Beseelte Töne: Die Sprache des Körpers und der Dichtung in Klopstocks Eislaufoden 9783110921007, 9783484351073

Klopstock's mythological skating odes are an especially graphic instance of his role as a key poet in the literary

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German Pages 206 [208] Year 2005

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Table of contents :
Vorbemerkung
I. Klopstocks schöpferisch-produktives Rezeptionsmuster
II. Körpersprache als »Ferskunst« - Die »ψυχαι φωανητικαι (besęlte Töne, [...])« und das »bedeutende Silbenmaß« in Klopstocks Poetik der actio
1. Rhetorisierung und Ästhetik des Eislaufens
2. Von der Nachahmungspoetik zur rhetorischen Poetik der actio
3. »Von der metrischen Composition«
III. Die Wortfußrhythmik der mythologischen Eislaufoden
1. Die beiden mythologischen Eislaufoden im Kontext von Klopstocks Eislaufgedichten
2. Braga
3. Die Kunst Tialfs
IV. Klopstocks schöpferische Lektüre des altsächsischen Heliand
1. Klopstocks Beschäftigung mit Altertumskunde, Mythologie und alten Sprachen des germanisch-keltischen Raumes
2. Klopstocks Heliand-Lesart
3. Der Heliand und die Eislaufoden
V. Wortkörper oder »Seiner Ferse Klang« - Auf der Suche nach der Sprache des Eislaufs: Resümee
Anhang: Fassungen und Schemata der mythologischen Eislaufoden
Literaturverzeichnis
Namenregister
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Beseelte Töne: Die Sprache des Körpers und der Dichtung in Klopstocks Eislaufoden
 9783110921007, 9783484351073

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STUDIEN U N D TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger

Band 107

Mark Emanuel Amtstätter

Beseelte Töne Die Sprache des Körpers und der Dichtung in Klopstocks Eislaufoden

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Gedruckt mit Unterstützung durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

Für Cornelia

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-35107-1

ISSN 0174-4410

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005 Ein Unternehmen der K. G. Säur Verlag G m b H , München http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck: Laupp & Göbel G m b H , Nehren Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung I.

Klopstocks schöpferisch-produktives Rezeptionsmuster

II.

Körpersprache als »Ferskunst« - Die » ψ υ χ α ι φ ω ν η τ ι κ α ι (beseite Töne, [...])« und das »bedeutende Silbenmaß« in Klopstocks Poetik der actio 1. Rhetorisierung und Ästhetik des Eislaufens 2. Von der Nachahmungspoetik zur rhetorischen Poetik der actio 3. »Von der metrischen Composition«

III.

1

13 13 27 49

Die Wortfußrhythmik der mythologischen Eislaufoden 1. Die beiden mythologischen Eislaufoden im Kontext von Klopstocks Eislaufgedichten 2. Braga 3. Die Kunst Tialfs

IV. Klopstocks schöpferische Lektüre des altsächsischen Heliand 1. Klopstocks Beschäftigung mit Altertumskunde, Mythologie und alten Sprachen des germanisch-keltischen Raumes 2. Klopstocks Heliand-Lesart 3. Der Heliand und die Eislaufoden V.

VII

67 67 72 89 111 111 114 138

Wortkörper oder »Seiner Ferse Klang« - Auf der Suche nach der Sprache des Eislaufs: Resümee

153

Anhang: Fassungen und Schemata der mythologischen Eislaufoden

165

Literaturverzeichnis

185

Namenregister

195

V

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit wurde im W S 2002/2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Da sie in ihrer interdisziplinären Ausrichtung die Summe meines Studiums zieht, habe ich mich in erster Linie bei meinen drei Lehrern zu bedanken, die mich mit Inspiration, menschlicher W ä r m e und analytischer Klarheit begleitet und gefördert haben: bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Gerhard Neumann (Neuere deutsche Literatur), bei Prof. Dr. Ernst Hellgardt (Ältere deutsche Literatur) und bei Prof. Dr. Rudolf Bockholdt (Musikwissenschaft). Für wichtige Hinweise und die Durchsicht des Manuskriptes danke ich ferner dem Direktor a.D. der Staatsbibliothek Hamburg, Herrn Prof. Dr. Peter Rau, und vor allem natürlich Dr. Klaus Hurlebusch. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die Förderung während meines Studiums und die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Außerdem danke ich der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Der größte Dank schließlich geht an meine Eltern für ihre selbstverständliche und vertrauensvolle Unterstützung.

VII

»O, reiner starker Freund, die Poesie ist j a doch ein Paar Schlittschuh, womit man auf dem glatten reinen krystallenen Boden des Ideals leicht fliegt, aber miserabel forthumpelt auf gemeiner Gasse.« Jean Paul, Flegeljahre

I.

Klopstocks schöpferisch-produktives Rezeptionsmuster

Der Hypochondrist ist neu und fast zum neuen Buch umgearbeitet. Sie werden ein paar Eisoden von Klopstock drin antreffen, davon die Eine, die wir nicht haben, weit vortreflicher und fast nicht zu gleichen ist, mit der, die wir haben, und auch diese habe ich nun erst aus diesem Abdruck verstehen gelernt. Ein Schrittschuhsylbenmaas, und Wintermorgenmusik und eine B r a g a ' s Erscheinung ist darinn. die k a u m ihres Gleichen hat - ich wollte g e m abschreiben, aber Frankfurt ist Ihnen so nahe, w o Sie j a Alles z u m Durchsehen bekommen können! - 1

In der zweiten Auflage von Gerstenbergs Hypochondrist erschienen 1771 anonym, unter dem germanisierenden Register-Titel Zwiefaches Bragalioth zwei titellose, lediglich nummerierte Oden Klopstocks über das Eislaufen - die einige Monate später2 Braga und Die Kunst Tialfs betitelten Oden. Diese beiden Oden setzen nicht nur paradigmatisch Klopstocks experimentelle Dichtungstheorie der 1760er Jahre in Szene, indem sie die neuartige, von Klopstock in die Literatur des 18. Jahrhunderts eingeführte Körperinstanz mit dem Ursprung von Dichtung verbinden; sie liefern vielmehr eine für die literaturgeschichtliche Entwicklung der Folgezeit grundlegende Verkörperung des bis dato noch nicht Sagbaren. Besonders Goethe scheint Klopstock aufgrund der zur Verfügung gestellten dichterischen Ausdrucksmöglichkeiten sehr viel zu verdanken, geht jedoch seinen eigenen Worten zufolge seinen »eigenen Weg«. 3 Über diesen eigenen Weg des Dichterfürsten wird am Ende der Untersuchung noch kurz zu sprechen sein, zeigt sich doch dort exemplarisch, was Goethe vom avancierten Klopstock der Eislaufgedichte brauchen konnte und was er um seiner eigenen Avanciertheit willen umbildete. Dabei sind jedoch weniger inhaltliche Parallelen gemeint zwischen der nächtlichen Eislaufszene in Goethes Wanderjahren und den in Klopstocks Eislaufoden evozierten Stimmungen.

1

2 3

Johann Gottfried Herder: Briefe. G e s a m t a u s g a b e 1763-1803. Hg. von Karl-Heinz Hahn. Zweiter Band. Mai 1771 - April 1773. Bearbeitet von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Weimar 1977, S. 80 (Brief Nr. 28: An Johann Heinrich Merck. Bückeburg, Anfang Oktober 1771). In der Hamburger O d e n - A u s g a b e von 1771. Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. (Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. von Ernst Beutler. Bd. 24). Zürich 1948, S. 123: »Sein Vortreffliches ließ ich auf mich wirken und ging übrigens meinen eigenen Weg.« (Goethe über Klopstock am 9. N o v e m b e r 1824.) Zu Klopstock und G o e t h e vgl. Meredith Lee: Displacing Authority: Goethe's Reception of Klopstock, Heidelberg 1999; sowie Klaus Hurlebusch: Klopstock und Goethe oder die »Erweckung des Genies«. Eine Revision ihres geistigen Verhältnisses. (Schriftenreihe des Klopstock-Hauses Quedlinburg Bd. 5). Halle 2000.

1

Die Rede ist vielmehr von den revolutionären sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten aus der Semantisierung des Rhythmus heraus und einer darauf beruhenden »Codierung« im Sinne von »Verklanglichung« des Freundschaftsgefühls, die in Klopstocks Eislaufoden bis in die rhythmische Strukturierung der Gedichte entwickelt und als poetisch-inhaltliches Muster (nicht als real-sprachliches) beispielsweise in Goethes Werther als »Codierung von Intimität« wieder aufgegriffen wird. In gewisser Weise gelingt Klopstock mit dieser Technik punktuell, was Richard Wagner hundert Jahre später durch die Semantisierung von musikalischen Leitmotiven zum Prinzip erhebt. Damit gehen auch Überlagerungen zwischen Bewegungs- und Sprachmustern einher - sowohl bei Klopstock als auch bei Goethe - , die zwar zunächst als Übersetzungsarbeiten aus dem Körpererlebnis in einen Sprachcode erscheinen und sogar beim Wort genommen als Übersetzungsleistung des Erlebens ins Gedicht gesehen werden können - in der Rezeption alter Literatur, der Rezeption Ossians bei Goethe und des Heliand bei Klopstock - , die jedoch ihren Ursprung in der rhetorischen Theorie der Antike haben und bei Klopstock als Poetik der actio zu fassen sind. Diese Poetik der actio greift auch über auf Klopstocks Rezeption altdeutscher Literatur, die produktiv-schöpferisch sowohl das rezipierte Werk als auch die daraus entstehende eigene Dichtung verändert. Die beiden mythologischen Eislaufoden changieren zwischen diesem selbstversichernden Traditions-Konstrukt und dem revolutionären Bewegungs-Moment des Körpers, das hier in die Sprache der Dichtung einbricht und aus der Bewegung des Rhythmus zukunftsweisende Möglichkeiten sprachlichen Ausdrucks und semantischrhythmischer Codierung eröffnet: »Ihr Silbenmaß bildete ich auf dem Eise nach meinen Bewegungen« heißt es in der Anmerkung zur Ode Braga im Oden-Band der bei Georg Joachim Göschen erschienenen Werk-Ausgabe von 1798;4 und eben dieses »Silbenmaß ist Mitausdruck durch Bewegung«, 5 wie die Grammatischen Gespräche von 1794 resümieren. Sowohl die theoretische Reflexion in Fom deutschen Hexameter als auch die Oden Braga und Die Kunst Tialfs selbst werden von diesen beiden Motivationen der poetologischen Selbstversicherung und des poetischen Körper-Ausdrucks getragen. Die über den englischen Sprachforscher George Hickes vermittelte Heliand-Lesart hinterlässt dabei ebenso Spuren in Klopstocks Dichtungstheorie und Eislauf-Dichtung

4

5

Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke. I. Oden. Leipzig 1798 (Göschen-Ausgabe), S. 328. Für die Ode Braga werden erst sehr spät zwei wichtige Punkte von Klopstock explizit verdeutlicht, die bislang implizit nur erschlossen werden konnten: erstens die Titel-Unterschrift mit der Zuordnung zu Wittekinds Barden und der damit verbundenen Einbindung der Dichtung in eine Tradition, die nach Klopstock als unmittelbarer Heliand-Vorläufer zu gelten hat; zweitens die Anmerkung zur Entstehung des Silbenmaßes aus den eigenen Bewegungen auf dem Eis. Die Titel-Unterschrift findet sich leicht variiert auch in Klopstocks Handexemplar der Hamburger Oden-Ausgabe, ist aber als Eintrag nicht genau datierbar - und in dieser Form noch nicht für die Öffentlichkeit. Die Anmerkung jedoch muß schon früher bekannt gewesen sein, denn sowohl das Eingangszitat von Herder (Brief an Merck: 1771) als auch die zitierte Paraphrase dieser Anmerkung durch Cramer (Klopstock. In Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa: 1778) legen nahe, dass diese Besonderheit bereits zur Zeit der Veröffentlichung der Ode geläufig war. Friedrich Gottlieb Klopstock: Grammatische Gespräche. Altona 1794, S. 146.

2

wie auch die Bewegungstheorie Quintilians und Noverres ihren Eindruck in Dichtung, Dichtungstheorie und Eislaufästhetik Klopstocks geltend machen. Goethe hat Klopstocks Eislaufpassion und ihre Auswirkungen in Dichtung und Wahrheit mit einem Ossianischen Szenario geschildert, das sich seinerseits wie eine Studie zur entsprechenden Passage der Wanderjahre - aber auch zu Klopstocks Eislaufoden - liest: [...] besonders aber that sich, bei eintretendem Winter, eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich z u m Schlittschuhfahren, welches ich nie versucht hatte, rasch entschloß, und es in kurzer Zeit, durch Übung, Nachdenken und Beharrlichkeit, so weit brachte als nöthig ist, um eine frohe und belebte Eisbahn mitzugenießen, ohne sich gerade auszeichnen zu wollen. Diese neue Thätigkeit waren wir denn auch Klopstocken schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung, den Privatnachrichten bestätigen, wenn seine Oden davon ein unverwerfliches Z e u g n i ß ablegen. Ich erinnere mich ganz genau, daß an einem heiteren Frostmorgen, ich aus d e m Bette springend mir j e n e Stellen zurief: Schon von dem G e f ü h l e der Gesundheit froh, H a b ' ich, weit hinab, weiß an d e m Gestade gemacht Den bedeckenden Krystall.

Wie erhellt des Winters werdender Tag Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen gleich, Streute die Nacht über ihn aus! Mein zaudernder und schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich flog sträcklings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Übungen anstellen konnte. Und fürwahr, diese Kraftäußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft, und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig nach. Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen, genügte uns nicht; wir setzten unsere Bewegungen bis spät in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkraft. Der über den nächtlichen weiten, zu Eisfeldern überfrorenen Wiesen aus den Wolken hervortretende Vollmond, die unserem Lauf entgegensäuselnde Nachtluft, des bei abnehmenden Wasser sich senkenden Eises ernsthafter Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbarer Nachhall, vergegenwärtigten uns Ossianische Szenen ganz vollkommen. Bald dieser bald jener Freund ließ in declamatorischem Halbgesange eine Klopstockische O d e ertönen, und wenn wir uns im Dämmerlichte zusammenfanden, erscholl das ungeheuchelte L o b des Stifters unserer Freuden. Und sollte der unsterblich nicht sein, Der Gesundheit uns und Freuden erfand, Die das Roß muthig im Lauf niemals gab. Welche der Ball selber nicht hat? Solchen Dank verdient sich ein Mann, der irgend ein irdisches Thun durch geistige Anregung zu veredeln und würdig zu verbreiten weiß! 6

6

Johann W o l f g a n g Goethe: Aus m e i n e m Leben. Dichtung und Wahrheit. Goethes Werke. Bd. 28. (Weimarer Ausgabe) Weimar 1890, S. 121/122 (Dritter Teil. Z w ö l f t e s Buch).

3

Nichts daran ist bloße Dekoration des Dichters Goethe, denn die Szene scheint nach Berichten von Zeitgenossen und Klopstocks Gedichten wirklich den Tatsachen nicht allzu entfernt zu sein. Die nächtliche Zeit, der Vollmond, die gemeinsame Aktion des Eislaufens unter Freunden, das zur Eislaufbewegung synchrone, gegenseitige, fast möchte man sagen antiphonale »Ertönen« einer Klopstock-Ode und die Vergegenwärtigung »Ossianischer Szenen« dabei - all dies ist angelegt in Klopstocks Werk der zweiten Hälfte der 1760er Jahre. Jedoch nicht nur in den aus der Eislaufleidenschaft in diesen Jahren entstandenen Eislaufoden per se, sondern paradigmatisch in Klopstocks Eislaufoden als Werken der - um diesen Begriff vorwegzunehmen - autorzentrischen Gesamtheit all seiner körperlichen wie geistigen Aktivitäten dieser Zeit, zu denen auch die metrischen Studien und das Interesse für den altsächsischen Heliand zählen. Vor Klopstocks Eislaufoden gab es bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts Gedichte über das sogenannte Schrittschuhlaufen, interessanterweise - anscheinend ähnliche Impulse Klopstocks antizipierend - entweder gegossen in genuin musikalische Formen oder - in einem Fall von metrisch antikisierender Dichtung - entsprungen der Rezeption mittelalterlicher Poesie. Zwei Beispiele mögen die sich daran anschließenden Analysen und Überlegungen zu Klopstock konturieren und kontrastieren. Seh' ich das Volck auf schnellem Schritt-Schuh schweben, Und wie ein Pfeil vorüber gehn; So düncket mich, von unserm Leben Ein lebend Bild zu sehn, Da wir die Welt, wie sie, wenn wir es recht bekennen, Als flögen wir davon, durchrennen.

Diese barock moralisierende Aria entstammt dem Gedicht Der Winter von Barthold Heinrich Brockes. 7 Dem relativ umfangreichen, aus heterogenen Teilen zusammengefügten Gedicht liegt die Formidee einer Kantate zugrunde, in einer unregelmäßigen Abfolge von Rezitativen (einschließlich eines Accompagnato-Rezitativs) und Arien (bzw. Ariosi). Bezeichnungen wie Aria (mit und ohne Da capo), Accomp.[agnato], Arioso und Aria ä 2 als Abschluss dieses Textes deuten darauf hin. Am Beginn eines späteren Gedichtes, Gedanken über Schrittschuhe, zitiert Brockes diese Aria noch einmal und macht dies zum Anlass weiterer Betrachtungen, die jedoch trotz poetischer Formgebung die Sprache in erster Linie als Träger von Information funktionalisieren. Das jambische Versmaß - gleichsam ein Markenzeichen der Gedichte im Irdischen Vergnügen - ist stereotyp und steht in keiner tieferen Verbindung 8 zum Inhalt dieses Textes; allenfalls zur Aussage der in vielen Gedichten des Irdischen

1

8

Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott. Bestehend in physicalisch- und moralischen Gedichten. 9 Bde. Bern 1970 (Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1721-1748). Darin: Bd. I, S. 3 1 7 - 3 3 1 : Der Winter (zitierte Stelle auf S. 324); Bd. VI, S. 2 0 0 - 2 0 3 : Gedanken über Schrittschuhe. Vgl. gegen diese Auffassung mit Bezug auf die »angewandten Beywörter« Johann Jacob Breitinger: Critische Dichtkunst. (Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1740. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender.) Zweiter Band. Stuttgart 1966, S. 274/275.

4

Vergnügens

b e k u n d e t e n Vanitas u n d d e s d a b e i i m G e g e n z u g konstatierten rettenden

Vertrauens in G o t t und der S i n n h a f t i g k e i t v o n d e s s e n w o h l g e o r d n e t e r , v i e l g e s t a l t e r Welt, über der - o b w o h l v i e l g e s t a l t - der i m m e r g l e i c h e S e g e n G o t t e s ruht o d e r - p o e t i s c h a u s g e d r ü c k t - der i m m e r g l e i c h e J a m b u s . 9 In z u n ä c h s t d i f f e r e n z i e r t e r e B e r e i c h e s c h e i n t der i m R a h m e n v o n Johann J a c o b B o d m e r s Neuen

Critischen

Briefen

e r s c h i e n e n e Vier und vierzigste

O d e v o n Karl W i l h e l m R a m l e r zu führen. R a m l e r s O d e Sehnsucht

Brief

über e i n e

nach dem

Winter

a u s d e m Jahr 1 7 4 4 hat s e c h s v i e r z e i l i g e S t r o p h e n m i t f o l g e n d e m S c h e m a : 1 0

(__)

L J

B e i B o d m e r finden s i c h i m Vier und vierzigsten poetischen

Zügen

zum Lobe

des

Winters

Brief

mit d e m Registertitel

Von

zu d i e s e r O d e n u n u. a. f o l g e n d e A u s f ü h -

rungen." Wie scharfsinnig hat er [der Dichter der Ode, d.h. Ramler] die Gestalt des Winters, die in gemeinen Augen so traurig zu seyn scheinet, verschönert [...] Was vor Annehmlichkeiten hat er ihm zu geben gewußt, welche ihn über die sommerlichen Freuden erheben, und machen, daß wir diese eine Zeitlang verachten: Die Schönen zittern nicht mehr in plözlich wankenden Nachen. Sie fliegen frölich in Schlitten dahin; Der Liebling wärmet die Hand im w a n n e n Pelze des Mädchen, Es lacht das Mädchen und hindert ihn falsch. [Ramler Str. 4] Wir fangen schier an, uns vor den Lustbarkeiten der Sommerzeit zu fürchten, welche so gefährlich vorgebildet werden: Die Knaben baden nicht mehr, und s c h w i m m e n nicht mehr wie Fische, Und gehn auf harten Gewässern einher;

9

10

11

Zu einem Vergleich motivgleicher Gedichte Klopstocks mit Brockes siehe auch Gerhard Kaiser: Klopstock. Religion und Dichtung. Gütersloh 1963, S. 2 9 6 - 3 0 1 . Karl Wilhelm Ramler: Oden. Berlin 1767. (Zweyte Auflage 1768.) Darin: Sehnsucht nach dem Winter (1744) S. 9 - 1 2 . (Gegenüber den Zitaten bei Bodmer mit sehr stark verändertem Wortlaut, jedoch bei gleichem metrischem Schema.) Johann Jacob B o d m e r : N e u e Critische Briefe über gantz verschiedene Sachen, von verschiedenen Verfassern. Zürich 1749 (Neue Auflage 1763), S. 3 3 6 - 3 4 2 , (Registertitel: Von poetischen Zügen z u m Lobe des Winters), die zitierte Passage auf S. 3 3 7 - 3 3 9 .

5

Und haben Schuhe von Stahl; der Mann der freundlichen Venus That selbst des Blizes Geschwindigkeit drein. [Ramler Str. 5]

[...] Empfehlen sie [Anrede] mich diesem angehenden Poeten, welcher vermulhlich [sie!] seine poetische Ader nicht gefühlt hätte, wenn sie [Anrede] das Feuer in derselben nicht hervorgeschlagen hätten. Die schwäbischen Minnesinger, welche in der Anklage des Winters, und der Winterbeschwerden recht überflüssig sind, haben sich nichtsdestoweniger auch einiger Vortheile desselben erinnert, und solche nicht ohne einen poetischen Schwung besungen. Her Hawart hat folgende Strophe: Nu kiuse ich an der vogel swigen Das du naht will an ir krefte stigen Si langet und ist kalt Si machet die gelieben bait So nahen niemen si gelegen mach Du Wunne ist besser danne ein heisser tag. Die Nacht, will er sagen, mache die Liebenden kühn, niemand möge sie so nahe bey einander legen, als die lange und kalte Nacht. Ist dieses nicht eine weitere Ausbildung der Vorstellung ihres [Anrede] Freundes: Der Liebling wärmet die Hand im warmen Pelze des Mädchen.

Sowohl was die Mittelalterrezeption als auch was die metrische Durchdringung des sprachlichen Materials angeht, verharren auch diese zitierten Texte im Stereotypen und Schemenhaften. Von subjektiver Erlebnishaftigkeit kann noch keine Rede sein. Was Klopstock fundamental von seinen Vorgängern und Zeitgenossen unterscheidet, ist nun nicht allein die subjektive, auf sich selbst bezogene Tiefe und Ernsthaftigkeit, mit der die eigenen Eislauferlebnisse mit mythologischen Studien, metrische Neuerungen mit dem Körpererlebnis und die Rezeption altdeutscher Dichtung mit der Schöpfung eigener neuer deutscher Dichtung verwoben werden. Es ist vielmehr auch eine Art erotischer Komponente im Verhältnis des Dichters zur Sprache, die mit Klopstock in die Dichtung Eingang findet und die vielleicht sogar alle genannten Komponenten autorzentrischen Schreibens auf den Punkt bringt. Nach Klaus Hurlebusch habe Klopstock in dem Fragment Zur Geschichte urtsrer Sprache aus dem Band Ueber Sprqche und Dichtkunst »zum Ausdruck gebracht, daß er als ein von der Sprache berufener Grammatiker, d.h. als ein auserwählter >grammatischer Dichter, oder dichtender Grammatiken (F. Schlegel, Gespräch über die Poesie) nicht wie andere Grammatiker ein distanziertes, theoretisch-analytisches und präskriptives Verhältnis zur Sprache hat, sondern ein praktisch-produktives, sozusagen organisches, erotisches Wechselverhältnis.« 12

12

Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet von Adolf Beck, Karl Ludwig Schneider und Hermann Tiemann. Hg. von Horst Gronemeyer, Elisabeth Höpker-Herberg, Klaus Hurlebusch und Rose-Maria Hurlebusch (t). Werke VII 2. Hg. von Klaus Hurlebusch. Berlin / New York 2003, S. 568. (Hamburger Klopstock-Ausgabe: fortan HKA.)

6

Dieses »erotische Wechselverhältnis« äußert sich nicht nur im Verhältnis von Dichter und Sprache per se, sondern ist in der Lage, sprachliche Mittel zu kreieren, auf die spätere Dichter rekurrieren können, beispielsweise eine Sprache der Liebe aus Bewegungsmustern, wie sie Goethe im Werther »erfindet«. Nicht von ungefähr stehen Anfang und Ende dieser Liebesgeschichte im Zeichen der gemeinsamen Lektüre. Dem Losungswort »Klopstock!« für »die Jugend, die immer über das Leben hinausstrebt, die alle Form fliehet, und jede Grenze zu eng findet, [...] sich mit Liebe und Lust in den endlosen Räumen [ergeht], die ihr von diesem Dichter aufgethan werden«, 13 mit einem Wort für Lotte und Werther, diesem Losungswort korrespondiert Werthers Deklamation seiner eigenen Ossian-Übersetzung, die Tod und Trennung der Liebenden poetisch antizipiert. Die beiden literarischen Symbole für das nie ausgesprochene Liebesgeständnis sind gebunden an das Körpererlebnis: »Klopstock!« an den Tanz, die Ossian-Deklamation an den Kuß. Wie sehr auch Werthers Verhältnis zur Ossian-Dichtung dem Liebesempfinden zu Lotte analog als Liebesverhältnis verstanden wird, zeigt folgender Brief: Am 10. Julius. Die alberne Figur, die ich mache, wenn in Gesellschaft von ihr gesprochen wird, solltest du sehen! Wenn man mich nun gar fragt, wie sie mir gefällt? - Gefällt! das Wort hasse ich auf den Tod. Was muß das für ein Mensch sein, dem Lotte gefällt, dem sie nicht alle Sinne, alle Empfindungen ausfüllt! Gefällt! Neulich fragte mich einer, wie mir Ossian gefiele! 1 4

»Im Zeichen Klopstocks - eine Ode von ihm rezitierend - knüpfte Herder erste Bande mit seiner späteren Frau Caroline Flachsland in Darmstadt an«, 15 doch nicht nur das: Herder schreibt an Karoline Flachsland, die oben genannte Werther-Trinität Klopstock-Ossian-Du antizipierend: Nach einer Visite von ein paar Edelleuten entrann ich gleich zum Walde, Oßian, Klopstock u. Ihren Brief in der Tasche. 16

Was Klaus Hurlebusch Klopstocks »erotisches Wechselverhältnis« zur Sprache genannt hat, könnte noch drastischer gefasst werden, wobei dem Text, auf den sich Hurlebusch bezieht, jedoch für diesen Aspekt ein Kommentar entbehrlich ist. Er sei im Zusammenhang zitiert:

11

14

15

16

Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Zwanzigster Band. Philosophische Schriften. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hg. von Benno von Wiese, Weimar 1962, S. 457/458. Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther. Goethes Werke. Bd. 19. (Weimarer Ausgabe) Weimar 1899, S. 51. Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Band 6/1 Empfindsamkeit. Tübingen 1997, S. 447. Herder: Briefe. Zweiter Band, Nr. 31 an Karoline Flachsland (20./23. Oktober 1771). S. 35; siehe auch Nr. 37 an Johann Heinrich Merck (16. Nov. 1771), S. 105 über Ossian und Klopstock.

7

Unsre Sprache wgr bishär unter iren Müttern den Mundarten (denn di Sprachen haben fjle Mütter) mit der Wildheit unerzogner Kinder herum geirt. Luther, ein Man, dar finden konte, sijchte si dort auf, und fijrte si in sein Haus. Si mochte damals etwa zwölf Jgr alt sein. Der gute Alte gewan si gleich innig ljb. Aer ging s?r freundlich mit jr um. Denn si wqr ein samftes und heftiges Kind. Aer lernte fon jr; und l?rte si auch wol, mit aller seiner Freundlichkeit, ferstet sich: aber wen si störrisch wurde, so sezte är jr den Kopf zurecht. Aer ggb jr folle schmakhafte Trauben; und merkte es jr bald ab, welche so recht für jren Gaumen weren. Dise lgs är jr auf. Und danach gedi und wifx si, daß es eine Lust zu sehen wgr. Aber är ggb jr noch etwas, das seit je här mjr Wenige haben gäben können. Es sind Morgen, heilige Frühen, an dänen etliche Tautropfen fom Himmel fallen, di där nijr finden kan, däm der Genius das Auge wakker macht. Luther brachte der jungen Sprache nicht wenig dises Taues, so wi är in seiner Schönheit und Frische noch am Palmblatte herunter hing, und sterkte ire innersten Läbensgeister damit. Luther wgr nicht m?r; und η 14η wurde di Sprache nicht m^r wi zufpr geflägt. Endlich kgm Opiz. Där gab jr wider Trauben. Seit jm hat si zjmlich lange fijrljb nämen müssen. In den lezten Tagen der schlechten Kost hat man jr so gar Krezer und Kirbibrei aufgetischt. Si wqr in irem sechzänten Jare, und hatte seit Kurzem wider fon guten Räben gekostet, als einer zu jr kqm, där gleich bei irer ?rsten Erblikkung ernst, und fon der wexelnden Röte und Blesse der schneientstehenden Libe ergriffen wurde. Das sol si jm ni fergessen haben. Auch hat si, wi man erzält, nijr f(jr jm getanzt. Es ist fon jm des Fabeins noch m?r. Aer brgch jr, heist es weiter, . . . . di man gijtedel nent, getroffen wgr; und fon däm sol so gijr dem hohen stolzen Mädchen das Auge glenzen. N;)ch und mjch fand är bei jr immer m?r gute Geselschaft mit reifen Körben auf den Weinbergen. Aber zulezt überljf si auch Geselschafterei, welche jr, di ni etwas aus dem Tjrreiche gekostet hatte, noch kosten wird, nyr alzugern Sperlinge, Habichte, und Krähen aufgedrungen hette. Ungefär um dise Zeit, si wqr f