Hexen und Zauberei in der römischen Dichtung


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Hexen und Zauberei in der römischen Dichtung

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HEXEN UND \UBEKEI IN DEN RÖMISCHEN DICHTUNG

8 Dez. 43372 GEORG LUCK

HEXEN UND ZAUBEREI INDER RÖMISCHEN DICHTUNG

LEBENDIGE ANTIKE

ARTEMIS

Umachlagblld: Maachere tzagiche, Moaalk aua Pampei.

National-Muaeum Neapel. Foto Allnari

© 1962 ARTEMIS VERLAGS-AG ZÜRICH

FOR HARRIET, WITH LOVE

I

Neben dem griechischen Pantheon lebt in den Werken der römischen Dichter die Religion ihres eigenen Volkes fort. Zeus-Juppiter,Aphrodite-Venus agieren auf dergroßen Büh­ ne des Epos, Apollon und die Musen zeigen sich dem Lyriker und Elegiker huldvoll, werden angerufen, ins Zwiegespräch gezogen und verschwinden wieder. Die Heroen und Heroi­ nen der Mythologie erheben ihre Stimme zur Klage oder zum Schmerz, kosten noch einmal ihre großen Leidenschaften aus und sehen sich etwas verwundert in der neuen Staffage um. Sie sind dem gebildeten römischen Leser wohlbekannt, er weiß in ihrer Familiengeschichte Bescheid und grüßt sie wie alte Freunde. Aber es sind nicht seine Götter, seine Heroen; sie sind ein Stück Literatur, unentbehrliches Requisit einer Kunstübung, die mit Homer beginnt. Wir besitzen Schilderungen altrömischer Feste, etwa der Ambarvalia1 und Parilia2. In seinen Fasten hat Ovid den römi­ schen Kalender mit seinen Feiertagen und ihrer Geschichte in elegante Verse übertragen. Aber die moderne Forschung faßt literarische Zeugnisse mit Vorsicht an. Es ist gestaltete Wirk­ lichkeit, die uns aus der Poesie entgegentritt. DasReich derMagie dehnt sich dort, wo die Dichter schein­ bar die Pfade der mythisch-poetischen Überlieferung ver­ lassen, um in die Niederungen des Alltags hinabzusteigen. Da zucken wie Irrlichter die alten volkstümlichen Elemente auf; da herrschen Angst und Dämonenglaube wie einst und

ehedem; da glaubt man an die geheime Macht von Analogie und Sympathie. Diese zwielichtige Welt ist älter als jede über­ lieferte Religion, jedes Mythologumenon. Nur scheinbar ist es die jeweilige Gegenwart, die vor uns steht. Die Zauberin in Vergils achter Ekloge ragt als zeitlose Figur auf wie ihre zwei­ hundertfünfzig Jahre ältere Schwester bei Theokrit. Schon früh hat es in der Mittelmeerwelt eine Art Koine3 der litera­ rischen Vermittlung magischer Handlungen gegeben. Bei Homer4 erscheinen sie nur am Rande; aber auch bei Homer würde ein Rückschluß auf die Umwelt zu schiefen Ergebnis­ sen führen. Für den einfachen Bauern oder Straßenverkäufer besaßen magische Mächte höhere Wirklichkeit als die heitere Welt der olympischen Götter. Über das Verhältnis von Religion und Magie5 ist viel ge­ schrieben worden. Im Grunde nähren sich beide von den­ selben Wurzeln. Beide anerkennen, daß es überirdische (oder unterirdische) Gewalten gibt, mit denen eine Begegnung möglich ist. Das Wirken dieser Gewalten spottet der Natur­ gesetze, es spottet der menschlichen Ratio. Religion und Magie versuchen, eine Art Abkommen mit diesen Gewalten zu schließen* oder, besser gesagt, ein System der Beziehungen zwischendemMenschen einerseits und jenenMächten andrer­ seits zu schaffen. Dabei nehmen sie eine grundsätzlich ver­ schiedene Haltung ein. Die Haltung des religiösen Menschen ist die des Beters und Büßers, die Haltung des Magiers ist die des Herrn und Gebieters. Der gläubige Mensch sucht im Ge­ bet die Huld seiner Götter zu gewinnen, der Magier läßt sie seine Überlegenheit fühlen und zwingt sie durch die Zauber­ formel. In gewissem Sinne steht der Magier über den Göttern, weil er die Anrufungen und Beschwörungen kennt, denen die Götter gehorchen müssen, und weil er mit denVorsichtsmaßnahmen vertraut ist, die ihn vor dem Zorn der Gezwungenen schützen. Ähnlich der modernen Technik ist die Magie ein

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Triumph des Menschen in seinem prometheischen Streben, den Göttern gleichzusein und es ihnen gleichzutun. Jeder Magier ist Prometheus: die Werke, die er vollbringt, sind ge­ waltig, doch gewaltig auch die Gefahren, denen er die Stirne bietet. In Rom ist zu allen Zeiten Zauberei betrieben worden. Schon das Zwölftafelgesetz, die älteste juristische Urkunde der römischen Geschichte, belegt den Schadenzauber, der dem Nachbarn die Ernte verdirbt, mit schwerer Strafe. Ohne Strafe kein Verbrechen; also wurde Schadenzauber damals praktiziert, mit welchem Erfolg wissen wir freilich nicht. Selbst im aufgeklärten Rom der augusteischen Zeit ist die Hexerei ein lukratives Gewerbe. In den Kräuter- und Kup­ pelweibern, die in der Subura ihre verrufene Profession be­ treiben, lebt von dem alten prometheischen Feuer nur noch ein ganz bescheidenes Fünkchen weiter. Man versteht immerhin, daß die augusteischen Dichter über eine Kunst, die seit Kirke und Medea geübt wurde und bis in die Gegenwart weiterlebte, eine Kunst, die alle Schat­ tierungen desWunderbaren - oder doch des genialenSchwindels - umfaßte, sehr viel wissen wollten. Sagten nicht die Dichter, daß ihre eigene Kunst eine Magie sei? Auch Dichten ist Beschwörung der Wirklichkeit, ist ein stets erneuter Ver­ such, das gesprochene oder gesungene Wort mit allen Kräf­ ten zu beladen, die es ertragen kann. Carmen hieß zuerst «magisches Lied», «Zauberspruch», erst später «Lied», «Ge­ dicht» überhaupt. Es ist eine reizvolleAufgabe,dieHaltung der augusteischen Dichter zur Magie zu erkunden. Mochten sie auch nicht daran glauben, so lockte doch die fremde Welt der Dämonie, und der heimliche Vorbehalt, daß Zauberei vielleicht doch mög­ lich sei, bestärkte ihr Vertrauen in die Zaubermacht des eignen Wortes.

II

Vergil hat in der achten Ekloge (V. 64-108) dem Liebes­ zauber einer verlassenen Geliebten gültigen Ausdruck ver­ liehen. Die Frau wird nicht als Römerin und nicht als Grie­ chin geschildert: sie ist der Typus der verlassenen Geliebten. Wir erfahren ihren Namen nicht. Im dichterischen Wettkampf derHirtenDamon undAlphesiboeus trägt Alphesiboeus die Zauberhandlung mimisch vor. Er verwendet keine Zeit auf Einleitung, Beschreibung der Umstände: er versetzt sich in die Seele der Frau, spricht mit ihrer Stimme, ihren Worten, trägt ihr Anliegen vor. Sie liebt Daphnis, Daphnis hat sie einst geliebt und ist ihr jetzt untreu geworden. Noch besitzt sie ein Unterpfand seiner Liebe, ir­ gendeinen Gegenstand, ein Kleidungsstück, das er bei ihr zurückließ, als würde er wiederkommen, es zu holen. Er ist aber nicht wiedergekommen. Die Frau spricht zu einer Sklavin, Amaryllis, die ihr beim magischen Opfer hilft: effer aquam et molli cinge haec altaria vitta, verbenasque adole pinguis et mascula iura, coniugis ut magicis sanos avertere sacris experiar sensus: nibil hic nisi carmina desunt, ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnim. «Bring Wasser her und umschlinge den Altar da mit einer weichen Binde. Verbrenne saftige Kräuter und kräftig riechen­ den Weihrauch, damit ich’s wagen kann, die unverrückten Sinne meines Gatten durch Zauberopfer irrezulenken: da fehlt nur noch der Zauberspruch. - Führe aus der Stadt nach Hause, mein Zauberspruch, führe Daphnis.»

Sonst geht man zur Berufshexe, diese Frau aber versteht sich selbst auf Zauberei. Sie benötigt eine Gehilfin, Amaryllis 6

(V. 77~S; 102), sie braucht gewisse Requisiten, sie verspricht sich viel von den Kräutern, die ihr Moeris, ein gewiegter Hexenmeister (V. 96 ff.) anpries. Wasser ist nötig wie bei fast jeder heiligen oder magischen Handlung. Kräuter und Weih­ rauch sind gewöhnliche Gewürzopfer, und die Wollbinde, die den Altar umwindet, ist nicht der Magie Vorbehalten, sondern wird auch im Kult verwendet7. Erst durch den Zau­ berspruch wird eine gewöhnliche Opferhandlung zu einer magischen Handlung. Die Frau sagt ja selber: «Da fehlt nur noch der Zauberspruch.» Wie der Zauberspruch lautete, er­ fahren wir nicht. Zwar wiederholt die Frau den Kehrreim durfte ab urbe domum, mea carmina, durfte Daphnim, «führe aus der Stadt nach Hause, mein Zauberspruch, führe Daphnis», aber der Kehrreim ist eben nicht der Zauberspruch8. Dieser wäre wohl ein wirres Abrakadabra, ein Murmeln fremdlän­ discher Namen, wie das in der magischen Handlung auf keinen Fall fehlen darf und auf Zauberpapyri in vielen Varia­ tionen bezeugt ist. Worum geht es? Um von Anfang an Klarheit zu schaffen, gibt der Dichter das Stichwort: «Die unverrückten Sinne meines Gatten durch Zauberopfer irrezulenken.» Sie nennt ihn «Gatten», aber das braucht im augusteischen Rom nur der Partner einer mehr oder weniger lockeren Liebesbindung zu sein; an eine Ehe soll man nicht denken’. Noch ist Daphnis «bei Sinnen», noch ist er fähig, eigene Entschlüsse zu fassen. Zum Beispiel weilt er eben in der Stadt und geht dort be­ stimmt auf amouröse Abenteuer aus. Doch wenn der Zauber gelingt - so genau weiß man das im Voraus nie, deshalb experiar, «ich will’s versuchen», «ich will es wagen» -, so muß er unweigerlich zurückkehren. Vieles hängt vom Zauber­ spruch ab, vieles von den verwendeten Ingredienzien. Daß Daphnis gerade aus der Stadt zurückkehren soll, hat seinen Grund in der Gesetzmäßigkeit dieser pastoralen Welt. Das

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Leben auf dem Land ist gut, das Leben in der Stadt schlecht. Die Frage, ob denn solch ein Liebeszauber nicht bedenklich ins Gebiet der schwarzen Magie hineinspiele, wird nicht ge­ stellt. carmina vel caelo possunt deducere Lunam, carminibus Circe socios mutavit Ulixi, frigidus in pratis cantando rumpitur anguis. «Zaubersprüche können selbst den Mond vom Himmel her­ unterholen; mit Zaubersprüchen verwandelte Kirke dem Odysseus die Gefährten; das Singen von Zaubersprüchen zersprengt auf den Wiesen die kühle Schlange.»

Als müßte sie ihr Vertrauen in Zaubersprüche bestärken, sagt sich die Frau drei Beispiele vor, die ihre Macht beweisen. So ruft die große mythische Hexe Medea in dem Verjün­ gungszauber bei Ovid, Metamorphosen 7,210-4 die magischen Gottheiten an, die schon viel für sie geleistet haben und noch Größeres leisten sollen. Jede Hexe, die etwas auf sich hielt, konnte zumindest den Mond vom Himmel verschwinden lassen10, das heißt, eine Mondfinsternis bewirken. Kirke, die homerische Zauberin, verwandelte die Gefährten des Odys­ seus in Schweine; ihm selber schenkte sie ihre Liebe. Da er darauf bestand, gab sie schließlich den Gefährten die mensch­ liche Gestalt zurück. Giftschlangen, auf die man im Gras un­ versehens trat, waren in Griechenland und Italien eine Plage. Wer Schlangen mit starkenZauberwortenbesprechen kann11, leistet einen nützlichen Dienst. terna tibi haec primum triplici diversa colore licia circumdo, terque haec altaria circum effigies duco; numero deus impare gaudet. «Zuerst umwinde ich dich mit drei Fäden von dreierlei ver­ schiedener Farbe, und dreimal leite ich dein Bild um diesen Altar; der Gott freut sich der ungeraden Zahl.»

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Sie hat ein Bild des ungetreuen Daphnis geschaffen. Diesem Bild legt sie eine aus drei Farben gewundene Schnur um den Hals und trägt oder zieht es dreimal um den Altar. Die drei Farben sind, wenn wir dem antiken Erklärer zur Stelle glau­ ben, Schwarz, Weiß und Rot. Dabei ist Schwarz die Farbe der Unterwelt, Weiß und Rot sind sogenannte apotropäische Farben12. Sie nehmen das Schwarz gleichsam in die Mitte und beschirmen die Zaubernde. Die Bedeutung der Dreizahl, wie überhaupt jeder ungeraden Zahl, hebt der Dichter ausdrück­ lich hervor. Der Refrain wird neunmal gesprochen.

necte tribus nodis ternos, Amarylli, colores, necte, Amarylle, modo et ‘Veneris’ die ‘vincula necto’. «Knüpf’ in drei Knoten die drei verschiedenen Farben zusammen, Amaryllis, knüpfe sie nur, Amaryllis, und sprich: ‘Ich knüpfe Liebesbanden.’»

Nach dem dritten Umgang um den Altar wird die Schnur dann dreifach festgeknüpft. Dazu erklingen die passenden Worte. Jetzt ist die Fesselung, die Katadesis, vollzogen, Daphnis ist gebunden. Es folgt sogleich ein neuer Zauber, der auf dem Grundsatz der Analogie beruht. limus ut hic durescit, et haec ut cera liquescit uno eodemque igni, sic nostro Daphnis amore. sparge molam etfragilis incende bitumine lauros: Daphnis me malus urit, ego hanc in Daphnide laurum. «So wie der Ton da sich härtet, so wie das Wachs da zer­ schmilzt an ein- und demselben Feuer, so Daphnis von Liebe zu mir. Streue das Opfermehl und entflamme den spröden Lor­ beer mit Pech. Mich brennt der böse Daphnis, ich verbrenne diesen Lorbeerzweig und meine Daphnis.»

Drei Dinge hat sie ins Feuer getan: Ton, Wachs und Lorbeer. Ton wird hart, Wachs schmilzt, Lorbeer prasselt. Es ist nicht 9

einmal nötig, Ton und Wachs zu einem Bild des Daphnis zu formen, obwohl dies an sich möglich wäre. Eine Puppe des Opfers kennt zum Beispiel Horaz, Satiren i, 8 (unten S. 34). Doch genügt es, wenn die Zaubernde erklärt, daß diese Ob­ jekte Daphnis «bedeuten», daß sie ihn damit «meint». Viel­ leicht hat sie in Ton und Wachs seinen Namen, vielleicht eine Zeichnung, die den Treulosen darstellt, eingeritzt. Nötig ist es nicht. Man muß aber das Prinzip des Analogiezaubers hier richtig verstehen. Was bedeutet es, daß Ton hart werden soll? Man hat gesagt13, der Ton stelle sie selber dar: Während Daphnis ihr gegenüber weich wird wie Wachs, wird sie ihm gegenüber hart wie gebrannter Ton. Das ist aber sprachlich ausgeschlossen. Nostro amore, «aus Liebe zu mir» gehört so­ wohl zu einem zu ergänzenden durescat «er soll hart werden» wie zu einem zu ergänzenden liquescat «er soll weich werden». Ein ‘rhetorisches Enthymem’, bei dem man etwa ergänzen müsse «und ich aus Haß gegen ihn» wäre reine Konstruktion und würde in den Text lesen, was nicht da steht. So darf man Dichtungnicht erklären. Nach einer andern Auffassung dieser Verse, die in manchen Kommentaren steht, soll sich das Herz des Daphnis gegenüber andern Frauen verhärten. Das ist sprachlich eher möglich, aber es steht auch nicht da. Von dem «Herzen» des Daphnis ist ja überhaupt nicht die Rede. Es ist merkwürdig, wie sich die Erklärer drehen und winden, nur um der sprachlich einzig möglichen, wenn auch etwas derb­ realistischen Deutung auszuweichen. Oifenbar traute man diese Vorstellung dem Vergil selbst in den Hirtengedichten nicht zu. Die allein zulässige Paraphrase muß lauten: Dapbnis amore nostro durescat ut hic limus durescit et amore nostro liquescat ut haec cera liquescit uno eodemque igni. Daß ein- und dasselbe Feuer zwei entgegengesetzte Wirkungen herbeiführt, ist kein müßiger Zusatz; es ist eben auch‘ein und derselbe’ Daphnis, der beide Wirkungen an sich verspürt.

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Noch ein Wort zum Lorbeer: Wenn er prasselnd verbrennt, so ist das ein gutes Zeichen (vgl. Properz 2, 28 B, 36 unten S. 41), dann verspricht er Erfüllung des Wunsches, der heim­ lich oder ausgesprochen über der Opferhandlung schwebt. Aber prasseln muß er; droht er, kläglich zu erlöschen, so hilft man notfalls mit etwas Pech nach. talis amor Daphnim qualis cum fessa iuvencum per nemora atque altos quaerendo bucula lucos propter aquae rivum viridi procumbit in ulva perdita, nec serae meminit decedere nocti, talis amor teneat, nec sit mihi cura mederi. «So eine Liebe - wie wenn eine junge Kuh, erschöpft, weil sie dem jungen Stier durch lichtes Gehölz und ragende Haine folgte, bei einem Wasserhuf im grünen Sumpfgras sich lagert, verzweifelt, und nicht daran denkt, der späten Nacht zu weichen - so eine Liebe soll Daphnis packen, und mich solls nicht kümmern, ihn zu heilen.»

Zum erstenmal taucht zwischen den Refrains keine magische Vorstellung oder Verrichtung auf. Ein rein bukolisches Bild von bezaubernder Schönheit wird beschworen1*. Die junge Kuh, vom Liebesdrang getrieben, folgt dem stattlichen Stier durch die Wälder, verliert ihn aus den Augen, kann ihn nicht mehr finden, und nun überwältigt sie die stumme Verzweif­ lung, sie legt sich irgendwo ins Gras und möchte nicht mehr in den Stall zurück, obwohl die Nacht hereinbricht und zur Heimkehr mahnt. Das Bild kehrt die Wirklichkeit um (Daphnis ist ja der Mann), aber es entstammt dem Erfah­ rungsbereich der ländlichen Zauberin und schildert die Art von Liebe, die sie von Daphnis wünscht.

has olim exuvias mihi perfidus Ule reliquit, pignora cara sui, quae nunc ego limine in ipso, terra, tibi mando: dehent haec pignora Daphnim.

ii

«Einst ließ der Treulose diese Kleidungsstücke als teures Pfand seiner selbst bei mir zurück; jetzt übergebe ich sie dir, Erde, direkt an der Schwelle; dieses Pfand schuldet mir Daphnis.»

In der glücklichen Zeit ihrer Liebe hat Daphnis einige Sachen bei ihr gelassen zum Zeichen, daß er zurückkehren werde, sie zu holen15. Das freilich hat er nicht getan, doch die Sachen sind in ihrer Gewalt,und deshalb ist er ihr ausgeliefert.Werden sie bei der Schwelle vergraben und damit den Gottheiten der unteren Welt überlassen, so müssen sie ihn zur Schwelle zu­ rückziehen. Bemerkenswert ist die juristisch genaue Aus­ drucksweise, «diese Pfänder schulden mir Daphnis», debent haecpignora Daphnim. Die Magie ist ja eine Art Wissenschaft, oder besser: eine Technik, und ihr Wahnsinn hat Methode. Die Schwelle16 ist jener Teil des Hauses, der am dichtesten von religiösen und magischen Vorstellungen umlagert ist. bas herbas atque haec Ponto mihi lecta venena ipse dedit Moeris (nascuntur plurima Ponto), bis ego saepe lupum fieri et se condere silvis Moerim, saepe animas imis excire sepulcris atque satas alio vidi traducere messis. «Diese Kräuter und diese Gifte17, die am Schwarzen Meer gesammelt wurden, gab Moeris mir persönlich - es wachsen ihrer sehr viele am Schwarzen Meer; oft habe ich gesehen, wie Moeris sich durch sie in einen Wolf verwandelte und in den Wäldern verschwand, oft, wie er die Seelen aus den tiefsten Gräbern heraufbeschwor und wie er Saatgut anders­ wohin überführte.»

Die Zauberkräuter sind nicht weniger wichtig als der Zauber­ spruch. Mehr noch: sie drohen einen neuen, mächtigeren Zauber an; denn ist nicht Daphnis bisher ausgeblieben? hat sich der bisher versuchte Zauber nicht als ohnmächtig er12

wiesen? Die Kräuter stammen vom Schwarzen Meer; so führt man heute eine seltene Medizinalpflanze aus entlegenen Län­ dern ein. Wie sie auf die Kräuter schaut, nennt die Frau drei Beispiele für die Macht des Zaubers, der mit ihnen verknüpft ist, drei Beispiele, die ergänzend zu den oben genannten (V. 69-71) treten. Der Glaube an den WerwolP8 lebt seit undenklichen Zeiten im Volk; Nekromantik wird schon bei Homer betrieben19, und der böse Trick, dem Nachbarn die Saat nach Belieben verschwinden und auf dem eigenen Acker auftauchen zu lassen (excantatiofrugum) wird schon im rö­ mischen Zwölftafelgesetz (oben S. 5) mit harten Strafen belegt20.

fer ciñeres, Amarylli,foras, rivoque fluenti transque caput tace, nec respexeris. his ego Daphnim adgrediar: nihil Ule déos, nil carmina curat. «Bring die Asche hinaus, Amaryllis, wirf sie in den fließen­ den Bach und wirf sie über den Kopf, schau nicht zurück. Damit will ich Daphnis bestürmen; er kümmert sich um keine Götter, keine Zaubersprüche.»

Die Zauberhandlung hat also scheinbar keinen Erfolg ge­ habt. Daphnis ist aus irgendeinem Grund gefeit gegen ma­ gische Götter (vgl. V. 75) und geheime Sprüche. Nun gilts, ein stärkeres Mittel zu erproben. Zuvor aber müssen die Überreste des vorangegangenen Zaubers verschwinden. Zwei verschiedene Arten von Hexenkunst dürfen niemals miteinander vermengt werden. Ehe man zu den Kräutern des Moeris greift, muß die Asche, die übriggeblieben ist, in flie­ ßendes Wasser geworfen werden, das sie fortträgt, und zwar mit abgewandtem Angesicht, sonst fallen die Dämonen, die jetzt enttäuscht sind, weil sie ihr Opfer nicht erhielten, über die Zaubernden her. Das Schicksal des Zauberlehrlings, der die Geister nicht mehr los wurde, die er rief, ist ganz antik21;

nach antiker Auffassung kann die Magie auch dem gefährlich werden, der sie ausübt. Auf die ‘Bindung’ (Katadesis) des Opfers folgt jetzt die ‘Lösung’ (Apolysis)22 des Teilnehmers an der magischen Verrichtung. Es ist eine vorläufige Apoly­ sis, wohlverstanden; denn der mächtigste Zauber - eben die Kräuter des Moeris - steht noch bevor. Es ist ein Zauber, der unter Umständen tödlich wirken kann; darum zögert die Frau (oder ist es die Magd? die Verteilung der Rollen ist nicht ganz klar, V. 106) einen Augenblick. Der Augenblick ist ent­ scheidend, denn es zeigt sich sofort, daß der Zauber eben doch gewirkt hat. Noch einmal spricht23 sie die magischen Worte: ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnim.

Dann unterbricht sie sich: aspice: corripuit tremulis altaría flam mis sponte sua, dum ferre moror, cinis ipse. bonum sitv! nescio quid certe est, et Hylax in limine latrat. credimusi an, qui amant, ipsi sibi somnia fingunt? parcite, ab urbe venit, iam parcite, carmina, Daphnie. «Siehe I indem ich zaudere, sie wegzutragen, hat die Asche von selbst mit bebenden Flammen den Altar zum Brennen gebracht. Das sei ein gutes Zeichen I Es hat sicher irgendetwas zu bedeu­ ten - und Hylax bellt an der Schwelle. Soll ichs glauben? oder gaukeln Liebende sich Träume vor? - Halt ein, mein Zauber­ spruch, halt ein: da kommt schon Daphnis aus der Stadt.»

Wenn die Asche ,die scheinbar schon erkaltete, plötzlich und ohne daß jemand sie anrührt, wieder zu brennen beginnt, so deutet das auf ein besonderes Ereignis - ob gut, ob böse, weiß man noch nicht. Drum empfiehlt es sich, sogleich bonum sitl zu sagen, bevor ein unvorsichtiges Wort das an sich neutrale Omen zu einem bösen Omen stempelt. Der erste Ausruf ist

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also bonum sitl «das sei ein gutes Zeichen!» erst dann kommt die Bemerkung, die man als erste Reaktion erwartete: nescio quidcerte est «das hat sicher etwas zu bedeuten». So vollkommen hatsichVergilindenGlaubendereinfachenMenschenversetzt. Seine genaue Kenntnis magischer Vorstellungen und Bräuche spiegelt sich überhaupt in jedem Vers dieses Stücks. Es ist eine Kenntnis, die er wohl nur zum Teil aus Büchern erworben hat.Zwar hatte dieMagie schon längst ihrenEinzug als literarisches Motiv in die Dichtung gehalten. Das be­ rühmte Beispiel, dem Vergil bis in Einzelheiten folgt, ist Theokrits zweites Idyll, die Pharmakeutriai^. Manches aber konnte er direkt beobachten. Auf dem Land herrschte ur­ alter Aberglauben in allen Formen26. In der Stadt konsul­ tierten die Damen der Gesellschaft wie die Damen derHalbwelt Hexen und Wahrsager.

In sein Epos hat Vergil eine große magische Szene eingewo­ ben. Der Tod der von Aeneas verlassenen Dido, einer der Höhepunkte des Werkes, ist ganz von seltsamen magischen Vorstellungen umgeben. Dido erfahrt, daß der Geliebte sie verlassen will. Sie ahnt aus schlimmen Vorzeichen, daß der Tod, den sie herbeisehnt, nahe ist. Aber kann die Königin von Karthago sich still und heimlich aus der Welt entfernen? Nein, sie muß - wenn auch nur zum Schein - vorher noch einen gewaltigen Zauber ins Werk setzen, den Treulosen zurückzugewinnen oder ihn zu vernichten. Nachdem sie im letzten Gespräch mit dem troianischen Helden (Aeneis 4, 305-87) erkannt hat, daß alles Bitten und Schmeicheln vergeblich ist, droht sie ihm mit einem furcht­ baren Fluch. Sie spricht den Fluch zwar nicht aus, aber er hängt unausgesprochen in der Luft (V. 381-7), und es ist klar, daß er durch magische Mittel bekräftigt werden muß.

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i sequere Italiam ventis, pete regna per undas. spero equidem mediis, si quid pia numina possunt, supplicia hausurum scopulis et nomine Dido saepe vocaturum. sequar atris ignibus absens et, cum frigida mors anima seduxerit artus, omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas. audiam, et haec Manis veniet mihifama sub imos. (3’1-7)

«Geh mit dem Wind, geh, such dein Italien hinter den Wassern. Aber ich hoff’s, dafem ein Gott, ein rächender, waltet, wirst du, zerscheitert am Fels, ein Ertrinkender, Dido mit Namen oft anrufen; und ich mit dunkler Flamme verfolg dich. Wenn vom erkalteten Leib der Tod die Seele getrennt hat, bleibt allum mein Schatten dir nah: du büßest den Meineid, und ich vernimm’s, das Gerücht erreicht mich unter den Toten*7.»

Merkwürdig, daß Dido hier von den pia numina spricht, den «gerechten Göttern» (V. 382), weder von Iuppiter Stygius (V. 638), dem Herrscher der Unterwelt, noch von den andern Göttern und Dämonen der Finsternis, die in Flüchen ange­ rufen werden. Merkwürdig, doch verständlich. Dido fühlt sich im Recht; sie ist die Gekränkte und braucht die Götter nicht zu zwingen, wie es der Magier tut, der nicht nach Recht und Unrecht fragt. Dido glaubt, darauf vertrauen zu dürfen, daß es gerechte Götter gibt. Sie braucht sie nur auf das Un­ recht hinzuweisen, das ihr geschah, und kann die Rache ihnen überlassen. Alles andere tun die pia numina. Mit «dunkler Flamme» will sie Aeneas und seine Leute verfolgen. Erst später erkennen wir, was da gemeint ist. Der Scheiterhaufen, den sie, angeblich zu magischen Verrichtungen, in einem Hof ihres Palastes errichten läßt, soll in Wirklichkeit ein Mahnmal sein, die Troianer zu erschrecken. Es heißt später: hauriat hunc oculis ignem crudelis ab alto / Dardanus, et nostrae secum ferat 16

omina mortis, «möge der grausame Mann von Troia dieses Feuer von hoher See aus mit seinen Blicken aufnehmen und die Unglücksbotschaft meines Sterbens mit sich tragen.» Und so geschieht es zu Beginn des folgenden Buches (Aeneis 5,4-7). AberDidos Schatten wird nicht als furchtbarer Rache­ geist einen Schuldigen zu Tode quälen, wie Sterbende das in ihren Verwünschungen drohen (man vergleiche den Fluch des Knaben bei Horaz, 5. Epode, unten S. 28). Die pia numina sind auf Seiten des pius Aeneas. Im Grunde verzichtet ja Dido selbst auf die Erfüllung ihres Fluches. Sie wünscht keine Rache an dem Mann, den sie bis zuletzt liebt. Dido schickt ihre Schwester Anna zu Aeneas, um ihn noch­ mals, nur für kurze Zeit, zum Bleiben zu bewegen. Das wäre eine Gunst, die sie gern mit ihrem Tod bezahlen möchte (V. 436). So steht es denn schon fest, daß sie es ist, die unter­ gehen wird, nicht er (vgl. V. 415). Anna kann nichts er­ reichen, und Dido bereitet sich zum Sterben. Um die Schwe­ ster und die ganze Umgebung über den Zweck ihrer Vorbe­ reitungen hinwegzutäuschen, schützt sie vor, sie habe einen mächtigen Liebeszauber im Sinn.

inveni, germana viam (gratare sorori!) quae mihi reddat eum vel eo me solvat amantem. (V. 478-9) «Schwester, nun wünsche mir Glück I Ich fand ein Mittel, o Schwester, das ihn wiedergewinnt, wo nicht, mich selbst von ihm scheidet27.»

Sie weiß einePriesterin, die sich aufmagischeKünste versteht:

haee se carminibus promittit solvere mentes quas velit, ast aliis duras immittere curas (V. 487-8)

«Die versteht mit Lied und Spruch die Geister zu lösen, welche sie will, und andre mit Pein und Marter zu bannen27.»

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Damit ist unzweideutig ein Liebeszauber gemeint. Die bei­ den Verspaare umschreiben die Doppelwirkung des Liebes­ zaubers. Die Seele, den Geist eines Menschen «lösen» heißt, ihn von seiner Leidenschaft befreien. In erster Linie aber zielt der Liebeszauber darauf, im andern Liebe zu erwecken. Nur wenn das nicht gelingt, begnügt man sich mit dem zweit­ besten. In der achten Ekloge ist es gelungen, in dem Mann Liebe zu erwecken; im vierten Buch der Aeneis gelingt es nicht. Dido ist eine tragische Heroine, von ihrem Schicksal geprägt. Die durae curae, von denen sie spricht, sind gleich­ zeitig mehr und weniger als «Pein und Marter», sie meinen ganz einfach den «Liebeskummer», der den bisher NichtVerliebten überwältigt29. Nun ist die Priesterin bei Vergil keine gewöhnliche Hexe29. Für den Römer war die ganze Zauberer- und Hexenzunft ein verächtliches Gesindel, dessen zwielichtiges Treiben von Staats wegen oft genug mit Strafen geahndet wurde. Die Zauberin, die dem Untergang der Königin von Karthago einen gespenstischen Glanz verleiht, ist eine Priesterin, deren magische Fähigkeiten das Gewöhnliche bei weitem über­ steigen : sistere aquam fluviis et vertere sidera retro, nocturnosque movet Manis: mugire videbis sub pedibus terram et descendere montibus ornos. (V. 489-91) «Wendet die Wasser zurück im Strom”, am Himmel die Sterne ruft die Gespenster heraus bei Nacht. Dir unter den Füßen regt sich und schüttert der Grund, talabwärts wandert der Bergwald’1.»

Bevor nun Dido auf die einzelnen Requisiten eingeht, die der große Zauber erfordert, entschuldigt sie sich gleichsam. Sie spricht, wie eine vornehme Römerin an ihrer Stelle sprechen würde:

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testor, cara, deos et te, germana, tuumque dulce caput, magicas invitam accingier artis «Wohl bei den Göttern, beim Haupt, beim deinigen, schwör ich, o Schwester, daß ich mich ungern nut zu solchen Künsten herabließ81.»

Dennoch gibt sie Anweisungen, die auf einen Liebeszauber hindeuten, inWirklichkeit aber ihren Selbstmord vorbereiten: tu secreta pyram tecto inferiore sub auras erige, et arma viri thalamo quae fixa reliquit impius exuviasque omnis lectumque iugalem, quo perii, superimponas: abolere nefandi cuncta viri nionimenta iuvat monstratque sacerdos. «Errichte heimlich einen Scheiterhaufen im Innern des Palastes, der zum Himmel aufragt und lege darauf die Waffen des Man­ nes, die der Treulose in meinem Gemach hängen ließ, alle seine Kleidungsstücke und das Bett unserer Liebe, das mein Unter­ gang war. Es ist mein Wille, alles, was an den verworfenen Mann erinnert, zu vernichten; so weist es die Priesterin an.»

Das Opfer soll unter freiem Himmel, in einem entlegenen Hof des Palastes vor sich gehen. Von der Magie her gesehen, ist die Forderung sinnvoll. Der Kontakt mit den Geistern und Dämonen, die man anruft, darf nicht behindert werden. Auch die Gestirngötter, die herabblicken, sind in den magi­ schen Akt miteinbezogen (V. 519-20). In Wirklichkeit will aber Dido, daß Feuer und Rauch des riesigen Scheiterhaufens vom Meer aus sichtbar seien. Wie in der achten Ekloge, so werden auch hier exuviae des Treulosen in der magischen Zeremonie verwendet. Alles ist bereit. Die magische Handlung kann beginnen. Mit aufgelöstem Haar32 ruft die Priesterin donnernd die Mächte der Unterwelt: den Erebos, das Chaos, die drei-

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leibige Hekate und zahllose andere Götter an, die der Dichter nicht einzeln anführt. Längere Listen dieser Art finden sich in den Zauberpapyri. Die Macht der Reihung, die Faszination der Häufung verlangt nach solchen Namenlisten. Dann sprengt die Priesterin Wasser aus, das angeblich aus dem Avernersee stammt33. Kräuter, die beim Mondschein mit Bronzesicheln34 geschnitten wurden-ihr Saft fließt schwarz und ist giftig - werden herbeigeholt. Man beschafft den Lie­ beszauber, der an der Stirn eines neugeborenen Füllens wächst, bevor die Mutterstute ihn selber verschlingt35. Dido löst den Gürtel ihres Kleides, zieht eine ihrer Sanda­ len aus36, naht sich den Altären, die ringsum stehen, spendet mit reinen Händen Opfermehl und ruft die Götter und Ge­ stirne an. stant arae circum et crinis effusa sacerdos ter centum tonat ore deos, Erebumque Chaosque tergeminamque Hecaten, tria virginis ora Dianae. sparserat et latices simulatosfontis Averni, falcibus et messae ad lunam quaeruntur aenis pubentes herbae nigri cum lacte veneni. quaeritur et nascentis equi de fronte revulsus et matri praereptus amor. ipsa mola manibusque piis altaria iuxta unum exuta pedem vinclis, in veste recincta, testatur moritura deos et conscia fati sidera; tum, si quod non aequo foedere amantis curae numen habet iustumque memorque, precatur. «Ringsum stehen Altäre, und die Priesterin mit fliegendem Haar ruft donnernd dreihundert Götter an: den Erebos und das Chaos, die dreileibige Hekate und die drei Gesichter der jung­ fräulichen Diana. Sie hatte Wasser ausgesprengt, das Wasser vom Avernersee nachahmte, und kräftige Kräuter mit schwar­ zem, giftigem Saft, die im Mondschein von Bronzesicheln ab-

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gehauen wurden, bringt man herbei; man beschafft sich auch den Liebeszauber, den man von der Stirn eines neugeborenen Füllens riß, bevor ihn die Mutter verschluckte. - Sie selbst, die zum Tod Bereite, löste die Sandale an einem Fuß, schützte ihr Kleid, streute mit reinen Händen Opfermehl am Altar und tief die Götter und die Gestirne, die von ihrem Schicksal wußten, als Zeugen an. Dann betete sie zu jeder Gottheit, die gerecht und wachsam sich eines Menschen annimmt, der keine Gegenliebe findet.»

Damit endet dieser Teil der Zauberhandlung, die nur als Vor­ wand dient; denn Dido will sterben, sie braucht keinen Zau­ ber mehr. Die Nacht geht vorüber, und sie findet keinen Schlaf. Der Morgen graut. Da sieht sie die troianische Flotte auslaufen. Es ist zu spät für die Rache. Aeneas Schicksal muß sich erfüllen; es ist zwecklos, dagegen anzukämpfen. Mag er auch in Italien landen, so soll sein weiteres Leben und das seiner fernen Nachkommen von schwerem Leid gezeichnet sein. Dazu ruft Dido erneut eine Reihe von Göttern an. In der Reihe erscheinen neben dem Sonnengott auch Iuno, Hekate, die Rachegöttinnen und die Götter ihres «eigenen Sterbens» (di morientis Elissae, V. 610). Hekate wurde schon von der Priesterin angerufen (V. 511), der Sonnengott übernimmt am Tag die Rolle der Gestirngötter, die alles sehen, was sich in klarer Nacht ereignet und Iuno heißt conscia (V. 608), weil sie weiß, was die Frau bewegt, die an Ehe denkt. Nun sollen die Rachegottheiten - die Polizei des Schicksals - nach ihrem Tod das Werk vollziehen, daß sie selbst nicht mehr voll­ ziehen wird. Was ist mit den «Göttern der sterbenden Elissa» gemeint? Wohl die übernatürlichen Kräfte, die nach uralter Anschauung im Augenblick des Sterbens frei werden und sich gegen jeden richten können, den der Haß des Sterbenden trifft. Der von Hexen gemordete Knabe bei Horaz (unten S. 28)weiß,daß auch er über dieseKräfte verfügt.Menschen,

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die umgebracht wurden oder vor ihrer Zeit verstarben, has­ sen die Lebenden besonders; ihre Geister eignen sich für viele Arten der Magie. Noch ist die Zauberhandlung nicht beendet, die Haupt­ sache - das Entzünden des Scheiterhaufens - steht noch be­ vor. Eine Pause tritt ein. Dido ruft Barke, die Amme ihres verstorbenen Gatten Sychaeus, herbei und gibt ihr einen Auftrag:

Annam, cara mihi nutrix, huc siste sororem: die corpus properet fluviali spargere lympha, et pecudes secum et monstrata piacula ducat. sic verdat, tuque ipsa pia tege témpora vitta. sacra Iovi Stygio, quae rite incepta paravi?1, perficere est animus finemque imponere curis Dardaniique rogum capitis permitiere flammae. «Meine liebe Amme, laß Anna, meine Schwester, zu mir kom­ men, sag ihr, sie soll eilends ihren Leib mit Flußwasser be­ netzen und die Opfertiere und Sühnopfer, die ihr vorgeschrie­ ben wurden, mit sich bringen. So möge sie kommen. Bedecke du selbst auch dein Haupt mit einer reinen Binde. Ich habe im Sinn, die Opfer für den Iuppiter des Styx, die ich auf rechte Weise begonnen und bereitet habe, zu vollenden, meinem Kummer ein Ende zu setzen und den Scheiterhaufen des Man­ nes aus Troia den Flammen zu übergeben.»

Von diesen Opfertieren war oben noch nicht die Rede, aber die Altäre stehen bereit (V. 517), und daß die unblutige Gabe der mola, des «Opfermehls» durch ein Tieropfer ergänzt wird, wäre nichts Ungewöhnliches. Anna und die Amme Barke werden bei diesem zweiten Akt zugegen sein; von der Prie­ sterin ist nichts gesagt, aber ihre Gegenwart ist selbstver­ ständlich. Auch Gefolge wird aufgeboten (V. 664). Im ersten Akt wurden erst einmal die untergeordneten Götter ange­ rufen und günstig gestimmt. Jetzt mag das dem wichtigsten 22

Gotte, Pluto, geweihte Opfer fallen. Ihm sind die schönsten Gaben Vorbehalten. Dann kann der Holzstoß - er heißt rogus Dardanii capitis, weil er durch die Waffen und Kleidungs­ stücke Aeneas‘darstellt’, also, magisch gedacht, Aeneas ‘ist’ in Flammen aufgehn. Didos letzte Worte (V. 651-62), diese unvergleichlich schöne, von Vergil mit höchster Meisterschaft gestaltete Rede, wissen von keinem Haß mehr. Dulces exuviae redet sie die Dinge an, die sie an den Geliebten erinnern. Des Fluchs gedenkt sie nicht mehr. Nur die Flamme und der Rauch des Scheiterhaufens sollen ihn verfolgen (V. 384), aber nur als Omen, nicht als Verdammung. Dido stirbt und die magische Handlung, die mit so gewaltigem Aufwand vorbereitet wurde, bleibt unwirksam, weil sie nie wirksam werden sollte. Schließlich ist es doch die Liebe, eine große, schmerzliche, im Tod geläuterte Liebe, die über die Gewalten der Finsternis siegt. Man hat an der Szene Kritik geübt38. Es hieß, der Zauber, den Dido ins Werk setzen wolle, hätte nie gelingen können. Der Scheiterhaufen sei nicht im Anschluß an die Gebete und Opfer entzündet worden. Aeneas’ Bildnis (V. 508) werde nicht zu magischen Verrichtungen verwendet, und die Ingre­ dienzien, die V. 513-4 erwähnt würden, müßten erst geholt werden. Überhaupt habe Dido gar nicht die Absicht, den Zauber auszuführen, und wenn die feste Absicht fehle, könne kein Zauber gelingen. Das ist soweit richtig. Es hat den Anschein, als wäre der ganze magische Apparat, der vor unsern Augen aufgebaut wird, ganz überflüssig. Daraus folgt aber nicht, daß der Dich­ ter ungenügend Bescheid wußte. Man wird mit solchen Über­ legungen auch der künstlerischen Prägung der Episode nicht gerecht. DaßdieKönigin in ihrer Verwirrung, ihremSchmerz, von Haß und Liebe hin- und hergerissen, nicht mehr klar 2J

denkt und zielbewußt handelt, ist leicht verständlich. Außer­ dem wirft die magische Zeremonie ein düster-prächtiges Licht auf den Tod der Königin. Eine Szene von erregender Gewalt entsteht vor uns: Der mächtige Scheiterhaufen, die Waffen und Rüstungsstücke des Troianers mit dem Prunk­ bett der Königin draufgetürmt,Dido, wie sie halb von Sinnen die Stufen hinanspringt, sich hinwirft auf der Spitze und das Schwert non hos quaesitum munus in usus

in derBrust vergräbt. - So vollzieht sich - ungeahnt und doch sinnvoll - das Opfer an die Unterirdischen. Sie selbst ist Plutos Opfer. Die Erinnerung an ihre Liebe ist erloschen, zu­ gleich damit ihr eigenes Leben. Hoch flammt der Holzstoß, und eine riesige Rauchsäule droht noch lange von der Küste her den Troianern draußen auf hoher See und erfüllt ihre Herzen mit trüben Ahnungen.

in In einem frühen Gedicht, in der 5. Epode, hat Horaz eine magische Szene39 geschildert, die eine wahre Lust am Grausi­ gen verrät und bewußt mit makabren Einzelheiten zu wirken sucht. Bei Horaz geht es um nichts weniger als Kindsentführung und Kindsmord*0. Einige Hexen haben sich zusammengetan, einen Knaben aus gutem Haus verschleppt und schicken sich eben an, ihn lebendig bis ans Kinn im Boden zu vergraben. Er soll langsam Hungers sterben, die Augen auf eine Schüssel mit Speisen gerichtet, die er nicht erreichen kann. Dann schneiden ihm die Hexen Mark und Leber*1 aus dem Leib und kochen daraus einen Liebestrank.

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Die Hexen sind eifrig mit den Vorarbeiten beschäftigt: Canidia brevibus implicata viperis crinis et incomptum caput iubet sepulcris caprificos erutas, iubet cupressosfunebris et uncta turpis ova ranae sanguine plumamque nocturnae strigis herbasque, quas Iolcos atque Hiberia mittit venenorum ferax, et ossa ab ore rapta ieiunae canis flammis aduri Colcbicis. «Ihr Haar und ungekämmtes Haupt von kurzen Vipern umflochten, befiehlt Canidia, in kolchischen Flammen zu verbrennen: Wilden Feigenbaum, aus Gräbern gerissen, Holz der Zypresse, des Totenbaums, Eier mit dem Blut der häßlichen Kröte beschmiert und Federn vom Nacht­ vogel Strix, Kräuter, die aus Iolkos und Hiberia, dem Land der Gifte, kommen und Knochen, aus dem Maul einer hungrigen Hündin gerissen.»

lies also ist das Hexenrezept. Noch fehlen die wichtigsten «estandteile: Mark und Leber des Knaben. Er lebt noch und zhaut entsetzt auf das emsige Treiben der Hexen, dessen inn er nur erraten kann. Das Brennmaterial ist nicht gleichültig: Scheiter vom wilden Feigenbaum und von der Zyresse müssen es sein. Die Zypresse steht als Baum der Trauer n Verbrennungsstätten und an Gräbern. Den wilden Feigen­ baum wünscht man Feinden aufs Grab, weil er mit seinen Wurzeln den Stein sprengt42 und so das Andenken an den .'bten tilgt. Außerdem ist der ‘Bocksfeigenbaum’ ein sexuel:s Symbol43, was für die Zubereitung eines Liebeszaubers on Bedeutung ist. Als Essenzen für das Rauchopfer, das benfalls zur Zauberhandlung gehört, sind Eier44 und redern45 der Strix nebst Kräutern und Knochen46 gedacht. *5

Das gibt einen herrlichen Gestank l Die strix ist der eigent­ liche Hexenvogel, ein Zauberdämon in Vogelgestalt. Äußer­ lich gleicht sie dem Käuzchen, das sich an einsamen, verrufe­ nen Orten aufhält. Striges sind dann auch die Hexen, die sich nach Belieben in solche Wesen verwandeln können*7. Die Kräuter sind natürlich aus Medeas Heimat importiert48 und deshalb besonders wirksam; Horaz nennt statt Kolchis das angrenzende Hiberien, heute Georgien (vgl. V. 24). Unterdessen sprengt die Hexe Sagana Wasser vom Avernersee aus49. Die Hexe Veia gräbt stöhnend vor Anstrengung mit der Hacke die Grube, in die der Knabe dann gesteckt wird. Eine sehr berühmte Hexe aus Rimini ist auch dabei. Es heißt von ihr, sie könne die Sterne und den Mond mit thessa­ lischen Zauberworten vom Himmel herunterziehen50. Aber der Anruf an die Mächte der Finsternis ertönt aus dem Mund von Horazens Erzfeindin Canidia: 0 rebus meis non infideles arbitrae, Nox et Diana, quae silentium regis, arcana cum fiunt sacra, nunc, nunc adeste, nunc in hostilis domos iram atque numen vertite. formidulosis dum latent silvisferae duld sopore languidae, senem, quod omnes rideant, adulterum latrent Suburanae canes nardo perunctum, quäle non perfectius meae laborarint manus. quid accidit? cur dira barbarae minus venena Medeae valent, quibus superbam fugit ulta paelicem, magni Creontis filiam,

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cum palla, tabo munus imbutum, novam incendio nuptam abstulit? atqui nec herba nec latens in asperis radixfefellit me locis: indormit unctis omnium cubilibus oblivione paelicum. a a, solutus ambulat veneficae scientioris carmine! non usitatis, Vare, potionibus, o multa fleturum caput, ad me recurres nec vocata mens tua Marsis redibit vocibus: maius parabo, maius infundam tibi fastidienti poculum, priusque caelum sidet inferius mari tellure porrecta super, quam non amore sic meo flagres uti bitumen atris ignibus. «O ihr getreuen Helfer meines Treibens, Nacht und Diana, die das Schweigen hütet, wenn geheime Opfer vollzogen werden - jetzt seid gegenwärtig, jetzt, jetzt wendet gegen das Haus meiner Feinde euren Zorn und eure göttliche Macht. Wenn sich die Tiere im Grauen der Wälder verbergen, in sanftem Schlummer ermattet, sollen die Hunde der Subura91 den alten Lüstling anbellen - und alles mag darüber lachen -, der mit einer Pomade gesalbt ist, wie meine Hände sie nicht vollkommener bereiteten. Was ist geschehen? Warum sind die grausigen Gifte der Medea aus dem Barbarenland nicht mehr wirksam, mit deren Hilfe sie entfloh, nachdem sie sich an der Neben­ buhlerin gerächt hatte, an der Tochter des mächtigen Kreon, als ein Mantel, eine mit Gift durchtränkte Gabe, die junge Braut in einem Feuerbrand dahinrafite"? Und doch ist mir kein Kraut, keine Wurzel entgangen, die sich an schwer zugänglichen Stellen verbirgt. Er schläft in einem gesalbten Gemach und hat alle Buhlerinnen ver-

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gessen. Wehe, wehe! er geht umher, befreit durch den Zauberspruch einer kundigeren Hexe! O Varus, dir stehen viel Tränen bevor, du wirst durch ungewohnte Liebestränke zurückeilen zu mir, und von marsischen“*“ Sprüchen gerufen wird dein Sinn nicht zurückkehren. Einen mächtigeren Trunk will ich dir, einen mächtigeren, einflößen, da du mich verschmähst, und eher soll der Himmel sich unter das Meer senken und die Erde sich drüber hinspannen, als daß du nicht in Liebe entbrenntest zu mir wie Pech im rußigen Feuer.»

Welch prächtige Phantasmagorie des Grauens I Hier der ge­ schäftige Hexenklüngel mit seinem in Todesangst zitternden Opfer, dort der alte Geck Varus, der nachts auf Abenteuer ausgeht. Noch hat der mächtige Liebeszauber, den Canidia an ihm ausprobierte, nicht gewirkt. Da muß sie annehmen, daß er in die Gewalt einer noch gewitzteren Hexe geraten ist. Wie die Zauberin in Vergils achterEkloge greift sie jetzt zum äußersten Mittel, und bald soll er lodern wie Pech - ein treff­ liches Bild für die trüb schwelende Liebe eines alten Gecken zu einer Hexe53. In diesem Augenblick rafft sich der Knabe aus seiner Be­ täubung auf. Er weiß, daß es für ihn keine Rettung mehr gibt und verflucht die Weiber. Er droht, sie nach dem Tod als Ge­ spenst zu schrecken, ihnen mit krummen Klauen ins Gesicht zu fahren, bis sie in Wahnsinn verfallen und von der Bevölke­ rung gesteinigt werden. Vögel und Wölfe werden sich um ihre Gebeine streiten. In diesem Fluch des Todgeweihten lebt der magische Glaube, daß in der Seele eines Menschen, der vor seiner Zeit auf gewaltsame Weise den Tod fand, vernichtende Kräfte wohnen54. Wenn ein Kind vor seinen Eltern sterben muß und die Leiche nicht rituell bestattet wird, so kann der Geist keine Ruhe Anden. Wenigstens werden die Eltern die Be­ strafung seiner Mörder mitansehen:

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neque hoc parentes, heu mihi superstites! effugerit spectaculum. «Und dieses Schauspiel soll meinen Eltern, die ach! mich überleben, nicht entgehen.»

Die grausige Szene55, die des Dichters Phantasie geschaut hat, hat natürlich nicht dokumentarischen Charakter. Ein rituel­ ler Kindsmord zu magischen Zwecken kommt in der griechi­ schen und römischen Literatur sehr selten vor56. Man mun­ kelte von solchen Dingen und erhob zuweilen Anklage gegen Einzelne57. Die Phantasie des antiken Menschen schreckt vor nichts zurück; man denke nur an die monströsen Verirrun­ gen, die später den Christen nachgeredet wurden58. Horaz klagt nicht an. Er möchte Canidia treffen, diese rätselhafte Frau, die er so leidenschaftlich haßt. Wir wissen nicht, wer sie war; auch ist der alte Lüstling Varus uns nicht weiter be­ kannt, falls man nicht annehmen will, daß hinter Varus ein assonanter, metrisch ebenbürtiger Flaccus steckt, der in der 17. Epode seine Maske lüftet59. Die 17. und letzte Epode ist eine durchaus nicht ernst ge­ meinte Palinodie des eben besprochenen Gedichts. Horaz er­ klärt sich geschlagen und leistet Canidia Abbitte.

Iam iam efficaci do manus scientiae, supplex et oro regna per Proserpinae, per et Dianae non movenda numina, per atque libros carminum valentium refixa caelo devocare sidera, Canidia, parce vocibus tandem sacris citumque retro solve, solve turbinem! «Halt, halt! - ich ergebe mich der wirksamen Kunst! Ich bitte dich untertänig beim Reich der Proserpina, bei Dianas göttlicher Macht, die man nicht erzürnen darf und

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bei den Büchern voller Zaubersprüche, die vermögen, Sterne vom Himmel zu reißen und herabzurufen - Canidia l Halt ein mit deinen magischen Worten, dreh den rasenden Kreisel zurück und laß ihn, laß ihn los I»

Das Herunterzaubern der Sterne wurde in der fünften Epode (V. 45) als ein Stück Volksglauben angeführt; hier beteuert der aufgeklärteHoraz,er sei jetzt völlig überzeugt,daß so etwas möglich sei. Er empfindet Canidias Macht am eignen Leibe. Der Schadenzauber, den sie ihm antut, erlischt erst dann, wenn sie den «Kreisel», turbo, den sie unter dem Murmeln böser Sprüche in einer bestimmten Richtung wirbelt, in ent­ gegengesetzter Richtung dreht und von seiner Schnur be­ freit. Was ist dieser «Kreiseb>? Meistens wird darunter der soge­ nannte Iynx verstanden, den die Hexe Simaitha im zweiten Idyll Theokrits (dem Vorbild von Vergils achter Ekloge) ver­ wendet. Der Iynx ist ein Rädchen mit zwei exzentrischen Löchern, durch die eine Schnur gezogen ist. Dreht man die doppelt gespannte Schnur, so wirbelt das Rädchen in rascher Kreisbewegung einmal so, dann so herum. Es hat seinen Namen vom Vogel Iynx, dem Wendehals, der in der Paa­ rungszeit besonders auffällig seinen Hals verrenkt. Ursprüng­ lich wurde ein toter Wendehals auf das Rädchen genagelt, später hat man darauf verzichtet, aber dennoch das Rädchen noch Iynx genannt. Es wird anscheinend fast nur im Liebes­ zauber gebraucht60. Sehr oft verwechseln moderne Erklärer mit dem Iynx den sogenannten Rhombos. Auch er ist ein Requisit der Magier und Hexen, auch ihn verwendet Simaitha bei Theokrit. Der antike Scholiast zur Stelle setzt den Iynx mit dem Rhombos gleich. Aber die beiden Dinge sind zu trennen61. Beim Rhom­ bos handelt es sich um ein flaches rautenförmiges Stück Holz oder Metall, das am Ende einer Schnur befestigt ist. An dieser 3°

Schnur läßt man es über dem Kopf rotieren, wobei ein schwirrendes Geräusch entsteht, dessen Ton mit zunehmen­ der Geschwindigkeit immer höher wird. Bei Horaz spricht alles gegen den Iynx. Erstens praktiziert Canidia keinen echten Liebeszauber gegen ihn. Sie liebt ihn nicht, und ihr Zauber erzeugt keine Liebe in ihm, sondern äußert sich darin, daß er vorzeitig altert, daß sein Haar grau wird, daß er nur noch ein Bündel Knochen ist, Tag für Tag schwer arbeiten muß und kaum einen Augenblick zum Ver­ schnaufen findet (V. 21-6). Natürlich wirkt die Bosheit nur, wenn Punkt für Punkt das Gegenteil wahr ist. Horaz glaubt nicht an Hexenkünste, er fühlt sich in Wirklichkeit sehr wohl, ist rund und gesund und genießt seine Muße mit großem Be­ hagen. Von einem Liebeszauber ist keine Rede. Zweitens scheint es unmöglich, den Iynx dauernd in derselben Rich­ tung zu drehen. Sein Antrieb mittels der gedrehten Schnur bedingt einen ständigen Wechsel der Richtung. Beim Rhombos ist es anders: dort kann die Drehung beliebig umgekehrt werden, wodurch der Zauber dann aufhört. Wird schließlich die Schnur gelöst, an der der Rhombos schwang, so ist die Bindung ungültig. Um jeden Preis müsse er sich mit Canidia versöhnen, sagt Horaz. Seine «verlogene Leier» (V. 3 9) werde fortan zu ihrem Preis erklingen. Das ist wiederum recht perfid ausgedrückt; denn wir erfahren nicht, ob seine Leier früher log oder jetzt. Niemals habe sie Leichenschändung betrieben, beteuert er scheinheilig (V. 48 wegen Satire 1, 8), niemals das Gastrecht verletzt (V. 59 wegen Epode 5). Doch Canidia bleibt unerbittlich. Horaz hat sich zum Rich­ ter über das Hexentreiben auf dem Esquilin erhoben (V. 5 8 wiederum wegen Satire 1, 8): Es wäre ja lächerlich, wenn sie sich das gefallen ließe. Nicht umsonst hat sie pälignischen Hexen62 teures Lehrgeld bezahlt (V. 60). Sie wird ihn auch künftig mit ihren zauberkräftigen Flüchen verfolgen. Ein 3i

rascher Tod wäre da geradezu eine Wohltat für ihn, aber auch die wird ihm versagt. Noch einmal droht sie ihm mit ihrer großen Macht: Wachsbilder kann sie in Bewegung setzen, den Mond vom Himmel herunterholen, Tote, die schon zu Asche verbrannten, wieder auferstehen lassen, Liebestränke trefflich brauen (V. 76-80). Und da sollte sie, Canidia, am Ende ihrer Kunst sein?

plorem artis in te nil agentis exitus? «Soll ich das Ende einer Kunst beklagen, die nichts aus­ richtet gegen dich?»

An den Schluß seiner Epodensammlung setzt Horaz dieses bit­ terböse Gedicht, diese hohntriefende Invektive, die in ihrer Art noch grausamer ist als die fünfte Epode, die sie zum Schein widerruft. Hier wie dort ist die Liebeshexe Canidia die Ziel­ scheibe seines Spottes. An bedeutsamer Stelle im Buch nimmt er angeblich alles zurück, was er je gegen sie gesagt hatte nur, um es dadurch zu bekräftigen. Wie muß er diese Frau gehaßt haben 1 Ein bloßes Schatten­ bild, eine blutlose literarische Fiktion vereinigt nicht soviel lebendiges Gefühl auf sich, wird nicht in immer neuen Haß­ kampagnen angegriffen. Wo viel Haß ist, war vielleicht einst viel Liebe, enttäuschte Liebe, wie sie etwa V. 20 aufklingt

amata nautis multum et institoribus «du von Matrosen und Handelsreisenden viel geliebte...»

Es ist zwecklos, zu fragen, wer diese Canidia war. Sie kann eine Frau im Leben des Dichters gewesen sein, sie kann auch Züge verschiedener Frauen, die er gekannt hat, tragen. Die antiken Erklärer wußten auch nicht viel mehr als wir. Der Kommentator Porphyrio schreibt (zu Epode 3, 7), Canidia habe in Wirklichkeit Gratidia geheißen und habe in Neapel

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mit Schönheitssalben gehandelt. Doch diese Auskunft ist vermutlich bis auf den Namen aus der fünften Epode heraus­ gesponnen. Als scheinbare Palinodie bezieht sich die 17. Epode nicht nur auf die 5., sondern auch auf die schon erwähnte Satire 1,8. Eine formale Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen, obschon es sich um eine andere literarische Gattung handelt. Wie die beiden Epoden ist auch die Satire ein Mimus. Es spricht dies­ mal eine Statue des Gottes Priap, die in den esquilinischen Gärten steht. Diese Gegend war früher eine Begräbnisstätte der Armen gewesen. Dann hatte Maecenas ein schönes Wohnquartier mit Gärten daraus geschaffen. Als Gott der Gärten hat hier Priap seinen Platz. Die Sichel in der Rech­ ten und der mächtige Phallos schrecken die Obstdiebe ab, das im Winde raschelnde Schilfbündel auf dem Kopf ver­ treibt die Vögel. Nur gegen die Hexen, die nachts noch immer kommen und nach Kräutern und Knochen scharren, klagt er, sei er machtlos (V. 20-2)63. Eines Nachts erscheint Canidia persönlich im aufgeschürz­ ten schwarzen Gewand, mit nackten Füßen und aufgelöstem Haar64, begleitet von Sagana. Heulend ruft Canidia die Mächte der Finsternis an. Beide kratzen dann mit den Finger­ nägeln die Erde auf, um eine Opfergrube zu schaffen. Mit den Zähnen zerreißen sie ein schwarzes Lamm, das sie mitge­ bracht haben. In der Magie darf kein Eisen verwendet werden; Spaten und Messer sind verboten65. Das Opfer für die Gottheiten der Unterwelt muß schwarz sein, damit keiner der obern Götter es aus Versehen für sich beansprucht und die Dämo­ nen in solche Wut versetzt, daß sie sich am Opfernden rächen. Das Blut des geschlachteten Tieres soll dann in die Grube fließen und wird gierig von den Schatten geschlürft, die zahl­ reich jede Gräberstätte umflattern. Dadurch gewinnen sie für

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eine Weile die Kraft, zu reden, wenn auch nur mit eintönig zirpender Stimme:

... quo pacto alterna loquentes umbrae cum Sagana resonarint triste et acutum (V. 40-1)

«wie die Schatten, die sich mit Sagana unterhielten, weh­ mütige, schrille Töne von sich gaben»

Mit dieser nekromantischen Phase des Zaubers verknüpft sich eine zweite. Die Hexen haben eine Wachs- und eine Woll­ puppe mitgebracht: ... maior lanea, quae poenis compesceret inferiorem, cerea supp Heiter stabat, servilibus ut quae iam peritura modis...

«Mag sie blutige Speisen essen und mit blutschäumendem Munde bittere Becher voll Galle trinken. Geister, die über ihr Schicksal wehklagen, mögen sie stets umflattern. Von den Dächern soll der Uhu krächzen, der Gewalttat kündet. Rasend, vom Hunger getrieben, soll sie auf Gräbern Kräuter suchen und Gebeine, die von den wilden Wölfen übrig ge­ lassen wurden. Mit entblößtem Unterleib soll sie durch die Städte rennen, heulend; dann mag die rauhe Rotte der Hunde sie von den Straßenecken scheuchen.»

Die Verfluchung ist so stark wie die des zu Tode gefolterten Knaben bei Horaz96. Zwar will Tibull die Hexe nicht selbst als Rachegeist verfolgen, doch möchte er einige Gespenster aufbieten, die nachts an ihrem Bette wimmern. Schließlich soll sie völlig den Verstand verlieren und sich mit den Wölfen um ein paar Knochen balgen. Die Beziehungen zwischen dieser Verfluchung und dem Schluß der fünften horazischen Epode (oben S. 28) sind jo

längst hervorgehoben worden97. Natürlich ist es keine Nach­ ahmung, die sich eng an den Wortlaut hält, aber bestimmt hat Tibull das Jugendgedicht des ihm befreundeten Horaz ge­ kannt und offenbar reizt es ihn, die großartig-unbekümmerte Brisanz der horazischen Iamben in die etwas weichere, ge­ mäßigtere Tonart der Elegie umzumodulieren. Nehmen wir kurz den Bestand auf: Hier wie dort sind Hexen, Geister, Vögel, Wölfe. Hier wie dort werden die Hexen nachts durch Geistererscheinungen erschreckt, tagsüber vom Volk durch das Stadtquartier gehetzt98. Eigenartig ist bei Tibull die Ent­ blößung des Unterleibs in der Öffentlichkeit. Das ist ein Sym­ ptom des Wahnsinns und dürfte eigene Beobachtung des Dichters sein99. Zu allen Zeiten standen geisteskranke alte Frauen im Verruf der Hexerei; das war im alten Rom nicht anders, und daß gelegentlich an diesen beklagenswerten Ge­ schöpfen grausame Volksjustiz vollzogen wurde,dürfte kaum zu bezweifeln sein. Weder die gelehrte Epodendichtung noch die gelehrte Liebeselegie verlieren jemals ganz den Zusam­ menhang mit der Wirklichkeit. Wo Liebende vergeblich leiden, ist manchmal eine Hexe im Spiel. Manchmal aber liegt der wahre Grund tiefer, sagt Tibull:

num te carminibus, num te pallentibus herbis devovit tacito tempore noctis anus? cantus vicinisfruges traducit ab agris, cantus et iratae detinet anguis iter, cantus et e curru Lunam deducere temptat, etfaceret, si non aera repulsa sonent. quidqueror, heu! misero carmen nocuisse, quid herbas? forma nihil magicis utitur auxiliis, sed corpus tetigisse nocet, sed longa dedisse oscula, sedfemini conseruissefemur. (i,17-26)

«Hat dich mit Zaubersprüchen, hat dich mit blaßgrünen Kräu­ tern zu stiller Stunde der Nacht ein altes Weib behext? Ein Zauberlied überführt von benachbarten Feldern die Frucht. Ein Zauberlied hält auch den Weg einer gereizten Schlange auf. Ein Zauberlied versucht, den Mond von seinem Wagen herab­ zuziehen und würde es vollbringen, wenn nicht unter Schlägen die ehernen Becken dröhnten. - Doch ach, was klage ich, daß einem armen Menschen ein Zauberspruch, daß Kräuter ihm zum Verhängnis wurden? Schönheit bedarf keiner magischen Mittel, doch verhängnisvoll ist es, ihren Körper berührt, lange Küsse gegeben, Schenkel in Schenkel verflochten zu haben.»

Die Hexenkunst mag alles vollbringen, was der Glaube des Volkes ihr zuschreibt - Flurzauber, Schlangenbeschwörung, Mondfinsternis100 - es gibt doch eine ‘innere’ Magie, die über ihr steht. Diese innere Magie kennt Tibull aus eigenster Er­ fahrung wohl. Um Nemesis, seiner letzten Geliebten, unbedingte Treue zu versichern, beschwört Tibull noch einmal die bekannten Bilder herauf: quidquid habet Circe, quidquid Medea veneni, quidquid et herbarum Thessala terra gerit, et quod, ubi indomitis gregibus Venus adflat amores, hippomanes cupidae stillat ab inguine equae, si modo me placido videat Nemesis mea vultu: mille alias herbas misceat illa, bibam. (2,4.5 j-6°) «Alle Gifte, die Kirke, alle die Medea hat und alle Kräuter, die Thessaliens Erde hervorbringt und der Schleim, der aus der Scham der brünstigen Stute träufelt, wenn Venus den unbezähmten Herden Liebesgluten zuweht: - wenn nur meine Nemesis mich freundlich anblickt, so mag sie tausend andere Kräuter mischen: ich will sie trinken I»

Dieses Bekenntnis gleicht jenem Bekenntnis des Properz 2, 1, 51-6 (oben S. 38), nur wird hier ganz offen gesagt, die 52

Geliebte selber habe das Gift gemischt, das der Dichter trin­ ken will. Warum soll sie ihm Gifte mischen? Er liebt sie ja schon, und ihn aus der Welt zu schaffen, hat sie keinen Grund. Vielleicht liegt der Gedanke an ein Gottesurteil vor (oben S. 39): Die Geliebte will die wahrhafte Liebe des Mannes prüfen und fordert ihn heraus, einen Giftbecher zu trinken. Tut er das ohne zu zögern und überlebt er die Tat, so steht er unter Venus’ besonderem Schutz. Dann hat er die Probe be­ standen. Tibull liebt Nemesis so sehr, daß er bereit ist, alles für sie zu tun. Kurz zuvor hat er ihr beteuert, er würde sogar sein Elternhaus mitsamt dem ehrwürdigen Larenschrein ver­ kaufen, wenn sie es wünsche (V. 5 3-4). Nun steigert er noch das Pathos. Die Elegien Tibulls haben unsere Kenntnis der antiken Magie nach vielen Seiten hin erweitert. Dieser feine und kunstsinnige Römer ließ sich gern verlocken, in die volks­ tümliche Vorstellungswelt der Frauen, die er liebte, hinab­ zusteigen. Er sieht die magischen Zeremonien mit ihren Augen, dringt in ihre Vorstellungen ein, aber legt sich nir­ gends fest. Er ist Dichter, nimmt Eindrücke und Gedanken unbefangen auf und stellt sie dar; er braucht sie nicht zu er­ klären. VI In den Amores (1,8) hat Ovid mit seiner Dipsas ein Gegen­ stück101 zur Kuppelhexe Acanthis geschaffen. Den vierzehn Versen, in denen Properz (4, 5, oben S. 36) ihre Zauber­ kräfte schildert, entsprechen vierzehn Verse bei Ovid:

illa magas artes Aeaeaque carmina novit inque caput liquidas arte recurvat aquas; seit bene, quidgramen, quid torto concita rhombo 53

Heia, quid valeat virus amantis equae. cum voluit, toto glomerantur nubila caelo: cum voluit, purofulget in orbe dies, sanguine, siqua fides, stillantia sidera vidi, purpureus Lunae sanguine vultus erat, hanc ego nocturnas versam volitare per umbras suspicor et pluma corpus anile tegi. suspicor, etfama est. oculis quoque pupula duplex fulminat etgemino lumen ab orbe micat. evocat antiquos proavos atavosque sepulcris et solidam longo carminefindit humum.