heritage Centre zumindest ein virtuelles Museum in Kooperation mit dem Powerhouse Museum Sydney realisiert (vgl. http://www.migrationheritage.nsw.gov.au (25.5.2009)).
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Als Vorbild für die Musealisierung von Station Pier diente von Beginn an das wenige Jahre zuvor eröffnete Ellis Island Immigration Museum. Kennett vermerkte bereits in der Einladung für das Sondierungskomitee: „I see this museum as being similar to that of Ellis Island, New York“ (PROV 4). Die angestrebte Ähnlichkeit sollte sich dabei nicht auf die Verortung in einer renovierten Kontrollstation beschränken. Vorgesehen war die Übernahme weiter Teile des Konzepts: von der Organisationsform als „public private partnership“ über die Finanzierung durch eine großangelegte Spendenkampagne, die unter anderem die Idee der „Wall of Honor“ aufgreifen sollte, bis hin zu einzelnen Elementen wie der Möglichkeit, in Datenbanken nach eingewanderten Vorfahren zu recherchieren (PROV 5). Ein Besuch des amerikanischen Museums bestärkte Kennetts Interesse und untermauerte den Plan, sich an diesem Beispiel zu orientieren (Sunday Herald Sun 19.2.1995: 28). In der Presse – insbesondere dem konservativen Blatt des Initiators Howe – wurde die Parallele zwischen Ellis Island und Station Pier bereitwillig aufgegriffen, nun begleitet von patriotisch verklärenden Obertönen, wie sie auch im Zuge der dortigen Fundraising-Kampagne laut geworden waren: „What a fitting tribute to Australia’s immigration miracle: a National Museum of Immigration shining like a beacon to the world at Port Melbourne’s Station Pier. […] Station Pier is Australia’s Ellis Island.“9 Betont wurde die politische Stoßrichtung der nationalen Einheit, die sich direkt aus einer gemeinsamen Einwanderungsgeschichte ableiten ließe: „The National Museum of Immigration would be more than a tourist asset or even an educational or cultural resource – it would be a tribute to the single nation that evolved from remarkable ethnic diversity. It will be a permanent reminder of the cohesion that exists here, a monument to the social glue that binds migrants from different cultural and religious backgrounds.“ (Sunday Herald Sun 12.6.1994: 30)
Das Konsortium, das nach einem Ideenwettbewerb mit der inhaltlichen und wirtschaftlichen Ausarbeitung der Museumspläne betraut wurde, legte auf dieser Basis Ende Oktober 1994 sein Konzept vor. Die Präsentationen des knapp 7000 qm großen Museumskomplexes sollten explizit auf die Frage nach den Grundlagen der australischen Nation und einer nationalen Identität ausgerichtet sein: „As an umbrella theme the museum will explore what it is to be an Australian.“ (Immigration Museum Consultancy o. D.: 3.6).10 Notwendig sei eine solche Selbst9
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Auffällig und Beleg für die internationale Strahlkraft des Ellis Island Immigration Museum ist die Parallele zum Fall des kanadischen Museums Pier 21, das ebenso deklamatorisch zu Kanadas Ellis Island erklärt wurde. Diese Frage stand auch im Mittelpunkt eines 1992, also fast zeitgleich, veröffentlichten Konzepts für ein australisches Nationalmuseum (Anderson/Reeves 1994: 120) – eine Koinzidenz, die auf die seinerzeitige Virulenz des Themas, aber auch auf die Affinität von Migrations- und Nationalmuseum in Australien hindeutet. 261
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
vergewisserung vor dem Hintergrund des Wandels von einem mono- zu einem multikulturellen Selbstverständnis Australiens. Das neue Einwanderungsmuseum sollte gleichermaßen ein Forum für Debatten über Multikulturalismus wie ein Ort der Konstitution nationaler Identität sein und überdies ein neues Bild von Australien nach außen vermitteln: „It represents not only a national exercise in understanding what it means to be Australian but also a means by which this understanding will be presented to the world.“ (ebd.: 1.7) Wenn in dem Konzept einerseits die Diskussionsbedürftigkeit nationaler Identität sowie ein Bewusstsein für die Ambivalenz und Veränderlichkeit individueller Identitäten zum Ausdruck kam, so war es zugleich von einem überschwänglich positiven Ton getragen, durch den das Ergebnis der angestrebten Auseinandersetzung bereits vorweg genommen wurde. Zielstellung war die Feier der australischen Nation als „a rare example of the pleasures of cultural diversity“ (ebd.: P2). Statt Konflikte und Formen der Ausgrenzung in Geschichte und Gegenwart zu thematisieren, sollte das Museum die „innate kindliness of the Australian“ (ebd.) im Umgang mit Fremden in den Mittelpunkt stellen. Station Pier fiel in diesem Narrativ eine doppelte Rolle zu. Zum einen sollte anhand des Ortes die spezielle Geschichte der Nachkriegsmigration dargestellt werden. Die Ankunft der Migranten sollte in situ erlebbar werden, und die geplante Präsentation setzte zu diesem Zweck – wie im Ellis Island Immigration Museum und mehr noch im Museum Pier 21 – auf Einfühlung: „Visitors would take on the life of a migrant walking ashore from Station Pier and follow that person’s experience“ (Sunday Herald Sun 18.12.1994: 10). Zum anderen sollte Station Pier über seine originäre Geschichte hinausweisen und – als „Schwelle“ und „geheiligter Boden“ – zum Symbol für die glücklichen Ankünfte sämtlicher Einwanderer in Australien werden: „Station Pier offers us a symbol. It will be a symbolic reminder that, somewhere in our family history, we have all been immigrants and that the journey was worthwhile. It will symbolise the haven that Australia has become for the individuals and families who believed they could create a new future in a new country, free from dogma and oppression.“ (Immigration Museum Consultancy o. D.: P3)
Die Reichweite der so generalisierten Erzählung konnte dabei beliebig ausgedehnt werden und sollte nach Ansicht von Premier Kennett selbst die (dann nicht mehr!) indigene Bevölkerung umfassen: „I think the prime reason behind this project is to ensure that future generations understand that Australia is a continent of immigrants – even our Aborigines arrived here 40.000 years ago.“ (Sunday Herald Sun 19.2.1995: 28) Im Ergebnis sollte das Einwanderungsmuseum an Station Pier mithin ein Monument für das Selbstbewusstsein und die Harmonie der australischen Nation werden: „Here we will celebrate what it is to be part of the greatest, most peace262
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
ful cultural mix the world has seen“ (Immigration Museum Consultancy o. D.: P3). Mit dieser Perspektive setzte sich das Projekt explizit gegen Museen wie das Jewish Museum of Australia oder das Museum of Chinese Australian History in Melbourne ab, die Geschichte und Kultur spezieller Einwanderergruppen zum Thema haben. Während die Leistungen dieser Institutionen gewürdigt und auch Vertreter einer Vielzahl ethnischer Communities in die Planungen einbezogen wurden, sollte die Konzeption des neuen Museums eine dezidiert andere sein. Statt je verschiedener sollte eine verbindende Geschichte betrachtet werden, statt ethnischer Identitäten die Bedingungen einer gemeinsamen „Australianness“: „In the Museum of Immigration […] the emphasis is moved away from ethnospecific collections and the story of migration, to the story of Australia. In this way, rather than concentrating on groups of ‚different’ Australians, we are concentrating on what makes Australia different; the unique success of its cultural diversity.“ (Immigration Museum Consultancy o. D.: 3.5)
Für den Charakter des Station Pier-Projektes mindestens so bedeutsam wie das Ausstellungskonzept waren daneben die Planungen für die Umgestaltung des gesamten Piers in einen gigantischen Entertainment-Komplex. Unter dem gemeinsamen Motto „Land, Sea, Air and People“ sollten sich um das Museum zahlreiche Restaurants und Cafés, bis zu vierzig Boutiquen und Souvenirgeschäfte, mehrere Reise- und Tourismusbüros sowie ein Kino, ein Aquarium, ein Tagungszentrum mit Hotel und ein Nachtclub gruppieren. Zusammen mit einer Anlegestelle für historische Segel- und moderne Kreuzfahrtschiffe sollte das Einwanderungsmuseum das Herzstück dieses „unique ‚themed’ environment of national significance“ bilden (ebd.: ES3).11 Zusätzlich vorgesehen waren Festivals ethnischer Gruppen, von denen man sich von Zeit zu Zeit eine Belebung und originelle Verwandlung der Szenerie versprach. Ein griechischer Feiertag etwa sollte den Anlass bieten für die komplette Gestaltung des Komplexes im Stil eines griechischen Dorfes mit Flaggen, Musik, Straßentheater und allerlei Folklore. Hatte sich das Ausstellungskonzept gegen eine Ausrichtung auf einzelne Einwanderergruppen ausgesprochen, so sollten hier die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen ostentativ hervortreten, nun in leicht konsumierbarer und kommerzialisierter Form (ebd.: ES-3). Gleichwohl wurden entsprechende Aktivitäten explizit als Teil des Museums und seines Auftrags verstanden. Die Kosten des gesamten Projekts veranschlagten die Planer bei 92 Millionen australischen Dollar (ca. 50 Millionen Euro). Ein Fünftel sollte der Fiskus tragen, den Rest private Investoren. Hinsichtlich der Realisierung gab man sich optimis-
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Zum Phänomen des „Theming“, also der an einem Motiv orientierten Gestaltung von Einkaufs- und Unterhaltungszentren, die durch Las Vegas prominent wurden und vielfach Darstellungen von Geschichte involvieren vgl. Dicks 2003: 93-118. 263
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
tisch: Bei einer positiven Entscheidung bis Anfang 1995 könne das Museum als erstes Element des Komplexes im Sommer 1997 eröffnen, der Rest bis zum Jahr 2000 fertiggestellt werden. Allein, die positive Entscheidung blieb aus. Ein interner Bericht der Regierung von Victoria meldete im Januar 1995 schwere Bedenken in Bezug auf die Finanzierbarkeit des Projekts an. Die vorgelegte Berechnung der Kosten für Renovierung und Ausgestaltung wurde als zu vage erachtet, die Aussicht auf ein Engagement privater Investoren als zu optimistisch und zudem wurden kaum abzuschätzende Folgekosten befürchtet. Ohne dass ein Erfolg gesichert sei, könnte die millionenschwere staatliche Startfinanzierung nicht genehmigt werden. Für das Station Pier-Projekt bedeutete dieser Beschluss das Aus, das Ende der Planungen für ein Einwanderungsmuseum in Melbourne bedeutete er nicht. Denn statt das Vorhaben in toto zu den Akten zu legen, wurde vorgeschlagen, die Möglichkeit anderer Organisationsmodelle und – entgegen des ursprünglich exklusiven Votums für Station Pier – anderer Standorte zu eruieren. Im Interesse einer Minimierung des ökonomischen Risikos sei etwa die Ansiedlung an einem touristisch bereits etablierten Ort zu prüfen. Ebenso denkbar sei die Einrichtung eines speziellen „museum of immigration“ unter dem – sowohl institutionellen wie wortwörtlichen – Dach des Museumsverbunds Museum Victoria und seines in der Planung befindlichen Hauptsitzes Melbourne Museum (PROV 6). Diese Impulse wurden für die weitere Entstehungsgeschichte des Immigration Museum Melbourne maßgeblich. Die Pläne für ein Einwanderungsmuseums an Station Pier scheiterten also nicht an inhaltlichen Differenzen oder konzeptionellen Kontroversen, sondern schlicht am Geld. Zugleich veränderten sich damit die Koordinaten für die Musealisierung der Migration in Melbourne. Das spätere Immigration Museum Melbourne steht in manchem, wie sich zeigen wird, dem älteren Ausstellungskonzept nahe, doch seine Konturen im Ganzen sind andere. Die institutionelle Trägerschaft wechselte und mit dem Ende des Modells einer Mischfinanzierung von öffentlicher Hand und privaten Investoren entfiel die geplante Einbindung des Museums in einen kommerzialisierten Entertainment-Komplex. Der bedeutendste Unterschied liegt jedoch in der Trennung vom „authentischen“ Ort. Das Museum mag dadurch atmosphärisch an Wirkung verloren haben, doch gewann es zugleich an Distanz zu seinem Thema und an Spielraum im Hinblick auf dessen Präsentation. Durch die Ablösung entfiel die Tendenz zur Privilegierung einer bestimmten Epoche australischer Einwanderungsgeschichte, die nahe liegende Festlegung auf eine Perspektive der Einfühlung sowie die Überblendung von Museum und sakralisiertem Pilgerort. Wenn das neue Museum anlässlich seiner Eröffnung in gewohnter Rhetorik als „Australia’s answer to Ellis Island“ (Sunday Herald Sun 4.8.1996: 11) bezeichnet wurde, so ging der Vergleich nun an der Sache vorbei. Entwickelt wurde ein Museum der Einwanderung, doch orientiert war dieses nicht mehr an Ellis Island. Das Immigration Museum Melbourne wurde keine Antwort auf Ellis Island, denn mit diesem stand es nie in direktem Dialog. 264
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Im Zweiten Anlauf: Das Immigration Museum als Ableger von Museum Victoria Das Vorhaben der Gründung eines Einwanderungsmuseums in Melbourne musste nach dem Scheitern der Musealisierung von Station Pier also neu ausgerichtet werden. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Im August 1996, keine 18 Monate nachdem das Station Pier-Projekt ad acta gelegt worden war, gab Premier Jeff Kennett die veränderte Konzeption bekannt, die schließlich im Verlauf der folgenden zwei Jahre erfolgreich realisiert wurde: die Einrichtung eines Immigration Museum im alten Zollgebäude Melbournes als Filiale des staatlichen Museumsverbundes Museum Victoria. Im Weiteren werde ich zunächst die institutionelle Struktur des neuen Museums und ihre Implikationen in den Blick nehmen, bevor ich dessen Standort und seine Ausgestaltung diskutiere. Die im Vergleich zu den beiden anderen Fallstudien nachgeordnete Behandlung des Ortes reflektiert dabei dessen geringeren Stellenwert im musealen Narrativ. Schließlich werde ich das inhaltliche Konzept des Museums vorstellen und die strukturell verankerte Einbindung von Einwanderer-Communities als besonderes Charakteristikum hervorheben.
Migration im Museum Victoria – vom Thema zum Typ Gottfried Korff (2005: 11ff.) skizziert in seinem Aufsatz über „Fragen der Migrationsmusealisierung“ zwei grundlegende Varianten der Verbindung von Migration und Museum: Migration als Typ oder Thema des Museums. Ersteres meint die Einrichtung eigener Einwanderungsmuseen, wie sie hier in den Blick genommen werden, letzteres die Behandlung des Komplexes in existierenden Geschichtsmuseen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene. Im vorliegenden Fall lässt sich in exemplarischer Weise der Übergang von der einen in die andere Form der Migrationsmusealisierung verfolgen. Das Immigration Museum Melbourne entstand, wie zu zeigen sein wird, durch die Ausgliederung des Themas Migration aus der historischen Abteilung von Melbourne Museum. Es wuchs als eigenständiges Museum gleichsam aus einem breiter angelegten heraus. Der staatliche Museumsverbund Museum Victoria, in dessen institutionellem Rahmen die Entwicklung stattfand, wurde 1983 durch den Zusammenschluss zweier der ältesten Museen Australiens gebildet: dem 1854 gegründeten National Museum of Victoria und dem 1879 gegründeten Science Museum of Victoria (Rasmussen 2001).12 Das National Museum sammelte und erforschte Flora und Fauna Australiens, zu der in der Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts 12
Zu den Anfängen des National Museum of Victoria vgl. auch Goodman 1999 und Bennett 2004: 136-153. Zu dessen Verortung in der historischen Entwicklung der australischen Museumslandschaft vgl. Anderson/Reeves 1994. 265
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
auch die materielle Kultur der Aborigines gezählt wurde. Das Science Museum, gleichermaßen dem 19. Jahrhundert verpflichtet, feierte die technischen Errungenschaften der jungen Kolonie und des späteren Bundesstaates Victoria. Über mehr als einhundert Jahre teilten sich die beiden altehrwürdigen Institutionen ein Gebäude im Zentrum Melbournes – ein Zustand, der spätestens Anfang der achtziger Jahre einer dringenden Revision bedurfte. Der Platz für Sammlung und Ausstellung war viel zu gering, die Präsentationsweise veraltet und die institutionelle Struktur führte zu Reibungsverlusten und unproduktiver Konkurrenz. Der Zusammenschluss markierte nun den Auftakt zu einer grundlegenden Transformation der Museen in den 1990er Jahren, die zugleich Züge von Dezentralisierung wie von interdisziplinärer Konzentration trug (Gillespie 2001b). Für den ersten Moment steht das 1992 in einem Außenbezirk von Melbourne eröffnete Scienceworks, ein modernes Museum für Wissenschaft und Technik, das im Stile eines Science Centers verstärkt auf Interaktivität und populäre Attraktivität setzt. Das seit Anfang der neunziger Jahre geplante und schließlich im Jahr 2000 eröffnete Melbourne Museum verkörperte demgegenüber die andere Facette. Der neue Hauptstandort von Museum Victoria, ein postmoderner Prachtbau inmitten von Melbourne, avancierte zum größten Museum Australiens. Mit der Verbindung von Naturkunde und Sozialgeschichte, Ethnologie und Archäologie sollten seine Präsentationen dezidiert interdisziplinär ausgerichtet sein.13 Sozialgeschichte stellte dabei mit Abstand den jüngsten Bestandteil in diesem Mix. Im Gleichklang mit den übrigen Museen Australiens war im Museum Victoria erst Mitte der achtziger Jahre eine eigene Abteilung für Geschichte eingerichtet worden (Anderson/Reeves 1994: 106). Deren Aktivitäten nahmen jedoch schnell zu und differenzierten sich bald in verschiedene Bereiche aus. Im Jahr 1990 wurde so, zusätzlich motiviert durch die erwähnte „National Agenda for a Multicultural Australia“ und ihren Aufruf zur Sicherung der materiellen Kultur der Migration, ein eigenes Sammlungsgebiet „Migration und Settlement“ begründet. 1992 griff das Museum mit einer historischen Ausstellung über die jüdischen und italienischen Communities im Melbourner Innenstadtviertel Carlton und einer weiteren zur Geschichte von Muslimen in Australien zwischen 1960 und 1990 erstmals explizit das Thema Einwanderung auf (Gillespie 2001a: 363). Die Frage, in welcher Form der Komplex Migration durch Museum Victoria zu behandeln sei, war zu diesem Zeitpunkt klar entschieden: Migration sollte als ein Thema und ein Aspekt in den Kontext der weiteren Sozialgeschichte Melbournes, Victorias und Australiens gestellt werden. Der stellvertretende Direktor von Museum Victoria, Andrew Reeves (1989: 125), setzte diese Position explizit gegen die Einrichtung eigenständiger Institutionen ab. Zwar seien auf ein Thema 13
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Für eine Deutung von Melbourne Museum als postmodernes und selbstreflexives Museum, das sich seiner Geschichte stellt bzw. diese (neben anderem) in ironischen Zitaten selbst ausstellt vgl. Eberley 2001; vgl. weiters McShane 2006.
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
fokussierte Museen in vielerlei Hinsicht erfolgreich und prinzipiell auch in Bezug auf Migration und Multikulturalismus denkbar. Für einen Gegenstand, der für Australien so fundamental sei und so starke Bezüge zum alltäglichen Leben aufweise wie die Geschichte der Einwanderung, sei ein integrierter Ansatz indessen angemessener. Denn nur im Zusammenspiel mit anderen Aspekten sei dem Thema gerecht zu werden und umgekehrt sei nur mit diesem eine umfassende Darstellung australischer Geschichte möglich. Nach dieser Maßgabe war das Thema Migration auch zunächst ganz selbstverständlich in die Planungen für die Dauerausstellung des neuen Melbourne Museum integriert. Noch im September 1994 teilte der Verwaltungsratsvorsitzende von Museum Victoria auf Anfrage seitens der Station Pier-Planer mit, man sei mitten in der Entwicklung von Ausstellungen und pädagogischen Programmen, die das Thema der Einwanderung im neuen Museum verankern sollten. Der Musealisierung von Station Pier stehe man wohlwollend gegenüber, betrachte das Projekt aber lediglich als Ergänzung zu den eigenen Aktivitäten im größeren Rahmen von Melbourne Museum (PROV 7). Eine Wende in der Position von Museum Victoria trat erst nach dem Scheitern des Station Pier-Projekts ein, und sie scheint nicht von veränderten internen Überlegungen, sondern von außen motiviert gewesen zu sein. Kuratorin Moya McFadzean berichtet, dass auch hier der entscheidende Impuls von Premier Jeff Kennett ausgegangen sei. Dieser wollte ein eigenständiges Einwanderungsmuseum in Melbourne realisiert sehen und bestimmte nun Museum Victoria zum institutionellen Rahmen. Eine Diskussion über die Aufgabe des integrativen Konzepts zugunsten einer eigenständigen Präsentation sei damit hinfällig geworden: „It was an order!“ (Interview McFadzean 24.1.2006) In der Konsequenz wurde das Thema Migration aus der sozialhistorischen Ausstellung und dem interdisziplinären Kontext von Melbourne Museum ausgegliedert und mit dem Immigration Museum ein weiterer dezentraler Standort, ein sogenannter dritter „Campus“, von Museum Victoria geschaffen. Dem Melbourner Einwanderungsmuseum eignet so in institutioneller Hinsicht ein Zwitterstatus: Durch den eigenen Standort und ein eigenes öffentliches Erscheinungsbild – etwa via Corporate Design, Werbung und Internet-Präsenz – wirkt es nach außen wie eine eigenständige Institution. Gleichsam hinter den Kulissen ist es jedoch ganz in die Struktur von Museum Victoria eingebunden. Dessen seit 1990 aufgebaute Sammlung zur Migrationsgeschichte bildet die Basis des Immigration Museum und bleibt zugleich Teil der Gesamtsammlung des Mutterhauses (McFadzean 1999: 12).14 Gleichermaßen gehören die Kuratoren und sonstigen Mitarbeiter zur historischen Abteilung des gesamten Museumsverbundes. 14
Das erste Konzept für das Museum bestimmte wörtlich: „The concept does not envisage the IHAM [Immigration and Hellenic Archaeological Museum, J.B. – mehr zu dieser Verbindung unten] as an active collector in its own right. Rather, 267
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Der Übergang vom Thema zum Typ in der musealen Präsentation australischer Einwanderungsgeschichte durch Museum Victoria lässt sich unterschiedlich bewerten. Die Debatte über dessen Für und Wider, die das Spektrum abdeckt, das Korff für die Frage im Allgemeinen aufspannt, ist noch immer offen. Die Direktorin des Immigration Museum, Padmini Sebastian, betont die positive Bedeutung eines separaten Museums und nennt symbolische wie pragmatische Gründe. Die Einrichtung sei ein sichtbares Zeichen der Anerkennung von Einwanderung als zentraler Aspekt australischer Geschichte und Gegenwart. In symbolischer Hinsicht entfalte dies weit stärkere Wirkung als die Behandlung als Thema in übergreifenden Darstellungen. Zudem begünstige die exponierte Stellung und thematische Konzentration die erwünschte Kooperation mit Einwanderer-Communities, die sich hier stärker angesprochen fühlten als in breiter angelegten Museen (Interview Sebastian 6.1.2006). Kuratorin Moya McFadzean (Interview 24.1.2006) hebt gleichfalls die Vorteile der Alleinstellung für eine prominente Re-Präsentation von Migration hervor, räumt jedoch ein, dass damit im Hinblick auf das zeitgleich geplante Melbourne Museum der gegenteilige Effekt verbunden sei. Aufgrund der Fülle an unterzubringenden Themen einerseits und der begrenzten Kapazität der migrationshistorischen Sammlung andererseits habe die Aussicht auf ein eigenes Einwanderungsmuseum dort zur Unterrepräsentation des Themas Migration geführt. Dies deutet Sarah Wills (2001: 77) wiederum als historiographische Marginalisierung: „It is […] a shame that the Immigration Museum’s stories are separate from Museum Victoria’s other social history exhibits; that stories of migration exist in Melbourne not as core components of Australian history, but as a separate set of observations, an institutionally divided migrant or multicultural margin. Greater integration is needed.“ Mit Blick auf die Ausrichtung von Melbourne Museum lässt sich die Ausgliederung des Themas Migration noch einmal anders deuten. Eberley (2001: 224) analysiert das Museum zurecht als Beispiel für einen Paradigmenwechsel historischer Meistererzählungen in Australien und meint damit namentlich das „undermining of the ‚discovery and settlement’ (white European) narrative by the ‚invasion and genocide’ (black Indigenous) narrative“. Wenn man diese Grundtendenz in Betracht zieht, so erscheint die Verlegung der Einwanderungsgeschichte an einen eigenen Standort weniger als Marginalisierung, sondern gleichsam als „Rettung ins Exil“. Durch die örtliche und (nach außen so erscheinende) institutionelle Trennung von Melbourne Museum mit seiner starken Beto-
the Museum of Victoria’s Programs Collections and Research Division will continue to conduct collection development and research in this area. All objects on display will be owned by MoV or other parties (both Government and private) with IHAM’s role focusing on presenting public programs which deliver public education outcomes.“ (MoV 1997a: 2). Für Objekt-Beispiele aus der Sammlung vgl. Cosgrove 2004: 30-39. 268
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
nung indigener Perspektiven und kolonialer Gewalt wird Migrationsgeschichte ein Stück weit von der Hypothek des Kolonialismus entlastet. Die Geschichte der Einwanderung nach Australien kann so unter anderen, positiveren Vorzeichen erzählt und entsprechend leichter gefeiert werden.
Ein historischer Ort ohne narrative Resonanz: Old Customs House Zum Sitz des Immigration Museum wurde das mitten in der Stadt gelegene alte Zollgebäude Melbournes bestimmt. Signifikanter als die eigentliche Entscheidung für den Standort ist dabei das Verhältnis zwischen der Geschichte des Ortes und seiner Stellung im musealen Narrativ, nicht zuletzt da dieses sich anders gestaltet als in den Fällen Ellis Island, Pier 21 oder in den Plänen für Station Pier. Denn mit Old Customs House wurde ein historischer Ort der Migration für die Präsentation von Migrationsgeschichte gewählt, ohne das Immigration Museum zugleich als in situ-Museum zu inszenieren. Old Customs House wurde in mehreren Phasen zwischen 1856 und 1876 nach dem Vorbild britischer Zollgebäude im klassizistischen Stil erbaut. Der repräsentative Bau ersetzte mehrere Vorgänger am selben Ort, die durch das schnelle Anwachsen der Kolonie Victoria und ihres Handels, insbesondere seit dem Goldrausch von 1852, hinfällig geworden waren. Mit seiner prächtigen weißen Fassade und dem säulenbestandenen Long Room als Herzstück wird es als eines der schönsten öffentlichen Gebäude Melbournes bezeichnet und stellt eine der letzten verbliebenen Verbindungen zu Melbournes maritimer Geschichte dar. Im 19. Jahrhundert wurden hier die Importe nach Victoria überwacht. Verbotene und geschmuggelte Ware wurde konfisziert und Gebühren auf bestimmte Güter erhoben. Daneben übernahm die Zollbehörde auch die Verantwortung für die Einwanderung, die nach der Loslösung der Kolonie Victoria von New South Wales im Jahr 1851 und der wenig später folgenden Entdeckung von Gold explosiv anstieg. Migranten aus vielen Teilen der Welt, die übergroße Mehrheit von den britischen Inseln, landeten in Melbourne, von wo aus sie ihren Weg zu Goldfeldern im Nordwesten der Stadt fortsetzten. In Old Customs House wurden die Passagierlisten der Schiffe und die Papiere der Ankömmlinge kontrolliert und diesen im Fall ihrer Aufnahme Siedlungsgebiete zugewiesen. Seit 1855 wurde hier überdies eine Kopfsteuer für chinesische Einwanderer erhoben, die deren Zuwanderung begrenzen sollte. Mit Zusammenschluss der Kolonien im Commonwealth of Australia 1901 ging das Gebäude in den Besitz des Bundes über, blieb jedoch mit Aufgaben der Regulierung und Kontrolle von Einwanderung verbunden. Es fungierte nun als Sitz der föderalen Zollbehörde, der unter anderem eine Rolle in der Exekution des Immigration Restriction Acts von 1901 zukam. Dieser schrieb die Abschottung gegenüber außereuropäischer Migration fest und begründete damit die sogenannte White Australia Policy, die offiziell bis in die späten 1960er Jahre gül269
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
tig blieb. Die Beamten führten hier die notorischen Dictation Tests durch, die als Instrument der Selektion Unerwünschter dienten, und entschieden über Anträge auf individuelle Ausnahme von den restriktiven Bestimmungen. 1967 zog die Zollbehörde in ein anderes Gebäude und Old Customs House beherbergte fortan Büros von Senatoren und Abgeordneten des australischen Parlaments (Museum of Victoria 1997c: 4.1.3; Gillespie 2001a: 365; Allom Lovell 2003). 1994 fiel die Immobilie an den Staat Victoria zurück und wurde nun in die Arts 21-Strategie einbezogen. Die Renovierung und Nutzung als Kulturinstitution war insbesondere als Mittel zur Belebung des Nordufers des Yarra und des westlichen Teils von Melbournes Downtown gedacht (Arts 21 3,1 (1997): 8). Die Einrichtung eines Einwanderungsmuseums stand dabei – trotz der Geschichte des Gebäudes – zunächst nicht zur Debatte. Vorgesehen war vielmehr die Ansiedlung einer prominenten privaten Kunstsammlung und, als sich dieser Plan zerschlug, die Nutzung als Wechselausstellungsfläche für die National Gallery of Victoria. Erst mit Scheitern der Planungen für eine Musealisierung von Station Pier rückte das ehemalige Zollgebäude in den Blick. Die Gründe für dessen Wahl als Standort für das Immigration Museum waren pragmatischer Natur: Das Gebäude war verfügbar und in der Hand des Staates, es stellte ausreichend Ausstellungsfläche zur Verfügung und war gut an die Stadt und andere Kultureinrichtungen angebunden (MoV 1997c: 4.1.2). Die historischen Bezüge spielten bei der Entscheidung allenfalls eine nachgeordnete Rolle, wurden dann jedoch als willkommener Nebenaspekt wahrgenommen und herausgestellt (Herald Sun 3.8.1996: 29, 5.10.1996: 62). Obgleich weitgehend zufällig entstanden, hätte das Zusammenfallen von historischem Schauplatz der Migration und gegenwärtigem Schau-Platz von Migrationsgeschichte nun den Anlass bieten können, das Konzept des Museums ganz auf diese Verbindung einzustellen und die Geschichte der Einwanderung in weiten Teilen entlang der Geschichte von Old Customs House zu erzählen. Eine solche Ausrichtung wurde indes nicht verfolgt, auf dem Zufall nicht weiter aufgebaut. Das Ausstellungskonzept betonte vielmehr die Notwendigkeit einer sorgsamen inhaltlichen und gestalterischen Trennung: „Components of the Customs House interpretation will be presented quite independently of the rest of the IMHAM15 programs but may occupy the same space as interpretive material from other projects. To avoid conceptual and visual confusion, a way of visually differentiating Customs House signage and labelling from unrelated media would be desirable.“ (MoV 1997c: 4.2.3 of 32)
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IMHAM steht für „Immigration Museum and Hellenic Archaeological Museum“. Die institutionelle und örtliche Verknüpfung des Immigration Museum mit dem ebenfalls neu gegründeten Hellenic Archaeological Museum und deren sukzessive Auflösung diskutiere ich im Abschnitt über die Veränderungen seit der Eröffnung.
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Im Immigration Museum Melbourne begleitet die Darstellung der Geschichte des Ortes also die Präsentation von Einwanderungsgeschichte, bestimmt sie aber nicht konzeptionell. Eine Orientierung des musealen Narrativs auf die historischen Vorgänge vor Ort – wie im Ellis Island Immigration Museum oder im Museum Pier 21 – blieb aus. Statt die atmosphärische Nachempfindung oder gar Rekonstruktion der Zoll- und Immigrantenabfertigung, etwa im zentralen Long Room, dem Äquivalent zu Ellis Islands Great Registry und Pier 21s Wartesaal, anzustreben, erscheint die Geschichte des Gebäudes nur auf unscheinbaren Tafeln und in einer kleinen separaten Ausstellungseinheit. Die Überlegungen hinter dieser Richtungsentscheidung lassen sich nicht vollständig rekonstruieren. Wahrscheinlich ist, dass die Genese des Museums als Ausgliederung der migrationshistorischen Abteilung von Museum Victoria von Beginn an eine breiteren Ansatz nahelegte. Überdies mag die Geschichte von Old Customs House den Planern als nicht ausreichend signifikant für eine zentrale Stellung im Narrativ erschienen sein. Schließlich steht zu vermuten, dass in der Konzentration auf diesen spezifischen historischen Ort nicht die erwünschte Epoche aufgerufen gewesen wäre. Aufgrund der Assoziation des Gebäudes mit den Migrationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wäre die starke Einwanderung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in genauem Gegensatz zu den Implikationen des Station Pier-Projekts – an den Rand gerückt, was weder historiographisch noch geschichtspolitisch zu rechtfertigen gewesen wäre. Die Restaurierung des Gebäudes durch die Melbourner Architekten Allom Lovell and Associates in Verbindung mit Daryl Jackson begann im Oktober 1996. Sein Äußeres blieb dabei, vom Anbau eines einstöckigen Glaspavillons auf der Rückseite, in dem ein Café untergebracht wurde, weitgehend unverändert (Allom Lovell 2003: 19). Im Inneren entschieden die Architekten dagegen, das Bauwerk bis auf die Grundsubstanz auszukernen und teils modern, teils an das historische Erscheinungsbild angelehnt wieder aufzubauen (The Age 2.12.1998: 20).16 Bryon Cunningham, der für die Gestaltung der Ausstellung verantwortlich zeichnete, kritisiert dieses Vorgehen als Verlust an Authentizität und stellt es in expliziten Kontrast zu Ellis Island: „Ellis Island – there’s just so much atmosphere. You walk in there and the walls talk to you. The building itself has a kind of live of its own […] Whereas here, this building, even though it was a very interesting structure, it didn’t have that kind of spiritual intensity about it that Ellis Island has. […] Initially, I tried to look for those elements in this building, but it was just so completely renovated by the architects that any of its original fabric was either painted over or rebuilt or modified or something. There was literally nothing left of its heart, of its soul.“ (Interview Cunningham 6.2.2006)
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Die Restaurierungsmaßnahme wurde 1999 mit dem Architekturpreis des Staates Victoria in der Kategorie Denkmalschutz ausgezeichnet (Allom Lovell 2003: 15). 271
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Folgt man Cunningham, so verbot neben der konzeptionellen Entscheidung bereits diese Art der Restaurierung eine Inszenierung als in situ-Museum. Konsequent vermerkt Kurator Richard Gillespie (2001a: 365) denn, dass heutige Besucher Old Customs House ganz anders erlebten als ehedem Zollbeamte oder Einwanderungswillige. Was sich als selbstverständlicher Ausdruck kuratorischer Selbstreflexivität lesen lässt, erhält seine Signifikanz wiederum in Kontrast zur Musealisierung der Migration in der Fassung von Ellis Island und Pier 21. Während in deren Rhetorik stets die Authentizität des Ortes und die damit verbundene Möglichkeit des Nacherlebens der historischen Einwanderung beschworen wird, verweist Gillespie explizit auf die Inkongruenz der Wahrnehmung von Migranten und Museumsbesuchern. Da die Präsentation des Immigration Museum Melbourne nicht an der Einfühlung in den historischen Ort der Migration hängt, kann er dessen nachträgliche Veränderung ohne weiteres zugestehen und ermöglicht damit zugleich eine Sicht auf das Museum als gegenwärtige Konstruktion.
Entwicklung und Grundlinien des Ausstellungskonzepts Die Realisierung des Museums dauerte von der Bekanntgabe im August 1996 bis zur Eröffnung im Oktober 1998 nur etwas über zwei Jahre.17 In diesem Zeitraum mussten das Gebäude renoviert, neue Mitarbeiter eingearbeitet, ein Konzept und Design entwickelt, Communities konsultiert und ein Katalog produziert werden (McFadzean 1999: 12). Im Januar 1997 wurde Anna Malgorzewicz, die zuvor im Museum Victoria das Sammlungsgebiet „Migration and Settlement“ betreut hatte, zur Direktorin des Immigration Museum ernannt. Das Ausstellungskonzept wurde in der Folge von einem zwanzigköpfigen Team aus Museum Victoria in Zusammenarbeit mit den Melbourner Gestaltern Cunningham Martyn Design entwickelt (All Aboard 1999: 8). Als beratendes Gremium wurde von Premier Jeff Kennett ein „Immigration and Hellenic Museum Committee“ eingesetzt, das einige personelle Überschneidungen mit dem Sondierungskomitee für die Musealisierung von Station Pier aufwies. Den Vorsitz hatte der Direktor des Living History-Museums Sovereign Hill Peter Hiscock, der auch im Vorstand der Mutterinstitution Museum Victoria saß. Mitglieder waren unter anderem Repräsentanten der Regierung von Victoria, der Direktor des geplanten Melbourne Museum, der Herausgeber der Melbourner Tageszeitung Herald Sun sowie ein Architekt, der Intendant eines griechischsprachigen Radiosenders und ein Universitätsprofessor für Asiatisch-Pazifische Studien (MoV 1997b: 3, 22). Laut Padmini Sebastian (Interview 6.1.2006) und Maria Tence (Interview 16.1.2006), die von Beginn an in die Produktion des Mu-
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Der Termin Oktober 1998 wurde gewählt, um die Eröffnung mit einer Tagung des internationalen Museumsbundes ICOM in Melbourne zusammenfallen zu lassen.
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seums involviert waren, kam dem Gremium allerdings nur eine Botschafterfunktion zu. Der Einfluss auf die Entwicklung des Museums blieb gering. Das erste Konzeptpapier legte zunächst die öffentliche Finanzierung des Museums als entscheidende Rahmenbedingung fest. Die Kosten von 19 Millionen australischen Dollar (gut 10 Millionen Euro) sollten allein vom Staat Victoria durch den im Rahmen der kulturpolitischen Strategie Arts 21 geschaffenen Community Support Fund getragen werden. Aus Sorge um die Integrität der neuen Einrichtung richtete man sich explizit gegen eine Beteiligung des privaten Sektors, wie sie im Station Pier-Projekt vorgesehen war: „Development by the ‚for-profit’ sector would, of necessity, focus on commercial return rather than the broader goals sought by the Museum as a public sector institution. Where profit is the principle driving motive it can be expected that the ultimate result will be an entertainment theme park where relatively little education and understanding is gained by visitors. Clearly, such an outcome is not the purpose of a $ 19 million investment by Government.“ (MoV 1997a: 10)
Die angedeuteten umfassenden Ziele, auf die die Präsentationen des Immigration Museum18 im Gegensatz dazu ausgerichtet sein sollten, wurden wie folgt definiert: Das Museum sollte deutlich machen, dass Victoria immer schon kulturell vielfältig war. Es sollte zeigen, dass Einwanderung im Leben oder der Familiengeschichte aller Australier mit Ausnahme der indigenen Bevölkerung eine Rolle spiele. Es sollte zugleich klarstellen, dass sich Aborigines nicht als Einwanderer begreifen. Migration sollte weiterhin verstanden werden als vielschichtiger Prozess, der neben Menschen auch Dinge, Pflanzen und Tiere umfasse und damit einen kumulativen Effekt auf Individuen, Gemeinschaften, Lebensweisen und die Umwelt habe. Überdies sollte, wie skizziert, die wechselhafte Geschichte von Old Customs House beschrieben werden (MoV 1997c: 4.2.6 of 18). Die Prämisse, die der Formulierung dieser Ziele zugrunde lag, war ein emphatisches Bekenntnis zu kultureller Vielfalt als Basis australischer Identität. Auf dieser Grundlage wurde der übergreifende Auftrag des Museums folgendermaßen formuliert: „To record and interpret the immigration experience of people to Victoria and Australia, and to promote our cultural diversity and resulting Australian identity“ (MoV 1997c: 4.1.4; Horn 2006: 79).
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Die Bezeichnung „Immigration Museum Melbourne“ war zunächst nur als Arbeitstitel gedacht (MoV 1997b: 8). Ein Aufruf an die Bevölkerung zur Findung eines ansprechenderen Titels zeitigte Vorschläge wie „OneAustralia“ (eine Wortschöpfung die fatal an die rechtspopulistische One Nation Party erinnert!), „Origins and Traditions Museum“ und „Victorian Multicultural Museum“ (Sunday Herald Sun 13.4.1997: 13, 27.4.1997: 40). Mangels geeigneter Alternativen entschieden die Verantwortlichen schließlich, bei der schlichten Bezeichnung zu bleiben. 273
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Mit dem Standpunkt, dass Australien von der Landung der „First Fleet“ im Jahr 1788 über den Goldrausch im 19. Jahrhundert und die Masseneinwanderung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den heutigen Flüchtlingsbewegungen durch kulturelle Vielfalt geprägt war, positionierte sich das Immigration Museum als Protagonist eines Paradigmenwechsels. Revidiert werden sollte die verbreitete Anschauung, wonach Australien bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine homogen britische Gesellschaft gewesen sei. Die lange Geschichte der kulturellen Vielfalt Australiens, deren Wahrnehmung durch politische und sozial bedingte Vorurteile lange Zeit verschleiert worden sei, sollte durch die Anerkennung früher nichtbritischer und nicht-weißer, etwa chinesischer Einwanderung sichtbar werden. Zugleich sollte die Geschichte britischer und irischer Siedler, die im Fokus auf den Multikulturalismus Australiens vielfach unintendiert aus der Betrachtung von Migrationsgeschichte verdrängt worden sei19, in die Erzählung integriert werden und dabei die Heterogenität dieser traditionell als homogen beschriebenen Gruppe herausgestellt werden (McFadzean 1999: 8f.; Gillespie 2001a: 364).20 Der Leitsatz „There’s an immigration experience in the life or family of all non-indigenous Australians“ diente entsprechend zum einen dazu, die persönliche Relevanz des Themas aufzuzeigen. Zum anderen stellte er eine Klammer um lange Zeit separat betrachtete Migrationsbewegungen und zielte auf die Konstruktion eines verbindenden Narrativs. „We see that as a powerful unifying force“, beschrieb Museumspädagogin Lucinda McKnight die Funktion des Leitsatzes (Herald Sun 4.8.1998: 32). Mit gleicher Stoßrichtung wollte der Schriftsteller Arnold Zable das Museum im Ganzen verstanden wissen als „a powerful tool in combating racism and promoting understanding of the forces that unite us, beyond our diversity and differences“ (The Age 12.11.1998: 19). Und Gründungsdirektorin Anna Malgorzewicz stellte klar, dass dieses Museum der Einwanderung nicht von den Anderen oder von irgendwelchen Minderheiten handeln wolle, sondern auf den Kern der nationalen Identität aller Australier ziele: „This isn’t a museum about them – it’s about us“ (The Age 14.11.1998: 11). 19
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Bedenken gegenüber einer Unterrepräsentation anglo-keltischer Einwanderung und Kultur äußerten sich seit den späten 1980er Jahren periodisch anlässlich geschichtspolitisch bedeutsamer Ereignisse, so etwa in Bezug auf die multikulturell ausgerichteten Feierlichkeiten zur Zweihundertjahrfeier der europäischen Besiedlung Australiens 1988 (Hutchinson 1992: 17) und das 2001 eröffnete National Museum of Australia. Für das analoge Phänomen im Kontext der Entwicklung des neuseeländischen Nationalmuseums Te Papa Tongarewa vgl. Gore 2002: 286f. Das Immigration Museum folgte mit dieser Ausrichtung neueren Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft, die die lange Geschichte eines multikulturellen Australiens in den 1990er Jahren „entdeckt“ hatte. Teo (2003: 153f.) deutet diese Tendenz, die nicht ohne Widerspruch blieb, als Versuch der Legitimation des australischen Multikulturalismus angesichts zunehmender Forderungen nach Rückkehr zu einer verbindenden und verbindlichen anglo-keltischen Leitkultur.
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Das Konzept des Immigration Museum Melbourne orientierte sich dabei in mehrfacher Hinsicht an Positionen der New Museology. Statt – wie ältere Museumstraditionen – die Geschichte und Kultur von Eliten auszustellen, sah es sich dem Anliegen verpflichtet, die Stimmen von Individuen und Gruppen zu Gehör zu bringen, die lange Zeit in Gesellschaft wie Geschichtsschreibung marginalisiert worden waren und zum Teil noch wurden. Gegen die Ausschlüsse der Vergangenheit setze es das Leitbild maximaler Inklusion und versuchte diese auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. Repräsentiert werden sollte ein pluralistisches Spektrum an gesellschaftlichen Gruppen und individuellen Erfahrungen. Hemmschwellen des Zugangs zum Museum sollten abgebaut und museumsferne Gruppen, wie jüngst Eingewanderte, durch spezielle Programme zum Besuch motiviert werden. Neben Repräsentation und Zugang sollte im Einklang mit der New Museology auch der kuratorische Ansatz inklusiv sein und kuratorische Autorität in gewissem Umfang geteilt werden. Insbesondere die Einbeziehung ethnischer Communities in die Entwicklung des Museums und einzelner Ausstellungen wurde damit, wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird, zum wichtigen Bestandteil des Konzepts: „All communities in Victoria will be encouraged to participate in the development and ongoing operations of the Museum. This interaction will provide a framework for greater mutual understanding, tolerance and respect for the beliefs, customs and cultures of others.“ (MoV 1997b: 7) Weiterhin sah das Konzept in selbstreflexiver Wendung vor, die Lücken in der historischen Überlieferung zu dokumentieren und zwar nicht allein allgemein in Bezug auf ein lange Zeit britisch dominiertes kollektives Gedächtnis, sondern auch konkret in der eigenen musealen Sammlung (McFadzean 1999: 9). Schließlich sprachen sich die Macher dafür aus, kontroverse Themen in Geschichte und Gegenwart aufzugreifen und – von der rassistischen White Australia Policy bis zur aktuellen Debatte über die Behandlung von Asylsuchenden – ein Forum für deren Diskussion zu bieten (McFadzean 2005: 2f.). Nicht in Zweifel gezogen werden sollte in all dem allerdings eine grundsätzlich positive Bewertung von Multikulturalismus und australischer Einwanderungsgeschichte. Die Vermittlung einer solchen Ansicht stellte vielmehr normative Basis und Endzweck des Museums gleichermaßen dar: „Ultimately all visitors (including tourists) leave the Immigration Museum thinking about the benefits of multiculturalism, and the success story that is Australia’s immigration history.“ (MoV 2000: 31) In der Entwicklung und Umsetzung des Konzepts galt es, laut Kuratorin Moya McFadzean (1999: 11f.), neben der kurzen Vorbereitungszeit vor allem drei inhaltlich Herausforderungen zu bewältigen. Erstens musste die angestrebte Ausweitung des Begriffs „Einwanderung“ und damit die historische Reichweite des Museums vermittelt werden. Befragungen im Vorfeld der Eröffnung hatten nämlich ergeben, dass die Mehrheit der australischen Bevölkerung ein „Immigration Museum“ mit der engeren Geschichte der Nachkriegseinwanderung assoziierte. Die Ausdehnung des Blickwinkels auf die lange Geschichte der Migration 275
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und die entsprechend weite Fassung des Begriffs „immigrant“ rief nun insbesondere bei Australiern mit anglo-keltischem Hintergrund gemischte Reaktionen hervor. Während anglo-keltische Organisationen die Einbeziehung in das Museum und sein Narrativ der Einwanderung begrüßten, beanspruchten einzelne für sich weiterhin die exklusivere Bezeichnung „settler“ und wiesen die Klassifikation als „immigrant“ zurück (MoV 1997c: 4.2.4ff. of 18; Gillespie 2001a: 364). Zweitens galt es, die Geschichte der Aborigines in angemessener Weise im Museum zu berücksichtigen.21 Zu klären war dabei in erster Linie, welcher Status diesen im Hinblick auf das Narrativ der Einwanderung zukommen sollte. Eine Variante, die etwa Premier Jeff Kennett favorisierte, stellte die Integration durch massive Ausdehnung des Betrachtungszeitraums dar. So proklamierte dieser mit Blick auf die eiszeitlichen Wanderungen: „Australia has been a nation of immigrants for 40.000 years.“ (Kennett 1999: 3; auch Sunday Herald Sun 19.2.1995: 28). In der Öffentlichkeit wurde die Frage, ob Aborigines in diesem Sinne letztlich auch Migranten seien, unterschiedlich beantwortet, wie Umfragen des Museums ergaben (MoV 1997c: 4.2.4 of 18). Die Macher des Immigration Museum Melbourne positionierten sich dagegen eindeutig gegen eine Definition von Aborigines als Ur-Migranten und damit gegen die Konstruktion eines einfachen, allumfassenden Einwanderungsnarrativs (McFadzean 1999: 12).22 Sie übernahmen damit die Sicht der Aborigines selbst, die sich als „indigenous to the land“ und mithin nicht als Einwanderer verstanden – eine Position, die im Hinblick auf laufende Verhandlungen über die Rückgabe von enteignetem Land ne-
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Anderson/Reeves (1994: 119) stellen dar, dass eine Nicht-Beachtung indigener Geschichte bzw. ein rein europäischer Blick spätestens seit den 1990er Jahren in australischen Museen unmöglich geworden war. Den speziellen Komplex des Beitrags von Museen zum Prozess der „reconciliation“, also der seit den 1990ern in Australien viel diskutierten „Versöhnung“ von europäischen Siedlern und Aborigines durch Aufarbeitung der Verbrechen des Kolonialismus und die Bewältigung seiner Folgen beleuchten Kelly/Gordon 2002. Anders war dies etwa in der Australian Bicentennial Exhibition, die 1988 als eine der Hauptaktivitäten im Rahmen der Feierlichkeiten zum zweihundertjährigen Jubiläum der europäischen Besiedelung/Kolonisierung (je nach Perspektive) Australiens durch das gesamte Land tourte. „Journeys“, Reisen, war ein zentrales Thema der Ausstellung und Aborigines wurden im Bemühen um größtmögliche Inklusion explizit einbezogen. Cochrane/Goodman (1992: 178) analysieren die Entscheidung luzide als geschichtspolitisch motivierte „levelling strategy“: „[R]econstituted as fellow journeyers, immigrants all, black and white Australians can finally celebrate together. The work performed here is the erasure of difference, of time, of power and domination.“ Nicht verwunderlich ist entsprechend, dass dieser Aspekt der Ausstellung auf weitreichende Kritik stieß. Für die Planungen des Immigration Museum mögen diese Auseinandersetzungen als Hintergrund gedient und die gegenteilige Entscheidung nahegelegt haben.
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ben kulturellen auch hochgradig politische und materielle Implikationen hatte.23 Das Konzept des Immigration Museum optierte auf dieser Grundlage für das Modell einer Beziehungsgeschichte: Die Geschichte der Einwanderung sollte unter steter Betrachtung von Auswirkungen auf und Austausch mit der indigenen Bevölkerung behandelt werden. Um das so angestrebte „cross cultural understanding and learning“ sicherzustellen, arbeiteten die Kuratoren mit der Abteilung für Indigene Kulturen von Museum Victoria und mit den Mitarbeitern von Bunjilaka, dem Teil von Melbourne Museum, der Geschichte und Kultur der Aborigines gewidmet ist, zusammen (Immigration Museum Identity Statement o. D.: 6). Als dritte Herausforderung sah sich das Museum schließlich mit Erwartungen einer Vielzahl ethnischer Communities nach Repräsentation „ihrer“ Geschichte konfrontiert, die im einzelnen und vollständig nicht zu erfüllen waren. Maria Tence, die im Museum für die entsprechenden Außenkontakte verantwortlich zeichnete, beschreibt das Dilemma: „How do we deal with the communities with power, the longer established communities, the Italians, the Greeks, the Chinese…? They wanted more of the museum, because they thought they were here first and they were bigger. But if we told the storys of the older, established communities, that would take up the whole museum. So we needed to tell what’s the methodology we will use to ensure that everyone feels included in the museum.“ (Interview 16.1.06)
Die Präsentation sollte als Lösung eine pragmatische Balance halten, in der neben Objekten und Geschichten großer Einwanderergruppen auch kleinere vertreten sein sollten, um nicht den Eindruck einer Hierarchie aufgrund zahlenmäßiger Stärke aufkommen zu lassen. Vor allem versuchten die Macher das Problem zu entschärfen, indem sie nicht einzelne Communities in den Vordergrund stellten, sondern entschieden, Migrationsgeschichte entlang von übergreifenden „Dimensionen der Migrationserfahrung“ zu erzählen (McFadzean 1999: 11f.).
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Einschlägig ist in diesem Zusammenhang die sogenannte „Mabo decision“ von 1992, in der das Oberste Gericht Australiens einer Gruppe von Indigenen unter Führung von Eddie Mabo zusprach, die ursprünglichen Eigentümer von Land – genauer: einer kleinen Insel – zu sein, das nun unter der Verwaltung des Staates Queensland stand. Die Entscheidung war die erste offizielle Anerkennung des rechtmäßigen Besitzes von Land durch die indigene Bevölkerung Australiens vor der britischen Kolonisation. Damit bedeutete sie zugleich die Revision der kolonialen Vorstellung von Australien als Niemandsland („terra nullius“) und Eingeständnis der Enteignung der indigenen Bevölkerung im Zuge der europäischen Besiedelung. Als solche war die „Mabo decision“ Meilenstein und Triebfeder eines Paradigmenwechsels in den Beziehungen zwischen indigenen und weißen Australiern, der sich in geschichtspolitischer Hinsicht in verschärften Debatten über die nationale Identität Australiens äußerte (Hage 2001: 336-339; Frie 2007). 277
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Zum zentralen Gliederungsprinzip der Ausstellung wurden in diesem Sinne sechs grundlegende Momente der Migration bestimmt: „leavings, journeys, arrivals, settlings, impacts, reunions“ (MoV 1997c: 4.2.2 of 18). In der Beleuchtung eines jeden dieser Momente sollte wiederum eine Vielzahl thematischer Aspekte aufscheinen. So sollte die Abteilung „Journeys“ sowohl die Entwicklung der Verkehrsmittel vom Segelschiff zum Jumbojet als auch das Gefühlsspektrum der Reisenden zwischen freudiger Erwartung und Angst vor dem Ungewissen aufgreifen. Die Abteilung „Impacts“ sollte Auswirkungen von Einwanderung auf die Gesellschaft und Kultur Australiens im Allgemeinen ebenso darstellen wie auf die indigene Bevölkerung im Besonderen oder auf die Landschaft. Abgegrenzt wurde der Ansatz einer Untersuchung solcher Momente der Migration dabei nicht nur gegen eine Strukturierung der Ausstellung nach Einwanderergruppen, sondern auch gegen eine chronologische Betrachtung von Einwanderungsgeschichte oder die Konzentration auf den bürokratischen Akt der Immigration.24 Als Vorteil versprachen sich die Macher, dass Besucher auf diese Weise in die Lage versetzt würden, die Geschichte der Migration nicht nur intellektuell nachzuvollziehen, sondern auch Emotionen und Empathie zu entwickeln (MoV 1997c: 4.2.2f. of 18). Vor allem aber sollte dadurch eine möglichst breite Relevanz und Resonanz erzielt werden, wie Gründungsdirektorin Malgorzewicz betonte: „[W]e are developing a museum that is going to be relevant to everyone. It’s not a chronological museum and it’s not a museum about particular communities, it’s a museum about the experience of migration. So whatever your particular ethnic background, you can relate to an element within the museum.“ (The Age 13.10.1998: 17) Die regionale Ausrichtung, die dem Museum als Filiale von Museum Victoria an sich eingeschrieben war, trat in dieser Konzeption zwangsläufig und bewusst in den Hintergrund. Der Auftrag, die Geschichte der Einwanderung nach Australien im Allgemeinen und nach Victoria im Speziellen zu dokumentieren, wurde so ausgelegt, dass die Grundstruktur auf den nationalen Rahmen ausgelegt wurde, konkrete Beispiele und Objekte sich indes auf den Bundesstaat beziehen sollten (Interview Sebastian 6.1.2006).25 24
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Dass der Ansatz seinerzeit nicht so originell war wie im Ausstellungskonzept suggeriert, zeigt nicht nur ein Blick auf das später eröffnete, aber unabhängig konzipierte Museum Pier 21, sondern auch auf die schon früher entwickelte Dauerausstellung „Passports“ im neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa Tongarewa, die sich entlang der drei Dimensionen „Leaving – Travelling – Arriving“ entfaltet (vgl. Gore 2002: 284-288). Die bedeutendste Konsequenz aus dem regionalen Schwerpunkt ergibt sich aus dem historischen Umstand, dass in Victoria keine Sträflingskolonien existierten. Die Geschichte der Zwangsmigration britischer Strafgefangener im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, die die europäische Besiedlung des Kontinents einläutete und die Grundlage des klassischen australischen Gründungsmythos bildet, spielt im Museum insofern nur eine nachgeordnete Rolle.
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Neben und quer zu den sechs Dimensionen der Migration wurde ein weiteres Element für die Präsentationen des Immigration Museum Melbourne prägend: die Darstellung von Einwandererbiographien. Nach Ansicht der Planer sollten diese Biographien, erzählt anhand von Oral History, Briefen, Tagebüchern, persönlichen Objekten, Fotografien und Video, größere Entwicklungen in ihrer Wirkung auf Individuen anschaulich machen und zugleich dazu beitragen, eingefahrene und standardisierte Narrative zu verflüssigen (McFadzean 1999: 8). Was Kurator Richard Gillespie (2001b: 116) für die lokalhistorische Ausstellung in Melbourne Museum feststellt, lag mithin auch der Einführung des biographischen Zugangs im Immigration Museum zugrunde: „These personal vignettes act as counterpoints to what otherwise might come across as a grand narrative“. Um eine möglichst umfassende Re-Präsentation zu gewährleisten, wurde der Auswahl der Biographien eine elaborierte, multidimensionale Matrix zugrunde gelegt. In Betracht gezogen wurden dabei nicht nur Kriterien wie Herkunftsland und ethnische Zugehörigkeit oder Zeitpunkt der Ankunft in Australien, sondern weitere Faktoren wie Geschlecht und Beruf, städtische oder ländliche Prägung und Gründe der Migration (MoV 1997c: 4.2.6 of 49; McFadzean 2005: 3). Auf diese Weise wurde versucht, einen reduzierten und reduzierenden Blick auf die Migranten zu vermeiden und Re-Präsentation im Immigration Museum Melbourne breiter zu denken als ausschließlich in Bezug auf ethnische Communities.
Komplexe Konsultationen: Die Einbindung von Einwanderer-Communities Tony Bennett (1995: 102-105) entwirft in seinem einflussreichen Text über „Die Politische Rationalität des Museums“ im Anschluss an die Diskussion widersprüchlicher Prinzipien, die die Institution Museum von Anbeginn strukturell prägten und anhaltende Forderungen nach Reform motivierten, Grundzüge einer demokratischen und emanzipatorischen Museumspraxis. Unter anderem stellt er fest, dass es nicht ausreiche, über die Aufnahme immer neuer Themen und Geschichten in museale Darstellungen ausschließlich an einer Verbreiterung der RePräsentation zu arbeiten, da diese – gemessen sowohl an der Komplexität der Welt außerhalb des Museums, als auch hinsichtlich des klassischen musealen Anspruchs, diese adäquat zu repräsentieren – in letzter Konsequenz immer partiell bleiben müsse. Stattdessen gelte es die musealen Produktionsverhältnisse zu verändern und insbesondere die Beziehungen zwischen Museumsausstellungen, ihren Organisatoren und ihren Besuchern neu zu gestalten. Zu beachten und zu überdenken, so sein Plädoyer, sei nicht nur was gezeigt würde, sondern wie und durch wen: „This is to suggest that, in addition to what gets shown in museums, attention needs also to be paid to the processes of showing, who takes part in those processes and their consequences for the relations they establish between the museum and the visitor.“ (ebd.: 103) Um hier Veränderungen anzustoßen und 279
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den bislang monologischen Diskurs des Museums zu beenden, müsse sich nicht zuletzt die Rolle des Kurators wandeln. Gefragt sei dieser nicht länger in der Funktion des Experten, dessen autoritativ gesetzte Darstellungen den Status objektiven Wissens beanspruchten, sondern vielmehr in der Funktion eines Wegbereiters, der externe Gruppen dabei unterstütze, im Rahmen des Museums und mithilfe seiner Ressourcen ihre eigenen Positionen zu vertreten. Dieser Forderung nach Veränderung der musealen Produktionsverhältnisse durch Relativierung kuratorischer Autorität, die als Eckpunkt der New Museology überhaupt gelten kann, versuchte das Immigration Museum Melbourne nun zumindest in Teilen nachzukommen. Ziel ist es, diejenigen, deren Geschichte es darstellt, an Entwicklung und fortlaufendem Betrieb des Museums aktiv zu beteiligen. Zu diesem Zweck wurden Einwanderer-Communities vor Eröffnung des Museums umfassend konsultiert. Vorstellungen, Erwartungen, Anliegen und Ansichten einer Vielzahl von Gruppen wurden abgefragt und in die Konzeption der Dauerausstellung eingespeist (MoV 1997b: 7; Immigration Museum 1998a: 6f.). Aufgrund dieses Inputs wurden etwa mehrere Computerstationen konzipiert, an denen Zensus-Informationen, historische Hintergründe und Bilder zu über siebzig Einwanderer-Communities in Victoria abgerufen werden können. Das Museum kam mit dieser Ergänzung zumindest in begrenztem Umfang dem Bedürfnis der Communities nach Darstellung ihrer je spezifischen Geschichte nach und schuf über die durchgängige Zweisprachigkeit der dortigen Texte – Englisch und die bevorzugte Sprache der betreffenden Gruppe – ein ebenfalls gefordertes Gegengewicht zu den übrigen Teilen der ständigen Ausstellung, die aus pragmatischen Gründen ausschließlich in Englisch gehalten ist (McFadzean 2005: 3; Interview McFadzean 24.1.2006). Bemerkenswerter noch als die Beratungen in der Planungsphase ist indes die Art und Weise, wie Communities in die fortlaufenden Aktivitäten des Museums eingebunden werden. Der entsprechende Ansatz und die speziellen Präsentationsformate, die in das Konzept aufgenommen wurden, seien im Folgenden skizziert. Um für die Öffentlichkeit wie für das Museum selbst Transparenz zu schaffen, wurde zunächst eine „Community Consultation Philosophy“ (Immigration Museum 1998a) entwickelt, in der Grundlagen und Ziele der angestrebten Partizipation externer Gruppen niedergelegt wurden. Festgeschrieben wurde darin ein breites Verständnis von „community“ als „a collective/group of individuals identified by a common cultural or ethnic background or special interest (such as political, artistic, creative, social/recreational, humanitarian, educational, religious, heritage/historical.“ (ebd.: 3) Als wichtige Rahmenbedingung der Zusammenarbeit reflektiert wurde weiterhin, dass solcherart Gemeinschaften intern fragmentiert sowie von Vorurteilen und Abgrenzungstendenzen nach innen und außen durchzogen sein können. Ungeachtet der breiten Definition von „community“, die prinzipiell auch politische oder künstlerische Vereinigungen einschloss, wurden im Folgenden im 280
IMMIGRATION MUSEUM MELBOURNE
Wesentlichen ethnisch definierte Gruppen adressiert. Diese wurden differenziert in „English-speaking communities“ und „communities from linguistically diverse backgrounds“. Wenngleich, wie im Ausstellungskonzept, auch hier die Bedeutung der Einbindung anglo-keltischer Gruppen betont wurde, lag das Hauptaugenmerk des Konzepts auf der australischen Bevölkerung nicht-britischer Abstammung. Dieses Segment, das als traditionell museumsfern eingestuft wurde, sollte anhand von regelmäßigen Treffen zwischen Museumsmitarbeitern und Mitgliedern von Community-Organisationen, durch Teilnahme an fortlaufenden Evaluationen, durch verstärkte Information und mehrsprachige Angebote zur Beteiligung motiviert werden. Auf diesem Wege sollte die breite Unterstützung des Museums durch Einwanderer-Communities, die zugleich dessen Objekt und Hauptzielgruppe verkörperten, sichergestellt werden. Als unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg dieser Initiative wurde der Aufbau eines Netzwerks mit lokalen Kultur- und Migrantenvereinigungen gesehen. Die konkreten Schritte in dieser Hinsicht, wie Formen der Kontaktaufnahme, Modi des Umgangs und Verarbeitung des zu erwartenden Inputs, regelte im Weiteren eine „Community Consultation Strategy“ (Immigration Museum 1998b). Zentrales Instrument und sichtbarer Ausdruck der Einbindung von Communities in Konzept und Betrieb des Immigration Museum Melbourne wurde die sogenannte Access Gallery. Als Community Gallery folgt diese einem Modell, das in australischen Museen gut eingeführt und anerkannt ist (Simpson 1996: 64-68; McShane 2001: 122). Dabei wird ein Teil des Museums externen Gruppen zur Verfügung gestellt, um von ihnen erarbeitete und verantwortete Ausstellungen zu zeigen. Die grundlegende Idee ist, dass Communities auf diese Weise in die Lage versetzt werden sollen, ihre Themen und ihre Perspektiven einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Im gleichen Zug soll die Verständigung innerhalb der Communities und die Dokumentation ihrer Geschichte angeregt werden. Schließlich soll den Gruppen der Eindruck vermittelt werden, dass sie Teil des Museums sind und maßgeblichen Anteil an seiner Präsentation haben. Im Immigration Museum wurde die Access Gallery aus diesem Grund bewusst nicht in die Wechselausstellungsfläche ausgegliedert, sondern an die Dauerausstellung angeschlossen, um in der räumlichen Verbindung zum Ausdruck zu bringen, dass die dortigen Präsentation ebenso essentiell wie diejenigen der ständigen Ausstellung seien (MoV 1997b: 18). In der Planung und Realisierung der Community-Ausstellungen treten das Museum und seine Kuratoren weitgehend zurück: In Absprache mit einem Auswahlkomitee, dem Repräsentanten ethnischer Communities angehören, entscheiden sie über eingehende Anträge und leisten technische Unterstützung in der Durchführung. Inhalte und Positionen werden dagegen von den ausführenden Gruppen selbst bestimmt. Vor Eröffnung der Ausstellung werden diese seitens des Museums allerdings geprüft und gegebenenfalls die Überarbeitung angemahnt (Immigration Museum 1998c). Neben der Funktion, den räumlichen und 281
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institutionellen Rahmen sowie die finanziellen Mittel bereitzustellen, kommt dem Museum über diesen Prozess mitunter die Rolle eines Vermittlers in gesellschaftlichen Konflikten zu. Zu verhandeln gilt es sowohl Probleme zwischen ethnischen Gruppen26 als auch Differenzen innerhalb von Communities (McFadzean 2005: 7). Bereits anhand der Titel einiger Ausstellungen der Access Gallery, von denen seit Eröffnung des Museums drei pro Jahr ausgerichtet werden, lässt sich die Bandbreite der Projekte erahnen: „Preparing for a Family. The Importance of the Dowry in the Autralian Italian Family“ (1998/99), „Our Place in the Sun: 50 Years of Ukrainian Settlement in Australia“ (1999), „The Other Dutch“ (2000), „A Passage from India: Anglo-Indians in Victoria“ (2004/05) oder „Welcome to my Home: The Stories of twelve Bosnian and Herzegovinian Refugees“ (2005). Ein weiteres Format der Einbindung von Communities stellen daneben Festivals dar. Dreimal im Jahr wird das Museum je einer Einwanderer-Community für einen Tag als Bühne überlassen, um mit Folklore-Aufführungen, Konzerten, Kulinarischem und Information ihr kulturelles Erbe vorzustellen und zu feiern.27 Entscheidend für das Konzept der Einbindung von Communities ist, dass Ausstellungen und Festivals auf Gegenseitigkeit angelegt sind. Im Verständnis des Immigration Museum hilft die Kooperation und die Möglichkeit der Repräsentation den Communities „to mature, to understand, communicate and share ist own history and vision“. Zugleich verspricht sich das Museum dadurch wachsende Attraktivität für das Spektrum nicht-traditioneller Museumsgänger, was gleichermaßen seinem Anspruch einer demokratischen Öffnung der Institution hin zu einem Modell des Forums und sozialen Treffpunkts wie nach steigenden Besucherzahlen entgegenkommt (Immigration Museum 2005: 35; Sebastian 2007). Die Einbindung von Communities in die Arbeit des Museums spielt schließlich auch im Hinblick auf die Sammlung eine entscheidende Rolle. Maria Tence, die im Immigration Museum für Community-Kontakte verantwortlich zeichnet, beschreibt die diesbezüglichen Überlegungen: „We thought that if they experience working with us and they realize that we don’t have the objects in our collection, they would understand why they need to give us the objects of their community.“ (Interview 16.1.2006) Die Ausstellungen der Access Gallery sind in diesem Sinne von besonderer Bedeutung, insofern die dort gezeigten Exponate zum großen Teil in den Bestand des Museums eingehen. Die Community26
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Maria Tence (Interview 16.1.2006) deutet den Fall einer Ausstellung an, die von Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien vorbereitet wurde. Der nationalistische Tenor und die martialische Sprache der Darstellung habe eine Revision durch das Museum erforderlich gemacht, um andere Gruppen nicht aufzubringen. Im Jahr 2004/5 wurden etwa ein polnisches, ein zentralamerikanisches und ein vietnamesisches Festival veranstaltet. Von den Anwesenden hatten 70 Prozent das Museum zuvor noch nie besucht (Immigration Museum 2005: 4, 35f.). Für die Analyse insbesondere eines deutschen Kulturfestivals aus dem Jahr 2007 vgl. Bernhardt 2007.
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Ausstellungen sind damit nicht nur Teil der Präsentations- sondern auch der Sammlungsstrategie des Immigration Museum. Über die Kooperation mit Einwanderer-Communities soll die materielle Kultur der Migration auf aktive Weise und in möglichst großer Breite gesichert werden. Bezeichnend ist nun – und damit sei abschließend der Übergang von Einbindung zu Abgrenzung markiert, dass dieser umfassende Anspruch das Immigration Museum in latenten, strukturellen Konflikt mit Institutionen brachte, die sich ebenfalls der Sammlung von Objekten der Einwanderungsgeschichte Victorias und Australiens verschrieben haben, wenngleich mit anderem Zugriff. Gemeint sind ethnische Museen und Geschichtsvereine, wie das Jewish Museum of Australia, das Museum of Chinese Australian History oder die Italian Historical Society. Im Gegensatz zum Immigration Museum sammeln und bewahren diese die materielle Kultur spezifischer Einwanderergruppen und stellen sie als Teil der Geschichte dieser Community aus. Im Bemühen, nicht in offene Konkurrenz um die knappen Zeugnisse historischer Migration zu treten und dadurch Auseinandersetzungen zu provozieren, schloss das Museum mit einigen Institutionen Abkommen, die die Zuständigkeiten auf diesem Gebiet regelten und Kompetenzen abgrenzten (McFadzean 1998). So verpflichtete sich Museum Victoria (in der Verantwortung für sein Filialmuseum) in einer Übereinkunft mit dem ebenfalls in Melbourne angesiedelten Jewish Museum of Australia, keine Objekte aus dessen primärem Bereich, also der Einwanderungs- und Kulturgeschichte australischer Juden, zu sammeln. Im Gegenzug gewährten sich die Museen gegenseitig Zugang zu ihren Beständen und bevorzugte Konditionen im Leihverkehr. Wenn diese Regelung insgesamt zu einem kooperativen Verhältnis zwischen den Institutionen beitrug, so zeigt sich die Kehrseite, laut Kuratorin Moya McFadzean (Interview 24.1.2006), in dem Umstand, dass die Sammlung von Museum Victoria in der Konsequenz hinsichtlich Objekten jüdischer Provenienz Leerstellen aufweist.28 McFadzean (2005: 9) berichtet weiter, dass in Einzelfällen Ausnahmen von der rigiden Regel gemacht würden: „For example, Museum Victoria was offered the contents of an old lolly shop which had operated in an inner Melbourne suburb by a Polish family from the 1930s-1980s. The owners were Jewish but after consultation between the two museums it was deemed appropriate that the material be acquired by Museum Victoria, as it told stories as much about working life in Melbourne as about being Jewish.“ 28
In Verhandlung mit der Italian Historical Society, der zweiten Organisation, mit der bislang ein Kooperationsabkommen besteht, wählte das Museum ein andere Variante, die ihm größere Kontrolle über die Objekte sichert: das Modell einer gemeinsamen Sammlung. Sämtliche gesammelte Objekte der italienischen Community gehen dabei in den Bestand von Museum Victoria ein. Der italienische Geschichtsverein beaufsichtigt im Gegenzug die Entwicklung und Pflege dieses spezifischen Segments und hält weitreichende Nutzungsrechte (McFadzean 2005: 10). 283
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Implizit verweist sie damit auf eine weitere Problematik, die sich aus dem Verhältnis von allgemeinhistorischen und (explizit) ethnospezifischen Museen29 ergibt: die Notwendigkeit, den Charakter von Dingen auszuhandeln und zu definieren. Was jeder musealen Sammlung als Grundprinzip eingeschrieben ist, die Vermessung, Benennung und Systematisierung von Objekten, ist hier durch die Erfordernis, die Zuordnung zu separaten Institutionen zu klären, noch gesteigert. Wie „jüdisch“ sind die Überbleibsel der genannten Bonbonfabrik? Wann ist ein Objekt „jüdisch“ genug, um dem Jewish Museum zugesprochen zu werden? Wann überwiegen andere, „nicht-jüdische“ Dimensionen und bedingen damit die Überführung in den Bestand von Museum Victoria? Im Einzelnen lassen sich diese Fragen zumeist einvernehmlich klären. Signifikant sind sie in diesem Kontext vielmehr, insofern sie eine strukturelle Spannung reflektieren: zwischen übergreifendem, nationalem Migrationsmuseum einerseits und ethnischen Community-Museen andererseits bzw. zwischen dem musealen Blick auf ein multikulturelles, gesellschaftliches Ganzes zum einen und spezifische Gruppenidentitäten zum anderen.
Veränderungen seit der Eröffnung Auf dem Weg zu multikultureller Eigenständigkeit Wie deutlich geworden sein dürfte, stellte die Entwicklung und Kommunikation eines inklusiven, multikulturellen Profils einen der konzeptionellen Eckpfeiler des Immigration Museum Melbourne dar. In den ersten Jahren seines Bestehens war dieses Vorhaben allerdings durch einen speziellen Umstand belastet: Old Customs House beherbergte von Oktober 1998 an nicht nur das Einwanderungsmuseum, sondern auch ein Museum of Hellenic Antiquities, und die beiden Museen waren zunächst nicht nur über ihren Standort, sondern auf prekäre Weise auch institutionell miteinander verbunden. Pläne für die Einrichtung eines „Museums griechischer Geschichte“ oder gar eines „Griechischen Museums“ in Melbourne waren bereits seit Beginn der 1990er Jahre im Umlauf. Nach dreijähriger Prüfung gab die Regierung Victorias im Sommer 1996 die Gründung einer solchen Institution bekannt und wies ihr – noch vor dem Entscheid über das Immigration Museum – das alte Zollgebäude
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Die Präzisierung „explizit“ in Klammern bezieht sich auf den berechtigten Einwand von Claudine Brown, dass auch allgemeinhistorische oder „Mainstream“Museen vielfach ethnospezifisch sind, insofern sie Interessen und Perspektiven einer dominanten Gruppe, in Australien also der Anglo-Celts, reflektieren (nach Simpson 1996: 80). Diese Ethnospezifik der Mehrheit bleibt jedoch implizit bzw. wird gerade in der Behauptung von Allgemeingültigkeit oder kultureller Neutralität unsichtbar gemacht.
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als Standort zu (The Age 13.6.1996: 9 und 3.8.1996: 4). Basis des neuen Museums war ein Abkommen zwischen Griechenland und dem Bundesstaat Victoria, in dem jährlich wechselnde Ausstellungen mit hochwertigen Leihgaben aus griechischen Museen vereinbart wurden. Erklärtes Ziel war es, auf diesem Wege die Kulturbeziehungen zwischen Griechenland und Melbourne zu festigen und das Verständnis der Werte, Kultur und Traditionen Griechenlands zu fördern (The Age: 2.8.1996: 3 und 3.8.1996: 4). Die Förderung des Tourismus durch attraktive Events, wie in der kulturpolitischen Strategie Arts 21 anvisiert, spielte eine weitere Rolle. Schließlich war die Gründung als Geschenk an die große griechische Community Melbournes und Victorias gedacht. Mit Beschluss über die Einrichtung des Einwanderungsmuseums wurden die beiden Museen kurzerhand administrativ zusammengefasst und firmierten – gleichsam als Bastard einer institutionellen Zufallsbegegnung – zunächst unter dem skurrilen Titel „Immigration and Hellenic Archaeological Museum“ (MoV 1997a). Mit der Umbenennung in „Immigration Museum and Hellenic Archaeological Museum“ (MoV 1997c) und später in „Immigration Museum and Hellenic Antiquities Museum“ wurde im Namen zwar bald eine Trennung vollzogen. Der institutionelle Zusammenschluss blieb indes bestehen und fand seinen Ausdruck etwa in der Bestellung einer gemeinsamen Direktorin (The Age 13.10.1998: 17). Im Gebäude nahmen die Migrationsausstellungen den ersten, die griechischen Wechselausstellungen den zweiten Stock ein (MoV 1997b: 18). Diese Konstruktion führte zu Spannungen und zwar sowohl im Profil des Museums als auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Die Krux bestand darin, dass die Kultur des antiken Griechenlands nicht als universales Erbe der Menschheit (oder zumindest Europas) betrachtet wurde, sondern als proprietäre Angelegenheit des heutigen Griechenlands und – in der Übertragung – der griechischstämmigen Community Melbournes und Australiens. Unter dem einen Dach der neu gegründeten Institution konfligierte mithin das Immigration Museum, das sich einer inklusiven Re-Präsentation verpflichtet sah und es vermied, einzelne ethnische Communities hervorzuheben, mit dem Hellenic Antiquities Museum, das partikular griechisch konnotiert war. Nicht wenige Kommentatoren äußerten entsprechend, dass das breite multikulturelle Profil des Einwanderungsmuseums durch die Kombination mit einem Museum, das die Heimatkultur einer speziellen, noch dazu in Melbourne stark vertretenen ethnischen Gruppe feiert, korrumpiert werden könnte (Young 1999: 31). Von verschiedenen Seiten, etwa der italienisch-australischen Community Melbournes, gingen Beschwerden über diese Form der Ungleichbehandlung ein (Interview Sebastian 6.1.2006). Eine weitere Schwierigkeit der Verbindung lag darin, dass sich Hellenic Antiquities Museum und Immigration Museum auf ganz ungleiche Arten von Objekten stützten. Ersteres präsentierte „klassische“ Museumsdinge: Schätze des Altertums, prächtige Ausstellungsstücke, die offenkundig alt und wertvoll waren. Das Immigration Museum mit seinem Interesse an Sozialgeschichte sammelte 285
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und versammelte hingegen in erster Linie Dinge des Alltags. Die Problematik dieser Disparität bestand nun darin, dass das Museum zum Aufbau seiner Sammlung bei potentiellen Spendern und Leihgebern, die häufig einem museumsfernem Spektrum entstammten, erst das Bewusstsein fördern musste, dass ihre alltäglichen Dinge und Geschichten bedeutend, sammelns- und ausstellenswert waren. Die Assoziation des Immigration Museum mit den hochkulturellen Erzeugnissen der griechischen Antike, die im selben Haus ausgestellt wurden, war für diese Arbeit kontraproduktiv (Interview Sebastian 6.1.2006). Den Museumsmachern waren diese Spannungen durchaus bewusst, und sie versuchten, der Verquickung der beiden gegensätzlichen Museen nach Kräften entgegenzuwirken. Über unterschiedliches Design und die Einführung getrennter Eintrittsgelder wurde versucht, die Eigenständigkeit der beiden Museen deutlich zu machen. Die endgültige Lösung des Problems kam jedoch – wie zuvor seine Entstehung – von außen durch die Intervention der Politik. 1999, ein Jahr nach Eröffnung der Museen, wurde die Liberal Party unter Jeff Kennett in der Regierung Victorias von der Labor Party abgelöst. Die neue Administration maß dem Kulturaustausch mit Griechenland und mithin dem Hellenic Antiquities Museum eine weit geringere Priorität zu. Zugleich ließ auch die griechische Seite ihre Verpflichtungen aus der Vereinbarung ruhen, nicht zuletzt da in Vorbereitung der Olympischen Spiele in Athen im Jahr 2004 die wertvollsten Stücke im Land gehalten werden sollten. In der Konsequenz bedeutete dies, dass das langfristig angelegte Projekt bereits nach zwei Ausstellungen – einer mit Grabbeigaben und Zeremonialgegenständen aus der Bronzezeit und einer mit byzantinischer Kunst (Gillespie 2001a: 366) – zum Erliegen kam. Nach einer kurzen Phase des Siechtums und der Unklarheit über die Zukunft der Institution wurde die Existenz des Hellenic Antiquities Museum im Jahr 2001 offiziell für beendet erklärt (Interview Sebastian 6.1.2006). Zur Erleichterung der Museumsmacher sowie zum Wohle der konzeptionellen Klarheit und des multikulturellen Profils beherbergt Old Customs House seit dieser Zeit einzig das Immigration Museum Melbourne.
Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung: Das Prinzip ständigen Wandels Die Trennung vom Hellenic Antiquities Museum blieb nicht die einzige Veränderung des Immigration Museum Melbourne seit seiner Eröffnung im Oktober 1998. Vielmehr lässt sich die häufige Umgestaltung geradezu als ein weiteres Kennzeichen des Museums begreifen. Gestützt auf Marktforschungsanalysen und Besucherbefragungen kamen die Macher früh zu der Einschätzung, dass die laufende Revision der Ausstellungen ein wichtiges Charakteristikum einer dynamischen Kultureinrichtung mit dem Auftrag der Re-Präsentation von Kulturen und der Diskussion aktueller, gesellschaftlich relevanter Fragen sei (Immigration Museum Identity Statement o. D.: 7). Das Prinzip des ständigen Wandels im Muse286
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um wurde in der Folge nicht nur über Wechselausstellungen oder spezielle Programme, wie die erwähnten Festivals und Community-Ausstellungen, umgesetzt, sondern schlug sich auch in der Dauerausstellung nieder. Zum Tragen kommt es etwa im Hinblick auf die Einwandererbiographien, die mehrheitlich in einer Sektion mit dem Titel „Settlings“ gezeigt werden. Von den insgesamt sieben Lebensgeschichten, die jeweils eine eigene Vitrine füllen, wird eine pro Jahr ausgetauscht. Neben dem Schutz der Exponate und dem grundsätzlichen Streben nach Erneuerung ist ein wichtiger Grund für diese kontinuierliche Rotation die Forderung ethnischer Communities nach angemessener Repräsentation. In Anbetracht des begrenzten Platzes in der Ausstellung versucht das Museum, dieser durch regelmäßigen Wechsel nachzukommen und in der Auswahl der Biographien wiederum die Communities einzubeziehen (Interview McFadzean 24.1.2006; dies. 2005: 4ff.). Eine Veränderung weit größeren Ausmaßes stellte die Umwidmung einer gesamten Ausstellungseinheit nur drei Jahre nach Eröffnung des Museums dar. Die letzte Sektion der Dauerausstellung trug ursprünglich den Titel „Impacts“ und feierte den Reichtum an Fähigkeiten, Traditionen und Erfahrungen, die im Zuge der Einwanderung nach Victoria kamen. Gezeigt wurden die Geschichten verschiedener Migranten, die auf unterschiedliche Weise die Kultur Victorias und Australiens bereicherten: Künstler, Winzer, Architekten etc. Überdies wurde hier die lebendige Kultur der Aborigines in ihren zeitgenössischen Formen gewürdigt. Illustriert werden sollte, dass deren verschiedenartige Ausprägungen nicht nur Kolonisierung und gewaltsame Versuche der Assimilation überlebt hatten, sondern sich florierend entwickelten (McFadzean 1999: 11; Barr 2002: 67). Die Stimmung dieser Abteilung war ostentativ positiv und gelöst. Inszeniert wurde ein buntes Neben- und Miteinander gewöhnlicher und ungewöhnlicher Objekte, ein harmonisches Idealbild kultureller Vielfalt. Der kulturelle Reichtum und Überfluss der Einwanderungsgesellschaft sollte zum Ende der Ausstellung noch einmal sinnlich erfahrbar werden und Besucher mit einem guten Gefühl in die Welt außerhalb des Museums entlassen. Kontroverse politische Fragen, Hinweise auf gesellschaftliche Konflikte oder auf Verlust und Traumata der Migranten blieben ausgespart (Wills 2001: 76). Dieser Teil der Dauerausstellung zeitigte nach Eröffnung des Museums nicht nur positive Reaktionen. Kritiker monierten, eine solche Darstellung der multikulturellen Gesellschaft sei oberflächlich und lasse die schwierigen Fragen außen vor (Interview McFadzean 24.1.2006; auch dies. 2005: 4). Eine Evaluation der Ausstellung im Jahr 2000 ergab überdies, dass Besucher die Einheit aufgrund ihres collagenhaften Charakters als verwirrend empfanden und sie wenig Wirkung hinterließ. Gewünscht wurden stattdessen – entgegen der ursprünglichen Annahme der Museumsmacher – mehr Daten, Fakten und Hintergrundinformationen zum tieferen Verständnis australischer Einwanderungsgeschichte (Chisholm 2002: 8; Horn 2006: 80). 287
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Dass Museum reagierte profund, indem es die umstrittene Präsentation nicht überarbeitete, sondern stattdessen ein vollkommen neues Konzept für die abschließende Abteilung entwickelte. Unter dem Titel „Getting In“ wurde nun die historische Entwicklung australischer Einwanderungspolitik im Verlauf der letzten 150 Jahre in den Blick genommen und in Beziehung zu jeweils dominanten Wunschbildern nationaler Identität gesetzt. An die Stelle der konsensorientierten Wohlfühl-Inszenierung von „Impacts“ trat damit dezidiert die Behandlung eines hochpolitischen und vielfach kontroversen Themas. Der Stil der Darstellung wechselte parallel dazu von atmosphärisch-assoziativ zu faktisch-nüchtern. Ziel dieser Umgestaltung war es, die individuellen Geschichten, die zuvor ganz im Mittelpunkt der Dauerausstellung gestanden hatten, um einen abstrakteren Zugang zu ergänzen und damit auch deren Tendenz, den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu vernachlässigen, entgegenzuwirken (McFadzean 2002: 2). Indem in diachroner Perspektive die mannigfaltigen Wandlungen der Einwanderungsbestimmungen fokussiert wurden, sollte überdies deutlich werden, dass immer auch Veränderung von und erfolgreicher Protest gegen herrschende Politik möglich ist (Chisholm 2002: 10). Wenngleich Kuratorin Moya McFadzean (2002: 3ff.) in diesem Zusammenhang betonte, dass auch und gerade bei solch kontroversen Themen eine ausgeglichene Darstellung entscheidend sei, und sich dafür aussprach, das Museum solle seine Rolle als Forum wahrnehmen, Besuchern die Möglichkeit zu eigener Meinungsbildung und Diskussion geben, jedoch in keiner Weise agitieren, markierte die Stoßrichtung der erneuerten Ausstellung ein aktiveres Engagement des Immigration Museum hinsichtlich aktueller politischer Debatten. McFadzeans (ebd.) Bemerkung, eine Ausstellung, die die Einwanderungspolitik Australiens zur Diskussion stelle, sei „particularly pertinent in the current political climate“, weist darauf hin, dass dieses nicht zuletzt auf ein kritische Überprüfung der restriktiven Wende in der Migrationspolitik unter John Howard abzielte.30 Die frühe Umgestaltung der abschließenden Ausstellungseinheit in Reaktion auf öffentliche Kritik und Feedback seitens der Besucher lässt sich als Zeichen der Dialog- und Lernfähigkeit des Immigration Museum Melbourne interpretieren. Zugleich scheint in der Gegensätzlichkeit der beiden aufeinander folgenden Fassungen eine Spannung des Museumskonzepts im Ganzen auf. Es entfaltet sich – schematisch betrachtet – zwischen zwei Polen, für die die alternativen Ausrichtungen von „Impacts“ und „Getting In“ stellvertretend genommen werden können. Auf der einen Seite ist es der Feier der kulturellen Vielfalt Australiens und der Segnungen des Multikulturalismus verpflichtet. Mit der Konstruktion eines historisch und sozial übergreifenden nationalen Narrativs der Migration strebt es 30
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Dass eine solche Ausrichtung der abschließenden Abteilung nicht von Beginn an gewählt wurde, erklärt Ausstellungsdesigner Bryon Cunningham im Interview (6.2.2006) mit politischer Vorsicht und mangelnder Courage der Kuratoren.
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an, für diese den erforderlichen Rahmen zu schaffen. Auf der anderen Seite richtet es einen kritischen Blick auf politische Verhältnisse und kontroverse Aspekte in Geschichte und Gegenwart und will damit Anstöße geben, die über harmonisierende Darstellungen hinausweisen. Mit dem Wechsel von „Impacts“ zu „Getting In“ ergab sich für den abschließenden Teil der Dauerausstellung eine Verschiebung der Gewichte zum letzteren Pol. Wie sich das entsprechende Bild des Immigration Museum Melbourne in seiner Gesamtheit darstellt, wird im Folgenden zu beleuchten sein.
Präsentationen des Immigration Museum Melbourne Ein Gang durchs Museum Von Federation Square, Melbournes neuer Mitte, ist es nicht weit. Nur durch Bahngleise und Straße vom Ufer des Yarra getrennt, von zwei majestätischen Ulmen umstanden und von den glitzernden Hochhäusern des Central Business District überragt, liegt Old Customs House im Zentrum der Stadt. Mit seiner repräsentativen Fassade, dem erhöhten Eingang und den vier mächtigen ionischen Säulen erinnert es an Museumsbauten des 19. Jahrhunderts. Über dem Portal prangt noch das Wappen der britischen Krone. Der Schriftzug, der unübersehbar das oberste Fries einnimmt, macht indes deutlich, dass es sich weder um den Sitz einer kolonialen Verwaltungsbehörde, noch um einen Tempel der Kunst handelt, sondern eine neuartige Institution hier ihren Platz gefunden hat: „Immigration Museum“. Fahnen zu beiden Seiten des Aufgangs zeigen unter dem doppelsinnigen Slogan „moving stories“ Szenen von Abschied und Ankunft und setzen so den Kern der hier präsentierten Erzählung ins Bild. Im Eingangsbereich des Museums nimmt ein Banner die Vorlage auf und nennt im Sinne eines Prologs die leitmotivischen Dimensionen der Migrationserfahrung: „leavings, journeys, reunion, arrivals, settlings, impacts“. Ein Text am gleichen Ort macht zugleich deutlich, dass Einwanderungsgeschichte in Bezug zur Geschichte der Aborigines gezeigt werden soll, die explizit nicht als Migranten betrachtet werden. Überdies wird darin die Förderung des Respekts zwischen verschiedenen Kulturen als Auftrag des Museums benannt: „The peoples of the Kulin nation have always been connected to this land. For over two centuries Aboriginal people and immigrants have shared history. We recognize this past in both its losses and achievements and invite you to work towards a shared future that respects all cultures.“ Die ständige Ausstellung beginnt im ersten Stock. Von dem dortigen Foyer gehen mehrere Räume und Gänge ab, die Laufwege sind nicht eindeutig festgelegt. Ich wende mich, wie in der Broschüre des Museums nahegelegt, in Richtung des programmatischen Schriftzugs, der in verschiedenerlei Hinsicht Anfang 289
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signalisiert: „A journey of a thousand miles must begin with a single step.“ Der Saal dahinter ist „Leavings“ betitelt. Das tiefe Blau, in das er vollständig getaucht ist, lässt Assoziationen von Meer und Himmel, aber auch von Traum und Melancholie aufkommen. Die audiovisuellen Projektionen und hinterleuchteten Bilder, die die Inszenierung prägen und hinter denen Text und Objekte ganz zurücktreten, geben Impressionen von Ursachen der Migration: Naturkatastrophen und Krieg, die Suche nach Freiheit, Arbeit und Abenteuer, der Wunsch nach einem Wiedersehen mit Familie und Freunden, die Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine Vitrine am Ende des Raumes führt über thematische Ensembles von Objekten aus verschiedenen Zeiten und Ländern, wenngleich mit deutlich europäischem Überhang, einige zentrale Gedanken ein. Das Arrangement mit dem Titel „Gold“ verortet den Ursprung der multikulturellen Gesellschaft Victorias im Goldrausch des 19. Jahrhunderts und weist ihr so eine lange Geschichte zu. „Textures and Traditions“ betont und würdigt, dass Einwanderer vielfach der Kultur ihres Herkunftslandes verbunden bleiben, und illustriert dies anhand einiger Stücke traditioneller Kleidung. Das Beispiel der Keramik-Künstlerin Heja Chong demonstriert, daran anknüpfend, den fruchtbaren Wandel traditioneller künstlerischer Praxis durch die Aufnahme neuer Einflüsse und verweist auf ein Verständnis von Migrationskultur als Kultur in Bewegung.
Abb. 27: Eingang zur Dauerausstellung: Leavings
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Die zweite Galerie „Settlings“ hebt sich von der ersten durch die stärkere Konzentration auf Text und faktische Information ab. Zwei Komponenten bestimmen die Präsentation: Ringsum an den Wänden skizziert eine Zeitleiste in Zehnjahresschritten anhand knapper Ausführungen und zahlreicher Bilder die Geschichte der Einwanderung nach Victoria von „vor 1830“ bis heute. In Text und Bild durchgängig eingewoben sind Hinweise auf die Geschichte der indigenen Bevölkerung und ihrer Prägung durch sukzessive Migrationen.31 Verweise auf die Veränderungen australischer Einwanderungspolitik, auf die stetig wachsende kulturelle Vielfalt, aber auch auf gesellschaftlichen Rassismus bilden weitere Konstanten. Deutlich wird dabei das Bemühen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Darstellung positiver Aspekte und der kritischen Thematisierung politisch umstrittener Facetten australischer Einwanderungsgeschichte zu finden. So zeigt die abschließende Tafel zum Jahrzehnt ab 2000 Bilder glücklicher NeuAustralier bei ihrer Einbürgerungszeremonie und von Kindern unterschiedlicher Hautfarbe, die bei den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der australischen Föderation munter Nationalfähnchen schwenken. Sie zeigt aber auch Fotografien, die die Zustände in Asylbewerberlagern und auf dem 2001 unter hitzigen Protesten abgewiesenen Flüchtlingsschiff „Tampa“ dokumentieren, oder eine Karikatur, die die restriktive Einwanderungspolitik aufs Korn nimmt. Im Zentrum des Raumes stehen als zweite Komponente fünf Vitrinen, die mit Exponaten, Fotografien und Text individuelle Lebens- und Migrationsgeschichten zu verschiedenen Zeiten beleuchten. Durch ihre Platzierung sind die Biographien einzelner buchstäblich in den von der Zeitleiste aufgespannten historischen Kontext eingebettet und bilden zugleich den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Schaukästen – und damit die Migrantenbiographien – sind einander im Wortsinn gegenübergestellt, sie stehen je für sich, korrespondieren jedoch zugleich miteinander. Einsehbar sind sie nur von der Mitte des Raumes aus, wodurch Besucher sich gleichsam zwischen die präsentierten Personen begeben müssen, um etwas über sie zu erfahren. Der nächste, weitaus kleinere Raum skizziert in groben Zügen die Baugeschichte von Old Customs House im Kontext der Stadtgeschichte Melbournes und gibt einen Einblick in die Arbeit der Zollbehörde, die hier einst ihren Sitz hatte. Der folgende Long Room bildet das Herzstück des Museums. Mit strahlend weißen Wänden und dekorativem Mosaik-Fliesenboden, zwei Reihen ionischer Säulen entlang der Längsseiten, zwischen denen sich auf der einen Seite große Fenster auftun, mit einer Größe von über 400 qm und einer Höhe, die sich über drei Stockwerke erstreckt, hat er die Atmosphäre eines lichtdurchfluteten 31
Kritisch zu sehen ist dabei die mitunter kommentarlose Reproduktion eines ethnographischen Blicks, etwa in der Fotografie zweier Woi Wurrung Frauen von um 1858/59, die halbnackt vor üppigem Buschwerk sitzend als stereotype Wilde abgelichtet sind. 291
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Atriums. Anders als in der übrigen Ausstellung ist das Gebäude hier selbst stark präsent. Wenn die historische Gestalt des Saales damit wirkungsvoll sichtbar wird, so gilt dies, wie dargestellt, nicht für seine historische Funktion der Einwandererkontrolle. Stattdessen wird der Raum ganz dominiert von einer auffälligen Inszenierung, die den Titel der Sektion – „Journeys“ – versinnbildlicht: Ein stilisiertes Schiff, dessen begehbares Inneres der Ausstattung verschiedener Epochen nachempfunden ist. In chronologischer Abfolge finden sich Rekonstruktionen der primitiven Unterdeck-Quartiere eines Segelschiffs von 1840, des noblen Salons eines Luxusliners von 1900 und schließlich der schlichten, funktionalen Kabinen eines Ozeandampfers von 1950. Überblickstexte sprechen Besucher in der zweiten Person Singular in der Rolle der Migranten an und versuchen mit dieser Empathisierungsstrategie, die Bedingungen der Reise sowie Ängste und Hoffnungen begreiflich zu machen. Der Text der ersten Sektion etwa lautet: „It’s five weeks since you sailed from Ireland with 200 other assisted immigrants, but Australia still seems so far away. Your family has been allocated just one of four berths in this small corner of the steerage deck. […] Barely a week into the voyage your two year-old daughter contracted scarlet fever and she still is very ill. This morning she asked ‚Why did we have to leave home?’ and you could find no words to reply.“
Abb. 28: Inszenierung eines begehbaren Schiffes in der Abteilung „Journeys“
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Möwengeschrei, Schiffshupe und Motorengeräusche von Band sollen die Einfühlung unterstützen. Zugleich setzt die Inszenierung nicht auf totale Simulation. Weitere Tafeln im Bauch des Schiffes geben in sachlichem Ton und neutraler Erzählperspektive Informationen zu Aspekten wie Hygiene oder Freizeitgestaltung an Bord. Überdies ist der umgebende Museumsraum, also: das Außen der Inszenierung, durch den Mittelgang des Schiffes stets zu sehen, und allein die eigentümliche Platzierung des Schiffes inmitten des imposanten Long Room betont auf wirksame Weise die Künstlichkeit der Konstruktion. Am Ausgang der zentralen Installation zeigt eine interaktive Weltkarte die Veränderung von Reiserouten und -geschwindigkeiten nach Australien vom Segelschiff zum Jumbo-Jet. Fünf Bullaugen an der Seite thematisieren in kleinen Szenen mit Stofftieren spielerisch, dass auch Flora und Fauna in die Migration nach Australien eingebunden waren. In scherzhafter Analogiebildung zur menschlichen Einwanderung heißt es dabei zur Katze „Reason for immigration: Job opportunities, as pet and hunter“ oder zur „abenteuerlustigen“ Ratte: „We go where we choose.“ Zwei weitere Großvitrinen mit Einwandererbiographien sowie Computer-Terminals, an denen statistische Daten zu allen EinwandererCommunities Victorias abgerufen werden können, komplettieren die Abteilung. Die letzte Sektion der permanenten Ausstellung ist „Getting In“ überschrieben und der historischen Entwicklung australischer Einwanderungspolitik im Zusammenspiel mit herrschenden Visionen nationaler Identität gewidmet. Im Hinblick auf die Inszenierung auffällig ist zunächst der jähe Übergang von der strahlenden Helligkeit des Long Room in das relative Dunkel dieser abschließenden Abteilung. Was an sich den architektonischen Gegebenheiten des Gebäudes und den konservatorischen Anforderungen der hier wieder zahlreicher vertretenen Ausstellungsobjekte geschuldet sein mag, konnotiert zugleich eine veränderte Erzählhaltung. Von affirmativ (gegenüber dem Schicksal der Migranten) wechselt diese zu kritisch (gegenüber der je gültigen Einwanderungspolitik). War die Sektion zur Reise bei aller Darstellung der mitunter harten Bedingungen am vorwärts gerichteten Blick der Migranten in eine bessere Zukunft orientiert, fokussiert „Getting In“ nun die Verhältnisse am Ziel dieser Reise und dabei insbesondere die „dunklen“ Seiten australischer Geschichte, wie Rassismus und Abschottung gegenüber unerwünschten Einwanderern. In vier Abschnitten, die sich an politikgeschichtlichen Zäsuren orientieren, diskutiert die Ausstellung jeweils die hegemonialen Selbstbilder der Zeit, die geltende Einwanderungspolitik zwischen den Polen von selektiver Öffnung und Restriktion sowie gesellschaftliche Kontroversen um Ausweitung oder Begrenzung von Zuwanderung. So zeigt sie etwa die Entwicklung eines rassistischen Diskurses im 19. Jh. mit der Definition Australiens als weißes, britisch dominiertes Land und dessen Niederschlag in einer systematischen Politik der Ausgrenzung außereuropäischer Einwanderer, namentlich in der von 1901 bis nach dem Zweiten Weltkrieg gültigen White Australia Policy. Durch häufige Aktualisierung und nicht zuletzt die Bereitstel293
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lung einer laufend ergänzten Sammlung von Zeitungsausschnitten, die migrationsrelevante Themen und Debatten im Spiegel der Presse dokumentiert, wird die Darstellung dabei bis an die unmittelbare Gegenwart herangeführt.32 Kurzporträts von Einwanderern und eine interaktive Computerstation, an der Besucher im Einklang mit den geltenden Bestimmungen über die Zulassung oder Ablehnung Einwanderungswilliger entscheiden müssen, ergänzen die Präsentation. Im Ganzen inszeniert die Dauerausstellung des Immigration Museum Melbourne in seinen Haupträumen mithin vier zentrale Momente der Migration: „Leavings“, „Settlings“, „Journeys“, „Getting In“. Auffällig ist dabei, dass die Abfolge dieser Momente, anders als etwa im Museum Pier 21, dessen Schau aus ähnlichen Einheiten besteht, durch die „Fehlplatzierung“ der zweiten Galerie nicht der Chronologie der idealtypischen Migrationserfahrung entspricht. Die Ausstellung präsentiert narrative Bausteine, bildet in sich jedoch keine geschlossene Erzählung. Vielmehr setzt sie Schlaglichter, die Besucher beim Durchgang gleichsam an einer Stelle der Geschichte einsetzen, dann beim Übergang zur nächsten Abteilung aus dieser herausziehen und an anderer Stelle wieder eintauchen lassen. Durch diese diskontinuierliche, nicht-lineare Erzählstruktur provoziert die Ausstellung weniger Einfühlung und Versenkung als vielmehr erhöhte Aufmerksamkeit für Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten. Im Anschluss an die permanente Ausstellung gelangt man in die Access Gallery, die einen Raum umfasst und für Community-Ausstellungen zur Verfügung steht.33 Der gesamte zweite Stock des Museums ist Wechselausstellungen gewidmet. Im Erdgeschoss finden sich neben Café und Museumsshop eine Bib-
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Während meiner Recherchen im Januar und Februar 2006 war diese Sammlung den gewalttätigen Ausschreitungen an Sydneys Cronulla Beach gewidmet. Dort hatte sich am 11. Dezember 2005 ein Mob aus ca. 5000 größtenteils britischstämmigen jungen Männern gebildet und Jagd auf Menschen arabischen Aussehens gemacht, was wiederum Vergeltungsangriffe arabischstämmiger Jugendlicher nach sich zog. Der Vorfall hatte die Nation erschüttert und anhaltende Diskussionen über virulenten Rassismus unter der harmonischen Oberfläche des Einwanderungslandes Australien bzw. – von der anderen Seite des politischen Spektrums – über mangelnde Integrationsbereitschaft und -fähigkeit arabischer Immigranten ausgelöst (zum Kontext vgl. Poynting 2006). Während meiner Recherchen war hier die Ausstellung „The First Eleven. Aboriginal cricketers ahead of their time“ über das erste australische Cricket-Team, das in England spielte und ausschließlich mit Aborigines besetzt war, zu sehen. Nach Aussage von Access Gallery-Kuratorin Maria Tence (Interview 16.1.2006) war diese in keiner Weise repräsentativ für die dort üblicherweise gezeigten Ausstellungen, insofern sie nicht aus der Kooperation mit einer Community hervorging und nicht deren Geschichte zum Mittelpunkt nahm. Die Präsentationen der Access Gallery werden aus diesem Grund im folgenden close reading (vom Verweis auf eine in der Literatur besprochene Ausstellung abgesehen) nicht vertieft.
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liothek, in der unter anderem digitalisierte Schiffslisten nach Passagieren durchsucht werden können, sowie ein Filmraum, in dem wechselnde, allerdings nicht vom Immigration Museum selbst produzierte Dokumentarfilme zu sehen sind. Auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes und, obgleich integraler Bestandteil des Museums, auch ohne Museumsbesuch frei zugänglich, liegt schließlich der sogenannte Tribute Garden (in etwa: „Garten der Ehrung oder Hochachtung“). Das vom Melbourner Künstler Evangelos Sakaris gestaltete Denkmal verzeichnet die Namen von über 7000 Immigranten aus mehr als neunzig Ländern auf in den Boden eingelassenen Granitplatten, über die konstant Wasser fließt, sowie auf Edelstahltafeln, die diese umgeben. Der Tribute Garden als Ganzer symbolisiert – insbesondere wenn begangen von der höher gelegenen Straße – die Reise der Immigranten nach „Down Under“, über Grenzen, Wasser, Zeit und die Küste bis hin zum Betreten des Landes der Aborigines (Immigration Museum 1998d: 32f.). Um deren kulturelle Vielfalt zu repräsentieren, wurden die Namen von 36 verschiedenen indigenen Sprachgemeinschaften, die einst die Region des heutigen Victoria besiedelten, in die Gestaltung aufgenommen. Einige dieser Sprachgruppen haben die europäische Kolonisierung nicht überlebt, sodass die Erinnerung an sie zugleich die Erinnerung ihrer Vernichtung beinhaltet. In dieser Ambivalenz zwischen Denkmal und Mahnmal eignet dem Tribute Garden bei aller Feier der Einwanderung, die seine hauptsächliche Bedeutung stellt, ein dezidiert antiheroisches Moment.
Abb. 29: Tribute Garden
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The Lucky Country (ex negativo): Australien-Bilder zwischen Sein und Schein34 Die erste Abteilung der Dauerausstellung nimmt, wie bereits in ihrem Titel „Leavings“ signalisiert, erklärtermaßen die vielfältigen Ursachen der Migration in den Blick.35 Implizit entwirft die Präsentation überdies jedoch ein spezifisches Bild Australiens, dessen Konstruktion im Folgenden erschlossen werden soll. Zehn Kästen mit hinterleuchteten Bildern und aufgedruckten Schlagworten, je fünf zu beiden Seiten, stehen am Eingang des Saales und damit der gesamten Dauerausstellung. Ein jeder repräsentiert einen der Gründe, die Menschen zur Migration nach Australien veranlassten. Zu lesen ist unter anderem: „Job Opportunity“ vor der Fotografie eines Mechanikers bei der Arbeit (untertitelt „Victoria, 1959“), „Natural Disaster“ mit dem Bild eines weinenden Kindes („Somalia, 1993“), „Climate“ vor dem Hintergrund eines lachenden Paares am Strand („Australia, 1963“), „War – Conflict“ über dem berühmten Foto des Jungen mit den erhobenen Armen aus dem Warschauer Ghetto („Poland, 1943“) oder „Land – Property“ mit dem Bild einer glücklichen Vorort-Kleinfamilie („Victoria, 1920s“). Die Projektionen im mittleren Teil des Raumes liefern, unterlegt von dramatischer, je nach Thema mal leichter, mal dräuender Musik, weitere Bilder und Schlagworte, die diese Kategorien illustrieren und explizieren. Sara Wills (2001: 75) kommentiert die Inszenierung in einer Besprechung des Museums folgendermaßen: „Whenever I enter the initial ‚Leavings’ gallery I find myself close to tears, and I believe this is because it offers a space to dwell for a moment with loss. Here is a place that represents the brink of immigration – that re-creates the moment of expectation and hesitation before embarking on the process. It accommodates an expression of sadness and grief for what is left behind.“
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Die Formel von Australien als „The Lucky Country“ prägte Donald Horne (1964). Vom Autor dezidiert ironisch gemeint, als kritischer Kommentar zum Zustand des Landes in den 1960er Jahren, das er als selbstzufrieden, vergangenheitsverhaftet und provinziell brandmarkte, avancierte der Begriff schnell zur viel zitierten positiven Selbstzuschreibung. Vielseitig einsetzbar, von der Charakterisierung des sonnigen Wetters über den ruhigen Lebensstil bis hin zur angeblich konfliktarmen Geschichte, mutierte er damit – ironischerweise – zum Ausdruck eben jener ursprünglich kritisierten Selbstzufriedenheit. Das Prinzip ständigen Wandels im Immigration Museum Melbourne fordert auch hier seinen Tribut: Die Ausstellungseinheit wurde zwischenzeitlich überarbeitet, ohne dass ihre neue Gestaltung berücksichtigt werden könnte. Im Wesentlichen handelt es sich dabei allerdings um eine Umgruppierung bereits zuvor existierender Elemente, sodass der Grundgehalt der Analyse auch für das neue Erscheinungsbild zutreffen dürfte.
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Wills’ Analyse verwundert. Ganz abgesehen von der Frage, ob Tränen das Ziel einer gelungenen Ausstellung sein müssen, ist zu bezweifeln, dass in der geschilderten Präsentation tatsächlich die Aspekte Verlust und Trauer über Zurückgelassenes zu finden sind. Das Gegenteil ist der Fall. Hunger, Naturkatastrophen, Krieg, Armut, Unfreiheit, Rassismus – in den Leuchtkästen und Filmprojektionen geht es in keiner Weise um Positives, das von den Migranten zurückgelassen wurde und für sie als Verlust wirken könnte, sondern allein um die unerträglichen Bedingungen in ihren Herkunftsländern, die sie zur Auswanderung trieben und deren Überwindung alles andere als Anlass zur Trauer gibt. Sämtliche positive Aspekte – von Arbeitsplätzen über Landbesitz bis hin zum Klima – sind dagegen allein dem Zielland der Migration, Australien, zugeschrieben. In dieser Dichotomisierung wird deutlich, dass die Darstellung der „Leavings“-Galerie auf einem klassischen „push and pull“-Modell basiert. Erklärt wird die Entscheidung zur Migration in diesem sozialwissenschaftlichen Ansatz mit abstoßenden Faktoren im Heimatland und anziehenden im Zielland. Nicht in Betracht gezogen werden dagegen entgegenwirkende Tendenzen, zu denen beharrende Kräfte, wie die Angst vor Verlust des Vertrauten, ebenso gehören wie negative Aspekte im Zielland, die die Zuwanderung hemmen könnten. Mehr als eine Kritik des „push and pull“-Modells36 interessiert hier die Konsequenz, die sein Zugrundelegen für das Australien-Bild hat, das die Ausstellung entwirft. Auf doppelte Weise – durch das einseitige Herausstellen der positiven Seiten des Landes und ex negativo im Kontrast zu den katastrophalen Zuständen in der übrigen Welt – erscheint dieses als rundum problemfreies „Lucky Country“.37 Zweifelhaft und ideologisch, wenngleich in der Logik des „push and pull“ folgerichtig, wird diese Version des glücklichen und allseits glücklich machenden Landes spätestens, wenn, wie in den Filmprojektionen, Rassismus38 oder Naturkatastrophen nur in anderen Teilen der Welt verortet werden oder das (natürliche und soziale) Klima Australiens als uneingeschränkt positiv erscheint. 36
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Für eine Zusammenfassung der Kritik an „push and pull“-Modellen durch neuere Theorien zur Migration vgl. Parnreiter 2000: insbes. 44-46. Als zentrale Einwände führt dieser an, „push and pull“-Modelle seien ahistorisch und statisch, da sie abstoßende und anziehende Kräfte als gegeben, nicht als historisch geworden begriffen. Sie seien überdies mechanistisch und einem „rückschauenden Reduktionismus“ verhaftet, durch den sich ex post immer push/pull-Faktoren als plausibel darstellen ließen. In der Konsequenz könnten sie jedoch nicht erklären, warum es bei bestimmten vorliegenden Faktoren (Gefälle von Armut/Reichtum, Lohndifferentiale, Arbeitskräftemangel) in vielen Fällen dennoch nicht zu Migration kommt. Ein ähnlich einseitiges Bild von Australien als Zufluchtsort vor den Konflikten der Alten Welt macht Stephen Bann (1989: 109) in den – inzwischen grundlegend überarbeiteten – frühen Präsentationen des Migration Museum Adelaide aus. Dagegen dokumentieren Vasta/Castles (1996) das vielfältige Fortwirken von Rassismus in der multikulturellen australischen Gesellschaft. 297
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Doch greift diese Deutung vielleicht zu kurz? Kuratorin Moya McFadzean (Interview 24.1.2006) schlägt eine andere Sichtweise vor. Mit Blick auf die schönen Australien-Bilder voll Sonne, Wohlstand und Zufriedenheit bemerkt sie: „The subtlety here is to say: Motivation and expectation is one thing – and reality is another.“ Gezeigt würden affirmative Selbstbilder und Images von Australien, die zur gezielten Anwerbung von Immigranten produziert wurden: „It sold itself in that way.“39 Leistet die Präsentation also statt Zustandsbeschreibung Bildkritik? Gelingt es ihr, ein imaginiertes Australien zu zeigen, statt ihrerseits Australien zu imaginieren? Mir scheint, diese Bedeutungsebene bleibt zu subtil. Die präsentierten Bilder von Australien erscheinen gerade im Zusammenspiel mit den sehr realen Darstellungen des Elends aus aller Welt nicht ironisch gebrochen, sondern als ernst gemeinte Beschreibung einer anderen, besseren Realität. Der bestimmende und interpretationsleitende Gegensatz in der Inszenierung besteht nicht, wie von McFadzean nahegelegt, zwischen Vorstellungen von Australien einerseits und einer von dieser abweichenden Wirklichkeit andererseits – diese wird nirgends offenbar –, sondern vielmehr in der Kontrastierung realer Lebensbedingungen: Hunger, Krieg, Verfolgung dort – Wohlstand, Frieden, Gleichberechtigung hier. In dieser einfachen Dichotomie entsteht implizit ein ausschließlich rosiges Bild von Australien als zu allen Zeiten und in jeglicher Hinsicht glückliches Land, das von internen und externen Konflikten oder Problemen unbelastet ist.
Beispielhafte Biographien: Diesseits und jenseits des Mustermigranten Wenn im vorigen Kapitel die Konstruktion eines bestimmten Bildes von Australien im Mittelpunkt stand, so soll nun betrachtet werden, in welcher Form die Migranten charakterisiert werden. Im Falle des Ellis Island Immigration Museum und des Museums Pier 21 hat sich gezeigt, dass die Charakterisierung der Einwanderer eng verknüpft ist mit ihrer spezifischen Kategorisierung in der Inszenierung. Die Ordnung der Migranten, die das Immigration Museum Melbourne konstruiert, lässt sich nun am besten im zweiten Saal der Ausstellung, „Settlings“, entdecken. Wie erwähnt, besteht die Präsentation hier aus fünf Schaukästen, in denen einzelne Einwanderer biographisch vorgestellt werden, und einer Zeitleiste, die diese an den Wänden des Raumes umgibt. Aus diesen beiden Komponenten ergibt sich die weitere Struktur. Während auf Ellis Island nationale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit und am Pier 21 der rechtliche Status im Vordergrund stehen, sortiert das Melbourner Museum seine Migranten im Sys39
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Diesen Aspekt des „selling“ eines bestimmten Images von Australien (etwa als als „workingman’s utopia“) bzw. eines spezifischen „Australian Way of Life“ betonen White 1981: 158-166; Cerwonka 2004: 45.
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tem der Chronologie. Auf der Rückseite tragen die Biographie-Vitrinen unübersehbar die Zeichen ihrer spezifischen Ordnung: 1800-1899, 1900-1939, 19401969, 1970-1989, 1990-today.40 Die Verortung der Migranten im chronologischen Raster erfolgt zudem über die Anordnung der Schaukästen im Raum, die sich an der umgebenden Zeitleiste orientiert. Auffällig ist nun, dass die chronologische eine in gewisser Weise schwache Ordnung ist. Anders als in der Kategorisierung nach Ethnizität oder Status ist darin nicht a priori eine bestimmte Dimension von Identität betont und privilegiert. Vielmehr eröffnet die in dieser Hinsicht unspezifische Klassifikation den Raum für komplexe und facettenreiche individuelle Charaktere und Geschichten. Die Einwanderer des Immigration Museum Melbourne sind nicht auf einfache Kategorien festgelegt. Ihre Biographien werden mehrdimensional gezeichnet und reflektieren gleichrangig Aspekte wie Herkunft, Geschlecht, Alter, soziale Schicht und städtische oder ländliche Prägung. Überdies verdeutlichen sie die Unwägbarkeiten von Migration sowie die prozesshafte Entwicklung von Identitäten in ihrem Kontext. Da ist etwa das Beispiel von Lili Sigalas, die im Jahr 1922 mit 18 Jahren von Griechenland aus zu ihrem Bräutigam nach Melbourne reiste. Unter der Überschrift „Migration: A continuous journey“ wird ihre Geschichte und die ihrer Familie zum Anlass genommen, um einen weiten und dynamischen Begriff von Migration zu entfalten. Berichtet wird von ihrem Schwiegervater, dessen Auswanderung ihn von Griechenland zunächst nach Ägypten und Neuseeland führte, bevor er sich in Australien niederließ, wo er innerhalb des Landes noch von Perth über Adelaide nach Melbourne migrierte. Ihr eigener Lebensweg illustriert eindrücklich die auf der begleitenden Tafel zum Ausdruck gebrachte Auffassung: „To migrate is rarely as simple as leaving one place to settle down permanently in another.“ 1904 in Istanbul geboren, floh sie mit ihrer Familie im Zuge des Ersten Weltkriegs nach Athen, von wo aus sie wenig später nach Australien weiterwanderte. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie 1964 nach Griechenland zurück, um sich schließlich 1987 im hohen Alter endgültig in Melbourne niederzulassen. Als Konstante in diesem bewegten Leben wird das Engagement für griechische Kulturvereine geschildert. Eine andere Vitrine zeigt unter dem Motto „Crossed paths, separate lives“ zwei Einwandererbiographien, die bei oberflächlicher Betrachtung ähnlich erscheinen könnten. José Alonso und Gaston Arias Muñoz wurden beide im Jahr 1943 geboren, beide stammen aus Lateinamerika und verließen ihre Heimat aus politischen Gründen. Von der Grundlage dieser Gemeinsamkeiten aus nimmt die 40
Die Analogie – nur um dies plastisch zu machen – in den alternativen Ordnungen der anderen beiden Museen wäre etwa eine Beschriftung „Italiener“, „Pole“, „Deutscher“, „Jude“ auf Ellis Island oder „Arbeitsmigrant“, „Soldatenbraut“, „Flüchtling“ im Museum Pier 21. 299
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Darstellung allerdings explizit die Differenzen in den Blick. Alonso, Spross einer wohlhabenden kubanischen Familie, entschied sich aus Ablehnung der kubanischen Revolution für ein Studium in den USA und wanderte mit seiner Familie nach Australien aus, um an der Universität zu unterrichten. Der Chilene Arias Muñoz dagegen kam nach Inhaftierung und Folter während der Militärdiktatur Pinochets als politischer Flüchtling nach Australien und hatte, verarmt und weitgehend auf sich gestellt, große Mühe, sein Leben dort zu bewältigen. In der Gegenüberstellung wird deutlich, wie unterschiedlich sich Einwandererbiographien in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedingungen gestalten können.
Abb. 30 und 31: Biographie-Vitrinen in der Ausstellungseinheit „Settlings“ Eine weitere Doppelbiographie skizziert die Geschichte zweier Jugendlicher, die in den neunziger Jahren als Kriegsflüchtlinge aus dem Sudan nach Australien kamen. Deutlich wird auch hier, dass die Auswanderung nur die Fortsetzung einer bereits langwierigen Migration, in diesem Fall durch Ostafrika, darstellte. In besonderem Maße wird dabei die komplexe und zugleich pragmatische Aushandlung kultureller Identitäten thematisiert. So wird eine der beiden, Nyabana Riek, mit den Worten zitiert: „I’m caught in between cultures… but I take a bit of this and a bit of that and that makes up the person I am.“ Hier kommt die Ausstellung einer Qualität nahe, die Davison (1999: 153) dem Museum insgesamt als Möglichkeit eingeschrieben sieht. Anstelle der Zuschreibung fixer Identitäten kann gezeigt werden, wie Individuen ihre Identität mittels kultureller Strategien in einem fortdauernden Prozess gestalten.41 41
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Dies wird auch deutlich in einem Video, das in der ersten Abteilung „Leavings“ zu sehen ist. Roberto D’Andrea berichtet dort vor dem Hintergrund wechselnder Szenerien seiner Heimatstadt Melbourne von den Herausforderungen der kontinuierlichen Aushandlung der eigenen Identität zwischen einer italienischen Familiengeschichte und dem Leben in einer britisch dominierten australischen Gesellschaft.
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Die Vorstellung der Einwanderer folgt im Immigration Museum Melbourne also keinem einfachen Schema. Dem biographischen Ansatz gelingt es vielmehr, ein vielschichtiges Bild der einzelnen Migranten und des Migrationsprozesses im Ganzen zu zeichnen. Durch die zumindest skizzenhafte Darstellung der Lebensgeschichten wird eine Fixierung auf Ethnizität oder eine andere Identitätsdimension vermieden und eine komplexere Betrachtung angeregt. In einer Hinsicht erscheinen die vorgestellten Personen dann allerdings doch wie Mustermigranten. Die übergroße Mehrzahl der Biographien sind Erfolgsgeschichten, Geschichten von hart erarbeiteten und gegen Widrigkeiten erkämpften Erfolgen, doch nichtsdestotrotz fast ausschließlich von Erfolgen (so auch Reinke 1999: 10f.). Wenn, wie im erwähnten Fall des Gaston Arias Muñoz ökonomische oder emotionale Notlagen geschildert werden, so erscheinen diese als temporäre Krisen auf dem Weg in eine grundsätzlich bessere Zukunft. Schlussendliches Scheitern im neuen Land Australien, im oder am Prozess der Migration bleibt als Möglichkeit außer Betracht. Wiewohl das Immigration Museum Melbourne also einen differenzierten Blick auf die einzelnen Einwanderer wirft, ist seine Präsentation migrantischer Lebensgeschichten getragen von einem fortschrittsgläubigen Aufstiegsnarrativ.42 Die Erfolge der einzelnen illustrieren und authentisieren darin letztlich
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Explizit zum Thema gemacht wurde die Dynamik migrantischer Identitäten in einer Ausstellung der Access Gallery mit dem Titel „Cooking Stories“ (2003/04), die O’Reilly (2005) beschreibt. Besonders war diese insofern, als hier nicht eine ethnische Community, sondern ein Thema – Kochen und Essen – und eine Statusgruppe – Flüchtlinge – in den Mittelpunkt gestellt wurden. Fünfzig Migrantinnen und Migranten aus zehn Ländern von Afghanistan über Äthiopien und El Salvador bis Vietnam stellten sich mit je einem Foto, einem Rezept und einer Geschichte, die die besondere Bedeutung der Speisen für die einzelnen illustrierte, vor. Die Gerichte selbst wurden im Museum nicht nur gefriergetrocknet ausgestellt, sondern auch bei verschiedenen Anlässen gemeinsam verzehrt. Die Stärke der Ausstellung lag nach O’Reilly in den Ambivalenzen, Lücken und individuellen Strategien vor dem Hintergrund spezifischer historischer Umstände, die in den Geschichten und Gerichten zum Vorschein kamen. Statt ethnische Reinheit oder scheinbar althergebrachte Traditionen zeigten sich – gerade bei dem stereotypenlastigen Thema Essen – allseits entspannte Inauthentizität und pragmatisch entwickelte Hybridisierung: „Individually, and in contrast to what might be expected from such ‚ethnic’ recipes, the texts reveal frequently surprising, personalised, subjective truths about food, taste and cross-cultural hospitality. These stories of success, uncertain meanings, and failures – both communicative and culinary – emphasise the connection of identity to singular historic moments.“ (ebd.: 48). Eine solche Interpretation von Einwanderungsgeschichte liegt laut Gore (2003: 5) auch der migrationshistorischen Abteilung des National Museum of Australia mit dem Titel „Horizons“ zugrunde. Diese Übereinstimmung könnte sich als Hinweis darauf lesen lassen, dass das Thema Einwanderung sich in besonderem Maße für diese Art der Deutung von Geschichte eignet. 301
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den Erfolg der multikulturellen Einwanderernation Australien. Das Museum inszeniert auf diesem Hintergrund nicht nur biographische Beispiele, sondern beispielhafte Biographien.
Aporien des „guten Einwanderers“ in der postkolonialen Siedlergesellschaft: Der Fall Niel Black Ein weiteres Merkmal – in den Biographie-Vitrinen wie in der Ausstellung im Ganzen – ist die klare Parteinahme der Darstellung zugunsten der Migranten. Diese sind die Protagonisten der musealen Erzählung, deren Schicksal mit Sympathie gezeichnet und verfolgt wird. Wenngleich sich eine solche positive Grundhaltung gegenüber den Einwanderern leicht aus der geschichtspolitischen Ausrichtung des Museums erklären lässt, dessen Auftrag in der Förderung und Feier kultureller Vielfalt und ihrer historischen Basis, der Einwanderung, besteht, so zieht diese Tendenz durchaus Probleme nach sich. Verdeutlicht werden soll dies an der Präsentation der Biographie von Niel Black, die einen der Schaukästen in der Abteilung „Settlings“ einnimmt.Der Vitrine mit den Ordnungszahlen „1800-1899“ zeigt zwei kleine Ensembles von Objekten. Auf der einen Seite finden sich verschiedene Bestandteile der schottischen Tracht: ein grün-blaugemustertes Stück Stoff, eine traditionelle Felltasche, ein Zierdolch, zwei silberne Broschen. Auf einer handkolorierten Fotografie darüber ist Black selbst in voller Montur zu sehen, majestätisch auf einem Stuhl posierend. Die zugehörige Texttafel informiert, dass Black bei aller Liebe für Australien stets seiner schottischen Herkunft verbunden blieb und die Tracht anlässlich des Besuches des britischen Prinzen Alfred auf seiner Farm im Jahr 1867 trug. Auf der anderen Seite zu sehen sind ein Brandeisen mit den Initialen „NB“, eine Schablone zur Kennzeichnung von Säcken für Wolle (ebenfalls „NB“), eine Schafschere und ein silberner Pokal, den Black im Jahr 1876 bei einer Leistungsschau gewann. Der Überblickstext charakterisiert Black als „ambitious and experienced farmer“, der sich nach seiner Ankunft in Australien 1839 um die Einführung innovativer Methoden zur Züchtung von Rindern und Schafen verdient machte und sich als Mitglied des Parlaments von Victoria über Jahrzehnte hinweg für die Belange der landnehmenden Farmer einsetzte. Alles in allem entsteht das Bild eines ehrenwerten und hart arbeitenden Einwanderers mit starken heimatlichen Wurzeln, der es in der neuen Kolonie verdientermaßen zu Wohlstand und Ansehen brachte. Mit diesem Eindruck im Kopf staunt man nicht schlecht, wenn man Niel Black ein zweites Mal trifft – nun nicht mehr im Immigration Museum selbst, doch noch im Rahmen des Museumsverbundes Museum Victoria, dessen Filiale das Einwanderungsmuseum ist. Es ist in Bunjilaka43, dem Teil von Melbourne 43 302
„Bunjilaka“ bedeutet in der Sprache der Boon Wurrung- und Woi WurrungAborigines so viel wie „Ort der Schöpfung“. Für eine Analyse der dortigen Aus-
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Museum, der Geschichte und Kultur der Aborigines gewidmet ist. Eine Sektion dokumentiert dort unter dem programmatischen Titel „Our Grief“ die Verheerungen, die der Kolonialismus europäischer Siedler für die indigene Bevölkerung brachte. Niel Black tritt dabei prominent in Erscheinung. Ein Auszug aus eben seinem Tagebuch dient hier zur Verdeutlichung des Umstandes, dass Siedler sich das Land der Aborigines unter Einsatz aller Mittel aneigneten. Auf einer Texttafel und zusätzlich in einer Video-Projektion wird er mit folgenden drastischen Worten zitiert: „…the best way [to procure a run] is to go outside and take up a new run, provided the conscience of the party is sufficiently seared to enable him without remorse to slaughter natives… (Niel Black, 1839)“. In diesem Zusammenhang erscheint Black also als Prototyp des skrupellosen Siedlers, der im Streben nach Landeigentum im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging. Offensichtlich zwei verschiedene Geschichten, zwei sehr verschiedene „Niel Blacks“. Moya McFadzean, die Kuratorin des Immigration Museum, berichtet, dass die Präsentation ein und derselben historischen Person an zwei Stellen in ganz unterschiedlicher Weise aufgrund mangelnder Absprache zwischen den beiden Museumsabteilungen zustande kam (Interview McFadzean 24.1.2006). Als der Fall bemerkt wurde, die Präsentation im Immigration Museum jedoch schon weitgehend ausgearbeitet war, stellte sich die Frage, wie mit dieser Inkongruenz umzugehen sei. Im Ergebnis wurde entschieden, die Biographie von Black um eine Tafel zu ergänzen, die das allgemeine Thema von Landgewinn und Landverlust skizziert. Unter der Überschrift „Homeland gained, homeland lost“ wird dort nun vom Schicksal schottischer Kleinbauern berichtet, die von ihrem Land verdrängt und zur Auswanderung gezwungen wurden. Weiterhin wird dargestellt, wie diese, in Australien angekommen, ihrerseits an der Vertreibung und Enteignung der indigenen Bevölkerung teilnahmen. Abschließend wird erwähnt, dass Niel Black diese Verbrechen an den Aborigines in seinen Tagebüchern dokumentierte, teils mit Bedauern, häufiger jedoch mit Gleichgültigkeit oder Einverständnis. Auf zurückhaltende Weise wurde die Präsentation so gegen Vorwürfe der Ausblendung relevanter Fakten abgesichert. Die Tendenz der Darstellung im Ganzen wurde indes nicht korrigiert. Weder wurde das drastische Zitat eingefügt, noch in anderer Form Blacks persönliche Verantwortung für die Gewalt gegen stellungen vgl. Simpson 2006. Bennett (2006a) diskutiert die Einrichtung als Beispiel für den Prozess epistemischer Neukonfigurierungen der Museumslandschaft. Die Objekte der anthropologischen Sammlung des National Museum of Victoria vom Beginn des 20. Jahrhunderts werden hier mitsamt deren kolonialer Entstehungsgeschichte nach intensiven Konsultationen mit Aborigine-Communities konsequent aus Aborigine-Perspektive präsentiert. Damit würden sie, so Bennett, dem Zugriff westlicher Fortschrittsvorstellungen, die ihnen in älteren Präsentationen eingeschrieben waren, entzogen und der Raum des Museums für neue Deutungen und gesellschaftliche Verständigungsprozesse geöffnet. 303
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Aborigines explizit thematisiert, ganz zu schweigen von der leitmotivischen, durch Exponate untermauerten Ausrichtung der Biographie auf diesen Aspekt (anstelle von Heimatverbundenheit und erfolgreicher Viehzüchterkarriere). Die grundsätzliche Schieflage im Vergleich zur Erwähnung in Bunjilaka bleibt so bestehen. Moya McFadzean verweist zur Erklärung dieses Umstands auf die heute lebenden Nachfahren von Niel Black, die dem Museum zahlreiche Ausstellungsobjekte zur Verfügung gestellt hatten, im Vertrauen, dass seine Einwanderungsgeschichte erzählt würde und nicht die Geschichte seiner Mitwirkung an Verbrechen gegenüber der indigenen Bevölkerung. Wiewohl solcherart Rücksicht auf die Leihgeber durchaus von Bedeutung gewesen sein mag, reicht der Verweis auf externe Faktoren zum Verständnis des „Falles Niel Black“ nicht hin. Wirksam ist darin vielmehr die immanente Logik des Einwanderungsmuseums, die insbesondere im Kontrast zu derjenigen von Bunjilaka deutlich wird: Während Niel Black im dortigen Opfernarrativ der Aborigines in der Position des Täters auftritt und entsprechend verurteilt wird, ist er hier in das gefeierte Narrativ der Einwanderung eingeschrieben und so gewürdigt. Als „Siedler“ erscheint seine Biographie mit negativem, als „Einwanderer“ mit positivem Vorzeichen. Mit Blick auf die Geschichtsschreibung, speziell die Sparte der ethnic history analysiert Hsu-Ming Teo, dass diese positive Grundhaltung gegenüber der Geschichte der Einwanderung und der Einwanderer, die sich nicht zuletzt aus dem verständlichen Bemühen speise, lange Zeit marginalisierte und diskriminierte gesellschaftliche Gruppen nicht neuerlich zu brandmarken, ein ernsthaftes Dilemma für die Bewertung der Beziehungen zwischen Einwanderern und Aborigines darstelle. Festzustellen sei nichts weniger als „the elision of any meaningful discussion of racial discrimination on the part of non-British migrants towards indigenous people or, indeed, towards each other“ (Teo 2003: 150). Im Fall der Biographie von Niel Black führt die sympathisierende Darstellung sogar in Bezug auf einen britischen Kolonial-Migranten zur weitgehenden Ausblendung der gegen Aborigines gerichteten Diskriminierung (und mehr noch: der manifesten Gewalt). Hingewiesen ist damit in besonderem Maße auf das komplexe Verhältnis zwischen Siedlern/Einwanderern und Aborigines, dessen Präsentation durch das Museum im übernächsten Abschnitt weiter ausgeführt wird. Der knappe Zusatz Teos, dass in dieser Tendenz auch Spannungen zwischen Migranten schwer zu begreifen seien, weist über diesen Komplex jedoch noch hinaus. Die Verpflichtung auf die Beförderung eines Bildes vom „guten Einwanderer“ bewirkt, dass im gesamten Museum praktisch keine negativen Darstellungen von oder auch nur kritische Äußerungen gegenüber Migranten zu finden sind. So wäre es in der Logik des Immigration Museum etwa schwer vorstellbar, wie in Curthoys’ (2000: 23) Darstellung, anti-chinesische Ausschreitungen während des Goldrauschs im 19. Jahrhundert als „wahrhaft multikulturelles Ereignis“ zu charakterisieren, bei dem jüngst Eingewanderte aus vielen europäischen Staaten, angeführt von einer Gruppe Deutscher, die Täter stellten. Im Museum heißt 304
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es zum Goldrausch stattdessen nur zurückhaltend: „Gold diggers from diverse cultures were faced with the challenges of living and working together.“ Konflikte und Diskriminierung zwischen Einwanderern – verschiedener Herkunft, verschiedener sozialer oder ökonomischer Stellung, in Geschichte und Gegenwart – lassen sich auf diese Weise kaum begreifen. Die kompromisslose ProImmigranten-Grundhaltung des Museums, die ihre Ursache in der klaren Positionierung gegen eine zunehmend einwanderungskritische Stimmung in der australischen Gesellschaft hat (vgl. auch Wills 2001: 73-75), führt damit im Ergebnis dazu, dass bestimmte Formen von Machtbeziehungen in der australischen Migrationsgesellschaft aus dem Blick geraten.44
Alle in einem Boot: Die Nation als transhistorische Reisegesellschaft Das stilisierte Schiff im zentralen Long Room stellt die größte und auffälligste Installation des Immigration Museum Melbourne dar. Wenn die Inszenierung auch alles andere als außergewöhnlich sein mag – Graeme Davison (2001: 20) stellt mit etwas Übertreibung fest, dass kein Migrationsmuseum, das diesen Namen verdient, heutzutage ohne simulierte Innenräume eines Schiffes auf See auskomme45 –, so ist sie nicht weniger eindrucksvoll. Einer minimalistischen Skulptur gleich steht der geschwungene, strahlend weiße, begehbare Rumpf des Schiffes im Raum und scheint, von Licht umflutet, fast zu schweben.
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Mathew Trinca und Kirsten Wehner charakterisieren dieses Tendenz als generelles Problem von Inszenierungen, die eine möglichst große repräsentative Breite und Vielstimmigkeit anstreben, diese aber im Sinne eines gleichwertigen Neben- und Miteinanders zeigen. In ihrer selbstkritischen Diskussion des pluralistischen Ansatzes des National Museum of Australia schreiben sie: „[T]here are problems with the museum abstracting mulit-vocality to represent the deeper and farreaching complexities of a plural, differentiated community. The presentation of different voices in a museum display may create a sense of textual equivalence that misrepresents the actual relations of power in a given historical moment“ (Trinca/ Wehner 2006: 6.5). Man muss nur an das Ellis Island Immigration Museum denken, zweifellos ein Einwanderungsmuseum von Rang und dabei ganz ohne simuliertes Schiff, um Davisons Behauptung etwas zu relativieren. Zugleich trifft die generelle Beobachtung einer großen Popularität solcher Installationen bei Museumsmachern und publikum sicher zu. Als Beispiele aus dem deutschen Kontext seien in dieser Hinsicht nur das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven (Baur 2006a) und die BallinStadt – Auswandererwelt Hamburg genannt, die beide der Rekonstruktion eines begehbahren Ozeandampfers einen prominenten Platz in ihren Ausstellungen einräumen. 305
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Ihre Wirkung verdankt die Inszenierung neben dem ästhetischen Reiz und dem interaktiven Potential vor allem ihrer semantischen Polyvalenz.46 Das Schiff steht zum einen stellvertretend für die Reise, eine Lesart, die in der Sektionsbezeichnung „Journeys“ unmittelbar angelegt ist. Als solches signifiziert es einen konkreten Teil des Migrationsprozesses: die reale Bewegung im Raum, das Unterwegs-Sein, die Überfahrt. Zugleich ist darin jedoch auch die Bedeutung der Reise als Metapher für individuelle Entwicklungen im Verlauf der Migration aufgerufen, die Vorstellung vom Aufbruch und Weg in ein neues Leben, eine neue Identität.47 In dieser Form bezeichnet McShane (2001: 129) die Reise mit explizitem Bezug auf das Immigration Museum Melbourne (neben der Metapher der „Grenze/Barriere“) als „the metaphor most favoured in migration exhibitions in Australia, and possibly elsewhere“. Im Gefolge von McShane ließe sich kritisieren, dass eine solche Fassung von Migration im Bild der Reise die Einwanderer in ihrem Migrantenstatus fixiert und andere Aspekte ihres Lebens ausblendet: „If the journey is given sole emphasis, migrants remain stubbornly migrants“ (ebd.). Um eine solche Vorstellung des „ewigen Migranten“ zu vermeiden und ein dynamischeres Bild zu zeichnen, schlägt er vor, Migration stattdessen in engem Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen zu betrachten und so an übergreifende gesellschaftliche Entwicklungen anzukoppeln. Statt die Kritik der Reise-Metapher zu vertiefen, soll hier jedoch einer anderen Bedeutungsdimension der Inszenierung nachgegangen werden. Denn das Schiff ist nicht nur über seinen Verweis auf die Reise metaphorisch angelegt, sondern lässt sich in direkterer Weise selbst als Metapher lesen. Als solche signifiziert es Gemeinschaft (Lurker 1988: 627), auch Schicksalsgemeinschaft, sinnfällig ausgedrückt in der Rede: „Wir sitzen alle in einem Boot“. Das Schiff, das Boot fasst eine Vielzahl von Individuen mit divergierenden Vorstellungen und Interessen unentrinnbar zusammen und schließt sie in ambivalenter Weise – teils als Schutz, teils als Zwang – gegen ein Außen ab.48 46
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Michel Foucault etwa schreibt in seinem berühmten Essay über „Andere Räume“ dem Schiff als der „Heterotopie schlechthin“ „das größte Imaginationsarsenal“ zu (Foucault 1997: 272). Was mag es wiederum bedeuten, wenn das Schiff sich im Museum findet, das selbst als Heterotopie charakterisiert ist, wenn die Heterotopien – also die „tatsächlich realisierte[n] Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb einer Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“ (ebd.: 265) – sich auf diese Weise verschachteln? Das „Wörterbuch der Symbolik“ (Lurker 1988: 627) verzeichnet das Schiff etwa als „Bild für Reise, Überfahrt und im übertragenen Sinn für das Leben“. Röhrich (1991: 240f.) präzisiert (auch für den angelsächsischen Sprachraum): „Die Redensart gehört zu dem umfangreichen Feld der Schiffsmetaphern […] Der in der metaphorischen Standortbestimmung ‚im selben Boot’ latent vorhandene Solidarisierungsappell beruht auf der Vorstellung vom Staatsschiff als einer Interessen-
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Der Text, der die Inszenierung einleitet, beginnt denn auch mit der Behauptung einer gemeinschaftsstiftenden Wirkung der Schiffsreise und zwar nicht bezogen auf konkrete Fahrten, sondern gleichsam transhistorisch, über alle Zeit: „All immigrants, no matter when they arrived in Victoria, are linked by the common experience of a journey.“49 Die Differenzierung, dass diese Erfahrung sich im Verlauf der letzten 200 Jahre wesentlich gewandelt hat, folgt erst im zweiten Satz. Diese Abfolge ist charakteristisch für die Präsentation: Im Vordergrund steht die Betonung einer „common experience“ und einer daraus erwachsenden Verbindung aller australischer Einwanderer von Beginn der europäischen Besiedlung bis heute. Die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Bedingungen – hier bezogen auf die Reise, übertragen jedoch der Migrations- und Lebensbedingungen allgemein – wird erwähnt, bleibt in Relation zu der behaupteten Gemeinsamkeit jedoch sekundär.
Abb. 32: Das Schiff als zentrale Installation im Immigration Museum Melbourne
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und Notgemeinschaft, in der jeder, vor allem bei drohender Gefahr, zum gemeinsamen Handeln verpflichtet ist. […] Die Metapher vom gleichen Boot, in dem wir alle sitzen, hat Konjunktur in der politischen Rhetorik und Karikatur immer dann, wenn in Konfliktsituationen an Konsens und Übereinstimmung appelliert wird.“ Zum Motiv und Erleben des Schiffs bzw. der Schiffspassage in Ego-Dokumenten von Auswanderern nach Australien vgl. Goldsworthy 1996. Die Autorin betont dabei den Effekt der Schiffspassage als „radical equalizer“. Die Inszenierung des Immigration Museum geht über diese Beobachtung jedoch weit hinaus, indem sie eine Angleichung eben nicht nur in der Interaktion zwischen den Passagieren eines Schiffes verortet, sondern in der Figur des Schiffsreisenden per se. 307
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Dieses spezifische Verhältnis von abstrakter Gemeinsamkeit und konkreter Verschiedenheit findet sich auch in der Form der Installation selbst. In ihrem Innern zeigt sie deutlich die Veränderung der Schiffsausstattungen über die Zeit und lässt in der Kontrastierung von Luxussalon und einfachen Kabinen nicht nur historische, sondern auch klassenmäßige Unterschiede aufscheinen. Über Tonband werden Gespräche von Passagieren in englisch, deutsch, jiddisch, holländisch, italienisch, serbokroatisch und weiteren Sprachen eingespielt und damit die vielfältige Herkunft der Migranten illustriert. Von außen jedoch zeigt das Schiff eine neutrale Hülle und fasst darin die Unterschiedlichkeit im Innern jenseits jeder Spezifik monolithisch ein. Wie das Ellis Island Immigration Museum mit der Great Registry oder das Museum Pier 21 mit seinem inszenierten Zug, platziert das Immigration Museum Melbourne so im Zentrum seiner Ausstellung einen Geschichtscontainer, der als Sinnbild der Nation fungiert. Mit dem Verweis auf die gemeinsame Erfahrung der Reise konstruiert das Museum eine vorgestellte Gemeinschaft der Einwanderer und inszeniert das Schiff als Verkörperung und imaginären Ort dieser (imaginierten) gemeinsamen Erfahrung. Die gemeinschaftsstiftende Meistererzählung der Migration ist auf diese Weise effektvoll ins Bild gesetzt. Die bereits erwähnte, kritische Feststellung von McShane (2001: 129), wonach eine Darstellung der Migration im Leitmotiv der Reise dazu tendiere, Migranten in ihrem Status als Migranten zu fixieren und andere Aspekte ihrer Identität auszublenden, wird in dieser Meistererzählung positiv gewendet und nachgerade zur Grundlage ihrer Plausibilität. Denn nur in ihrer Rolle als Migranten sind sich die Einwanderer nach Australien ähnlich, nur unter Ausblendung anderer Merkmale lassen sie sich problemlos als Gemeinschaft denken. Zugleich – und in der Konzentration auf die Inszenierung einer kollektiven Erfahrung angelegt – trägt die Darstellung normalisierende Züge. Sowohl die Schiffspassage als auch die Umstände der Migration im weiteren Sinn bleiben in der Präsentation im Rahmen eines bestimmten, begrenzten Spektrums. So ist es kein Zufall, dass die Installation keine Rekonstruktion eines Flüchtlingsboots vietnamesischer Boat People umfasst oder gar die Verhältnisse auf dem norwegischen Frachter „Tampa“ nachstellt, der im Jahr 2001 mit mehreren Hundert Asylsuchenden an Bord von australischen Behörden abgewiesen wurde. Ein Fokus auf diese oder ähnliche „Sonderfälle“ würde überdeutlich werden lassen, dass die Reise nach Australien nur in maximaler Abstraktion von den je spezifischen Bedingungen als kollektive, verbindende Erfahrung und damit als Grundlage für die vorgestellten Gemeinschaft der Nation dienen kann.50 In einer Hin-
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In gewisser Weise produziert auch die Weltkarte, die im Anschluss an die Schiffsinstallation Reiserouten und -geschwindigkeiten nach Australien im Wandel der Zeit thematisiert, ein bestimmtes Bild von „Normalmigration“. Die Leuchtmarkierungen, die sich auf Knopfdruck über die Karte verbreiten, bezeichnen ausschließlich geregelte und linear verlaufende Routen mit eindeutigem Start und Ziel.
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sicht birgt die Entscheidung für das Motiv des Schiffes jedoch eine Implikation, die einer umfassende nationalen Meistererzählung der Migration tendenziell zuwider läuft: Es privilegiert die Migrationen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die überwiegend europäisch geprägt waren. Die nachfolgenden Einwanderer, nun auch von anderen Kontinenten, kamen in der Regel mit dem Flugzeug und sind in der prominenten Inszenierung des Schiffes ausgeschlossen. Auch wenn der einleitende Text einen übergreifenden Begriff der Reise nach Australien vorschlägt, resultiert aus diesem Umstand eine Diskrepanz in der Reichweite zwischen einer metaphorischen Interpretation des Schiffes als allumfassender Container und einem wörtlichen Verständnis als zeitspezifisches Transportmittel, das nur auf bestimmte Gruppen verweist.
Abb. 33: Namenslisten von Einwanderern im Tribute Garden Aufgehoben ist diese Spannung vollends in der zweiten Installation, die die vorgestellte Gemeinschaft der Einwanderer bildlich umsetzt: dem Tribute Garden. Mehrere tausend Namen von Immigranten fügen sich hier zu einem harmonischen Ganzen. Während sich das Schiff – in einem wörtlichen Verständnis und in Kontrast zur Leerstelle des Flugzeugs – noch als Ausdruck spezifischer Zeit- und Migrationsumstände lesen lässt, ist die Gestalt des Denkmals durch die völlige Reduktion auf Namen und die arbiträre Ordnung des Alphabets von solchen Anklängen frei und damit maximal inklusiv. Kurator Richard Gillespie (2001a: 366) erläutert: „The recorded names represent a diversity of origins and periods, but here they are arranged alphabetically, an expression of the unifying experience of immigration“. Ganz ähnlich wie in der American Immigrant Wall of Honor auf 309
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Ellis Island stehen die Namenswände des Tribute Garden mithin für das Konzept von Einheit in der Vielfalt. Sie aktualisieren damit die Vorstellung der multikulturellen Einwanderernation, die über alle Differenzen hinweg auf Grundlage einer gemeinsame Erfahrung der Migration zusammengehalten wird.
Immigranten und Aborigines: Offene Spannungen und narrative reconciliation Welchen Platz in den Präsentationen des Immigration Museum findet nun derjenige Teil der australischen Bevölkerung, der offensichtlich nicht „mit im Boot“ ist, respektive im Narrativ der Einwanderung? Wie verhält sich die Meistererzählung der Migration im Museum zur Geschichte der indigenen Bevölkerung? Drei verschiedene Modi der Problematisierung lassen sich entdecken: erstens die Konzeptualisierung von Migrationsgeschichte und indigener Geschichte als zwei separate Narrative, zweitens die Fassung als – im Wesentlichen konfliktive – Kontakt- und Beziehungsgeschichte und drittens schließlich die Verbindung und Verschmelzung der beiden Stränge in einem größeren Ganzen.51 Der Modus zweier paralleler Narrative ist am Beginn der Zeitleiste in der Abteilung „Settlings“ aufgerufen und zwar nicht in Bezug auf historische Ereignisse, sondern grundsätzlicher in der Gegenüberstellung verschiedener Zeitvorstellungen. Als erster Eintrag ist dort zu lesen: „In the beginning, Bunjil created this land and the life within it. He created people and gave them law.“ Direkt darunter heißt es: „Port Phillip Bay is formed about 10.000 years ago.“ Übergangslos folgen in diesen beiden Sätzen die alternativen Konzeptionen von mythischer Zeit einerseits und geschichtlicher Zeit andererseits aufeinander. Die erste verweist, nicht zuletzt durch die Erwähnung von Bunjil, der obersten Gottheit der KulinAborigines, auf Kultur und Kosmologie der indigenen Bevölkerung. Die zweite führt die europäisch-westliche Perspektive der Einwanderer ein. Zwischen den beiden Konzepten findet weder eine Vermittlung statt, noch werden sie als in Konflikt oder Hierarchie zueinander gezeichnet. Sie stehen vielmehr unvermittelt und gleichberechtigt nebeneinander. Dieses Nebeneinander findet sich auch – nun mit stärkerem Bezug auf alternative Geschichten – in zwei Sätzen, die den Beginn der Dauerausstellung markieren. Gleichermaßen programmatisch formuliert, doch mit ganz unterschiedlicher Stoßrichtung heißt es dort zum einen „The peoples of the Kulin nation have always been connected to this land“ und zum anderen „A journey of a thousand miles must begin with a single step“. Geradezu
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Der vierte denkbare Modus, die Integration der Aborigines in die große Erzählung der Migration durch deren Darstellung als Ur-Einwanderer, der in manchen australischen Migrationsausstellung gewählt wurde (vgl. dazu kritisch McShane 2001: 126), lässt sich im Immigration Museum Melbourne im Einklang mit der expliziten Entscheidung im Museumskonzept nicht finden.
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paradigmatisch stehen sich dabei die Leitbegriffe gegenüber, die jeweils den Kern der alternativen Erzählungen ausmachen: „Land“ in Bezug auf das identitätsstiftende Narrativ der Aborigines und „Journey“ im Hinblick auf das Einwanderungsnarrativ.52 Das Banner im Eingangsbereich des Museums, das den ersten der beiden Sprüche trägt, leitet zugleich zum zweiten Modus der Fassung des Verhältnisses von Aborigine- und Einwanderungsnarrativ über: der Beziehungsgeschichte. Nach der Feststellung der Landverwurzelung der indigenen Bevölkerung heißt es dort explizit weiter: „For over two centuries Aboriginal people and immigrants have shared history.“ Auf der Grundlage einer zunächst konstatierten und konstituierten separaten Erzählung der Aborigines findet hier der Übergang statt, indem diese mit derjenigen der Einwanderer in Beziehung gesetzt wird. Eine ähnliche Konstellation liegt der Gestaltung des Tribute Garden zugrunde. Zunächst lassen sich zwei Elemente identifizieren, die sich ohne Berührung gegenüberstehen und auf diese Weise separate Geschichten implizieren: die Einwanderernamen auf Edelstahl- und Granitplatten, die den erhöhten, größeren Teil des Denkmals einnehmen, und die Namen der 36 indigenen Sprachgruppen, die sich durch Treppen von diesen getrennt am gegenüberliegenden Ende finden. Liest man die Inszenierung indes dynamisch, was nicht zuletzt im Wasser nahegelegt ist, das über einen Teil der Migrantennamen in Richtung der Stammesnamen fließt, so ist das Aufeinandertreffen von Immigranten und Aborigines und damit wiederum das Bild der Beziehungsgeschichte impliziert.53 In diesem Sinne sind auch die Einträge zur Geschichte der indigenen Bevölkerung zu verstehen, die in die erwähnte Zeitleiste zur Migration nach Victoria und Australien aufgenommen sind und vor allem von kolonialer Gewalt, Unterdrückung und Rassismus berichten.54
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Noch auffälliger ist der Komplementärkontrast der beiden Leitsprüche im Katalog des Museums angelegt, wo sie nicht, wie im Museum selbst, räumlich getrennt erscheinen, sondern einander auf der ersten Doppelseite direkt gegenüber gestellt sind (Immigration Museum 1998d: Umschlaginnenseite). Wie erwähnt, ergibt sich diese Lesart in besonderem Maße aus dem Wissen, dass einige der verzeichneten Sprachgruppen im Zuge der europäischen Kolonisierung untergegangen sind. Dies wird allerdings nicht am Denkmal selbst, sondern nur in begleitenden Materialien thematisiert (etwa Immigration Museum 2006: 4). Beierde Haan (2005a: 68) erkennt in der Aufnahme der indigenen Gruppennamen in den Tribute Garden zurecht das Anliegen der „Würdigung der Urbevölkerung und [der] Gleichstellung von Kolonisierten und Einwanderern“. Aufgrund der mangelnden Durchdringung der gestalterischen Elemente, die für Migranten einerseits und Aborigines andererseits stehen, zumindest mit Blick auf diese beiden Gruppen weniger plausibel ist hingegen, wenn sie, wie es scheint, das Denkmal überdies als bildlichen Ausdruck des „Vermischen[s] von Kulturen“ interpretiert. Auffällig ist, dass die direkte Interaktion zwischen Einwanderern – oder in diesem Kontext besser: Siedlern – und Aborigines nur für die frühesten Jahre der Koloni311
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Der dritte Modus zeigt sich schließlich in der Liebesgeschichte zwischen der Aborigine-Frau Merle Morgan und dem griechischen Einwanderer zweiter Generation Alick Jackomos, die eine der Biographie-Vitrinen einnimmt. Dargestellt wird, wie die beiden sich kennenlernen, verlieben und gegen die Stimmung der Zeit, in der Mischehen gesellschaftlich geächtet waren, im Jahr 1951 heiraten. Unschwer zu erkennen ist dabei, dass die Präsentation über die individuelle Geschichte von Liebe und Heirat hinausweist. Das Beispiel steht vielmehr für eine „marriage between the two cultures“ (MoV 1997c: 4.2.29 of 49). In Verbindung treten nicht allein zwei Personen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. In personifizierter Form werden auch die Narrative von Einwanderung einerseits und Aboriginalität andererseits zur Verbindung, gar zur Vereinigung gebracht. Eine solche übertragene Lesart ist nicht zuletzt in der Gestaltung der Vitrine angelegt, die mit den Leitbildern der beiden Narrative spielt. Die Symbole der Migration, Schiff und Zug, sind darin aufs Engste in eine Szenerie aus charakteristisch rötlich gefärbtem Sand eingearbeitet, der für das Land der Aborigines steht, und erscheinen mit der Landschaft regelrecht verwachsen. Über dieser Situation, geradezu aus dieser erhebt sich eine großformatige Fotografie von Merle, Alick und ihren drei Kindern, in der der glückliche und „fruchtbare“ Charakter des Bundes zwischen Aborigine und Migrant angezeigt ist. Analog zum gesellschaftlichen Prozess der „Reconciliation“ zwischen den beiden Gruppen wird in dieser Präsentation des Immigration Museum die narrative Aussöhnung inszeniert. Im Lichte der Überlegungen von Ann Curthoys (2000) zur „Schwierigen Konversation zwischen dem Multikulturellen und dem Indigenen“ lassen sich die unterschiedlichen Fassungen des Verhältnisses von Einwanderungs- und Aborigine-Geschichte im Immigration Museum Melbourne noch einmal anders betrachten. Curthoys führt aus, dass in Australien in Bezug auf die Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit und Kultur seit langem zwei Diskurse existieren, die zugleich eigenständig und auf komplexe Weise miteinander verschränkt sind. Der erste orientiert sich an einer kolonialen Konstellation. Er fokussiert auf die Kluft zwischen dem indigenen und nicht-indigenen Teil der australischen Bevölkerung und wird in besonderem Maße durch indigene Forderungen nach Anerkennung der und Entschädigung für Geschichte und fortdauernde Effekte der Kolonisierung befördert. Der zweite, als postkolonial zu charakterisierende Diskurs hingegen befasst sich mit den Herausforderungen Australiens als Einwande-
sierung expliziert ist. So wird aufgeführt, dass einer der britischen Kolonisatoren, John Batman, 1835 durch „Verträge“ mit Aborigine-Führern 250.000 Hektar Land in Beschlag nahm. Wenn im Weiteren davon die Rede ist, dass Aborigines in Teilen Victorias niedergemetzelt oder in Missionen und Reservate gezwungen wurden, so wechselt die Darstellung dagegen ins Passiv. Geschildert werden Dinge, die passieren, ohne dass die Verbindung zum anhaltenden Prozess der Einwanderung oder gar die Verantwortlichkeit einzelner Einwanderer deutlich wird. 312
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rungsland und konzentriert sich dabei – dies ist entscheidend – auf die nichtbritische Migration. In seinem Mittelpunkt stehen Fragen nach kultureller Vielfalt, nach ethnischer Identität und Einwanderungspolitik. Zu beobachten sei nun, so Curthoys (2000: 28ff.), dass die beiden Diskurse – nachdem sie seit dem 19. Jahrhundert mit offensichtlichen Parallelen (etwa hinsichtlich politischer Diskriminierung oder gesellschaftlichem Rassismus, die sowohl Aborigines als auch Migranten betrafen), doch ohne dezidierte Berührung geführt worden waren – in den 1980er Jahren stärker enggeführt wurden. Der entscheidende Effekt, bedingt durch eine Stärkung der Idee und Politik des Multikulturalismus, war, dass die Problematik des Umgangs mit indigener Geschichte und dem kulturellen Erbe der Aborigines nun im Rahmen des Konzepts von kultureller Vielfalt verortet wurde. Nicht-britische Einwanderer und Aborigines wurden auf diese Weise als „joint objects of Anglo-Celtic ethnocentrism“ in der einen Kategorie des „excluded other“ zusammengefasst und -gedacht. In der Konsequenz ergeben sich zwei alternative Konzeptualisierungen geschichtspolitischer Konfliktlinien: In der einen Fassung stehen sich Indigene und Nicht-Indigene, also Einwanderer, gegenüber und zwar ungeachtet derer Herkunft oder Dauer des Aufenthalts in Australien. In der anderen verläuft die Demarkation zwischen Australiern mit anglokeltischem Erbe auf der einen und Australiern mit davon abweichendem Einwanderungserbe plus Aborigines auf der anderen Seite.55 Wenn man diese beiden Konstellationen nun mit den drei Fassungen des Verhältnisses von Einwanderungs- und Aborigine-Narrativ, die ich in den Präsentationen des Immigration Museum identifiziert habe, überblendet, so lässt sich feststellen, dass die Diskurse und Konfliktlinien sich hier kreuzen. Die ersten beiden Modi – die Konstruktion zweier paralleler Narrative ebenso wie die Vorstellung einer Beziehungsgeschichte – basieren auf der von Curthoys so bezeichneten kolonialen Konstellation. Beide nehmen ihren Ausgang vom Gegensatz zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen. Die Meisterzählung der Migration allgemein, die ich im Immigration Museum vor allem in der Analyse der Schiffsinstallation lokalisiert habe, läuft, indem sie das überhistorische Kollektiv der Migranten erst konstruiert, das dieser Dichotomie zugrunde liegt, auf eben diese Konstellation hinaus. Der dritte Modus der Verschmelzung korrespondiert dage55
Es versteht sich von selbst, dass in dieser Schematisierung nicht Personen, sondern gesellschaftliche Positionen gemeint sind. Curthoys (2000: 31) kompliziert die Situation weiter, indem sie im Anschluss an die Analyse der Feindbilder der rechtspopulistischen One Nation Party und ihrer Anhänger die auf dem Faktor „race“ basierende Konstellation von europäischen Einwanderern einerseits (Anglo-Celts plus sogenannte „ethnics“) und außereuropäische Einwanderer und Aborigines andererseits einbringt. Auf Grundlage dieser Differenzierungen kommt sie schließlich zu der Einschätzung, dass es sich bei der gegenwärtigen australischen um eine Gesellschaft handele, die gleichzeitig koloniale wie postkoloniale Züge trage bzw. zugleich im Prozess der Kolonisierung und Dekolonisierung begriffen sei. 313
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
gen mit der postkolonialen Strukturierung. Nicht zufällig ist Alick Jackomos, dem der migrantische Part in der skizzierten Inszenierung zukommt, kein Einwanderer britischer Herkunft, sondern mit seinem griechischen Kulturerbe Repräsentant einer lange Zeit vom anglo-keltischen Australien marginalisierten Gruppe. Auf dem Hintergrund von Curthoys’ Schematisierung müsste der obige Befund also präzisiert werden: Die Präsentation der Liebesgeschichte zwischen dem griechischen Einwanderer und der Aborigine operiert – anders als die Beispiele der zwei anderen Modi – nicht auf der Grundlage einer übergreifenden Erzählung der Einwanderung. Sie verweist selbst entsprechend nicht auf die narrative Aussöhnung eines allumfassenden Kollektivs der Einwanderer mit dem der Aborigines, sondern bezieht nur dessen historisch unterprivilegierten Teil ein. In geradezu klassischer Weise entsteht in der Verbindung von Alick Jackomos und Merle Morgan das Bild des vereinigten „excluded other“, das seinen Widerpart im anglo-keltischen (Einwanderer-)Australien findet. Aufs Ganze gesehen kommt dieser Inszenierung dennoch eine Schlüsselfunktion zu. Denn die Figur des griechischen Migranten Jackomos wirkt als Schnittstelle, als missing link zwischen den konkurrierenden Diskursen. Sie ist durch den gesamten Kontext der Ausstellung fest in die Meistererzählung der Einwanderung integriert und kann zugleich in der Rolle des marginalisierten Migranten in positive Verbindung mit den Aborigines treten. Auf diese Weise fungiert sie als Übergang zwischen der kolonialen und postkolonialen Konstellation und leistet, indem so die Kluft zwischen britischer Einwanderung, also Kolonisierung, und indigener Geschichte gleichsam überbrückt wird, die an sich unmögliche Versöhnung einer umfassenden Meistererzählung der Einwanderung mit der Geschichte der Aborigines.56
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Eine weitere Dimension der Figur des Alick Jackomos ließe sich im Zusammenhang mit Debatten über die Bedingungen nationaler Identifikation von Migranten erschließen. Ghassan Hage (2001: 342-345) referiert die Position von Autoren, die die australische Nation weniger auf ein verbindendes Narrativ gründen, sondern als Verantwortungsgemeinschaft konstruieren. Argumentiert wird dabei, dass die Übernahme der Verantwortung für das Unrecht des Kolonialismus das entscheidende Kriterium einer solcherart ethisch fundierten nationalen Zugehörigkeit darstellt und als solches nicht nur für die Nachkommen der ursprünglichen Siedler, sondern auch für spätere Einwanderer zu gelten habe. Ross Poole etwa betont: „Acquiring a national identity is a way of acquiring that history and the rights and the responsibilities which go with it. The responsibility to come to terms with the Australian past is a morally inescapable component of what it is to be Australian“ (zit. n. Hage 2001: 343). Jackomos verkörpert den in diesem Sinne erwünschten Migranten, der versteht, was es bedeutet, Australier zu sein: Obwohl nicht mit „seiner“ Geschichte, seinem kulturellen Erbe verknüpft, nimmt er das Schulderbe des Kolonialismus an, arbeitet für die „reconciliation“ und gibt mithin die richtige Antwort auf die Gretchenfrage der australischen Zugehörigkeitsprüfung.
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Perspektivwechsel: Von der Konstruktion zur Dekonstruktion der Einwanderernation Die abschließende Abteilung der Dauerausstellung, „Getting In“ überschrieben, nimmt in zweierlei Hinsicht einen Perspektivwechsel vor. Zum einen bezieht sich dies auf die Subjekte des musealen Narrativs. Stehen in den übrigen Teilen des Museums die Einwanderer im Mittelpunkt, treten diese nun zugunsten der Beleuchtung politischer Entwicklungen in den Hintergrund. Sie wechseln von einer aktiven Rolle als Protagonisten der Erzählung in die passive als Objekte sich wandelnder Einwanderungspolitiken oder gesellschaftlicher Debatten. Seinen Niederschlag findet dieser Perspektivwechsel nicht zuletzt in der veränderten Position, die Besuchern im Verfolg der Ausstellung zugewiesen wird. In besonderem Maße deutlich wird dies in der Gegenüberstellung der Schiffsinstallation von „Journeys“ und einer interaktiven Computerstation in der Abteilung „Getting In“. Während Besucher im ersten Fall mit dem Begehen des Schiffes und seiner Kabinen die Perspektive der Migranten einnehmen, finden sie sich im zweiten Fall in der Rolle von Beamten der australischen Einwanderungsbehörde wieder, denen die Einwanderer gegenübertreten. Die Aufgabe ist dabei, nach der Entscheidung für eine historische Periode – zur Auswahl stehen die 1920er Jahre, die 1950er Jahre und die Gegenwart – einen von drei Bewerbern auszuwählen und entsprechend den jeweils gültigen Bestimmungen auf die Erfüllung gewisser Kriterien hin zu überprüfen. In mehreren Schritten müssen Besucher die Antworten, die die virtuellen Migranten in nachgespielten Interviewszenen geben, bewerten und eine Entscheidung über deren Zulassung oder Ablehnung treffen. Abschließend wird bekannt gegeben, ob diese Entscheidung mit der tatsächlichen Praxis der entsprechenden Zeit korrespondiert oder nicht.57 Zum Ausdruck kommen auf diese Weise sowohl die Veränderungen australischer Migrationspolitik als auch der strukturelle Konflikt zwischen Einwanderungswilligen, die unbedingten Zugang erstreben, und staatlicher Bürokratie, die diesen begrenzt und reguliert. Bemerkenswert an der Inszenierung ist überdies, dass sie Besucher mit der Übernahme der Beamtenrolle in die unbehagliche Position versetzt, Abschiebungen zu verfügen und sich so mit dem Schicksal der Betroffenen zu konfrontieren. Dem Szenario eignet dabei eine reizvolle Ambivalenz. Einerseits fordert es den kompromisslosen, gleichsam technischen Vollzug einer je gegebenen Migrationspolitik ein. Andererseits macht es durch den offensicht-
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McFadzean (2005: 4f.) stellt dar, dass die Konzeption zunächst vorsah, Besucher im Einklang mit der Perspektive der vorigen Abteilungen in die Position der Migranten zu versetzen. Im Weiteren kam das Planungsteam allerdings zu der Einschätzung, dass die auf diese Weise anvisierte Empathie oberflächlich bleiben würde und entschied entsprechend, die Situation umzukehren, um Besucher stattdessen mit den Emotionen von Zugelassenen und Abgelehnten zu konfrontieren. 315
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lichen Wandel der Bestimmungen über die Zeit zugleich die Veränderlichkeit dieser Politik deutlich und gibt damit Impulse für Kritik, die gegenwärtige Regelungen einschließt.58 Insgesamt kontrastiert es damit aufs Schärfste mit der Inszenierung der Grenzkontrolle im Museum Pier 21, wo Besuchern die sichere, moralisch komfortable Rolle der Migranten zugewiesen wird und die Thematik nicht zuletzt in der Personalisierung der freundlichen Grenzbeamten harmonisiert und entpolitisiert erscheint.
Abb. 34 und 35: Screenshots der simulierten Einwandererkontrolle In zweiter Hinsicht lässt sich ein Perspektivwechsel mit Blick auf die Ausrichtung der Dauerausstellung im Ganzen erkennen. Zu konstatieren ist nichts weniger als ein Übergang von der Inszenierung zur Dekonstruktion nationaler Meistererzählungen. Die Abteilung betrachtet die Veränderungen der australischen Einwanderungspolitik in engem Zusammenhang mit je dominanten Definitionen der nationalen Identität Australiens. Dabei legt sie historisch veränderliche Kategorisierungen von erwünschten und unerwünschten Einwanderern offen und koppelt diese an nationale Selbstbilder, die sie so als zeit- und machtabhängige
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Die Inszenierung kann indes auch eine gegenteilige Wirkung zeitigen. Wenn Besucher ausschließlich die gegenwärtigen Beispiele aufrufen und die Dimension des historischen Wandels außen vor bleibt, lässt sich beobachten, dass im Ergebnis nicht kritische Reflexion staatlicher Politik, sondern ihr identifizierender Nachvollzug gefördert wird. Gleichsam ins Hirn der Bürokratie versetzt, steht dann die Durchleuchtung der Migranten, der Lauterkeit ihrer Motive und Konsistenz ihrer Geschichten im Vordergrund, nicht jedoch die Infragestellung dieser inquisitorischen Praxis und ihrer politischen Grundlagen. So betrachtet, wäre die Inszenierung ein Paradebeispiel für einen ideologischen Effekt, den Bennett (1995: 98) im Anschluss an Gramscis Analyse des bürgerlichen Staates als prinzipielles Merkmal des modernen öffentlichen Museums ausmacht, nämlich die rhetorische Inkorporation einer demokratischen Bürgerschaft in die Prozesse des Staates.
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Konstruktionen ausweist.59 In vier aufeinanderfolgenden Sektionen ist dargestellt, welche Vorstellungen von Australien zu verschiedenen Zeiten hegemonial waren: Zwischen 1840-1900 dominierte das Bild von Australien als Vorposten des britischen Empires, eines „neuen Großbritannien“ in der südlichen Hemisphäre. 1901-1945 stand die Konzeption als homogen weiße Gesellschaft im Vordergrund, die nach wie vor in enger Verbindung mit Großbritannien stand, sich mit einer egalitären Gesellschaftsordnung aber gegen dessen strikte Klassenteilung absetzte. Auch in der Zeit zwischen 1945-1972 blieb Australien in der nationalen Imagination im Wesentlichen weiß und britisch geprägt. Arbeitskräftemangel führte indes zu einer langsamen Ausdehnung der Einwanderung auf nicht-britische Migranten, wodurch sich Ansätze kultureller Vielfalt zu zeigen begannen. In der jüngsten Phase zwischen 1973-2006 setzte sich schließlich die Vorstellung von Australien als multikultureller Nation durch, wobei die Frage nationaler Identität und diese spezielle Fassung weiterhin Gegenstand der Debatte blieben. In der diachronen Kontextualisierung erscheint somit auch die aktuelle Politik und nationale Identitätskonstruktion des Multikulturalismus als Produkt spezifischer historischer Bedingungen, als eine Phase und nur vorläufiges Ende der Geschichte. Noch expliziter ist das Problem der nationalen Identität Australiens in einem einführenden Text aufgegriffen. Unter der Überschrift „Immigration and national identity“ heißt es: „For over two centuries immigration has raised questions of national identity.“ Es folgt eine Reihe offener Fragen, die die Komplexität des Themas illustrieren: „What kind of society do we want? Is Australia a southern outpost of British culture? Or is its identity bound to Asia and the Pacific? Is there a ‚typical’ Australian? Or does the very idea of ‚typical’ deny the diversity of our society? How does Aboriginal identity fit into the idea of Australia as an immigrant nation? Can different cultures maintain their identities while participating in a ‚national’ identity?“
Weiterhin wird festgehalten, dass nationale Identität nicht quasi natürlich entsteht, sondern dass es sich dabei immer um Konstruktionen handelt, die etwa von Regierungen und „special interest groups“ machtabhängig verhandelt werden. Mit dieser konstruktivistischen Perspektive setzt sich die Abteilung merklich von der vorherigen ab. Während dort eine überhistorische „imagined community“ der Migranten inszeniert wird, wird solcherart Konstruktion hier als Konstruktion erkennbar. Während dort das Bild einer Gemeinschaft entworfen ist, die 59
Mit dieser Orientierung auf Bilder und gesellschaftliche Vorstellungen markiert die Darstellung – gleichsam phasenverschoben für den Museumsbereich – den Übergang von der Sozialgeschichte zu einer konstruktivistisch inspirierten Kulturgeschichte. Zur vorgängigen Entwicklung in der Geschichtsschreibung im Allgemeinen und der australischen im Besonderen vgl. Teo/White 2003. 317
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
auf gleichsam natürliche Weise aus der Geschichte selbst hervorgeht, wird hier verständlich, dass ein solches Bild weniger auf historischen Fakten, denn auf gegenwärtigen Sichtweisen basiert. Die Vorstellung von Australien als Nation der Einwanderer, die dort evoziert wird, ist hier explizit als spezifische „Idee“ ausgewiesen, die im Kontrast und Konflikt zu anderen Konzeptionen, etwa der indigener Identität steht. Im Lichte der abschließenden Abteilung wird so die Kontingenz der Perspektive des Immigration Museum selbst deutlich. Seine Inszenierung einer Meistererzählung der Einwanderung erscheint als zeitspezifische Produktion, die von der herrschenden Vorstellung einer multikulturellen Identität Australiens abhängt, die sie ihrerseits zu befördern und zu stabilisieren sucht.
Fazit: Einwanderungsgeschichte im Immigration Museum Melbourne Das Immigration Museum Melbourne ist ein vielschichtiges Beispiel für die institutionalisierte Musealisierung der Migration. Ich habe gezeigt, dass seine Gründung auf die direkte Initiative der Staatsregierung von Victoria unter Premier Jeff Kennett zurückging. Vorgesehen war es gleichermaßen als Instrument zur Unterstützung der Multikulturalismus-Politik und zur Förderung des Profils von Melbourne als australischer Kulturhauptstadt. Als bedeutende Weichenstellung in der Entstehung des Museums habe ich das Scheitern der Musealisierung von Station Pier beschrieben, das die Abkehr von einer in situ-Präsentation australischer Migrationsgeschichte, die Ausweitung des Betrachtungszeitraums und die institutionelle Verortung im Museumsverbund Museum Victoria nach sich zog. Die Ausgliederung der migrationshistorischen Abteilung aus dem interdisziplinären Melbourne Museum und deren separate Ansiedlung in Old Customs House markierte den Übergang von Migration als Thema des Museums zum Migrationsmuseum als eigenem Typ. In Bezug auf das Konzept des neuen Museums habe ich zunächst den relativ geringen Stellenwert der Geschichte seines Standortes für das museale Narrativ hervorgehoben. Als weitere Leitlinien wurden das emphatische Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt als Grundlage australischer Identität, das Verständnis von Einwanderung als gemeinschaftsstiftender Erfahrung und die damit einhergehende Entscheidung für die Betrachtung einer langen und maximal inklusiven Geschichte der Migration genannt. Die Darstellung sollte dabei auch kontroverse Aspekte des Themas aufgreifen und die Geschichte der Einwanderung nicht zuletzt in Beziehung zu derjenigen der indigenen Bevölkerung Australiens setzen. Im Einklang mit Positionen der New Museology wurde schließlich nicht nur hinsichtlich der Re-Präsentation, sondern auch in der Arbeit des Museums selbst ein inklusiver Ansatz gewählt, was sich insbesondere in der Einbindung von Communities in die Konzeption und Realisierung von Ausstellungen niederschlug. Die institutionellen Veränderungen seit Eröffnung des Mu318
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seums, namentlich die Abtrennung des Museum of Hellenic Antiquities, schärften schließlich das multikulturelle Profil des Museums und verliehen ihm über die Umgestaltung der abschließenden Ausstellungseinheit eine kritischere Note. Die Analyse der Dauerausstellung des Immigration Museum ergab einen komplexen Befund, der sich einer einfachen Synthese entzieht. Die Präsentationen der ersten Abteilung habe ich als implizite und unintendierte Projektion eines harmonisierten Bildes von Australien als „Lucky Country“ gedeutet. Demgegenüber erschienen die Protagonisten der musealen Erzählung, die Einwanderer, über die Vorstellung exemplarischer Biographien insbesondere hinsichtlich ihrer kulturellen Identität relativ facettenreich gezeichnet, wenngleich die Privilegierung von Erfolgsgeschichten bei der Auswahl wiederum eine affirmative Tendenz erkennen ließ. In der Betrachtung des Falles Niel Black habe ich eine spezifische Perspektive des Einwanderungsmuseums entdeckt, namentlich die positive Grundhaltung der Darstellung zugunsten der Migranten, und argumentiert, dass diese die Beleuchtung von Machtverhältnissen und Konflikten zwischen Einwanderern und Aborigines, aber auch zwischen Einwanderern und innerhalb der Einwanderungsgesellschaft erschwert. Die Schiffsinstallation im zentralen Long Room wurde als metaphorische Visualisierung der „vorgestellten Gemeinschaft“ der Migranten und mithin der Einwanderernation gedeutet. Zusammen mit den Namenswänden des Tribute Garden wird hier die nationale Meistererzählung der Einwanderung und die Vorstellung von Einheit in der Vielfalt, die sie trägt, am deutlichsten ins Bild gesetzt. Schließlich habe ich zwei Momente aufgezeigt, die als Irritationen dieser Meistererzählung gelten können. Die Bezugnahmen auf die Geschichte der Aborigines und die mehrdimensionale Thematisierung ihres Verhältnisses zur Geschichte der Migration machten zum einen deutlich, dass das Narrativ der Einwanderung immer nur einen Teil der australischen Bevölkerung einbezieht und die Vorstellung von der Einwanderernation mithin, auch in seiner weiten Fassung, exklusiven Charakter trägt. Zum anderen ließ die Problematisierung verschiedener Konzeptionen nationaler Identität im historischen Wandel das Prinzip des Multikulturalismus, das dem Immigration Museum als Basis und Leitbild dient, selbst als zeitspezifische Konstruktion erkennbar werden. Einordnen lässt sich der Befund vor dem Hintergrund von Ian McShanes (2001: 125-128) Ausführungen zu drei Beschränkungen der Präsentation von Migrationsgeschichte in australischen Museen. Als ersten Punkt kritisiert er die verbreitete Tendenz, die Reichweite der Betrachtung auf die Einwanderung nach dem Zweiten Weltkrieg zu begrenzen. Zum einen gerate dadurch der größere Kontext von Kolonisierung, Empire, Handel und Bevölkerungspolitik aus dem Blick. Zum anderen befördere ein solcher Fokus die vereinfachende Vorstellung einer bestehenden, monolithischen „australischen“ Bevölkerung, der die Migranten als Andere gegenüberstehen. Im Immigration Museum stellt sich dies, wie gezeigt, gänzlich anders dar. In der Auswahl der Biographien von „Settlings“ wie in der Zeitleiste, die diese umgibt, in den rekonstruierten Kabinen der Schiffs319
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installation in „Journeys“ wie in den migrationspolitischen Phasen, die der Abteilung „Getting In“ zugrunde liegen, ist eine lange Geschichte der Einwanderung nach Australien präsentiert, die vom Beginn der europäischen Besiedelung bis heute reicht. Statt der Konzentration auf eine eng definierte Epoche stellt hier also gerade der weite Betrachtungsrahmen ein entscheidendes Charakteristikum. Als zweiten Punkt nennt McShane das häufig problematische Verhältnis von Einwanderungsgeschichte und indigener Geschichte, insbesondere dort, wo die Darstellung bis zur europäischen Besiedelung zurückreicht.60 Im Immigration Museum lassen sich Spuren dieser Problematik in der Biographie von Niel Black finden, dessen Verantwortung für koloniale Gewalt in Abhängigkeit von seiner Rolle als Protagonist eines gefeierten Narrativs der Einwanderung unterbelichtet bleibt. Darüber hinaus ist der Komplex jedoch, wie dargestellt, in verschiedenen Formen verhandelt, die die Vielschichtigkeit des Gegenstandes reflektieren. Drittens schließlich moniert McShane einen verkürzten Begriff von Migration. Zu konstatieren sei zum einen, dass zumeist nur eine Richtung, nämlich die Einwanderung, betrachtet würde, und zum anderen, dass Verbindungen und Zusammenhänge zwischen inter- und intrakontinentaler Migration außen vor blieben. In diesem Punkt trifft die Kritik grosso modo auch auf das Immigration Museum zu. Zwar scheint in einzelnen Momenten, etwa der erwähnten Biographie von Lili Sigalas, eine komplexere Fassung des Prozesses auf, doch im Wesentlichen folgt das Museum einer Perspektive, die Australien als Zielpunkt und den Nationalstaat zum Maßstab nimmt. In dieser Hinsicht ist das Museum, wie schon sein Name anzeigt, ganz Immigration Museum. Abschließend lässt sich festhalten, dass das Immigration Museum Melbourne also – indem es kontroverse Themen wie Migrationspolitik und Rassismus aufgreift, indem es kulturelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart aufzeigt und dabei die Petrifizierung ethnischer Identitäten vermeidet, indem es, wiewohl schwierig und nicht ohne Verwerfungen, die Geschichte der Einwanderung und der Kolonisierung zusammenzudenken versucht – über frühere Re-Präsentationen australischer Geschichte und, gemessen an McShanes Ausführungen, alternative Varianten der Musealisierung von Migration in Australien hinausweist. Die Fixierung auf den nationalen Rahmen und, damit einhergehend, die Verwandlung des transnationalen Phänomens der Migration zur Konstruktion einer nationalen Einwanderungsgeschichte Australiens bleibt gleichwohl auch dem Immigration Museum Melbourne eingeschrieben und stellt seine gravierendste Beschränkung dar. Statt nationale Geschichtsdeutungen in Frage zu stellen, wird die Inszenierung der Migration so zum Bestandteil des geschichtspolitischen Pro60
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McShane (2001: 126, Anm. 11) nennt als eine Ausformung dieser Problematik die erwähnte Integration von Aborigines ins Einwanderungsnarrativ. Er geht allerdings fehl, wenn er eine solche Darstellung unter anderem dem Immigration Museum Melbourne zuschreibt.
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jekts, eine eigenständige australische Vergangenheit zu erschaffen (vgl. dazu Bennett 1995: 123). Hsu-Ming Teo (2003: 154) schreibt mit Blick auf die Geschichtsschreibung, doch nicht weniger zutreffend für museale Geschichtsdarstellungen: „As long as the history of Australia continues to be regarded as the history of the nation-state, cultural history will be co-opted to play a role in the construction of (a singular) national identity.“ Statt „multi(ple)-cultural histories“ sei das Ergebnis dann immer nur eine multikulturelle Geschichte, die letztlich als vereinheitlichend und als Elitenprojekt zu kennzeichnen sei. Im Hintergrund dieser Bemerkung steht eine grundsätzliche Kritik am australischen Multikulturalismus, wie sie etwa von Ghassan Hage (1998) oder Jon Stratton und Ien Ang (1998) formuliert wurde. Als Kernstück offizieller Regierungspolitik sei der Multikulturalismus eine Politik des Managements gesellschaftlicher und kultureller Unterschiede, „implemented by those in power precisely to advance the inclusion of ethnic minorities within Australian national culture“ (Stratton/Ang 1998: 137). Diese Integration sei nicht dazu angetan, die Artikulation und Virulenz kultureller Differenzen zu fördern, sondern diese in sichere Bahnen zu lenken. Widerspenstige und widerständige kulturelle Identitäten würden so in eine harmonische „unity in diversity“ eingepasst (ebd.: 156f.). Mit seiner Festlegung auf den nationalen Rahmen und der Aussparung von Konflikt zugunsten kultureller Vielfalt lässt sich letztlich auch das Immigration Museum Melbourne als Instrument einer solchen multikulturellen Geschichtspolitik begreifen.
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Kreuzungen, Knotenpunkte, Anschlussstellen
Ich habe einleitend formuliert, dass diese Studie drei Ziele verfolgt: erstens die vertiefte Analyse dreier Museen, die je für sich genommen bedeutende kulturelle Produktionen darstellen; zweitens die Bestandsaufnahme und Untersuchung alternativer Prozesse und Formen der Musealisierung von Migration in drei verschiedenen nationalen Kontexten und drittens die Diskussion der übergreifenden These von der Inszenierung und multikulturellen Re-Vision der Nation im Einwanderungsmuseum. Der erste Aspekt ist mit den drei Fallstudien abgegolten. Im Folgenden werde ich mich entsprechend zunächst der vergleichenden Betrachtung widmen. Ich tue dies – der Struktur der Fallstudien entsprechend – in zwei Schritten, zunächst hinsichtlich der Produktionsprozesse und im Anschluss mit Blick auf die jeweiligen Präsentationen. Sodann werde ich im Sinne eines vorläufigen Fazits nochmals den Zusammenhang zwischen der Musealisierung der Migration und der Inszenierung der Nation fokussieren. Schließlich wird ein dritter Abschnitt einen Ausblick versuchen. Hier werden Anschlussmöglichkeiten und Vorschläge formuliert, zum einen im Hinblick auf die weitere Erforschung von Migrationsmuseen, zum anderen auf deren zukünftige Realisierung.
Varianten der Musealisierung von Migration Drei Länder, drei Museen, drei Varianten der Musealisierung von Migration: Die Grundstruktur der vorliegenden Studie legt einen maßgeblichen und identifizierbaren Einfluss der nationalen Kontexte und Erinnerungskulturen auf die Genese und Gestalt der drei Einwanderungsmuseen nahe. In einer frühen Skizze meines Forschungsdesigns hieß es entsprechend: „Museale Re-Präsentationen erscheinen abhängig von den kulturellen Kontexten, aus denen sie hervorgehen, und tragen
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
im Gegenzug ihren Teil zu deren Konstitution bei. Immigrationsmuseen in verschiedenen Ländern institutionalisieren demnach die historische Erinnerung an das Phänomen der Einwanderung in kulturell spezifischen Formen.“ So richtig die Annahme im Allgemeinen sein mag, im Hinblick auf das Ergebnis dieser Untersuchung ist sie zu relativieren. Eine spezifische Färbung der musealen RePräsentation von Migrationsgeschichte, die unmittelbares Resultat verschiedener nationaler Kontexte wäre, lässt sich nicht nachweisen. Dies dürfte im Wesentlichen eine Ursache haben: Die Länder, in denen die hier betrachteten Einwanderungsmuseen verortet sind, weisen, wie einleitend festgestellt, sowohl im Hinblick auf ihre Migrationsgeschichte als auch deren aktuelle gesellschaftliche Diskursivierung eine relative Ähnlichkeit auf. Die USA, Kanada und Australien sind allesamt, wie ich mit Geißler (2003: 24f.) dargelegt habe, Einwanderungsländer klassischen Typs, die sich durch eine lange Einwanderungsgeschichte, eine lange multiethnische Tradition und ein Selbstverständnis als inklusive Staatsnationen auszeichnen. Des Weiteren sind alle drei geprägt durch ihr koloniales Erbe als Siedlergesellschaften und die resultierenden Spannungen zwischen indigener und Migrationsgeschichte. Auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Impulse der Musealisierung von Migration zeigen sich, wie einleitend ausgeführt, weitgehende Parallelen, namentlich in der seit den 1960er Jahren durchgesetzten Anerkennung des Wandels von kulturell homogenen zu pluralistischen Gesellschaften und der positiven Würdigung kultureller Vielfalt. Die Differenzen, die sich zwischen den nationalen Kontexten ausmachen lassen, bilden sich in den drei Museen nicht nachhaltig ab. Die spezifisch kanadische Konstellation von zwei sogenannten „Gründernationen“ etwa findet im Museum Pier 21 – von der landesüblichen Abfassung sämtlicher Texte in englisch und französisch abgesehen – keinen Ausdruck. Ebenfalls nur oberflächlich schlägt sich der Unterschied zwischen dem stärker politisch-ideologisch akzentuierten Nationsverständnis der USA (Stichwort: American Creed) und dem Multikulturalismus als Staatsideologie Kanadas und Australiens nieder. Während im Museum Pier 21 und im Immigration Museum Melbourne der Begriff des „multiculturalism“ omnipräsent ist, ist auf Ellis Island ausschließlich von „multiethnic/multiracial“ die Rede. Signifikant erscheint die Divergenz weniger im Hinblick auf die Form denn auf die Funktionalisierung der Re-Präsentation von Migrationsgeschichte. Direkter als das amerikanische scheinen das kanadische und das australische Einwanderungsmuseum zur Plausibilisierung und Legitimierung staatlicher Politiken des Multikulturalismus herangezogen zu werden. In dieser Untersuchung können die nationalen Kontexte mithin nicht erkennbar für Varianten der Musealisierung von Migration verantwortlich gemacht und als Erklärung herangezogen werden. Stärker in den Vordergrund rücken damit die spezifischen Verhältnisse der Museumsproduktion, also insbesondere die konkreten Akteure und Verläufe, die im nächsten, sowie die jeweils gewählten 324
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
Orte, die zu Beginn des darauf folgenden Abschnitts diskutiert werden. Ob dieser Befund allein aus der relativen Ähnlichkeit der Bedingungen in den USA, Kanada und Australien resultiert oder darauf hindeutet, dass die Bedeutung nationaler Kontexte für die Musealisierung der Migration generell zu relativieren ist, müssen Studien mit einem hinsichtlich der untersuchten Länder kontrastreicheren Design erörtern.
Produktionen „Museums have typically preferred the Wizard of Oz technique: exhibits present the anonymous voice of authority, while in reality texts are constructed by one or more curators hiding behind the screens of the institution.“ (Ames 2005: 48) Den Ausführungen zu den Entstehungsprozessen der drei Museen lag jeweils das Anliegen zugrunde, die von Michael Ames erwähnte „Mattscheibe“ der Institution, hinter der sich die Macher versteckten, transparenter zu machen. Versucht wurde, der „autoritativen Stimme“ der Museen ihre Anonymität zu nehmen und sie konkreten Gruppen, Personen und Positionen zuzuordnen. Versucht wurde weiterhin, Aushandlungen und Dynamiken zu erfassen, die bestimmte Entscheidungen und in einzelnen Fällen Kontroversen und Veränderungen motivierten. Anhand von vier Aspekten – Initiativen, Akteure, konzeptionelle Kernpunkte und Transfers – sollen die Befunde der drei Fallstudien im Folgenden gegenübergestellt werden.
Initiativen Im Hinblick auf die Initiativen hinter den Museumsprojekten fällt zunächst eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit ins Auge: Keines der drei Einwanderungsmuseen geht auf die Initiative von Migranten oder Organisationen ethnischer Gruppen zurück. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden diese zum Teil in die Planungen einbezogen, doch in allen drei Fällen kam der eigentliche Anstoß zur Gründung und Realisierung der Museen nicht „von unten“. Einwanderungsmuseen, verstanden als Institutionen, die sich nicht der Migrationsgeschichte einer einzelnen Herkunftsgruppe widmen, sondern diejenige eines Landes zum Bezugspunkt nehmen und in diesem Horizont die Geschichten verschiedener Gruppen zusammen betrachten, scheinen – wenn man die Ergebnisse dieser Studie auf eine Formel bringen wollte – ihren Ausgang weniger von den Rändern, denn von der Mitte (oder gar Spitze) der Gesellschaft zu nehmen. Es sind, um eine Differenzierung Gottfried Korffs (2005: 5) aufzugreifen, Museen über Migranten, gewiss auch für Migranten, jedoch nicht von Migranten.1 Dies unterscheidet Einwande-
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Diese Formulierung setzt ein nuancierteres Verständnis dessen voraus, wer in der Einwanderungsgesellschaft als Migrant zu gelten hat, als die Museen es selbst 325
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
rungsmuseen nicht zuletzt von Community-Museen, die sich in der Regel aus Aktivitäten ethnischer Minderheiten heraus entwickeln und von diesen getragen werden. Jenseits dieses charakteristischen Sachverhalts zeigen sich gewisse Unterschiede. Das Ellis Island Immigration Museum verdankt seine Realisierung – nach Jahrzehnten weitgehend fruchtloser Planungen – einer direkten Intervention des US-Präsidenten. Anlass war mit dem 100-jährigen Jubiläum der Freiheitsstatue im Jahr 1986 ein geschichtspolitisch aufgeladenes Ereignis von nationalem Rang. In diesem Kontext sahen Ronald Reagan und der von ihm mit der groß angelegten Fundraising-Kampagne betraute Chrysler-CEO Lee Iacocca die Musealisierung der Migration als Gelegenheit, die Größe der amerikanischen Nation zu feiern. Nach den unruhigen sechziger und siebziger Jahren sollte mit Lady Liberty und Ellis Island wieder symbolträchtig der amerikanischen Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten beschworen und Einwanderungsgeschichte als Folie für die Erneuerung traditioneller Werte wie Familie, Arbeit, Eigeninitiative und Opferbereitschaft herangezogen werden. Auch wenn im Prozess der Realisierung andere Akteure und abweichende Positionen hinzutraten, war das Museumsprojekt damit von Beginn an mit dezidiert geschichtspolitischer Stoßrichtung auf der nationalen Bühne angesiedelt. Anders stellt sich die Situation im Fall des Museum Pier 21 dar. Dieses hat seine Wurzeln im bürgerschaftlichen Engagement einer lokalen Organisation zur Erhaltung der letzten existierenden Einwanderer-Kontrollstation Kanadas. Zwei Motivationen lagen dieser zugrunde. Zum einen war sie geprägt durch die nostalgisch verbrämte Sicht des Initiators und ehemaligen Direktors der Einwanderungsbehörde von Nova Scotia, J. P. LeBlanc, der Pier 21 insbesondere zu einem Denkmal für die Grenzbeamten „who acted as true humanitarians in welcoming thousands of new Canadians“ (Pier 21 Story 1978) ausgestalten wollte. Mit Übernahme der Geschäfte durch Ruth Goldbloom kam eine weitere Strömung hinzu. Pier 21 sollte auch ein Zeichen für einen respektvollen Umgang mit Immigranten heute setzen sowie bestehenden Anti-Einwanderungstendenzen und Unzufriedenheiten mit dem Multikulturalismus in Kanada entgegenwirken. Die Musealisierung der Migration am Pier 21 wurde im Gegensatz zum Ellis Island-Projekt also von einer privaten Initiative angestoßen, die im Folgenden mit größten Anstrengungen versuchte, dem Unternehmen überlokale Dimension zu verleihen, nicht zuletzt um das Museum zu einer touristischen Destination von Rang zu erheben. proklamieren, wenn sie, wie verschiedentlich gezeigt wurde, darauf abstellen, dass alle US-Amerikaner, Kanadier und Australier Migranten seien. Um diesem Einwand zu begegnen, wäre zu präzisieren, dass es sich jedenfalls nicht um Museen von jüngst Eingewanderten handelt oder von Personen und Gruppen, die im gesellschaftlichen Diskurs vornehmlich als Migranten definiert werden oder sich selbst als solche begreifen und organisieren. 326
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
Der Staat trat erst später hinzu, indem er dem Projekt mit einer Teilfinanzierung die Realisierung ermöglichte. Seine Institutionen spielten in der Ausgestaltung indes keine Rolle. Ungeachtet dessen lässt sich jedoch auch das Museum Pier 21 nicht als „grass roots“-Initative beschreiben, denn über die starke Stellung Goldblooms rückte das Projekt in die Nähe der politischen und wirtschaftlichen Elite Kanadas. Die Gründung des Immigration Museum Melbourne erfolgte wiederum, ähnlich wie im Fall des Ellis Island Immigration Museum, auf Anstoß seitens der „großen Politik“, hier jedoch nicht auf nationaler, sondern einzelstaatlicher Ebene. Maßgeblich war die Regierung des Bundesstaates Victoria unter Jeff Kennett. Ein Einwanderungsmuseum sollte nach dessen Vorstellungen zum einen die Politik des Multikulturalismus unterstützen, indem es die lange Geschichte der Migration und des Zusammenlebens von Australiern unterschiedlicher Herkunft veranschaulichte. Zugleich sollte es im Zuge einer offensiven Kulturpolitik dazu beitragen, Victorias Hauptstadt Melbourne als Kulturmetropole Australiens zu profilieren. Nach dem Scheitern eines Vorläuferprojekts wurde die Umsetzung einem bestehenden Museum, dem Verbund von Museum Victoria, übertragen. Gemeinsam ist den drei Museen wiederum (mit Einschränkungen hinsichtlich des Immigration Museum Melbourne), dass keines aus einer bestehenden Sammlung zur Migrationsgeschichte hervorging. Abgesehen von den zentralen Großobjekten, den Gebäuden der Einwanderer-Kontrollstationen selbst, konnte das Museum Pier 21 zum Zeitpunkt seiner Initiierung auf keine, das Ellis Island Immigration Museum nur auf eine sehr geringe Anzahl Ausstellungsstücke zurückgreifen. Museum Victoria, das Mutterhaus des Immigration Museum Melbourne, hatte zwar wenige Jahr vor dessen Gründung eine migrationshistorische Abteilung eingerichtet und begonnen, eine Sammlung aufzubauen, doch war diese allein bei weitem nicht bedeutend genug, um die Überführung in ein eigenes Museum zu rechtfertigen. Die Musealisierung der Migration im Sinne einer Institutionalisierung eigenständiger Einwanderungsmuseen hängt, wenn man die drei hier untersuchten Fälle zur Grundlage nimmt, nicht von der Existenz einer bestehenden Sammlung ab. Entscheidend ist vielmehr der politischer Wille und die Überzeugung von der Notwendigkeit oder Nützlichkeit des neuartigen Museumstyps unter spezifischen gesellschaftlichen Umständen.
Akteure Hinsichtlich der Akteure und Verlaufsprozesse der Museumsproduktionen zeigte sich der Fall des Ellis Island Immigration Museum ungleich vielschichtiger und komplexer als die beiden anderen. Hier trafen Akteure mit verschiedenen, teils widerstreitenden geschichtspolitischen Interessen aufeinander, die sich in unterschiedlichen Dimensionen des Projekts in unterschiedlichem Maße durchsetzen 327
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
konnten. Dabei habe ich gezeigt, dass eine patriotisch glorifizierende Sicht von Einwanderungsgeschichte zwar der Initiierung des Projekts durch die ReaganAdministration zugrunde lag. In der Ausstellungskonzeption maßgeblich wurden jedoch mit den Projektverantwortlichen des U.S. National Park Service, der Recherche- und Designfirma MetaForm Inc. und insbesondere dem wissenschaftlichen Beirat aus renommierten Migrationshistorikern Verfechter der New Social History. Diese lehnten eine harmonisierte Version und konservative Funktionalisierung von Migrationsgeschichte explizit ab und verfolgten stattdessen das Projekt einer engagierten, kritischen Sozialgeschichte. Die Musealisierung der Migration sollte in erster Linie dazu beitragen, ehemals marginalisierte historische Erfahrungen und Gruppen im Museum zu ihrem Recht kommen zu lassen. Die Fundraising-Kampagne wiederum, die das Museumsprojekt öffentlichkeitswirksam begleitete und popularisierte, setzte zur gleichen Zeit werbestrategisch motiviert auf die Verbreitung stereotyper Bilder und positiver Mythen über die Einwanderung in die USA und verband sich darin mit der patriotischen Rhetorik des Präsidenten. Insofern ergab sich in der Produktion des Ellis Island Immigration Museum eine Kluft zwischen den Intentionen und Positionen der Ausstellungsmacher einerseits und dem öffentlichen Diskurs um Ellis Island andererseits. Vergleichbare Verwerfungen lassen sich für die Produktionsprozesse des kanadischen und australischen Einwanderungsmuseums nicht nachweisen.2 Im Wesentlichen lässt sich dies auf die bescheideneren Dimensionen der Projekte sowie eine begrenztere und homogenere Palette an Akteuren zurückführen. Die Entwicklung des Museum Pier 21 war dominiert von den skizzierten Vorstellungen seiner Initiatoren. In starker Stellung hinzu traten Ausstellungsdesigner, die den Präsentationen mit der Gestaltung auffälliger kulissenartiger Inszenierungen ein erlebnisorientiertes Profil verliehen. Fachwissenschaftler spielten dagegen in der Entwicklung des Museums nur eine marginale und Vertreter ethnischer Communities überhaupt keine Rolle. Die konzeptionelle Ausgestaltung des Immigration Museum Melbourne schließlich war weitgehend durch die institutionelle Trägerschaft seitens Museum Victoria geprägt. Mit der Eingliederung in diesen Museumsverbund und die maßgebliche Planung durch dessen Kuratoren rückte das Immigration Museum in den Radius der Neuen Museologie. Wenngleich auf direkte Initiative der Regierung von Victoria unter Premier Kennett gegründet und elementar in dessen kulturpolitisches Kalkül eingebunden, blieben politische Einflussnahmen auf die
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Hier muss noch einmal auf die materialbedingt eingeschränkte Reichweite des Befunds im Fall dieser beiden Museen hingewiesen werden. Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass – falls es in der Zukunft gelingen sollte, mehr oder anderes Quellenmaterial für die Untersuchung beizuziehen – mehr oder andere Konfliktlinien in deren Produktion zutage treten.
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
konkrete Realisierung des Museums aus. Als einziges der drei Museen wurden dagegen Migranten- und ethnische Organisationen in nennenswertem Umfang in die Entwicklung einbezogen. Eine Vielzahl von Einwanderer-Communities wurde vor Eröffnung umfassend konsultiert und ihre Vorstellungen, Erwartungen und Perspektiven in die Konzeption der Dauerausstellung eingespeist. Darüber hinaus flossen Stimmen der Öffentlichkeit nach der Eröffnung im Vergleich zu den beiden anderen Museen stärker in die Ausgestaltung des Museums ein. So wurde die abschließende Ausstellungseinheit aufgrund kritischer Reaktionen bereits nach kurzer Zeit überarbeitet und im Einklang mit deren Tenor an die Stelle einer objektreichen Feier der Beiträge verschiedener Gruppen zur kulturellen Vielfalt Australiens eine nüchternere Darstellung wechselnder Einwanderungspolitiken gesetzt.
Konzeptionen In Bezug auf die Leitlinien der Ausstellungskonzepte zeigt sich eine entscheidende Gemeinsamkeit: Alle drei Museen optierten für eine Version von Einwanderungsgeschichte als gruppen- und epochenübergreifende Erzählung mit möglichst inklusivem Charakter. Im Fall des Ellis Island Immigration Museum war die Konzeptentwicklung dabei von Beginn an von zwei Parametern bestimmt. Zum eine hatte sich das Museum gegen ein älteres Modell der Musealisierung amerikanischer Einwanderungsgeschichte, namentlich das 1972 eröffnete American Museum of Immigration, abzugrenzen. Dieses hatte sich vor allem aufgrund der Gliederung seiner Präsentation nach ethnischen Gruppen wiederholt Protesten und anhaltenden Forderungen nach Berücksichtigung unterrepräsentierter Gruppen gegenüber gesehen. Nicht zuletzt um solcherart Konflikte zu vermeiden, wurde nun ein alternativer Zugang gewählt und die Darstellung am Konstrukt einer „universal immigrant experience“ ausgerichtet. Zum anderen kristallisierte sich das Konzept in Auseinandersetzung mit den Implikationen des historischen Ortes Ellis Island. Dieser wurde ebenfalls in bewusster Abkehr vom Standort des American Museum of Immigration, der benachbarten Freiheitsstatue, gewählt und zwar sowohl wegen seines Charakters als historischer Schauplatz der Massenimmigration als auch aufgrund seiner weniger aufgeladenen Symbolik. Die Spannung zwischen der spezifischen Geschichte Ellis Islands und dem Versuch, eine weit gefasste Erzählung der amerikanischen Einwanderung zu präsentieren, prägte die Museumsproduktion im Weiteren nachhaltig. Seinen Niederschlag fand dies in zwei Tendenzen: Zum einen wurde in der Restaurierung und Ausgestaltung der auf der Insel befindlichen Gebäude der reibungslose Akt der Einwanderung herausgestellt, wodurch andere Aspekte der vielschichtigen Geschichte Ellis Islands, wie Internierung und Abschiebung, in den Hintergrund gedrängt wurden. Zum anderen wurde versucht, das Thema Einwanderung über 329
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
die für Ellis Island maßgebliche Epoche um 1900 hinauszuheben und die gesamte, lange Geschichte der Migration in die USA zu integrieren. Der Impuls hierfür entstand aus dem Anliegen der beteiligten Sozialhistoriker, eine Fixierung auf die eng begrenzte Phase der New Immigration und, damit verbunden, eine Privilegierung europäischer Einwanderer oder white ethnics zu vermeiden. Stattdessen – erinnert sei an die Bemühungen zur Einbindung von African Americans – sollte eine möglichst große kulturellen Vielfalt re-präsentiert werden, um Anschlüsse für eine Vielzahl historischer Erfahrungen und heutiger Besucher zu schaffen. Im Ganzen ergab sich aus dieser Konstellation eine eigentümliche Spannung zwischen ortsspezifischem Museum einerseits und nationalem Einwanderungsmuseum andererseits. Wie im Fall des amerikanischen Einwanderungsmuseums nimmt auch Pier 21 den historischen Ort zum Ausgangs- und Mittelpunkt seines Narrativs. Die zentrale Stoßrichtung des Konzepts wurde hier die Übersetzung des von den Migranten erlebten Einwanderungsprozesses in ein Erlebnis für Museumsbesucher. Über den simulierten Nachvollzug einzelner Phasen der Reise und des Grenzübertritts sollte Empathie mit und Verständnis für die Einwanderer erzeugt werden. Den Mittelpunkt der Präsentation bilden die Gefühle der Migranten und deren Nachempfindung das Ziel des Besuchs. Im engeren Sinn adressiert war in dieser Ausrichtung die Phase von 1928-1971, die aktive Zeit der Kontrollstation, und in besonderem Maße Kanadier, die selbst als Immigranten durch Pier 21 gekommen waren. Der Schwerpunkt wurde so auf die Einwanderung aus Europa gelegt, was in merklichem Gegensatz zur Selbstvermarktung als „Canada’s Immigration Museum“ steht, die die Re-Präsentation der gesamten Migration des Landes nahelegt. Eine geplante Erweiterung des Museums soll diese Kluft durch die Ausdehnung des Betrachtungszeitraums ausgleichen. Einstweilen behilft sich das Museum jedoch mit Rhetorik, indem die Einwanderung durch Pier 21 und damit der Ort selbst pars pro toto als repräsentativ für die gesamte Einwanderung nach Kanada vorgestellt wird. Charakteristisch für die Fassung kanadischer Migrationsgeschichte, wie sie von Pier 21 vertreten und verbreitet wird, wurde überdies die weitgehende Ausblendung von Konflikten und „dunklen Seiten“ in der Geschichte wie der Gegenwart des Einwanderungslandes Kanada. Nach dem erklärten Willen der Initiatorin Ruth Goldbloom sollten unrühmliche und umstrittene Aspekte, wie die lange gültigen rassistischen Grundsätze offizieller Migrationspolitik oder die Konjunkturen und Kontinuitäten der Xenophobie, zugunsten der Feier einer Erfolgsgeschichte kanadischer Einwanderung und der resultierenden multikulturellen Gesellschaft in den Hintergrund treten. Die Konzeption des Immigration Museum Melbourne war weniger von den Implikationen seines Standortes determiniert. Zwar weist auch Old Customs House, wo das Museum (nach einigen Umwegen eher zufällig) seinen Sitz fand, gewisse Verbindungen zur Migrationsgeschichte auf, doch sind diese weniger 330
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
signifikant als im Fall der ikonischen Stätten Ellis Island und Pier 21 bzw. wurden im Zuge der Planungen nicht als signifikant genug erachtet, um die museale Inszenierung darauf auszurichten. Ohne die Spannung zwischen einer spezifischen Geschichte des Ortes und einer übergreifenden Erzählung der Migration, die die beiden in situ-Museen prägt, legte das australische Museum seinen Präsentationen von Beginn an und durchgängig eine weite historische Perspektive zugrunde. Entlang des Leitsatzes „There’s an immigration experience in the life or family of all non-indigenous Australians“ sollen die Ausstellungen verdeutlichen, dass Australien im Allgemeinen und Victoria im Besonderen immer schon kulturell vielfältig waren. Das Konzept orientierte sich dabei in mehrfacher Hinsicht an Positionen der New Museology. Gegen die Ausschlüsse marginalisierter Stimmen in der Vergangenheit setze es das Leitbild maximaler Inklusion. Seinen Niederschlag finden sollte dies hinsichtlich der Re-Präsentation im Museum, des Zugangs zum Museum und schließlich – anders als in den beiden anderen Fällen – über die Einbeziehung der Repräsentierten auch hinsichtlich des kuratorischen Ansatzes. Weiters sprachen sich die Macher in auffälligem Gegensatz zum Museum Pier 21 dafür aus, kontroverse Themen in Geschichte und Gegenwart aufzugreifen und – von der rassistischen White Australia Policy bis zur aktuellen Debatte über die Aufnahme und Behandlung von Asylsuchenden – eine Plattform für deren Diskussion zu bieten. Ähnlich wie im Fall des Ellis Island Immigration Museum wurde angesichts des Problems der adäquaten RePräsentation einer Vielzahl ethnischer Gruppen entschieden, Migrationsgeschichte entlang von übergreifenden „Dimensionen der Migrationserfahrung“ zu erzählen. Im Gegensatz zu den Fassungen der beiden anderen Museen wurde schließlich die Geschichte der indigenen Bevölkerung und ihr Wechselverhältnis mit aufeinanderfolgenden Migrationen von Beginn an in der Konzeption berücksichtigt. Erklären lässt sich dieser Unterschied zum einen wiederum aus dem Wegfall der Konzentration auf einen historischen Ort, durch die die Kolonisierung des Landes und ihre fortwirkenden Effekte stärker in den Fokus rückten. Maßgeblich war zum anderen die institutionelle Verankerung des Immigration Museum Melbourne in Museum Victoria, wo nicht zuletzt bedingt durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln in der kolonialen Museumstradition des 19. Jahrhunderts die reflektierte Re-Präsentation von Aboriginal-Geschichte zum kuratorischen Kernbestand gehört. Aufs Ganze gesehen zeigen sich so nicht zuletzt Differenzen in der politischen Positionierung, insbesondere hinsichtlich der Bereitschaft zur Thematisierung kontroverser Aspekte, wie Xenophobie, Rassismus und restriktive Einwanderungspolitik. Ohne die Befunde im einzelnen zu rekapitulieren, lassen sich hier merkliche Abstufungen konstatieren. Am Pier 21 bleiben solcherart schwierige Geschichten weitestgehend außen vor. Im Ellis Island Immigration Museum sind sie für die Vergangenheit dokumentiert, Kontinuitäten und Aktualitäten in der 331
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Gegenwart werden jedoch kaum aufgegriffen. In Melbourne wiederum reicht die Darstellung bis an die jüngste Zeit heran, und das Museum versucht, dem Leitbild des Forums gemäß aktiv die Debatte über Einwanderung und multikulturelle Gesellschaft anzuregen.
Transfers Direkte Transfers von einem Einwanderungsmuseum zum anderen lassen sich vor allem zwischen Ellis Island und Pier 21 erkennen. Anzunehmen ist, dass das amerikanische Modell bereits hinsichtlich der Grundidee – der Einrichtung eines Museums in einer ehemaligen Einwanderer-Kontrollstation – dem Museum in Halifax Pate stand. In dessen Realisierung wurden die Bezugnahmen dann überdeutlich. Im Interesse der Popularisierung und im Zuge der FundraisingKampagne wurden explizit Parallelen gezogen, etwa wenn Pier 21 als „Canada’s answer to Ellis Island“ tituliert wurde oder wenn nach dem Vorbild der American Immigrant Wall of Honor auf Ellis Island auch im kanadischen Museum eine Einwanderer-Ehrentafel installiert wurde, die im Wesentlichen zur Finanzierung des Projekts dient. In Melbourne hatte sich das Vorläufer-Projekt des Immigration Museum, die Musealisierung des migrationshistorisch bedeutsamen Station Pier, ebenfalls dezidiert das Ellis Island Immigration Museum zum Vorbild genommen. Als diese Pläne jedoch aus finanziellen Gründen scheiterten und das Museum in der heutigen Form auf den Weg gebracht wurde, spielten die Vorgaben des New Yorker Modells keine weitere Rolle mehr. In jüngerer Zeit scheint sich ein Transfer vom Immigration Museum Melbourne zum kanadischen Pier 21 anzudeuten. Das dort neu eingerichtete Programm „Community Presents“ zur stärkeren Einbindung von Migranten-Organisationen in die Ausstellungsarbeit ist nicht zuletzt von der sogenannten Access Gallery des australischen Museums motiviert (Interview James Morrison 16.8.2006).
Präsentationen Im Anschluss an die Rekonstruktion der Produktionsprozesse widmeten sich die Fallstudien den permanenten Präsentationen der drei Einwanderungsmuseen. Im close reading von Objekten und Objektensembles, von Text-Bild-Relationen und Modi der Inszenierung wurden Bedeutungen entdeckt und Interpretationen entfaltet. Wie hinsichtlich der Produktionen zeigen sich in der Zusammenschau der Präsentationen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den drei Varianten der Musealisierung von Migration. Erschlossen werden sollen diese im Folgenden auf einer „mittleren Ebene“, die sowohl die Diskrepanzen hinsichtlich des Gesamtumfangs der Museen – fünf eigenständige Dauerausstellungen auf Ellis Island gegenüber je einer durchgehenden in Halifax und Melbourne, 9000 qm 332
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
Fläche hier gegenüber 900 qm bzw. 1200 qm dort – als auch die Eigenheiten der spezifischen Inszenierungen im Detail, von einzelnen Objekten, Geschichten oder Gestaltungen außen vor lässt. Fünf Dimensionen seien dabei beleuchtet: die Orte, die Perspektiven der Erzählung, das Bild der Migranten, die Bilder der Migration und die Darstellung des Verhältnisses von Migrations- und indigener Geschichte.
Schau-Plätze Zunächst gilt es also nochmals die jeweiligen Orte der Musealisierung von Migration zu betrachten, deren Bedeutung als Rahmen der Inszenierung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In besonderem Maße betrifft dies die beiden in situ-Museen, das Ellis Island Immigration Museum und das Museum Pier 21. In beiden Fällen zieht die Verortung in ehemaligen Einwanderer-Kontrollstationen zwei weitreichende Konsequenzen nach sich: Zum einen ist in der Wahl der spezifisch konnotierten historischen Schauplätze unmittelbar die Grenze als dominantes Motiv der musealen Erzählung aufgerufen. Die Implikationen dieses Motivs und seiner Ausformungen werden weiter unten ausgeführt. Zum zweiten hat die Wahl der Orte und ihre Zentralstellung in der Inszenierung, wie in den obigen Bemerkungen zu den Leitlinien der Ausstellungskonzepte angedeutet, Auswirkungen auf die Reichweite des Narrativs. Hier wie dort ergibt sich eine Spannung zwischen einer Kernerzählung, die sich vom historischen Ort herschreibt, und dem Anliegen der Re-Präsentation einer langen Geschichte der Einwanderung. Die Kernerzählung konzentriert sich in Abhängigkeit von den aktiven Zeiten der Kontrollstationen im Falle Ellis Islands auf die Periode zwischen 1890 und 1920, im Falle Pier 21s dagegen auf die Zeit zwischen 1928 und 1971.3 Gemeinsam ist den Museen jedoch, dass damit Migrationen aus Europa und die Wanderungsgeschichte von white ethnics im Mittelpunkt stehen. In den Blick kommen so nicht zufällig in erster Linie Gruppen, die in den USA und Kanada zum Zeitpunkt der Museumsgründungen bereits fest etabliert waren und entsprechend ausreichend gesellschaftliches Gewicht erlangt hatten, um Forderungen nach Re-Präsentation ihrer Geschichte auf die gesellschaftliche Agenda zu heben. Die Ausdehnung des Narrativs über diese Kernerzählung hinaus schlägt sich nun im Ellis Island Immigration Museum weit stärker und nachhaltiger nieder als am Pier 21. Dort beschränkt sie sich, solange die geplante Erweiterung des Museums nicht realisiert ist, auf die mediale Inszenierung eines kulturell vielfältigen und verschiedene historische Epochen verknüpfenden Migranten-Mosaiks am
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Ein weiterer, hier nicht nochmals ausgeführter Unterschied liegt darin, dass das Ellis Island Immigration Museum im Gegensatz zu Pier 21 in eine symbolisch verdichtete Erinnerungslandschaft eingebunden ist. 333
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Ende der Ausstellung sowie auf offizielle Verlautbarungen, wonach Pier 21 gleichsam stellvertretend für die kanadische Einwanderungsgeschichte im Ganzen genommen werden könne. Auf Ellis Island widmet sich dagegen eine der fünf permanenten Ausstellungen, „The Peopling of America“, dem Überblick über 400 Jahre Einwanderung nach Amerika. Überdies werden Bilder und Objekte außereuropäischer Migration an möglichst vielen Stellen in die Präsentation eingestreut. Gleichwohl bleibt auch hier ein Gefälle. Durch die Anbindung an den historischen Schauplatz werden in beiden Museen zeitgenössische Migrationen ebenso wie die ursprüngliche Besiedlung Amerikas nur marginal oder gar nicht thematisiert, und es zeigt sich ein Überhang weißer, europäischer Einwanderung. Grundlegender noch lässt sich festhalten: Der geschichtspolitisch motivierte Versuch der Inszenierung einer übergreifenden Erzählung am spezifisch konnotierten historischen Ort, der gleichermaßen einer demokratischen Öffnung der Re-Präsentation wie der Konstruktion eines national verbindenden Narrativs verpflichtet ist, tendiert im Ergebnis zur Einebnung von Differenzen zwischen unterschiedlichen Migrationsbewegungen, -bedingungen und -erfahrungen. In der metonymischen Subsumption verschiedener historischer Wanderungen unter Ellis Island und Pier 21, in der Überblendung von Migrationsgeschichte mit diesen ikonischen Orten werden disparate Migrationen dem Erfolgsmodell einer europäischen Mustermigration anverwandelt. Das Immigration Museum Melbourne verkörpert in dieser Hinsicht eine alternative Variante. Obschon ebenfalls in einem historischen Gebäude untergebracht, ist seine Inszenierung nicht von dessen Geschichte bestimmt. Die Geschichte des Ortes ist in wenige separate Hinweistafeln und eine kleine Ausstellungssektion ausgelagert. Ansonsten nimmt das Einwanderungsmuseum Old Customs House als tabula rasa. Die Zeichen der Zeit sind abgezogen und scheinen in der neuen Nutzung nicht mehr durch. Der Ort interveniert nicht in die museale Erzählung. Auf diese Weise kann das australische Museum ohne die Privilegierung bestimmter Epochen oder Herkunftsgruppen seine lange Geschichte der Einwanderung von den Anfängen der Kolonie Victoria bis heute entfalten.
Perspektiven Mit der Betrachtung von Perspektiven der musealen Erzählung sind zwei Dimensionen aufgerufen, die sich vielfach bedingen, jedoch nicht notwendig in eins fallen: zum einen die Blickwinkel, aus denen die Museen Migrationsgeschichte erzählen, zum anderen die Positionen, die Besuchern über spezifische Formen der Ansprache und Verortung im Narrativ zugewiesen werden. Dabei zeigt sich, dass alle drei Museen die Perspektive der Migranten zur Grundlage nehmen, diese jedoch in unterschiedlichem Maße variieren. Während Pier 21 sich vollständig dieser Sicht „von unten“ verschreibt, versucht das Ellis Island Immigration Museum 334
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in begrenztem Umfang einen Perspektivenmix und das Immigration Museum Melbourne den expliziten Perspektivwechsel. Im Museum Pier 21 gibt bereits der Titel der permanenten Ausstellung „The Immigration Experience“ die Leitperspektive vor. Die Orientierung am Erleben der Einwanderer strukturiert hier das Narrativ im Ganzen ebenso wie die Inszenierung einzelner Sektionen und die Texte einzelner Labels. Mit den Stationen „Leaving“, „Travelling“, „Waiting“, „Customs“, „First Steps“ und „CrossCountry“ folgt die Präsentation dem Weg der Migranten und erheischt dessen performativen Nachvollzug im Rahmen des Ausstellungsrundgangs. Weiters wird über die Rekonstruktion eines begehbaren Ozeandampfers und eines scheinbar fahrenden Zuges versucht, Besucher in die Rolle der Einwanderer zu versetzen. Schließlich zielen die Einführungstexte jeder Ausstellungseinheit auf Totalimmersion, indem sie ihre Leser in der 2. Person Singular direkt als Immigranten ansprechen und mit diesen in eins setzen: „You sat on wooden benches waiting to see the Canadian immigration officer. It could take hours before your turn came…“ Und auch dort, wo Besucher nicht unmittelbar mit den Protagonisten der Erzählung identifiziert werden, wird die Geschichte der Migration – etwa in Oral History-Interviews und illustrativen Zitaten – nahezu ausschließlich aus Sicht der Einwanderer geschildert. Im Ellis Island Immigration Museum variiert die Erzählperspektive stärker, nicht zuletzt aufgrund der Verschiedenheit der fünf eigenständigen Ausstellungen. Zwei von ihnen orientieren sich eher an einem Makro-Blick auf die Geschichte der Insel bzw. auf demographische Entwicklungen in den vergangenen Jahrhunderten. Die direkte Ansprache von Besuchern als Migranten wird im gesamten Museum vermieden. Gleichwohl dominiert auch hier eine Strategie der Empathie. Dies beginnt bereits mit der Bootsfahrt, die das Publikum, wie einst die Immigranten, zur Insel bringt und so jeden Besuch des Museums rahmt, und setzt sich fort in der Eingangsinstallation aus Hunderten von Koffern, die in die „wiederhergestellte Atmosphäre“ der Kontrollstation einführt. Die empfohlene Route durch das Museum ist explizit dem Weg der Einwanderer durch das Gebäude nachempfunden, „symbolically following in the footsteps of the immigrants“, wie es im Ausstellungskonzept heißt. Die beiden zentralen Ausstellungen zum formalen Kontrollprozess und dem weiteren historischen Kontext, „Through America’s Gate“ und „Peak Immigration Years“, folgen in ihrer Grundstruktur dem Erleben der Migranten, im ersten Fall gar präsentiert in den originalen Inspektionsräumen. Im Verfolg dieses Weges schreiben sich Besucher in das museale Narrativ der Migration ein. Die Perspektive der Einwanderer ist überdies auch hier in Interviews stark präsent, wird jedoch in anderen Teilen des Museums durch faktische Information aus auktorialer Sprechposition auf breiter Basis ergänzt.
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Das Immigration Museum Melbourne vollzieht im Hinblick auf die Perspektive seiner Erzählung noch stärkere Brüche. Zunächst erscheint die Gesamtstruktur seiner permanenten Ausstellung entlang von vier Momenten des Migrationsprozesses, ähnlich wie am Pier 21, ganz auf ein Nacherleben des Schicksals der Migranten ausgerichtet zu sein. Indem die räumliche Abfolge der Abteilungen – „Leavings“, „Settlings“, „Journeys“, „Getting In“ – gemessen an einer idealtypischen Chronologie der Migrationserfahrung jedoch keine lineare, sondern vielmehr eine diskontinuierliche Erzählung bildet, provoziert die Präsentation weniger Einfühlung und Versenkung als erhöhte Aufmerksamkeit für Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten. Innerhalb dieses Rahmens entwirft jedoch auch das australische Museum, nicht zuletzt über die breite Vorstellung biographischer Zeugnisse, großteils eine Version von Einwanderungsgeschichte aus dem Blickwinkel der Migranten. Der sinnfälligste Versuch, diese mit der Perspektive der Betrachter kurzzuschließen, ist das begehbare Schiff im Zentrum der Ausstellung. Auch hier werden Besucher in der 2. Person Singular angesprochen („It’s five weeks since you sailed from Ireland…“). Hier finden sie sich – ganz wie in toto am Pier 21 und in Teilen auf Ellis Island – in der Rolle der Einwanderer wieder. Doch schon in der nächsten Abteilung, die den Wandel australischer Migrationspolitik im Wechselspiel mit Definitionen nationaler Identität thematisiert, erfolgt der Perspektivwechsel. Statt des Blickwinkels der Migranten wird Besuchern nun die Perspektive staatlicher Bürokratie zugewiesen. In Person eines Beamten der australischen Einwanderungsbehörde treten sie im Rahmen einer Computer-Simulation ihrerseits Einwanderungswilligen gegenüber und sind aufgerufen, gemäß je historisch gültiger Bestimmungen über deren Zulassung oder Abschiebung zu entscheiden. Was sind die Implikationen dieser Erzählperspektiven und Rollenzuweisungen? Der Impuls für die Orientierung der Re-Präsentation von Migrationsgeschichte an den Perspektiven der Migranten ist offensichtlich der Versuch, den Subjekten der Geschichte eine eigene Position und Stimme zu geben. Statt die Individuen in der Konzentration auf „die große Politik“ oder anonyme Strukturen aus den Augen zu verlieren, sollen ihre Erfahrungen und ihr Geschick in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Die Überblendung der Besucher- mit der Einwandererperspektive, wie sie im Nachvollzug bestimmter Momente der Migration im Verlauf der Ausstellungsrundgänge angelegt ist, soll schließlich Identifikation und damit Empathie befördern. In der Untersuchung der drei Fälle zeigte sich indes eine weitere Konsequenz, namentlich eine Korrelation zwischen den Perspektiven der Darstellung und der Thematisierung bzw. Dethematisierung politischer Verhältnisse: Je ausschließlicher sich die Perspektive am Erleben der Einwanderer ausrichtet, desto stärker tritt die Beleuchtung bürokratischer Strukturen und wechselnder Politiken gegenüber Migranten in den Hintergrund. Je hermetischer die Präsentation – wie in Halifax – auf Einfühlung setzt, desto we336
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niger reflektiert sie die historischen Bedingungen von und gesellschaftlichen Reaktionen auf Einwanderung. Je mehr – wie in Melbourne – wechselnde Perspektiven eingenommen und die Sicht „von unten“ mit der Logik administrativer Mechanismen kontrastiert wird, desto eher gelingt es, die Komplexitäten von Migration in ihren je spezifischen Bedingungen sichtbar zu machen.
Das Bild der Migranten Damit zu einem weiteren Aspekt: dem Bild der Migranten, wie es in den Ausstellungen gezeichnet wird. Wenn, wie gesehen, in allen drei Museen die Einwanderer selbst in weiten Teilen die Protagonisten der Erzählung stellen, so lohnt eine genauere Betrachtung, wie diese – im doppelten Sinne – vorgestellt werden. In den Präsentationen aller drei Museen stehen die einfachen, anonymen Migranten im Mittelpunkt. Dieser Fokus auf die Vielen wird explizit einer Hervorhebung einzelner prominenter Einwanderer entgegengesetzt. Interessanter als diese Gemeinsamkeit sind allerdings die Unterschiede im Hinblick auf die Kategorien, die eingeführt werden, um zwischen der Ebene der Einzelpersonen und der Gesamtheit der Einwanderer zu vermitteln, und die gleichsam alternative „Ordnungen der Migranten“ in den drei Museen etablieren. Das Ellis Island Immigration Museum stellt nationale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit in den Mittelpunkt. Exemplarisch gezeigt habe ich diese Tendenz an einer Galerie historischer Einwandererporträts im zweiten Stock des Museums. Die eindrücklichen Aufnahmen einzelner Immigranten werden in den Beschriftungen mit standardisierten Labels belegt und die Individuen so in ethnischnationale Typen verwandelt: „Danish immigrant“, „Ruthenian immigrant“, „Algerian immigrant“ etc. Dabei reproduziert das Museum den ethnisierenden Blick des Fotografen, der die Bilder anfangs des 20. Jahrhunderts aufnahm, beziehungsweise verschärft diesen noch durch die Auswahl von Bildern und Bildausschnitten. Diese Art der Kennzeichnung der Migranten, die von anderen Identitätsmarkern (Klasse, Geschlecht, Alter…) wie von individuellen Geschichten gleichermaßen abstrahiert und sich in Objektbezeichnungen durch das gesamte Museum zieht, steht in eigentümlicher Spannung zu den Leitlinien des Ausstellungskonzepts. Während dieses sich, wie dargestellt, in Abgrenzung zum älteren American Museum of Immigration bewusst gegen eine Gliederung von Migrationsgeschichte nach Herkunftsgruppen entschied, bricht unter dem stattdessen verfolgten Konstrukt einer „universal immigrant experience“ die ethnischnationale Ordnung wieder durch. Das Museum Pier 21 dagegen sortiert seine Einwanderer entlang von Migrationsursachen. Der Text der einschlägigen Abteilung, überschrieben „People“, führt aus: „A million arrived here: immigrants, refugees, displaced people, war brides, evacuee and home children.“ In den folgenden Hörstationen werden je337
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weils Einwanderer verschiedener Herkunft unter diesen Sammelbezeichnungen zusammengefasst. Kulturelle Identitäten werden dabei weitgehend ausgeblendet. In der maßgeblichen Inszenierung des Immigration Museum Melbourne schließlich erfolgt die Ordnung nach einer Chronologie, die jedoch eher einen losen, tendenziell arbiträren Rahmen denn ein festes Schema stellt. In mehreren biographisch ausgerichteten Vitrinen werden komplexe und facettenreiche individuelle Charaktere und Geschichten vorgestellt. Die Einwanderer des Immigration Museum Melbourne sind nicht auf eindimensionale Kategorien festgelegt. Ihre Biographien werden vielschichtig gezeichnet und reflektieren gleichrangig Aspekte wie Herkunft, Geschlecht, Alter, soziale Schicht und städtische oder ländliche Prägung. Überdies verdeutlichen sie die Unwägbarkeiten von Migration sowie die prozesshafte Entwicklung von Identitäten in ihrem Kontext. Jenseits dieser Differenzen zeigt sich indes eine weitere Gemeinsamkeit in der Charakterisierung der Migranten, die sich geradezu als Strukturmerkmal des Einwanderungsmuseums bezeichnen lässt. Alle drei Präsentationen positionieren sich, wie in den Ausführungen zu den Perspektiven der Darstellung angedeutet, emphatisch auf Seiten der Einwanderer. Die Inszenierungen zielen nicht allein auf Empathie, sondern auf Sympathie mit den Immigranten. Nicht nur wird Migrationsgeschichte in weiten Teilen aus deren Blickwinkel geschildert, diese sind gewissermaßen die positiven Helden der Geschichte, Helden „von unten“. Erklären lässt sich diese Parteinahme, die in allen drei Museen deutlich wird, durch den Einfluss der Neuen Sozialgeschichte auf die Musealisierung der Migration, die Verpflichtung auf die Re-Präsentation lange Zeit marginalisierter Geschichten und das Anliegen der Zelebrierung kultureller Vielfalt. In der Konsequenz finden sich praktisch nirgends negative Darstellungen von oder auch nur kritische Äußerungen gegenüber Migranten. Die Ausstellungen entwerfen vielmehr ein Bild vom „guten Einwanderer“. Problematisch ist dieses nicht nur aufgrund seiner Einseitigkeit und Wirklichkeitsferne im Blick auf einzelne – denn selbstverständlich gibt es unter Einwanderern, wie überall, Verbrecher, Betrüger, kleine und große Ganoven. Harmonisiert sind im Bild des „guten Einwanderers“ mehr noch Konflikte und Diskriminierung zwischen Migranten – verschiedener Herkunft, verschiedener sozialer oder ökonomischer Stellung, zwischen Migrantinnen und Migranten, in Geschichte und Gegenwart – sowie Spannungen zwischen und innerhalb von Einwanderer-Communities.
Bilder der Migration Inszenierungen sind angewiesen auf Leitbilder. Als Visualisierung spezifischer Deutungen rekurrieren sie implizit oder explizit auf bestimmte Motive, um ihren Gegenstand zur Anschauung zu bringen. Für die Musealisierung der Migration identifiziert Ian McShane (2001: 129) in diesem Sinne zwei dominante Me338
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
taphern: die Reise und die Grenze. Dieser Befund, entwickelt aus einer Durchsicht australischer Migrationsausstellungen, lässt sich mit Blick auf die hier untersuchten Museen bestätigen und im Folgenden weiter ausführen. Mit dem Phänomen Reise steht das Museum nach Barbara KirshenblattGimblett (1998: 43f., 132-136) von jeher in engster Verbindung. Reiseerfahrungen mit ihrer Möglichkeit der unmittelbaren Beobachtung des Fremden wurden seit dem 18. Jahrhundert in ethnologischen Museen zum Model für Ausstellungen und ihre geographischen Verläufe zu deren Ordnungsprinzip. Ausstellungen dienten im Gegenzug und in besonderem Maße vor der Ära des Massentourismus als Surrogat für Reisen an fremde Orte. In neuerer Zeit kehren sich die Verhältnisse um, wenn Museen selbst zu Knotenpunkten touristischer Reisen werden, diese gar selbst organisieren oder sich mit Filialgründungen an deren Hauptrouten ansiedeln. Mit der Einführung populärer „Museumspässe“, die verschiedene Museen oder innerhalb eines Museums verschiedene Abteilungen verbinden und bei Besuch abgestempelt werden, reproduzieren Museen schließlich selbst die Protokolle des Reisens. Im Einwanderungsmuseum wird diese Verbindung nun konkreter und rückt näher an das spezifische Thema. Reise ist hier inszeniert als Metonym und Metapher des eigentlichen Gegenstands, der Migration. In signifikanter Weise findet das Motiv der Reise Ausdruck im Museum Pier 21 und im Immigration Museum Melbourne. Aufgerufen ist es in beiden Fällen, wenn auch, wie in den Ausführungen zu Erzählperspektiven vermerkt, in unterschiedlicher Konturierung, in der Struktur der permanenten Ausstellung mit Abteilungen, die verschiedene Phasen der Reise re-präsentieren. Aufgerufen ist es dort weiterhin in einzelnen prominenten Inszenierungen: dem imposanten Schiff im australischen sowie dem Schiff und Zug im kanadischen Museum. Im Ellis Island Immigration Museum spielt es dagegen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die Inszenierung von Migrationsgeschichte im Bild der Reise legt das Augenmerk auf die reale Bewegung von Menschen im Raum. Migration meint so in erster Linie Mobilität. Anders als im Motiv der Grenze ist Migration damit nicht von vornherein auf den nationalstaatlichen Rahmen verwiesen und öffnet sich überdies zu anderen Formen der Reise, wie Tourismus, Pilger- oder Forschungsfahrt.4 Zugleich ließe sich im Gefolge von McShane (2001: 129) kritisieren, dass eine Fassung von Migration im Zeichen der Reise die Einwanderer in ihrem Migrantenstatus fixiert und andere Dimensionen ihrer Existenz ausblendet: „If the journey is given sole emphasis, migrants remain stubbornly migrants“.
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Zum Konnex Migration/Tourismus vgl. Holert/Terkessidis 2006; weitere Dimensionen des Reisens im Verhältnis zu Erinnerung und kulturellem Erbe diskutiert Urry 2000: insbes. 40-42. 339
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Im Blick auf die Inszenierungen der Museen in Halifax und Melbourne scheinen mir zwei weitere Implikationen wesentlich: Zum einen tendiert deren Fokus auf Einwanderung dazu, das polyvalente Motiv der Reise auf die Bewegung in eine Richtung zu verkürzen. Am Pier 21 sind Schiff und Zug etwa in ein lineares Gesamtnarrativ eingebunden, das seinen Ausgangs- in Übersee und seinen Endpunkt in Kanada findet. Und auch im Immigration Museum Melbourne ist das inszenierte Schiff, das das Motiv der Reise sinnfällig verdichtet, eindeutig und ausschließlich auf das eine Ziel Australien hin ausgerichtet. Der Eindruck wird noch verstärkt durch eine Weltkarte am Ende der Installation. Die LEDAnzeigen, die dort die Veränderungen von Reiserouten und -geschwindigkeiten anzeigen, kennen nur eine Richtung, laufen beständig auf den australischen Kontinent zu. Wenngleich das Museum, weit mehr als sein kanadisches Gegenstück, vor allem in seinen Einwanderer-Biographien die Unwägbarkeiten sowie das sprichwörtliche Hin und Her von Wanderungsprozessen deutlich zu machen versucht, konstruiert es in dieser Ausgestaltung des Motivs der Reise ebenfalls ein Bild von Migration als Einbahnstraße. Zum zweiten erscheint die Reise als reale Bewegung von Menschen im Raum im Rahmen des inszenatorischen Motivs metaphorisch überblendet. Aus einem Bestandteil des Migrationsprozesses verwandelt sie sich in ein Sinnbild individueller Entwicklungen im Verlauf der Migration. Die Schiffspassage, die große Überfahrt, auch die Fahrt über Land werden zum rite de passage, zum Übergang vom einen in ein anderes Leben, eine andere Identität. Hier erfährt die lineare Einhegung des Reise-Motivs zusätzliche Brisanz. Wenn das Bild einer geradlinigen Bewegung zwischen Ausgangs- und Endpunkt schon mit Blick auf tatsächliche Wanderungen beschränkt erscheint, so wird es erst recht zweifelhaft als Metapher für die Verwandlung von Identitäten im Kontext der Migration. Auf die metaphorische Dimension hebt auch Iain Chambers (1996: 6) ab, wenn er Reisen und Migration in diesem Sinne paradigmatisch gegeneinander stellt: „Reisen impliziert eine Bewegung zwischen festen Punkten, einen Abreiseort, einen Ankunftspunkt und die Kenntnis einer Route. […] Im Gegensatz dazu bedeutet Migration eine Bewegung, in der weder die Orte der Abreise noch die der Ankunft unveränderlich oder sicher sind. Sie verlangt nach einem Wohnen in Sprache, in Geschichtlichkeiten, in Identitäten, die ständiger Wandlung unterworfen sind.“ Wenn die teleologische Verkürzung des Migrationsprozesses, gegen die sich Chambers wendet, mit der Metaphorisierung des Reise-Motivs in den Präsentationen beider Museen als Tendenz angelegt ist, so zeigen sich dennoch graduelle Unterschiede: Das Museum Pier 21 setzt explizit auf eine solche Deutung, wenn es etwa die Sektion, die der Darstellung des eigentlichen Immigrationsakts folgt, „First Steps“ überschreibt und damit die Vorstellung von Einwanderung als veritabler Neugeburt evoziert. Das Museum in Melbourne versucht dagegen, insbesondere in den erwähnten Biographien, die Annahme 340
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linearer Verläufe und einfacher Transformationen mit komplexeren Lebenswegen und Identitätskonstruktionen zwischen Hier und Dort zu kontrastieren. Das zweite dominante Motiv ist die Grenze. Wie in der Diskussion der Standorte der Einwanderungsmuseen angemerkt, ist dieses im Ellis Island Immigration Museum und im Museum Pier 21 durch die Verortung in ehemaligen Einwanderer-Kontrollstationen unmittelbar aufgerufen. Auf Ellis Island durchzieht das Leitbild der Grenze die gesamte Präsentation. Neben dem Setting, dem historischen Gebäude und der Insellage findet es seinen sinnfälligsten Ausdruck in der Great Registry, die früher der Einwanderer-Selektion diente und heute den räumliche und atmosphärische Kern der Inszenierung bildet. Gefestigt wird es des Weiteren in den Ausstellungen, die dem eigentlichen Kontrollprozess gewidmet sind, oder in anderen Teilen des Museums mit Sammelvitrinen voller Pässe oder anderer Ausweisdokumente. In Halifax ist das Motiv der Grenze neben dem Ort an sich in der Rekonstruktion des Schreibtischs eines Grenzbeamten im Zentrum der Präsentation verdichtet. Als solches ist es dort eingebunden in das übergreifende Motiv der Reise und sticht zugleich als klimaktischer Moment, als Mittel- und Höhepunkt, aus diesem hervor. Im Immigration Museum Melboune tritt das Motiv der Grenze dagegen in den Hintergrund und spielt nur in der abschließenden Ausstellungseinheit „Getting In“, dort vor allem in der mehrfach erwähnten Computer-Simulation zur Auslese von Einwanderungswilligen, eine maßgebliche Rolle. Der politische Geograph Anssi Paasi (1996: 28) weist darauf hin, dass die Produktion und symbolische Repräsentation von Grenzen immer einen räumlich und historisch kontingenten Prozess darstellt. Im Kern gehe es um die Etablierung und Reproduktion der grundlegenden Vorstellung einer „social binary opposition“, einer Unterscheidung von „wir“ und „die anderen“. Die Musealisierung der Migration am Ort und im Zeichen der Grenze nimmt eben diese Opposition zum Ausgangspunkt und organisiert sich um sie. Dabei zeigen sich zwei Stoßrichtungen: Einerseits rücken auf diese Weise Formen und Funktionen der Abgrenzung von Innen und Außen, von „uns“ und „den anderen“ in den Fokus der Darstellung. Eine Erzählung von Migrationsgeschichte im Leitbild der Grenze kann in diesem Sinne die Rolle des Nationalstaats bei der Regulierung und Reglementierung von Migration zum Vorschein bringen. Sie kann in besonderem Maße die Rolle wechselnder Einwanderungspolitiken, historisch wandelbare Definitionen von erwünschten/unerwünschten Migranten sowie Mechanismen von Ein- und Ausschluss thematisieren. Eine Diskussion dieser Aspekte findet sich zu einem gewissen Grad im Ellis Island Immigration Museum, insbesondere in der Darstellung der Prinzipien und Prozeduren der Einwandererkontrolle in der Ausstellung „Through America’s Gate“. In Melbourne prägt sie die letzte Ausstellungseinheit und koppelt dabei die ein- und ausschließenden Operationen der Grenze explizit an historisch kontingente Vorstellungen von den Konturen, vom 341
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Innen und Außen der Nation. Am Pier 21 hingegen findet die Auseinandersetzung mit der Grenze als politisch gesteuertem Auslesesystem kaum statt. Dort und – wie ich gezeigt habe – aufs Ganze gesehen auch im Ellis Island Immigration Museum steht die zweite Verarbeitung der binären Konstellation im Vordergrund: ein Narrativ des Übergangs, eine Erzählung, wie aus „den anderen“ „wir“ wurden. Sowohl auf Ellis Island als auch im Museum Pier 21 werden die Grenzstationen umgewertet von Institutionen des Ausschlusses zu Orten des Willkommens, der Aufnahme von Migranten in die neue Gesellschaft. Ähnlich wie in der metaphorischen Fassung des Reise-Motivs, nun jedoch stärker moment- denn prozesshaft gedacht, wird zugleich eine quasi mühelose Transformation von Identitäten im Ereignis der Einwanderung insinuiert: aus einer heterogenen Masse werden im Akt des Überschreitens der Grenze neue Amerikaner oder Kanadier. Die Grenze, an der die Geschichte der Migration scheinbar kulminiert und kondensiert und in deren Zeichen sie ins Bild gesetzt ist, wird so von einer Demarkationslinie, die Innen und Außen der Nation trennt, zum mythischen Ort des gemeinsamen Ursprungs und des Ursprungs von Gemeinsamkeit.
Kolonialismus und indigene Geschichte Wie gestalten die Einwanderungsmuseen in ihren Präsentationen schließlich das Verhältnis von Migrations- und indigener Geschichte? Die Frage berührt aus zwei Gründen einen neuralgischen Punkt. Denn zum einen gerät das integrative Potential des Migrationsnarrativs, mag dieses auch noch so inklusiv formuliert sein, im Hinblick auf indigene Geschichte und Perspektiven unwillkürlich an seine Grenze. Zum anderen ist in diesen stets auf die Geschichte des Kolonialismus als einer speziellen Form der Migration verwiesen.5 Die Geschichte der Einwanderung ist in den postkolonialen Siedlergesellschaften der USA, Kanadas und Australiens aufs Engste mit der Geschichte der europäischen Kolonisierung der Länder verbunden. Das eine ist in vielem eine Konsequenz des anderen. Aufgrund der vom heutigen Standpunkt aus zumeist gegenläufigen geschichtspolitischen Bewertung der historischen Phänomene stellt sich für die Musealisierung der Migration in diesen Ländern ein Problem: Wie lässt sich die lange Geschichte der Einwanderung feiern, wenn deren Ursprünge in der Enteignung und Vernichtung indigener Bevölkerungen liegen? Den Fassungen der drei Museen gemeinsam ist, dass nirgends versucht wird, Native Americans oder Aborigines, wie mitunter entgegen deren Selbstverständ-
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Konfligierende Sichten von Indigenen und Nicht-Indigenen auf die Geschichte der Einwanderung und deren Inszenierung im Museum erörtert etwa Simpson (1996: 42) anlässlich der 500-Jahr-Feier der „Entdeckung“ Amerikas. Für vergleichbare Auseinandersetzungen in Australien vgl. Frie 2007.
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nis vorgeschlagen wurde, als Ur-Migranten in die große Erzählung der Einwanderung zu integrieren. Jenseits dessen ist der Umgang jedoch sehr verschieden. Im Museum Pier 21 ist der Komplex gänzlich ausgeklammert, was seinem engen zeitlichen Fokus auf das 20. Jahrhundert, nicht jedoch dem übergreifenden Geltungsanspruch als „Canada’s Immigration Museum“ gerecht wird. Auf Ellis Island erwähnt eine Tafel in der Überblicksausstellung „The Peopling of America“, dass der Kontakt mit Europäern den Indianern Krankheiten, Krieg, Deportation in Reservate und die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensformen brachte. Im weiteren Kontext der Ausstellung sind diese Verbrechen jedoch in einer grundsätzlich positiven Erzählung eingerahmt und überschrieben. Als Teil des „pageant of immigration“, den der Einführungstext und die gesamte Museumspräsentation feiern, sind es die Kolonisatoren, auf denen die Tradition aufbaut, nicht die Traumata ihrer Opfer. Einzig im Immigration Museum Melbourne durchziehen Verweise auf Geschichte und Perspektiven von Aborigines die Darstellung über weite Strecken und etablieren so das Bild einer komplexen Beziehungsgeschichte. Wenngleich das schwierige Verhältnis von indigener und Migrationsgeschichte so offensiver und nachhaltiger thematisiert ist als in den beiden anderen Museen, bleibt auch hier der Eindruck ambivalent. Einerseits sind koloniale Konflikte und Gewaltverhältnisse sowie divergierende Perspektiven an verschiedenen Stellen im Museum benannt. Andererseits finden sich auch hier – erinnert sei an die zurückhaltende Schilderung der Machenschaften des KolonialMigranten Niel Black und die Liebesgeschichte von Alick und Merle Jackomos, die als glückliche Verbindung von Migrant und Aborigine inszeniert ist – harmonisierende Momente.
Das Einwanderungsmuseum: Bühne zur Inszenierung der multikulturellen Nation Die Zusammenschau der Produktionen und Präsentationen förderte einige Unterschiede und Ähnlichkeiten im Profil der drei hier untersuchten Einwanderungsmuseen zu Tage. Jenseits der Eigenheiten der jeweiligen Ausgestaltungen wurde dabei deutlich, dass die Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte, einer „common“ oder „shared experience“ der Einwanderung mit möglichst großer Reichweite und inklusivem Charakter ein zentrales Merkmal der Immigrationsmuseen darstellt. Hier liegt, so gilt es abschließend zu unterstreichen, der Schlüssel zum Verständnis der neuen Institution und ihrer spezifischen Signifikanz. Denn auf Grundlage dieser übergreifenden Erzählung von der „imagined community“ der Immigranten wird das Einwanderungsmuseum zur Bühne für die Inszenierung der multikulturellen Nation.
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Entscheidend sind dabei zwei Momente, mit denen sich der neue Museumstyp von älteren Versionen, die Nation zu imaginieren und zu inszenieren, absetzt. Zum einen nimmt er die Kritik am exklusiven und elitären Charakter des Museums auf, die im Rahmen der New Museology formuliert wurde. Über die Einbeziehung lange Zeit marginalisierter Geschichten und eines breiten Spektrums historischer Erfahrungen schafft es eine Erzählung der Nation „von unten“. Zum anderen zielt sein Narrativ nicht mehr auf die Homogenisierung kultureller Heterogenität, wie sie nach Foster (1991) für traditionelle Inszenierungen des Nationalen charakteristisch ist, sondern gerade auf das Zur-Schau-Stellen von Heterogenität im Sinne einer Feier kultureller Vielfalt, die es zugleich jedoch im nationalen Rahmen einfasst. Verdichtet und sinnfällig ins Bild gesetzt ist diese Kernerzählung von der kulturellen Vielfalt im Rahmen der Einheit der Nation in den drei Einwanderungsmuseen in der Figur des „Containers“. Verstanden sei darunter eine visuelle Metapher, in der Unterschiede zwischen einzelnen oder Gruppen zum einen herausgestellt, zum anderen gebündelt und gleichsam in einem größeren Ganzen aufgehoben sind.6 Auf Ellis Island und im Museum Pier 21 wirken bereits die Gebäude in diesem Sinne als Container. Indem in Ausstellungstexten und Begleitmaterialien vielfach wiederholt wird, dass dies die authentischen Orte seien, durch die die Einwanderer gekommen sind, wird ihnen eine verbindende Kraft zugeschrieben. Jenseits der Rhetorik geradezu emblematisch im Raum realisiert ist die Figur des zusammenhaltenden, begrenzenden Rahmens in der Great Registry auf Ellis Island. Es ist das Herz des Museums und gleichzeitig symbolisch seine Hülle. Die Halle ist leer gelassen und vereinigt doch atmosphärisch die gesamten einzelnen, disparaten Geschichten auf sich und in sich. Doch auch im kleineren Maßstab finden sich solche Heterogenität rahmende und Einheit verheißende Container-Inszenierungen. Erinnert sei an die Vitrine in der Ausstellungseinheit „Treasures from Home“, die die unterschiedlichsten Dinge zeigt, die
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Mein Gebrauch des Begriffs „Container“ für diese spezifischen Formen der Inszenierung nimmt in loser Weise Ulrich Becks Rede von der „Container-Theorie der Gesellschaft“ auf, die er als charakteristisch für die Erste Moderne analysiert und kritisiert (Beck 1997: insbes. 49-54). Gesellschaften sind dieser Anschaung zufolge Nationalstaaten zu- bzw. nachgeordnet und mithin als in erster Linie nationalstaatlich konstitutiert gedacht. Heterogenität im Innern wird durch die Fixierung des äußeren Rahmens, der nationalsstaatlich-territorialen Grenzen, gebündelt. Beck (1997: 50) schreibt: „Erst in dieser gedanklichen und institutionellen Architektur werden ‚moderne’ Gesellschaften zu einzelnen, gegeneinander abgegrenzten Gesellschaften. Sind sie doch im Machtraum der Nationalstaaten wie in einem Container aufgehoben.“ Überdies fasst der englische Begriff „to contain“ mit seinen Bedeutungsfacetten „einbinden“, „einfassen“, aber auch „im Schach halten“ treffend den symbolische Gehalt dieser Inszenierungen kultureller Vielfalt.
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Einwanderer bei ihrer Einreise mit sich führten. Die entscheidende Bedeutung des Arragements, so habe ich argumentiert, entdeckt sich weniger in den einzelnen Dinge, zu denen jenseits ihrer Herkunft aus unterschiedlichen Weltregionen nicht viel zu erfahren ist, sondern in der schieren Tatsache, dass sie bei all ihrer Unterschiedlichkeit in der einen Vitrine ihren Platz finden. Die Ordnung der Dinge in diesem Schaukasten, kulturell vielfältig und zugleich harmonisch vereint, verkörpert das Idealbild von „unity in diversity“. In Melbourne lässt sich das Gebäude wegen seiner andersartigen historischen Nutzung weniger sinnfällig als Container inszenieren. Doch ganz folgerichtig wurde im Zentrum des Gebäudes und des Ausstellungsnarrativs ein Ersatz konstruiert: das stilisierte Schiff, das begehbar ist und rekonstruierte Kabinen aus verschiedenen historischen Phasen enthält. Der einleitende Text expliziert den Tenor einer verbindenden Erzählung, den die Schiffs-Installation in eine räumlich-visuelle Metapher transformiert: „All immigrants, no matter when they arrived in Victoria, are linked by the common experience of a journey.“ Ähnlich wirkt die Inszenierung des stilisierten Zuges im Museum Pier 21, wo Einwanderer unterschiedlicher Herkunft in Video-Interviews von ihren je eigenen Erfahrungen berichten. Wenn die Geschichten auch in separaten Abteilen laufen, so sind sie doch vereint im Container des Zuges, der ihre Protagonisten noch dazu stetig und sicher in die gleiche Richtung zu bewegen scheint. Eine andere Form der Inszenierung einer vermeintlich kollektiven Erfahrung der Migration und der „imagined community“ der Einwanderer sind die Ehrentafeln, die sich in allen drei Museen finden. Die American Immigrant Wall of Honor auf Ellis Island, die Sobey Wall of Honour am Pier 21 und der Tribute Garden des Immigration Museum Melbourne folgen bei gewissen Abweichungen in Größe und Gestaltung allesamt demselben Prinzip: Sie versammeln Tausende Namen von Einwanderern verschiedener Epochen und Herkünfte auf gravierten Edelstahltafeln und formen daraus ein harmonisches Ganzes.7 Über die Nennung der Namen ist zum einen die individuelle Dimension der Migration aufgerufen und in deren unterschiedlichem Klang scheint die Verschiedenheit der kulturellen Hintergründe der Migranten auf. Zum anderen fügt die strenge Ordnung der alphabetischen Liste die individuellen Namen jeweils in ein gleichförmiges, vereinheitlichendes Raster ein, in dem die Individualitäten kollektiv aufgehoben erscheinen. Die historischen Einwanderer sind über die Namenslisten der Denkmale in die vorgestellte Gemeinschaft der Einwanderernation eingeschrieben. Jen7
Der Tribute Garden des Immigration Museum Melbourne hebt sich in zweierlei Hinsicht von den beiden anderen Installationen ab: Zum einen wurde er nicht, wie die Walls of Honor auf Ellis Island und am Pier 21, zu Fundraising-Zwecken eingerichtet. Zum anderen sind hier mit den Namen der Aborigine-Gruppen, die einst die Region des heutigen Victoria besiedelten, auch Referenzen zur Geschichte der indigenen Bevölkerung aufgenommen. 345
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seits der Funktion als visuelle Metaphern eignet den Ehrentafeln auch eine performative Dimension, die nicht zuletzt die fortwährende gegenwärtige Aktualisierung von deren Bedeutung sichert. Sie werden zum Schauplatz eines täglich wiederholten Rituals, in dem heutige Besucher, insbesondere Nachfahren ehemaliger Einwanderer, die Listen der Namen abschreiten, einzelne berühren und zum Teil abpausen. Dabei erweisen sie durch das Berühren der Namen nicht nur individuellen Migranten, vielfach ihren Vorfahren, ihre Reverenz, sondern sind im gleichen Zug „in touch“ mit der Nation. Die Gesten transzendieren so die individuell-familiäre Dimension und werden zu Ritualen der Nation. Auf Ellis Island und im Museum Pier 21 wird die „common experience“, die in diesen verschiedenen Präsentationsformen ihren Ausdruck findet, zusätzlich explizit und im Wortsinn mit der Symbolik der Nation überformt. Am Ende des erwähnten Zuges im Museum Pier 21 findet sich etwa ein kurzer Film, der in schnellen Schnitten Bilder von „kulturell vielfältigen“ Menschen zeigt, die sich schließlich zu den Klängen der Nationalhymne „O Canada“ in eine kanadische Flagge auflösen. Die Installation im Zentrum der abschließenden Ausstellungseinheit auf Ellis Island folgt einem ganz ähnlichen Prinzip: Eine Vielzahl fotografischer Porträts von Individuen, trotz der Schwarz-Weiß-Bilder eine ostentativ „bunte“ Mischung, transformiert sich im Vorübergehen nach und nach in die Stars and Stripes der amerikanischen Fahne. Diese Bilder sind perfekte Metaphern der wohlgeordneten, konfliktfreien, multikulturellen Einwanderernation. In diesen speziellen Inszenierungen wie in ihren Präsentationen im Allgemeinen arbeiten die drei Museen an der Konstruktion und Etablierung von Migration als nationaler Meistererzählung. Einwanderung wird als die positive gemeinsame Erfahrung präsentiert und diese gemeinsame Erfahrung stiftet die Grundlage der Nation. Durch die doppelte Bewegung der Anbindung an und Abstraktion von den je besonderen Erfahrungen einzelner wird die „vorgestellte Gemeinschaft“ der Migranten plausibilisiert und naturalisiert. Gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit der großen Erzählung von der Nation der Einwanderer, die in den Museen inszeniert wird, ist in ideologiekritischer Perspektive freilich stets deren Konstruiertheit zu betonen. Denn es ist nicht eine quasi-natürliche gemeinsame Erfahrung der Migration, die die Nation fundiert, sondern das geschichtspolitische Verlangen nach nationaler Gemeinschaft in Zeiten kultureller Pluralisierung konstruiert Migration (mit ihrer Unzahl disparater Verläufe) erst als verbindende Erfahrung. Eine Reflexion dieses Verhältnisses – und damit bis zu einem gewissen Grad der eigenen narrativen Operation – leistet in Ansätzen einzig das Immigration Museum Melbourne, indem es australische Selbstbilder im Wandel der Zeit zur Diskussion stellt und so deren Abhängigkeit von spezifischen historischen Bedingungen offenlegt. Wie dargestellt, vollzieht sich die Geburt des Einwanderungsmuseums aus dem Geiste der Kritik älterer musealer Darstellungen von Geschichte, insbeson346
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dere wo diese auf Eliten und kulturelle Homogenität orientiert waren. Indem sie auf die Inszenierung der Nation abzielt, „erbt“ die neue Institution zugleich gewisse Hypotheken. Zum einen ist dies die Verschleierung innergesellschaftlicher Konfliktlinien zugunsten eines „‚kameradschaftlichen’ Verbund[s] von Gleichen“ (Anderson 1996: 17). Verschiedenheit wird allein kulturell gefasst, und kulturelle Vielfalt überlagert sozioökonomische Ungleichheit als dominante Sicht gesellschaftlicher Unterschiede. Gegensätzliche Positionen und Interessen politischer oder ökonomischer Art werden in der vorgestellten Gemeinschaft der Einwanderer harmonisiert. Diskrepanzen in den historischen Bedingungen der Migration und deren Nachwirkung in der heutigen Einwanderungsgesellschaft werden überschrieben. Die Inszenierungen zeitigen auf diese Weise einen „equalising effect“ (Cochrane/Goodman 1992: 179): Die Frage, unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunkt jemand immigrierte – vor 300 Jahren oder vorgestern, als Siedler oder dessen Sklave, als Flüchtling oder angeworbener Arbeitsmigrant – und welchen Niederschlag dies in der Schichtung der Einwanderergesellschaft findet, tritt in der Meisterzählung der Migration in den Hintergrund. Die Konstruktion einer „gemeinsamen Geschichte“ der Einwanderung, die den Zusammenhalt und das gegenseitige Verständnis in der multikulturellen Gesellschaft fördern soll, trägt so dazu bei, soziale Hierarchien und Machtverhältnisse zu befestigen. Im Lichte dessen lässt sich für die untersuchten Einwanderungsmuseen die Inszenierung kultureller Vielfalt insgesamt kritisch beleuchten. Denn ohne die eingehende Thematisierung sozialer und historischer Ungleichheiten wird das „banner of multiculturalism“, unter dem sich die drei Museen versammeln, selbst problematisch, wie Bella Dicks (2003: 151) im Anschluss an Annie Coombes (1992) feststellt, „since it provides an easy and unchallenging means for exhibitions to celebrate cultural diversity as a ‚scopic feast’ and a ‚contented global village’. Under this banner, they can avoid engaging with the realities of racist and unequal relationships between ex-colonial and ex-colonized countries, and between genders and classes. In other words, displaying difference can make it into a fetish that serves to conceal the political interests at stake in its production and maintenance.“
In dieser limitierten Form trifft dann auch die Kritik von Preziosi/Farago (2004: 235), wonach die Bewegung der New Museology, die sich mit ihrer zentralen Forderung nach Inklusion in den Einwanderungsmuseen manifestiert, nichts anderes als eine geschmeidige, auf aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse abgestimmte Form des Gesellschaftsmanagements darstelle, „a set of practices to make diverse populations governable“. Die andere Hypothek, die das Einwanderungsmuseum in seiner Orientierung auf die Inszenierung des Nationalen weiterträgt, ist die Produktion spezifischer
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
Ausschlüsse. Wenn die Meistererzählung der Migration auch auf größtmögliche „inclusiveness“ angelegt ist, (er)findet sie in der Geschichte der indigenen Bevölkerung stets ihr konstitutives Außen. Das prekäre Verhältnis zwischen indigener und Migrationsgeschichte mag in den Museen, wie dargestellt, in unterschiedlichem Maße reflektiert sein, doch im Bild einer „vorgestellten Gemeinschaft“ der Einwanderer, das alle drei entwerfen, werden Indigene unwillkürlich aus der Nation hinausgeschrieben. Mit der Verpflichtung auf den nationalen Rahmen aktualisiert das Einwanderungsmuseum schließlich ein Charakteristikum, das bereits bei der Geburt des Museums Pate stand: die Verwandlung universaler in nationale Geschichte.8 Der Migrationsforscher Klaus Bade hebt die erstere, die menschheitsgeschichtliche Dimension globaler Wanderungsbewegungen hervor, wenn er schreibt: „Migration gehört zur Conditio humana wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“ (Bade u.a. 2007: 19). Anders formuliert: Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Migrationen. In den Einwanderungsmuseen wird diese über- und potenziell antinationale Perspektive nun national gewendet: Die Geschichte der amerikanischen, kanadischen, australischen Nation ist die Geschichte der Immigration in die USA, nach Kanada, Australien. Der Begründungszusammenhang verschiebt sich vom globalen auf den nationalen Rahmen. Aus dem Homo migrans, den Bade und seine Kollegen proklamieren, wird ein Homo migrans americanensis, canadiensis, australiensis. Statt die nationale Partition der Welt im Zeichen weltweiter Wanderungen zu hinterfragen, wird – umgekehrt – die globale und universalgeschichtliche Bewegung der Migration national zugerichtet. Was Beier-de Haan (2005a: 70) für das bikulturelle Nationalmuseum Neuseelands Te Papa Tongarewa feststellt, gilt denn auch dezidiert für die besprochenen Einwanderungsmuseen: Im Bemühen der multikulturellen Nation eine Grundlage zu schaffen, in der Verpflichtung auf ein Konzept von Einheit in der Vielfalt, können sie es „kaum noch zulassen, sich mit Auflösungserscheinungen des Nati8
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Tony Bennett (1995: 76f.) skizziert diesen im Wortsinn fundamentalen Vorgang mit Blick auf die Aktivitäten von Museen des 19. Jahrhunderts, insbesondere auf dem Feld der Archäologie: Zum einen seien – nicht zuletzt unter dem Eindruck kolonialer Rivalitäten – immer umfänglichere Grabungen durchgeführt worden, die sich nun weit über die klassische Antike hinaus erstreckten. Der Zeithorizont musealer Sammlungen sei so immer weiter in die Vergangenheit ausgedehnt worden, um in deren Tiefen eine Universalgeschichte der Zivilisation zu entdecken. Zugleich sei diese Universalgeschichte in den Operationen der jeweiligen Nationalmuseen einer neuerfundenen, nationalen Geschichtsschreibung anverwandelt worden, indem die Sammlungen „nationaler“ Gegenstände hier stets als Kulmination jener menschheitsgeschichtlichen Entwicklungen vorgeführt wurden.
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onalen infolge der Mobilität von Menschen oder Informationen und Waren zu befassen“. Statt als Ausgangspunkt trans- oder postnationaler Narrative fungiert die Inszenierung der Migration in der Fassung der untersuchten Museen so lediglich als Fundierung der Nation unter gewandelten Bedingungen. Cochrane/Goodman (1992: 176) formulieren im Zusammenhang mit der Australian Bicentennial Exhibition aus dem Jahr 1988, die ebenfalls eine nationale Meistererzählung der Migration konstruierte, ein Fazit, das treffend auch die Basis und Zielrichtung der Einwanderungsmuseen charakterisiert: „[T]here were signs that the old style, consensual representation of the nation is no longer possible […] In it a new kind of ‚imagined community’ was present: one which sought to encompass a politically and culturally heterogeneous society, to accomodate people to a future of rapid and uncertain change, and to sustain the national form, while acknowledging the internationalisation of culture.“
Einwanderungsmuseen sind in diesem Sinne eine paradigmatische Antwort auf die Krise der Re-Präsentation des Nationalen und eine Bühne für die Re-Vision der Nation im Zeichen des Multikulturalismus. Ihre Inszenierung von Migrationsgeschichte findet ihre letztliche Bestimmung, wie Nina Glick Schiller (2004: 454) für das Konzept kultureller Vielfalt im nationalen Rahmen allgemein beschreibt, als „an alternative narrative for celebrating national unity“. Wie wäre der neue Museumstyp also abschließend zu verorten? Der Trend zur Musealisierung der Migration in den letzten Jahren und wenigen Jahrzehnten ist eine bedeutende und überfällige Entwicklung und Einwanderungsmuseen sind wichtige Formen ihrer Institutionalisierung. Die Genese dieses neuen Typs dokumentiert eine Öffnung der Institution Museum für eine größere Bandbreite von Geschichten und gesellschaftlichen Gruppen. Einwanderungsmuseen rücken die Erfahrungen und Erinnerungen von Migranten – auch in sogenannten klassischen Einwanderungsländern lange Zeit marginalisierte Aspekte – ins Zentrum des Diskurses und sind prominente Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung kultureller Vielfalt. Die Verankerung einer Geschichte und Gegenwart der Migrationen im gesellschaftlichen Selbst-Bewußtsein ist als Voraussetzung für den Kampf gegen soziale Ungleichheit, Rassismus und Ausgrenzung von überragender Bedeutung. Wenn Einwanderungsmuseen hierzu einen Betrag leisten, kann ihre zunehmende Verbreitung nur begrüßt werden. Ich habe in der Betrachtung der drei real existierenden Einwanderungsmuseen aus den USA, Kanada und Australien gleichwohl versucht, auf eine Tendenz hinzuweisen, die als problematisch oder zumindest zweischneidig bezeichnet werden kann. Gemessen an diesen drei Fällen lässt sich behaupten, dass Einwanderungsmuseen dazu neigen, die Geschichte der Migration national zu fixieren. Mehr noch: Indem sie in ihren Inszenierungen eine nationale Meistererzählung
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der Migration konstruieren, werden die transnationalen Energien und Erinnerungen der Migration für eine Re-Zentrierung und Stabilisierung des Konzepts der Nation nutzbar gemacht. Eine solche Re-Vision der imagined community mag inklusiver sein als ältere, an kultureller Homogenität orientierte Versionen, doch produziert auch diese, wie gezeigt, spezifische Ausschlüsse und begünstigt die hegemoniale Verschleierung sozialer Ungleichheiten und Konflikte. Die Musealisierung der Migration aus der Fixierung auf den nationalen Rahmen zu lösen und den „methodologischen Nationalismus“9 im Blick auf das per se transnationale Phänomen der Migration aufzugeben, wäre ein bedeutender nächster Schritt.
darüber hinaus: Ausblick in zwei Richtungen Lose Enden, mögliche Anschlüsse Die Forschung zu Formen und Funktionen der Re-Präsentation von Migration steht erst am Anfang. Als ein Segment dieses Komplexes wurde in der vorliegenden Studie die Musealisierung der Migration beleuchtet, ein bislang wenig beachtetes Forschungsfeld, dessen Untersuchung angesichts der Expansion der Migrationsmusealisierung im Rahmen einer fortschreitenden Diskursivierung globaler Wanderungsbewegungen jedoch an Attraktivität und Bedeutung gewinnen dürfte.10 Mit dem Fokus auf die institutionalisierte Erscheinungsform des Einwanderungsmuseums und auf die nationalen Kontexte USA, Kanada und Australien wurde hier ein bestimmter Ausschnitt des weiten Feldes betrachtet. Die Konzentration auf drei Fälle – das Ellis Island Immigration Museum, das 9
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„Methodologischer Nationalismus“, ein in aller Regel kritisch prononcierter Begriff, der auf Anthony D. Smith zurückgeht und in der deutschen Debatte vor allem von Ulrich Beck popularisiert wurde (ausführlich etwa in Beck 2002: 84-94), bezeichnet jene sozialwissenschaftliche Forschungsperspektive, die implizit oder explizit davon ausgeht, dass der moderne Nationalstaat (und seine Gesellschaft) die natürliche soziale und politische Form der modernen Welt und mithin die maßgebliche Folie der Betrachtung darstellt. Mit dezidiertem Bezug auf die Migrationsforschung vgl. den kritischen Überblick von Wimmer/Glick Schiller 2002. Als Indiz seien nur die zahlreichen Tagungen erwähnt, die sich in immer kürzerer Taktung des Themas annehmen. Allein für das Jahr 2008 lassen sich mit schnellem Blick mehrere solcher Konferenzen ausmachen, etwa: „Museum und Zuwanderung – Wie sammeln, erforschen und präsentieren die Museen die Geschichte von Migranten?“ (Ulm, 30.-31.5.2008), „Migration in Museums. Narratives of Diversity in Europe“ (Berlin, 23.-25.10.2008), „Migration and Memory: Representation of Migration in Europe since 1960“ (Malmö, 13.-14.11.2008) oder „Migration, Diaspora, Pilgrimage“ (Konferenz des ICOM International Committee for Museums of Ethnography, Jerusalem, 17.-19.11.2008).
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
Museum Pier 21 und das Immigration Museum Melbourne – gab der Studie ihren spezifischen Zuschnitt und prägte ihre Ergebnisse in nachhaltiger Weise. Darüber hinaus lassen sich eine Vielzahl weiterer Zugänge zur Erforschung des Phänomens Migrationsmuseum denken, die das hier entworfene Bild ergänzen, verfeinern oder kontrastieren dürften. Drei mögliche und aus meiner Sicht reizvolle Richtungen seien im Folgenden angedeutet.
Weitere Migrationsmuseen in den USA, Kanade und Australien Erstens sollten mit Blick auf die USA, Kanada und Australien weitere Migrationsmuseen in die Analyse einbezogen werden. Denn die hier untersuchten Fälle mögen die prominentesten Einrichtungen ihrer Art in den drei Ländern sein, doch sind es, wie einleitend bemerkt, nicht die einzigen. Durch Gegenüberstellungen innerhalb eines nationalen Bezugsrahmens dürften sich gerade die Abhängigkeiten der Re-Präsentation von den Agendas der Macher und den Implikationen der Orte noch deutlicher konturieren lassen. Für die USA bieten sich insbesondere das Lower East Side Tenement Museum in New York City und die musealisierte Angel Island Immigration Station nahe San Francisco als Untersuchungsobjekte an. Das Tenement Museum steht nicht zuletzt aufgrund seiner alternativen Verortung in Kontrast zu Ellis Island. Statt einer Kontrollstation nutzt es eine ehemalige Mietskaserne im wohl berühmtesten Einwandererviertel der USA als Standort und Ausgangspunkt seiner Darstellung. Über die Verknüpfung von Migrationsgeschichte mit der Geschichte von Wohn- und Arbeitsverhältnissen, veranschaulicht an den Biographien einzelner Bewohner des Hauses, werden Fragen der Zuwanderung stets an übergreifende gesellschaftliche Bedingungen rückgebunden. Statt als Ereignis wird Immigration als Prozess gezeichnet. Jenseits der augenscheinlichen Unterschiede zeigen sich jedoch auch Parallelen. Beide Museen sind, wie ich in einer ersten Annäherung an anderer Stelle gezeigt habe (Baur 2006b), einem Narrativ der Transformation verpflichtet. Einwanderung in die USA wird im Wesentlichen als Drama der Amerikanisierung inszeniert. Nationale Identität und die Fundierung der Einwanderernation bilden so in beiden Varianten den entscheidenden Flucht- und Zielpunkt. Eine Analyse der Re-Präsentationen auf Angel Island könnte das Bild erweitern, insofern hier ein „dunkleres“ Kapitel amerikanischer Migrationsgeschichte in den Mittelpunkt rückt. Angel Island, eine kleine Insel in der San Francisco Bay, wurde zwischen 1910 und 1940 als Internierungslager zur Durchsetzung anti-chinesischer Einwanderungsbestimmungen genutzt. Aufgrund des im Gegensatz zu Ellis Island offensichtlicheren Charakters als Manifestation rassistischer Einwanderungspolitik scheint sich dieser Erinnerungsort für die Feier der Einwanderernation USA zunächst weniger zu eignen. Hinzukommt, dass sich der Ort nicht mit europäischer, sondern asiatischer, vor allem chinesischer Immigra351
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tion verbindet. Asian Americans werden nach Lisa Lowe (1996: 1-36) jedoch einem fortdauernden Motiv gemäß nicht wie Amerikaner mit europäischem Hintergrund als konstitutiv für die amerikanische Gesellschaft, sondern als „perpetual immigrants“ und „foreigners within“ gesehen. Statt eine Gegenerzählung zu Ellis Island ins Bild zu setzen, blieb Angel Island allerdings lange Zeit weitgehend unbemerkt im langen Schatten seines Widerparts an der Ostküste (Daniels 1997). Bezeichnenderweise scheinen aktuelle Initiativen, das Profil Angel Islands als Erinnerungsort zu heben, um ein größeres Publikum anzusprechen und eine bessere finanzielle Ausstattung zu gewährleisten, auf die Angleichung der Geschichte an ein patriotisches Narrativ zu zielen. Gareth Hoskins (2004) argumentiert, dass in Überarbeitungen von Ausstellungen und Führungen der Fokus von der rassistischen Einwanderungspolitik der USA weg und auf die einzelnen Migranten hin gelenkt werde, die nun als hart arbeitende, mit dem Willen zur Überwindung von Widrigkeiten gerüstete Menschen auf der Suche nach Freiheit, Demokratie und ökonomischen Chancen erschienen. Wenn sich Angel Island durch dieses „re-packaging“ seiner Geschichte im Sinne einer Feier der Internierten als Personifizierungen amerikanischer Ideale ebenfalls auf die Affirmation der Nation auszurichten scheint, so lassen sich gleichwohl gegenläufige Tendenzen erkennen. Durch den Beitritt zur International Coalition of Historic Site Museums of Conscience, einem Zusammenschluss von Museen weltweit, die sich mit Menschheitsverbrechen und Fragen der Menschenrechte befassen, nähert sich das Museum einem transnationalen Ethos.11 Diese Spannung weiter zu untersuchen und die Inszenierungen auf Angel Island wie im Tenement Museum ins Verhältnis zum Ellis Island Immigration Museum zu setzen, würde die Debatte zur Musealisierung der Migration im US-Kontext zweifellos befruchten. Für den kanadischen Kontext wäre eine eingehende Analyse des Grosse-Île National Historic Site lohnend. Grosse-Île, gelegen im Sankt-Lorenz-Strom unweit von Québec City, war zwischen 1832 und 1937 Standort einer QuarantäneStation und bis zum Ersten Weltkrieg der Haupteinreisehafen für Einwanderer nach Kanada. Neben einigen originalen Gebäuden – etwa dem Desinfektionsgebäude, verschiedenen Unterkünften oder dem Lazarett – sind Ausstellungen zur Geschichte der Insel und ihrer Einrichtungen, zum Verfahren der medizinischen Untersuchung und Behandlung der Einwanderer, zum globalen Kampf gegen ansteckende Krankheiten wie Pest, Pocken, Typhus und Cholera sowie zur Einwanderungsgeschichte Kanadas im Allgemeinen zu sehen.
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Wie bereits an anderer Stelle (Kapitel „Amerikanische Ansichten“, Anm. 134) vermerkt, wurde der Zusammenschluss 1999 vom Lower East Side Tenement Museum initiiert und zählt inzwischen auch das Ellis Island Immigration Museum zu seinen Mitgliedern. Im letzteren Fall habe ich deutlich gemacht, dass trotz dieses Engagements die nationale Ausrichtung des Museums eindeutig überwiegt.
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
Ein Untersuchung der Musealisierung der Migration auf Grosse-Île, in Ergänzung und Kontrast zu Pier 21, könnte aus zwei Gründen interessant sein: Zum einen ist die Trägerschaft eine andere. Statt einer privaten Initiative zeichnet hier mit Parks Canada, ähnlich wie auf Ellis Island mit dem U.S. National Park Service, eine staatliche Organisation für die Operationen verantwortlich, wodurch andere Akteure, andere Rahmenbedingungen, Debatten und Zielsetzungen aufgerufen sein dürften. Zum zweiten wirken die dortigen Ausstellungen nach erstem Augenschein weit weniger auf die Feier der multikulturellen Nation ausgerichtet als am Pier 21. Neben der aufgrund staatlicher Trägerschaft geringeren Abhängigkeit von der Tourismus-Ökonomie, die im Falle von Pier 21 als ein Grund für die überschwänglich positive Darstellung benannt wurde, steht zu vermuten, dass hierfür drei Faktoren ausschlaggebend sind, die sich aus der Geschichte des Ortes ableiten: Erstens war Grosse-Île nur Schauplatz der medizinischen Untersuchung, nicht jedoch der eigentlichen Aufnahme der Immigranten nach Kanada. Der Moment des Übergangs, der auf Pier 21 mit dem Stempel „Landed Immigrant“ und den „First Steps“ der neuen Kanadier dramatisiert wird und wie auf Ellis Island als Aufhänger für den Ursprungsmythos der Einwanderernation fungiert, lässt sich somit hier nicht plausibel inszenieren. Wesentlicher erscheint gleichwohl ein Zweites: Grosse-Île eignet sich kaum für eine ungetrübte Feier kanadischer Geschichte, denn die Insel ist ein einziger Friedhof. Über 5000 Einwanderer fielen hier der Typhus-Epidemie von 1847 zum Opfer.12 Wo immer man geht, man geht über Gräber. Damit ist hier kein Sprechen über Migration möglich, ohne die Eventualität ihres elenden Scheiterns zu erwägen. Wenn hier der Ursprung der Einwanderernation verortet würde, erstünde diese nicht aus der Imagination eines neuen Lebens, sondern wäre von Beginn an infiziert mit Trauma und Tod. Entscheidend aber ist, drittens, dass die Toten von Grosse-Île nicht multikulturelles, sondern ethnospezifisches Gedenken heraufbeschwören. Wäre die Gruppe der Verstorbenen „kulturell vielfältig“ gewesen, so könnte die Epidemie und die Insel unter Umständen als Ausgangspunkt eines zeitgemäßen, also multikulturellen nationalen Opfernarrativs nutzbar gemacht werden. Doch die ganz überwiegende Mehrheit der Einwanderer von 1847 und damit auch der Typhus-Opfer kam aus Irland, und so wurde Grosse-Île zum spezifisch irischen bzw. irisch-kanadischen Erinnerungsort (Graham u.a. 2000: 252). Augenfällig ist dies in dem knapp 15 Meter hohen Keltischen Kreuz, das 1909 am höchsten Punkt der Insel errichtet wurde und bis heute als Ziel von Pilgerfahrten und Ort von Feierlichkeiten der irischen Community in Kanada dient (Quigley 1999: 150f.; vgl. auch O’Gallagher 1984: 83-89). Initiativen seitens Parks Canada, Grosse-Île von seiner partikular irischen Konno-
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Die Zahlen der Opfer sind stark umstritten. Quigley (1999: 146ff.) errechnet eine Zahl von 20.000, wenn nicht 30.000 Toten. Ich folge hier den Angaben im offiziellen Visitor’s Guide (Parks Canada 2002: 12). 353
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tation abzulösen und bedeutungsmäßig zu öffnen, führten in der Vergangenheit regelmäßig zu Protesten irisch-stämmiger Kanadier (Gauthier 2002; MacGowan 2006: 13f.). Vor diesem Hintergrund scheint auf Grosse-Île die Inszenierung einer nationalen Meistererzählung der Migration und einer „imagined community“ der Immigranten weit komplexer und kontroverser als am Pier 21. Die entsprechenden Strategien und Widersprüche jedoch im einzelnen zu untersuchen13 und Pier 21 gegenüber zu stellen, wäre ein lohnendes Unterfangen. Im Falle Australiens gilt es das Migration Museum in Adelaide in die Betrachtung einzubeziehen (Szekeres 1989, 2002; Simpson 1996: 64-66). Nach erstem Eindrucks scheint hier im Vergleich zu den untersuchten Einrichtungen ein stärkerer Akzent auf die Darstellung von Migrationsgeschichte als Konfliktgeschichte gelegt zu sein. Der Blick auf Dominanz- und Machtverhätnisse im Kontext von Migration durchzieht die Präsentation über weite Strecken. Die entsprechende Perspektive beschränkt sich dabei nicht auf die Beziehungen zwischen britischstämmiger Mehrheit und verschiedenen Einwanderer-Minderheiten. Prominent behandelt, etwa im Rahmen der Auftaktinszenierung, sind auch die Kolonisierung des Landes und die verheerenden Auswirkungen der europäischen Besiedelung, im Museum konsequent als „invasion“ bezeichnet, auf die indigene Bevölkerung. Thematisiert sind weiters Klassenkonflikte zwischen „Owners of Capital“ und „Owners of Labour“ oder ungleiche Geschlechterverhältnisse. Letzteres ist bereits im Ort des Museums aufgerufen, einem ehemaligen Armenhaus, das einst vornehmlich von mittellosen Frauen bewohnt wurde, die von ihren in andere australische Kolonien wandernden Männern zurückgelassen worden waren. Jenseits dieser Aufmerksamkeit für die Verwerfungen der Migrationsgesellschaft ist auch das Migration Museum in Adelaide ganz auf die Feier kultureller Vielfalt ausgerichtet und verschreibt sich mit der Inszenierung von „stories of courage, heartbreak, survival and success“ (so die offizielle Broschüre) der Fundierung der australischen Einwanderernation. Dieses Bild zu präzisieren und Gründe für etwaige Diskrepanzen und Eigenheiten zu eruieren, wäre – wie für die anderen im Ausblick erwähnten Migrationsmuseen – Aufgabe einer weiteren Studie.
Alternative Schau-Plätze von Migrationsgeschichte Eine zweite Forschungsrichtung, die sich an die vorliegende Untersuchung anschließen ließe, wäre die Gegenüberstellung der Re-Präsentation von Migration in Einwanderungsmuseen mit derjenigen in anders ausgerichteten Museen. Auf die Kontexte USA, Kanada und Australien fokussiert, kommen insbesondere drei Arten von Einrichtungen ins Blickfeld: erstens Museen spezifischer Einwande13 354
Ansätze hierfür finden sich bei Blair 2002 und Richman-Kenneally 2003.
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rer-Communities, zweitens Institutionen, die sich vornehmlich indigener Geschichte und Kultur widmen, sowie drittens die jeweiligen Nationalmuseen. Im Hinblick auf erstere wäre anzunehmen, dass sich die Re-Präsentation stark an Besonderheiten der jeweiligen Herkunftsgruppe, ihrer spezifischen Kultur, ihrer Wanderungsgeschichte sowie ihren Opfern, Leistungen und Beiträgen orientiert. Zu prüfen wäre mithin, ob und in welcher Form die identitätspolitisch fundierten Erzählungen dieser Museen in Spannung zu den übergreifenden Narrativen stehen, die ich als Charakteristikum des Einwanderungsmuseums ausgemacht habe, oder ob sie diese lediglich ergänzen und in verschiedenen Farben illustrieren. In Häusern, die sich indigener Kultur und – das ist im postkolonialen Kontext impliziert – einer indigenen Perspektive verpflichtet sehen, dürfte die Geschichte der Einwanderung, wenn sie denn erscheint, von vornherein ambivalenter gezeichnet sein. Zu erwarten wäre im Vergleich zu den Einwanderungsmuseen eine Erzählung mit umgekehrten Vorzeichen, wie ich sie in Bezug auf das Immigration Museum Melbourne am „Fall Niel Black“ angedeutet habe: nicht die Feier einer langen Tradition der Migration, sondern eine Kritik der Kolonisierung, Okkupation, Enteignung und Vernichtung sowie die Feier des (kulturellen und physischen) Überlebens im Angesicht sukzessiver Wellen der Besiedelung. Zu klären wäre, ob sich im Konkreten tatsächlich ein derart polare Konstellation einstellt, ob sich indigene Cultural Centers etwa als veritable Gegenbilder von Einwanderungsmuseen (und vice versa) begreifen lassen oder ob im Zeichen des Multikulturalismus vielmehr Ebenen der narrativen Vermittlung und des Dialogs aufscheinen bzw. offensiv inszeniert werden (wie an der Liebesgeschichte von Merle und Alick Jackomos im Melbourner Museum gezeigt). Vor allem hinsichtlich der Strategien zur Inszenierung einer „imagined community“ wäre schließlich ein Vergleich mit der Darstellung von Einwanderungsgeschichte in den Nationalmuseen der drei Länder interessant. Charakteristisch für das National Museum of American History, das Canadian Museum of Civilization und das National Museum of Australia sind die Schwierigkeiten, wenn nicht die schiere Unmöglichkeit der Synthetisierung einer geschlossenen nationalen Meistererzählung. Die Geschichte der Migration kann hier immer nur Versatzstück einer multidimensionalen Präsentation, nicht jedoch Konstitutionsprinzip narrativer Kohärenz sein. Insbesondere die Spannungen zwischen einer großen Erzählung der Einwanderung einerseits und indigenen Perspektiven andererseits, die in den Einwanderungsmuseen (vom Melbourner Fall partiell abgesehen) nach außen verwiesen sind, müssen in den Nationalmuseen intern ausgetragen werden. Als These ließe sich mithin formulieren, dass sich die Musealisierung der Migration in den Einwanderungsmuseen als Stabilisierung, in den Nationalmuseen hingegen als Ausdruck der Fragmentierung eines nationalen Geschichtsbilds niederschlägt.
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Andere Länder, andere Narrative? Eine dritte Forschungsperspektive könnte den Blick über die Kontexte USA, Kanada und Australien hinaus richten, also Migrationsmuseen in anderen Ländern betrachten und ins Verhältnis zu den hier untersuchten Einrichtungen setzen. Dabei drängen sich zwei Alternativen auf: Zum einen ließen sich Auswanderungsmuseen erforschen, wie sie in den letzten Jahren in Europa gegründet wurden. Diese verarbeiten mit den europäischen Migrationen nach Übersee in weiten Teilen denselben Gegenstand wie ihre Schwesterinstitutionen in der Neuen Welt. Zu fragen wäre, ob und, wenn ja, wie die unterschiedlichen Blickwinkel von Ausund Einwanderung die jeweilige Darstellung prägen. Lässt sich etwa bestätigen, dass sich das Thema Emigration, wie Stephen Cairns (2004: 22f.) vermutet, glorifizierenden Re-Präsentationen immanent widersetzt, da es im Gegensatz zu den heroischen Narrativen des Neubeginns und der kulturellen Bereicherung, von denen Immigrationsdarstellungen durchsetzt sind, stets auf Trauma, Verlust und „Betrug an der Nation“ gründet? In Cairns’ Worten: „Permanent emigration is, for the most part, a kind of betrayal. If one is forced to move, then one is failed by the nation. If one chooses to move, then one betrays the nation. In such a context, this rupture between nation and emigration produces an improbable terrain for any kind of monumental architectural expression.“
Und gelingt vielleicht gerade deshalb in Auswanderungsmuseen besser als in Einwanderungsmuseen die Überwindung nationaler Paradigmata und die Öffnung zu einer transnationalen Perspektive?14 In Bezug auf die hier verfolgte Argumentation von der Inszenierung der Nation im Einwanderungsmuseum reizvoller noch wäre ein Abgleich der Ergebnisse dieser Studie mit Erkenntnissen zu Formen, Funktionen und Funktionalisierungen von Immigrationsmuseen jenseits der USA, Kanadas und Australiens. Die
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Mit Blick auf das erste deutsche Auswanderungsmuseum, das 2005 eröffnete Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, wäre ich vorsichtig skeptisch gegenüber einer solchen Interpretation und dies nicht nur wegen dessen – contra Cairns – durchaus imposanter, wenn nicht monumentaler Architektur, sondern auch wegen seines spezifischen Narrativs. In der Dramatisierung der Ozeanreise zwischen Bremerhaven und New York, die im Zentrum der permanenten Ausstellung steht, inszeniert das Museum Migration als dezidiert inter-nationales Phänomen, als Prozess, der sich ausschließlich zwischen zwei Nationalstaaten abspielt, mit je gesichertem Ausgangs- und Zielpunkt. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe (Baur 2006a), mündet die Geschichte der Auswanderung in dieser Fassung ebenfalls in ein Narrativ der kulturellen Bereicherung und zwar nun im Horizont der deutsch-amerikanischen Beziehungen.
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Abhängigkeit musealer Re-Präsentationen der Migration von Verläufen der Migrationsgeschichte und ihrer Erforschung, von aktuellen Diskursen über Einwanderung und nicht zuletzt von der Definition gesellschaftlicher Selbstbilder dürfte auf diese Weise noch stärker in den Vordergrund treten. Lassen sich etwa im europäischen Kontext, wo sich – wie in Deutschland15 – im Gegensatz zu den hier untersuchten Staaten erst seit kurzem die Selbstwahrnehmung als Einwanderungsland durchgesetzt hat oder wo – wie in Frankreich – die vielfältigen kulturellen Identitäten der Bürger im Zeichen der egalitären Republik lange Zeit ausgeblendet oder aus der öffentlichen in die private Sphäre abgedrängt wurden, ebenfalls Tendenzen entdecken, die Geschichte der Migration als übergreifende und verbindende Erzählung zu inszenieren? Oder werden hier alternative inszenatorische Strategien und politische Stoßrichtungen verfolgt? Lassen sich ähnliche Trägergruppen, Allianzen und Zielsetzungen entdecken oder bilden sich gänzlich andere Konstellationen – zwischen staatlichen Entscheidungsträgern, Fachwissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Gruppen? Und entzünden sich an entsprechenden Projekten mehr oder andere Diskussionen und gesellschaftliche Kontroversen? Zu erwarten ist sicher, dass sich in einigen Punkten Diskrepanzen ergeben. Nur als ein Aspekt sei angeführt, dass die koloniale Konstellation eine andere ist: Während in den postkolonialen Siedlergesellschaften, die hier im Mittelpunkt standen, die Kolonisatoren in die Migrationserzählung eingebunden sind, die Kolonisierten dagegen, die Indigenen also, außen vor bleiben und mit ihrer Perspektive die große Erzählung der Einwanderung destabilisieren, ist die Rollenzuweisung in den ehemaligen Kolonialstaaten Europas genau umgekehrt. Hier treten gerade die Kolonisierten als Migranten auf – man denke nur an die maghrébins in Frankreich oder Inder und Pakistanis in Großbritannien, während die Erben der Kolonisatoren zumeist eine Tradition der Sesshaftigkeit reklamieren. Erste Veröffentlichungen zum bislang einzigen nationalen Einwanderungsmuseum in Europa, der französischen Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, in Paris, zeigen gleichwohl, dass sich durchaus auch Parallelen finden lassen. So wurde das Museum von der Politik dezidiert als Instrument zur Befriedung gesellschaftlicher Spannungen und Förderung gesellschaftlichen Zusammenhalts entworfen (Green 2007; Stevens 2008). Versucht wurde und wird, wenngleich nicht ohne Schwierigkeiten, eine möglichst weit ausgreifende Erzählung zu inszenieren, die verschiedene Migrationsbewegungen integriert, um so Verständigung und Verständnis in der französischen Einwanderungsgesellschaft
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Solange in Deutschland kein eigenständiges Migrationsmuseum, das der Einwanderung einen maßgeblichen Platz einräumt, errichtet ist – was an sich bereits einen symptomatischen Befund darstellt, wird man sich wohl notdürftig an Verarbeitungen des Themas in anderen Museen und Wechselausstellungen halten müssen. 357
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zu fördern. Die Geschichte der Migration wird dabei, soweit bislang abzusehen ist, im Wesentlichen im nationalen Rahmen gefasst und ihre Musealisierung scheint auch im französischen Einwanderungsmuseum – zumindest nach dem Willen seiner staatlichen Initiatoren – nicht zuletzt dazu angetan, die Nation in Zeiten der Globalisierung intellektuell und ideologisch neu zu befestigen. Zugleich scheint aufgrund der relativen Neuheit der Institution im französischen Fall noch vieles im Fluss. Mary Stevens (2008) etwa argumentiert einleuchtend, dass sich die Position des Projekts im Verlauf seiner Entstehung – durch die Wahl Nicolas Sarkozys zum Präsidenten und seine Verschärfung des Einwanderungsdiskurses einerseits und die eigensinnigen Vorstellungen beteiligter Historiker und Künstler sowie den zivilgesellschaftlichen Druck von außen andererseits – deutlich verschoben habe. Entgegen seiner ursprünglichen Bestimmung als regierungsnahe Einrichtung fungiere das Museum nun vielfach als Plattform für kritische Opposition. Damit seien fürs Erste ausreichend lose Fäden genannt, die aus der vorliegenden Arbeit hinaus auf andere, benachbarte und ebenso fruchtbare Untersuchungsfelder führen. Die Erforschung des so neuen wie virulenten Phänomens der Musealisierung der Migration in diese Richtungen weiterzutreiben und an die hier vorgestellten Diskussionen anzuschließen, würde wesentlich zu beitragen, die Konturen des Gegenstands genauer auszuleuchten und die Analyse seiner gesellschaftlichen Bedeutung zu schärfen.
Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche Der Kunsthistoriker und Museumstheoretiker Michael Fehr hat unlängst einen kleinen, dezidiert utopisch gehaltenen Text mit dem Titel „Kurze Beschreibung eines Museums, das ich mir wünsche“ vorgelegt. Frei von Sachzwängen und Machbarkeitserwägungen entwirft er darin die Konturen einer Institution, die zwischen Werkstatt, Labor, Atelier, Akademie, Galerie, Salon und Wohnhaus changiert und sich mit letzter Konsequenz darauf ausrichtet, „die echte Interaktion zwischen Anschauendem und Angeschautem zu ermöglichen“ (Fehr 2004: 206). Wenngleich fiktiv, lässt die skizzierte Einrichtung die sehr realen Vorstellungen ihres Schöpfers von der Zukunft des Museums plastisch werden. Fehrs Titelformulierung aufnehmend, beschließe ich diese Studie mit der kurzen Beschreibung eines Migrationsmuseums, das ich mir wünsche. Es basiert auf fünf Grundsätzen: (1.) Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche, müsste dem Leitbild der „Kontaktzone“ verpflichtet sein. James Clifford (1997: 192) entwirft unter diesem Begriff die Vision eines Museums, das diejenigen, dessen Kultur und Geschichte
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es ausstellt, umfassend und dauerhaft in seine Operationen einbezieht: „When museums are seen as contact zones, their organizing structure as a collection becomes an ongoing historical, political, moral relationship – a power-charged set of exchanges, of push and pull.“16 Museums as contact zones sind demnach „public spaces of collaboration, shared control, complex translation, and honest disagreement“ (ebd.: 208). Statt die Öffentlichkeit von gesicherter Warte aus zu erziehen oder zu erbauen, öffnen sie sich alternativen Perspektiven, Interpretationen und politischen Ansprüchen. Insbesondere gehen sie ergebnisoffene, verbindliche und wechselseitige Beziehungen mit denjenigen ein, deren Geschichte sie re-präsentieren, ohne gleichwohl die Asymmetrien von Ressourcen und gesellschaftlicher Macht in diesen Beziehungen zu überspielen. Objekte und Geschichten gelangen so, wenn sie dem Museum auch rechtmäßig überlassen werden, nie in dessen alleinige Verfügungsgewalt, sondern bilden vielmehr die Schnittstellen dieser komplexen Kooperation – „sites of a historical negotiation, occasions for an ongoing contact“ (ebd.: 194). Die Einbindung der RePräsentierten muss dabei nach Clifford weit über die üblichen Formen der Rücksprache mit Gruppen außerhalb des Museums hinausgehen: „Until museums do more than consult (often after the curatorial vision is firmly in place), until they bring a wider range of historical experiences and political agendas into the actual planning of exhibits and the control of museum collections, they will be perceived as merely paternalistic by people whose contact history with museums has been one of exclusion and condescension.“ – Und weiter: „Contact work in a museum thus goes beyond consultation and sensitivity, though these are very important. It becomes active collaboration and a sharing of authority.“ (ebd.: 207f., 210)
Dass eine solch umfängliche Einbindung, die die Kontrolle über Sammlungen einschließt, nie ohne Reibung vonstatten gehen kann, liegt auf der Hand. Zusätzlich kompliziert wird sie durch den Umstand, dass die Re-Präsentierten selbst, in diesem Fall Migranten, stets eine heterogene Gruppe mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen darstellen. Debatten, Aushandlungen und Konflikte sowie die (selbst-)kritische Reflexion gesellschaftlicher Sprechpositionen und institutioneller Macht wären demnach maßgebliche Bestandteile des modus operandi eines Migrationsmuseums in der Kontaktperspektive.
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Den Begriff selbst und das damit verknüpfte Konzept entlehnt Clifford von Mary Louise Pratt. Diese definiert „contact zone“ im Rahmen einer Untersuchung kolonialer Verhältnisse als „the space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict“ (zit. n. Clifford 1997: 192). 359
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(2.) Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche, dürfte nicht dabei stehen bleiben, Erfolgsgeschichten – einzelner Migranten oder der Migrationsgesellschaft im Ganzen – ins Bild zu setzen. Stattdessen müsste es insbesondere gesellschaftliche Konflikte, Machtverhältnisse und Ungleichheiten in den Blick nehmen und vom Feld der Migration aus perspektivieren. Es müsste sich zu diesem Zweck gleichermaßen von der Inszenierung von Migrationsgeschichte als Narrativ der „kulturellen Bereicherung“ wie von einer Konzentration auf die „material culture of cultural contribution“ lösen. Ian McShane (2001: 128f.) diskutiert unter dem Label „enrichment narrative“ museale Expressionen eines kulinarischen Multikulturalismus, der die Geschichte der Migration allein entlang der bunten kulturellen Beiträge von Einwanderern erzählt und feiert. Neben der harmonisierenden Tendenz einer solchen Fassung kritisiert er im Anschluss an Ghassan Hage (1998), dass sie dazu neige, eine schiefe Dichotomie zwischen bereichernder und bereicherter Kultur zu konstruieren. Die Mehrheitsgesellschaft des jeweiligen Einwanderungslandes (in seinem Fall: das weiße Australien) würde als verarmt dargestellt, während sie tatsächlich eine dominante Stellung einnehme und in der Lage sei, die „economy of otherness“ nach Gutdünken zu kontrollieren. In eine ähnliche Richtung weist die Kritik Margaret Andersons (1987: 109) mit besonderem Blick auf die Objekte, die in solchen Darstellungen üblicherweise zum Einsatz kommen: „It is easy to demonstrate the historical ‚contribution’ of different traditions […] The material culture of cultural contribution, if it can be so described, comes fairly readily to hand. Community groups feel quite comfortable with donations of national costumes or traditional crafts to museums. The success stories of the migration process readily donate their photographs and memorabilia.“
Komplexer, doch umso bedeutender sei es, anhaltende Schwierigkeiten zu benennen, etwa fortwirkende Vorurteile und Rassismen, ökonomische Marginalisierung und das Scheitern von Migrationsbiographien. Mit dem Blick auf Konflikte in der Migrationsgesellschaft, durchaus auch zwischen Migranten, kommen neuralgische Punkte und offene Fragen zum Vorschein, die in einer Feier kultureller Beiträge unterzugehen drohen. Notwendig wäre im Zuge dessen auch, den Fokus vom Feld der Kultur, das dem Museum traditionell naheliegt, auf das der Politk zu verschieben. Die Frage von Rechten, von Staatsbürgerschaft, politischer Anerkennung und Partizipation rückte damit genauso in den Mittelpunkt wie wechselnde Migrationspolitiken, Mechanismen der Grenze und die Kämpfe der Migration.17 17
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Den Fokus auf „Kämpfe der Migration“, etwa das Streiten von Migranten für bessere Arbeitsbedingungen oder gegen rassistische Ausgrenzung, explizieren einige Beiträge der Zeitschrift 1999, Heft 1/2002 und neuerdings Bojadzijev 2008. Präsentationsleitend wurde diese Perspektive in der Kölner Ausstellung „Projekt Mig-
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(3.) Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche, müsste seinen Operationen einen weiten Begriff von Migration zugrunde legen. Statt die Parzellierung in Immigration und Emigration, wie die hier vorgestellten Museen, institutionell festzuschreiben, müsste es gleichermaßen Ein- und Auswanderung, Binnen- und Transitwanderung behandeln und zueinander in Bezug setzen. Dabei müsste es auch die „Ränder der Migration“ einbeziehen, das Zurückbleiben und Zurücklassen, die Leerstellen und Wandlungen, die jedes Fortgehen am alten Ort hinterlässt (Gestrich/Krauss 2007). Es müsste den Blick weiters auf unterschiedliche Epochen und Migrationsbewegungen ausdehnen, ohne zugleich die Differenzen und Widersprüche zwischen diesen zu überdecken. Vielmehr müsste es gerade aufgrund seines weiten Begriffs von Migration in besonderem Maße die spezifischen Bedingungen und historischen Umstände herausarbeiten, unter denen sich Menschen in Bewegung setzen. Es müsste in seinen Re-Präsentationen schließlich nicht zuletzt die emische Perspektive reflektieren, also die Selbstwahrnehmung und Selbstthematisierung der (auf diese Weise weit gefassten) Migranten, die sich mitunter gegen eine übergreifende Konzeption sträuben wird. Max Matter (2005: 18) etwa weist darauf hin, „dass Personen und Gruppen, die von außen als Migranten – welcher Art auch immer – zu sehen sind, nicht immer als ‚Migranten’ gelten wollen. Einzelne Gruppen wollen ihre Geschichte, ihr Schicksal als etwas Einmaliges verstanden wissen und wehren sich dagegen, dass Außenstehende dieses nur ihnen so Widerfahrene in einen größeren Zusammenhang – den von allgemeiner Migration – stellen wollen.“18 Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche und das sich – daran sei erinnert – als „Kontaktzone“ begreift, wird diese Spannung in seiner Arbeit praktisch verhandeln. (4.) Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche, müsste daran arbeiten, eine dezidiert transnationale Perspektive zu erschließen. Es müsste zu diesem Zweck nicht allein die Beschränkung auf spezifische nationale Kontexte (die USA, Kanada, Australien, Deutschland etc.) überwinden, sondern die Fixierung auf den
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ration“ von 2005/06 (Kölnischer Kunstverein u.a. 2005). Die Forderung, Migrationsgeschichte stärker als Konfliktgeschichte zu präsentieren, erheben mit Bezug auf das deutsche Ausstellungswesen auch Horn/Mörchen 2006: 76. In der Arena des Museums kam dies etwa anlässlich der Wanderausstellung „hier geblieben. Zuwanderung und Integration in Niedersachsen 1945-2000“ zum Vorschein. Diese versuchte eine Zusammenschau der Geschichten von Vertriebenen, Arbeitsmigranten, Spätaussiedlern und Asylbewerbern – und erntete neben positiven Reaktionen durchaus auch Protest. Die Reaktion eines deutschen Vertriebenen scheint mir hier symptomatisch. Im Besucherbuch schrieb er: „Migrant – ich bin keiner! Es ist höchst unglücklich die deutschen Kriegsflüchtlinge mit in den allgemeinen Migrationstopf mit seinen heutigen Problemen einzuwerfen. Da bleiben wichtige notwendige Differenzierungen auf der Strecke“ (Urban 2004: 159). 361
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
nationalen Rahmen – die in den obigen Kategorien Ein- und Auswanderung noch durchscheint – insgesamt aufbrechen, „die Schallmauer des nationalstaatlichen Denkens durchbrechen“ (Beck 1997: 53). Es müsste mithin den „methodologischen Nationalismus“ ablegen, jene Perspektive, die Nation und Nationalstaat als gegebene, unhinterfragte und maßgebliche Einheiten der Betrachtung annimmt. Statt in seinen Re-Präsentationen eine scheinbar selbstverständliche „national order of things“ (Malkki 1992) zu reproduzieren, würde es eben jene Momente und Dynamiken von Migration in den Blick nehmen, die sich in den Zwischenräumen dieser Ordnung abspielen und alternative Strukturen etablieren: weltumspannende Netze von Kommunikation und Beziehung zwischen Menschen, Verknüpfungen weit entfernter Orte in Imagination und Erinnerung gleichermaßen wie durch Bewegungen des andauernden Hin und Her, transnationale „ethnoscapes“ (Appadurai 1998), Grenzgebiete als „place[s] of hybridity and struggle, policing and transgression“ (Clifford 1997: 37) sowie Diasporas, die nicht im einmaligen Akt der Aus- und Einwanderung, im Transfer von Zugehörigkeit von Hier nach Dort aufgehen (ebd.: 250ff.).19 Nicht die Bebilderung des kulturell pluralistischen Nationalstaats wäre so der Zielpunkt dieses Museums, sondern die Dokumentation von Spuren jener migrantischen Phänomene, die sich der Einschreibung in den Vorstellungsraum der inklusiven Nation verweigern (ebd.: 214). (5.) Ein Migrationsmuseum, das ich mir wünsche, müsste schließlich das Paradigma des Multikulturalismus hinter sich lassen und sich stattdessen transkulturell ausrichten.20 Statt – wie in der klassischen Perspektive des Multikulturalismus – ein Nebeneinander säuberlich abgegrenzter, statisch und essentialistisch gedachter Einheiten zu konstruieren, würde es gerade das Nomadisieren der Kultur in den Blick nehmen, das ständige gegenseitige Durchwirken von „traveling cultures“ (Clifford 1997). Gegen die Vorstellung festgefügter Traditionen würde es mit gesteigerter Aufmerksamkeit und Sensibilität kulturelle Transformationen registrieren und sichtbar machen. Zugleich dürfte es nicht dem modischen „Hype um Hybridität“ (Ha 2005) verfallen, der allenthalben freies Fließen und grenzenlose Vermischung von Kulturen, Stilen, Lebensentwürfen und Identitäten annonciert. Es müsste sich mithin gleichermaßen „[a]gainst the assumed isomorphism 19
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Die Existenz und historische Wirkmächtigkeit des Nationalstaats und seiner Grenzen würde in diesem Blickwechsel keineswegs ignoriert. Er erschiene nur aus dem Zentrum gerückt, nicht mehr als bestimmende Folie und Telos der Inszenierung von Migrationsgeschichte, sondern als ein (historisch mal mehr, mal weniger einflussreicher) Faktor der Regulierung und Kanalisierung von Menschen in Bewegung. Die Bandbreite von Transnationalisierungsprozessen und -phänomenen ist in ihrer ganzen Komplexität aufgespannt bei Pries 2008. Zum Konzept des Transkulturellen vgl. grundlegend Welsch 1994 und in Bezug auf das Museum Macdonald 2000.
KREUZUNGEN, KNOTENPUNKTE, ANSCHLUSSSTELLEN
of space, place and culture, on the one hand, and the reification of uprootedness as the paradigmatic figure of postmodern life, on the other“ positionieren und zeigen, dass „cultural identity is at once deterritorialized and reterritorialized“ (Fortier 2000: 1). Statt eines possessualen würde das Museum einen prozessualen Kulturbegriff zugrunde legen, etwa statt ethnischer Communities Varianten von (De-/Re-)Ethnisierung beleuchten.21 Es würde verfolgen, wie sich Kultur und kulturelle Identitäten in und durch Migration und stets im Zusammenspiel mit Faktoren wie Klasse und Geschlecht in spezifischen historischen Konstellationen formen und verwandeln. Mit Stuart Hall (1996: 4) wäre sein Leitmotiv entsprechend „not the so-called return to roots but a coming-to-terms with our ‚routes’“. Wenn diese Bedingungen erfüllt wären, doch nicht eher, könnte auch der in der Einleitung zitierte, apodiktische Satz von Aytaç Eryılmaz und Martin Rapp (2005: 584f.) richtig werden: „Ein Migrationsmuseum ist kein ritueller Ort kultureller Erinnerung, vielmehr dekonstruiert es historische Selbstvergewisserungen, die überwiegend national orientiert sind. Es macht gesellschaftliche Veränderungsprozesse sichtbar und weist zugleich über das Bestehende hinaus.“ In dieser seiner visionären Gestalt könnte das Migrationsmuseum den beschränkten Status als Inszenierungsagentur der multikulturellen Nation hinter sich lassen und zum Leitmuseum einer – durchaus normativ gedachten – postnationalen Weltgesellschaft avancieren.
21
Korff (2005: 7) verweist in diesem Zusammenhang auf eine spezielle Herausforderung des Museums. Da es in aller Regel mit Objekten zu tun hat, Objekte jedoch immer Sedimentierung bedeuten, trage es die Gefahr der Fixierung von Stereotypen, der Klischeebildung und Klischeebebilderung in sich. Unabdingbar wäre mithin, Dinge zu zeigen, die in besonderem Maße Polyvalenz und Prozesshaftigkeit zum Ausdruck bringen, und überdies in Objekt- und Objekt-Text-Arrangements der Stillstellung von Kultur entgegenzuwirken. Andererseits kann gerade eine Diskursivierung von Migration, die von Objekten ihren Ausgang nimmt, die Chance multidimensionaler Betrachtung bergen. In ihrer richtungsweisenden Diskussion der Möglichkeiten, das Museum transkulturell zu öffnen, bezieht sich Sharon Macdonald (2000: 141), wie übrigens auch Gottfried Korff, auf Überlegungen von Ayse Çaglar. Diese schlägt vor, bei der Betrachtung von Identitätsprozessen von räumlich und zeitlich gegebenen Person-Objekt-Beziehungen statt von vordefinierten Communities oder einem geographischen Raum auszugehen. Denn: „By plotting the networks of interconnected practices surrounding objects, and the sentiments, desires and images these practices evoke, we can avoid the need to define collectivities in advance“ (Çaglar 1997: 180). 363
Anhang
1. Archivalische Quellen 2. Interviews 3. Zeitungen 4. Konzeptpapiere 5. Literatur 6. Websites
1. Archivalische Quellen Die Archiv- und Quellensituation ist für alle drei hier erforschten Museen – aus unterschiedlichen Gründen – nicht unproblematisch. Aus diesem Grund empfiehlt sich ein knapper Kommentar zu den genutzten Archivbeständen: Für das Ellis Island Immigration Museum wurde im Wesentlichen auf das Hausarchiv vor Ort zurückgegriffen. Allerdings war dieses zum Zeitpunkt der Recherche noch nicht in eine systematische Ordnung überführt. Die folgenden Angaben verzeichnen entsprechend die seinerzeit gültigen provisorischen Fundstellen. Eine detaillierte Beschreibung der MetaForm Research Collection, die den am besten erschlossenen Teil des Bestandes ausmacht, findet sich bei Moreno 2004: 164-166. Des Weiteren wurden bislang weitgehend verschollen geglaubte Unterlagen eingesehen, die sich in einer Lagerhalle nahe des U.S. National Park Service-Standorts Harpers Ferry, West Virginia, fanden. Der ca. 20 Kartons umfassende Bestand war gänzlich ungesichtet, mithin auch in keiner Weise archivalisch erschlossen und firmiert hier entsprechend pauschal als „Harpers Ferry Bestand“. Schließlich wurden Dokumente am Hauptsitz des NPS in Washington D.C. gesichtet, die schließlich jedoch keinen Eingang in die Studie fanden. Ein angeblich im Boston Historical Park des NPS befindlicher Archivbestand zum Ellis Island Immigration Museum (vgl. Maddern 2004b: 309) konnte nicht bearbeitet werden. Hinsichtlich Pier 21 wurde einzig vor Ort gearbeitet. In Anbetracht des Umstands, dass das Museum kein Archiv unterhält, konnte hier nur auf speziell zur Verfügung gestellte Unterlagen, im Wesentlichen Broschüren sowie vereinzelte Konzepte und Manu365
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
skripte zurückgegriffen werden. Das Konvolut eines ehemaligen Beiratsmitglieds des Museums in den National Archives of Canada in Ottawa, das auch Sitzungsprotokolle aus der Planungsphase enthält, ist noch auf Jahre hinaus gesperrt. Im Fall des Immigration Museum Melbourne wurden ebenfalls im Wesentlichen Konzeptpapiere genutzt, die mir vor Ort überlassen wurden. Eigentliches Archivmaterial aus der Entwicklung des Museums liegt hier in Melbourne Museum, dem Hauptsitz des Museumsverbundes Museum Victoria. Für die Forschung ist dieses indes noch nicht freigegeben. Weitere Unterlagen finden sich im Staatsarchiv von Victoria (Public Record Office of Victoria, im Folgenden PROV) in Melbourne. Der einschlägige Bestand (Community Support Fund) zum Immigration Museum war jedoch auch hier nicht zugänglich, weshalb nur Unterlagen zum Vorläufer-Projekt Station Pier verarbeitet werden konnten. Es folgen die detaillierten Angaben der zitierten Dokumente, auf die an den entsprechenden Stellen im Text verwiesen ist.
EIIMA – Ellis Island Immigration Museum Archiv 1
Transcript of the Pre-proposal Conference held on February 14, 1984, S. 26ff, in: Box „Contract“ (ohne Nr.). 2 History Committee, Report of Meeting of August 15, 1983, in: Harpers Ferry Bestand. 3 Rudolph J. Vecoli an Jack Masey, 17.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“; Michael P. Paskowsky an Gary G. Roth, 10.3.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3, File „Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda“; Rudolph J. Vecoli an Gary G. Roth, 9.3.1989, in: ebd. 4 Cadwallader/Roth Court Hearings. 5 Alle Zitate vgl. Protokoll der Sitzung vom 8.11.1971, in: AMI Collection, Box 174, Folder 3189 („AMI – Minutes of Historians’ Committee“). 6 Memorandum 13.8.1973, in: Lonnie McGuire – Personal Files, Box 5, Folder 28 („Ellis Island – Disposal of Ellis Island, INS Policy, Historic Preservation at Ellis Island“). 7 AMI Collection, z. B. Box 1, Folder 10 („Annual Meeting – Trustees (1983). 8 F. Ross Holland, Briefing of Polish American Leadership and Press, 11. Juli 1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Foundation“. 9 Oversight Hearing of the restoration of the Statue of Liberty and Ellis Island (handschriftliches Protokoll), 27.6.1985, in: DSC T-18, Box 2, Folder „[Project Management]“; Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“ 10 Herbert S. Cables an Robert F. Cahill, 29.10.1985, in: Harpers Ferry Bestand; Kevin C. Buckley an Herbert S. Cables, 8.12.1986, in: DSC T-6, Box 1; Memo des NPS, 6.12.1990, in: DSC T-17, Box 2, Folder „Foundation Funding“. 11 Edward L. Kallop an Chief of Interpretation, North Atlantic Region, 2.8.1983, in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 5, Box 2, Folder 41 („Education (NPS Interpretation)“); Michael P. Paskowsky, Transcript of the Pre-proposal Conference held on February 14, 1984, S. 39, in: Box „Contract“ (ohne Nr.). 366
ANHANG
12 Herbert S. Cables an den Direktor des NPS, 14.6.1983, in: West Wall Lateral File Cabinet 1, Drawer 5, Box 2, Folder 40 („Curatorial“). 13 Bericht des History Committee an die Statue of Liberty-Ellis Island Centennial Commission, 12.9.1983, in: Harpers Ferry Bestand. 14 Herbert S. Cables an den Direktor des NPS, 7.11.1983, in: DSC T-8, Box 2, Folder „H-30-Ellis – History & Archaeology, Historic Sites & Structures, MGMT & Preservation“. 15 Herbert S. Cables an den Direktor des NPS, 20.1.1984, in: DSC T-8, Box 2, Folder „H-30-Ellis – History & Archaeology, Historic Sites & Structures, MGMT & Preservation“. 16 Preliminary Case Report, Stairway Reconstruction, Ellis Island, Statue of Liberty National Monument, in: DSC T-8, Box 2, Folder „H-42 – History & Archaeology, Historic Preservation Program Overview“. 17 Herbert S. Cables an Gary Roth, 31.1.1986, in: Harpers Ferry Bestand. 18 MetaForm Research Collection, New Box 101, File „Main Building, Registry Room“. 19 F. Ross Holland, Briefing of Polish American Leadership and Press, 11. Juli 1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Foundation“. 20 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 21 Vgl. die Aufrufe und Briefwechsel in: MetaForm Research Collection, New Box 57, Folder „Children’s shoes“ und New Box 92, Folder „Silberman, Eric – Notes“. 22 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 23 Rudolph J. Vecoli an Jack Masey, 17.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 24 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 25 Edward L. Kallop an Chief of Interpretation, North Atlantic Region, 2.8.1983, in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 5, Box 2, Folder 41 („Education (NPS Interpretation)“). 26 Kommentar der Division of Cultural Resources, NARO, NPS zu einer Präsentation von MetaForm am 16.10.1985, o.D., in: Harpers Ferry Bestand. 27 Die Titel finden sich in folgenden Dokumenten: Edward L. Kallop an Chief of Interpretation, North Atlantic Region, 2.8.1983, in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 5, Box 2, Folder 41 („Education (NPS Interpretation)“); Rudolph J. Vecoli an Jack Masey, 17.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“; Transcript of the Pre-proposal Conference held on February 14, 1984, S. 28, in: Box „Contract“ (ohne Nr.); Paul J. Kinney an Superintendent des Statue of Liberty/Ellis Island National Monument, ohne Datum, in: Lonnie McGuire – Personal Files, Box 5, File 25 („Ellis Island-Development“). 28 Bara Levin an Gary Roth, 13.3.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3 (Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda). 29 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“.
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
30 Transcript of the Pre-proposal Conference held on February 14, 1984, S. 40, in: Box „Contract“ (ohne Nr.). 31 F. Donnie Forde an Phyllis Montgomery, 10.1.1986 und Herbert S. Cables and F. Donnie Forde, 4.3.1986, in: MetaForm Research Collection, New Box 96, File „Blacks“. 32 Briefing of Italo-American Leadership and Press, 3.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Foundation“; Briefing of Polish-American Leadership and Press, 11.7. 1984, in: ebd. 33 Bericht des History Committee an die Statue of Liberty-Ellis Island Centennial Commission, 12.9.1983, in: Harpers Ferry Bestand. 34 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 35 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“; vgl. auch: Edward L. Kallop an Chief of Interpretation, North Atlantic Region, 2.8.1983, in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 5, Box 2, Folder 41 („Education (NPS Interpretation)“). 36 Rudolph J. Vecoli an den NPS, 8.12.1983, in: Harpers Ferry Bestand. 37 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 38 Gary G. Roth an Stephen Briganti, 31.5.1989, in: Harpers Ferry Bestand. 39 Vorwort zur Broschüre „The Ellis Island Learning Center. Where the Story of Immigration Comes Alive“ (1990), in: Doc. Box 14 (StoL-EIF, Inc.). 40 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 41 Agenda for Peopling of America Meeting, 19.1.1988, in: MetaForm Research Collection, New Box 90, File „Meeting 1-19-88“. 42 Barbara Grazzini an Gary Roth, 30.9.1988, in: MetaForm Research Collection, New Box 89, Folder „The Growth of a Nation: Immigration since 1820“; Phyllis Montgomery an Louis Alverez and Andrew Kolker, 27.6.1989, in: ebd., Folder „Today’s Immigrants“. 43 Rudolph J. Vecoli an Jack Masey, 17.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 44 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 45 Roger Daniels, Evaluation of Presentation, Dec. 4, 1984, o. D., in: Harpers Ferry Bestand; Virginia Yans-McLaughlin an Gary Roth, o. D., in: Harpers Ferry Bestand. 46 Regional Director an Manager, Harpers Ferry Center, 13.5.1986, in: Harpers Ferry Bestand. 47 MetaForm Research Collection, New Box 95, File „Press Release – Originals/ Nation-wide search“. 48 Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3. 49 Phyllis Montgomery an Viola Scott-Thomas, 12.5.1988, in: MetaForm Research Collection, New Box 95, File „Black Americans“. 50 MetaForm Research Collection, New Box 95, File „Press Release – Black Americans“. 368
ANHANG
51 Ann Belkov an C. Matthews Hurley II, 21.1.1992, in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 1, Box 2 of 2, Folder „Correspondence January 1992“. 52 Handschriftliche Notiz Gary [Roth] an Diana [Pardue], 16.8.1991 (bezugnehmend auf einen Brief von C. Matthews Hurley II an Lee A. Iacocca, 8.8.1991), in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3. 53 The Center for New American Media an Phyllis Montgomery et al., o.D., in: MetaForm Research Collection, New Box 89, Folder „Today’s Immigrants“. 54 Kommentar der Division of Cultural Resources, NARO, NPS zu einer Präsentation von MetaForm am 16.10.1985, o. D., in: Harpers Ferry Bestand. 55 Thomas P. K. Radford an Rudolph J. Vecoli, 15.4.1988, in: DSC T-6, Box 1. 56 Interpretive Planner, Harpers Ferry Center an Audiovisual Production Officer, Harpers Ferry Center, 21.10.1986, in: Harpers Ferry Bestand. 57 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 58 Minutes of Meeting, 11.9.1985, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“. 59 Rudolph J. Vecoli an Jack Masey, 17.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Background Information & Misc.“; ähnlich auch Virgina YansMc-Laughlin an Gary Roth, Kommentar zu Final Draft Text Passage, 28.2.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3 (Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda). 60 Gary Roth an Jack Masey, Kommentar zu Final Draft Text Passage, 14.3.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3 (Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda). 61 Bara Levin an Gary Roth, 13.3.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3 (Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda). 62 Michael P. Paskowsky an Project Manager, Statue of Liberty/Ellis Island Exhibits (Gary Roth), 10.3.1989, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3 (Ellis Island Exhibits: Work Directives, Correspondence, Memoranda). 63 Virgina Yans-McLaughlin an Gary Roth, 25.9.1986, in: Harpers Ferry Bestand. 64 Dwight Pitcaithley, Kommentar zum Basic Concept (Phase I), April 1986, in: DSC T-4, Box 3. 65 William K. May an Herbert S. Cables, 28.1.1985, und Herbert S. Cables and William K. May, 19.2.1985, in: West Wall Lateral File Cabinet 1, Drawer 4, Box 3, Folder 21 („Foundation – Meetings, Sponsors“). 66 Gary G. Roth an Associate Regional Director, 27.3.1987 und 19.3.1987, in: DSC T4, Box 3, Folder „Construction Blueprints and Shop Drawings, DSC/NPS“. 67 Kevin C. Buckley an Associate Regional Director, 23.8.1988, in: DSC T-18, Box 2, Folder „Project Management – General, 1/1/1986-12/31/1989“. 68 Gerry Patten an Chief, Urban Projects, 4.10.1991, in: Cadwallader/Roth Court Hearings, Box 3, Folder „New Wall“. 69 Pressemitteilung der SL-EIF „Major organizations who donated special service“, Juni 1986. 70 Werbebroschüre „The American Immigrant Wall of Honor“ (1987). 71 Standardisierter Werbebrief der SL-EIF, gezeichnet von Lee Iacocca, ca. 1990, in: Doc. Bx. 14 (STOL-EIF, Inc.). 369
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
72 Werbebroschüre „The American Immigrant Wall of Honor“ (1987). 73 Briefing of Italo-American Leadership and Press, 3.12.1984, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Foundation“; hier auch das analoge Dokument für ein Treffen mit polnisch-amerikanischen Organisationen, die Tagesordnung für eine Veranstaltung mit irisch-amerikanischer Zielgruppe und die Pressemitteilung zu einer Ausstellung über die Beiträge norwegisch-amerikanischer Einwanderer mit skizzierter Verbindung zu Spendenbeiträgen. 74 Einladungskarte für das Ellis Island Medals of Honor Awards Dinner, 27.10.1986, in: MetaForm Research Collection, New Box 93, File „Foundation“. 75 MetaForm Research Collection, New Box 2, File „Augustus Sherman“ und ebd., New Box 67, File „Atrium“. 76 MetaForm Research Collection, New Box 67, File „Atrium“. Die Auswahl des Bildausschnitts ist auf einer Kopie der Originalaufnahme gekennzeichnet. 77 MetaForm Research Collection, New Box 67, File „Atrium“ sowie für „Family Album“ ebd., New Box 21 und 22. 78 MetaForm Research Collection, New Box 21, Folder „China Non-select“. 79 Beide Zitate vgl. „Ellis Island and The American Immigrant Wall of Honor“ (ca. 1988), in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 4, Box 3, Folder 20 („Foundation – American Immigrant Wall of Honor“). 80 „Ellis Island and The American Immigrant Wall of Honor“ (ca. 1988), in: West Wall, Lateral File Cabinet 1, Drawer 4, Box 3, Folder 20 („Foundation – American Immigrant Wall of Honor“).
Pier 21 Archiv 1 2 3 4 5 6
Broschüre „Is it a part of your past?“ Rede anlässlich der Verleihung eines Ehrendiploms, Dalhousie University 16.10.1987. Manuskript „Rosalie Silberman Abella (Speech from Pre-Opening Day Pier 21 Luncheon 1999)“. Rede von Ruth Goldbloom anlässlich der Verleihung eines Ehrendiploms, Dalhousie University, 16.10.1987. Pier 21 Media Kit: http://www.pier21.ca/fileadmin/whats_new/whats_new_images /Media_Kit_info.pdf (13.2.2007). Broschüre „Pier Into Our Past and see the future of Canada“ (zur Eröffnung 1999).
PROV – Public Record Office Victoria 1 2 3 4
Jeff Kennett an Sir Arvi Parbo, 17.6.1994, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0001. Dean Brown an Jeff Kennett, 4.1.1995, und Jeff Kennett an Dean Brown, 19.1.1995, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0002). Interim Committee, Protokoll 1.8.1994, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0001. Jeff Kennett an Sir Arvi Parbo, 17.6.1994, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0001.
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ANHANG
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Interim Committee, Protokoll 27.6.1994, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0001. Department of the Premier and Cabinet, Bericht für John Rimmer, Deputy Secretary, betr. Museum of Immigration at Station Pier, 13.1.1995, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 312, 04/07/0014-0002. David Penington an Sir Arvi Parbo, 8.9.1994, in: PROV, VPRS 12549/P0003, Unit 311, 04/07/0012-0001.
2. Interviews Sämtliche Interviews wurden vom Verfasser geführt und, wenn nicht anders vermerkt, auf Tonband aufgezeichnet.
Ellis Island Immigration Museum Roger Daniels, Mitglied im historischen Beirat, 26.6.2005 Alan Kraut, Mitglied im historischen Beirat, 17.3.2005 Jack Masey, Design- und Recherchefirma MetaForm Inc., 8.3.2005 Diana Pardue, Kuratorin, U.S. National Park Service, 3.5.2005 Michael Paskowsky, U.S. National Park Service, 18.3.2005 Fred Wasserman, Design- und Recherchefirma MetaForm Inc., 11.2.2005 Virginia Yans-McLaughlin, Mitglied im historischen Beirat, 21.2.2005 Peg Zitko, Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, 8.2.2005
Pier 21 Ruth Goldbloom, Gründungsdirektorin, Vorsitzende der Pier 21 Foundation, 14.8.2006 Andy Lynch, Architekt, 17.8.2006 Bob Moody, Vorsitzender der Pier 21 Society, 17.8.2006 James Morrison, Vorstandsmitglied der Pier 21 Society, 19.4.2005 und 16.8.2006 Kim Reinhardt, Kuratorin, 15.8.2006 Jacques Saint-Cyr, Ausstellungsgestalter, 25.8.2006 Chris Shute und Ken Parsons, ehemalige Nutzer von Pier 21, 17.8.2006 (nicht aufgezeichnet)
Immigration Museum Melbourne Bryon Cunningham, Ausstellungsgestalter, 6.2.2006 Moya McFadzean, Kuratorin, 24.1.2006 Padmini Sebastian, Direktorin, 6.1.2006 (nicht aufgezeichnet) Maria Tence, Community Exhibition Manager, 16.1.2006 Viv Szekeres, Direktorin des Migration Museum Adelaide, 7.2.2006
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DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
3. Zeitungen In der Reihenfolge ihrer ersten Erwähnung: New York Times (im Text: NYT) Chronicle Herald (Halifax) Globe and Mail (Toronto) Toronto Star Daily News (Hailfax) Le Devoir (Montreal) Halifax Mail Star Daily Nation (Barbados) The Age (Melbourne) Herald-Sun (Melbourne)
4. Konzeptpapiere und graue Literatur Sämtliche Unterlagen liegen bei den Museen vor und wurden dort eingesehen.
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6. Websites (Letzter Zugriff jeweils 10.7.2009) Ellis Island Immigration Museum, New York City www.nps.gov/elis Pier 21 – Canada’s Immigration Museum, Halifax www.pier21.ca Immigration Museum Melbourne immigration.museum.vic.gov.au Migration Museum Adelaide www.history.sa.gov.au Lower East Side Tenement Museum, New York City www.tenement.org Angel Island (ehem. Kontrollstation in der San Francisco Bay) www.aiisf.org New Americans Museum, San Diego www.newamericansmuseum.org Pacific Coast Immigration Museum, San Francisco (Projekt) www.pacificcoastimmigration.org Memorial do Immigrante/Museu da Imigração, São Paolo www.memorialdoimigrante.sp.gov.br Museo Nacional de la Inmigracion, Buenos Aires www.mininterior.gov.ar/migraciones/museo/index.html Lwandle Migrant Labour Museum, bei Kapstadt http://www.lwandle.com/ Migration Heritage Centre, Sydney/New South Wales www.migrationheritage.nsw.gov.au Immigrantmuseet Farum, Dänemark furesoemuseer.dk/immigrantmuseet.htm 19 Princelet Street, London www.19princeletstreet.org.uk 400
ANHANG
Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, Paris www.histoire-immigration.fr Centre de Documentation sur les Migrations Humaines, Dudelange, Luxemburg www.cdmh.lu Initiative für ein Migrationsmuseum in der Schweiz www.migrationsmuseum.ch Initiative für ein Migrationsmuseum in Deutschland www.migrationsmuseum.de Utvandrarnas Hus, Växjö, Schweden www.utvandrarnashus.se Norsk Utvandrermuseum, Ottestad, Norwegen museumsnett.no/emigrantmuseum Museo dell’Emigrante San Marino www.museoemigrante.sm Ulster American Folk Park, Omagh, Nordirland www.folkpark.com Museu da Emigração e das Communidades, Fafe, Portugal www.museu-emigrantes.org Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven www.dah-bremerhaven.de Auswandererwelt Ballinstadt, Hamburg www.ballinstadt.de Migration Museums Network (UNESCO) www.migrationmuseums.org Immigration Sites of Conscience Network www.sitesofconscience.org/resources/networks/immigration
401
Sachregister
Auswanderungsmuseen 13, 356, 401 - BallinStadt – Auswandererwelt Hamburg 13, 150, 305 - Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven 13, 305, 356 Authentizität (Begriff) 31f. - Inszenierung von 101-109, 154, 226, 234f., 237, 272 Community (Begriff) 14 - Community Museen 13f., 47, 55, 263, 268, 272, 275, 283f., 326, 355 - Einbindung von Communities 54, 76, 96, 117, 137f., 215, 229f., 248, 255, 279-284, 287, 301, 328f., 332, 358f. - Kritik seitens Communities 98, 116, 123f., 277, 285, 354 Einfühlung (in historische Migranten) 128, 146, 165, 212, 219, 221, 232235, 239f., 248, 315, 328, 330, 335f. Einwanderungsmuseen - 19 Princelet Street 15 - American Museum of Immigration 14, 83, 96-101, 115, 137, 192, 329, 337 - Angel Island Immigration Station 197, 351f. - Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration 15, 18, 22, 23, 357 - Dänisches Einwanderungsmuseum 15
- DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration nach Deutschland 15 - Ellis Island Immigration Museum 14, 18f., 23f., 32, 71, 74-77, 79-198, 199f., 203, 207f., 213f., 216, 218, 221, 227, 230f., 253, 259, 261f., 264, 269, 271f., 298f., 305, 308, 310, 323343, 344-346, 351-353, 365 - Grosse-Île National Historic Site 352354 - Immigration Museum Melbourne 14, 18, 24, 71, 76f., 118, 253-321, 323343, 345f., 355, 366 - Lower East Side Tenement Museum 14, 15, 23, 195, 351, 352 - Lwandle Migrant Labour Museum 15 - Memorial do Immigrante/Museu da Imigração 14 - Migration Museum Adelaide 14, 18, 255, 260, 297, 354 - Museo de Historia de la Inmigración de Cataluña 15 - Museo Nacional de la Inmigración 15 - Museo Nazionale delle Migrazioni 15 - Pier 21 Museum 14, 18, 24, 71, 76, 118, 132, 150, 175, 199-251, 253, 259, 261f., 269, 271f., 278, 294, 298f., 308, 316, 323-343, 344-346, 353f., 365 - Projekt Migration (Ausstell.) 12, 171 403
DIE MUSEALISIERUNG DER MIGRATION
ethnische Gruppe (Begriff) 38 - ethnic history 49f., 91, 304 - ethnic revival 37-40 Freiheitsstatue 63, 79, 83, 88, 91, 96101, 123, 125f., 130, 138f., 144, 183f., 208, 218, 326, 329 Gentrification 210 Harmonisierung von Konflikt in der Repräsentation 59, 67, 164, 176, 192, 238f., 246, 249f., 262, 298, 305, 330, 338, 345-347., 350, 360 Identitätspolitik (Begriff) 34f. indigene Geschichte 42, 52, 98, 181f., 197, 276f., 291, 295, 303f., 310-314, 342f., 348, 354, 355 Inszenierung (Begriff) 29f. International Coalition of Historic Site Museums of Conscience 15, 195, 352 Kolonialismus 33, 51, 53, 57f., 63, 157, 176, 182, 246, 249, 256, 268f., 276, 303f., 311-314, 342f., 354, 355, 357 Meistererzählung (Begriff) 35f., 70 - der Migration 25, 56, 67f., 79, 97, 143, 177, 181, 191, 193, 196, 204, 222, 248, 308, 310, 314, 318, 319, 346, 348f., 354 Multikulturalismus - Begriff und Geschichte 38-46, 246f., 255f. - Ikonographien 152, 163, 174, 215f., 244f., 346 Museen (sonstige) - Asian Civilisations Museum 12 - International Slavery Museum 12 - Melbourne Museum 71, 258, 264269, 272, 277, 302f., 318 - Museum of Jewish Heritage 184 - Museum of London 11 - National Border Patrol Museum 170f. - National Museum of African American History and Culture 65 404
- National Museum of the American Indian 65, 182 - Otago Settlers Museum 11 - United States Holocaust Memorial Museum 65, 179, 186 Museums of Human Suffering 195 Nationalmuseen 65, 196, 222f., 348, 355 - Deutsches Historisches Museum 12 - Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 12, 214 - Museo Nacional de Costa Rica 12 - Museum of Belize 11 - Museum of Civilization 12, 65, 355 - Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa 12, 274, 278, 348, - National Museum of American History 12, 65, 158, 355 - National Museum of Australia 12, 52, 65, 261, 274, 301, 305, 355 Neue Museologie/New Museology 5255, 60, 87, 111, 119, 127, 254, 275, 280, 318, 328, 331, 344, 347 New Social History 48-52, 79, 87, 94f., 120, 128, 139, 142f., 148, 191f., 195, 317, 328, 338 Plymouth Rock 83, 91, 191 Race - Begriff 21, 157f. - inszenatorische Verdrängung von 157f., 188, 240f. Sammlung 32f., 35, 48, 54, 110f., 122f., 214, 266-268, 282-284, 286, 327, 359 Siedlergesellschaft 19, 24, 62, 66, 157, 181, 249f., 302-304, 324, 342, 357 Sklavenhandel 12, 47, 63, 119, 123, 149, 176, 181, 188, 193, 195, 347
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Patrick S. Föhl, Iken Neisener (Hg.) Regionale Kooperationen im Kulturbereich Theoretische Grundlagen und Praxisbeispiele November 2009, ca. 360 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1050-5
Hartmut John, Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit 2008, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-802-5
Hartmut John, Bernd Günter (Hg.) Das Museum als Marke Branding als strategisches Managementinstrument für Museen 2008, 192 Seiten, gebunden, durchgängig farbig mit zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-568-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
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3) ANZ1264.p 221422509334
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch November 2009, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7
Birgit Mandel PR für Kunst und Kultur Handbuch für Theorie und Praxis (2., komplett überarbeitete Auflage) Mai 2009, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1086-4
Martin Tröndle (Hg.) Das Konzert Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form Juni 2009, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1087-1
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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes November 2009, ca. 280 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-89942-814-8
Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maass (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch 2007, 518 Seiten, kart., 46,80 €, ISBN 978-3-89942-576-5
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Marc Grellert Immaterielle Zeugnisse Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technonologien für das Erinnern zerstörter Architektur 2007, 606 Seiten, kart., zahlr. Abb., 37,80 €, ISBN 978-3-89942-729-5
Herbert Grüner, Helene Kleine, Dieter Puchta, Klaus-P. Schulze (Hg.) Kreative gründen anders! Existenzgründungen in der Kulturwirtschaft. Ein Handbuch April 2009, 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-89942-981-7
Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork Neue Wege in der Kulturund Bildungsarbeit mit Älteren 2007, 262 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-678-6
Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-619-9
Hannelore Kunz-Ott, Susanne Kudorfer, Traudel Weber (Hg.) Kulturelle Bildung im Museum Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele Oktober 2009, 204 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1084-0
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