Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung [Reprint 2019 ed.] 9783111556680, 9783111186290


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German Pages 79 [84] Year 1931

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Table of contents :
INHALT
Der Problemkreis
Das Vorspiel: Heinses „Ardinghello"
Goethes „Werther"
Die Künstlergestalt der Romantik
Die Entdeckung der Künstlerproblematik: E. T. A. Hoffmann
Die Nachfolge E. T. A. Hoffmanns
Der Nachfahre der Romantik: Mörikes „Maler Nolten"
Die erste realistische Gestaltung: Gottfried Keller „Der grüne Heinrich"
Rückschlag gegen den Realismus: Der Münchener Kreis
Die biographische Künstleranekdote
Der Naturalismus: Das fragmentarische Künstlertum
Das 20. Jahrhundert: Das vollendete Künstlertum
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Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung [Reprint 2019 ed.]
 9783111556680, 9783111186290

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STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR

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STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR

HERAUSGEGEBEN VON

PAUL MERKER UND GERHARD LÜDTKE

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KÄTE LASERSTEIN

DIE GESTALT DES BILDENDEN KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG

1931 WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J.GÖSCHENSCHE VERLAGSHANDLUNG-J.GUTTENTAG,VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.

BERLIN UND LEIPZIG

DIE GESTALT DES BILDENDEN KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG

VON

KÄTE LASERSTEIN

1931

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHENSCHE VERLAGSHANDLUNG—J. GUTTENTAG.VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER—KARL J. TRÜBNER—VEIT & COMP. BERLIN UND LEIPZIG

INHALT Der Problemkreis Das Vorspiel: Heinses „Ardinghello" Goethes „Werther" Die Künstlergestalt der Romantik Die Entdeckung der Künstlerproblematik: E . T. A. Hoffmann Die Nachfolge E . T . A. Hoffmanns Der Nachfahre der Romantik: Mörikes „Maler Nolten" Die erste realistische Gestaltung: Gottfried Keller „Der grüne Heinrich" Rückschlag gegen den Realismus: Der Münchener Kreis Die biographische Künstleranekdote Der Naturalismus: Das fragmentarische Künstlertum Das 20. Jahrhundert: Das vollendete Künstlertum

D r u c k von i . J . Augustin

in G l ü c k s t a d t und

Hamburg.

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DER PROBLEMKREIS Wenn man in den Problemkreis eintritt, der die Wechselbeziehungen zwischen Bildkunst und Wortkunst umschließt, so heißen hier zwei Kardinalfragen, einmal, auf das Gesamtbild des Künstlers bezogen: Wie erscheint und wie wandelt sich die Gestalt des bildenden Künstlers in der Phantasie des Dichters? Und zum anderen, mit Bezug auf die besondere Art des bildkünstlerischen Schaffens: Ist es möglich, mit einer rein dichterischen Phantasie in die bildkünstlerische einzudringen, oder wird der Dichter bei der Darstellung eines allgemein künstlerisch gestimmten Menschen stehenbleiben müssen, der mit geringen Änderungen in der Art seiner Kunstbetätigung ebenso gut Maler wie Dichter oder Musiker sein könnte ? Es wird sich bei dieser zweiten und unsere Themastellung enger berührenden Frage zeigen, daß eine Möglichkeit innerster Erfassung des Bildkünstlers vom Dichter her bis auf wenige Ausnahmen nur bei den künstlerischen „Doppelbegabungen" besteht, denen von vornherein beide Anschauungs- und Ausdrucksformen, die bildnerische u n d die dichterische gegeben sind. Es werden dabei einmal, in zeitlicher Reihenfolge, die Wandlungen der Spiegelung des Bildkünstlers in der Phantasie des Dichters in ihren historisch-psychologischen Bedingtheiten aufzuzeigen sein, andererseits werden aber auch, über den zeitlichen Ablauf hinweg, Problemreihen erscheinen, die in lückenloser Folge anderthalb Jahrhunderte lang die gleiche Fragestellung stets von neuem und in neuer Wendung behandeln. Theoretische Erörterungen über Fragen der Kunst, wie sie aus überwiegend kritischem Interesse heraus in einem Teil der Künstlerromane und -Dramen aller Zeiten einen Platz beanspruchen, werden dabei nur soweit interessieren, wie sie die Gestalt des dargestellten Künstlers umreißen helfen. Vieles, was für eine Geschichte der Kunstanschauungen von ausschlaggebendem Wert sein kann, bedeutet für die Darstellung der Gestalt des Künstlers historisch-kritischen Ballast. Dabei soll das Ziel der Arbeit nicht sammlerische Vollständigkeit sein, einmal, weil es bei der unendlichen Verbreitung der Gattung nicht möglich ist, sämtliche Gestaltungsversuche zu verzeichnen, vor allem aber, weil Vollständigkeit keineswegs der Klärung der aufgeworfenenFragen dienen würde, da nur ein Teil der in Betracht kommenden Werke dem Thema gegenüber einen eignen Standpunkt einnimmt. Es kann sich höchstens 1

Laserstein.

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DER PROBLEMKREIS

darum handeln, diese Werke den Haupterscheinungen unterzuordnen, unter deren Gesetz sie — bewußt oder unbewußt — stehen. (Vgl. dazu das Kapitel „Die Nachfolge E. T. A. Hoffmanns"). Das vorliegende Thema ist bisher nur in wenigen Arbeiten behandelt worden. Es sind dies ein kleiner Aufsatz von Wilhelm W a e t z o l d t : „Malerromane und Gemäldegedichte" (in Westermanns Monatsheften, 1914, S. 735ff.) und ein umfangreicherer von H. W. K e i m : „Der Maler im Roman" (Lit. Echo Bd. 21, Jahrgang 1918/19), während die Arbeit von Herbert M a r c u s e : „Der deutsche Künstlerroman" (ungedr. Diss. Freiburg 1922) und die von Hans H e c k e l : „Das Bild des Künstlers im neueren deutschen Roman" (in der Festschrift für Koch, Breslau 1926) ebenso wie die Bücher von Helene G o l d s c h m i d t : „Das deutsche Künstlerdrama von Goethe bis Richard Wagner" (in Munckers „Forschungen zur neueren Lit. Gesch.", Weimar 1925) und Erna L e v y : „Die Gestalt des Künstlers im deutschen Drama von Goethe bis Hebbel" (Germanische Studien, Heft 68, Berlin 1929) den Künstler im allgemeinen, ohne Berücksichtigung des Grenzgebietes zwischen Bildkunst und Wortkunst zum Thema haben. Bei den beiden letztgenannten Arbeiten ist die Beschränkung auf die Gattung des Dramas als ausgesprochen ungünstig zu bezeichnen, da zwischen dem gestellten Thema und der herausgegriffenen Form des Dramas ein innerer Zusammenhang, der die anderen Dichtungsformen ausschlösse, nicht nachzuweisen ist. Goethes „Tasso" als die erste große Darstellung eines Künstlers in der Dichtung mag für die Auswahl maßgebend gewesen sein, aber auch für den „Tasso" ist ja das Dramatische keineswegs der Hauptwertfaktor. Die Beschränkung auf ein bestimmtes Formgebiet der Dichtung muß verzerrte historische Bilder ergeben, wie etwa das der romantischen Künstlergestalt, die durch Tiecks kleine Dramen, öhlenschlägers „Correggio" und andere Werke zweiter Ordnung vertreten wird, während die großen Künstlerromane wie Tiecks „Sternbald" — davor schon Heinses „Ardinghello" — ebenso wie die bahnbrechende Gestaltung, die E. T. A. Hoffmann dem Thema gab, von der eigentlichen Betrachtung ausgeschlossen werden und nur im Hintergrund erscheinen dürfen. Die Auswahl einer Kunstgattung in Erna Levys Arbeit ist um so unbegründeter, als es sich hier ja, wie der Titel besagt, um die „Gestalt" des Künstlers, das heißt doch wohl um die Zusammenfassung der künstlerischen Sonderart in einer bestimmten Wesensform handeln soll. Diese Wesensform aber kann niemals an eine bestimmte Kunstgattung gebunden sein. Die zahlenmäßig ungeheuere Verbreitung des Künstlerdramas steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung. Von wenigen.

BISHERIGE ARBEITEN ÜBER DAS THEMA. DAS „ORIGINALGENIE"

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Ausnahmen abgesehen (Goethes „Tasso" und Grillparzers „Sappho" natürlich in erster Linie) schoß diese Gattung nicht durch ihre innere Bedeutung, sondern durch ihre äußere Wirkung, den Publikumserfolg, so üppig ins Kraut. W e n n man aber schon die Behandlung des Themas auf eine einzelne Kunstform beschränken will, so hätte der Schwerpunkt viel eher beim Roman als beim Drama zu liegen (wie denn auch die Arbeit von Marcuse, die sich diese Beschränkung auferlegt, nach Umfang und Tiefe die weitaus bedeutendste Äußerung zu dem Thema ist). Das Drama kann seinem Wesen nach nur ein Einzelproblem gestalten, und so behandelt denn das Künstlerdrama fast durchgehend den Konflikt zwischen Kunst und Leben (sofern es sich nicht, wie in einer großen Anzahl dieser Dramen, mit der bloßen Dialogisierung einer Anekdote aus dem Leben des Künstlers begnügt). Dem Roman dagegen ist die Möglichkeit gegeben, das Gesamtbild des Künstlers, seine schaffende, denkende, leidende und erlebende Existenz, als Ganzes auszubreiten.1) In der Art des Themas selbst jedoch ist, wie schon gesagt, eine sinnvolle Beschränkung auf eine einzelne Kunstform nicht enthalten (und die Gefahr stofflicher Überfülle rechtfertigt eine solche Abgrenzung nicht), und so soll in der vorliegenden Arbeit die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung als in der Wortkunst überhaupt erscheinen. Treten wir nun in die Reihe der dichterisch gestalteten Bildkünstler ein, so erhebt sich die Vorfrage: Wie kommt es, daß am Ende des 18. Jahrhunderts in einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten in der Dichtung eine große Zahl von Künstlern erscheinen, während es vor Heinses „Ardinghello" nicht eine einzige durchgeführte Künstlergestalt in der Dichtung gibt ? Der Grund liegt keineswegs darin, daß etwa von einem überragenden Künstler eine zwingende Anregung für die Dichtung ausgegangen wäre — dann hätten beispielsweise die Renaissance und der Barock viel mehr Ursache zur dichterischen Erfassung des Künstlers gehabt als die in bildkünstlerischer Hinsicht viel ärmere Zeit um 1800 — , sondern in der neuen Ästhetik der Zeit, deren große Eroberung der Begriff des „Originalgenies" war. Erst in dem Augenblick, wo der Künstler nicht mehr als Regelkenner und Nachahmer einer rationalen Basis eingezwungen wurde, sondern als freier Schöpfer eine eigene, unberechenbare Individualität annahm, stellte er für die Dichtung einen besonderen Inhalt dar. Der Künstlerroman entstand aus der Erkenntnis, daß der Künstler sich nicht dem allgemeinen Zivilisationsniveau einordnet, sondern aus ihm herausZu dem Widerstreit der Meinungen über die Berechtigung des Kiinstlerdramas überhaupt vgl. die Einleitungen in Goldschmidts und Levys Arbeiten. 1*

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DER PROBLEMKREIS

tritt und eine eigene Lebensform darstellt, nicht nur durch die Art seines Standes und seiner Tätigkeit, sondern durch seine seelische Struktur. Der Anstoß zu der Erfassung der allgemeinen Künstler-Problematik ging nicht von der Gestalt eines Bildkünstlers, sondern der eines Dichters aus: von Goethes „Tasso." Erst seit seinem Erscheinen wird die Gestalt des Künstlers problematisch gesehen. Deshalb steht Heinses „Ardinghello", die einzige vor dem „Tasso" entstandene Künstler-Darstellung, in der Gesamtentwicklung isoliert da, weil darin Künstlertum nur als Phänomen, aber noch nicht als Problem gestaltet ist. Der Erfassung der inneren Bedingungen aber ging als Vorbereitung das Interesse für das Künstlertum als Standesfrage voraus. Als Beispiele seien drei Dramen der Zeit um 1800 genannt: „Der deutsche Hausvater" von Otto von Gemmingen (1780), „Die Maler" von I. M. Babo (1791) und „Die Künstler" von Iffland (1801), zu denen noch die Maler Conti aus „Emilia Galotti" und Julio Romano aus dem „Fiesco" treten, wenn auch bei diesen beiden der Künstler noch einige Ebenen weiter im Hintergrund der Handlung steht. Hier überall gilt das Interesse nicht der Künstlerg e s t a l t , sondern dem Künstler stände. Der soziale Gegensatz des Künstlers gegen den Adel oder das wohlhabende Bürgertum ist hier das Thema, ein Gegensatz, der aber noch ausgeht von den Besitzenden und gegründet ist auf Vorrechte der Geburt und des Standes. Problematisch wichtig kann dieser Gegensatz erst werden, wenn er nicht von den Besitzenden aus gesehen ist, sondern von dem Künstler selbst, und nicht auf sozialen Gesetzen irgend welcher Art beruht, sondern auf der einzigartigen und unmeßbaren geistigen Person des Künstlers. Erst eine Zeit, in der sich der Künstler deutlich und bewußt als eigene Lebensform seiner Umgebung entgegengesetzt fühlte, suchte in ihrer Dichtung die außergewöhnlichen und abseitigen Erscheinungen als Helden auf. Die bedeutenden Romane der Wende um 1800 behandeln nicht bürgerlich-rationale Themen; die neue seelische Differenziertheit, aus der die neue Ästhetik entsteht, greift auch nach dem differenziertesten Stoff. Neben den Malern stehen die Musiker bei Heinse und Wackenroder, die Dichter bei Brentano und Eichendorff, die Schauspieler in„Wilhelm Meister" und „Anton Reiser". Daß dabei öfter als irgend ein anderer Künstler gerade der Maler als Gestalt der Dichtung erscheint, ist wohl in der neuen Ästhetik des Sturm und Drang und der Romantik begründet, der es daran lag, gerade die Künste wieder einander zu nähern, die durch den Klassiker Lessing am schärfsten getrennt worden waren. Aus dieser neuen historischen und psychologischen Einstellung heraus entstand als erster Malerroman H e i n s e s „Ardinghello."

KÜNSTLERTUM ALS STANDESFRAGE. HEINSES „ARDINGHELLO"

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DAS V O R S P I E L : HEINSES „ A R D I N G H E L L O " Wenn es sich um die Darstellung eines Malers handelt, so wird die erste Frage sein: Was malt er und wie malt er ? Und da zeigt es sich, daß dieser Maler überhaupt nur zwei Bilder zu Ende bringt, das eine die Darstellung der Flucht nach Ägypten, das andere ein Frauenporträt, die beide auf festen Auftrag hin entstehen und im Hochrenaissancestil Tizians in kurzer Zeit heruntergemalt werden. Das künstlerische Glaubensbekenntnis dieses Vasari-Schülers heißt Oberfläche, Augenreiz und Farbe. Was ihn an Menschen und Dingen interessiert, ist nur ihre Erscheinungsform in der Sinnen weit, und der Maler „hat mit dem Wesentlichen der Dinge wenig zu schaffen". Was dieser in die Oberfläche Verliebte als Gegenstand seiner Kunst wählt, ist daher vor allem das farbige Leben des Fleisches, und die Dreieinigkeit, die er anbetet, heißt Tizian, Rubens und Veronese. Eine malerische Entwicklung ist nirgends angestrebt. Ein bewußtes oder unbewußtes Weiterkommen gibt es nicht und kann es gar nicht geben, weil es in keinem Augenblick eine eigentliche künstlerische Arbeit gibt. Was nicht auf den ersten Anhieb sitzt, bleibt liegen; Ardinghellos Schaffen ist, wie das des Sturm und Drang, dem sein Dichter angehört, im eigentlichen Sinne eine Stegreifkunst. Dabei wird es sehr bald offenbar, daß die künstlerische Betätigung im Leben dieses Malers keineswegs der oberste Wertfaktor ist: „Ich weiß, daß ihr hier die Malerei treibt, aber daß dies eure Bestimmung nicht ist, sondern Nebenbeschäftigung, und euer Ziel im Verborgenen höher steckt." Dieses Ziel nun, zu dem die Kunst nur ein Weg unter vielen ist, es ist das Leben selbst, das lebendige Genießen und aktive Sichbetätigen. Die Kunst ist nichts als Dienerin des Lebens, eines der vielen Mittel zum Ergreifen der Schönheit, wie die Liebe, die Bewegung oder die Tat andere sind, und Ardinghellos eigentliche Kunst ist nicht die Malerei, sondern die Lebenskunst. Der Inhalt des Buches ist in ständigem Wechsel immer wieder Kampf, Liebe, Duell, Rettung, Reise, Krieg. Ein stürmisches Erleben jagt das andere, so daß es unmöglich wäre, diese unerhörte Erlebniskraft in künstlerische Werke umzusetzen, weil das andrängende Leben selbst alles in seinen Strudel reißt. Eine angefangene Skizze des Meeres wird zerrissen mit der Begründung: „Dahin reicht keine Kunst; sie bleibt hier zu sehr bloß toter, winziger Buchstabe." „Dafür geb ich mich desto mehr mit den hiesigen Seeleuten a b . . . , lasse mir ihre Züge durch das mittelländische Meer erzählen, ihre Gefechte, Gefangenschaften. . . " Das lebendige Leben verdrängt die Ansätze künstlerischer Betätigung.

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DAS VORSPIEL: HEINSES

„ARDINGHELLO"

Bei dieser ersten Erfassung der Künstlergestalt in der Dichtung gibt es noch keine tragisch-problematische Auseinandersetzung zwischen Kunst und Leben, denn in diesem Sturm- und Drangwerk ist das Leben unbedingt der übergeordnete Faktor. Die Kunst wird problemlos vom Leben verschlungen. Die maßlose Erlebniskraft dieses Helden wird nicht umgebildet zu künstlerischer Gestaltung, sondern setzt sich unmittelbar in Tätigkeit um. Die erlebte Welt wird nicht produktiv bewältigt, sondern aktiv, und diese Aktivität ist so stark, daß im Grunde schon das Erleben selbst nicht bloße Aufnahme ist, sondern Tat. Es vollzieht sich nicht als stilles Eingehen in die Dinge unter Verzicht auf das Eigenbewußtsein des Erlebenden, sondern im Gegenteil als Überbetonung und Steigerung des erlebenden Subjekts. „Hier ist nichts als wir! Und alles andere in der Welt steht uns nur da zum Dienst!" Erlebt wird im Grunde immer wieder nur das Ich. Daher muß auch Ardinghellos Verhältnis zur Natur immer ein vermenschlichtes sein. Es liegt nicht in seinem Wesen, im Anschauen der Natur zu einem Stück Landschaft sich zu lösen, sondern er reißt die Landschaft zu sich heran. Niemals würde er, nach dem Programm seines Dichters, „Lüfte und Sonnenuntergänge" malen, sondern immer nur den Menschen. Der Dichter aber läßt ihn, der ganz vom Leben besessen ist, aus seiner aktiven Veranlagung die Konsequenz ziehen: die Erkenntnis der Kunst als eines Irrweges. In Rom, der Stadt der künstlerischen Klärungen, kommt Ardinghello zu dem Bekenntnis: „Die Kunst ist meine Bestimmung nicht; ich habe mich nur jugendlich getäuscht... Herz und Geist trachtet nach einer kräftigeren Nahrung und findet diese allein in der lebendigen Natur und Gesellschaft der Menschen, in wirklichem Kampf und Krieg." Gemäß der Willensrichtung des Sturm und Drang verzichtet er auf die Produktion, wenn sich Gelegenheit zur aktiven Kraftbetätigung bietet 1 ). Das Zentrum dieses Buches ist nicht ein vorwiegend künstlerisch gestimmter Mensch, geschweige denn eine folgerichtige malerische Entwicklung, sondern ein Mensch mit übermäßigem Lebensgefühl und gesteigerter Sinnenfreudigkeit und Sinnenstärke. Wenn allerdings ein so gearteter Geist nach künstlerischer Betätigung greift, so kann es notwendigerweise nur die bildende Kunst und darin wieder die Malerei sein, die er wählt, da sie mehr als irgendeine andere Kunst die Auseinandersetzung mit der schönen Außenwelt körperlich und sinnfällig, durch Formgefühl und Farbensinn, erfordert. Ardinghello gehört nicht l ) Auch in dem Fragment „Catharina von Siena" des Stürmers R. M. L e n z erreicht der Maler Rosalbino erst in der Kraftbetätigung, bei dem Löschen eines Brandes, den Höhepunkt seiner Fähigkeiten.

ARDINGHELLO TATMENSCH, NICHT KÜNSTLER.

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zu den Zufallsmalern (wie sie später gerade unter seinem Einfluß in großer Zahl erscheinen),- die ihrer geistigen Konstitution nach ebensowohl bildende Künstler wie Musiker oder Dichter sein könnten. Seine malerische Erscheinung ist jedoch nicht von dem Standpunkt des Malers noch überhaupt des Schaffenden aus gesehen, sondern von dem des Lebendigen und Genießenden, für den die Kunst nicht eine eigene Anschauungsform jenseits des Tatsächlichen darstellt, sondern ein Mittel zur Steigerung des Erlebens von Dasein und Wirklichkeit. Man kann es ein Verhängnis nennen, daß am Anfang des Künstlerromans dieser gleichsam nur in die Kunst verirrte Künstler steht, denn das Halbkünstlertum der Nachfolger, des Sternbald, Julius und Florentin stammt, wenn auch nicht ausschließlich — die eigene Seelenlage ihrer Schöpfer und der Zeit sind mit verantwortlich —, so doch zum großen Teil von der Vaterschaft des Ardinghello her.

GOETHES „WERTHER" Vor diesen Künstlern der Romantik aber und zeitlich auch vor Heinses Roman steht im 18. Jahrhundert eine Gestalt, die, ohne eigentlich den Bildkünstler zu repräsentieren, in ihrer Seelenlage sehr charakteristisch für die folgende Generation der romantischen Künstler ist: G o e t h e s Werther. Bei Ardinghello setzte sich das Erleben nicht in künstlerische Produktion, sondern in menschliche Aktion um. Werthers Verhalten ist jedoch weder produktiv noch aktiv. Seine künstlerische Leistung besteht in dem dargestellten Zeitraum in einer einzigen vollendeten Zeichnung; sein Reagieren auf die Welt der Wirklichkeit ist äußerste Passivität. Gleichzeitig ist aber bei ihm die Intensität der Erlebnisfähigkeit und der Phantasie ins Maßlose gesteigert. Sein Küntlertum besteht in einer rein seelischen Produktivität, der die Möglichkeit zur Formung in der Sinnenwelt versagt ist. Inmitten eines strahlenden Frühlingstages schreibt Werther: „Ich bin so glücklich, so ganz in dem Gefühl von ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken." Das heißt, Bilder formen sich ununterbrochen in seiner Seele, aber mehr „in Ahnung und dunkler Begier als in Darstellung und lebendiger Kraft." Selbst das Maß von Aktivität, das der produktive Schöpfer braucht, um zum Material zu greifen, ist Werther versagt. Die Bilder seines inneren Auges vermögen sich nicht den Weg in die Außenwelt zu bahnen, ja der in rezeptivem Anschauen

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GOETHES „WERTHER"

und dem Spiel der Phantasie Beglückte wehrt sich gegen den innerlich gefühlten Drang zur Formung: „Muß es denn immer gebosselt sein, wenn wir teil an einer Naturerscheinung nehmen sollen?" Werthers Seele ist in dem Zustand eines Gefäßes, in dem dauernd neuer Inhalt sich bildet, ohne daß ein Weg zum Ausströmen frei ist, weil die drängenden Atome sich gegenseitig den Ausgang sperren; in dem aber andererseits auch keine Kraft zur chemischen Umbildung — entsprechend der künstlerischen Formung des innerlich Geschauten — übrig bleibt. Das Resultat muß ein qualvoller Zustand der Überfülle sein: „Ich gehe darüber zu Grunde; ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen." Dabei ist es interessant zu sehen, daß im Augenblick der quälendsten Discrepanz zwischen Phantasie und Formung die Seele nicht die Rettung durch Linie und Farbe ersehnt, sondern durch die plastische Form. „Ich bilde mir ein, wenn ich Ton hätte oder Wachs, so wollt ichs wohl herausbilden. Ich werde auch Ton nehmen, wenns länger währt, und kneten, und solltens Kuchen werden." In dem Augenblick also, wo sich der Drang zur Formung elementar äußert, ohne nach dem Gegenstand zu fragen, denkt Werther nicht als Zeichner oder Maler, sondern als Plastiker. Hier erscheint zum erstenmal das Motiv des dreidimensionalen Schaffens als das der eigentlichsten und ursprünglichsten Betätigung des Bildnertriebes. Wie im mythischen Anbeginn der dichterischen Gestaltung des bildenden Künstlers, bei Prometheus, dem Ursymbol des Schöpfertums, so stellt sich immer wieder der elementare Schöpfungswille in der Dreidimensionalität dar, als Schaffen im Raum, weil hier am ehesten die Verbindung von Produktivität und Aktivität gefunden ist. Noch in der Gegenwart ist einer der wenigen ganz primitiv ungebrochenen und ursprünglichen Schöpfer, Romain Rollands Meister Breugnon, Plastiker, und selbst unter den gehemmten Künstlergestalten des Naturalismus sind diejenigen, die am ehesten die Verbindung von Produktivität und Aktivität erreichen, drei im Raum Schaffende: Ibsens Baumeister Solneß und Bildhauer Rubek („Wenn wir Toten erwachen") und der Glockengießer Heinrich in Hauptmanns „Versunkener Glocke", im Gegensatz etwa zu den ganz unelementaren, passiven und gebrochenen Malern Oswald Alving („Gespenster"), Gabriel Schilling und Arnold Kramer. Bei Werther aber bleibt auch diese Erlösung in die Plastik nur Sehnsucht. Die Fülle der Phantasie, die nicht zur Formung findet, sprengt die Seele. Was ihm zum Künstler fehlt, ist das ausgewogene Verhältnis von Rezeptivität, Phantasie und Produktion. Einem Maximum an Er-

WERTHERS KÜNSTLERTUM. DAS DREIDIMENSIONALE SCHAFFEN

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lebniskraft steht ein Minimum an Schaffenskraft gegenüber. Das Zustandekommen eines künstlerischen Werkes ist damit unmöglich. Da aber diesem Übermaß an Erlebniskraft überhaupt kein Ausgleich, auch nicht, wie für Ardinghello, der durch die Tat, zur Verfügung steht, so ist damit über das künstlerische Werk hinaus auch das Leben selbst dem Untergang geweiht. Damit steht Werther vor uns als ein im höchsten Maße künstlerisch gestimmter Mensch ohne einen eigentlichen künstlerischen Beruf. Die Frage, ob Werther in den wenigen Augenblicken, wo er nach künstlerischer Betätigung greift, notwendigerweise bildender Künstler sein muß, ist hier, anders als bei Ardinghello, zu verneinen. Werther ist nicht in erster Linie Augen- oder überhaupt nur Sinnenmensch. Wenn er die schöne Außenwelt erlebt, so nicht um ihrer selbst willen, sondern als Spiegel seiner Gedanken und seines Fühlens. Gerade in den Augenblicken stärksten Naturgefühls „schwimmt alles vor meinen Blicken; die Umrisse beginnen zu schwanken, und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt." Wenn hier die Malerei zu den Notwendigkeiten des Lebens gehörte, so müßte sie reine Ausdruckskunst sein, nicht objektives Abbild der Welt, sondern subjektive Darstellung des innerlich Geschauten; denn Werthers Sehnsucht ist, das Umgebende so darzustellen, „daß es würde der Spiegel meiner Seele." Das Gegenteil ist aber der Fall. Werther zeichnet, „ohne das mindeste von dem Meinen hinzuzutun." Die Malerei ist für ihn, wie für das 18. Jahrhundert überhaupt, mehr eine Fertigkeit um der Mode willen, als ein Weg zur persönlichen Äußerung. Werthers Künstlertum ist viel mehr dichterisch-musikalischer als malerischer Art, wenn auch — außer bei dem Bericht über den liebeskranken Bauernburschen — der Wunsch nach dichterischer Gestaltung nicht unmittelbar ausgesprochen wird. Die Selbstbespiegelung seines Inneren aber kann nicht anders als mit dem dichterischen Wort erfaßt werden. Kein Werk der bildenden Kunst spielt für Werther eine Rolle, aber Ossian und Homer, die Dichter, nehmen ihn zu Zeiten ganz in Anspruch. Außerdem erscheint seine Sehnsucht nach künstlerischer Betätigung so handwerksfern wie nur möglich; ein Grund mehr, den Ausdruck in Musik oder Dichtung, den dem Handwerk ferner stehenden Künsten, für ihn geeigneter erscheinen zu lassen als den in der Bildkunst. Mit dieser Wesensart einer zwar allgemein künstlerischen, aber keineswegs malerischen Gestimmtheit beginnt Werther im Grunde schon die Reihe der romantischen Malergestalten, als deren Wesenszüge sich ebenfalls das Überwiegen der dichterischen Anschauung über die malerische

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GOETHES „WERTHER"

und der Mangel an Gleichgewicht zwischen Phantasie und Formung erweisen werden. Wenn aber keiner der Romantiker diese Seelenlage so klar faßte wie der Schöpfer des „Werther", so deshalb, weil keiner von ihnen die Notwendigkeit dieses Gleichgewichts nur annähernd so persönlich erfahren hatte wie Goethe. Die Romantiker litten ja selbst an dem gleichen Mangel wie Werther, so daß sie in ihren Gestalten wohl ihre eigene Krankheit darstellen konnten, ohne sich jedoch selbst die Diagnose stellen zu können. Goethe allein wußte, daß die Erlebniskraft zerstörend wirkt, „wenn liebevolle Schöpfungskraft nicht deine Seele füllt und in den Fingerspitzen dir nicht wieder bildend wird." So gestaltete er in dem Zwiegespräch „Kenner und Künstler" das bewußte Ringen des Schaffenden um die Formung, so steigt aus „Künstlers Abendlied" die selige Gewißheit künftiger Kraft der Formung durch die Gnade der „inneren Schöpfungskraft" auf, so wird in „Künstlers Morgenlied" dem von inneren Gesichten umtobten Künstler „die Kohle zum Gewehr", und die Worte, die Goethe am 21. August 1774 an Fritz Jacobi schrieb, enthalten die — hier vom Dichter aus erlebte, aber jedem künstlerischen Schaffen gemeinsame — Erkenntnis der Notwendigkeit, die erlebte Außenwelt durch die innere Kraft der Formung neu zu erschaffen: „Sieh, Lieber, was doch alles Schreibens Anfang und Ende ist: die Reproduktion der Welt um mich, durch die innere Welt, die alles packt, verbindet, neu schafft, knetet und in eigner Form, Manier wieder hinstellt." So gestaltete später der reife Goethe in dem kleinen Drama „Künstlers Apotheose" sein nach-italienisches Evangelium der Arbeit und des stillen Fleißes am Kunstwerk, das dem Sturm und Drang ebenso fern lag wie der Romantik1). Daher konnte Goethe als einziger im „Werther" die Krankheit objektiv beim Namen nennen, an der der romantische Künstler leidet. Am deutlichsten erscheint diese Haltung in T i e c k s „ S t e r n b a l d " . Das Gedicht „Amor als Landschaftsmaler" ist in unserem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung, da sein Thema nicht die Gestalt des Künstlers ist, sondern die farbige Belebung der Welt durch die Liebe. — Über „Künstlers Erdenwallen" und „Künstlers Fug und Recht" vergleiche die Anmerkung auf S. 61, Anm.

AUFNAHME UND GESTALTUNG BEI GOETHE. TIECKS „STERNBALD"

H

DIE KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK Einer Einordnung des „Sternbald" in die Reihe der Malerromane steht zunächst Goethes Wort im Wege, es sei alles andere darin zu suchen als der Maler. Im Vergleich mit Heinses „Ardinghello" aber weist die Gestalt Sternbalds gar nicht wenig Künstlerisches und — wie sich später zeigen wird — auch gerade Malerisches auf, und das ist vor allem sein Verhältnis zum Leben. Wir sahen, daß im „Ardinghello" das Leben die Kunst verschlingt. Im „Sternbald" ist — wenigstens in den ersten zwei Dritteln, die noch von dem Einfluß des „Ardinghello" frei sind — dies Verhältnis durchaus umgekehrt beabsichtigt: die Kunst ist hier der übergeordnete Faktor. Das Leben wird nur gewürdigt, soweit es der Kunst dient. „Mein ganzer Sinn wendet sich so der Kunst zu, da ich gern alles Übrige in dieser Welt aufgeben mag." Als Sternbald nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückkehrt, leidet er selbst unter der Gefühlskälte, mit der er all das einst Geliebte betrachtet, und das nicht, weil eine Entfremdung im Herzen Platz gegriffen hätte, sondern weil die Kunst ihm nicht genug Erlebniskraft für das Leben übriggelassen hat. „Wie wäre es möglich, daß uns die Kunst gegen die besten und teuersten Gefühle verhärten könnte? Und doch kann es nur das sein, daß dieser Trieb mich so sehr beschäftigte, sich mir vorbaute und die Aussicht des übrigen Lebens verdeckte." „Wer sich der Kunst ergibt", wird hier deutlich ausgesprochen, „muß das, was er als Mensch ist und sein könnte, aufopfern." Damit wird zum erstenmal ein Problem berührt, das späterhin mehr ins Zentrum rückt: der Künstler, der dem Leben kalt und fühllos gegenübertritt, weil die Kunst seine gesamte Erlebniskraft in Anspruch nimmt. Dieses Problem ist wohl ein allgemein künstlerisches, jedoch kein ausschließlich malerisches. Eine andere Erscheinung aber ist darüber hinaus das besondere Kennzeichen des Bildkünstlers: das Umsetzen von Eindrücken der Außenwelt in bildmäßige Darstellungen. Inmitten eines Erntefestes glaubt Sternbald ein Bild Dürers vor sich zu sehen. Als er auf die Stadt Leyden herunterblickt, sieht er sich selbst samt der Stadt gezeichnet oder gemalt, und das Marktgewimmel in Antwerpen erscheint ihm auf den ersten Blick nicht als lebendige Wirklichkeit, sondern als Bild. „Es konnte ihm überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wobei er nicht an Malereien gedacht hätte." Dieses Umschaffen des Geschauten in Bildwerte berechtigt dazu, Sternbald, wenigstens zeitweise und soweit es nur sein Sehen, die bloße A u f n a h m e der Welt betrifft, als einen malerisch eingestellten Menschen zu bezeichnen.

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DIE KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK

Und auch die Art seines Schaffens rückt ihn in die Nähe wahren Künstlertums; denn während der Entstehung seiner „Verkündigung an die Hirten", des einzigen Bildes, das hier von Bedeutung ist, lernt Sternbald zweierlei kennen, was für die früheren Künstlergestalten nicht in Betracht kam: einmal die Arbeit und, in engstem Zusammenhang damit, den Zweifel. Er erfährt erschreckend klar, was für ein weiter Weg es ist von dem ersten glücklichen Entwurf bis zum schwer errungenen Ende, wie die erste Eingebung darüber verloren geht und der Zweifel an der Möglichkeit einer Vollendung sich dazwischen stellt. Er erfährt, daß das Kunstwerk sich mühsam losringt von seinem Schöpfer und daß dieser zuletzt leer und ausgepumpt vor dem vollendeten Werk steht und es ansieht wie ein Fremdes. Was aber die gesamte übrige Produktion dieses Malers betrifft, so bleibt sie durchaus im bloßen Wollen stecken. Nicht anders als in Werthers Seele formen sich in Sternbald ununterbrochen Gemälde, die er in seiner Phantasie malt. Jede Stimmung der Ruhe erzeugt in ihm Bilder; aber darin, daß diese von einer bloßen Stimmung erzeugt sind, liegt auch ihre Lebensunfähigkeit, denn die innere Produktivität hält nur solange an wie die Stimmung, von der sie angeregt wurde. Was als schöpferische Fähigkeit erscheint, ist in Wahrheit nur eine starke Erlebnisfähigkeit der inneren Sinne, eine produktive Seelenhaltung, die. wie bei Werther, aus der Phantasie nicht zur Gestalt findet. Dabei ist Sternbald des Eingehens in Natur und Landschaft in hohem Maße fähig, eines Eingehens, das die Grenzen seines Ich auflöst und ihn selbst zu einem Stück Landschaft werden läßt. Was ihm aber zum künstlerischen Erfassen im Wege steht, ist seine eigene Begeisterung. Sternbald ist der Natur gegenüber in einer ständigen andächtigen Ekstase, und damit ist es ihm unmöglich, zu der Objektivierung zu kommen, die die Vorstufe des künstlerischen Werkes ist. „Eure zu große Verehrung des Gegenstandes ist etwas Unkünstlerisches," läßt der Dichter Lucas von Leyden aussprechen," denn wenn man ein Maler sein will, so muß man doch malen, man muß beginnen und endigen. Eure Entzückungen könnt ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen." So steht Sternbald vor den Dingen dauernd als ein Liebender, der vor Andacht nicht wagt, die Geliebte zu umarmen und dadurch zu keiner Zeugung kommt. „Ihr werdet euer Leben lang kein großer Maler werden; ihr erhitzt euch über alles ohne Not, und das wird euch gerade von der Kunst abführen," heißt es ein andermal. Sternbald ist der dauernde Enthusiast, und das gerade ist das Kennzeichen nicht des Künstlers, sondern des Kunstfreundes, des Dilettanten. Auch diese Entwicklung eines Malers muß notwendig im Sande ver-

STERNBALDS KÜNSTLERTUM. DICHTUNG UND MALEREI

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laufen, und das fragmentarische Ende des Romans läßt kaum eine andere Deutung zu als die Erkenntnis der Kunst als eines Irrweges; im Vergleich zu Heinses Gestalt aber mit dem Unterschied, daß Sternbald mit tiefer Trauer und Enttäuschung den Irrtum erkennen muß, den Ardinghello fast mit Befriedigung feststellte; denn Ardinghello, dem vorwiegend lebendigen Menschen, blieb nach dem Verlust der Kunst das Leben. Sternbald, dem ausschließlich künstlerischen, bleibt nach dem Verlust der Kunst nichts als die Leere. Fragt man nun nach der Notwendigkeit gerade der bildkünstlerischen Produktion Sternbalds, so löst sich diese Frage genau wie für Goethes Werther. Auch Sternbald erlebt die Welt viel weniger sinnlich-anschaulich als lyrisch-musikalisch. Seine Bildvorstellungen sind selten ursprünglich gesehen, sondern übersetzt poetisch. Musik gibt ihm (während der Arbeit an dem Porträt der Gräfin) die Stimmung zum Malen, und in Augenblicken seelischer Steigerung schafft er nicht Bilder, sondern Lieder. „Ihr müßt viele Anlagen zu einem Poeten haben", so charakterisiert der Dichter seinen Helden, und daß Sternbald mit dieser dichterischen Phantasierichtung den Pinsel in die Hand bekommen hat, das macht ihn, den Dilettanten auf allen Gebieten, zu einer typischen Malergestalt, wie der nicht malende Dichter ihn sich denkt, im stärksten Maße künstlerisch empfänglich, aber ohne die besonderen Bedingungen des bildkünstlerischen Schaffens. Tiecks „Sternbald" ist für die dichterische Erfassung der Künstlergestalt in der Frühromantik die ausschlaggebende Kraft. Die — teils vor, teils nach ihm — seine Umgebung ausmachen, stellen nur einzelne Teilkomponenten dieser Gesamtkraft dar. 1 ) In W a c k e n r o d e r s „ H e r l ) Wie weit der Einfluß dieses dichterisch-musikalischen Malertypus reicht, zeigen etwa die Schriften des Dichters, Malers und Musikers Johann Peter L y s e r , der, obwohl er zeitlich ebenso wie persönlich dem Jungen Deutschland nahe steht, in seiner Auffassung des bildenden Künstlers doch vorwiegend den romantischen Typus fortsetzt. In seinem Gedichtzyklus „Lieder eines wandernden Malers" (1834) hat nur ein einziges Gedicht — „Malerlust" — Beziehung zu dem Titel des Werkes, und dieses enthält die für das romantische Künstlerbild bezeichnenden Zeilen:

„Drum, was ich nicht kann malen, das mag im Licde blühn." In der Novelle „Phantasien eines tauben Malers" aus dem Band „KunstnoVellen" (1835), der sonst vorwiegend Musikernovellen enthält, spielt die Musik eine viel größere Rolle als die Malerei. In dem zweiten Band, „Neue Kunstnovellen" (1837), geben die beiden einzigen Skizzen, die sich überhaupt mit dem bildenden Künstler beschäftigen, „Jaques Callot" und „Correggio", nur anekdotisch-episodische Lebensabrisse der dargestellten Künstler, wie sie in der Nachromantik unter dem Einfluß von Oehlenschlägers Drama „Correggio" in großer Zahl entstehen (vgl. dazu S. 58).

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D I E KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK

z e n s e r g i e ß u n g e n " ist eine Grundrichtung (von einer anderen wird noch zu sprechen sein) die Einheit von Kunst und Religion, aus deren „zusammenfließenden Strömen der schönste Lebensstrom sich ergießt"1). Wenige Jahre später ist in B o e h l e n d o r f f s Drama „ F e r n a n d o oder K u n s t w e i h e " die Anschauung vom Künstlertum so weit romantisiert, daß die Religion als einzige Quelle der Kunst erscheint, und in B r e n t a n o s „ R o m a n z e n v o m R o s e n k r a n z " wird das Künstlertum des Malers Kosme von der Ekstase christlicher Buße bis zum letzten verschlungen. Das Problem rückt immer weiter von der bildkünstlerischen Anschauung ab und zu einer rein geistigen Deutung hin2). Daneben aber läuft in der Romantik eine teilweise anders geartete Linie her. Aus der Verschmelzung von Sternbald und Ardinghello, unter Beimischung eines Prozentsatzes Wilhelm Meister, entstehen die Künstlergestalten aus Friedrich S c h l e g e l s „Lucinde" und Dorothea Lysers unveröffentlichtes Drama „Cardillac, der Diamantenräuber" schließt sich an E. T. A. Hoffmanns „Fräulein von Scudiry" an. In seinem „Komischen R o m a n " : „Benjamin. Aus der Mappe eines tauben Malers" (1830), seinem freiesten und besten Werk, ist die Entwicklung des jungen Malers Benjamin im Anfang noch mit den schwärmerisch-zarten Tönen des frühromantischen Künstlerbildes dargestellt, um dann im weiteren Verlauf zu viel realistischeren und saftigeren Farben überzugehen. Vgl. dazu die umfangreiche Biographie von Friedrich Hirth: „Johann Peter Lyser. Der Dichter, Maler, Musiker", München und Leipzig, 1011. ') So vorsichtig diese Verknüpfung von Kunst und Religion unter Wackenroders zarten Händen auch geschieht, so entstehen daraus doch Irrtümer in der Auffassung der Künstlergestalt. „Ich habe während der Arbeit",läßt der Dichter Raffael sprechen, „immer mehr an den Gegenstand gedacht als daran, wie ich ihn vorstellen möchte". Diese Überschätzung des thematischen Was gegenüber dem künstlerischen Wie ist eine falsche Deutung des Schaffensvorganges, die typisch ist für die mehr religiösgeistig als malerisch-sinnlich eingestellte Geisteshaltung der Romantik. *) Diese Verquickung von Kunst und Religion, die aus einer typisch romantischen Seelenhaltung entstand, verschwindet auch wieder mit der Romantik. In der Folgezeit aber erscheint sie noch einmal, bezeichnenderweise im 20. Jahrhundert, und wieder wird, wie so oft in der Romantik, als ihr zeitlicher Schauplatz die Welt des Mittelalters aufgesucht: Iwan S c h m e l j o w „ D e r n i e g e l e e r t e K e l c h " (1921). Der geistige Nährboden dieser Novelle ist nicht zufällig Rußland, „das Gott tragende Volk", dessen moderne Seelenrichtung seit Tolstoi und Dostojewski der mittelalterlichreligiösen Welt sehr verwandt ist. Wie in dieser gleichsam auf Goldgrund geschriebenen Novelle der junge Leibeigene Ilja sich eine selige Welt der Heiligen und Madonnen zusammenmalt, das ist in der problemlosen Einheit von künstlerischem Sondertrieb und religiöser Bescheidung Geist vom Geiste Wackenroders. Auch in dem Roman von Claus M a n n : „ D e r fromme Tanz" (1926) gilt das künstlerische Wollen, soweit es überhaupt in Erscheinung tritt, einem religiösen Andachtsbild: dem Tanz der Kinder vor Gottes Angesicht. Die Kunst will, bezeichnend für eine mystisch-romantische Strömung im 20. Jahrhundert (die allerding? für unser Thema nur als Nebenströmung in Erscheinung tritt) unmittelbarer Ausdruck der Religion sein.

WACKENRODER, BOEHLENDORFF, BRENTANO. FR. SCHLEGEL

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S c h l e g e l s „Florentin". In beiden steht an der Stelle der religiösen Weltflucht die sinnliche Weltbejahung. Wie in Heinses „Ardinghello" ist in Schlegels „Lucinde" die Kunst einem oberen Wertfaktor untergeordnet, wie dort der lebendigen Tat, so hier der lebendigen Sinnlichkeit. Daß diese Anbetung der Sinne sich ungestaltet im hymnischen Fragment äußert, ist die Ursache dafür, daß eine geschlossene Darstellung des Künstlers nicht erreicht wird. (Erst auf der Hälfte des Werkes erfährt man ja, daß der Held Maler ist.) Andererseits aber schafft gerade die ganz diesseitige Einstellung sinnlicher Genußfreude die Möglichkeit zum Erfassen rein malerischer Bedingungen. Jeder transzendentale Symbolismus schweigt hier vor den Entzückungen der äußeren Sinne, und es gibt in diesem Werk Bemerkungen, die beweisen, daß Friedrich Schlegel als einziger unter den romantischen Schöpfern von Künstlergestalten den Tastsinn für die besondere Art malerischen Sehens und Schaffens besaß. So erscheint hier die Lust an der Frau vor allem als Lust des malerisch eingestellten Auges („Wie schön glänzt diese weiße Hüfte in dem roten Schein". „Sein Auge berauschte sich an der Farbe, die sich durch die Wirkung der Schatten vielfach zu verändern s c h i e n . . . . Eine reine Mischung, wo nirgends weiß oder braun oder rot allein abstach oder sich roh zeigte. Das alles war verschleiert und verschmolzen zu einem einzigen harmonischen Glanz von sanftem Leben"). Die Erfassung der Welt geht immer auf das Sinnlich-Sichtbare der Erscheinungen aus („Alle seine Gedanken nahmen sichtbare Gestalt und Bewegung an und wirkten in ihm und widereinander mit der sinnlichsten Klarheit und Gewalt"), und die Schätzung der Kunst betrifft einzig die rein malerischen Werte, die die empfindliche Netzhaut vermittelt (Lisette schätzt „an Gemälden nur den Zauber der Farben, die Wahrheit des Fleisches und allenfalls die Täuschung des Lichtes". In Lucindes Arbeiten „sah und fühlte man den lebendigen Hauch wahrer Luft, es war immer ein ganzer Blick." „Sie wußte die Pastellfarben mit einer bezaubernden Weichheit zu behandeln"). Die Bedingungen einer malerischen Anschauung der Welt sind hier also durchaus gegeben durch die Fähigkeit des „reizbaren Auges",, das Sinnlich-Sichtbare aufzunehmen und zu verarbeiten. Die Gefahren aber, die dennoch einem Zustandekommen des künstlerischen Werkes entgegen stehen, sind hier die gleichen, die es für Sternbald waren: einmal die gefährliche Verwechslung der Konzeption mit der Produktion, die das Geplante für Geschaffenes ansieht, und zum anderen die Auflösung des Gestaltungswillens in die Hingabe an die Musik: „Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht, und er biL

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DIE KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK

dete nichts. Ja, er vernachlässigte seine Kunst fast nie mehr, als da er sich und seine Freunde mit Projekten überströmte von allen Werken, die er vollbringen wollte und die ihm im Augenblick der ersten Begeisterung schon fertig erschienen. Die wenigen Anwandlungen von Nüchternheit, die ihm noch übrig blieben, erstickte er in Musik, die für ihn ein gefährlicher, bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut war, in den er sich gern und willig versinken sah". Dies Verharren in tatenlosem Nicht-Schöpfertum ist, wie bei Sternbald, mit dem Bewußtsein tiefster Unbefriedigtheit und Leere gepaart. Die Sehnsucht nach dem Werk aber führt bei Julius, nun im Gegensatz zu Sternbald, den Rückschlag herbei. Die Selbstkritik wird produktiv in der folgenden Periode eiserner Strenge gegen sich selbst, einer Periode, die ihn in vollständiger Einsamkeit und Menschenferne allein auf das Werk konzentriert, das ihn nun aber bezeichnenderweise von dem romantischen Spiel der Farben weit abzieht und hinzwingt zu dem „abschreckenden" Ernst und den „ungeheuren" Formen der Antike. „Das Antike ward ihm zu einer harten Manier, und seine Gemälde blieben bei aller Gründlichkeit und Einsicht steif und steinern. Es war vieles zu loben, nur die Anmut fehlte". Dieser Zustand des erstarrten inneren Lebens kann für die romantische Kunstauffassung nur Übergang sein, eine harte Schule des nachholenden Lernens im Menschlichen wie im Künstlerischen, aus der erst die Liebe zu Lucinde wieder die strömenden Kräfte befreit, nun nicht mehr ein lallendes Planen, sondern ein Beherrschen des Pinsels und seiner Reize. „Seine Gemälde belebten sich, ein Strom von beseeltem Leben schien sich darüber zu ergießen, und in frischer Farbe blühte das wahre Fleisch... Die Formen selbst entsprachen vielleicht nicht immer den angenommenen Gesetzen einer künstlichen Schönheit. Was sie dem Auge empfahl, war eine gewisse stille Anmut, ein tiefer Ausdruck von ruhigem heiterem Dasein und von Genuß dieses Daseins. Es schienen beseelte Pflanzen in der gottähnlichen Gestalt des Menschen." So ist in Schlegels „Lucinde" eine Entwicklung von dem Stammeln produktionsferner Konzeptionen zum wirklich malerischen Schaffen durchaus gegeben. Daß diese Entwicklung in dem Werk jedoch immer nur Nebenstimme bleibt in dem großen Gesamtthema menschlicher Genußfreude und daß das Reifen zum Künstlertum schließlich ganz überstimmt wird von dem Hauptthema des Reifens zur Liebesvollendung, ist wohl der Grund dafür, daß die Künstlergestalt Friedrich Schlegels eigentlich ohne Nachfolge geblieben ist. Der letzte in der Reihe der romantischen Künstler, der F l o r e n t i n der D o r o t h e a S c h l e g e l , hat als besonderes Kennzeichen, daß er nicht

,LUCINDE". DOR. SCHLEGELS „FLORENTIN".

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nur schwärmerisch begeistert, sondern auch skeptisch und praktisch ist. Als die Kunst für ihn, wie für seine Vorgänger, ihre Bedeutung als Lebensziel verloren hat, da verfällt er nicht in passive Trauer, sondern benutzt sein Können als Broterwerb. Er kann malen, nachdem die innere Anschauung erloschen ist, während Sternbald, trotzdem er die innere Anschauung besaß, nicht den Weg zur Gestalt fand. Sternbald hatte das künstlerische Lebensgefühl ohne die leichte Gabe des Hervorbringens; er hatte gewissermaßen Genie ohne Talent. Florentin hat umgekehrt, und vom Geiste der Romantik schon weit entfernt, die malerische Hand ohne den schöpferischen Hintergrund; er hat Talent ohne Genie. Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Künstlergestalten treten jedoch in den Hintergrund vor der Gemeinsamkeit, die sie alle zu einem Typus verbindet. Ihnen allen ist die Kunst nicht zuerst als Schöpfung im Sichtbaren wichtig, sondern als innere Stimmung; nicht als irdische Tätigkeit, sondern als göttliche Sendung. Nicht daß der Maler malt, kennzeichnet ihn für die Romantik als Künstler, sondern daß er eine unmittelbare, durch nichts gestörte Verbindung zu dem Ursprung der Dinge hat. Wilhelm Waiblinger 1 ) in seinem „Phaeton", dessen Verquickung von dichterischem Erlebnis — die Gestalt Hölderlins liegt ja zu Grunde — mit bildkünstlerischer Betätigung (hier nicht malerischer, sondern, infolge der Blickrichtung nach Griechenland, plastischer Art), typisch ist für den Geist der Romantik, faßt diese Überordnung der inneren künstlerischen Haltung über den äußeren Schaffensakt in die Worte: „Nicht der geübte Meißel macht den Künstler. Der Drang von innen, der erklingt wie eine Stimme von Gott, die heilig schaffende Kraft im vollen Busen, die brünstige Liebe des Ewigen und die geheimnisvolle Anschauung der Gottheit! Wißt Ihr nichts von dem, so ist Eure Kunst nur ein Handwerk"2). Für alle romantischen Künstlergestalten bedeutet die Kunst zu einem Teil Flucht vor der Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die selbst schon bis zum letzten entwirklicht und poetisiert und damit der Kunst angenähert ist. Und ferner eignet ihnen allen, ebenso wie Ardinghello, das Künstlertum als eine Begleiterscheinung der Jugendlichkeit. Sie sind nur Maler, solange —und man möchte fast sagen: weil sie jung sind. Mit beginnender ') Waiblingen Künstlergedichte in dem Zyklus „Kunst und Antike" erheben Raffael als den Gestalter reiner, harmonischer Schönheit über alle anderen Künstler. 2 ) Ebenso in Friedrich Schlegels „Lucinde": „Doch ist das Sprechen und Bilden nur Nebensache in allen Künsten..., das Wesentliche ist das Denken und Dichten, und das ist nur durch Passivität möglich." 2

Lasersteiii.

DIE KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK

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Einsicht kommen sie zu der Erkenntnis der Kunst als eines Irrtums. Diesen Charakterzug teilen sie in erster Linie mit ihren Dichtern, den Stürmern und Romantikern, die sich in den ersten drei Jahrzehnten ihres Lebens geistig erschöpften; sie teilen ihn aber darüber hinaus mit dem Jugendalter überhaupt1). Eine Bewegung, die der romantischen in vielen Zügen gleicht, unsere erst kürzlich erlebte Jugendbewegung, zeigte das gleiche Merkmal der Kunstbetätigung als eines Ausflusses der Jugendlichkeit und das Versanden der Fähigkeiten am Ende des Jugendalters. Die Kunst war für sie, wie für die Romantiker, ein großes Wollen, und wie aus Können Kunst entsteht, so hier aus dem Wollen Wulst. Auch die Gründe für diese Gefährdung des Werkes sind für sie alle die gleichen, nämlich einmal die zu große Begeisterung an den Dingen selbst, und andererseits der ewige Drang nach Geselligkeit. Alle Künstlergestalten von Ardinghello an erscheinen niemals als einsam Einzelne, sondern stets auf der Flucht in die Geselligkeit. Sie machen — auch darin eine vorweggenommene Jugendbewegung — ihre Kunstwanderungen fast nie allein, sondern immer in Gemeinschaft Gleichgestimmter2). Damit sind sie von vornherein um die Möglichkeit des Ringens mit dem Werk gebracht, das nur in der Einsamkeit sich bildet, oder vielmehr: das ewige Bedürfnis nach menschlichem Umgang verrät, daß das Bedürfnis nach dem Werk nicht ausschlaggebend in ihnen ist. Sie sind vielmehr Gemeinschaftsmenschen als einsame Schöpfer. Die Vermutung läge nahe, daß die romantischen Maler das Modell zu den Gestalten der Dichter abgegeben hätten. Diese waren jedoch keineswegs in dem Maße gesellig wie die Dichter selbst3), die ewig diskutierenden großen Woller und Schwärmer, die ihre Gestalten, unbekümmert um ihr anders geartetes Kunstschaffen, nach ihrem eigenen Bilde formten. Die Annäherung der Malergestalt an die des Dichters ist vielmehr durchaus in der dichterischen Gesamthaltung der Romantik begründet, deren Grundzug nicht sinnlich-anschaulich, sondern symbolistisch-spekulativ ist und die daher der dichterischen Äußerung viel näher steht als der bildkünstlerischen. Der ursprüngliche Ausdruck romantischen Erlebens ist nicht Malerei, sondern Poesie, und auch die romantischen Maler, Otto Philipp Runge, Caspar David Friedrich und Schwindt waren, abgesehen von teilweise eigener dichterischer Produktion, auch in ihren J

) Vgl. dazu in Eduard Sprangers „Psychologie des Jugendalters" (Leipzig 1925) das Kapitel: „Phantasieleben und Phantasieschaffen." 2 ) Auch in Friedrich Schlegels „Lucinde": „Er (Julius) hatte viele Verbindungen und war unersättlich, immer neue zu knüpfen." *) Caspar David Friedrich war ja sogar von einem Einsamkeitsbedürfnis besessen, das bis zu monomanischer Menschenfurcht ging.

DAS KÜNSTLERTUM DER ROMANTIK. HAGEN: „NORICA"

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Bildern verkappte Dichter und Philosophen. Der der romantischenMalerei eigene Zug zur Illustration zeigt ja deutlich die Herrschaft der Poesie über den Ausdruck in Linie und Farbe als Selbstzweck. Es sei hier vorweggenommen, daß der äußerste Gegensatz zu der Künstlergestalt der Romantik im 20. Jahrhundert entstand, das mit dem Idealbild des schwärmenden Jünglings endgültig brach. Im 20. Jahrhundert finden wir ein neues und wesentlich anders geartetes Ideal: Wir finden Gestalten wie Hermann Bangs „Michael", Carl Hauptmanns „Einhart der Lächler", Romain Rollands Bildschnitzer „Breugnon", die am Ende ihrer Laufbahn nur noch schlechtweg „Meister" heißen. Wir finden gegenüber dem Ideal ewiger Jüngerschaft um das Jahr 1800 das einsamer Meisterschaft und anstatt des Versandens der Kunst am Ende der Jugend eine monumentale Vollendung im reifen Mannesalter. Nicht die künstlerische Stimmung legitimiert jetzt den Künstler, sondern das geschaffene Werk. Erst das 20. Jahrhundert wird endgültig die Züge der romantischen Künstlergestalt vernichten. Ein Weg der Rettung aus dem romantischen Typus aber geht von der Romantik selbst aus. In Wackenroders „ H e r z e n s e r g i e ß u n g e n " schon erhebt sich die Klage über „eine unglückliche Konstellation der Gemütskräfte, welche schon manche Halbkünstler auf die Welt gesetzt hat", und bei der Darstellung des Dürerkreises wird als die besondere Stärke gesehen, daß dort Kunst und Leben das Werk eines Gusses waren, daß diese Künsler mit sicherem Gang durch die Welt schritten und „ohne viel scharfsinnige Worte malten und bildeten." „Nirgends fanden sie Zweifel und Rätsel." Diese Sehnsucht nach der Geschlossenheit der Leistung und der harmonischen Einheit von Leben und Werk ist im „ S t e r n b a l d " zu der Gestalt des Lucas von Leyden verdichtet, an dem mit stiller Bewunderung — wenn auch vom Standpunkt des Romantikers aus nicht ohne Mißachtung — die Gegründetheit des Werkes und des Lebens gesehen wird. Von ihm empfängt Sternbalds ewig labiles Gleichgewicht das Evangelium von der Ruhe gebenden künstlerischen Arbeit, die nicht grübelt und sucht, sondern ergreift und gestaltet. Im Anschauen des Gegenstandes ist für diesen Künstler die Umsetzung in das Werk bereits eindeutig geschehen. Aufnahme und Gestaltung sind eins. Die gleiche Richtung verfolgen die Nürnberger Novellen „ N o r i c a " von August H a g e n , die dem Ausgang der Romantik angehören1). Die Künstler, die hier vor dem Auge des Lesers erstehen: Adam Krafft, Als Nebengestalten gehören auch Anton und Meister Sixt aus Arnims Roman „Die Kronenwächter" zu dieser Richtung der Gesundung des romantischen Künstlerbildes durch Seßhaftigkeit des Lebens und Handwerklichkeit der Kunst. 2«

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DIE KÜNSTLERGESTALT DER ROMANTIK

Peter Vischer, Veit Stoß, Lindenast und Dürer, sind nicht schwärmend diskutierende Jünglinge, sondern breite, tätige Männer und Greise, die unerschütterlich in ihrer Arbeit stehen, sei es in der Glut der Gießhütte oder am Holzstock, und die sich zum Reden erst Zeit nehmen, wenn das Werk vollendet ist; jeder einzelne von ihnen ein Heros an Arbeitskraft, keiner ein Phantast der Universalität, aber alle große Könner in ihrem Handwerk und Männer der Leistung durch und durch. Der Riß zwischen Phantasie und Formung, an dem die romantischen Künstlergestalten zugrunde gingen, ist hier nicht vorhanden. Die Selbstverständlichkeit der Umsetzung in das Werk ist das Kennzeichen dieses Künstlertums. Die Rolle des schwärmenden, diskutierenden und unseßhaften Enthusiasten, die die Romantik dem Künstler selbst zuteilte, ist hier an dem Platz zu finden, an den sie gehört: bei dem reisenden Kenner, der nicht Kunst schafft, sondern betrachtet. Dies Buch stellt, so anspruchslos es ist, eine Stufe der Gesundung dar, indem es Künstlertum faßt als Leistung und Vollendung und durch die Annäherung der Kunst an das Handwerk wieder Leben und Kunst zusammenführt. Es ist kein Zufall, daß der Verfasser, um diese Gesundung zu finden, aus seiner eigenen Zeit floh und sich zu den historischen Gestalten der ungebrochenen Handwerksfreude wandte, (denn die Renaissancekünstler Sternbald und Ardinghello waren ja nur verkappte Menschen des Sturm und Drang und der Romantik), und wieder sind diese unmittelbaren Schöpfer in der überwiegenden Mehrheit Plastiker. Dürer, der Maler, ist zugleich der einzige unter ihnen, der einige präraffaelitisch-romantische Züge aufweist.

DIE ENTDECKUNG DER KÜNSTLERPROBLEMATIK: E. T. A. HOFFMANN In den bisher betrachteten Romanen galt das Interesse immer dem Gesamtbild der Künstlergestalt. Anders verfährt die romantische N o v e l l e , die ihrem Wesen nach nicht die Ausbreitung eines Gesamtbildes in seinen mannigfachen Verzweigungen geben kann, sondern die Zuspitzung und konsequente Durchführung eines einzelnen Problems. Solche Durchführung ist die Leistung E. T. A. H o f f m a n n s . Wie dieses herausgegriffene Einzelproblem aber beschaffen sein muß, das ist in dem Wesen der Spätromantik begründet, die nicht mehr, wie es die Frühromantik Tiecks und Wackenroders tat, die Wirklichkeit entwirklicht und poetisiert bis zur Angleichung an die Welt der künst-

E. T. A. HOFFMANN. KUNST ODER LEBEN. „SIGNOR FORMICA".

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lerischen Phantasie, sondern die der Wirklichkeit wieder Wert gibt als einer eigenen, nicht zu umgehenden Machtkomponente. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit als das Problem des Künstlertums das Verhältnis von Phantasie und Wirklichkeit, von Kunst und Leben. Es gilt die Entscheidung zwischen Schaffen oder Besitzen, Entbehren oder Genießen. Mehr als für irgendeinen anderen der Romantiker bedeutete für Hoffmann dies Problem persönlichste Gegenwart, weil es in seinem eigenen Berufs- und Liebesleben ausschlaggebend war, und das Wort, mit dem er seinen Verzicht auf die treulose Julia Marc besiegelte: „Das Schicksal meint es mit mir und meinem Künstlerleben gut", ist der Grundakkord seiner Künstlernovellen geworden. Einen ersten Anklang an dieses Motiv der Wahl zwischen dem Besitz der Geliebten und dem der Kunst gab es schon im „Sternbald". „Wenn ich sie einst finden sollte", heißt es da, „würde dann vielleicht mein Künstlertalent seine Endschaft erreicht haben?" Diese Ahnung aber der unabwendbaren Entscheidung zwischen Kunst und Leben, die dort als chronisches Leiden sich hinschleppt, sieht Hoffmann als akute Krankheit, für die es nur zwei Lösungen gibt: Genesung oder Vernichtung1). Eine der wenigen von Hoffmanns Künstlernovellen, die an eine tatsächliche, historische Künstlergestalt anknüpfen, der „Signor Formica", ist zugleich seine unproblematischste, denn die Gestalt des Malers Salvator Rosa ist hier nur die stoffliche Grundlage, aber nicht der Problemgehalt. Das eigentliche Problem der Entscheidung zwischen Kunst und Leben klingt dagegen an in der Novelle „Die Brautwahl" 1 ), deren Lösung noch ohne einen Hauch von Tragik ganz auf Dur gestimmt ist. Denn in dem endgültigen Verzicht des Malers auf die Geliebte gibt ') Es ist nicht uninteressant, daß die gleiche Fragestellung, wenn auch lehrhaft und gewaltsam konstruiert, schon rund drei Jahrzehnte vor Hoffmann in einem Drama von H a g e m e i s t e r : Der Prüfstein (1784) auftritt. Hier stellt Minerva den Maler Alkmäon vor die Wahl, entweder sein letztes Bild, den Höhepunkt seines Schaffens, zu vernichten, oder seine Geliebte der Minerva als Sklavin zu weihen. Der Künstler entscheidet sich für das letzte. Die Göttin aber verbannt ihn aus dem Tempel der Kunst mit der Begründung: „Der Mann, der die Natur verleugnen... kann, ist nicht Künstler aus Leidenschaft, sondern aus Ziererei und Zeitvertreib." Die Göttin also als höchste Instanz tritt nicht für die Kunst ein, sondern für das verletzte menschliche Gefühl; denn dieses verletzen, hieße zugleich sein Künstlertum verraten. Es liegt die bis zu Hoffmann gültige Anschauung zu Grunde, daß nur ein guter, einwandfreier Mensch ein echter Künstler sein könne. Hoffmann dagegen gestaltet, jenseits aller sittlichen Wertfolge, die Tragik, die sich für den Künstler aus seiner unvermeidbaren Entscheidung ergibt. 1 ) Die Novellen sind hier nicht chronologisch angeordnet, sondern nach der Steigerung des Problems.

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DIE ENTDECKUNG DER KÜNSTLERPROBLEMATIK

es noch keine tragische Auseinandersetzung, da das künstlerische Gewissen mit dem menschlichen Willen übereinstimmt. Durch die neue Verbindung, die das Mädchen eingeht, tritt Leben zu Leben. Die nur Genießenden finden sich zusammen, und der Strebende, Schaffende bleibt, außerhalb ihres Kreises, allein. Er hat die Sehnsucht nach dem Leben in Gestalt der Liebe nur, solange sie ihm unerfüllbar erschien. Die greifbare Nähe, in die sie für ihn durch die Verlobung rückt, heilt ihn ein für allemal von dieser Sehnsucht und rettet den Künstler in ihm. Die gleiche untragische Lösung zeigt „Meister Martin der K ü f n e r und seine Gesellen," weil auch hier der Künstler fähig ist, sich vor dem Einbruch des Lebens zu retten. Reinhold, der Maler, flieht aus dem Küfnerhause, als er den Besitz des Mädchens mit dem Verzicht auf die Kunst bezahlen soll, und Friedrich, der Bildgießer, geht die Ehe erst ein, als ihm die Weiterführung seiner Kunst gewährleistet ist. Wenn es diesem fortan vergönnt ist, das Schaffen mit dem Besitz der Frau, also Kunst mit Leben zu verbinden, so deshalb, weil er als Bildgießer noch dem Handwerk und damit dem Bürgertum näher steht als der durch seine Kunst ganz entbürgerlichte Maler. Wenn diesem ein Besitz vergönnt ist, so ist es gleichsam ein Besitzen im Verzicht. In der Novelle „Der A r t u s h o f " heiratet der liebende Künstler am Ende ein Mädchen, das, obwohl erdenschwerer und lebensnäher, doch der wahrhaften, ihm für immer verlorenen Geliebten wenigstens ähnlich ist. Diese selbst anzutasten aber verhindert ihn die Erkenntnis, daß sie das Ideal und der Genius seiner Kunst ist, die er nur geistig, aber niemals physisch besitzen darf. „Du bist mein immerdar, denn Du selbst bist ja die schaffende Kunst, die in mir lebt." Der Held erkennt und erfüllt sein Schicksal, als Mensch zu entbehren, um als Künstler zu besitzen, und rettet damit sein Künstlertum. In einer Nebenfigur aber, dem wahnsinnigen Maler Berglinger, der, während er bewegungslos vor der grundierten Leinwand sitzt, unsterbliche Meisterwerke unter seiner Hand entstehen sieht, ist der tragischdämonische Hintergrund der Kunst gestaltet und die gefährliche Nachbarschaft von Wahnsinn und Schöpfertum. Die Gefahren sind ans Licht getreten, die den Künstler umlauern, wenn der Strom des Genies über seine Ufer tritt und Kunst und Leben verschlingt. Die dämonische Tragik, die hier einer Hintergrundfigur angehört, ist in der „ J e s u i t e r k i r c h e in G." auf die Hauptfigur selbst übergegangen. Hier bleibt der Maler nicht siegreich im Verzicht, sondern zieht das Idealbild seiner Kunst zum irdischen Besitz herab und geht an dieser Wirklichkeit zugrunde; denn Leben und Kunst, ewig feindliche Mächte, vernichten den, der sie gemeinsam besitzen will, zuerst als Künstler und

,MEISTER MARTIN, DER KÜFNER", „ARTUSHOF» USW.

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am Ende auch als Menschen. Der in seiner Kunst Gebrochene wird zum geistigen Mörder seiner Familie. — Die letzte Konsequenz des physischen Mordes um der Kunst willen zieht Hoffmann noch nicht hier, sondern erst in der Gestalt des Goldschmieds Cardillac aus dem „ F r ä u l e i n von Scudöry", wo die Mollstimmung der „Jesuiterkirche" zum Furioso gesteigert ist. Denn dieser Goldschmied, der am Tage mit einer künstlerischen Besessenheit ohnegleichen erlesensten Schmuck herstellt und bei Nacht zum Mörder wird, um seine Schöpfungen wieder an sich zu bringen, er ist die letzte Konsequenz der unheilbaren Trennung von Kunst und Leben: Der Künstler, der nicht nur, wie etwa Sternbald, dem Leben einige Gefühle schuldig bleibt, sondern der gerade aus seinem dämonischen Künstlertum heraus lebenzerstörend wirken muß. ,,Das Höchste der menschlichen Natur, der Prometheusfunken im Menschen — er ist eine Klippe: ein schmaler Strich, auf dem man steht, der Abgrund ist offen." Dieser Abgrund, an dem die Helden der „Brautwahl" und des „Artushof", von künstlerischem Gewissen glücklich geleitet, vorbeischreiten, in dem der Held der „Jesuiterkirche" versinkt, er ist für Cardillac geradezu die Heimat. Der Schaffende in der Kunst muß im Leben Zerstörer sein. Der Gegensatz von Kunst und Leben ist zur letzten Konsequenz geführt. Ein einziges Mal nur in Hoffmans Werk, in der späten Novelle „Meister J o h a n n e s Wacht", erscheint der Gegensatz von Schaffen und Leben nicht als Verzicht oder Zerstörung, sondern als Aufbau und Heilung. Der menschliche Zusammenbruch im Leid läßt das Werk wachsen, das nun seinerseits die Brücke über den Abgrund des Schmerzes zum neuen Ufer des Lebens schlägt. Die Fragment gebliebene letzte von Hoffmans Künstlernovellen, „Der Feind", rückt das Problem von Kunst und Leben in symbolhafte Ferne. Der Feind, der dem schon vom Tode gezeichneten Albrecht Dürer begegnet, der frühere Mitschüler aus der Lehrzeit bei Wohlgemut, symbolisiert die der Kunst feindlichen Mächte des Lebens. Der Schaffende aber, der all seine Kraft dem Werk gab, ist dem einbrechenden Leben nicht mehr gewachsen. Der, nicht gestaltete, aber schon deutlich geahnte Tod Dürers sollte zum letzten Mal in Hoffmanns Künstlernovellen die Zerstörung symbolisieren, die die schicksalhafte Folge der unvermeidbaren Trennung von Kunst und Leben ist. Blickt man von der Problematik E. T. A. Hoffmanns zuück zu dem frühromantischen Bild der Künstlergestalt, so erscheint dieses merkwürdig historisch und zeitgebunden. Die innere Erfassung der Künstlergestalt geht von Hoffmann aus, weil er als erster die Umwertung aller Lebenswerte im Künstler erfaßte. Ein Dichter des 20. Jahrhunderts,

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DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS

Joseph Ponten (in seinem Architektenroman „Der babylonische Turm") formulierte diese Problemstellung: „Das Bedeutendste im Leben kann wertlos sein in der Kunst und umgekehrt. Alles erfährt in der Kunst eine Veränderung seines Gewichts, wie irgend ein Gegenstand im Wasser, wo er nicht sein Gewicht, sondern das des verdrängten Wassers wiegt." Hoffmann als erster brach mit der frühromantischen Auffassung des Künstlers als eines in ewiger Poesie wandelnden Lieblings der Götter, denn er kannte und erkannte die Anfechtbarkeit seiner menschlichen und sittlichen Erscheinung und die Tragik der Entscheidung zwischen Kunst und Wirklichkeit. Er sah den Künstler nicht als Auserwählten, sondern nur als Berufenen, nicht den Begnadeten, sondern den Gezeichneten. Und auch darin tritt Hoffmann heraus aus dem Künstlerbild der Frühromantik, daß die präraffaelitisch-jünglingshaften Gestalten, wie noch die Helden des „Artushof" und der „Brautwahl" es sind, verdrängt werden von einem durchaus männlichen Ideal der Vollendung. Der Goldschmied Cardillac, Johannes Wacht und Albrecht Dürer sind Meister schlechthin. Die Frage, ob Hoffmanns Gestalten nur allgemein künstlerisch oder auch im engeren Sinne malerisch gesehen sind, verlangt hier eine doppelte Beantwortung. Die Grundspannung des Künstlers, der, „sein eigener Dämon, in sein Leben mit der Höllenfackel hineinleuchtet", ist in seinem Werk nicht nur den Malern, sondern allen Künstlern eigen, da sie das Kennzeichen seines eigenen Künstlertums ist. Andererseits ist aber ihm, der selbst über drei Möglichkeiten künstlerischer Äußerung verfügte, die besondere Art des dargestellten Schaffens durchaus erfaßbar. Die Bildkünstler in seinem Werk sind nicht Zufallsmaler; in der „ Jesuiterkirche" wird ja sogar, soweit die Novellenform das zuläßt, eine geschlossene malerische Entwicklung gegeben. Der Doppelbegabung Hoffmanns ist die Erfassung der bildkünstlerischen Phantasie durch das Mittel der Sprache zugänglich, auch darin wieder sehr verschieden von den aus ganz unmalerischer Phantasie entstandenen Malergestalten der Frühromantik. DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS Mit dieser Spaltung des Künstlers in eine Lebens- und eine Schaffenskomponente hat Hoffmann die Problematik entdeckt, die von jetzt ab grundlegend für die Künstlergestalt wird. Es soll nun, unter Durchbrechung der zeitlichen Ordnung, die Fortführung dieser Fragestellung verfolgt werden, soweit, wie bei Hoffmann

HOFFMANN. SEINE NACHFOLGE. SIEG D E R KUNST ÜBER DAS LEBEN

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selbst, vorwiegend dieses Problem als einzelnes, und nicht die Gesamtgestalt des Künstlers dichterisch erfaßt ist. Die Anordnung wird dabei unter demselben Gesichtspunkt der Steigerung des Problems erfolgen wie bei Hoffmanns Novellen. Dabei soll es sich nicht darum handeln, jedes Mal den Einfluß E. T. A. Hoffmanns nachzuweisen oder auch nur im einzelnen vorauszusetzen, sondern allein um die Zuordnung solcher Werke, deren Zentrum das Problem Kunst und Leben ist, zu dem Entdecker und ersten Gestalter dieses Problems. Da die Zuspitzung auf ein einzelnes Problem nach einer Form kämpfender Auseinandersetzung verlangt-, so werden im folgenden überwiegend Gestaltungen in dramatischer oder der — dramatischer Schlagkraft am nächsten kommenden — Novellenform erscheinen, während erst die Rückkehr zu der Erfassung des Gesamtbildes wieder den Roman auf den Schauplatz führen wird1). Die nun folgenden Werke stellen problemgeschichtlich keine heue Stufe dar und sind zum großen Teil auch künstlerisch nicht von hoher Bedeutung. Eine summarische Betrachtung erscheint daher geboten2). Der Richtung von Hoffmanns Novelle „Der Artushof", deren Lösung der Sieg der Kunst über das Leben ist, gehört Friedrich K i n d s Drama „Van D y c k s L a n d l e b e n " (1817)3) an. Die Aktivität der Trennung ist jedoch von dem Künstler auf das liebende Mädchen übergegangen. C h a m i s s o s Gedicht „Das Malerzeichen" (1831) nähert sich trotz des E. T. A. Hoffman-Einflusses insofern mehr der Frühromantik, als hier Kunst und Liebe eins sind und beide in der Seele des Künstlers gemeinsam im Kampf mit den teuflischen Verführungen der Welt4). Dem Geiste Hoffmanns viel näher — in der Lösung ebenso wie in den einzelnen Motiven — steht H e b b e l s „früher Versuch in der Novelle" „Der Maler" (1832). Der junge Raffael, der seinem Lehrer Perugino *) Welche dramatischen Möglichkeiten Hoffmanns eigne Novellen enthalten, zeigt sich schon darin, daß O t t o L u d w i g in seiner Dramatisierung des ,.Fräulein von Scud^ry" Stoff und Problemstellung unverändert von Hoffmann übernehmen konnte. 2 ) Die stoffliche Häufung in diesem Kapitel ist darin begründet, daß der größte Teil der hier eingeordneten Werke in den bisherigen Arbeiten über das Thema noch niemals Erwähnung gefunden hat. Die Überfülle mag einen Begriff von der unendlichen Verzweigtheit des Stoffes geben. 3 ) Da in diesem Kapitel die zeitliche Anordnung durchbrochen ist, und es sich überdies zum Teil um wenig bekannte Werke handelt, ist das Erscheinungsjahr im Text vermerkt. Vgl. dazu die Bibliographie am Schlüsse der Arbeit. *) C h a m i s s o s Gedicht „Ein Kölner Meister" (Ghibertis „Chronik" nacherzählt) löst das Künstlermotiv in das Eremitenmotiv auf, und „Francesco Francias Tod" (nach der Erzählung des Vasari) schildert das selige Sterben des greisen Meisters im Anschauen von Raffaels Gemälde „Die heilige Cäcilie", das die von ihm selbst nie erreichte Vollendung seines eigenen künstlerischen Wollens ist. Beide Gedichte haben mit der Problematik des Künstlertums nur wenig zu tun.

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DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS

einst unerschütterlichen und alleinigen Dienst an der Kunst gelobt hat, wird von Liebe zu dessen Tochter ergriffen, aber durch die Flucht des Meisters noch rechtzeitig vor dem Treubruch an seiner Kunst bewahrt. Die Lösung also ist, wie in Hoffmanns „Artushof", untragisch durch den Sieg der Kunst über das Leben. Aber wie dort ist auch hier die dämonische Tragik nicht an dem jungen Künstler selbst gestaltet, sondern an einem alten Meister, dem Lehrer Perugino, der, einst durch das in sein Dasein einbrechende Leben an die Grenze des Wahnsinns gebracht, nun den Weg des von geheimnisvoller Tragik umwitterten ewigen Flüchtlings geht und endlich im Unbekannten verschwindet. Die Flucht des Künstlers vor dem Leben in Gestalt der Ehe hat eine mehr eigenartige als folgerichtige Darstellung in einem Drama „ R a p h a e l Sanzio" von W o l l h e i m da F o n s e c a (1856) gefunden, wo die Fornarina nach der Trauung am Altar Selbstmord begeht, um den Geliebten der Kunst zu retten. Das Mißverständnis ist hier dasselbe wie in Friedrich Kinds Drama, nämlich, daß die Entscheidung dem Künstler aus der Hand genommen und dem Mädchen anheim gegeben ist. Das 20. Jahrhundert färbt die Fragestellung um zu der Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Bürgertum der Satten und Besitzenden, ein Problem, das, wie sich zeigen wird, im Künstlerroman um dieWende des 19. und 20. Jahrhunderts eine ausschlaggebende Rolle spielt. In E d u a r d S t u c k e n s Drama „Die H o c h z e i t Adrian Brouwers" (1914) rettet sich der Künstler bei seiner Trauung durch Vorspiegelung schwerer Trunkenheit vor der Vergewaltigung seines Künstlertums durch das Bürgertum in Gestalt der Ehe. Hier überall, wie in Hoffmanns zuerst besprochenen Novellen, ist die Lösung des Problems ein reiner und untragischer Sieg der Kunst über das andrängende Leben1). Tragisch aber wird die Lösung des Konflikts, wenn, wie in Hoffmanns „Jesuiterkirche", das Leben über die Kunst siegt, wenn der Künstler dem Leben erliegt und dadurch an ihm zu Grunde gehen muß. In diesem Sinne gestaltet A l f r e d de Musset in seinem Drama „André del Sarto" (1838) die Tragik des Künstlers, der, um der geliebten Frau den Himmel auf die Erde herabzuholen, sein Künstlertum zum Erwerb äußerer Güter mißbraucht und endlich zu der tragischen Erkenntnis kommt: „Mein Genius starb an meiner Liebe." Aber auch das scheinbar siegreiche Leben flieht den in seiner Kunst schon Gebrochenen und vernichtet so nicht nur den Künstler, sondern auch den Menschen. Die Konsequenz der „Jesuiterkirche", die Rache des gebrochenen Künstlers an dem Leben, das ihn vernichtet *) Ein Drama „Peter Vischer" von Wilhelmine S o s t m a n n (1832) wiederholt das Hoffmannsche Thema Kunst oder Liebe auf sehr niedrigem künstlerischem Niveau.

SIEG DES LEBENS ÜBER DIE KUNST: MUSSET, STIFTER USW.

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hat, wird in Mussets Drama nicht gezogen. Der Künstler wird hier nur an seiner Kunst schuldig; das Leben, das ihn in solcheSchuld verstrickte, läßt er unangetastet. Noch ein zweites Mal, in der Novelle „Der S o h n des T i z i a n " (1838) gestaltete Alfred de Musset diesen Sieg des Lebens über die Kunst, jedoch in einem ganz untragischen, bejahenden Sinne. Denn dieser Tizianello leidet keineswegs unter dem Versiegen seiner Schaffenskräfte, sondern wirft sich mit seinem ganzen Wesen dem Genießen in die Arme. Und doch hat gerade die untragische Lösung hier einen tiefen und allgemein gültigen Sinn. Denn in diesem Sohn eines Großen ist die Kunst gleichsam ermüdet, und der problemlose Triumph des Lebens erscheint als der naturgegebene Rückschlag gegen das ausschließliche Künstlertum des Vaters 1 ). Sehr wenig begründet dagegen ist die untragische Lösung zu Gunsten des Lebens und gegen die Kunst in A d a l b e r t S t i f t e r s Novelle „ N a c h k o m m e n s c h a f t e n " (1857), in der der Held aus der innigsten Hingabe an die Kunst plötzlich unter dem Einfluß einer Liebe ins Leben abbiegt, um von Stund an keinen Pinsel mehr anzurühren. Dabei ist das Ziel hier nicht einmal — wie später in der zweiten Fassung von Gottfried Kellers „Grünem Heinrich"—das Eingreifen in den Lauf der Welt, sondern nur die stille Bescheidung am häuslichen Herde. Es zeigt sich, wie die — für E . T. A. Hoffmann notwendig tragische — Lösung des Konflikts zu Gunsten des Lebens sich in einem ganz untragischen und idyllischen Geiste spiegelt. Die Lösung Stifters geht an der Notwendigkeit des Künstlertums durchaus vorüber. Denn für den wahren Künstler besteht die Möglichkeit (wie wir sehen werden, keineswegs die Notwendigkeit) einer untragischen Lösung nur dann, wenn die Kunst über das Leben siegt. Der Sieg des Lebens über die Kunst dagegen muß notwendig eine tragische Lösung sein, da er ja das Ende des Künstlertums bedeutet2). ') In Theodor Mündts Novelle „Madeion oder die R o m a n t i k e r in P a r i s " (1832) ist die Entscheidung für das Leben und gegen die Kunst in den Tendenzen des „Jungen Deutschland" begründet, dem der Tummelplatz des Lebens mehr galt als die Einsamkeit des Schaffens. Auch der Maler Leidenfrost in Gutzkows Roman „Die R i t t e r vom Geist" (1851) fordert lebendig-aktivistische Parteinahme im Leben im Gegensatz zu der exklusiv-passiven Lebensferne der Romantik. (In der Spätromantik war in der Gestalt des Malers Guido aus Eichendorffs Roman „Dichter und ihre Gesellen" diese Richtung zum Leben schon vorbereitet). Die Epoche des „Jungen Deutschland" ist für das vorliegende Thema besonders unergiebig, da seine Tendenz zu aktivistisch-programmatischer Kampfdichtung die Gestalt des bildenden Künstlers in den Hintergrund drängt und den Dichter, dem die Waffe des Wortes gegeben ist, bevorzugt. (Vgl. dazu die Arbeit von Erna Levy: „Die Gestalt des Künstlers im deutschen Drama", Berlin 1029, S. 121). 2 ) In der Dichternovelle „Das Heidedorf" ist die Lösung umgekehrt: der Verzicht auf die Liebe unter dem Zwange der Kunst. Es kommt Stifter weniger auf die Art der Lösung an als auf die in jedem Falle aus der Lösung entstehende Harmonie. — Der

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DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS

Zwischen diesen beiden Möglichkeiten, dem — untragischen — Sieg des Künstlertums, wie er in Hoffmanns Novellen „Die Brautwahl" und „Der Artushof" gestaltet war, und dem — tragischen — Sieg des Lebens (in der Richtung der „ Jesuiterkirche") steht als eine weitere Möglichkeit der Sieg der Kunst, der nun aber, wie in Hoffmanns „Fräulein von Scudery", tragisch wird durch die Verletzung und schließliche Vernichtung des Lebens durch die Kunst. Der Wille zur Erhaltung des Künstlertums wird in dem Augenblick tragisch, wo er schicksalhaft verbunden ist mit der Verletzung des — eignen oder fremden — Lebens; wo das Künstlertum zur Schuld am Leben wird. Solche Schuld lädt in der Novelle von B a l z a c "Le chef d ' o e u v r e inconnu" (1832) der junge Poussin auf sich, als er seine Geliebte zum Modell erniedrigt und durch diesen Dienst an der Kunst ihr Menschentum verletzt. Der Künstler, dem das Menschliche nur Wert hat als Gegenstand der Kunst, muß als Mensch schuldig werden, wenn er als Künstler das Höchste leisten will. Aber auch dem Künstler selbst droht Vernichtung durch sein Künstlertum: Der wahnsinnige Maler Frenhofer, der seit Jahren um die Vollendung eines Werkes ringt, das in Wahrheit nur noch ein wüstes Farbenchaos darstellt, ist ein unmittelbarer Abkömmling des wahnsinnigen Berglinger in Hoffmanns Novelle: „Der Artushof." Im 20. Jahrhundert hat dieses Problem der Schuld durch die Verletzung fremden Lebens endgültige Gestalt gefunden in I b s e n s Epilog: „ W e n n wir T o t e n e r w a c h e n " , und, deutlich unter seinem Einfluß, zehn Jahre später in Konrad F a l k e s Novelle: „ M i c h e l a n g e l o " (in der Sammlung „Träume", 1909), in der das Modell von dem Meister an seinem Todestage die gleiche Rechenschaft fordert wie Irene von dem Bildhauer Rubek in Ibsens Werk. Die letzte theatralische Zuspitzung, die der Problematiker Ibsen nicht aufsüchte, erhielt dies Problem in dem Drama P i r a n d e l l o s : "Diana e la Tuda" (1927), dessen Ende die Ermordung des Künstlers ist als rächender Triumph des Lebens für seine Knechtung durch das Künstlertum. Diese Rache aber führt nicht das Modell, das erniedrigte Leben selbst aus, sondern ein alter Bildhauer aus der Familie der Berglinger und Frenhofer, der den Wahnsinn der lebenzerstörenden Kunst erkannt hat und nichts mehr will als die Rettung des Lebens vor der Kunst1). Held in Stifters großem Roman „Der Nachsommer" kann wohl kaum als Künstlergestalt gewertet werden, da seine zeichnerischen Versuche mehr der wissenschaftlichen Erforschung als der künstlerischen Umsetzung der Welt gelten. 1 ) In einer Novelle des Dostojewski-Schülers Wsjewolod Garschin „ N a d e s c h d a N i k o l a j e w n a " (deutsch 1897), liegt das Problem genau entgegengesetzt: der Maler

KÜNSTLERTUM ALS SITTLICHE SCHULD: BALZAC, IBSEN USW.

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Aber nicht nur das Modell, das sich bewußt in den Dienst der Kunst stellt, geht an ihr zugrunde. Alles, was dem Künstler nahe kommt, wird von ihm verbrannt. Das Leiden der Familie an seiner dämonischen Persönlichkeit ist das Thema dreier Romane der letzten Jahrzehnte: „Der R a n g i e r b a h n h o f " von H e l e n e B ö h l a u (1896), „Der b a b y l o n i s c h e Turm" von J o s e p h P o n t e n (1918) und „Die Frau des S t e f f e n T r o m h o l t " von S u d e r m a n n (1927). Im Zentrum des Romans von Ponten steht der Baumeister und Willensmensch, der das Menschliche um sich herum niedertritt und endlich, durch sich selbst erschöpft, in den Phantasien eines nur geträumten Schaffens das erste reine Glück seines Lebens findet1). In Sudermanns Roman ist — arg verwischt durch erotische Episoden — die Zerstörung einer Frauenseele durch das Künstlertum ihres Mannes beabsichtigt, und die Heldin des „Rangierbahnhof" rettet das Straßenmädchen aus dem Sumpf, in dem es versunken ist, gerade dadurch, daß er als einziger es nicht als Weib zu begehren scheint, sondern sachlich als Modell in den Dienst der Kunst stellt. Was in den anderen Darstellungen als Verletzung des Lebens aufgefaßt wird, die Unterordnung fremden Lebens unter das Künstlertum, ist hier gerade die Rettung dieses Lebens. Ein Beispiel mehr für die unerschöpfliche Vielseitigkeit des Themas Kunst und Leben. (Über Garschin vgl. auch S. 60, Anm. 2). 1 ) Das Ende ist die visionäre Vollendung der „Architekturen, die nicht gebaut wurden", wie auch in C. F. M e y e r s Gedicht „ D a s M ü n s t e r " ; bei Ponten im träumenden Spiel, bei C. F. Meyer in der letzten Vision des Todes. Noch ein zweites Problem, und zwar eins, das für die Künstlergestalt des 20. Jahrhunderts symptomatische Bedeutung hat, spielt in Pontens Roman eine Rolle, nämlich die Auseinandersetzung zwischen der Kunst und dem Leben in Gestalt des K a p i t a l i s m u s . Der Architekt, halb nur Schaffender und zum andern Teil Grundstücksspekulant und Bauunternehmer, erliegt schließlich dem Unternehmertum und sinkt dementsprechend als Schaffender. Erst im Alter, als die künstlerische Phantasie, jetzt mehr träumend als gestaltend, von neuem erwacht, wächst in ihm die Erkenntnis: „Das Beste, was gebaut wurde, ist nur auf dem Papier gebaut worden. Wenn etwas ausgeführt wurde, so hängte sich ihm ein ekliger Menschenschleim, eine giftige Krankheit an, und diese Krankheit heißt G e s c h ä f t . " Das gleiche Problem spielt bedeutsamerweise in zwei modernen a m e r i k a n i s c h e n Romanen eine wesentliche Rolle. In E d n a F e r b e r s Roman „So big" (1924) gibt der Held auf Grund von praktisch-materiellen Erwägungen über die wirtschaftliche Lage der Nachkriegszeit freiwillig die Architektenlaufbahn auf und wird nach einem kurzen und glänzenden Aufstieg ein erfolgreicher und bewunderter Geschäftsmann. Und auch ihm dämmert erst am Ende die Erkenntnis, daß sein Leben verarmt sein könnte, als er Schaffen gegen Geld und inneres Wachstum gegen Augenblickserfolge eintauschte. In T h e o d o r e D r e i s e r s Roman „The Genius" (1915) ist die Künstlerproblematik vielseitiger und komplizierter gefaßt. Nachdem der Held einen nervösen Zusammenbruch, der ihn — als Folge einer unglücklichen Ehe — für Jahre niederwirft, überwunden hat, verwendet er seine neuen Schaffenskräfte nicht zur künstlerischen Arbeit, sondern zur Leitung eines großen Verlagsunternehmens, das ihm Reichtum und eine bedeutende Stellung im bürgerlichen Leben einträgt. Erst nach dem Verlust dieser Stellung kehrt er, jetzt aber ohne Impuls und innere Notwendigkeit, zur Malerei zurück.

so

DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS

ist die von der Kunst besessene Malerin, an der die Undämonischen und nur Genießenden leiden. Auch in dem Roman von Rudyard K i p l i n g : "The lightthat failed" (1891) entscheidet sich die künstlerische Frau unter Übergehung des Lebens /ür die Kunst, als sie zwischen ihrer Arbeit und dem Hilfsdienst für den erblindeten Geliebten zu wählen hat1). Was sittliche Schuld ist am Künstlertum, das will die niedere Masse zum Verbrechen im strafrechtlichen Sinne stempeln, damit ihr selbst das Gericht über den Künstler vergönnt sei. Das ist das Thema des Dramas „Phidias" von F r i e d r i c h Lienhard (1918). Das Volk klagt den Künstler der Unterschlagung an, um ihn von seinem Bürgertum her zu vernichten, denn „Er hat die Seele samt seiner Triebe Kraft dem Bürgertum entzogen, hat das Gold und allen Edelstoff der Kunst geschenkt." Wie in Stuckens Drama ist auch hier — bezeichnend für das 20. Jahrhundert — das kunstfeindliche Leben dem Bürgertum gleichgesetzt. Dieses Drama leitet über zu der nächsten Steigerung des Problems, in der das Künstlertum nicht nur sittliche Schuld, sondern, wie in Hoffmanns „Fräulein von Scudery", nun tatsächlich strafgesetzliches Verbrechen ist. Am stärksten erscheint dies Problem in Chamissos Gedicht: „Das K r u z i f i x " (1831), in dem der Bildhauer, unbekümmert um die Qualen seines gekreuzigten Modells, das Werk des Kruzifixus vollendet und, als er selbst den Frevel am Kreuze sühnt, keine Todesqual, sondern nur den Triumph des vollendeten Werkes fühlt. Das Menschliche ist bis zum letzten vom Künstlertum verschlungen2). ') Die besondere und für das Zeitalter der Frauenemanzipation typische Konstellation des Künstlerpaares, die Kipling und Helene Böhlau ergreifen, erscheint in S t r i n d b e r g s Drama „Kameraden" ins Satirische gewandt. Wenn bei den beiden ersten die Frau die tatsächlich höher Strebende ist, so ist sie bei Strindberg die ohne Berechtigung Anspruchsvolle. Schon vor diesem hatte Gottfried Keller in der Erzählung „ R e g i n e " (aus „Das Sinngedicht," 1881) den Typus der emanzipierten Malerin episodisch dargestellt. 2 ) In gewisser Weise gehört auch R i c h a r d D e h m e l s Drama: „Der M i t m e n s c h " (1805) hierher, wo der Bruder für den Bruder mordet, um diesen seiner Kunst zu retten. Das Lebendige lädt die Schuld auf sich im Dienste des Künstlertums. Die Vernichtung des eigenen Lebens, allein durch die Hingabe an die Kunst und ohne Verstrickung in Schuld, ist das Thema des Versepos „Dauber" des Engländers John M a s e f i e l d (1013), wo ein junger Maler zur See geht, um das Meer, das er malen will, aus unmittelbarer Nähe zu erleben. Seine Hingabe an die Kunst läßt ihn die Schikanen der Matrosen gegen den Außenseiter überwinden, bis er in einem Sturm auf hoher See umkommt.

KÜNSTLERTUM ALS VERBRECHEN: CHAMISSO, GUTZKOW USW.

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In einem Drama „Veit Stoß" von Tim K l e i n (1912) fälscht der vom Schaffenszwang besessene Meister eine Urkunde, um den Auftrag des Bildwerks „Der englische Gruß" an sich zu bringen, und erringt so den Höhepunkt des Künstlers durch den Fall des Menschen. Die Novelle „Nimführ und Willenius" in Jakob W a s s e r m a n n s Rahmenerzählung „Der g o l d e n e Spiegel" (1911) stellt den Zusammenstoß zweier Genies an dem Schicksal van Goghs dar, der, von seiner Kunst bis zum Wahnsinn besessen, nach dem Mordanschlag auf den Rivalen Gauguin sich selbst vernichtet. „Er liebte die Kunst mit einer verbrecherischen Leidenschaft. Er liebte die Kunst und haßte seinen Körper. Er vergaß, daß man auch leben muß, wenn man schaffen will". Auch die Nebenhandlung des Bildhauers Hali-Jong aus G u t z k o w s „Maha Guru" (1833) gehört hierher, obgleich das Gesetz, das der Bildhauer bei der Herstellung der Götterstatuen aus künstlerischem Sondertrieb heraus verletzt, kein bürgerliches, sondern ein religiöses ist. Und endlich war es B e r n a r d Shaw, dem Satiriker, vorbehalten, in der Gestalt des Malers Dubedat aus dem „Arzt am S c h e i d e w e g e " (1906) die Spannung zwischen Kunst und Leben der Form nach zur Komödie zu wenden. Der Problemgehalt aber ist auch hier notwendig tragisch durch die Unversöhnbarkeit der Kunst mit dem Leben. Der geniale Künstler verletzt durch seine fahrlässigen Hochstapeleien das Leben in Form der einfachsten Gesetze menschlicher Anständigkeit, für die ihm jedes Gefühl fehlt, und büßt damit die Sympathie seines Arztes und dadurch sein Leben ein. Wenn der Arzt den ungenialen, aber menschlich unanfechtbaren und damit im Sinne des Lebens höher stehenden Kollegen rettet und das — asoziale und damit lebensfeindliche — Genie zugrunde gehen läßt, so ist er der rächende und, vom Standpunkt des Lebens aus, auch gerechte Anwalt des durch den Künstler verletzten Lebens1). In all diesen Künstlern, die zu Verbrechern am Leben werden, triumphiert, unberührt von der menschlichen Sühne, das vollendete Werk2). Kunst und Leben sind am weitesten getrennt. Aber wie bei E. T. A. Hoff') Das gleiche Problem der Spannung zwischen Kunst und Leben hatte Shaw schon in dem Roman „Love among the artists" beschäftigt. Hier gibt der Durchschnittskünstler Adrian Herbert die Malerei auf, als er entdeckt, „daß das Leben höher steht als irgend eine besondere Kunstfertigkeit", während das Genie — hier vertreten durch den Musiker Jack — um der Kunst willen auf jede Lebenserfüllung verzichtet. Kunst und Leben sind auch in der Welt Shaws unvereinbare Gegensätze, zwischen denen dem wahrhaft genialen Künstler keine Wahl gelassen ist. ') Auch Börnes von M ü n c h h a u s e n s Gedicht „ P r a x i t e l e s ' l e t z t e s Werk" und W a l t e r H a r l a n s Tragödie „Das N ü r n b e r g i s c h Ei" (1913) lassen den Schaffenden sein Leben opfern, um das Werk (bei Harlan nicht künstlerischer, sondern technischer Art) zu retten.

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DIE NACHFOLGE E. T. A. HOFFMANNS

mann auf die tiefste Spaltung die Sehnsucht nach neuer Vereinigung mit dem Leben in der Altersnovelle „Der Feind" folgte, so gibt es auch bei den Späteren das Problem der Lebenssehnsucht nach einem Dasein verzehrenden Schaffens. So packt den Bildhauer Rubek in I b s e n s „Wenn wir T o t e n erwachen" ebenso wie die Malerin Olly in Helene B ö h l a u s „Rangierb a h n h o f " am Ende die Reue über das versäumte Leben; so ersehnt der Maler Andrea del S a r t o in Robert B r o w n i n g s Gedicht (in "Men and Women", 1855) die seelische Hingabe seiner Frau, um im Besitz der Kunst und des Lebens erst das Höchste im Werk zu erreichen1). So überfällt in der Novelle von W i l h e l m v o n S c h o l z : „Albrecht Dürers Erlebnis" (in der Sammlung „Zwischenreich", 1922) den Meister auf der Höhe der künstlerischen Unsterblichkeit die Sehnsucht nach der Wärme eines selbstgelebten Lebens und nach der „freudigen Vergänglichkeit" derer, die all ihre Kraft dem Leben gaben, und in einer DürerNovelle von Franz Carl G i n z k e y (1913) erscheint der „Wiesenzaun" als das Symbol der harten Notwendigkeit, die für den Künstler die Sehnsucht von der Erfüllung trennt. In dem Drama „ V i n c e n t " von Hermann K a s a c k (1924) greift der von seinem Werk besessene van Gogh nach der Liebe seines Modells, damit er „zu einem Menschen komme durch das Bild, zu einem Bild durch den Menschen". Aber die ersehnte Verbindung von Kunst und Leben kommt nicht zur Erfüllung. In mystisch-romantischem Aufputz erscheint das Problem der Lebenssehnsucht in einem Drama von Leo W e i ß m a n t e l : „Lionardo da Vinci" (1927)2). Auch hier versagt sich das Leben in Gestalt der geliebten Frau, die den Schüler statt des Meisters wählt, und entzieht dadurch dem Schaffenden den letzten Zusammenhang mit dem Leben. Für das tragisch-dämonische Künstlertum E. T. A. Hoffmanns kann die Sehnsucht nach Besitz und Leben dem Künstler nicht oder nur im Untergang erfüllt werden, da diese Erfüllung das Ende seines Künstlertums bedeutet. In einem Weltbild aber, in dem sich die Spannungen versöhnlich lösen, ist zwischen Kunst und Leben ein Verhältnis der Ergänzung und der gegenseitigen Hilfe möglich. Daß die Kunst, gleichsam ein zweites Leben in einer anderen Erlebnisschicht, die Abgründe des realen Lebens zu überbrücken vermag, hat P l a t e n in dem Gedicht In dem andern Künstlergedicht B r o w n i n g s : „Fra L i p p o Lippi", wie auch in dem gleichnamigen Drama von E b e r h a r d K ö n i g (1869), ist das Problem insofern verschoben, als das Lebenhemmende in dem Maler nicht die Kunst, sondern das Mönchtum ist, gegen das Kunst und Leben gemeinsam kämpfen. 2 ) Noch ungedruckt; im Manuskript zur Verfügung gestellt durch den Bühnenvolksbund.

SEHNSUCHT NACH DEM LEBEN UND VERSÖHNUNG BEIDER

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„Luca Signorelli" (1830) gestaltet, in dem der Meister das Antlitz des toten Sohnes malt, um sich dann von der Leiche abzuwenden: „Es ist genug, die Priester mögen meinen Sohn begraben." Das Künstlertum verschlingt den Schmerz und schlägt neue Brücken zum Leben. Eine ganz ähnliche Situation ist die in Gottfried Kellers „Grünem Heinrich" nach dem Tod der kleinen Anna, wo der Knabe, nachdem er das Totenantlitz studiert hat, mit einem grausamen „Was hab' ich mit dir zu schaffen ?" sich wieder dem Leben zuwendet und über dem Zimmern des Sarges und der Betrachtung der van Eyck'schen Engel auf dem Deckel den menschlichen Verlust fast vergißt. Häufiger als irgend sonst begegnet dies Problem der Versöhnung des Lebens durch die Kunst bei T h e o d o r S t o r m ; als Episode in der Gestalt des Malers Johannes ("Aquis submersus"), der, während er sein totes Kind malt, Ruhe findet vor den Qualen des Gewissens; wichtiger in der Novelle „Psyche", in der der Held nur solange von der verzehrenden Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen befreit ist, wie er ihre Statue meißelt, und endlich als Grundproblem in der Gestalt des Malers Edde Brunken („Eine Malerarbeit"), dem die Kunst Zuflucht und Erlösung aus seinem mißgestalteten Körper bedeutet und Ersatz für ein Leben, das ihn enterbt hat.—Agnes Miegel zeigt in der Ballade „Rembrandt" den vereinsamten Greis, der im Anblick des flimmernden Lichtes, das das Element seiner Kunst ist, zu neuem Leben erwacht1), und R e n é S c h i c k e l e gestaltet in seinem Roman „ B e n k a i , der F r a u e n t r ö s t e r " (1914) dies Problem der Heilung des Lebens durch die Kunst weiter aus als die große Liebesbotschaft der Kunst nicht nur für den Künstler, sondern für die ganze gequälte Menschheit. Die tiefste Symbolik endlich empfing dies Problem durch C. F. M e y e r in der Zwiesprache Michelangelos mit seinen Statuen: „Ihr stellt des Leids Gebärde dar, „ihr meine Kinder, ohne Leid. „was martert die lebendge Brust „beseligt und ergötzt im Stein." Nur einmal treten Kunst und Leben (in Gestalt der Liebe) zusammen, nicht jene ein Ersatz für dieses, sondern beide in glücklichster Harmonie, in dem Drama „ A p e l l e s " von F r i e d r i c h v o n H e y d e n (1819), denn *) Das Gedicht „Lionardo" aus dem gleichen Zyklus „Balladen und Lieder" (1007) hat das Schwanken zwischen lebendig-menschlichem Gefühl und künstlerischer Bewältigung zum Thema. 3

Laserstein.

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DIE NACHFOLGE E . T. A. HOFFMANNS

hier sind Kunst und Liebe nicht Gegensätze, sondern beides Symbole für das gleiche Ideal: die Schönheit. Der Macht- und Tatenmensch Alexander der Große aber schließt sich selbst aus dem Kreise der Schönheit aus, dem nur der Künstler angehören darf. Die Auseinandersetzung zwischen Kunst und Leben, die all diesen Werken zu Grunde liegt, ist, wie bei E . T. A. Hoffmann, nicht an die besondere Art bildkünstlerischen Schaffens gebunden, sondern ist ein Teil des künstlerischen Wesens überhaupt. (Bei dem Dichter, der dieses Problem in der Gegenwart am tiefsten und ausschließlichsten zum Grundakkord seines Schaffens machte, bei T h o m a s M a n n , ist es in den Gestalten Tonio Krögers und Gustav Aschenbachs (aus „Der Tod in Venedig") an dem Dichter, dem Wortkünstler gestaltet) 1 ). Die Bedingungen des rein bildkünstlerischen Schaffens treten neben dem Hauptproblem des Kampfes zwischen Kunst und Leben zurück, wenn sie auch keineswegs ganz übersehen werden. Am stärksten beanspruchen malerische Probleme in Balzacs Novelle " L e chef d'oeuvre inconnu" einen Platz. Es gilt hier, eine übernaturalistische Ausdruckskunst durch Beobachtung des Lichtes und der plastischen Erscheinung der Dinge zu erreichen; nicht nur die Erfassung der Wirklichkeit und des Lebens, sondern darüber hinaus „jenes Etwas, das vielleicht die Seele ist." Dieser geistige Inhalt der Kunst aber verliert sich nicht, wie in der Romantik, in dichterisches Träumen, sondern behält die malerischtechnische Anschauung im Auge. „Maler dürfen nur mit dem Pinsel in der Hand nachdenken", heißt es hier. In der Atelierluft Frankreichs ist die Technik bildkünstlerischen Schaffens dem Dichter stets unmittelbarer faßlich als dem dichterisch-spekulativ gerichteten deutschen Geist. — In der Novelle Stifters, des Dichters und Malers, ist die Kenntnis der malerischen Bedingungen in seiner Doppelbegabung begründet. Alle diese Werke, (deren Zahl auf Vollständigkeit keinen Anspruch macht), wandeln die Problemstellung E . T. A. Hoffmanns ab, ohne daß, wie schon gesagt, von einer unmittelbaren Beeinflussung gesprochen werden müßte; einmal erobert, zieht die neue Problematik ihre Kreise. Mit diesen Werken ist das Problem von Kunst und Leben keineswegs erschöpft und bei Seite gelegt, aber es wird uns fortan nicht mehr als herausgegriffene Einzelfrage beschäftigen, sondern eingeordnet in die *) Anders ist die Problemstellung in Thomas Manns „Fiorenza", wo die feindlichen Mächte nicht Kunst und Leben sind, sondern wo Künstler und Genießende gemeinsam, Lorenzo Magnifico und sein Kreis, als die Anbeter des Diesseits gegen Savonarola stehen, den fordernden Rufer zum Jenseits. Die Gestaltung der Künstlerproblematik Thomas Manns ist in der Arbeit von Karl Helbling: „Die Gestalt des Künstlers in der neueren Dichtung" (Bern 1922) dargestellt.

BILDKÜNSTLERISCHES IM PROBLEM „KUNST UND LEBEN".

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Gesamthaltung des Künstlertums. Damit führt der Weg von der Betrachtung eines einzelnen Problems wieder zurück zu der Betrachtung der G e s t a l t .

DER NACHFAHRE D E R ROMANTIK: MÖRIKES „MALER NOLTEN" Die erste Erfassung der künstlerischen Gesamtgestalt seit der Romantik ist M ö r i k e s „ M a l e r N o l t e n " , dessen Held ein echter Nachfahre der romantischen Maler ist. Denn auch in Noltens künstlerischer Anlage steht einem Ubermaß an Phantasie ein Mindestmaß an Schaffen gegenüber, und seine inneren Gesichte finden nicht zur sichtbaren Form. Sein Künstlertum ist, wie das in Tiecks „Sternbald", unmalerisch und typisch dichterisch gesehen. Seine Bilder: eine Meerszene mit Satyr und Nymphe, ein nächtliches Konzert der Geister mit dem Porträt der schicksalhaften Orgelspielerin und die Erkennungsszene aus dem „König Rother", sind nicht ursprüngliche Augeneindrücke, sondern mysteriös-phantastische, oder, wie das letzte, rein literarische Konzeptionen, die allein aus der inneren Vorstellung und gar nicht aus dem die Welt aufnehmenden Blick geboren sind 1 ). Das einzige Blatt, das aus dem offenen Blick für die Umwelt, also als reiner, durch die innere Anschauung nicht verwandelter Augeneindruck entstanden ist, die Darstellung der Försterwohnung, stellt in Noltens Werk viel mehr den Liebhaberwert eines Andenkens an glückliche Stunden dar als den Ausdruck seiner inneren künstlerischen Absichten. Und auch die Form dieser Entwürfe, die aus Noltens Hand ja als bloße Entwürfe hervorgehen und erst durch Tillsens Pinsel endgültige Gestalt bekommen, ist in ihrem Uberwiegen der ersten Konzeption und dem Mangel an erarbeiteter Durchgestaltung ein echtes Produkt romantischen Geistes. „Es waren U m r i s s e . . . voll Geist und Leben, wenn auch verschiedene Mängel der Zeichnung sogleich ins Auge fielen. Ein paar Blätter darunter, noch nicht aus dem Rohsten heraus, die Linien im ersten Feuer des Gedankens, im Suchen nach Korrektion noch kraus Von den beiden Fassungen des „Maler Nolten" (1832 und 1877) ist für das vorliegende Thema die zweite ergiebiger, da sie die Jugendgeschichte und die erste künstlerische Entwicklung des Malers darstellt. Auch die ausführliche Beschreibung des Bildes aus dem „König Rother" sowie die Zeichnung der Försterwohnung finden sich nur in der zweiten Fassung. Über den Vergleich der Fassungen s. Ruth Bachert: „Mörikes Maler Nolten", Leipzig 1928. 3*

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DER NACHFAHRE DER ROMANTIK: MÖRIKES „MALER NOLTEN',

und wirr durcheinander; manches sehr keck und markig hingestellt, doch Stoff und Behandlung im ganzen von anmutigem Charakter." Der skizzenhaft festgehaltene erste Einfall, der noch durch keinen Kampf mit der endgültigen Form seine Unmittelbarkeit eingebüßt hat, ist das Wesentliche dieser Kunst. Diesen ersten Schaffensergebnissen, durch die Nolten in Mörikes Werk ja gleich auf den ersten Seiten eingeführt wird, ist, wie später nachholend berichtet wird, eine, stofflich wie formal, durchaus entsprechende künstlerische Entwicklung vorhergegangen. Schon die ersten bildnerischen Anfänge des Knaben zeigen den restlos in die Welt der inneren Gesichte gerichteten Geist, für den die Innenwelt alles und die Umwelt nichts bedeutet. Diese Welt des „Übertriebenen", „Unnatürlichen", der „Bizarrerien" und der „hexenhaften Karikaturen" (wie der Vater sie bezeichnet) steht in äußerstem Gegensatz etwa zu der von Gottfried Kellers Grünem Heinrich, deren Ziel gerade die realistische Wiedergabe der beobachteten Außenwelt ist und die dadurch, daß ihre Stoffe nicht aus dem innersten Mark der Seele, sondern aus der Mannigfaltigkeit der Umwelt gespeist werden, keine unmittelbare Gefährdung des Geistes darstellt. Für den Grünen Heinrich liegt die Gefahr erst mittelbar in dem Unvermögen zur Formung der Außenwelt; für Nolten aber liegt sie schon in dem Stofflichen seines Schaffens, in der Phantasierichtung selbst begründet. (Die Art der Kunstbetätigung, die der Vater dem Knaben empfiehlt, „wenn er sich einmal Sonntag nachmittag zur Erholung eine Stunde hinsetzte und machte einen ordentlichen Baum, ein Haus und dergleichen nach einem braven Original", ist wohl nicht als Wunschbild realistischer Kunst aufzufassen, sondern nur als die bürgerliche Vorstellung von der Kunst als einem gefahrlosen Zeitvertreib im Dienste bürgerlicher Geruhsamkeit). Nachdem diese auf die „Nachtseiten der Natur" gerichtete künstlerische Anlage durch die Erscheinung der Zigeunerin, also auf eine ihr durchaus entsprechende Art, zum „unwiderstehlichen Trieb zu bilden und zu malen" geworden ist, folgt auf der Akademie der erste Versuch einer formalen Erarbeitung des innerlich als Stoff Geschauten. Dieser Versuch aber scheitert, und die Ursache ist die gleiche, wie bei den Künstlern der Romantik: der Rausch der ersten Konzeption, deren Formung über den skizzenhaften Entwurf nicht hinaus kommt, und die Fremdheit allen handwerklichen Notwendigkeiten gegenüber. „Schon auf der Akademie hatte er denjenigen Teil der Kunstübung, welcher den Maler erst zum Maler macht, fast ganz vernachlässigt.... Idee, Erfindung, Zeichnung, die lebensvolle, beseelte Skizze galt ihm daher statt alles Übrigen; kaum, daß er noch vor seinem Austritt aus

DAS KÜNSTLERTUM IN MÖRIKES „MALER NOLTEN"

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der Schule zu einem schwachen Anfang in der Ölmalerei vermocht wurde. In Italien aber, in Rom, wo eine überreiche Welt des Schönen auf den empfänglichen Jüngling eindrang, ergriff ihn jener unwiderstehliche Trieb zur Produktion, der sich schon mit dem einfachsten Umriß genug tut, immer nur auf Neues und Neues ausgeht und dem Künstler die nötige Ruhe, Geduld und Anhaltsamkeit, um sich erst eine heiklige Technik schrittweise zu erwerben, nicht erlaubt. Als er gleichwohl zuletzt mit Ernst daran dachte, stieß er auf kaum geahnte Schwierigkeiten. Seine Farbe blieb trocken und kalt; es fehlte seinen Bildern an Harmonie und Stimmung." Dieser erste Versuch einer malerischen Schulung muß mißlingen, da sein Lehrer, „ein feuriger, genialer Skizzist", im Grunde nichts anderes als ein geistiger Zwillingsbruder des Schülers selbst ist, mit der gleichen Überfülle und den gleichen Mängeln geschlagen1). Erst die Rückkehr in das geistige Klima des Nordens macht ihm den verzweifelten Stand des Versandens seiner künstlerischen Entwicklung bewußt und bringt ihn — nicht anders als die Künstler der Frühromantik im Augenblick der Erkenntnis ihrer Unzulänglichkeit — dem Verzicht auf die Kunst nahe, als ihm in Tillsen der Lehrer begegnet, der ihm den bisher versäumten „ordentlichen Weg der Schule" zu ersetzen geeignet wäre. Denn dieser Lehrer, der im Durchführen stärker ist als im Erfinden (bezeichnend dafür der Dienst formaler Durcharbeitung, den er den durch Zufall in seine Hände gelangten Noltenschen Entwürfen erweist), bestärkt den Schüler nicht, wie jener erste Lehrer es tat, in seiner eignen Phantasierichtung, sondern wirkt auf ihn durch „praktische Beratung", das heißt durch das, was diesem selbst bisher fehlte: durch die Vermittlung der malerischen Technik. Der Erfolg scheint unmittelbar einzutreten. Der zum erstenmal auf den richtigen Weg Gewiesene verbringt „die meiste Zeit des Tages in anhaltendem Fleiß vor seiner Staffelei". Eine neue — und nicht l ) Das Problem des vergeblichen Ringens mit der Farbe, das in der durchaus auf Zeichnung und Linie eingestellten Kunst Noltens eine Hauptrolle spielt, bringt ihn in unmittelbaren Zusammenhang mit den romantischen Malern und besonders mit Moritz von Schwind, mit dem Mörike ja durch künstlerischen und menschlichen Austausch in engster Wechselwirkung stand. Auch Schwinds Stärke liegt, wie die Noltens, vor allem in der Zeichnung, während seine Farbe meist „trocken und kalt" bleibt, und wenn in Mörikes Roman der Hofrat seine warnende Stimme ausdrücklich gegen Noltens Bemühungen um die Farbe erhebt („Hier werde ein eigenartiges, vorzügliches Talent nur abermals verfuhrt, über seine natürlichen Grenzen zu gehen"), so könnte er mit dieser Warnung ebenso Moritz von Schwind wie Maler Nolten treffen. Die Beeinflussung der dichterischen Gestaltung des Künstlers durch einen von dem Dichter tatsächlich beobachteten Bildkünstler tritt hier greifbar zu Tage.

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weniger romantische — Gefahr aber stellt sich dieser so glücklich eingeleiteten Entwicklung vernichtend entgegen: die Gefahr ewiger Geselligkeit. Mit dem Eintritt in den Lebenskreis der Residenz und des Hofes ist Noltens Künstlerschicksal im Grunde zum zweitenmal besiegelt. Denn in diesem Augenblick, nachdem eine erste malerische Geschicklichkeit eben erworben und damit die Gefahr des formalen Unvermögens gebannt scheint, überfällt ihn ein Erlahmen der Schaffenskräfte, dessen Ursache seine Liebe zu Konstanze und die damit verbundene Teilnahme an dem nur genießenden und nicht schaffenden Leben ihres Kreises ist. „Wie kommt es, daß eben jetzt mein Fleiß und meine Lust nachläßt? Warum so manche Arbeit angefangen, ohne sie zu vollenden ? Woher die Ungeduld, sich auswärts umzutun, überall, nur nicht in meinen vier Pfählen, vor meiner Staffelei mich zu befriedigen ? . . . Ungenützt und trocken und verdrießlich gehen mir die Wochen dahin, und nur die Stunden glaub' ich wirklich gelebt zu haben, die mir in Ihrem Hause vergönnt s i n d . . . Aber wenn gerade der neue Reiz dieser schönen Sphäre einen Zwiespalt in mir hervorbrächte, wenn der innige Anteil, den das Herz hier nehmen muß, dem weit allgemeineren Interesse des G e i s t e s im Wege stünde, wenn ich, statt beruhigt und gestärkt zu mir selbst zurückzukehren, immer das leidenschaftliche Verlangen fühlte, in den Mittelpunkt eines so lieblichen Vereins alle Strahlen meines menschlichen und künstlerischen Daseins zu versammeln...?" Dieser Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis nach Einsamkeit, die das Werk verlangt, und dem Geselligkeitsdrang, der seiner Liebe entspringt, ist in Nolten mehr nur als ein dunkles und in seinen Ursachen nicht klar erkennbares Gefühl der Zerrissenheit vorhanden. Larkens aber, der kritisch Hellsichtigere, erkennt den Gefahrenherd und weist mit dem Finger darauf: „Ich glaube, daß deine künstlerische Natur, um ihren ungeschwächten Nerv zu bewahren, gesellschaftliches Leben nicht verträgt... Wie leicht, so meint' ich, wär' es möglich, daß unter solchen Influenzen sich dies und jenes von seiner ursprünglichen Farbe verwischte, daß sein Ehrgeiz eine falsche Richtung nähme, daß er an der Treue gegen seinen Genius etwas aufopferte!" Dieser Gefahr, die für den Künstler aus dem sich Verlieren an die Umwelt entsteht, erlagen, wie wir sahen, auch die Künstler in den Romanen der Frühromantik. Niemals aber wurde hier diese Gefahr so bewußt und so deutlich beim Namen genannt wie in Mörikes Werk, und sie konnte wohl nicht so bewußt werden, weil die Art der gefährdenden Umwelt eine andere war. Denn die Umwelt, die die Künstlergestalten der Frühromantik umgibt, ist immer selbst künstlerisch gestimmt, oder wird es (wie etwa der

EINSAMKEIT UND GESELLSCHAFT IN „MALER NOLTEN"

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Schmied in Tiecks „Sternbald") durch die Berührung mit dem Künstler. Die Kunst wirkt gleichsam ansteckend auf die Umgebung. Es gibt in dem Künstlerroman der Romantik keine Kontrastfiguren des Künstlers — wenigstens nicht solche, die ernst genommen werden, — sondern nur Begleitstimmen. Die Geselligkeit um ihn ist sein eignes vielfach gespaltenes Ich. Im „Maler Nolten" aber ist die Gesellschaft ein in sich geschlossener Organismus, der von dem Künstler seinerseits Einordnung in seine Welt und Formensprache verlangt. Nolten findet in der Residenz keineswegs nur ein willkommenes Echo seines Wesens, denn diese Gesellschaft ist wohl hochgestimmt und kunstempfänglich, jedoch ganz und gar nicht gewillt, zu dem Künstler überzutreten. Ihr innerstes Wesen ist nicht künstlerisch, sondern höfisch, und der Künstler steht hier nicht in der Geselligkeit, sondern in der G e s e l l s c h a f t . Obwohl ihm dabei, gleichsam als Prellbock gegen diese Gesellschaft, ein Freund an die Seite gegeben ist, der durch seinen Beruf als Schauspieler die Verbindung herstellt von der einsamen Entstehung der Kunst zu ihrer gesellschaftlichen Wirkung, so ist doch das Ende, wie bei dem gleichen Problem in Goethes „Tasso", der feindliche Zusammenstoß der beiden ewig fremden Welten und der Ausschluß des Künstlers aus der Gesellschaft. Dieser Ausschluß, der durch eine zufällige Verletzung dieses Kreises — die Aufführung des Spiels „Der letzte König von Orplid" — motiviert wird, trifft in Wahrheit in Nolten und Larkens die der Gesellschaft fremde geistige Atmosphäre des Künstlertums. Damit tritt in den Künstlerroman zum erstenmal das weitschichtige Problem der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft ein, und „Gesellschaft" bezeichnet hier ja nicht nur den Charakter der Adelsgemeinschaft, sondern den des fest verbundenen und normierten Kreises überhaupt, an dem der Künstler als Individualseele scheitern muß. (Als später der Naturalismus den Künstler in die bürgerliche Gesellschaft hineinstellte, sah er dieses Problem als das ausschlaggebende des Künstlertums)1). Erst als Nolten durch seine Verhaftung zwangsmäßig aus der Gesellschaft ausgeschlossen und auf die Einsamkeit verwiesen ist, scheint der Künstler in ihm eine Wiedergeburt zu erleben. „Eine neue Epoche ') Als das Lustspiel sich dieses Gegensatzes bemächtigte, kehrte es das Verhältnis um: nicht der Künstler scheitert am Publikum, sondern das Publikum fällt vor dem Künstler durch. In Caroline B e r n s t e i n s Lustspiel „Rembrandts Meisterstück" (1834) wird, ebenso wie in Arnims Versnovelle „Rembrandts Versteigerung "(1826) und dem Dramolett „Kunstkennerschaft" von Hermann Kurz (1838) das unverständige Urteil des Publikums ad absurdum geführt. Das Lustspiel läßt nicht den Künstler scheitern, sondern das kritisierende Publikum.

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ist für mich angebrochen, und, so Gott will, wird die Welt die Früchte bald erleben... Viel hundert neue, nie gesehene Gestalten entwickeln sich in mir, ein seliges Gewühle, und wecken die Sehnsucht nach tüchtiger Arbeit. Befreit von der Herzensnot ängstlicher Leidenschaft, besitzt mich nur ein einziger gewaltiger A f f e k t . . . so jung, fromm und ungeteilt ist jetzt meine Inbrunst für diesen göttlichen Beruf." (Worte wie die letzten könnten in ihrer religiösen Färbung zur Bezeichnung der Hingabe an die Kunst auch im „Sternbald" stehen). Aber auch diese Wiedergeburt betrifft nur die Fähigkeit zu neuen künstlerischen Konzeptionen. Das Werk selbst ist wieder verdammt, an dem Grundübel romantischer Geistcshaltung, der Unfähigkeit zur Formung, zu scheitern. „Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erste Idee während der Gefangenschaft bei ihm entstanden war, lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausführung mit einer Lust, mit einem Selbstvertrauen, dergleichen er nur in den glücklichsten Jahren seines ersten Strebens gehabt zu haben sich erinnerte. Dennoch mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer völligen Freiheit der Seele noch vieles fehlte; er ward verdrießlich, er stellte die Arbeit unwillig zurück, er wußte nicht, was ihn hindere." Noch zweimal läßt der Dichter Nolten ähnliche Stimmungen künstlerischer Konzeption erleben, davon die eine mit solcher Stärke, als ob sie wirklich die Einleitung eines Schaffensprozesses sein sollte, als nämlich, nach der Entdeckung des gefälschten Briefwechsels zwischen seinem Freunde und seiner Braut, „seine aufgeregte Einbildungskraft ihm mit unbegreiflicher Schnelligkeit eine ganze Schar malerischer Situationen" zuführt, „die er sich in fragmentarisch-dramatischer Form, von dichterischen Worten lebhaft begleitet, vorstellen und in großen Konturen hastig ausmalen mußte. Das Wunderlichste dabei war, daß diese Bilder nicht die mindeste Beziehung auf seine eigene Lage hatten, es waren vielmehr, wenn man so will, reine Vorarbeiten für den Maler als solchen. Er glaubte niemals geistreichere Konzeptionen gehabt zu haben, und noch in der Folge erinnerte er sich mit Vergnügen an diese sonderbar inspirierte Stunde." Hier geht die künstlerische Phantasie, angeregt von einem tatsächlichen Erlebnis und doch von der Wirklichkeit weit getrennt, ihren eignen Weg zum Werk. Aber auch diese Konzeption wird niemals bis zur eigentlichen Formung gestaltet, zumal in ihr Malerisches und Dichterisches (in „fragmentarisch - dramatischer Form, von dichterischen Worten lebhaft begleitet") unglückselig vermischt ist. Das Schwanken zwischen zwei Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks, das hier zu der ohnehin schon vorhandenen Neigung zu ungestalteten Konzeptionen noch hinzutritt, trägt mit dazu bei, den Weg zur Formung überhaupt zu versperren.

PHANTASIE UND FORMUNG IM „NOLTEN"

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Und ähnlich wie hier biegt ein zweites Mal, während der Reise Noltens in das Neuburger Försterhaus, die Stimmung seelischer Bereitschaft in eine andere Richtung als die bildkünstlerische ab. „Den Maler übernahm eine mächtige Sehnsucht, worein sich, wie ihm deuchte, weder Neuburg noch irgend eine bekannte Persönlichkeit mischte, ein süßer Drang nach einem namenlosen Gute, das ihn allenthalben aus den rührendsten Gestalten der Natur so zärtlich anzulocken und doch wieder in eine unendliche Ferne sich ihm zu entziehen schien. So hing er seinen Träumen nach, und wir wollen ihnen, da sie sich von selbst in Melodien auflösen würden, mit einem liebevollen Klang zu Hilfe kommen." Und anstatt des Ausdrucks im Bild, folgt nun, nicht anders als in den gleichen Stimmungen in Tiecks „Sternbald", der im Lied: „Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel..." Es ist dies, eben erst im Beginn des zweiten Teiles, das letzte Mal, daß Nolten überhaupt als Künstler erscheint. Alles Folgende hat mit dem Maler Nolten im Grunde nichts mehr gemein. Und auch bis zu diesem Abbrechen der künstlerischen Entwicklung spielt das Künstlerische keineswegs die Hauptrolle in Mörikes Werk. Diese fällt vielmehr den von schicksalhafter Hand geleiteten menschlichen Beziehungen zu, und der Maler verschwindet ganze Zeitspannen lang hinter dem im Netz eines verworrenen Geschicks schlagenden Menschen. Soweit aber Nolten als Maler erscheint, ist er durchaus ein Bruder der frühromantischen Künstler. Seine Entwicklung ist, wie die Sternbalds, ein Beginn mit großer Erwartung und Vollendungssehnsucht, ohne genügend technische Ausbildung; dann, im Augenblick der Erkenntnis dieses Mangels, ein Erlahmen der produktiven Kräfte und ein Ende im ewigen Fragment; und seine Anlage, durch die diese Entwicklung notwendig bestimmt wird, ist die eines in hohem Maße künstlerisch gestimmten Menschen, der, weil er starker innerer Erlebnisse fähig ist, der Täuschung erliegt, ein Schaffender zu sein.

DIE ERSTE REALISTISCHE GESTALTUNG: GOTTFRIED KELLER: „DER GRÜNE HEINRICH" Mörikes „Maler Nolten" ist die letzte große Darstellung der romantischen Künstlergestalt, und ihr Bild reicht — infolge der ja erst nach Jahrzehnten vorgenommenen Umarbeitung der ersten Fassung — bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts hinein. Aber schon um die Mitte des Jahrhunderts wurde das romantische Künstlerbild überwunden, einmal dadurch, daß Kunst und Leben nicht mehr als ide-

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DIE ERSTE REALISTISCHE GESTALTUNG

alisierte Ausdrucksformen der künstlerischen Phantasie erschienen, sondern als lebendige Wirklichkeit, und zum zweiten dadurch, daß der künstlerische Wille sich nicht mehr in ungestalteten Konzeptionen äußerte, sondern als stetig fortgeführte Umsetzung der beobachteten Außenwelt in bildkünstlerische Technik. Beides erfüllt G o t t f r i e d K e l l e r s Roman: „ D e r G r ü n e H e i n r i c h " , der damit der erste Künstlerroman aus dem neuen realistischen Geist des 19. Jahrhunderts ist. Dieser Übergang von der Romantik zum Realismus aber vollzog sich nicht so plötzlich, daß nicht auch in Kellers Roman noch Züge der romantischenKünstlergestalt vorhanden wären, wenn auch, wie sich zeigen wird, diese jetzt einen anderen und neuen Sinn erhalten. Wir sahen, daß sämtliche Künstlerentwicklungen der Romantik mit dem Abbruch endeten und mit der Erkenntnis der Kunst als eines Irrweges. Nicht anders war es Gottfried Kellers Plan, „einen traurigen kleinen Roman zu schreiben über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn .. und das Ende ist auch hier die Erkenntnis: „Seit einigen Jahren lebte ich als Künstler..., um zu entdecken, daß ich keiner sei". Diese Verwandtschaft mit dem romantischen Künstlertum aber ist bereits in der endgültigen Fassung zu einer Scheidung von der Romantik geworden. Denn während noch in der ersten Fassung vom Jahre 1854/55 die Erkenntnis des verfehlten Lebens als Künstler zugleich der Abbruch des Lebens überhaupt ist, ein Verzicht ohne neue Erwerbung wie in der Romantik, wendet sie sich in der zweiten Fassung vom Jahre 1879/80 zum Positiven und Aktiven: zur Abkehr von der Kunst und Einkehr in das tätige Leben im Dienste der menschlichen Gemeinschaft2). Wenn eine solche Wendung in den Künstlerromanen der Romantik niemals vollzogen wurde, nicht vollzogen werden konnte, so lag das in der gesamten Geisteshaltung der Romantik begründet, wie sie sich in dem Künstlertum ihrer Helden äußerte. Denn dieses Künstlertum ging, wie wir sahen, immer vom Größten, von den kosmischen Weltzusammenhängen aus und negierte die künstlerische Kleinarbeit bis zum letzten. Die Offenbarung einer Weltanschauung, die erst das letzte Ziel eines vollendeten Künstlertums sein kann, war hier in die ersten stammelnden Anfänge der Entwicklung gerückt. Die Sehnsucht nach dem großen *) In „Gottfried Kellers nachgelassene Werke und Dichtungen", ed. J. Baechthold, Berlin 1894. 2 ) Die Unterschiede der Fassungen werden hier nur soweit herangezogen, wie sie die künstlerische Entwicklung des Helden betreffen. Über den Vergleich der Fassungen im einzelnen s. die Arbeiten von Franz L e p p m a n n : Gottfried Kellers „Grüner Heinrich" von 1854/55 und 1879/80, Berlin o. J. und Paul S c h a f f n e r : Der Grüne Heinrich als Künstlerroman, Diss. Stuttgart 1919.

ROMANTIK UND REALISMUS IM „GRÜNEN HEINRICH"

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Wurf verhinderte die genaue Kenntnis des ersten Striches. Kunst und Handwerk waren am weitesten voneinander getrennt. Daher hätten diese Künstler an der täglichen Kleinarbeit eines bürgerlichen Berufes scheitern müssen, wenn sie ihn überhaupt aufgesucht hätten. Für Kellers Grünen Heinrich dagegen ist die Kunst zum ersten Mal nicht Entwurf und Stimmung, sondern Tätigkeit mit fest umrissenem Wirklichkeitsgehalt, und daher steht sie dem realen Leben und dem Übergang in eine Wirklichkeit der Tat viel näher. Jeder Zoll künstlerischen Bodens wird hier umkämpft, nicht mit der verzweifelten Verbissenheit eines großen Planers, für den die Einzelform Hemmnis und Aufenthalt bedeutet, sondern mit der arbeitsamen Hingabe an das Kleine und Einzelne, wie sie nicht dem großen Woller, sondern dem künftigen Könner eignet. Das wesentlich Neue in dem Künstlertum des Grünen Heinrich ist die künstlerische A r b e i t , die erarbeitete Technik, und Keller zog ja selbst den Trennungsstrich zwischen den „Helden mancher Romane, die sich eigentlich mit nichts beschäftigen und durch einen andauernden Müßiggang den fleißigen Leser ärgern", und dem seinen, der „wenigstens etwas tut, und wenn er auch nur Landschaften verfertigt". Weil der Grüne Heinrich tatsächlich und im kleinsten arbeitet, deshalb erscheint sein menschliches Wesen zunächst viel unkünstlerischer und „uninteressanter" als das der romantischen Halbkünstler. Diese drücken ihr Künstlertum viel weniger im Werk als im Wesen aus. Die künstlerische Gestimmtheit, die nicht zur Formung im Werk findet, fließt dauernd in ihr menschliches Wesen über, ergreift es und verwandelt ihr gesamtes Dasein in Kunst. Heinrich Lee dagegen gießt sein Künstlertum ganz ins Werk und erscheint im Leben durchaus bürgerlich. In ihm treten Künstlertum und Bürgertum zusammen in der stillen Hingabe an die Arbeit.1) Daher ist bei ihm ein Übergang von dem einen in das andere durchaus möglich und begründet. Der Künstler kann zum Beamten werden, weil sein Charakter als Künstler von dem des Beamten (im hohen und großen Sinne) nicht grundsätzlich verschieden ist: nicht 1

) In Oscar W i l d e s „Bildnis desDorian Gray" heißt es mit bezug auf den Maler Basil Hall ward, der ja sonst in dem Roman nur eine untergeordnete Rolle spielt: „Basil gießt alles, was bezaubernd an ihm ist, in sein Werk. Die Folge davon ist, daß er fürs Leben nichts übrig hat, außer seine Vorurteile, seine Grundsätze und seinen gesunden Menschenverstand. Alle Künstler, die ich kennen gelernt habe, die persönlich entzücken, sind schlechte Künstler. Gute Künstler leben nur in dem, was sie schaffen, und sind infolgedessen als Personen vollständig uninteressant." Und dann, auf den Unterschied zwischen schlechten und guten Dichtern übergehend: „Er lebt die Poesie, die er nicht schreiben kann. Die andern schreiben die Poesie, die sie nicht zu leben wagen."

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DIE ERSTE REALISTISCHE GESTALTUNG

genialischer Überschwang, sondern peinlich gewissenhafte, auch im bürgerlichen Sinne „ordentliche" Arbeit; nicht Planen im Größten, sondern Schaffen im Kleinen. So bedeutet in der endgültigen Fassung der Abbruch dieser Künstlerlaufbahn, der den „Grünen Heinrich" scheinbar der Romantik zuordnet, in Wahrheit eine grundsätzliche Trennung von ihr und die Überwindung des romantischen Geistes. Nicht anders steht es mit einem anderen Kennzeichen romantischen Künstlertums, mit der Verquickung des bildkünstlerischen Schaffens mit dichterischer Phantasie. Wir sahen, daß bei den romantischen Künstlern, bei Sternbald und Nolten, die lyrisch-dichterische Phantasie die eigentlich herrschende ist. Und auch in der künstlerischen Anlage des Grünen Heinrich kämpfen Elemente dichterischer Phantasie mit der Grundveranlagung bildkünstlerischen Sehens. Schon bei dem Knaben bricht neben dem treuen Kopieren aller erreichbaren Landschaftsvorlagen ohne jede Beeinflussung von außen her dieser Hang zum poetischen Erfinden und zur vermeintlichen Bereicherung des Bildeindrucks durch dichterische Zutaten durch. „Ich erfand eigene Landschaften, worin ich alle poetischen Motive reichlich zusammenhäufte, und ging von diesen auf solche über, in denen ein einzelnes vorherrschte, zu welchem ich immer den gleichen Wanderer in Beziehung brachte, mit welchem ich halb bewußt mein eigenes Wesen ausdrückte... Diese Figur, in einem grünen romantisch geschnittenen Kleide, eine Reisetasche auf dem Rücken, starrte in Abendröten und Regenbögen, ging auf Kirchhöfen oder im Walde, oder wandelte auch wohl in glückseligen Gärten voll Blumen und bunter Vögel." Dieser Hang zum Aufputzen des Bildes durch dichterische Phantasie wird auf der folgenden Stufe der Entwicklung bereits zur Gefahr, als Heinrich in Habersatt einen Lehrer findet, der, weit davon entfernt, die Gefährdung des Malers durch diese zwitterhafte Veranlagung zu erkennen, den Schüler im Gegenteil darin bestärkt und tiefer in den verlockenden Irrweg hineinstößt. „Herr Habersatt hinderte mich in diesem Tun nicht, sondern sah es vielmehr gern, da es ihn der weiteren Sorge um zweckdienliche Vorbilder enthob... Er ermunterte mich, hohle, zerrissene Weidenstrünke, verwitterte Bäume und abenteuerliche Felsgespenster aufzusuchen... Das sagte mir sehr zu, indem es meine Phantasie reizte, und ich begab mich eifrig auf die Jagd nach solchen Erscheinungen. . . . Fand ich eine recht abgelegene und geheimnisvolle Stelle, so ließ ich mich dort nieder und fertigte rasch eine Zeichnung eigener Erfindung an, um ein Produkt nach Hause zu bringen. In derselben häufte ich die seltsamsten Gebilde zusammen, die meine Phantasie hervorzutreiben vermochte... Ich erfand, irgendwo im Dunkel des Waldes

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sitzend, immer tollere und mutwilligere Fratzen von Felsen und Bäumen." Und endlich erfindet er zu diesen „wunderlichen Landschaftsstudien noch viel wunderlichere Menschen, zerlumpte Kerle, die ich dem Refektorium z u t r u g . . . Es war ein nichtsnutziges und verrücktes Geschlecht, welches in Verbindung mit der seltsamen Lokalität eine Welt bildete, die nur in meinem Gehirne vorhanden war." Aus dieser Sackgasse einer dichterisch verlogenen Figuren- und Landschaftsphantasie wird Heinrich erst durch den Unterricht seines einzigen vollwertigen Lehrers Römer wieder herausgeführt, aber auch hier springt bei der ersten gegebenen Gelegenheit die so lange unterdrückte Leidenschaft des Dichtens in der Malerei wieder hervor. Kaum hat Heinrich unter Römers Führung begonnen, aus einzelnen Motiven Bilder zu komponieren, als „durch diese Tätigkeit hervorgerufen, meine Erfindungslust wieder auftauchte und überwucherte... Überall suchte ich poetische Winkel und Plätzchen, geistreiche Beziehungen und Bedeutungen anzubringen." Wenn die Persönlichkeit des Lehrers im Augenblick auch noch stark genug ist, diese „deutliche Neigung" zu Bildern, die „mehr wie geschriebene Gedichte" aussehen, zu unterdrücken, so bleibt die Neigung selbst doch lebendig genug, um in der Münchener Zeit, als das Naturgefühl und damit die Fähigkeit zur reinen Naturbeobachtung am Erlöschen ist, den Zusammenbruch des Künstlertums herbeiführen zu helfen. Denn die Bilder, die Heinrich in der Kunststadt malt,—eine Auerochsenjagd im Bergtal, ein germanischer Eichenwald mit Heldengräbern und Opferaltären, eine mittelalterliche Stadt, wie als Lehrbeispiel der Stilkunde aufgebaut, seine Heimatgegend zur Zeit der Völkerwanderung und eine geologische Landschaft mit Moses und den Gesetzestafeln—, diese Bilder sind alle aus der dichterischen und, noch eine Stufe tiefer auf dem Abstieg des Malers, aus der wissenschaftlichen Phantasie geboren. „Nicht eine einzige Naturstudie hatte ich dazu benutzt, sondern in meinem ungezügelten Schaffensdrang den ersten und letzten Strich frei erfunden". Und endlich überwiegt die gedankliche Phantasie so sehr über die bildkünstlerische, daß das Malen im Vergleich zu dem Flug der Gedanken überhaupt als unnütze Mühe erscheint. „Während Wahl und Pflicht mich an das körperliche Schaffen banden, gewöhnte sich der Geist an das Leben in seiner eigenen Bewegung; das langsame, kaum mehr von Hoffnung beseelte Hervorbringen eines einzigen Gedankens durch die Hände schien voll unnützer Mühsal zu sein, wenn in der gleichen Zeit tausend Vorstellungen auf den Flügeln des unsichtbaren Wortes vorüberzogen... So drehte ich mich gleich einem Schatten umher, der durch zwei verschiedene Lichtquellen doppelte Umrisse und einen verfließenden Kern erhält."

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Trotz dieses Schwankens zwischen zwei Konzeptionsmöglichkeiten aber und der damit gegebenen scheinbaren Verwandtschaft mit der Romantik ist das Künstlertum des Grünen Heinrich von dem der Romantiker doch ausschlaggebend getrennt. Denn für diese überwog, wie wir sahen, die dichterische Phantasie in einem Maße, daß sie trotz ihrer malerischen Versuche mehr als Dichter denn als Maler anzusprechen waren. Das eigentlich Malerische, die Erwerbung der Technik, trat ganz in den Hintergrund. In Kellers „Grünem Heinrich" dagegen ist dies gerade das Neuartige, daß hier Malen in allererster Linie verstanden wird als das technische Bemühen mit Stift und Pinsel um den der geistigen Vorstellung gemäßen bildkünstlerischen Ausdruck. Jede geistige Erweiterung und Bereicherung des Menschen wird hier erst in dem Augenblick auch für den Maler produktiv, wo die Fähigkeit zu dem entsprechenden malerischen Ausdruck erlangt ist. So bringt etwa die menschliche Bereicherung, die aus dem Studium Goethes fließt, bei dem Versuch der Umsetzung in malerischen Wert auf dem Zeichenpapier nichts als ein vollständiges Versagen zu Tage, so lange die malerische Technik noch nicht die gleiche Höhe erreicht hat, und die ersten Anfänge dieser Künstlerentwicklung sind gerade deshalb so verheißungsvoll, weil sie einzig und allein um die Erwerbung der Technik kreisen, fast ohne Beimischung geistiger Ziele. Und auch die Auswahl des künstlerischen Vorwurfs ist hier viel weniger als bei den romantischen Künstlern durch das allgemeine geistige Wollen und die dichterische Phantasie bestimmt und in viel stärkerem Maße durch das Auge. Die genaue, durch keinen Sonderwillen verwandelte Wiedergabe der von der Natur gegebenen Einzelform ist das Ziel dieses Künstlertums, und der Ausgangspunkt des Schaffens ist nicht, wie bei den Romantikern, die vorgefaßte Idee, sondern der reine Augeneindruck. Der Hang zum Dichterischen, der sich in diese ursprüngliche Anlage eindrängt, wird hier durchaus als ein Negatives, als künstlerisches Minus bewertet. Wenn die Dichter der Romantik das Künstlertum ihrer Helden zu einem guten Teil gerade durch die Stärke ihrer dichterischen Phantasie darzustellen suchten, so stellt Keller dadurch gerade die Gefährdung des Künstlertums dar. Für den Grünen Heinrich tritt das Überwiegen der dichterischen Phantasie über die malerische stets als Krankheitssymptom an den Krisenpunkten seiner Entwicklung auf, zum erstenmal auf der frühesten Anfangsstufe der noch ganz ungeleiteten Versuche, wo der Autodidakt, nun schon lange genug Lehrer und Schüler zugleich, energisch nach einer führenden Hand verlangt; ein zweites Mal in der Schule des Lehrers Habersatt, die für ihn ja eine einzige Krise darstellt;

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dann während der Lehrzeit bei Römer, als ihm der Winter die Beobachtung der Natur verwehrt und damit die ursprüngliche Wurzel seiner Begabung eine Zeit lang verschüttet, und schließlich entscheidend während der Münchener Zeit, wo sein Künstlertum im Absterben begriffen ist. Erst in dieser Zeit des unaufhaltsamen Niederganges gewinnt die dichterische Phantasie endgültig die Oberhand, wie ja auch erst in dieser Periode des Abstiegs eine andere romantische Gefahr, die Flucht in die Geselligkeit der Umwelt — am Ende der Münchener Zeit und besonders während des Aufenthaltes auf dem Grafenschloß — von diesem bisher immer einsam Lernenden Besitz ergreift. Das Künstlertum des Grünen Heinrich ist durch den Hang zur dichterischen Phantasie mit dem der romantischen Künstler verwandt, aber durch die Bewertung dieser Phantasierichtung als eines Verhängnisses entscheidend von jenen getrennt. Die positiven Werte seines Künstlertums liegen auf der entgegengesetzten Seite, in dem rein malerischen Sehen und Schaffen, und weil dies während des weitaus größten Teiles seiner Entwicklung durchaus das Überwiegende ist, deshalb ist sein Künstlertum keineswegs, wie das der Romantiker, von Anfang an als verlorenes Spiel zu durchschauen, sondern wird es erst seit der Münchener Zeit. Was davor liegt, ist die ganz folgerichtige und zeitlich Schritt für Schritt durchgeführte Entwicklung eines Malers1), dessen malerische Tätigkeit gekennzeichnet ist durch das rein bildkünstlerische Streben nach der Technik als dem einzig gemäßen Ausdruck des Geistigen. Hier zum erstenmal ist das Wesen des bildenden Künstlers nicht durch seine seelische Problematik gekennzeichnet, sondern durch seine malerische Tätigkeit. Der geistige Inhalt der Kunst und die technische Äußerung sind als Einheit gesehen, eins ohne das andere nicht denkbar und beide auf jeder Stufe der Entwicklung einander bedingend. ') Diese streng chronologische Durchführung, die die Entwicklung mit dem ersten Blick in die Welt beginnen läßt, trennt Kellers Werk wiederum von den Künstlerromanen der Romantik, die sämtlich erst im Stadium der Jünglingsjahre ihrer Helden einsetzen und die vorangegangene Entwicklung dann auf wenigen Seiten nachholen. Die erste Fassung des „Grünen Heinrich" allerdings steht in der Anordnung den romantischen Künstlerromanen näher, weil auch sie erst mit dem Stadium der Jünglingsjahre einsetzt, mit dem Beginn der Wanderjahre bei der Abreise in die Kunststadt, und dann erst die davor gelegene Entwicklung (als Ich-Erzählung) nachholt. Diese eingeschobene Jugendgeschichte aber wird hier mit einer Ausführlichkeit der einzelnen Stadien dargestellt wie in keinem der romantischen Künstlerromane, so daß es von hier aus nur noch ein kleiner Schritt war zu der rein chronologischen Darstellung der zweiten Fassung. Daher steht im Grunde schon die erste Fassung, trotz ihrer den. romantischen Künstlerromanen verwandten Anordnung, diesen ferner als der chronologisch durchgeführten endgültigen Fassimg.

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Schon die ersten greifbaren Eindrücke der Kindheit, die Beobachtung von Landschaft, Himmel und Licht, sind rein visueller Art, und das noch nicht Faßbare, Abstrakte wird unter dem Bilde des Sichtbaren erfaßt: der Zauber eines weiß gekleideten Mädchens unter dem Bild der „weißen W o l k e " und Gott unter dem des Hahnes auf der Kirchturmspitze und später des prächtig gefärbten Tigers aus dem Bilderbuch. „ E s waren ganz innerliche Anschauungen, und nur, wenn der Name Gottes genannt wurde, so schwebte mir erst der glänzende Vogel und nachher der schöne Tiger vor." Erst die geistige Vorstellung, die das Vaterunser vermittelt, zerstört diese sichtbaren Symbole Gottes. Der erste kindliche Betätigungsdrang richtet sich sofort auf sinnliche, gestaltbare Gegenstände und greift nach einem „sinnlichen Stoff, welcher meiner Gestaltungslust anheimgegeben war". So beginnt der Knabe Mineralien zu sammeln, und der Reiz dieser Beschäftigung, der für seine Kameraden in der K e n n t n i s der Steine, also in einem Bildungswert besteht, liegt für ihn allein in ihrem glanzvollen Aussehen, in einem reinen Augenwert. Daher sammelt er nur „glänzende und farbige Mineralien" und „solche Steine, welche mir durch ihre abweichende Form auffielen." Ein glänzendes Stück Glas ist ihm wertvoller als ein seltener Stein von unscheinbarem Aussehen. Farbe und Gestalt sind die allein entscheidenden Werte. In dem Augenblick aber, als er das ganz anders geartete Sammelziel der Kameraden durchschaut, die jeden Stein beim Namen kennen und wissenschaftlichen Gruppen zuordnen, „starb mir das ganze Spiel ab und betrübte mich." Die theoretische Welt des Geistes stört wieder seine nur sinnlich greifbare Welt des Auges. Auch bei dem zweiten Versuch einer Sammeltätigkeit wirkt sich diese Einstellung auf das Sichtbare aus. Denn der Abscheu vor der mörderischen Zerstörung der eingefangenen Schmetterlinge und Käfer ist nur scheinbar Mitgefühl mit der leidenden Kreatur, in Wahrheit aber die Trauer des schönheitsfreudigen Auges um die Zerstörung der Schönheit. „Mir widerwärtige oder gleichgültige Tiere konnte ich so gut mißhandeln wie alle Kinder; es war vielmehr ein ungerechtes Mitgefühl für diese bunteren Kreaturen, denen ich wohlgewogen war." Es handelt sich um ein rein ästhetisch und gar nicht ethisch begründetes Mitgefühl. Der erste bildnerische Trieb äußert sich spontan im nachbildenden Kneten seltsamer Naturformen, Embryonen und Föten, nach dem Besuch einer anatomischen Sammlung, wobei der Knabe sich bestrebt, „die Verschiedenheit ihrer phantastischen Bildung noch zu vergrößern". Schon dieser erste Versuch also ist unmittelbar durch die Natur angeregt und zielt, wie alle späteren, auf die Erfassung und genaue Nachbildung der einmalig charakteristischen Form ab. Daß diese erste Äußerung des

HEINRICHS KÜNSTLERISCHE ENTWICKLUNG. KINDHEIT

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noch ganz unbewußten und ohne äußeren Einfluß nur aus sich selbst gewachsenen Bildnertriebes sich nicht zeichnerisch äußert, sondern plastisch-dreidimensional, mag in den vorher erwähnten Zusammenhang zwischen ursprünglichem Formtrieb und plastischer Formung gehören1). Die erste m a l e r i s c h e Betätigung dagegen wird vorbereitet durch die Beobachtung fremder Malerarbeit, die der Kulissenmaler einer Wanderbühne. Zweierlei ist dabei bezeichnend für den künftigen Maler: Einmal die Art der Beobachtung, die sich nicht auf das Fertige richtet, sondern auf das Entstehen, auf die Griffe der malerischen Technik: „Es dämmerte die erste Einsicht in das Wesen der Malerei; das freie Auftragen von dichten deckenden Farben auf durchsichtige Unterlagen machte mir vieles klar; ich begann nachher der Grenze dieser zwei Gebiete nachzuspüren, wo ich ein Gemälde zu sehen bekam." Das andere Kennzeichen für den künftigen Maler ist die Folge dieser Beobachtung: eine Vorahnung späteren Könnens, die nicht spielerischer Nachahmungstrieb ist. sondern innerlich gefühltes Vertrauen zu eigenen Leistungen: „...meine Entdeckungen hoben mich über den wehrlosen Wunderglauben hinaus, welcher es aufgibt, jemals dergleichen selbst zu verstehen." Auf diese erste Beobachtung malerischer Tätigkeit folgt kurze Zeit danach der erste eigene Versuch, das Kopieren einer Abendlandschaft, und dieser erste Schritt in noch gänzlich unerforschtes Gelände enthält im kleinsten schon alle Kennzeichen dieser Begabung. Die Vorstufe dieses Versuches ist die ganz autodidaktische Erlernung der frühesten Anfänge malerischen Handwerks, beginnend mit dem Anrühren und Mischen der Farben, ein Vorstadium künstlerischer Arbeit, das vor Keller niemand der dichterischen Darstellung für wert gehalten hatte. Der Gegenstand dieses ersten Versuches ist — im äußersten Gegensatz etwa zu den naturfernen Phantasieentwürfen aus Noltens Knabenzeit — die N a t u r , die landschaftliche Umwelt, wenn auch noch nicht die mit eigenen Augen beobachtete. Das Interesse an diesem Gegenstand gilt gar nicht dem — sehr geringen — geistigen Gehalt, sondern allein der malerischen Technik. Das Ziel ist die möglichst genaue Nachbildung des Gegenstandes, und der Weg dahin ist die ehrliche, ausdauernde, hingebende Arbeit. „So rang ich mehrere Tage lang auf das mühseligste mit meiner Aufgabe; aber ich fühlte mich glücklich, eine so wichtige und andauernde Arbeit vor mir zu haben; vom frühen Morgen bis zur Dämmerung saß ich daran und nahm mir kaum Zeit zum Essen." Der Erfolg dieses ersten Versuches, „ein formloses, wolliges >) Vgl. S. 8 dieser Arbeit. 4

Lasersteiii.

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Geflecksel", ist dabei viel weniger wichtig als der eingeschlagene Weg, dessen hier schon deutliche Richtung auf technisch möglichst einwandfreie Wiedergabe der landschaftlichen Natur in der Geschichte der dichterischen Gestaltung des bildenden Künstlers ebenso neu und einmalig ist wie die gewissenhafte dichterische Darstellung dieses Weges von seinen ersten Anfängen an. Daß Heinrich trotz dieser eigenen Versuche bei dem Zeichenunterricht in der Schule unter dem Durchschnitt bleibt, ist in der Entschiedenheit und Einseitigkeit des einmal eingeschlagenen Weges begründet. Denn die Vorlagen, die in der Schule kopiert werden, Kolossalköpfe und Ornamente, haben mit seiner besonderen Richtung auf Natur und Landschaft nichts gemein, und das technische Mittel ist ausschließlich der „magere Bleistift", während sein Interesse vorläufig allein der Farbe und ihren Möglichkeiten gilt. Die Gestalt des „grünen Wanderers", die er, wie wir sahen, durch dichterische Phantasie verführt, in seine eigenen Landschaftsentwürfe hineinzaubert, weicht nur scheinbar von dieser Richtung auf die Landschaft ab, denn diese Gestalt ist ja in Wahrheit nicht als menschliche Form gesehen, sondern als symbolistischromantisierende Unterstreichung des Landschaftseindrucks. Während dieser Zeit des wahllosen Kopierens aller erreichbaren landschaftlichen Vorbilder besteht ein künstlerischer Wertmaßstab für den Knaben noch gar nicht. Die Kunst ist ihm, weit entfernt von ihrem geistigen Gehalt, nichts als Tummelplatz seiner technischen Versuche. Eine unerhörte Erweiterung des Gesichtskreises und damit ein neues Stadium des Sehens tritt ein als Folge der ersten Berührung mit lebendiger Natur nach einem einzigen Tage des Landaufenthaltes im Hause des Oheims. Denn als der Knabe diese neue Umwelt voll „Farbe und Glanz, Bewegung, Leben und Glück" mit seinem bisherigen Sehen und Schaffen vergleicht, da „wandelte sich der bisherige Spieltrieb in eine ganz neuartige Lust zu Schaffen und Arbeit, zu bewußtem Gestalten und Hervorbringen u m . " . . . Da „fühlte ich mich mit einemmal über diese Dinge hinausgerückt und mit dem Bedürfnis auch den Willen, sogleich einen Fortschritt aus mir selbst hervorzuzwingen." Zu diesem ersten Naturerlebnis tritt zu gleicher Zeit das erste Kunsterlebnis durch die Berührung mit dem geistigen Gehalt der Kunst in den Blättern Geßners und Reinhardts (zu denen die mehr technisch als geistig eindrucksvollen Studien des „Junker Felix" die Vorbereitung des-—künstlerischen Eindrücken noch nicht erschlossenen — Auges sind). „Kraft, Schwung und Gesundheit" dieser Blätter sprechen um so stärker zu dem Erlebenden, als es sich hier überall um die Gebiete seines eigenen Bemühens, Natur und Landschaft, handelt.

ERSTES NATUR- UND KUNSTERLEBNIS. EIGENER VERSUCH

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Dieser ersten rezeptiven Berührung mit echter Natur und Kunst folgt unmittelbar der Versuch, die gewonnenen Eindrücke in eigene Produktion umzusetzen. Durch das neue Sehen auf ein neues Schaffen vorbereitet, tritt Heinrich vor die Natur, um — und das ist das Kennzeichen des rein malerisch gesehenen Bildkünstlers — als Maler eine vollständige Niederlage zu erleiden. Denn für diesen ersten wirklichen Maler ist ein neues Sehen keineswegs gleichbedeutend mit einem neuen Malen und ein neues Wollen nicht auch ein neues Können, solange nicht zu dem geistigen Fortschritt der technische getreten ist, zu dem neuen Landschaftsgefühl das entsprechende malerische Ausdrucksvermögen. Die Ursachen dieses Scheiterns der eigenen Produktion liegen wiederum in typisch malerischen Erfahrungsfehlern begründet. Der Beginn des vergeblichen Suchens nach einem geeigneten Naturausschnitt ist bezeichnend für den, der bisher nur kopiert hat und dabei den Ausschnitt von dem Original fertig übernehmen konnte. Vor der Summe alles landschaftlichen Lebens selbst aber sieht er „nirgends eigentlich einen Gegenstand, weil der stolze Wald eng verschlungen, Arm in Arm stand und mir keinen seiner Söhne einzeln preisgab". Erst in einer gewaltigen Buche, die sich einzeln und vor den Reihen des Waldes stehend aus dem Gewirr der Gesamtheit herauslöst, scheint der Gegenstand gefunden, dessen Gestalt er „mit leichter Mühe bezwingen zu können wähnte." Aber auch hier ist das Ergebnis des hoffnungsvollen Beginns — „ein lächerliches Zerrbild, wie ein Zwerg aus einem Hohlspiegel" — gekennzeichnet durch die typischen Fehler einer eben erst beginnenden malerischen Entwicklung. Denn zunächst hindern Licht und Farbe, die über den Stamm spielenden Sonnenreflexe, die Erfassung des linearen Aufbaus. Die dauernd bewegte und veränderliche Natur läßt sich nicht einfangen, als ob sie ein ewig sich gleich Bleibendes sei. Und als der Beobachter sich endlich unter gewaltsamer Ausscheidung alles Malerischen an die zeichnerische Erfassung der kleinsten Einzelform klammert, verliert er über der Bemühung um den Teil den Blick für das Ganze. Das Problem der Raumfüllung, von ihm selbst entdeckt, ist noch ganz ungelöst. Diese erste Niederlage wird produktiv in der Erkenntnis, daß sein Weg zur Kunst nicht der eines leichten Gelingens, sondern „Mühseligkeit und saurer Fleiß" sein wird, und diese Erkenntnis ermöglicht ihm den ersten bescheidenen Erfolg, als er sich nun, bei dem Nachzeichnen einer schlanken Birke, seinem eigentlichen Wege nähert, nämlich dem Kleinformat des Gegenstandes, dem Nachfühlen der Einzelform und dem künstlerischen Material des Bleistifts (der für ihn im Augenblick des künstlerischen Bewußtwerdens an die Stelle der früher nur prahlend4*

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spielerisch gehandhabten Farbe getreten ist). Das Ergebnis ist denn auch ein kleiner Schritt vorwärts zu dem ihm vorbestimmten Ziel: „nicht eine sichere und elegante Skizze, sondern ein zaghaftes, aber ziemlich treues Gebilde." Schon in diesem Frühstadium der Entwicklung also weicht der Weg des Grünen Heinrich entscheidend von dem seiner Vorgänger ab. Während etwa Nohens früheste Blätter gerade auf die sichere, elegante Skizze abzielten, meidet Heinrich Lee diese Vortäuschung einer in Wahrheit noch nicht vorhandenen Beherrschung der künstlerischen Form so lange, wie sein künstlerischer Wille intakt ist. Das ordentliche und saubere Zeichnen, das „Fertigmachen" ist sein künstlerischer Beruf, und das Glaubensbekenntnis, das er am Ende dieses Landaufenthaltes ablegt, verherrlicht den Schöpfer gerade im kleinsten Teil seiner Schöpfung und den Künstler als den anbetenden Nachschöpfer des Kleinsten und scheinbar Einfältigsten in der Natur. Schon jetzt ahnt er voraus, daß das selbständige Schaffen, aus dem Inneren heraus und ohne gegebenes Vorbild der Natur, für ihn nicht, wie für die Romantiker, aus dem Selbstherrlichwerden der Phantasie erwachsen, darf, sondern gleichsam nur ein Auswendigkönnen des Buches der Natur sein muß („wenn man endlich dergleichen aus seinem Inneren selbst hervorbringen kann, ohne V o r b i l d . . . und doch nicht anders, als ob sie irgendwo entstanden und sichtbar sein m ü ß t e n . . . " ) , nicht ein Erfinden mit dem Anspruch der neuen Schöpfung, sondern ein Wiedererschaffen des tatsächlich Vorhandenen aus treuer Erinnerung heraus, „eine Art wahren Nachgenusses der Schöpfung." Das neue Sehen, das aus der Berührung mit der Natur und Kunst geboren ist, wird nach der Rückkehr in die Heimatstadt noch einmal erprobt bei dem ersten Besuch einer Kunstausstellung und bewährt sich soweit, daß der jetzt gleichsam mit neuen Augen Sehende ohne Schwanken das ergreift, was für ihn in Thema und Technik gemäß und wegweisend ist, die Landschaftsbilder der Genfer Schule, während er alles ihm Fremde und Ungemäße bewußt abstößt. Sein Auge ist jetzt so weit gerüstet, daß es nur noch der Erwerbung einer entsprechenden Technik bedurfte, um im Zusammenwirken von neuem Sehen und neuem Formen eine Stufe neuen Schaffens zu erreichen. Statt dessen aber treten in diesem Augenblick der Entscheidung Geistiges und Technisches so weit auseinander, daß die neue Technik den gewonnenen geistigen Fortschritt tötet, dadurch daß der Mittler dieser Technik, Heinrichs erster Lehrer Habersatt, die Beherrschung des Materials, das M i t t e l der künstlerischen Äußerung, zu ihrem Selbstzweck macht.

ENTDECKUNG DES EIGENEN WEGES. HABERSATT. GOETHE

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Der Erfolg dieser Überschätzung der Technik ist eine „unselige Pinselgewandtheit" und „selbstgefällige Borniertheit"; und, durch ein leicht erworbenes Scheinkönnen verführt, verläßt der Schüler den Weg, den er als den einzigen seiner Begabung gemäßen erkannt hatte. An die Stelle der treuen Nachbildung der Einzelform tritt jetzt das anspruchsvolle Ergreifen der landschaftlichen Gesamtansicht; an die Stelle der Naturbeobachtung tritt teils ein naturfernes Kopieren, teils ein gewaltsames Erfinden (infolge des Überwucherns der dichterischen Phantasie); an die Stelle des Bleistifts als des gemäßen Materials für den Anfänger tritt die Farbe, und die arbeitsame Hingabe an das langsam entstehende Werk wird abgelöst durch eine prahlerische Schnellfertigkeit. Quantitätssucht ist an die Stelle des Qualitätsbewußtseins getreten, und der junge Künstler ist auf dem besten Wege zum Kunstfabrikanten. Ein Rest künstlerischen Gewissens aber tritt von Zeit zu Zeit wieder ins Bewußtsein und ermöglicht ein Herausarbeiten aus diesem Stadium künstlerischer Verkommenheit und den Wiedergewinn der künstlerischen Keuschheit. Diese neue Stufe wird vorbereitet durch einen zweiten Landaufenthalt, wo sich „die mitgebrachte künstliche Krankhaftigkeit verkroch vor der einfachen Gesundheit dieses Hauses und der ländlichen Luft", und wo der Knabe bei dem treuen Nachzeichnen des ländlichen Besitztums durch aufrichtige Arbeit und Mühe „den Sinn des Schlichten, aber Wahren" wiedererwirbt. Die endgültige Wendung zum reinen Anschauen und Aufnehmen ohne den verkrampften Sonderwillen des Gestalters aber erhält sein Weg erst durch die Berührung mit einem wahrhaft umfassenden Geist, durch das vierzigtägige Studium Goethes. Was er aus dieser neuen Welt im tiefsten in sich aufnimmt, ist das Zurücktreten des anschauenden Ich hinter die angeschaute Welt, die Fähigkeit zur reinen Aufnahme der Umwelt, „die hingebende Liebe an alles Gewordene und Bestehende". Daraus ergibt sich von selbst eine neue Wertskala der künstlerischen Objekte, in der das Gesunde, Natürliche und Einfache über dem Krankhaften, Absurden und Komplizierten steht. Der Irrtum, daß das morbideste Objekt zugleich das künstlerischste sei, ist endgültig überwunden, und der Weg ist frei geworden für die Eroberung eines neuen Schaffens. Der Versuch aber, ein solches Schaffen auf Grund des neuen Sehens aus sich selbst hervorzubringen, scheitert nicht minder als jener erste. Denn die neue Erlebnisfähigkeit, die hier aus einem dichterischen Geist gewonnen wurde, ist wohl die Vorstufe eines neuen Schaffens, aber keineswegs mit diesem identisch. Wieder bedarf es erst einer neuen Technik, um das Geistige bildkünstlerisch sichtbar werden zu lassen.

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DIE ERSTE REALISTISCHE GESTALTUNG

Was Goethe für den anschauenden Menschen bedeutete, wird der geniale Lehrer Römer für den Maler, und damit erreicht der Grüne Heinrich auf dieser Stufe des Zusammenwirkens von geistigem Gehalt und künstlerischer Formung den Höhepunkt dessen, was überhaupt im Bereich seiner Möglichkeiten liegt. Denn dieser Lehrer vereinigt in seinem künstlerischen Wesen alles, was zu erreichen das Ziel seines Schülers selbst ist. In ihm paart sich der aufnehmende Blick für die landschaftliche Umwelt mit der Meisterschaft technischer Wiedergabe, und die „leichtere und zweckmäßigere Technik" vermittelt er dem Schüler auf dem diesem gemäßenWege der Einzelarbeit an der kleinsten Form. „So lernte ich endlich die wahre Arbeit und Mühe kennen, ohne daß sie mir lästig wurde, da sie in sich selbst den Lohn der immer neuen Erholung und Verjüngung trägt". Der seiner Begabung vorgezeichnete Weg wird zum erstenmal restlos bejaht. Die Welt des Geistes fesselt ihn jetzt ausschließlich als Formung im Sinnlich-Sichtbaren. Die Bildhaftigkeit Homers nimmt er in sich auf, während ihn der spiritualistische Gehalt des Thomas a Kempis nur an den Stellen beeindruckt, die „tief, schön und kraftvoll" geformt sind. Der ethische Gehalt hat vor der „sinnlichen Erscheinung und Gestalt" zu weichen. Der dieser Begabung überhaupt erreichbare Höhepunkt bildkünstlerischen Sehens und Schaffens ist erreicht. Unmittelbar nach dem tragischen Ende dieser viel zu kurzen Lehrzeit aber, die ja im Grunde die einzige in Heinrichs gesamter künstlerischer Entwicklung ist, beginnt der Abstieg. Der eben noch hoffnungsvolle Schüler scheitert, als er es unternimmt, selbständiger Meister zu sein. Dieser Abstieg vollzieht sich in der Münchener Zeit — vorbereitet durch eine Periode rein literararisch rezeptiver Produktionslosigkeit während der letzten Monate in der Heimat — durch das Versanden des Naturgefühls, das die Wurzel seines Künstlertums war, und durch den endgültigen Übergang zu einem literarischen Spiritualismus, der — bisher nur Gefahr und jetzt Verhängnis — an die Stelle der beobachteten Einzelform den gedanklichen Gesamteindruck setzen will. Die Bilder, die Heinrich jetzt malt, weichen in allem von dem seiner Begabung vorgezeichneten Weg ab. Sie alle gehen nicht von der Beobachtung aus, sondern vom Gedanken; keines von ihnen hat die gegenwärtige Umwelt zum Thema, sondern alle sind aus dichterischem oder historisch-wissenschaftlichem Antrieb heraus entstanden, und keines baut auf der bisher erworbenen Kenntnis der landschaftlichen Form auf, ja einige greifen sogar nach den bisher noch nie studierten und daher ganz ungekonnten Formen der menchlichen und tierischen Gestalt. Ein wissenschaftliches und fast archäologisches Graben in der Vergangenheit verschließt den

RÖMER. IN DER KUNSTSTADT. ENDE DES KÜNSTLERTUMS

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Blick für die gesehene Form, und das Ende dieses Irrweges ist ganz folgerichtig jener ins Großformat ausgezogene Karton, aus dem schließlich nichts Wird als eine sinnlose Strichelarbeit und dessen ruhmloses Ende im Grunde zugleich schon das Ende dieser Künstlerlaufbahn ist. Denn was jetzt an malerischer Tätigkeit noch folgt, hat mit einem inneren Streben nach künstlerischer Vollendung nichts mehr gemein, sondern ist — bis herab zu dem Anstreichen der Fahnenstangen — allein durch den Selbsterhaltungstrieb des physischen Lebens bestimmt. Der künstlerische Wille ist so weit abgestorben, daß die geringste Tätigkeit ehrgeizlose Befriedigung verschafft. Innerlich aber hat die Umschichtung bereits begonnen. An die Stelle des künstlerischen Schaffens ist das wissenschaftliche Aufnehmen getreten, das sich, so wahllos es auch erscheint, um ein Zentrum herumgruppiert: um den Menschen und seine Stellung im gesamten Weltbild. Die vorläufig letzte künstlerische Betätigung, das Studium an der Gestalt des borghesischen Fechters, dokumentiert die Abwendung von dem bisherigen Gebiet des „bloßen landschaftlichen Wohn- und Schauplatzes" des Menschen und die Hinwendung zu der menschlichen Gestalt selbst. Dieser letzte Schritt einer künstlerischen Neuerwerbung aber ist zugleich der erste in einem neuen Gelände, denn dies Studium der menschlichen Gestalt als Form ist der unmittelbare Übergang zu „dessen lebendigem Wesen und Zusammensein", und zeigt schon die Wandlung des Künstlers in den sozialen Menschen an. Das eingeschobene Ritardando des Aufenthalts auf dem Grafenschloß hat den Sinn, den Verzicht auf die Künstlerlaufbahn organisch wachsen zu lassen und jeder nur äußeren Notwendigkeit zu entkleiden. Denn durch den pekuniären Erfolg dieses Aufenthaltes scheidet der wirtschaftliche Beweggrund für den Abbruch der Künstlerlaufbahn ebenso aus, wie durch das künstlerische Gelingen der zwei letzten Bilder der Beweggrund mangelnden Könnens1). Die Notwendigkeit des neuen Entschlusses ist 1 ) Mit diesen beiden Bildern, die Heinrich auf die Anregung des Grafen hin malt, kehrt er zum letztenmal auf seinen eigenen Weg der Naturbeobachtung zurück. Die erste Fassung des Romans beschäftigt sich ausführlicher mit diesen Bildern, die einen Laubwald und einen Nadelwald darstellen. „Die Motive nahm er weislich aus den forstreichen Umgebungen des Landsitzes und komponierte nicht viel darin herum, vielmehr fühlte er einmal das Bedürfnis, das Vorhandene wesentlich darzustellen... Er überhastete sich nicht und schleppte oder faulenzte nicht, sondern führte Zug um Zug fort, bei der Beschäftigung mit dem einen, ohne zerstreut zu sein, an den nächsten und an das Ganze denkend... und während er zweckmäßige lind besonnene klare Farben aufsetzte, gingen ihm allerhand Gedanken von der Zweckmäßigkeit des Lebens überhaupt durch den Kopf." Sein Weg in die neue Zukunft liegt fest und ist durch dies späte Gelingen, das zugleich das erste ist, nicht mehr zu verwirren.

DIB ERSTE REALISTISCHE GESTALTUNG

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nun tatsächlich eine rein geistige, das folgerichtige Ergebnis einer neuen Geisteshaltung, deren Ziel nicht mehr das individuelle Herausstellen einer Sonderbegabung ist, sondern „ein Leben, das mir besser ziemt, wenn es auch bescheidener ist". Der Entschluß liegt jetzt „bereits in einer tieferen Schicht als derjenigen des leidlichen Fortkommens" begründet, und der klare Blick für die eigene Begabung und die Stellung zum Weltganzen ist gewonnen: „Ich habe meinen bescheidenen Höhepunkt erreicht und kann wirklich nichts Besseres machen; ich würde auch unter günstigeren Verhältnissen höchstens ein dilettantischer Akademist werden, der etwas Absonderliches vorstellen will und nicht in Welt und Zeit paßt!" Denn diese Zeit braucht als Träger ihres Willens nicht den Künstler, sondern den Gemeinschaftsmenschen, und es ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Ende der Künstlerentwicklung im „Grünen Heinrich" und in den Künstlerromanen der Romantik, daß in diesen ein großer Aufwand an Schaffenswillen am Ende als nutzlos vertan angesehen werden muß, während in Kellers Roman die Energie erhalten und in eine neue Tätigkeitsform umgewandelt wird. Trotz dieser Abwendung von der Kunst aber rechtfertigt die künstlerische Entwicklung des Grünen Heinrich zum erstenmal die Bezeichnung „Malerroman", da ihr Inhalt tatsächlich das Ringen um den malerischen Ausdruck ist. Dieser neue Inhalt ist begründet in dem autobiographischen Gehalt des Werkes, denn hier stellt ja der Dichter Keller die Entwicklung des Malers Keller dar, eines Malers, der alle Mühen des malerischen Handwerks von Grund aus erfahren hatte. Die Beobachtung an dem nächstliegenden und durchschaubarsten Objekt, verbunden mit dem realistischen Geist des 19. Jahrhunderts 1 ), schuf hier die erste Malergestalt, die nicht dichterisch umgedeutet, sondern wirklich vom Standpunkt des Malers aus gesehen und gestaltet ist. Die Bezeichnung „Malerroman" aber, die für die künstlerische Entwicklung des Helden Zutrifft, umfaßt trotzdem keineswegs das gesamte Werk, und Keller selbst verwahrte sich ja gegen die vermeintliche Absicht, „einen sogenannten Künstlerroman zu schreiben, sondern die vorliegenden Kunstbegebenheiten sind als reine gegebene Fakta zu betrachten, und was das Verweilen bei denselben betrifft, so hat es allein den Zweck, das menschliche Verhalten des Grünen Heinrich, und somit das Allgemeine in diesen scheinbar so absonderlichen und berufsmäßigen Dingen x

) Als ein Übergang zu dem neuen Realismus erschien die Künstlergestalt des „Jungen Deutschland" (vgl. S. 27, Anm. 1). Der Wirkliehkeitsgehalt bezieht sich, dort jedoch — gemäß dem Programm der Epoche — nur auf die Parteinahme des Künstlers im Leben, wobei der Kunst jeglicher Eigenwert abgesprochen wird.

DER SOZIALE MENSCH. DER MALERISCHE GEHALT.

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zu schildern". Die lebendige Entwicklung eines Menschen in sich selbst und in seiner Umwelt ist das Thema des Werkes, eine Entwicklung, die sich gleich stark in der Stille wie im Lauf der Welt abspielt und Talent und Charakter gleichmäßig bildet. Die beiden Elemente der Innenwelt und der Umwelt aber stehen hier nicht in feindlichem Gegensatz zueinander, sondern sind in dauerndem, förderndem Austausch begriffen, und so stellt Gottfried Kellers Werk auch für das Verhältnis von Kunst und Leben eine neue Lösung dar. Wenn, wie wir sahen, die Romantik Kunst und Leben miteinander vermischte durch die Idealisierung des Lebens zur Kunst, wenn E. T. A. Hoffmann beide am weitesten trennte, indem er das Leben als Wirklichkeit sah und die Kunst als dämonischen Zwang zum Ideal, so bringt Keller von neuem eine Annäherung und die Versöhnung beider, aber nicht, wie die Romantik, durch Idealisierung des Lebens, sondern umgekehrt: durch Realisierung der Kunst.

DER RÜCKSCHLAG GEGEN DEN REALISMUS: DER MÜNCHENER KREIS Gegen diesen neu eroberten Wirklichkeitsgehalt der Kunst aber erfolgte in unmittelbarer zeitlicher Nähe Gottfried Kellers die Reaktion derer, die das Künstlertum nicht anders denn als Weltentrücktheit und exklusive Lebensferne sehen wollten. Das war der Münchener Kreis der P a u l H e y s e („Im Paradiese", 1872) und Adolf W i l b r a n d t („Hermann Ifinger", 1892). In diesen Romanen tritt die künstlerische Problematik zurück hinter dem künstlerischen Milieu, einem Milieu des schönen Scheins, der Liebesabenteurer und Künstlerfeste; immer bewegt, ohne innerlich lebendig zu sein, und gleichsam in dauernder Kostümierung. Entgegen Kellers Wahrhaftigkeit erhält sich dieses Milieu durch die Lebenslüge der Schönheit und müßte zusammenbrechen, wenn man es aus seinem Treibhaus an die frische Luft der Wirklichkeit setzte. Der Münchener Kreis bedeutet einen Rückschlag gegen den neu errungenen Wirklichkeitsgehalt (der ja auch in der ersten Fassung des „Grünen Heinrich" schon vorhanden war) und eine Flucht zu den glückseligen Inseln ungebundener Schönheit, die, wenn auch unproduktiver und dekadenter, am ehesten dem Schönheitskult des „Ardinghello" nahe steht. Was aber dort lebendig sich entwickelnde Kraft war, ist bei den Münchenern eine müde Ästhetik des Jahrhundertendes. Der Ernst künstlerischer Arbeit und Leistung ist in keinem dieser Romane gestaltet.

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DIE BIOGRAPHISCHE KÜNSTLERANEKDOTE

Das Interesse gilt nur dem Atelierklima eines kostümierten Scheinkünstlertums.1) DIE BIOGRAPHISCHE KÜNSTLERANEKDOTE. Das gleiche Kennzeichen äußerer Kostümierung ohne innere Erfassung des Künstlertums eignet der großen Gruppe biographisch-anekdotischer Darstellungen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts scharenweise auftreten, jedoch schon mit dem Ausgang der Romantik begonnen haben. Das Rezept, nach dem sie hergestellt werden, ist fast überall das gleiche: Auswahl einer Episode aus dem Leben eines Berühmten, aufgeputzt mit Sentimentalität und Liebe. Der Ausgang ist mit wenigen Ausnahmen das „happy end". Eines der ersten Werke dieser Gruppe, O e h l e n s c h l ä g e r s „Correggio" (deutsch 1816), dessen beispielloser Erfolg wohl zum großen Teil die späteren nach sich zog, sammelt auf den Künstler alle Eigenschaften einer Pseudo-Romantik: engelsgleiche Güte, Sanftmut und Bescheidenheit; dazu Fremdheit in der realen Welt und Hilflosigkeit ihren Angriffen gegenüber. Häufiger als mit Correggio deckt sich dieses romantisierte Bild des Künstlers mit Raphael. Als Beispiele: Achim von Arnims Novelle „Raphael und seine Nachbarinnen", C. F. von R u m o h r s „Lehr- und Wanderjahre des Raphael Santi von Urbino" (in Reumont's „Italia", 1840) und zwei Raphael-Dramen vonCastelli (1810) und G. Chr. B r a u n (1819). Daneben läuft eine derbere und realistischere Linie her, deren Helden die Niederländer sind. Ihr gehören — unter anderen — an ein RubensDrama von Charlotte B i r c h - P f e i f f e r (1839), drei Quentin MassysDramen von B r a u n (1824), Julius von V o ß (1825) und Robert K n a u e r (1857) und ein Singspiel „Ostade" von Weigl und T r e i t s c h k e . *) Von dem gleichen Schönheitskultus ist Paul H e y s e s Versnovelle „Rafael" getragen, in der Rafael, dem Vollender der Schönheit in der Kunst, als einzigem der Besitz der lebendigen Schönheit in Gestalt eines dem Kloster geweihten Mädchens zufällt. Adolf W i l b r a n d t s Lustspiel „Die Maler" (1872) bleibt ganz in der Milieuschilderung stecken. (Sein Drama „Der Meister von PalmyTa", 1806, steht dem Ahasver-Problem nahe und hat mit dem Künstlerproblem nur entfernte Berührung). In dem j ü n g e r e n Münchener Dichterkreis ist trotz der Berührung mit dem Naturalismus die Einstellung zum Künstlertum nicht wesentlich geändert. Denn auch in Michael Georg Conrads Roman „Was die Isar rauscht" (1880) und noch erheblich stärker in Wilhelm W e i g a n d s Künstlerkomödie „Lolo" (1004) ist das Künstlertum mehr als Milieu gesehen denn als innere Problematik, wenn auch in Conrads Roman Diskussionen über den Naturalismus in der Malerei den Anbruch einer neuen Einstellung zur Kunst verkünden.

KÜNSTLERANEKDOTE: OEHLENSCHLÄGER, DEINHARDSTEIN USW.

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Albrecht Dürer erscheint in einer Novelle „Künstlerehe" von Leopold S c h e f e r (1831) und in Eduard von S c h e n k s Drama „Albrecht Dürer in Venedig". D e i n h a r d s t e i n s Drama „Salvator Rosa" (in Künstlerdramen, 1845) schließt sich an E. T. A. Hoffmanns „Signor Formica" an, C h a m i s s o s Gedicht „Francesco Francias Tod" an Vasaris Bericht und Franz von G a u d y s Novelle „Der Katzen-Raphael "(1837) an die Gestalt des Katzenmalers Gottfried Mind. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt das künstlerische Niveau dieser Gruppe höher. G o b i n e a u s „Renaissance" (1857) war ihr letzter großer Erfolg, und auch im 20. Jahrhundert ist diese Gattung vertreten durch Wilhelm S c h ä f e r (mit einem Rembrandt-Drama, 1901) Emil H ü g l i („Rita Roselli", 1911), Ludwig B ä t e mit einer Novelle „Tilman Riemenschneider" (1928), in der immerhin das Thema des Versiegens der künstlerischen Kraft als Folge der Befriedigung der Lebenswünsche anklingt. In die Richtung dieser Gruppe, wenn auch durch ihren Zweck als „Kultur-Fibel" etwas abseits stehend, gehören auch Herbert E u l e n b e r g s „Schattenbilder" (seit 1910), die sich — im Vergleich mit der Langatmigkeit der meisten der vorher genannten Werke — dadurch auszeichnen, daß sie in gedrängter Form im Biographischen immer zugleich ein Stück Problematik einfangen. Während in einigen dieser Charakteristiken (etwa Holbein, Cranach, Raphael) das Lehrhafte überwiegt, nähern sich andere (wie Rembrandt und Stauffer-Bern) schon der Dichtung. Als Ganzes gesehen stellt diese biographisch-anekdotische Gattung für die Problematik des Künstlertums den entbehrlichsten Bestandteil dar, weil in ihr das Künstlertum nicht an das Wesen gebunden ist, sondern nur an den berühmten Namen1).

DER NATURALISMUS: DAS FRAGMENTARISCHE KÜNSTLERTUM. Nachdem in dem Münchener Kreis die Gestalt des Künstlers in ein billiges Ästhetentum der äußeren Erscheinung abgeglitten war, ergriff der Naturalismus wieder umso stärker die innere Problematik. Die *) Der umfangreiche Roman „William Hogarth" von B r a c h v o g e l (1866) geht zu einem Teil über das nur Biographisch-Anekdotische hinaus durch den Kampf des Helden um die Anerkennung der realistischen Karikaturzeichnung gegenüber der idealistischen Schönheitsmalerei. Um das gleiche Problem einer neuen Kunstgattung handelt es sich in W i l d e n b r u c h s „Der Meister von Tanagra" (1860), dessen Held sich erst von dem Ehrgeiz nach der großen Plastik und dem dämonischen Einfluß des Praxiteles befreien muß, bevor er den neuen eigenen Stil der Kleinplastik findet.

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Gründe dafür sind mannigfach. In dem Augenblick, wo die Kunst einen neuen Inhalt empfing, wandte sich naturgemäß dem Träger dieses Inhalts gesteigertes Interesse zu. Außerdem forderte das neue naturalistische Evangelium der Lebensnähe und Wirklichkeitsnachahmung durch die Kunst auch für das Wesen des Künstlers eine neue Auseinandersetzung zwischen Kunst und Leben, während andererseits der Grundsatz des l'art pour l'art die Kunst am weitesten von der Wirklichkeit entfernte. Dazu kommt noch, daß das Ende des 19. Jahrhunderts eine Befestigung des Bürgertums und der bürgerlichen Welteinstellung brachte, wie sie so entschieden vorher noch nicht erlebt worden war. Das europäische Bürgertum bildete, gegründet auf wirtschaftliche Sicherheit und seelische Unerschütterlichkeit, eine feste Mauer, die das Gemeinwesen gegen jeden Einbruch ungesicherter und erschütternder Elemente schützte und jede Erscheinung nach dem Maßstab bürgerlicher Nützlichkeit beurteilte. In dieser Gesellschaftsordnung war für den Künstler kein Platz vorgesehen, und wenn er dennoch geboren wurde, so war es sein Schicksal, an der Gesellschaft zu leiden und zu scheitern. Aus dieser Stellung des Künstlers als eines Einsamen und Ausgeschlossenen, oder, vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft aus, als eines Störenfrieds und Eindringlings, entsteht ein im Naturalismus häufiger Dramentyp: der Sohn, der seines Künstlertums und seiner unbürgerlichen Lebensform wegen einmal aus der bürgerlichen Familie ausschied und durch seine Rückkehr die Handlung in Bewegung setzt. Georg H i r s c h f e l d s Drama „ N e b e n e i n a n d e r " (1904) vertritt diesen Typus für die Gestalt des bildenden Künstlers. — Eine besondere Note erhielt dieser Typus des Künstlers im Bürgertum in G a l s w o r t h y s „ F o r s y t e - S a g a " 1 ) (deren ältere Generation ja noch dem Ende des 19. Jahrhunderts angehört), dadurch daß hier zwischen die äußersten Gegensätze der Forsytes als Vertreter des unerschütterlichen Bürgertums und des Architekten Bosinney als Vertreter des Künstlertums eine Übergangsfigur geschoben ist in der Gestalt des jungen Jolyon, der, seinem äußeren Berufe nach noch Bürger und seiner Neigung nach schon Künstler (wenn auch in den bescheidenen Grenzen einer fleißigen Aquarellmalerei), gleichsam eine Zwischenstufe darstellt in dem Prozeß der Ablösung des Künstlers von der bürgerlichen Gesellschaft. Der Restbestand zähen Bürgertums bewahrt ihn vor dem Untergang, in dem der reine Künstler versinkt; das Künstlertum in ihm trennt ihn von der Zweckgebundenheit seiner Umgebung und erhält in der Frau den Besitz der reinen zweckfreien Schönheit2). >) Seit 1906. ) Aus der gleichen Spannung zwischen Bürgertum und Künstlertum ist die Novelle „Die Künstler" des Russen Wsjewolod Garschin (deutsch. 1887) entstanden, in der zwei 2

N A T U R A L I S M U S : H I R S C H F E L D , G A L S W O R T H Y , G. H A U P T M A N N

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Aber nicht nur an der bürgerlichen Gesellschaft um sich scheitert der Künstler des Naturalismus. Die größere Gefahr trägt er in sich, in einem oberflächlicher gefaßten Typus durch die Disziplinlosigkeit des Lebens, die die Kunst zerstört; im Kern gefaßt durch die Zwiespältigkeit und Zerrissenheit der künstlerischen Begabung, die ihn zu keiner Vollendung kommen läßt. Dabei ist der Ausgang hier nicht, wie für die fragmentarischen Künstlergestalten früherer Epochen, ein Weiterleben in einer anderen Ebene als der der Kunst (für Ardinghello in einem Leben der Tat, für den Grünen Heinrich im Gemeinschaftsleben). Die Künstler des Naturalismus sind von vornherein aus der Wirklichkeit, die für ihre Zeit durch die bürgerliche Gesellschaft repräsentiert wird, soweit entwurzelt, daß ihnen keine Rückkehr mehr möglich ist. Nach dem Verlust der Kunst hebt der Sturm, in dem sie als Künstler stehen, sie vollends vom Boden. Sie müssen die Konsequenz der letzten Tragik ziehen: Tod oder Wahnsinn. Dabei steht der erste Typus, die Zerstörung des Künstlertums durch die Disziplinlosigkeit des Lebens, dem Drama näher, weil hier die umgebende Welt, in der der Künstler sich verliert, dialogisch eingeschlossen ist. Diesen Typus vertreten G e r h a r t H a u p t m a n n s Dramengestalten, Arnold Krämer, Gabriel Schilling, Peter Brauer und Crampton (der trotz des äußerlich versöhnenden Schlusses hierher gehört, da das Ende ja keineswegs sein Künstlertum rettet, sondern nur die letzte tragische Konsequenz abbiegt). Der zwar später entstandene, aber noch in der Problematik des Naturalismus wurzelnde Bildhauerroman „Wanda" wiederholt dies Thema zum vorläufig letztenmal in Hauptmanns Werk. Am tiefsten begründet ist der Zusammenbruch des Künstlers am Leben bei Arnold Kramer und Gabriel Schilling. Denn für diese beiden ist die Zerstörung, die das Leben in ihnen anrichtet, die notwendige und unabwendbare Folge ihres Wesens, das, „angefressen im Kern", dem Leben keine selbsterhaltende Aktivität, ja kaum einen passiven Widerstand entgegenzusetzen fähig ist. So weit ist ihr Wesen von jeder Wehrhaftiggegensätzliche künstlerische Entwicklungen — die eine vom Bürgertum aus ins Künstlertum hinein, die andere in umgekehrter Richtung — unmittelbar nebeneinander ablaufen. Zum erstenmal war dieses Leiden des Künstlers am bürgerlichen Publikum—längst vor dem Naturalismus — in G o e t h e s kleinem Drama „Künstlers Erdenwallen" dargestellt worden: die unüberbrückbare Kluft zwischen den nur Genießenden, die als Auftraggeber auf Grund ihrer Kapitalkraft glauben, Fordernde sein zu dürfen, und dem Schaffenden, dessen künstlerische Existenz sich gegen jene aufbäumt, während seine bürgerliche Existenz von ihnen abhängt. Ebenso gestaltet das Gedicht „Künstlers Fug und Recht" das Selbstbewußtsein der Unabhängigkeit des Künstlers von jedem fremden Urteil und sein Alleinrecht an seinem Werk.

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keit gegen das Leben entfernt, daß die, die ihnen gleichsam als Hilfestellung dem Leben gegenüber beigegeben sind, — Michael Kramer, der Vater, und Maurer', der Freund, — nicht mehr Helfer sein können, sondern nur noch Kontrastfiguren aus einer anderen, dem Leben und der Erde sicher verketteten Welt. Für Arnold Krämer und Gabriel Schilling, die im Leben kein Bürgerrecht erwerben können, ist der Tod „die mildeste Form des Lebens, der ewigen Liebe Meisterstück". Crampton und Peter Brauer dagegen, die tragikomischen Zwillingsbrüder in Hauptmanns Werk, sind durch die Haltlosigkeit dem Leben gegenüber schon so weit gesunken, daß zu ihrer Vernichtung der Tod nicht mehr bemüht zu werden braucht. Ihr Dasein ist nur noch ein Hindämmern im Alkoholnebel, nachdem ihr Künstlertum schon lange zugrunde gegangen ist. Über sie alle triumphiert das Leben als Vernichter ihrer künstlerischen und menschlichen Existenz so siegreich, daß ihr Künstlertum eine nur sehr geringe Rolle spielt; und das ewige Fragment, zu dem es verurteilt ist, wird — bezeichnend für die Auffassung des Künstlertums im Naturalismus—als Eigenwert bejaht: „Das große Mißlingen kann mehr bedeuten — am Allergrößten tritt es hervor — kann stärker ergreifen und höher hinaufführen — ins Ungeheure tiefer hinein — als je das beste Gelingen vermag" („Michael Krämer"). Eine größere Rolle spielt das Künstlertum in Hauptmanns Roman „Wanda" („Der Dämon"), der ja erst im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden und von dem neuen Künstlerbild dieser Zeit, dem des Schaffens bis zur Vollendung, nicht unberührt geblieben ist. Denn der Bildhauer, der hier im Mittelpunkt steht, schafft und vollendet tatsächlich, solange sein „Dämon", die Leidenschaft zu einem Mädchen niederster Art, ihn aus den Klauen läßt. Aber auch über ihn und sein Künstlertum siegt schließlich das Leben, dem er keinen Willen entgegenzustellen hat, und stürzt ihn in Wahnsinn und Tod. Er, ebenso wie Kramer, Schilling, Crampton und Peter Brauer, scheitert nicht an der Kunst, sondern am Leben, das ihn vernichtet, weil er sich willenlos von ihm treiben und fortspülen läßt.1) Das andere Thema des Naturalismus, der Zusammenbruch des Werkes an der Zerrissenheit der Begabung, ist ein ganz innerliches, monologisches, 1

) In Ibsens Drama „Gespenster", in dem das Künstlertum ja mehr nur zufälliges Ingredienz ist, liegt der Konflikt zwischen Kunst und Leben im Grunde ebenso wie bei Gerhart Hauptmann, wenn die Vernichtung hier auch nicht durch die Zuchtlosigkeit des eigenen Lebens, sondern durch das väterliche Erbteil herbeigeführt wird. Otto Erich H a r t l e b e n s Novelle „Der römische Maler" (1898) sieht den durch die Disziplinlosigkeit des Lebens heruntergekommenen Maler tragikomisch-satirisch, und dementsprechend ist das Ende, wie in Gerhart Hauptmanns „College Crampton",

G. HAUPTMANN, ZOLA, WALTER SIEGFRIED. IMPRESSIONISMUS

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das unter Ausschluß der Welt allein vom Künstler und dem Werk handelt und deshalb dramatischer Gestaltung, die den sichtbaren Gegenspieler fordert, nicht zugänglich ist, sondern nach der epischen Form in Gestalt des seelengeschichtlichen Romans verlangt. E m i l Zolas "L' Oeuvre" 1 ) und W a l t e r S i e g f r i e d s „Tino Moralt" (1890), die diesen Typus darstellen, sind zwei der folgerichtigsten und konzentriertesten Künstlerromane überhaupt, denn hier entsteht der Zusammenbruch allein aus dem Erlahmen der Kraft, einer Kraft, die mit übermenschlicher Anstrengung immer von neuem das Werk erzwingen will und immer wieder vor der Unvollkommenheit des Geschaffenen kapitulieren muß. Bei beiden ist dieser Kampf auf ein bestimmtes Werk gerichtet, das in jahrelangem Ringen immer von neuem entsteht. Das ewige Fragment aber kommt hier nicht, wie bei den Romantikern, aus dem träumenden Versinnen und Hindämmern in Untätigkeit, sondern beide Künstler, Claude Lantier in Zolas Roman ebenso wie Tino Moralt, arbeiten mit der Kraft der Besessenheit, um dann vor der Unmöglichkeit der Vollendung zusammenzubrechen, der eine im Selbstmord, der andere im Wahnsinn. In diesen ersten Künstlerromanen großen Stils seit Gottfried Kellers „Grünem Heinrich" zeigt sich auch zum erstenmal wieder der Wille und die Fähigkeit zu der Erfassung der spezifisch malerischen Arbeit durch den Dichter. In Zolas Werk ist dieser Wille bis zum letzten erfüllt; der Kampf um den Ausdruck der Wirklichkeit durch Licht und Farbe ist rein mit dem Auge des Malers gesehen ohne Beimischung dichterischer Symbolik. Diesen echt malerischen Gehalt begünstigte nicht nur das Freundschaftsverhältnis Zolas mit Cézanne, aus dem der Roman hervorging, sondern vor allem der Stil des dargestellten Künstlers als eines Impressionisten, das heißt eines Augenkünstlers der Oberfläche, eines Problematikers der malerischen Technik und eines konsequenten Verächters jedes romantisch-dichterischen Symbolismus. Der Impressionist war verhältnismäßig wenig in Gefahr, vom Dichter mißverstanden und nicht die Vernichtung des Lebens nach dem Zusammenbruch des Künstlertums, sondern ein selbstzufriedenes Weitervegetieren ohne Ziel und Aufgabe. Der Erstlingsroman „Roderik Husdson" des Amerikaners H e n r y J a m e s (1876) stellt den künstlerischen und menschlichen Zusammenbruch des Helden dar, der aus einem bürgerlichen Beruf heraustritt, um Bildhauer zu werden, in Italien durch eine verzehrende Liebesleidenschaft künstlerisch zusammenbricht und am Ende in den Bergen umkommt. Obwohl das Hauptthema des Künstlertums oft durch Nebenhandlungen beeinträchtigt wird, ist der Roman doch bedeutungsvoll durch die — aus stärkster künstlerischer Beeindruckbarkeit und krassestem menschlichem Egoismus zusammengesetzte — Seelenstruktur des Helden. ') In dem Zyklus der Rougon-Macquart (1871—93), Band 12.

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dichterisch umgedeutet zu werden, da der Impressionismus in der Malerei die reinste Ausprägung ausschließlich malerischer Qualitäten darstellte und daher von der dichterischen Phantasie am weitesten getrennt war. Der Impressionismus war in seiner Wurzel ein Stil malerisch-anschaulicher Augenkunst und drang erst von der Bildkunst her in die Wortkunst ein, der seine Ausdrucksmöglichkeiten im Grunde nicht gemäß waren. Der impressionistische Maler als der Träger eines Stiles reiner Augenerlebnisse lag der dichterischen Erfassung relativ am fernsten. Wenn der Dichter dennoch nach seiner Darstellung griff, so konnte das nicht in dem Irrtum geschehen, in dem Maler seinesgleichen vor sich zu sehen, sondern nur in klarer Erkenntnis seines anders gearteten Sehens und Schaffens. Das Verhältnis des gestaltenden Dichters zu dem von ihm gestalteten Bildkünstler ist für den Impressionismus entgegengesetzt dem der Romantik. Denn diese, ursprünglich dichterisch-symbolistisch eingestellt und auch in der Bildkunst mehr dichtend als malend, verführte den Dichter selbst auf den Weg der Umdeutung des Malerischen ins Dichterische, während der Impressionismus, von Hause aus ein reiner Malstil, der Gefahr einer solchen Umdeutung ganz fern stand. In welchem Maße Zola auf das impressionistische Sehen eingestellt war, zeigt die Verwandlung des seiner Künstlergestalt zu Grunde liegenden Urbildes Cézanne, der in Wahrheit ja niemals reiner Impressionist war, in den ausschließlichen Impressionisten seines Romans. Weniger rein als Zola erfaßte der Deutsch-Schweizer Walter Siegfried das Besondere malerischen Sehens und Schaffens, weil sich in seine Malergestalt dichterischer Symbolismus und ein metaphysisch-visionäres Ausdrucksstreben einmischen, die nicht in malerische Werte umgesetzt sind. Die Schuld daran trägt wohl zu einem Teil das Urbild Feuerbachs, das seiner Gestalt zu Grunde liegt. Seine Erfassung des Malers nähert sich der romantischen durch die Vermischung der bildkünstlerischen Ausdrucksform mit der dichterischen und der musikalischen. Es scheint zeitweise, als ob dieser Maler, wie Sternbald, nur ein Dilettant auf allen Gebieten sei, wenn nicht eben doch die Arbeit und das Ringen vor der Leinwand in viel stärkerem Maße gesehen wäre als dort. Und auch das Geselligkeitsbedürfnis Tino Moralts greift scheinbar auf die Romantik zurück, wenn es nicht hier erkauft wäre durch monatelange Einsamkeit mit dem Werk. Seine Gestalt wirkt wie eine zwiespältige Verbindung des romantischen Künstlerbildes mit dem einer neuen, malerische Sonderart erkennenden Epoche. Zolas Held, der ausschließliche Maler, bricht allein an dem Unvermögen vor dem Werk zusammen. Tino Moralt, der metaphysische Mensch, krankt außerdem noch an der Sehnsucht, Künstlertum und Menschen-

ZOLA, WALTER SIEGFRIED, HERMANN BAHR

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tum zu verbinden. Im Schaffen bricht in ihm die Sehnsucht nach dem Leben aus und im Leben die Sehnsucht nach der Kunst. In der Gestalt des Claude Lantier dagegen ist das Leben bis zum letzten von der Kunst verschlungen. Er kennt nur eine Wirklichkeit: das Schaffen. An diesem Dämon gehen Weib, Kind und endlich er selbst zu Grunde. Über dem Erhängten aber triumphiert sein Geschöpf, das ihn zu Grunde gerichtet hat: das Werk. In einem dritten Malerroman des Naturalismus: H e r m a n n B a h r s „Die g u t e Schule" (1890) ist der am Werk scheiternde Maler ein eitler Dekadent und verliebter Selbstbespiegler, der jeden Schritt aus dem Künstlertum heraus in den Sumpf eines ausschweifenden Lebens hinein vor sich selbst als Kennzeichen des Genies zu plakatieren sucht. Wie Zolas Held steht auch dieser zwischen seiner künstlerischen Arbeit und einer Frau, die der Arbeit dienen soll. Während aber jener tatsächlich alle Kraft für die Leistung spart, verausgabt sich dieser in entnervender und unproduktiver Erotik, die er für die notwendige Vorstufe des Werkes hält. Da das Versanden des Künstlertums hier vom Tragischen ins Pathologisch-Groteske verzerrt ist, ist das Ende nicht die große Reinigung des Todes noch die Sühne im Wahnsinn, sondern ein langsames Verblöden bis zur niedersten Stufe satten Ästhetentums. „Um den Künstler nicht zu vernachlässigen, komponierte er manchmal Toiletten." Neben der Sachlichkeit Zolas und, dem Pathos Walter Siegfrieds steht hier die satirische Gestaltung des zusammenbrechenden Künstlertums. Das Besondere des malerischen Sehens ist aber auch hier, ohne dichterische Umdeutung, vollständig erfaßt, und wieder handelt es sich um ein rein impressionistisches Auffassen von Licht- und Farbenzusammenklängen. Das Bild, an dem dieser Künstler scheitert, ist — bezeichnend für einen Stil, dessen Geistigkeit vor allem im Auge liegt, — konzipiert aus dem Farbenklang eines Saucen-Arrangements beim Diner, dessen erregendes Grün die künstlerische Erregung hervorruft. Wie in Zolas Roman gilt auch hier das Interesse des Dichters gerade der ihm fremdesten Art einer rein visuellen Auffassung der Welt. Die Künstlergestalt am Ende des 19. Jahrhunderts ist eine große Symphonie des Zusammenbruchs und der Vernichtung1). Will man diese Erscheinung in die Gesamthaltung der Zeit einordnen, so ist sie wohl ein Teil des allgemeinen Interesses für die Gefährdung des Genies und seine vom Typus des „Normalmenschen" aus für krankhaft angesehene Abwegigkeit; eine Einstellung, die wohl nicht unwesentlich durch das x

) Im weiteren Sinne gehören auch die Architekten in I b s e n s „Baumeister Solneß" (1802) und Joseph P o n t e n s Novelle „Der Meister" (1019) hierher, bei denen sich die Erschütterung des Künstlertums in der Furcht vor der nachdrängenden Jugend äußert. 5

Laserstein.

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Schicksal Nietzsches mitbestimmt wurde. Das neue Jahrhundert aber, das dieser Epoche folgt, geht den Weg aus dem Zusammenbruch des Künstlertums zu seiner Vollendung in der Reife der Meisterschaft.

DAS 20. JAHRHUNDERT: DAS VOLLENDETE KÜNSTLERTUM Auf der ersten Stufe dieses Weges, in H e r m a n n B a n g s „Michael" (1906) gilt die dichterische Gestaltung dem Problem E. T. A. Hoffmanns: der Auseinandersetzung von Kunst und Leben. Der Hauptakzent aber liegt jetzt nicht mehr, wie bei Hoffmann, auf der Problematik selbst, der Feindschaft von Kunst und Leben als unüberbrückbaren Gegensätzen, sondern auf der Überwindung dieser Problematik, die trotz des andrängenden Lebens aus Verzicht und Einsamkeit heraus das Werk zur vollendeten Meisterschaft wachsen läßt. Dadurch, daß das Leben, das der Meister Claude Zoret in der Gestalt seines Pflegesohnes Michael an sich gefesselt zu haben glaubte, über ihn hinwegschreitet, kommt er aus Schmerz und Bitterkeit zu der tiefsten Verinnerlichung seiner Kunst in seinen zwei letzten Bildern, einem „Hiob" und einem „Jesaias". Am Ende aber gelangt der Künstler aus der einsamen Kühle seiner Meisterschaftssphäre heraus zu der Erkenntnis des Lebenswertes. Denn nicht die Vollendung seines Künstlertums gibt ihm am Ende die Ruhe zum Tod, sondern das Wissen um die große Liebe zwischen denen, die ganz und ungeteilt dem Leben gehören. Die gleiche Stufe der Vollendung des Künstlertums dem Leben zum Trotz vertritt Herman Löns mit seinem Roman „Das z w e i t e G e s i c h t " (1912), denn auch hier ist die Kunst gefaßt als „Notbehelf für das Leben", das sich — in der Gestalt des geliebten Mädchens — dem Künstler versagt und ihn aus dem Verzicht heraus zum Gipfel der Meisterschaft treibt. Auf dieser ersten Entwicklungsstufe im 20. Jahrhundert ist das Leben unumgängliche Wirklichkeit und daher das Problem von Kunst und Leben das ausschlaggebende. In einem Roman dagegen, der zeitlich zwischen diesen beiden, geistig aber abseits steht, in Carl H a u p t m a n n s „ E i n h a r t der Lächler" (1907), bedarf es solcher Auseinandersetzung nicht, weil das Leben als Wirklichkeit und Notwendigkeit gar nicht vorhanden ist. Dabei ist es weder zur Kunst idealisiert, wie in der Romantik, noch von der Kunst vergewaltigt, wie bei Zola, sondern das künstlerische und menschliche Erleben spielt sich ausschließlich in der Seele ab, in Traumtiefen, die keine Außenwelt erreicht. Der Maler Einhart geht durch das Leben, eingehüllt in seine eigene Welt der Visionen, und sein

BANG, LÖNS, C. HAUPTMANN. EXPRESSIONISMUS

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Blick ist ausschließlich nach innen gerichtet. „ D a begriff er immer von neuem, daß man über das Leben träumen müsse, um es ganz zu umfassen und aufzusaugen. D a ging es wie eine Ahnung in ihm, daß Träume das Licht der Tiefe sind", so zeichnet sich hier der Weg zur Vollendung. Stärker als irgend einer vor ihm ist Einhart der Typus des Inselmenschen, dessen Welt die Schöpfung seiner eignen Seele ist. Daher ist für ihn die einsame Meisterschaft, die er am Ende erreicht, keine Tragik, denn Einsamkeit ist die einzige ihm gemäße Lebensform. Seine Tragik ist tiefer gelegen, denn sie wächst ihm nicht aus Leben und Umgebung zu, sondern ist der Seele eingeboren zugleich mit dem Künstlertum. „ W i r sind nicht zuerst soziale, sondern kosmische Wesen. Das große Lied der Kunst ist nie den Leiden eines dürftigen Gesellschaftslebens, es. ist den ewigen tiefen Gebresten der Menschenseele, ihrer tragischen Naturveranlagung und Schicksalsverkettung gesungen." Das ist eine andere Tragik als die von E . T. A. Hoffmann entdeckte, weil sie sich nicht in irgend einer Bedingtheit oder Beziehung ausdrückt, sondern allein in der Seele. Diese neue Konstellation bringt eine neue Art des Schaffens hervor, denn so wenig wie für den Menschen die Umgebung Wert hat, so wenig für den Maler die Gegebenheit der Objekte. „Von der Natur muß sich befreien, wer ein Meister werden will! Die Natur zum Eigentum seiner selbst überwinden! Da redet erst das Innerste, was in uns selber redet. Dem müssen wir ganz Untertan werden. Es zur Sprache bringen, das ist die Meistersprache." Diese Überwindung der Natur durch die erlebende Seele aber ist das Evangelium des Expressionismus, und wenn in Einharts Bildern „aller Augen auf die Tafel kommen mit einem Sonderglanz aus dieser Erkennung", so glaubt man Bilder der Expressionisten vor sich zu sehen. Es ist nicht verwunderlich, aus der Hand des Dichters die Gestalt des expressionistischen Malers hervorgehen zu sehen, denn im Expressionismus, dem der — allen Künsten gemeinsame — seelische Urgrund alles und die — jeder Schaffensart besondere — künstlerische Technik nur wenig bedeutete, lagen die verschiedenen Zweige der Kunst näher bei einander als je zuvor, wie ja auch aus dem Expressionismus eine besonders große Zahl von Doppelbegabungen in Bildkunst und Wortkunst hervorgingen (im geraden Gegensatz zum Impressionismus, der beide Ausdrucksarten am weitesten trennte). Für die Darstellung impressionistischen Kunstschaffens hatte der Dichter den weitesten Weg zum Erfassen der Bildkunst zurückzulegen. Im Expressionismus kommt der Maler dem Wortkünstler auf mehr als halbem Wege entgegen. In Einhart spielt sich das — von der frühesten Kindheit bis ins hohe Alter durchgeführte — künstlerische Wachstum ab als ein immer Be5*

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wußter- und Faßbarerwerden des innerlich Geschauten. Diese Malergestalt Carl Hauptmanns ist vielleicht die sonderbarste, die aus der Phantasie eines Dichters hervorgegangen ist, Träumer und Schaffender, Spielender und Metaphysiker, und das alles gespeist aus einem dunkel unruhvollen Zigeunerblut. Wenn Thomas Mann jeden Künstler schlechthin um seines Künstlertums willen einen Zigeuner nannte, so ist es Einhart der Lächler noch in dem besonderen, leibhaften Sinne seiner mütterlichen Herkunft. Neben der Künstlergestalt Carl Hauptmanns, deren Erleben ausschließlich innerlich ist, scheint auf den ersten Blick in Wilhelm S c h ä f e r s Roman „Carl S t a u f f e r s Lebensgang'' (1912) das künstlerische und menschliche Schicksal nicht durch seelische Gründe und nicht durch das Künstlertum bestimmt zu sein, sondern mit einer sinnlosen Zerstörungswut von der Außenwelt her einzubrechen. In Wahrheit aber haben sich schon lange vor der verhängnisvollen menschlichen Bindung, die den Untergang besiegelt, in der Seele dieses Künstlers die Achsen heiß gelaufen, und es war, nach dem ausdrücklichen Willen seines Dichters, nicht das Leben, das seine Kunst zerstörte, sondern die Kunst, „diese Brandstätte der Leidenschaft," die ihm endlich auch ins Leben einbrach. In einem zweiten Punkt scheint auf den ersten Blick die Künstlergestalt Wilhelm Schäfers sogar das Gesamtbild des 20. Jahrhunderts zu durchkreuzen, darin nämlich, daß dieser Künstler nicht die Meisterschaft der Reife erreicht, sondern auf der Grenze der Jünglings- und Mannesjahre der Zerstörung anheimfällt. Wenn aber dieser dämonisch Getriebene auf dem Wege zusammenbricht, so ist er ihn doch gegangen „bis an die Grenze der Vollendung"; und als sein Leben, zweiunddreißigjährig, im italienischen Kerker im Wahnsinn versinkt, da ist sein Künstlertum schon zu einer Gestalt und Vollendung vorgedrungen, die man für endgültig ansehen darf. Stauffers Künstlertum ist nicht das ewige Fragment wie das der Naturalisten und Romantiker, sondern viel eher eine Vollkommenheit auf jeder Stufe, die aus dem unerhört zentripetalen Willen zum Werk entsteht. Krankte Tino Moralt, wie die Romantiker, an einem Übermaß von Musik, so Stauffer viel eher an ihrer völligen Abwesenheit, und in dieser Musikferne liegt sein Gegensatz gegen die Romantik im weitesten Sinne. Sein Wesen ist von der romantischen Künstlergestalt am weitesten entfernt, weil es an die Stelle verfließender Musikalität den bewußten Willen zur Form setzt. Es fällt nach der Lektüre dieses Buches schwer, die historische Gestalt des großen Schweizer Radierers und die dichterisch gestaltete Wilhelm Schäfers zu scheiden. Denn in diesem biographischen Roman, den der Verfasser als Autobiographie in der Ich-Form zu erzählen wagt, ist der

WILH. SCHÄFER, ROMAIN ROLLAND, HESSE, TIMMERMANS

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Dichter so vollständig in den Bildkünstler eingegangen, daß auch nicht der leiseste Schlackenrest von dem Umsetzungsprozeß der dichterischen Anschauung in die malerische übriggeblieben ist. Dadurch, daß der Dichter erlebt mit der Seele des Bildkünstlers, — dazu noch eines, der fern von dichterischem Symbolismus ganz auf das Sichtbare der Erscheinung ausging —, wird auch die handwerkliche Technik, etwa der Kampf um die Kupferplatte, zu einem dramatischen Ereignis erster Ordnung. Und auch hier gelingt das Erfassen des Bildkünstlerischen wieder einem Dichter, der über die Doppelbegabung des Dichterischen und Malerischen verfügt. Wilhelm Schäfers malerische Tätigkeit gilt, wie die Carl Stauffers, vor allem dem menschlichen Porträt. So wirkt diese Schein-Autobiographie schließlich fast autobiographischer als die tatsächliche etwa Gottfried Kellers, denn der Dichter Keller betrachtete den Maler Keller aus gewissenhaftem Abstand, während Wilhelm Schäfer dichterisches und malerisches Ich in eins zusammenreißt. Inmitten der Künstlerproblematik des 20. Jahrhunderts aber gibt es ein kurzes Zwischenspiel der Problemferne, das wie ein Ausruhen auf dem problembeschwerten Weg der dichterischen Erfassung des Künstlertums wirkt. Sein Kennzeichen ist Meisterschaft unter Ausschluß der Künstlerproblematik, und seine Vertreter sind Romain R o l l a n d s „ C o l a s B r e u g n o n " (1914), Hermann H e s s e s „ K l i n g s o r s l e t z t e r Sommer" (1920) und Felix T i m m e r m a n s ' „ P i e t e r Bruegcl" (1924). Rollands Colas Breugnon (der nach dem Bekenntnis seines Dichters entstand als Reaktion gegen die problematische Belastung des Künstlertums in der Gestalt des unmittelbar vorher entstandenen „Jean-Christophe"), ein Tätiger, Wurzelfester, der mit breiten Beinen auf seinem burgundischen Mutterboden steht, unerschütterlich in der Liebe zum Leben und selig in seiner Kunst, er weiß nichts von der Feindschaft zwischen Kunst und Leben, zwischen Wollen und Schaffen. Einheit ist sein Wesen, und Einheit wird alles, was er ergreift. Kein Zufall, daß der Dichter aus seiner eigenen Zeit heraus und zurück ins 16. Jahrhundert ging, um solche primitiv-ungebrochene Meisterschaft zu finden, und kein Zufall, daß er sie in einem Holzschnitzer fand, einem Handwerker der Kunst, der durch sein Werk Kunst und Leben, Schönheit und Nützlichkeit verbindet. Wie eine lyrisch-dithyrambische Nebenstimme zu der epischen Fülle Breugnons erscheint die Gestalt des Malers Klingsor in Hermann Hesses Novelle (während sein Roman „Roßhalde", 1914, mehr den Mann und Menschen als den Maler gestaltete), und auch hier ist der Künstler ein Lebenstrunkener, dessen letztes Selbstporträt fern von aller gedanklichmetaphysischen Grübelei die große Einheit des Lebens mit dem Tode

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auf der Höhe der Meisterschaft gestaltet. Künstlertum heißt hier ewige Lebendigkeit im Genuß des schönen Augenblicks, und die Gestalt scheint, unberührt von der Zerrissenheit der Zeit, aus dem zeitlosen Strom des Mythos aufgetaucht1). Die gleiche selige Einheit von Kunst und Leben, von Wollen und Können strahlt aus der Gestalt Pieter Bruegels in dem Werk des Flamen Timmermans. In einer Zeit der Zerrissenheit, in Gewissensängsten, Aberglauben, Höllenfurcht und Inquisition entfaltet sich dieses Leben eines Schaffenden, der im Menschlichen keineswegs außerhalb oder über seiner Zeit steht, sondern mitten in ihr und von ihr hin und her gerissen, der künstlerisch aber mit der Unabwendbarkeit eines meerwärts rauschenden Stromes sich selbst erfüllt, unberührt von den manieristischen und italianisierenden Abwegen der Zeit. So steigt dieser Mensch aus tiefstem Elend, kraft der naturgegebenen Unerschütterlichkeit des künstlerischen Müssens. Wie bei Rollands Breugnon ist auch hier der Zwang zum Schaffen, nicht anders wie der zum Essen und Schlafen, eine Naturnotwendigkeit, fern von allem Pathos problembeschwerten Ringens. Von den frühesten Kinderjähren an ist die ganze Gestalt auf das greifende Auge und die schaffende Hand konzentriert, und die Lebensängste weichen von der Objektivierung im Werk wie die Teufel vor dem heiligen Zeichen. „Ich möchte nicht anders gemalt haben als ich es tat", heißt das segnende Schlußbekenntnis nach der Vollendung des letzten Bildes („Die Blinden"), das der Höhepunkt des Schaffens ist, und der Tod trifft diesen von der Seligkeit des Auges Besessenen, wie er ihn nicht folgerichtiger treffen kann: im Augenblick des entzückten Anschauens der Welt aus dem Kopfstand, wo das Auge, von der Abstumpfung gewohnter Anschauung befreit, die Dinge dieser Welt wie neu geschaffene beseligt wahrnimmt. In allen drei Werken, Romain Rollands „Colas Breugnon", Hesses „Klingsor" und Timmermans' „Pieter Bruegel", ist die Erfassung der Welt eine unmittelbar sinnliche und anschauliche. Abgesehen davon, daß zwei dieser Dichter, Hesse und Timmermans, selbst nicht nur dichterisch, sondern auch malerisch Schaffende sind, ist auch die Möglichkeit rein sinnlich-bildhafter Auffassung und Gestaltung der Welt umso größer, je weiter die problematisch beschwerten Spannungen des Künstlertums zurücktreten. Diese Zwischenstufe erfüllt für das 20. Jahrhundert eine ähnliche Sendung wie Hagens Novellen „Norica" für die Romantik, nämlich die Ein Vorläufer dieses unproblematisch-hymnischen Künstlerbildes der Lebensund Farbenseligkeit war mitten im Naturalismus Hugo von H o f m a n n s t h a l s Böcklin-Festspiel „Der Tod des Tizian" (1892).

ROLLAND, HESSE, TIMMERMANS, SOCHACZEWER, MAUGHAM

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der Erlösung des Künstlertums aus der Problematik zu einer beruhigten und geschlossenen Gestalt. Die Problematik läßt sich jedoch nur vorübergehend ausschließen, wie es hier geschah. Sie drängt nach diesem kurzen Atemholen in der Problemlosigkeit von neuem an. Wie neben Hagens „Norica" die problemgeladenen Künstler E. T. A. Hoffmanns standen, so treten nun zu den problemfernen Breugnon, Klingsor und Pieter Bruegel von neuem solche Künstler, die trotz der Problematik ihres Künstlertums und durch sie hindurch zu Gestalt und Vollendung kommen. Das sind die Helden zweier Romane des Jahres 1927, die die vorläufig letzte Darstellung der Gesamtgestalt des Künstlers sind und in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit den gemeinsamen Geist ihrer Epoche und zugleich die weitgespannten Möglichkeiten des Problems umreißen: Hans S o c h a c z e w e r s Novelle „Henri R o u s s e a u " und der GauguinRoman des Engländers Somerset Maugham: „Der B e s e s s e n e " (im Urtext: "The Moon and Sixpence"). Bei beiden ist der Held im Anfang friedlicher Bürger und Familienvater, Zollbeamter der eine, Börsenmakler der andere, die nach einem Leben untadeliger Berufserfüllung im vierten Lebensjähr zehnt plötzlich und scheinbar ohne Vorbereitung aus diesem Durchschnittsdasein ausbrechen, um in der Malerei die Vollendung zur Meisterschaft zu erreichen; und bei beiden entsteht diese Vollendung aus dem Abwerfen der europäischen Zivilisation und der Vermählung mit den Farben und Klängen des Urwalds, der von dem einen — Rousseau — in Traum und Erinnerung an den Aufenthalt in Mexico Besitz ergreift und von dem anderen in der leibhaftigen Wirklichkeit Tahitis. In dieser Zivilisationsmüdigkeit und der Flucht in eine Kultur des neuen Beginns spiegeln beide den Geist des 20. Jahrhunderts. Dieses Hinwerfen des Ererbten aber vollzieht sich bei Rousseau in einem stillen Andante der Ruhe und Heiterkeit, bei Charles Strickland (wie Gauguin hier genannt wird) aber in einem Furioso von atemraubendem Tempo. Während jener äußerlich niemals aus der Stille des bescheidensten Kreises heraustritt und nur das Verlassen des kleinen Beamtenpostens und die nächtlichen Urwald-Träume ihn im geheimen außerhalb des Bürgertums ansiedeln, stößt dieser mit der eruptiven Wucht des Naturereignisses aus seiner bürgerlichen Umgebung heraus, orkanartig mit der menschenfremden Sachlichkeit des Elementes verwüstend, was in seinen Kreis tritt. Erst an den Urquellen des Lebens, in der unerweckten Inseleinsamkeit, ist ein Bündnis zwischen Kunst und Leben möglich, wo das Leben, noch ohne bewußte Ansprüche, willig der Kunst dient. In den Uranfängen primitiver Kultur stehen Kunst und Leben einander näher, wo noch keines von beiden abgespalten ist von der Gesamtheit des Kosmos.

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DAS 20. J A H R H U N D E R T

In der Gestalt Henri Rousseaus dagegen ist, ähnlich der des Grünen Heinrich, Kunst und Leben von Anfang an versöhnt durch die zärtliche Versenkung in das Kleine und scheinbar Unbedeutende. Künstlertum ist hier nicht Furor, sondern stille Hingabe; nicht verwüstender Orkan, sondern erquickender Regen. Am Ende aber sind sie beide, der aus der Zivilisation in die Wildnis ausgebrochene Strickland und der ewige Bürger Rousseau, auf der Höhe der Meisterschaft und begnadet in der Seligkeit des Schöpfertums. Den Fluch des Künstlers, den E.T.A. Hoffmann entdeckt hatte: zerrieben zu werden zwischen Kunst und Leben, ihn hat das 20. Jahrhundert gelöst, indem es ihn rückhaltlos bejahte und überwand durch den konsequenten Willen zum Werk und zur Meisterschaft1).

Diese Vollendung, die die neue Leistung des 20. Jahrhunderts ist, war vorher nur gesucht worden bei der dichterischen Erfassung der Gestalt Michelangelos. Dieser Schöpfer im Ursinn, fast mythisch wie Prometheus, verlangte für sich, unabhängig von der Seelenhaltung der Zeit, eine Sonderstellung der Unbedingtheit und Ewigkeit. Die Romantik, die diese Vollendung zur Meisterschaft nicht geben konnte, überging Die Novelle W i l h e l m H e g e l e r s : „ G o y a u n d d i e B u c k l i g e " (1928) stellt dar, wie der Künstler erst durch den Einblick in eine menschliche Seele den Übergang findet von einer billigen Gesellschaftsmalerei zu dem kritischen Durchschauen von Zeit und Menschen, das das eigentliche Wesen seiner Kunst ist. Eine Reihe von Romanen, die durch ihr Schwanken zwischen Künstlerbild und Kulturbild mindestens ebenso sehr dem historischen Roman zugehören wie dem Künstlerroman, fügen sich insofern dem allgemeinen Bild des 20. Jahrhunderts ein, als in ihnen allen das Thema die Vollendung des Künstlertums zur Meisterschaft ist. Die Reihe beginnt mit einem starken Auftakt: M e r e s c h k o w s k i s „ L e o n a r d o d a V i n c i " (1002) und „Michelangelo" (1912). Es folgen, um nur einige dieser unendlich verbreiteten Gattung zu nennen, Dürer-Romane von B e d a P r i l i p p „Wahrheitssucher" (1916), H e r m a n n Cl. K o s e l („AlbrechtDürer", 1923/24), P a u l F r i s c h a u e r („Dürer", 1925) und die Albrecht Dürer-Novelle „Das Leuchterweibchen" von S c h m i d N o e r r (1928). K o s e l ergriff außer der Gestalt Dürers auch die Michelangelos (1924) und der Vig6-Lebrun (1925). W i l h e l m W e i g a n d gestaltete — meines Wissens zum erstenmal in der Geschichte der Künstlerdichtung— das Leben und Leiden Watteaus („Die Fahrt zur Liebesinsel", 1928) und A.De N o r a das des Giorgione („Giorgione", 1929). Matthias Grünewald — allerdings weniger der Maler als der soziale Kämpfer gegen die Schäden der Zeit — steht im Mittelpunkt des Romans „Der Barbar" von N i k o l a u s S c h w a r z k o p f (1930), während Schwarzkopfs Schrift „Matthias Grünewald" (1920) ebenso wie Schmid Noerrs „Gespräch": „Wie Sankt Antonii Altar zu Isenheim durch Meister Matthias Grünewald errichtet ward" (1921) mehr hymnischverklärende Interpretationen von Grünewalds Werk als Darstellungen seiner künstlerischen Gestalt sind.

DIE GESTALT MICHELANGELOS: HEBBEL, LONGFELLOW, USW.

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Michelangelo überhaupt, und die anekdotische Auffassung des Künstlers in der Nachromantik zeigte, wieinOehlenschlägers„Correggio", wo Michelangelo neben einer Reihe anderer Renaissancekünstler auftritt, erschreckend deutlich den Abstand zwischen der Größe der Gestalt und der Kleinheit der dichterischen Erfassung. In der ersten Dichtung aber, die diesen Urschöpfer nicht ahnungslos seiner Umgebung gleichsetzt, sondern als einzigartig darüber erhebt, in F r i e d r i c h H e b b e l s Drama: „Michelangelo" (1855), ist an seiner Gestalt eine Grundforderung alles Schöpfertums gestaltet: die Verpflichtung des Genies zum Aristokratismus, zum zur Schau getragenen Bewußtsein seiner Einzigartigkeit. „Worin besteht die sogenannte Anmaßung des höheren Individuums gegen das geringere ? In seinem Gefühl des natürlichen Verhältnisses!", schrieb der Dichter in sein Tagebuch. In der lockeren Szenenfolge des dramatischen Gedichts „Michael A n g e l o " von L o n g f e l l o w (1888) erscheint in allen dargestellten Lebensphasen Michelangelo als der aus seiner Umgebung Herausragende, schlechthin Einzigartige, der im letzten Stadium, als Architekt, die höchste Stufe seiner künstlerischen Wertskala Malerei-Plastik-Architektur erreicht. In der Folgezeit erscheint Michelangelo als der, dem fern von aller irdischen Bindung nur noch zwei Phänomene in Augenhöhe gegenübertreten dürfen: Gott und sein eigner Genius. In der Novelle: „Michela n g e l o und der S k l a v e " von Wilhelm v o n Scholz (in „Zwischenreich", 1922) ringt der Künstler um die Befreiung von seinem Ich, das sein Genius ist und dessen Willen er in seinem Werk sklavisch erfüllen muß. Los vom Ich ist sein Kampf, damit das Werk etwas anderes als immer wieder nur den eignen Wesensinhalt gestalten könne. In welches Größere aber das eingeschlossene Ich sich lösen soll, diese Antwort wird nicht hier gegeben, sondern in den beiden tiefsten dichterischen Gestaltungen des Ereignisses Michelangelo: In C. F. Meyers G e d i c h t „In der Sistina" 1 ) und R a i n e r Maria R i l k e s Erzählung „Von e i n e m , d e r d i e S t e i n e b e l a u s c h t " (aus den „Geschichten vom lieben Gott", 1900). Bei beiden ein Zwiegespräch zweier Urschöpfer, Michelangelo und Gott, von denen jeder im Augenblick seines Schaffens der größere ist. Der Künstler als Schaffender ist größer als Gott; der Mensch in ihm aber sehnt sich nach der Erweiterung durch Gott. Der Schaffende will und muß an sein Ich gebunden sein, weil es sein schöpferischer Genius ist; der l

) C. F. Meyers Gedicht „II Pensieroso" gestaltet die Konzeption der Statue Juliano Medicis aus der Versenkung Michelangelos in die Seelenstimmung des Lebenden, der den baldigen Tod schon in sich trägt.

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DAS 20. JAHRHUNDERT

Mensch aber tritt aus dem Ich heraus, um durch Gott eine neue Form zu erhalten. Der als Schaffender selbst die Kraft der Gestaltgebung hat, ist als Geschöpf nur Stoff, der der Gestaltung harrt. Das Verhältnis von Künstlertum und Menschentum ist damit aus seiner irdischen Problematik herausgeführt und in einer Sphäre des Unbedingten und Ewigen zur Lösung gebracht.

Eine Sonderart der dichterischen Erfassung des Künstlers, die im 20. Jahrhundert durch das Eindringen dichterischer Elemente in die wissenschaftliche Untersuchung zur Ausbildung gelangt, ist die dichterisch gestaltete Künstler-Biographie. Ihre Gattung hat weiteste Verbreitung gefunden und möge hier vertreten werden durch R o m a i n R o l l a n d s „Michelangelo" (1919), Meier-Graefes „Vincent" (1921) und E m i l L u d w i g s „ R e m b r a n d t s S c h i c k s a l " (1923). Ihr gemeinsames Wesensmerkmal ist das Überwiegen der künstlerischen Anschauung über die historische Exaktheit und des Interesses für die Gesamtgestalt über das einzelne Faktum. Dabei sucht das 20. Jahrhundert für die dichterische Biographie, nicht anders als für die freie dichterische Gestaltung, solche Künstler auf, die durch die Problematik des Künstlertums hindurch zu Leistung und Gestalt gekommen sind und denen „Meisterschaft der Name ist nicht für ein rundes sicheres Können, sondern für das zähe Vorwärtsringen zum eigensten Eigentum, für die ewig ringende Mühewaltung". (Carl Hauptmann, „Einhart der Lächler").

Von diesem vorläufigen Ende der Entwicklung her stellen sich die einzelnen Stufen dar: einerseits, für die allgemeine Künstlerproblematik, als ein Fortschreiten von der Ahnung der Einzigartigkeit des Künstlers durch seine Bindung an das Ewige in der Romantik über die tragische Erkenntnis des Zwiespalts zwischen Kunst und Leben bei E. T. A. Hoffmann zu der Überwindung dieser Zerrissenheit durch den Willen zum Werk; andererseits, für das bildkünstlerische Sehen, als Entwicklung von der dichterisch-metaphysischen Deutung in der Romantik über die Eroberung der malerischen Technik durch Gottfried Keller zu der Durchführung der bildkünstlerischen Gesamtentwicklung bis zur Meisterschaft im 20. Jahrhundert.

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REGISTER Arnim, Achim v. 39, 58.

Heinse, Wilh. 5 ff. Hesse, Hermann 69 f. Heyden, Friedr. v. 33 f. Heyse, Paul 57 f. Hirschfeld, Georg 60. Hoffmann, E. T. A. 20 ff. Hofmannsthal, H . v. 70. Hügli, Emil 59.

Babo, I. M. v. 4. Bahr, Hermann 65. Balzac 28, 34. Bang, Hermann 66. Bäte, Ludw. 59. Bernstein, Caroline 39. Birch-Pfeiffer, Charlotte 58. Böhlau, Helene 29f., 32. Ibsen, Henrik 28,32,62,65. Boehlendorff.Cas.Ulrich 14. Iffland 4. Braohvogel, A. E . 59. Braun, G. Chr. 58. James, Henry 63. Brentano, Clemens 14. Browning, Robert 32. Kasack, Hermann 32. Keller, Gottfr. 30, 33, 41 ff. Castelli, I. F. 58. Kind, Friedr. 25. Chamisso 25, 30, 59. Kipling, Rudyard 30. Conrad, M. G. 58. Klein, Tim 31. Knauer, Rob. 58. Dehmel, Rieh. 30. König, Eberh. 32. Deinhardstein 59. Kosel, H. Cl. 72. Dreiser, Theod. 29. Kurz, Hermann 39. Eichendorff 27. Eulenberg, Herb. 59. Falke, Konrad 28. Ferber, Edna 29. Frischauer, Paul 72. Galsworthy 60 Garschin, W. 28, 60. Gaudy, Franz v. 59. Gemmingen, O. H. v. 4. Ginzkey, F. C. 32. Gobineau 59. Goethe 7ff., 61. Gutzkow 27, 31. Hagemeister, J . G. 21. Hagen, E m s t Aug. 19 f. Harlan, Walter 31. Hartleben, Otto Erich 62. Hauptmann, Carl 66 ff. Hauptmann, Gerhart 61 f. Hebbel 25 f., 73. Hegeler, Wilh. 72.

Lenz, J . M. R. 6. Lessing 4. Lienhard, Friedr. 30. Longfellow 73. Löns, Hermann 66. Ludwig, Emil 74. Ludwig, Otto 25. Lyser, Joh. Peter 13 f. Mann, Claus 14. Mann, Thomas 34. Masefield, John 30. Maugham, W. Somerset 71 f. Meier-Gräfe 74. Meyer, C. F. 29, 33, 73. Mereschkowski 72. Miegel, Agnes 33. Mörike 35ff. Münchhausen, Börriesv.31 Mündt, Theod. 27. Musset, Alfred de 26 f. De Nora, A. 72.

Oehlenschläger, Adam 58. Pirandello, Luigi 28. Platen, Aug. v. 32. Ponten, Jos. 29, 65. Prilipp, Beda 72. Rilke, R . M. 73. Rolland, Romain 69 f., 74. Rumohr, C. Fr. v. 58. Schäfer, Wilh. (I) 68 f. Schäfer, Wilh. (II) 59. Schefer, Leop. 59. Schenk, Ed. v. 59. Schickele, René 33. Schiller 4. Schlegel, Dorothea 16 f. Schlegel, Friedr. 14ff. Schmeljow, Iwan 14. Schmid Noerr 72. Scholz, Wilh. v. 32, 73. Schwarzkopf, Nie. 72. Shaw, Bernard 31. Siegfried, Walter 63 ff. Sochaczewer, Hans 71 f. Sostmann, Wilhelmine 26. Stifter, Ad. 27 f., 34. Storm, Theod. 33. Strindberg, Aug. 30. Stucken, Ed. 26. Sudermann, H. 29. Tieck, Ludw. 11 ff. Timmermans, Felix 69 f. Voß, Jul. v. 58. Wackenroder 13f., 19. Waiblinger, Wilh. 17. Wassermann, Jakob 31. Weigand, Wilh. 58, 72. Weigl und Tréitschke 58. Weißmantel, Leo 32. Wilbrandt, Ad. 57 f. Wilde, Oscar 43. Wildenbruch 59. Wollheim da Fonseca 26. Zola 63 ff.