Hexen und Germanen: Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung [1. Aufl.] 9783839411698

Woher rührt das Interesse der NS-Ideologen an der Hexenverfolgung? Alfred Rosenberg als Autor des »Mythus des 20. Jahrhu

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German Pages 396 Year 2015

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Inhalt
Danksagung
Einleitung
Methodologie
Rasse, Religion und Geschlecht in der Hexenprozessgeschichtsschreibung des Hexen-Sonderauftrags
Himmlers Interesse an den Hexenprozessen
Der Hexen-Sonderauftrag in den ideologischen Machtstrukturen
Der Konkurrenzkampf zwischen Himmlers Wissenschaftlern:
Die SS gegen das „Ahnenerbe“
Probleme mit den Hexen oder der Auftrag in Auflösung
Das Archiv des Hexen-Sonderauftrags – eine missratene Geschichte?
Exkurs
Die Hexenprozesse und die Schuldfrage. Traumatische Erfahrung und ihre Rolle bei der Identitätsstiftung
Interesse an den Hexenprozessen als Begleiterscheinung politischer, kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen
Die Hexenprozesse und die germanische Kontinuität. Jacob Grimms Deutsche Mythologie
Exkurs
Wilhelm Gottlieb Soldans Geschichte der Hexenprozesse als Bekenntnis des Glaubens an die Kraft der Vernunft
Die konstruierte Wirklichkeit und die Stimme der Opfer in Joseph Hansens Zauberwahn
Alfred Rosenbergs Geschichte der Hexenprozesse ohne Hexen
Der Mythus des 20.Jahrhunderts – „die philosophische Deutung des Nationalsozialismus“ oder „intellektueller Rülpser“?
Die Reaktionen auf das Buch von Alfred Rosenberg
Das Blut als Mythos der germanischen Gemeinschaft
Griechen, Römer und Germanen als Apollo-Anhänger und die Geburt der Hexe in den Kulturen der Dunkelheit
Exkurs
Christentum, Zauber und Nationalsozialismus
Ausrottung der formlosen Weiblichkeit bzw. der Mütter der Nation? Die Hexenprozesse als Propagandamittel
Die Hexenprozesse als „Fremderscheinung“ und Argument im Krieg der Kulturen. Diskussionen über den Mythus des 20. Jahrhunderts
Die Reaktion der katholischen Kirche auf Rosenbergs Mythus
Rosenbergs Antwort auf die katholische Kritik
Christentum, Frauen und Germanen. Strategien zur Verteidigung des „neuen Glaubens“
Rosenbergs letztes Wort in der Diskussion
Wozu braucht man die Hexen? Die Kontroverse zwischen Bernhard Kummer und Otto Höfler über verschiedene Visionen des Nationalsozialismus
Saga gegen Edda – Höflers und Kummers Ausgangspunkte für die Beschreibung der germanischen Religiosität
Der germanische Hexenglauben als Begleiterscheinung des Untergangs der Germanen. Kummers Sicht auf das Hexen-Thema
Dämonische Männerbünde und die Hexen als feindliche Dämoninnen in der germanischen Welt. Die Version Otto Höflers
Gegen die magische Weltanschauung – Kummers Argumente gegen Höfler
Die dämonischen Männerbünde als staatsbildende Kraft – Höflers Argumente gegen Kummer
Die machtpolitische und ideologische Auseinandersetzung über Höflers und Kummers Thesen
Resümee und Ausblick
Quellen und Literatur
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Hexen und Germanen: Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung [1. Aufl.]
 9783839411698

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Katarzyna Leszczyn´ska Hexen und Germanen

| GenderCodes | Herausgegeben von Christina von Braun, Volker Hess und Inge Stephan | Band 10

2009-07-10 12-17-28 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b2215121683854|(S.

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Katarzyna Leszczyn´ska ist Germanistin und freischaffende Literaturübersetzerin (u.a. Übertragung der Werke von Herta Müller ins Polnische). Sie schreibt und übersetzt für polnische Kulturzeitschriften und Verlage.

2009-07-10 12-17-28 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b2215121683854|(S.

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Katarzyna Leszczyn´ska

Hexen und Germanen Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung

2009-07-10 12-17-28 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b2215121683854|(S.

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Das Buch entstand als Dissertation an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Gutachter: . Prof. Bozena Chołuj, Prof. Heinz Dieter Kittsteiner, Prof. Karol Sauerland Die Disputation fand am 7. Mai 2008 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Jan Wielgohs Satz: Andreas Stämpfli Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1169-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2009-07-10 12-17-29 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b2215121683854|(S.

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Inhalt

Danksagung

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Einleitung

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Methodologie

23

Rasse, Religion und Geschlecht in der Hexenprozessgeschichtsschreibung des Hexen-Sonderauftrags

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Himmlers Interesse an den Hexenprozessen Der Hexen-Sonderauftrag in den ideologischen Machtstrukturen Der Konkurrenzkampf zwischen Himmlers Wissenschaftlern: Die SS gegen das „Ahnenerbe“ Probleme mit den Hexen oder der Auftrag in Auflösung Das Archiv des Hexen-Sonderauftrags – eine missratene Geschichte? Exkurs

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Die Hexenprozesse und die Schuldfrage. Traumatische Erfahrung und ihre Rolle bei der Identitätsstiftung Interesse an den Hexenprozessen als Begleiterscheinung politischer, kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen Die Hexenprozesse und die germanische Kontinuität. Jacob Grimms Deutsche Mythologie Exkurs Wilhelm Gottlieb Soldans Geschichte der Hexenprozesse als Bekenntnis des Glaubens an die Kraft der Vernunft Die konstruierte Wirklichkeit und die Stimme der Opfer in Joseph Hansens Zauberwahn

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Alfred Rosenbergs Geschichte der Hexenprozesse ohne Hexen Der Mythus des 20.Jahrhunderts – „die philosophische Deutung des Nationalsozialismus“ oder „intellektueller Rülpser“? Die Reaktionen auf das Buch von Alfred Rosenberg Das Blut als Mythos der germanischen Gemeinschaft Griechen, Römer und Germanen als Apollo-Anhänger und die Geburt der Hexe in den Kulturen der Dunkelheit Exkurs Christentum, Zauber und Nationalsozialismus Ausrottung der formlosen Weiblichkeit bzw. der Mütter der Nation? Die Hexenprozesse als Propagandamittel

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Die Hexenprozesse als „Fremderscheinung“ und Argument im Krieg der Kulturen. Diskussionen über den Mythus des 20. Jahrhunderts

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Die Reaktion der katholischen Kirche auf Rosenbergs Mythus Rosenbergs Antwort auf die katholische Kritik Christentum, Frauen und Germanen. Strategien zur Verteidigung des „neuen Glaubens“ Rosenbergs letztes Wort in der Diskussion

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Wozu braucht man die Hexen? Die Kontroverse zwischen Bernhard Kummer und Otto Höfler über verschiedene Visionen des Nationalsozialismus Saga gegen Edda – Höflers und Kummers Ausgangspunkte für die Beschreibung der germanischen Religiosität Der germanische Hexenglauben als Begleiterscheinung des Untergangs der Germanen. Kummers Sicht auf das Hexen-Thema Dämonische Männerbünde und die Hexen als feindliche Dämoninnen in der germanischen Welt. Die Version Otto Höflers Gegen die magische Weltanschauung – Kummers Argumente gegen Höfler Die dämonischen Männerbünde als staatsbildende Kraft – Höflers Argumente gegen Kummer Die machtpolitische und ideologische Auseinandersetzung über Höflers und Kummers Thesen

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Resümee und Ausblick

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Quellen und Literatur

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Danksagung

An erster Stelle richtet sich mein Dank an Prof. Karol Sauerland, der mich jahrelang weise wissenschaftlich betreute und meine oft willkürlichen Entscheidungen akzeptierte. Er brachte mich auf die Idee der vorliegenden Arbeit, die unter seinen Augen reifte. Ich verdanke ihm viele Entdeckungen meines Lebens. Besonders dankbar bin ich meiner Doktormutter, Prof. BoĪena Choáuj, für ihre Freundschaft, Menschenkenntnis, unbeschränkte Geduld und für die anregenden, nicht selten nächtlichen Gespräche. Seit wir uns kennen, versuchte sie mein Selbstvertrauen zu stärken, stand mir immer bei und lebte ihren Studenten die Wissenschaft als Leidenschaft und ständiges Hinterfragen vor. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei Prof. Maria Janion für ihre kritischen Fragen und ihr grosses Wissen bedanken, von denen ich profitieren durfte: einige Jahre lang nahm ich an ihrer politisch – im besten Sinne dieses Wortes – engagierten „Denkgemeinschaft” in Warschau teil. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Meinen Eltern und meiner Schwester bin ich dankbar für die Unterstützung, ihre Kraft und Liebe, die mich all die Jahre durch mein Studium begleiteten. Ganz warm denke ich dabei auch an meine Freunde, Paulus und Ania, die mit mir im Laufe des Studiums viele Höhen und Tiefen durchlebt haben und immer solidarisch waren. Unendliche Dankbarkeit gilt meiner grossen Liebe, Manfred, der mich besonders in den letzten Jahren der Arbeit an der Dissertation und in der Panik der Examensvorbereitungen verständnisvoll und zärtlich begleitet, betreut und unterstützt hat.

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HEXEN UND GERMANEN

Einen Dank möchte ich Jan Wielghos und Andreas Stämpfli aussprechen: Dem ersten für die sprachliche Redaktion der Arbeit und aufmerksame Lektüre, dem anderen dafür, dass er mich vor der Verzweiflung beim Layouten gerettet hat. Der Schule für Sozialwissenschaften am Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau verdanke ich viele anregende Jahre, die meinen Lebensweg geprägt haben. Ein für mich sehr wichtiges halbes Jahr in Wien ermöglichte mir das Institut für die Wissenschaften vom Menschen, dem ich auch Dank schulde. In beiden von mir genutzten Archiven, dem Staatsarchiv in Posen und im Archiv vom Institut für Nationales Gedenken in Warschau bin ich geduldig, freundlich und sachkundig betreut und beraten worden. Vielen Dank an sie und an alle anderen Personen und Institutionen, die hier nicht erwähnt wurden, und deren Hilfe wertvoll war.

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Einleitung

Im Schloss des Grafen von Haughwitz in Sáawa ĝląska bei Gáogów, das in den Jahren 943 bis 945 dem Amt VII „Weltanschauliche Forschung und Auswertung“ des Reichssicherheitshauptamtes als luftkriegsbedingte Ausweichstelle diente, wurde im März 945 das Archiv einer sonderbaren Forschungseinheit entdeckt, die Heinrich Himmler unter dem Namen „HexenSonderauftrag“ (im Folgenden: H-Sonderauftrag) ins Leben gerufen hatte. Die Nachkriegsgeschichte des Dokumentenbestandes ist bis heute nicht vollständig rekonstruiert. Noch bevor die Sammlung der Forschung zugänglich wurde, kursierten in der Bevölkerung Gerüchte, der Polnische Sicherheitsdienst (UB) habe manche Dokumente, vor allem die Freimaurer betreffend, übernommen und vermutlich in den 960er Jahren einen Teil dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR übergeben Einige Akten des Amtes VII befinden sich in einem „Sonderarchiv“ in Moskau.2 Wohl unter dem Einfluss der noch frischen Kriegserlebnisse wurde nach der ersten Sichtung des Materials die Hypothese aufgestellt, die Forschungseinheit habe sich „mit dem Studium der Strafprozess- und Kriminaluntersuchungsverfahren seit dem 3. Jh. bis zur Mitte des 8.Jh.“ befasst und es sei ihre Aufgabe gewesen, „in der Vergangenheit angewandte Methoden der Quälerei zu erforschen“.3 Diese von verständlichen Ressentiment geprägte  2

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Im Weiteren: H-Sonderauftrag. Vgl.: à. Orlicki, àowcy czarownic (9..2004), in: URL: http:// forum.wprost.pl/ar/?O=420566. Zur Geschichte der Aktenstücke des H-Sonderautrags in Deutschland vgl.: J. Rudolph, „Geheime Reichskommando – Sache!“ Hexenjäger im Schwarzen Orden, in: Himmlers Hexenkartothek, Bielefeld 999. Telegraf, 4.2.947, S. 3. Diese Erklärung findet man noch heute. Auf der Internetseite der Plattform Paranormal Deutschland e.V., die für alle „Interessierten an Paranormalen, okkulten und esoterischen Themen“ bestimmt ist, wird das Archiv als „Anleitungsressource zur Judenvernichtung“ aufgefasst. Vgl.: http://www.paranormal.de/hexen/hexenverfolgung.htm 9

HEXEN UND GERMANEN

spekulative Deutung – die Massenmörder des 20. Jahrhunderts hätten die Inspiration bei den Hexenmördern gesucht – taucht in der Presse und Publizistik immer wieder auf, obwohl sie eigentlich nicht aufrechtzuerhalten und ziemlich einfältig ist. Die beeindruckende Buchsammlung des HexenSonderauftrags wurde der Universitätsbibliothek in PoznaĔ übereignet. Der größte Teil des Archivs gelang ins Staatsarchiv von PoznaĔ. Von Krystyna Górska-Goáaska erschlossen und 962 mit einer Einleitung versehen, figuriert er unter dem Namen „Kartoteka procesów o czary“ (auf Deutsch als „Hexenkartothek“ bekannt). Ein Teil der Dokumente, vor allem SD-Dienstakten, wurde als politisch relevant in die Sammlung der Hauptkommission für die Erforschung nationalsozialistischer Verbrechen in Polen (Komisja Gáówna do Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce) in Warschau aufgenommen.4 Auch in der DDR schien man den Verdacht zu hegen, dass die Akten des H-Sonderauftrages politisch brisant seien; Teile des Archivs wurden hier bis 990 von der Stelle „zur Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen“ des Ministeriums für Staatssicherheit verwaltet. Trotz dieser „Ahnungen“ erweckte das Thema eher Ratlosigkeit. Einige Akten wurden dank mangelnder „polizeilicher Relevanz“ an das Deutsche Zentralarchiv in Potsdam überwiesen, blieben dort aber bis zur Wende nur beschränkt zugänglich. Keiner der beiden deutschen Staaten hat mit Polen über die „Hexen-Akten“ verhandelt. Himmlers Hexenkartothek überrascht mit einer Fülle von Dokumenten über Hexenprozesse, hat jedoch bis vor kurzem in der Forschung wenig Aufmerksamkeit gefunden.5 Noch spannender als die Akten selbst erwiesen sich die Erkenntnisse über die Funktion der Hexenprozessforschung im Nationalsozialismus, die sich aus der Untersuchung der Sammlung ergeben haben. Diese Funktion bildet den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Damit Himmlers Hexenkartothek zu einem Thema der Forschung werden konnte, bedurfte es offenbar erst der zweiten Frauenbewegung, die ein neues Interesse an den Hexenprozessen ausgelöst hat,6 der Reflexion über die Art und die Geschichte der Hexenprozessrezeption, sowie der bis heute nicht abgeschlossenen Auseinandersetzung mit der Rolle der Geisteswissenschaften bei der Entwicklung der nationalsozialistischen Ideologie.

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Jetzt: Gáówna Komisja ĝcigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu – Instytut PamiĊci Narodowej (Hauptkommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk – Institut für Nationales Gedenken). Den Hinweis auf die Sammlung in PoznaĔ verdanke ich Prof. Karol Sauerland. Das erste Mal war ich 998 im dortigen Archiv. Noch 98 schrieb Schormann, dass an den bundesdeutschen Universitäten die Hexenprozesse kein Gegenstand intensiver Forschung sind, dass sie in Schulbüchern nicht erwähnt werden. Vgl. G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 986, S. 5.

EINLEITUNG

Obwohl der H-Sonderauftrag, der wegen seiner institutionalisierten Form besonders auffällt,7 nur einen Teil des Interesses der Nationalsozialisten an den Hexenprozessen repräsentiert, scheint es sinnvoll, die Untersuchung der ideologischen Vereinnahmung dieser Prozesse durch das NS-Regime mit der Analyse dieses Forschungsauftrags zu beginnen. Seine politische Verortung lässt die weltanschaulichen Aspekte des Interesses am Hexen-Thema besonders klar hervortreten. Nach der Erläuterung des methodischen Vorgehens im ersten Kapitel, wird im zweiten Kapitel anhand der im Rahmen des H-Sonderauftrags entstandenen Texte demonstriert, wie die Geschichtsforschung und das kollektive Gedächtnis für ideologische Zwecke eingesetzt wurden. Die Sprünge und Machtkämpfe in der nur scheinbar einheitlichen Ideologie des Nationalsozialismus kommen im Umgang mit den Hexenprozessen krass zum Vorschein. Die Analyse der Ziele des Archivs des H-Sonderauftrags, das aus den Dokumenten vieler Archive zusammengestellt wurde, verdeutlicht die politische Seite des Archivierens und der Verwaltung von „Gedächtnisreservoires“ und zeigt die Mechanismen von Erinnerungspolitik auf. Die nationalsozialistischen Ideologen waren nicht die ersten, die das propagandistische Potential der Hexenprozesse entdeckt haben. Das dritte Kapitel stellt einige Interpretationsweisen in der Geschichtsschreibung über die Hexenprozesse vor und gewährt einen Einblick in deren bewusste und unbewusste Instrumentalisierung durch drei Autoren, auf die sich die meisten nationalsozialistischen Hexenforscher berufen haben. Jakob Grimm, Gottlieb Soldan und Joseph Hansen. Dieser Rückblick verdeutlicht einige sich regelmäßig wiederholende Tendenzen im Umgang mit diesem Thema und demonstriert, wie sich die politische Situation, die Haltung der Schreibenden und die vorherrschende Geschichtsauffassung der Zeit darin spiegeln. Die Hexenprozesse wurden in politischen Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP sowie zwischen der Kirche und der nationalsozialistischen Diktatur ausgespielt. Der Auslöser dafür war das Buch von Alfred Rosenberg Der Mythus des 20. Jahrhunderts (930). Rosenbergs „historische“ und „propagandistische“ Sicht auf die Hexenprozesse bildet das Thema des vierten Kapitels der vorliegenden Arbeit. Im fünften Kapitel geht es dann um die stürmischen Reaktionen der Kirche auf Rosenbergs Thesen. Zur Diskussion stand dabei vor allem die Rolle 7

Obwohl der offizielle Name der Forschungseinheit „Hexen-Sonderauftrag“ war, ist auch die Bezeichnung „Hexensonderkommando“ im Umlauf, die in einem Bericht von einem der Mitarbeiter benutzt wurde (vgl. J. Rudolph, „Geheime Reichskommando – Sache!“ Hexenjäger im Schwarzen Orden, a.a.O., S. 49). Sie trifft den unheimlichen, obskuren Charakter dieser Einheit noch besser und markiert noch eindeutiger ihre politische Natur als eine der SS-Einheiten, die für besondere Aufgaben zusammengestellt wurden. 11

HEXEN UND GERMANEN

des Christentums in der Geschichte der Menschheit und insbesondere des deutschen Volkes. In diesem Zusammenhang tauchte das Thema der Hexenverfolgungen auf. Es stellte sich schnell heraus, dass es Rosenberg an wissenschaftlichen Argumenten fehlte, die er gegen die Vertreter der Kirche hätte vorbringen können. Während Himmler, inspiriert durch diese Debatte, den H-Sonderauftrag als Institution zur Erforschung und propagandistischen Verwertung des Themas gründete, holte sich Rosenberg Philosophen, Historiker und Journalisten zu Hilfe, von denen er sich wissenschaftliche Unterstützung für seine Theorien erhoffte. Die Analyse dieser „Verteidigungsstrategie“ bildet den Schwerpunkt dieses Kapitels. Das sechste Kapitel ist einer Auseinandersetzung zwischen zwei Wissenschaftlern gewidmet, die sich zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekannten und von denen in der Hexen-Debatte der erste, Otto Höfler, von Himmler, der andere, Bernhard Kummer, von Rosenberg favorisiert wurde. Die in den vorherigen Kapiteln aufgezeigten Widersprüche der nationalsozialistischen Ideologie und die verschwommenen Grenzen zwischen den einzelnen Gruppierungen, die am Hexen-Thema deutlich wurden, kommen hier besonders stark zum Ausdruck. Heinrich Himmler (900 - 945) und Alfred Rosenberg (893 - 946), zwei Politiker, die für sich in Anspruch nahmen, das ideologische Profil des Dritten Reiches zu prägen und es mit Rückgriff auf die Geschichte zu legitimieren, waren die wichtigsten politischen Akteure der nationalsozialistischen Hexen-Diskussion. Inwieweit sie dieses Thema gezielt gewählt haben, inwieweit es sich aus dem Zusammenhang der damaligen ideologischen Auseinandersetzungen und aus der Tradition des Hexen-Diskurses ergeben hat, und in welchem Maße sie überhaupt die Kontrolle darüber ausüben konnten, steht zur Diskussion. Auf jeden Fall gaben sie Anstoß für die Debatten und diverse Publikationen: In ihrer Einstellung zum Hexen-Thema spiegelte sich das Bestreben, das „neue deutsche Wesen“ zu definieren, von dem sie allerdings in mehrerer Hinsicht unterschiedliche Auffassungen vertraten. Die Unterschiede im Wirkungsbereich und im Vorgehen der beiden Ideologen – Himmlers Neigung zur praktischen Verwertung der Ideen und Rosenbergs Ambitionen, sich im akademischen Diskurs zu profilieren, haben den Hexen-Diskurs im Dritten Reich maßgeblich beeinflusst. Auf die umfangreiche Literatur über Himmler und Rosenberg wird in der Bibliographie verwiesen. An dieser Stelle sollen nur einige biographische Fakten und weltanschauliche Entwicklungen herausgestellt werden, die ihre Positionen in den Hexen-Debatten der 930er Jahre beeinflusst haben. Heinrich Himmlers unerfüllter Lebenstraum war eine militärische Laufbahn. Nach einigen gescheiterten Versuchen, einen Offiziersgrad zu erlangen, begann er ein Landwirtschaftsstudium in München. Damit lässt sich wohl seine Neigung erklären, in politischen Reden und Programmen häufig auf den 12

EINLEITUNG

Wortschatz des im ländlichen Raum damals verbreiteten „Zuchtjargons“ zurückzugreifen. Seinen militärischen Ehrgeiz lebte er als Mitglied eines paramilitärischen Freikorps und der Artamanen aus.8 Die weltanschauliche Grundhaltung der Artamanen, die sich schon in ihrem Namen auf den angeblichen Gott der Arier, Artam, beriefen, bildete sicher eine Quellen, die Himmlers spätere Versuche inspiriert haben, den neuen deutschen Staat unter Berufung auf die alte germanische Geschichte und Kultur zu legitimieren und eine spezifisch germanische Religiosität zu rekonstruieren. Auch Himmlers spätere „bäuerliche“ Abneigung gegen das „ungesunde“ Stadtleben, die Propagierung von „Gesundheit“ und „natürlicher Lebensweise“ auf dem Lande lassen sich leicht auf das Programm dieses Vereins zurückführen. Dessen Name signalisierte zudem ein Bekenntnis zu den Männerbünden: er wurde auch als eine Zusammensetzung aus den althochdeutschen Wörtern „art“ (Ackerbau) und „manen“ (Männer) gedeutet. Das erinnert an Himmlers Ideal der wehrhaften bäuerlichen Männerbünde und an seinen „Männerorden“ – die SS. Die Blut- und Boden-Ideologie der Artamanen, die Richard Walter Darré später zu einem der zentralen Begriffe der Naziideologie erhob,9 bildete zugleich eine ideologische Untermauerung seines Antisemitismus. Darré, der im Dritten Reich Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft war, wurde von Himmler zum Chef des „Rasse- und Siedlungshauptamtes SS“ berufen. Darré behauptete, im Gegensatz zum nomadischen Judentum sei die nordische Rasse der wahre Schöpfer der europäischen Kultur, der deutsche Bauer die Triebfeder der Geschichte. Er verkörpere das Wesen des Deutschtums und sei der einzige Hüter der Einheit der Deutschen.0 Der Jude dagegen erscheint in Darrés Schriften als Symbol der korrupten Stadt schlechthin. Weil die Juden nicht um ein eigenes Land kämpften, sondern in Gastländern „parasitär“ lebten, könnten sie nie „gesunden“. Vielmehr zerstörten sie noch die Kultur des Gastlandes. Mit „Bauer“ und „Jude“ wurden angeblich unversöhnliche ideologische Gegensätze gezeichnet, das Verbot der Rassenmischung wurde zur Bedingung der Erhaltung einer Kultur erhoben. Himmlers Deutung des deutschen „Kulturverfalls“ als Folge der Verschwö8 9

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Vgl.: M. H. Kater, Die Artamanen – Völkische Jugend in der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift (23) 97, S. 576-638. Dieses Begriffspaar hat eine längere Geschichte. Zu den wichtigsten Werken des 20. Jahrhunderts, in denen es eine Rolle spielte, gehören: Der Untergang des Abendlandes (922) von Oswald Spengler, Befreiung (926) und Das Reich als Republik (928) von August Winnig. Für die Bedürfnisse des Nationalsozialismus wurde die Blut- und Boden-Ideologie von Walther Darré ausgearbeitet. Vgl.: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im III Reich, Paderborn 998. Unter anderem in: W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse, München 928; ders., Um Blut und Boden, München 929; ders., Neuadel aus Blut und Boden, München 930. 13

HEXEN UND GERMANEN

rung der Juden und des Niedergangs der biologischen Substanz – des Blutes – hatte ihr Fundament in dieser Darréschen Denkweise. Himmlers Karriere bei den Nationalsozialisten verlief steil: 923 beteiligte er sich am Hitler-Putsch, 929 wurde er an die Spitze der Schutzstaffel berufen und zum Reichsführer ernannt. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges besaß er die größte reale Macht unter Hitlers Mitarbeitern: er war Chef der SS und der Polizei, Reichsinnenminister, Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Chef der Heeresrüstung und Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums. Ihm oblag die Zuständigkeit für die rassenideologisch motivierte Umsiedlungs- und Verfolgungspolitik in den besetzten Gebieten. Himmlers Weltanschauung ist nur in beschränktem Maße und fragmentarisch in eigenen Schriften dokumentiert. Man muss sie aus seinen Reden, die vor gezielt ausgewähltem Publikum gehalten wurden, aus Briefen sowie Programmen der von ihm geschaffenen Institutionen rekonstruieren.  Sein Einfluss auf die Ideologie des Dritten Reiches ist jedoch nicht zu unterschätzen. Die Machtfülle, über die Himmler verfügte, gab ihm fast uneingeschränkte Möglichkeiten, seine Ideen zu verwirklichen, sie direkt „ins Leben zu schreiben“. Er war der „Züchter der deutschen Rasse“, ein Praktiker. Die Schrift war dagegen die Waffe von Alfred Rosenberg. Rosenberg absolvierte zunächst ein Ingenieurstudium in Riga und studierte dann in Riga und Moskau Architektur. Nach 98 reiste er nach Paris und schließlich ließ er sich in Deutschland nieder. Hier bewegte er sich in radikal antibolschewistischen Zirkeln russischer Emigranten und trat alsbald der Thule-Gesellschaft bei, einem völkischen, rassistischen, arischen Geheimbund, dem u. a. auch Rudolph Hess und Hans Frank angehörten.2 Diese Gesellschaft war nach der mythischen Insel Thule benannt, die unter den alten Griechen als das nördlichste Land galt, weshalb dieser Name für Anhänger des nordischen Kultes  2

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Vgl.: H. Heiber, Reichsführer! Briefe an und von Himmler, Stuttgart 968; Heinrich Himmler, Geheimreden 933 bis 945 und andere Ansprachen, Frankfurt/M 974. Die Thule-Gesellschaft wurde im November 98 gegründet. „Der Name der Thule-Gesellschaft leitet sich her von der sagenhaften Thule, einer nordischen Entsprechung der untergegangenen Kultur von Atlantis. Ein Geschlecht von riesenhaften Übermenschen soll auf Thule gelebt haben. Sie standen nach der Meinung ihrer modernen Bewunderer durch magische Kräfte mit dem Kosmos in Verbindung. Sie verfügten über psychische und technische Energien, die weit über den technischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gelegen haben sollen. Ein Teil ihres Wissens sei nach Tibet gelangt, wohin sich einige dieser Übermenschen nach dem Untergang ihrer Kultur retten konnten. Dieses Wissen sei nun, nachdem Deutschland am Rande seines Untergangs stehe, zur Rettung des Vaterlandes und zur Entstehung einer neuen Rasse von nordischarischen Atlantiern bestimmt. Ein neuer Messias werde kommen, der das deutsche Volk zu dieser seiner wahren Bestimmung führen werde“. P. Orzechowski, „Schwarze Magie – Braune Macht“, Ravensburg, 988, S. 37.

EINLEITUNG

eine mystische Bedeutung hatte. Sie war faktisch eine Keimzelle des Dritten Reiches und versuchte über die Deutsche Arbeiterpartei, die Vorgängerin der NSDAP, auch in der Arbeiterschaft an Einfluss zu gewinnen. Ihr Antikommunismus, Antisemitismus, Antichristentum und ihre Ariosophie prägten alle von Rosenberg entwickelten politischen und geschichtlichen Theorien.3 Als Architekt hat Rosenberg nie gearbeitet, er benutzte aber in seinen ideologischen Texten Begriffe aus dem Gebiet der Architektur, als ob er mit seinen Ideen zuerst die nationalsozialistische Weltanschauung und dann die Welt architektonisch gestalten wollte. Seine frühen Schriften, die Russisch-jüdische Revolution, die dem „jüdischen Charakter des Bolschewismus gewidmet“ war und in Dietrich Eckarts antisemitischer Zeitschrift „Auf gut Deutsch” erschien, sowie die von ihm herausgegebenen Protokolle der Weisen von Zion sollen Hitler wesentlich beeinflusst haben.4 In Hinsicht auf die Machtposition und die Bedeutung seiner bmter konnte sich Rosenberg mit Himmler nicht messen. Auffällig ist jedoch, dass seine bmter fast immer darauf zugeschnitten waren, Ideologie zu formen bzw. zu überwachen. 92 wurde er Chefredaktor des NSDAP-Organs „Völkischer Beobachter“. 927 beauftragte Hitler ihn mit der Gründung eines nationalsozialistischen Kulturverbandes. Seit 933 war er Reichsleiter der NSDAP (direkt Hitler unterordnet) und Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP. 934 wurde er zum Beauftragten „des Führers“ für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP (kurz: Amt Rosenberg) ernannt, 94 zum Reichsminister für die besetzten Reichsgebiete. Rosenberg galt unter den Nazis wegen seiner baltischen Herkunft und seiner Intellektuellen-Arroganz als ein Outsider und „Fremder“. Goebbels wird die sarkastische Bezeichnung „fast Rosenberg“ für einen Menschen zugeschrieben, der fast ein Wissenschaftler, fast ein Politiker und fast ein Journalist ist. Die Historiker sind sich darin einig, dass Rosenbergs praktischer Wirkungsbereich im Gegensatz zu dem Himmlers eher eng bemessen war, fast überraschend klein angesichts seiner Aktivität als Redner und Autor. Gleichwohl erkennen ihm die meisten NS-Forscher schon wegen der Zahl, der hohen Auflagen und der gezielten Propagierung seiner Publikationen einen signifikanten Einfluss auf die Weltwahrnehmung eines Teils der deutschen Gesellschaft zu.5

3 4 5

Vgl.: R. Bollmus, Alfred Rosenberg – Chefideologe des Nationalismus?, in: Die braune Elite. 22 biographische Skizzen, Hrsg.: R. Smelser, R. Zitelmann, Darmstadt 994. Vgl.: R. Bollmus, Alfred Rosenberg. “Chefideologe“ des Nationalsozialismus?, a.a.O. Vgl.: F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O. 15

HEXEN UND GERMANEN

Hitler verhielt sich gegenüber Himmler und Rosenberg oft skeptisch, insbesondere, wenn es um ihre Ideen zur deutschen Religiosität und zur Rekultivierung der germanischen Vergangenheit ging. Er war sich bewusst, dass er eine Religion nicht angreifen darf, der die Mehrheit der Bevölkerung anhängt: „Dem politischen Führer haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes immer unantastbar zu sein, sonst darf er kein Politiker sein, sondern soll Reformator werden, wenn er das Zeug hierzu besitzt! Eine andere Haltung würde vor allem in Deutschland zu einer Katastrophe führen!“6

Auf der Kulturtagung des Reichsparteitages von 938 erklärte er: „Der Nationalsozialismus ist eine kühle Wirklichkeitslehre schärfster wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer gedanklichen Ausprägung. Indem wir für diese Lehre das Herz unseres Volkes erschlossen haben und erschließen, wünschen wir nicht, es mit einem Mystizismus zu erfüllen, der außerhalb des Zweckes und Zieles unserer Lehre liegt. Vor allem ist der Nationalsozialismus in seiner Organisation wohl eine Volksbewegung, aber unter keinen Umständen eine kultische Bewegung. – Wir haben daher auch keine Kultplätze, sondern Versammlungs- und Aufmarschplätze. Wir haben keine Kultheime, sondern Sportarenen und Spielwiesen. Und das Charakteristikum unserer Versammlungsräume ist nicht das mystische Dunkel, einer Kultstätte, sondern die Helligkeit und das Licht eines ebenso schönen wie zweckmäßigen Saal- oder Hallenbaues“.7

Das ist nur eine der Aussagen, in denen Hitler sich indirekt gegen Himmlers und Rosenbergs Ideen richtet. Er verwahrte sich dagegen, „in äffischer Weise kultisch eine Religion nachzuahmen“8 oder „den Nationalsozialismus mit dem mystischen Dunkel geheimnisvollen Ahnens oder okkulter Handlungen zu drapieren“.9 Speer berichtet, Hitler habe einmal bezüglich Himmler gesagt: „Welcher Unsinn! Jetzt sind wir endlich so weit, in eine Zeit zu kommen, die alle Mystik hinter sich gelassen hat, und nun fängt der wieder von vorne an. Da könnten wir auch gleich bei der Kirche bleiben. Die hat wenigstens Tradition. Der Gedanke,

6 A. Hitler, Mein Kampf, München 936, S. 27. 7 A. Hitler, Rede auf der Kulturtagung des Reichsparteitages von 938, in: Mitteilungsblatt der Reichskammer der bildenden Künste, H. 0, 938, S. 4. 8 A. Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 94-944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. Hrsg. von Werner Jochmann, Hamburg 980, S. 67. 9 A. Hitler, Reden und Proklamationen 932-945. Hrsg. von Max Domarus, Wiesbaden 962/63, S. 893f. 16

EINLEITUNG

dass ich einmal zum SS-Heiligen gemacht werde! Stellen Sie sich vor! Ich würde mich im Grabe umdrehen!“.20

Diese Skepsis charakterisiert jedoch nur eine Seite der Einstellung Hitlers zu Religiosität und zur Rolle kultischer Formen in der Politik.2 Auf der anderen Seite nannte er Himmler seinen „Ignatius von Loyola“22 und billigte Rosenberg die Position des „Parteidogmatikers“ zu. Auch wenn er nicht alle ihre Ideen akzeptierte, sah er wohl die Bedeutung beider für den Aufbau der nationalsozialistischen Gemeinschaft. Die Größe einer Bewegung liegt Hitlers Meinung zufolge „im religiösen Fanatismus, in dem sie sich unduldsam gegen alles andere [...] durchsetzt“.23 Seine Hochschätzung kultischer Symbole, seine Ablehnung des Atheismus und die Überzeugung, dass die Partei die Funktion, die Gesellschaft zu organisieren, zu disziplinieren und Identität zu stiften, monopolisieren muss, trugen maßgeblich zur Festigung der politischen Einflusspositionen Rosenbergs und Himmlers bei. Hitler sprach oft von seiner „göttlichen Mission“, er war überzeugt davon, dass man in die Glaubenswelt der Massen eindringen muss, um sie zu gewinnen, weil der Glaube schwerer zu erschüttern sei als das Wissen.24 Hermann Rauschning führt folgende Aussage von Hitler über die Freimaurer an, die die Partei als „Herrscherin über die Seelen“ bestimmt, also de facto die Übertragung der Funktionen der Kirche auf die Partei postuliert: „Sie [die Freimaurer] bilden eine Art Priesteradel [...] Der hierarchische Aufbau und die Erziehung durch Symbole und Riten, das heißt ohne den Verstand zu behelligen, sondern durch Befruchtung der Phantasie, durch magische Einwirkung von kultischen Symbolen: das ist das Gefährliche und Grosse und von mir Übernommene. Sehen Sie nicht, dass unsere Partei etwas ganz bhnliches sein muss? [...] Aber das bedeutet, dass es nicht etwas bhnliches von anderer Seite geben darf. Entweder wir oder die Freimaurer oder die Kirche“.25

20 2

22 23 24 25

A. Speer, Erinnerungen, Berlin 969, S.08. Zu Hitlers Haltung zu Religion vgl.: F. Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität, München 968; Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt/M 973; M. Ach, C. Pentrop Hitlers „Religion“: pseudoreligiöse Elemente im nationalsozialistischen Sprachgebrauch, München 200; M. Neugebauer-Wölk, Esoterik und Neuzeit. Überlegungen zur historischen Tiefenstruktur religiösen Denkens im Nationalsozialismus, zeitenblicke 5 (2006), Nr. , URL: http://www.zeitenblicke. de/2006//Neugebauerwoelk/index_html (8.09.2007). A. Hitler, Monologe, 03/04.0.942, S. 69, zit. nach: W. Dierker, Himmlers Glaubenskrieger, Paderborn 2002, S. 27. A. Hitler, Mein Kampf, München 939, S. 385. Vgl.: ebenda, S. 46. H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, New York 940, S. 226 f. 17

HEXEN UND GERMANEN

In den Hexen-Diskussionen im Dritten Reich kommen u. a. politische Strategien zum Vorschein, die dem Nationalsozialismus zu diesem Ziel verhelfen sollten. Die Eingrenzung der vorliegenden Arbeit auf den Umgang männlicher Autoren mit den Hexenverfolgungen hängt mit der geringen Bedeutung von Frauen in der ideologischen Aushandlung der Werte der nationalsozialistischen Gemeinschaft zusammen, die im Gegensatz zu der wichtigen Rolle stand, die der Frau für die Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft zugeschrieben wurde. Die Rezeption der Hexenprozesse durch nationalsozialistisch gesinnte Frauen wäre ein Thema für eine gesonderte Abhandlung.26 Die Fachliteratur zum Interesse der Nationalsozialisten an den Hexenprozessen ist nicht sehr umfangreich. Eine indirekte Information über die Bildung des H-Sonderauftrags findet man in Michael H. Katers Buch über das „Ahnenerbe“: als Beleg für die von Himmler selbst überwachte Kompetenzverteilung führt Kater Himmlers Befehl an, das „Ahnenerbe“ solle sich nicht mehr mit den Hexenwesen abgeben. In einer Anmerkung weist Kater auf einen Brief hin, in welchem Himmler seine Entscheidung mitteilt, dem H-Sonderauftrag die ausschließliche Zuständigkeit für das Hexen-Thema zuzuweisen. Kater kommentiert das kurz: „Der Grund für Himmlers Verhalten ist nicht ohne weiteres einzusehen. Wahrscheinlich erblickte er im Hexenwesen, ähnlich wie im Freimaurer- und Judentum, ein Politikum höchstens Ranges“.27

26

27 18

Eine solche Arbeit müsste untersuchen, wie die Weiblichkeits- und Geschlechterrollenvorstellungen der NS-Ideologinnen, die sich trotz ihrer Bereitschaft, den Nationalsozialismus mit aufzubauen, von denen der männlichen Kollegen unterschieden, in ihrer Version der Hexengeschichte zur Geltung kamen. In diesem Zusammenhang wäre auch zu prüfen, ob sich die Hexengeschichte der nationalsozialistischen Feministinnen von der Version der stärker traditionell gesinnten Frauen aus dem Umkreis der Deutschen Glaubensbewegung um Bernhard Kummer unterscheidet. Das Thema wurde von Barbara Schier angesprochen: Schier präsentiert Texte von Mathilde Ludendorff und Friederike Müller-Reimerdes (B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O., S. 5862). Ich weise in der vorliegenden Arbeit auf Sophie Rogge-Börner hin. Anhand der Frauenzeitschriften sollte sich das unter den Frauen im Dritten Reich vorherrschende Bild von Weiblichkeit rekonstruieren und prüfen lassen, inwieweit die Frauen selbst den mythologischen Schleier reproduzierten, der sie gefangen hielt. Auch ein Vergleich mit den Hexen-Interpretationen der gegenwärtigen feministischen Bewegung wäre eine Untersuchung wert, um die Bedeutung der Mythologisierungen für die Ideologisierungen in dieser Bewegung zu erkunden. M.H. Kater, Das Ahnenerbe der SS 935-945, Stuttgart 974, S.350, Anmerkung 387.

EINLEITUNG

Von Gerhard Schormann stammt die erste Beschreibung des Archivs des Hexen-Sonderauftrags. In einem achtseitigen Kapitel am Anfang seines Buches Hexenprozess in Deutschland behandelt er die Berufung des HexenSonderkommandos und gibt die Suche nach altgermanischen Traditionen sowie antikirchliche Propaganda als dessen Ziele an. Schormann verweist auf eine lange Tradition eines solchen Umgangs mit dem Hexen-Thema und thematisiert den Wert der Sammlung des H-Sonderauftrags für die Hexenprozessforschung.28 Die erste größere und bislang ausführlichste Publikation zu diesem Thema, Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung,29 stammt aus dem Jahr 999. Es ist ein Sammelband mit den Beiträgen zu einer Konferenz des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung,30 die im März 988 an der Akademie der Diözese RottenburgStuttgart stattfand. Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen. Die Beiträge sind ein Resultat gründlicher Archivarbeit und repräsentieren vor allem geschichtliche und volkskundliche Perspektiven. Ihr Verdienst besteht in der Einführung dieses Themas in den interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs, in der Rekonstruktion von Fakten und deren Präsentation im Kontext des nationalsozialistischen Wissenschaftsbetriebes. Die Autoren selbst sind sich bewusst, dass sie erst den ersten, gleichwohl sehr wichtigen Schritt in der Erforschung dieses Themas getan und eine wertvolle Grundlage für weitere Diskussionen und Interpretationen erarbeitet haben. Die Textsammlung bietet u.a. eine Übersicht über die Hexenwahninterpretationen im Dritten Reich, die von Barbara Schier verfasst wurde. Die Au28 29 30

G. Schormann, Hexenprozess in Deutschland, Göttingen 986. Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, hrsg. S. Lorenz, Bielefeld 999. Über die Beiträge dieser Konferenz hat Dieter Harmening berichtet: D. Harmening, Himmlers Hexenkartei. Ein Lagebericht zu ihrer Erforschung, in: Jahrbuch für Volkskunde, Würzburg, 989, S.99-2. Vgl. auch: http:// www.uni-tuebingen.de/IfGL/akih/akih.htm. Die Seite des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung bietet eine internationale Diskussionsplattform für die Hexenprozessforschung: „Im wesentlichen bezieht sich die Arbeit des AKIH zunächst auf die abendländischen Hexenverfolgungen des 5. bis 8. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der AKIH aber auch ganz allgemein mit Magie- und Hexenvorstellungen in Mittelalter und Früher Neuzeit sowie mit deren gesellschaftlicher Funktion bis hin zur Gegenwart“. Der AKIH ist eng verbunden mit dem Projekt Hexenforschung auf dem Server für die frühe Neuzeit, der vom Institut für Neuere Geschichte der LudwigMaximilians-Universität München und der Bayerischen Staatsbibliothek betrieben wird (http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/). Dort findet man nicht nur Beiträge zur Geschichte der Hexenverfolgungen, sondern auch zur Rezeption dieses Themas in der Forschung und im kollektiven Bewusstsein. 19

HEXEN UND GERMANEN

torin thematisiert die Rolle, die das Thema Hexenverfolgung im Weltanschauungskampf im Dritten Reich spielte, befasst sich mit den Autoren, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, sowie mit den Erwartungen und Folgen, die sich mit verschiedenen Interpretationen verbanden. Sie konzentriert sich auf die Rolle, die die Arbeiten und ihre Verfasser innerhalb des zeitpolitischen Milieus spielten, und kommt zu dem Schluss, dass in den Hexenprozessinterpretationen jener Zeit keine einheitliche weltanschauliche Linie auszumachen ist. Schiers Arbeit repräsentiert den ersten Versuch, die Hexen-Diskussion der nationalsozialistischen bra zusammenzufassen und politisch und ideologisch zu verorten. Der Beitrag thematisiert den Kirchenkampfcharakter dieser Debatte, stellt die Nähe der nationalsozialistischen Forscher zur völkischen Ideologie heraus, und weist auf die Kristallisierung der politischen Positionen der Teilnehmer, auf die Verschärfung der ideologischen Gegensätze während dieser Debatten hin. Die Schriften der Autoren, die Schier behandelt, werden auch in dem vorliegenden Band analysiert. Im Unterschied zu Schier wird hier jedoch der Hexen-Diskurs im Dritten Reich in seinen Verschränkungen mit anderen Diskursen untersucht, was es ermöglicht, nicht nur seine Instrumentalisierung, sondern auch die Dynamik, die er selbst in Gang gesetzt hat und die für die Machthaber oft unvorhersehbar war, herauszuarbeiten. Wolfgang Brückner stellt den Konkurrenzkampf um die Gestaltung des Germanenbildes zwischen Rosenberg und Himmler vor dem Hintergrund verschiedener, teils rivalisierender Strömungen in der nationalsozialistischen Volkskunde dar. Er weist auf deren Verbindungen mit zwei älteren Wiener mythologischen Schulen hin und vor allem auf „die relative Systemlosigkeit dieser weltanschaulichen Bewegung mit Namen NSDAP“ mit all ihren konkurrierenden, verzwickten Organisationsformen.3 Klaus Graf berichtet über Arnold Ruge und seine im Auftrag von Himmler geschriebene antikirchliche Schrift über die Hexenverfolgungen, die einige wichtige Muster der völkischen Interpretation der Prozesse enthält. Mit diesem Text leistet er einen Beitrag zur Genese des H-Sonderauftrags. Der Gründung und der Struktur des H-Sonderauftrags ging Jörg Rudolf in den Archiven nach. Er rekonstruiert die Biografien der Mitarbeiter und deren Forschungsmethoden, beschreibt den Ertrag des Sonderauftrags und versucht, ihn in den damaligen weltanschaulichen Debatten und politischen Abhängigkeiten zu verorten. Jürgen Matthäus und Wolfgang Behringer untersuchen die Stellung der Mitarbeiter des H-Sonderauftrags im Kontext des nationalsozialistischen Wissenschaftsbetriebes. Während Matthäus die Bemühungen der SS-Hexenforscher schildert, Anerkennung in der universitären Welt zu finden, beschreibt Behringer die

3 20

W. Behringer, Hauptströmungen nationalsozialistischer Volkskunde-Arbeit, in: Himmlers Hexenkatothek, a.a.O., S. 23.

EINLEITUNG

SS-Karriere des Universitätsprofessors Günther Franz. Beide liefern einen Beitrag zur deutschen Debatte über die Verwicklung der Geisteswissenschaften in den Nationalsozialismus. Gerhard Schormann und Hans Sebald evaluieren die Arbeitsergebnisse des H-Sonderauftrags in Bezug auf deren Wert für die Hexenforschung und zeigen Quellen vieler methodologischer Fehler auf. Beide bemängeln das Chaos in den Formularen, deren Unvollständigkeit, die Unentschlossenheit bei der Bestimmung der Kriterien für die Definition und Aufnahme in die Kartothek der Hexenprozessopfer, erwägen jedoch die Möglichkeit, die Sammlung für statistische Zwecke zu nutzen. Sebald überprüft das am Beispiel der Bamberger Prozesse. Walter Rummel vergleicht die Forschungsresultate des H-Sonderauftrags mit den Ergebnissen seiner eigenen Analyse der Akten der kurtrierischen Prozesse. Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse des H-Sonderauftrags wissenschaftlich nicht brauchbar seien, es sei denn, als Hilfsmittel, um zu apokryphen Quellen und älteren Literaturstellen vorzudringen bzw. eigene Archivarbeiten zu überprüfen. Seine Überlegungen, wie sich aus dieser Sammlung politisches Kapital für die Nationalsozialisten schlagen ließ, waren für die hier vorliegende Arbeit, die den propagandistischen Aspekt der Aktivitäten des H-Sonderauftrag herausstellt, sehr instruktiv. Rummels Analyse der komplizierten „Arbeitsbedingungen“ in der katholischen Region um Trier, Köln und Aachen verdeutlicht den politischen Charakter der NS-Hexenforschung. In Polen liegen bislang keine wissenschaftlichen Arbeiten zum H-Sonderauftrag vor. Der erste Autor, der sich mit diesem Thema befasst hat, ist der Essayist Michaá Komar. In seinem Buch ProĞba o dobrą Ğmierü (Die Bitte um einen guten Tod/ 993)32 verwendet er Himmlers Auftrag und die Arbeit eines Mitarbeiters des „Ahnenerbes“ als eine stilistische Figur, als den Ausgangspunkt für allgemeine Überlegungen zu Macht und Gewalt. Seit einigen Jahren wird der H-Sonderauftrag im Internet thematisiert, vor allem in den Foren polnischer Nachwuchshistoriker, jedoch eher als ein Kuriosum denn als seriöses Forschungsthema. 2004 veröffentlichte àukasz Orlicki den Artikel Nazistowskie archiwum X. àowcy czarownic (Das ationalsozialistische Archiv X. Die Hexenjäger).33 Er berichtet über die Entstehung des H-Sonderauftrags und dessen Position in den SS-Strukturen. Als Ziel der Hexenforschung nennt er, ähnlich wie Schormann, die Vorbereitung einer antikirchlichen Offensive und die Suche nach den Spuren der altgermanischen Kultur. Im selben Jahr entstand im Stadtarchiv von PoznaĔ eine Beschreibung und Bewertung der Hexenkartothek.34 Ihr Autor, Maciej Zdunek, verfasste 32 33 34

M. Komar, ProĞba o dobrą Ğmierü, Warszawa 993. à. Orlicki, Nazistowskie archiwum X, a.a.O. M. Zdunek, Kartoteka procesów o czary: dzieje, zawartoĞü i moĪliwoĞci wykorzystania, Refarat gehalten am 8.09.2005 auf einer wissenschaftlichen Sitzung in Archiwum PaĔstwowe in PoznaĔ. 21

HEXEN UND GERMANEN

auch eine kurze Charakteristik des H-Sonderauftrags als Begleittext für einige im Internet veröffentlichte Dokumente aus der Hexenkartothek. Die Arbeit entstand im Kontext eines Projektes der Direktion der polnischen Staatsarchive, im Rahmen dessen die wertvollsten Archivdokumente des H-Sonderauftrags im Internet publiziert wurden.35 Die Schwerpunkte der bisherigen Arbeiten zum Interesse der Nationalsozialisten an den Hexenprozessen bilden die faktographische Erforschung dieses Phänomens, die Rekonstruktion der Debatten, die Einordnung der bekannten Dokumente und erste Überlegungen zur ideologische Bedeutung dieses Themas für den Nationalsozialismus. Die Historiker versuchten, die Sammlung in Hinsicht auf ihre Validität und ihren Nutzen für die Hexenprozessforschung zu bewerten, die Archive wurden gesichtet, die HexenprozessDiskussionen in den politischen Strukturen des Dritten Reiches verortet. In der vorliegenden Arbeit werden dagegen nicht nur die Ziele und Verfahren der Instrumentalisierung der Hexenprozesse durch die nationalsozialistischen Machthaber untersucht, sondern auch analysiert, wie sich die Macht des Hexen-Diskurses auf die ideologischen Texte selbst ausgewirkt hat und welche Faktoren die Versuche, sich dieses Diskurses zu bemächtigen, ermöglicht respektive erschwert haben. Die Institutionen, Strukturen und politischen Konstellationen werden nur beschrieben, insoweit sie zur Analyse ideologischer Strategien beitragen. Ansonsten wird auf entsprechende Literatur verwiesen. Die Hexen-Diskussionen im Dritten Reich werden im engen Zusammenhang mit zahlreichen Debatten über die Genese der Hexenprozesse behandelt, die zum Teil bis heute anhalten, aber schon einige Höhepunkte der ideologischen Instrumentalisierung hinter sich haben. In Deutschland wurden diese in der Zeit des Kulturkampfes und dann wieder in den 1930er Jahren besonders intensiv geführt. Es werden die Dokumente und Texte aus der Zeit des Nationalsozialismus analysiert und die politischen Strategien der Geschichtsdeutung herausgearbeitet. Es wird dargelegt, dass diese Strategien Bestandteile einer langen Diskurstradition darstellen und ihre Wurzeln nicht nur in den ideologischen Orientierungen der Autoren, sondern in verschiedenen Diskursen zu verfolgen sind, welche die Tradition der Interpretation der Hexenprozesse und der Wahrnehmung von Weiblichkeit und Religiosität ausmachen. Die Analysen erweisen sich als besonders lohnenswert, wenn sie Erkenntnisse erbringen, die zur Revision der Vorstellungen vom Nationalsozialismus als einer homogenen Ideologie beitragen.

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22

http://dziedzictwo.polska.pl/katalog/skarb,Wybrane_dokumenty_z_kartoteki_ procesow_o_czary_H-Sonderkommando_(komorka_SS)_z_roku_1942,gid, 177326,cid,181.htm (18.09.2007)

Methodologie

Im Zentrum dieser Arbeit steht die Textanalyse der Dokumente des H-Sonderauftrags sowie der Abhandlungen regimetreuer, oft politisch aktiver Geisteswissenschaftler des Dritten Reiches über Hexenprozesse und Zauberglauben. Die Reden und programmatischen Schriften Himmlers und die Arbeiten Rosenbergs, insbesondere dessen Buch Mythus des 20. Jahrhunderts, bilden einen Bezugspunkt für die Deutung aller anderen Texte, insofern beide Autoren die zentralen, mit politischer Macht ausgestatteten Figuren miteinander konkurrierender, aber in vieler Hinsicht verwandter Denkkollektive waren. Die zu analysierenden Texte werden als Diskursfragmente betrachtet, wobei unter „Diskurs“ eine „institutionell verfestigte Redeweise“ zu verstehen ist, „insofern eine solche Redeweise schon Handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon Macht ausübt“. Diese Definition schließt an den Diskursbegriff von Michel Foucault an, der Diskurs als die sprachliche Seite einer „diskursiven Praxis“ auffasst, die auch nichtsprachliche Aspekte einschließt. „Diskursive Praxis“ umfasst den gesamten Bereich der Wissensproduktion – Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und Wissensverarbeitung, Akteure und Regeln von Versprachlichung, Verschriftlichung und Medialisierung.2 Die „Macht der Diskurse“ beruht darauf, dass durch sie festgelegt wird, was zum einem bestimmten Zeitpunkt als sagbar gilt und wer was auf welche Weise aussprechen darf. Die Aufgabe einer Diskursanalyse besteht darin, die Funktionsweise des betreffenden Diskurses offen zu legen, seine Kopplung an Handlungen sowie die Strategien, mit denen das Feld des Sagbaren ausgeweitet oder eingeengt wird, aufzudecken.

 2

J. Link, Was ist und was bringt Diskurstaktik, in: kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskursanalyse 2, 983, S. 60. Vgl.: M. Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M 973. 23

HEXEN UND GERMANEN

Im Dritten Reich wurden die Hexenverfolgungen auf verschiedenen diskursiven Ebenen (Wissenschaft, Politik, Medien) thematisiert. In den analysierten Texten verschränkt sich der Hexen-Diskurs mit Diskursen über Geschlecht und Sexualität, Rasse, Volk, Wissenschaft und Religion. Jeder dieser Diskurse hat eine eigene Geschichte, die den Hexen-Diskurs mitbestimmt. Die Erforschung von Diskursen nennt Foucault „Archäologie“ des Wissens.3 Diese „Archäologie“ hilft, die Stärke und die Dichte der Verschränkungen der jeweils betrachteten Diskursstränge mit anderen aufzuzeigen, bnderungen, Brüche, das Versiegen oder die Wiederaufnahme bestimmter Diskurse nachzuvollziehen.4 Eine solche „Archäologie“ wird hier nur in dem Maße betrieben, wie sie einem besseren Verständnis des Forschungsgegenstandes dient. Sie ist jedoch nicht das Ziel dieser Arbeit. Die wiederholte Lektüre im hermeneutischen Zirkel bringt – wie bekannt – als wichtiges Thema zahlreiche Brüche hervor, die oft dort entstehen, wo sich verschiedene Diskursstränge miteinander verflechten und wo versucht wird, diese Verflechtungen zu verdrängen. Die Autoren der im Folgenden analysierten Texte, die von einem ideologischen Standort aus agieren und damit eine bestimmte Position vertreten,5 versuchen Macht über den HexenDiskurs zu erlangen und diesen zur Legitimation der nationalsozialistischen 3

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5

24

Vgl.: „Die Archäologie versucht, nicht die Gedanken, die Vorstellungen, die Bilder, die Themen, die Heimsuchungen zu definieren, die sich in den Diskursen verbergen oder manifestieren; sondern jene Diskurse selbst, jene Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Praktiken. Sie behandelt den Diskurs nicht als Dokument, als Zeichen für etwas anderes, als Element, das transparent sein müßte, aber dessen lästige Undurchsichtigkeit man oft durchqueren muß, um schließlich dort, wo sie zurückgehalten wird, die Tiefe des Wesentlichen zu erreichen; sie wendet sich an den Diskurs in seinem ihm eigenen Volumen als Monument. Es ist keine interpretative Disziplin, sie sucht nicht einen ‚anderen Diskurs’, der besser verborgen wäre. Sie wehrt sich dagegen, ‚allegorisch’ zu sein.“ (M. Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M 973, S.98). Als Diskursstränge bezeichnet Siegfried Jäger thematisch einheitliche Diskursverläufe, die eine synchrone und diachrone Dimension besitzen. Vgl.: S. Jäger, Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 999. Die Kategorie der Diskursposition, mit der ein spezifischer ideologischer Standort einer Person oder eines Mediums gemeint ist, erweist sich als sehr hilfreich. Margret Jäger definiert die Kategorie der Diskursposition wie folgt: „Unter einer Diskursposition verstehe ich den (ideologischen, M.J.) Ort, von dem aus eine Beteiligung am Diskurs und seine Bewertung für den Einzelnen und die Einzelne bzw. für Gruppen und Institutionen erfolgt. Sie produziert und reproduziert die besonderen diskursiven Verstrickungen, die sich aus den bisher durchlebten und aktuellen Lebenslagen der Diskursbeteiligten speisen. Die Diskursposition ist also das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse, denen das Individuum ausgesetzt war und die es im Verlauf seines Lebens zu einer bestimmten ideologischen bzw. weltanschaulichen Position [...] verarbeitet hat.“ (M. Jäger, Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs, Duisburg 996, S. 47).

METHODOLOGIE

Herrschaft einzusetzen. In den erwähnten Brüchen werden Instrumentalisierungsstrategien sichtbar. Die Textanalysen zeigen, wie in den strikt ideologischen Texten verschiedene Diskurse zur Geltung kommen und die Oberhand gewinnen: Auch wenn der politische Wille der Verfasser eine wichtige Rolle spielt, bringen ihre Texte oft etwas zu Tage, was sie nicht beabsichtigt haben. An den analysierten Textbeispielen werden Unstimmigkeiten und Widersprüche in ideologischen Konstruktionen sichtbar, die für das nationalsozialistische Bewusstsein konstitutiv waren und als „objektive Wirklichkeit“ präsentiert wurden. Die Erzählstrategien, die hier beschrieben werden, sollten einen wichtigen Beitrag zur (Re)Konstruktion der nationalen Identität leisten. Sie machen jedoch deutlich, dass weder diese Identität, noch die Ideologie, die dem neuen, nationalsozialistischen Bewusstsein zugrunde liegen sollte, homogen waren. Die in den Textanalysen herausgearbeiteten Probleme werden historisch verortet in einem Spannungsfeld von Machtkämpfen und ideologischen Rivalitäten innerhalb des NS-Herrschaftsgefüges und der Tradition des Diskurses über Hexen- und Germanentum. In der Analyse des Hexen-Diskurses im Dritten Reich kommt die nationalsozialistische Weltanschauung als eine Kompilation des gefühlsbetonten, trivialisierten Wissens zum Vorschein. Ludwik Flecks Gedanken zur Propaganda und seine Definition von Weltanschauung bilden einen Bezugspunkt für diese Deutung: „Anstelle des spezifischen Denkzwanges der Beweise, der erst in mühsamer Arbeit herauszufinden ist, entsteht durch Vereinfachung und Wertung ein anschauliches Bild. Der Gipfel, das Ziel populären Wissens ist die Weltanschauung, ein besonderes Gebilde gefühlsbetonter Auswahl populären Wissens verschiedener Gebiete entstammend“.6

Für die Analyse der „Mechanismen“, über die im Dritten Reich das „neue Wissen“ über Hexenprozesse als wissenschaftliche Tatsache konstituiert und mit Hilfe von Institutionen und Medien dazu eingesetzt wurde, die Politik und die Denkweisen der Gesellschaft mitzuorganisieren, erweist sich Flecks Theorie als ein instruktiver Ausgangspunkt. Fleck hat – mit Bezug auf wissenschaftliche Kollektive – Begriffe des Denkkollektivs, des Denkzwangs7 und des Denkstils, verstanden als eine gemeinschaftliche Tendenz zu selektiver Wahrnehmung und entsprechender geistiger und praktischer Verwendung des 6 7

L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Franfurt/M. 980, S. 50. Als Denkzwang bezeichnet Fleck Widerstand, der sich der freien Willkürlichkeit des Denkens entgegensetzt. Vgl.: L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, a.a.O., S. 30f. 25

HEXEN UND GERMANEN

Wahrgenommenen, ausgearbeitet. Hier wird jedoch auch auf Stellen in seinem Werk hingewiesen, an denen er suggeriert, dass diese Begriffe in einer trivialisierten Form auch für die Erklärung der Mechanismen politischer Propaganda geeignet sind, insbesondere der Funktionsweise propagandistischer Kollektive. Flecks Theorie erweist sich vor allem dann als hilfreich, wenn es darum geht, anhand des H-Sonderauftrags zu analysieren, wie eine neue historische und politische Wirklichkeit konstruiert wird. Dabei wird sichtbar, wie eine Ideologie als Wahrheit legitimiert und das Wissen über die Abhängigkeit der Erkenntnis von sozialen Mechanismen in der politischen Praxis verwendet wird. In diesem Zusammenhang wird hier Himmlers und Rosenbergs Wissenschaftsverständnis thematisiert und dessen Einbettung in die politischen Entwicklungen und Theorien ihrer Zeit untersucht. Folgende Aussage Rosenbergs ist in dieser Hinsicht entscheidend: „Der Mensch ist nicht fähig voraussetzungslos zu forschen. Auch der exakteste Wissenschaftler vermag es nicht; stets setzt er sich schon beim Beginn eines Versuchs ein Ziel, stets hat die Untersuchung einen Zweck. [...] Ohne richtunggebende Idee gibt es kein Suchen“.8

Die Art der Umsetzung dieser scheinbar modernen Auffassung der Wissenschaft im Dritten Reich erinnert an Flecks Warnung in Wissenschaft und Umwelt, einem Text, den er 939, nach der Gleichschaltung der Universitäten9 und vor der Reorganisation der Akademien im „Reichsverband der deutschen Akademien“, geschrieben hat und der ihn als einen aufmerksamen Zeitzeugen ausweist: „Die Tatsache der soziologischen, kollektiven Erkenntnisnatur hat man zuerst in die politische Parole des sozialen, klassenbedingten Wissens verwandelt, dann hat die konkurrierende politische Strömung den Geist des Volkes und der Rasse erschaffen, damit er Jahrhunderte hindurch den weltanschaulichen Mythos spinnt. Weil jedes Wissen von der Umwelt abhängig ist, müsse man den Prozess umdrehen: zur künstlich veränderten Umwelt müsse man ein entsprechendes Wissen schaffen. Es gebe ja sowieso keine objektive Wissenschaft! Man muss also schnell linke oder rechte, proletarische oder nationale Physik, Chemie usw. ‚machen’. Zu den politisch notwendigen, von vornherein angenommenen Ergebnissen werden wir die Beweise fabrizieren. Wir werden die Planwirtschaft der Gedanken einführen, die bürokratischen Zen-

8 9

26

A. Rosenberg, Deutsches Christentum, in: Schriften aus den Jahren 97-92, München 943, S. 577. Gleichschaltung bezeichnet die teils erzwungene, teils freiwillige Vereinheitlichung aller Gesellschaftsbereiche im nationalsozialistischen Staat, deren Durchdringung und Beherrschung durch die NSDAP. Vgl.: Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich, hrsg. von Jörg Tröger, Frankfurt/M 984.

METHODOLOGIE

tren ersetzen das freie Schaffen, die Propaganda ersetzt das autonome Durchdringen der Gesellschaft“. 0

Das Thema Hexenprozesse wurde im Nationalsozialismus, d.h., in einer Zeit politischen Umbruchs, aufgegriffen. Dieser Prozess folgte einem historischen Muster, insofern die Hexenprozesse des Öfteren in Wendezeiten thematisiert wurden. Inspiriert von Aleida Assmanns Überlegungen zum kulturellen Gedächtnis wird hier gezeigt, wie die Hexenverfolgung aus dem kollektiven Gedächtnis gehoben und zur Begründung der nationalen Identität eingesetzt wurde. Die Risse, die dabei in dieser Identität hervortreten, machen bewusst, dass eine Erinnerung, die eigentlich zum „Leidschatz der Menschheit“ gehört, der ideologischen Instrumentalisierung und scheinbar abgeschlossenen Verarbeitung trotzt und für andere Interpretationen offen bleibt. Der Kontextualisierung des Hexen-Diskurses im Dritten Reich dienen einige Exkurse. Sie bringen Kontexte und Debatten näher, deren ausführlichere Analyse den Rahmen der Arbeit sprengen würde, die aber zur geschichtlichen Dimension wichtiger Diskursstränge gehören. Michel Foucault weist auf die Macht hin, die jedem Diskurs innewohnt, derer man sich zu bemächtigen sucht, die aber unberechenbar sein kann: „Die Welt des Diskurses ist nicht zweigeteilt zwischen dem zugelassenen und dem ausgeschlossenen oder dem herrschenden und dem beherrschten Diskurs. ... Die Diskurse ebenso wenig wie das Schweigen sind ein für allemal der Macht unterworfen oder gegen sie gerichtet. Es handelt sich um ein komplexes und wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und -effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie. Der Diskurs befördert und produziert Macht; er verstärkt sie, aber er unterminiert sie auch, er setzt sie aufs Spiel, macht sie zerbrechlich und aufhaltsam“.2

0 

2

L. Fleck, Nauka a Ğrodowisko, in: Przeglad Wspóáczesny, sierpieĔ/wrzesieĔ 939, Nr 8-9, S. 3. Als wichtigste Merkmale des Funktionsgedächtnisses nannte Assmann Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung. Über das Funktionsgedächtnis konstituieren sich kollektive Handlungssubjekte wie Staaten oder Nationen. Das Speichergedächtnis nimmt dafür alles auf, was im Moment vergessen wird, und bewahrt es für neue Aufarbeitung auf. Es bildet Hintergrund des Funktionsgedächtnisses, eine Art des „nicht begrenzbaren Archivs“, ein abstraktes „Menschheitsgedächtnis“, ein Reservoirs zukünftiger Funktionsgedächtnisse, das mittels Kunst, Wissenschaft, Archiven und Museen aufgebaut wird. Vgl.: A.Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, 2003, S.33-45. M. Foucault, Diskurs und Wahrheit, Berkeley-Vorlesungen 983, Berlin 996 S. 22. 27

HEXEN UND GERMANEN

Das Störende des Hexen-Diskurses für die ideologischen Ansprüche des Nationalsozialismus wird in den folgenden Kapiteln aufgezeigt.

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Rasse, Religion und Geschlecht in der Hexenprozessgeschichtsschreibung des Hexen-Sonderauftrags

In der Analyse der Rolle der Hexenprozesse in den Reden Heinrich Himmlers und den Arbeiten der Wissenschaftler aus seinem Umfeld spielen die Verschränkungen des Hexen-Diskurses mit Rassen-, Religions-, Geschlechterund Wissenschaftsdiskursen eine wichtige Rolle. Sie kommen in Himmlers Auftritten zum Ausdruck, determinieren die Texte seiner Forscher und beeinflussen die Rezeption des Hexen-Themas. Die Art und Weise der Hexenforschung wurde auch durch Himmlers Machtposition im H-Sonderauftrag mit bestimmt. Der Rassismus der Blut- und Bodenideologie hat Himmler schon in seiner Artamanen-Zeit geprägt. Animiert durch das soziale Umfeld seines Landwirtschaftsstudiums eignete er sich bereits in dieser frühen Phase antisemitische und antisowjetische Ansichten an und ließ sich für eine „geistige und rassische Erneuerung“ durch die Hinwendung zur Agrarwirtschaft und Abkehr von der Industrie begeistern. Der damit verbundene „bäuerliche“ Blick führte ihn zum biologischen Rassismus, der sich schon bald in einer an der Terminologie agrarwissenschaftlicher Zuchtlehren orientierten Ausdrucksweise spiegelte. Den biologischen Rassismus ergänzte Himmler durch Rosenbergs Ideen: Er übernahm dessen Theorie der übernationalen Reichweite des nordischen Blutes, die sich zwar nicht ohne Mühe in den biologischen Rassismus integrieren ließ, aber dennoch politische Handlungsmöglichkeiten erweiterte, wenn man die Unstimmigkeiten geschickt zu verschleiern vermochte. Typisch für den SS-Reichsführer war der Drang, seine Ideen möglichst schnell in die Praxis umzusetzen. Das zeigte sich in allen seinen Projekten: Weil „das Blut“ für ihn das übernationale Germanische ausmachte, versuchte er die Trä

Vgl.: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O. 29

HEXEN UND GERMANEN

ger dieses Blutes zu germanisieren, wie im Fall der „arischen“ Kinder, die ihren nicht-deutschen Eltern weggenommen wurden; weil das Blut „das Wesen des Volkes“ bildete, wollte er – in der Manier eines Züchters – die Erhaltung des wertvollen Blutes überwachen, etwa durch die Kontrolle der „arischen Abstammung“ der Partnerinnen von SS-Offizieren und durch Selektion: „Wir gingen so, wie der Saatzüchter, der eine alte, gute Sorte, die vermischt und abgebaut ist, wieder rein züchten soll, zuerst über das Feld zur so genannten Staudenauslese geht, zunächst daran, rein äußerlich die Menschen abzusieben, die wir glaubten für den Aufbau der Schutzstaffel nicht brauchen zu können“. 2

Himmler war bemüht, den Begriffen „Rasse“ und „Rassenreinheit“ einen seriösen und dogmatischen, fast sakralen Charakter zu verleihen, indem er sie mit großem Pathos zur Grundlage der nationalsozialistischen Gemeinschaft erhob: „Die SS ist sich darüber klar, dass sie mit diesem Befehl einen Schritt von großer Bedeutung getan hat. Spott, Hohn und Missverstehen berühren uns nicht; die Zukunft gehört uns“.3

Die größte Gefahr für das deutsche Blut ging aus dieser rassischen Sicht außer von den Juden von den Christen und Kommunisten aus, weil diese alle Rassen „unterwandern“ oder das rassische Prinzip nicht anerkennen würden. Letztere wurden auch als Verneiner jeglicher Religiosität verdammt. In den im folgenden Kapitel analysierten Texten werden die Hexenverfolgungen in Verbindung mit dem „germanenfeindlichen“ Christentum gebracht. Das Problem der Religion, vor allem der deutschen Religiosität, taucht dabei immer wieder auf. Himmlers Verhältnis zur Religion wird hier exemplarisch betrachtet: Es ist die Sichtweise, die in den Arbeiten des H-Sonderauftrags vertreten wird. In seinen jungen Jahren war Himmler ein begeisterter Katholik und versuchte, seine völkischen und rassischen Ansichten ins Christentum zu integrieren. Josef Ackermann führt eine Bemerkung an, die Himmler 923 in seiner Lektürenliste zu Heinrich Böhmer-Romundts Buch Die Jesuiten (92) verfasste: „das Christentum der hervorragendste Protest des Ariertums gegen das Judentum, des Guten gegen das Böse“.4

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H. Himmler, Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation, 2. November 935, München 937, S.20-2. H. Himmler, Plan zur Erschließung des germanischen Erbes (937), in: J. Ackermann, Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen 970, S. 262.

RASSE, RELIGION UND GESCHLECHT

In dieser Zeit sammelte Himmler vermeintliche Belege für die arische Herkunft Jesu Christi.5 Nach dem Bruch mit dem Christentum veränderte sich sein Ton jedoch grundsätzlich. Von nun an war er überzeugt, einen schicksalhaften Auftrag zu vertreten: „Wir leben im Zeitalter der endgültigen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Es liegt in der Sendung der SS, dem deutschen Volk im nächsten halben Jahrhundert die außerchristlichen arteigenen weltanschaulichen Grundlagen für Lebensführung und Lebensgestaltung zu geben“.6

Mit den „arteigenen Grundlagen“ meinte Himmler auch eine „germanische“ Religiosität, die helfen sollte, das Leben der Nation zu „führen“ und zu „gestalten“. Weil er die politische Rolle religiöser Wahrheiten, die man nie in Frage stellt, die Wirkungskraft religiöser Zeremonien und Dogmen auf die Massen und ihre Bedeutung für die Bildung von Gemeinschaften begriff,7 versuchte er, dem Nationalsozialismus sakrale Züge zu verleihen. Himmler wiederholte dabei das, was er im Umgang der katholischen Kirche mit den Germanen kritisierte – die Elemente einer Religion, die getilgt werden sollte, aber deren Kraft noch nicht erloschen ist, für die neue Religion oder Weltanschauung umzuformen. Das Bedürfnis der Sakralisierung fällt bereits bei der Wahl der politischen Begriffe für den neuen Staat auf: Himmlers von Hitler übernommener Reich-Gedanke knüpft nicht nur an die politische Fortsetzung des Deutschen Reiches im nationalsozialistischen Staat an, sondern enthält auch das chiliastische Versprechen der Glückseligkeit im neuen Tausendjährigen Reich. Himmler war einer der Schöpfer dessen, was Joachim Fest in seiner Hitler-Biografie den „liturgischen Veranstaltungszauber“ der NaziZeremonien nannte, in dem die Teilnehmer das Gefühl der Zusammengehörigkeit fanden. Die Zeremonien entstanden jedoch in Anlehnung an den christlichen Kalender: Statt der Taufe wurde die „SS-Namensweihe“, statt der Kommunion oder Konfirmation die Aufnahme in die Hitlerjugend oder SS gefeiert. Die SS-Weihe wurde vor einem Hitler-Bildnis vollzogen, das, wie

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Vgl: J. Ackermann, Heinrich Himmler a.a.O., S. 33. Himmler führte seine Leseliste in den Jahren 99-933, sie enthält Angaben über Verfasser, Buchtitel, Verlag, Ort und Zeit der Lektüre, Inhaltsangaben und Kommentare. Die Liste befindet sich im Bundesarchiv in Koblenz. Vgl: die Anmerkung zu Erst Renan, Das Leben Jesu, Leipzig 99, gelesen vom Dezember 923 bis 4.0.924, in: J. Ackermann, a.a.O., S. 34. H. Himmler, Plan zur Erschließung des germanischen Erbes (937), in: J. Ackermann, Heinrich Himmler als Ideologe, a.a.O., S.253. Vgl.: Der Nationalsozialismus als politische Religion, hrsg. von M. Ley und J. Schoeps, Bodenheim 997; F. Kießling, Nationalsozialismus als politische Religion. Zu einer neuen und alten Deutung des Dritten Reichs, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 529-547. 31

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ein neuer Christus, auf einem mit Hakenkreuzen geschmückten Altar stand.8 Die Trauung wurde zur „Eheweihe“, an die Stelle des kirchlichen Begräbnisses trat die „Totenweihe“. Das ewige Leben im Himmel wurde ersetzt durch das ewige Leben in der Generationenkette, der Gott der Liebe durch den Gott der Auslese und des Kampfes, Ostern durch das Ostarafest, Weihnachten und Neujahr durch das Wintersonnenwend- und das Julfest. Mit der Betonung der Eingewobenheit des Einzelnen „in den Rhythmus des Denkens von Ahnen und Enkeln, von Werden und Vergehen“,9 unternahm Himmler den bewussten Versuch, eine Tradition zu konstruieren. Ob man in diesem Fall von einer „politischen Religion“ sprechen sollte, von einer Vergöttlichung der politischen Gemeinschaft in einem totalitären System, wie Eric Voegelin argumentiert, ist bis heute umstritten.0 In der Kompilation dieser unterschiedlichen 8

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Typisch für die Versuche, Hitler als einen Auserwählten darzustellen, Versuche, die von den beiden Kirchen in Deutschland als blasphemisch verurteilt wurden, ist folgendes Bekenntnis der deutschen Jugend zu Adolf Hitler, das am 0.02. 937 bei der Eröffnung des 4. Reichsberufswettkampfs der deutschen Jugend vorgetragen wurde: „Adolf Hitler!/Dir sind wir allein verbunden! Wir wollen in/dieser Stunde das Gelöbnis erneuern./Wir glauben / auf dieser Erde allein an Adolf Hitler./Wir glauben,/ dass der Nationalsozialismus der allein seligmachende Glaube für unser Volk ist./Wir glauben,/dass es einen Herrgot im Himmel gibt, der uns geschaffen hat,/ der uns führt und lenkt und der uns sichtbarlich segnet./Und wir glauben,/dass dieser Herrgott uns Adolf Hitler gesandt hat, damit Deutschland/ für alle Ewigkeit ein Fundament werde“, in: das Archiv vom Instytut PamiĊci Narodowej in Warschau, Dokumente des Reichssicherheitshauptamtes: RSHA 362/89, S. 8 (im Weiterem: RSHA). H. Himmler, Ahnen und Enkel, Rede in Stuttgart (2.9.938), zit. nach: F. L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O., S. 253. Vgl.: E. Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 938. Für „politische Religionen“ ist Voegelin zufolge der Verlust des Transzendenzbezugs typisch. Damit eröffneten sie einen Bezug zum Bösen. Er behauptet, dass sich die gesamte Neuzeit durch eine religiöse Disposition zum Verfall auszeichnet. Dessen konsequentes Ende sind die menschenverachtenden totalitären Systeme der Moderne. Raymond Aron wiederum führte 944 den Begriff „säkulare Religion“ für Doktrinen ein, die den Platz des Glaubens einnehmen und die Menschen mit einem Heilsversprechen zu verführen suchen. Er verstand die totalitären Herrschaftsformen des 20. Jahrhunderts als antimodern, weil sie die moderne Trennung von Religion und Politik aufheben wollten. Die Geschichtswissenschaft lehnte lange Zeit die Theorien von Voegelin und seinen Nachfolgern für die Analysen des Nationalsozialismus entschlossen ab. Das Aufkommen des politischen Islamismus an der Wende vom 20. zum 2. Jahrhundert macht jedoch deutlich, dass der Faktor „Religion“ auch im Zeitalter der Säkularisierung eine Rolle spielen kann. Die Zeithistoriker beginnen erneut, sich mit dem Problem der „politischen Religion“ zu befassen. Vgl.: Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, hrsg. von Klaus Hildebrand, München 2003. Man muss jedoch den Nationalsozialismus nicht als eine Religion eigener Art auffassen. Neuere Publikationen stellen ihn als eine Kompilation verschiedener Religionsformen dar. Es kann auch nicht darum gehen, den Nationalsozialismus in

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Bräuche und liturgischen Gesten zeigt sich jedoch das Bewusstsein darüber, wie wichtig das Sakrale, der Glauben, die Vorstellung vom Heil und Erlöser für die Konstituierung und Disziplinierung einer Gemeinschaft sind. Himmler machte das Religiöse zum Element der Bewegung, er versuchte die Welt wieder zu verzaubern – jedoch unter Verzicht auf eine transzendentale Gottheit. Himmlers Verständnis von Geschlecht und Sexualität hängt zusammen mit seiner Vorstellung von Rasse und Religion. Er verstand diese Begriffe als rassenbedingt und definierte sie für die germanische Kultur in Abgrenzung von christlichen Vorstellungen. Dabei stellte er häufig die „würdige Stellung der Frau bei den Germanen“ der „Vernichtung der Frauenwürde im Christentum“ gegenüber. Ungeachtet der Tatsache, dass eine der ersten innerparteilichen Regeln der NSDAP aus dem Jahr 92 Frauen von allen Leitungspositionen der Partei ausschloss und Frauen von der Politik fern gehalten wurden, sprach Himmler von der „Ebenbürtigkeit“ der deutschen Frau. Dabei ging es ihm vornehmlich darum, die wichtige symbolische und biologische Rolle der Frau zu würdigen. Himmler vertrat die Vorstellung, dass die Naturwissenschaften zu den Erkenntnissen der Geisteswissenschaften ebenso beizutragen hätten, wie es einem Geisteswissenschaftler möglich sein sollte, den naturwissenschaftlichen Forschungsgang zu inspirieren. Diese scheinbar verlockende Idee der Interdisziplinarität sollte jedoch nur der Verschmelzung aller Wissenschaften zu einem populären Wissen dienen, mit dessen Hilfe die neue Weltanschauung befestigt werden könnte. Himmlers Geschichtsvision ist nicht originell. In der Verkoppelung mit Rosenbergs Thesen erinnert sie an primitiven Darwinismus: Geschichte sei ein brutaler Kampf ums Überleben, dessen Sinn in der Befestigung und Entwicklung der Macht des arischen Menschen bestehe. Himmler hat dieses Geschichtsbild in einigen Punkten, die ihm für die Legitimation der nationalsozialistischen Politik von besonderer Bedeutung erschienen, noch verschärft. Dazu schöpfte er geeignete Begriffe aus dem nationalen Speichergedächtnis und stellte ihren direkten Bezug zur Gegenwart her. 2 So definierte er den geschichtlichen Kampf als Kampf zwischen Euro-

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jeder Hinsicht mit religiösen Kategorien erklären zu wollen. Vgl.: M. Neugebauer-Wölk, Esoterik und Neuzeit. Überlegungen zur historischen Tiefenstruktur religiösen Denkens im Nationalsozialismus, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. , URL: http://www.zeitenblicke.de/2006//Neugebauerwoelk/index_html. Vgl.: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O.; J. Ackermann, Himmler als Ideologe, a.a.O. Aleida Assmann definiert Speichergedächtnis als „Gedächtnis der Gedächtnisse, das in sich aufnimmt, was seinen vitalen Bezug zur Gegenwart verloren hat“ (S.34); es enthält das Repertoire „verpasster Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter Chancen“ (S.37). Es bildet einen teils bewussten, teils unbewussten Hintergrund des identitätsstiftenden, machtlegitimierenden oder delegitimierenden Funktionsgedächtnisses, ein Archiv, aus dem letzteres 33

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pa, das durch das Deutsche Reich vertreten sei, und Asien, und suggerierte damit, dass der nationalsozialistische Ostkrieg eine Fortsetzung der Kämpfe der „Ahnen“ sei.3 Er betonte die „germanische Kontinuität“ in jeder Lebenssphäre, beispielsweise in der Interpretation der Wehrmacht als einer Fortsetzung des kaiserlichen Heeres. Himmler stand der Germanischen Wiener Schule Rudolf Muchs nahe,4 die ebenfalls die These der „germanischen Kontinuität“ vertrat, Bräuche und Sagen zum Thema Jungmannschaften untersuchte und Kontinuität von germanischen Männerbünden behauptete. Lilly Weiser-All5 und Otto Höfler6 waren ihre bekanntesten, für die HexenDebatten im Dritten Reich wichtigen Vertreter.

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schöpfen kann. A. Assman, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2003. F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O. Rudolf Much (862-936) veröffentlichte 900 die Deutsche Stammeskunde und gilt als Wegbereiter der nationalsozialistischen Ideologie in der Altgermanistik und Volkskunde. Er hat die Germania von Tacitus ausführlich kommentiert – den Kommentar zum 4. Kapitel überschrieb er mit „Die germanische Rasse“ (die 3.Auflage erschien 967 trotz der ideologischen Kommentare) – und die Männerbundtheorie unterstützt. „Germanisch“ und „deutsch“ benutzte er synonym – die Geschichte der germanischen Stämme interpretierte er als die Frühgeschichte Deutschlands. Ob seiner „Verdienste“ ehrte die Wiener Universität Much 952 mit der Aufstellung einer Büste im Arkadenhof. Nach: P. Wiesinger, D. Steinbach, 50 Jahre Germanistik in Wien. Außeruniversitäre Frühgermanistik und Universitätsgermanistik, Wien 200; Irene Ranzmaier, Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus. Karrieren, Konflikte und die Wissenschaft, Wien 2005. Lily Weiser–Aall (898 - 987), Volkskundlerin, Schülerin von Much, 927 Habilitation mit der Arbeit Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde. Otto Höfler (90-987) stammte aus einer bekannten Wiener Gelehrtenfamilie, studierte Germanistik mit dem Schwerpunkt germanische Altertumskunde, vor allem bei Rudolph Much. 93 habilitierte er sich mit der Arbeit Kultische Geheimbünde der Germanen. 934 wurde er Ordinarius für Germanistik und neue deutsche Literaturgeschichte in Kiel. Die Stelle war verbunden mit dem Lehrauftrag für Volkskunde, er setzte sich dort gegen Bernhard Kummer durch. 938/39, nach dem Erfolg in der Auseinandersetzung gegen Kummer, bekam er mit Himmlers Unterstützung einen Lehrauftrag in München. 939 bewarb sich Höfler um die Aufnahme in die NSDAP, ohne dem Ahnenerbe beizutreten oder aus der katholischen Kirche auszutreten. Schier fand die Information, dass man Höflers Parteintritt auf den . Mai 937 zurückdatiert hat, weil seit Ende 937 niemand mehr in die Partei aufgenommen wurde (B. Schier, ebenda, S. 0, Anm. 382a). 939 veröffentlichte Höfler „eine antisemitisch rassistische Denunzierung des Literaturwissenschaftlers Friedrich Gundolf“ (siehe P. Wiesinger/ D. Steinbach, 50 Jahre Germanistik in Wien, Wien 200), die in seinem Schriftenverzeichnis von 96 fehlt. 957- 7 lehrte er in Wien, war Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Vgl.: B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O., S 73-74;

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Himmlers Geschichtsinteresse war den Legitimationsbedürfnissen der neuen Macht unterordnet. Deshalb unterstützte er eine Geschichtsdarstellung, die suggerierte, dass die vom NS-Staat propagierten Werte durch weit in die Geschichte zurück reichende germanische Traditionen begründet seien. Für besonders geeignet hielt er die identitätsstiftende Geschichtsschreibung, die nicht an den Verstand, sondern an Herz und Gemüt appellierte und dem Volk vom Kreis der Eingeweihten verkündet werden sollte. Dabei griff er auf den konventionellen Bestand der nationalsozialistischen Theorien zurück, propagierte Geschichte in Form von Romanen, Erzählungen und Zeremonien aus alten Zeiten. Nicht Zahlen und Daten seien wichtig, sondern das Aufzeigen der „Entwicklungslinien“ und der „treibenden Kräfte“ der Geschichte.7 Als Praktiker versuchte er, die für die Bildung und Festigung der neuen Gemeinschaft entwickelten Theorien in die Praxis umzusetzen, sie als Richtlinien für die zukünftigen Generationen im Alltagsleben zu verankern und jeder Infragestellung zu entziehen. Mythen wurden hartnäckig als Tatsachen dargestellt, die Gegenwart mythisiert und zu einem geschichtlichen Vorbild für die Zukunft umfunktioniert. Auf Himmlers Empfehlung wurden in den SS-Heften Beispiele gegenwärtigen Heldentums präsentiert und immer mit Heldentaten aus der frühen Geschichte oder aus den Mythen in Zusammenhang gebracht. Immer neue „Forschungseinheiten“ wurden verpflichtet, neues Wissen zur Begründung der neuen politischen Realität zu produzieren, um die Lücken im „ewigen Kreislauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Vergehen, Sein und Werden, von Ahnen, Lebenden und Enkeln“ zu schließen 8 und den „germanischen Geist“ unter Verweis auf seine lange Geschichte zu sanktionieren. Der Mensch sollte in der zyklischen Geschichte der sich immer wiederholenden Konstellationen nur als ein Mitglied einer germanischen Gemeinschaft eine Existenzberechtigung erhalten. Charakteristisch für diese Geschichtsvision ist Himmlers Interpretation der SS als eines arischen Männerordens, der durch die sakrale Verantwortung für die Zukunft der germanischen Rasse vereint, durch die Gemeinschaft der Sippen konsolidiert ist: „So sind wir angetreten und marschieren nach unabänderlichen Gesetzen als ein nationalsozialistischer, soldatischer Orden nordisch bestimmten Männer und als eine geschworene Gemeinschaft ihrer Sippen, den Weg in eine ferne Zukunft und wünschen und glauben, wir möchten nicht nur sein die Enkel, die es besser ausfochten,

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G. Simon, Chronologie Nordistik, Schwerpunkt Otto Höfler, http:// homepages.uni-tuebingen.de/ gerd.simon/nordistikchr.pdf. Wie ist über die deutsche Geschichte zu schulen?, in: SS-Leithefte, 2.Jg., 936. Zit. nach: M. H. Kater, Das Ahnenerbe der SS. 935/945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 997, S.8. 35

HEXEN UND GERMANEN

sondern darüber hinaus die Ahnen spätester, für das ewige Leben des deutschen, germanischen Volkes notwendiger Geschlechter“.9

Welchen Platz nehmen in diesem Geschichtsbild, das „schicksalhaft“ durch den „soldatischen Mann“ gestaltet wird,20 die Hexenprozesse ein? Die Art und Weise, in der dieser Teil der Geschichte für die Bildung der neuen Gemeinschaft propagandistisch verwertet wurde, steht im Zentrum der nächsten Abschnitte. Des Weiteren soll Himmlers Position im Wissenschaftsdiskurs bestimmt und die institutionalisierte Art der Instrumentalisierung der Geschichte als eine bewusste Konstruktion historischer Wirklichkeit sowie als eine „Mythologie der Gegenwart“ enttarnt werden. Die Analyse der Texte von Himmlers Ver-bündeten wird zeigen, wie rassische Vorstellungen, die Wahl und die Definition von Feindbildern beim Hexen-Thema zum Vorschein kommen. Anhand der Arbeiten des H-Sonderauftrags wird überprüft, wie sich die Suche nach einer neuen Religiosität auf die Behandlung des Hexen-Themas auswirkt. Dabei wird auch die Frage eine rolle spielen, inwieweit Elemente des kirchlichen Hexen-Diskurses, trotz der Feindseligkeit der NSDAP gegenüber der Kirche, im Hexen-Diskurs des Dritten Reiches zu finden sind. Am Beispiel einer Rede über Homosexualität wird untersucht, welche Bedeutung Himmlers Frauenbild für das Hexen-Thema hatte. Diese Rede ist auch der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zur Rolle und Definition von Weiblichkeit in den Arbeiten von Himmlers Hexenforschern.

Himmlers Interesse an den Hexenprozessen Die Gründe, die Himmler dazu veranlasst haben, sich dem Thema der Hexenprozesse zuzuwenden und den H-Sonderauftrag einzurichten, sind umstritten. Joachim Fest vertritt die These, dass es sich dabei nur um eine unter den vielen skurrilen Ideen handelte, für die der SS-Chef berüchtigt gewesen sei.2 Diese Interpretation scheint die Sache jedoch herunterzuspielen. Schon in früheren Epochen griff man in ideologischen Auseinandersetzungen des Öfteren auf die Geschichte der Hexenprozesse zurück. So bildete diese Thematik beispielsweise in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ein Leitmotiv im Konflikt im Kampf des preußischen Staates gegen die katholische Kirche und in der Auseinandersetzung um ein neues Staatsverständnis.22 Die Tatsache, dass sie ausgerechnet in den 930er Jahren, während des Aufbaus des natio9 20 2 22 36

H. Himmler, Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation, a.a.O., S.20. Vgl.: K. Theweleit, Männerphantasien, München 2005. Vgl.: J.C. Fest, Das Gesicht des dritten Reiches, München 963. Eine kurze Übersicht über Instrumentalisierungen der Hexenprozesse bietet das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit.

RASSE, RELIGION UND GESCHLECHT

nalsozialistischen Staates, wieder aufgegriffen wurde, lediglich einer abnormen Neigung einer Führungsfigur zuzuschreiben, scheint wenig überzeugend. Namentlich zu dieser Zeit hatten die Spannungen zwischen der nationalsozialistischen Regierung und den beiden großen christlichen Kirchen eine solche Schärfe angenommen, dass die Zeitung „L'Echo de Paris“ fragte, ob Deutschland nicht am Vortag eines neuen Kulturkampfes stünde.23 Die aggressive antikirchliche Presseoffensive der 930er und 940er Jahre war keineswegs ein Zufall.24 Die Titel der Zeitungen, in denen diese Kampagne geführt wurde,25 signalisierten den kämpferischen Charakter des nationalsozialistischen Eintretens für eine „neue Epoche“. Die Selbstbeschreibung des Nationalsozialismus als „Bewegung“ sollte dessen Dynamik betonen und enthielt zugleich eine gewisse Drohung: „Wir sind eine Bewegung, die nicht nachgibt, bis wir Deutschland geworden sind“.26

Das Beobachten der Welt aus der völkischen, rassistischen Sicht und der Kampf „gegen alles Fremde“ wurden zur Hauptaufgabe erhoben; „Flammenzeichen“ sollten warnen und einen neuen Anfang verkünden. Die Aufbereitung der Hexen-Themen und die antikirchlichen Artikel in diesen Zeitschriften zeichnen sich durch einen Wortschatz aus, der an elementare Emotionen der Leser appelliert: Die Hexenprozesse werden als „unmenschlich“, „gemein“ und „grausam“, die Inquisition als „unersättlich“ in ihrer „Todessucht“ charakterisiert. Detaillierte Beschreibungen der Foltern, denen die „Hilflosen“ der Gesellschaft, also „deutsche Frauen und Kinder“ ausgesetzt wurden, unterstreichen die Brutalität. Das Papsttum, das gesamte Christentum und das Judentum werden des Massemordes an Deutschen bezichtigt, während zugleich die Unschuld des deutschen Volkes an den Prozessen betont wird. Dieselben Motive finden sich auch in anderen Propagandaformen. Schulungen, Volksversammlungen und Ausstellungen, die den Durchschnittsdeutschen in die Geschichte der „kirchlichen Verbrechen“ einführen und gegen „christlichen Aberglauben“ widerstandsfähig machen sollten, zeugen davon, dass das Hexen-Thema nicht nur Himmlers private idée fixe war. Es gibt einige Hinweise, dass Himmler sich schon vor der Gründung des H-Sonderauftrags mit Hexen-Prozessen befasst hat. Auf seiner Lektüreliste 23 24

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RSHA 362, Sygn. 328, S.5. Eine Vorstellung von der Intensität dieser Pressekampagne bietet eine kurze Besprechung der Hauptthemen der Zeitungsartikel aus dem Archiv des HSonderauftrags am Ende dieses Kapitels. Insbesondere: „Die Bewegung“, „Völkischer Beobachter“, „Flammenzeichen. Völkische Blätter für nordisch-germanische Art in Religion und Kultur, Staat und Wirtschaft, ohne allen Fremdgeist und jede Artverfälschung“, „Nordland. Das Kampfblatt der Völkischen Aktion“ und der „NS Rechtsspiegel“. Hans Schemm spricht. Seine Reden und sein Werk, Bayreuth 935, S.237. 37

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der Jahre 99-33 befindet sich u.a. Franz Helbings Arbeit Die Tortur. Geschichte der Folter im Kriminalverfahren aller Zeiten und Völker.27 Das Buch wurde von Max Bauer herausgegeben, der auch Verleger von Wilhelm Gottlieb Soldan war, einem der Klassiker der Hexenprozessforschung. Himmler hat Helbings Buch, das der Hexenverfolgung große Aufmerksamkeit widmet, 926, im Jahr seiner Veröffentlichung, gelesen.28 Helbing beschreibt Foltermethoden von den alten Kulturen bgyptens bis ins 9. Jahrhundert. In den Hexen-Abschnitten stützt er sich auf Gustav Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit, die Werke Jacob Grimms, Wilhelm Soldans und Joseph Hansens, in den Teilen über die Germanen bzw. das germanische Recht auf Tacitus und Jacob Grimm. Umfassend werden Archivquellen, Gesetzbücher, kirchliche Erlasse sowie Protokolle aus Hexenprozessen zitiert. Helbing geht auf die Hexenprozesse in ganz Europa ein, in katholischen wie protestantischen Gebieten, er thematisiert die Rolle der Folter und zeigt auf, dass die Prozesse nicht zuletzt auch eine ergiebige Einkommensquelle für weltliche Gerichte und Henker bildeten. Er weist darauf hin, dass die Kirche viele heidnische Zaubervorstellungen übernommen und entsprechend modifiziert in ihr Hexenbild inkorporiert hat. Die Schuld des Christentums an den Hexenprozessen wird nicht in Frage gestellt, aber auch andere Religionen und Kulturen werden von dem Zauberglauben, der als einer der Hauptgründe des Glaubens an die Macht der Hexen gesehen wird, nicht freigesprochen. Das Buch bietet Einblick in einige Prozesse, die bisherige Forschung sowie in das Wissen der Zeit zu diesem Thema, ohne nennenswerte Interpretationsversuche zu unternehmen. Eine andere Lektüre war ein Gutachten über die Hexenprozesse, das der Archivar Arnold Ruge29 auf Himmlers Wunsch verfasst hat. Himmler hat für

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Franz Helbing hat außerdem die Geschichte der Prostitution von Pierre Dufour fortgeführt und bis zur Neuzeit ergänzt, wie auch 90 Das Geschlechtsleben der neuesten Zeit veröffentlicht. Vgl.: J. Ackermann, Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen 970, S. 9. Arnold Ruge (88- 945), Mitglied der völkischen Bewegung, 907 Promotion über die Freiheit bei Kant, Assistent beim Neukantianer Wilhelm Windelband, 99 wegen der aktiven Beteiligung an antijüdischen Demonstrationen von der Universität entlassen. Von vielen charakterisiert als „eine Figur, die unablässig nach Chancen Ausschau hält, projektiert und gründet, immer überarbeitet und immer gehetzt ist vom publishor perish – sich allenthalben zurückgesetzt fühlt, immer Konkurrent ist und sich deshalb ständig anpreist“ (K. Ch. Köhnke, Sinn für Institutionen. Mitteilungen aus Wilhelm Windelbands Heidelberger Zeit (903-95) in: Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise, hrsg. von H. Treiber, K. Sauerland, Opladen, 995, S.59). In Einige Kampfdaten aus meinem Leben (94) verbindet Ruge den Antisemitismus mit Antifeminismus: „909 Heidelberg. [...] Mein öffentlicher Einspruch gegen die von Juden geführte internationale Frauenemanzipationsbewegung rief einen gewaltigen Sturm unter den Vertretern des Liberalismus und der Judenherr-

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das Manuskript .000 Reichsmark bezahlt und Ruge verboten, den Text zu veröffentlichen oder ihn vor seinen Parteigenossen zu erwähnen.30 Die Schrift gilt als verschollen. Klaus Graf vermutet jedoch, dass sie ähnlichen Charakters war wie ein anderer unveröffentlichter, aber erhalten gebliebener Text dieses Autors mit dem Titel Die mittelalterlichen Hexenprozesse. Ein Abschnitt aus dem deutschen Kulturkampf. Ruge beruft sich hier ebenfalls auf Soldans Geschichte der Hexenprozesse, Hansens Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns und der Hexenverfolgung sowie auf das Buch Das Papstum in seiner sozialkulturellen Wirksamkeit von Paul von Hoensbroechs, einem ehemaligen Jesuiten, das auch Rosenberg als Quelle für seine antikirchlichen Argumentationen diente. Den Anstoß für sein Interesse an diesem Thema hätte er, so Ruge, aus katholischen Büchern über Hexen erfahren, die er in seiner Haftzeit einbinden musste, und die sich „in unsagbar lüsterner Weise mit den Hexenverbrennungen beschäftigten“.3 Bereits durch diese Erwähnung suggeriert er scheinbar neutral die Lüsternheit und die erotischen Phantasien der Geistlichen als Motive für die Prozesse. In der Einleitung geht Ruge auf die Entstehung des Buches ein, er weist auf den Auftragscharakter der Arbeit hin und deutet die politische Brisanz des Projekts an: „Nach der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus erging an den Verfasser eine Aufforderung des Reichsführers SS Heinrich Himmler, sich gutachtlich über den Gegenstand [Hexenprozesse] zu äußern. Das Gutachten wurde im Dezember 934 an den Reichsführer gegeben. Die folgenden Ausführungen sind eine unter vie-

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schaft hervor, der sich über alle Blätter der Erde fortsetzte“ (zit. nach: Klaus Graf, Eine antikirchliche Kampfschrift Arnold Ruges, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S.37.). Vielmals angeklagt, sogar verhaftet, schreibt er 926: „Grosse persönliche Aussprache mit dem Führer der NSDAP in München. Der Führer rät mir, vorläufig noch nicht der Partei als Mitglied beizutreten [...] Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ (zit. nach: K. Graff, Eine antikirchliche Kampfschrift Arnold Ruges, a.a.O, S.38). Heidegger schrieb am 8.2.933 über Ruge: „Solange im Nationalsozialismus das Leistungsprinzip für die Auswahl der Führer und verantwortlichen Leiter von Stellen gilt, kommt Herr Ruge für eine philosophische Professur überhaupt nicht in Betracht“ (zit. nach: K. Graf, Eine antikirchliche Kampfschrift Arnold Ruges a.a.O., S.38). 933 tritt Ruge der NSDAP bei. Dank Himmlers Unterstützung bekommt eine Stelle im Archiv in Karlsruhe, 939 wird er zum Philosophieprofessor an die Technische Hochschule Karlsruhe berufen. 940 gibt er die „Völkische Wissenschaft” heraus. Vgl.: K. Krimm, Das badische Generallandesarchiv im NS-Staat. Kampfplatz, Nische, Abstellraum? in: Archiv und Öffentlichkeit. Aspekte einer Beziehung im Wandel, hrsg. von K. Krimm, Stuttgart 997, S.75-08. A. Ruge, Die mittelalterlichen Hexenprozesse. Ein Abschnitt aus dem deutschen Kulturkampf, zit. nach: K. Graf, Eine antikirchliche Kampfschrift Arnold Ruges, a.a.O., S 42. 39

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len Mühen und auch Bedrohungen unternommene Weiterarbeit an den schnell hingeworfenen Feststellungen“.32

Grafs These, dass Himmler nach der Lektüre der eher informativen Schrift von Helbing bei Ruge die Bestätigung seiner antikirchlichen Einstellung, des unüberwindbaren, auch sittlichen, Widerspruchs zwischen Germanentum und Christentum gefunden hat und vielleicht auch die Bekräftigung seiner Idee, die Hexenprozesse ideologisch zu verwerten, leuchtet ein. Graf entdeckt in Ruges Manuskript keine Spuren von Quellenarbeit. Der Text sei eine Kompilation aus den o.g. Büchern mit verstärkten Angriffen gegen die Kirche als politische Macht. In seiner zentralen These weist Ruge jegliche Möglichkeit eines deutschen Ursprungs der Hexenprozesse zurück und beschreibt die Prozesse als antigermanische Politik. Er präsentiert den „politischen Katholizismus“ als den Feind, der seit je und für alle Zeit bestrebt sei, die Deutschen zu bekämpfen, und deutet diesen Kampf biologistisch als das Streben des politischen Katholizismus, eine „organische“ Entwicklung vitaler Kulturen zu verhindern: „Die ganze Geistigkeit der Scheiterhaufenpolitik entsprang einer dem Deutschtum fremden und feindlichen Einstellung. Nicht der organische Auftrieb und die Wucht deutscher Art wurde gewollt, sondern genau das Gegenteil. Aus allen maßgeblichen Erklärungen des politischen Katholizismus geht einwandfrei hervor, dass derselbe die rassische und religiös-kulturelle Eigenschaft des nordisch germanischen Typus Mensch ebenso wenig will, wie das Wachstum anderer Volksarten bis zur höchsten Kräfteentfaltung“.33

Auch der Titel Ewige Kampfmittel der politischen Kirche,34 den der Text ursprünglich tragen sollte, charakterisiert ihn als eine Schrift, die den Kampf gegen den „politischen Katholizismus“ als notwendige Selbstverteidigung ideologisch zu begründen sucht. Die nicht näher definierte „Religion des deutschen Volkes“ sollte gegen das gesamte Christentum abgegrenzt werden. „Der richtige Blick“ auf die Geschichte zielt nach Ruge nicht in erster Linie auf ein besseres Verständnis der Vergangenheit, sondern vor allem darauf, die Sinne für künftige Kämpfe zu schärfen – im letzten Kapitel seiner Arbeit formuliert er Schlussfolgerungen für den deutschen Lebenskampf:

32 33 34 40

Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 43. Vgl.: ebenda, S. 42.

RASSE, RELIGION UND GESCHLECHT

„Die Aufgabe der wahren Geschichtsforschung ist der Ausweis der lebendigen Quellen des Volkstums, der Mittel ihrer Verteidigung und der Gefahren, die ihnen drohen“.35

Dieser Gedanke erscheint fast wie ein Motto des H-Sonderauftrages. Dessen Angestellte kannten den Text von Ruge vermutlich nicht, doch ihre Prämissen haben mit Ruges Thesen viel gemein.36 In Ruges Buch erscheinen die Hexenprozesse als Mittel des kirchlichen Terrors, als Kampfmittel der politischen Kirche, die immer wieder gegen die deutsche Nation angetreten war. Schon damals, zur Zeit der Prozesse, stand „deutscher Geist im Kampf mit römisch kirchlichem Geist“, schon damals musste er sich gegen eine Verschwörung verteidigen, die in der Verständigung mit den Juden angezettelt wurde, welche, so Ruge, ihren Anteil daran gehabt haben mussten – warum wären sie sonst von den Hexenprozessen verschont geblieben?37 Die Juden werden hier ziemlich unerwartet zu Verbündeten des Christentums; das entspricht dem Muster vieler nationalsozialistischer Argumentationsfiguren, die in Einklang mit Hitlers Vorstellungen die Juden als in jede „Verschwörung“ gegen das deutsche Volk involviert darstellten. Ruge beschließt seine Ausführungen mit einem Kampfruf, der die Opfer der Prozesse vereinnahmt. An die Stelle der Frauen – der verbrannten Hexen – treten „deutsche Menschen“; das Deutschtum wird sakralisiert, von den Opfern geheiligt: „Um so lauter und eindringlicher muss über die großen Weltbrände hinüber und nicht zuletzt über die von der unfehlbaren Kirche zum Flammen gebrachten Scheiterhaufen deutscher Menschen der Kampfruf alles übertönen: Heiliges, schöpferisches Deutschtum!“38

Was an Ruges Sprache auffällt, ist sein militantes und biologistisches Vokabular. Die Erwähnung der Bedrohungen, mit denen er während der Arbeit angeblich zu rechnen hatte, passt zu der Kampfmetaphorik, die sich solcher Worte wie „Lebenskampf“, „Kampfmittel“, „Gefahr“, „Verteidigung“, „Kampfruf“ bedient. Formulierungen, die zum Begriff des Volkes als einer organischen Ganzheit führen – „organischer Auftrieb“, „Wucht“, „Wachstum 35 36 37

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Ebenda, S. 36. Im Posener Archiv habe ich keine Erwähnung dieses Autors gefunden. Vgl. auch K. Graf, a.a.O., S. 45. Ausgenutzt wird hier die Tatsache, dass Juden tatsächlich selten der Hexerei angeklagt wurden. Erklären könnte man das damit, dass man Juden eine Abkehr vom christlichen Glauben nicht vorwerfen konnte. Ruge geht allerdings darüber hinweg, dass Judenpogrome oft parallel zu Hexenverfolgungen stattfanden, dass einer der Autoren des Hexenhammers, Kramer, auch Prozesse gegen Juden leitete und Belege für Ritualmorde sammelte. A. Ruge, Die mitteralterlichen Hexenprozesse, a.a.O., S. 42. 41

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der Volksarten“ – erinnern an Himmlers biologistischen Rassismus. Indem die Hexen mit dem deutschen „Volkskörper“ identifiziert werden, erscheinen die Prozesse als Störung dessen „organischer“ Entwicklung, als eine Strategie des „ewigen Feindes“ der deutschen Nation, um diese durch die „hemmungslose Anwendung aller denkbaren Vernichtungsmittel körperlicher und seelischer Natur“39 physisch zu eliminieren. Die These, dass die Kirche schon immer danach strebte, das deutsche Volk zu vernichten, soll in der nationalsozialistischen Gegenwart die Deutschen für den Kampf gegen sie mobilisieren und zugleich diesen Kampf legitimieren. Mit pathetischen Formulierungen, die an den Gemeinschaftssinn appellieren, ruft Ruge zum Widerstand gegen die Kirche als einer überrassischen und übernationalen Institution auf und stellt deren „lebensgefährlicher“, „teuflischer“, „finsterer“ Macht, ihrer „Grausamkeit und Rohheit“ die deutsche „lebendige Nächstenliebe“, das „heilige, schöpferische Deutschtum“ entgegen. Zu den Ereignissen, in deren Kontext die Entscheidung fiel, den H-Sonderauftrag ins Leben zu rufen, gehörten die kirchlichen Proteste gegen die Herausgabe eines „germanischen“ Bauerkalenders für das Jahr 935 durch den Reichsnährstand, die Feierlichkeiten anlässlich des 300. Todestages von Friedrich Spee und die Diskussion um Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts, die in den nächsten Kapiteln besprochen wird. 40 Den Anstoß für kirchliche Proteste gegen den kontroversen Bauernkalender gab der Umstand, dass der Herausgeber gezielt darauf verzichtet hatte, kirchliche Feste und Namenstage von Heiligen zu berücksichtigen. Statt dessen war unter „Kar- oder stiller Freitag“, dem Tag, an dem im Christentum der Kreuzigung Jesu Christi gedacht wird, zu lesen: „Gedenken an die 4500 von Karl dem Schlächter ermordeten Sachsen und an die neun Millionen anderen ermordeten, totgefolterten und verbrannten Rechtskämpfer, Glaubenshelden, Ketzer und Hagdisen (Hexen)“.4

An der Stelle des Todes als dem religiösen Symbol für die Erlösung wird der Mord im Namen des Erlösers hervorgehoben. Mit dieser Formulierung werden gleichzeitig die auf den Scheiterhaufen ermordeten Frauen in die Reihen der Kämpfer um das Germanentum aufgenommen und in germanische Märtyrerinnen verwandelt, wobei die nicht germanischen Opfer der Prozesse außer Acht gelassen werden – eine Tendenz, die in fast allen Untersuchungen im Dritten Reich dominiert. Das SS-Blatt „Das schwarze Korps“ verteidigte den 39 40

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Ebenda, S.43. Vgl.: J. Rudolph, "Geheime Reichskommando-Sache!“, in: Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, a.a.O., S. 57 f. Ebenda, S.56.

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von der Kirche scharf kritisierten Kalender,42 ein Verbot des Kalenders kam nicht in Frage. Himmler hielt am 6. November 935, dem Reichsbauerntag, eine Rede unter dem Titel Die Schutzstaffeln als antibolschewistische Kampforganisation, in der er die im Kalender vertretene Vorstellung von den Hexen als germanischen Märtyrerinnen bekräftigt: „Wir können in vielen Fällen nur ahnen, dass hier unser aller ewiger Feind, der Jude, in irgendeinem Mantel oder durch irgendeine seiner Organisationen seine blutige Hand im Spiel hatte. [...] Wir sehen, wie die Scheiterhaufen aufloderten, auf denen nach ungezählten Zehntausenden die zermarterten und zerfetzten Leiber der Mütter und Mädchen unseres Volkes im Hexenprozess zu Asche brannten.“ 43

Himmler verwendet in dieser Rede eine spezielle demagogische Figur. Er beginnt mit der Feststellung, dass „dieser Bolschewismus, dieser von Juden organisierte und geführte Kampf der Untermenschen“44 keine Erscheinung der modernen Zeit sei, sondern eine lange Tradition habe – von den biblischen Geschichten über den Kampf der Juden gegen andere Völker, über die Hexenprozesse bis zu den Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Die Gefährlichkeit der katholischen Kirche, die im Zusammenhang mit dem Thema Hexenprozesse hervorgehoben wird, wird durch die Suggestion einer – nicht näher beschriebenen – „geahnten“ Komplizenschaft mit den „blutgierigen“ Juden, welche schon immer bolschewistisch gewesen seien, verstärkt. In dieser halsbrecherischen Interpretation der Geschichte kann Himmler alle drei Feinde des Dritten Reiches mit den Hexenprozessen in Verbindung bringen: das Christentum, den Kommunismus und das Judentum. Die Opfer der Hexenprozesse werden rassisch als Arier, politisch als Kämpfer gegen antigermanische Kräfte, und in der Denkweise der Zuchtlehre als Mütter, als Gebärende beschrieben. Himmler arbeitet mit grausamen Bildern, er redet von „zermarterten und zerfetzten Leibern“, von Frauen, die „zu Asche verbrennen“. Er hielt seine Rede nach Horst Rechenbach, dem Leiter der Abteilung „Blutsfragen des Bauerntums“ des Reichsnährstands,45 und setzte eigentlich dessen 42 43 44 45

Ebenda. H. Himmler, Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation, a.a.O., S. 4. Ebenda, S.2. Die Stabshauptabteilung „Blutsfragen des deutschen Bauerntums“ im Reichsnährstand (RN) des Reichsbauernführers Darré ist ein Beispiel für die komplizierten Machtverflechtungen im Dritten Reich: Die Abteilung gehörte gleichzeitig zum Rassenamt der SS, das bis September 938 ebenso unter Führung von Darré stand. Der Stabshauptabteilungsleiter, SS-Standartenführer Dr. Horst Rechenbach, war ab 936 in dieser Eigenschaft zugleich Amtsleiter der Reichsleitung der NSDAP im Reichsamt für Agrarpolitik. Vgl.: Die Ahnen deutscher Bauernführer, Band 6: Horst Rechenbach. Berlin: RN VerlagsGesellschaft 936. Diese Ahnenliste enthält auf S. 0- eine kurze, vermut43

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Argumentation fort: Das Verbrennen der Hexen sei eine Aktion zum Zwecke der Ausrottung des deutschen Blutes gewesen und habe große Bevölkerungsverluste verursacht.46 Weitere Diskussionen zum Hexen-Thema wurden, worauf Jörg Rudolph hinweist, durch die kirchlichen Gedenkfeierlichkeiten zum 300. Todestag des Jesuiten Friedrich Spee veranlasst. Die deutsche katholische Kirche hatte eine Reihe von Publikationen herausgegeben, die Spee als treuen Sohn der Kirche darstellten und ihn in der Polemik gegen Rosenberg ausspielten. Spee sollte als Beweis dafür dienen, dass die Kirche den von den Deutschen initiierten Hexenprozessen ein Ende gesetzt hat. Die katholischen Disputanten begingen allerdings den groben Fehler, in diesen Publikationen die zeitgenössische Einstellung der Kirche zum Werk und Wirken von Spee zu dessen Lebzeit, die Schikanen gegen ihn und das Publikationsverbot zu verschweigen. Damit boten sie den Nationalsozialisten geradezu eine Steilvorlage, in ihren eigenen Publikationen einschließlich der SS-Schulungshefte diese Unterlassung als Beleg für die Verlogenheit der Kirche auszuschlachten. Der Darstellung von Spee als eines Deutschen, der gegen den „rassenfremden kirchlichen Wahn“ gekämpft hat, folgten zahlreiche Texte, in denen Beispiele von Prozessen, die eindeutig von Geistlichen inspiriert waren, behandelt und die Wurzeln des Hexenglaubens in der christlichen Kultur verortet werden.47 Viele solcher Artikel wurden im Archiv des H-Sonderauftrages gesammelt. Die zweite wichtige Rede, in der Himmler die Hexenprozesse erwähnte, hielt er 937 vor den Gruppenführern der SS. Diesmal war sein Hauptthema die Gefährdung Deutschlands durch Homosexualität, in der er nicht einfach eine sexuelle Neigung und private Angelegenheit sah, sondern eine für den

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lich von Rechenbach selbst verfasste Biographie. Am Ende des . Weltkriegs war Rechenbach Oberleutnant bei einem Pionierbataillon, danach ab 99 Landwirt und Tierzuchtinspektor, dann bei der Reichswehr. „Im Dezember 93 fordert Reichsführer SS Himmler ihn auf, zur Reichsführung nach München zu kommen, um das Rasse- und Siedlungsamt als stellvertretender Chef aufzubauen“. 933 siedelt er mit diesem Amt nach Berlin über. „Nach der Umorganisation des Rasse- und Siedlungsamtes im Jahre 934 wird er als SSStandartenführer Chef der Hauptabteilung Rasse im Rassenamt. Im Jahre 933 beruft Reichsbauernführer Darré ihn als Hauptabteilungsleiter in sein Stabsamt“. Vgl. Jörg Rudolph, Geheime Reichskommandosache..., a.a.O. Das Beispiel von Spee ist ein typisches Beispiel für die Manipulation der Schuldfrage in den ideologisch gefärbten Hexenprozess-Diskussionen. Abhängig davon wer spricht, ob er kirchliche oder antikirchliche Positionen vertritt, erscheint Spee als ein Jesuit, der die Kirche reformieren will und gegen den Aberglauben des deutschen Volkes kämpft, oder als ein Deutscher, der den kirchlichen Wahn durchschaut. Parallel dazu wird Heinrich Kramer, der Autor des Hexenhammers, als ein Deutscher gesehen, der „germanischen Aberglauben“ vertritt, oder als ein romtreuer Dominikaner.

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Staat schädliche Krankheit.48 Er definierte die sexuelle Sphäre als ein hochrangiges Politikum, als etwas, das man zum Nutzen der Gesellschaft regeln und optimal funktionalisieren muss: „Alle Dinge, die sich auf dem geschlechtlichen Sektor bewegen, sind jedoch keine Privatangelegenheit eines einzelnen, sondern sie bedeuten das Leben und das Sterben des Volkes. [...] Homosexualität bringt also jede Leistung, jeden Aufbau nach Leistung im Staat zu Fall und zerstört den Staat in seinen Grundfesten. Dazu kommt folgendes: der Homosexuelle ist ein durch und durch psychisch kranker Mensch“.49

Himmler zeigte sich überzeugt, dass die Homosexuellen eine Art Verschwörung anzetteln würden.50 Sie kommen in seiner Rede noch schlimmer davon 48

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In der Erklärung der NSDAP zur Reichstagswahl im Mai 928 steht: „Alles, was unser Volk entmannt, zum Spielball seiner Feinde macht, lehnen wir ab, denn wir wissen, daß das Leben Kampf ist und Wahnsinn, zu denken, die Menschen lägen sich einst brüderlich in den Armen. Die Naturgeschichte lehrt uns anderes. Der Stärkere wird sich immer gegen den Schwächeren durchsetzen. Heute sind wir die Schwächeren, aber sehen wir zu, daß wir die Stärkeren werden! Das können wir nur, wenn wir Zucht üben. Wir verwerfen darum jede Unzucht, vor allem die mannmännliche Liebe, weil sie uns der letzten Möglichkeit beraubt, jemals unser Volk von den Sklavenketten zu befreien, unter denen es heute front.“ Im Oktober 936 kommt es zur Gründung der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ im Reichssicherheitshauptamt. Zit. nach: S. zur Nieden, Krankheit oder Laster? Erbbiologische Forschungen zu Homosexualität 933 bis 945, URL: http://www. mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/Ergebnisse/Ergebnisse25.pdf (9.09.2007), S. 8f. H. Himmler, Geheime Reden 933-945 und andere Ansprachen, Wien 974, S. 94-96. Michel Foucault datiert den Anfang des politischen Interesses an der Sexualität auf das 8. Jh. Die Aufforderung, alles zur Sprache zu bringen, was das sexuelle Leben betrifft, sei Teil einer Strategie, die die Gesellschaft „messbar“ und „kontrollierbar“ macht, den Körper dressiert, um seine Kräfte auszunutzen. Nicht die „Verbote“ in Bezug auf die Sexualität der bürgerlichen Gesellschaft interessieren Foucault, sondern die Rolle der Konstruktion „Sexualität“ in den Machtprozeduren, die man in der Hysterisierung des weiblichen Körpers, der Pädagogisierung des kindlichen Sexes, der Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens und der Psychiatrisierung der perversen Lust sieht. Die massive Thematisierung der Sexualität im Dritten Reich, insbesondere der Homosexualität, kann man als einen Teil der Strategie des Schutzes der Rasse mit den Prozeduren der Bio-Macht interpretieren. Bei Foucault ist das ein Begriff, der mit dem „Auftreten der Bevölkerung“ als ein ökonomisches und politisches Problem erscheint. Es entstehen Kontrolltechnologien der Macht, die die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen ihren Variablen zum Gegenstand haben. Vgl.: M. Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit , Frankfurt/M 983. Im Leitartikel der Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ vom 4. März 937 wurde in Anspielung auf die angeblichen Putschpläne Röhms ein Feindbild formuliert, das sich von der medizinischen Definition der Homosexualität abgrenzt: 45

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als die Jesuiten, denn die Lügen der Jesuiten seien zweckgebunden, die der Homosexuellen hingegen wesensbedingt. Er bedauerte, dass es die gegebenen Umstände nicht erlaubten, die Homosexuellen auf so einfache Weise loszuwerden wie in alten Zeiten: „Der Homosexuelle, den man Urning nannte, wurde im Sumpf versenkt. [...] Das war nicht eine Strafe, sondern das war einfach das Auslöschen dieses anormalen Lebens. Das musste entfernt werden, wie wir Brennnesseln ausziehen, auf einen Haufen werfen und verbrennen“.5

Zwar deutete er an, dass man Homosexuelle in Konzentrationslagern „auf der Flucht“ erschießen könne, doch wäre das für eine grundlegende Lösung des Problems nicht ausreichend. Als einzig wirksames Gegengift gegen homosexuelle Neigungen von Männern bestimmte er in dieser Rede die Frauen. Beziehungen mit Frauen gewährleisteten eine „natürliche“ Entladung des Sexualtriebes.52 Die Frauen sollten deswegen am öffentlichen Leben teilnehmen, oder eher dessen Zierde sein, sie sollten mit Achtung und charmant behandelt werden. Denn nur, wenn sie in ihren traditionellen Rollen an der Seite des deutschen Mannes auch in der Öffentlichkeit stehen, könne man einer allzu starken Maskulinisierung und Militarisierung der Gesellschaft, die den ersten Schritt zur Homosexualität bedeute, entgegenwirken.53 Wenn die Männer nämlich nur Männer kennen, bestünde die Gefahr, dass „die Qualitäten des

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„Mitten in einer Zeit, in der noch alle Welt geneigt war, die Homosexualität als ein ‚medizinisches‘ Problem anzusehen und entsprechend vorsichtig anzufassen, entpuppte es sich selbst als ein politisches Problem, das imstande gewesen wäre, den Zusammenbruch eines schwachen Staatswesens herbeizuführen“. Das sei ein Beweis, dass man das Problem mit „den Waffen der Politik“ lösen muss. Die Homosexuellen werden in eine Mehrheit von charakterschwachen Verführten, die man umerziehen müsse, und eine Minderheit von veranlagten Verführern, die man „ausmerzen“ solle, unterschieden. H. Himmler, Geheime Reden, a.a.O., S. 97. Himmler meint hier die so genannten „Moorleichen“, über die Tacitus als über Menschenopfer geschrieben hatte. Hans F.K. Günther hat sie als Strafe für homosexuelle Männer gedeutet. Vgl.: A. A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus, Heidelberg 995, S. 60. Die „rassisch unvollwertigen Frauen“ wurden zur Arbeit in KZ-Bordellen gezwungen. Homosexuelle Häftlinge mussten dort ihre „Genesung“, d.h. Rückkehr zur Heterosexualität beweisen. Himmlers These steht im Widerspruch zu vielen Homosexualitätsforschern der Jahrhundertwende. Bereits der Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing deutete in seinem 886 erschienenen Werk Psychopathia sexualis männliche Homosexualität als Ausdruck einer konstitutionsbiologischen Verweiblichung. Die mannmännliche Sexualität verstand er jedoch ähnlich wie Himmler als Zeichen von Degeneration, die er in Zusammenhang mit drohendem gesellschaftlichem Niedergang, moralischem Verfall und der Zunahme von Feminisierung und Dekadenz stellte.

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Männerstaates und die Vorzüge des Männerbundes“ zu Fehlern ausarten.54 Hier deutet Himmler ein Dilemma der Ideologiekonzeption des Nationalsozialismus an: Die Männerbünde seien einerseits politisch erforderlich und daher förderungswürdig, andererseits tendierten sie zu unerwünschtem Sexualverhalten, sprich Homosexualität, vor der sie – aus übergeordnetem Interesse – geschützt werden mussten.55 Himmlers Forderung nach koedukativen Festen, der Anerkennung unehelicher Kinder, darf nicht mit einer Anerkennung der Rechte von Frauen, einem Plädoyer für die Veränderung ihrer traditionellen Rolle verwechselt werden. Himmler klagt zwar das Christentum an, seine Schöpfer seien die „übelste Hefe“ gewesen, „die die Grosstadt aufgenommen hatte, das übelste Judenvolk, die übelsten Bolschewiken, die es gab“,56 und wirft diesem „homosexuellen erotischen Männerbund“ vor, er wolle die Frauen zerstören. Doch diese Anklage ist keineswegs gleichbedeutend mit einer Forderung nach Gleichberechtigung und Freiheit; im Rahmen eines Gesellschaftsbildes, in dem das Leben des Einzelnen außerhalb der Gemeinschaft 54 55

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H. Himmler, Geheime Reden, a. a. O., S. 99. Wie Ulrike Brunotte zeigt (in: Zwischen Eros und Krieg, Berlin 2004), folgen um 900 den Modernisierungsprozessen die Auseinandersetzungen mit der Weiblichkeit und der Männlichkeit. In diesem Zusammenhang werden auch die Angst vor der Verweiblichung des Mannes und der „Feminisierung der Kultur“ sowie die Homosexualität zum Thema. Hans Blüher, der neben Ernst Jünger und Armin Mohler zu den Kreisen der „Konservativen Revolution“ gehörte, erklärte den männlichen Eros zum Bindemittel der Männerbünde (Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, Stuttgart 962 [97]). Blüher sprach der Männlichkeit des Homosexuellen im Männerbund eine staatsbildende Funktion zu, schloss Frauen und Juden aus der sozialen und politischen Sphäre aus. Im Nationalismus, der zwar die Männerbünde, aber nicht die Idee der männlichen sexuellen Liebe offiziell übernommen hat, wird die „Bedrohung“ der Männerkameradschaft durch Homosexualität fast obsessiv thematisiert. In der Forschung im Dritten Reich wird am Anfang der empirische Nachweis der Erblichkeit von Homosexualität gesucht (vgl.: S. zur Nieden, Krankheit oder Laster? Erbbiologische Forschungen zu Homosexualität 933 bis 945, a.a.O.). Man beharrt auf dem „krankhaften Charakter“ der Homosexualität, andererseits lässt Homosexualität als Krankheit die polizeiliche Verfolgung und juristische Bestrafung homosexueller Verfehlungen fragwürdig erscheinen. Ein extrem politisiertes Feindbild von den Homosexuellen, das mindestens seit Himmlers Homosexualitätrede von den Homosexuellen, die man „ausrotten“ muss, feststeht, war nicht einfach zu vereinbaren mit der Erklärung von Homosexualität als Krankheit. Deshalb nehmen Versuche überhand, Homosexualität als Folge von Rassenmischung zu erklären (Lothar Gottlieb Tirala, Homosexualität und Rassenmischung, Berlin 935; vgl. auch: Florian Mildenberger, „... in der Richtung der Homosexualität verdorben“. Psychiater, Kriminalpsychologen und Gerichtsmediziner über männliche Homosexualität 850-970, Hamburg 2002) oder als eine „staatsfeindliche Verführung“. In beiden Erklärungen spielen die Juden eine wichtige Rolle. Dieses Phänomen ist nur eine der zahlreichen Inkonsistenzen der nationalsozialistischen Ideologie. H. Himmler, Geheime Reden, a. a. O., S. 02. 47

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keine Existenzberechtigung hat, wäre eine solche Forderung nicht konsistent.57 Worum es hier geht, ist eine gewisse Modifizierung der traditionellen weiblichen Rolle, etwa durch die Anerkennung unehelicher Mutterschaft, die darauf zielt, den Körper der Frau dem „Interesse der Nation“ zu subsumieren. Die Rolle der Frau bleibt einem staatlich definierten Weiblichkeitsbild untergeordnet. Bei den vermeintlichen Privilegien ging es lediglich darum, die Durchsetzung politischer Ziele, wie z.B. der Erhöhung der Geburtenrate, zu fördern.58 Gleichberechtigung hätte nämlich für Himmler eine Maskulinisierung der Frau bedeutet. In dieser Hinsicht vertrat er die herkömmliche patriarchalische, konservativ-bürgerliche Überzeugung: Wenn die Frauen männliche Rollen übernähmen, verschwänden die „weiblichen“ Eigenschaften in der Gesellschaft, die Geschlechtsunterschiede würden sich verwischen. Man solle nicht „die Frauen zu einem logischen Denkinstrument machen wollen“.59 Frauen an der Macht wären für Himmler ähnlich katastrophal gewesen wie die Herrschaft „homosexueller Männerbünde“. Die Macht der Frauen würde zu Homosexualität unter den machtlosen Männern führen. Beide Fälle – homosexuelle Männer und „vermännlichte“ Frauen – hätten den Zerfall des typisch deutschen Männerstaates, die Zersetzung des germanischen männlichen Prinzips des Staates zur Folge.60 Wenn Himmler von den Rechten der Frau spricht, dann meint er die Frau lediglich als Gebärende, der ein instinktives Rassengefühl eigen ist und die eher unwillkürlich der Reinheit des Blutes und der eigenen Rolle in der Gemeinschaft treu ergeben ist: „Denn die Einrichtung des Männerstaates ist die bessere“.6 In diesem Zusammenhang erwähnt Himmler die Hexenprozesse zweimal. Die erste Erwähnung, die direkt den Ausführungen über Homosexualität unter Priestern folgt, knüpft an die Vor57

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In vielen anderen Reden wird von den Frauen Gehorsam und Hingabe gefordert. Die Frau habe zu gehorchen, man sollte sie dazu erziehen: „ Ich habe [...] für etwas kein Verständnis, nämlich wenn dieser oder jener Führer [...] so ein entsetzlicher Pantoffelheld ist. Ich sprach schon oft aus: Führer, die nicht fähig sind, eine Rotte zu führen, nämlich sich und ihre Frau, die sind auch nicht fähig zu größeren Dingen“. Rede Himmlers vor SS-Gruppenführern über “Pantoffelhelden“ (8. November 937), in: H. Himmler, Geheime Reden, a.a.O., S. 83. Vgl.: G. von der Decken, Emanzipation auf Abwegen, Frankfurt/M. 988. Die Überwachung „der Gebärmutter“ wurde auch in den späteren Totalitarismen praktiziert. So beschreibt Herta Müller in ihrem Essayband: Hunger und Seide, Reinbek 997, Zwangkontrollen beim Frauenarzt, Registrierung der Schwangerschaften in Rumänien während der bra Ceauúescus. H. Himmler, Geheime Reden, a. a. O., S. 99. Himmler gibt zwar zu, dass es weibliche Regierungsformen gab: „Es gab schon in der Geschichte auch Frauenstaaten. Sie haben das Wort das Mutterrecht sicher schon gehört. Es gab Amazonenreiche nicht nur in der Fabel, sondern Tatsache“. Himmler, Geheime Reden, a. a. O., S.94. Das sei aber kein germanisches Prinzip, sondern eine unhaltbare, „ungesunde” Organisation der Macht. H. Himmler, Geheime Reden, a. a. O., S.94.

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stellungen von der Perversität der Verantwortlichen für die Hexenprozesse an.62 Sie verbindet dieses Verbrechen mit einer negativ konnotierten Erotik und enthält ein Versprechen: „Es wird aber in vier Jahren ein sehr schlüssiger Beweis erbracht sein, so hoffe ich, dass die Kirchenorganisation in ihrer Führerschaft, ihrem Priestertum, zum überwiegenden Teil ein homosexueller erotischer Männerbund ist, der auf dieser Grundlage seit nunmehr 800 Jahren die Menschheit terrorisiert, ihr die größten Blutopfer abverlangt, sadistisch pervers in seinen bußerungen der Vergangenheit war. Ich brauche nur an die Hexen- und Ketzerprozesse zu erinnern“.63

Den anderen Gründen für den Kampf gegen die Kirche fügt Himmler die Homosexualität der Priester als eine Bedrohung des Staates hinzu. Das Versprechen „des schlüssigen Beweises“ kann man wohl mit der Welle der „Sittlichkeitsprozesse“ gegen die katholischen Priester in den 930er Jahren in Zusammenhang bringen,64 und als Ankündigung des „Klostersturms“ verste62

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Karol Sauerland nennt Beispiele für detaillierte Fragen nach der Intimsphäre, die den denunzierten Homosexuellen und den Frauen in so genannten „Rassenschandefällen“ gestellt wurden, vgl.: K. Sauerland, Dreißig Silberinge. Denunziation: Gegenwart und Geschichte, Berlin 2000, S. 36f. Die Präzision dieser Fragen und der Gesetze, die „sexuelles Vergehen“ definierten, erinnert an die Genauigkeit der Inquisitoren bei den Verhören der Hexen. Auch die sexuell gefärbte Gewalt der SS-Männer an ihren Opfern lässt die moralische Empörung über die „krankhafte“ Sexualität der Geistlichen im Zusammenhang der Hexenprozesse unglaubwürdig erscheinen und wirft eher die Frage nach der universellen Lust an der Gewalt auf. Klaus Theweleit schreibt über Sexualität, die in Gewalt, in die Zerstörung des anderen umschlägt (z.B. über Pasolinis Film „Salo Oder Die 20 Tage von Sodom“ in: K. Theweleit, Deutschland Filme – Filmdenken und Gewalt, Stroemfeld 2003). Immer wieder erhält dieses Thema eine erschreckende Aktualität, es sei nur an den Krieg in Jugoslawien, die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib, die verfilmte Enthauptung Nick Bergs erinnert. H. Himmler, Geheime Reden, a.a.O., S. 03. Ein Erlass des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, vom Oktober 934 bestimmte, sämtliche Karteien über Sexualdelikte in einem Sonderdezernat der Berliner Gestapo zu sammeln. Man hat viele Schauprozesse durchgeführt: oft wurden Zuhörergruppen in die Gerichtssäle entsandt, und die Hauptverhandlungen wurden auf Schallplatten aufgenommen. Während der Prozesse stellte sich öfters heraus, dass manche Zeugen erpresst worden oder dubiöser Art waren. Die vielen Freisprüche, die es auch gegeben, hat, durften nicht in der Presse gemeldet werden. Im Juli 936 stoppte Hitler die gegen die Kirche gerichteten Homosexualitätsprozesse – offensichtlich, um während der Olympischen Sommerspiele in Berlin im August 936 vor der internationalen Öffentlichkeit ein Bild des inneren Friedens zu verbreiten. Alles änderte sich wieder, als die Enzyklika Plus' XI. »Mit brennender Sorge« vom 4. März 937 am Palmsonntag, dem 2. März, von den meisten Kanzeln verlesen wurde, in der von der Unversöhnlichkeit christlicher Glaubenssätze und jenes Ersatzglaubens die 49

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hen, dessen Höhepunkt auf die Jahre 940-4 fiel.65 Die zweite Erwähnung der Hexenprozesse enthält ein Lob auf die deutsche Frau und die Verdammung der Verfolgungen: „Wir gerade müssen uns darüber klar sein, dass die Bewegung, die Weltanschauung dann Bestand hat, wenn sie von der Frau getragen wird, denn Männer erfassen alle Dinge mit dem Verstand, während die Frau alle Dinge mit dem Gefühl erfasst. Die größeren Blutopfer in den Hexen- und Ketzerprozessen hat die deutsche Frau gebracht. Die Pfaffen wussten genau, warum sie 5-6.000 Frauen verbrannten, eben weil sie gefühlsmäßig an dem alten Wissen und der alten Lehre festhielten und sich gefühlsmäßig mit dem Instinkt nicht davon abbringen ließen, während der Mann sich schon logisch gedankenmäßig umgestellt hatte: Es hat ja keinen Sinn. Wir gehen politisch unter, ich füge mich, ich lasse mich taufen“.66

Auf diesem Umweg kommt Himmler zu einer Identifikation der Frau mit dem Staat: Die Frau soll der Volksgemeinschaft im „privaten“ Bereich der Familie

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Rede war, "der Begriffe wie Blut, Volk und Rasse oder eine bestimmte Staatsform zur Norm aller Werte mache« (Hockerts, S. 72). Zwei Wochen nach Verlesung der Enzyklika, am 6. April 937, befahl Hitler, »die seit Juli des Vorjahres ruhenden Sittlichkeitsverfahren unverzüglich unter Zurückstellung anderer Sachen mit Nachdruck wiederaufzunehmen ...« (Hockerts, S. 73). Vgl: Hans Günter Hockerts, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 936/937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Wie ein "Führerblatt“ der Hitlerjugend schon 936 verkündete, stellten die Ordensgesellschaften "eine große Gefahr für die Moral des deutschen Volkes“ dar und sollten daher so rasch wie möglich verschwinden. Dieser Angriff war weit mehr als ein Sturm gegen die Klöster allein, da er sich auch gegen Priesterseminare, Gemeindehäuser, Heime, Erziehungs-, Heil- und Pflegeanstalten richtete. Und die Beschlagnahmen und Enteignungen erstreckten sich nicht nur auf das "Altreich“, sondern auch auf die angegliederten und besetzten Länder Das Ganze vollzog sich – zumindest anfangs – unter dem Deckmantel "kriegsbedingter“ Maßnahmen. Dagegen konnte sich die Kirche, wie die Initiatoren kalkulierten, schlecht wehren, ohne in den Verdacht der Sabotage an der "Volksgemeinschaft“ zu geraten. Auslöser des Angriffs auf kirchliche Einrichtungen war die "Volksdeutsche Mittelstelle“, die Himmlers Einfluss unterstand. Hitler bremste Himmlers und Bormanns Aktionen aus taktischen Gründen, wenn sich unter den Katholiken Protest regte und ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung zu befürchten war – in Kriegszeiten eine reale Gefahr. Anette Mertens ist überzeugt, der Klostersturm war eine Generalprobe für eine "Endlösung“, die das "Dritte Reich“ der katholischen Seite seit Kriegsbeginn zugedacht hatte. Nur der Zusammenbruch des NS-Regimes im Jahr 945 hat die deutschen Katholiken vor einer Katastrophe bewahrt. Vgl.: Annette Mertens, Himmlers Klostersturm. Der Angriff auf katholische Einrichtungen im Zweiten Weltkrieg und die Wiedergutmachung nach 945. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2006. H. Himmler, Geheime Reden, a.a.O., S. 03.

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dienen, die „richtige“ Einstellung pflegen und tradieren.67 Diese Vorstellung folgt einer langen Tradition, die den Frauen eine symbolische Rolle als Verteidigerinnen der Nation, des Staates und seiner herrschenden Ideologie zuschreibt, mit dem Vorbehalt, dass sie in der Realität keine bewusst und aktiv handelnden Subjekte werden, sondern instinktiv und gefühlsmäßig reagierende, passive Hüterinnen bleiben sollen, die nur in der symbolischen Sphäre das Sagen haben. 68 Wer mit Himmler annahm, die Hexen-Germaninnen entsprachen dem Muster der weiblichen, kinderfreundlichen aber unerotischen, treuen Begleiterin ihrer Männer, die jene vor „kranker“ Sexualität schützte und nationale Identität „konservierte“, konnte ihre Verbrennung als einen Angriff auf das Volk verstehen. In dieser Sicht werden die Hexen zu germanischen Märtyrerinnen, welche die alte Bräuche und Ideale, das „Wesen des Volkes“, schützen wollten. Verbrannt wird der Körper des Volkes, der die rassische Reinheit garantierte. Die beiden zentralen Motive der nationalsozialistischen Thematisierung der Hexenprozesse – die Betonung der Feindseligkeit der Kirche gegenüber der germanischen Rasse, der Frau und dem deutschen Staatprinzip, und die Umdeutung der verbrannten Frauen zu symbolträchtigen Vertreterinnen des Deutschtums – kamen schon in Ruges Text vor und spielten dann in den Arbeiten des H-Sonderauftrags eine wesentliche Rolle. Die Stilisierung der Priester zu Feinden des Reiches, die Unterstellung geheimer Verbindungen zwischen ihnen und anderen Feinden – Juden, Bolschewiken und Homosexuellen, sowie die Suche nach den Quellen deutscher Religiosität und nationaler Identität in der germanischen Kultur, deren Werte die Hexen angeblich vertreten haben, waren die wichtigsten Tendenzen, die Himmler in der Interpretation der Prozesse vertrat. Das Sammeln von Belegen für eine besondere Stellung der Frau in der germanischen Kultur sowie von Indizien, die geeignet waren, die Geistlichkeit und die christliche Theologie zu kompromittieren, kennzeichneten nicht nur die Taktik des H-Sonderauftrags, sondern bildeten auch ein nahezu alltägliches Thema der Presse im Dritten Reich.69

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Godele von der Decken gibt noch andere Beispiele dafür, wie man Frauen im Nationalsozialismus in den Dienst des Staates stellte: Sie erhielten eine Scheinöffentlichkeit in Form der straff organisierten und hierarchisierten Frauenschaft oder der obligatorischen Teilnahme an den Sitzungen der Arbeitsgruppen „zu fraulichen Themen“. Wichtig war die organisatorische Erfassung aller. Vgl.: G. von der Decken, Emanzipation auf Abwegen. Frauenkultur und Frauenliteratur im Umkreis des Nationalismus. Frankfurt 988. Vgl.: K. Hoffmann-Curtius, Opfermodelle am Altar des Vaterlandes seit der Französischen Revolution, in: Schrift der Flammen. Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert, hrsg. G. Kohn-Waechter, Berlin 99. Im Posener Archiv befindet sich u.a. ein Artikel aus der Zeitschrift „Die Stimme der deutschen Weltanschauung“ unter dem Titel Die Entwertung der Frau im Christentum, in dem behauptet wird, dass die Achtung der Frau gegenüber 51

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Himmler selbst war von dem Projekt der Hexenforschung so fasziniert, dass er den Auftrag erteilte, unter seinen Ahnen nach Hexen – Vertreterinnen alter germanischer Bräuche – zu suchen. Jörg Rudolph beruft sich auf eine geheime Notiz von Reinhard Heydrich, aus der hervorgeht, dass eine solche Abstammung für möglich gehalten wurde.70 Während der 937 aufgenommenen Suche wurde eine gewisse Margareth Himbler entdeckt, die am 4. April 629 verbrannt wurde. Himmlers Reaktion auf diese Entdeckung ist nicht bekannt.

Der Hexen-Sonderauftrag in den ideologischen Machtstrukturen 935 rief Himmler beim Sicherheitsdienst SS (im Weiteren: SD) eine Forschungsgruppe ins Leben, die sich mit der Geschichte der Hexenprozesse befassen sollte. Der erste Bericht der Gruppe datiert vom .09.935, der letzte vom 9.0.944. Himmler war für skurrile Ideen und pseudowissenschaftliche Aufträge an seine Mitarbeiter bekannt, denen es oft erhebliche Mühe bereitete, seine Befehle auszuführen, ohne sich in der wissenschaftlichen Welt vollkommen zu blamieren.7 Zum Beispiel beauftragte Himmler seine Wissenschaftler, das germanische System der Geburtenregulierung zu erforschen, dabei aber auf jeden Fall seinen Hinweis zu berücksichtigen, dass germanische Kinder während der Sommerwende gezeugt wurden. bhnlich abwegig waren etwa eine Beschreibung der angeblich aus der Wikingerzeit stammenden Stickkunst einer alten Frau aus Juthland, die allerdings nie gefunden wurde,72 oder die Su-

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ein deutscher Charakterzug sei, und dass erst unter dem Einfluss der katholischen Kirche ein Mord an Frauen möglich gewesen sei. Die Bibel wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Frauen ihre ehrenhafte Stellung in der Gesellschaft verloren. Emotionell und pathetisch werden die grausamen, während der Hexenprozessen angewandten Methoden beschrieben, das Ende des Prozesse wird mit der Aufklärung der Gesellschaft und der Rückkehr der germanischen Weltanschauung erklärt. Betont wird, dass in der Kirche immer noch Aberglauben, Angst vor dem Teufel und Diskriminierung der Frauen herrschen (Staatsarchiv in Posen: Reichsicherheitshauptamt SS, Archivreferat – Abteilung für Hexenprozessforschung, Czary, 3856, S.45-46 – im Weiteren „Czary“). bhnliche Meinungen vertreten viele Artikel in der nationalsozialistischen Frauenpresse ("Die deutsche Kämpferin“, "Die Frau“), deren Analyse eine wichtige Forschungsaufgabe wäre. Viele Artikel verspotten die Zaubergläubigkeit „der katholischen Kreise in Deutschland“ (Gott lacht ihrer, Czary, 3860, S.95). Vgl.: J. Rudolph, 'Geheime Reichskommando – Sache!“, a.a.O., S. 52. Vgl.: J. Matthäus, Kameraden im Geiste, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O. Vgl.: G. Lixfeld, Das "Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologischpolitische Funktion seiner Volkskunde, in: Völkische Wissenschaft. Gestalten

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che nach dem Beweis der „bhnlichkeit der Hosentracht bei japanischen Bäuerinnen und bayerischen Stallmägden“.73 Himmler bestimmte weitgehend die Sprache der Texte und kontrollierte ihre Vereinbarkeit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung.74 Er war überzeugt von der Bedeutung der Geisteswissenschaften als Kampfmittel gegen die ideologischen Feinde des Dritten Reiches und für die Legitimation des nationalsozialistischen Staates. Er wollte für die Geisteswissenschaften jedoch einen neuen Rahmen schaffen, in dem sie diese Funktionen besser ausüben könnten als in der akademischen Welt. Denn die Universitäten waren dem Reichsführer SS nicht direkt unterordnet, und trotz der weitgehenden Gleichschaltung waren die Professoren vielen seinen Ideen gegenüber kritisch eingestellt. Ein Beispiel dafür war die „Welteislehre“, die von Himmler unterstützt, in der akademischen Welt aber nie als seriös anerkannt wurde.75

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und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20.Jhs, hrsg. von W. Jacobeit, Wien 994, S. 253-254. Vgl.: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, Geschichtsdenken und politisches Handeln im III Reich, Paderborn 998, S.234. Vgl.: M. H. Kater, Das Ahnenerbe der SS. 935/945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 997, S.72. Das ist ein krasses Beispiel dafür, wie eine „wissenschaftliche Tatsache“ entsteht und von einem weltanschaulichen Denkkollektiv verbreitet und legitimiert wird. „Welteislehre“ ist eine von der Wissenschaft nie anerkannte These des österreichischen Ingenieurs Hanns Hörbiger, nach der das Universum in seiner Genese auf Mutationen von ewigem Eis zurückzuführen sei, die in zahlreichen Mythen (z.B. der Sintflut) beschrieben sind. Nach Hörbiger befindet sich das Universum in einem ständigen Dualismus von Sonnen- und Eisplaneten. Der Mond, der früher ein eigenständiger Planet war, ist von Eis bedeckt, da ihm eine schützende Atmosphäre fehlt. Der Mond soll sich der Erde immer weiter nähern, bis er unter seinem Eigengewicht zerbricht. Die Bruchstücke stürzen auf die Erde und lösen eine globale Klimakatastrophe aus. Derartige Katastrophen sollen sich in der Vergangenheit mehrmals ereignet haben: davon zeugen die biblische Sintflut und der Untergang von Atlantis. Die nordische Mythologie mit ihrer Vorstellung einer „Götterdämmerung“ sowie die Apokalypse des Johannes sollen ihren Ursprung in derartigen Katastrophenszenarien haben. Nach dem Ersten Weltkrieg gewann díe Welteislehre große Popularität. Zwar wurden sie Thesen in Fachkreisen als wissenschaftlich nicht haltbar zurückgewiesen, der Himmler förderte sie dessen ungeachtet als zum „nordischen Weltbild“ gehörend. Hörbiger wurde von seinen Anhängern mitunter mit dem „Führer“ verglichen: beide stammten aus Österreich und waren zunächst verkannte Außenseiter. Während Hitler mit dem „Weltjudentum aufräumte“, sollte Hörbiger Deutschland und die Welt von der „jüdisch beherrschten Wissenschaft“ befreien. Die Katastrophenszenarien der Theorie ließen sich gut mit den rassistischen Vorstellungen der Nazis in Verbindung bringen. Die „Herrenrasse“ der weißen Arier erstarkte im ewigen Eis des Nordens und errichtete in Thule (gleichbedeutend mit Atlantis) eine Hochkultur, die später unterging. Gleich dem Zyklus der Welteislehre von Werden und Vergehen sollte die Herrenrasse mit dem Dritten Reich wieder auferstehen und den ihr gebührenden 53

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Himmler schwebte eine Wissenschaft mit „einer organischen Grundlage“ vor, in der kein Element für sich, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Elementen, im Zusammenhang des Ganzen, als wesentlich gilt. Dabei spielte die ideologisierte Gesamtbetrachtung des Forschungsobjektes eine wichtige Rolle. Die Schranken zwischen den Wissenschaften sollten aufgehoben werden, die Methoden der biologischen Wissenschaften in den Geisteswissenschaften Anwendung finden und umgekehrt. Formulierungen wie „arische Physik“ und „rassische Bedingtheit der germanischen Kultur“ stehen für dieses Verständnis von Wissenschaft. Rauschning führt folgendes Zitat an, in dem sich Himmler mit verblüffender Offenheit zu einem Verständnis von Geschichtsschreibung bekennt, das die Instrumentalisierung der Vergangenheit für die Gestaltung der Gegenwart und die Konstruktion des nationalen Gedächtnisses als zentrale Aufgabe ansieht: „Wenn der Staat oder die Partei eine Ansicht als wünschenswerten Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Forschung geäußert hätte, dann hätte sie einfach als wissenschaftliches Axiom zu gelten. [...] Es ist uns höchst gleichgültig, ob sich die Vorgeschichte der germanischen Stämme in Wirklichkeit so oder anders abgespielt hat. Worauf es uns einzig und allein ankommt, sind geschichtliche Vorstellungen, die unserem Volk den notwendigen Nationalstolz stärken. [...] Vorgeschichte ist die Lehre von der überragenden Bedeutung der Deutschen in der Vorzeit.“76

Um die Art und die Ziele der Forschung zu verstehen, die im Rahmen des H-Sonderauftrags betrieben werden sollte, muss man berücksichtigen, dass dieser 935 innerhalb des SD eingerichtet wurde, welcher seit 939 das

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Platz einnehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand die Welteislehre weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein. Allerdings findet sich eine Reihe von esoterischen Internetseiten, auf denen sie bis heute verteidigt wird. Vgl: Brigitte Nagel, Die Welteislehre – Ihre Geschichte und ihre Rolle im Dritten Reich, Stuttgart 2000. Hitler soll in der Wolfschanze gesagt haben: „Ich neige der Welteislehre von Hörbiger zu. Vielleicht hat um das Jahr 0 000 vor unserer Zeitrechnung ein Einbruch des Mondes stattgefunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Erde den Mond damals in seine jetzige Bahn gezwungen hatte, unsere Erde an sich gerissen hat, womit sich die Lebensbedingungen der Menschheit auf der Erde von Grund auf verändert haben. Denkbar ist, dass es damals Wesen gab, die in jeder Höhe und Tiefe haben existieren können, weil es den Zwang des atmosphärischen Druckes nicht gegeben hat. Denkbar ist auch, dass die Erde aufgebrochen ist und dass der Einsturz von Wasser in die Krater zu ungeheuren Explosionen geführt hat und Regengüsse gebracht hat, vor denen sich nur ein Menschenpaar hat retten können, da es in einer höher gelegenen Höhe Unterschlupf gefunden hatte. Ich glaube, diese Fragen werden sich nur lösen, wenn eines Tages ein Mensch intuitiv Zusammenhänge schaut und der exakten Wissenschaft damit den Weg weist.“ Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Ullstein, Frankfurt 993, S.28f. H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, New York 940, S. 24.

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Reichssicherheitshauptamt (RSHA) integriert und dort dem Amt II, seit 94 dem Amt VII. angeschlossen war. Gemäß Heydrichs und Himmlers Absichten sollte der SD ein Geheimdienst unter der Leitung von vertrauten SSMitgliedern sein. Der SD hatte die Aufgabe, die Leitung der NSDAP über Ziele, Methoden und Pläne der Gegner zu informieren und die Stimmungen in der Gesellschaft zu sondieren.77 Im Dezember 938 bekam der SD die ausschließliche Zuständigkeit für diese Erkundungsdienste.78 Die Abteilung II war für alle Angelegenheiten zuständig, die mit Kommunismus, Marxismus, Judentum, Freimaurerei und „politischen Kirchen“ zusammenhingen. Die Ausarbeitung einer Feindbilddefinition, die alles „ungermanische“ umfasste, war Bestandteil der Entwicklung eines offiziellen Wertenkanons des Dritten Reiches. Die Untersuchung der Hexenprozesse als Kampf der Kirchen gegen das Germanische gehörte zu diesem Aufgabenkatalog. Auch Heydrich, der Chef des SD, der Himmlers Ideen oft skeptisch gegenüber stand, war der Meinung, dass die „politischen Kirchen“ über viele Jahrhunderte „blutliche und geistige Werte unseres Volkes zu vernichten” suchten. Das beste Beispiel dafür in der Gegenwart sei „die Sabotage des Sterilisationsgesetzes und der Rassengesetzgebung“.79 Für die Angestellten aller Referate des SD galt Heydrichs Maxime, dass die wissenschaftliche Arbeit über den Gegner diesen so darstellen solle, „dass jeder über jeden Gegner gleichmäßig denkt, ihn gleich grundsätzlich ablehnt, ohne persönlich egoistische und mitleidige Ausnahmen zu machen”.80 Als Himmler 939 zum Polizeichef ernannt wurde, führte er die Sicherheitspolizei mit dem SD in einer neuen Institution zusammen, dem Reichssicherheitshauptamt.8 Das RSHA bestand aus sieben bmtern mit jeweils mehreren Referaten, von denen jedes seine besondere Aufgabe bei der Organisation des nationalsozialistischen Terrors und der Entwicklung und Propagierung der nationalsozialistischen Ideologie hatte. Im Folgenden gebe ich für jedes Amt als Beispiel eine Funktion an, um eine Vorstellung vom Charakter dieser Institution zu vermitteln: • Amt I (Personal, Ausbildung und Organisation der Sicherheitspolizei und des SD): beteiligte sich am Aufbau der Einsatzgruppen, die in Polen und in der Sowjetunion hunderttausende Menschen ermordeten;

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Vgl.: Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Bd.22, Reichssicherheitshauptamt, Bestand R 58, bearbeitet von H. Boberach, Koblenz 992, S. XVI. Ebenda, S. XVIII. Ebenda, S.54. Zit. nach: ebenda, S. 55. Bei der Beschreibung der Strukturen des RSHA stütze ich mich auf die Arbeit von H. Boberach, Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs. Bd.22. Reichssicherheitshauptamt. Bestand R 58, Koblenz 992. 55

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Amt II (Haushalt und Wirtschaft): koordinierte die Umrüstung verschiedener LKW-Typen zu fahrbaren Gaskammern, die dann zur Tötung von Juden eingesetzt wurden; Amt III (Deutsche Lebensgebiete): beteiligt an der Germanisierungspolitik in den annektierten polnischen Gebieten; Amt IV (Gegner-Forschung und Bekämpfung): mit verantwortlich für Todesurteile gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner des Dritten Reiches; das Referat IV B4 unter Leitung von Adolf Eichmann organisierte den Massenmord an den europäischen Juden; Amt V (Verbrechensbekämpfung): verantwortlich für die Einweisung „asozialer Individuen” (u.a. Roma und Homosexuelle) in Konzentrationslager; Amt VI (Auslandsnachrichtendienst): Organisation von Attentaten auf deutsche Emigranten, Vorbereitung von Verhaftungslisten für die Einsatzkommandos in neu besetzten Ländern; Amt VII (Weltanschauliche Forschung und Auswertung): Ausarbeitung der theoretischen und ideologischen Grundlagen für die Legitimation der NS-Herrschaft und die Rechtfertigung des dazugehörigen Terrors.

Dass der H-Sonderauftrag, der sich mit einem scheinbar so gegenwartsfernen historischen Thema befasste, im Rahmen einer Institution konstituiert wurde, die für die NS-Politik im Inland wie in den eroberten Gebieten eine aktive und zentrale Rolle spielte und für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich war, stützt die These, dass Himmler ernsthaft bemüht war, die Forschungsergebnisse des H-Sonderauftrages im politischen Kampf einzusetzen.

Die Mitarbeiter des Hexen-Sonderauftrages – Geisteswissenschaftler im Dienst der Naziideologie Die Beschäftigung mit der Frage, wer für den H-Sonderauftrag gearbeitet hat, kann nicht zuletzt auch einen Beitrag zur jüngeren deutschen Debatte über die Rolle der Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus leisten.82 Die Aktivi82

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In der letzten Zeit entstanden in Deutschland und Österreich zahlreiche Arbeiten über die Beziehungen verschiedener Wissenschaften zum Nationalsozialismus. Institutionelle, intellektuelle und personelle Verbindungen werden untersucht, Kontinuitäten nach dem Krieg aufgespürt, Verflechtungen und Bedingtheiten zwischen Wissenschaft und Politik erörtert, die zwei großen Aktionen aufgearbeitet: „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ unter der Leitung von Paul Ritterbusch und „Totaler Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ unter SS-Mitglied Hans Ernst Schneider alias Hans Schwerte. Der Einsatz in diesen Aktionen wurde für die beteiligten Wissenschaftler nach dem Krieg als Berufserfahrung anerkannt und bis in die späten 990er-Jahre wurden sie in Festschriften für den völkischen Wissenschaftseinsatz gefeiert. Die ent-

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täten und Schicksale der Mitarbeiter liefern einen wichtigen Baustein der Geschichte der Beteiligung der Geisteswissenschaften an der Bildung des nationalsozialistischen Selbstverständnisses. Alle „Hexen-Forscher“ hatten eine geisteswissenschaftliche Ausbildung. Alle, die den Krieg überlebt haben, konnten sich später in der Bundesrepublik oder in Österreich wieder etablieren und fanden dort für ihre (leicht modifizierten) Theorien auch wieder ein Publikum. Der Chef einiger Referate des Amtes II und später des Amtes VII war Franz Alfred Six.83 Sein Name wird in den Berichten und Briefen der Angestellten des H-Sonderauftrags oft erwähnt. Six war der Vorgesetzte von Eichmann. Nach dem Krieg wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, in den 960er Jahren gehörte er zu den wichtigsten Marketing-Experten in Westdeutschland. Bereits am Anfang seiner Kariere befasste sich Six mit der Erforschung des „Gegners“ und der Präzisierung dieses Begriffes. Lutz Hachmeister beschreibt in einer Schilderung von Six beruflichem Werdegang die Profilierung der Institution, der ursprünglich auch der H-Sonderauftrag unterstand: „Six kam zu einem Zeitpunkt zum SD, als sich Heydrichs Organisation institutionell gefestigt hatte, auf der Suche nach Spezialisten für bestimmte weltanschauliche Gebiete war und eine stärkere Rekrutierung akademischer Spezialisten für die SDArbeit angestrebt wurde. Funktional gefordert war eine nach eindeutigen Freund-

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scheidende Wende, diese und neue Forschungsergebnisse angemessen zur Kenntnis zu nehmen, kam erst mit dem Frankfurter Historikertag von 998. Goetz Aly, Michael Fahlbusch und Peter Schoettler erzwangen eine Debatte über die Frage, welchen Beitrag deutsche Historiker an der Vernichtungspolitik im Osten und den Frankreichplänen Hitlers hatten. Die daran beteiligten Wissenschaftler agierten nicht isoliert, sondern arbeiteten interdisziplinär in festen Forschungseinrichtungen mit einem Personalpool von weit mehr als .000 Fachwissenschaftlern. Vgl.: F.R. Hausmann, Deutsche Geisteswissenschaft im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (940–945), Dresden 2003; Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 933-945 (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 53), hrsg. von F. R. Hausmann, München 2002; Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 930 und 950, hrsg. von N. Doll, C. Fuhrmeister, M. H. Sprenger Weimar, 2005; L. Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 998; Vertuschte Vergangenheit. Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der deutschen Hochschulen, hrsg. von H. König, W. Kuhlmann und K. Schwabe, München 997. Franz Alfred Six, geb. 909, seit 930 Mitglied der NSDAP, 935 Eintritt in die SS. Eine genaue Beschreibung seiner Karierre findet man bei L. Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 998; Deutsche Historiker im Nationalsozialismus. Unter Mitarbeit von G. Helm und T. Ott, hrsg. von W. Schulze und O.G. Oexle, Frankfurt/ Main 999. 57

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Feind-Schemata ausgerichtete Zweckforschung [...]. Die Gegner des NS-Staates mussten vielgestaltiger, dämonischer, gefährlicher dargestellt werden, damit nur der SD als weltanschaulicher Geheimdienst siu generis für ihre Definition und Bekämpfung in Frage kam. Deshalb wurde von Six eine permanente Professionalisierung der Gegnerforschung gefordert und in Ansätzen auch betrieben“.84

Six beteiligte sich nicht direkt an der Hexenprozessforschung, aber die Richtlinien, die er für sein Amt formulierte, die Ausrichtung auf die Entdeckung und Erforschung der „feindlichen Mächte“, galten auch für die Forscher des H-Sonderauftrags. Die Arbeiten im Rahmen des H-Sonderauftrags wurden unmittelbar durch die SS-Offiziere Dr. Wilhelm Spengler85 und Dr. Rudolf Levin86 beaufsichtigt. Die Forschergruppe bestand aus 3 Festangestellten und einigen Beratern.87 Spengler und Levin hatten eine historische und philologische, Levin auch eine philosophische Ausbildung. Als Angestellter des SD stellte Spengler die Literatur zusammen, die für die Begründung der Gegner-Theorie gebraucht wurde. Zudem nahm er regelmäßig an den Planungsdiskussionen des

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L. Hachmeister, Der Gegnerforscher, a.a.O., S.44-45. Wilhelm Spengler (907-96), studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Philologie in München und Leipzig. Wie er selber berichtete, hasste er den Katholizismus so sehr, dass er „ein Studium ergriff, das einem weltanschauliche Werte aus dem germanischen und deutschen Geisteserbe vermitteln konnte“ (Simon, S. XXII). Er promovierte über Schillers Dramen, arbeitete ein Jahr lang als Lehrer und wurde 934 als erster Germanist beim SD angestellt. 937 übernahm er das Referat „Presse und Schrifttum“ und das Kulturreferat, das eigentlich für die Zensur zuständig war. 942 ging er im Auftrag des SD an die Ostfront und zeichnete sich in der Bekämpfung der Partisanen aus. Nach dem Krieg arbeitete er als Lektor im Stalling Verlag. Dort war er zusammen mit Hans Schneider, der 942 als SS-Hauptsturmführer die Abteilung „Germanischer Wissenschaftseinsatz“ des „Ahnenerbes“ geleitet hatte, für das Buchprojekt „Gestalter unserer Zeit“ zuständig. Ab 95 war er Vorstandsmitglied der „Stillen Hilfe“, einer Hilfsorganisation für als Kriegsverbrecher verurteilte Nationalsozialisten. Im Archiv in Posen gibt es von ihm signierte Dokumente und einen Bericht aus seiner Sitzung mit den Angestellten des H-Sonderauftrags, dessen Besprechung folgt. Nach: Germanistik in den Planspielen des Sicherheitsdienstes der SS. hrsg. von Gerd Simon, Tübingen, 998. Rudolf Levin (geb. 909, wahrscheinlich Anfang 945 gefallen), studierte Geschichte, Germanistik, Englisch und Philosophie. Doktorarbeit: Der Geschichtsbegriff des Positivismus unter besonderer Berücksichtigung Mills und der rechtsphilosophischen Anschauungen John Austins. Nicht verteidigte Habilitation: Die Hexenprozesse in volksgeschichtlicher Sicht. Levin war Assistent von Six in Berlin. Nach: J. Matthäus, Weltanschauliche Forschung und Auswertung, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 5, Frankfurt 996. Das lässt sich anhand der Posener und der Warschauer Sammlung feststellen, vgl. auch J. Rudolph, „Geheime Reichskommando-Sache!“, a.a.O, S.60-66.

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H-Sonderauftrags teil und soll die ganze Forschergruppe ideologisch überwacht haben.88 Zu Hexen-Themen hat Spengler selbst keine Texte geschrieben. Als Mitglied des SS-Frauenwerks hat er sich jedoch intensiv mit dem Frauenbild im Christentum und bei den Germanen befasst, also mit einem Thema, das mit dem Hexen-Problemkreis eng verflochten war. Sein Frauenbild war strikt dem Gemeinschaftsgedanken, der Erhaltung der Rasse, verpflichtet: „Mann oder Frau? Nein! Beide sind nach uraltem Weltgesetz berufen, in gleicher Verantwortung die Sippen zu tragen und in ständiger Neuschöpfung des Lebens das Blut ihres Volkes in die Zukunft zu pflanzen.[...] Die Geschlechterkette vom Urahn zum Enkel macht jede Frau wie jeden Mann in dieser Kette einmal zu dem das ganze Geschlecht tragenden Glied“. 89

Die Vertreter beider Geschlechter erscheinen bei Spengler nie als Individuen, sondern immer nur als wichtige Elemente der Generationenfolge, welche einem als universell verstandenen Gesetz gemäß Verantwortung für ihre Rasse tragen. Die von ihm propagierte, keinesfalls innovative Rollenteilung der Geschlechter legitimiert den Ausschluss der Frauen aus der politischen Sphäre: „Der Mann muss und wird nicht allein das verantwortliche und schützende Haupt der Familie und Sippe sein, sondern Männer müssen und werden den Staat tragen und die stil- und typenbildenden Kräfte in den Bereichen des öffentlichen Lebens sein“.90

In einer pathetischen Beschreibung des weiblichen Wesens macht Spengler, ähnlich wie Himmler, vor allem auf die Rolle der Frauen für die Festigung der bestehenden Ordnung aufmerksam: „Die Frau aber bleibt die Hüterin und Wahrerin der unerschöpflichen Lebenskräfte in einem Volk, sie ist die Quelle ewig jungen Lebens, und Glück und Wärme alles individuellen Daseins ist in ihre Hand gegeben“.9

Levin versuchte, mit einer Arbeit über die Hexenprozesse zu habilitieren. Er berichtet darüber in einem Brief an Günther Franz92, den Betreuer vieler For88 89 90 9 92

G. Simon, Germanistik und Sicherheitsdienst, URL: http://homepages. uni-tuebingen.de/gerd.simon/hamburg.pdf (9.09.2007). W. Spengler, Die Frau im germanischen und kirchlichen Weltbild, Volk im Werden 5, S.232f. Ebenda, S. 233. Ebenda. Günther Franz (902-992), Agrarhistoriker, schrieb über Bauernkriege, beteiligte sich an NS-Schulungsveranstaltungen, verfasste antisemitische Texte, 59

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schungsaufträge des SD, und betont, wohl in der Vorahnung der fachlichen Unzulänglichkeiten der Arbeit, ihre politische Relevanz: „Da die Arbeit selbst in einem Forschungsauftrag des RF SS gemacht worden ist, ist die weltanschauliche Akzentuierung stärker als bei anderen wissenschaftlichen Arbeiten. Der wesentliche Teil der Arbeit liegt im zweiten Kapitel, das wir für die Habilitationsarbeit geschlossen herausnehmen können.“93

Dem Brief, datiert mit dem 3.2.94, wurde ein Inhaltsverzeichnis beigelegt, welches vermuten lässt, dass die Arbeit der antichristlichen Einstellung Himmlers entsprach (Kapitel I b und c) und die These über die Hexenprozesse als Verbrechen an der germanischen Rasse vertrat (Kapitel II und III): „I Die Ursprünge und die Verbreitung des Hexenwahns und der Hexenprozesse im Reich a. Das Problem des Hexenwahns b. Germanische und christliche Erfassung c. Die Stellung der Geistlichkeit zum Hexenwahn und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die Predigten. II Die volksgeschichtlichen Auswirkungen des Hexenwahns und der Hexenprozesse. III Die volkspolitischen Folgen der Hexenprozesse.“94

Auch in einem späteren Brief an Franz (vom 27.7.942) bringt Levin die Befürchtung zum Ausdruck, die Arbeit könnte durch die akademische Welt abgelehnt werden. Er erinnert an die Verpflichtung zur Geheimhaltung des Auf-

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deutete die nationalsozialistische Revolution als Erfüllung der Hoffnungen des Bauernkrieges (Bauerntum als Volkstum, „Blutsquelle des deutschen Volkes“). 933 Eintritt in die NSDAP, 935 in die SS, 94 ins RSHA. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor er seine Professur. Ab 957 hatte er erneut einen Lehrstuhl inne, an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Stuttgart-Hohenheim (der heutigen Universität Hohenheim), deren Rektor er ab 963 war. Vgl.: W. Behringer, Der Abwickler, in: Himmlers Hexenkarthotek, a.a.O.; W. Behringer, Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (902-992), in: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, hrsg. W. Schulze, O. G. Oexle, Frankfurt/M 999. RSHA 362, Sygn. 29. RSHA 362, Sygn. 29.

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trags, bittet Franz um Beratung hinsichtlich der Wahl des Vortragsthemas, und schreibt, dass er „der Gesamtfakultät gegenüber [nicht] zu scharf als SSMann hervortreten“ möchte – um der „Tarnung der Arbeit willen“.95 Der Briefwechsel dauerte bis 942. Franz warf Levin Oberflächlichkeit und Übersättigung der Abhandlung mit wahllos zusammengestelltem Quellenmaterial vor.96 Die letztgenannte Schwäche der Arbeit war zumindest zum Teil wohl den intensiven Archivrecherchen Levins geschuldet; eine ähnliche Tendenz kam auch in den Arbeiten anderer Mitarbeiter zum Vorschein. Diese Vorwürfe mussten berechtigt gewesen sein, wenn sie sogar von Franz erhoben wurden, der vielen Berichten zu Folge nur auf formale wissenschaftliche Korrektheit beharrte, sich ansonsten aber auch der ideologischen Geschichtsschreibung verpflichtet fühlte.97 Im März 943 war Levin noch immer nicht habilitiert. Er versuchte es jetzt in München. 944 wurde die Arbeit jedoch von zwei Gutachtern abgelehnt, was aber nicht unbedingt als eine Niederlage des H-Sonderauftrags interpretiert werden muss.98 Einer der Gutachter, der Historiker Karl Alexander von Müller, bemängelte die Darlegung der angewandten Methode,99 stellte mit einer der Hauptthesen, die die zentrale Funk-

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Zit. nach: J. Matthäus, Kameraden im Geiste. Himmlers Hexenforscher im Kontext des nationalsozialistischen Wissenschaftsbetriebes, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S. 04. Ebenda. Vgl.: L. Hachmeister, Der Gegnerforscher, München 998, S.227; W. Behringer, Der Abwickler, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S.09-34. Behringer meint, mit dieser Ablehnung sei „das anspruchsvollste Ergebnis des Hexen-Sonderauftrags erledigt“ (W. Behringer, Der Abwickler, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S 3, 34). Ich präsentiere weiter unten eine andere Beurteilung des Auftrags. Karl Alexander von Müller (882-964) Professor in München, Anhänger der NSDAP, lernte in den 920er Jahren Hitler kennen, trat 933 der NSDAP bei; 936-44 Vorsitzender der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen vielen Ehrenämtern gehörte unter anderem die Ehrenmitgliedschaft im Reichsinstitut für die Geschichte des Neuen Deutschland seines Schülers Walter Frank, in dem er die Forschungsabteilung Judenfrage übernahm. Nach Kriegsende wurde von Müller zwangsweise pensioniert und auch aus allen außeruniversitären bmtern entlassen. Von Müller lehnte die liberalen politischen Ideen Westeuropas und in ihrem Gefolge die Weimarer Republik ab. Im Nationalismus des Nationalsozialismus und in dessen konservativen Zügen fand er dagegen manche Übereinstimmung mit dem eigenen Denken. Als eine der bestimmenden Größen in der Münchner Gesellschaft der 920er Jahre verstand er sich während des Dritten Reiches als Mittler zwischen der alten und der jungen, vom Nationalsozialismus bestimmten Historikergeneration. In seiner Autobiographie Im Wandel einer Welt (966) äußert er sich immer wieder zustimmend zu den "vaterländischen“ Zielen der Nationalsozialisten. Nach dem Artikel Karl Alexander von Müller. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. (4. Dezember 2005) URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title =Karl_Alexander_von_M%C3%BCller&oldid=62897 (3.0. 2006). 61

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tion der Geistlichen in den Hexenprozesses behauptet, zugleich auch eine der Prämissen des H-Sonderauftrags in Frage, und wies die Freisprechung der deutschen Bevölkerung von jeglicher Schuld an den Prozessen zurück: „Als greifbarer Hauptantreiber erscheint vielmehr die Bevölkerung selbst bzw. die Gemeinde“.00

Im Hinblick auf die zweite wichtige These der Arbeit, nach der der Hexenwahn durch „christliche Fremdüberlagerung“ der germanischen Kultur zu erklären sei, erklärte sich von Müller für nicht kompetent und verwies auf den Germanisten Otto Höfler. Höfler lehnte Levins These, dass der Hexenwahn dem Germanentum fremd sei, entschieden ab. In der Begründung der Ablehnung der Arbeit, die Levin zugestellt wurde, hieß es, die Arbeit stelle „zum großen Teil nur eine Sammlung von Material dar, das unübersichtlich aufgehäuft, pausen- und absatzlos abgedruckt wird. Die Grundthese, dass der Hexenwahn dem Germanentum eigentlich fremd und südlicher Import sei, ist falsch“.0 Ein weiterer Mitarbeiter des Hexen-Sonderkommandos, von dem einige Informationen vorhanden sind, war Ernst Merkel – ein Historiker, der ebenfalls versuchte, seine Tätigkeit im Rahmen des Auftrages für seine wissenschaftliche Karriere zu nutzen. 02 Er promovierte 939 in Giessen mit der Schrift Der Teufel in hessischen Hexenprozessen. Bereits in der Einleitung, in der er sich auf Soldan und Hansen als unentbehrliche Autoren beruft, stellt Merkel fest, dass die Hexenprozesse und der mit ihnen verbundene Teufel, der zu den Grundlagen des christlichen Glaubensystems gehöre, seit je zu weltanschaulichen Diskussionen geführt hätte und noch immer führe.03 Als Ziel seiner dem rassischen Gedanken verpflichteten Arbeit gibt er an, den Ursprung und die Herkunft einzelner Teile des Teufelsglaubens bestimmen und „artfremdes vom artgemäßem Gut […] trennen“ zu wollen.04 Der Titel weist auf seine Absicht hin, eine Regionalstudie vorzulegen, und suggeriert eine gewisse Objektivität: Erst über eine Untersuchung des Details wolle er zu allgemeinen Schlussfolgerungen kommen und sich dabei auf überprüfbare Fakten stützen. Die angekündigte Trennung des „Artfremden“ vom „Artgemäßen“ soll mittels einer genauen Untersuchung des Quellenmaterials erfolgen. 00 Zit. nach: W. Behringer, Der Abwickler, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S. 34. 0 Ebenda. 02 Ernst Merkel, geb. 907; Lehrer in Rombach; seit 935 beim SD. Vgl.: J. Rudolph, „Geheime Reichskommando Sache!“, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O. 03 E. Merkel, Der Teufel in hessischen Hexenprozessen, Philologisches Fakultät Giessen, 939, S.. 04 Ebenda, S. . 62

RASSE, RELIGION UND GESCHLECHT

Der Autor stellt diesen methodologischen Vorsatz aber sogleich selbst in Frage, indem er darauf hinweist, dass der überwiegende Teil der dafür erforderlichen Dokumente in Hessen bereits vernichtet worden ist. Merkel versteht den Teufelsglauben als einen Teil der „rassisch bedingten Weltanschauung“ und stellt ihn in direkten Zusammenhang mit denjenigen Religionen, die er als dualistisch und vorderasiatisch bezeichnet.05 Mit dem Bild eines fremden, sich verhängnisvoll auf Europa auswirkenden Glaubenssystems, das er allerdings nicht näher definiert, knüpft er an die Gegenüberstellung Europa versus Asien an, auf die sich auch Himmler stützte. Obwohl sich die „asiatische Erfindung des Bösen“ bei den Juden weiterentwickelt habe, sei angesichts des starken jüdischen Monotheismus der Teufelsglaube bei diesen nicht so stark ausgeprägt. Vom Judentum habe das Christentum, das „aus dem gärenden Rassebrei“ der Spätantike komme, die Teufelsvorstellung übernommen.06 Merkel wiederholt Soldans These, dass im frühen Christentum dem Teufel der Sieg noch versagt blieb und erst die Dämonenlehre seine Macht verstärkt hat. In der nordischen Volkskultur findet er keine Spuren des Reiches des Bösen, und wenn sie sporadisch auftauchen, interpretiert er sie als Entlehnungen aus den katholischen Predigten, dem Theater, der religiösen Kunst. Besondere „propagandistische“ Bedeutung misst er den Teufelsgeschichten bei, deren volkstümliche Herkunft er bestreitet und deren Urheberschaft er den Mönchen in den Klöstern zuschreibt. Merkel präsentiert sich hier als ein Intellektueller, der – im vollen Bewusstsein der Bedeutung von Geschichte als einer ideologischen Waffe – die deutsche Geschichte neu schreiben will. Er wirft der Kirche Geschichtsfälschung vor und nimmt für sich in Anspruch, die historischen Tatsachen richtig zu stellen. Den Triumph des Teufelsglaubens bringt Merkel in einen ursächlichen Zusammenhang mit den Häretikerprozessen: Erst die Tatsache, dass die Geistlichkeit im Kontext der Häretikerprozesse die Beziehungen zwischen Mensch, Teufel und Dämonen theologisch interpretiert und für real möglich erklärt hat, habe den Triumph des Teufelsglaubens möglich gemacht. Die Schuld daran schreibt er nicht nur katholischen Theologen zu; auch Luther habe „durch die enge Verflechtung des Satans mit dem gesamten Leben der Verteufelung unheilvollen Vorschub geleistet“.07 Die darauf folgende Feststellung, dass das gesamte Christentum die Wirklichkeit und die alten Götter verteufelte, das Volk dagegen sie höchstens zu Geistern verschiedenster Art werden ließ, soll den ungermanischen Charakter des Teufels- und damit des Hexenglaubens endgültig beweisen. Merkel leitet faktisch alle Erscheinungsformen des Teufels aus dem christlichen Glauben ab: Der Satan als Fluggeist stamme aus der Bibel; die schwarze Farbe des Satans und

05 Ebenda, S.2. 06 Ebenda, S. 3. 07 Ebenda, S. 6. 63

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der Dämonen entspricht der Gegenüberstellung zwischen der Finsternis der Hölle und des Diesseits auf der einen Seite und dem lichten Jenseits auf der anderen. Die Möglichkeit einer germanischen Herkunft jeglicher Motive im Teufelsbild weist er strikt zurück – entweder mit der kategorischen Feststellung, dass etwas nicht germanisch sein könne, wenn es christlich sei, oder durch die Erklärung, dass es keine Beweise für germanische Ursprünge gibt. Nur vereinzelt findet Merkel die Wurzeln eines mit Zauberei zusammenhängenden Elementes im germanischen Glauben, etwa im Falle des Pferdes, das manchmal als Dämon auftritt. In solchen Fällen greift er jedoch auf das Argument der Dämonisierung durch das Christentum zurück, in diesem Fall handle es sich um die Dämonisierung des Volksglaubens an ein heiliges Tier.08 Mit dieser Strategie sollen sowohl das Bild des feindlichen Christentums als auch, als dessen Antipode, das Bild des Germanentums konstruiert werden. So wird zum Beispiel das Motiv der Verführung durch den Teufel in Gestalt eines schönen Mannes oder einer schönen Frau als ungermanisch qualifiziert. Diese Vorstellung sei asiatisch und christlich, weil nur asiatische Rassen und rassenfeindliche Mönche Schönheit mit Sinnlichkeit verbänden. Für die nordische Rasse sei die Schönheit ein Ideal griechischen Ursprungs, das als unsinnlich, ästhetisch schön und unerotisch definiert wird. Das andere germanische Ideal stelle der Edelmann dar, als „Verkörperung der rassischen Schönheit“ und „Vorbild in jeder Beziehung“. Der Teufel als verführender Edelmann sei daher ebenfalls eine asiatische Erfindung, ähnlich wie alles Monströse, menschlich-tierische in dieser Gestalt. Denn: „Derartige Darstellungen liegen dem Norden ursprünglich nicht, da dort nie das Furchtbare und Wesensfremde göttlich werden kann“.09

Aus der Vorstellungswelt der Germanen schließt Merkel alles aus, was mit Sinnlichkeit, Fruchtbarkeit, Rausch oder Schrecken zusammenhängt. Deshalb sei auch der wollüstige Bock als Teufelstier nicht identisch mit dem kultischen Bock der Germanen, der zum Ahnendienst gehörte; als Sinnbild der Fruchtbarkeit stamme ersterer aus dem Mittelmeerraum und sei durch diese Herkunft einfacher zu dämonisieren. Die Richter in den Hexenprozessen sieht Merkel in einem solchen Maß von Sinnlichkeit durchdrungen, dass er viele ihrer detaillierten Fragen nicht wiederholen wolle, weil sie „von einem derartigen sittlichen Tiefstand“ zeugen.0 Merkel ist lediglich bereit, germanische Einflüsse in zufälligen und marginalen Teilen der Kleidung des Teufels festzustellen; germanisch sei z.B. der Federhut, ähnlich einem Jägerhut,

08 Ebenda, S. 3. 09 Ebenda, S. 3. 0 Ebenda, S. 9. 64

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der in der Zeit der Prozesse allgemein getragen wurde. Die Bezeichnungen, die von Hausgeistern auf den Teufel übertragen wurden – Heinzli, Krutli, Peterling – sowie die Vorstellung des Hexensabbats, der eigentlich eine verteufelte Walpurgisnacht sei, gehören ebenfalls in diese Kategorien. Die Antwort auf die Frage nach volkstümlichen und fremden Elementen des Teufelsglaubens fällt in Merkels Abhandlung eindeutig aus. Durch die Feststellung des ungermanischen Charakters des Teufelsglaubens glaubt er auch, die Ausschließlichkeit der Schuld des Christentums am Hexenwahn bewiesen zu haben. Merkel zitiert ausführlich selektiv gewählte, als „Beweise“ des nichtgermanischen Ursprungs des Hexenglaubens geeignete Beispiele, die er während seiner Archivarbeit gesammelt hat. Sie beweisen zwar nicht viel, können aber als Illustrationen der Magie- und Sinnlichkeitsbesessenheit des Christentums respektive der germanischen Sittlichkeit gewertet werden. Bis zu seiner Einberufung 94 arbeitete Merkel an dem Text Die germanischen Grundlagen des Hexenwahns. Aus dem Arbeitsplan geht hervor, dass er vorhatte, die Hinweise auf Hexen in der germanischen Kultur, die er in den Quellen und der Sachliteratur gefunden hatte, in Frage zu stellen. Dazu sollten die „heutigen volkskundlichen Belege“ herangezogen werden.2 Merkel wollte offensichtlich argumentieren, dass die Texte, die solche Hinweise enthielten, entweder schon unter christlichem Einfluss entstanden sind, oder einen positiven Heilzauber meinten, der nichts mit asiatischen und christlichen Vorstellungen gemein habe. Diesen Unterschied im Verständnis von Magie wollte Merkel rassisch erklären. Die wohl zentrale These der beabsichtigten Schrift hat er am Schluss des Arbeitsplans wie folgt skizziert: „Ergebnis: Die germ. Vorstellungen sind nur oberflächlich mit christlichen verwandt. Es bestehen nur Anknüpfungspunkte. Die Vorstellung selbst mit der Teufelsbuhlschaft ist christlich, germanisch aber unmöglich“.3

Merkels und Levins Vorgehensweisen bieten eine gewisse Vorstellung von den Forschungsrichtlinien für den H-Sonderauftrag. Andere Texte, die im Rahmen dieses Projektes möglicherweise entstanden sind, wurden wahrscheinlich nicht veröffentlicht; Himmler hatte für die gesamte Gruppe ein Publikationsverbot angeordnet – erst nach dem gewonnen Krieg sollten die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In der Fachliteratur und in dem zugänglichen Archivmaterial gibt es keine Hinweise auf andere abgeschlossene Abhandlungen. Bekannt sind jedoch die Namen anderer Mit-

 Czary 3. 2 Czary 3, S. . 3 Czary, 3, S.3. 65

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arbeiter des H-Sonderauftrags und in den meisten Fällen ihre Ausbildung.4 Die Arbeitsgruppe bestand aus Philologen und Historikern, die die Texte studieren und interpretieren sollten (Rudolf Richter, Gerhard Schmidt, Paul Reißmann), Juristen, die Analysen des kirchlichen und germanischen Rechts anbieten konnten (Otto Eckstein, Martin Biermann, Tammo von Schrenck), und einem Bibliothekar, dessen praktische Erfahrung für den Aufbau der Bibliothek und des Archivs gebraucht wurde (Hans-Peter des Coudres). Es gab auch zwei Theologen, die bei kirchengeschichtlichen und theologischen Fragen behilflich waren: Friedrich Murawski, den die Kirche nach seinem Eintritt in die NSDAP in den Ruhestand versetzt hatte,5 und Prof. Wilhelm August Patin, der Kanonikus in München, Doktor des kanonischen Rechts und mit Himmler verwandt war. Über die Ausbildung von Gottfried Ruschke ist nichts bekannt. Alfred Ferdinand Karl Wenzel hatte eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Die Unterschriften aller Mitarbeiter findet man auf den bearbeiteten Dokumenten und im Briefwechsel mit den Archiven. An den Arbeiten des H-Sonderauftrags sollte sich auch der sudetendeutsche Schriftsteller Friedrich Norfolk beteiligen.6 Norfolk beendete 943 seine Recherchen im Archiv und kündigte eine Roman-Trilogie über die Hexenprozesse an, die er innerhalb von zwei bis drei Jahren fertig stellen wollte. Himmler, dem vornehmlich an Propaganda für das Volk gelegen war, hat das Projekt jedoch nicht akzeptiert. Er wünschte sich mehrere kurze Geschichten, die sich als „Tornisterliteratur“ eignen würden.7 Vielleicht schreckte in der Zeit straff reglementierter Papierkontingente auch das Ausmaß des Vorhabens ab.8 Es gibt jedoch keine Hinweise, ob Norfolk Himmlers Wunsch nachkam. Norfolk war auch an den Vorarbeiten für den geplanten, aber – vermutlich aus den Zeitgründen – nicht mehr fertig gestellten Film über die Hexenprozesse beteiligt.9 Die Anregung für den Film stammte von Heinz Ballensiefen, dem Chef der Arbeitsgemeinschaft zur Judenfrage (RSHA VII B  b),20 der auch an dem Propagandafilm Der ewige Jude beteiligt war.2 4 Auf diese Namen stößt man im Posener Archiv, vgl. auch J. Rudolph, „Geheime Reichskommandosache!“, a.a.O., S.60-66. 5 Friedrich Murawski, Sachbearbeiter für Kirchenfragen im SD, 943 entlassen aus dem RSHA aufgrund von Vorwürfen „philo-semitischer“ Einstellungen und Plagiatsvorwürfen, 945 Selbstmord. Vgl.: J. Rudolph, „Geheime Reichskommandosache!“, a.a.O., S. 62; Wolfgang Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 933-94, Paderborn 2002, S.558. 6 Autor solcher Romane wie Herz im Panzer (943), Den Göttern gleich (940). 7 Vgl: J. Rudolph, „Geheime Reichskommandosache!“, a.a.O, S. 84. 8 Ebenda. 9 Ebenda, S. 85. 20 Nach: G. Simon, Vom Antisemiten zum Semitistik-Professor. Chronologie Rössler, Otto, in: http://homepage.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrRoessler. pdf (6.09.2007). 66

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Himmler war sich offensichtlich der propagandistischen Bedeutung nicht nur des Wortes, sonder auch der neuen Medien für die Verbreitung seines Geschichtsbildes bewusst. Ein weiterer Schriftsteller, der an der Arbeit des H-Sonderauftrags teilnahm, war Herbert Blank, Sonderhäftling des Reichsführers SS im Konzentrationslager Sachsenhausen.22 Barbara Schier führt eine Notiz über ihn aus der Zeitschrift „Christ und Welt” vom 5.4.95 an: „Nach mehr als achtjähriger Haft erhielt der im Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen internierte Schriftsteller Herbert Blank im Jahre 942 durch Heinrich Himmler einen Auftrag von besonderer Art. Das Geheimhaus der SS in Berlin Wilmersdorf, Emser Straße, barg in großer Anzahl von überall her zusammengetragene Hexenprozeß-Akten; ein Teil von ihnen wurde Blank zugewiesen, der jede Akte durcharbeiten und jeweils einen kurzen Auszug herstellen sollte. Anlaß und Ziel dieses Unternehmens haben sich bis heute nicht aufklären lassen [...] Während Blank in den Malefiz-Akten dem Weg der Opfer bis zum Scheiterhaufen nachging, qualmte

2 „Der Ewige Jude“ ist ein nationalsozialistischer Propagandafilm mit unverhüllt antisemitischer Intention. Der Film kam im September 940 in die deutschen Kinos. Er wurde unter der Regie von Fritz Hippler gedreht, wobei Hitler und Goebbels starken Einfluss auf Form und Inhalt genommen hatten. „Der ewige Jude“ gilt heute als Paradebeispiel audiovisueller Manipulation. Goebbels sah ihn selbst als sein „propagandistisches Meisterstück“ an. Vgl.: Stig HornshøjMøller: „Der ewige Jude“. Quellenkritische Analyse eines antisemitischen Propagandafilms. Institut für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen 995; Yizhak Ahren u.a.: „Der ewige Jude“ oder wie Goebbels hetzte – eine Untersuchung zum nationalsozialistischen Propagandafilm. Alano Verlag, Aachen 990. 22 Herbert Blank (899 -958), Pseudonyme: Karsthans, Tiefenbach, Weigand v. Miltenberg; ab 926 Mitglied der NSDAP, gehörte zum sozialistischen Flügel der Partei, tätig beim „Kampf-Verlag“ von Gregor u. Otto Strasser, Nachfolger von Goebbels als Chefredakteur der „Nationalsozialistischen Briefe“; 930 Ausschluss aus der NSDAP; bis 933 Mitglied der Führung der von Otto Strasser gegründeten „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten – Schwarze Front“; am 5.6. 933 verhaftet, weil er sich mit Strasser gegen Hitler gewandt hatte; September 933 Entlassung, Zensor im Sonderreferat zur Überwachung der geistig und kulturell tätigen Juden; 934 wieder verhaftet und im Oktober 935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu vier Jahren Haft verurteilt; Haftunterbrechung und Auftrag von der Gestapo, einen Bericht über die „Schwarze Front“ zu erstellen; 939–45 KZ-Haft in Sachsenhausen u. Ravensbrück, durfte auf Geheiß Himmlers Akten über Hexenprozesse auswerten; ab August 945 Mitarbeiter der Abteilung Wort beim NWDR, am 2.2.949 von Adolf Grimme als kommissarischer Intendant eingesetzt, am 5.9.949 entlassen, danach freier Journalist u. Schriftsteller. Nach: Personenregister in: »Hier spricht Hamburg«. Hamburg in der Nachkriegszeit. Rundfunkreportagen, Nachrichtensendungen, Hörspiele und Meldungen des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) 945– 949, Hamburg 2007; J. Rudolph, „Geheime Reichskommandosache!“ a.a.O. 67

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in etwa Hundert Meter Entfernung von seinem Arbeitsraum der Schornstein des KZKrematoriums“.23

Der engagierte Ton des Berichtes ist etwas irreführend. Blank war einer der Intellektuellen des NSDAP-internen Kreises um die Brüder Strasser gewesen und 935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Gefängnisbzw. KZ-Haft verurteilt worden. Dennoch blieb er – aus der Sicht Himmlers – ein „Arier“ und ehemaliger Kamerad, der nach seinem „Verrat“ zwar gefährlich schien und deshalb isoliert werden musste, sich aber für eine Propagandaarbeit durchaus eignete. Blank sollte angeblich für die SS eine Reihe von Hexengeschichten schreiben. Doch auch in diesem Fall kam das Kriegsende der Realisierung des Projektes zuvor. Mit dem H-Sonderauftrag wurde eine „Forschungsgruppe“ gegründet, deren Stärken und Schwächen sich gut herausarbeiten lassen, wenn man auf die Begrifflichkeit aus Ludwik Flecks Konzeption des „Denkkollektivs“ zurück greift. Fleck versteht unter einem Denkkollektiv „eine Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“.24 Berücksichtigt man Flecks Befürchtung, dass Denkkollektive und Denkstile für ideologischen und propagandistischen Missbrauch anfällig sind, so lässt sich die Interaktion der Mitarbeiter des H-Sonderauftrags in seiner Begrifflichkeit wie folgt deuten: Die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags sind Mitglieder einer institutionell organisierten Forschungsgemeinschaft, die hierarchisch strukturiert ist und bestimmte Forschungsziele, aber vor allem propagandistische Aufgaben verfolgt. Die Mitglieder stehen unter dem Druck eines gemeinsamen Denkstils und unterliegen einem Denkzwang. Der Denkstil, der in diesem Fall stark ideologisch geprägt ist, legt fest, was als „wahr“ gilt. Er bestimmt dies auch durch die Sprache, in deren Aufbau laut Fleck die zwingende Philosophie der Gemeinschaft liegt, welche besagt, was denkbar ist. Die wissenschaftliche Tatsache der Hexenprozesse wird den Vorannahmen subsumiert, denen das Kollektiv verpflichtet ist. Nur das wird für „wahr“ gehalten, was in diesen vorgegebenen Rahmen passt. Tatsachen, die nicht in das Bild passen, werden übersehen oder umgedeutet. Wenn es keine passenden Tatsachen gibt, dann werden solche konstruiert: „Solches stilgemäße, geschlossene System ist keiner Neuerung unmittelbar zugänglich: es wird alles stilgemäß umdeuten“.25

23 Zit. nach: B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, München 990, S. 86. 24 L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, a.a.O., S. 54. 25 Ebenda, S. 45. 68

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Ein solches ideologisches Denkkollektiv unterliegt keiner bnderung oder Entwicklung des Denkstils, wie sie wissenschaftliche Denkkollektive auszeichnet, es wird auch von Veränderungen der sozialen Stimmung oder Einflüssen fremder Stile nicht direkt beeinflusst. Innerhalb eines solchen ideologischen Denkkollektivs entstehen propagandafähige Ideenverknüpfungen. Es folgt die „magische Versachlichung der Ideen“, die dichterische, wenn auch im wissenschaftlichen Stil gehaltene, Verkündigung, dass die „wissenschaftlichen Ziele“ erfüllt seien. In diesem organisierten „Wissenschaftsbetrieb“ werden Worte zu Schlagworten, Sätze zu Kampfrufen, und es setzt ein Prozess ein, in dem sich die Mitglieder des Denkkollektivs in ihren Auffassungen wechselseitig bestärken müssen, damit das System funktioniert. Anschließend erfolgt die Propagierung der Resultate. Im H-Sonderauftrag erfolgt diese wechselseitige Selbstbestärkung weniger im Namen der „Wissenschaft“ als im Namen der „Ideologietreue“. Die ideologische Aufsicht unterschätzt jedoch die Mechanismen, die Fleck für ein wissenschaftliches Kollektiv beschreibt. Das zeigt sich sehr gut am Beispiel der Urideen, die nach Fleck den Inhalt des Denkstils bedingen. Die Begriffe, mit denen die Forschung arbeitet, haben nämlich ihre Vergangenheit und eine Beziehung zu früheren Denkstilen. Das schon Erkannte – so Fleck – beeinflusst den aktuellen Erkenntnisprozess und erzwingt eine Auseinandersetzung, die eine der Bedingungen für Entwicklung ist. Auf den ersten Blick scheint es, dass Himmlers Hexenforscher die Geschichte der Hexenprozesse willkürlich manipulieren können, für ihre Thesen nur Belege aus früheren Forschungen auszuwählen brauchen, ohne dabei von den „Präideen“ beeinflusst zu werden. Doch dann machen sich die alten Gedankengänge geltend, die sich nicht totschweigen lassen, und manifestieren sich in Form von Inkonsistenzen des neuen Argumentationsgefüges: Himmlers Hexenforscher können das Weiblichkeitsthema nicht ausblenden, sie entdecken, dass sie die Empörung gegen die Sinnlichkeit mit den (feindlichen) Inquisitoren teilen, sie stolpern innerhalb ihres eigenen weltanschaulichen Lagers über konkurrierende Deutungen des Germanischen (siehe Höflers Kritik an Levin). Es gelingt ihnen nicht, diejenige Tendenz der Hexenforschung gänzlich zu ignorieren, die auch die Rolle des deutschen Volkes in den Prozessen berücksichtigt (siehe von Müllers Kritik an Levin). Trotz dieser Brüche, die sie als wissenschaftliches Denkkollektiv leicht kompromittieren können, arbeiten sie erfolgreich an Strategien, die Fleck als gefährliche Propagandainstrumente interpretiert: Sie setzen ihr Wissen von der sozialen, kollektiven Natur der Erkenntnis gezielt für politische Zwecke ein. Sie instrumentalisieren das Wissen, dass der Denkstil „die Wirklichkeit nicht anders als andere Produkte der Kultur“ erschafft.26 Indem sie den absoluten Charak26 L. Fleck, Das Problem einer Theorie des Erkennens, in: Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, Frankfurt/M 983, S. 26. 69

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ter ihrer „Wahrheit“ behaupten und Fanatiker des eigenen Stils zu erziehen versuchen, bereiten sie den Kampf gegen Menschen jedes abweichenden Stils vor.

Die Vorbereitung eines Forschungsprogramms in den Jahren 1935-37 Die Zeit der größten Aktivität des H-Sonderauftrags fällt in die Jahre 93536. Aus dieser Periode stammt ein reger Briefwechsel mit Pfarrern, Archivaren, Antiquaren, Bürgermeistern und Lehrern aus ganz Deutschland. Die Briefe aus dem H-Sonderauftrag wurden in der Regel von den Mitarbeitern unterschrieben, ohne die SS als Auftraggeber auszuweisen. Im Posener Archiv liegen zahlreiche Briefe, in denen die Forscher um den Todesschein von Personen bitten, die wegen Zauberei angeklagt waren, um Auskunft zum Schrifttum über die Hexen in einem bestimmten Gebiet oder Informationen über den Aktenbestand einer bestimmten Gemeinde ersuchen. Außerdem befinden sich dort Berichte, die von Konflikten um den Zugang zu Archivmaterialien zeugen. So wird in einem Geheimbericht vom 25.3.936 mitgeteilt, dass Levins Vorgesetzter, Franz Six, nach Fehmarn gefahren ist, um mit dem Hexenprozessforscher Peter Wiepert über das Recht zur Nutzung seiner Forschungsergebnisse zu verhandeln.27 Vom Februar 937 stammt das Protokoll eines Besuches von Richter und Schmidt beim Archivdirektor in Detmold, Dr. Wiegand, mit dem sie darüber sprachen, welche Hilfe sie von ihm hinsichtlich des Zugangs zu den Akten aus Lemgo erwarteten. Offensichtlich war es nicht ganz einfach, Wiegands Kooperation zu erwirken, denn es wird berichtet:

27 RSHA 362, Sygn. 488, S. 49-50. Peter Wiepert (890-980) forschte über die Geschichte und Bräuche der Insel Fehmarn; Leiter des Heimatmuseums in Burg auf Fehmarn – das heute seinen Namen trägt; Schriftsteller, Arbeit für die Gestapo, Mitarbeiter des Ahnenerbes. Nach Kriegsende wurde er von den Alliierten für einige Monate interniert. Bis zu seinem Tod lieferte Wiepert noch zahlreiche Beiträge auf hochdeutsch und plattdeutsch für Zeitungen und Zeitschriften, ebenso für Hörfunk und Fernsehen. Einige seiner Schriften veröffentlichte er als „Graue Literatur“ im Selbstverlag (nach J. Tuchel, Reinhard Heydrich und die „Stiftung Nordhav“: die Aktivitäten der SS-Führung auf Fehmarn, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 7 (992), S. 99-225). Seine Cousine heiratete Heydrich, von ihm soll der Spruch stammen: „Auf Fehmarn gibt es weder Schlangen noch Maulwürfe noch Juden“ (Mario R Dederichs, Der kühle Manager des Massenmordes, in: Stern, 25. November 2003, URL: http://www.stern.de/politik/historie/5670. html?p=3&nv=ct_cb&eid=5006) 70

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„Die Tarnung wurde aufgegeben, und die SS-Ausweise wurden vorgelegt und von Dr. Wiegand eingehend betrachtet. Sofort erklärte er, dass er uns in jeder Weise unterstützen werde“.28

Zwei Monate später schreiben Richter und Schmidt an den Obersturmführer (wahrscheinlich an Levin) über Schwierigkeiten beim Zugang zu den LemgoAkten. Die Spannung steigt, weil Himmler sich gerade in dieser Zeit eine Bearbeitung dieser Akten wünscht. Der Bürgermeister von Lemgo habe Gespräche mit Alfred Rosenberg und mit Des Coudres erwähnt und behauptet,29 aus technischen Gründen könne er den Zugang zu den Akten nicht gewähren. Erneut entscheidet Richter, den geheimen Charakter seiner Mission offen zu legen: „Um nun doch die Arbeit zu ermöglichen, entschloss sich R., die SS als eigentlichen Auftraggeber zu nennen. Dies glaubte er unbedenklich tun zu können da .) Dr. Wiegand erklärt hatte, dass er für die völlige Zuverlässigkeit des Bürgermeisters und des Staatsarchivars bürge, und da 2.) durch die Erwähnung Des Coudres’ die Möglichkeit gegeben war, von der Übertragung der H-Arbeit auf eine andere SSDienststelle zu sprechen“.30

Letztendlich bekommt Richter die Erlaubnis, die Akten für seine Forschung zu nutzen, aber nur unter der Bedingung, dass er eine schriftliche Rückgabegarantie des SD vorlegt. Diese Briefe bestätigen noch einmal den geheimen Charakter des Sonderauftrags und Rosenbergs Interesse an diesem Thema. Die Mitarbeiter gaben sich meist als Studenten, Wissenschaftler oder Privatpersonen auf der Suche nach Zeugnissen ihrer Familiengeschichte aus. Erst der Widerstand der Archive, die geschlossenen Sammlungen zur Verfügung zu stellen, veranlasste sie, die Tarnung aufzugeben. Nur wenige Archivleiter waren zu einer Zusammenarbeit bereit, fast niemand wollte Dokumente ausleihen.3 In diesen Auseinandersetzungen wird die politische Bedeutung der

28 RSHA 362, Sygn. 488, s.07. 29 Lemgo erfreute sich der besonderen Gunst von Rosenberg, der 937 von den Stadtbehörden originelle Prozessakten erhielt (siehe: J. Scheffler, Lemgo, das Hexennest, in: Jahrbuch für Volkskunde, Würzburg 989, s.26). Rosenberg unterstützte dort „Engelbert-Kämpfer-Ehrungen”, die unter anderem der Nacht der Hexenprozesszeit die glückliche Zeit des Dritten Reiches entgegenstellen sollten. Die Biografie des heroisierten Japanforschers und Reisenden Kämpfers ließ sich als „Beispiel deutschen Forschens, Wissens und deutschen Wagemutes im Dienste der Allgemeinheit” interpretieren, er selbst wurde zu den „Ahnen“ des Dritten Reiches gezählt. 30 RSHA 362, Sygn. 488, S. 3. 3 Vgl.: J. Rudolph, „Geheime Reichskommando-Sache!“, a.a.O., S. 66-80. 71

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Archive deutlich, das Interesse der Herrschenden, die Kontrolle über sie zu erlangen.32 Am 3.7.937 kam Wilhelm Spengler nach Berlin, um mit Merkel und Schrenck das Programm des H-Sonderauftrags zu besprechen. In Folge dieser Gespräche wurde ein Projekt über das Gerichtsverfahren im Hexenprozess aufgegeben mit der Begründung, dass die Resultate dieser Forschung keinen politischen Nutzen erwarten ließen. Die Rolle des Gerichtswesens schien die Mitarbeiter des H-Sonderauftrages nicht sonderlich zu interessieren, auch wenn sie in den Titeln der geplanten Arbeiten gelegentlich auftaucht. Der Verzicht auf dieses Thema rührt möglicherweise auch aus der Befürchtung, eine ausführlichere Beschäftigung mit der Funktion des Gerichtswesens könnte die vorgefasste Prämisse, nach der die Kirche die maßgebliche Rolle in den Hexenprozessen spielte, in Frage stellen. Des Weiteren wurde beschlossen, die Reisen zu den Orten der Hexenverfolgung vorübergehend einzustellen und zunächst eine Liste der zu fotografierenden Objekte zu erstellen. Zudem verzichtete man vorerst darauf, die Auslandsarchive zu berücksichtigen. Jeder Mitarbeiter sollte sich zunächst auf bestimmte Regionen in Deutschland konzentrieren, denn: „Später wird es sich dann nötig machen, dass er für die maßgeblichen Tageszeitungen in den einzelnen Städten seines Gebietes Artikelserien über die H-Verfolgung in den einzelnen Orten schreibt“.33

Aus diesen Texten sollte ein ca. dreihundertseitiges Buch entstehen; man plante also eine größere propagandistische Publikation. Merkel und Schrenck schlugen Die Folter bei den Hexenprozessen und Die Geschichtsfälschung in der Literatur über die H-Prozesse als Themen der Abhandlungen vor. Abschließend wies Spengler auf die Notwendigkeit hin, „bei der Ausarbeitung ihrer Arbeit stets die politische Verwendbarkeit und Schlagkraft im Auge zu

32 Die Reglementierung des Archivszugangs kann man sehr gut am Beispiel der Vatikan-Archive beobachten, wenn man die Zeitpunkte ihrer Öffnung verfolgt. Das Problem des Umgangs mit Archiven wird bei jeder politischen Wende besonders deutlich. Die Vernichtung der Akten, die Kontrolle des Zugangs zu den Akten, die Auswahl, welche veröffentlicht werden dürfen und welche nicht, wer sie einsehen darf, ist ein Teil des politischen Kampfes in Polen seit der Wende. Die Veröffentlichung der Akten garantiert jedoch nicht immer, dass das politische Spiel seine Ziele erreicht. Manchmal kann sie eine andere als die beabsichtigte „Läuterung“ auslösen, die viel tiefer geht. In Polen konnte sie einerseits dazu anstoßen, die polnischen Nationalmythen (Kirche, Nation, Familie) zu überprüfen. Andererseits löste sie Auseinandersetzung mit den Mechanismen aus, die Menschen zur Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst bewogen und sie in die Ordnung des Systems eingliederten. 33 Zit. nach: B. Schier, a.a.O., S.87. 72

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behalten“.34 Die Gespräche scheinen sich vor allem auf die Frage konzentriert zu haben, auf welche Weise sich das von den Nationalsozialisten favorisierte Geschichtsbild am effektivsten verbreiten ließ. Vom 4.7.937 stammt eine von Levin signierte Skizze zu einer geplanten Arbeit mit dem Titel: Überblick über die rassen- und bevölkerungsgeschichtliche Problemarbeit.35 Als Schwerpunkte werden angegeben: die „Beeinflussung des deutschen Volkslebens [...] durch Tractate, Flugschriften, Predigte und dogmatische Werke in Hinsicht auf den Hexenbegriff”,36 die Hexenverfolgung unter Katholiken und Protestanten in ganz Deutschland, die Geschichte der religiösen und antikirchlichen Bewegungen im 5. Jahrhundert, die gesellschaftlich-psychologischen Auswirkungen der Hexenprozesse und die bewusste Forcierung der Mordwelle, die zu sozialem Elend, familiärer Zerrüttung und Zerstörung der Dorf- und Stadtgemeinschaft geführt habe: „Die Hexendenunziation zwingt viele Frauen und oft ihre Familien [...] zur Auswanderung. Diese Sphäre der sozialen Denunziation bringt das Misstrauen in das Dorf oder in die kleine Stadt, keiner ist mehr sicher, ob er schließlich nicht vor dem Hexenrichter erscheinen muss. Aus den Akten lassen sich hier massenweise die Belege dafür bringen“.37

Das Bild der Zerstörung bzw. Zersetzung der Gemeinschaft infolge der Hexenprozesse, in dem konkreten Fall durch Denunziation, wurde von den Mitarbeitern des H-Sonderauftrags immer dann angeführt, wenn es sich als unmöglich erwies, einen Nachweis für biologisch-rassische Auswirkungen der Verfolgungen zu erbringen. Im Hinblick auf die erwünschte Kirchenkritik hätte sich diese Argumentationsführung durchaus als sinnvoll erweisen können, wenn sich die Hexenforscher mit dem Phänomen der Denunziation wirklich ernsthaft auseinandergesetzt hätten. Wer Denunziation erforscht, erfährt nämlich viel über die Institutionen, die Denunziation fördern und zu Willkür und Despotismus neigen, wenn sie von keiner übergeordneten Instanz kontrolliert werden.38 Wer zu solchen Erkenntnissen gelangt, der weiß aber auch, dass Denunziation gleichermaßen eine Institution als Adressaten und einen Denunzianten erfordert. Dann kann er aber „das Volk“ nicht mehr idealisie34 35 36 37 38

Ebenda. RSHA 362, Sygn. 400. Ebenda. Ebenda. Vgl.: K. Sauerland, Dreißig Silberinge, a.a.O. Sauerland weist darauf hin, dass die Denunziation sich parallel zum Inquisitionsprozess etablierte. Wenn der Anzeigende nicht mehr verpflichtet ist, Zeugen für die Bestätigung seiner Aussagen zu nennen, wenn die Obrigkeit das Recht bekommt, in die Privatsphäre einzudringen, und keiner Kontrolle unterliegt, kommt auch eine gute Zeit für die Denunziation. 73

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ren, denn der Denunziant, im Falle der Hexenprozesse der mittelbare Täter, kommt aus eben diesem Volk. Er kann denunzieren, weil er die Normen, die die Hexen aus der Gesellschaft ausschließen, zumindest partiell anerkannt hat. Hier wäre zur Abrundung ein Hinweis angebracht, dass die Antizipation dieser „gefährlichen“ Einsicht vermutlich der Grund war, warum man auf die Beschäftigung mit Denunziation verzichtete. Man befand sich faktisch in einem Dilemma: Man konnte den ideologischen Kampf gegen den Gegner Kirche nicht konsequent führen, ohne die Fundamente der eigenen Ideologie – die Beschwörung der Volksgemeinschaft – zu beschädigen und obendrein vielleicht sogar noch die Einsicht in die Funktionsweise der eigenen Institution zu fördern, die ja auch in erheblichem Maße auf Denunziation basierte. Levin schlägt in seiner Programmskizze auch eine quantitative Analyse vor. Ihr Ziel sollte darin bestehen, das Ausmaß der kirchlichen Verbrechen durch einen statistischen Vergleich der (höheren) Zahl der Opfer der Verfolgungen mit den (geringeren) Opferzahlen von Naturkatastrophen, Epidemien usw. zu verdeutlichen. Die von Levin geplante Arbeit zielte schwerpunktmäßig darauf ab, zu erklären, wie es der Kirche gelungen war, den Hexenglauben im deutschen Volk zu verbreiten, und zu beschreiben, wie aus dem „gesunden, germanischen Geist heraus“ der Widerstand dagegen erwuchs. Der letzte Punkt der Programmskizze betrifft Rassenfragen und führt erneut die Schwierigkeit vor Augen, die These über die Scheiterhaufen als Verbrechen am Germanentum glaubwürdig anhand der Quellen zu belegen. In seinen Ausführungen über die geplante Darstellung der Zerstörung der germanisch-deutschen Werte durch die Hexenprozesse betont Levin ausdrücklich die Bedeutung der Rassenfrage als Grundlage für die historische Beurteilung der Prozesse. Allerdings sei der Rückgriff auf die Rassenfrage in diesem Kontext mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, da es praktisch unmöglich sei, die rassische Zugehörigkeit der Angeklagten festzustellen. Levins Lösungsvorschlag ist geradezu halsbrecherisch – er plädiert dafür, sich auf die Frage des Charakters konzentrieren, denn während der Folter kämen die rassischen Züge des Charakters zum Vorschein: „Als körperlich vollkommen ruinierte Menschen sind sie doch charakterlich ungebrochen geblieben. Diese seelische Widerstandskraft, die nicht nur der körperlichen Folter, sondern auch der seelischen Folter (Interrogatoriensystem; Sorge des Vaters und der Mutter um ihre daheim gebliebene Kinder: diese Sorge wird oft in gemeinster Weise von den Richtern zu neuen Geständnissen ausgenützt) entgegengesetzt wird, kommt aus dem besten rassischen Erbe unseres Volkes“.39

39 RSHA 362, Sygn. 400 74

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Der Begriff „Rassencharakter“ ist zwar ein fester Bestandteil des rassischen Diskurses, dem der H-Sonderauftrag verpflichtet war, jedoch scheint es, dass er sich nicht so einfach auf den Hexenprozess-Diskurs übertragen ließ. Mann kann zwar ausblenden, dass es unter den Verfolgten nicht nur Germaninnen gab. Wenn man jedoch die Ebene des ideologisierten Narratives verlässt und versucht, mit detaillierten Fakten und historischen Quellen zu arbeiten, steht man früher oder später mit leeren Händen da.

Der Konkurrenzkampf zwischen Himmlers W i s s e n s c h a f t l e r n : D i e S S g e g e n d a s „ Ah n e n e r b e “ 938 erhielt Himmler vom Gauleiter Walter Steinecke die Prozessakten von Ilschen Cronßhagen aus Lemgo (666) mit dem Wunsch, sie vom „Ahnenerbe“ auswerten zu lassen. Der Auftrag ging an einen jungen Angestellten des „Ahnenerbes“, Hans Bauer.40 Bauers Arbeit, die der SS-Führer im Mai 938 erhalten hat, beendete das Kompetenzgerangel zwischen der Forschungsgesellschaft „Ahnenerbe“ und dem H-Sonderauftrag, wobei schwer zu sagen ist, inwieweit sie dazu beigetragen hat, dass letzterer die Oberhand behielt. Das „Ahnenerbe“,4 spöttisch „des Reichsführers heimliche Hexenküche” genannt, 42 war 935 ebenfalls auf Himmlers Befehl ins Leben gerufen worden, unter Beteiligung von Richard Walther Darré, von dem die Einrichtung anfangs auch finanziell abhängig war. Diese Forschungsgesellschaft ermöglichte es dem SS-Chef, unabhängig von Rosenbergs Forschungsinstitutionen, die sich teilweise mit den gleichen Themen beschäftigten, unter anderem Untersuchungen über die alten Germanen in Auftrag zu geben. Sie sollte die „ver-

40 Hans Bauer (92-94) studierte Medizin, Philosophie, Germanistik und Geschichte. Seit 933 Mitglied der SS, seit 936 Mitarbeit beim „Ahnenerbe“ und in der vom „Ahnenerbe“ herausgegebenen Monatsschrift „Gemania“. Bis 940 schrieb er in Personalformularen in die Rubrik „Bekenntnis“: katholisch, später „gottgläubig, früher katholisch“. Wüst, der Chef des Ahnenerbes, wies ihm 938 das Thema zu: Kesselhaken und Herdbrauchtum im niedersächsischen Stammesbereich. Seine Doktorarbeit schrieb er bei Prof. Spamer, dessen Forschungsarbeit ab 938 streng kontrolliert und dessen Kandidatur für die Preußische Akademie der Wissenschaften aus politischen Gründen abgelehnt wurde. Empfohlen zum Personalstab des Reichsführers SS (28.5.938). 939 wurde er auf eigenen Wunsch Referent der Forschungsstätte für Hausmarken und Sippenzeichen. Gestorben im Lazarett am .2.94. Vgl.: B. Schier, a.a.O., S. 78. 4 Vgl.: Kater, Das Ahnenerbe, a.a.O.; G. Lixfeld, Das "Ahnenerbe" Heinrich Himmlers und die ideologisch-politische Funktion seiner Volkskunde, in: Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20.Jhs, hrsg. von Wolfgang Jacobeit, Wien 994. 42 Vgl.: Kater, Das Ahnenerbe, a.a.O., S. 57. 75

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gessenen Werte“ der germanischen Kultur erkunden und das auf diese Weise wieder gewonnene Erbe praktisch und ideologisch im nationalsozialistischen Alltag zur Geltung bringen. Diese Zielbestimmung kennzeichnete von Anfang an den politischen Charakter dieser Gesellschaft. „Ahnenerbe“ sollte auf dem Gebiet der weltanschaulichen Schulung und der Förderung einer neuen, säkularisierten Religiosität aktiv werden und zur Gestaltung des ideologischen Bildes der SS beitragen.43 Seit 937 versuchten junge Angestellte, vorwiegend SS-Mitglieder, „Ahnenerbe“ in die Organisationsstrukturen der SS einzugliedern. Himmler folgte jedoch der Devise „divide et impera“ und war nicht geneigt, dem Wunsch des Chefs vom „Ahnenerbe“, Wolfram Sievers,44 nachzugeben, dieser Institution alle kulturellen Funktionen der SS unterzuordnen, die von seinem Personalstab direkt gesteuert wurden. Ende 937 teilte Himmler Sievers mit, „dass er nicht unbedingt alles im ‚Ahnenerbe’ vereinigen wolle, um nicht zu viele wichtige und wesentliche Dinge an einer Stelle zu konzentrieren“.45 938 kam es zum Bruch zwischen Himmler und Darré. Gleichzeitig unternahmen Angestellte des „Ahnenerbes“ den Versuch, der Gesellschaft einen wissenschaftlichen Charakter zu verleihen. Man warb Wissenschaftler an, die in Universitätskreisen geachtet waren, und versuchte die Form eines wissenschaftlichen Diskurses zu praktizieren.46 Unwissenschaftliche Bezeichnungen wurden durch neutralere ersetzt: „Pflegestätte“ durch „Forschungsstätte“, „Germanenkunde“ durch „Germanische Kulturwissenschaft“. 937 war noch jeder „Volksgenosse“ aufgerufen worden, sich an der Forschungsarbeit zu beteiligen, 939 setzte man sich dann für „streng wissenschaftliche Methoden“ ein.47 939 erläuterte ein Mitarbeiter des „Ahnenerbes“, Heinrich Harmjanz, während einer Konferenz in Kiel die Wichtigkeit der politischen Umsetzung der wissenschaftlichen Resultate:

43 Vgl.: J. Ackermann, Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen 970, S.. 44 Wolfram Sievers (905-948), im Nürnberger brzteprozess wegen seiner Verantwortung für Morde und Menschenversuche zum Tode verurteilt und hingerichtet; Reichsgeschäftsführer des SS-"Ahnenerbes", Generaltreuhänder für die Sicherung deutschen Kulturgutes in den Ostgebieten (Kunstraub); ab 942 Mitglied im Beirat des Entomologischen Instituts des AE im KZ Dachau. Nach: E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/M 2003. 45 Zit. nach: M. H. Kater, Das Ahnenerbe, a.a.O., S. 9. 46 Vgl.: G. Lixfeld, Das „Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologischpolitische Funktion seiner Volkskunde, a.a.O., S. 223-224. Da Darrés Pläne zur Förderung bäuerlicher Siedlungen im Reich Himmlers Vorstellungen von der Ostsiedlungspolitik widersprachen, kam es zu einem Konflikt zwischen den beiden. 47 Ebenda, S.225. 76

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„Kurz, die deutsche Volkskunde will und soll auf weite Sicht mit ihren Ergebnissen Erkenntnisgrundlagen für eine zukünftige praktische Volkstumspflege geben. Sie will als Wissenschaft dem Staatswohl dienen“.48

938/39, in der Zeit, als Bauer dabei war, seine Arbeit zu verfassen, kühlten sich die Beziehungen zwischen dem „Ahnenerbe“ und der SS, die nicht gewillt war, dem „Ahnenerbe“ einen lukrativen Platz an der Quelle der Macht abzutreten, spürbar ab. Die SS übernahm zum Beispiel die Zuständigkeit für die ideologischen Schulungen. Erst nach 939 erweiterte sich der kulturpolitische Aufgabenkreis des „Ahnenerbes“: von historischen Untersuchungen der germanischen Welt und Arbeiten über das deutsche Gottesverständnis, über Theorien zur außerirdischen Herkunft der Arier und die Bereinigung von Märchen und Sagen von „rassisch fremden Elementen“ sowie archäologischen Ausgrabungen bis hin zu Aufträgen, Experimente an KZ-Häftlingen durchzuführen und Entwürfe für einen zukünftigen SS-Staat auszuarbeiten.

Die Mythische Wirklichkeit der Germanen als Gegensatz zum abstrakten Intellektualismus des Christentums. Die Hexenprozesse nach Hans Bauer In seiner Abhandlung Vom Hexenwahn bestimmt Hans Bauer die Germanenkunde, „deren wichtigstes Feld die Erforschung der germanischen Religion ist“, und die Religionswissenschaft als relevante Grundlagen für die Erforschung des Hexenwahns.49 Der Autor versichert, dass das Wissen über die Germanen keine antiquarische Angelegenheit sei, sondern „der Erkenntnis deutschen Wesens“ dienen solle. Er sieht die meinungsbildende Macht gekonnt präsentierter Forschungsergebnisse, denn „die Ansicht der Wissenschaft bestimmt zuletzt die Meinungen der aus innerer Anteilnahme geschichtlich interessierten breiteren Öffentlichkeit“. Bauer warnt deshalb vor der Tabuisierung bestimmter Themen, auch brisante Stoffe sollte man besser selber behandeln als sie den Gegnern überlassen. Der Feststellung, auf „blutmässig germanischen Boden hat der Hexenwahn seine furchtbarste Ausbildung erfahren“,50 folgt die Forderung nach der Auseinandersetzung: „Der Hexenwahn gehört aber als eine Erscheinung der deutschen Vergangenheit in den Zusammenhang der Geschichte des deutschen Menschen hinein“.5 Man dürfe dieses „düstere Kapitel der Geschichte“ nicht vergessen, sondern sollte durch dessen Einordnung in das Gesamtbild eine „für den Betrachter positive 48 Zit. nach: G. Lixfeld, Das „Ahnenerbe“ Heinrich Himmlers und die ideologisch-politische Funktion seiner Volkskunde, a.a.O., S. 252. 49 H. Bauer, Vom Hexenwahn , in: Czary, 2. 50 Ebenda, S.3. 5 Ebenda. 77

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Seite“ suchen. Die Möglichkeit, die Vorstellung „vom allgemeinen Aberglauben des Volkes im finsteren Mittelalter“ zu überwinden, sieht Bauer aber – in überraschendem Kontrast zum Grundkonzept des H-Sonderauftrages – nicht darin, „den durchgängigen, ursächlich verhängnisvollen Einfluss der Kirche und des Christentums grundsätzlich festzustellen und in Einzelzügen darzustellen“ und die germanische Religion als von jedem Wahn frei zu erklären.52 In dem Versuch, alle einzelnen Erscheinungsformen dieses Phänomens als ungermanisch zu qualifizieren, sieht er die Gefahr, dass man wichtige Aspekte aus den Augen verliert: „Denn es kommt einerseits viel mehr als auf die Einzelheiten an sich an auf das Gesamtbild der Zeit und ihrer Menschen, und dann auf die Bestimmung des Ortes des Einzelbestandteiles in jenem Ganzen“.53

Die Schwierigkeit, die in der höchst komplizierten Verflechtung verschiedenartiger Einflüsse auf die Ausformung der Hexenvorstellungen liegt, versucht Bauer zu umgehen, indem er die Einzelaspekte der Erscheinung in den Hintergrund schiebt und sich auf das Gesamtbild der Zeit und die Entwicklungen der vorherigen Epoche konzentriert: „Die einzelnen Schichten innerhalb der Erscheinung des Hexenwahnes müssen genau von einander geschieden werden, damit das, was uns in erster Linie angeht, sich klar darstellt: Art und Glaube des Volkes“.54

Zu diesem Zweck will Bauer den Begriff der Zauberei bei den Germanen präzisieren und dessen Entwicklung bis zur Zeit der Hexenprozesse verfolgen, die er in der Zeitspanne vom 5. bis zum 8. Jahrhundert, also in der Neuzeit, ansiedelt. Die Neuzeit sieht er als eine Epoche an, die nach dem Mittelalter, in dem „das Germanische immer wieder mit kaum gebrochener Frische durchbrach“,55 die innere Auseinandersetzung der Widersprüche und Leidenschaften brachte, „unter anderem den Bruderkampf des Dreißigjährigen Krieges und den Vernichtungswahn der Hexenverfolgungen, und in ihrem Gefolge die schlimmsten Einbussen an völkischer Substanz. Der Widerstand gegen die Mächte der Entartung erlahmte mehr und mehr“.56 Er sieht das Wesen des germanischen Glaubens im Brauch und in der „geheiligten und heiligenden Handlung“, die von vielen Generationen gepflegt wurden. Im Zentrum des germanischen Kultes sieht Bauer den Brauch des Notfeueranzündens. In der 52 53 54 55 56 78

Ebenda, S.32. Ebenda, S. 3. Ebenda , S.32. Ebenda. Ebenda, S. 4.

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Julzeit, der Zeit der längsten Nächte, gehe die Sonne „in das Grabhaus der Unterwelt, deren Mächte nun entfesselt und tobend alle Ordnungen angreifen, wütend bekämpft vom ‚wilden Heere’ der guten Geister der Unterwelt, der Ahnen und des Gefolges des Herrn über die im guten Kampf gefallenen Toten“.57 Die Herdfeuer werden gelöscht und dann feierlich wieder entzündet, als Parallele der wiedergeborenen Sonne, „wobei alle Feuer der größeren Gemeinschaft teilhaben an der für alle nur einmal erzeugten Flamme“.58 Die Macht dieses Brauches erklärt Bauer mit seinem gemeinschaftlichen Charakter. Dieses Gemeinschaftliche und Symbolische macht seiner Auffassung nach das Wesen des germanischen Glaubens aus. Bauer setzt die vitale germanische Religiosität der trockenen theoretischen Lehre der katholischen Kirche entgegen. Er leitet die germanische Magie von der Überzeugung ab, dass es eine Verbindung zwischen der menschlichen Welt und dem Kosmos gibt. Die Kraft der magischen Handlungen beruhe auf deren gemeinschaftlichem und sinnbildlichem Charakter, der den Unterschied zwischen der Wettermagie der Germanen und dem Wetterzauber der Hexen ausmache, denen er unterstellt, sie hätten eigensüchtig gehandelt und wollten realen Einfluss auf die Natur gewinnen. Bauer erwähnt, dass Zauberer in den germanischen Quellen zwar genannt werden, dort aber als Finnen, als Fremde auftreten, die außerhalb der Gemeinschaft stehen. Sie wurden verachtet, und wenn sie Schaden anrichteten, wurden sie bestraft – mitunter auch verbrannt. Damit bestätigt er die germanische Bestrafung der Zauberer als Tatsache, weist jedoch die Möglichkeit eines Bündnisses der Germanen mit dem Bösen strikt zurück. Im Gegensatz dazu weist Wilhelm Grönbech,59 auf den Bauer sich beruft, in seinem Buch Kultur und Religion der Germanen darauf hin, dass unter den Zauberern auch aus der Gemeinschaft Ausgeschlossene waren, nicht nur Fremde. Der Zauberer wäre damit ein Mitglied der (auch germanischen) Gemeinschaft, das sich durch den Ausbruch aus der Gemeinschaft in einen Fremden verwandelt hat: „Denn wenn ein Mitglied der Gemeinschaft sich vom geistigen Verkehr mit seinen Brüdern ausschließt [...] liegt seine Anwesenheit wie ein Alp auf allen Gedanken und lähmt Wille und Kraft. Seine Handlungen, ja sogar seine Gedanken sind eine dauernde Gefahr für das Heil der Bewohner. [...] Seine Anwesenheit ist ein Bruch im Kosmos und ebenso zerstörend für die geistige Sicherheit, wie die Sonne oder die Erde es sein würden, wenn sie aus der Freundschaft der Menschen ausbrächen 57 Ebenda, S.5. 58 Ebenda. 59 Wilhelm Grönbech (873 - 948), dänischer Kultur- und Religionshistoriker an der Universität Kopenhagen, Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zur Kultur- und Religionsgeschichte der altindischen Völker, Griechen und Germanen. Kultur und Religion der Germanen ist sein bedeutendstes wissenschaftliches Werk (letzte Ausgabe: Darmstadt 2002). 79

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und irregingen. Um die Welt zu erhalten, muss der Mensch alle Zauberer mit ihren Häusern und all ihren Gütern zerstören und vernichten. [...] Er wird gehasst, weil er seine Künste im Geiste der Dunkelheit und Abgeschlossenheit ausübt; er ist ein Fremder, der außerhalb der Umzäunung des Friedens steht.60

Grönbech hebt hervor, dass Zauberei für die Germanen gleichbedeutend war mit boshaftem und sinnlosem Handeln außerhalb der Gemeinschaft, und dass die Klagen gegen sie ob der Schäden, die die Zauberei vermeintlich verursachte, an die Vorwürfe gegenüber den Hexen erinnern. Auch sei der Kampf gegen die Zauberer nicht weniger radikal gewesen als die Maßnahmen der christlichen Richter gegen die Hexen: „Die Menschen versuchen, ihn zu Staub zu verbrennen, einen Steinhügel über ihn zu häufen, ihn mit einem Pfahl in die Erde festzuspießen oder ihn weitab vom Lande zu ertränken – keine Sicherheitsmaßregel ist zu umständlich.“6 Grönbech scheut sich nicht, den germanischen Zauberglauben und dessen Folgen mit dem neuzeitlichen Zauberglauben zu vergleichen: „Ein solcher Bosheitswahnsinn ist die germanische Friedlosigkeit; mag sein, dass ihre Symptome bei den Bauern im 7. und 8. Jahrhundert durch ein wenig geänderte Verhältnisse reguliert waren – christlich geworden sind – die Art des Wahnsinns ist doch dieselbe“.62

Auf diese Ausführungen geht Bauer jedoch nicht ein: Zwar übernimmt er von Grönbech die Idee des Gemeinschaftlichen als der maßgeblichen Eigenschaft der germanischen Kultur. Auch erkennt er an, dass die Germanen Zauberer getötet oder aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen haben. Doch er beharrt auf dem „fremdrassigen“ Wesen der Zauberer. Nachdem er das Magieverständnis der Germanen geschildert hat, setzt Bauer den Vergleich der germanischen mit der christlichen Religion fort. Letzterer wirft er vor, dass sie sich an den Einzelnen wendet, den Menschen von den irdischen, damit auch gemeinschaftlichen, Bindungen zu lösen sucht und ihn erst im Nachhinein in eine Gemeinschaft stellt, die nur durch die gemeinsame Hoffnung auf eine andere Welt zusammenhält, die aber jeder nur für sich, durch sein persönliches Streben erreichen kann. Dem theoretischen und metaphysischen Charakter des Christentums stellt Bauer die „Natürlichkeit“, die Verwurzelung des Germanentums in der Wirklichkeit entgegen. In der germanischen Wirklichkeit, so seine Vorstellung, waren Mystik und reale Erfahrung miteinander verbunden, sie „beruhte auf der Verantwortlichkeit des 60 W. Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, Darmstadt 99, Bd. I, S.25-252. 6 Ebenda, S.340. 62 Ebenda, S. 337. 80

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Einzelnen für die ganze Welt, für seine ganze Welt, denn eine größere gibt es nur in der Theorie; sie [die Wirklichkeit – K.L.] war aber bestimmt durch den Lebenskreis der Gemeinschaft“.63 Das Christentum habe das nicht begreifen können, es habe keinen Sinn für die Gemeinschaft gehabt und die mythische Wirklichkeit der Germanen mit der materiellen gleichgesetzt. Damit habe das Christentum die Geste der nicht-germanischen Zauberer wiederholt. Ein Teufelspakt sei bei den Germanen nicht möglich gewesen, weil es den Lebenden unmöglich war, sich mit den lebensfeindlichen Mächten zu verbinden. Bauer beruft sich auf Otto Höfler, wenn er darauf hinweist, dass die Germanen das Böse dennoch nicht verneinten, sondern es sogar in das kultische Brauchtum aufnahmen, um das Gleichgewicht der Welt zu bewahren. Um seine Thesen zu beweisen, vermischt Bauer verschiedene Diskursebenen: Er sucht Argumente in der Theologie, aber auch in Märchen, ohne die Quellen zu differenzieren. Als Beispiel für die Infantilisierung des im Christentum theologisch begründeten Bösen verweist er z.B. auf Märchen. Dort höre der Teufel auf, eine überirdische Macht zu sein, verneine selbst sein unweltliches Wesen. Die Rolle des germanischen Bösen, mit dem sich nicht verhandeln lässt, schreibe die christliche Kultur den Hexen zu, die auch „Unholde“ genannt werden. Weil dieses Wort auch im altsächsischen Teufelgelöbnis für die Genossen von Wodan, Donar und Saxnot verwendet wurde, 64 überlegt Bauer, ob diese Überlieferung nicht tatsächlich auf kulturellem Brauchtum beruht, ob man sie so interpretieren könnte wie Höfler, der die Wilden Heer-Sage von realen kultischen Handlungen der Männerbünde ableitet. Nach dieser Interpretation kann sich das Wort „Unhold“ auf die Bräuche der noch heidnischen Germanen beziehen und jemanden bezeichnen, der immer noch den alten Göttern treu geblieben ist. In den Hexerei-Anklagen könnte man dann die Spuren des alten Glaubens entdecken. Die Bekehrer konnten Bauer zufolge den Hexenglauben so erfolgreich verbreiten, weil der christianisierte Teil des Volkes das alte, strenge Rechtsempfinden behielt und den alten Kult dank der falschen Auslegung durch die Bekehrer und der Schwächung der Gemeinschaft als Zauberei empfand. Diese fälschliche Auslegung der germanischen Religiosität führt Bauer darauf zurück, dass das Christentum keinen Sinn für die mythische Wirklichkeit habe, weil sein Gott ein reiner Geist sei. Die Scholastik sei die Vollendung dieses 63 H. Bauer, a.a.O., S.36. 64 Ein Gelöbnis aus dem 9. Jh. lautete: „Ich widersage allen Werken und Worten des Teufels, Thor, Wodan und Saxnot und allen Unholden, die ihre Gefährten sind”. Thor schützte in der nordischen Mythologie Menschen vor den Chaosmächten, als seine Entsprechung in der germanischen Mythologie nennt man Donar. Der germanische Wodan entspricht dem Odin, dem Hauptgott der nordischen Mythologie, ist ein weiser Zauberer und mutiger Kämpfer. Saxnot wird als Stammvater der Sachsen betrachtet. Vgl.: R. Simek, Lexikon der Germanischen Mythologie, Stuttgart 984. 81

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Gottesverständnisses gewesen und zugleich Ausdruck der größtmöglichen Entfernung von menschlicher Erfahrung. Bauer versucht zu zeigen, dass im Spätmittelalter die germanische Frömmigkeit im Wort, als Mystik, und im Bild, als Kirchenkunst, gegen die „reine Lehre“ rebellierte. Damit unterstützt er die Konzeption der germanischen Kontinuität in der Geschichte. Die Unterdrückung des lebendigen germanischen Glaubens durch den Buchstaben, die Schrift und die Philosophie vergleicht er damit, wie die griechische Philosophie den Mythos „zerdachte“ und zerredete. Hier ist die Anklage des Christentums am stärksten. Nennenswerten Widerstand gegen die Überbewertung des geschriebenen Wortes durch die Kirche sieht er erst in der Romantik. Dass Bauer die zerstörerische Kraft der Schrift so betont, wird plausibel vor dem Hintergrund, dass es nur wenige schriftliche Überlieferungen der germanischen Kultur gibt. Daher interpretiert er die Schrift als etwas Fremdes, sie gehöre nicht zu dieser Kultur: „Aber es ist leichter dem Buchstaben zu folgen, als dem lebenden Vorbild, das die Kunst gibt – Gott wurde immer mehr irrealer Geist, der Buchstabe siegte. Insofern erweist sich das Christentum tatsächlich als eine Aufklärung, zumal es mit demselben Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftritt wie jene“.65

Diese Analogie zwischen Christentum und Aufklärung, die sich auf den kritikwürdigen universellen Anspruch beider bezieht, relativiert Bauer aber schon im nächsten Satz: Im Gegensatz zur Aufklärung habe das Christentum auf Beobachtung und Erfahrung verzichtet. Die Bibel, die Kirchenväter, verschiedene Zweige der griechischen und arabischen Philosophie hätten sich mit den dämonischen Erscheinungen befasst, für die in der christlichen Lehre der Teufel mit seinem Gefolge eintritt. Die Dämonologie der Scholastik, so Bauer, besteht aus wörtlich verstandenen, also missverstandenen klassischen und anderen mythischen Überlieferungen. In den Anklagen gegen die Hexen entdeckt Bauer eher diese Konstruktionen denn Elemente des Volksglaubens. Den Hexenwahn, dessen geistige Grundlage die Hexen- und Teufelsliteratur geschaffen habe, interpretiert er als Resultat einer gewaltigen Auseinandersetzung zwischen Intellektualismus und Volksseele. Auf der einen Seite sieht er die Unerschütterlichkeit der abstrakten Schrift und den Individualismus, auf der anderen den Kult und die Gemeinschaft. Die Buchdruckkunst habe zu diesem Wahn beigetragen. Sie ermöglichte die weite Verbreitung der Papstbullen, die die Existenz der Hexen bestätigten, des Hexenhammers und der christlichen Dogmen. Noch einmal ist die Rede von der gemeinschaftszersetzenden Kraft der Kirche:

65 H. Bauer, a.a.O., S.40. 82

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„Das Christentum war eine geistige Macht, und nur eine geistige Macht vermag es, Einzelne zu fanatisieren, während jene seelisch tiefsten Schichten des Volksglaubens nur in einer ungebrochenen Gemeinschaft zur äußeren Wirksamkeit gelangen können“.66

Darin, dass auch die protestantischen Geistlichen dem Hexenwahn verfielen, sieht Bauer den Beweis dafür, dass sich der von der katholischen Kirche initiierte Prozess verselbständigt hat: „Die protestantischen Geistlichen schlossen sich übrigens davon nicht aus, ein Beweis dafür, dass dabei doch nicht alles Bosheit und Mache war, dass vielmehr der Wahn ganz selbständig um sich griff und keiner sich der Höllenmaschine entziehen konnte“.67

Bauer sieht in den Hexenprozessen zumindest partiell eine Fortsetzung der Ketzerprozesse68 und beruft sich dabei auf Sigmund von Riezlers Buch Geschichte der Hexenprozesse in Bayern (896). Im Jahr 239 wurde, gemeinsam mit 83 Ketzern, auch eine Frau verbrannt. Dies ist er erste beglaubigte Fall, in dem eine Frau wegen Zauberei auf den Scheiterhaufen gebracht wurde. In der weiteren Entwicklung der Hexenprozesse sieht Bauer zumindest teilweise eine Verselbständigung der Ketzergerichtsbarkeit, „die inzwischen solche Formen angenommen hatte, dass ihre Schöpfer sie nicht mehr zu bändigen vermochten, ohne sie dabei zu vernichten, womit sie sich einer nur allzu bequemen und wirksamen Waffe beraubt hätten.“ 69 Nun durfte die Hexerei, erst Bestandteil der Ketzeranklagen, jetzt selbständiges Verbrechen, nicht aufhören, weil dann die Inquisition im leeren Raume gestanden hätte. Als weitere Gründe für die Ausweitung der Prozesswelle nennt Bauer die Übertragung der Hexengerichtsbarkeit auf die weltlichen Gerichte, worin er einen Trick der Jesuiten vermutet, die nun „hinter den Kulissen“ noch radikaler handeln konnten, sowie Veränderungen im deutschen Recht, in deren Folge Schuldbeweise durch Verhöre und Foltern ersetzt wurden. Als einen Beleg für diese Entwicklung zitiert er Friedrich Spees Bemerkung, wenn der Papst in die Hände der Inquisition geriete, würde er sich als Zauberer bekennen. Der Abhandlung folgt eine Übersetzung von Prozessakten, versehen mit Erklärungen, in denen Bauer vor allem auf die strafverschärfende Rolle der Folter und der „gelehrten“ Gutachten hinweist, darauf, dass sich die Prozesse

66 Ebenda, S. 4. 67 Ebenda, S.42. 68 Vgl. auch.: Levack Brian P., Polowanie na czarownice w Europie wczesnonowoĪytnej, Wrocáaw 99, S. 8, 95; Schormann Gerhard, Der Krieg gegen die Hexen, Göttingen 99, S. 97 f. 69 H. Bauer, a.a.O., S. 5. 83

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für die weltliche Obrigkeit, die ihren Anteil an ihnen hatte, oft auch finanziell auszahlten, sowie auf Versuche, mit den Hexerei-Anklagen politische und andere Streitigkeiten zu lösen. Dieser Teil endet mit folgender Feststellung: „Gewiss ist aber, dass sie Frau Ilschen Cronshagen, Wittwe Jobst Schückenbohmers sterben musste, weil jene furchtbare Gerichtsmaschinerie, die niemand bändigte, weil es ihren Herren angenehmer erschien, sie zu benutzen, ihre Opfer haben musste. Im Mittelalter war das nicht möglich, das Mittelalter hatte noch Religion. Die so genannte Neuzeit begann mit dem religiösen Wahn und endet im atheistischen und anarchistischen Wahn.“ 70

Noch einmal wird hier auf die tendenzielle Verselbständigung der Mordsmaschinerie und deren Nutzen für den kirchlichen Machterhalt hingewiesen. Vor allem aber geht es Bauer darum, den gemeinschaftlichen Charakter des Germanentums herauszustellen. Dem „Wahn“ des Christentums, des Atheismus, der Anarchie und deren „gemeinschaftszersetzenden“ Charakter stellt er die kultische, „lebendige“ Gemeinschaft entgegen, die das Wesen der Germanen ausmache und deren Spuren sich noch im Mittelalter nachweisen ließen. Im Fokus seiner Analyse stehen nicht die menschlichen Opfer, sondern die Gemeinschaft, die durch die Hexenprozesse zerstört worden sei. Im Vergleich zu den Arbeiten des H-Sonderauftrags erscheint Bauers Vokabular eher neutral, sieht man von gelegentlichen ideologischen Formulierungen wie „blutmäßig”, „bodenständig“, „Verlust besten Blutes“ oder „Mächte der Entartung“ einmal ab. Seine Apologie der Gemeinschaft, die Kritik am Intellektualismus und Individualismus, die Ablehnung der Schrift zugunsten des Kultes sowie sein Plädoyer für die „Ausrottung“ derjenigen, die die rassische Gemeinschaft bedrohen, kennzeichnen Bauer als einen überzeugten Vertreter des rassischen Denkens. Gleichwohl wurde er den Anforderungen an propagandistische Eindeutigkeit und Verwertbarkeit nicht gerecht. Die Anerkennung der dunklen Seiten der germanischen Kulte, sein Argument, dass es kontraproduktiv sei, jegliche Einzelaspekte des Hexenglaubens als ungermanisch zu klassifizieren, und nicht zuletzt die Berufung auf Höfler, der später Levins Arbeit in Frage stellte, machten Bauers Text für den politischen Kampf im Sinne des H-Sonderauftrags weitgehend unbrauchbar.7 Gleichwohl war dieser Text nicht der entscheidende Grund dafür, dass Himmler 70 Ebenda, S. 23. 7 Michal Komar versuchte sogar, diesen Text als Zugeständnis der deutschen Schuld an den Prozessen zu lesen, und sah Bauer als einen, der gegen die ideologische Auslegung der Prozesse rebellierte und dadurch dazu beigetragen hat, dass das „Ahnenerbe“ sich nicht mehr mit dem Thema beschäftigen durfte. Er hat dabei alle anderen rassistischen und nationalsozialistischen Elemente dieser Abhandlung übersehen. Vgl.: M. Komar, Prosba o dobra smierc, Warszawa 993, S. 49-59. 84

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letztlich dem H-Sonderauftrag die ausschließliche Zuständigkeit für diese Thematik zuerkannte und das „Ahnenerbe“ außen vor ließ. Eine tiefer greifende Erklärung dafür muss sowohl die generellen Rivalitäten und Machtkämpfe innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates als auch Himmlers charakteristischen Politikstil des „teile und herrsche“ in Betracht ziehen.

P r o b l e m e m i t d e n H e x e n o d e r d e r Au f t r a g i n Au f l ö s u n g Am 3.6.938 erhielt Wolfram Sievers, der Generalsekretär des „Ahnenerbes“, folgenden Brief aus dem persönlichen Stab des Reichsführers SS: „Dem Reichsführer SS haben die von Gauamtsleiter Steinecke, Lemgo, überschickten Original-Hexen-Prozeßakten sowie die vom Ahnenerbe angefertigte Übersetzung vorgelegen. Er bittet, davon Kenntnis zu nehmen, das sich das Ahnenerbe mit Hexenprozeß-Angelegenheiten nicht beschäftigen soll, da diese Aufgabe ausschließlich dem SD zukäme.“72

In dieser Situation bereiten die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags, ganz als ob sie Himmler in dieser Entscheidung bestätigen möchten, ein breit angelegtes Forschungsprogramm vor, mit dem sie ihre exklusive Kompetenz für diesen Themenkomplex unter Beweis zu stellen suchen und zugleich signalisieren, dass sie Beiträge der „außen stehenden“ Konkurrenz für überflüssig halten. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die rassische Interpretation der Hexenprozesse und ihre negative Auswirkungen auf das deutsche Volk sowie die Vorbereitung einer eigenen Geschichte der Hexenprozesse. Dabei soll insbesondere auch das Frauenbild berücksichtigt werden, das den Hexenprozessen zu Grunde lag: „. Vom H-Sonderkommando des Reichführers SS sind bereits sämtliche Hexenprozesse, die sich im Stadtarchiv Lemgo befinden, bearbeitet und ausgewertet worden. Eine Zuleitung der Akten zur Bearbeitung erübrigt sich aus diesem Grunde. 2. Die Arbeiten des H-Sonderauftrages des Reichführers SS sind auf folgende Probleme gerichtet: Erforschung der rassen- und bevölkerungsgeschichtlichen Wirkungen der Hexenprozesse, der wirtschaftsgeschichtlichen Folgewirkungen der Hexenprozesse, die Wertung der Frau in den Hexenprozessen und schließlich ein Überblick über das bisherige Schrifttum zu den Hexenprozessen.“73

72 Czary 2, S. 2. 73 Czary 2, S.. 85

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Der Nachlass des H-Sonderauftrags enthält einige von Levin signierte Versionen des Forschungsprogramms, die in den folgenden Jahren ausgearbeitet wurden. In diesem Kontext ist ein Brief (ohne Unterschrift) zu erwähnen, den Levin am 4.3.940 auf seine Anfrage nach Literatur zur Inquisition und den Hexenprozessen erhielt. In diesem Schreiben werden vor allem Soldan und Hansen als wissenschaftlich absolut zuverlässige Autoren empfohlen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass „spezielle Untersuchungen über den Bevölkerungsausfall durch die Hexenprozesse“ nicht existieren. Von „einer weltanschaulichen Sicht in unserem Sinne“ könne mit Bezug auf die bisherige Literatur keine Rede sein. „Bevölkerungsgeschichtliche Untersuchungen fehlen völlig“.74 Eine Aktennotiz vom 6.9.94 enthält drei Vorschläge zur weiteren Arbeit auf dem Gebiet der Hexenprozesse und zur Vorbereitung der Propagierung des revidierten Geschichtsbildes. Erstens, eine „Neubearbeitung“ des Werkes von Soldan, die den neuen rassenideologischen Anforderungen gerecht wird: „Das Werk muss geistesgeschichtlich vollkommen neu umgearbeitet werden. Es müssen vor allem größere Abschnitte über die volkskundlichen und vorgeschichtlichen Probleme des Hexenwahnes eingearbeitet werden“.75

In einer späteren Notiz wurde hinzugefügt, dass die vorliegende, von Max Bauer herausgegebene Soldan-Ausgabe „vom geschichtswissenschaftlichen Standpunkt abzulehnen“ sei.76 Zweitens wurde geplant, Malleus Malleficarum neu zu übersetzen und herauszugeben. Drittens schließlich sollten wichtige Prozessakten in einer kritischen Ausgabe „für die Benutzung in den historischen Seminaren der Universitäten zusammengefasst werden“.77 Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass all diese Pläne darauf zielten, das „neue Wissen“ durch die „revidierten“ Standardwerke zu untermauern, um es dann an den noch eher skeptisch gestimmten Universitäten propagieren zu können. Nach der Reorganisation des RSHA im Jahr 94 legte Levin im Januar 942 einen Bericht über die Aufgaben des Referats VII C 3 vor, im welchem der H-Sonderauftrag von nun an angesiedelt war. Das Dokument diente der Vorbereitung auf eine für April angesetzte Beratung mit Günther Franz, der 94 direkt dem RSHA unterstellt worden war. Seitdem bemühte man sich, das Programm des H-Sonderauftrags auszuweiten und seine politische Rele-

74 75 76 77 86

Czary 3883, S.5. Czary 3883, S.6. Czary, 3883, S. 2 Czary, 3883, S. 6.

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vanz unter Beweis zu stellen. Levin erklärte die zukünftigen Aufgaben seiner Abteilung folgendermaßen: „Planung, Leitung und Führung aller Forschungen des Amtes VII. Seine Aufgabestellung erstreckt sich somit weit über den bisherigen Bereich des H-Sonderauftrags des Reichsführers SS hinaus. Die Fragestellung bei den einzelnen Forschungen hat von den Erfordernissen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes auszugehen. Auch die notwendigen historischen Forschungen sind unter dem Gesichtspunkt der politischen Forderungen der Gegenwart durchzuführen.“78

Diese Absichtserklärung kennzeichnet die Bereitschaft der Gruppe, sich voll und ganz der Geschichtspolitik des SD unterzuordnen. Es ist ein Versuch, das Prestige des H-Sonderauftrags zu erhöhen und die Erweiterung seines Aufgabenfeldes zu rechtfertigen. Für das gesamte Referat VII C 3 wurden folgende drei Forschungsgebiete vorgesehen: • Volks und Wesenforschung; • Gegnerforschungen, d.h. Erforschung der einzelnen Gegnergruppen; • Raumforschung, d.h. Erforschung der Raumideen.79 Die Hexenprozessforschung wurde in den Teil „Volks- und Wesenforschung“ eingegliedert: „Für den Forschungsbereich der germanischen Substanz und der Fremdüberlagerungen wird eine Gliederung nach drei Gruppen durchgeführt. Die erste Gruppe umfasst den H-Sonderauftrag, die zweite Gruppe die christlichen Überlagerungen, die dritte Gruppe die westlichen Überlagerungen“.80

Die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags bemühten sich dabei umgehend um eine Erweiterung ihrer Aufgaben: Laut Levins Vorschlag sollten sie, als Fortsetzung und Erweiterung ihrer Hexen-Recherchen, die Erforschung der christlichen (Schmidt) und westlichen „Überlagerung“ (Reissmann) übernehmen. Die Formulierung „Überlagerung“ charakterisiert die Zielsetzung der Gruppe treffend: „Überlagern“ heißt, sich über etwas lagern, wie Lava sich über Gestein lagert, das man darunter jedoch in unveränderter Form entdecken kann. Nach der Bestimmung der Überlagerung könne man zu den tieferen Schichten durchdringen, in diesem Fall zum ursprünglichen Germanentum – was immer man darunter auch verstehen will. Die Liste der geplanten Publikationen für den ersten Forschungsbereich (H-Sonderauftrag) sieht imponierend aus. Allerdings waren einige der in dem 78 RSHA 362, Sygn. 400, S.59. 79 Ebenda, S. 60. 80 Ebenda. 87

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neuen Arbeitsplan aufgeführten Titel bereits 937 geplant worden. Nach den zugänglichen Informationen zu urteilen wurde keiner davon jemals fertig gestellt: „ • Dr. Levin: Die Hexenprozesse in volksgeschichtlicher Sicht; • Dr. Merkel: Das Schrifttum über die Hexenprozesse; • Schmidt: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Hexenprozesse; • v. Schrenck: Die Folter bei den Hexenprozessen; • Levin/Richter: Quellen und Bibliographie zur Geschichte des Hexenwahns und der Hexengeschichte; • Levin (in Zusammenarbeit mit den anderen Mitarbeitern): Handbuch zur Geschichte der Hexenprozesse in Deutschland;. • Reissmann: Hexen-Grundbuch. • Folgende langfristige Vorhaben wurden neu in den Plan aufgenommen: • Der Hexenwahn in vorgeschichtlicher Betrachtung. Bearbeiter: Dr. Wilhelm Jantra; • Der Hexenwahn in volkskundlicher Betrachtung. Bearbeiter: Dr. Ernst Merkel; • Die Rechtsvorgänge bei den Hexen-Prozessen; • Historisch-kritische Ausgabe des Malleus Maleficarum (dazu eine neue deutsche Übersetzung); • Neubearbeitung des wissenschaftlichen Hauptwerkes von Wilhelm Soldan und Heinrich Heppe Geschichte der Hexenprozesse; Bearbeitung durch die wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des H-Sonderauftrags, verantwortlicher Bearbeiter Reissmann. • Quellentexte zur Geschichte der Hexen-Prozesse. Bearbeiter: Levin.“8 Die Titel markieren das Vorhaben, die Geschichte der Hexenprozesse und ihrer Rezeption neu zu schreiben und die Quellen dem neuen „Wissensstand“ anzupassen. Dabei wird auch gleich an zukünftige Aufgaben gedacht, auch an die Fortsetzung der Arbeiten des H-Sonderauftrags: „Weiterführung des H-Sonderauftrages nach Beendigung der Hauptarbeiten als ständiges Hilfsreferat im Rahmen des Referats VII C 3. Wenn die Ergebnisse der H-Forschung veröffentlicht worden sind, werden naturgemäß verschiedene interessierte Gelehrte oder Heimatforscher sich mit vielen Fragen oder Erklärungen an die Verfasser der einzelnen Arbeiten wenden. Um eine einheitliche Führung dieser Korrespondenz zu ermöglichen, wird ein ständiges Hilfsreferat für die H-Forschung im Rahmen des Referates VII C 3 eingerichtet, das die Weiterführung der Arbeiten auf diesem Gebiete betreut“82 [Unterstreichung im Original].

8 Ebenda, S. 60f. 82 Ebenda, S.6. 88

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Diese Idee lief faktisch darauf hinaus, in der Zukunft eine Art strategisches Zentrum einzurichten, das das Wissen über die Hexenprozesse verwalten, zensieren und gezielt einsetzen würde. Das zweite Thema der zukünftigen Forschungen, auf das die Mitarbeiter des H-Sonderkommandos Anspruch erhoben, die „christlichen Überlagerungen“, verband sich durch die antichristliche Zielsetzung eng mit ihrem ursprünglichen Thema. So wie man in der Hexenforschung den Einfluss des Christentums auf die germanische Kultur und die damit verbundenen Gefahren aufzeigen wollte, wollte man als eine logische Fortsetzung dieser Aufgabe gleiche Einflüsse, deren negative Wirkung man im Fall des Hexenglaubens und der Hexenprozesse als bewiesen betrachtete, bis in die Gegenwart aufdecken. Die politische Relevanz dieses Auftrags wird durch den Hinweis auf christliche „Überlagerungen“ im Dritten Reich suggeriert: „Nach der Beendigung der Arbeiten des H-Sonderauftrags müssen weit über den H-Auftrag hinausgehend die gesamten christlichen Überlagerungen des germanischdeutschen Volksglaubens einer eingehenden Erforschung unterzogen werden. Besonders auf die Zeit nach dem Weltkriege und nach 933 ist hierbei besonders Wert zu legen. Für dieses Hilfsreferat wird als Hilfsreferent SS-Hauptsturmführer Schmidt vorgeschlagen. Themenvorschläge: •

Die jüdische Messiasidee im christlichen Gewande und ihre Überlagerung des germanischen Führergedankens;



Die Einwirkung des Christentums auf das deutsche Soldatentum im Weltkriege (Traktate, Predigten, usw.);



Die christlichen Überlagerungsversuche gegenüber der nationalsozialistischen Idee;



Die Umgestaltung des politischen Gemeinschaftslebens im germanischdeutschen Raum durch das Christentum;



Der Kampf des Christentums gegen das germanische Brauchtum;



Die Einengung des germanisch-deutschen Weltbildes durch das christliche Weltbild“.83

83 Ebenda, S.62. 89

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Das Ziel dieses Schwerpunktes bestand darin, für die in der Hexenforschung ausgearbeiteten Thesen eine Entsprechung in der neuesten Geschichte und im nationalsozialistischen Staat nachzuweisen, um die behauptete Kontinuität der Feindseligkeit der Kirche gegen alles Deutsche zu belegen und den bevorstehenden Entscheidungskampf zu begründen. Die Erforschung der „westlichen Überlagerung“ wäre wohl eine Fortsetzung der Untersuchung „fremder“, negativer Einflüsse auf die deutsche Kultur gewesen, die man bei dem Hexen-Thema bewiesen zu haben glaubte. Auch Levins Bericht über das Arbeitstreffen mit Franz vom 5.4.942 kennzeichnet das Bestreben, die Vorgesetzten in der Überzeugung von der Notwendigkeit und der wissenschaftlichen Solidität des H-Sonderauftrags zu bestärken: „An Hand des Arbeitsmaterials der H-Abteilung erläutete SS-H’sturmf. Levin eingehend die Arbeitsmethode der H-Abteilung. Prof. Franz überzeugte sich, dass bei sämtlichen Arbeiten des H-Sonderauftrages von der wissenschaftlich einwandfreien und durch absolut exakte Quellenbearbeitung erworbenen Grundlage ausgegangen wird“.84

Während des Gesprächs wurde die Schwierigkeit angesprochen, unter den Bedingungen des allgemeinen Papiermangels in den wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen. Man war sich einig darin, dass trotz aller Probleme die Arbeiten fortgesetzt sollten, um nach dem Krieg relevante Forschungsergebnisse publizieren zu können. Wenngleich viel geplant und diskutiert wurde, waren sich die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags offensichtlich bewusst, dass ihrer Arbeit angesichts des andauernden Krieges allenfalls eine marginale Bedeutung zugeschrieben wurde. Das auf ideologischer Basis gegründete „Denkkollektiv“ schien an Kohäsion einzubüßen. Davon zeugt ein Briefwechsel zwischen Merkel und Levin. Am 24.4.942 schreibt Merkel an Levin: „Aus deinem Brief spricht eine grenzenlose Lageverkennung, wenn Du von einer Fahrt nach dort schreibst. Ich bin Soldat und damit hat das eigene Handeln aufgehört. Sollte ich aber Urlaub bekommen, dann fahre ich zur Familie und nicht zu euch. Das leuchte auch dem einfachsten Menschen ein. Weiterhin kann ich meine Verwunderung nicht zurückhalten, dass Du überhaupt mit keiner Zeile persönlich schreibst. Gerade der Soldat freut sich, liebevolle und herzlich gehaltene Zeilen zu lesen. Solltest Du je einmal Soldat werden, aber das wird ja nie kommen, da wirst Du dich meiner Worte erinnern. [...] Was das Schicksal bringt, weiß ich nicht, aber eines weiß ich, ich komme zurück. Aber dann werde ich ein anderer sein, denn ich verwandle mich bereits in der kurzen Militärschule selbst. Ob wir uns dann sehen, 84 RSHA 363, Sygn.298, S.5. 90

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weiß ich nicht, denn eines steht fest: wenn wir zurückkommen werden wir uns nicht mehr mit solchen weitabliegenden Problemen [zu] beschäftigen haben, wie H. es bietet“.85

Mit diesem Brief versucht Merkel, aus dem Kollektiv auszuscheiden. Er ist nur noch unter den Ausnahmebedingungen des Militärsdienstes, der ihn sehr verändert zu haben scheint, bereit, auf sein Privatleben zu verzichten. Nicht sehr geschickt, schon weil er Levin unterstellt, sich vor dem Militärdienst zu drücken, schlägt er einen privaten Ton an. Indem er jedoch die Wichtigkeit der Aufgaben des H-Sonderauftrags in Frage stellt und damit die Existenzberechtigung des ganzen Kollektivs, verspielt er jede Chance auf einen Dialog. Levin reagiert blitzschnell und antwortet am 29.4.942: „Deinen Brief habe ich sofort meinen Kameraden zur Kenntnis gegeben. Er ist derart flegelhaft und unverschämt, dass dadurch das kameradschaftliche Verhältnis zu uns endgültig einen Bruch erlitten hat. [...] Nun zum rein dienstlichen. Ich stelle dazu fest, dass nicht nur ich, sondern auch sämtliche Kameraden in Berlin über jeden Deiner Fehler hingesehen haben und sie außerordentlich mild beurteilt haben. Manche Schludrigkeit bei Deinen wissenschaftlichen Arbeiten [...], haben wir stets mit Deiner Nervosität und Deinem Schilddrüsenleiden entschuldigt. [...] Genau so war es bei dem Druck Deiner Dissertation. Du wusstest genau, dass es nach dem Befehl des Reichsführers SS unmöglich war, Deine Arbeit drucken zu lassen, trotzdem hast Du es getan. Wir haben es im letzten Augenblick verhindert. Wäre die Sache ausgedruckt worden, wärest Du dienstlich außerordentlich scharf belangt worden. [...] Du schreibst folgendes: 'Wenn wir zurückkommen werden wir uns nicht mehr mit solchen weitabliegenden Problemen beschäftigen haben, wie H. es bietet.’ Du scheinst also den Sinn unserer Arbeit überhaupt nicht begriffen zu haben, wenn Du die Arbeit als weitabliegend bezeichnest. Ich richte an Dich jetzt die dienstliche Anfrage, ob Du gewilligt bist, weiter mitzuarbeiten und die Dir übertragenen Arbeiten ausführen willst, wenn nicht, werde ich dienstliche Meldung an den Amtschef und den Chef der Sicherheitspolizei erstatten“.86

Mit dem offiziellen Ton, der Auflistung aller Fehler und Schwächen Merkels und der öffentlichen Besprechung seines Briefes weist Levin Merkel in die Schranken. Die Berufung auf die Vorgesetzten, mit der er ihm faktisch androht, ihn zu denunzieren, signalisiert die Ablehnung jeglichen privaten Dialogs und deutet Levins Bestreben an, sich selbst durch die Abgrenzung von Merkel als treues und bewusstes Mitglied der nationalsozialistischen, politisch engagierten Wissenschaft, oder sogar der „Volksgemeinschaft“ zu prä-

85 RSHA362, Sygn. 390, S.3. 86 Ebenda, S.4. 91

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sentieren.87 Zwar versucht Merkel in seiner Antwort vom 4.5.942, einige seiner Formulierungen zu relativieren, schreibt aber auch: „Es wäre nicht nötig gewesen, gleich mit dem Amt zu drohen. Ich bedaure, dass Du den Brief so aufgefasst hast. [...] ich will nicht den Brief als eine Absage an die H-Arbeit ansehen. Ich will meine Aufträge später weiterführen, vorausgesetzt, dass ihr sie an den neuesten Feststellungen noch als brauchbar für euch anseht. Meine Privatmeinung über die Probleme lasse ich mir aber nicht nehmen. Man kann auch Sachen tun, die weit abliegen“.88

Merkel bleibt bei der Entgegensetzung von „ich“ und „ihr“ und verlässt damit faktisch die Gemeinschaft der Hexenforscher. Er zeigt mangelndes „Gefühl der Denksolidarität im Dienste einer überpersönlichen Idee, das eine intellektuelle Abhängigkeit der Individuen voneinander und gemeinsame Stimmung bewirkt“.89 Womöglich ist das ein Zeichen dafür, dass sich Flecks Theorie der Entstehung wissenschaftlicher Tatsachen von der Politik nicht völlig zweckentfremdet einsetzen lässt, weil ein ideologisches Kollektiv nicht immer imstande ist, zu verursachen, „dass der intrakollektive Denkverkehr ipso sociologico facto – ohne Rücksicht auf den Inhalt und die logische Berechtigung – zur Bestärkung der Denkgebilde führt“.90 Solche Diskussionen und Zweifel, wie sie der zitierte Briefwechsel andeutet, scheinen ein Impuls dafür gewesen zu sein, die Aufgaben des Auftrags immer wieder zu präzisieren. Am 29.6.942 schickte Levin seinen letzten umfangreichen Bericht über den Arbeitsstand und die Arbeitsplanung seiner Forschungsgruppe an Six. Am Anfang beschreibt er die Fülle der zu bearbeitenden Akten und der sich stets „erweiternden wissenschaftlichen Aufgaben“,9 die von den wenigen Mitarbeitern, von denen einige in der letzten Zeit einberufen wurden, nicht bewältigt werden könnten. Er unterstreicht erneut die Bedeutung der geplanten Arbeiten, legt sich aber auf Termine für die Fertigstellung nicht mehr fest. Das schon lange angekündigte Hexen-Grundbuch, „ein sippengeschichtliches Werk ersten Ranges“, wird noch „eine geraume Zeit in Anspruch nehmen“.92 Ausführlich beschreibt er verschiedene Tätigkeitsgebiete. Er berichtet über die Zusammenstellung einer Buchsammlung (.500 Bände und 200 Nach87 Vgl. dazu Sauerlands Ausführungen über die Kriminalisierung des Wortes im Dritten Reich, auch der nichtöffentlichen bußerungen: K. Sauerland, Dreißig Silberinge, a.a.O, S. 28ff. 88 RSHA362, Sygn. 390, S.5. 89 L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt/M. 980, S. 40. 90 Ebenda. 9 Czary 3883, S. 8. 92 Ebenda, S. 9. 92

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schlagewerke), für die Bücher in Antiquariaten gekauft oder in Logenbüchereien beschlagnahmt worden sind, und die sowohl wissenschaftliche Abhandlungen als auch Unterhaltungsliteratur enthält. Besonders betont er die mühselige Arbeit in genau aufgelisteten Archiven, deren Findbücher oft mangelhaft sind, sowie die anspruchsvolle Auswertung des gesammelten Materials. Detailliert beschreibt er alle Karteien, die die Übersichtlichkeit des Archivs des H-Sonderauftrags garantieren sollen. Die gezielte Benutzung des Fachwortschatzes bei der Beschreibung der Methoden erweckt den Eindruck professioneller wissenschaftlicher Arbeit, verspricht allerdings viel mehr, als in dem erhalten gebliebenen Archiv zu entdecken ist, worauf später zurück zu kommen ist. Im Abschnitt Wissenschaftliche Ergebnisse wird noch einmal die These bestätigt, die schon bei der Gründung des H-Sonderauftrags fest stand: Alle Arbeiten hätten bewiesen „dass der Hexenwahn in seinen Hauptzügen vom christlichen Weltbild sich herleitet“.93 Einigen Versicherungen, Schwarz-Weiß-Malerei vermeiden zu wollen, folgt die Feststellung: Je tiefer man sich mit den Problemen auseinandersetzt, „desto negativer wird die Sachlage für das Christentum“.94 Levin meint, der H-Sonderauftrag habe endgültig bewiesen, dass die Hexenprozesse die meisten Opfer in den germanischen Ländern gefordert hatten, weil „die alten germanischen Glaubensformen noch sehr stark weiterlebten und von der Kirche verteufelt wurden. Diese germanischen Substanzen sollten in der Hexenverfolgung endgültig gebrochen werden“.95 Alle Arbeiten sollten deshalb die den Hexenprozessen zugrunde liegende Spannung zwischen „dem germanischen religiösen Bewusstsein und der christlichen Dogmatik“ berücksichtigen. Als ernsthaftes Problem sieht Levin, dass „die deutsche Wissenschaft sich bisher immer noch nicht an eine Geschichte des germanischen religiösen Bewusstseins gewagt hat“.96 Diese Aussage führt noch einmal die Relevanz der Religiositätsfrage in den Arbeiten an der neuen deutschen Identität vor Augen. Die Liste der geplanten Publikationen ist lang, aber eigentlich werden lediglich frühere Vorhaben, die sich seit dem letzten Bericht kaum weiterentwickelt haben, zum wiederholten Mal aufgeführt. Von den fertig gestellten Arbeiten waren einige so mangelhaft, dass Levin sie selbst gnadenlos kritisiert hatte.97Ausführlich bespricht er dafür die propagandistische Auswertung der dürftigen Forschungsergebnisse. Dem Vorschlag vom Januar, wonach Journalisten Hexengeschichten für Lokalzeitungen schreiben sollten, werden einige neue hinzugefügt, die der Erhöhung der propagandistischen Fähigkeit des besagten Zentrums dienen sollen. So werden eine Broschüre über die Hexenprozesse im Allgemeinen sowie il93 94 95 96 97

Ebenda, S. 7. Ebenda. Ebenda. Ebenda. W. Behringer, Der Abwickler, a.a.O., S. 20. 93

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lustrierte Kleinbroschüren über einzelne Prozesse geplant. Die Mitarbeiter sollten wissenschaftliche Aufsätze für renommierte Zeitschriften mit dem Ziel schreiben, „anspruchsvollere Kreise“ zu überzeugen. Erwähnt werden Arbeiten zu einem Film, die wegen der Einberufung des zuständigen Mitarbeiters unterbrochen wurden. Über die Fortsetzung des Filmprojekts wird nichts Konkretes gesagt, nur, dass man nicht zu viele Folterszenen zeigen dürfe, weil das auf das Publikum abschreckend wirken würde. Ausgehen sollte man von „geeigneten historischen Hexenfällen“.98 Auch im Rundfunk sollten wissenschaftliche Vorträge gehalten und Hexenromane gelesen werden. Propagandistische Erfolge erhofft sich Levin von Vorträgen an Universitäten und in wissenschaftlichen Gesellschaften. Er empfiehlt die Aufnahme der Forschungsergebnisse des H-Sonderauftrags in die Schulungsprogramme der SS und der NSDAP. Als ersten Schritt dazu schlägt er eine Tagung vor, auf der die Mitglieder des H-Sonderauftrags ihre Materialien an Schulungsleiter und Journalisten übergeben würden. Insgesamt verdeutlicht der Bericht eine stark zunehmende Konzentration auf propagandistische Aktivitäten, d.h. die tendenzielle Umwandlung des H-Sonderauftrags in ein Zentrum, von dem aus das „neue Wissen“ über die Hexenprozesse in die Gesellschaft hineingetragen werden soll. Abgesehen von diesen sehr konkreten Bemühungen, die vornehmlich durch das Interesse motiviert zu sein scheinen, die eigene Position zu sichern, bleibt die Darstellung der Forschungsergebnisse wie auch weiterer Forschungsvorhaben ziemlich unkonkret. Gleichwohl finden innerhalb des H-Sonderauftrags weiterhin regelmäßige Sitzungen statt.99 Am 7.7. 942 redet man über die Auswertung der Literatur, den Schutz des Materials, über das Grundbuch, zu dem die Arbeiten immer noch nicht weiter voran gekommen zu sein scheinen, am 6. und 20.0.942 wieder über die Sicherung der Dokumente und sowie Probleme in den oben aufgeführten Aufgabenfeldern. Das einzige Novum bilden einige auf Himmlers Wunsch vorbereitete „Filmfäden“. Vier davon betreffen konkrete Hexenprozesse in katholischen und protestantischen Gebieten, bei dem fünften handelt es sich um einen Kultur- und Schulungsfilm mit historischen Dokumenten und Begleitworten zur Herkunft und Entwicklung des Hexenwahns. Die letzten indirekten bußerungen zu den Forschungsergebnissen finden sich in Levins Referat Geisteswissenschaftliche Methodik der Gegnerfor-

98 Der Film spielte im NS-Regime eine wichtige propagandistische Rolle. Goebbels richtete im September 933 die Reichskulturkammer, der er selbst als Präsident vorstand, innerhalb des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda ein. Eine Unterabteilung der Reichskulturkammer war die Reichsfilmkammer. Zur NS-Filmpolitik vgl.: Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln 2003; Constanze Quanz, Der Film als Propagandainstrument Joseph Goebbels', Köln 2000. 99 Czary, 3883, S. 24-29. 94

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schung, das in der geheimen, nur für den Dienstgebrauch bestimmten Broschüre Grundprobleme der Gegnerforschung. Vorträge auf der Oktobertagung 943 des RS Amt VII abgedruckt wurde. Levin spricht hier über die „wissenschaftliche Methodik“, die auch der Forschung zur Geschichte der Hexenprozesse zugrunde liegen würde. Er definiert „Geisteswissenschaften“ als politische Wissenschaften, die der Verstärkung und Entwicklung des Selbstbewusstseins des Volkes dienen müssten.200 Diese Rolle sei bislang untergeschätzt bzw. durch „andersrassige oder demokratische Elemente“ negiert worden.20 Die Aufgabe der Geisteswissenschaften bestünde darin, „eine Lehre von den Gestalten und Formen der Geschichte” zu schaffen, unter Berücksichtigung der humanistischen, d.h. nicht-biologischen Elemente der Rassenlehre. 202 Die Geschichte sieht Levin als unaufhörlichen Kampf gegen feindliche Kräfte, die aber insofern auch von Nutzen sind, als die Spannungen und der Kampf gegen das Fremde es ermöglichen, zum Wesen des eigenen Volkes durchzudringen. Die Erforschung des Gegners, seiner Fremdheit, die mit Feindschaft gleichgesetzt wird, ist zugleich Erforschung des eigenen Wesens, der eigenen Kraft wie auch der Anfälligkeit für Gefährdungen durch fremde Einflüsse. Die so definierte Gegnerforschung entspräche den Aufgaben des H-Sonderauftrags und werte die Geisteswissenschaften als Dienst an der Politik auf. Als Gegner bezeichnet Levin jeden, der gegen die nationalsozialistische Bewegung auftritt. Das kann eine Rasse, eine Bewegung oder eine Nation sein: „Der Gegnerbegriff ist somit ein politischer Begriff, den wir nun wissenschaftlich zu klären haben“.203

Levin beschreibt drei Typen von Gegnern: den rassischen, den völkischen und den politisch-weltanschaulichen Gegner, der auch als Feind bezeichnet wird. 204 Diese Typologie entspricht auch der Struktur des RSHA. In Bezug auf den H-Sonderauftrag sei vor allem der dritte Typus von Bedeutung, zu dem meh-

200 Das zeugt vom Bewusstsein der Rolle der Geisteswissenschaften für die nationale Identitätskonstruktionen – ein Bewusstsein, dass nach dem Krieg plötzlich abhanden gekommen ist, was dazu führte, dass man sich in der Bundesrepublik erst seit kurzem ernsthaft mit der Bedeutung der Geisteswissenschaftler für den Aufbau der nationalsozialistischen Herrschaft auseinandersetzt. 20 R. Levin, Geisteswissenschaftliche Methodik der Gegnerforschung, in: Grundprobleme der Gegnerforschung. Vorträge gehalten auf der Oktobertagung 943 der RSHA, Amt VII, S.2. 202 Ebenda, S.4 203 Ebenda, S.0. 204 Der Autor versucht sich ein wissenschaftliches Alibi zu verschaffen, indem er sich auf den Begriff des Typus bei Dilthey, Weber und Spranger beruft, ohne die Bedeutung des Begriffs bei den genannten Autoren zu erläutern. 95

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rere miteinander verbundene „Internationalen“ gehören: die christlichkonfessionelle (Kirchen und Sekten), die liberal-demokratische (Freimaurerei) und die sozialistisch-kommunistische (Marxismus, Bolschewismus). Diese Darstellung erinnert stark an Himmlers Deutung der Hexenprozesse, der dahinter die Kollaboration gleich dreier Feindgruppen – der Juden, Kommunisten und Christen – vermutete. In seinen Ausführungen über die Kirche, die er für den wichtigsten Gegner hält, weist Levin darauf hin, dass es nötig sei, die arischen und jüdischen Elemente des Christentums abzusondern. Anschließend müsse man prüfen, inwieweit das Christentum in Deutschland germanisiert wurde, welche Bestandteile für die neue Gemeinschaft nützlich sein könnten, und die Einstellung „des germanischen Menschen“ zum Christentum beschreiben. Wichtig sei schließlich auch, den früheren wie gegenwärtigen Kampf der Kirche gegen die „germanischen Glaubensformen“ zu untersuchen sowie germanische Traditionen im Kirchenleben aufzuzeigen.205 Günther Franz, der sich mit den Hexenprozessen eigentlich nicht befasst hat, hielt unter dem Titel Geschichte und Rasse ein Referat, in dem er einige Punkte behandelte, die für die Hexenforschung wichtig seien. Ihm waren die Schwierigkeiten mit der rassischen Bestimmung der Opfer ebenfalls bewusst und auch er versuchte, eine ähnliche Lösung wie Levin vorzuschlagen: „Allein auf dem Erscheinungsbild lässt sich keine rassenkundliche Geschichtsbetrachtung aufbauen. Die seelische Haltung ist ebenso erbbedingt wie die äußere Erscheinung“.206

Franz hält die Frage, „wie weit die geschichtlichen Ereignisse selbst rassisch bedingt sind“, für wichtig, denn die rassengeschichtliche Auswirkung der geschichtlichen Ereignisse sei offensichtlicher.207 Von den Hexenprozessen seien sowohl katholische als auch protestantische Territorien erfasst worden, wenngleich Franz den Schwerpunkt in katholischen Gebieten sieht. Die biologischen Folgen der Prozesse sollte man seiner Meinung nach nicht überschätzen, denn: „Wurden auch alle Schichten des Volkes und alle Lebensalter von den Verfolgungen betroffen, so waren doch die große Mehrzahl der Verbrannten ältere Frauen, deren Ehe – biologisch gesehen – bereits erfüllt war“.208

205 Ebenda, S.7. 206 G. Franz, Geschichte und Rasse. Bemerkungen zur deutschen Geschichte in der Zeit der Glaubenskämpfe, in: Stufen und Wandlungen der deutschen Einheit, Festschrift für Alexander von Müller, Stuttgart 943, S. 75. 207 Ebenda, S. 76. 208 Ebenda, S. 82. 96

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Diese Feststellung, die übrigens Himmlers These von den verbrannten Müttern der Nation, der planmäßigen Zersetzung der Familie, widerspricht, gehört zu den wenigen konkreten Aussagen über Geschlecht und Alter der Hexen und scheint von der Grimmschen Vorstellung der alten Hexe inspiriert zu sein. Auch rassisch gesehen, befürchtet Franz, ließen sich keine eindeutigen Urteile fällen: „Wenn auch gelegentlich schon rotes Haar genügt haben soll, um als Hexe verdächtigt zu werden, kann man doch die Verbrennungen nicht als planvolle Ausmerze nordischen Blutes bezeichnen. Schönheit begründete ebenso den Verdacht wie ausgesprochene Hässlichkeit. Und vielfach waren gerade abgelegene Täler, Rückzugsgebiete, Sitze des Hexenglaubens. Hier mag sich wirklich alter Volksglaube länger bewahrt haben. Rassisch aber können diese Landschaften ebenso vorgermanische Rückzugsgebiete wie Heimstätten nordischen Blutes gewesen sein. Nur eine Einzeluntersuchung könnte darüber in jedem Fall Aufschluss geben.“209

Trotz dieser Vorbehalte, die eigentlich viele Thesen des H-Sonderauftrags in Frage stellen, will Franz die politische Bedeutung der Prozesse nicht unterschätzen, die er in anderen negativen Einflüssen auf die germanische Gemeinschaft sieht, nämlich in den „sittlich-seelischen Auswirkungen“, die auch zur Denunziation führten: „Diese Verfolgungen mussten die engsten Gemeinschaften der Sippe und der Nachbarschaft zersetzen, den natürlichen Glauben zerstören und das sittliche Empfinden auflösen. Sie führten damit zu einer Erkrankung des Volkskörpers, deren Folgen lange spürbar gewesen sind“.20

Behringer weist darauf hin, dass die SS 942/43 das Schulungsmaterial für Führeranwärter „Grundriss Nr.5. Der Dreißigjährige Krieg – die Katastrophe der deutschen Geschichte“ verbreitete, wo unter dem Stichwort „Gegenangriffe der Romkirche“ ein Text zu finden ist, der an den Artikel von Franz erinnert: „Man kann die Opfer nicht zählen, die in diesen Jahrzehnten nach namenlosen Qualen und Folterungen ‚zur höheren Ehre Gottes’ auf Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt wurden. Frauen und Männer aller Schichten und jedes Lebensalters wurden von der Verfolgung betroffen. Unendliche Mengen wertvollsten deutschen Blutes wurden ausgemerzt. Da vielfach rotes Haar allein schon als Verdächtigungsgrund galt, kann man wohl sagen, dass gerade das nordische Erbgut besonders stark betroffen wurde. Die Kirche hatte doppelten Nutzen. Sie vernichtete nicht nur ihre

209 Ebenda, S. 83. 20 Ebenda, S. 83. 97

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Gegner, sondern ihr fiel auch deren Vermögen heim. Und mancher Reiche wurde deswegen verbrannt, weil sein Vermögen von der Kirche begehrt wurde. “ 2

Die bhnlichkeit beider Texte ist nicht zu übersehen, der zweite scheint eine propagandistische Version des ersten zu sein, welcher eher für die „esoterischen Kreise“ bestimmt war. Die „exoterische“ Version ist gefühlsbetont, vereinfachend, jeden Zweifel auslassend. Frauen jedes Alters werden zu den Opfern gezählt, die Vorbehalte gegenüber der rassischen Bedeutung der Prozesse werden durch die Gewissheit ersetzt, dass sie gegen „das nordische Erbgut“ gerichtet waren, die Skepsis hinsichtlich der biologischen Folgen durch das Bild der vergossenen „Mengen wertvollsten deutschen Blutes“. Falls Franz wirklich der Autor des zweiten Textes war, wäre das ein gutes Beispiel dafür, wie man eine Idee für propagandistische Zwecke „zuschneiden“ kann. 947, als Günther Franz im Prozess gegen Franz Alfred Six aussagen musste, erwähnte er die Forschung über die Hexenprozesse und lobte Levins abgelehnte Habilitationsschrift, die er früher selbst kritisiert hatte: „Gerade diese letzte Arbeit, die der Münchner Universität als Habilitationsschrift vorlag, zeigt die wissenschaftliche Arbeit des Amtes. Dem Verfasser, Dr. Levin, der inzwischen gefallen ist, standen Photokopien und Auszüge des gesamten Schrifttums und des gesamten Urkundenmaterials über Hexenprozesse zur Verfügung, so dass die Arbeit in einer Breite sondergleichen angelegt werden konnte.“ 22

In den 980er Jahren äußerte sich Franz in einem Vortrag zum Geschichtsbild im Nationalsozialismus wie folgt über Himmlers Einstellung zu den Hexenprozessen: „Die spätere Geschichte interessierte ihn wenig. Er förderte die Ketzer und Hexenforschung, weil er im Hexentum germanisches Erbgut lebendig glaubte“.23

Dabei bestritt Franz mit Nachdruck, dass die Rassenlehre je die Geschichtswissenschaft im Dritten Reich, geschweige denn ihn selbst, ernsthaft beeinflusst habe. In Bezug auf die Hexenprozesse lässt sich Franz eine rassische Einstellung in der Tat schwer nachweisen, zumal ihm das Hexen-Thema, wie 2 Zit. nach: W. Behringer, Der Abwickler, a.a.O., S. 30; darüber schreibt auch Jörg Rudolph, „Geheime Reichskommandosache!“, a.a.O. 22 Eidesstattliche Erklärung Günther Franz vom 7..947 in Nürnberg: Staatsarchiv Nürnberg, Kriegsverbrecher-Prozesse Fall 9, Six-Dokument Nr. 45, zit. nach: W. Behringer, Der Abwickler, a.a.O., S. 32-33. 23 G. Franz, Das Geschichtsbild des Nationalsozialismus und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Geschichtsbewusstsein, hrsg. von Oswald Hauser, Göttingen 98, S. 96. 98

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Behringer zu Recht feststellt, ziemlich fern lag. Es gibt aber genügend andere Texte, in denen er mit dem Begriff der Rasse arbeitet, über germanisches Wehrbauerntum und dessen strenges Volksgericht schwadroniert, oder den Kampfrausch der Männerbünde besingt, in deren Kampfbräuchen er „Formen germanischen Berserkertums“ entdeckt.214 Gemeinsamkeiten mit Höfler, der die Hauptthese des H-Sonderauftrags über den ungermanischen Ursprung des Hexenglaubens ablehnte, dafür aber die frauenfeindlichen, hexenmordenden Männerbünde glorifizierte, sind nicht zu übersehen. Behringer weist darauf hin, dass mit der zunehmenden Aktivität von Franz, den er den „Abwickler“ des H-Sonderauftrags nennt, die Hexenforschung im RSHA reduziert wurde. Bereits bei der Planung des Programms für die Wissenschaftstagung beim Amt VII vom Oktober 1942 wurde das Thema Hexen nicht mehr berücksichtigt (im September hat Six das Amt VII verlassen).215 Statt dessen sprachen die Mitarbeiter auf dieser wie auch den folgenden Tagungen (1943) über Freimaurer und andere „Gegner-Themen“. Die Arbeiten des H-Sonderauftrags wurden am 19.1.1944, vermutlich wegen der schwierigen Frontlage, eingestellt. Der letzte Presseausschnitt im Archiv, vom 15.1.1944, kündigt noch ein letztes Forschungsprojekt zum Hexen-Thema an: „Der Lemgaer Studienrat Dr. Karl Meier hat eingehende Forschungen über dieses düstere Kapitel heimischer Kulturgeschichte angestellt und berichtete jetzt darüber auf einem Vortragsabend. [...] Dr. Meier wird nach dem Kriege ein Buch über seine Forschungen veröffentlichen“.216

D a s Ar c h i v d e s H e x e n - S o n d e r a u f t r a g s – eine missratene Geschichte? Die meisten der von den Mitarbeitern des H-Sonderauftrags gesammelten Dokumente werden heute im Posener Archiv aufbewahrt.217 Bei ihrer Auswertung durch polnische Archivare wurden sie in verschiedene Gruppen eingeordnet. Die Gruppe mit den Signaturen 1-11 umfasst die oben besprochenen Organisations- und Programmakten, Bibliographien und Briefe. Dort befindet sich zusätzlich ein Sach- und Begriffsverzeichnis. Die zweite Gruppe enthält 33.000 Formulare der Hexenkartothek (12-3632). Sie bildet den Grossteil der Sammlung und umfasst die Jahre 899-1752. Die meisten Kartei-

214 G. Franz, Von Ursprung und Brauchtum der Landsknechte, in: Günther Franz. Persönlichkeit und Geschichte, Göttingen 1977, S. 40. 215 RSHA 362/298. 216 Czary 3863, Neue Forschungen über Hexenprozesse, in: Brüsseler Zeitung, Jg. 5, 15.01.1944. 217 Vgl.: J. Rudolph, „Geheime Reichskommando-Sache!“, a.a.O. 99

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en, über 60 Prozent, wurden vor dem Zweiten Weltkrieg ausgefüllt. Die Formulare wurden den Ortschaftsmappen zugeordnet. Von 3.621 berücksichtigten Ortschaften liegen 3.104 in Deutschland. Innerhalb von acht Jahren untersuchten die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags die Sammlungen von 126 Archiven, 9 Bibliotheken und 2 Museen, aus denen sie die Dokumente ausliehen oder kopierten. Die nächste Dokumentengruppe (3633-3752) enthält Auszüge aus Archivdokumenten, Fotokopien der Archivalien (3753-3854), Mikrofilme (3877-3878) und originale Dokumente (3879-3882). In den beiden letzten werden Zeitungsausschnitte (3855-3865) und Illustrationen, Stiche und Zeichnungen (3866-3876) gesammelt. Eine ausführliche Analyse der Archivbestände ist im Rahmen dieser Arbeit nicht vorgesehen. Insbesondere hinsichtlich der Karteien ist sie bereits erfolgt. Eine genaue Beschreibung und Analyse der versammelten Zeitschriften, Bücher und Bilder steht dagegen noch aus. Im folgenden Unterkapitel wird untersucht, inwieweit die oben besprochenen Richtlinien und Ziele des H-Sonderauftrags in den gesammelten Materialien Ausdruck finden, worin die Aufgabe des Archivs bestand, und inwieweit sie erfüllt worden ist.

Die Kritik der heutigen Hexenforscher am Archiv des Hexen-Sonderauftrags Die Forscher, die sich mit der Geschichte der Hexenprozesse befasst und das Archiv des H-Sonderauftrags, vor allem die Karteien und Prozessdokumente, unter die Lupe genommen haben, empfehlen zu Recht, bei der Nutzung dieser Sammlung Vorsicht walten zu lassen, denn die Formulare sind oft unvollständig und fehlerhaft ausgefüllt. Gerhard Schormann erklärt die Mängel des Archivs zum einen mit der Größe des Gebiets, das sich die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags vorgenommen hatten, fehlender Hilfsbereitschaft oder Fahrlässigkeit seitens der Archivbeamten sowie der großen Zahl der Archive, die in kurzer Zeit durchsucht werden mussten, zum anderen mit Unklarheit bei der Bestimmung der Kriterien für die Definition von Hexenprozessopfern und die Aufnahme der einzelnen Fälle in die betreffende Kartothek.218 Die methodologischen Mängel haben Chaos in den Formularen verursacht; man ist nicht sicher, ob nur die Hingerichteten berücksichtigt wurden, oder auch Selbstmörder, Geflüchtete, Denunzierte und während der Haft Verstorbene. Mitunter gilt eine Kartei für mehrere Personen, oder eine Person taucht mehrmals auf. Schormann bemängelt, dass ausführliche Informationen über die Personen und den Pro-

218 G. Schormann, Wie entstand die Kartothek, und wem war sie bekannt, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O., S.135-141; ders., Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1986, S. 8-15. 100

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zessverlauf und vor allem über das soziale Umfeld fehlen. Er ist erstaunt, dass die Mitarbeiter jede Erwähnung einer Verurteilung von mehreren Personen registriert haben, auch unsichere und vage. Dadurch, dass sie sich auf die Prozessakten beschränkten, übersahen sie viele soziale Zusammenhänge der Prozesse, die sie in ihren Projektplänen erforschen wollten. Denn der „Weg ins soziale Umfeld führt über die Prozessakten hinaus“.219 Schormann äußert Anerkennung für die relativ große Vollständigkeit, empfindet aber den krassen Kontrast zwischen der Fülle des Materials und den öden Eintragungen als störend. Wolfgang Behringer hat die Tätigkeit des H-Sonderauftrags in Bayern überprüft.220 Er charakterisiert dessen Arbeit als reines Zusammentragen von Material, nur die Ergebnisse der quantifizierenden Untersuchungen beurteilt er als zum großen Teil richtig. Seiner Meinung nach waren die Mitarbeiter vornehmlich auf Quantität aus: „Immer wieder zeigen die Randbemerkungen der Bearbeiter, dass sie weit mehr und weit härter geführte Prozesse erwartet hätten. [...] Es ging ihnen darum, möglichst viele Hexenprozesse zu entdecken, ohne dass man eigentlich eine Motivation dafür sehen kann“.221

Zwar gebe es einige interessante Funde, aber der Mangel an historischmethodischer Kompetenz und wissenschaftlicher Phantasie habe dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Hans Sebald betont die Unklarheit der Auswahlkriterien für die Sammlung und die mangelhafte Auswertung. Er weist darauf hin, dass das Geschlecht der Opfer oftmals unbestimmt blieb. Besonders dann, wenn in Akten stand: „etliche Personen“, hätten sich die Bearbeiter nicht die Mühe gemacht, dem weiter nachzugehen.222 Ihn beeindruckt aber das Geschick bei der Entzifferung der alten Dokumente. Insgesamt hält er trotz einiger Vorbehalte das Archiv für „nützlich zum Einstieg in ein besseres Verständnis des Ausmaßes und der Natur der Hexenverfolgung“223 und hilfsreich bei der Auswahl gezielter Forschungsprojekte, weil es Resultate einer Grundlagenforschung enthält und Quellen benennt, die in der weiteren Forschung berücksichtigt werden müssen.

219 G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, a.a.O., S. 15. 220 W. Behringer, NS-Historiker und Archivbeamte im Kampf mit den Quellen, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O. 221 Ebenda, S.171-172. 222 H. Sebald, Himmlers Sammlung von Hexenprozessen der frühen Neuzeit. Der Fall des Fürstbistums Bamberg, in: Himmlers Hexenkartothek, a.a.O. 223 Ebenda, S. 182. 101

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Jörg Rudolph weist auf unvollständige Informationen, fehlende Angaben zum sozialen Hintergrund und störende Unübersichtlichkeit hin. 224 Walter Rummel bespricht statistische, geographische und personenbezogene Fehler, er erwähnt Fälle, in denen sogar das Opfer mit dem Ankläger verwechselt wird, sowie mehrfache Besprechungen ein und desselben Falls – systematische Aktenauswertung sei nicht die Stärke der Mitarbeiter des H-Sonderauftrags gewesen.225 Hinsichtlich ihrer Annahmen und Programme bescheinigt er ihnen jedoch, auf der Höhe des damals verfügbares Wissensstandes und auch „noch nicht im Banne enger ideologischen Prämissen“ befangen gewesen zu sein. Darin, dass Himmlers Forscher unter den Verantwortlichen für die Hexenprozesse auch Theologen, Juristen, Landesherrn, Staatsmänner und Bürgermeister ausmachten und diese dem Volk, der Bauernschaft, gegenüberstellten, sieht er eine Vorwegnahme der „von Robert Muchembled in die Forschung eingebrachten Thematisierung des soziokulturellen Bedingungsfeldes der Verfolgungen mittels der Unterscheidung von Elitenkultur und Volkskultur“.226 Rummel meint, dass die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags mit der Thematisierung der sozialen und statistischen Dimension methodologisches Neuland betraten. Abschließend stellt er jedoch fest, dass ihr Forschungsprogramm nur dem äußeren Anschein nach solide und innovativ wirkte, die Ausführung aber den rassenideologischen Prämissen unterordnet blieb. Tatsächlich wurden viele der angekündigten Vorhaben schnell wieder aufgegeben, auch wenn sie mit der ideologischen Zielstellung des H-Sonderauftrags im Einklang standen. Hätte die Gruppe, wie geplant, die Penetrierung der Gesellschaft durch christliche Kultur aufgearbeitet, dann hätte sie auch den Anteil der – vom Christentum beeinflussten – weltlichen Institutionen an den Hexenprozessen thematisieren können, ohne die Kirche freisprechen zu müssen. Maciej Zdunek, Mitarbeiter des Posener Archivs, hat die wenigen Karteien zu den Prozessen in Polen (9 Mappen zu 9 Ortschaften; 49 Prozesse) analysiert.227 Er stellt fest, dass die staatliche Zuordnung verschiedener Städte außerordentlich willkürlich erfolgte. So wird zum Beispiel Posen in einer 935 angelegten Kartei als polnische Stadt eingestuft, in zwei anderen Karteien, die 935 bzw. 94 von anderen Mitarbeitern angelegt wurden, dagegen

224 J. Rudolph, “Geheime Reichskommandosache!”, a.a.O. 225 W. Rummel, Die Erforschung der sponheimischen und kurtrierischen HexenProzsessakten durch Mitglieder des „H – Sonderauftrags“. Anspruch und Wirklichkeit, in: Himmlers Hexenkartohek, a.a.O. 226 Ebenda, S. 45. 227 M. Zdunek, Kartoteka procesów o czary: dzieje, zawartosc i mozliwosci wykorzystania, Refarat gehalten am 8.09.2005 auf einer wissenschaftlichen Sitzung im Archiwum Panstwowe in PoznaĔ. 102

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dem deutschem Warthegau zugeschrieben.228 Zdunek vermutet, dass es sich um Prozesse aus der Zeit vor den Teilungen Polens handelt, die Mitarbeiter es aber versäumt hatten, die damalige staatliche Zugehörigkeit Posens zu prüfen. Auch er stellt etliche Lücken in den Angaben fest: Die Rubriken Name, Anklage, Todesart, Datum und Ort des Prozesses seien am häufigsten ausgefüllt, aber nur in wenigen Fällen gibt es Informationen über den Beruf der Angeklagten und die Art der Folter, und fast nie werden Angaben über die Prozessbeteiligten sowie die Einstellung des Bischofs und der Henker gemacht. Die Beziehungen zu anderen Angeklagten, Familien- und Vermögensstand und selbst die Konfession sind nur sporadisch vermerkt. Polen betreffende Formulare wurden in der Regel vergleichsweise schlecht bearbeitet, zumeist wurden die Informationen aus der Fachliteratur, nicht aus dem Quellenmaterial ermittelt. Die Kartothek, so Zdunek, könne man eigentlich nur als einen Ausgangspunkt für die eigentliche Forschungsarbeit betrachten. Weit mehr Ideen böten dagegen die Aktenauszüge und Kopien sowie die reiche Illustrationensammlung.

Das Propagandazentrum der neuen Geschichte der Hexenprozesse Die meisten Forscher, die sich mit dem Archiv befasst haben, kritisieren es als ein wissenschaftliches Projekt und stimmen darin überein, dass dieses Projekt aufgrund seiner wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten gescheitert sei. Ihre Kritik konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: erstens, den Drang, möglichst viele Prozesse, also auch vage und unklare Fälle (Schormann) zu erfassen, auch wenn diese für eine wissenschaftliche Auswertung ungeeignet waren (Behringer), und zweitens, die dürftige Berücksichtigung des sozialen Umfeldes. Rummel bezieht dagegen eine andere Perspektive. Treffend bemerkt er, dass für die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags die Opfer der Hexenprozesse keine Menschen aus Fleisch und Knochen waren, sondern „Personal- und Sozialwerte, wie Heroismus, Familie, Sippe, Gemeinschaft und damit zusammenhängendes Brauchtum“.229 Als einziger unter den Kritikern des Archivs hebt Rummel den propagandistischen Wert des dort gesammelten Materials hervor. Von eben diesem Blickpunkt aus, als Materialiensammlung eines Propagandazentrums, wird das Archiv des H-Sonderauftrags auch in dieser Arbeit betrachtet. Zuerst ist jedoch kurz auf den Begriff „Archiv“ einzugehen. Wie Aleida Assmann schreibt, geht die Bezeichnung „Archiv“ auf das griechische

228 Maciej Zdunek, Kartoteka procesów o czary: dzieje, zawartosc i mozliwosci wykorzystania, a.a.O. 229 Ebenda, S. 49. 103

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Wort „arché“ zurück, in dem sich solche Bedeutungen überschneiden wie: Anfang, Ursprung, Herrschaft, Behörde. Das Archiv kann sowohl eine lebendige Entwicklung fördern, als auch Freiheit beschränken: „Der Status des Archivs als institutionalisiertes Gedächtnis der Polis, des Staates, der Nation, der Gesellschaft ist zwischen Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis anzusetzen, je nachdem, ob es eher als Herrschaftsinstrument oder als ausgelagertes Wissensdepot organisiert ist“.230

Als eine Bedingung des demokratischen Charakters eines Archivs hebt Assmann hervor, dass es öffentlich zugänglich sein muss. Das Archiv des H-Sonderauftrags war dagegen von Anfang an als ein Herrschaftsinstrument konzipiert. Die Dokumente, die zuvor in verschiedenen anderen Archiven aufbewahrt waren, wurden nach neuen, ideologisch definierten Relevanzkriterien ausgewählt und geordnet. Die gezielte Selektion bei der Auswahl der Dokumente sollte es ermöglichen, das neue Archiv in der Zukunft einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Assman schreibt, dass es ohne Archiv keine Öffentlichkeit und keine Kritik gibt, und dass sich totalitäre Regimes u. a. durch das Bestreben auszeichnen, das Speichergedächtnis zugunsten des Funktionsgedächtnisses zu eliminieren.23 Dem Archiv des H-Sonderauftrags war die Aufgabe zugedacht, die Öffentlichkeit zu gestalten, die „wahre“ Wirklichkeit zu konstruieren. Es sollte kein Speicher-, sondern ein ausgeprägtes Funktionsgedächtnis sein, ein Gedächtnis dessen, was gesagt werden sollte. Es spricht einiges dafür, dass die von Levin beschriebenen Zukunftspläne nicht einfach nur Hirngespinste waren, sondern als Vorbereitung auf den für die Zeit nach dem Krieg erwarteten ideologisch Kampf gedacht waren – der H-Sonderauftrag als ein Verbreitungszentrum der „richtigen“ Version der Geschichte der Hexenprozesse. Sowohl Himmler als auch Rosenberg rechneten damit, dass nach dem gewonnen Krieg, mit dem das jüdische und kommunistische „Problem“ gelöst wäre, die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Christentum beginnen würde. Mit den Hexenprozessen glaubten sie, eine wirkungsvolle „Waffe“ für diesen Kampf in den Händen zu haben. Wenn der Zweck der Sammlung darin bestand, zahlreiche lokale Presseorgane bei regelmäßigen Veröffentlichungen über Fälle von Hexenverfolgung in ihrer Region zu unterstützen, auch die Gestaltung von Ausstellungen und die Produktion von entsprechenden Filmen, Erzählungen oder Romanen zu fördern, dann war die Politik des H-Sonderauftrags, sich auf die Sammlung von Material zu möglichst vielen Fällen zu konzentrieren, durchaus nicht abwegig. Je mehr 230 A. Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2003, S. 345. 23 Ebenda, S. 344. 104

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Namen und konkrete Fälle man hätte nennen können, desto wirksamer hätte man Empörung über die „Morde an der germanischen Rasse“ schüren und die eigene, vermeintlich wissenschaftliche Objektivität und Tatsachentreue herausstellen können. Auch wenn die Formulare der Kartothek sehr lücken- und fehlerhaft ausgefüllt wurden – allen Journalisten und „Produzenten“ der Tornisterliteratur, die keine Lust, Fähigkeit oder Zeit gehabt hätten, in Archiven und Originalakten zu stöbern, hätten diese Karteien allemal eine ergiebige Quelle an geeigneten Stoffen und Material bieten können. Die Formulare liefern zahlreiche publizistisch leicht verwertbare Stoffe; aus den Schicksalen, die dort dokumentiert sind, hätten sich Massen von Zeitungsartikeln im Eiltempo produzieren lassen. Jede Kartei besteht aus 57 Rubriken, bestimmt für Informationen über die Verurteilten, ihren Familienstand, Kinderstand, Besitz, gesellschaftlichen Status, ihre Herkunft, Konfession, Rassenzugehörigkeit, Einstellung zur Kirche. Auch Informationen über den Verlauf des Prozesses (kirchlich oder nicht), Folter, Geständnis, das Urteil, die Aussagen und die Hinrichtung sollten gesammelt werden, ebenso Angaben über Ankläger, Richter, Denunzianten, Verteidiger, die beteiligten Geistlichen, die Stellungnahmen der Kirche und der Ordensgemeinschaften, führende Hexenjäger und Folterknechte. In vielen Karteien gibt es bibliographische Angaben, zum Teil auch Verweise auf bildliche Darstellungen. In allen Karteien sollte vermerkt werden, wo die Akten zum jeweiligen Fall aufbewahrt werden. Wären alle Formulare komplett ausgefüllt worden, dann hätte daraus eine beeindruckende Materialsammlung mit wertvollen Informationen über das soziale Umfeld der Hexenprozesse entstehen können. Die leeren Felder zeugen oft von Inkompetenz der Bearbeiter, zum Teil von ungünstigen Arbeitsumständen, sowie von den Schwachstellen des Grundkonzepts, die sich etwa in den oben beschriebenen Schwierigkeiten manifestierten, die rassische Zugehörigkeit der Verurteilten oder ihre Einstellung zur Kirche zu ermitteln. Das Archiv bietet jedoch trotz aller Unzulänglichkeiten eine Lösung für die überzeugende Darstellung der Hexenprozesse – nämlich den Verzicht auf Beweisführung und den Rückgriff auf bildhafte Darstellung. Die gesammelten Originalakten, Kopien und Aktenauszüge, zahlreiche Artikel aus der Lokalpresse,232 eine große Bibliothek mit klassischen Sach232 Z.B.: Czary 3855: Vom Hexenwahn in Westfalen, in: Westfalenband. Heimatbeilage zum Westfalischen Tageblatt, Nr. 0, 930; Seufert August, Hexenprozess in Reichertspofen im Jahre 629, in: Ingolstädter Heimatgeschichte, 8.02.930; Czary 3860: Ein Hexenprozess aus dem Mosentale, in: Die Bewegung, 4 Jahrg., Nr 4/42. In Heimat und Geschichte, Jg. 938, Jahresgabe der Aschaffenburger Zeitung für den Geschichtsarchiv Aschaffenburg wurden 938 einige Artikel über die Prozesse veröffentlicht: Joseph Wirth in Hexen105

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büchern zur Genese der Hexenprozesse – all dies lieferte umfangreiches Material, das man sowohl für wissenschaftliche Arbeiten nutzen als auch literarisch oder journalistisch verarbeiten konnte. In zahlreichen ideologischen Schriften und publizistischen Texten wurden rassische Fragen aufgeworfen und die Hexenprozesse als Verbrechen an der deutschen Nation dargestellt, ohne dass sich die Autoren um Beweisführung gekümmert hätten: „In den Hexenprozessen sehen wir Kämpfer des neuen Deutschlands den Ausdruck des Vernichtungswillens gegen hochwertiges Rassengut, vor allem gegen die deutsche Frau und Mutter“.233

Das Christentum wurde konsequent als rassenfeindlicher und nach wie vor bedrohlicher Gegner präsentiert: „Die religiöse Unduldsamkeit, das starre, lebentötende Dogma, der Teufel und sonstige Aberglauben, dieses blinde, tierische Wüten gegen die besten der eigenen Rasse im Namen eines fremden ‚Gottes’, das alles darf nicht noch einmal unser Vaterland verwüsten“.234

Zahlreiche Artikel über die Schuld der katholischen und der protestantischen Kirche, 235 über Jesuiten und Papsttum sollten dieses Bild untermauern. Die besondere Vorliebe der Autoren galt der Inquisition und deren Verbrechen, die sich besonders eindrucksvoll darstellen ließen.236 Das Organ des Reichsrechtsamtes der NSDAP, „NS-Rechtsspiegel. Kampfblatt für deutsches Volksrecht“, meldete sich 938 mit dem Artikel Schrecken der Inquisition zu Wort, um zu zeigen, „welch furchtbares Unrecht Jahrhunderte hindurch am deutschen Volke begangen wurde, und wie die Inquisition als Instrument der

233 234 235

236

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wahn in Aschaffenburg hat einen Prozess beschrieben, Franz Lothar Weber in Hexenbrennen – ein erträgliches Geschäft schrieb darüber, wer wie viel an Prozessen verdient hat, und besprach die Fälle der Zaubergläubigkeit im 20. Jahrhundert; Czary 386: Über Hexenprozesse und Hexenverfolgungen in AltNassau-Oranien, in: Heimatland. Beilage zur Siegener Zeitschrift, 934; Ein Mühlhäuser Hexenprozess aus dem Jahre 624, in: Mühlhäuser Heimatblätter. Beilage zum Mühlhäuser Anzeiger 929; Hexen – Folter – Scheiterhaufen, in: Westdeutscher Beobachter. Köln-Land, 938, Nr. 9. Czary 3860: Ein protestantischer Hexenprozess, in: Durchbruch. Kampfblatt für Deutschen Glauben, Rasse und Volkstum, 6.9.937. Czary 3859, Wider den Geist der Hexenkammern. Z.B.: Czary 3855: W. Paulus, Hexenwahn und Protestantismus, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 32, 4.2.909; Czary 3960: Ein protestantischer Hexenprozess, in: Durchbruch. Kampfblatt für Deutschen Glauben, Rasse und Volkstum, 6.09.937. Z.B.. Czary 3858: Die Inquisition, in: Flammenzeichen, Nr. 44, Oktober 936; Czary 3859: Opfer der Inquisition und des Hexenwahns, in: Frankfurter Volksblatt, 0.06.936.

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Kirche zum Tummelplatz niedrigster menschlicher Leidenschaften gemacht und von anormal veranlagten Menschen zu den scheußlichsten Verbrechen missbraucht werden konnte!“.237 Der Mangel an Informationen zur rassischen Zugehörigkeit, dem Alter und der Kinderzahl der Angeklagten, der Zahl der Angeklagten in ihrer Familie sowie vielen anderen Fragen des Registers, auch der Mangel an statistischen Daten zum Bevölkerungsverlust schienen die Produktion propagandistischer Texte nicht ernsthaft zu behindern. Die aggressive ideologische Publizistik benötigte keine objektiven Beweise, oder sie kam mit den vom Autor selbst produzierten „Beweisen“ aus, die ihrerseits ihre Bestätigung in der „Wirklichkeit“ fanden, die durch andere ähnliche Texte kreiert wurde. Zahlreiche Artikel des Archivs haben Perversitäten von Geistlichen zum Thema, die man besonders fleißig mit Bildern zu dokumentieren versuchte. Andere Bilder zeigen Teufel und Dämonen, sadistische Abbildungen von Folter und Foltergeräten, Hinrichtungsszenen, nackte Hexen, Porträts der Verurteilten, Hexentürme in Städten, die wegen ihrer Hexenprozessen berühmt waren. Gezielt wurde nach allem möglichen Material über Fürsten und Geistliche, Päpste und Richter gesucht, die für die Prozesse verantwortlich waren, auch nach ihren Porträts. Der abstrakte Feind sollte ein menschliches Antlitz bekommen. Aus den Dokumenten geht hervor, dass aus den gesammelten Abbildungen ein Bildband zu all diesen Themen entstehen sollte. Auch dieser Plan bestätigt die vornehmlich propagandistische Ausrichtung des H-Sonderauftrags. Assmann bezeichnet Bilder als ein Medium des Gedächtnisses, das gegenüber der Schrift lange Zeit unterbewertet wurde.238 Erst als man begann, der Schrift zu misstrauen, Texte als entstellende Zeugnisse der Vergangenheit zu empfinden, wandte man sich dem Bild als dem unmittelbaren Niederschlag eines Affekts, dem Träger des kulturellen Unbewussten zu. Bilder tauchen im Gedächtnis vor allem dort auf, wo sprachliche Verarbeitung an ihre Grenze stößt oder gar nicht erst unternommen wird. Bilder stehen der Einprägungskraft des Gedächtnisses näher und der Interpretationskraft des Verstandes ferner. Je stärker der Affekt, umso einprägsamer ist das zusammenhängende Bild. Die unmittelbare Wirkungskraft der Bilder sei schwer zu kanalisieren. Deshalb versuche man oft, diese Kraft durch Kommentare, „Erläuterungen“ zu lenken, sie zu „textualisieren“. Sie vollkommen zu kontrollieren, ist jedoch nicht möglich. Bilder verraten immer den Blick des Autors. Die Bilder der Hexenprozesse haben schon immer eine starke Wirkung gehabt, was vermutlich nicht nur auf voyeuristisches Vergnügen und die Faszination des Grauens, sondern auch auf die zahlreichen verdrängten Dimensio-

237 Czary 386: München, 2. Jg., Nr. , 938. 238 Vgl.: A. Assmann, a.a.O. S. 28-240. 107

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nen dieses Phänomens zurückzuführen ist.239 Himmlers Hexenforscher mussten diese Bilder in entsprechende Zusammenhänge stellen, ihre Wahrnehmung steuern, und ließen sie daher nie unkommentiert. Fast alle im Archiv gesammelten Artikel waren mit Abbildungen, vor allem mit Bildern von gemarterten Frauen, versehen, die Empörung auslösen und den Voyeurismus der Geistlichen und Richter demaskieren sollten.240 Auch Bilder von Hexenstädten, Hexentürmen, Folterinstrumenten usw. aus ganz Deutschland wurden im Archiv des H-Sonderauftrags gesammelt. In den programmatischen Dokumenten des H-Sonderauftrags waren, wie oben beschrieben, Untersuchungen zur Stellung der Frau als gewichtiges Vorhaben angekündigt. In den Abhandlungen der Mitarbeiter spielte diese Thematik jedoch kaum eine Rolle. Aber in der Zeitschriftensammlung des Archivs nehmen Artikel über die Bedeutung der Frau in der germanischen Kultur und über den Verlust ihrer privilegierten Position im Christentum erheblichen Platz ein:

239 In den Hexenbildern tritt z.B. die Wesensdefinition der Frau schlechthin als erotisches Wesen, als ein Teil der „verkehrten Welt“ zu Tage. Sigrid Schade weist im Text „Kunsthexen-Hexenkünste“ darauf hin, wie sich in den Hexenbildern das Kränkende für die männliche Selbstkonstitution (z.B. das Ausgeliefertsein der Triebe) oder für den Vernunftbegriff niederschlägt. Vgl.: S. Schade, Kunsthexen – Hexenkünste, in: Hexenwelten. Magie und Imagination, hrsg. von R. von Dülmen, Frankfurt/Main 987, S. 70-28. 240 Wie stark solche bildlichen Vorstellungen im kollektiven Gedächtnis eingeprägt sind, und wie stark die Opfer der Prozesse durch deren unaufhörliche Instrumentalisierung verdrängt wurden, davon zeugen viele Geschichten aus Lemgo, das sich vor und während des Krieges und noch bis in die 980er Jahre „Hexennest“ nannte und theatralische Hexenhinrichtungen organisierte. Mit dem Foltermuseum und zahlreichen Hexenpostkarten wurden Lemgoer Hexenprozesse zur touristischen Attraktion. So plante eine Werbeagentur noch im Jahre 987 den Abschluss ihrer Kampagne für eine neue Zahnpasta, die auf der Assoziationskette „Zahncreme – Naturkräuter – Hexen“ aufbaute, mit einer Veranstaltung im Hexenbürgermeisterhaus, wo „Deutschlands originellste Kräuterhexe“ gekürt werden sollte. Eine Jüdin aus Lemgo wiederum, die das KZ überlebt hat und auf einem Pferdewagen zurück in die Stadt gebracht wurde, musste vor der Stadt aussteigen, weil das Bild der zur Hinrichtung fahrenden Hexe sie nicht in Ruhe ließ. Erst in den 980er Jahren entwickelte sich aus der Kritik an der Folklorisierung und Trivialisierung des Hexenthemas die Idee einer Museums-, Stadt- und Archivführung zur Geschichte der Hexenverfolgung in Lemgo. Die Internetstadtseite www.lemgo.de enthält unter „Kurioses und Interessantes“ einen Verweis auf die „überarbeitete“ Seite www.hexenprozess.de. In der Stadt entstanden Denkmäler, die auf bildliche Darstellung verzichten: Tafeln, Steine mit Texten. Viele Artikel zu Lemgo findet man auf Server Frühe Neuzeit: http://www.hexenforschung.historicum.net 108

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„Die Frauenverehrung ist ein uralter eingeborener Charakterzug der Deutschen und konnte darum niemals aus eigener Überzeugung und eigenem Entschluss aufgegeben werden“.24

Das Geschlecht der Hexe, das in den „wissenschaftlichen“ Abhandlungen nicht erörtert wurde, kam sowohl in den emotionsgeladenen publizistischen Texten als auch in den Bildern zum Ausdruck. Ein bedeutender Teil der im Archiv gesammelten Artikel ist der germanischen Kultur, dem germanischen Recht und der Erinnerung an alte germanische Feste und Bräuche gewidmet.242 Hier werden Theorien besprochen, nach denen die Sagen über Hexensabbate und Nachtflüge aus dämonisierten heidnischen Festen entstanden sind. Himmlers Hexenforscher sammelten alte Artikel, die solche Theorien stützten, wie der folgende aus dem Jahr 926: „[den Harzbewohnern] wurde die christliche Religion aufgezwungen und durch Feuer und Schwert annehmlich gemacht. [...] Aber im Herzen blieben sie das, was sie waren und verehrten heimlich in den Wäldern ihre Götzen. [...] Die Harzbewohner hatten auf der höchsten Spitze des Gebirges, dem Brocken, ihre feierlichen Zusammenkünfte und opferten und dienten ihrer Gottheit dort in aller Heimlichkeit. [...] Von diesen historischen Umständen hat gewiss der Aberglaube den Stoff zu der erdichteten Hexenfahrt in der Walpurgisnacht hergenommen. [...] Als Karl der Grosse davon Nachricht erhielt, ließ er die Zugänge nach dem Blocksberg mit Wachen besetzen. Aber der Eifer für die väterliche Religion, bei der sie ein freies Volk gewesen [...] machte sie erfinderisch. Sie sannen auf Mittel, um wenigstens ihr größtes Fest feierlich begehen zu können. Sie verkleideten sich allerlei Masken und Larven, verscheuchten des nachts die Wachen und bahnten sich so durch List den Weg zu ihren fröhlichen Zusammenkünften.“ 243

Auch Bilder und Texte über den Widerstand gegen die Hexenprozesse wurden gesammelt, insbesondere wenn sie dem Widerstand von Deutschen gewidmet waren. Zudem enthält die Sammlung Texte mit allen möglichen Beispielen für Aberglauben in der Gegenwart, die möglichst belegen sollten, dass dieser von Geistlichen gefördert wird. Solche Fälle sollten die Behauptung bestätigen, dass der Kampf gegen die dämonische Weltanschauung noch immer nicht abgeschlossen sei. Das „Frankfurter Volksblatt“ vom 25.8.936 schreibt über Hexen-Lynchjustiz in Indien, der „Angriff“ vom 24.0.936 über einen Hexenprozess in Amerika. Der „Wetzlauer Anzeiger“ berichtet am 24 Czary 3856: Die Entwertung der Frau im Christentum, in: Die Stimme der deutschen Weltanschauung. 242 Z.B.: Czary 3855: Die Nibelungen und Allerseelen, in: Michael. Wochenzeitschrift junger Deutscher, Düsseldorf, 3..935. 243 W. Berger, Die Hexenfahrt in der Walpurgisnacht, Abschrift aus der Halberstädter Zeitung, Nr. 99, 29.04.926, czary 3856. 109

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3.6.937 von einer Frau, die ernsthaft glaubte, ihr Kind sei verhext worden.244 Die „Berliner Illustrierte“ vom 20.5.938 bringt einen Artikel unter dem sensationsträchtigen Titel Ganzes Dorf unter Mordanklage – Eine „Hexe“ erschlagen – Verwirrung, weil ein Mädchen zu schön war,245 und das „Frankfurter Volksblatt“ berichtet am 20.6.937 über verhexte Schweine, an die man trotz der „Aufklärungsarbeit der Regierung über Fütterung und Behandlung des Viehes und der Stallungen“ glaubt.246 Der Aberglaube wird zum weltanschaulichen Problem erhoben. Die „NSZ Rheinfront“ ruft am 25.2.937 den „Kampf dem Wahrsageschwindel“ aus.247 Der Autor erklärt das Fortdauern dieses Phänomens mit „der Häufung der Unfälle“ und mit der „geistigen Entleerung des Lebens und dem damit zusammenhängenden Zerfall der Volksund Schicksalsgemeinschaft, die dem Einzelnen den Halt nahmen und sein Leben unter die traurige Devise stellten: Jeder für sich, den letzten beißen die Hunde“. Die gemeinschaftszersetzende Rolle der Kirche, auf die im Zusammenhang mit den Hexenprozessen immer wieder hingewiesen wird, sei immer noch am Werk. Die Beispiele für den Aberglauben sollten der Bevölkerung bewusst machen, „was die weltanschauliche Ausrichtung der Menschen bedeutet, was ein geordnetes Staatswesen [...] und was eine Jugenderziehung, die die Kinder wieder zu einer heroischen Auffassung des Lebens hinführt, wert sind“.248 Die Bürger werden aufgefordert, Wahrsager zu denunzieren.249 Am 4.6.94 wurde im SD ein Brief an alle Leiter der Staatspolizei und der Kripoleitstellen verfasst mit dem Betreff „Aktion gegen Geheimlehren und so genannte Geheimwissenschaften“: „Im gegenwärtigen Schicksalskampf des deutschen Volkes“ sei es notwendig, sich den okkulten Kräften zu widersetzen, „die vorgeben, dass das Tun und Lassen des Menschen von geheimnisvollen magischen Kräften abhängig sei“. Eine gesetzliche Regelung sei bereits in Vorbereitung, Wahrsager sollte man verhaften.250 Es fehlte nicht an Warnungen vor der Wiederholung der Geschichte. „Nordland, Das Kampfblatt der Völkischen Aktion“ warnt am .0.936: „Man soll die Gefahr nicht unterschätzen! Der Geist der Unduldsamkeit in Glaubensdingen ist in unserem Volk noch überaus wirksam. Zulange waren bewusstes Eigenleben und eigenes Leben unterdrückt [...] Nur in einer vollkommen von Pries244 245 246 247 248 249

Czary 3959. Czary 3862. Czary 3860. Czary 3859. Ebenda. Zu „Denunziationsangebot“ und Mechanismen der Denunziation vgl.: K. Sauerland, Dreißig Silberinge, a.a.O. Diese Aufforderung hat eine Flut von Denunziationen ausgelöst, was übrigens ein Dauerzustand im Dritten Reich gewesen zu sein scheint. Vgl. ebenda, S. 6-9. 250 RSHA 362/90. 110

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tern verblödeten und verhetzten Menschheit können Jahrhunderte hindurch Hexenkammern und Scheiterhaufen in solchem Ausmaß gegen rassisches Edelgut wüten, wie es bei uns geschehen ist. Wir müssen unduldsam sein gegen alles, was unser völkisches Eigenleben bedroht [...] Jeder lebende Deutsche muss nach seinem Können dafür sorgen, dass unsere Frauen und Kinder nie wieder diesem Geist der menschlichen Niedertracht zum Opfer fallen.“25 „Das schwarze Korps“ warnt 943 davor, dass der Aberglaube besonders in Kriegszeiten wüte, und erklärt, dass man ihn bekämpfen müsse, auch gegen den Willen solcher Menschen, die „die widerliche orientalische Importware des Hexenwahns für einen Volksglauben [halten]. Sie verwechseln diese vorderasiatische Drachensaat vermutlich mit den ehrwürdigen Resten der germanischen Naturreligion“.252

All diese Artikel stützen nicht nur die im H-Sonderauftrag vertretenen Positionen. Sie denunzieren die Kirche als Quelle der Intoleranz und als Bedrohung, verbreiten Verschwörungstheorien und bereiten die Leserschaft auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor. Eine umfassende Analyse der Zeitschriften- und Bildsammlung des Archivs steht noch aus. Eines steht jedoch fest: Das Archiv bietet eine Fülle von Material für fast alle wichtigen Themen der ideologisierten Hexenforschung.

Exkurs Im Archiv des H-Sonderauftrags befindet sich ein seltsamer Artikel aus der Zeitschrift „Die Tat“ mit dem Titel Hexenprozesse der Gegenwart.253 Sein Autor war der mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Bruno Brehm.254 Obwohl dieser Text für das Forschungsprogramm des 25 Vgl.: Czary 3859, Wider den Geist der Hexenkammern. 252 Czary, 3863. 253 „Die Tat“ war eine antidemokratische, antiparlamentarische Zeitschrift, unterstützte die „konservative Revolution“, nach 933 Anpassungsstrategie, 939 in „Das XX. Jahrhundert“ umgewandelt. Einer der Herausgeber, Giselher Wirsing, war Mitarbeiter der SS und des SD. Nach: M. Thöndl, Der Europabegriff der „Tat“ und des „XX Jahrhunderts“, in: http://www.fh-vie.ac.at/ files/Zusammenfassung_Europa.pdf. (9.02.2009). Der Artikel erschien in: Die Tat, H., April 937. 254 Bruno Brehm (982-974), als Sohn eines k.u.k.-Offiziers in Slowenien geboren, studierte Germanistik, Kunst und Urgeschichte; während des Ersten Weltkrieges in russischer Gefangenschaft; Promotion über Den Ursprung der germanischen Tierornamentik; ab 928 freier Schriftsteller in Wien. Bekannt wurde er zunächst mit seiner teils nostalgischen, teils heiteren Auseinandersetzung mit dem Ende der Monarchie. Dabei entstanden in kurzer Folge mehrere Titel, welche zu seiner Zeit sehr beliebt waren und seinen Erfolg begründeten. In besonderem Maße gilt dies für seine Trilogie vom Untergang der Donaumonarchie. Nach dem Anschluss Öster111

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H-Sonderauftrags eher randständig war, erweckte er das Interesse der Bearbeiter. Brehms Text verweist auf ein bis heute relevantes Instrumentalisierungspotenzial des Hexen-Themas. Der Verfasser hält die gesellschaftliche Krise, wie sie für Zeitenwenden typisch ist, für die eigentliche Ursache der Hexenprozesse: „Der geschlossene einheitliche Bau des Mittelalters, der Gottesstaat, zerfiel in jenen Tagen der Scheiterhaufen, die Kirche war innerlich zerrüttet, die bisher in ihrem Bau gebannten Dämonen – der Dome Teufelsfratzen und Ungeheuer – hatten sich frei gemacht. Magie aller Art rief die Naturkräfte heimlich zum Kampf gegen den alten Glauben auf, über Renaissance und Humanismus war das Heidentum mit seinen nie ganz vergessenen Göttern zur Auferstehung gelangt und pochte in teuflischer Verzerrung an die Tore der alten Welt.“255

Auf die Genese der Hexenprozesse geht Brehm nicht weiter ein, aber er weist auf die starke Verankerung des Glaubens an das Teuflische in dem zeitgenössischen Kontext selbst, in der Dämonisierung der Welt, hin, und auf die Vergeblichkeit, den Hexenwahn von außen her bekämpfen zu wollen. Sein Interesse gilt vor allem der Struktur der Anklagen und der Folter, die Unschuldige dazu zwangen, alles Unmögliche einzugestehen. Er nennt vor allem Männer, die verurteilt wurden. Die Konzentration der Hexenverfolgungen auf Frauen wird hingegen in Brehms Version der Hexenprozessgeschichte weitgehend vernachlässigt. Dieser Einführung folgt die Feststellung, dass Hexenprozesse nicht nur ein Phänomen der finsteren Vergangenheit waren, wenn man die Zeichen der Zeit zu lesen versteht. Gemeint ist damit die „Säuberung“ in der russischen kommunistischen Partei, die ebenfalls im Kontext einer großen europäischen Krise zu sehen sei. Damit wird auch klar, warum Brehm nur die männlichen Opfer im Blick hat:

reichs an das Deutsche Reich wurde Brehm zum Ratsherrn der Stadt Wien gewählt. Während des Zweiten Weltkrieges war er Ordonnanzoffizier in Griechenland, Russland und in Nordafrika. 945 wurde Brehm – auch seines politischen Engagements wegen – verhaftet, aber schon kurze Zeit später wieder entlassen (nach: Wikipedia). Brehm begründet einerseits die Vertreibung (und damit die Vernichtung) der Juden aus Europa damit, dass diese die Lehren der französischen Revolution und der Aufklärung nach Deutschland und Russland gebracht und damit das deutsche und im Weiteren das russische Volk verführt hätten. Er versucht damit ebenso, den Überfall auf Frankreich und auf die Sowjetunion zu rechtfertigen (nach: F. Krahberger, die zeit ist nicht verloren – Paris revisited, http://www.ejournal.at/NeueMed/paris/paritxt.html (7.09.2007) 255 B. Brehm, Hexenprozesse der Gegenwart, a.a.O., S. 2. 112

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„Diese Prozesse sind öffentlich, die Schuldigen gestehen, ja sie klagen sich vor dem Tribunal und vor der gesamten aufhorchenden Welt noch weit ärgerer Verfehlungen an; sie erklären, wie dies alle Hexen und Zauberer vor Gericht getan haben, ihre schweren Verfehlungen, sie bitten, nicht anders als jene armen Inkulpanten, um Vergebung und sie finden den Tod als eine gerechte Strafe für ihr frevelhaftes Treiben, weil dieser Tod unter den Kugeln der Maschinengewehre oder durch einen Schuss in den Nacken wie für die Hexen der Scheiterhaufen wohl nur eine endliche Erlösung sein kann.“256

Als Opfer der stalinistischen Prozesse identifiziert Brehm Männer, vor allem Juden, die er mit allen möglichen Klischees belegt. Auf den Fotos aus diesen Prozessen sehe man „die klugen dunklen und fremden Augen der kommunistischen Juden“, Gesichter in denen „der Verstand alles andere Menschliche verzehrt und ausgebrannt hat“; verklagt würden „überscharfe überklare Rationalisten“, „diese scharfen Denker, diese Leugner alles Vergangenen, diese bindungslosen Klügler und heimatlosen Gesichter“. Brehm fragt, warum diese „klugen Juden“ Geschichten erzählen, die auch einfache, machtgläubige russische Bauern erzählen würden, obwohl sie selber einmal an der Macht gewesen seien. Eine Möglichkeit zur Erklärung sieht er darin, die Regeln der Hexenprozesse auf die aktuellen Vorgänge in der Sowjetunion zu übertragen: Die Hexerei dieser Prozesse heißt Sabotage, Trotzki übernimmt die Rolle des Teufels, und „wenn das Paradies sich noch immer nicht einstellen will, so sind höllische Hände am Werk, die es nicht dazu kommen lassen wollen“.257 So wie die Hexenprozesse erhalten auch die sowjetischen Prozesse erst in den Prozessakten ihren Sinn, erlangen dort ihre Geschlossenheit. Nur dass die Männer, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, Juden sind. Deshalb vermutet Brehm: „Diese Nervenmenschen werden nicht fähig sein, auch nur einen Bruchteil von dem auszuhalten, was die Hexen und Zauberer ausgehalten haben“.258

Hinter der „Verteidigung“ der Opfer der stalinistischen Prozesse verbirgt sich ein antisemitischer Angriff. Die Angeklagten wüssten, dass es keinen Ausweg für sie gibt: „Haben sie nicht, sie, die Anzettler aller Revolutionen in der Welt, davon nicht lassen können, auch im eigenen Lande weiterzuzetteln? Hat ihnen ihr nagender, fressender und zersetzender Verstand jemals Ruhe gegeben? War ihnen der Galan aller Verschwörungen, jener grüne Jäger aller Revolutionen, der ruhelos von Land zu

256 Ebenda, S.3f. 257 Ebenda, S. 6. 258 Ebenda, S. 0. 113

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Land ziehen muss, nicht lieber gewesen als der finstere Mann im Kreml? Hatten sie nicht überall in der Welt ihre Blutsbrüder, die diese ganze Welt in ein Netz von Drähten und Zeitungen eingefangen haben? (...) Sie hatten nicht warten wollen, bis die russische Armee die mächtigste der Erde geworden war, sie hatten mehr an das Unterwühlen der Welt als auf deren Überrennen durch Gewalt gesetzt. Aber hatten sie nicht das todeswürdigste Verbrechen überhaupt begangen? Hatten sie nicht aus dem Kreml die Revolution stehlen wollen?“259

Der Versuch, die Revolution zu „stehlen“, sei ihr eigentliches Verbrechen gewesen, von dem in den Prozessen jedoch nicht gesprochen wurde. Die Angeklagten hätten davon gewusst, weil sie selber die Theologen der Revolution gewesen seien. Brehm greift auf die Hexenprozesse zurück, um die Absurdität der stalinistischen Verfolgungen zu verdeutlichen. Er weist auf die äußerlichen, spektakulären Analogien hin und nutzt die Krankheits- und Ansteckungsmetaphorik der Hexenprozesse: Deutschland muss stark sein und wachsam gegenüber diesem „russisch-jüdischen Krankenzimmer“, damit sich die Krankheit nicht ausbreitet. Brehms Artikel zeigt, warum das Thema Hexenprozesse für Strategen ideologischer Kämpfe so attraktiv ist: Man kann die Rahmenhandlung mit beliebigen Inhalten ausfüllen und, je nach Bedarfslage, die Schuldlosigkeit des Opfers oder die Willkür der Anklage herausstellen. Zwei weitere Beispiele demonstrieren ähnliche Einsatzmöglichkeiten für dieses Thema. Alexander Weissberg-Cybulski, der während der „Großen Säuberung“ selbst auf der Anklagebank saß, zieht in seinem Buch Hexensabbat260 ähnlich wie Brehm eine Analogie zwischen den Hexenprozessen und der stalinistischen Verfolgungswelle. Während Brehm vor den „Kräften“ warnen will, die dahinter stehen, versucht Weissberg-Cybulski hingegen, mit diesem Vergleich die Logik des Gewaltsystems aus der Opferperspektive zu durchschauen. So wie in den Hexenprozessen Christen verurteilt wurden, waren Kommunisten die Opfer der kommunistischen „Säuberung“. Ebenso wie die Richter der Hexen konnten auch die höchsten Volkskommissare nie sicher sein, nicht selbst irgendwann der Verfolgung zum Opfer zu fallen. In beiden Fällen waren die Opfer von ihrer eigenen Unschuld überzeugt, und auch die Denunziation hat ähnlich funktioniert. bhnlich der „objektiven“ Begründung der Hexenprozesse haben Ideologen auch die Moskauer Prozesse als „objek-

259 Ebenda. 260 A. Weissberg-Cybulski, Hexensabbat. Die Gedankenpolizei – Die große Tschistka, Franfurt 95. Die polnische Übersetzung des Buches trägt den reduzierten Titel – „Wielka czystka“, das Wort „Hexen“ kommt im Titel nicht vor. 114

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tive Notwendigkeit“ verteidigt, gegenüber der das subjektive Unschuldgefühl der Angeklagten in den Hintergrund zu treten hatte.26 Ein zweites Beispiel liefert der Neonazi Werner Kretschmer mit seinem Artikel Der mittelalterliche Hexenprozess und seine Parallelen in unserer Zeit.262 Kretschmer vertritt die These, dass die NS- und Gaskammerprozesse den Charakter von Hexenprozessen hatten, und will dies durch die Beschreibung der Parallelen belegen. Er beginnt bei der Feststellung des Straftatbestands: Im Falle der Hexerei konnte jeder Delinquent nicht nur tatsächlicher Straftaten, sondern daneben wegen aller möglichen Gräuelmärchen angeklagt werden. bhnlich seien in den NS-Prozessen Menschen wegen „vermeintlicher Massenvernichtung der Juden“ und aller denkbarer Perversitäten angeklagt 26 Vgl.: Maurice Merleau-Ponty, Humanismus und Terror, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 966. 262 W. Kretschmar bedient sich unzähliger Pseudonyme, heißt eigentlich Germar Rudolf, geboren 964 in Deutschland, studierte Chemie. 99 verfasste er im Auftrag des Düsseldorfer Rechtsanwalts Hajo Hermann, des Verteidigers des Alt- und Neonazis Otto Ernst Remer, in einer Strafsache ein „Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den Gaskammern von Auschwitz“. Intention des Gutachtens war es, den systematischen Mord in den Gaskammern von Auschwitz mit vorgeblich wissenschaftlichen Methoden zu widerlegen. Es schließt wie folgt: „Das Gutachten kommt unwiderlegbar zu dem Schluß, daß die behaupteten Menschentötungs-Gaskammern von Auschwitz niemals mit Zyklon-B in Berührung gekommen sind.“ Ohne die Genehmigung seines Arbeitgebers fertigte Rudolf das Gutachten mit Hilfe von Einrichtungen des Max-Planck-Instituts an, insbesondere schickte er Mauerproben, die er in der Gedenkstätte Auschwitz entnommen haben will, mit offiziellem Briefbogen seines Arbeitgebers an das Fresenius-Institut zur chemischen Analyse. Nachdem Rudolfs Aktivitäten öffentlich bekannt geworden waren, wurde ihm gekündigt. Noch im gleichen Jahr kam es zu einer Anklage wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. 996 entzog Rudolf sich dem Haftantritt durch Flucht nach Spanien. Von dort ging er nach England, wo er sich in den Kreisen der Holocaust-Leugner bewegte und 999 durch den „Sunday Telegraph“ aufgespürt wurde. Rudolf präsentiert sich gern als politisch Verfolgter, als Märtyrer der Bundesrepublik, die er vorzugsweise „JRD – Judenrepublik Deutschland“ nennt. Nachdem er England verlassen hatte, hielt er sich in den USA und Mexiko auf. Am 9. 0. 2005 wurde Rudolf nach einer persönlichen Vorsprache bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde INS verhaftet, am 5.. in die Bundesrepublik abgeschoben, am Frankfurter Flughafen verhaftet und nach Baden-Württemberg in eine Haftanstalt verbracht. Er muss nun die 4-monatige Haftstrafe absitzen, wegen der er sich 996 ins Ausland abgesetzt hatte. Bei der Staatsanwaltschaft Mannheim ist ein weiteres Verfahren anhängig, ebenfalls wegen Volksverhetzung und insbesondere der Verbreitung holocaustleugnenden Materials über das Internet. Nach: http://www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/rudolfgermar (30.03.2009). 115

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worden, wobei der Urteilsfindung oft naturwissenschaftlich unsinnige Behauptungen zugrunde gelegt worden seien. Der Unterschied bestehe darin, dass in den NS-Prozessen nicht mehr von Zauberei die Rede war, sondern von Sachen, die technisch möglich seien, auf diese Weise also die Autorität der Wissenschaft missbraucht wurde. Zwar hätten sich in beiden Fällen die Prozesse unmittelbar nur auf die Straftäter bezogen, doch tendierte im Kontext der juristischen NS-Aufarbeitung die Öffentlichkeit beispielsweise dazu, alle SS-Männer als Täter zu verdächtigen. Wer dies ablehnte, hätte damit rechnen müssen, selbst der Verfolgung anheim zu fallen. bhnlichkeiten sieht Kretschmar auch bei der Strafverfolgung. Er bezieht sich auf Soldan und entdeckt in den NS-Prozessen die gleichen Muster wie in den Hexenprozessen. Die „vermeintliche Beteiligung an der Massenvernichtung der Juden“ sei ein Offizialdelikt; die Siegertribunale der Alliierten befolgten keine rechtsstaatliche Strafprozessordnung: „Auf Druck der Öffentlichkeit sehen sich die Richter vor der Alternative, die Angeklagten ohne Anhörung ihrer Argumente zu hohen Haftstrafen zu verurteilen, wenn sie nicht selbst mit einer Richteranklage konfrontiert werden wollen“. Dem NS-Regime werde die Rolle des Teufels zugewiesen; analog der Hexerei gäbe es auch für die NS-Verbrechen keine Verjährung; ebenso wie die Hexen werden auch „Nazi-Größen“ noch nach dem Tod verfolgt, wie die Exhumierung der Leiche des SS-Arztes Josef Mengele in Südamerika zeige. Weitere bhnlichkeiten konstatiert Kretschmar bei der Beweisaufnahme – die Erzwingung von Geständnissen mittels Folter (Kretschmar beruft sich hier auf faschistische Publikationen über Nürnberg), die Zulassung von Aussagen anonymer Zeugen, die Bestechung von Belastungszeugen und die Bedrohung von Entlastungszeugen; die Akzeptanz von Denunziation als einer gängigen Methode der Informationsbeschaffung. In vielen Fällen sei NS-Angeklagten vorgeworfen worden, Menschen getötet zu haben, von denen sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass sie noch am Leben waren. Die Verteidigung sei in den NS-Prozessen von noch geringerer Bedeutung gewesen als in den Hexenprozessen. So wie es im Mittelalter niemand gewagt hätte, Vorwürfe der Hexerei in Frage zu stellen, gelte es heute als die größte Häresie, den Holocaust zu leugnen. Kretschmer verweist des Weiteren auf bhnlichkeiten hinsichtlich der Aussagen von geständigen Angeklagten und Belastungszeugen – bei den Hexenprozessen habe der Hexenhammer die Aussagen definiert, im Falle der NS-Prozesse sei dieser Effekt der „totalen Mediengleichschaltung der alliierten Propaganda nach dem Krieg, die eine tausendfach höhere Wirksamkeit gegenüber den mittelalterlichen Methoden hatte“, zuzuschreiben. Man könnte, worauf hier verzichtet werden soll, noch zahlreiche weitere Beispiele anführen, die sowohl das Potential der Vergleiche mit Hexenprozessen in politischen und ideologischen Auseinandersetzungen demonstrieren,

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als auch die Grenzen ihrer Instrumentalisierbarkeit aufzeigen.263 Der H-Sonderauftrag steht damit in einer langen Tradition, die auch heute noch virulent ist.

Hexen in der Belletristik des Dritten Reiches Unter den Zeitungsausschnitten in der Sammlung des H-Sonderauftrags gibt es einige Geschichten über die Hexen. Dabei handelt es sich zumeist um Texte ohne besonderen literarischen Wert, die aber die Emotionen der Leser ansprechen. Die Hexen-Literatur des Dritten Reiches könnte vermutlich viel zum Thema Kitsch beitragen. Eine ausführliche Analyse würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hier sollen vor allem die propagandistischen Ziele der Erzählungen, die im Posener Archiv zu finden sind, thematisiert werden. Die Erzählung Die Herzogshexe264 von Albert Winter ist der Geschichte der Mesalliance des Fürsten Albrecht aus München gewidmet, der eine Frau namens Agnes heiratet. Das Mädchen wird nach der Hochzeit entführt und angeklagt, die Ehe mit Hilfe eines Zaubers erzwungen zu haben. Trotz schrecklicher Verfolgung bleibt sie bis zu ihrem Tode dem Sakrament treu. Der Prozess wird als eine politische Hofintrige dargestellt, die den Aberglauben der Menschen ausnutzt. Eine andere Erzählung erschien im September 937 im „Magazin“ und trägt den Titel Der Hexenprozess gegen Meta von Zehren. Ein Tatsachenbericht aus der Zeit der Hexenverfolgungen. Als Autoren figurieren Ernst Engelbrecht265 und Johannes Sigleur.266 Die Protagonistin ist die edel geborene Meta von Zehren, die durch die Intrige eines Angestellten des Hexengerichtes

263 „Hexenjagd“ wird allgemein als Redewendung für die Dämonisierung und Verfolgung von Personen oder Gruppen verwendet, z.B. für die Kommunistenjagd in der McCarthy-bra. Kurt Tucholsky vergleicht die Hexenprozesse mit der Militärjustiz und deren Umgang mit Sozialisten in „Hexenprozesse in alter und neuer Zeit“ (920). In Polen wird von der „antikommunistischen Hexenjagd der Brüder Kaczynski“ gesprochen, diese Bezeichnung benutzt in Bezug auf Polen auch die deutsche und französische Presse. Die Geschichte dieser Instrumentalisierungen wäre noch zu schreiben. 264 Czary, 3859: in: Neue Zürcher Zeitung. Tägliche Unterhaltungsbeilage, 2.03.937. 265 Ernst Engelbrecht war auch Autor von Fünfzehn Jahre Kriminalkommissar. Ernstes und Heiteres aus meiner kriminalistischen Berufsarbeit. Mit 20 Originalphotos und 2 Zeichnungen von Elek Barna (ca. 928); In den Spuren des Verbrechertums. Ein Streifzug durch das großstädtische Verbrechertum und seine Schlupfwinkel. 266 950 wurde sein Buch Der Hexenmeister von Königstein veröffentlicht, in den 950er und 960er Jahren erschienen viele Bücher von ihm – historische Romane und Jugendbücher. 117

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ihren Verlobten verloren hat. Ihr Antagonist ist der bucklige Pertl, ein sadistischer Frauenhasser, der es genießt, Frauen psychisch und körperlich zu foltern: „Er war der ideale Diener eines Rechtsregimes, das sadistische Mordgier mit der Gerechtigkeit vertauscht hatte, zu Ehren einer Religionslehre, von der die Richter nur die konfessionellen Fragen der Prozeßverhörer kannten“.267

Um die stolze, kluge und starke Meta zu zerstören, begeht er Mord, vergiftet die Ferkel eines Bauern, bei dem Meta nach dem Verlust des Verlobten arbeitet, und versucht, sie dafür verantwortlich zu machen. Das gelingt ihm und Meta stirbt während der Folter. Die rührselige Erzählung ist mit Informationen über den Hexenhammer, die Inquisitionsgerichte und die Folter sowie mit pathetischen Appellen an die Gefühle der Leser gespickt. Die Darstellung des Leids ist brutal und sehr plastisch; ausführlich werden Foltern von Schwangeren, Kindern und Säuglingen beschrieben. Die Richter werden als eine Bande perverser Sadisten geschildert, das Volk als im Aberglauben gehalten und verdummt, aber als gut und aufklärungsbedürftig. Die ganze Erzählung läuft darauf hinaus, dass die Idee der Hexenprozesse nur außerhalb der deutschen Kultur entstanden sein kann: „Die Uranfänge des Hexenglaubens liegen in mystischen Anschauungen, die zum Teil aus dem Orient eingeschleppt worden sind. In Deutschland wäre das Umsichgreifen einer so wahnsinnigen Zeitpsychose aus dem eigenen Kulturkreise heraus niemals möglich gewesen. Erst der immer mehr zunehmende Einfluss der Kräfte und Mächte, die damals das Geschick des europäischen Kontinents regierten, brachte die endgültige Einbürgerung des artfremden Hexenglaubens“.268

Friedrich Spee und Agrippa von Nettesheim werden als Vorreiter des erwachenden deutschen Geistes dargestellt, die dem Volk bewusst gemacht haben, dass Hexenprozesse eine Schande waren. Die Geschichte der Hexenprozesse wird als eine Warnung an das das deutsche Volk präsentiert, sie soll in Erinnerung rufen, dass Entfremdung von der eigenen Kultur in die Katastrophe führen kann: „Die unzähligen Tränen, welche die Hexengerichte zum Fließen brachten, sind versiegt, die klaffenden Wunden, die diese Schlächter dem Volkkörper schlugen, sind endgültig vernarbt. Und doch soll auch heute, in einer Zeit, die sich restlos von allen

267 Czary, 396, Ernst Engelbrecht und Johannes Sigleur, Der Hexenprozess gegen Meta von Zehren. Ein Tatsachenbericht aus der Zeit der Hexenverfolgungen, in: Das Magazin, September 937, S.76. 268 Ebenda, S.96. 118

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phantastischen Gegenseiten der Realität abwendet, die Erinnerungen an die furchtbaren Jahrhunderte der Hexenverfolgungen nicht erloschen sein: wenn ein Volk seiner eigenen Kultur getreu bleibt, dann sind solche entsetzlichen Verwirrungen nicht möglich, und es wird, im Bewusstsein seiner rassischen Reinheit, dem Fluch einer moralischen Sklaverei nie wieder unterliegen“.269

Der „Illustrierte Beobachter“ vom 0.9. 936 brachte eine Erzählung von Herbert Koch unter dem Titel Der Pfarrer und die Hexe.270 Beschrieben wird die Geschichte des schönen Mädchens Marietta, dessen Mutter die Familie verlassen hat. In ihrem Städtchen bleibt Marietta immer eine Außenseiterin, unbeliebt wegen der Mutter und auch, weil sie schöner als alle anderen Frauen ist. Als sie sich der Macht ihrer Schönheit bewusst wird, spielt sie diese dazu aus, um der bedrückenden Situation zu entfliehen. Ein junger Priester verliebt in sie, leidet und versucht, die verbotene Liebe zu bekämpfen. Erleichterung findet er erst, als die Leute im Städtchen Marietta immer häufiger als eine Hexe diffamieren. Gerade zu dieser Zeit wird die Stadt von einer Rattenplage heimgesucht, und auch unter den Schweinen bricht eine Seuche aus. Die Schuld schreibt man Marietta zu, sie wird festgenommen und dem Henker überwiesen, „dem es dann auch mitsamt seinen Gesellen ein leichtes war, innerhalb weniger Stunden aus der Marietta ein Geständnis zu pressen, dass sie eine Hexe sei, dass sie Nacht für Nacht mit dem Satan und sieben geschwänzten Teufeln Unzucht getrieben habe [...] und was dergleichen dummes Zeug noch mehr war“. Ausführlich werden Mariettas Angst und Verzweiflung beschrieben, sie fleht den Priester um die Rettung an und erklärt ihm ihre Liebe. Der Pfarrer denkt, „wie schön es wäre, jetzt unbeschwert mit Marietta durch den Sommer zu wandeln, der draußen blühte – aber damit kam auch das Gefühl für die Gedankensünde in ihm auf, die er beging, und seine Züge wurden hart“. In ihrer Verzweiflung verflucht Marietta den Mann und vor „dem Pfarrer brach eine Welt zusammen. Er sah ihr ins Gesicht, er sah die Angst in ihren Augen, den Irrsinn und er meinte, dass sie auch diesmal wohl nicht die Wahrheit spräche. In seiner Einsamkeit drehte er sich langsam um und verließ die Zelle. Er hörte ihr Schreien, ihre letzten Worte, als die Tür zufiel – auch das ist ja nicht wahr, rette mich...“ Marietta wird verbrannt, der Pfarrer begleitet sie, versucht sich einzureden, das sei seine Pflicht, und wartet auf das Unglück, das sie ihm vorausgesagt hatte: „Der Pfarrer sah auf, der Himmel schien nach wie vor in wundervollsten Bläue [...] alles war so still und ohne Weltuntergang vor sich gegangen, dass es dem Pfarrer vorkam wie ein Traum“ Und dann sieht er plötzlich ein: „sie war keine Hexe, es war

269 Ebenda, S. 97. 270 Czary 3858. 119

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alles Lüge und Schuld und Dunkelheit und törichte Gerüchte, denen man das Hexenkind geopfert hatte, und darüber zerbrach sein Bewusstsein“.

Der Pfarrer begeht Selbstmord, die Leute aber glauben, das sei die Rache der Hexe gewesen. Auf der einen Seite werden hier Mechanismen der Hexenerschaffung entlarvt, auf der anderen gezeigt, wie Religion die menschliche Sehnsucht nach Reinheit in Vernichtungswut verwandelt und die schöne, unschuldige Welt mit Dämonen bevölkert. Alle literarischen Texte aus der Sammlung des Hexen-Sonderarchivs appellieren an die Gefühle, an den „gesunden Menschenverstand“. Ihre schlichte, emotionelle Form ist darauf bedacht, möglichst große Leserkreise zu erreichen und ein vereinfachtes Schwarz-Weiß-Bild der Hexenprozesse zu vermitteln – mit der Kirche, die das Volk mit Aberglauben vergiftet, auf der einen Seite und dem an sich guten deutschen Volk, das der Erweckung harrt, auf der anderen. Die Opfer sind immer hilflose Frauen. Die Macht des Kitsches macht diese Texte plausibel, es erübrigt sich, sie weiter zu hinterfragen. *** Sowohl in den programmatischen Deklarationen und Abhandlungen der Mitarbeiter des H-Sonderauftrags als auch in den von ihnen gesammelten Artikeln dominiert die Tendenz, die neu geschriebene „rassenbewusste“ Geschichte der Hexenprozesse möglichst massiv im ideologischen Kampf gegen die Kirche einzusetzen. Die teilweise konstruierten, stark betonten Gegensätze zwischen Christentum und Germanentum bilden den Stoff, aus dem eine germanische Religiosität oder zumindest gewisse Wertvorstellungen, mythologisch begründete Zeremonien und Feste abgeleitet werden sollten, die für die Konstituierung und Gestaltung der neuen Gemeinschaft von Nutzen wären. Die Reflexionen über den Begriff der Zauberei beschränkten sich auf die Gegenüberstellung der weißen, symbolischen, gemeinschaftsnützlichen Magie der Germanen und der individualistischen, schädlichen Magie in der Vorstellungswelt des „dämonenbesessenen“ Christentums und der asiatischen Völker. Damit verbunden war die Suche nach christlichen Elementen des Zauberei-Begriffs und nach Beweisen dafür, dass der Aberglaube in den christlich beeinflussten Gesellschaften immer noch verbreitet war. Über die Opfer der Hexenprozesse selbst wurde wenig nachgedacht. Außer in der Vorstellung von der Hexenverbrennung als Verfolgung der germanischen Rasse, also des abstrakten Deutschtums, und als Verbrennung des Leibes der Mütter der Nation existierten die Opfer eigentlich nur in der Publizistik, in den literarischen Texten und vor allem auf den gesammelten Bildern. 120

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Literatur und Publizistik scheinen bessere Medien für die Erfüllung der Ziele des H-Sonderauftrags gewesen zu sein als der geschichtswissenschaftliche Diskurs. Daher scheint es unangemessen, die Bedeutung dieser Einrichtung nach wissenschaftlichen Maßstäben zu erörtern und die wissenschaftliche Schwäche des Auftrags als eine Niederlage zu deuten. Der H-Sonderauftrag konnte zu einem leistungsfähigen Propagandazentrum für die Verbreitung der neuen Geschichtsversion werden. Mit Hilfe von Zeitschriften und der geplanten Handbücher sollte das esoterische Wissen der Elite in exoterisches Wissen für das Volk umgemünzt werden. Das popularisierte Wissen lässt Kritik und Einwände unter Tisch fallen, ignoriert strittige Meinungen, nimmt eine schlichte, auf Emotionen gerichtete Form an, hebt durch Bilder, Gleichnisse und ständige Wiederholung die erwünschten Aspekte hervor. Um zu verstehen, warum die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags im wissenschaftlichen Diskurs keine Chance auf Erfolg hatten und warum gerade an solchen Diskurssträngen wie denen zur Stellung der Frau, zu Sexualität, germanischer Religiosität sowie der Schuldfrage das wissenschaftliche Versagen und die ideologischen Brüche sichtbar werden, muss man diese historisch verorten, nach ihren „Präideen“ suchen.

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Die Hexe nprozes se und die Sc huldfra ge. Traumatische Erfahrung und ihre Rolle bei der Identitätsstiftung

Drei Autoren, deren Arbeiten bis heute starke Beachtung finden – Jakob Grimm, Wilhelm Gottlieb Soldan und Joseph Hansen – haben den HexenDiskurs im Dritten Reich mitgeprägt. Sie gehören zu seiner Geschichte, ihre Sicht auf die Hexenprozesse lieferte wesentliche Grundlagen zur Ausarbeitung weiterer Interpretationen. Im Folgenden soll der Umgang dieser drei Autoren mit dem Thema Hexenverfolgung charakterisiert werden. Ein skizzenhafter Überblick über die Geschichte der deutschen Rezeption der Hexenprozesse zu Zeitpunkten, die wesentliche Verschiebungen in deren Wahrnehmung ausgelöst haben – der Aufklärung, der Romantik und der Zeit des deutschen Kulturkampfes -, dient dazu, Verschränkungen verschiedener Diskursstränge der Hexendebatten darauf hin zu untersuchen, ob und wie sie zu diskursiven Ereignissen geworden sind, die auch in späteren Epochen von Bedeutung waren. Unter diskursiven Ereignissen werden dabei Ereignisse verstanden, die – politisch exponiert – Richtung und Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, markant beeinflussen. Allein in deutscher Sprache wurden seit 1800 ca. 10.000 Arbeiten zum Hexen-Thema veröffentlicht,1 dazu zahlreiche Bibliographien2. Im Rahmen dieses Überblicks ist es nicht möglich, eine „Archäologie“ des europäischen Hexen-Diskurses zu betreiben. Hier sollen jedoch die Haupttendenzen in der Rezeptionsgeschichte nachgezeichnet werden, die für die Beschäftigung mit den Hexenprozessen im Nationalsozialismus relevant waren. 1 2

Vgl.: B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a. a. O., S 101. Vgl.: Internetseite des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung, URL: http://www.uni-tuebingen.de/IfGL/akih/akih.htm; Internetseite des historicum. net, URL: http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/ 123

HEXEN UND GERMANEN

Interesse an den Hexenprozessen als Begleiterscheinung politischer, kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen Wolfgang Behringer datiert die ersten Versuche, die Hexenprozesse mittels Quantifizierung der Opfer und einer ausschließlichen Schuldzuweisung in den Kämpfen gegen die Kirche auszuspielen – ein Vorgehen, das in der Folge zunehmend an Bedeutung gewann – auf das Ende des 8. Jahrhunderts.3 In dem Aufsatz Etwas über die Hexenprozesse in Deutschland entwickelte Gottfried Christian Voigt, Stadtsyndikus von Quedlinburg, im Jahre 783 eine These, die schon zu seinen Lebzeiten in Frage gestellt, aber in den Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche regelmäßig wiederholt wurde – die auf fragliche Berechnungen gestützte Behauptung, die Hexenprozesse hätten insgesamt neun Millionen Opfer gekostet. Voigts Beitrag erschien in der „Berlinschen Monatsschrift“, dem Hauptblatt der Berliner Spätaufklärung.4 In der Forschung gilt die Aufklärung als Beginn intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung mit den Hexenverfolgungen.5 In dieser Epoche, in der Kant den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ postulierte,6 war die Debatte von dem Impuls getragen, die Praxis der Hexenprozesse endgültig zu beenden und den „Aberglauben“ zurückzudrängen. Das Interesse an den Hexenprozessen war eine identitätsstiftende Komponente der neuen intellektuellen Emanzipationsbewegung, die sich auf die Vernunft berief und für die Säkularisierung eintrat. Die Hexenprozesse wurden als Unterdrückung der unmündigen Vernunft und religiöser Aberglaube verurteilt. Die vernunftwidrige Kraft des Aberglaubens und nicht die Opfer standen im Mittelpunkt des Interesses. Ein wichtiges Argument im Kampf gegen die Hexenverfolgungen lieferte die Historisierung der Prozesse, da sie deren angebliche Verankerung im Wort Gottes (Exodus 22,8) widerlegte.7 Es wurden Entwicklungsetappen des Hexenbildes herausgearbeitet und die Frage nach der Verantwortung für die Prozesse, die Schuldfrage, begann eine wichtige Rolle zu spielen.

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Vgl.: W. Behringer, 9 Millionen Hexen, a.a.O. Sie gilt als die bevorzugte Zeitschrift Immanuel Kants, vor allem aufgrund der Debatten um die Frage "Was ist die Aufklärung?". Vgl.: W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a.a.O.; Jeanne Favret, Hexenwesen und Aufklärung. In: Claudia Honegger (Hg.), Die Hexen der Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte eines kulturellen Deutungsmusters, Frankfurt a.M. 987, S. 336-366. I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Immanuel Kant. Werkausgabe, hrsg. von W. Weischedel, Bd. XI, Frankfurt am Main 977, S. 53. Vgl.: W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a.a.O.

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

Auch die Romantiker neigten zu überhöhten Opferzahlen. Sie wollten jedoch nicht mehr im Namen der Vernunft sprechen, sondern die „Unvernunft“, die sie in der Gestalt der Hexe entdeckten, zu Wort kommen lassen. Die Romantiker, so etwa die Brüder Grimm, wandten sich auf der Suche nach verschütteten und verlorenen Lebenswelten der Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters zu und entdeckten im „Hexenwesen“ durch das Christentum entstellte Überreste der alten Religion. In Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (834) erklärte Heinrich Heine das Interesse deutscher Romantiker für das Mittelalter und dessen Volksglauben, für Teufeltum, Zauberwesen und Hexerei mit der Sehnsucht nach der vorchristlichen Religion ihrer Ahnen. Die deutschen Romantiker hätten geahnt, „dass von den Heiligtümern ihrer ältesten Väter, von den Herrlichkeiten ihrer frühesten Nationalität, sich noch manches darin erhalten hat; es waren diese verstümmelten und geschändeten Reliquien, die ihr Gemüt so sympathetisch anzogen, und sie haßten den Protestantismus und den Liberalismus, die dergleichen mitsamt der ganzen katholischen Vergangenheit zu vertilgen streben“.8

Heine teilt Grimms Meinung, dass die katholische Kirche „die altgermanische Nationalreligion so tückisch verkehrt, daß sie die pantheistische Weltansicht der Deutschen in eine pandämonische umgebildet, daß sie die früheren Heiligtümer des Volks in häßliche Teufelei verwandelt hatte“, und dass die Menschen oft unbewusst diesem alten Volksglauben treu geblieben sind, der in ihrer „Nationalität wurzelt“.9 Am Schluss seiner Schrift steht jedoch eine apokalyptische Vision, die eine Warnung vor dem Gewaltpotenzial der germanischen Kultur enthält: „Das Christentum – und das ist sein schönstes Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. Jener Talisman ist morsch, und kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht; die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt, und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome. [...] Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem

8 9

H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, in: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=45&kapitel=#gb_found Ebenda. 125

HEXEN UND GERMANEN

Geräusche werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihren königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte“. 0

Eine andere Innovation in der Deutung der Hexenprozesse durch die Romantiker bestand darin, dass sie die geschlechtsspezifische Seite der Hexenprozesse in den Vordergrund rückten. Das „romantische Paradigma“ in der Hexenforschung lenkte die Aufmerksamkeit auf die Frauen als auf Wesen, die in ein Wissen eingeweiht sind, das der Vernunft unzugänglich ist, und die oft etwas Unheimliches ausstrahlen.2 Die Opfer der Prozesse wurden damit zwar rehabilitiert und geradezu verklärt, aber auch ihrer historischen Individualität beraubt, insofern sie dadurch zu Geschöpfen romantischer „Männerphantasie“ und Verkörperungen der sexuellen Vorstellungen der Epoche wurden. Die Beschäftigung der Romantik mit der „dunklen“, unerklärlichen Seite des Lebens fand auch auf eine andere Art und Weise Niederschlag im Umgang mit dem Hexen-Thema. Joseph von Görres, der ebenfalls die Aufwertung des europäischen Mittelalters als Quelle der deutschen Kultur gegenüber der Antike postulierte, billigt in seinem späten Werk Die christliche Mystik (836-842) dem Hexenwesen, das er mit Häresie gleichsetzt, ein hohes Maß an Realität zu, was ihn im Vergleich zu Grimm zu ganz anderen Schlussfolgerungen und vor allem zu einer neuen Dämonisierung des weiblichen Geschlechts führt. Anhand von Beispielen, die zeigen sollen, wie mild die Kirche anfangs gegen den Hexenglauben vorgegangen sei, argumentiert er, die Kirche habe eigentlich nur gegen eine reale Hexensekte mit Ursprung im Orient gekämpft. Zwar seien die Prozesse nicht immer gerecht geführt worden und die Folter unnötig gewesen. Doch seien sie im Kern als eine Art der Verteidigung gegen die „Krankheit“ zu verstehen, die das Christentum bedroht habe – eine Krankheit, „die endemisch über die ganze Erde hingegan0 

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Ebenda. Der wohl bekannteste Romantiker, der über die Hexen schrieb, Jules Michelet, mit Jacob Grimm befreundet, hat mit seinem Buch La Sorciere (862; 863 ins Deutsche übersetzt) Frauen als Trägerinnen geheimnisvollen Wissens und die Hexe als eine Gestalt in den Hexendiskurs eingeführt, die in sich die Ungezähmtheit der Vorzivilisation und deshalb die Geschichte der Unterdrückung birgt. Für Michelet war die Hexenverbrennung u.a. ein Ergebnis des neiderfüllten Konkurrenzkampfes zwischen Priestern und Frauen um medizinische Behandlung. Diese Interpretation findet bis heute Anhänger. Vgl.: J.Michelet, Die Hexe, Erftstadt 2005. Vgl.: W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a.a.O; N. Freytag, Hexenverfolgungen in der deutschen Geschichtsschreibung des 9. Jh., a.a.O., Rolf Schulte, Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 530-730 im Alten Reich, Frankfurt 200.

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

gen, und epidemisch von Generation zu Generation sich fortgepflanzt; es ist sohin ein Erbübel des Geschlechtes, Folge der Erbsünde, ja diese gewissermaßen selber, insofern sie miasmatisch sich incarniert, und nun in Form einer vielgestaltigen geistigen Seuche durch die Menschheit wüthet“.3 Den frauenfeindlichen Hexenhammer beurteilt von Görres als: „ein Buch, [das] in seinen Intentionen rein und untadelhaft“, aber „nicht immer mit geschärfter Urteilskraft durchgeführt“ worden ist.4 Erst mit der Zeit beginnt für von Görres der Sieg des Aberglaubens über den Glauben in den Hexenprozessen; die Hexen werden für alles schuldig gemacht, die Prozesse arten aus. Doch auch in diesen „Verirrungen“ sieht er keinen hinreichenden Anlass, die Idee selbst in Frage zu stellen: „Die Kirche konnte nicht irren, wenn sie das gesamte Zauberwesen, als einen Abfall vom Gott und eine Zukehr zum Satan, gestraft, weil sie es immer im Gefolge der schandbarsten Häresien gefunden. Die bürgerliche Gesetzgebung konnte nicht im Irrtum sein, da auch sie es als Verbrechen an der Gesellschaft ahndete“.5

Die Hexenprozesse seien ein Unglück gewesen, aber man habe dank ihrer die dunkle Seite des Menschen und die Wirkungsweise des Bösen erkannt. Die katholische Kirche habe immer versucht, mäßigend zu wirken: „Man muss vielmehr auch hier den Päpsten das Zeugnis geben, dass sie durchgehend mäßigend und mildernd verfahren, und dem Geiste der Zeiten behutsam nachgehend, die gewonnene Einsicht immer in eine bessere Praxis einzutragen sich bemühten.“6

Historiker ordnen diese – Frauen dämonisierende – Interpretation in die Reihe katholischer Deutungen ein,7 die während des konfessionspolitisch aufgeheizten Mischehenstreits zwischen Rom und Preußen bestrebt waren,8 eine Mitverantwortung der Kirchenführung an den Hexenverfolgungen zu bestrei3 4 5 6 7 8

Ebenda, S. 70. Ebenda, Bd. 5, S. 585. Ebenda, S. 66. Ebenda, Bd.5, S. 652. Unter anderen: N. Freytag, W. Behringer. Rom verlangte für sein Einlenken, die Mischehe zu dulden, die Gewähr, dass die Kinder im katholischen Glauben erzogen würden, was Preußen nicht akzeptieren wollte. Es kam zu den Kölner Wirren (835-840). Letztlich wurden verschiedene Forderungen der katholischen Kirche durchgesetzt. Die Regierung versprach, einen freien Verkehr zwischen dem Heiligen Stuhl und den Bischöfen zu garantieren und die vereinbarten Bischofswahlverfahren einzuhalten. Die Versöhnung zwischen Staat und Kirche fand mit dem Kölner Dombaufest statt. Die Kathedrale sollte nach dem Wunsch König Friedrich Wilhelms IV in ihrer Vollendung ein Zeichen neuer nationaler Einheit sein. 127

HEXEN UND GERMANEN

ten. Von Görres war viele Jahre lang Publizist der Zeitschrift „Katholik“, in der er die Aufklärung und den Protestantismus bekämpfte und für einen starken Einfluss der Religion auf das politische Leben plädierte. Rosenberg lobte in seinen Ausführungen über die gestaltlose Weiblichkeit von Görres trotz der Kritik an dessen Katholizismus für das Verdienst, dass er „die weltgeschichtliche Polarität auf die Spannung zwischen Männlichem und Weiblichem zurückführte“.9 Während des Kulturkampfes, der Zeit zwischen 87,20 dem Jahr, in dem die katholische Abteilung im deutschen Kultusministerium aufgelöst wurde, und dem Erlass der Friedensgesetze, die 887 zur Beilegung der Krise führten, wurde Die christliche Mystik von von Görres erneut aufgelegt. In dieser Zeit der Emanzipierung des modernen Staates von der Kirche erfuhr das Interesse an den Hexenprozessen in der Publizistik und in Diskussionen auf der lokalen Ebene einen weiteren Boom. Angesichts einer zunehmend radikalen Religionskritik wuchs zudem der Druck auf die Theologen der beiden großen Kirchen, die das Thema „Hexenwahn und Hexenverfolgung“ in ihren wechselseitigen Polemiken mit steigender Intensität ausspielten. Der Wiener evangelische Theologe Gustav Roskoff nahm Voigts These von den neun Millionen Opfer in seine zweibändige Geschichte des Teufels (869) auf, die sich großer Popularität erfreute. Die Opferzahl der Hexenprozesse begann eine immer größere Rolle in den politischen Auseinandersetzungen zu spielen. Zur protestantischen Strömung des Kulturkampfes zählte auch die neue, 880 veröffentlichte Fassung von Soldans Geschichte der Hexenprozesse (843), die konfessionspolitisch durch Soldans Schwiegersohn, den evangelischen Theologen Heinrich Heppe, zugespitzt wurde. Heppe hat auch die falsche Berechnung der Opferzahl übernommen, die, wie Behringer nachweist, von späteren Autoren immer wieder aufgegriffen wurde.2 893 veröffentliche der ehemalige Jesuit Paul Graf von Hoensbroech seine Autobiografie Mein Austritt aus dem Jesuitenorden, 900 folgte sein Buch Das Papsttum in seiner sozial-kulturellen Wirksamkeit. I: Inquisition, Aberglaube, Teufelsspuk u. Hexenwahn.22 Sowohl Himmler auch als Rosenberg 9 20

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A. Rosenberg, Mythus, S. 38. Zur Bismarckschen Kulturkampfgesetzgebung gehörte das Verbot für Geistliche, Staatsangelegenheiten in „den öffentlichen Frieden gefährdender Weise“ zu besprechen. 872 wurden im Deutschen Reich die Jesuiten verboten und 874 die Zivilehe eingeführt. Wiederholt gab es Versuche, die Kirchenhierarchie weitgehend zu verstaatlichen und im Sinne einer Umkehrung ihrer Romtreue zu „nationalisieren“. Die katholische Presse wurde durch Beschlagnahmungen und Strafmaßnahmen gegen ihre Redakteure schikaniert. Vgl.: W. Behringer, 9 Millionen Hexen, a. a. O. Das Buch von Soldan wird weiter unten besprochen. Paul Graf von Hoensbroech (852-923), Mitglied des Jesuitenordens, beschäftigte sich mit der Kirchen- und vor allem der Papstgeschichte. Er bekam

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

kannten diese Bücher, in denen Hoensbroech einen schonungslosen Kampf gegen Papsttum und Jesuiten führte. Gerade die Hexenverfolgungen dienten ihm dabei als Beleg einer zeitlosen abergläubischen Befangenheit der katholischen Kirche und ihrer Päpste. Der Konflikt zwischen den Konfessionen sowie der Forschungsstil von Soldan und Heppe schlugen sich in den folgenden Jahrzehnten in einer immer regeren Regionalforschung nieder: Details wurden gereiht, Prozessverläufe dokumentiert. Die Hexenprozesse wurden zu einer vielfach benutzten, wirksamen politischen Waffe: Protestanten warfen den Katholiken die Bagatellisierung der Prozesse vor, neigten aber ihrerseits dazu, die Zahl der Opfer massiv zu überhöhen.23 Katholische Publizisten suchten nach Beispielen für protestantische Hexenprozesse und Beweisen für den germanischen Charakter des Hexenglaubens. Man versuchte, das „Hexenwesen“ als eine Krankheit zu interpretieren, oder heidnische Kulte in den Hexenpraktiken nachzuweisen. Es entstanden rührselige Erzählungen für Lokalzeitungen und Volksspiele nach der Vorlage von Prozessakten. Die Prozesse gingen in die Unterhaltungskultur ein. Das historische Phänomen „Hexenverfolgungen“ eignete sich in besonderer Weise, die Forscher und die Öffentlichkeit im Umbruch zur Moderne, in einer Epoche wissenschaftlich-medizinischer Neuentdeckungen und politisch-konfessioneller Konflikte in vielerlei Hinsicht zu polarisieren. Die Hauptthemen der Hexenforschung des 8. und 9. Jahrhunderts waren der Kampf gegen Aberglauben, Verblendung, Macht der Kirche oder die Suche nach einer verborgenen – politischen, kulturellen, religiösen – Realität in den Hexenpraktiken. Der Diskurs, den die nationalsozialistischen Forscher vorfanden, war dominiert durch kulturelle Identitätssuche, propagandistische Schuldzuweisungen und Mordanklagen, und die Weltanschauungskämpfe nahmen immer weiter ausufernde Dimensionen an. Trotz einiger wichtiger Erkenntnisse und Reflexionen, welche die weitere Forschung angespornt haben, blieben die Opfer der Hexenprozesse in diesem Kampf der Ideen am Rande der Betrachtung, die Täter teilweise auch.

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den Auftrag, nach Berlin zu ziehen, um dort den Boden für eine Jesuitenniederlassung vorzubereiten. Er sollte sich an der Universität immatrikulieren lassen und einige Vorlesungen belegen, um den Schein zu erwecken, er halte sich nur zu Studienzwecken in Berlin auf. Im Auftrag seines Ordens studierte Hoensbruch eifrig evangelische Theologie, um sie zu widerlegen. 895 trat er zur evangelischen Kirche über. Als seine Lebensaufgabe erkannte er immer deutlicher die Bekämpfung der Jesuiten und des Ultramontanismus als kulturfeindliche Mächte. Nach: Biografisch-bibliografisches Kirchenlexikon, Bd. II, Hamm 990. Vgl.: W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a. a. O. 129

HEXEN UND GERMANEN

Die Hexenprozesse und die germanische K o n t i n u i t ä t . J a c o b G r i m m s D e u t s c h e My t h o l o g i e Die Deutsche Mythologie (835) löste unter Grimms Zeitgenossen enthusiastische Reaktionen aus, für viele Generationen wurde sie zur Grundlage der deutschen Philologie.24 Ein häufig und gern zitierter Satz aus dem Vorwort schien den Zeitgeist ins Herz zu treffen: „Weil ich lernte, daß seine sprache, sein recht und sein altertum viel zu niedrig gestellt waren, wollte ich das vaterland erheben“.25

Grimm benutzte im Titel das Wort „deutsch“. Nach der Sprachnorm des 9. Jahrhunderts bedeutete das Wort „germanisch“ zweierlei. Zum einen bezeichnete es die Zugehörigkeit zur germanischen Sprachfamilie, einer hypothetischen, ursprünglichen kulturellen Einheit, die mit der Zeit durch regionale Unterschiede gelockert wurde. Zum anderen stand es für ein dem Christentum entgegen gesetztes Wertesystem. „Deutsch“ war alles, was auf dem Gebiet des späteren Reiches germanisch war. Beide Begriffe waren aber nicht rassisch gedacht. Grimm verwendet sowohl „deutsch“ als auch „germanisch“, besonders bei den mythischen Themen. Sein politisches Denken lässt ihn aber vorwiegend bei „deutsch” als stärker staatsbezogen bleiben.26 Die Deutsche Mythologie könnte man als ein Bindeglied zwischen der romantischen Germanenrezeption und der Germanistik als Fachdisziplin bezeichnen. 27 24

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Auf Grimm berufen sich u. a.: Wilhelm Emmanuel Johann Mannhardt, Germanische Mythen, Berlin 858; ders., Wald- und Feldkulte, Berlin 875; Karl Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie mit Einschluss der nordischen, Bonn 855. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Wiesbaden, 2003 (weiter DM), XLI. Nach der Wiederentdeckung der Antike durch die Humanisten im 5. Jh. fing man an, Deutsche mit Germanen gleichzusetzen, wozu vor allem die Germania des Tacitus beigetragen hat. Oft wurde die Geschichte der Germanen als Kritik am Bestehenden geschrieben; die archaischen Vorwelten wurden neben der griechischen Antike als Gegensatz zum Despotismus und zur religiösen Orthodoxie vorgestellt. Die Begeisterung für die mythologischen Dichtungen des fiktiven Barden Ossians bereitete den geistigen Hintergrund für die Germanenrezeption. Die nationale Vergangenheit wurde sozusagen von den Skandinaviern erborgt. Johann Gottfried Herder bereitete die nationale Edda-Rezeption vor, indem er eine Verbindung zwischen nordischer, germanischer und deutscher Identität herstellte, die noch im 20. Jh. propagandistisch verwertet wurde. Herder war begeistert von der dänischen Entdeckung der Edda (Paul Henri Mallet): „es kann dies Buch eine Rüstkammer eines deutschen Genies sein, das sich auf den Flügeln der celtischen Einbildungskraft in neue Himmel erhebt und Gedichte schaffet, die uns immer angemessener wären, als die Mythologie der Römer“ (J. Herder, Sämmtliche Werke, hrsg. v. B. Suphan, Berlin 877, Bd., S.74.). Die germa-

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

In der zeitgenössischen Rezeption wurde die Mythologie als ein Versuch wahrgenommen, der eigenen Kultur gerecht zu werden und in die tiefen Schichten des nationalen historischen Gedächtnisses durchzudringen. Zahlreiche Germanisten beriefen sich auch auf die patriotische Absicht des Werkes, aus der die (Re-)Konstruktion der deutschen Glaubens- und Wertewelt erfolgen sollte, 28 worauf später noch einzugehen ist. Auch Ideologen, die auf die Notwendigkeit der Systematisierung der Tradition, der Kultivierung der Nationalmythen und des Aufbaus des Nationalbewusstseins durch die Akzentuierung der Kontinuität der germanischen Kultur hinweisen wollten, griffen auf Grimm zurück.29 In Reaktion auf die Modernisierung und Säkularisierung der Gesellschaft erfuhr die Rezeption der germanischen Mythologie um die Wende zum 20. Jahrhundert einen Höhepunkt und wurde zunehmend verknüpft mit Forderungen nach „arteigener“ Religiosität, Kritik am Christentum, Zivilisationskritik, aufsteigendem Rassismus, Nationalismus und völkischer Ideologie. Romantische Positionen, insofern sie heidnisch und national waren, erfreuten sich wachsender Popularität. 30

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nische Mythologie inspirierte auch F. Klopstock (z.B. das Gedicht Der Hügel und der Hein, vgl.: Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden, Stuttgart 966 in: Bibliotheca Augustana, URL: http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/ Chronologie/8Jh/Klopstock/klo_oh00.html, S. 252-260), später Schlegels Geschichte der alten und neuen Literatur. Vgl.: K. von See, Deutsche Germanenideologie, Frankfurt/M 970; W.D. Hartwich, Deutsche Mythologie, die Erfindung einer nationalen Kunstreligion, Berlin 2000. Als Edda werden die Sammlungen Snorra-Edda, um 220 von Snorri Sturuson verfasst, ein Lehrbuch der Skaldendichtkunst mit einer Darstellung der heidnischen Mythologie, und Lieder-Edda mit altnordischen Helden- und Götterliedern (vorwiegend aus dem Manuskript Codex Regius aus dem 3. Jh.) bezeichnet. Auf die Zwiespältigkeit der Deutschen Mythologie weist Hartwich hin: „Die Erfindung der Deutschen Mythologie als einer nationalen Kunstreligion erweist sich in ihrer Wirkung als ambivalent. Wenn die mythische Dichtung der Germanen als Kunst erkannt wurde, konnte sie die künstlerische Phantasie der Moderne anregen. Die Fiktionalisierung der nationalen Tradition ermöglichte es, diese als individuellen Beitrag zum weltliterarischen Zusammenhang zu erkennen und so die kulturelle Identität der Deutschen weltbürgerlich zu perspektivisieren. Wenn die germanische Sage dagegen ohne ästhetische Distanz wahrgenommen wurde, konnte sie zur kommerziellen Täuschung, politischen Ideologie und schließlich zum völkischen Kult werden“, in: W.D. Hartwich, Deutsche Mythologie, die Erfindung einer nationalen Kunstreligion, Berlin 2000, S. 44. Die Idee der uralten germanischen Kultur, die in verschiedener Form erhalten geblieben ist, ist sowohl in Himmlers Ansichten als auch in einer gewissen Modifizierung bei Rosenberg erkennbar. Vgl.: A. A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus, Heidelberg 995. 131

HEXEN UND GERMANEN

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als das Interesse an nordischen Religionen anstieg und die Volkskunde einen erheblichen Aufschwung erlebte, gewann auch Grimms Werk wieder aktuelle Bedeutung, besonders in Deutschland, das nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg an erheblicher Frustration und Orientierungslosigkeit litt. Die Geisteswissenschaften, die sich mit den mythischen Ursprüngen des Germanentums beschäftigten, stellten sich willig in den Dienst unterschiedlichster rückwärts gewandter Ideologien. Völkische und faschistische Ideologen betonten die mythische Dimension des neuen Staates, insbesondere des erwarteten Dritten Reiches.3 Hitlers Wahl zum Reichskanzler wurde als die Vollendung der deutschen Geschichte in der Idee des Germanischen Reiches der Deutschen Nation dargestellt. Hitler selbst, der sich als von Gott, dem Schicksal oder der Vorsehung auserwählter Führer gerierte, taufte seinen neuen Staat als das Tausendjährige Reich, um die vermeintliche Kontinuität zum Deutschen Reich des Mittelalters zu unterstreichen.32 In den 930er Jahren wurde Jacob Grimm des Öfteren auch von Anhängern des germanischen Mythos, die nicht dem nationalsozialistischen Lager angehörten, als Quelle der nationalen Erneuerung zitiert. So schrieb Edwin Redslob33 934 in seiner Einführung zur Deutschen Mythologie, welche er „die Bibel des deutschen Volkstums“ nannte: 3

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Arthur Moeller van den Bruck schilderte in den 930er Jahren in der Erwartung einer großen Wende in der Schrift Das dritte Reich Deutschland als das dritte Reich in der Geschichte: nach dem Ost- und Westreich und nach dem mittelalterlichen und Bismarcks Reich. Er knüpfte auch an die chiliastische historische Spekulation von Joachim di Fiore an, nach der die Macht über das dritte Reich nach dem Vater und dem Sohn der Heilige Geist übernehmen wird, was die Rückkehr in das verlorene Paradies bedeute. Moeller, obwohl er den Unterschied zwischen mythologischen Phantasien und geschichtlicher Realität betont, weist trotzdem dem zukünftigen Deutschen Reich eine besondere Rolle zu. Mehr zur Rolle des mythischen Reiches in der deutschen Geschichte: H. Münkler, Das Reich als politische Vision, in: Macht des Mythos-Ohnmacht der Vernunft?, hrsg. von P. Kemper, Frankfurt/Main, 989. Edwin Redslob (884-973), Kunsthistoriker, Schriftsteller; 920 zum Reichskunstwart ernannt, 933 entlassen; nach dem Krieg einer der Initiatoren der Gründung der Freien Universität in West-Berlin. Über seine Funktion als Reichskunstwart und über die „Konkretisierung“ des abstrakten Begriffes des Staates im Alltag schrieb er: „Amtlich lief ein wesentlicher Teil meines Aufgabenbereiches unter der Bezeichnung ‚Formgebung des Reiches‘. Denn alles, was Form gewann: staatliche Feiern, Urkunden, Briefmarken, Banknoten, Münzen, Siegel und Stempel, musste gestaltet werden und oblag zur Zeit der Weimarer Republik dem Amt des Reichskunstwartes [...] Durch all das, was unter der Bezeichnung ‚Formgebung des Reiches‘ stand, wurde der abstrakte Begriff des Staates lebendig veranschaulicht“, in: E. Redslob, Von Weimar nach Europa, Berlin 972, S.66. Diese Erinnerung verdeutlicht die Wichtigkeit der Gestaltung der „Form“ für jedes Staatswesen.

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

„Vom Menschen aus begriff der germanische Mythos das Universum [...] Doch alles war vergessen, das Germanentum als barbarisch verachtet, dem Empfinden des deutschen Volkes entrückt [...] Bis Jacob Grimm in der deutschen Mythologie und ihrer aus dem Naturgefühl entstandenen Weltdeutung wieder das Echte und Dichterische sah, die den Deutschen eingeborene Grundlage jeder Auseinandersetzung mit den übersinnlichen Mächten“.34

935 gab Will-Erich Peuckert,35 der im faschistischen Deutschland nicht mehr unterrichten durfte, das Buch Die Brüder Grimm. Ewiges Deutschland heraus. Anhand von Ausschnitten aus den Arbeiten der Gebrüder Grimm suchte er zu beweisen, dass deren Werk in diesen „durchwühlten“ Tagen höchst aktuell sei, dass insbesondere Jakob Grimm angefangen habe, was nunmehr verwirklicht werde: „Heute diskutieren wir über die Frage, – nein, sind schon jenseits des Diskutierens, – ob deutsches Recht, wie sie es entdeckten, wieder zum deutschen Recht werden soll, sie haben mit dem, was sie begründet, ein ganzes Volk ins tiefste erschüttert. Sie gaben dem Volke seine Geschichte“.36

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E. Redslob, Geleitwort, in: J. Grimm, Deutsche Mythologie, Berlin 934, S.9 Will-Erich Peuckert (895-969), Arbeiten zum Thema Magie, Sagensammlungen, Professor in Breslau und Tübingen. 935 wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen; schrieb Romane, bis seine Publikationsmöglichkeiten 943 durch ein Rezensionsverbot der Reichskulturkammer eingeschränkt wurden; 946 Berufung auf eine Professur im Bereich Volkskunde an der Universität Göttingen. Im Buch Die grosse Wende. Das apokalyptische Saeculum und Luther (Hamburg 948), das ihm in „dunklen Zeiten“ half, zu leben, geht er auch auf die Hexenprozesse ein und befasst sich mit der Rolle der Denunziation, des Neides, der Angst vor der Verschwörung, des Kampfes der Theologen gegen Hexen als gegen Begleiterscheinungen eines Weltunterganges: „Aus einem dumpfen Gefühl, man müsse den Schuldigen treffen [...] aus einem inneren Zwang heraus, auf einen Schwächeren einzuschlagen, weil man in diesem Schlagen ein Ventil für alle aufgespeicherte Angst und Not zu haben glaubte, denn immer wirkt ja bei in die Enge getriebenen und ratlosen Menschen solches Schlagen auf den einen vermeintlichen Schuldigen irgendwie erlösend – geschahen die Hexenprozesse. Man suchte den Schuldigen für die Zeit, an der man litt, und man fand wieder einen schuldigen an den Hexern und Hexen, an diesen zu einem geheimen Bunde sich Zusammenschließenden, der ja die Unterdrückung aller guten Menschen und die Herrschaft alles Bösen will, an diesen dem Widernatürlichen unterworfenen Menschen, die an eschatologischen Freveln ihr Gefallen haben“ (ebd., S.30). Er bemerkt, dass die Hexenprozesse im ausgehenden Mittelalter oft von großen Judenverfolgungen begleitet wurden. Auch bei Luther sieht er diesen Glauben, dieses mythisch religiöse, bäuerlich gebundene Denken: „Er glaubt an Wassermänner und Wechselbälge, auch wenn er die Worte und die Vorstellungen mit dem biblischen Inhalt ‚Teufel’ füllt, wie er an Hexen und Zauberer glaubte“ (ebd., S. 549). W. E. Peuckert, Die Brüder Grimm. Ewiges Deutschland, Leipzig 935, S. 3. 133

HEXEN UND GERMANEN

Die Grimms waren für Peuckert ein Vorbild für seine bewegte Zeit. Er schätzte an ihnen die Anerkennung des Werdens, der Bewegung und die Einsicht, dass alle Dinge in ihre Zeit gehören, dass die vergangenen Ereignisse die Welt und sich selber verstehen helfen, aber außerhalb ihrer Zeit tot seien. So wie der Glaube an den biblischen Gott tot sei, der eine leere Stelle hinterlassen habe: „Aber sowenig wir ohne Luft, so wenig vermögen wir ohne Gott und ohne die andere Halte zu leben. Deswegen sind wir gezwungen ‚zu suchen’,- verdammt zum Suchen, begnadet zum Suchen.“37

Peuckert sah die Gesellschaft seiner Zeit auf der Suche nach dem Vaterland, nach dem Volk als „dem Mutterschoss“, nach einem höheren Sinn, bei der Grimms Werke behilflich sein können. 939 gab Karl Hans Strobl,38 ein österreichischer Anhänger Hitlers, Grimms Mythologie als Volksbuch heraus. Die Notwendigkeit eines solchen Volksbuches begründete er folgendermaßen: „Die Vergangenheit unseres Volkes [ist] uns heute wichtiger geworden als je zuvor. Wir haben Werte in ihr gefunden, die für unsere Gegenwart von höchster Bedeutung sind, weil sich an ihnen die Geisteshaltung des ganzen Volkes erneuert. Und so scheint die Zeit gekommen, den Schatz, den wir gerade in der Mythologie besitzen, zu heben, um ihn [...] in das lebendige Bewusstsein der Nation zurückzuführen.“39

Auf der Suche nach den Wurzeln der deutschen Nation bediente sich Strobl Grimms romantischer Verbindung zwischen Mythologie und Nationalideologie, gemäß derer Elemente der alten Kultur in der Sprache, im Brauch, in ungeschriebenen Gesetzen und in der Dichtung in unveränderter Form erhalten worden seien. Er griff auch auf Grimms Behauptung zurück, die Grundlage seiner Arbeiten sei die Vaterlandsliebe. Zwischen Grimms romantischer Verehrung für Deutschland als einer auf der gemeinsamen Sprache basierenden Volkgemeinschaft und dem rassistischen Nationalismus der Nazis gibt es zweifellos wesentliche Unterschiede.40 37 38 39 40

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Ebenda, S. 2. Karl Hans Strobl (877-946), unterstützte Anschluss Österreichs, schrieb historische Romane, u.a. Bismarck. K. H. Strobl, Jacob Grimm und seine deutsche Mythologie, in: J. Grimm, Deutsche Mythologie, Wien-Leipzig 943, S.28. Trotz dieser Unterschiede wirken manche Aussagen von Grimm radikal. Während des Germanistenkongresses in Frankfurt/Main sagte er in Erinnerung daran, dass gerade dort „das Herz der deutschen Geschichte“ oft geschlagen habe: „In solchen Räumen darf nur Deutsches und nichts Undeutsches geschehen”, in: J. Grimm, Über die wechselseitigen Beziehungen und die Verbindung

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

Gleichwohl bot Grimms Werk den Ideologen des Dritten Reiches geeignete Anknüpfungspunkte, um ihre Theorien, vor allem die der germanischen Kontinuität und der sittlichen Reinheit der Germanen, zu legitimieren. Für die vorliegende Arbeit sind nicht alle Aspekte der Vision der alten deutschen Welt, die in der Deutschen Mythologie beschrieben sind, von Belang. Von Bedeutung ist Grimms Interpretation der Rolle der Hexenprozesse bei der Konstruktion des germanischen Mythos. Im Folgenden soll vor allem seiner Vorstellung von Weiblichkeit und seinen Bemühungen um eine deutsche Identität nachgegangen werden.

Deutsche Mythen und Christentum in der Gestaltung der Volksund Geschichtsvision Jacob Grimm hebt hervor, sich in seinen Untersuchungen teilweise auf „geschriebene denkmäler“ zu konzentrieren, teilweise auf den „nie stillstehenden fluss lebendiger sitte und sage. jene können hoch hinauf reichen, zeigen sich aber bröckelhaft und abgerissen, während noch heutige volkslieferung an faden hängt, wodurch sie zuletzt unmittelbar mit dem alterthum verknüpft wird“.4 Er versichert mehrmals, nur ein Sammler der erhaltenen Zeugnisse einer Tradition zu sein und nicht vorzuhaben, auf den Ruinen der Vergangenheit ein mythologisches System zu gründen: „Vor der Verirrung, die so häufig dem Studium der nordischen und griechischen mythologie Eintrag gethan hat, ich meine die Sucht, über halbaufgedeckte historische daten philosophische oder astronomische Deutungen zu ergießen, schützt mich schon die unvollständigkeit und der lose zusammenhang des rettbaren“.42

Grimm betont den Empirismus und die induktive Methode seiner Forschung und hebt, um deren Objektivität zu unterstreichen, ihre Nähe zu den Naturwissenschaften hervor.43 Der fragmentarische Charakter der Quellen verführt ihn jedoch nicht selten zu Spekulationen, bewegt ihn dazu, die Lücken in den kargen Überlieferungen der deutschen Mythen durch Elemente anderer Mythologien zu ergänzen und mitunter die angeblich heidnischen Elemente in mittelalterlichen Texten zu suchen. Hinter seinem Interesse an der Sprache und deren Kraft, am Mythus und am germanischen Recht steht eine bestimmte Vision der Zukunft des deutschen Volkes, die Idee der Festigung seiner

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der drei in der Versammlung vertretenen Wissenschaften, in: J. Grimm, Kleinere Schriften, t. 4, Berlin 884, S. 563. DM, Vorrede, IX. DM, Die Einleitung, S.0. Vgl.: J. Grimm, Über den Ursprung der Sprache, Berlin 85, S. 3. 135

HEXEN UND GERMANEN

Identität.44 In der Vorrede zum Deutschen Wörterbuch formuliert Grimm ein Bekenntnis, das er in variierender Form mehrmals wiederholt: Seine Forschung solle seiner „erstarkten Liebe zum Vaterland und untilgbaren Begierde nach seiner festeren Einigung“ Ausdruck verleihen. Grimms Theorien stützen sich auf einen utopischen und später von rassistischen Ideologen missbrauchten Glauben an das deutsche Volk, das für ihn eine Erinnerungsquelle und den Träger der alten Werte darstellt. Die Mythen, die im Volk überleben, versteht Grimm als eine Form des poetischen Erinnerns. In der Deutschen Mythologie versucht Grimm, auch wenn er das nicht zugibt, ein Religionssystem zu konstruieren, das heißt, sowohl sprachlich formulierte Religionsvorstellungen der „alten Deutschen“ als auch Kultformen und deren gemeinschaftsstiftende Funktionen zu beschreiben. Die bhnlichkeit dieses Vorhabens mit anderen Mythologien, die die Entstehung des Lebens, die Götterwelt und ihre Hierarchien, Gesetze, die der Mensch zu beachten hat, berücksichtigen, ist unübersehbar. Dem Kapitel über den höchsten Gott folgen Schilderungen der religiösen Zeremonien, Feste, Tempel und Priester, der Götter und Göttinnen, der Verbindungen zwischen ihnen. Grimm schreibt über Helden, Elfen, Riesen, weise Frauen, erzählt von der Erschaffung der Welt, Elemente, über die Bedeutung der Bäume und Tiere, über Himmel und Sterne, Tag und Nacht, Winter und Sommer, Zeit und Welt, Seelen und den Tod, Schicksal, Dichtung, Gespenster, Zauberei und Aberglauben, Teufel, Krankheiten, Zauber- und Segensprüche. Grimms Betonung der Liebe zum Volk als einer Kultur- und Sprachgemeinschaft, seine Sakralisierung des Vaterlandes sowie die Überzeugung von der „Reinheit“ und „Erhabenheit“ der Tradition könnte man als einen Versuch ansehen, der Fragmentierung und politischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands nach den Napoleonkriegen und dem Zerfall des Deutschen Reiches etwas entgegenzusetzen. Sein politisches Engagement scheint diese These zu bekräftigen.45 Es ging ihm jedoch nicht um eine utopische Rückkehr in die „goldene Zeit“. Grimm sieht die ursprüngliche Sinnlichkeit der deutschen Kultur in Abstraktion verwandelt, durch das Christentum dämonisiert und zerstört. Es sei keine Rückkehr möglich, man könne alte Zustände nie wieder beleben, sie gehörten zu der Zeit, die endgültig vergangen sei. Gleichwohl 44 45

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Vgl.: B. Kellner, Grimms Mythen. Studien zum Mythosbegriff und seiner Anwendung in Jacob Grimms Deutscher Mythologie, Frankfurt/M 994. Grimm nahm als Legationssekretär am Wiener Kongress teil, wo er die Rückgabe der geraubten deutschen Handschriften forderte. Im Rahmen des Protestes der Göttinger Sieben wandte er sich gegen die Aufhebung der Verfassung durch den König von Hannover und verlor seine Professur; er setzte sich für einen kleindeutschen Staat unter Führung Preußens ein. Friedrich Wilhelm IV berief kurz nach seiner Thronbesteigung beide Brüder an die Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin. Vgl.: Werner Ogris, Jacob Grimm. Ein politisches Gelehrtenleben, Graz 990.

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scheint Grimm daran zu glauben, dass ein neues Bewusstsein, das auf dem Wissen über die Vergangenheit gründet, neue politische Wege öffnen könnte. Er ist von der Notwendigkeit überzeugt, alle Zeugnisse der alten deutschen Kultur zu sammeln, weil man über sie zu den mythischen Anfängen gelangen kann: „Die völker hängen und halten fest am hergebrachten, wir werden ihre überlieferung, ihren aberglauben niemals fassen, wenn wir ihm nicht ein bett noch auf heidnischem grund und boden unterbreiten.“46

Auf dem ersten Germanistenkongress, der im September 846 in Frankfurt am Main stattfand und auf dem erstmals die Germanistik als Summe der Forschung zum deutschen Recht, der deutschen Geschichte, Literatur und Sprache definiert wurde, betonte Grimm: „Unsere Vorfahren sind Deutsche gewesen, ehe sie zum Christentum bekehrt wurden; es ist ein älterer zustand von dem wir ausgehen müssen, der uns untereinander als Deutsche wie ein band vereint hat, das durch die scheidung der katholiken und protestanten nicht zerrisen werden kann“.47

Der Glaube an die Einheit der Sprache, der Religion und der Geschichte, an das Reine und Edle im Volk wird historisiert, als Vorbild aus einer entfernten Zeit ausgemacht. Das goldene Zeitalter der germanischen Kultur sollen Worte wie Objektivismus, Kollektivismus, Unschuld, Naivität, Reinheit, Wahrheit, Ursprünglichkeit charakterisieren. Grimms romantischer Historismus bedingt,48 dass er in der Vergangenheit poetisch verklärte Bilder sucht,49 die 46 47

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DM, Vorrede, S.VI. J. Grimm, Über die Wechselseitigen Beziehungen und die Verbindung der drei in der Versammlung vertretenen Wissenschaften, in: J. Grimm, Kleinere Schriften, Bd. 4, Berlin 884, S.562. Der zweite Kongress fand 847 in Lübeck statt. Die Betonung des Volkes und der Glaube an das Fortdauern des Mythos in den Volksbräuchen spielten eine wichtige Rolle in Herders Historiosophie (J.G. Herder, Von bhnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtung, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von B. Suphan. Bd. 9. Berlin 893, S. 522535). Auch die Idee des Volksgeistes und der Verunstaltung des Nationalcharakters durch das Christentum findet man bei Herder (J.G. Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität. Zehnte Sammlung, in: ders, a.a.O., Bd 7). Die Grimmsche Unterscheidung von Natur- und Kunstdichtung findet ihre Parallele in der naiven und sentimentalen Dichtung bei Schiller (F. Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, Weimar 987, S. 43-503). Die Urzeit und die Suche nach dem Ursprung aller Kulturen und Mythen sind Bestandteile der romantischen historiosophischen Konzeptionen, vgl.: Görres, Mythengeschichte der asiatischen Welt, Köln 935. Auch die polnische Romantik war auf der Suche nach der „verdrängten“ 137

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mehr als nur die Vergangenheit näher bringen sollen – nämlich die Zukunft gestalten. Die religiösen Vorstellungen der Ahnen seien, wenn auch unvollkommen, „fröhlich und wunderbar“ gewesen, und Grimm zeigt sich überzeugt, dass „siegesfreude und todesverachtung ihr leben beseeligten und aufrichteten, daß ihrer natur und anlage fern stand jenes dumpfbrütende niederfallen vor götzen oder klötzen“.50 Das Pantheon der germanischen Götter wird zu einer Lobeshymne auf die germanischen Tugenden, die unter dem Einfluss von Tacitus und seiner Germania steht, auf die sich Grimm oft beruft.

Exkurs Die deutsche Geschichtsschreibung des 9. Jahrhunderts war u.a. durch eine ausgeprägte Faszination für die alten Germanen sowie Träume von einem großgermanischen Reich gekennzeichnet, die sich großen Teils an Tacitus Germania festmachten, welche im 5. Jahrhundert entdeckt worden war.5

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Mythologie. Zorian DoáĊga Chodakowski behauptete in der Abhandlung O SáawiaĔszczyĨnie przed chrzeĞcijaĔstwem (Warszawa 967) (88, Über das Slawentum vor dem Christentum), dass in den mündlichen Überlieferungen des Volkes, in seinem Brauchtum, Elemente einer alten slawischen Kultur erhalten geblieben sind, die durch das Christentum und eine der slawischen Mentalität fremde gesellschaftliche und kulturelle Struktur zerstört wurde. Diese Elemente sollten aufgezeigt werden und die Grundlage der weiteren Entwicklung der nationalen Kultur bilden. Über die Idee, das vergessene „Slawische“ in Polen als Ausgangspunkt für die Erschaffung einer offenen, das Fremde nicht ausschließenden, den Ausdruck der individuellen Erfahrung ermöglichenden Kultur zu benutzen, als Gegensatz zu den heruntergekommenen, reduzierten, durch Massenkultur gefilterten Mythen der polnischen Romantik, schrieb M. Janion in Niesamowita SáowiaĔszczyzna. Fantazmaty literatury (Kraków 2006/ Das unheimliche Slawentum. Phantasmen der Literatur). Erst solche Kultur würde den Romantikern und ihrer Öffnung auf die Andersartigkeit gerecht. Jan Patocka schreibt misstrauisch in seinem Essay Romantismus, Romantik, romantisch: „Ebenso stellt der romantische Historismus als eine Erscheinungsweise der Nostalgie eine Stimmung dar, der es nicht um die Wirklichkeit des Vergangenen geht, sondern vielmehr um seine poetisch verklärte Gestalt, die für das von bunten Trachten angetane Auge der Phantasie stilisiert ist. bhnlich verhält es sich auch mit der Wendung zur Volkstümlichkeit, zur Substanz des Volkes, zu Märchen, Volkslied und Sprichwort, zu alten Volks- und Nationalrecht (die Gebrüder Grimm fanden ‚Poetisches‘ auch in magischen Praktiken, wie das Zerpflügen eines Deliquenten, der sich ein Stück fremden Feldes angeeignet hatte, dies geschah jedoch nicht unter dem Gesichtspunkt der Realität jener Zeit, die hier den Gegenstand darstellt, sondern vom Gesichtspunkt des modernen bstheten aus)“, in: J. Patocka, Kunst und Zeit, Wien 987, S. 94. DM,Vorrede, S. X. Vgl.: A. A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus, Heidelberg 995. Als Beispiel für diese große „Germanomanie“ nennt Lund die Errichtung des 27 Meter hohen Monumentes (Hermannsdenkmal – 875) auf dem Teut-

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Diese Faszination hielt mindestens bis 945 an. Da es kaum schriftliche Zeugnisse der alten germanischen Welt gab, bildete die Germania für die an diesem Diskurs beteiligten Germanisten, Archäologen und Rechtshistoriker eine zentrale historische Quelle und ein glaubwürdiges Zeugnis der germanischen Frühgeschichte.52 Ohne diese Schrift wäre das Konzept des Germanentums kaum aufrecht zu erhalten gewesen. Jacob Grimm gab die Übersetzung von Tacitus heraus und verteidigte seine Glaubwürdigkeit: „durch eines Römers unsterbliche schrift war ein morgenroth in die geschichte Deutschlands gestellt worden, um das uns andere völker zu beneiden haben; nicht genug dass man die echtheit des buchs (als wäre das gesamte mittelalter solcher hervorbringungen fähig gewesen) verdächtigte, wurden seine aus edler wahrheitsliebe entsprungnen meldungen heruntergezogen und die unsern vorfahren darin beigelegten götter aus aufgedrungnen römischen vorstellungen hergeleitet“.53

Für die völkische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Germania zu einer Art Offenbarung, die „unsere Vergangenheit aufhellt, die Gegenwart erklärt und die Zukunft entschleiert“.54 Viele Eigenschaften, die Tacitus den Germanen zuschreibt, wurden zu einem stereotypen und nicht mehr hinterfragten Katalog germanischer Tugenden verklärt – Sippengefühl, Treue, Ehre, Gefolgschaft, Verehrung der Frau. Die Vielfalt der Lesearten und „Verwertungen“ der Germania erinnern an die Vielfalt der Hexenprozess-Deutungen. Männliche nationalsozialistische Forscher fanden hier Zeugnisse für germanische Ehre, Treue und Kampfgeist und wichtige Argumente

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berg bei Detmold zum Andenken an den Cheruskerfürsten Arminius und die sog. Schlacht im Teutoburger Wald, in der germanische Stämme unter Führung von Arminius (zu deutsch: Hermann, Armin oder auch Irmin) den römischen Legionen im Jahre 9 n. Chr. eine entscheidende Niederlage beibrachten. War das Denkmal ursprünglich als Mahnmal für die deutsche Einheit projektiert worden, entwickelte sich der Ort immer mehr zu einem Symbol der Ausgrenzung vermeintlicher „Reichsfeinde“ (z.B. Roms oder der SPD). In der Phase bis 98 wurde das Denkmal in seiner Symbolik zudem immer stärker von der politischen Rechten besetzt. 893 tagten dort Vertreter von antisemitischen Parteien. Dann entdeckten auch völkische Gruppierungen, später auch die NSDAP, das „germanische“ Denkmal für sich. Ein anderes Beispiel ist die Gedenkstätte Walhalla in Donaustauf, in der seit 842 bedeutende Deutsche sowie mit der Geschichte Deutschlands und der germanischen Völker verbundene Persönlichkeiten durch Marmorbüsten und Gedenktafeln geehrt werden. Benannt ist sie nach Walhall, der Wohnstatt der gefallenen Krieger in der germanischen Mythologie. Vgl.: E. Picard, Germanisches Sakralkönigtum?, Heidelberg 99. DM, Vorrede, S.VI. Cornelius Tacitus Germanien. Herkunft, Heimat, Verwandtschaft und Sitten seiner Völker, neu übersetzt und herausgegeben von L. Wilser, Steglitz 96, S. VII. 139

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für die Kontinuitätstheorie. Nationalsozialistisch gesinnte Frauen griffen auf Tacitus zurück, um das Bild der „Keuschheit“, „Sittlichkeit“ und „Rassenreinheit“ der Germanen zu „belegen“ und die Gleichstellung der Frau zu fordern.55 Auch Gegner des Neuheidentums und der Glorifizierung der Germanen bezogen sich auf Tacitus. So zitierte beispielsweise Michael Kardinal von Faulhaber, Erzbischof von München, in seiner Silvesterpredigt 933 aus der Germania, um den Nachweis zu führen, dass die Germanen, die Himmler und Rosenberg als Ideal galten, kulturlose Barbaren waren, die Menschenopfer darbrachten, Aberglauben hegten, faul und trunksüchtig waren.56 Als der Latinist Eduard Norden in seinem Werk Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania (920) die These aufstellte, dass die Germania auf literarischen Wandermotiven und Klischees aufgebaut sei, und dass Gefolgschaft, Treue und andere angeblich germanische Tugenden eher mit keltischer Tradition zusammenhingen, löste dies heftige Polemiken aus. Bereits 92 sah sich Norden gezwungen, zu erklären, dass seine Schlussfolgerungen die historische Glaubwürdigkeit der Germania nicht beeinträchtigten. Nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze wurde er als Jude eingestuft und ging in die Schweiz ins Exil.57 Norden hat jedoch Nachfolger gefunden: Zahlreiche Autoren nach ihm betonten den Kunstwerkcharakter der Germania und wiesen auf ethnographische Motive und Literarisierung hin.58 Tacitus beschreibe die Germanen als Ethnograph, als Fremder, der sein Objekt von außen betrachtet. Sein Bericht unterscheide sich nicht von völkerkundlichen Beschreibungen, die Europäer von „unzivilisierten“ Völkern geliefert haben. Auch er suche bei den „Barbaren“ das, was er in der eigenen Kultur vermisste; in der Beschreibung der germanischen Tugenden habe er der eigenen Sehnsucht nach der verlorenen Reinheit der römischen Sitten Ausdruck verliehen, die eheliche Reinheit und die Tugenden der Germanen dem sittlichen Verfall der Römer entgegen gestellt. Die Beschreibung der germanischen Welt wirke wie ein Spiegel, den er dem eigenen Volk hinhält.59 Die Welt der Barbaren bilde eine Sphäre, die nicht der Macht des Imperiums unterworfen sei, einen Raum der Freiheit mit stimmiger Lebensordnung. Sie sei vor allem als eine Gegenwelt für Tacitus Überlegungen zu Rom wichtig.

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Vgl. A. A. Lund, Germanenideologie, a.a.O.; Im Archiv des Hexensonderauftrags gibt es von Frauen geschriebene Artikel, in denen Tacitus oft zitiert wird. ebenda Vgl. A. A. Lund, Germanenideologien, a.a.O., S. 35f. Vgl.: Ch. B. Krebs, Negotiatio Germaniae. Tacitus' Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel, Göttingen 2005. P. Cornelius Tacitus, Germania, hrsg. und interpretiert von A.A. Lund, Heidelberg 988.

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Trotz dieser Vorbehalte ist die Anziehungskraft der Germania nach wie vor groß. Bis heute zitieren völkische und neuheidnische Internetseiten Tacitus als eine historische Quelle.60 *** Für Grimm bildet die unwiderruflich verlorene Vergangenheit eine vorbildhafte Gemeinschaft, die noch Größe hatte, auch wenn sie späteren Generationen fremd oder zu streng erschien: „der Grund der germanischen persönlichen Rechte [ist] nicht Freiheitsliebe und Humanität gewesen, sondern eine dem ganzen Volk inwohnende Notwendigkeit, also, könnte man sagen, eine unbewusste, im großen wirkende Humanität, keine die im einzelnen so erscheinen will, sondern sich auch vielleicht roh und rauh darstellt“.6

Die Gesetze eines solchen Volkes, in dem das Wohl der durch den Mythus vereinten Gemeinschaft über dem Wohl des Einzelnen steht, seien die denkbar besten Gesetze, man dürfe sie nicht in Zweifel ziehen. In der Vorrede zu der Schrift Deutsche Rechtsalterthümer (828) verteidigt Grimm die alten Deutschen gegen Vorwürfe der Grausamkeit und lobt ihre Reinheit, Milde und Tugend. Ein Zugang zu dieser Vergangenheit sei nur durch das Sammeln der Relikte des alten Rechtes, der Sprache, der Literatur, der Mythen, des Glaubens und der Volkslieder möglich. In Grimms Geschichtskonzept ist das Germanentum „ursprünglich“ und damit „wahr“. Eine Chance auf neue Größe sieht er nur, wenn die Deutschen dazu fähig sein werden, die Gesetze des ver-

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Auf der Internetseite asatru.de wird Tacitus erwähnt, wenn es um „Beweise des germanischen Geistesgutes“ geht (Germania sei durch Rom zensiert worden) und man „die von der Kirche kontrollierte Geschichtsüberlieferung“ korrigieren will. Die Seite gehört der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V., einer 95 gegründeten deutschen neuheidnischen Glaubensgemeinschaft. Hauptfunktionär der Artgemeinschaft ist der rechtsextreme Anwalt und NPD-Aktivist Jürgen Rieger, mehrmals wegen politisch motivierter Taten vorbestraft. Vgl.: http://fhh.hamburg.de/stadt/ Aktuell/behoerden/inneres/landesamt-fuer-verfassungsschutz/publikationen/pdfbibliothek/vsb2005-pdf,property=source.pdf, S. 22. Mit Asatru bezeichnet man heute verschiedene Ausprägungen des nordisch-germanischen Neuheidentums, die Edda sind für diese Glaubensbewgung die wichtigsten Quellen in Bezug auf die germanische Mythologie. 972 wurde die Ásatrú in Island als offzelle Religion anerkannt. http://asatru.de/nordzeit/index.php?option=com_ content&task=view&id=355&Itemid=3, (8.09.2007).Auch die Germanische Glaubensgemeinschaft beruft sich auf Tacitus(http://www.germanischeglaubens-gemeinschaft.de/germanen-glaube.htm). J. Grimm an Savigny, 8..86, ed. Schoof, 953, S. 25. 141

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einten Deutschland auf dieser Tradition aufzubauen, ihre Verwurzelung im Volk anzuerkennen. So könnte das neue Deutschland an der mythischen Vergangenheit teilnehmen: „Vielleicht werden meine bücher in einer stillen, frohen zeit, die auch wiederkehren wird, mehr vermögen, sie sollten aber schon der Gegenwart gehören, die ich mir nicht denken kann, ohne daß unsere vergangenheit auf sie zurückstrahlte, und an der die zukunft jede geringschätzung der vorzeit rächen würde“.62

Grimms Vorhaben, die deutsche Mythologie zu konstruieren, und seine Suche nach den Elementen, die es erlauben würden, von einer pangermanischen Mythologie zu sprechen, stießen im Dritten Reich auf großes Interesse. Das betraf insbesondere solche Passagen, in denen von der Zerstörung der deutschen Kultur durch das Christentum die Rede ist. Grimm bietet zwar Anknüpfungspunkte für eine solche Deutung seines Werkes, doch nur, wenn man ihn selektiv liest und die Widersprüche seines Denkens, insbesondere die Ambivalenz seiner Sicht auf die Beziehung zwischen Heidentum und Christentum ausblendet. Zwar kritisiert Grimm das Christentum wegen der Zerstörung der deutschen Kultur: „Das christentum war nicht volksmäßig. Es kam aus der fremde, und wollte althergebrachte einheimische götter verdrängen, die das land ehrte und liebte. Diese Götter und ihr dienst hingen zusammen mit überlieferungen, verfassung und gebräuchen des volks“.63 Doch er lehnt das Christentum nie ab. Eine eindeutige Apologie des Heidentums ist in der Deutschen Mythologie nicht zu finden. Grimm betont, dass die künstlich ins Leben gerufene Vergangenheit nicht zeitgemäß ist und lächerlich wirkt,64 dass jede Epoche ihre eigenen Formen sucht. Das von ihm „rekonstruierte“ System des deutschen Glaubens, das man eigentlich auf christliche Inspirationen überprüfen sollte, beginnt mit Überlegungen über einen Gott, es spricht dem Monotheismus das Wort: „Unter allen formen ist monotheistische, wie der vernunft die angemessenste, der gottheit die würdigste. Auch scheint sie die ursprüngliche, aus deren schoss dem kindlichen alterthum leicht sich vielgötterei entwand, indem des einen gottes erhabenste eigenschaften erst trilogisch, hernach zur dodecalogie gefasst wurden“.65

Der Monotheismus liege nicht nur jeder Religion zugrunde, sondern sei auch ihre letzte Form: „Vielgöterrei ist, bedünkt mich, fast überall in bewußtloser 62 63 64 65 142

DM, XLI. DM 3. Solcher Lächerlichkeit hat sich später z.B. Himmler mehrmals mit seinen Ideen der Widerbelebung des Germanentums preisgegeben. DM XXXVIII.

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unschuld entsprungen: sie hat etwas weiches, dem gemüt zusagendes, sie wird aber, wo der geist sich sammelt, zum monotheismus, von welchem sie ausging, zurückkehren“.66 Auch die folgende Aussage, die das Christentum als einen Fortschritt in der Menschheitsentwicklung charakterisiert und von den nationalsozialistischen Ideologen nicht zitiert wurde, unterstreicht diese Auffassung: „Der sieg des christentums war der einer milden, einfachen, geistigen lehre über das sinnliche, grausame, verwildernde heidenthum.“67

Trotz seiner Kritik am Christentum wegen der Verdrängung der alten deutschen Religion und Bräuche sieht Grimm auch die selbstzerstörerischen Züge der Germanen und die Degenerationsprozesse in der Spätphase der heidnischen Welt, die Tendenz zum Untergang. Obwohl er auf diese alte Welt stolz ist und überzeugt von der Notwendigkeit, sie dem Vergessen zu entreißen, findet er ihr Ende unvermeidbar: „allein ist die gesinnung tadellos, welche uns ihrer beraubt hat. an der reinen übung des christentums, an der tilgung aller heidnischen spuren war unendlich mehr gelegen, als an dem vortheil, der später einmal, wären sie länger stehen geblieben, für die geschichte hätte aus ihnen hervorgehen können“.68

Das Schöne, Poetische, auch das Gemeinschaftsstiftende der deutschen Mythologie ist für Grimm ein unbestreitbarer Wert, aber diese alte Welt musste einer höheren Stufe der Entwicklung Platz machen: „ich vergleiche das heidentum einer seltsamen pflanze, deren farbige, duftende blüte wir mit verwunderung betrachten, das christentum der weite strecken einnehmenden aussaat des nährenden getreides. auch den heiden keimte der wahre gott, der den christen zur frucht erwuchs“.69

Der Katholizismus, der sich mit der Zeit viele heidnische Züge angeeignet habe, ist, so Grimm, auch nicht das letzte Wort der Geschichte. So wie die Bekehrer gegen die Abgötterei kämpften, als sie die heiligen Eichen fällten, so handelten auch die bilderstürmenden Reformatoren der Kirche. Und sie setzten die höhere Entwicklung der deutschen, staatsgebundenen Religion fort:

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DM XXXIX. DM 4. DM, Einleitung, S. 5. Ebenda, S. 6. 143

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„Wie jene ihre erste tenne fegten, ist anzuerkennen, dass die reformation die nachwüchse des heidenthums ausrottete, und die last des römischen bannes lösend unseren glauben zugleich freier, innerlicher und heimischer werden liess“.70

Die Ideologen des Dritten Reiches haben aus Grimms Gedankengang nur die Idee der Kontinuität der germanischen Kultur übernommen, die sich unter der christlichen Oberfläche im konservativen Volksgeist bewahrt habe, und den „kulturfremden“ Elementen den Kampf erklärt.7 Dass Grimm die mythischen Vorstellungen immer in Verbindung mit der christlichen Religion der Deutschen dargestellt hat, ignorierten sie. Nach Grimm sollte die Mythologisierung Sinnlichkeit in die Philosophie und die Politik bringen, im Dritten Reich wurden dagegen die Politik mythologisiert und die Sinnlichkeit durch Gewalt ersetzt.

Die weise Weiblichkeit als Quelle der Saga Die Funktionen der Weiblichkeit und der Männlichkeit bilden einen wichtigen Teil jeder Mythologie, eine Festlegung der Geschlechtsrollen scheint für jede mythologische und politische Ordnung notwendig zu sein.72 Auch Grimm geht auf dieses Thema an vielen Stellen ein. Er beschreibt die Rollen der Geschlechter in der deutschen Mythologie und stellt fest, dass die Frauen dort nicht marginalisiert wurden, obwohl bei den alten Deutschen die Spindel „keinen Anspruch auf Unsterblichkeit“ begründete. 73 Die Bestätigung der von Tacitus besungenen hohen Position der Frauen bei den Germanen findet 70

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Ebenda, S. 5. Vgl.: „Er hat seine Worfelschaufel in der Hand; er wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in der Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit unauslöschlichen Feuer”, Matthäus 3, 2. Zu den Anhängern der Kontinuitätstheorie gehörten z.B. Otto Höfler und die Wiener Schule, aus der Höfler stammte. Soldan kritisierte diese Theorie. In der Mitte des 20. Jh. wurde sie in Frage gestellt als ein Konstrukt, in dem zwischen der Kontinuität und den Formen der bewusst gestalteten Renaissance der Brauchtumspflege nicht unterschieden wurde. Vgl.: Hermann. Bausinger, Zur Algebra der Kontinuität (s. 9-30), Bernward Deneke, Zur Tradition der mythologischen Kontinuitätsprämisse. Fragestellungen des 7. und 8. Jahrhunderts bei Jacob Grimm (s.47-56), Lutz Röhrich, Das Kontinuitätsproblem bei der Erforschung der Volksprosa (s.7- 33), in: Kontinuität? Geschichtlichkeit und Dauer als volkskundliches Problem, hrsg. von H. Bausinger, Berlin 969. Diese Autoren betonen die Notwendigkeit, zwischen Kontinuität und der Reaktivierung der Tradition zu unterscheiden. Grimms Kritik bezog sich auf die mangelhafte Quellentreue und die In-Frage-Stellung seiner angeblich objektiven, positivistischen Forschungsmethode. Bei jeder Wende in der Politik werden „Frauenfragen“ thematisiert: Abtreibung, Gleichberechtigung, Wahlrecht, Verhütung usw. So begannen nach 989 in Polen viele Regierungen ihre Amtszeit mit der Abtreibungs-Diskussion. DM, S. 328.

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

Grimm in den alten Gesetzen, Volksliedern, im Minnesang.74 Der Mann und die Frau seien nach der Edda gleichzeitig entstanden,75 und die Frauen genossen eine spezielle Hochachtung: „Nach deutscher ansicht scheinen aussprüche des schicksals im munde der frauen größere heiligkeit zu erlangen, weissagung und zauber in gutem wie bösem sinn sind vorzugsweise gabe der frauen, und vielleicht hängt damit noch zusammen, dass die sprache tugenden und laster durch frauen allegorisiert. Wenn es in der natur des menschen überhaupt gelegen ist, dem weiblichen geschlecht eine höhere scheu und ehrfurcht zu beweisen, so war sie den deutschen völkern von jeher besonders eingeprägt. Männer verdienen durch ihre thaten, frauen durch ihre weisheit vergötterung“.76

Grimm ist überzeugt davon, dass im Vergleich zu anderen Kulturen die Frau in der germanischen Kultur eine besondere Position innehatte, weil sie als Vertreterin der Vorsehung verehrt wurde, als Medium, durch das die Götter redeten. Ihre Weisheit habe ihre Quellen im Kontakt mit übernatürlichen Kräften. Ihre Bedeutung und Aktivität siedelt Grimm auf der mythischreligiösen und häuslichen Ebene an. Nicht die Tat sei den Frauen eigen, sondern die Einwirkung auf die Welt mit Hilfe der Magie. Die Rollenteilung der sterblichen Geschlechter gilt auch bei den Gottheiten:

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„Schon manche wankende und sich auflösende Schlachtreihe wurde, wie es heißt, von den Frauen wieder zum Stehen gebracht: durch beharrliches Flehen, durch Entgegenhalten der entblößten Brust und den Hinweis auf die nahe Gefangenschaft, die den Germanen um ihrer Frauen willen weit unerträglicher und schrecklicher dünkt. Aus diesem Grunde kann man einen Stamm noch wirksamer binden, wenn man unter den Geiseln auch vornehme Mädchen von ihm fordert. Die Germanen glauben sogar, den Frauen wohne etwas Heiliges und Seherisches inne; deshalb achten sie auf ihren Rat und hören auf ihren Bescheid. Wir haben es ja zur Zeit des verewigten Vespasian erlebt, wie Veleda lange Zeit bei vielen als göttliches Wesen galt. Doch schon vor Zeiten haben sie Albruna und mehrere andere Frauen verehrt, aber nicht aus Unterwürfigkeit und als ob sie erst Göttinnen aus ihnen machen müssten“, Tacitus, Germania, a.a.O., S. 34. Ask und Embla waren nach der nordischen Mythologie das erste Menschenpaar. Odin, Hoenir und Lodur, drei göttliche Brüder, fanden am Strand zwei Hölzer, Esche und Ulme. Den Hölzern verliehen die Götter die menschlichen Eigenschaften. Odin gab ihnen Seele, Hönir gab ihnen Sinn (Verstand), Lodur – Blut, Sprache und Gehör. Ask und Embla sind der Edda zufolge die Stammeltern des Menschengeschlechts in Midgard. DM, S. 329. 145

HEXEN UND GERMANEN

„der gott ist herr, die göttin leuchtend von schönheit, beide ziehen um und erscheinen im land, er den krieg und die waffen, sie spinnen, weben, säen lehrend, von ihm geht das gedicht, von ihr die sage aus“.77

Grimms Göttinnen beschützen den Herd, die Sittlichkeit, bringen dem Menschen die Arbeit bei, sind die Mütter der Götter. Sie, von denen die Sage ausgeht, beschützen auch die liturgische Sphäre und gewährleisten die Übermittlung der Bräuche. Weil sie in ihren Rollen zwar nicht gleich, aber vom Wesen her ähnlich seien, hält Grimm es nicht für notwendig, die einzelnen Göttinnen in jeweils gesonderten Kapiteln zu beschreiben. Sie sind die Verkörperungen der einen Idee, sie verschwimmen im allgemeinen Begriff der mildernden und mit den Geheimnissen des Lebens und Todes vertrauten Weiblichkeit. Grimm behauptet, dass sogar die Göttin der Unterwelt, Hel, ursprünglich diese Milde besaß und erst mit der Zeit schrecklich und Furcht erregend geworden ist. Die männlichen Gottheiten sind für den Krieg und heldenhafte Taten zuständig. Der Gott ist ein Vater, der nach dem Tode die Helden, aber nur die Helden, empfängt: Der „höchste gott ist ihm [dem Heiden] ein Vater [...] der lebenden heil und sieg, sterbenden aufnahme in seine Wohnung gewährt. tod ist heimgang, rückkehr zum vater“.78 Die normalen Sterblichen scheinen zu den Göttinnen zu gelangen: „Rân empfängt die zu wasser, Hel die auf dem lande gestorbenen seelen, Freyja die in der Schlacht gefallenen“.79 Ungeachtet der germanischen Hochachtung für die Frau stehen männliche Götter in der göttlichen Hierarchie am höchsten. Genauer – der eine Gott, denn eigentlich sind die männlichen Götter nur Erscheinungsbilder des einen Gottes: „Der monotheismus ist etwas so nothwendiges und wesentliches, daß fast alle Heiden in ihrer götter buntem gewimmel, bewußt oder unbewußt, darauf ausgehn einen obersten gott anzuerkennen, der schon die eigenschaften aller übrigen in sich trägt, so daß diese nur als seine ausflüße, verjüngungen und erfrischungen zu betrachten sind“.80

Die Frauen dominieren unter den Halbgöttern. Sie werden verehrt als Vermittlerinnen zwischen den Göttern und den Menschen. Diese Rolle des Weiblichen hebt Grimm als eine germanische Besonderfheit hervor, insofern sie in vielen anderen Religionen männlich dominiert sei. Im Christentum und im Judentum verkünden Propheten und Engel den Sterblichen die Botschaften Gottes. Die besondere Rolle der Muttergottes und der weiblichen Heiligen im

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DM, S. XXXVI. DM, S. XXXVI. DM, S. 259. DM, S. 36.

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Katholizismus, die im Protestantismus wieder beschränkt wurde, schreibt Grimm der Nachwirkung heidnischer Religionen zu: „Der gesamte, weder in der heiligen schrift begründete noch von den ersten jahrhunderten anerkannte Mariencultus ist nur aus den tiefen Wurzeln zu erklären, die im volk schöne und schuldlose, aber heidnische anschauungen geschlagen hatten, mit denen auch die kirche allgemach eine feiner ausgeklügelte, in zehlreichen legenden und predigten versponnene feierlichere andacht zusammen fliessen liess“.8

Wenn Grimm über die Frauen schreibt, benutzt er die Sprache des Kultes, der Fremdheit, aber einer Fremdheit, die nicht dämonisch ist, sondern der Gemeinschaft dient. Eine „wehrlose [Frau] empfängt Schutz und Heiligung“,82 die Ehrung der Frauen sei der göttlichen gleichgestellt.83 Die Frauen, als Teilhabende an der göttlichen Wirklichkeit, seien geheimnisvoll und neigten zum Schlafwandeln. Die bösen Gefühle seien männlich personifiziert (Neid, Zorn, Hass), die Tugenden weiblich (Ehre, Treue, Wahrheit, Minne). Für Geschichten, Sagen, Mythen, Märchen und Runen sei eine weibliche Gottheit zuständig – Saga, die in ihrer Höhle aus goldenen Schalen alte Weisheit trinke: „Saga kann nichts anderes sein als sage und erzählung, die personificierte, göttlich gedachte maere“.84

Vermutlich dieser Gestalt hat Grimm seine Vorstellung von der besonderen Weisheit der Frauen und ihrer Muße entnommen, die sowohl zum Erzählen – er erwähnt, dass auch sterbliche Frauen beim Spinnen singen und Märchen erzählen – als auch zum Zaubern nötig sei. Bei der Aufzählung der weiblichen Namen, die in die Volkssage Eingang gefunden haben, stellt Grimm fest: „fast alle benennungen weiblicher gottheiten sind noch durchsichtig, sie haben gegen die der männlichen gehalten etwas unschuldiges, unverletzbares und scheinen auch darum geschont oder geduldet zu werden“.85

Der Frau werden die Werte der Innerlichkeit, die Rolle der Vermittlerin und der Beschützerin der Rechte und Traditionen zugeschrieben, dem Mann das Handeln nach außen, die Verantwortung für den Lauf der Geschichte. In die-

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DM, Vorrede, S. XXIX. DM, S. 329. Ebenda, S. 330. Ebenda, S. 759. DM, Vorrede S. XVI. 147

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ser Rollenverteilung sieht Grimm eine Harmonie, die zu den Bedingungen des guten Funktionierens einer Volksgemeinschaft gehöre.

Der christliche Teufel und die deutschen Hexen – oder die Erinnerung an das Heidentum Das andere Element, das für Grimms Verständnis der Hexenprozesse wichtig ist, findet man in den Kapiteln Gespenster und Teufel. Grimm macht diese Begriffe verantwortlich für die Veränderung im heidnischen Verständnis der Zauberei. Er bestreitet zwar nicht, dass auch die Germanen die Seelen kannten, die nach dem Tode keine Ruhe fanden, aber die bösartigen Gespenster im Dienst des Teufels verbindet er eindeutig mit Christentum: „Die vorstellung des teufels und teuflicher geister, welche allmählich auch im volksglauben so großen umfang gewonnen und so feste würzel geschlagen hat, war unserem heidentum fremd“.86

So wie viele spätere Forscher betont er,87 dass die alten heidnischen Götter nicht gleich aus dem Gedächtnis verdrängt wurden, mit der Zeit aber düstere, teuflische Züge annahmen und die Reihen der Dämonen verstärkten. So sei es Wodan und seinem Gefolge ergangen, deren Umzügen die Bezeichnungen „Wotans Heer”, „wilde Jagd”, oder „wütendes Heer” anhafteten.88 Im Christentum wurde Wodan zum Teufel, den Walküren in seinem Heer schlossen sich ungetaufte Kinder und Gespenster an. Dieses Heer wird mit der Zeit oft von einer Frau angeführt, die als Dienerin des Teufels dargestellt wird und nicht unbedingt aus der germanischen Mythologie stammt: Pertha, Diana, Holda, Herodia, Abundia. Der Teufelsglaube war nach Grimm schon deshalb in der deutschen Mythologie unmöglich, weil diese keinen Dualismus kenne, der das höchste Wesen in zwei entgegengesetzte Elemente spalten würde: „Vom eigentlichen dualismus habe ich unser heidentum frei gesprochen. er scheint mir gegenüber dem polytheismus, nicht wie dieser durch verwilderung, sondern in

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DM, S. 822. Z.B.: M. A. Murray, The Witch Cult in Western Europe. 92; C. Ginzburg, Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 6. und 7. Jh. Frankfurt/M. 980; H. P. Duerr, Traumzeit. Über die Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt/M. 978. „Wildes Heer“ ist die Bezeichnung für die im ganzen germanischen Raum verbreitete Vorstellung vom gespenstischen Reiter, dem Gott Wodan, der an der Spitze eines geisterhaften Heeres im Sturm dahinzieht. Wodan/Odin war der Hauptgott der eddischen Mythologie, Göttervater, Dichtergott, Totengott, Kriegsgott, Gott der Magie. Nach: R. Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, Frankfurt 2006.

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bewusster vielleicht sittlicher reflexion später entspringend. vielgötterei ist duldsam und freundlich: wer nur himmel oder höhe, gott oder teufel im Auge hat, pflegt überschwänklich zu lieben und hart zu hassen. Auch hier mag wiederholt werden, dass unter den deutschen heiden das gute dem bösen, mutig sein dem verzagen überwog: dem tod lachten sie entgegen“. 89

Der Begriff des Teufels bleibt für Grimm ein christlicher Begriff, auch wenn er mit der Zeit viele Züge aus anderen Religionen übernommen habe, auch wenn manche Elemente deutsch dünken. Die Eigennamen der Teufel erinnern ihn zwar an die der Elben und Kobolden, und das Auftreten des Teufels in Bockgestalt hält er für die Erinnerung an den Bock als Donars heiliges Tier. Trotzdem sei der Teufel nicht deutsch: „Der teufel ist jüdisch, christlich, heidnisch, abgöttisch, elbisch, riesenhaft, gespenstisch, alles zusammen. Durch seinen zusatz musste eben, indem die heidnische vielgötterei erlosch, das christentum eine deutliche hinneigung zum dualismus empfangen, den später die philosophie in ein allgemeines prinzip vom guten und bösen aufzulösen trachtete“.90

Auch wenn Grimm die Einflüsse des Judaismus und des alten Testamentes auf die Bildung des Teufel-Begriffes vermerkt, schreibt er ihnen keine entscheidende Rolle zu, da der jüdische Monotheismus dem Teufel keine Hauptrolle zubilligte. Er war nur der Verführer und Lästerer. Erst mit dem Neuen Testament beginnt, so Grimm, die Blütezeit der Dämonologie, und der Teufel bekommt seine Rolle als der höchste unter den bösen Geistern. Der ursprüngliche Judaismus könne auch nicht für den Hexenglauben zur Verantwortung gezogen werden, denn er sei – wie Grimm auf den ersten Blick absurd argumentiert – eine entschieden männliche Religion: „Das judenthum kennt nur teufel, keine teufellinen, alle macht zum guten oder bösen legt es in die hände männlicher wesen“.9

Grimm behauptet damit, dass der Monotheismus das weibliche Element ausschließt, das im Polytheismus deutlich zu Wort kommt: „Götter sind überhaupt älter und der strenge monotheismus oder dualismus wissen nur von göttern; göttinen tauchen erst in der weichen fülle der vielgötterei auf. auch das deutsche heidenthum hieng an göttinen und elbinnen. selbst das goth. Vaihts (genius) war weiblich. göttermütter, glänzende, holde frauen, nornen, valkyrien,

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DM, Vorrede, S. XXXIX f. DM, S. 824. DM, S. 84. 149

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waldfrauen, wasserjungfrauen bildeten einen hauptteil des cultus, bloss die kobolde und hausgeister sind alle männlich. Riesinnen erscheinen oft in gestalt und sitte lieblich, der todtenwelt stand eine göttin vor“.92

Erst im Christentum mit seinem Dualismus und im Kampf gegen heidnische Vorstellungen finde die Dämonisierung der weiblichen heidnischen Gottheiten statt. Dämonisiert wurden vor allem die grausamen oder sinnlichen Züge, die sich auf Maria und weibliche Heiligen nicht übertragen ließen. Die von der Kirche verfolgte Hexe ist für Grimm das Resultat der Auseinandersetzung des patriarchalen Christentums mit der deutschen Kultur und der besonderen Rolle, die die Frauen darin innehatten. Der Teufel als Herr der Hexe sei: „den deutschen ursprünglich fremd, sie hatten ihn schon früher durch übertragung auf ein weibliches wesen zu popularisieren gesucht. Umgekehrt aber musste nun alles was sie von frau Holda erzählten, da mit der zeit die christliche vorstellung eines männlichen teufels überwog, auf ihn anwendung finden. Aus dem gefolge jener unholden nachtfrau traten die hexen über in die gesellschaft des teufels, dessen strengere, schärfere natur das ganze verhältnis in bösartigeres, sündhafteres steigerte. Jene nächtliche zauberfahrten beruhten noch auf der gemeinsamen unterwürfigkeit, welche der alten göttin gebührte, die frauen fuhren in ihrem geleite; jetzt holt der teufel die weiber ab und trägt sie über berg und thal, es entsprang die idee eines buhlerischen bündnisses zwischen dem teufel und jeder einzelnen hexe“.93

Obwohl Grimm die Hexe der Zeit der Hexenprozesse für eine kirchliche Konstruktion hält, bestreitet er nicht, dass die germanische Kultur Zauber kannte und manche Vorstellungen, die der christlichen Hexe eigen sind, mitgestaltet habe: „Die alten Deutschen kannten zauber und zauberer, und auf dieser grundlage ruhen zuerst alle nachher entsprungnen vorstellungen“.94

Der deutsche Zauber hatte für ihn vor allem einen sakralen und heilenden Charakter. Auch wenn Männer und Frauen zauberten, gehörte der Zauber jedoch in die weibliche Welt der Muße. Die Frauen, die für Haushalt, Betreuung, Heilung zuständig gewesen seien, hätten sich auch mit der heilenden Magie befasst:

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Ebenda. DM, S. 888. DM, S. 86.

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„Frauen, nicht männern, war das auslesen und kochen kräftiger heilmittel angewiesen, wie die bereitung der speise ihnen oblag. Salbe fertigen, linnen weben, wunden binden mochte ihre linde, weiche hand am besten“.95

Durch die Betonung der Beschäftigungen, die dem Erhalt oder der Rettung des Lebens dienten, bestimmt Grimm den Charakter des germanischen Zauberns eindeutig als weiße Magie. Die Vorstellung der weiblichen Muße, die Grimm für die germanische Zeit entwickelte, überträgt er auf die Frauen des Mittelalters, die viel Zeit für die Pflege ihrer angeborenen Klugheit gehabt hätten, weil sie aus der Sphäre der Tat ausgeschlossen waren. Die ihnen in der deutschen Gesellschaft zufallende Rolle prädisponiere sie zum Zauber: „die kunst, buchstaben zu schreiben und zu lesen wird im mittelalter hauptsächlich frauen beigelegt. Den unruhigen lebenslauf der männer füllte krieg, jagd, ackerbau und handwerk; weibern verliehen erfahrung und behagliche musse alle befähigung zur heimlicher zauberei“.96

Auch für diese Zeit wird die spezielle, mediale Position der Frauen gegenüber den göttlichen Kräften, der Sphäre, die einem normalen Sterblichen unzugänglich sei und die Grimm den Halbgöttinnen zuschreibt, betont: „Das einbildungsvermögen der frauen ist wärmer und empfänglicher, von jeher wurde in ihnen eine innere, heilige kraft der weissagung verehrt. Frauen waren priesterinnen und wahrsagerinnen; germanische und nordische überlieferung hat uns ihre namen und ihren ruhm erhalten“.97

Gleichzeitig macht Grimm seiner Theorie eine gewisse Einschränkung – nicht allen Frauen sei die Begabung zur Zauberei gleichermaßen eigen: „die zauberkunde [musste] hauptsächlich alten weibern eigen sein, die der liebe und arbeit abgestorben ihr ganzes sinnen und trachten auf geheime künste stellten“.98

Zauberkunst wird damit hauptsächlich den Frauen zugeschrieben, die wegen ihres Alters – den alten Frauen unterstellte man nach Grimm auch größere Bosheit – ihre Reproduktions- und Familienfunktionen nicht mehr ausüben konnten und – alt und hässlich – die Kenntnis der Naturkräfte nutzten, um zu überleben. Ohne es belegen zu können, behauptet Jacob Grimm, dass in den Hexenprozessen junge und schöne Frauen der Zauberei nicht angeklagt wur95 96 97 98

DM, S. 867. Ebenda. DM, S. 867-868. DM, S. 868. 151

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den. Wie sein Bruder sieht auch er die Bestätigung dieser These in der Gestalt der hässlichen Hexe in den Märchen. Die Fähigkeit und den Willen zur Zauberei erklärt er nicht nur mit dem Überschuss an Freizeit, den das Leben jenseits des Alltags, also der häuslichen und familiären Aufgaben der Frau bietet, sondern verbindet sie mit Schwäche im doppelten Sinne – der Schwäche der Frau und der Schwäche des alten Menschen. Im Nationalsozialismus wurde die Vorstellung von der alten Hexe nicht übernommen.99 In den nationalsozialistischen Darstellungen der Hexenprozesse erscheinen alte und junge Frauen und betont wird vor allem ihr Muttersein oder die Verunmöglichung des Mutterwerdens. Auf seiner Suche nach der deutschen Kontinuität behauptet Grimm, dass in den Vorstellungen, die den Hexenzauber betreffen, die heidnischen Elemente überwiegen, z.B. Zeit und Ort der Sabbate als Gerichts- und Opferstätten, das Motiv des Salzes, das früher vor den Priesterinnen gesiedet wurde, die Wetterbeschwörung. Nur solche Elemente, die die Taufe oder andere Sakramente parodieren, bestimmt er als eindeutig christlicher Herkunft. An einigen Stellen erwähnt er auch männliche Opfer der Prozesse, die er ebenfalls der Sphäre der Muße zuordnet: „Auf diesem allen zusammen, auf einer mischung natürlicher, sagenhafter und eingebildeter zustände beruht die ansicht des mittelalters von der hexerei. Phantasie, tradition, bekanntschaft mit heilmitteln, armut und müssiggang haben aus frauen zauberinnen gemacht, die drei letzten ursachen aus hirten zauberer“.00

Das Christentum habe alle heidnischen Kulte und das Volkswissen für Teufelserfindungen erklärt. Das Bild der Hexe wurde mit Merkmalen versehen, die aus den Häretikerprozessen bekannt waren, und bald „erzeugten sich überlieferungen von unmittelbarem zusammenhang des bösen feindes mit dem wesen der zauberei, die unerhörteste grausamste verwirrung zwischen phantasie und wirklichkeit ist daraus hervorgegangen“.0 Aus der Mischung verschiedener Begriffe, aus denen das christliche Verständnis der Hexe hervorgeht, versucht Grimm, die Elemente zu sondern, die mit der Glaubenswelt der alten Deutschen zusammenhingen.02 Zu den deutschen Vorstellungen zählt er 99 Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie beispielsweise Günther Franz. 00 DM, S. 868; zu den Hirten vgl. Görres, der darüber schreibt, wie gegen Ende des 3. Jh. Papst Eutychianus ein Dekret erlassen hat, „das Hirten und Jäger als solche bezeichnet, die über Brod, Kräuter teufelische Verse sprächen, und das Besprochene dann in Bäumen oder am Kreuzwege versteckten; den eigenen Herden zum Heil, den fremden zum Unheil“, J. Görres, Christliche Mysthik, Regenburg 879, S. 49. 0 DM, S. 862. 02 Auch Schlegel schilderte die Missionierung der Sachsen als Abbruch der germanischen Mythologie. Mythos und Magie verwandelten sich dann in Aber152

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

Tierverwandlungen, Nachtflüge, Zusammenkünfte, die immer an alten Opferstätten oder dort stattfanden, wo germanische Gerichte gehalten wurden, wie die Walpurgisnacht. Die Kirche musste in ihrem Kampf gegen das Heidentum diesen Erzeugnissen „der milden einbildungskraft“ „den grellen schein einer schauderhaften realität“ verleihen.03 In den überlieferten Zaubersprüchen findet Grimm altdeutsche Sprüche, die für die Hexen des 7. Jahrhunderts unverständlich gewesen sein mussten, oder Heiligenamen, die im Schutzzauber den Platz der alten Gottheiten einnahmen. Weil Grimm im Bild der Hexe aus der Zeit der Hexenprozesse Züge einer heidnischen Kultur findet, die weit davon entfernt war, der Frau zerstörerische Kraft zuzuschreiben, ergibt sich für ihn aus dieser Tatsache „die ungerechtigkeit und ungereimtheit der späteren hexenverbrennungen von selbst”.04 Die Verfolgung unschuldiger Frauen sieht Grimm als Symptom einer fortschreitenden Verblendung des Volkes, die Verbreitung des “Wahnglaubens“ als moralischen Verfall der Menschheit. Es handle sich um Folgen der Entfremdung von der eigenen Kultur,05 deren Überreste zum Verbrechen oder Aberglauben degradiert wurden, aber in Volksfesten und Bräuchen weiterlebten: „Die hexen gehören zum gefolge ehemaliger göttinen, die von ihrem stul gestürzt, aus gütigen, angebetenen wesen in feindliche, gefürchtete verwandelt, unstät bei nächtlicher weile umirren, und statt der alten feierlichen Umzüge, nur heimliche, verbotene zusammenkünfte mit ihren anhängern unterhalten. Wenn auch der grosse haufen, für die neue lehre gewonnen war, einzelne menschen mochten eine zeitlang dem alten glauben treu bleiben und insgeheim ihre heidnischen gebräuche verrichten“. 06

Grimm betont wiederholt die Vernunftwidrigkeit der Prozesse. Er beschreibt, wie die vermeintlichen Hexen längst Verstorbene als ihre Genossinnen preisgaben oder gestanden, Leute getötet zu haben, die noch am Leben waren. Die Grimmsche Hexe ist eine halbheidnische Christin, eine sich in Phantasiewel-

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glauben: „Vor den begeisterten Seherinnen und Alraunen der nordischen Vorzeit blieb nur der Aberglaube an allerlei Beschwörungen und Hexenkünste übrig, und an die Stelle von Odins Walhalla und den daselbst versammelten Helden und Göttergestalten trat in der Phantasie des Volkes das Geistergepolter der Walpurgisnacht.“ (F. Schlegel, Kritische Schriften und Fragmente, hrsg. v. E. Behler, Paderborn 988, Bd. 4, S. S. 85). DM, S. 882. DM, S. 873. Der Aspekt des Untergangs als Folge der Entfremdung des Volkes von der eigenen Kultur, die immer zu einer Katastrophe führt, wurde im Zusammenhang mit den Hexenprozessen in der nationalsozialistischen Presse oft unterstrichen. DM, S. 882. 153

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ten flüchtende Frau, die in der neuen religiösen Ordnung keinen Platz und keine Unterstützung finden kann. Die Unergiebigkeit ihrer vermeintlichen Zaubereien gilt Grimm als ein weiterer Beleg für die Ungerechtigkeit und Frauenfeindlichkeit der Hexenprozesse: „Characteristisch ist nun, dass alle hexen, ihrer kunst und der macht des teufels ungeachtet, in elend und tiefer armut stecken bleiben; es kommt kein beispiel vor, dass eine sich reich gezaubert und für den verlust himmlischer seeligkeit zum wenigsten weltliche freude erworben habe, wie sonst in den sagen von männern, die sich dem teufel verschreiben, wohl erzählt wird. Diese krummnäsigen, spitzkinnigen, hänglippigen, schiefzähnigen weiber stiften übel, ohne dass es ihnen nützt, höchstens können sie schadenfreude empfinden. Ihre buhlerei mit dem bösen, ihre teilnahme an seinen festen schafft ihnen immer nur halbes behagen. Diese eine zug hätte über den grund aller hexerei die augen öffnen sollen. Das ganze elend gründete sich bloss auf der einbildung und dem erzwungnen bekenntnis der armseligen; wirklich war nicht, als dass sie kunde heilender und giftiger mittel hatten und ihre träume durch den gebrauch von tränken und salben erregten“.07

Die Forschungsmethode der Wort- und Brauchanalyse führt Grimm weg von den Akten der Hexenprozesse. Ihn interessieren nicht die konkreten Fälle mit ihrem ganzen sozialen Umfeld, sondern Vorstellungen und deren Herkunft. Im christlichen Hexenbegriff sucht er vor allem nach Elementen, die zu den alten Bräuchen führen könnten. Sein kurzer Abriss der Geschichte der Verfolgungen und der Entwicklungen, die zu den Hexenprozessen geführt haben, u.a. die Verknüpfung von Zauberei und Ketzerei, stimmt mit Soldans Beschreibung überein: „Durch die inquisition der geistlichen, durch die zur gleichen zeit in die gerichte eingedrungee förmlichkeit des canonischen und römischen processes, zuletzt noch durch Innozenz VIII Bulle von 484, den malleus malleficarum und die peinliche halsgerichtsordnung wurde seit dem vierzehnten vier jahrhunderte lang die verfolgung und verurteilung der zauberinnen unerhört gesteigert, und zahllose schlachtopfer fielen in fast allen theilen Europas“.08

Die Hexe, von der Grimm schreibt, ist eigentlich eine Inkarnation der Weiblichkeitsvorstellungen der Grimmschen deutschen Mythologie. Sie gilt ihm 07 DM, S. 899. Grimm spricht hier ein interessantes Thema an, ohne es auszuführen. Der männliche Zauberer war immer ein aus der Menge herausgehobener Mensch, der aus seinem Wissen Macht gewinnt. Er kannte die Strukturen von Schöpfung und Kosmos und das gab ihm die Möglichkeit, in diese Strukturen einzugreifen: als Alchemist, als Kabbalist, als Magier. Den Hexen hat man dieses Wissen nicht zuerkannt. 08 DM, S. 892. 154

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

als Beleg der Kontinuität deutscher Kultur. Grimm ist sich allerdings oft unsicher, ob diese Hexe eine deutsche Priesterin ist, eine Beschützerin des alten Glaubens, deren Zauberkünste aus ihrer Weisheit resultieren, oder die krummnasige Hexe, die er in den Märchen gefunden hat – die unnütze Frau, die ihre Boshaftigkeit und Hilflosigkeit in der Zauberei auslebt. Die Hexe erscheint bei Grimm als Opfer, das aus den christlich-theologischen Begriffen abstrahiert wurde. Ihre Unterdrückung soll die Entwicklung eines Volkes illustrieren, das seine Kultur verlernt hatte.

Wilhelm Gottlieb Soldans Geschichte der Hexenprozesse als Bekenntnis des Glaubens an die Kraft der Vernunft Die 843 erschienene Geschichte der Hexenprozesse des Lutheranischen Theologen Wilhelm Gottlieb Soldan gilt bis heute als der erste Versuch einer komplexen Darstellung der Hexenprozesse und als ein Standardwerk zu dieser Thematik. Das Buch dokumentiert die Veränderungen in der kirchlichen Auffassung der Hexerei und die Modifikationen im Verlauf der Hexenprozesse. Es beschreibt zahlreiche Prozessakten und deutet die Hexenprozesse als Wahn, Seuche, Aberglauben, die mit dem Sieg des Verstandes aus der Welt geschaffen werden. Dieser Ansatz hat sich so stark durchgesetzt, dass man in der Forschung von dem „Soldan-Paradigma“ spricht.09 Das Buch wurde mehrmals aufgelegt und ergänzt. Die von Heinrich Heppe, Soldans Schwiegersohn, bearbeitete Ausgabe wurde nach dessen Tode (879) von Soldans Tochter Henriette Heppe herausgegeben. Die nächsten Ausgaben erschienen 9 (herausgegeben von Max Bauer) und 986 (herausgegeben von Sabine Ries). Besondere Aufmerksamkeit im Zusammenhang der Instrumentalisierung der Geschichte der Hexenprozesse verdient die Bearbeitung des Buches durch Heppe. Heppe hatte erkannt, welch hochrangige Bedeutung dem Hexenthema als einem Extrembeispiel in der Polemik gegen das Infallibilitätsdogma zukam. Er hat nicht nur einige konfessionspolitische Aussagen Soldans verschärft, sondern ein zusätzliches Kapitel unter dem Titel Hexerei und Hexenverfolgung im neunzehnten Jahrhundert. Die neuesten Vertreter des Glaubens an die Hexerei beigefügt, in dem er die zeitgenössischen Bekräftigungen des Hexenglaubens durch die katholische Kirche thematisiert. Die Schuld dafür, dass Hexerei noch im 9. Jahrhundert weithin für ein reales Phänomen gehalten wurde, schreibt Heppe dem Vatikanischen Konzil von 870 zu. Durch die Verkündung des Dogmas von der wesentlichen Unfehlbarkeit des Papstes erhob das Konzil, so Heppe, auch die Hexen-Bulle von Innozenz VII aus dem Jahr 484 zu einem Dogma. Die von Heppe übernom09 W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a. a. O., S. 4. 155

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mene Neun-Millionen-Opfer-These wurde auch in der Ausgabe von Max Bauer beibehalten. Diese Ausgabe wird bis heute nachgedruckt, und die folgenden Ausführungen stützen sich auf sie. Die Geschichte der Hexenprozesse baut auf das Vertrauen in die Kraft der Vernunft. Soldan ist bestrebt, ein möglichst vollständiges Bild der Geschichte der Verfolgungen und des Zauberglaubens zu liefern und die Genese dieser Phänomene zu erklären, indem er sich ihren verschiedenartigen Aspekten in ganz Europa zuwendet. Gleich in der Einführung spricht er von der Grausamkeit des Massenmordes an den angeblichen Hexen. Als aufgeklärter Rationalist verurteilt er jede Form der wissenschaftlichen und künstlerischen Beschäftigung mit der dunklen Seite der Magie, weil diese nur das abergläubische Denken stärke und moralisch bedenklich sei: Kaum sind die letzten Scheiterhaufen erlöscht, setze ihre Poetisierung ein.0 Er empört sich über Hexenapologeten, die den Massenmord aus ihren Überlegungen ausklammern, über Träumer, die von der dunklen Seite der Natur fasziniert sind und Zugang zur Geisterwelt suchen, als ob sie vergessen hätten, was der Dämonenglauben angerichtet hat. Soldan möchte daran erinnern und den Fortschrittskeptikern beweisen, dass der menschliche Geist sich in seiner Entwicklung nicht aufhalten lasse. Er kritisiert jegliche Suche nach den Gründen der Hexenprozesse im Volksglauben: „man ist so weit gegangen, diese Blume aller pfäffischen Mißbildungen für uralt germanisch zu erklären und mit einer Art patriotischen Stolzes in den dahin einschlagenden Volkssagen, die man zufällig in England, Frankreich oder Italien entdeckte, nur Reminiszenzen aus der Zeit der Völkerwanderung zu erkennen. Aber Deutschland weist den Vorwurf, die Mutter dieser Geistesverirrungen zu sein, trotz der beliebten Schlagworte Faust und Blocksberg und seiner zahllosen Teufelssagen mit gerechten Unwillen zurück“.

Soldans Position ist eindeutig: Die Hexenprozesse haben ihre Wurzeln nicht im Zauberglauben der alten Germanen. Dieser entspringe lediglich „einer verirrten Reflexion über die Kausalität der Naturerscheinungen und über die Bedingungen und Schranken, innerhalb deren sich der Mensch zur Ausübung seiner Herrschaft über die Dinge der sichtbaren Welt berufen weiß“.2 Der Zauberglauben, der in den Prozessen verhandelt wurde, sei eine Konstruktion der Kirche, die derartige Aktivitäten in verdammenswerte und mit Scheiter0 Abgesehen von seinem aufklärerischen, die Unvernunft aus der Kultur ausschießenden Impetus thematisiert Soldan damit ein Phänomen, das bis heute den Hexendiskurs begleitet – die Folklorisierung des Hexenthemas, eine Faszination für Leid und Folter. Vgl.: Realität und Mythos. Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte, hrsg. K. Moeller, Hamburg 2003.  W. G. Soldan, Geschichte der Hexenprozesse, Essen 986, S.2. 2 Ebenda, S. 3. 156

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

haufenstrafe zu belegende Untaten auf der einen Seite und von Gott stammende Wunder auf der anderen unterteilte. Der Unterschied zwischen ihnen sei gering: „Ob eine übernatürliche Handlung Zauberei oder ein Wunder ist, darüber entscheiden die herrschenden Religionsvorstellungen: was diesen genehm ist, fällt dem wunderbaren, was ihnen widerstrebt, der Zauberei zu“.3

Soldan konzentriert sich in seiner Analyse des Hexenglaubens auf den Kampf im Namen des „Fortschritts“ gegen den Glauben an dämonische Kräfte, gegen den „Aberglauben“ und dessen Ausnutzung durch die katholische Kirche. Aus der Überzeugung, dass die Neuzeit hinsichtlich der Hexenprozesse zwar noch unter dem Einfluss der mittelalterlichen Vorstellungen stand, aber den Sieg der Vernunft ermöglichte, resultiert sein Versuch, die Neuzeit vom Vorwurf des Massenmordes freizusprechen.

Der Zauberglauben als naive Erklärung der Welt in den vorchristlichen Kulturen Soldan bestreitet nicht, dass Zauberglauben als ein unbeholfener Versuch, die Wirklichkeit zu erklären, in allen Kulturen vorkommt, auch in der germanischen. Deshalb versucht er nicht, dessen Wurzeln in einer bestimmten Kultur zu verorten, sondern will das Zauberverständnis verschiedener Kulturen beschreiben, seine Wirkungsbereiche bestimmen und die praktische, oft unlautere Instrumentalisierung des Zauberglaubens aufdecken. Im Zusammenhang mit schwarzer und weißer Magie in den heidnischen Kulturen des Orients befasst er sich mit den Chaldäern,4 deren Dämonologie und Wahrsagekunst schon im Römischen Reich als Betrug gegolten hätten. Auch in der griechischen Mythologie und Literatur entdeckt er Aberglauben und Quellen der mittelalterlichen Magie. So z.B. bei Empedokles, dem Begründer der dualistischen Weltanschauung, der er entscheidende Bedeutung für die Entstehung des magischen Denkens beimisst. Die weitere Entwicklung schildert Soldan als Erweiterung der orientalischen Einflüsse durch Chaldäer und Magen, die in den Süden Europas einströmten und die Leichtgläubigkeit und das Unwissen der dort lebenden Menschen finanziell ausnutzten. Die Überlieferungen

3 Ebenda, S. 4. 4 Ein semitisches Volk im Altertum, das von der Küste des Persischen Golfes her gegen Babylonien vordrang. Das Wort hat durch die chaldäischen Astronomen des babylonischen Reiches seine Zweitbedeutung im Sinne von Sterndeuter erhalten. Unter den Juden war es aber verpönt, Sterndeuterei zu betreiben, wodurch das Wort „Chaldäer“ einen negativen Beigeschmack in der Bibel erhielt. 157

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über die Zauberkünste der Hebräer betrachtet er skeptisch, weil er ähnlich wie Jacob Grimm meint, dass dem monotheistischen Jahvekult der Zauberglauben fremd war. Er betont, dass die orientalische Magie anfänglich keinen bedeutenden Einfluss auf Israel hatte, weil die Juden sie als heidnisch angesehen und deshalb bekämpft hätten. Damit polemisiert er gegen Autoren, die das Gebot des Kampfes gegen die Zauberei aus dem Alten Testament ableiten, und stellt deren reale Existenz in Frage. Erst in bgypten, so Soldan, hätte die jüdische Kultur Elemente des magischen Denkens aufgenommen, was sich großen Teils aus ihrer sozialen Randlage erkläre und pragmatische Gründe gehabt hätte: „Je mehr sich das Judentum jedoch aus aller Geselligkeit mit den Christen verstoßen und von jeder Teilnahme an ihrem öffentlichen Leben ausgeschlossen sah, desto mehr steigerte sich seine Neigung zu geheimem Treiben und zur Ausnutzung des Aberglaubens der Christen“.5

Nach Soldans Ansicht war also der Zauberglauben ursprünglich aus Angst und der Unfähigkeit entstanden, die Welt zu verstehen, und diente dann, vor allem unter dem Einfluss des Orients, zur Abwehr von bösen Mächten oder zur Verstärkung der eigenen Macht durch die Ausnutzung menschlicher Naivität. Der Neoplatonismus habe die magischen Neigungen der Heiden noch verstärkt: Einerseits verwandelte er die mythologische Ordnung in eine Welt realer Dämonen, andererseits schuf er eine abstrakte Vorstellung von Gott, die keine Zuflucht vor der Macht der Dämonen zu bieten vermochte. Soldan sieht die Menschen am Ende der heidnischen Antike gefesselt von der Angst, die geschürt wurde von Kirchenvätern, Rabbinern und heidnischen Philosophen, die „sich fast um die Wette in dämonologische Spekulationen“ vertieften.6

Die Dämonisierung der Welt durch die katholische Kirche Das Christentum, so Soldan, habe dem Aberglauben nicht das Ende bereitet, sondern ihn vielmehr verstärkt und die Dämonenreihen um heidnische Gottheiten ergänzt. Im frühen Christentum sieht er noch eine Regel, die gute Christen von Angst zu befreien vermochte: Dort, wo die Macht des Kreuzes siegte, fiel die Herrschaft des Teufels und seiner Dämonen.7 Seit der Synode 5 Ebenda, S. 22. 6 Ebenda, S. 7. 7 Ebenda, S. 40-4: „Als sich die Zahl der Menschen vermehrt hatte, schickte Gott Engel auf die Erde, die die Menschen vor dem Teufel, dem er von Anfang an Gewalt über die Erde gegeben hatte, schützen sollten. Diese Engel aber machten sich im Verkehr mit den Töchtern der Menschen schuldig, da sie sich 158

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

von Elvira (305-306) lehnte die Kirche die Zauberei als Überreste des Heidentums ab, die folgenden Synoden verboten Wahrsagerei, Zauberei, Versammlungen am . Mai, öffentliche Frauentänze, Anbetung von Steinen, Bäumen und Quellen. Soldan behandelt das Verbot der Zauberei zusammen mit dem Verbot von Fruchtbarkeitskulten und ekstatischen heidnischen Festen und sieht darin eine fortschrittliche Entscheidung. Damit leistet er selbst einer der Intentionen der Hexenprozesse Vorschub, die er in seinen Analysen völlig außer Acht lässt. Das ist die symbolische Geste gegen die Frau als Vertreterin der primitiven Natur, der Triebe, die gezähmt werden sollten, um die Ordnung der Welt zu bewahren. An den Motiven der Kirche interessiert ihn hauptsächlich der Gedanke, dass Zauberei eine Teufelstäuschung sei, also nichts wirklich bewirke – eine These, die für die damalige Zeit als eine aufgeklärte Idee angesehen werden könne. Noch für die bra Karls des Großen erkennt Soldan der Kirche, die zu jener Zeit in ihrer Bedeutung und Macht ungefährdet war und keinen Anlass hatte, bngste unter den Gläubigen zu schüren, eine aufklärende Rolle zu. Der Glaube des Volkes an Wunder war zu dieser Zeit noch immer dem naiven Bedürfnis nach schlichter Welterklärung geschuldet und wurde nicht verfolgt: „Je weniger die Kirche ihre geheimnisvollen Heilwirkungen durch Zweifel und Unglauben bestritten sah, desto weniger war sie gezwungen, diese durch den Gegensatz diabolischer Gräueltaten zu rechtfertigen. Der Klerus, der damals noch nicht zu unermesslicher Machtausdehnung emporstrebte, war desto mehr in seinem beschränkten Kreise tätig und erachtete es für christlicher, durch Lehre und gemäßigte Zuchtmittel den Sünder noch für diese Welt zu bessern, als den sterblichen Körper den Flammen zu überliefern und der unsterblichen Seele das Gefühl erlittenen Unrechts ins ewige Leben mitzugeben“.8

mit diesen vermischten und Söhne zeugten. Infolgedessen wurden die gefallenen Engel, nachdem sie aus dem Himmel verstossen worden waren, zu Dämonen des Teufels. Die von ihnen erzeugte Brut war nun eine zweite Art von Dämonen, unsaubere Geister, vom Volk malefici genannt, die ebenfalls dem Teufel angehörten. Diese Dämonen und unsauberen Geister streben nun danach, Gottes Reich zu zerstören und die Menschen zu schädigen. Zu diesem Zweck haben sie durch scheinbare Wunder und Orakel den Völkern vorgetäuscht, dass sie Götter wären, und haben das Heidentum mit seiner Mythologie und seinem Kultus geschaffen [...]. Außerdem richten sie in allerlei Weise Verderben an. Doch braucht der Christ ihre Tücke nicht zu fürchten [...]. Denn der Christ kann sie nicht nur überall austreiben, sondern er kann sie auch zwingen, ihre Namen zu nennen und gestehen, dass sie (als Jupiter, Juno, Merkur tec.) gar keine Götter sind, obwohl sie in Tempeln verehrt werden“ (Lactanz Lib.II c.27), zit. nach: Soldan, a.a.O, S.40f. 8 W. G. Soldan, Die Geschichte der Hexenprozesse, a.a.O., S. 52. 159

HEXEN UND GERMANEN

Vom 0. bis zum 2. Jahrhundert habe die Kirche den Zauberglauben per definitionem als Aberglauben betrachtet. Zwar bekämpfte sie ihn und trachtete danach, seine Anhänger aus der Gemeinschaft auszuschließen, aber sie definierte Zauberei noch immer als Einbildung: „Es gibt verbrecherische Weibsleute, die, durch die Vorspiegelungen und Einflüsterungen des Satans verführt, glauben und bekennen, dass sie nachts mit der heidnischen Göttin Diana oder der Herodias und vielen anderen Frauen auf gewissen Tieren reiten [...]da sie annehmen, daß es außer Gott noch eine übermenschliche Macht gebe. Daher sind die Priester verpflichtet, den ihnen anvertrauten Gemeinden von der Kanzel herab nachdrücklichst einzuschärfen, dass dies alles falsch sei und von Bösen vorgespiegelt werde. Der Satan nämlich, der sich als Engel verkleiden könne, wenn er sich irgendeines Weibes bemächtige, unterjoche sie, indem er sie zum Abfall vom Glauben bringe. Dann nehme er sofort die Gestalt verschiedener Personen an und treibe mit ihnen im Schlaf sein Spiel(...) Dabei bilde sich der Mensch dann ein, dass diese nicht nur in der Vorstellung, sondern in Wirklichkeit geschehe“.9

Einen Wendepunkt in der Einstellung der Kirche zum Zauber sieht Soldan in den Ansichten von Thomas von Aquino, der der Welt der Dämonen einen realen Charakter zugeschrieben und die Möglichkeit des körperlichen Verkehrs mit ihnen theologisch erörtert hatte. Seitdem galten die Dämonen als wirklich existierende Phänomene. Eine bedeutende Veränderung des Status der Zauberei sieht Soldan im 3. Jahrhundert, als Zauberei mit Teufelskult gleichgesetzt wurde. Seit dieser Zeit galt Zauberei als Häresie, die Hexe wurde zur Ketzerin, die mit dem Teufel buhlt und Gott verleugnet. Diesen Sieg des Zauber- und Wunderglaubens über die ursprünglich aufklärerische Rolle der Kirche interpretiert Soldan als Verdummung und Rückfall in eine magische Denkweise: „Die alte Kirche war von dem fröhlichen Bewußtsein erfüllt gewesen, daß der Christ über Dämonen Gewalt habe und daß der Teufel von ihm fliehen müsse; in der Kirche des Mittelalters dagegen ging der Glaube um, daß der Teufel und seine Dämonen mit göttlicher Zulassung auf vielerlei Weise auch über den Christen Gewalt hätten, und daß der Christ daher nirgends vor ihrer Tücke und derjenigen ihrer Verbündeten unter den Menschen sicher wäre.- An die Stelle der christlichen Lehre vom Teufel und seinem Reich trat daher allmählich wieder der heidnische Dämonismus“.20

Als nächsten Schritt auf dem Weg in die Praxis der Hexenprozesse nennt Soldan die Entstehung der Inquisitionsgerichte, die Einführung der Folter und die 9 Ebenda, S. 54. 20 Ebenda, S. 77. 160

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

Verbreitung des Scheiterhaufens im Ergebnis des Konzils von Lateran (25), die er als ebenso volksfremd wie den Glauben an Dämonen und Teufel erachtet: „Dieses ganz neue Prozessverfahren stand nun zum deutschen Recht in ebenso starkem Gegensatz, wie zu dem bisherigen Kirchenrecht. Denn auch die deutschen Volksrechte [...] setzten den Anklageprozess als das allein rechtsgültige Verfahren voraus und bestätigten die alte Regel des germanischen Volksbewusstseins „Wo kein Kläger, da ist auch kein Richter“ – Als Hauptbeweismittel galt im deutschen Strafrecht neben der Zeugenaussage und dem Gottesurteil der Eid des unbescholtenen Mannes“.2

Soldan beschuldigt die Inquisition, für die Morde verantwortlich gewesen zu sein: Die Inquisition habe das Prozessrecht in eine Fiktion verwandelt, sich an Verurteilten bereichert, den Aberglauben zur Ketzerei erklärt. „Im Schoße der Inquisition ist der Hexenprozess erzeugt und großgezogen worden“.22 Er nennt zahlreiche christliche Denker und Gelehrte, u.a. Reuchlin und Paracelsus, die selbst magische Handlungen gegen die Mächte der Hölle propagiert und die Magie als die Vervollkommnung der Philosophie, als den Weg zu Gott dargestellt hätten. Die Angst vor der dämonischen Zauberei sei eine logische Folge dieser Propagierung der magischen Weltanschauung gewesen und habe auch das Gerichtswesen und die öffentliche Meinung nachhaltig beeinflusst. Obwohl auch die Reformation den Zauberglauben nicht unterbinden konnte, bewertet Soldan ihre Rolle vergleichsweise positiv: Zwar habe Luther den Zauberglauben nicht überwunden, aber er sei gegen den Dämonismus der Kirche aufgetreten und habe den Schauplatz des Kampfes gegen das Böse aus der Welt in die menschliche Seele verlegt, „wo sich der Christ durch anhaltendes Gebet, durch immerwährende Buße, durch stetes Wachsen im Glauben und in der Gemeinschaft mit Gott gegen alle Anläufe des Bösen schützen und sich mehr und mehr zum Sieg über ihn erheben sollte“.23 Soldan behauptet, dass die Zahl der Opfer in den protestantischen Ländern kleiner gewesen sei als in den katholischen, und dass die Prozesse zu einer Waffe der Kirche gegen die Reformation wurden: Die Jesuiten hätten den Protestanten unterstellt, als Häretiker der Zauberei nahe zu stehen.24 2 22 23 24

Ebenda, S. 85. Ebenda, S. 87. W. G. Soldan, Die Geschichte der Hexenprozesse, a.a.O., S. 49. In der gegenwärtigen Forschung findet weder die These, dass der Protestantismus zu den Prozessen eine andere Einstellung hatte, noch die, dass die Prozesse für den Kampf gegen den Protestantismus genutzt wurden, Unterstützung. Vgl.: G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 986. Heinrich Heine sah den Protestantismus nicht weniger zaubergläubig als den Katholi161

HEXEN UND GERMANEN

Soldan wendet sich nicht gegen den Glauben bzw. gegen das Christentum selbst. Er klagt vor allem das Papsttum an, das mit allen Mitteln um die Erhaltung der eigenen Macht kämpfe, die Jesuiten, die ein dämonisches Weltbild verbreitet hätten, und die Gier des katholischen Klerus, der von den Prozessen profitiert habe. Die Kirche habe in ganz Europa, auch in Deutschland, den orientalischen und griechisch-römischen Aberglauben25 verbreitet und magische Handlungen legitimiert, indem sie die Überzeugung von der Überlegenheit der religiösen Therapie über die medizinische, den Glauben an Exorzismen und Amuletten noch bekräftigte. Diese Vorstellungen habe sie in alle Regionen getragen, die unter ihrem Einfluss standen, wovon nicht zuletzt „die Gleichförmichkeit“ der neuen Zauberei zeuge, welche keine „nationale(n) Hauptunterschiede“ mehr erkennen ließe.26

Die Ansteckung des deutschen Volkes mit dem „Hexenwahn“ Den deutschen Protestantismus hält Soldan für den ersten Schritt zur Beendigung der Hexenprozesse. Zugleich sucht er jedoch noch nach anderen Argumenten, um die Massenmordanklage von Deutschland abzuwenden. Ohne erklären zu können, warum gerade die Deutschen gegen „den Aberglauben” resistent gewesen sein sollen, führt er zahlreiche Beispiele an, die genau das zismus: „Zur Zeit der Reformation schwand sehr schnell der Glaube an die katholischen Legenden, aber keineswegs der Glaube an Zauber und Hexerei. Luther glaubt nicht mehr an katholische Wunder, aber er glaubt noch an Teufelswesen. Seine ’Tischreden’ sind voll kurioser Geschichtchen von Satanskünsten, Kobolden und Hexen. Er selber in seinen Nöten glaubte manchmal mit dem leibhaftigen Gottseibeiuns zu kämpfen. Auf der Wartburg, wo er das Neue Testament übersetzte, ward er so sehr vom Teufel gestört, daß er ihm das Tintenfaß an den Kopf schmiß. Seitdem hat der Teufel eine große Scheu vor Tinte, aber noch weit mehr vor Druckerschwärze“ (H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, a.a.O.). Egon Friedell schrieb in seiner 927-3 erschienenen Kulturgeschichte der Neuzeit: „der Aberglaube hatte durch die Reformation eher zugenommen. Früher galten nur Jude, Türken und Zauberer als Teufelsjünger, jetzt wurde die ganze Welt diabolisiert: der Papst war der Antichrist, jeder Papist des Satans, und die Katholiken wiederum sahen in Luther und allen seinen Anhängern Diener der Hölle. Zudem hatte der Protestantismus das Gefühl der Sündhaftigkeit gesteigert. [...] Daß Luther auf der Wartburg sein Tintenfaß nach dem Teufel geschleudert habe, wird neuerdings bestritten, daß er aber die ganze Welt von Teufeln erfüllt glaubte, geht aus zahllosen seiner bußerungen ganz unwiderleglich hervor, und ebenso glaubte er an die Hexen, diese ’Teufelshuren’, die er von offener Kanzel herab verfluchte und bedrohte“, in: E. Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum ersten Weltkrieg, München 996, S. 329. 25 Hexenfahrten beispielsweise sind nach Soldan, anders als nach Grimm, römischer Herkunft. 26 Ebenda, S. 32. 162

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

bestätigen sollen. Er bestreitet, dass die Hexenhandlungen, die in den Anklagen immer wieder aufgeführt wurden, wie Wetterzauber und Nachtfahrt, ihren Ursprung in der germanischen Kultur hätten. Vielmehr seien sie erst mit dem Christentum in Deutschland aufgetaucht. In Deutschland habe man noch in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts Zauberei für einen Aberglauben gehalten und höchstens mit Exkommunikation geahndet. Die Todesstrafe für die Zauberei wurde massenhaft in der Mitte des 5. Jahrhunderts eingeführt. Erst mit der Hexen-Bulla Summis desiterantes vom 5.2.484 hätten die Inquisitoren in Deutschland Vorstellungen eingepflanzt, die die Hexenprozesse ermöglichten: „Es gibt in der Christenheit eine Hexerei, die eine mit Hilfe des Teufels bewirkte Zauberei zum Zwecke vielfacher, entsetzlicher Schädigung der Menschen ist; 2) Diese Hexerei beruht auf einem mit dem Teufel abgeschlossenen Bund, und 3) Dieser Bund beruht auf Abfall vom christlichen Glauben, indem die Zauberer und Hexen sich von Gott los- und sich dem Teufel zusagen und dadurch ihr ewiges Seelenheil verlieren“.27

Im christlichen Westen, vor allem in Deutschland, wo Jacob Sprenger und Henricus Insistoris auf den größten Widerstand gestoßen seien, habe diese Lehre heftige Entrüstung hervorgerufen. Die Kirche bzw. das Papsttum mit seinen Schriften zum Hexenwesen sei in den heidnischen Dämonismus zurückgefallen. Als die „Zeit der evangelischen Erneuerung“ näher rückte, habe es im Interesse der Selbstverteidigung aus der Zauberei ein Dogma gemacht: „Seitdem erzitterten die abendländischen Christen vor dem geheimen und verborgenen Treiben des Teufels, der Dämonen, der Zauberer und Hexen in derselben bodenlosen Furcht, die vom Beginn der Weltgeschichte an das charakteristische Merkmal alles heidnischen Wesens, Denkens und Lebens war.“28

In solchen Aussagen meldet sich Soldan eindeutig als Aufklärer und Protestant zu Wort, der im Heidentum die Kindheitsetappe der Menschheit, im Katholizismus den Rückfall in einen infantilen Zustand, und im Protestantismus die Läuterung sieht. Mit Prozessbeispielen aus dem frühen 6. Jahrhundert, als Frauen noch entlassen oder nur mild bestraft wurden, versucht Soldan zu belegen, dass sich in Deutschland die Vorstellung der Hexe aus dem Hexenhammer ganz zögerlich entwickelt hat und immer auf Widerstand gestoßen ist. Die Verbreitung der Prozesse stellt er als Kampf der Jesuiten und der Lehre des Hexen-

27 Ebenda, S. 0f. 28 Ebenda, S. 08. 163

HEXEN UND GERMANEN

hammers gegen den gesunden Verstand des deutschen Volkes und den der deutschen Fürsten und Geistlichen dar. Erst im 7. Jahrhundert sieht Soldan auch die Deutschen dem „Wahn“ verfallen, der schließlich selbst die Reformatoren ansteckt. Aus den institutionalisierten Prozessen sei ein Geschäft bzw. eine Gelegenheit zur Rache geworden. Den Inquisitionsprozess, der immer neue Hexen hervorbrachte, interpretiert er teilweise auch als Waffe gegen den Protestantismus.

Der Sieg über den Aberglaube und die übergangenen Frauen Das Ende der Hexenprozesse beschreibt Soldan als einen Sieg der aufgeklärten Vernunft, der in „schweren Kämpfen“ errungen wurde: „die fortschreitende philosophische und naturwissenschaftliche Bildung umkreist jetzt in immer engeren Parallelen die Bollwerke der Finsternis, sprengt eine unterminierte Schanze nach der anderen, bis endlich die mündig gewordene Vernunft mit der blanken Waffe der Wahrheit dem Teufel zum Leibe geht und ihn samt seinen Werken und Hexenprozessen, nicht ohne das Jammergeschrei und den Widerstand derjenigen, die ohne den Teufel keinen Gott haben, aus seiner letzten Feste jagt“.29

Die Kriegsmetaphorik dieses Fragments – das „Fortschreiten“, „Umkreisen“, „Sprengen“, die Vernunft mit „der blanken Waffe“ der Wahrheit – enthält ein enormes Gewaltpotenzial.30 Soldan tritt als Verkünder der „hellen Mächte“ gegen „Bollwerke der Finsternis“ auf, mit dem Glauben an den Fortschritt, den die spätere Geschichte oft in Frage gestellt hat. Aus diesem Glauben heraus sieht er die Überwindung der Hexenprozesse folgendermaßen: Der von der Macht der Dogmen befreite Mensch entwickelt die Wissenschaft. Das Experiment und die Beobachtung treten an die Stelle der Autorität und des Syllogismus. Der Mensch entziffert die Naturrechte, lässt außer der Bibel und den Kirchenvätern auch andere Wahrheitsquellen zu und lehnt den Dämonismus ab. Die Fähigkeit, die Naturkräfte zu fesseln und die traditionellen Auto-

29 Ebenda, S. 27. 30 Vgl.: „Da die vernünftige Rede des Aufklärungsdiskurses sich über dem Schweigen einer gewaltsam zum Verstummen gebrachten Wider-Vernunft erhebt – steht sie ebenso wie die scholastische Dämonologie, die die magische Naturerfahrung in das Schreckensbild der Hexe und ihres aufbegehrenden Begehrens bannt, in der Tradition patriarchalisch-sexistischer Herrschaft“ (G. Kimmerle, Hexendämmerung. Studie zur kopernikanischen Wende der Hexendeutung, Tübingen 980, S.23). Soldans Sprache neigt auch außerhalb der Kriegsmetaphorik zu Ausschliessungen, z.B. wenn er von den psychisch Kranken schreibt: „Möglich wäre, dass ein Verrückter, sich für einen Werwolf hielte, wie es gewiss ist, dass manche Irren sich einbilden, auf Glasbeinen zu gehen oder Vögel im Kopf zu tragen“ (Soldan, S. 337). 164

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

ritäten in Frage zu stellen, macht ihn reif für einen neuen, humanitären Glauben. Mit der neuen Einstellung der Eliten zu Natur und Wissenschaft, mit dem „Fortschritt“ der Naturwissenschaften und der Philosophie, verändert sich auch das Rechtswesen. Die Bildung erreicht allmählich auch das Volk und das Problem des „Hexenwahns“ wird schließlich gelöst, das „Licht“ siegt endgültig: „Der Hexenwahn selbst, den die Hexenverfolgungen dem niederen Volk eingeimpft hatte, lebte in diesem zunächst noch unerschüttert und ungeschwächt fort und erst allmählich konnten die finsteren Gedanken des Zauberglaubens zurücktreten und schwinden, als die Volksschule im Leben der unteren Schichten eine Macht zu werden und es im Denken des Volkes licht zu werden begann“.3

Fast mit Genugtuung weist Soldan wiederholt darauf hin, dass sich der Zauberglauben in den katholischen Ländern am längsten gehalten hat. Noch im 9. Jahrhundert wären die Katholiken der magischen Weltanschauung verhaftet gewesen, die die Kirche mit den Exorzismen vertrat,32 während der aufgeklärte Protestantismus sich längst davon abgewandt hätte.33 Die Neuzeit 3 Soldan, a.a.O., S. 33. 32 Vgl.: ebenda, S.36: „Der von der katholischen Kirche des 9. Jhs. gehegten und gepflegten Lehre vom Teufel und dessen Dämonen, von der Möglichkeit der Eingehung eines Bundes mit dem Teufel und einer mit teuflischer Hilfe ausgeübten, die Menschen an Leib und Seele schädigenden Hexerei entspricht die Magie, die die katholische Kirche selbst mit Hilfe ihrer Exorzismen ausübt, um die Werke des Fürsten der Finsternis zu zerstören und die Menschen von diabolischen Plagen zu befreien. In dieser Beziehung ist nämlich das katholisch-kirchliche Bewusstsein von dem Gedanken getragen: Wenn das, was man in der Kirche von der Wirksamkeit des Teufels und der Dämonen lehrt, nur auf Einbildung oder Täuschung beruhte, so wäre ja die exorzistische Gewalt der Kirche und der von der Kirche aufgestellte ordo exorcistarum ganz unnütz; wozu wären dann die Exorzismen da?“ Der Exorzismus ist noch heute Bestandteil katholischer Lehre und Liturgie. Der Ritus ist im neu überarbeiteten Teil des Rituale Romanum De exorcismis et supplicationibus quibusdam von 999 geregelt. Die päpstliche Universität Regina Apostolorum bietet seit Februar 2005 sogar eine offizielle Ausbildung zum Exorzisten an. Bis heute wird – besonders in den Medien, die für breites Publikum bestimmt sind – auch die Erklärung der Prozesse wiederholt, die diese einer „Verirrung“, dem Aberglauben zuschreibt: „Es ist kein Zufall, dass der Hexenglaube bis heute immer dann auflebt, wenn Religion und Wissenschaft an Orientierungskraft verlieren“, in: Hexenwahn. bngste der Neuzeit. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, Berlin 2002, S. 88. Christliche Reliquien, Amulette werden im Katalog zusammen mit Zauberamuletten, und Gegenständen, die Zauber abwehren sollten, präsentiert. 33 Für einen Meilenstein im Kampf gegen den Aberglauben hält Soldan das Buch Bezauberte Welt von Balthasar Bekker, eines Pfarrers aus Amsterdam, der nicht nur den Folgen des Hexenglaubens den Krieg erklärt habe, sondern auch dessen Ursachen – dem Dämonismus und dem Teufelsglauben. 165

HEXEN UND GERMANEN

und die Vernunft spricht Soldan von jeglicher Schuld an den Hexenprozessen frei. Die Verteidigung der Vernunft ist ihm wichtiger als der Tod der Prozessopfer.34 Das Geschlecht der Opfer thematisiert er in seinen Erwägungen über die Dämonologie, Papsttum und Inquisition nicht, die Frage, warum die Repressionen vor allem Frauen betroffen haben, scheint ihn nicht zu beschäftigen. Er merkt lediglich an, dass die meisten Überlieferungen aus den meisten Kulturen Zauberei den Frauen zuschreiben. Mit der Nachsicht eines Wissenschaftlers, der die Bräuche der „Wilden“ unter die Lupe nimmt, führt er Vorstellungen über verbrecherische Handlungen von Frauen gegenüber Männern an, lässt sie aber unkommentiert. In Soldans Werk verwandelt sich trotz vieler Fallbeschreibungen die Geschichte eines Massenmordes in eine Geschichte der Verführung und Ausnutzung des Verstandes durch den religiösen Aberglauben und dessen Rückkehr auf den Weg der Wahrheit. Er erzählt die Geschichte des „blutigen Aberglaubens“ mit „orientalischem Ursprung“, preist die Vernunft und greift das Papsttum und die Inquisition an. Die antirömischen Motive in Soldans Werk wurden im Schrifttum des Dritten Reiches besonders häufig aufgegriffen. Die Interpretation des Hexenglaubens als Aberglaube, mit dem die Kirche das unaufgeklärte Volk über Jahrhunderte manipulierte und noch immer zu manipulieren suche, sowie die Leugnung jeglicher Zusammenhänge zwischen den Hexenverfolgungen und der ursprünglichen germanischen Kultur tauchen in den Untersuchungen des H-Sonderauftrags und in Rosenbergs propagandistischen Reden wieder auf.

Die konstruierte Wirklichkeit und die Stimme der Opfer in Joseph Hansens Zauberwahn Joseph Hansens 900 herausgegebene Arbeit Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter und die Entstehung der großen Hexenverfolgung gehört neben Soldans Buch bis heute zu den Klassikern der Hexenprozessliteratur. Der Autor, ein liberaler und antiklerikaler Archivar aus dem Rheinland, behandelt das Thema trotz seines Berufes weniger archivarisch als Soldan. Überzeugt, dass die Hexerei-Anklageschriften und die Geständnisse der Hexen lediglich die dogmatischen Vorstellungen der beteiligten Theologen wiedergeben, verzichtet er auf eine ausführliche Darstellung der Einzelfälle, wie sie seit Soldan weit verbreitet war. Dabei gerät ihm zwar die soziale 34 Im Gegensatz dazu beschreibt Adorno in Dialektik der Aufklärung die Hexe als den Sündenbock der Neuzeit, in der eine neue Auffassung der Macht über die äußere und innere Natur sich durchsetzt, die Antinomien zwischen Geist und Körper größer werden. Die Aufklärung sei demnach nicht weniger oppressiv als der „mittelalterlicher Wahn“: Die männliche Wissenschaft distanziert sich immer mehr von ihren Objekten, der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten. 166

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Umwelt aus dem Blick, die sich durch die Aktenanalyse erschließen ließe. Aber diese ist für sein Forschungsanliegen auch allenfalls zweitrangig: Hansen geht es darum, die theologische Begründung der Prozesse zu rekonstruieren, was seine Aufmerksamkeit auf Italien und Frankreich lenkt. Da er den Ursprung und die weitere Entwicklung des Hexenbegriffes in den Studien der französischen und italienischen Scholastiker verortet, steht Deutschland nicht im Vordergrund seines Interesses. Die kritische Lektüre der theologischen Texte, in denen das weibliche Geschlecht so oft im Mittelpunkt stand, bewog Hansen, die Opfer und deren Geschlecht zu thematisieren und die realen oder vermeintlichen Zauberhandlungen unter anderem auf die reale Hilflosigkeit der Frauen zurückzuführen. Sein Versuch, eine verstehende Geschichte der Prozesse zu schreiben, bringt ihm bis heute Anerkennung in der feministischen Forschung ein: „Der Zauberwahn ist weiterhin die spannendste und beste Arbeit über die Genese der Hexenverfolgung, gleichzeitig ein Dokument für eine Form von Kulturgeschichte, die in Deutschland bald danach für lange Zeit verschwinden sollte“.35

Die Hexenprozesse als moralisches Fiasko einer Wissenschaft Im Gegensatz zu Grimm und Soldan betont Hansen die Rolle des Monotheismus bei der Erschaffung des Zauber- und Hexenglaubens, den er als Phänomen einer Weltsicht begreift, die insbesondere monotheistischen Religionen eigen ist. Der Monotheismus verdamme nämlich Kontakte mit jeder anderen Kraft als der göttlichen. Polytheistische und dualistische Religionen dagegen dulden unter Umständen solche Versuche. Auch wenn die leicht modifizierte und instrumentalisierte alte magische Weltanschauung der Heiden der Kirche hilfreich gewesen sei und in unterentwickelten, insbesondere den alpinen Regionen den Hexenwahn des Volkes stärken konnte, sei sie jedoch nirgends dominierend gewesen. Aufgrund der Marginalität der heidnischen Einflüsse geht Hansen nur im ersten Kapitel seines Buches auf die Hexe im Volksglauben ein. Nur in diesem Zusammenhang bezieht er sich auch auf Grimm und Soldan. Die Instrumentalisierung des heidnischen Zauberglaubens demonstriert er am Beispiel Deutschlands: Die alten germanischen Gesetze sahen zwar Strafen für den Zauber vor, jedoch nur für den realen Schaden. Diese Tradition habe man im Christentum fortgesetzt und zugleich um andere Elemente bereichert. Hansen akzeptiert folglich die These, nach der die Kirche heidnische Kulte an scholastische Dämonismusauffassungen an-

35 C. Honegger, Vorwort, in: Die Hexen der Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte eines kulturellen Deutungsmusters, hrsg. von C. Honegger, Frankfurt/Main 978, S.2. 167

HEXEN UND GERMANEN

passte und in Teufelsanbetung verwandelte.36 Er interpretiert diese Strategien als einen Versuch der Kirche, durch Vereinnahmung vertrauter Denkweisen, die sich nicht so einfach ausrotten ließen, ihre Macht im Volke zu verankern. Trotz der Analogien mit heidnischen Vorstellungen leitet er jedoch viele entscheidende Elemente des Hexenbildes direkt aus christlichen Vorstellungen ab. So führt er z.B. den Flug und den Hexensabbat, die für die Hexenprozesse von größter Bedeutung waren, nicht auf den heidnischen Glauben zurück, sondern auf den Vorstellungskreis, der mit den Ketzerprozessen zusammenhängt.37 Im Unterschied zu Grimm und Soldan misst Hansen dem Judaismus eine große Bedeutung für die Genese des Hexenglaubens bei, was mit seiner Kritik am Monotheismus korrespondiert. Neben den Kulturen des Orients sieht Hansen im Judaismus, insbesondere im Talmud, eine der Quellen der Dämonisierung der Wirklichkeit. Das Christentum habe den schon existierenden Dämonismus übernommen, die Bedeutung des Satans im Vergleich zum Alten Testament verstärkt, und die Menschen dem Satan ausgeliefert. Hansens Hauptverfahren besteht in der Analyse der Modifizierungen des Hexenbildes in verschiedenen Epochen und des Verhältnisses, das die einzelnen Epochen zu den Bestandteilen des Hexenbildes hatten. Aus dieser Analyse soll sich die Geschichte der Entstehung des Sammelbegriffes „Hexe“ ergeben. Besondere Bedeutung schreibt Hansen dabei der scholastischen Dämonologie und der Übertragung der Ketzeranklagen auf die Hexen zu. Zu den wichtigsten Konstruktionen der mittelalterlichen Scholastik, die mit der Zeit in den Köpfen der Menschen zu Tatsachen wurden, zählt er die Anerkennung der Möglichkeit sexuellen Verkehrs mit dem Teufel als Vollendung des Teufelpaktes. Die Kirche, so Hansen, hat die Angst vor dem Bösen, das sie als immer realer darstellte, sukzessive geschürt und damit den Grund für die späteren Hexenverfolgungen bereitet. Bald begannen die Christen, ihre Gegner ähnlich aggressiv zu verfolgen, wie sie selbst im Römischen Reich verfolgt worden sind. Dabei beschränkte sich die Kirche nicht darauf, neue Theorien zu entwickeln. Sie war sich auch bewusst, dass sie diese unter dem Volk verbreiten musste, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Hansen behauptet, dass seit dem . Jahrhundert die Zahl der plastischen Darstellungen des Teufels in den Mysterien und der Malerei gestiegen sei. Das Böse sollte in der 36 Das Christentum habe z.B. die Walküren, die die Helden vom Schlachtfeld wegtrugen, in Dämonen verwandelt, in einen anderen Zusammenhang gebracht, und ihnen dem Kampf erklärt. 37 Nach allgemeiner Vorstellung versammelten sich die Ketzer in der Nacht. In den Ketzerprozessen taucht das Motiv des Nachtfluges häufig auf. Nach Hansen wurde dieses Motiv benutzt für die Erklärung, wie man große Distanzen in einer Nacht bewältigen konnte, weil die Ketzer oft weit entfernte Ortschaften als Platz der Zusammenkünfte angaben, um die Verdächtigungen von ihrer nächsten Umgebung abzulenken. 168

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

menschlichen Welt immer präsenter werden. Seit dem 3. Jahrhundert habe auch der Einfluss der orientalisch-jüdischen Astrologie und Kabbala zugenommen, selbst an den Höfen und unter den Königen. Die Möglichkeit sexuellen Verkehrs mit Dämonen wurde immer ausführlicher erörtert. Eine nächste Stufe erreichte diese Entwicklung, so Hansen, als Zauberei – im Ergebnis des Machtkampfes zwischen den lokalen Bischöfen und des von der Inquisition vertretenen Papstes – zu Ketzerei umgedeutet wurde. Damit hätte sich der Glaube, dass Hexen als Angehörige häretischer Sekten anzusehen sind, zunehmend verbreitet, was den Übergang von Einzel- zu Massenprozessen ermöglichte. Im 4. Jahrhundert wurden die Hexenprozesse den Inquisitionsgerichten überwiesen und die Maschinerie der Denunziation und der Folter in Gang gesetzt, deren zerstörerischen Charakter Hansen wie folgt beschreibt: „Hier wirkte besonders verderblich die sittliche Verwüstung der Welt infolge des in den Ketzerprozessen planmäßig großgezogenen Denunziantenwesens, das die rohen Instinkte der Menschen weckte“.38

Hansen beschreibt, wie die Ausführungen über Hexerei den scholastischen Figuren Realität verliehen. Eine entscheidende Rolle schreibt er der Schrift Summis desidezantes von Innocent VIII aus dem Jahr 484 zu. Die erste päpstliche Bulle zu dieser Frage gab bekannt, dass maleficia, Beziehungen mit Dämonen und Glaubensleugnung, die zum Teufelspakt der Hexe gehörten, das Eingreifen der Inquisition und die Eröffnung von Gerichtsverfahren rechtfertigten. Dank der Erfindung des Buchdruckes wurde auch der Hexenhammer, ein „Lehrbuch“ der Hexenrichter, massenhaft verbreitet. Obwohl die päpstliche Bulle und der Hexenhammer den Schwerpunkt vom Sabbat auf maleficium verschoben, womit sie, durch die Fragen nach dem realen Schaden, die Anklagen zu rationalisieren suchten, hält Hansen diese Rationalisierung für eine nur scheinbare, da maleficium nur durch den Pakt mit dem Teufel möglich sei und somit Ketzerei, Sabbat und Teufelbuhlschaft einschließe. Den Hexenhammer beurteilt Hansen als einen gelungenen Versuch, die Morde an den vermeintlichen Hexen den weltlichen Gerichten, die die scholastische Definition des Hexenwesens mit der Zeit übernahmen, zuzuschieben und dadurch die Maschinerie des Terrors auszubauen. Während die Lehren des Hexenhammers ursprünglich von vielen deutschen Geistlichen abgelehnt wurden, die Inquisitoren nicht selten Klagen gegen die Städte erhoben, weil diese die Prozesse nicht durchführen wollten, seien sie mit der Zeit, so Hansen, zunehmend zur Selbstverständlichkeit geworden.39 Anfang des 6. Jahr38 J. Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozess im Mittelalter und die Entstehung der großen Hexenverfolgung, Aalen 983, S. 328. 39 Vgl. ebenda, S. 426. 169

HEXEN UND GERMANEN

hunderts, als die Prozesse in Deutschland vorwiegend den weltlichen Gerichten oblagen, weil die Inquisition dort keine Rolle mehr spielte, wurde der neue, von der Inquisition geprägte Hexenbegriff von den Juristen weiterverbreitet: „Wie im Mittelalter durch die Theologen und Kanonisten, so wurde jetzt durch die weltlichen Juristen der neue Hexenbegriff, den diese von jenen acceptierten, dem deutschen Volk aufgedrungen, im Zusammenhang mit dem fremden Recht, das ja das Volk keineswegs aus eigener Neigung in sich aufnahm, sondern durch die berufsmässige Jurisprudenz eingeimpft erhielt“.40

Die Formung des Hexenbildes durch scholastische Spekulationen wurde nach Hansen im 5. Jahrhundert abgeschlossen. Die Hexenprozesse erscheinen ihm als moralisches Fiasko einer Wissenschaft. Er bezeichnet es als den Fluch des Mittelalters, dass die Theorien, die in den Köpfen der Theologen, auch der größten Wissenschaftler dieses Zeitalters, entstanden sind, ohne empirische Beweisprüfung auf die Weltanschauung und das Rechtswesen angewandt wurden. Der Aberglaube sei damit als wissenschaftliche Tatsache sanktioniert worden. Dieser „Unwissenschaftlichkeit“ und „Skrupellosigkeit“ der damaligen Gelehrten stellt Hansen mit einem Optimismus, den die Geschichte bald Lügen strafen sollte, und großem Vertrauen in den Fortschritt und die Objektivität des Wissens die Wissenschaft seines Zeitalters entgegen: „Die kecke Dreistigkeit, mit der die im Mittelalter allmächtige und durch keine andere geistige Autorität kontrollierte theologische Wissenschaft ihre so oft nur auf Traditionen aufgebauten und ohne ausreichende Empirie gewonnenen Ergebnisse unter der stillschweigenden Billigung der Kirchenleitung unbedenklich in das praktische Leben hinübertrug, ist eines der auffallendsten Kennzeichen dieser gewaltthätiger mittelalterlichen Geisteskultur, von der sich die moderne Bescheidenheit oder bngstlichkeit, wissenschaftliche Ergebnisse als Grundlage für Veränderungen der praktischen Weltanschauung und der Rechtsanschauung zu verwerten, sonderbar schwächlich abhebt“.4

Die Kirche, so Hansen, habe von Anfang an einen fruchtbaren Boden für die Hexenprozesse vorbereitet, indem sie die rationale Erklärung der Naturgeheimnisse verhindert und die Menschen zur „einseitigen Verschwendung der menschlichen Verstandesübung auf transzendente Probleme“ verführt hat.42 Die Triebkraft der Prozesse sieht er darin, dass dem Irrationalismus eine rationelle Form verliehen wurde, er als „ein mit den wissenschaftlichen Argu40 Ebenda, S. 524. 4 Ebenda, S. 76. 42 Ebenda, S.329. 170

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

menten der Zeit gestütztes gelehrtes System der einschlägigen Wahnvorstellungen“ auftrat, das einen „maßgebenden Einfluss auf die Anschauungen der öffentlichen Gewalten“ gewann.43 Die wissenschaftlich drapierten „Wahnvorstellungen“ wurden in das System der christlichen Weltanschauung eingepasst, was ihre Anwendung im Strafrecht ermöglichte. Man habe das Zweifeln verlernt und Irrfahrten des Denkens mit der „objektiven Wirklichkeit“ identifiziert. Erst als die Begriffe des Hexenwesens und der Hexensekte von Kirche und Staat akzeptiert und unter Einsatz aller Möglichkeiten des Bildungswesens und polizeilichen Maßnahmen propagiert wurden, konnte es zu den Massenprozessen kommen. Hätte man einfach nur maleficien geahndet, ohne diese mit dem ganzen irrationalen Ungeist aufzuladen, dann hätten die Prozesse den Charakter von Einzelfällen behalten. Den Grund für das Ende der Prozesse sieht Hansen nicht in religiösen Reformbewegungen. Auch der Protestantismus habe die Macht des Teufels nicht in Frage gestellt, deshalb konnte er den Hexenwahn nicht überwinden und hat sich selbst in dämonische Spekulationen verwickelt. Nicht die Theologie hat dem Verbrechen ein Ende gesetzt: „unter dem Schutze dieser erzwungenen [durch Protestantismus – K.L.] Toleranz konnte nunmehr der während des Mittelalters immer wieder gewaltsam unterdrückte und erstickte gesunde Menschenverstand sich wieder im Gegensatz zu der theologischen Abirrung von der Natur bethätigen, indem er von der einseitigen Spekulation grundsätzlich absah, die hemmenden Geistesfesseln mutig zerbrach und die Erkenntnis der realen Naturkräfte, der wahren Beschaffenheit der Welt und des Menschen aus der mittelalterlichen Verbildung siegreich emporzuführen begann“.44

Radikaler als Soldan schreibt Hansen die Überwindung der Prozesse dem aufgeklärten, und vor allem dem säkularen Denken zu. Die Elemente des Zauberglaubens findet er jedoch auch in seinem Zeitalter, und er ist überzeugt, dass sie so lange bestehen werden, wie die Kirche über das Leben der Gesellschaft die Oberhand hat und deren Weltsicht bestimmt. Er hegt jedoch den Glauben, dass sie mit dem Sieg „einer nicht auf religiöse Tradition und Spekulation, sondern auf die Naturwissenschaften, auf Empirie und allgemein anerkannte Denkgesetze gegründeten Weltanschauung“ verschwinden werden.45 Je weiter sich der Mensch von empirischer Naturbetrachtung entferne, so Hansens Credo, desto tiefer gerate er in die Welt der Magie. Als fortschrittsgläubiger Optimist hofft er jedoch, dass die wissenschaftliche Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit die Menschen künftig vor solchen geistigen Verir43 Ebenda, S. 328. 44 J. Hansen, a.a.O., S. 537. 45 Ebenda, S.3. 171

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rungen wie den Hexenprozessen schützen wird. Dass die Scheiterhaufen in der Zeit der Renaissance, der Reformation und der Entwicklung der Naturwissenschaften besonders heftig loderten, verunsichert ihn nicht, denn er hat die Hexenprozesse der Neuzeit vom Mittelalter hergeleitet.

Das Geschlecht der Hexe Abgesehen von den Romantikern gehörte Hansen zu den wenigen Forschern, die das Geschlecht der Opfer thematisiert haben. Die verbrannten Frauen, die die Mehrheit der Opfer ausmachten, nimmt er in ihrem realen Leid wahr,46 dessen Wurzeln er in der Ungleichheit der Geschlechter vermutet. Er stellt fest, dass alle menschlichen Probleme immer vom männlichen Standpunkt her erörtert wurden, was das Bild der Hexe bestimmt beeinflusst habe. Hansen nimmt an, dass angesichts der in der damaligen Epoche gepredigten Askese die nahezu obsessive Suche nach der Beeinflussung des sexuellen Lebens durch Zauber eine besonders wichtige Rolle für die Konstruktion des Hexenbildes gespielt hat: „Aber es liegt auf der Hand, dass, je roher die Gesichtspunkte sind, unter denen eine von einseitig männlicher Seite erfolgende Betrachtung den Verkehr zwischen den Geschlechtern auffasst und schulmäßig wie in der Beichtpraxis ununterbrochen zum Gegenstand casuistischer Erörterungen macht, um so tiefer die Achtung vor dem Weibe sinken muss, und dass besonders in Folge der zwangsweisen Durchführung des Cölibats der Geistlichkeit, dieser das, was ihr auf das strengste verboten war, eben das Geschlechtsleben, als etwas Niedriges, der Sünde Preisgegebenes immer wieder dargestellt werden musste, um den unnatürlichen ihr auferlegten Zwang zu rechtfertigen“.47

Im Hexenhammer sieht er die endgültige Zuspitzung der Hexerei-Anklagen auf die Frauen. Er weist auf viele dort angeführte Beispiele hin, in denen das Weibliche degradiert und verdammt wird, und die nicht nur aus der Bibel, sondern aus verschiedenen Kulturen und Religionen stammen. Alle diese Beispiele, die die infernalische, unreine Natur der Frau illustrieren sollten, wurden im Hexenhammer als Beweise einer universellen Wahrheit interpretiert.48 Das Buch sei eine Zusammenstellung und katholisch-asketische Zuspitzung von seit Jahrhunderten entwickelten frauenfeindlichen Vorurteilen: 46 Honegger sieht in Hansens Buch die Betroffenheit eines Rationalisten, vergleichbar jedoch mit „der betroffenen Zuwendung der romantischen Historiographie zum schweigenden und unterdruckten Volk“, in: C. Honneger, a. a. O., S.0. 47 J. Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozess im Mittelalter und die Entstehung der großen Hexenverfolgung, a.a.O., S. 42f. 48 Vgl.: ebenda, S 483. 172

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„Was aber die Verfasser des Malleus veranlasst, das weibliche Geschlecht so hart zu beurteilen, geben sie von vornherein zu erkennen, indem sie die angeblich weibliche Neigung zu geschlechtlichen Ausschweifungen zum Ausgangspunkt ihrer Raisonnements nehmen. Es ist die alte asketische Richtung der christlichen Theologie, die hier ihre Auferstehung feierte und jetzt zu einer unmittelbaren Gefahr für das weibliche Geschlecht wurde“.49

Diese Verteufelung der Frauen erscheint noch krasser, wenn Hansen daran erinnert, dass die Verfasser des Hexenhammer dem den Marienkult pflegenden Dominikanerorden angehörten: Verehrt wurde aber nur die reine, das heißt jungfräuliche Weiblichkeit. Diese Haltung klagt Hansen der Förderung des Teufelsglaubens an: „Denn je ernster der Kampf mit der Sinnlichkeit geführt wurde, umso mehr häuften sich natürlich die Anfechtungen von Seiten des Teufels, und grade heiligmäßigen Männern erschien der Teufel seit jeher meist in der Gestalt von Schlangen und Frauen“.50

Hansen bestreitet die Auffassung, dass der Marienkult den Frauen eine Kompensation gebracht habe. Trotz der Verehrung der Maria wurden die Frauen in eine totale Abhängigkeit sozialisiert und ihre geistigen Fähigkeiten unterdrückt. Die Verehrung der Jungfräulichkeit „fand ihre Krönung auf dem Baseler Konzil in der Lehre von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria zu fast derselben Zeit, wo auf die dem Geschlechtsgenuss ergebene Frau die finstere Ausgeburt des theologischen Hexenbegriffs zugespitzt wurde“.5 Wie keiner seiner Vorgänger zeigt Hansen die Diskrepanz zwischen der symbolischen Erhöhung der geschlechtslosen Weiblichkeit und dem Leiden der geschlechtlichen Frauen und weist auf den Teufelskreis hin:52 Weil die Frau als in jeder Hinsicht schwächer als der Mann und für die Erbsünde verantwortlich galt, wurde sie auch als für den teuflischen Zauber anfälliger geschildert. Da Sexualität als sündhaft dargestellt wurde, musste sie, die Sündige, auch sexuell ewig unbefriedigt bleiben, den Teufelspakt durch sexuelle Akte vollziehen, und die Sexualität des Mannes durch Zauber beeinflussen:

49 50 5 52

Ebenda, S. 485. Ebenda, S. 486. Ebenda, S. 488. Die geschlechtslose, unerotische Weiblichkeit war ein Thema des Weiblichkeitsdiskurses im Dritten Reich. Auch wenn die nationalsozialistischen Autoren den Mythos der Jungfrau Maria ähnlich wie Hansen „demaskierten“, konstruierten sie ihre eigenen Weiblichkeitsvorstellungen, die sich auf eine ähnliche Konstruktion stützten. 173

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„Es ist nur das jungfräuliche, das unberührte, kein Geschlechtsleben führende Weib, dem die Kirche solche Ehrungen zu Theil werden läßt. Wenn das Weib dagegen seinem natürlichen, geschlechtlichen Berufe folgt, so kommt in der Kirche regelmäßig jene aus dem Orient stammende Vorstellung zur Geltung, die, das Weib herkömmlicher Weise vom Standpunkt des Mannes beurtheilend, in ihm vor allem das Object für die Sinnlichkeit des Mannes sieht, und sich, sobald sich der Geist oder gar die Leidenschaft der Askese stärker rührt, nicht genug zu tun weiss in der Häufung von Schmähungen auf das weibliche Geschlecht, auf das Weib als das Gefäss der Sünde, weil es die Kreise des nach Entsagung strebenden Mannes immer wieder durch Versuchungen und Anfechtungen stört“.53

Die Inquisitoren als Verteidiger der männlichen Reinheit hätten dafür gesorgt, dass die von ihnen konstruierte Sündhaftigkeit der Weiblichkeit als Waffe gegen die realen Frauen benutzt wurde. Den in den Hexenprozessen sehr häufig angeklagten Impotenz- und Liebeszauber erklärt Hansen nicht nur mit der repressiven Einstellung der Kirche zur Sexualität und dem sich auf diese Sphäre beziehenden Aberglauben, sondern auch mit der daraus resultierenden alltäglichen Oppression der Frauen. Er vertritt die These, dass Frauen sich wirklich aus Hilflosigkeit in die Magie flüchten konnten. Sie wurden als Rechtslose von den Vertretern ihrer eigenen Religion an den Rand gedrängt und bedienten sich dieses Mittels, dessen hohe Wirksamkeit von der Kirche bestätigt wurde, weil sie mit Ehebetrug und schlechter Behandlung durch die Männer nicht anders zurechtkamen. Straflos verlassene und verleumdete Ehefrauen oder Geliebte suchten Rache in irrationalen Gesten – von der Öffentlichkeit zur Hexenexistenz verurteilt, wollten sie wirklich Hexe werden. Der Zauber bot ihnen eine Art Kompensation ihrer Schwäche. Genauso oft haben jedoch Männer selbst die Frauen aus Berechnung zu Hexen erklärt: Die Klage eines Mannes, er sei durch Zauber impotent geworden – impotentia ex maleficio – konnte sich als ausgesprochen hilfreich erweisen, wenn er seine Beziehung abbrechen wollte. Der „verzauberte“ Mann durfte Heilung in den Armen einer neuen Frau suchen und erhielt die kirchliche Genehmigung zur Scheidung von der „Hexe“. Hexerei-Anklagen waren damit auch ein Mittel der sozialen Unterdrückung der Frau. Hansen wirft der Kirche vor, dass sie die Vorstellungen, auch die von Weiblichkeit, die zu den Prozessen geführt haben, bis zu seiner Zeit nicht widerrufen hat. *** In der Rezeption der Werke von Grimm, Soldan und Hansen und in den verschiedenen Auffassungen der Hexen-Problematik im Dritten Reich findet 53 Ebenda, S. 420. 174

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

man das Echo einer Debatte, die vor allem die beiden ersten Autoren untereinander geführt haben. Jacob Grimm bedauert im Vorwort zur Deutschen Mythologie, dass die deutschen Forscher viele Erscheinungen der deutschen Kultur von Asien oder dem Altertum ableiten würden. Er nennt unter anderem Soldan, mit dem er zwar die Ansicht teilt, dass die Hexenprozesse sinnlos und grausam waren, hält ihm aber vor, dass er jeden Zusammenhang der Hexen mit der deutschen Mythologie grundlos verneint und die Wurzeln des Dämonismus ausschließlich in römischen und griechischen Traditionen sucht. Soldan, so Grimm, konzentriere sich übermäßig auf die bhnlichkeiten zwischen den mittelalterlichen und antiken Vorstellungen. Dabei übersehe er, dass es kaum denkbar wäre, dass die heidnischen Germanen keine Magie und Geister kannten oder ihr Glauben nach dem Sieg des Christentums einfach erlöschen konnte: „in solcher Weise wäre Woutan unbedenklich auf Jupiter, Holda auf Diana, die gesamte deutsche mythologie auf römische zurückzubringen, und es bliebe uns nichts eigenthümliches als der kahle boden, der die fremde lehre in sich empfing“.54

Soldan, der Grimm bei der Beschreibung einzelner germanischer Bräuche oft mit Hochachtung zitiert, distanziert sich von letzterem konsequent, wenn er auf die genealogische Erklärung der Bestandteile des Hexenglaubens zu sprechen kommt: „Von besonderer Wichtigkeit sind für uns die Nachtfahrten der Zauberweiber. Zwar ist bezweifelt worden, dass auch diese auf altklassischem Boden fußen, und noch Jacob Grimm hat ihren Ursprung lieber an das deutsche Altertum angeknüpft; nichtsdestoweniger sprechen sehr wichtige Gründe dafür, dass sie auf Altklassik zurückgehen. Der Glaube an Hexenfahrten ist nicht nur kein den germanischen Völkern eigentümlicher, sondern seine Grundlagen treten auch bei den Römern in viel älterer Zeit hervor, als es sich bei den Deutschen nachweisen lässt“.55

Soldan polemisiert an mehreren Stellen gegen Grimm, dem er unterstellt, zu schnell überall germanische Herkunft zu entdecken. Die Salz kochenden Hexen müssten nicht unbedingt an heidnische Priesterinnen erinnern, und den Zeitpunkt der Hexenfahrten müsse man nicht zwangsläufig aus heidnischgermanischen Volksgewohnheiten erklären. Im Falle letzterer sieht Soldan eher eine „Nachäffung“ christlicher Zeremonien.56 Grimm habe selber zugegeben, dass das Christentum den heidnischen Begriff der zaubernden Weiber verändert hat, „somit fällt das eigentliche Hexenwesen gar nicht in das Gebiet 54 J. Grimm, Die Vorrede, DM, S. XXI. 55 W. G. Soldan, Geschichte der Hexenprozesse, a. a. O., S. 45. 56 Ebenda, S. 322. 175

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der deutschen Mythologie“.57 Soldan erkennt zwar Grimms Bemühen an, das Fortleben des germanischen Heidentums in der christlichen Zeit aufzuspüren, ohne fremde Einflüsse zu verkennen, hat aber dennoch Bedenken: „im Ganzen spricht er dem germanischen Wesen selbst immer noch weit mehr Nachwirkungen zu, als wir einräumen zu dürfen glauben. Dass solche Nachwirkungen, sowohl alter Zaubervorstellungen selbst als auch mancher Einrichtungen, die eine spätere Zeit auf Zauberei umdeuten mochte, im allgemeinen möglich seien, bestreiten wir nicht; aber die von Grimm angegebenen sind wenigstens in der Ausdehnung, wie sie der verehrte Forscher nimmt, nicht wahrscheinlich“.58

Soldans Tochter, Henriette Heppe, betonte im Vorwort zu der von ihrem Mann bearbeiteten Ausgabe des Buches ihres Vaters: „Die Entzifferung der Hieropglyphen und Keilschrift hat gelehrt, dass Zauberglauben und Magie bis auf vorgeschichtliche Zeiten zurückzuführen sind, so dass, was Soldan damals als Hypothese aufstellte, Jakob Grimm und Wuttke aber mit Entgegenstellung des alten Germanentums bekämpfen – der Satz nämlich, dass der Glaube an Zauberei vom Orient sich nach dem Westen herüber verpflanzt habe – nun so ziemlich klargestellt erscheint“.59

Hansen, der im Vergleich zu Grimm und Soldan eine innovative Sichtweise der Hexenprozesse in Bezug auf die Frauen vertritt, in den Prozessen weder germanische noch sonstige heidnische lebendige Vergangenheit sucht und eindeutig die christliche Religion für sie verantwortlich macht, bezieht sich auf Grimm und Soldan, wie bereits erwähnt, nur in dem Kapitel, das den Zauber im Volksglauben beschreibt. Alle drei Interpretationen der Hexenprozesse boten den nationalsozialistischen Autoren wichtige Zugänge zum Thema. Grimms Versuch, in den Hexenvorstellungen die Glaubenswelt der alten Deutschen zu entdecken, den Deutschen eine mythische, kontinuierliche, identitätsstiftende Vergangenheit zu geben, sowie seine selektiv ausgewählten Aussagen zum Christentum wurden im Dritten Reich als Quelle von Zitaten genutzt, die dem neuen Verständnis des Germanentums und der Rolle der Wissenschaft dienen sollten. Grimms Werke veranschaulichen, wie wesentlich der Mythos für die politische Integration ist, wie er die Geschichte in eine Gemeinschaft der Toten und Lebenden verwandelt und das Wissen über die Vergangenheit als heroische Vorzeit der Gegenwart zur Verfügung stellt. Auch für die Rolle der Weib57 Ebenda, S. 322. 58 Ebenda. 59 H. Heppe, Vorwort, in: W. G. Soldan, Geschichte der Hexenprozesse, a. a. O., S. 9. 176

DIE HEXENPROZESSE UND DIE SCHULDFRAGE

lichkeit als der Trägerin der Erinnerung in solch mythischen Konstruktionen konnte man von ihm übernehmen. Seine Zielsetzungen und Denkweisen kommen auch in der nationalsozialistischen Forschung zum Tragen. Soldan war für die nationalsozialistischen Autoren vor allem als eine unerschöpfliche Quelle für Prozessbeispiele und Argumente gegen das Papsttum von Nutzen. Er lieferte auch Beispiele für den Aberglauben der katholischen Kirche und vor allem Argumente für den ungermanischen Charakter der Prozesse. Hansens Beweisführung zum theologischen, christlichen Charakter des Hexenbildes wurde gegen seine Absicht als Bestätigung des nicht germanischen Ursprungs der Hexenprozesse gedeutet, sein Interesse für die Opfer als Beweis der Frauenfeindlichkeit der Kirche. Vor allem diejenigen Autoren, die sich mit Hansen auseinandersetzten und auf ihn beriefen, kamen auch auf Frauen zu sprechen. Die Erfahrung der Hexenprozesse scheint in der europäischen Geschichte immer wieder in Zeiten grundlegender Veränderungen und der Neuordnung der Gesellschaft aus dem Speichergedächtnis geholt zu werden. Einige Interpretationsmuster ziehen sich konstant durch die ganze Geschichte, doch jedes Mal finden auch zeitgeschichtlich, kulturell und politisch bedingte Innovationen in der Rezeption statt. Immer wieder entdeckt man Lücken in der Erinnerung, man thematisiert bislang verdrängte Aspekte und verschweigt solche, die mit der jeweiligen Diskursposition nicht in Einklang zu bringen sind.60 Auch die NS-Ideologen, die das Wesen und die Ordnung der „neuen deutschen Gemeinschaft“ auszuarbeiten trachteten und eine historische oder mythische Legitimation dafür zu liefern suchten, gingen nur selektiv auf die frühere Hexenprozess-Forschung ein. Durch das Zurückgreifen auf die Forschungstradition konnten sie zwar ihre propagandistische Auffassung der Geschichte der Hexenprozesse mit wissenschaftlichen Autoritäten untermauern und sie scheinbar innerhalb einer Tradition platzieren, gleichzeitig jedoch brachten sie damit auch Motive und Verwicklungen ins Spiel, die den ideologischen Charakter ihres Vorhabens und die mangelnde „Forschungsneugier“ entblößten. Um eine einheitliche, überzeugende, rassistische Auslegung der Hexenprozesse zu liefern, hätten sie alle Widersprüchlichkeiten und Grautöne der früheren Interpretationen, die Zweifel an ihrer eigenen hervorrufen könnten, aus der Welt schaffen müssen (was der H-Sonderauftrag mit den „Neube60 Vgl.: W. Behringer, Neun Millionen Hexen. Entstehen, Tradition und Kritik eines populären Mythos, in URL: http://www.historicum.net/themen/hexen forschung/thementexte/rezeption/art/Neun_Millionen/html/ca/0e43e9dea3/; G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 986; N. Freytag, Hexenverfolgungen in der deutschen Ge-schichtsschreibung des 9. Jh., in URL: http://www.historicum.net/themen/hexenfoschung/lexikon/sachbegriffe /art/Hexenverfolgung-2/html/artikel/64/ca/a3770485/. 177

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arbeitungen“ der Standardwerke teilweise versuchte). Die Macht, die unerwünschten Diskussionsstränge einfach vollkommen zu löschen, besaßen sie jedoch nicht. Die Inkonsequenzen, die dadurch in ihrem vereinfachten, anschaulichem Bild auftauchten, verrieten den Mangel „des spezifischen Denkzwanges der Beweise“ und stellten einerseits ihre „Wissenschaftlichkeit“ in Frage, die abseits jeder Entwicklung des Denkstils stand, wie sie wissenschaftliche Denkkollektive nach Fleck auszeichnet, bereiteten ihnen andererseits sogar innerhalb einer Fraktion Probleme bei der erwünschten Ausarbeitung einer einheitlichen, nationalsozialistischen Vision der Prozesse.

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Al fred Rose nbergs Geschic hte der Hexenprozesse ohne Hexen

Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts liefert ein krasses Beispiel für die Instrumentalisierung des Hexen-Themas zu ideologischen Zwecken, auch wenn das Thema hier nur am Rande angeschnitten wird. Zwar verfolgten auch die im vorigen Kapitel angesprochenen Autoren in ihren Abhandlungen mehr oder weniger bewusst bestimmte weltanschauliche Ziele, doch leisteten sie zumindest auch Beiträge zur Forschung über die Geschichte der Hexenprozesse. Wenn Rosenberg dagegen über die Hexenprozesse schreibt, dann geht er faktisch über die Opfer hinweg. Er sucht im Wesentlichen nur Belege für die „germanische Kontinuität“, Argumente zur Begründung des Kampfes gegen Christen- und Judentum und den besonderen Wert der germanischen Kultur. Die Hexenprozesse dienen ihm als Propagandamittel und als Bestätigung seiner axiomatischen Thesen; als komplexes historisches Phänomen interessieren sie ihn nicht. Auch den Zauberglauben behandelt er nicht in Verbindung mit den Hexen, sondern als Teil einer feindlichen Weltanschauung. Die Problemkonstellation Germanen – Kirche – Weiblichkeit zwingt ihn jedoch, sich mit dem Hexen-Thema zu befassen, denn er kann dieses Thema nicht umgehen, wenn er eine Charakteristik des „germanischen Wesens“ ausarbeiten will. Zumal die Thematik auch von anderen Autoren ins Spiel gebracht wurde. Direkt angesprochen hat Rosenberg das Thema zunächst nur in Reden, die er vor Frauen gehalten hat. Erst später, in den Schriften, die während der Debatte um den Mythus entstanden sind, hat er es ausführlicher behandelt. Im Unterschied zu Himmler produzierte Rosenberg eine Vielzahl von Texten, die er in einem philosophisch-historischen Diskurs zu platzieren suchte. Seinem Buch stellte er ein Motto aus Meister Eckhart voran. Rosen

Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart; 260 - 327/328), war einer der bedeutendsten Theologen, Mystiker und Philosophen des Mittelalters. 325 wur179

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berg beruft sich oft auf bedeutende Persönlichkeiten der europäischen Geistesgeschichte, etwa auf Aristoteles, Fjodor Dostojewski, Johann Wolfgang Goethe, William Shakespeare, Richard Wagner, Karl Marx. Er unterteilt diese konsequent in positive und negative Denker nach dem Muster: nordisch, germanisch, arisch versus orientalisch, vorderasiatisch, jüdisch. In Folge des Ehrgeizes, ein „architektonisch“ einheitliches System der nationalsozialistischen Ideologie zu konstruieren, erscheinen seine Texte wietaus „gelehrter“ als Himmlers Reden, welche immer auf sofortige Wirkung zielten. In Bezug auf die Punkte, die für Himmler in der Beschäftigung mit den Hexenprozessen wichtig erschienen, lassen sich jedoch auch inhaltliche Unterschiede feststellen. Viel stärker als Himmler thematisiert Rosenberg das Problem der Geschlechter, und zwar in doppelter Hinsicht – auf der praktischen und symbolischen Ebene. Rosenberg gehörte zu denjenigen Naziideologen, die schon 932, nach einem misslungenen Versuch, einen eigenen Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten durchzusetzen, verstanden haben, dass die „Frauenfrage“ in der NS-Bewegung überdacht werden musste. Denn das Bestreben der nationalsozialistischen Ideologen, die traditionelle Rolle der Frau zu konservieren, lieferte anderen politischen Lagern willkommene Angriffsflächen. So stellte ein Wahlplakat der SPD aus dem Jahr 930 die Frage: „Frauen und Mädchen wollt ihr nichts als Magd und Dienerin sein, wie es die Nazis wollen?“2

Nicht zuletzt deshalb nannte Hitler, der ansonsten gegen eine Verwischung der Rollenabgrenzung zwischen den Geschlechtern eintrat, 932 die Frau die „Geschlechts- und Arbeitsgenossin des Mannes“. Im gleichen Atemzug aber hob er wieder die Rolle der Frau als Dienerin hervor:

2 180

de er beim Kölner Erzbischof wegen angeblich häretischer Glaubensaussagen in seinen deutschsprachigen Predigten denunziert. 326 wurde gegen ihn ein Inquisitionsverfahren eröffnet. Ein Jahr später wandte sich E. mit einer öffentlichen Erklärung in Köln an das Volk, beteuerte feierlich seine Rechtgläubigkeit und erklärte sich zum Widerruf bereit, wenn ihm in seinen Schriften oder Predigten häretische bußerungen nachgewiesen werden könnten. Der Prozess endete erst nach seinem Tod. Die Bulle Johannes XXII In agro dominico vom 27.3.329 verurteilte 7 Textstellen aus seinen Werken als häretisch und  als häresieverdächtig. Nach: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. II BBKL Hamm 990, Spalten 455-46. Autorinnen der rechtsextremen Gemeinschaft Deutscher Frauen berufen sich in ihren Texten über Eckhart als einen Vertreter der „nordischen Seele“ noch heute auf Rosenbergs „Mythus“. In: http://www.g-d-f.de/. Vgl.: I. Weyrather, Muttertag und Mutterkreuz, Frankfurt/M. 993, S.49 f.

ALFRED ROSENBERGS GESCHICHTE DER HEXENPROZESSE OHNE HEXEN

„Sie ist das immer gewesen und wird immer bleiben. Auch bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen muss sie das sein. Ehedem auf dem Felde, heute auf dem Büro. Der Mann ist Organisator des Lebens, die Frau seine Hilfe und sein Ausführungsorgan“.3

Als Verantwortlicher für die weltanschauliche Ausrichtung der NS-Bewegung befasste sich Rosenberg besonders intensiv mit der Rolle der Frau im Staat. In seinen häufigen Reden vor Frauen versuchte er, ihren Platz in der nationalsozialistischen Gemeinschaft zu bestimmen, sie für die nationalsozialistische Politik zu gewinnen, ohne ihnen jedoch einen Teil der Macht zuzugestehen. Rosenbergs Denken ist durch Geschlechterdualismus geprägt. Nicht nur für die Beschreibung der Rollenteilung in der Gesellschaft, sondern auch in seinen Theorien über Geschichte, Kultur und Politik fungieren die Begriffe „männlich“ als klar und „architektonisch“, „weiblich“ als „lyrisch“ und gestaltlos. Männlich und weiblich sind Kategorien, mit denen er Rassen, Völker, Kulturen und Religionen beschreibt. Das Christentum klassifiziert Rosenberg als eine männliche Religion. Im Gegensatz zu Himmler versucht er, es zu „regermanisieren“. Er lehnt nicht das Christentum generell ab, sondern nur das „verjudete“, römische Christentum. Mit der Idee einer „Rearisierung“ der Lehre Jesu Christi schwebte ihm faktisch eine zweite Reformation in Deutschland, die Entstehung einer deutschen Nationalkirche vor. In diesem Spannungsfeld zwischen Geschlecht, deutscher Religiosität und Kirchenfeindschaft beginnt Rosenbergs Auseinandersetzung mit dem Hexen-Thema. bhnlich wie bei Himmler spielen auch bei Rosenberg das Blut und damit die Rassenlehre eine wichtige Rolle. Während Himmler jedoch einen entschieden biologistischen Rassismus vertritt, erlangt bei Rosenberg das Blut eine überbiologische Bedeutung.4 Es wird zu einem „Mythus“5 erhoben, der die Gestalt des Volkes forme. Die Erklärungen dieses Begriffes drehen sich jedoch im Kreis: Jede Gestalt, die der Mythos des Blutes hervorbringt, sei rassisch bedingt, eine Rasse aber erkenne man wiederum an der Form, die eine Blutfrage sei. Im folgenden Kapitel geht es u.a. darum, wie diese Rassenauffassung den Hexen-Diskurs beeinflusst hat. Rosenberg teilte mit Himmler die Vorstellung, in einer Zeit zu leben, die eine Neuschreibung der Weltgeschichte erforderte.6 Die Werte „der deutschen

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Zit. nach: Ute Frevert, Frauen, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 997, S.22. Rosenberg selbst gibt zu, dass er von den Rassenbiologen „wenig Kenntnis“ hatte. A. Rosenberg, Letzte Aufzeichnungen, 996, S. 29. Rosenberg benutzt die lateinische Form des griechischen Wortes „Mythos“. A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 93, S. 2 (weiter: Mythus). 181

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Rassenseele“ sollten wieder entdeckt und es sollte ihnen „ihre organische Stellung“ in Staat, Kunst und Religion eingeräumt werden.7 Rosenberg stand der Wiener mythologischen Schule von Leopold von Schroeder nahe.8 Ihr verdankte er u.a. die Inspiration zu der Idee, unter Rückgriff auf die Geschichte den „Charakter eines Volkes“ deuten zu können. Er lehnte die Idee einer universellen Geschichte grundsätzlich ab und forderte, in einer neuen Geschichtsschreibung die Herausbildung „der germanischen Werte“ als eine eigenständige, von anderen Völkern unabhängige Entwicklung herauszustellen: „Das Beschämende ist aber, dass im Gefolge einerseits einer nur allchristlichen, dann einer späthumanistischen Einstellung diese Aufgabe der Geschichte immer mehr in den Hintergrund, das Dogma einer angeblich „allgemeinen Entwicklung der Menschheit“ aber in den Vordergrund gerückt wurde“.9

Rosenbergs Geschichtskonzept wandte sich gegen teleologische Tendenzen, die der Vorstellung einer universellen Menschheitsgeschichte verpflichtet sind und verschiedenen Nationen eine gemeinsame Entwicklungsrichtung zuschreiben. Dabei hatte er vor allem die christliche Erlösungslehre und den Humanismus im Auge, da diese Rassenunterschieden keine Bedeutung beimessen. Rosenberg glaubte nicht an eine objektive, nach universell geltenden Kriterien arbeitende Wissenschaft. Er plädiert vehement für eine wertstiftende und richtunggebende Geschichtsschreibung. Die Vergangenheit solle den Erfordernissen der Gegenwart gemäß gedeutet werden, die Art der Fragestellung werde durch das Blut bestimmt: „E s g i b t k e i n e v o r a u s s e t z u n g s l o s e W i s s e n s c h a f t, s o n d e r n n u r W i s s e n s c h a f t m i t V o r a u s s e t z u n g e n... Die eine Gruppe der Voraussetzungen sind die Ideen, Theorien, Hypothesen, welche die zersplitterten suchenden Kräfte nach einer Richtung lenken und durch das Experiment auf ihren sachlichen Wahrheitsgehalt geprüft werden. Diese Ideen sind rassisch ebenso bedingt wie die willenhaften Werte. Denn eine bestimmte Seele und Rasse tritt dem

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Ebenda, S. 2. Die Mythologische Schule in Wien um Leopold von Schroeder versuchte, durch das Studium von Mythen, Märchen und Legenden eine Kontinuität der deutschen Kultur seit der indogermanischen Zeit nachzuweisen. Die wahre arische Religion sollte rekonstruiert und wieder belebt werden. Leopold von Schroeder war seit 899 Professor für Indologie. Seinem Hauptwerk Arische Religion (Leipzig, 94-96) entnahm Rosenberg die Idee von Indien als einem Musterbeispiel arischer Religiosität. Er hielt Inder für Einwanderer aus dem Norden. Vgl.: E. Piper, Alfred Rosenberg, München 2005. Mythus, S.40.

ALFRED ROSENBERGS GESCHICHTE DER HEXENPROZESSE OHNE HEXEN

Weltall mit einer auch besonders gearteten Fragestellung entgegen“. hebung im Original]

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[Hervor-

Hitler, der Rosenberg in Vielem unterstützte, war in dieser Hinsicht nicht immer der gleichen Meinung, was letzterem manche Enttäuschung bereitete. Rosenberg erklärte sich den Dissens – vermutlich zu Recht – damit, dass Hitler in der immer noch dauernden Kampfphase den Schein wahren musste und seine wahren Ansichten nicht frei äußern konnte. Während eines Gesprächs, das vor der Unterzeichnung des Gründungsauftrags für Rosenbergs Universität „Hohe Schule“ stattfand, erklärte Hitler: „Unsere Weltanschauung muss der exakten Forschung nichts vorschreiben, sondern aus ihrer Arbeit die abstrakten Gesetze folgern“.

Rosenberg war überrascht, aber tröstete sich: „Die positivistische Note des Führers war mir etwas neu. Da er aber den sicheren Glauben an Vorsehung hat, sind eben beide Welten bei ihm zu Hause“.

Trotz seiner Vorbehalte bewilligte Hitler die Gründung der „Hohen Schule“. Wie im Falle des H-Sonderauftrags, dessen eigentliche propagandistische Mission erst für die Zeit nach dem Krieg vorgesehen war,2 sollte diese Schule nach Kriegsende als „zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung“ errichtet werden.3 Rosenberg war sich im Klaren darüber, dass seine Geschichtskonzeption der Umsetzung bedurfte, um Überzeugungskraft zu erlangen:

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Ebenda, S. 20. Zit. nach: Die braune Elite, hrsg. von R. Smelser, R. Zitelmann, Darmstadt 994, S. 227f. In der Reitkunst bezeichnet „Hohe Schule“ die Pferdedressur des höchsten Schwierigkeitsgrades. Die Hohe Schule Herborn (Academia Nassauensis) war eine universitätsähnliche deutsche Hochschule in Herborn, die von 584 bis 87 bestand. Den Namen Hohe Schule benutzte man deshalb, weil sie eine reformierte bzw. calvinistische Gründung war und ihr daher weder vom Kaiser noch vom Papst die offiziellen Rechte einer Universität erteilt wurden. Ob Rosenberg bei der Namenswahl für seine Schule daran dachte, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall sollten die Dressur des höchsten Schwierigkeitsgrades und die betonte Konfessionsfreiheit die zukünftige ideologische Schmiede auszeichnen. Als obligatorische Fächer waren Rassenkunde, Germanenkunde und Geschichte vorgesehen. Auch Geschichte der Geisteswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte der NSDAP waren geplant (Vgl.: E. Piper, Alfred Rosenberg, a.a.O., S. 462-477). A. Hitler, Führerbefehl vom 29. Jänner 940. 183

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„Eine Weltanschauung wird also erst dann ‚wahr’ sein, wenn Märchen, Sage, Mystik, Kunst und Philosophie sich gegenseitig umschalten lassen und das Gleiche in verschiedener Weise ausdrücken, innere Werte gleicher Art zur Voraussetzung haben“.4

Waren Rosenberg und seine Anhänger in der Lage, eine Geschichte der Hexenprozesse zu schreiben, die „nationalsozialistische Werte“ zur Voraussetzung hatte und zur Festigung der nationalsozialistischen Weltanschauung beitrug? Brauchte Rosenberg wirklich die Hexen? Im Folgenden werden diese Fragen sowohl anhand des Mythus als auch Rosenbergs Reden verfolgt.

D e r My t h u s d e s 2 0 . J a h r h u n d e r t s – „ d i e philosophische Deutung des Nationalsozialismus“ oder „intellektueller Rülpser“? Die Reaktionen auf d a s B u c h vo n Al f r e d R o s e n b e r g Im Jahr 930 publizierte Rosenberg sein Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. Über die Popularität dieses Buches und seinen realen Einfluss scheiden sich die Geister. Manche Historiker meinen, dass lediglich der Autor selbst seine Arbeit für ein epochales Ereignis hielt und dass sie allenfalls als Geschenk bei verschiedenen Parteifesten Verwendung fand.5 Andere behaupten dagegen, dass diese Schrift großen Einfluss auf die Weltanschauung der Parteifunktionäre hatte.6 Auch wenn sie nicht wirklich gelesen wurde, sei der Name des Autors wie ein Schlachtruf in den Attacken gegen die Kirche eingesetzt worden, Hitler selbst hätte sich seiner gern in dieser Weise bedient. Formell war der Mythus kein offizielles Parteiprogramm, sondern nur ein persönliches Bekenntnis. Rosenberg selbst betont das in der Einleitung: „Die in dieser Schrift vorgetragenen Gedanken und Schlussfolgerungen sind durchaus persönliche Bekenntnisse, nicht Programmpunkte der politischen Bewegung, welcher ich angehöre. Diese hat ihre großen Sonderaufgaben und muss sich als Organisation fernhalten von Auseinandersetzungen religiöser, kirchenpolitischer Art ebenso wie von der Verpflichtung auf eine bestimmte Kunstphilosophie oder einen

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Mythus, S. 688. Vgl.: R. Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 970. Vor allem jedoch Joachim Fest hat zur Marginalisierung Rosenbergs in der Forschung beigetragen. Vgl.: E. Piper, Alfred Rosenberg, a.a.O., S. 9f. Wie z.B. R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 977.

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bestimmten Baukunststil. Sie kann also auch für das hier Vorgetragene nicht verantwortlich gemacht werden“.7

Das Motto aus „Meister Eckhart“, das Rosenberg dem Buch vorausstellte, soll bezeugen, dass er sich nur an Gleichgesinnte wendet und keinen Religionskrieg führen will: „Diese Rede ist niemand gesagt, denn der sie schon sein nennt als eigenes Leben, oder sie wenigstens besitzt als eine Sehnsucht seines Herzens“.

Hitler distanzierte sich in privaten Gesprächen vor allem von den Fragmenten, in denen er die Idee einer Ersatzreligion erblickte. Er hielt die Gegenüberstellung des Mythos des 20. Jahrhunderts, also von „etwas Mystische[m], gegen die Geistesauffassungen des 9. Jahrhunderts“ für verfehlt. Ein nationaler Sozialist sollte „den Glauben und das Wissen des 20. Jahrhunderts gegen den Mythos des 9. Jahrhunderts“ stellen.8 Gleichwohl enthielt er sich öffentlicher Kritik. Vielmehr pries er Rosenberg offiziell als einen Menschen, „der in wissenschaftlicher und tiefgründiger Weise die festen Voraussetzungen für ein Verständnis der geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus geschaffen habe“,9 als einen „der schärfsten Denker in allen Weltanschauungsfragen“20, als einen größeren Autor als Chamberlain.2 Das vermeintlich „persönliche Bekenntnis“ wurde auf diese Weise faktisch in den Rang einer offiziellen Doktrin erhoben; in der Folge wurde die Schrift öffentlich als „das Buch“ der nationalsozialistischen Bewegung gepriesen. Goebbels,22 der mit Rosenberg zerstritten war und dessen Buch privat als „intellektuellen Rülpser” abtat, erklärte anlässlich der Verleihung des deutschen Nationalpreises für Kunst und Wissenschaft an den Autor: „Alfred Rosenberg hat in seinen Werken in hervorragendstem Masse die Weltanschauung des Nationalsozialismus wissenschaftlich und intuitiv begründen und festigen geholfen... Erst eine spätere Zeit wird wohl zu ermessen vermögen, wie tief

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Mythus, S. 2f. H. Picker, Hitlers Tischgespräche, Stuttgart 963, S. 269. Ebenda, S. 258. Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 942-45, hrsg. von H. Heiber, Stuttgart 962, S. 258. R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich, a.a.O., S.09. Der Preis wurde 937 eingeführt, als Protest nach der Verleihung des Nobelpreises an Karl von Ossietzky. Gleichzeitig wurde Deutschen die Annahme des Nobelpreises untersagt. 185

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der Einfluss dieses Mannes auf die weltanschauliche Gestaltung des nationalsozialistischen Reiches ist“.23

Auch wenn sich das Buch unter Rosenbergs Kollegen keiner großen Beliebtheit erfreute und im Nürnberger Prozess die meisten von ihnen zur Überraschung des Verfassers angaben, den Text nie oder nicht ganz gelesen haben,24 waren Rosenbergs Theorien im Dritten Reich jedoch äußerst präsent. Im von der NSDAP herausgegebenen „Nationalistischen Jahrbuch“ von 93 wurde der Mythus in der Rubrik „Kleine Literatur für den Nationalsozialisten“ aufgeführt und so in den Kanon der Parteiliteratur aufgenommen. Bis 936 wurden über eine halbe Million Exemplare verkauft. Rosenberg verwickelte mit diesem Buch die Kirche in langwierige Auseinandersetzungen und löste Protest- und Abwehrreaktionen zahlreicher Theologen aus.25 Lehrbücher, Schulungen, Propagandaschriften, Geschichtsbücher verbreiteten seine Theorien in der Gesellschaft. Juristen mussten vor der Abschlussprüfung den Mythus studieren, das Buch wurde den Schulen empfohlen, und in ideologischen Schulungen hieß es: „Der Nationalsozialismus ist eine Weltanschauung. Und diese Weltanschauung ist zu finden in Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunderts“.26

Im Nürnberger Prozess nannte der amerikanische Ankläger Rosenberg den „geistigen Priester der Herrenrasse“, der „die Lehre des Hasses schuf, die den Anstoß zur Vernichtung des Judentums gab“.27

D a s B l u t a l s M yt h o s d e r germanischen Gemeinschaft Rosenbergs Buch basiert auf einer rassistischen Deutung der Geschichte,28 die, wie der Autor selbst bekannte, vor allem von Houston Chamberlains Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts inspiriert ist:

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Zit. nach: E. Piper, Alfred Rosenberg – der Prophet des Seelenkrieges, in: Der Nationalsozialismus als politische Religion, hrsg. von M. Ley und J. Schoeps, Bodenheim 997, S. 09f. Was nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss und ebenso gut eine Strategie der Distanzierung vom Nationalsozialismus bedeuten konnte. Die Debatte wird im nächsten Kapitel besprochen. J. Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand, München 946, S.258f.; vgl. auch F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie, Paderborn 998. E. Piper, A. Rosenberg, a.a.O., S. 0. Entscheidend für die Entwicklung der Rassentheorie war Joseph Arthur de Gobineau mit seinem Essai sur l’inégalité des races humaines (853-55), worin er

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„Eine neue Welt stieg in mir auf: Hellas, Juda, Rom. Und zu allem sagte ich ja, und immer wieder ja... Die grundsätzliche Erkenntnis des jüdischen Problems hatte mich erfasst und nicht mehr losgelassen. Was sich später politisch ereignete, schien mir deshalb notwendig – ich brauchte keinerlei subjektive Erfahrung hinzutun. Und was Chamberlain über das Germanentum sagte, begründete bei mir, was ich beim Lesen germanischer Sagen erlebt hatte“.29

Das Blut wird zu einem Mythos verklärt, in dem das letztmögliche Wissen einer Rasse begründet liegt, welches das Leben und die Gesellschaft legitimiert und formt. Die Manifestationen des Blutes, der Rasse, sieht Rosenberg in unterschiedlichen „Gestalten“, die als die Struktur einer Weltansicht in einem politischen oder künstlerischen „Werk“ zum Ausdruck kommen. Die Gestalten verschiedener Rassen stehen in einem unaufhörlichen Kampf gegeneinander. Die Notwendigkeit des Rassenkampfes liegt in der Existenz der „Rassenseele“ begründet: „Seele aber bedeutet Rasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Rasse die Außenseite einer Seele“.30

Diese Seele, deren Funktionen Rosenberg allerdings von denen des Blutes nicht klar unterscheidet, 3 bestimmt, so seine Theorie, die Möglichkeiten und

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den Vorrang der arischen Rasse herausstellt. Nach Gobineau entstanden alle Völker aus einem Stamm – je weniger sie sich von ihm entfernt haben, desto wertvoller seien sie. Diesem Urvolk am nächsten sei die arische Rasse. Keine politischen und geistigen Wandlungen hätten Einfluss auf die Gestaltung des Rassencharakters – das einzige was man für ihn machen kann, ist die Beachtung der Rassenreinheit und das Vermeiden der Mischung mit niederen Rassen. Alle Kulturmischungen führen zum Niedergang. Nur die Germanen haben noch eine kreative Energie behalten, weil sie nur Kolligationen mit den Herrscherrassen zuließen. Huston Chamberlain entwickelte die Rassentheorie in kritischer Anknüpfung an Gobineau weiter. Letzterer habe die Rassenreinheit als etwas biologisch Gegebenes betrachtet, und nicht als einen Wert, um den man kämpfen müsse. Für Chamberlain sind die Germanen die Vertreter der höheren Rasse, ein Volk, das die Idee der Freiheit und die Autonomie der Persönlichkeit in Fragen des Glaubens geschaffen habe. Die Semiten ständen dazu in krassem Gegensatz. Chamberlain verzichtet auf eine naturwissenschaftliche Begründung des Rassenbegriffs. Vgl.: F.L. Kroll, a.a.O., S. 05 f. A. Rosenberg, Wie der Mythus entstand, Manuskript, 935, zit. nach: Die braune Elite, a.a.O., S. 225-.226. Eine ausführliche Besprechung anderer Themen des Mythus bei R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im dritten Reich, Mainz977, S. 42-8. A. Rosenberg, Mythus, S. 2. Das Blut präge zwar die Seele, aber das Blut komme oft als Seele vor – kulturschaffend, schöpferisch, usw. 187

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den Charakter eines Volkes.32 Sie besitzt kulturschaffende Funktionen und lehnt Kompromisse mit anderen Rassenseelen ab. Obwohl es eine lange Tradition gibt, in Kategorien der Originalität und Einmaligkeit von Kulturen zu denken,33 nennt Rosenberg seine „Entdeckung“ dieser „völkerregierenden“ Regel „eine kopernikanische Wende“. Diese Selbstdeutung ist reichlich übertrieben, dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen seiner Vorstellung einer sich in Kulturkreisen abspielenden Geschichte und zum Beispiel den romantischen Konzeptionen. Das betrifft vor allem die Charakterisierung des Faktors, der diese Kulturkreise zusammenhält. Im Gegensatz zu den Romantikern beruft sich Rosenberg auf einen Wert, der ursprünglich nicht aus der übersinnlichen Welt stammt – das Blut.34 Mit der Hilfe der Blutmetapher baut er eine Brücke zwischen dem geistigen Kampf verschiedener Kulturformationen und der biologischen Ebene. Man könnte von einem Darwinismus

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F.L. Kroll weist auf die romantische Prägung der Volkmetapher bei Rosenberg hin (Volksgeist, Volksseele, organisches Wachstum jeder Kultur), obwohl sich Rosenberg bei der Begründung seiner Thesen nie auf die Romantiker beruft: F.L.Kroll, a.a.O., S. 3. Von der Einzigartigkeit der einzelnen Völker und Kulturen schrieb Herder, der Nationalcharakter, die „Seele“ des Volkes bestehe nicht nur in der Sprache, dem Territorium, der Kunst, den Umgangsformen und religiösen Vorstellungen, der Erinnerung an die Vergangenheit, sondern er bestimme auch die Eigenheit eines Menschen, sogar seine subjektiven Empfindungen. Nationen und ihre Ausformung in Nationalcharakteren seien nicht naturgegeben, sondern immer Produkte der Geschichte und damit sowohl vergänglich als auch veränderbar, aber jedes Volk habe so etwas wie einen Keim, der sich nicht züchten lasse (J.G. Herder, Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, in: J.G. Herder, Werke 4, Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 774-787, hg. von Jürgen Brummack und Martin Bollacher, Frankfurt a.M. 994). Karol Sauerland hat in Herders Denken die Kategorien des Pflanzenwachstums aufgezeigt und auch auf die Aspekte hingewiesen, die ein Ausschließungs- und Gewaltpotential enthalten (K. Sauerland, Herders Auffassung von Volk und Nation, in: Interkulturalität und Nationalkultur in der deutschsprachigen Literatur, hrsg. Maja Razbojnikowa-Frateva, Hans-Gerd Winter, Thelem 2006). Hegel entwickelte eine Volksgeist-Idee, nach der der Volkgeist die Gesetze, die Institutionen, das Territorium und die kollektiven Erinnerungen eines Volkes beinhaltet und seine Mitglieder prägt. Bei ihm gibt es schon eine Hierarchie der Nationen und die Möglichkeit der Herrschaft einer Nation über die anderen. Auch Oswald Spengler vertrat eine Kulturkreislehre, nach der jede Kultur ihre eigene Lebenszeit hat und durch eine jeweils eigene – nichtbiologische – Urgestalt bestimmt ist (O. Spengler, Der Untergang des Aberlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 972). Vgl.: M. Frank, Gott im Exil, Frankfurt 988, S.26. Manfred Frank schreibt in Bezug auf Rosenberg: „das Blut – der Inbegriff der nicht-übersinnlichen Kräfte – entwirft in seiner Traum-Tätigkeit das Bild dessen, was der Steigerung und Erhaltung der Rasse frommt: und dieses kollektiv anerkannte Inbild des Blutes ist eben der Mythus“.

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der Gestalten reden. Rosenberg trennt die Formen der Weltanschauung von den universellen geschichtlichen Entwicklungsursachen. Sie werden ahistorischen Kräften des Blutes unterordnet und damit in der Sphäre der Biologie verankert. Die Existenz eines Volkes ist durch das mythologisierte Blut gegeben. Das romantische Verständnis von „Volk“ wird durch einen ahistorischen und biologisierten Volksbegriff ersetzt. Trotzdem hält Rosenberg am Begriff des Mythos fest, aber er definiert ihn neu. Der faschistische Philosoph und Untergebene Rosenbergs, Alfred Baeumler, behauptet in seinem Text Alfred Rosenberg und der Mythus des 20. Jahrhunderts, in welchem er Rosenberg als den Begründer der nationalsozialistischen Weltanschauung darstellt, dass es Rosenberg gelungen sei, das größte Problem der Geschichtsphilosophie zu lösen, nämlich die Frage zu beantworten, was ein Mythos ist: „Jeder echter Mythus ist ein Mythus des Blutes. Blut ist die letzte geschichtliche Wirklichkeit, die wir kennen. Welche Gestalt auch ein Mythus haben mag – er ist immer eine Selbstaussage dessen, der ihn formt“.35

Der Blut-Mythos zementiert die germanische Gemeinschaft. Das Blut, damit auch die Rasse, entscheidet über den Volkscharakter und bestimmt die höchsten Werte, die das Leben und die Gemeinschaft legitimieren. Die Mythologisierung des Blutes trägt dazu bei, dass auch die Rasse bei Rosenberg nicht nur empirisch definiert wird und etwas nebulös erscheint.36 Man kann sie an der „Gestalt“ erkennen, die ihre Seele annimmt. Als ein „mystisches Erlebnis“ passt sie jedoch nicht ganz in den rein biologischen Rassismus, der im nationalsozialistischen Denken dominierte und den auch Rosenberg keineswegs in Frage stellen will.. Er schenkt den alten Germanen überraschend wenig Aufmerksamkeit und stellt eine ähnliche These auf wie Jacob Grimm: Die germanische Mythologie birge Schätze, die der Gegenwart dienen könnten. Aber der germanische Glauben, der in dieser Mythologie aufleuchtet, gehöre, auch wenn er nur mit Gewalt zerstört werden konnte, als lebendiger Glauben unwiderruflich der Vergangenheit an: „Im Suchen nach einer neuen seelischen Anknüpfung an Vergangenes gehen nicht die Schlechtesten der heutigen Erneuerungsbewegung nur auf die Edda und ihr verwandte germanische Vorstellungskreise zurück. Ihnen ist es in erster Linie zu verdanken, dass neben der Fabel auch der innere Reichtum unserer Sagen und Märchen unter dem Schutt und der Asche der Scheiterhaufen wieder sichtbar geworden ist. Aber die germanischen Glaubensgemeinschaften übersehen im Verfolgen ihrer Sehnsucht, bei vergangenen Geschlechtern und ihren religiösen Gleichnissen inne35 36

A. Baeumler, Alfred Rosenberg und der Mythus des 20 Jahrhunderts. Als Einleitung zu Alfred Rosenberg Schriften und Reden, München 943, S. 70. Vgl.: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O., S. 06. 189

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ren Halt zu finden, dass Wotan als Religionsform tot ist. Er starb nicht am „Bonifazius“, sondern an sich selber; er vollendete den Untergang der Götter einer mythologischen Epoche, einer Zeit der unbekümmerten Natursymbolik“.37

Im Gegensatz zu Grimm sucht Rosenberg Inspiration nicht in Details, in mühsam rekonstruierten Bräuchen oder sprachlichen Spuren der germanischen Vergangenheit. Wie die alte Welt ausgesehen hat, scheint ihm recht gleichgültig zu sein. Die Glaubenswelt der alten Germanen war seiner Auffassung nach zum Untergang verurteilt, auch ohne Zutun des Christentums: „Es steht wohl außer Frage, dass auch ohne den Eingriff des bewaffneten römischsyrischen Christentums eine Epoche germanischer Geschichte – das mythologische Zeitalter – zu Ende ging. Die Natursymbolik wäre einem neuen sittlichmetaphysischen System, einer neuen Glaubensform gewichen. Diese Form aber hätte fraglos denselben seelischen Gehalt umgeben, die Idee der Ehre als Leitmotiv und Maßstab gehabt“. 38

Das, was Rosenberg interessiert, sind die Ideen der Willenhaftigkeit, Ehre, Treue, des Schöpfungsgeistes, die er als rein germanisch klassifiziert. Diese Ideen sieht er in unterschiedlichen Formen in unterschiedlichen Zeiten zum Ausdruck kommen, überall dort, wo der „nordische Geist“ tätig war. Überraschend in dieser Darstellung ist das Motiv des „Wanderns“, das dem Ideal der deutschen „Bodenständigkeit“ fern steht, vor allem Odin als „ewiger Wanderer“, der an den „ewigen Juden“ erinnert: „Eine Form Odins ist gestorben, d. h. Odin, der oberste der vielen Götter als Verkörperung eines der Natursymbolik noch unbefangen hingegebenen Geschlechts. Aber Odin als das ewige Spiegelbild der seelischen Urkräfte des nordischen Menschen lebt heute wie vor 5000 Jahren. Er fasst in sich zusammen: Ehre und Heldentum, Schöpfung des Gesanges, d. h. der Kunst, den Schutz des Rechts und ewiges Suchen nach Weisheit. Unbefriedigt, ewig suchend, durchwandert der Gott das Weltall, um Schicksal und Wesen des Seins zu ergründen. Er opfert ein Auge, um der tiefsten Weisheit teilhaftig zu werden. Als ewiger Wanderer ist er ein Symbol der nordischen, ewig suchenden und werdenden Seele, die nicht selbstzufrieden sich auf Jahwe oder seinen Stellvertreter zurückzuziehen vermag. Die unbändige Willenhaftigkeit, die anfangs so rau in den Schlachtliedern über Thor durch die nordischen Lande wuchtet, sie zeigt gleich an allem Anfang ihres Erscheinens auch die innere, strebende, weisheitsuchende metaphysische Seite in Odin, dem Wanderer“.39

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A. Rosenberg, Mythus, S. 29. Ebenda, S. 55. Ebenda, S. 678.

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Mit dieser Unbestimmtheit kann Rosenberg die Kontinuität des Germanischen überall dort aufzeigen, wo es ihm passt. Im Gegensatz zu Grimm sucht er nicht nach Beweisen seiner Thesen. In christlichen Heiligen, in der Malerei, Mystik und Architektur erkennt er immer wieder germanische Einflüsse. Weil er den Begriff der Ehre als den Kern des Germanischen bestimmt, kann er auf den Spuren „der Ehre“ ohne die Mühen der Beweisführung „eine germanische Geschichte“ schreiben: „Im nordischen Wiking, im germanischen Ritter, im preußischen Offizier, im baltischen Hansen, im deutschen Soldaten und im deutschen Bauern erkennen wir den lebengestaltenden Ehrbegriff in seinen verschiedenen erdgebundenen Auswirkungen. In der Dichtkunst sehen wir von den alten Epen an, über Walther von der Vogelweide, die Rittergesänge bis Kleist und Goethe das Motiv der Ehre als Gehalt und das der inneren Freiheit als wichtigstes Gestaltungsgesetz auftreten“.40

Rosenberg lehnt die Konzeption ab, nach der sich verschiedene Kulturen wechselseitig beeinflussen. Er nimmt das unveränderliche Blut als das Wesen des Volkes an, das sich nicht entwickelt, sondern von Anfang an geformt ist. Auf diese Weise schafft er ein Modell der Geschichte als eines Kampfes monadeähnlicher Kulturkreise um das Überleben des besten unter ihnen. Es gebe keinen Austausch zwischen den Kulturen, höchstens Situationen, in denen einer momentan schwächeren Kultur von einer stärkeren Werte aufgezwungen werden, die ihrer “Seele“ schaden. Rosenberg akzeptiert theoretisch das Recht jeder Nation auf die eigene „Seele“ und auf die Suche nach deren Ausdruck. Nur die Juden schließt er aus.4 Er unterstellt den Juden die Arroganz des „auserwählten Volkes“, aber auch in diesem Fall verwendet er andere Argumente als die meisten Naziideologen. Er setzt vor allem an der Kritik der jüdischen Religion als Ausdrucksform der Rasse an. Weil er dem Judentum die metaphysische Dimension abspricht und in der Seele dieser „Rasse“ nur flachen Materialismus sieht, hält er sie für unfähig, eine eigene Kultur zu schaffen. Die Juden seien nur zur Nachahmung und Zersetzung der höheren Kulturen fähig. Damit kann er sie für alles verantwortlich machen – die Verfälschung des Christentums, den Zauberglauben, die „Verbrechen“ der Freimaurer und der Geldwirtschaft, die Verbreitung der Unzucht, den Kommunismus. Eine besondere kulturbildende Rolle spielt in Rosenbergs Weltbild die nordisch-germanische Rasse, die dort mit Führungseigenschaften versehen ist. Diese Rasse hat überall dort, wo es im Laufe der Geschichte zu einer kulturellen Blüte gekommen ist, Spuren ihres Wirkens hinterlassen. Hier profitiert Rosenberg wieder von seiner unklaren Definition von „Rasse“ und seinem 40 4

Ebenda, 26 f. Vgl.: F. Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O., S.2 f. 191

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überbiologischen Begriff des Blutes. Als nordisch bezeichnet er alle Kulturen, in denen er Elemente seiner Weltanschauung findet, oder in die er sie projiziert. Sein scheinbarer Kulturpluralismus erfährt durch das Führungsprinzip eine Beschränkung: Die Führungsrolle bleibt der nordischen Rasse vorbehalten, damit stehen die Wertunterschiede zwischen den Rassen und die Notwendigkeit fest, die weniger wertvollen zu unterwerfen.42 In Bezug auf die Hexen vermeidet es Rosenberg, das Wort „Blut“ zu verwenden. Auch das Wort „Hexenprozesse“ wird man bei ihm nicht antreffen. Das ergibt sich aus der Logik seiner Konzeption: Da im Blut-Mythos das Wesen der germanischen, männlichen Kultur liegt, kann er vom Blut der Frauen, das in den Verfolgungen der germanischen Rasse geflossen ist, nicht sprechen. Es ist ein abstraktes „germanisches“ Blut, das von den Feinden der nordischen Kultur vergossen wurde – von den Jesuiten als den blutigsten Feinden, durch blutiges Chaos, blutgierige Erynien, blutige Kämpfe, Kriege, Blutrausch. Das Blut kann sich rächen, aufraffen gegen die Feinde, sterben oder lebendig werden, erwachen, dichten, gestalten oder als Welle kommen und Kraft ausstrahlen. Gefährlich seien das von den Blutzusammenhängen gelöste, selbstherrliche Ich, Blutschande, blutlose Ideen, fremdes dunkles Blut, vergiftetes Blut. Man solle sich vor der blutverseuchenden Großstadt und dem verschwenderischen Blutaufwand hüten. Man dürfe nicht wieder denselben Fehler begehen wie damals die Germanen, als sie in den Kreuzzügen Ströme von Blut für die herrschaftssüchtige Kirche vergossen. Was ein Volk leiten soll, das sind die blutgebundene Vorstellung, die Religion des Blutes, blutvoller Sinn, blutvolle Dynamik seines Wesens, das Gesetz bzw. Gebot des Blutes, die Unbefangenheit des gesunden Blutes, der altgermanische Blutsgedanke, der Blutswille – alles Begriffe, die Rosenberg nicht näher erläutert. Das nordische, germanische Blut sei blond, uralt, am besten, heilig, herrschend, schöpferisch. Mit dem „vergossenen Blut“ meint er immer „das Blutsopfer“ der Nation, das Blut der Ketzer, der gefallenen Helden, der Märtyrer der neuen Bewegung, in deren Reihen Himmler die Hexen zu integrieren versuchte. Nicht zufälligerweise kommt dagegen bei Rosenberg der Scheiterhaufen nur im Zusammenhang mit den männlichen Ketzern vor, auch mit den französischen Ketzern, die für ihr „arteigenes Denken“ starben, mit den unabhängigen Denkern, mit der „Vernichtung der Seele“ und mit der Verschüttung unter der Asche der germanischen Bräuche. Die Verbrennung und das vergossene Blut 42

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Rosenberg forderte für die nicht-russischen Völker in Russland eine andere Behandlung als für die Russen, er unterstützte deren Nationalsprachen und Literatur, was vermutlich seinem Rassenverständnis zuzuschreiben ist. Nach Kroll zeuge seine Ostpolitik von der zentralen Bedeutung „geschichtsbezogener Spekulationen auch für jene Bereiche praktischer Politik, welche zunächst weitab von allem Geschichtsbezug zu liegen schienen", in: F.L. Kroll, Utopie als Ideologie, a. a. O., S.8.

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der Frauen erwähnt Rosenberg kein einziges Mal. Frauen dienen „der Bluterhaltung“, sie sind blutgierig wie Erynien oder wie die Hexen aus angeblich etruskischen Überlieferungen über Knabenopfer, die „Jünglinge für Geld zu dieser Hingabe [Selbstaufopferung] veranlassen wollen, um dann in Flammen zum Himmel zu steigen“.43 Was Rosenberg davon abhält, auch im Blut der Hexen das Blut des Volkes zu sehen – was Himmler wie selbstverständlich tat -, wird verständlicher, sobald man verfolgt, von welchen Kulturen er das Zauberwesen ableitet und welche Vorstellungen er mit Weiblichkeit verbindet.

Griechen, Römer und Germanen als Ap o l l o - An h ä n g e r u n d d i e G e b u r t d e r H e x e i n den Kulturen der Dunkelheit Rosenbergs Buch trägt den Untertitel: Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. Gerade der Kampf um die Gestalt, um die Form des Volkes, bestimmt für ihn den Wert der Rasse.44 Diese Definition rechtfertigt Gewalt im politischen Leben, weil alles, was der in der Ideologie definierten Gestalt dient, gerecht sei, und alles, was in dieser Weltanschauung keinen Platz findet, eliminiert werden müsse. Das Leben habe einen Wert nur als eine entschiedene, architektonisch klare Gestalt. Das Verhältnis zur Form entscheide auch über den Wert der Geschlechter. Die nicht kontrollierbare, gestaltlose Weiblichkeit dominiere immer in den niedrigeren Rassen, deren Elemente Chaos und Zauberglauben seien. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern könne die Weltordnung stabilisieren oder zersetzen. Zwischen den männlichen Kulturen der klar definierten Gestalten und den femininen Kulturen des Chaos und der Hexerei baut der Architekt Rosenberg eine hohe Mauer. Die Scheiterhaufen in Europa führt er auf die niederen Kulturen der Dunkelheit zurück. bhnlich wie die Romantiker, die Rosenberg aber selten beim Namen nennt, weil er sich lieber auf Goethe und die Klassik beruft, lokalisiert er den Ursprung aller Kulturen an einem bestimmten Ort. Er verlegt die Heimat des

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A. Rosenberg, Mythus, S. 65. Das Wort „Gestalt”, das Rosenberg im Untertitel benutzt, sieht Frank im Kontext einer Tradition: Seit Dilthey wurde die Geschichte als „Wandel der Gestalten“ gezeigt. Im „Mythus“ jedoch: „Gestalt meint (gutwillig interpretiert): die Struktur einer Weltansicht, ein bestimmtes Paradigma der Welthaltung, so wie es sich in einem 'Werk' manifestiert: sei es in einem politischen Werk, etwa einer Staatsverfassung, oder einem literarischen Werk: einem bestimmten Text. In dieser Bedeutung identifiziert sich 'Gestalt' bei Rosenberg auch gern mit Form“. M. Frank, Gott im Exil, a. a. O., S. 0. 193

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arischen Urvolkes aus dem Norden Indiens nach Nordeuropa,45 von wo aus die nordischen Kämpfer mit ihrer Kulturmission in alle Weltrichtungen gezogen sein sollen.46 Die Forschungen von Geologen, deren Namen er nicht nennt, bringen ihn auf die Theorie von Atlantis: „Es erscheint als nicht ganz ausgeschlossen, dass an Stellen, über die heute die Wellen des Atlantischen Ozeans rauschen und riesige Eisgebirge herziehen, einst ein blühendes Festland aus den Fluten ragte, auf dem eine schöpferische Rasse große, weitausgreifende Kultur erzeugte und ihre Kinder als Seefahrer und Krieger hinaussandte in die Welt; aber selbst wenn sie diese Atlantishypothese als nicht haltbar erweisen sollte, wird ein nordisches vorgeschichtliches Kulturzentrum angenommen werden müssen“.47

Belege für seine Theorie der Verbreitung des nordischen Geistes in Europa entnimmt Rosenberg allen möglichen Regionen. So macht er selbst von absurden Theorien Gebrauch, nach denen der Hof des deutschen Bauern ein Prototyp des griechischen Tempels gewesen sei.48 Die griechische Kultur in ihrer Blütezeit bildet für ihn eine andere Form der nordischen Rassenseele. An diesem Beispiel wird noch einmal sichtbar, wie nützlich Rosenbergs diffuse, biologisch inkonsequente Rassenkonzeption für seine Theorie ist: Er 45

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Rosenberg steht mit seiner Hypothese nicht allein. Hans F. K. Günther behauptete, die Arier seien ursprünglich in Deutschland oder Skandinavien heimisch gewesen, zumindest seien dort die ursprünglichen Eigenschaften insbesondere rassischer Art besonders klar erhalten geblieben. 905 bestimmte Hermann Hirt in seinem Buch Die Indogermanen die Ebene Norddeutschlands als die Urheimat der Arier. Auch viele Theosophen und später auch Ariosophen glaubten, der Ursprung der Arier sei Platons Atlantis gewesen, die Arier somit die Atlanter. Die Suche nach der Ursprache und dem Urvolk wurzelt in Versuchen, das Paradies zu orten und die Sprachen des Paradieses zu bestimmen. So wie der heilige Augustinus und viele Bibelausleger das Hebräische als die Ursprache anpriesen und in der bra der Renaissance jede Nation ihre Sprache im Paradies entdecken wollte, so richteten Herder und Schlegel ihren Blick auf Indien (F. Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Indier, Studien zur Philosophie und Theologie, Bd. 8, München 975, S. 3; vgl.: M. Olender, Die Sprachen des Paradieses. Religion, Philosophie und Rassentheorie im 9. Jahrhundert, Frankfurt/M. 995). A. Rosenberg, Mythus, S. 24. Vgl.: „Im Norden aber entstand organisch durch Verwendung von Langholz der Rechteckbau. Schon aus den Zeiten der Megalithkultur sind heute Bauten nachweisbar mit rechteckigem Grundriß nebst Vorhalle und Pfosten: der Urtypus des späteren attischen Hauses, des griechischen Tempelbaues. Die Häusertypen von Haldorf, Neuruppin, in Brandenburg, Häuser der Steinzeit sind die Urbilder, welche von den nordischen Stämmen weitergetragen wurden ins Donautal, nach Mähren, nach Italien, nach Griechenland“ (A. Rosenberg, Der Mythus, S. 382 f.

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stellt zwischen den Griechen und Germanen eine „innere Verwandtschaft“ fest, die trotz äußerlicher Unterschiede intuitiv als Gemeinschaft der Seelen, der Gestalten anerkannt werden sollte.49 Den Sieg der „nordischen Hellenen“ erklärt Rosenberg als Sieg harter Kämpfer über die degenerierten Lebensformen „der asiatischen Händler”. Das Aufblühen dieser „aristokratischen Welt“ sei möglich gewesen, weil sie „das schöpferische blonde Blut“ zu schützen verstand.50 Die Homer-Zeit ist für Rosenberg eine ideale Zeit der rassischen Reinheit der Weltanschauung, noch nicht „vergiftet“ mit Problemen der Endzeit, wie er die Zeit der Tragödie nennt: „Nirgends zeigt sich die unbefangene nordische Ablehnung alles Zauberhaften klarer und größer als in den immer noch zu wenig beachteten religiösen Werten Griechenlands“.5

Vor diesem Hintergrund scheint es angebracht, diese Werte zu charakterisieren, die Rosenberg mit Berufung auf Johann Joachim Winckelmann und Jacob Burckhard auch den Germanen zuschreibt und mit deren Untergang er das Aufblühen der Zaubergläubigkeit erklärt.52 Die goldene Zeit der griechischen Kultur symbolisieren für Rosenberg Zeus als der Bändiger der Kräfte des Chaos und Apollo, der goldhaarige Verteidiger der Ordnung und Harmonie, Gott des Gesanges und des rhythmischen aber nicht ekstatischen Tanzes. An die Seite der zwei männlichen Gottheiten stellt er Athene, die blauäugige weise Jungfrau, die Betreuerin der hellenischen Schlachten: „Neben Apollon steht die Pallas Athene, das Sinnbild des dem Haupt des Zeus entsprungenen, lebensregenden Blitzes, die blauäugige Tochter des Donnerers, die wei-

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Rosenberg stand mit dieser These nicht allein. Martin Heidegger postulierte 934 auch diese Gemeinsamkeit, sprach den Deutschen die gleiche „Stammesart” wie den Griechen zu, und betrachtete die Germanen als Erben der althellenischen Tradition. Vgl.: V. Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 989, S. 92. A. Rosenberg, Der Mythus, S. 35. Ebenda. Ulrike Brunotte zählt Winkelmann zu den Vätern des modernen Männlichkeitsbildes. In seinem Werk habe es schon den Impuls gegeben, der in der Turnbewegung des Ende des 9 .Jh. wirksam wurde. Sein griechisches Ideal sei rein männlich, edel in seinen Proportionen und von erhabener Selbstbeherrschung – aber auch entsinnlicht und entindividualisiert. Dieses Ideal mit homoerotischer Färbung sei zu dem hegemonialen Männlichkeitsmodell entwickelt worden, in dessen Namen das Homosexuelle ausgegrenzt und pathologisiert wurde, der durchtrainierte und asexuelle männliche Körper wurde als nationales Symbol inszeniert. Vgl.: U. Brunotte, Zwischen Eros und Krieg, Berlin 2004, S. 23f. 195

HEXEN UND GERMANEN

se besonnene Jungfrau, Hüterin des Hellenenvolkes und treue Schirmerin seines Kampfes“.53

Besonders gern beruft sich Rosenberg auf die Worte der „Lichtgestalt“ Athene, mit denen diese im Drama von Aischylos die Blutrache am Muttermörder verhinderte: „Vollen Herzens lob’ ich alles Männliche“.54 Er stellt sie den Mutter-Kulten entgegen, als die „mutterlose und kinderlose Jungfrau“, „Tochter des Himmels-Zeus“ – eine Legitimation des männlichen Staates.55 Athene als Figur der kontrollierten, der Männerordnung dienenden Weiblichkeit, wurde in Hitler-Deutschland zum Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem Leipziger Philosophen Ernst Bergmann56 und der völkischen Schriftstellerin Sophie Rogge-Börner.57 Diese Auseinandersetzung dokumentiert die Polarisierung des nationalsozialistischen Lagers in den Geschlechtsfragen. 53 54

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A Rosenberg, Der Mythus, S. 36. Der vollständige Urteil von Athene lautet bei Aischylos (Die Eumeniden) folgendermaßen: „Und für Orestes leg ich diesen Stein hinein./Denn keine Mutter wurde mir, die mich gebar, /Nein, vollen Herzens lob ich alles Männliche,/Bis auf die Ehe; denn des Vaters bin ich ganz./Darum des Weibes Los begünstigen werd ich nie,/Die umgebracht hat ihren Mann, des Hauses Hort“. A. Rosenberg, S. 39. Ernst Bergmann (88-943), Philosoph; seit 930 Mitglied der NSDAP, beteiligt an der Entstehung der Deutschen Glaubensbewegung, einer Bewegung zur „Erneuerung der deutschen Religiosität“. Zur Bedeutung dieser Bewegung und der Popularität des Mythus in ihren Reihen vgl.: B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O, S. 5 und 04. Zwei von Bergmanns Büchern, „Deutsche Nationalkirche“ und „Die natürliche Geistlehre. Eine deutschnordische Weltsinndeutung“, wurden vom Papst Pius XI auf den Index gesetzt. Mit seinem Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist hat Bergmann Angriffe von allen Seiten, auch aus dem eigenen Lager, provoziert. Sophie Rogge-Börner (878-955), geb. in einer Offiziersfamilie; Studium der Geschichte und skandinavischen Sprachen, Studienrätin; gruppierte gebildete Frauen des nord- und ostdeutschen protestantischen Bürgertums. um sich In ihrem Buch Die innere Gestalt der nordischen Frau (938) versucht RoggeBörner eine mythenimmanente, mit rassistischen Kommentaren versehene Neuinterpretation der Islandsaga und der „Edda“. Sie begreift den Mythos als verdrängte Realgeschichte, die mythischen Gestalten als historische Figuren. Sie beansprucht Macht für eine sozial-rassistisch definierte weibliche Elite, fordert eine radikale Rassenpolitik zur Bekämpfung von „falscher Männlichkeit“ und Männerbündelei. An den höchsten, den führenden Stellen in allen Ministerien und Behörden müssten Männer und Frauen in gleicher Verantwortlichkeit stehen (vgl.: Rogge-Börner, Sophie 933: Denkschrift an den Kanzler des deutschen Reiches, Herrn Adolf Hitler, und den Vizekanzler Herrn Franz von Papen. In: Annette Kuhn/Valentine Rothe: Frauen im deutschen Faschismus, Band , Düsseldorf 987; Liliane Crips, „National-feministische“ Utopien. Pia Sophie Rogge-Börner und „Die deutsche Kämpferin“ 933-937, in: Feministische Studien, 8 Jg. 990. S. 29-37).

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Exkurs Pallas Athene gilt als mutterlose Tochter ihres Vaters Zeus. Hesiod berichtet aber, dass die erste, Zeus gleichgestellte Gattin, Metis, Göttin der Weisheit, die ihm zur Eroberung der Macht über die Welt verholfen hatte, vom beunruhigten Gott verschlungen wurde, als sie von ihm ein Kind erwartete. Zeus, dem Gott des Überganges von der alten chthonischen Welt zur neuen Ordnung des Lichtes, wurde offenbart, dass Metis’ Sohn den Vater stürzen, Metis’ Tochter ihm gleichwertig sein würde. Diese Geschichte bezeugt zwar, dass Athene eine Mutter hatte, „durch die sie im Leibe des Zeus ausgetragen wird und die den verschlingenden Gatten zum Gebären befähigt und zwingt“,58 verändert jedoch nichts an der symbolischen Bedeutung der PallasGestalt, sondern lässt ihre Gebundenheit an die männliche Welt eher noch deutlicher hervortreten. Ihr fällt die Vertretung einer neuen, asexuellen, das Männliche bejahenden und von Männern konstruierten Weiblichkeit zu. Dementsprechend wird sie als Pallas, kämpferische Jungfrau, Beschützerin der Helden und Göttin der Weisheit, der List und des Krieges und eben als Mutter angerufen. Dieses Paradoxon der Jungfräulichkeit und Mutterschaft wird folgendermaßen erklärt: Als Hephaistos Athene überfiel, hat diese sich zwar mit größter Abscheu befreien, nicht aber seine Erregung verhindern können. So empfing die Erdgöttin den Samen. Sie brachte ein Kind, den Erechteus, zur Welt und gab es Athene, die es im Geheimen von den Töchtern des Kekrops aufziehen ließ.59 So wurde eine annehmbare Erklärung für Athenes Keuschheit und Mütterlichkeit geliefert: Pallas ist Göttin der Empfängnis und gleichzeitig die reine, asexuelle und treue Vatertochter, die sich den anderen Männern entzieht. Auf dem Athener Areopag plädiert sie für die Freisprechung Orestes, der seine Mutter Klytaimnestra im Auftrag Apollons getötet hatte, um die Ermordung des Vaters zu rächen, und verändert auf diese Weise die Rechtssprechung. Der Untergang des Matriarchats und die Freisprechung des Muttermörders Orestes dank der Unterstützung durch die mutterlose Athene fallen für Ernst Bergmann symbolisch zusammen.60 Dies bedeute das Ende einer idea58 59

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K. Kerenyi, Die Jungfrau und Mutter der griechischen Religion, Zürich 952, S.8. In Athen gab es eine Sage von Kekrops, eines aus der Erde geborenen, halbschlangengestaltigen Urmenschen, der der erste König von Athen war und die Monogamie einführte. Kekrops soll verboten haben, die Kinder nach den Müttern zu benennen, patriarchalen Zeus- und Athenekult eingeführt haben und Schiedsrichter im Streit zwischen Athene und Poseidon gewesen sein. Nach: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen. Bd. II: Die Heroen-Geschichten. München 966. S. 69 - 7. Bergmann war nicht der einzige männliche Verfechter der Matriarchatstheorie im Dritten Reich. Der andere bekannte Anhänger dieser Theorie war Hermann 197

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len Epoche der „natürlichen“ Verhältnisse zwischen den Geschlechtern. In seinem Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist. Eine Soziosophie der Geschlechter begibt sich Bergmann auf der Suche nach der „wahrhaftigen“ Bestimmung der Männlichkeit und der Weiblichkeit in das von Erotik und Intellektualismus unberührte Reich der Tiere.6 Die Interessen der züchtenden und nach der Vervollkommnung der Gattung strebenden Natur werden dort, so Bergmann, vom Weibchen vertreten. Obwohl der sexbesessene Mann aus biologischer Sicht überflüssig zu sein scheint, werde er jedoch dank der Erfahrung des Orgasmus zum geistigen Wesen.62 Davon leitet Bergmann die Überlegenheit des Mannes in der Welt der Kultur ab, aber auch seine Unfähigkeit, „das Mysterium der Fruchtbarkeit“ zu kultivieren. Dem weiblichen Wesen sei ein solcher Zustand der Entrückung fremd, und weibliche Sexualität sei ausschließlich auf die Lebensgebung gerichtet. Die Fähigkeiten der Frau – ihr „Muttergeist“ – qualifizieren sie zur Keimzelle des Staates,63 weil die Bildung der sozialen Urform „nicht in der Paarung (Ehe?), sondern im Mutter-KindGefüge zu finden“ sei. 64 Trotz alledem könne die Frau nur den Staat stiften, nie aber den Staat regieren. Sie sei die ordnende Kraft, die sich selbst aber nicht reflektieren kann, zahlreichen Gefahren ausgesetzt sei und deshalb auch einen Führer brauche.

6 62

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Wirth vom „Ahnenerbe“. Wirth glaubte, eine „atlantisch-nordische“ Rasse im Raum der heutigen Arktis entdeckt zu haben, in der die „Volksmütter” eine zentrale Rolle gespielt hätten. Noch 960 erklärte er das Scheitern Hitlers mit der verhängnisvollen Ausschließung der Frauen: „Geistig unfähige Mitarbeiter, in Verbindung mit einer geistesgeschichtlich völlig unzulänglichen, gestrigen männlichen Fachwissenschaft, schufen an jener männerbündisch-ideologischen Ausrichtung des Nationalsozialismus in ihrer Weiterentwicklung als ‚Drittes Reich’ mit… So kam es, dass die deutsche Gemeinschaft im Aufbruch des Nationalsozialismus Hitlers nicht zur Entfaltung gelangte und dass an maßgebend beratenden und führenden Stellen sich keine geistig hochstehenden Frauen befanden, bei denen man noch hätte erfahren können, was sich geziemet. Der deutsche Name stände heute unantastbar in der Welt“. Nach: K. Sell, Dr. Luitgard Löw über die „Sehnsüchte der Weimarer Republik am Beispiel Herman Wirth“, http://www.uni-bamberg.de/leitung_organisation/gremien/beauftragte/ frauenbeauftragte/leistungen/foschung/bamberger_forum_genderforschung/ chronik/bedenkliche_ideologische_karriere/ (9.09.2007) Diese Zusammenstellung – Erotik und Intellektualismus – kommt auch bei Rosenberg, negativ belegt, vor. Deutlich sind Einflüsse des Hinduismus in der Verbindung des Orgasmus mit spirituellem Aufstieg. Jakob Wilhelm Hauer, der Gründer der Deutschen Glaubensbewegung, der Bergmann angehörte, war zuerst Missionar in Indien, dann Indologe. Mit dieser Behauptung, wegen der er oft angegriffen wurde, gehörte Bergmann zu einer Minderheit unter den nationalsozialistischen Ideologen, welche den Ursprung des Staates vorwiegend im Männerbund suchten. E. Bergmann, Erkenntnisgeist und Muttergeist. Eine Soziosophie der Geschlechter, Breslau 932, S.60.

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In ähnlichem Sinne schränkt Bergmann auch die religiöse Funktion der Frau ein. Nur der männliche Wunsch nach der „Wiederverschmelzung mit dem Weltmutterschoss“ könne den religiösen Gedanken hervorbringen, welcher der Frau an sich fremd sei. Die Frau kann Priesterin und Vermittlerin des Göttlichen sein, aber nur in dem Rahmen, der vom männlichen Geist geschaffen wurde. Diese „natürliche“ Bestimmung der Geschlechterrollen geriet, so Bergmann, zum ersten Mal ernsthaft in Gefahr, nachdem die Hellenen das MutterPrinzip negiert hatten, also nachdem Orestes freigesprochen worden war. Die neue Welt wird symbolisiert durch die mutterlose, dem Haupt eines Mannes entsprungene Athene. Diese legitimiere die neue patriarchale Ordnung. Sie sei eigentlich „eine androgyne Konstruktion des sich emanzipierenden männlichen Gehirns, aus dem sie gepanzert und geschient hervortritt, in Wahrheit ein mit Helm, Schild und Lanze gewappneter Mann“65 – eine Konstruktion, die biologische Gesetze in Frage stelle. Die abstrahierte Mutterschaft und die – wenn auch nur symbolische – Einbeziehung des Weiblichen in die Sphäre des Logos passt nicht in Bergmanns Weiblichkeitsbild. Er wirft Athene vor, dass mit ihrer Hilfe der „männliche Geist“ das „Weibliche“ entmachtet und erniedrigt habe. Erst nach dieser Umwertung hält Bergmann eine Verzerrung des „natürlichen Weltbildes“ durch die Philosophie und Religionen des Mannes für möglich, der sich in geistige Welten begibt und das tellurische Prinzip verdrängt. Der Mann setze seit dieser Zeit das Geschlechtliche und vor allem das Weibliche mit der satanischen Sphäre gleich und akzeptiere die Frau als Göttin nur in der Gestalt der Jungfrau. Am Ende dieser Entwicklung sieht Bergmann das frauenfeindliche Christentum, das „die Degradierung der vorantiken Himmelskönigin und Allmutter zu einer mitleidig geduldeten Menschenfrau Maria [vollzog], deren Heilandsmuttertum mit schwierigen Philosophemen und Dogmen erklärt werden musste, während im innergöttlichen trinitarischen Prozeß drei Männer miteinander die Weltgeburt manipulierten“.66

So bleibt Bergmann zufolge ein tragischer und unveränderlicher Widerspruch bestehen, der Verfassung des Menschen bestimmt und die Herrschaft des Mannes absichert: Obwohl Männer die Geschichte „mit Blut und Tränen schreiben“, obwohl sie dem Jenseits zugewandte, von „Erdenangst und Todesahnen“ diktierte Weltanschauungen schaffen, obwohl sie lebensunfähige Staaten gründen, dürfen sie auf diese Aufgaben nicht verzichten, weil „das weibliche Geschlecht Geschichte, Weltanschauung und Staat niemals machen kann und machen wird“.67 Deshalb habe der asoziale und egoistische Mann 65 66 67

Ebenda, S.263. Ebenda , S. 237. Ebenda, S. 3. 199

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den Auftrag, eine kulturelle und soziale Revolution durchzuführen. Was diesem Muster einer „naturgemäßen“ Verteilung der Geschlechterrollen nicht entspricht, verurteilt Bergmann mit einer überraschenden Wut: „erotisierte und intellektualisierte Frauen“, die sich anmaßen, sich nach der Unterdrückung ihres Muttertriebes eigenständig zu denken und nach Erkenntnis zu streben, brandmarkt er als: „unnatürliche Zwitterwesen, in denen die gesunde Lebenskraft (...) erloschen ist. Sie sind, was bei den Männern die Homosexuellen sind, Entartete und Kranke, ja schlimmer noch als diese, denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt. Das Beste wäre, sie zwangsweise zu begatten, um sie zu kurieren“.68

Die mütterliche Weiblichkeit wird von Bergmann zum Keim der neuen Gemeinschaft erklärt. Die Frau solle dem neuen, erwachten Mann als ihrem Führer, Ritter und Erlöser schweigend folgen. Ihr werde im neuen Staat die Aufgabe zufallen, den Menschen biologisch zu züchten. An dem gesunden Muttergeist soll der irrende männliche Erkenntnisgeist genesen. Bergmanns Deklarationen der Befreiung des weiblichen Körpers enden in der Ablehnung der weiblichen Sexualität. Einer der Hauptunterschiede zwischen seiner Vorstellung der Weiblichkeit und der von ihm kritisierten Athene beruht auf einem anderen Status der Mutterschaft. Die Mutterschaft wird nicht mehr schamhaft durch Verheimlichung und das Verschweigen des Koitus sowie symbolische Übertragung der Gebärfunktion auf den Mann gerechtfertigt. Indem Bergmann die Frau zu einem asexuellen Wesen erklärt, das in der Kulturwelt nur durch Gewalt am eigenen Wesen, also durch unwillige Zustimmung zum sexuellen Akt zur Erfüllung ihrer Berufung gelangt, macht er die Mutterschaft zugleich zu einer Staatsaufgabe und religiösen Haltung: „Ein Volk reich an unmütterlichen Frauen, an alten Jungfern, Prostituierten, gelehrten Mannweibern ist reif zum Untergang“.69 Damit die „mütterliche Weiblichkeit“ kontrollierbar und „hell“ bleibt, werden die von Bergmann wiederholt beschworenen chthonischen Mächte ihrer dunklen Seite beraubt und die Frau als Individuum zum Verschwinden gebracht. Mächtig ist wiederum nur die vom Mann konstruierte Weiblichkeit, als Legitimation einer von ihm ausgedachten und regierten Welt. Die körperlose, in ihrer Mutterschaft jungfräuliche und im Unterschied zu Athene natürlich-unbewußte Trägerin des Muttergeistes gleicht in ihrer Unbeweglichkeit und Erstarrung einer Mutterbiene. Bergmanns Aufruf – „Noch heute herrscht in unserer Kultur die muttergeistfeindliche Athene, noch heute wird täglich die Mutter gemordet. [...] Den Schlussakt der Tragödie des Aischylos schreiben aber wir Heutigen.

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Ebenda, S. 404. Ebenda, S. 447.

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Die Eumeniden beugen sich nicht mehr unter den Richterspruch“70 – ist ein Bekenntnis zu einem Mythos, der dem Mann auf Kosten der Frau, die als das handelnde und denkende Subjekt geopfert wird, die Rückkehr zur Natur in einer „organischen“ Gemeinschaft verspricht. 932 veröffentlichte Sophie Rogge-Börner, die Herausgeberin der Zeitschrift „Deutsche Kämpferin“, eine Replik auf Bergmanns Schrift unter dem Titel Zurück zum Mutterrecht? Studie zu Professor Ernst Bergmann „Erkenntnisgeist und Muttergeist.7 Rogge-Börner kritisiert Bergmanns Versuch, den Unterschied zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen aus dem Biologischen abzuleiten, und beruft sich dabei auf naturwissenschaftliche Untersuchungen, die die Sinnlosigkeit der These von der intellektuellen Überlegenheit der Männer längst bewiesen hätten. Einen zentralen Fehler bei Bergmann sieht sie darin, dass er die Geschichte des homo sapiens mit Hilfe der Triebtheorie erklärt: Die große Bedeutung, die Bergmann dem Sexualtrieb beimisst, beruhe darauf, dass er „die Hypersexualität des heutigen Menschen“ fälschlicherweise als Norm unterstellt. Rogge-Börner wundert sich, warum Bergmann die Frauen als Denkerinnen in Frage stellt, wenn er doch die männliche Philosophie einer scharfen Kritik unterzieht. Wenn der männliche Geist so degeneriert sei, warum spricht Bergmann dann vom männlichen Führer, statt davon, Führerschaft in Frauenhände zu legen? Wenn Erkenntnis Männersache sei, warum verdienen die vom Mann geschaffenen Systeme eine so gründliche Kritik? Bergmann erscheine als ein Vertreter des männlichen Erkenntnisgeistes, der den Mut hatte, die Verbrechen der Männerherrschaft beim Namen zu nennen, was aber noch lange nicht bedeute, dass er frei von den Fehlern seines Geschlechtes sei. Die Quellen der Erniedrigung der Frau sucht Rogge-Börner nicht im Sieg des männlichen Erkenntnisgeistes, den es nicht gebe, sondern im Verlust der Blutreinheit der nordischen Stämme. Nur wenn man die Frage aus rassischer Perspektive betrachte, finde man eine Erklärung der Degradierung der Frau. Erst nachdem die Führungsschicht der Hellenen ihre Blutreinheit verloren hat, wurde die der nordischen Rasse angeblich eigene Geschlechterharmonie zerstört. Die Beschützerin der Hellenen, Athene, ist nach Rogge-Börner kein Erzeugnis des männlichen Verstandes, sondern ein Zeichen der heilen Welt, „die in göttliche Steigerung erhobene Lebenserfahrung des nordischen Mannes, neben dem die Frau als schwesterliche Kameradin und Kampfgenossin in nie angezweifelter Ebenbürtigkeit durchs Dasein ging“.72 Rogge-Börner stellt sich damit auf die Seite der aktiv kämpfenden männlichen Athene und erhebt Anspruch auf die als männlich geltenden Eigenschaften und Privilegien. Die von der „Hypersexualität“ des 70 7 72

Ebenda, S. 273. S. Rogge-Börner, Zurück zum Mutterrecht? Studie zu Professor Ernst Bergmann: „Erkenntnisgeist und Muttergeist“, Leipzig 932. Ebenda, S. 25. 201

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heutigen Menschen freie Göttin erinnert sie an die kämpferische Germanin, von der Tacitus berichtet, und das von Bergmann verachtete Schwesterliche, Mannweibliche der Athene findet bei ihr gleiche Anerkennung wie das Mütterliche. Pallas Athene ist für sie auch ein Beweis, dass Bergmanns These über die sexuellen Wurzeln des Erkenntnisgeistes jedes Sinnes entbehre und aus falschen Interpretationen resultiere. Die Gestalt der klugen Göttin, „die für B. die männliche Erkenntniskraft verkörpert, hätte ihn bei schemafreiem Denken wohl darauf bringen können, dass Erkenntniskraft eben weder männlich, noch weiblich, sondern ungeschlechtlich ist“.73 Rogge-Börner attestiert Bergmann eine Verblendung, die ein Resultat der Besessenheit vom biologischen Geschlechterkampf und der Missachtung der Rassenlehre sei. Ihre rassische Argumentationsweise ist eigentlich ein Versuch, sich als Frau im männlichen rassischen Diskurs einen eigenen Platz zu erkämpfen. Sie behauptet, dass die Vorherrschaft des mütterlichen Prinzips nur auf nordisch beeinflussten Gebieten bestand. Nicht der männliche Geist, sondern bestimmte Rassen hätten Erlöser und Religionsstifter zur Welt gebracht. Der Kult der Jungfräulichkeit und der unbefleckten Empfängnis seien durch den Ekel der orientalischen Rassen gegenüber der natürlichen Geburt bedingt. Die nordische Kultur kenne weder Erlösungsbedürfnis und Sündhaftigkeit, noch die Teilung in männliche und weibliche Gottheiten. Deshalb kann Rogge-Börner Bergmanns Begeisterung für gotische Madonnen nicht teilen und erinnert an die „christlichen“ Hexenprozesse als an einen Muttermord – auch an den zukünftigen Müttern: „Wenn man ihm [dem nordischen Menschen – KL] das gotische Mittelalter als glücklich preist, das vor der lächelnden Mutter mit dem Kinde kniete, so steigen vor seinem inneren Gesicht die Kellergewölbe dieses selben gotischen Mittelalters auf, deren Wände die Qualschreie und das Stöhnen der gemarterten und gefolterten Mütter- und Mädchenleiber in sich sogen, und die Schutthaufen, auf denen nie gezählte Tausende von Müttern und noch nie Mütter gewordenen Frauen gemordet wurden, gemordet auf Befehl der Priester einer Mutterreligion. Wäre die mittelalterliche Anbetung der Magna Mater etwas anderes gewesen als eine leere kultische Form, wäre sie der wahrhaftige Ausdruck einer aus der innersten Volksseele strömenden MutterVerehrung gewesen, so hätte niemals die Kirche es wagen dürfen, ihr Gewand mit den Flecken des vieltausendfachen Muttermordes zu besudeln“.74

Nicht über Pallas Athene sei Gericht zu halten, sondern über den Androkratismus, der in das deutsche Volk durch rassische Degenerierung eindrang und

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Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 29.

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durch das Christentum, dessen Wurzeln im Judentum liegen, legitimiert wurde.75 Rogge-Börner will mit den von Bergmann bekräftigten Vorurteilen brechen: Die Sexualität der nordischen Frau unterscheide sich nicht von der gesunden männlichen Sexualität. Germanentum heiße Gleichstellung von Frau und Mann und deren „metaphysische Einheit in einem kameradschaftlichen Bund“.76 Der Muttergeist im Sinne von Bergmann existiere nicht. Das be-

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Rogge-Börner ist kein Einzelfall. Aggressiv antisemitische Haltungen findet man oft in den von Frauen verfassten Texten. Als Beispiel sei ein Zitat aus dem Brief von Dr. Margarethe Kurlbaum-Sieber an Hitler angeführt: „Der jüdische Mann erdachte die Religion, die die große weibliche Schöpferkraft außerhalb jeder Anerkennung und damit in Wahrheit außerhalb jeder Wirkungsmöglichkeit über den engsten, familienhaften Kreis setzte. [...] Judentum hat die Frauen für unrein erklärt. Diesen Menschheitsfluch aber haben die Männer fast aller Völker aufgenommen“(zit. nach: B. Schier, Hexenwahn, a.a.O., S. 6). Der Rassismus und Antisemitismus vieler Publikationen dieser Zeit, die von Frauen verfasst wurden, bedeuten mehr als nur eine weibliche Replikation der herrschenden, männlichen, Ideologie. In der Übertragung des Paria-Status auf den „Anderen" sieht Eva-Maria Ziege eine Möglichkeit der Selbstbestimmung der Frau in Hitlers Staat, in dem Frauen immer wieder Befürchtungen der Ausschließung, des Verlustes der Privatheit der Familie, der symbolischkulturellen Auslöschung äußerten. Einerseits bezogen sie sich auf Weiningers Synthese von Weiblichkeit und Judentum sowie auf seine These, dass keine Frau die Idee der Weiblichkeit besser repräsentiere als die Jüdin. Die Übernahme dieser Konstruktion in das allgemeine Bild von Weiblichkeit habe, so ihr Vorwurf, zur Diskriminierung der Frauen geführt. Auf diese Weise konnten sich die Vertreterinnen der nordischen Rasse von der jüdischen Anderen distanzieren und die Frauenverachtung in der nordischen Kultur als eine tragische Verirrung, als Verblendung durch rassenfremde Theorien, als irrtümliche Schlussfolgerung der Gegenüberstellung des arischen Mannes und der jüdischen Frau interpretieren. Die andere Seite dieser Strategie bildet eine Synthese von Judentum und Männlichkeit – der misogyne Mann ist ein Jude, dessen Religion der Frau ihre schöpferischen und priesterlichen Kräfte genommen und sie zum unreinen Wesen degradiert hat. Wenn die Frauenverachtung in der „orientalischen“ Kultur ihre Wurzel hat, lässt sich die zerstörerische Männlichkeit auf den jüdischen Mann beschränken. Dies ermöglicht es der arischen Frau, sich mit dem deutschen Bruder und dem Führer zu identifizieren (E.M. Ziege, Antisemitieche Frauen und misogyne Bilder vom jüdischen „Anderen“, in: metis 2-93). Beide Tendenzen sind in Rogge-Börners Werk sichtbar und führen sie zu einer Utopie, der zufolge dem ursprünglichen nordischen Matriarchat das moderne, jüdisch gefärbte Patriarchat gefolgt ist, welches sich in einer blutreinen Gemeinschaft auflösen müsse, um Mann und Frau zu versöhnen. S. Rögge-Börner, Zurück zum Mutterrecht?, a.a.O.,S. 29. Noch heute kann man auf den Internetseiten rechtsextremer deutscher Frauen ähnliche Bekenntnisse lesen: „Hochzeiten waren das größte Fest und die Braut ging in die 'Munt' (Verantwortung – Vormund) des Bräutigams ein. Sie überreichte als Brautgeschenk den Schild, das Schwert und ein gezäumtes Pferd und tat damit öffent203

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wusste, also „rassentreue“ Mutterwerden braucht nach Rogge-Börner keine Rechtfertigung oder symbolische Reinigung. Der sexuelle Akt selbst, jedes Geheimnisses beraubt, wird fast zu einer natürlichen, nationalen Pflicht. Mütterlichkeit und Väterlichkeit können nur in Menschen vergeistigt werden, die bewusst der Vervollkommnung der Rasse dienen. So wie aber der Mann seinen Anteil an der Familie hat, soll auch die Frau Recht auf die öffentliche Sphäre bekommen. Rogge-Börner integriert ihre eigene Weiblichkeitskonstruktion in ein männliches, rassisches System. Sie versucht, sich durch die Aneignung männlicher Phantasien und Rechte in einer männlichen Ordnung Gleichberechtigung zu erkämpfen. So wie der weibliche Körper bei Bergmann „Matrix der Welt“ war, wird er hier zum Abbild des deutschen Volkes. Seine Reinheit ist die Garantie der Reinheit der Nation, um die die Frau an der Seite des deutschen Mannes kämpfen will. Auf diese Weise entsteht ein Wir, das von fremden Einflüssen gereinigt eine Garantie für die „natürliche Lösung der Frauenfrage“ darstelle. Der Körper der Frau als Garant der rassischen Reinheit gehört aber nicht mehr ihr allein. Der sexuelle Akt rückt in die Nähe einer Leibesübung, die erotisierte Marlene tritt zurück zu Gunsten des sportlichen, deutschen Mädels mit dem Hauch eines tieferen, „rein weiblichen“, mythischen Wissens, wie es durch Leni Riefenstahl verkörpert wird. 935 wollte Sophie Rogge-Börner die Irrtümer des völkischen Staates noch einmal benennen. In ihrem Buch Der neue Mensch aus deutschem Artgesetz greift sie Alfred Rosenberg und die Ideologien vom Männerbund an. In diesem Buch, das eine Verschmelzung von frauenrechtlerischen und völkischen Ideologemen ist, unterstützt sie das Sterilisationsgesetz und das Blutschutzgesetz und greift die Pläne der Polygamie (Daree, Himmler) scharf als „frauenfeindliche[n] Rassenmaterialismus“ an. Mit Berufung auf Tacitus und isländische Sagen schildert sie das Leben der Germanen als einen Zustand fast androgyner Geschlechtergleichheit. Schon 933 wurde Rogge-Börner von der NS-Frauenschaft wegen Unterwanderung der geltenden Geschlechterrollen denunziert. 934 musste sie sich von der ausländischen Presse, die ihre frauenpolitischen Forderungen als mit der NS-Frauenpolitik unvereinbar und als Kritik am nationalsozialistischen Staat ausgelegt hatte. öffentlich distanzieren.77 936 distanzierte sich die NS-Frauenschaft endgültig von RoggeBörner: Ihre Zeitschrift sei von einem „nationalen Sadismus“ getragen, sie verbreite feministische und pazifistische Inhalte, stünde mit Juda und Rom im

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lich kund, daß sie bereit ist, sein Schicksal zu teilen, in erster Linie als Krieger“ in: http://www.g-d-f.de/ Vgl.: E.M. Ziege, Sophie Rogge-Börner. Wegbereiterin der Nazidiktatur und völkische Sektirerin in Abseits, in: Zwischen Karriere und Verfolgung. Handlungsräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland, hrsg. von B.Vogel, K. Heinsohn, U. Weckel, Frankfurt/M 997, S. 44-77.

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Bunde gegen das deutsche Volk und propagiere Amazonen-Wahnsinn. Ihr Angriff auf Rosenberg sei eine Ermutigung der ausländischen Hetze, eine Sabotage der Aufbauarbeit des nationalsozialistischen Deutschland. 937 wurde „Die deutsche Kämpferin“ verboten. Eine Verstärkung der allgemeinen Zensur war bereits 936 angeordnet worden. Im Falle dieses Verbots aber wurde die Gleichschaltung der Medien besonders weit getrieben. Hier spielte die Tatsache eine wichtige Rolle, dass der Staat, der sich auf männerbündische Vorbilder stützte, seine Grundstrukturen nicht freiwillig verleugnen und der Frau keine männlichen Rollen anvertrauen wollte, auch wenn sich die Frauen selbst seiner rassistischen Ideologie so bereitwillig unterordneten. Das Geschlechtliche musste gezähmt werden, denn „das Geschlecht ist der nicht reduzierte Körper“,78 und der nicht reduzierte Körper wird von keiner Macht geduldet. Wenn der Frau Sexualität zugestanden wird, so wie das in den „krankhaften“ Fällen Bergmann und Rogge-Börner getan haben, wird die Frau auf sie reduziert, vollkommen degradiert und verliert auch das symbolische Recht, an der Öffentlichkeit, an der Kulturwelt teilzuhaben. Mit Hilfe mythischer Vorstellungen vom „Wesen der Weiblichkeit“ wird in einer Männer-Wirklichkeit nicht nur die reale Frau, sondern auch alles, was als „weiblich“ gilt, aber der herrschenden Ordnung nicht nützlich erscheint, zum Verschwinden gebracht oder zum feindlichen Prinzip, zur Entartung erklärt.79 78

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M. Horkheimer/T.W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 996, S. 269. An der gleichen Stelle heißt es: „Unter der bekannten Geschichte Europas läuft eine unterirdische. Sie besteht im Schicksal der durch Zivilisation verdrängten und entstellten menschlichen Instinkte und Leidenschaften. Von der faschistischen Gegenwart aus, in der das Verborgene ans Licht tritt, erscheint auch die manifeste Geschichte in ihrem Zusammenhang mit jener Nachtseite, die in der offiziellen Legende der Nationalstaaten und nicht weniger in ihrer progressiven Kritik übergangen wird. Von der Verstümmelung betroffen ist vor allem das Verhältnis zum Körper“ (ebenda). Pallas Athene kommt noch in anderen Texten aus dieser Zeit vor. Für die Erforschung dieses Motivs sollte man Benns Text „Pallas“ berücksichtigen, in dem Pallas, von allen Vorstellungen des Geschlechtlichen getrennt, für Verwirklichung des Traumes von der vollkommenen Form steht. Barbara Bressa weist auf ein Buch von Else Frobenius, einer Journalistin, Nationalsozialistin, politisch aktiven und emanzipierten Frau hin – Väter und Töchter (Berlin 933): Die Frau wird dort als Tochter, die wie Pallas Athene dem Vater, als dem geistigen Führer folgt, dargestellt. Vgl.: B. Bressa, Nach-Leben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NS-Skulptur Arno Brekers, Dissertation vorgelegt der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tübingen, Publikationsdatum 23.03.200: http://tobias-lib.ub.uni-tuebingen.de/volltexte/ 200/234/pdf/promotion.pdf. (9.09.2007) Hans Freyer, deutscher Soziologe und Philosoph, ab 933 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, schrieb 935 im Buch Pallas Athene über seine Theorie des politischen Volkes, in dem das Volk als „Block des Volkes“ vorkommt, an dem der Staatsmann wie ein Bildhauer arbeitet. Das „politische Volk“ ist bei ihm männlich 205

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*** Mit der Pallas Athene weist Rosenberg auf eine Weiblichkeit hin, die im Rahmen der germanischen Ordnung ihren Platz finden könnte. Die unkontrollierte Weiblichkeit identifiziert er als – der arischen Kultur feindliche – chthonische Kraft, die „aus den Sümpfen des Nils, aus den Gewässern Kleinasiens, aus den Wüsten Libyens“ stammt.80 Er assoziiert damit Abgründe, Triebe, den Kämpfer bedrohende Sexualität und Verweiblichung. Dass Rohde und Nietzsche sich gerade mit diesen Kräften befassten, dass die Romantiker sich auf den Tod, die Mütter konzentrierten, beurteilt er als Verblendung und Fehler. Vielleicht ist das auch einer der Gründe dafür, dass Rosenberg es trotz einiger romantischer Inspirationen immer vermieden hat, sich auf die Romantiker zu berufen, die seiner Auffassung nach das Griechentum falsch interpretiert haben: „Mit Schauern der Verehrung erfühlt die große deutsche Romantik, wie immer dunklere Schleier vor die lichten Götterbildes Himmels gezogen werden, und taucht tief unter in das Triebhafte, Gestaltlose, Dämonische, Geschlechtliche, Ekstatische, Chtonische, in die Mutterverehrung“.8

Das romantisch-intuitive Denken, angeblich geprägt durch Görres` Mythengeschichte der asiatischen Welt (80) und Bachofens Das Mutterrecht (86), berücksichtige zwar den polaren Charakter der Weiblichkeit und Männlich-

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und kämpft immer gegen Feinde: „Politik ist keine Verwaltung von Sachen sondern eine Herrschaft über Menschen und über ihre Sachen dazu. Politik ist ein Meer an Vitalität, das in der Menschheit steckt über das bloße Leben, über seine Notdurft und Gesittung hinaus“ (H. Freyer, Pallas Athene. Ethik des politischen Volkes, Jena 935, S.39) Zum politischen Volk wird ein Volk „erkoren“, die Macht dieser Gemeinschaft „reicht von der Mitte in jedes Haus und sprengt alle Türen“ (ebenda, S. 82), ein Staatsmann spricht zum „ganzen Volke unmittelbar“, „und dass diese Geister zusammengesiedelt sind, heißt, dass sie zwar nicht immer im Bilde aber immer auf der Agora sind“ (ebenda, S. 82). Solchem Volk verspreche Pallas Athene, „Parthenos, die jungfräuliche, helläugige, kluggesinnte und tatbereite Göttin derer, die etwas sind, etwas wagen und etwas können“ (ebenda S.20), die politische Göttin, „Ehre der geschichtlichen Existenz“ (ebenda, S. 70). Das Patronat über eine politische, staatsbildende Gemeinschaft der Männer, die immer im Zustand des Krieges ist, soll eine Göttin übernehmen: „Unsere Väter kannten sie schon und dienten ihr in ihrer Weise. Aber wir wissen heute, dass sie sie schlecht geliebt haben. Nun aber ragt ihre Speerspitze über unsrer erneuerten Burg, und sie kämpft für uns: Promachos, die strahlende Verteidigerin, die schon von Anbeginn unserm Volk den Namen gab, und die doch ganz jung ist wie der neue Tag, den sie durch uns heraufgeführt hat“ (ebenda, S. 65). A. Rosenberg, Mythus, S. 50. Ebenda, S. 37.

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keit, überschätze aber die weiblichen Elemente und sehe in ihnen ein Verhängnis, das mit dem Zerfall aller Formen und Gestalten ende. Die Vertreter dieses Denkens sähen in der griechischen Kultur vor allem die Mutter, die Erde und den Tod, suchten überall die Wirkung des weiblichen Elements und entdeckten Matriarchat, Amazonen, Hetären. In jeder Mutter fänden sie die Vertreterin der Mutter Erde, den Erynien gäben sie die unbeschränkte Macht über die Muttermörder. In ihrem Griechenland erbt die Tochter das Vermögen und die Unabhängigkeit von der Mutter und die Frau wird zum angebeteten Symbol der Unsterblichkeit der Materie, oder, wie es in Mythus steht, der „Unzerstörbarkeit des an sich gestaltlosen Stoffes“.82 Diese Vorstellungen erwecken Rosenbergs Widerstand. Die Gestaltlosigkeit der Weiblichkeit erfüllt ihn mit Ersetzen. Eine entfesselte Weiblichkeit könne nur Verfall verursachen, aber nichts bauen. Rosenberg gibt zwar zu, dass sie verehrt wurde, von den Lykiern, Kretern, und sogar von den Athenern, aber nur bis Theseus die Amazonen besiegte und Athene die Beschützerin der Stadt wurde – die asexuelle Weiblichkeit im Dienste des Patriarchats. Rosenberg interpretiert dieses Ereignis als den ersten Sieg der nordischen Werte. Aus dem Geist des Vaters leitet er das Griechentum ab und polemisiert gegen Bachofen, der in der Weiblichkeit die Grundlage, die Wurzeln der Kultur sah. Er wirft Bachofen vor, die Rassenfrage außer Acht gelassen und ein wesentliches Element der Weltordnung übersehen zu haben: „Richtig sagt Bachofen, dass der nach Asien scheinbar siegreich eindringende Apoll als Dionysos wiederkehrte; was er und alle übrigen Denker aber übersehen haben, ist die Tatsache, dass Zeus-Apoll die geistig-willenhafte Seite des nordischgriechischen Blutes darstellten, ebenso wie die häterenhafte Lebensform eine bußerung der nicht-nordischen vorderasiatischen und nordafrikanischen Rassengruppen“.83

In Rosenbergs Geschichtsvorstellung fand der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat nicht auf dem Wege der Evolution statt, sondern im Ergebnis des Sieges der nordischen Rasse. Die nordischen Hellenen hätten die Frauenregierung nie als die erste Stufe der Entwicklung anerkannt, sondern sich – im Einklang mit Rosenbergs Theorie von unveränderlicher Rassenseele – von Anfang an nach dem Vaterrecht gerichtet. Die Uneindeutigkeit der griechischen Mythologie resultiere daraus, dass sie in stärkerem Maße „fremdrassigen“ Angriffen ausgesetzt war:

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Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 48. 207

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„Im Gegensatz zur nordisch-germanischen Mythologie ist die griechische auch deshalb so reichgestaltig, vielverschlungen [...], weil die germanischen Götter weniger ähnliche Kämpfe gegen Göttersysteme anderer Rassen ausgefochten hatten“.84

Die Zeugnisse dieses Kampfes findet Rosenberg in der Mythologie. In Jason sieht er eindeutig einen nordischen Helden, der den matriarchalen Kräften den Kampf erklärt hat: „Die Argonauten fahren, wie die Sage berichtet, mit nordischem Winde, eine deutliche Erinnerung an die nordische Herkunft des Apoll, aus dem Norden kommen die alljährlichen Weihgeschenke, aus dem Norden erwartete man den Helden des Lichts. Überall, wohin die Jasoniten gleichsam als griechische Wikinger gelangen, sehen sie sich dunklen chtonischen Göttern, einer Amazonenherrschaft und sinnlichster Lebensauffassung gegenüber“.85

Jasons und Bellerofons Sieg über die Amazonen in Lemnos und die Freisprechung von Orestes sind die nächsten Beispiele dieser Auseinandersetzung. Als eine Tat, die zweifellos gegen die weibliche Welt des Chaos, der Triebe, der Sexualität gerichtet war, interpretiert Rosenberg die Einführung der Ehe durch Jason.86 Die Ehe bedeute nicht Erniedrigung und Degradierung der Frau, vielmehr trete in ihr „...eine neue ehrenvolle Stellung, die edle, fruchtbare Seite des Demeterkultes“ hervor.87 Diese Bändigung der Weiblichkeit und ihre Ausrichtung auf kontrollierte Fruchtbarkeit ist für ihn so wichtig, dass er zur Betonung ihrer Bedeutung eine Geschichte über den Kaiser Oktavian August anführt, der Rom durch die Einführung von Gesetzen gegen Ehebruch, Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit zu retten versuchte. Den Fall von Hellas erklärt Rosenberg mit dem Verrat dieser Prinzipien (der Untreue Jasons, der Zähmung Herakles durch Omfale), mit den Zugeständnissen an Dionysos, und wollüstiger Sexualität, die immer zum Verlust der rassischen Reinheit führe. Mit dem Untergang Griechenlands fällt für Rosenberg eine Welt der Harmonie zusammen, in der kein Zauber gegen die Kräfte der Dunkelheit nötig gewesen, in der dem Leben kein dämonischer Tod entgegengesetzt worden sei, sondern die Geburt und der Tod zwei Pole einer Ganzheit bildeten. Zum Symbol Griechenlands nach diesem Niedergang ernennt Rosenberg Phallus und den ungezähmten Körper – besonders den weiblichen – die eine Apokalypse auslösen können: „Es ist somit nicht griechisch, was wir in Kunst und Leben auf dies Sinnbild Bezügliches finden, sondern Griechen-

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Ebenda, S. 4f. Ebenda, S. 46. Rosenberg meint wahrscheinlich Jasons Heirat mit Medea. A. Rosenberg, Mythus, S. 47.

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feindliches, Vorderasiatisches“.88 Wenn ein Volk eigene Prinzipien verrät, die eigenen Wurzeln unter dem Einfluss der ihm aufgezwungenen Vorstellungen vergisst, beginnt der Untergang. Diesem von Grimm formulierten Gedanken verleiht Rosenberg seine eigene Prägung. Der Untergang bedeutet bei ihm sexuelle Ausschweifung, Homoerotik, Verstoß gegen die Rassenreinheit und das die Rasse ausmachende männliche Prinzip: „Dionysos’ Gesetz der endlosen Geschlechtsbefriedigung bedeutet die hemmungslose Rassenmischung zwischen Hellenen und Vorderasiaten aller Stämme und Varietäten. Die ehemals männerfeindlichen Amazonen erscheinen als mannstolle Mänaden, das apollinische Eheprinzip wird erneut durchbrochen und da das Wesen des Sabazios ganz auf das Weib eingestellt ist, geht auch das männliche Geschlecht einer Zersetzung entgegen, so dass die Männer an den Dionysosfesten nur in weiblicher Kleidung teilnehmen“.89

Rosenberg verbindet Dionysos mit Weichheit, Dunkelheit, Rausch, Dämonismus, orgiastischer Blutgier – dem Ende der griechischen Welt. Der Untergang Griechenlands sei vollzogen gewesen, als das Geld und die Demokratie gesiegt hätten, hinter denen Rosenberg die Juden und die Frauenemanzipation vermutet: „der Sohn vergisst die Pietät gegenüber dem Vater; die Sklaven aus allen Weltteilen rufen nach Freiheit; die Frauen- und Männergleichheit wird verkündet“.90

Auf eine ähnliche Art wie den Sieg der weiblichen Formlosigkeit über die männlich-nordische Architektonik in Griechenland analysiert Rosenberg den Untergang der römischen Kultur des Lichtes, ihre Zerstörung durch die zaubergläubigen Etrusker. Der starke römische Staat sei möglich gewesen, weil die Römer sich konsequenter als die Griechen an das Vaterrecht gehalten hätten. Aber auch sie hätten ihre Prinzipien verraten und seien schwach geworden. Die siegreichen Etrusker hätten die Hetäre auf den Thron gehoben und der entfesselten Sexualität gehuldigt: „In allen Zentren dieser Rassengruppen thronte an höchsten Festtagen die Staatshetäre als Verkörperung der alle gleichmachenden Sinnlichkeit und der Weltbeherrschenden Wollust, in Phönizien im Dienste der Kybele und Astarte, in bgypten zu

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Ebenda, S. 45. Ebenda, S. 47. Ebenda, S. 5. 209

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Ehren der großen Kupplerin Isis, in Phrygien als Priesterin eines absolut hemmungslosen Geschlechtskollektivismus“.9

Rosenberg beschuldigt deshalb die etruskische Kultur, mit ihrer Sinnlichkeit auf der Seite der Dunkelheit und des Zerfalls zu stehen. Aus dem in diesem Kulturkreis angeblich degenerierten Sonnenkult leitet er den Zauberglauben ab: „Aber unter den Händen tuskischer Priester wird daraus asiatische Magie, Hexenwesen, verbunden mit Päderastie, Selbstbegattung, Knabenmord, magischer Aneignung der Kraft des Gemordeten“.92

Die etruskische Kultur sei eine erotische, obszöne Kultur, weil sie auf Sex basiere, der nicht der Fortpflanzung, sondern der Wollust diene. Diese verwandle den Mann in einen Phallus und die Frau in eine Dirne. In den mit Abscheu beschriebenen etruskischen Riten sieht Rosenberg die Anfänge des Teufelsund Hexenglaubens. Das Wesen dieser Kultur symbolisieren für ihn zwei Gestalten – die göttliche Hetäre und der Priester-Zauberer. Deren Hauptmerkmal sei die Verbindung der Wollust mit Dämonismus, die ihre Verwandtschaft mit den für Hellas zerstörerischen Kräften ausmache. Die Etrusker hätten die männliche homosexuelle Lust verehrt, die etruskischen Hexen hätten die Jünglinge zur Selbstaufopferung bewogen. Aus der Tradition des Opferns von Knaben, die sich nach dem Tode in Böcke verwandelten, sei das Motiv des behörnten Teufels entstanden. Im Kampf der Römer gegen diese Einflüsse sieht er eine Bestätigung der römischen Nördlichkeit: „Als zahlenmäßig kleines Volk führten sie einen Verzweiflungskampf gegen das Häterentum durch stärkere Betonung des Patriarchats, der Familie; sie veredeln die große Hure Tanaquil zu einer treubesorgten Mutter und stellen sie dar als Hüterin der Familie mit Rocken und Spindel“.93

Die Familie soll die zügellose Weiblichkeit zähmen. Die Familie allerdings, als die Lösung des Weiblichkeitsproblems, die nur das kleinere Übel sei, kann in der Ideologie Rosenbergs nichts mit dem Staat zu tun haben. Den männlichen Gemeinschaften wird er immer einen höheren Wert zuschreiben. Im alten Rom sieht Rosenberg die Bemühung, die zügellose Sexualität mit den neuen staatlichen, also männlichen Formen des Gemeinschaftslebens zu zähmen. Wegen fremdrassiger Einflüsse sei diese Bemühung jedoch gescheitert. Im 5. Jahrhundert wurde die Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern 9 92 93 210

Ebenda, S. 62. Ebenda, S. 63. Ebenda, S. 65.

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zugelassen, die Rassenreinheit wurde verletzt, und bald setzte eine unheilvolle Dynamik ein: „Der Haruspex siegte, der römische Papst erhob sich als sein unmittelbarer Nachfolger, während die Tempelherrschaft, das Kardinalskollegium, eine Mischung von Priestertum der Etrusko-Syro-Vorderasiaten und der Juden mit dem nordischen Senat Roms darstellt. Auf diesen etruskischen Haruspex geht dann auch 'unsere' mittelalterliche Weltanschauung zurück, jener furchtbare Zauberglaube, jener Hexenwahn, dem Millionen des Abendlandes zum Opfer gefallen sind, der auch durchaus nicht mit Hexenhammer ausgestorben ist, sondern in der kirchlichen Literatur von heute noch lustig weiterlebt, jeden Tag bereit, offen hervorzubrechen“.94

Der Kampf gegen den Zauberglauben ist für Rosenberg im Wesentlichen ein Kampf gegen die gestaltlose Weiblichkeit, die identisch sei mit Verdorbenheit, Körperlichkeit, dem Tierhaften, sowie deren Bestreben, die Oberhand in der Gesellschaft zu erlangen. Rosenberg kommt zu einer verblüffenden, scheinbar unlogischen Schlussfolgerung: In seiner Geschichtsdeutung tritt an die Stelle der ethnischen Kulturen (z.B. der Etrusker) ein religiöses System; zum Erben der aus der feminisierten und verdorbenen Kultur geborenen Magie erklärt er die asketische männliche Kirche. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, diesem Paradox durch die Analyse seiner Vorstellung vom Christentum näher zu kommen.

Christentum, Zauber und Nationalsozialismus Rosenberg bewertet das Christentum, vielleicht wegen eigener östlichen Herkunft, differenzierter als die meisten Naziideologen, die sich vor allem mit der katholischen und protestantischen Kirche befasst haben. Er bekämpft vor allem das der germanischen Rasse feindliche, negative, „verjudete“ Christentum, weil es durch die orientalischen Elemente, die es aufgenommen habe, eine destruktive Kraft bilde: „Dieser abstrakten Geistigkeit standen aber alle Zauber Kleinasien-Syrien-Afrikas zur Seite. Die Dämonen, die von Jesus ausgetrieben wurden und in die Säue fuhren, die auf seinen Befehl zurückgeführte Beruhigung des stürmischen Meeres, die ‚beglaubigte’ Auferstehung und Himmelfahrt nach dem Martertode, das alles war der eigentliche ‚tatsächliche’ Ausgangspunkt des Christentums und erzeugte zweifellos starke Kräfte des Leidens. Nicht vom Leben des Soter (des Heilandes) ging also die

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Ebenda, S. 67. 211

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Welt aus, sondern von seinem Tode und dessen wunderbaren Folgen, dem einzigen Motiv der paulinischen Briefe“.95

Für Rosenberg ist das eine abstrakte Religion, die durch asiatische und jüdische (Paulus) Einflüsse die Lehre Christi zugunsten von Zaubergläubigkeit und Todesbesessenheit verraten habe. Besonders die katholische Kirche setze diese paulinische Tradition fort: „Paulus hat ganz bewußt alles staatlich und geistig Aussätzige in den Ländern seines Erdkreises gesammelt, um eine Erhebung des Minder-Wertigen zu entfesseln. Die falsche Demut gepaart mit dem Schielen auf Weltherrschaft, ein brünstiges, wie bei allen Orientalen religiöses' Verlangen, hier selbst an der Spitze der Rebellierenden zu marschieren, war die Paulinische Verfälschung der großen Gestalt Christi.“96

Weitaus positiver beurteilt er dagegen das russische Christentum, das eine eigenständige, volksgemäße Entwicklung darstelle. Hinsichtlich des Unterschiedes zum römisch-katholischen Christentum beruft er sich auf eine Erklärung, die er in Dostojewskis Brüder Karamasow ausfindig gemacht hat: „Die Tendenz Roms sei es, Religion und Kirche in Staat umzuwandeln, die Tendenz der russischen Seele jedoch, den Staat zur Würde einer Kirche emporzuheben. Das eine ist die Verweltlichung einer Idee, das andere die Durchgeistigung der Welt, das eine Kirchenstaat, das andere Staatskirche. Diente Rom Christentum nur als Mittel, so ist dem Russen Christentum Zweck, der Staat nur Werkzeug“. 97

Die Macht der russischen Religiosität, die selbst dem wildesten Ausbruch eine religiös-inbrünstige Verhüllung verleihe, scheint Rosenberg zu faszinieren. Rosenberg setzt „dem negativen Christentum der auf etrusko-asiatische Vorstellungen zurückgehenden Priesterherrschaft und des Hexenwahns“98 die Idee eines positiven deutschen Christentums entgegen, das allerdings erst in 95 96

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Ebenda, S. 79. Ebenda, S. 606. Seit der Aufklärung sehen viele Denker – u. a. Friedrich Nietzsche, der die Überwindung des Gesetzes durch Paulus als einen Akt des Ressentiments erklärte, oder Hannah Arendt – in Paulus den eigentlichen Gründer des Christentums. Jacob Taubes, Rabbiner und Religionsphilosoph, interpretierte in einer Art philosophischem Testament den Römerbrief als politische Kampfansage an den Herrscher des römischen Weltreiches. Das war 987, und zehn Jahre später veröffentlichte der französische Philosoph Alain Badiou einen Essay, der aus Paulus die Gründerfigur eines militanten politischen Universalismus macht, eine Art Lenin des Christentums, einsatzfähig im Kampf gegen den "Kapitalo-Parlamentarismus". A. Rosenberg, Deutsches Christentum, in: Schriften aus den Jahren 97-92, München 943, S. 585. A. Rosenberg, Mythus, S. 79.

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der Zukunft zu voller Geltung kommen werde. Seine Vorboten seien jedoch schon in der ganzen, auch christlichen, Geschichte auszumachen, denn die deutsche Religiosität sei nie vollkommen zerstört worden. Auch das offizielle Christentum habe in Deutschland nordische Spuren getragen. Als nordisch betrachtet Rosenberg die Gotik in der Architektur, die deutschen Mystiker, und auch den „Mann der Tat“, wie er Luther nennt. Die Deutschen hätten ähnlich wie die Russen an die Persönlichkeit Christi angeknüpft. Rosenberg erkennt im deutschen Katholizismus „positive“ weibliche Eigenschaften: Gefühl, Mystik, Ahnung, Mitleid, Frieden. Im deutschen Protestantismus macht er entsprechende männliche Tugenden aus: Ideenreichtum, Tatkraft, Klarheit, Pflichtbewusstsein, Kampfgeist. Trotz dieser positiven Elemente müsse sich das deutsche Volk jedoch zum richtigen deutschen Christentum erst noch durchringen. Die Lehre Christi müsse im Geiste des „aristokratischen“ Johannisevangeliums von jüdischen und paulianischen Einflüssen „befreit“ werden.99 Rosenberg versteht seine Epoche als die nächste große Wende in der Geschichte des Christentums nach der Reformation: „Jener Deutsche, der, wie gebannt den Blick auf heldenhafte Vorzeit zurückgerichtet, alle christliche Demut und Duldung als vermeintliche Schwäche verwirft, weil er durch sie seine völkische Eigenart bedroht glaubt. National unduldsam aus Prinzip sucht er auf rassenaristokratischer Grundlage nach einem Bild fernster Vergangenheit die Gegenwart zu gestalten“.00

Der Sieg des „negativen Christentums“ in Europa sei möglich gewesen, weil das gefallene, der rassischen Identität beraubte Rom für zwei christliche Parolen anfällig wurde – für die Sündhaftigkeit der Welt und des Menschen und für die göttliche Gnade. Dank dieser Anfälligkeiten habe das Christentum Gehör bei der „degenerierten Rasse“ gefunden, die ihre Erlösung nicht mehr in sich selbst suchen wollte, sondern diese von außen, als Gabe einer höheren Instanz erwartete: „Die Rassenschande zeugt vielspaltige Charaktere, Richtungslosigkeit des Denkens und Handelns, innere Unsicherheit, das Empfin99

Rosenberg beschreibt Christus als ein „Vorbild”, einen „Helden“, als Verkörperung einer stolzen und freien Persönlichkeit. Meditation und Kampfbereitschaft, Ehre, Führerschaftsprinzip, Herren- und nicht Dienerhaltung, der Glaube an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele – diese Eigenschaften würden bleiben und auch die germanische Religiosität ausmachen, wenn man das Christentum von seinen jüdischen Interpretationen bereinige. In diesem Sinne sollte eine Regermanisierung des Christentums stattfinden: Paulus Lehren seien zu verwerfen, auf den aristokratischen Johannes sollte man sich berufen. In diesem Zusammenhang entwickelt Rosenberg auch eine AntisemitismusTheorie, die wie eine Rückkehr des Antijudaismus anmutet: Die Juden, so Rosenberg, kennen keine Metaphysik, ihre Religion sei dogmatisch und materialistisch. 00 A. Rosenberg, Deutsches Christentum, S. 575. 213

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den, als sei dieses ganze Dasein der 'Sünde Sold' und nicht eine geheimnisvoll notwendige Aufgabe der Selbstgestaltung“.0 Rosenberg schreibt das negative Christentum einem ähnlichen Kulturkreis zu wie dem der Etrusker, die die römische Kultur durch die Verletzung der Rassenreinheit unterwandert hätten. Trotzdem scheint er für das Christentum, verstanden als einen Männerverband, der sich Jahrhunderte lang an der Macht zu behaupten vermochte, einen gewissen Respekt zu empfinden. Das Christentum sei viel gefährlicher als jede heruntergekommene und degenerierte Rasse; seinem Wesen nach sei es die reine Verneinung der Rasse, stelle es den Mythus des Blutes in Frage. Die Geschichten über die Christenverfolgungen bewertet Rosenberg als gezielte Geschichtsfälschung, als aufgeblasene Verklärungen des Kampfes, welchen Rom gegen diese „proletarisch-nihilistische politische Strömung“ geführt habe.02 Die Christenverfolgung bedeute nichts im Vergleich zu den Scheiterhaufen und der Inquisition. Rosenberg sieht im Christentum die Vereinigung des Intellektualismus, abstrakter Geistlichkeit und dämonischer Zauberei, die von den „feminisierten Kulturen” übernommen worden sei. Das sei ein gefährlicher Beitrag des Christentums zur Entwicklung der magischen Weltanschauung. In den Kulturen, die durch diese nicht beeinflusst wurden, seien die Vernunft und der Wille „natürlich“, organisch, rassisch bedingt. Wenn die Rassenreinheit verschwindet, wie im Falle des Christentums,03 verwandle sich die Vernunft in absurde Verstandskonstruktionen (heilige Dreifaltigkeit, unbefleckte Empfängnis), und der Wille werde auf magische Triebe (Vertreibung der Dämonen) reduziert. Auf diese Weise entstehe der Aberglauben. „Die Folge der Zersetzung der vernunftwillenhaften Rassenseele ist dann ein ‚weltanschauliches’ intellektualistisch-zauberhaftes Gebäude, oder die Aufspaltung in wesenlosen Individualismus und triebhaftes Bastardtum. Den ersten Fall liefert uns die katholische Kirche (in abgeschwächtem Maße auch der Protestantismus), welche einen Zauberglauben (wobei dies Wort ohne jede Verächtlichmachung zu gebrauchen ist) intellektuell unter- und übermauert, den zweiten zeigt uns die Zeit des späten Hellenismus“.04

Christentum sei eine intellektuell-magische Schöpfung, in der Jungfrauen gebären, Dämonen den Menschen bedrohen, und Wiederauferstehung möglich sei. Der christliche Priester, den Rosenberg aufgrund seiner als magisch qualifizierten Handlungen (Ablässe, Exorzismen) „Medizinmann“ nennt, gilt ihm

0 Ebenda, S. 7. 02 A. Rosenberg, Der Mythus, S. 7. 03 Vgl.: Rosenbergs Rede an die deutschen Frauen von 936: "Dem Katholizismus ist es gleich, wer mitgeht, um seine Macht zu erhalten, ob Jude, ob Kommunist", zit. nach: J. Neuhäusler, a.a.O., S. 266. 04 A. Rosenberg, Mythus, S. 79. 214

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als Vertreter des Zauberglaubens, der selbständiges Denken auf Seiten der Gläubigen zu unterdrücken sucht und deshalb bngste schürt, vor denen angeblich nur die Kirche Zuflucht bietet: „Er muss Hexenwahn und Dämonenzauber predigen; er muss mit Index, Feuer und Schwert alles Forschen unterbinden, das zu anderen Ergebnissen führen kann, oder gar zur Befreiung von dem ganzen vom Medizinmann gelehrten Weltbild“.05

Römische Dogmen und die Kirchengeschichte charakterisiert Rosenberg als Versuche, diese Weltanschauung in der Weltpolitik durchzusetzen. Die Kirche habe symbolische Figuren der etruskischen Kultur übernommen – den Zauberer-Priester und die wollüstige Hetäre, die in die Hexe verwandelt wurde. Sie lebe fort in den erotischen Fantasien der Priester. Die Einflüsse der Kirche könnten nur dann überwunden werden, wenn man ihre Bestandteile erkennt und den Willen weckt, sie zu bekämpfen: „Erst wenn man dies ganze fremde Wesen erkannt hat, sich seiner Ursprünge bewusst geworden ist und den Widerstandswillen aufbringt, sich dieses gesamten fürchterlichen Spukwesens zu entledigen, dann erst haben wir das 'Mittelalter' überwunden. Dadurch aber auch die römische Kirche, die mit den etruskischen Unterweltsqualen für immer verbunden ist, innerlich gestürzt“.06

Indem Rosenberg den Hexenglauben als eine der nordischen Kultur aufgezwungene Erscheinung charakterisiert, konstruiert er das nächste Argument für eine rassische Auffassung der Geschichte: „Das sind zwei Welten, die das mittelalterliche Herz des nordisch-bedingten Menschen zerrissen: die vorderasiatische, schreckhafte, von der Kirche gezüchtete Vorstellung der grausamen Unterwelt und die Sehnsucht, frei, grad und gesund zu sein. Nur so weit er frei ist, kann der Germane schöpferisch sein, und nur wo der Hexenwahn nicht herrschte, entstanden Zentren europäischer Kultur“.07

Ein einziges Mal Spricht Rosenberg an, dass man im Hexenglauben alte germanische kultische Bräuche, die er mit der Natursymbolik in Verbindung bringt, entdecken kann. Diese seien jedoch von der Kirche dämonisiert worden: „Am l. Mai feierte Altgermanien die Walpurgisnacht, den Beginn der zwölf Weihenächte der Sommersonnenwende. Es war der Tag der Hochzeit Wotans mit der

05 A. Rosenberg, Mythus, S. 73. 06 Ebenda, S. 69. 07 Ebenda, S. 70. 215

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Freya. Heute feiert die hl. Walburg am l. Mai ihren Namenstag, während alle Gebräuche als Zauberei, Hexenwesen usw. von der Kirche verändert und auf diese Weise Natursymbolik in orientalischen Dämonenspuk umgewandelt wurde“.08

Ansonsten erwähnt er Hexenwahn, Hexenwesen und Hexenliteratur nur dann, wenn er Kritik an der Kirche übt. So bezeichnet er die christlich beeinflussten Wissenschaften als dem Hexenwahn und Zauberglauben verfallen; die „wahre“ Wissenschaft, die sich Welterkenntnis als Ziel setzt, sei dagegen dem Charakter der nordischen Rasse zu verdanken: „Das was wir heute „die Wissenschaft“ nennen, ist ureigenste, germanische Rassenschöpfung, sie ist nicht irgendein technisches Ergebnis, sondern die Folge einer einzigartigen Form der Fragestellung an das Weltall. Wie Apollon dem Dionysos, so stehen Kopernikus, Kant, Goethe dem Augustinus, Bonifaz VIII., Pius IX. gegenüber. Wie das Mänadentum und die Phallussitten altgriechische Gesittung zu zersetzen strebten, so durchkreuzten etruskische Höllenlehre und Hexenwahn möglichst jede Regung nordischer Welterkenntnis. Mit der Erzählung von der Austreibung der bösen Geister aus den Säuen durch Jesus heftete sich diese Syrische Magie bis auf heute an das Christentum; Höllen- und Himmelfahrt, Höllenfeuer und Höllenqualen wurden fortan christliche Wissenschaft, die ‚succubi’ und ‚incubi’ feststehende wissenschaftliche Lehren“.09

Den Vergleich mit Hexenwahn stellt Rosenberg auch her, wenn er bestimmte Erscheinungen als rassenwidrig abstempelt und glaubhaft zu machen sucht, dass es nur ausreichender Aufklärung bedarf, um diese wieder verschwinden zu lassen. So wie er „den Juden Paulus“ für die Verfälschung der Lehre Christi verantwortlich macht, unter den Jesuiten scharenweise bekehrte Juden sieht und den Kommunismus den Juden zuschreibt,0 sieht er auch in der Finanzwelt eine jüdische Verschwörung, der man auf die gleiche Weise ein Ende setzten sollte, wie seinerzeit den Hexenprozessen: „Der uns künstlich eingeflösste Goldwahn z.B. ist die Voraussetzung für die internationale Goldwährung gewesen, die als ‚naturgesetzlich’ gilt, jedoch mit Aufhebung dieses Goldwahns ebenso verschwinden wird, wie der Hexenwahn des inquisitorischen Mittelalters nach erfolgter Aufklärung“.

08 Ebenda, S. 64. 09 Ebenda, S. 2. 0 Auch Rosenberg benutzt die feindliche Triade, die Himmler regelmäßig nannte: „Wir haben zwei Feinde: Den Bolschewismus und die politisierende Kirche, hinter all dem steht der Jude", in: J. Neuhäuser, a.a.O., S. 266.  Ebenda, S. 590. 216

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Rosenberg behauptet, dass nur ein nicht-arisches, der Sexualität und dem Dämonismus verfallenes, von Rom gesteuertes System das Verbrechen der Hexenverfolgung begehen konnte. Diese „Organisation“, die ihre eigene „Verdorbenheit“ durch die ihren Mitgliedern aufgezwungene Askese zu verheimlichen versuchte, die die Menschen mit Angst und Schuldgefühlen versklavte, sei ein Feind der germanischen Rasse. Die Erklärung dafür, warum die Kirche, die eigentlich ein starker Männerbund ist, das weibliche Zauberwesen übernehmen konnte, sieht Rosenberg darin, dass sie nie rassenbewusst und nicht nordisch war. Die Kirche habe die „dunklen“ Kräfte zur Machtausübung über die besiegten Rassen und zu deren „Zersetzung“ benutzt, sie seien jedoch auch ein Teil ihres Wesens. In Rosenbergs deutschem Christentum wären keine Hexenprozesse möglich gewesen, aber nicht, weil dieses die Frau besonders hochgeschätzt hätte. Vielmehr würde die „helle“ deutsche Religiosität eine Dämonisierung der Wirklichkeit gar nicht zulassen und sie wäre imstande, gefährliche weibliche Kräfte zu unterdrücken.

Au s r o t t u n g d e r f o r m l o s e n W e i b l i c h k e i t b z w . d e r Mütter der Nation? Die Hexenprozesse als Propagandamittel Nach Rosenbergs Auffassung ist der „Untergang der Kultur“ neben der Verletzung der Rassenreinheit vor allem auch durch ein gestörtes Verhältnis zwischen den Geschlechtern und Manipulation durch weibliche, dunkle Kräfte bedingt. Deshalb überrascht es nicht, dass er dem Problem des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Geschlechtern im Mythus des 20. Jahrhunderts ein ganzes Kapitel widmet. Gleich zu Beginn dieses Kapitels nimmt er eine kategorische Teilung vor: Dem Mann gehören alle Gebiete der Forschung, Erfindung und Gestaltung,2 die Frau ist zuständig für die Erhaltung des Blutes und die Vermehrung der Rasse.3 Zu Symbolen der kulturellen Degeneration und des Untergangs des 2 In einem früheren Text, der später zum Mythus erweitert wurde, schreibt Rosenberg über den architektonisch denkenden Mann und betont: „Tatsache bleibt, dass große Staatsgründungen, Rechtskodexe, typenbildende Verbände politischer, militärischer, kirchlicher Natur, umfassende philosophische und Schöpfungssysteme, Symphonien, Dramen und Tempel – samt und sonders, solange die Menschheit besteht, vom synthetischen Geist des Mannes geschaffen worden sind“. A.Rosenberg, Mann und Weib, in: A. Rosenberg, Blut und Ehre. Ein Kampf für deutsche Wiedergeburt. Reden und Aufsatze von 99933, München 935, S. 220. 3 „In der Hand der Frau liegt die Erhaltung unserer Rasse. Aus politischer Knechtung kann sich noch jedes Volk aufraffen, aus rassischer Verseuchung nicht mehr“. A. Rosenberg, Mann und Weib, a.a.O., S. 22. 217

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Staates erklärt er den „feministischen“ Mann, der „anstatt sich um Architektonik und Synthetik des Daseins zu kümmern, die Götzen der Humanität, der Menschenliebe, des Pazifismus, der Sklavenbefreiung“4 anbetet, sowie die emanzipierte Frau, die sich „männliche Talente“ aneignen möchte. Dieser Wunsch sei völlig sinnlos, denn die Frau sei ein fähigkeitsloses Wesen, eine „pflanzhafte“ passive Trägerin der Gesetze. „Weiblichkeit“ ist wohl der einzige Begriff, in dem Rosenberg ein überrassisches Prinzip feststellt: „Es fehlt der Frau aller Rassen und Zeiten die Gewalt einer sowohl intuitiven als auch geistigen Zusammenschau“.5

Der Frau, die der Welt der Gestaltlosigkeit angehöre, seien Formen, Schemen und Bewusstsein fremd, deshalb brauche sie auch keine Rechtskodexe, Wissenschaften oder Philosophie.6 Ausschließlich der männliche Geist könne das Chaos bändigen, einen „Typus“ bilden, deshalb habe er den Staat und die Ehe geschaffen. Wiederholt polemisiert Rosenberg gegen Bachofens Theorie der Gynäkokratie.7 Man könne zwar über Frauenregierung reden, jedoch sind „Staat und Volk […] nirgends die Folge eines gemeinsamen Gedankens von Mann und Frau gewesen, sondern das Ergebnis des auf irgendeinen Zweck zielstrebig eingestellten Männerbundes“.8 Die hohe Stellung der Frauen bei den alten Germanen, die Tacitus bezeugt, sei kein Überbleibsel des Matriarchats, sondern dem Umstand zu verdanken, dass „das Vaterrecht restlos verwirklicht war, das allein Stetigkeit gewährleistete und infolge der rassischen Artung des nordischen Menschen mit größter Achtung vor der Frau verbunden war.“9 Die Familie könne eine Stütze des Staates sein, sei sogar oft gezielt in seinen Dienst gestellt worden, aber nirgends die Ursache einer staatlichen Idee gewesen. Seine These, dass nur Männerbünde staatsbildend sind, die Familie nur die dunklen, chtonischen Kräfte bändigen soll, erläutert Rosenberg an verschiedenen Beispielen aus der Geschichte: bgypten sei ursprünglich als ein Verband der gelehrten Schreiber und Beamten entstanden; Indien zunächst ein Krieger-, dann ein Brahmanenverband, und die Ephebie

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A. Rosenberg, Mann und Weib, a.a.O., S. 220. A. Rosenberg, Der Mythus, S. 483. A. Rosenberg, Mann und Weib, a.a.O., S. 22. Gynaikratie (aus dem Altgriechischen gyné, "Frau" und kratía "Herrschaft") wurde von Johann Jakob Bachofen, Verfasser des „Mutterrechts“ (86), als „Gynäkokratie“ in die Wissenschaft eingeführt. Bachofen entwarf eine Theorie, nach der sich die Entwicklung der Menschheit in drei große Stufen unterteilen lässt: die hetärische Gynäkokratie (Hetärismus), die eheliche Gynäkokratie (Mutterrecht) und das Vaterrecht. 8 A. Rosenberg, Der Mythus, S. 484. 9 Ebenda, S. 48. 218

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in Athen ein Jugendbund gewesen.20 Auch philosophische Schulen in Athen werden als eine Form vom Männerbund dargestellt. 2 Als weiblich bezeichnet Rosenberg in der griechischen Kultur nur Prophezeiungen und den Dionysoskult, die er im Zusammenhang mit einer niederen, rassisch minderwertigen Schicht der „Eingeborenen“ bringt: „Bacchusfeste, Häterenwirtschaft und demokratische Sklavenemanzipation waren die zersetzenden Kräfte des griechischen Volkstums, des athenischen Staates, der hellenischen Kultur überhaupt“.22

Der Untergang des Staates sei immer durch „die Auflösung des Gedankens eines männlichen Zuchtsystems, einer männlichen typenbildenden Norm“ verursacht worden.23 Alle Männerbünde, auch die nicht-nordischen, die die Frauen unter Kontrolle halten konnten, seien stark geworden: die Tempelherren, die Freimaurer, die Jesuiten, die Rabbiner, die Burschenschaften, die preußische Armee, die SA und die SS. Den Kampf zwischen den Kulturen versteht Rosenberg als Kampf zwischen den Männerbünden verschiedener Rassen. Die katholische Kirche, einer der größten Gegner des Nationalsozialismus, sei zu einem extremen Männerbund geworden, indem sie den Zölibat einführte, die Sündhaftigkeit des Fleisches und des Weiblichen erklärte, und den Frauen den Status von Dienerinnen zuwies: „Die Frauen galten und gelten bis heute nur als dienende Elemente, wobei durch die Einführung des Isis-Maria-Kultes u. a. auch ihrem mütterlichen Empfinden Rechnung getragen wurde. Durch dieses Zulassen der gefühlvollen Seite – beginnend mit duldender Hingabe und endigend in religiöser Hysterie -, gepaart mit dem vollständigen Ausschluss des weiblichen Elements aus der Struktur des kirchlichen Gebäudes hat das kirchlich-römische System des Männerbundes seine Widerstandsfähig-

20 Ephebie war ein System der staatsbürgerlichen und vor allem der militärischen Ausbildung in Athen. Diese zweijährige staatliche Ausbildung war Voraussetzung für die Erlangung des vollen Bürgerrechts. Vgl: L. A. Burckhardt, Bürger und Soldaten. Aspekte der politischen und militärischen Rolle athenischer Bürger im Kriegswesen des 4. Jh. v. Chr., Stuttgart 996. 2 Rosenberg gehört mit seinen Ansichten zu einem lebhaften Diskurs um die Jahrhundertwende. Bachofen plädierte, nachdem er die Vision des Mutterrechtes entwickelt hatte, für das „siegreiche Vatertum“ (J. J. Bachofen, Das Mutterrecht, Frankfurt/M. 975, S.48), für das Vaterrecht, das im „Mannesalter“ der Menschheit herrsche. Ulrike Brunotte zeigt in Zwischen Eros und Krieg (Berlin 2004), wie sich Anfang des 20 Jh. im Diskurs über die Entstehung der Gesellschaft, des Staates und die Rolle der Geschlechter die These der Männerbünde als Träger jeglicher gesellschaftlichen Entwicklung durchsetzte. 22 A. Rosenberg, Der Mythus, S. 490. 23 Ebenda, S. 486. 219

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keit begründet, wobei jedoch nicht übersehen werden darf, daß die Typen des Brahmanen und des Mandarinen noch weit älter sind und gefestigter erscheinen als der Typus des römischen Priesters“.24

Rosenberg unterscheidet zwar verschiedene Typen von Männerbünden, die Kontrolle über die Frau gilt ihm jedoch als für alle typisch. In einer so verstandenen Menschheitsgeschichte gibt es keinen Platz für weibliche Aktivität. Eigentlich würde eine Interpretation der Hexenprozesse als eines männlichen Versuches, die dämonische Weiblichkeit zu bändigen, gut in Rosenbergs Konzeption passen. Seine Auffassung von der formlosen und zersetzenden Weiblichkeit ist nicht weit entfernt von Vorstellungen, nach denen Frauen dazu prädestiniert sind, zu Hexen zu werden. Der Eindruck, dass Rosenbergs Verurteilung der Hexenprozesse nur durch seine Feindseligkeit gegenüber dem Christentum motiviert war und hauptsächlich der Abgrenzung von der katholischen Kirche dienen sollte, scheint deshalb keinesfalls abwegig. Rosenbergs Reaktion auf emanzipatorische Bestrebungen, also auf die Möglichkeit der Lockerung der Kontrolle, sind fast hysterisch und inquisitorisch. Er stellt zwar nicht in Frage, dass es auch überdurchschnittliche Frauenpersönlichkeiten geben könne. „Das Wesen“ der Frau verursache jedoch, dass sie alles lyrisch oder intellektuell, nicht architektonisch betrachte, sie konzentriere sich auf Details, denke nicht global. Alle Versuche der Frauen, ihren Anteil an der Macht einzufordern, verspottet er als sinnlos, weil sie an ihrem unschöpferischen Wesen nichts ändern könnten. Die Frauenrechtlerinnen wollten in ihrem tiefsten Wesen nichts anderes, als sich auf Kosten des Mannes aushalten lassen: „Wie die Juden überall nach Gleichberechtigung rufen und darunter nur ihre Vorberechtigung verstehen, so steht die beschränkte Emanzipierte fassungslos dem Nachweis gegenüber, dass sie keine Gleichberechtigung fordert, sondern ein Parasitenleben auf Kosten der männlichen Kraft, ausgestattet dazu noch mit gesellschaftlichen und politischen Vorrechten“.25

Rosenberg setzt die negativen staatlich-politischen, chaosstiftenden Auswirkungen der Frauenemanzipation denen der Emanzipation der Juden gleich.26 24 Ebenda, S. 49. 25 Ebenda, S. 502f. 26 Vgl.: ebenda, S. 485. Die Analogie zwischen Frauen und Juden hat Otto Weininger 903 hergestellt, als er behauptete, dass man dem Juden einen großen Anteil an Weiblichkeit zuschreiben muss (O. Weininger, Geschlecht und Charakter, Wien 97). Er stellt die Parallelen fest, die das „Fleischliche“ betreffen, die ausgeprägte Sexualität, den Zweifel, Doppeldeutigkeit, den Umstand, dass Frau und Jude als Fremdkörper empfunden werden. Mehr dazu in: Ch. Braun, „Der Jude“ und „das Weib“. Zwei Stereotypen des „Anderen“ in der 220

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Während er in seinen Polemiken gegen die Kirche nie die Beherrschung verliert, gerät ihm sämtliche Contenance abhanden, wenn er auf die Gefahren der Frauenbewegung zu sprechen kommt. Frauenemanzipation bedeutet für ihn Parasitenleben, „erotische Revolution“, „geschlechtliche Schrankenlosigkeit”, Abtreibung, Rassenschande, Männerprostitution, Freiheit für Homosexuelle.27 Die Forderungen nach einer Frauenarmee kommentiert er wie folgt: „Die Frauenkrankheiten würden in der Armee schnell zunehmen, der Rassenverfall wäre unausbleiblich. Gar eine gemischte männlich-weibliche Armee wäre nichts als ein großes Bordell“.28

Jeder Erfolg der Emanzipation bedeutet für Rosenberg, dass man sich immer mehr einer Situation nähert, in der: „jeder Bastard, jeder Kretin […] sich stolzgeschwellt als notwendiges Glied der menschlichen Gesellschaft betrachten und das Recht auf freie Betätigung und Gleichberechtigung für sich in Anspruch nehmen“ kann.29 Die Frau, die die Hüterin der rassischen Reinheit sein soll, wird durch Emanzipation und sexuelle Freiheit zu deren Zerstörerin. Wenn die Männer ihre Weltanschauung verraten, werden Frauen zu Amazo-

Moderne, in: metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und historische Praxis, 2-92. Wie oft sich in dem Denken, das von der Männerbünde-Idee dominiert war, Antifeminismus mit Antisemitismus verband, zeigt Ulrike Brunotte, Zwischen Eros und Krieg, Berlin 2004 (u.a. am Beispiel von Hans Blüher). 27 Verblüffend ist die bhnlichkeit dieser Zusammenstellung mit bußerungen, die man heute in den polnischen national-katholischen Medien einschließlich der entsprechenden Internetseiten lesen kann: Feministinnen werden in einem Atemzug mit Homosexuellen, Anarchisten, Ökologen genannt, alle Feministinnen unterstützen angeblich die Abtreibung, Feministinnen und Homosexuelle seien Anhänger einer „schrankenlosen Sexualität“. „In diesen antireligiösen Handlungen seien Sozialisten, Kommunisten, Liberale, Libertins, Feministinnen, Homosexuelle und andere sich überraschend einig und entschlossen, weil die Kirche zum Kampf gegen die Sünde auffordert, das Leben der Ungeborenen verteidigt, die menschliche Würde schützt“ (Teresa Bloch, Ku odrodzeniu narodu polskiego, Nowy Przegląd Wszechpolski, 5-6, 2005). Auch die Juden tauchen in diesem Zusammenhang regelmäßig auf. Hier zeigt sich erneut, wie wichtig der Körper, die Sexualität, die Gender-Frage, das Verhältnis zur Natur in jedem Machtdiskurs sind und wie eng sie zusammenhängen. 28 A. Rosenberg, Der Mythus, S. 502. 933 versuchte Rogge-Börner trotzdem, Hitler vom Kampfgeist der deutschen Frauen zu überzeugen: „Wehrhaft will das Frauengeschlecht wieder werden. In regelmäßigen Lehrgängen sollen die Mädchen, die sich freiwillig stellen und körperlich tauglich sind, ausgebildet werden für den Fall, der sie zur nationalen Verteidigung rufen muss [...] Von der Pflicht und der Ehre, die Nation zu schützen in Kriegsnot und das Leben für sie einzusetzen, werden die deutschen Frauen als Gesamtheit sich nicht mehr ausschließen lassen!“ (in: S. Rogge-Börner, Denkschrift an den Kanzler, a.a.O, S. 73-74). 29 Ebenda, S. 507. 221

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nen oder Emanzipierten, zu Intellektuellen oder Dirnen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Rosenberg Intellekt und Sexualität auch für den Hexenglauben verantwortlich machte.30 „Emanzipation der Frau von der Frauenemanzipation“3 soll eines der wichtigsten Ziele der deutschen Gemeinschaft werden: „Der Liberalismus lehrte: Freiheit, Freizügigkeit, Freihandel, Parlamentarismus, Frauenemanzipation, Menschengleichheit, Geschlechtergleichheit usw., d.h. er sündigte gegen ein Naturgesetz, dass Schöpfung nur durch Auslösungen polarbedingter Spannungen entsteht, dass ein Energiegefälle nötig ist, um Arbeit irgendwelcher Art zu leisten, Kultur zu schaffen. Der deutsche Gedanke fordert heute, mitten im Zusammensturz der feminisierten alten Welt: Autorität, typenbildende Kraft, Beschränkung, Zucht, Autarkie, Schutz des Rassencharakters, Anerkennung der ewigen Polarität der Geschlechter“.32

Rosenbergs Frauenbild unterscheidet sich von dem der Scheiterhaufenepoche nicht wesentlich. Frau bedeutet Unvernunft, gefährliche Sexualität, Bedrohung. Mit der kurzen Geschichte einer Göttin der Sexualität, die er in einen kausalen Zusammenhang mit dem Untergang Babyloniens stellt, warnt Rosenberg seine Zeitgenossen vor der „dunklen Weiblichkeit“: „Zunächst war sie [Istar] eine jungfrauliche Göttin der Jagd, ja des Krieges. Man zeichnete sie noch zu Hammurabis Zeiten mit dem Bart. Dann galt sie als Himmelskönigin, als Gattin des Anus, als Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit. Mit den phönizischen Einflüssen wurde sie zum Schutzgeist der ‘religiösen’ Prostitution, bis sie schließlich als Astarte Symbol des geschlechtlichen Anarchismus wurde. Damit war auch Babylon als Staat und Typus aufgelöst, am Ende“.33

Rosenbergs Theorien zur Weiblichkeit legen die Frage nahe, worauf die vom Nationalsozialismus versprochene Befreiung von der „christlichen Körperverachtung“ beruhen sollte. Körper wird nur mit Rassenschutz, Rassenzucht, Rassenhygiene und eventuell mit „körperlicher Ertüchtigung“ assoziiert, besonders der weibliche Körper wird gezähmt und alles was mit ihm geschieht,

30 Von den Versuchen, die weibliche Sexualität im Dritten Reich zu kontrollieren, zeugen viele Beispiele aus dem Alltag: Frauen, die sexueller Zügellosigkeit angeklagt wurden, konnten verhaftet werden; Frauen, die ohne männliche Begleitung Restaurants besuchten, konnten einer venerologischen Zwangsuntersuchung unterzogen werden; Frauen, die sich „sexuell herausfordernd“ verhielten, konnten zwangssterilisiert werden. Vgl.: Ch. Paul, Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus, Berlin 994. 3 A. Rosenberg, der Mythus, S. 52. 32 Ebenda, S. 503. 33 Ebenda, S. 508. 222

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soll im Interesse des Volkskörpers geschehen. Die Antwort sucht man bei Rosenberg vergeblich. Eine Geschichte der Hexenprozesse, die mit Rosenbergs Geschichtsauffassung und seinem Frauenbild kompatibel wäre, würde in etwa folgendermaßen aussehen: Ein christlicher Männerbund benutzt für die Befestigung seiner Weltherrschaft und die Zerstörung der nordischen Weltanschauung Kulte der dunklen weiblichen Kräfte. Diese Kräfte können zwar auch das Rassenbewusstsein sichern, aber nur dann, wenn sie gebändigt werden. Ohne Einbindung in einen durch rassisch bewusste Männlichkeit gesetzten Rahmen entwickeln sie eine zerstörerische Energie, führen zur Dämonisierung der Wirklichkeit, zu Todeskult und Zerfall. Die Kirche dämonisiert die Frauen und schickt sie, aber vor allem Männer, die gegen ihre Weltanschauung rebellieren, auf Scheiterhaufen. Die germanische Kultur konnte die weiblichen Kräfte steuern, sie dem Wohl der Gemeinschaft unterordnen. Deshalb hätte sie keine Scheiterhaufen gebraucht, wenn sie nicht unter christliche Einflüsse geraten wäre. So viel zur Theorie. Aber in Deutschland gab es auch reale Frauen, die die Nationalsozialisten gewinnen wollten, und Rosenberg erkannte den Propaganda-Wert der Hexenprozesse für diesen Zweck. Am 0. Mai 935 erklärte er vor einer Frauenversammlung, die anlässlich des „deutschen Tages der Mutter“ in Düsseldorf stattfand: „Und schließlich brachte diese Einstellung der siegreichen mittelmeerländischen Gedankenwelt eine für die deutsche Volksgeschichte furchtbare Entscheidung mit sich, die vielleicht erst heute ganz ins Bewusstsein getreten ist: Die Missachtung der deutschen Frau.[...] Seit Übernahme eines asketischen, aus bgypten stammenden Ideals wurde das lebendige Leben als etwas Sündhaftes und die Frau in Anknüpfung einiger Stellen aus den Briefen des Apostels Paulus als ein Sinnbild der Sündhaftigkeit dieser Welt empfunden und zwar in dem Masse, dass auf dem Konzil von Macon allen Ernstes darüber gestritten wurde, ob die Frau überhaupt zum Menschen gezählt werden könne“.34

Im weiterem erfuhren die Zuhörerinnen, dass Bemühungen im Gange seien, die Frauen von den absurden Vorwürfen und Beleidigungen zu befreien, nach denen sie „Teufelswerk” und von niederem Wesen seien als der Mann:

34 A. Rosenberg, Die Frau im nationalsozialistischen Staat, in: Reden und Aufsätze, a.a.O., S. 309f. 223

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„Und als letztens glauben gerade wir, die wir von vielen Seiten als Frauenverächter bezeichnet werden, erst recht auch die organische Stellung der deutschen Frau im deutschen Staatsleben wieder herstellen zu können“.35

Rosenberg beteuerte, dass die „Rückkehr zur Anerkennung der Gleichwertigkeit und zur Wiederherstellung der Ehre des deutschen Muttertums“ eine Bedingung für die Erneuerung Deutschlands sei.36 Nur starke und ihrer Kraft bewusste Frauen könnten „gesunde und starke Menschen“ gebären, sie sollten auch die „weltanschauliche erste Haltung des heranwachsenden Geschlechts“ überwachen. Damit wurde die „organische Stellung der Frau“ im neuen Deutschland definiert und proklamiert, dass der deutsche Staat all die Kräfte entschieden verurteile, die in den vergangenen Jahrhunderten deutsche „Mütter der Nation“ erniedrigt haben.37 Dieselben Kräfte seien auch verantwortlich für: „die fürchterlichen, aus der gleichen Gedankenwelt entsprungenen Hexenverfolgungen, die in der unsaubersten Weise eine einzige Schmähung des germanischen Frauentums darstellten und hunderttausende deutsche Frauen und Mädchen in entehrender Weise auf die Folter und auf den Scheiterhaufen brachten“.38

Rosenberg stellt die Opfer der Hexenprozesse als Gegner der Kirche dar und „arisiert“ sie. In diesem Zusammenhang formuliert er eine der „wichtigsten Aufgaben“ der deutschen Geschichtsforschung, wobei seine Darstellung der Hexenprozesse als Verbrechen gegen die germanische Rasse, gegen die „Mütter des Volkes“, gegen die „biologische Substanz“ sich mit der entsprechenden Auffassung Himmlers weitgehend deckt: „Die deutsche Geschichtsschreibung, die heute neu durchgeführt werden muss, hat auch die Aufgabe, die Ehre der deutschen Frau der Vergangenheit wieder herzustellen und zu erforschen, wie viele Mütter des deutschen Volkes von einem erbarmungslosen und volksfeindlichen Prinzip in den vergangenen Jahrhunderten durch planmäßig hochgezüchteten Wahn in den Tod getrieben worden sind“.39

Die Geschichte musste revidiert werden – im Namen der Rettung Deutschlands vor „dem inneren Verfall“, im Namen der „Neugestaltung der Lebensformen“. Das Versprechen, eine neue Geschichte der Frauen zu erarbeiten, ihre Bedeutung neu zu bestimmen, war Teil des Versuches, die Frau als „Le-

35 36 37 38 39 224

Ebenda, S. 32. Ebenda. Ebenda, S. 35. Ebenda. Ebenda.

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bensnotwendigkeit“, als Mutter, in die deutsche „Gemeinschaft“ einzugliedern. Nicht zufälligerweise benutzte Rosenberg das Wort „Mutter“, wenn er vom Verbrechen der Hexeprozesse sprach. Und wenn er am Ende alle Mütter des deutschen Volkes grüsste, „die da waren, jene, die heute leben, und alle jene, die noch kommen werden“,40 definierte er zugleich die Position der Frau im neuen deutschen Staat. In seiner Düsseldorfer Rede thematisierte Rosenberg zwar die Hexenprozesse, aber der Schwerpunkt des Vortrags lag auf der Rolle der Frau in einem Männerstaat. Durch die Erwähnung der Hexen konnte er auch die Frauen – zumindest für die Frauen – zu Märtyrerinnen erheben, ihnen ihren Mythus gewähren. Er beschränkte dabei die Mutterschaft nicht auf die körperliche Mutterschaft, sondern deutete sie eher als ein organisierendes Moment, als das Gemeinsame aller rassisch wertvollen Frauen. Die Mutterschaft sollte professionalisiert werden, sowohl im Sinne ihrer Erhebung zu einem Staatsdienst als auch durch die Aussonderung der Berufe, die aufgrund der „angeborenen Mütterlichkeit“ für Frauen besonders geeignet seien.4 In einer Schulung für Frauen im Jahr 936 stellte Rosenberg erneut die verbrannten Hexen als Mütter dar und die Hexenprozesse als ein biologisches Verbrechen am deutschen Volk: „Thomas von Aquin hat sich mit einigen Jesuiten, die sich schon damals bildeten, zusammengeschlossen. Es waren entweder Asketen, die jedes natürliche Gefühl der Frau gegenüber verloren hatten, oder es waren Schweinehunde, die den 'Hexenhammer' geschrieben haben. Es steht fest, dass Zweidrittel der gesamten Verbrennungen an Frauen vorgenommen worden sind zwischen 25 und 35 Jahren. Da wird uns eines klar, dass damals schon eine Methode eingeführt worden ist, und zwar die Methode, ein Volk im Grunde auszurotten und zu vernichten. Und was am meisten wundert, ist, wie die Männer dazu standen. Nur so begreifen wir, dass die Kreuzzüge waren und dadurch die besten Männer fortzogen. Nun waren die Frauen mit den Kindern allein, und sie hatten freie Hand“.42

Erst in diesen an Frauen gerichteten Reden entwickelte Rosenberg seine Theorie der Hexenprozesse als einer gezielten Ausrottung der germanischen Rasse, die durch Ausrottung der Frauen realisiert werden sollte. Mit Rücksicht auf die propagandistischen Ziele verzichtete er darauf, seine Weiblichkeitstheorien, die unter aktiven Nationalsozialistinnen schon erhebliche Empörung ausgelöst hatten, in solchen Versammlungen darzulegen. Durch die Betonung des Deutschtums der Hexen konnte er zumindest die Frauen anderer Rassen ausschließen. 40 Ebenda, S. 38. 4 Vgl.: Irmgard Weyrather, Muttertag und Mutterkreuz, Frankfurt/M. 993. 42 Zit. nach: J. Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz, S. 266. 225

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Auf einer Schulungsveranstaltung des deutschen Frauenwerkes erfuhr Rosenberg die Bestätigung, dass seine Worte über die Rolle der Frau zumindest von einem Teil der nationalsozialistischen Frauen so verstanden wurden, wie er beabsichtigt hatte. Eine der Rednerinnen erklärte: „600.000 Bräute und Mütter sind durch die Schulung gegangen. Mütterschulung ist das Instrument zur Verbreitung der neuen Weltanschauung; denn über die Frau geht der Weg zur Familie und von der Familie ins Volk. Der Frau gegenüber muss die Weltanschauung verstärkt getrieben werden“.43

Die Ausstellung Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes, die vom 5.2.939 bis 2.0.940 in Berlin zu besichtigen und von der „Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ organisiert worden war, bekräftigte Rosenbergs ideologische Interpretation der Hexenprozesse. In seinem politischen Tagebuch schreibt er im Mai 940: „Heute erhielt ich vom Sicherheitsdienst Hirtenbriefe einiger unserer Bischöfe: Voller Zorn über meine Ausstellung ‚Frau und Mutter’, mit der Behauptung, der Ausrottungskampf gegen Kirche und Christentum gehe in aller Schärfe weiter.“44

Wie schon ihr Titel andeutet, zeigte die umstrittene Ausstellung die Frau vor allem als deutsche Mutter. Zahlreiche Porträts der Mütter von berühmten Menschen wurden präsentiert, man exponierte Madonna-Bilder als Zeugnis der Kraft des deutschen Volkes, das die christliche Maria gegen den Willen der Kirche in die deutsche Mutter uminterpretiert habe. Konsequent wurde in Bild und Wort vermittelt, dass die Frau nur als Mutter die wirkliche „Gefährtin des Mannes“ und die Garantin der Zukunft der Rasse sei, die „Spenderin des Lebens“, die „die männlichen Werke der Tat durch die sorgenden und hütenden Kräfte“ ergänzt.45 Den Katalog zur Ausstellung leitete Rosenberg mit einem Plädoyer für die „natürliche“ Rollenteilung der Geschlechter ein:

43 Ebenda, S. 268. 44 A. Rosenberg, Das politische Tagebuch aus den Jahren 934/35 und 939/40, nach der photographischen Wiedergabe der Handschrift aus den Nürnberger Akten, hrsg. u. erläutert von Hans-Günther Seraphim, Göttingen 956, S. 6. 45 Katalog zur Ausstellung „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ unter Schirmherrschaft des Stellvertreters des Führers Reichsminister Rudolf Hess. Veranstaltet von der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. In Zusammenarbeit mit der Reichsfrauenführung, der Deutschen Arbeitsfront und dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP, Berlin 939, S. 6. 226

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„Die Natur hat beiden Geschlechtern eine Teilung der Arbeit auf dieser Erde zugedacht. [...] Vorwärtsdrängender Kampf und schöpferische Pflege kennzeichnen das Schwergewicht der Teilung der Arbeit“.46

Die Ausstellung sollte einen Teil der von Rosenberg betriebenen Umschreibung der Geschichte bilden und „von der Entwicklung der deutschen Frau in der deutschen Geschichte bildhaft berichten, das Bewusstsein ihrer großen Opfer und ihrer bildenden Kraft erwecken“.47 Bekannte Frauen aus der Geschichte wurden in Text und Bild vorgestellt, 48 den Organisatoren lag daran, ihren Beitrag zum geistigen Leben, aber vor allem ihre pflegende, mütterliche Rolle, ihr Auftreten gegen die „Sittenverdorbenheit“ hervorzuheben: „Durch alle Zeiten war es die Frau und Mutter, die heiliges Erbe, Vätererbe des Blutes, der Sitte, der Überlieferung weitertrug, hütend und bewahrend, wenn es nottat, auch kämpfend“.49

Als Beleg für die Rolle der Frau als Trägerin der alten Bräuche präsentierte man Beispiele von Frauen, die Grimm deutsche Märchen erzählt und sie auf diese Weise „dem deutschen Volk wiedergeschenkt“ hätten.50 Die Ausstellung ergreift Partei für Frauenorganisationen, allerdings nur für solche, die der „Berufung“ der Frau treu bleiben, von „volksmütterlichen“ Frauen getragen werden – als Beispiele werden Luise Otto, Auguste Schmidt, Mathilde Weber und Helene Lange herausgestellt. Abgelehnt werden dagegen „zeitweilige unerfreuliche Erscheinungen einer späteren, mehr intellektuell eingestellten Frauenbewegung“.5 Das Mutter- und Hausfrauensein wird professionalisiert und im übertragenen Sinne auf alle Frauen bezogen, besonders bei der Darstellung des Dienstes der Frau „für Familie und Volk“ im Nationalsozialismus:

46 Ebenda, S. 3. Zur Tendenz zur Naturalisierung gesellschaftlicher und geschlechtlicher Konflikte vgl.: U. Brunotte, Zwischen Eros und Krieg, a.a.O., S. 29ff. 47 Ebenda, S.3. 48 Eine „Deutsche Frauenchronik“ für diese Ausstellung stammt von Lulu von Strauss und Torney – einer Schriftstellerin, die die dichterische Wortfassung des um 940 im Eisenacher "Institut zur Entjudung des Christentums" neu aus den Evangelien des Neuen Testamentes zusammengestellten "Volkstestaments" verfasst hat. Diese Schrift sollte die neuartige Bibel im Sinne von Rosenbergs Mythys sein, den "arischen Jesus" verkünden. 49 Lulu von Strauss und Torney, Deutsche Frauenchronik, in: Ausstellung „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“, a.a.O.,, S. 47. 50 Katalog, S. 45. 5 Lulu von Strauss und Torney, Deutsche Frauenchronik, S. 45. 227

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„In ihren unentbehrlichsten und verantwortungsvollsten Leistungen – als Mütter und Hausfrauen – müssten die Frauen zuerst einmal geschützt, gefördert, aufgeklärt und geschult werden“.52

In einem Raum konnte man an den Wänden acht überlebensgroße Darstellungen sehen: Frau und Rasse, Frau und Kunst, Frau und Volk, Frau und Sport, Frau und Familie, Frau als Lebensgefährtin des Mannes, Frau und Volksgemeinschaft, Frau und Beruf. Ein kleiner Teil der Ausstellung war den Hexenprozessen gewidmet. Im Katalog schreibt Lulu von Strauss und Torney: „Doch über allen hellen Bildern deutschen Frauenlebens liegt in diesen Jahrhunderten ein furchtbarer Schatten in Gestalt jenes grauenhaften und mörderischen Hexenwahns, der von der Kirche genährt und von der weltlichen Justiz mit finsterem Eifer vertreten, durch deutsche Lande wütete und hunderttausende unschuldiger Frauen und Mädchen zu qualvollem Tode verurteilte“.53

Es wurden Bilder präsentiert, die das Märtyrertum der Frauen, den Sadismus der Henker und die „Verhöhnung der Frau durch die Kirche“ zeigten.54 Eine Texttafel über die Hexenverfolgung griff die Millionen-Opfer-These auf: „Durch den Hexenwahn werden in Deutschland zwei Millionen Mädchen und Frauen gemordet. Hass und Niedertracht rauben dem Volke für alle Zeit viele seiner Mütter“.55 Der Hexenhammer wurde mit folgendem Kommentar ausgestellt: „Die Ketzerinquisitoren [...] juckte es, auch Hexen verfolgen zu dürfen. Als sie dabei auf den Widerstand des gesunden deutschen Volkes stießen, wandten sie sich an den Papst Innozenz VIII., der ihnen mit seiner Bulle vom 5. Dezember 484 die Hexen zur Befriedigung ihrer perversen Mordlust auslieferte. [...] Dem Hexenwahn fielen mehr als eine halbe Million Frauen allein in Deutschland zum Opfer“.

Im Ausstellungskatalog fallen der lockere Umgang mit den Opferzahlen (von einer halben bis zu 2 Millionen) und die Gegenüberstellung von natürlich/gesund versus pervers/krank auf.56 52 53 54 55 56

228

Katalog, S, 220. Lulu von Strauss und Torney, Deutsche Frauenchronik, S. 28. Ebenda, S. 03. Ebenda, S. 02. In der Ausstellung gab es viele Skulpturen nackter Frauen, die jedoch seltsam unerotisch wirken: „Unsere Zeit hat sich wieder zur Schönheit und Reinheit des Leibes bekannt. Sie sieht in dem unbekleideten Leib und in der Herausstellung seiner natürlichen Formen die Bestätigung des gesunden Volkes. Dieses gesunde Empfinden für die Schönheit des Leibes ist gleich weit entfernt von

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Neben der Kirche wurden in der Ausstellung die Juden der Herabsetzung der Frau angeklagt, wobei sich dieser Teil vornehmlich auf die bra des Kapitalismus bezog, der als jüdisch dargestellt wurde: „Ungehindert gießt der Jude seinen ätzenden Spott über die deutsche Mutter, die Bewahrerin völkischer Sitte und Hüterin völkischer Zukunft. Politische Verhetzung gaukelt ein leichtes Leben voll materieller Genüsse vor“.57

Das führe dazu, dass die Frauen keine Kinder gebären wollen, und dadurch „verflacht und veräußerlicht sich Charakter und Wesensbild der Frau, das seinen Ewigkeitswert nur erhält aus der Erfüllung der mütterlichen Verpflichtung“.58 Friesmalerei und Fotomontagen zeigten Bilder mit dem Kommentar: „Mütter und junge Mädchen sehen wie ihre Volksgenossen in einer Zeit, in der eine Negerbesatzung im Rheinlande ihre Umtriebe hält, nach Negermusik mit Juden in Nachtlokalen tanzten. Die Würde der Frau wird missachtet. Juden benutzen diese Lage, um systematisch die gesunde Moral des Volkes zu unterhöhlen. Sie zeigen Frauen in unmöglichsten Schaustellungen“.59

Die Presse empfahl die Ausstellung als den besten Beleg gegen die Legende „von dem Sklavenjoch der Germanenfrauen, deren Männer angeblich nur auf der Bärenhaut gelegen haben sollen“.60 Die Kommentare klangen wie Zitate aus Rosenbergs Reden: „Erschreckend die Bilder von den Hexenverfolgungen im 5.Jh, denen unter grausamster Verachtung des Frauentums durch kirchlichen Einfluss 2 Millionen Mädchen und Frauen zum Opfer fielen“.6

Eine der Ausstellungsführerinnen soll den Besuchern erzählt haben: „Die alte Kirche war durch die Reformation in ihrer Machtstellung geschwächt worden. Auf einer anderen Seite musste dieser Machtverlust wieder wettgemacht werden. Das tat die Kirche durch den Hexenwahn. Dadurch wurde das Volk von der Kirche kleingehalten. Weil die Macht des Volkes (auf Kosten der Macht der Kirche)

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einer lebens- und körperfremden Haltung der Vergangenheit wie von einer brutalen Schaustellung triebhafter Entartung“ (Katalog, S. 223) Alles, was mit Erotik und Sexualität zusammenhängt, wird als krank und pervers gestempelt, nicht selten als jüdisch. Katalog, a.a.O, S. 7. Ebenda, S. 72. Ebenda, S. 27. Das 2 Uhr Blatt, Berlin 5.Dezember 939, in: Czary 386, S. 527. Ebenda. 229

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geschwächt werden sollte, mussten gerade die Frauen daran glauben, von denen ja die Zukunft des Volkes und seiner Macht abhing“.62

Der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing protestierte gegen diese Ausstellung in einem Schreiben vom 3. Februar 940 an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten. Er beschuldigte die Organisatoren, die antichristlichen Thesen aus dem Mythus zu propagieren. Bezüglich der Darstellung der Hexenprozesse wies er auf die widersprüchlichen Angaben zu den Opferzahlen hin und warf den Organisatoren vor: „Papst und Jesuiten erscheinen im Gegensatz zur historischen Wahrheit als die eigentlichen Hexenverfolger. Hexenverfolgungen durch die staatliche Gewalt und durch Andersgläubige werden im Ausstellungsmaterial übergangen“.63

In seiner Beschreibung der Reaktionen der Besucher erwähnt er „Ausrufe der Empörung gegen die Kirche“ und „ironisches, überlegenes Lächeln“ vor allem vor den Bildern der Hexenverfolgung. Die kirchlichen Reaktionen auf die Ausstellung bildeten eine Fortsetzung der vielseitigen Debatte, die Rosenbergs Mythus gleich nach seinem Erscheinen ausgelöst hat und in der die propagandistische Bedeutung der Hexenprozesse in vollem Ausmaß zum Ausdruck gekommen ist.

62 Ebenda, S. 279. 63 Ebenda, S. 280. 230

Die Hexenprozesse als „ Fremderscheinung“ und Argument im Krieg der Kulturen. Diskussionen über den Mythus des 20. Jahrhunderts

Der Mythus des 20. Jahrhunderts löste vor allem in der deutschen katholischen Kirche lebhafte Reaktionen aus, die Rosenberg dazu zwangen, seine Positionen offensiv zu verteidigen. Da diese Auseinandersetzung in der Fachliteratur bereits ausführlich beschrieben ist, werden im Folgenden nur die Aspekte der Debatte behandelt, die die Hexenprozesse und den mit ihnen verbundenen Themenkreis betreffen. Um den Kontext der Auseinandersetzung zu verdeutlichen, sollen zunächst die Reaktionen der Kirche und die wichtigsten polemischen bußerungen aus katholischen Kreisen zusammengefasst werden.2 Rosenbergs Auseinandersetzung mit dem Protestantismus3 bleibt dabei außer Acht, da sie die hier relevanten Themen nicht berührt.



2 3

Vgl. u. a.: R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im III Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit A. Rosenberg, Mainz 977; J. Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand, München 946. Ich stütze mich dabei im Wesentlichen auf das Buch: Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts, Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin, 935. Siehe: R. Baumgärtner, a. a. O.; B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, München 990, S. 83f. An die protestantischen Kritiker hat Rosenberg eine Schrift gerichtet: Protestantische Rompilgern, München 937. Er konzentriert sich dort vor allem auf christliche Dogmen, den Begriff der Religion sowie Juden im Christentum. 231

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Die Reaktion der katholischen Kirche auf R o s e n b e r g s My t h u s Während ihrer Bischofskonferenz in Fulda im August 93 distanzierte sich die deutsche katholische Kirche zunächst offiziell von der NSDAP. Sie charakterisierte den Nationalsozialismus als eine Irrlehre und erklärte die Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei als unzulässig. Aktive Nationalsozialisten wurden sogar vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen.4 Die Bischöfe verurteilten die nationalsozialistische Weltanschauung auf das schärfste. Sie erklärten, dass die christliche Moral dem „Moralgefühl der germanischen Rasse“ nicht untergeordnet werden dürfe und dass die nationalsozialistische Auffassung, nach der die Macht über dem Recht stehe, der christlichen Gesellschaftslehre widerspreche.5 Sogar die Anhänger des Nationalsozialismus unter den Geistlichen äußerten Kritik vor allem an Rosenberg. 93 hatte der Abt Albanus Schlachleiter vom Orden der Benediktiner Rosenberg vorgehalten, er würde den Katholiken den Zugang zum Nationalsozialismus versperren: „Die Verurteilung der nationalsozialistischen Bewegung erfolgte nicht auf Grund eines Wortes, das Hitler irgendwo gesagt oder geschrieben. [...] Alles ist aufgebaut auf bußerungen Ihres Buches. Nur von Ihnen und Ihrem Buch ist die Rede, und deshalb wird die Hitlerbewegung ‚als Häresie’ verurteilt. [...] Warum Herr Doktor haben Sie an das katholische Dogma gerührt?“6

Nachdem Hitler am 23. März 933 in seiner Rede vor dem Reichstag jedoch „die Unverletzbarkeit der katholischen Glaubenslehre“ versprochen und erklärt hatte, dass er die beiden großen Konfessionen als „wichtigste Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums“ betrachte,7 veränderte der Episkopat seine Haltung. Er hob nun etliche Restriktionen wieder auf und forderte die deutschen Katholiken – ungeachtet seines kürzlichen Verdikts gegen die „Irrlehre“ – zur Treue gegenüber der „rechtmäßigen Obrigkeit“ auf.8 Michael Kardinal von Faulhaber beispielsweise, Erzbischof von München und Freising und einer der einflussreichsten Repräsentanten der katholischen Kirche in Deutschland, hoffte anfangs auf eine konservativ-autoritäre Stabilisierung von Staat und Gesellschaft, in welcher der katholischen Kirche eine wichtige Rol-

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Vgl.: R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im III Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit A. Rosenberg, Mainz 977, S.39; Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. von W. Benza, Stuttgart 997, S. 88. R. Baumgärtner, a.a.O, S. 39. Zit. nach: R. Baumgärtner, a.a.O., S.47. Zit. nach: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, a.a.O., S.89. R. Baumgärtner, a.a.O., s. 40.

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

le zukommen würde.9 Die Taktik des Abwartens erwies sich jedoch schon bald als fruchtlos. Rosenbergs Ernennung zum Verantwortlichen für die weltanschauliche Erziehung der Partei (934), die Sittlichkeitsprozesse gegen Geistliche (935-937), Verhaftungen und die Beschlagnahmung der Kirchengüter sorgten für schnelle Ernüchterung. Immer häufiger meldeten sich nun die Gegner des Nationalsozialismus innerhalb der katholischen Kirche zu Wort und warnten vor Versuchen der NS-Ideologen, ihre Weltanschauung als eine Ersatzreligion zu etablieren. Spätestens seit der Veröffentlichung von Rosenbergs Mythus sei dieses Bestreben nicht mehr zu übersehen. Einer dieser Kritiker war zum Beispiel Erhard Schlund, Lektor an der theologischen Hochschule der Franziskaner in München, der in seiner Analyse des NSDAPParteiprogramms und der Schriften von Rosenberg den nationalsozialistischen Antisemitismus kritisierte, vor der Indoktrination der Jugend warnte und Rosenberg als den Repräsentanten der Partei in Sachen Religion herausstellte.0 Am 7. Februar 934 traf Karl Joseph Kardinal Schulte, der Erzbischof von Köln, mit Hitler zusammen und protestierte u.a. gegen Rosenbergs Mythus. Hitler unterbrach ihn mit den Worten: „Ich will das Buch nicht, Rosenberg weiß es, ich habe es ihm selbst gesagt, von den heidnischen Dingen, wie Wotankult u.a. will ich nichts wissen“.

Zwar distanzierte sich Hitler von Rosenberg als dem Verfasser des Mythus, wobei seine Begründung etwas seltsam klingt, denn eine Wiederbelebung der heidnischen Kulte war das letzte, was man Rosenberg vorwerfen konnte. Doch schon im nächsten Satz betonte Hitler, dass Rosenberg „unser Parteidogmatiker“ sei. Am selben Tag erfolgte die Indizierung des Mythus durch die katholische Kirche. In ihrer Denkschrift an Hitler vom 20. August 935 beschuldigten die deutschen Bischöfe Rosenberg der antichristlichen Propaganda und der offenen Feindschaft gegenüber der Kirche. Sie warfen der NSDAP vor, Rosenberg im Streit um den Mythus zu unterstützen und die behauptete Distanz zu dessen Ansichten offenbar nur vorzutäuschen. Im März 934 rief das Kölner Generalvikariat auf Vorschlag des Bonner Professors für Kirchengeschichte Wilhelm Neuss, der diese Empfehlung unmittelbar nach der Lektüre des Mythus abgegeben hatte, die Abwehrstelle gegen nationalsozialistische antichristliche Propaganda unter der Leitung von Josef Teutsch, dem Kaplan von St. Kolumba und späteren Generalvikar des Erzbistums Köln, ins Leben. Hier trafen verschiedene Spezialisten aus dem Kreis der Bonner Theologen zusammen, um Rosenbergs Buch unter unter9 0 

Vgl.: H. Mommsen, Der Nationalsozialismus als säkulare Religion, in: a.a.O. Über die weiteren katholischen Nazi-Kritiker schreibt R. Baumgärtner, a.a.O., S. 43-47. Zit. nach: R. Baumgärtner, a.a.O., S. 49. 233

HEXEN UND GERMANEN

schiedlichen Aspekten zu analysieren. Die Ergebnisse wurden im Oktober 934 unter dem Titel Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts in Form einer amtlichen Beilage des erzbischöflichen Anzeigers für die Diözese Münster veröffentlicht.2 In anderen Diözesen wurden Paralleldrucke vorbereitet. Angesichts der Erfahrungen der antikirchlichen Kampagne und der Beschlagnahmungen ließ Teutsch die Autorenschaft der einzelnen Beiträge anonymisieren. Die Zensur wurde unter Berufung auf Artikel 4, Absatz 2 des Reichskonkordates umgangen: „Anweisungen, Hirtenbriefe, amtliche Diözesenblätter und sonstige, die geistliche Leitung der Gläubigen betreffende Verfügungen, die von den kirchlichen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erlassen werden, können ungehindert veröffentlicht und in den bisher üblichen Formen den Gläubigen zur Kenntnis gebracht werden“.3

Die Auseinandersetzung mit dem Mythus in den Studien war die gründlichste von katholischer Seite. Die Schrift kam auch in den Buchhandel, ihre Verbreitung wurde offenbar nicht behindert. Teilweise lässt sich das damit erklären, dass das Konkordat mit dem Vatikan ein erster großer außenpolitischer Erfolg des Dritten Reiches war, der nicht in Frage gestellt werden durfte.4 Der germanische Hexenwahn und die patriotische Kirche. Die Auseinandersetzung katholischer Autoren mit Alfred Rosenberg Die umfangreichen Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts werden mit einem Kommentar des Berliner Bischofs Nikolaus Bares eingeleitet, der darauf hinweist, dass Rosenbergs Ideen, nicht zuletzt auch wegen der hohen Position des Verfassern im neuen Regime, in katholischen Kreisen ernst genommen und als eine reale Bedrohung empfunden werden: „Meinen hochwürdigen priesterlichen Mitarbeitern überreiche ich hiermit eine von uns allen längst erwartete Studie. Seitdem der Mythus des 20. Jahrhunderts von R. eine tiefe Beunruhigung in das gläubige Christenvolk Deutschlands getragen hat und bis in die jugendlichen Kreise hinein die Grundlagen des christlichen Glaubens und Lebens bedroht, verstummt nicht der Ruf nach einer gediegenen wissenschaftlichen 2 3 4

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Der Kölner Kardinal Schulte widerrief kurz vor der Fertigstellung der Studien seine Zustimmung für die Drucklegung. Zit. nach R. Baumgärtner, S.55. Vgl.: E. Piper, Alfred Rosenberg, a.a.O; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd.2,Frankfurt/M 977, S. 37: „Dass die Partei den prominentesten Vertreter ihrer Idelogie zur offenen Auseinandersetzung freizugeben schien, gehörte zu jenen überraschenden Erfahrungen, die die Beurteilung der nationalsozialistischen Herrschaft nicht eben erleichterten.“

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

Würdigung dieses Buches. Ernste Fachleute zeigen hier an Hand der Quellen, mit welchen Waffen der Verfasser des Mythus kämpft und wie weit er sich vom Boden der objektiven Wahrheit entfernt. So dürfen die Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts willkommene Dienste leisten für eigene Orientierung und für fremde Belehrung“.5

Das Zitat belegt die in der katholischen Kirche gehegten Befürchtungen, dass Rosenbergs Buch eine inoffizielle Kampferklärung der NSDAP an das Christentum darstellen könnte und vor allem die Jugend indoktrinieren und gegen die Kirche aufhetzen sollte. Bischof Nikolaus verspricht eine wissenschaftlich fundierte Analyse, die Rosenbergs Theorien zu Fall bringen, sein Dilettantentum und seine Ignoranz offen legen werden. In der Tat versuchen die Autoren der Studien, Rosenbergs fundamentale sachliche Fehler aufzuzeigen, die Absurdität vieler seiner Thesen nachzuweisen und vor allem seine Version der Kirchengeschichte zu widerlegen. Sie waren bemüht, dem Mythus, der sich scheinbar auf eine Fülle von Tatsachen und Autoritäten stützte und dem durchschnittlich gebildeten Leser durchaus glaubwürdig erscheinen konnte, jeden Schein von Wissenschaftlichkeit zu nehmen und nachzuweisen, dass er auf zweifelhaften Quellen basierte. Im Gegensatz zu Rosenbergs Werk sind die Studien in einem streng akademischen Stil gehalten. Sie sind mit Anmerkungen, einem Namens- und Sachregister versehen, übersichtlich gegliedert und im kirchenhistorischen Teil chronologisch aufgebaut. Zuerst wird immer Rosenbergs Auffassung zu einem Thema dargestellt, wobei die Autoren reichlich aus seinem Buch zitieren: „Wir wollen versuchen, aus den verschiedenen Stellen das Gesamtbild aufzubauen, und zwar, um sicher zu sein, dass wir nicht übertreiben, möglichst mit R.s eigenen Worten“.6

Den gewissenhaft zusammengefassten, vorwiegend unkommentiert belassenen Thesen Rosenbergs wird dann jeweils der katholische Standpunkt entgegengestellt, von dem ausgehend schließlich anhand von Quellen die Fehler, falschen Angaben und Spekulationen von Rosenberg herausgestellt werden. Der erste Teil der Sammlung befasst sich mit der Geschichte der katholischen Kirche, den die Autoren der Studien als Schwerpunkt des Mythus ansehen. Der zweite Teil ist der Heiligen Schrift gewidmet, die letzten beiden Kapitel dem Eckhart-Problem, insofern sich Rosenberg auf Eckhart als Ver-

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Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts, Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin, 935, S. II. Ebenda, S. . 235

HEXEN UND GERMANEN

treter der „nordischen Seele“ beruft, sowie dem Apostel Paulus, den Rosenberg für die „Verjudung“ der Lehre Christi verantwortlich macht. Das Thema des Hexen- und Zauberglaubens wird im ersten Teil erörtert. Dort wird behauptet, dass Rosenberg in seinen Ausführungen über den Hexenglauben einem Buch aufgesessen sei, das die Wissenschaft schon längst widerlegt und als Schöpfung einer krankhaften Phantasie entlarvt habe, nämlich dem Buch Tusca des ansonsten anerkannten Gelehrten Albert Grünwedel7: „Die Beschäftigung mit den uns Europäern fremden und in ihrer Verworrenheit auf die Dauer unsympathischen indischen Höhlenmalereien hat ihn auf den Gedanken gebracht, in krankhaften sexuellen Perversitäten das Leitmotiv indischbuddhistischer Kunst zu suchen und schließlich auch das Rätsel der etruskischen Sprache, Mythologie und Kunst aus sexueller Perversität heraus zu lösen. [...] Die scheußlichen sexuellen Perversitäten, die er festgestellt zu haben glaubt, finden sich daher nicht bei den Etruskern, sondern sind leider das Erzeugnis seiner Einbildung“.8

Die Rhetorik dieses Textes unterscheidet sich kaum von der Rosenbergs und vieler antikirchlicher Texte der nationalsozialistischen Hexenforschung. Arier oder Germanen werden hier nur durch Europäer ersetzt, die voller Verachtung auf alles herabblicken, was mit Sexualität zu tun hat und daher „pervers“ sei. Die Autoren der Studien verweisen auf kritische Abhandlungen9 über Grünwedels Buch und drücken wiederholt ihr Bedauern darüber aus, dass Rosenberg dieses Werk aus dem „barmherzigen Vergessen“ ans Tageslicht geholt hat. Sie führen bedeutende Arbeiten über die Etrusker an, die Rosenberg nicht zu Kenntnis genommen habe.20 Erwähnt wird auch die These, nach der die 7

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Albert Grünwedel (856-935) war ein deutscher Tibetologe, Indologe und Archäologe. Tusca (922) stammt aus der letzten Phase seines Schaffens, in der er völlig zurückgezogen lebte. Er beschreibt dort u.a. Schlachtungen von Frauen und rituelle Kindermorde bei den Etruskern und im Vorderen Orient. Er glaubte, die etruskische Sprache entziffert zu haben, und erfand ein Register von Begriffen und Worten — eine, wie er meinte, getarnte Geheimschrift. Nach Grünwendel handelte es sich bei der etruskischen Kultur um ein patriarchales heliolatrisches Opfersystem, Rosenberg hat sie dagegen als eine der Formen des Matriarchats interpretiert. Vgl.: H. Hoffmann, Grünwedel, Neue Deutsche Biographie, VII, Berlin, 966, S. 204-205. Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts,a.a.O., S. 8. Genannt werden vor allem Gustav Herbig, Die Geheimsprache der Disciplina Etrusca. Sitzungsberichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, 923, und der Berliner Orientologe Wilhelm Schubart. Herbig war Professor für Indogermanische Sprachwissenschaft, sein Schwerpunkt war die Etruskologie, Genannt werden z.B. Barthold Georg Niebuhr, Karl Otfried Müller, Paul Gsell, Luigi Pareti, Gustav Körte, Adolf Furtwängler, Reinhard Herbig und Paul Kretschmer.

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

Etrusker eine indo-europäische, also eine arische Volksgruppe gewesen seien, die Rosenbergs Auffassung entgegensteht. Schließlich setzten sich die Studien mit Rosenbergs Theorie auseinander, die behauptet, dass der Hexenglauben unter anderem auf die etruskische Kultur zurückgehe, von wo aus das Papsttum diesen „ungermanischen Wahn“ in das germanische Mittelalter verpflanzt habe. Obwohl das Thema der Hexenprozesse im Mythus nur eine marginale Rolle spielt, wird es in den Studien eifrig aufgegriffen. Rosenbergs These wird entgegengehalten, dass der Glaube an die Hexen bei den Kelten und Germanen verbreitet gewesen und die Kirche dagegen aufgetreten sei. Als Beleg wird der Edictus Rothari zitiert,2 in dem die Tötung von Hexen verboten wird, weil ein Christ nicht an die Existenz von Hexen glauben dürfe. Ebenso wird auf den Erlass Capitulatio de partibus Saxoniae Karls des Großen hingewiesen,22 der Leuten, die an Hexen glaubten, sie verbrannten oder verzerrten, die Todesstrafe androhte. Die Autoren der Studien zitieren zahlreiche Beispiele, in denen Priester gegen den Hexenwahn kämpften, aber nach und nach kapitulieren mussten, vor allem in den deutschen Ländern, bis schließlich deutsche – das wird hervorgehoben – Inquisitoren, Sprenger und Institoris „den schmählichen Hexenhammer“ verfassten und damit dem Wahn zum Sieg verhalfen.23 Ihre Schlussfolgerung zum Thema „Hexenwahn“ lautet: „Der Hexenwahn ist also nicht von Etrurien oder Rom nach Deutschland gekommen, sondern leider ein altgermanisches Volksgut, das nicht standhaft genug von der Kirche bekämpft worden ist“.24

Eine zusätzliche Bestätigung dieser These sehen die Autoren darin, dass in Rom nur wenige Hexenprozesse abgehalten wurden, während in Deutschland, 2

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Langobardisches Recht wurde erstmals im so genannten Edictus Rothari, erlassen von König Rothari im Jahr 643, schriftlich aufgezeichnet. Die mittelbaren Nachfolger Rotharis – Grimoald, Liutprand, Ratchis und Aistulf -ergänzten und modifizierten bis um 750 diese Sammlung. Für Soldan gehörte sie zum fortschrittlichen Kampf des bürgerlichen Rechtswesens gegen den christlichen Hexenwahn. Ca. 782 verabschiedetes Sondergesetz Karls des Großen (Capitulatio de partibus Saxoniae), mit dem er durch das Verbot der sächsischen Stammesversammlung in Marklo und mit der Verordnung neuer Gerichtsabhängigkeiten und Abgaben in Form des Zehnten versucht habe, das unterworfene Sachsenland in das fränkische Reich einzugliedern und es endgültig zu christianisieren. Die Gesetzessammlung stellte die Missachtung der christlich-staatlichen Ordnung unter Todesstrafe. Darunter fielen Verstöße wie die Verunglimpfung eines Priesters oder einer Kirche, die heidnischen Kulte, Feuerbestattung oder das Fleischessen an Fastentagen. Studien zum Mythus, a.a.O., S. 4. Ebenda, S. 4. 237

HEXEN UND GERMANEN

auch in den protestantischen Regionen, die Hexenverfolgung exzessive Ausmaße hatte und noch im 8. Jahrhundert Opfer forderte. Zudem sprechen sie die Kirche auch von jeglicher Schuld für das Aufkommen des Dämonenglaubens frei: „Die biblische Lehre von den gefallenen Engeln, den bösen Geistern, ist in der ganzen antiken Welt mit den vorchristlichen populären Vorstellungen von den Dämonen zusammengetroffen. [...] es konnte gar nicht anders kommen, als dass er [der Dämonenglauben – K.L.] noch lange fortlebte und mit der christlichen Lehre von sündig gewordenen reinen Geistern sich in mannigfacher Weise verband und diese Lehre oft genug in schlimmster Weise vergröberte oder ganz entstellte“.25

Die Kirche, so die Autoren, wollte die Furcht vor den Dämonen, die alle vorchristlichen Kulturen kannten, ursprünglich mit Vertrauen auf Christus überwinden: „Das ist gewiss nicht so schnell und befriedigend gegangen, wie wir es wünschen möchten, und schließlich hat sich mit dem Hexenglauben auch ein bedauerlicher Glaube an Teufelspuck breitgemacht. Aber ein Blick in die Geschichte des Aberglaubens bei germanischen und nichtgermanischen Völker zeigt, dass die Diener der Kirche ganz außerhalb der Geistesart ihrer Zeit hätten stehen müssen, wenn sie von allen Spuckängsten hätten frei sein sollen“.26

Die Kirche habe sich also schon immer gegen Aberglauben und Zauberglauben eingesetzt (argumentiert wird hier mit dem gleichen aufklärerischen Impetus, der eigentlich den Kirchenkritikern eigen war), schon die Germanen hätten Hexen und Hexer verbrannt: „Das Verbrennen der Hexen ist altgermanische Sitte, nichts anderes eben als die Unschädlichmachung des weiblichen und auch des männlichen Zaubers“.27

Mit dieser Erklärung wird das Hexen-Thema ad acta gelegt. Als zusätzlicher Beleg für die These vom germanischen Ursprung des Hexenglaubens wird Lily Weiser-Aalls Artikel Hexe im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens angeführt. Der letzte Beitrag der Studien zum Hexen-Thema findet sich in einer Anmerkung, die sich auf Soldan bezieht. Soldans Buch führe „den Leser über die Wurzeln des Hexenwesens“ in die Irre und stifte Missverständnisse, da hier „Erscheinungen aus späterer Zeit, in der kirchliche Kreise vom Hexenglauben 25 26 27 238

Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 4.

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

angesteckt waren, mit solchen aus früherer Zeit, an denen kirchliche Kreise noch unbeteiligt waren“, durcheinander geworfen werden.28 Auch Soldans Versuch, die Wurzeln des deutschen Hexenglaubens in den orientalischen und südeuropäischen Kulturen aufzuspüren, wird verworfen. Mit diesen Vorwürfen stehen die Verfasser der Studien in der langen Tradition von Schuldzuweisungen, wie sie für den deutschen Kulturkampf in der bra Bismarck typisch waren. Große Aufmerksamkeit widmen die Autoren der Studien Rosenbergs Ausführungen zu den Ketzern, die dieser zusammen mit den verbrannten Hexen als die arischen Opfer der Kirche darstellt. Ihre Deutung seiner Absicht könnte nicht treffender sein: „In der Behandlung der Ketzerverfolgungen, die bei R., wie wir gesehen haben, einen breiten Raum einnimmt, tritt bei ihm das doppelte Bestreben hervor, die Ketzer als verfolgte Germanen hinzustellen und die Verfolgung als Ausfluss eines blutrünstigen, der Kirche notwendig eingeborenen Verfolgungswillens gegen den germanischen Ehrbegriff“.29

Rosenbergs Versuch, die Ketzer zu arischen Märtyrern zu machen und so die Germanenfeindlichkeit der Kirche zu entlarven, kontern die Autoren der Studien mit der Behauptung, dass die Bekehrung Deutschlands friedlich gewesen sei und im . und 2. Jahrhundert die Ketzer nicht auf Geheiß der Kirche, sondern auf Initiative der Volks- und Staatsjustiz hingerichtet worden seien. So habe z.B. Friedrich II, der Staufer, die Verbrennung von Ketzern eingeführt: „Mit der Verbrennung übernahm er zugleich das aus der germanischen Volkstradition stammende, ursprünglich gegen Zauberer geübte Volksverfahren“.30

Später habe auch die Kirche diese Form der Bestrafung übernommen, was zwar als „Unglück“ zu werten, für jene Zeit aber verständlich gewesen sei. Rosenbergs These von den Katharern als den Vertretern des westgotischen Blutes in Südfrankreich halten die Autoren der Studien folgenden Einwand entgegen, mit dem sie sich faktisch selbst auf dessen rassische Argumentationsebene begeben: „Nichts kann verfehlter sein, als den Kampf gegen das Katharertum als einen Kampf gegen das Germanentum anzusehen. Katharertum war ein asiatischer Import auf 28 29 30

Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 48. 239

HEXEN UND GERMANEN

dem Wege über das byzantinische Reich. [...] Waffendienst, Gefolgschaftstreue waren ihnen ebenso ein Gräuel wie eine gesunde Ehe mit Kindersegen. Wo soll da das Germanische, dass R. in ihnen findet, stecken?“.3

Der Ketzer-Teil der Studien soll die Absurditäten und Inkonsequenzen in Rosenbergs Denken verdeutlichen: Rosenberg versuche, die Katharer zu Märtyrern zu erheben, obwohl deren Weltanschauung mit deutscher Kultur und deutschen Lebensstil nicht vereinbar gewesen sei. Mit sachlich klingenden Argumenten und immer unter Berufung auf die betreffenden Quellen entblößen die Verfasser der Studien Rosenbergs Unkenntnis der Kirchengeschichte, wobei sie teilweise selbst in eine Rosenbergsche Rhetorik verfallen. Auffallend oft verwenden sie, ähnlich wie Rosenberg, die Gegenüberstellung von „krank“ und „gesund“, am häufigsten in Bezug auf die Sexualität: Grünwedels Vorstellungen von den Sitten der Etrusker seien „krankhaft“ und „scheußliche sexuelle Perversitäten“, nur dass sie eine Einbildung gewesen seien und nicht – wie bei Rosenberg – historische Realität. Die Katharer hätten die „gesunde Ehe“ mit „Kindersegen“ bekämpft und seien pazifistisch gewesen, was die Studien als negativ werten. Sie betrachten die Ideen der Katharer herabschätzend als „asiatischen Import“, also in derselben Manier, in der Rosenberg im Mythus den Dämonenglauben behandelt. Besonders die Passagen, in denen von „Ansteckung“ mit dem Hexenwahn die Rede ist, erinnern an die Texte Rosenbergs, mit dem einen Unterschied, dass den Studien zufolge die Kirche von den Germanen mit dem Hexenwahn angesteckt wurde und nicht umgekehrt. Einige der von Rosenberg angesprochenen Verfehlungen der Kirche werden zugegeben, in der Regel aber werden diese sogleich entschuldigt. So hätten beispielsweise die Kreuzzüge das Abendland vor dem Orient geschützt und der harte Kampf gegen die Katharer die europäische Gesellschaft vor fremden, „krankhaften“ Lebensvorstellungen gerettet. bhnlich wie Rosenberg betonen auch die Verfasser der Studien ihren Patriotismus und versuchen zu beweisen, wie „deutschfreundlich“ die katholische Kirche sei: Die deutsche Kolonisation des Ostens verdanke man der Kirche, Benedikt XV32 und Pius XI33 seien Päpste, die Deutschland liebten, usw. Sie beschließen den kirchengeschichtlichen Teil mit der Frage:

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Ebenda, S. 49. Rosenberg nennt ihn wahrscheinlich deshalb, weil er sich gegen die Maßnahmen der Sieger im Vertrag von Versailles wandte. Pius XI hat das Reichskonkordat mit dem Deutschen Reich am 0. September 933 geschlossen. Schon nach dem Druck der Studien wurde 937 die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ veröffentlicht, die u.a. auf die wachsende Bedrängnis der Kirche in Deutschland hinweist, gegen das Neuheidentum auftritt und die Bücher des Alten Testaments als organischen Teil der Offenbarung Gottes deutet. Im gleichen Jahr wurde eine weitere Enzyklika veröffentlicht,

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

„Kann es der deutschen Volksgemeinschaft dienen, wenn die Erbitterung des Zeitalters der Glaubenstrennung mit unrichtigen Behauptungen neu geweckt, wenn die hasserfüllten Verleumdungen eines Voltaire, dessen Saat in den Schreckenstagen der Französischen Revolution blutig aufgegangen ist, aus trüben Quellen übernommen und weitergeleitet werden. Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, dass R. dieses Buch zurückzöge?“34

Die Verwendung des Wortes „Volksgemeinschaft“, eines der zentralen Begriffe der NS-Ideologie, die darunter eine „völkische“, d.h., rassisch definierte und auf einer gemeinsamen Weltanschauung beruhende Gesellschaft unter Ausschluss aller „volksfremden“ Elemente verstand, wirkt nur auf den ersten Blick befremdlich. Die frühen Versuche der deutschen katholischen Kirche und vieler Geistlicher, den Nationalsozialismus zu integrieren, zeugen davon, dass die katholische Kirche gegen den Faschismus gar nichts einzuwenden gehabt hätte, nur eben „deutsch-christlich“ (im Sinne einer neuen ErsatzReligion) oder „neopagan“ sollte er nicht sein. Die „Volksgemeinschaft“ war zudem bereits um 1900 ein häufig gebrauchter Begriff. Er erschien den verschiedensten politischen Gruppierungen, völkischen und konservativen, aber auch liberalen und christlichen, attraktiv als Gegenbild zur modernen, von Konflikten und sozialen Gegensätzen geprägten Gesellschaft, weil er die Illusion vermittelte, die moderne Gesellschaft ließe sich als Gemeinschaft, d.h. nach dem Muster unmittelbarer sozialer Beziehungsnetzwerke gestalten.35 Der Staat und ein ethnisch homogenes Volk sollten zu einer Einheit verschmelzen, die Führung sollte intuitiv nach dem einheitlichen Willen des Volkes handeln, der Einzelne seine Interessen dem Wohl der Volksgemeinschaft unterordnen. Tief sitzende Skepsis gegenüber der modernen Gesellschaft ist etwas, was die Autoren der Studien über alle Unterschiede hinweg mit Rosenberg teilen. Sie ist aber nicht das einzige Motiv, das sie mit ihm

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die den Kommunismus sehr viel deutlicher anprangerte als den Nationalsozialismus und Partei für Francos Putsch in Spanien ergriff. Ebenda, S. 86. Vgl.: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, a.a.O.; F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt, 3. Aufl. 1991 (erstmals 1887); J. Verhey, Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000; B. Kleinhans, Volksgemeinschaft, in: http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/drittes-reich/wirtschaft-und-gesell schaft/128.html (8.03.2009). Bis heute berufen sich rechtsextremistische Gruppierungen auf die Volksgemeinschaft: So heißt es im Programm der NPD für die Bundestagswahl 2002: „Das deutsche Volk ist Grundlage der deutschen Volksgemeinschaft“. Der „multikulturelle Wahnsinn“, den die Partei durch die „Rückführung aller Ausländer in ihre Heimat“ beenden will, führe zu Gruppenund Einzelinteressen, während „aus sozialer Gerechtigkeit und dem Solidarprinzip die ethnisch homogene Volksgemeinschaft“ erwachse (Plakat: Volksgemeinschaft statt EU Diktatur“). 241

HEXEN UND GERMANEN

gemein haben. Auch bei der Beurteilung von Voltaire, der die Willkür und Intoleranz der Kirche wie die des Staates scharf kritisiert hatte, nähern sich die Positionen an. Für Rosenberg verkörpert Voltaire die Krise der französischen Kultur, er behauptet, letzterer sei „bar jedes echten großen Adels der Gesinnung“ gewesen.36 Die Autoren der Studien sehen in Voltaires Ideen vor allem eine Quelle der blutigen Revolution. In ihrer ablehnenden Haltung zur französischen Revolution unterscheiden sie sich wenig von den nationalsozialistischen Ideologen, die diese ebenfalls als „sittlichen Verfall“ interpretierten. Ihr Protest gegen „die hasserfüllten Verleumdungen eines Voltaire“ bezieht sich insbesondere auf die Überzeugung Voltaires, dass die restriktive Verordnung König Ludwigs XIV gegen die Hexenprozesse einen Sieg über den Aberglauben und die Willkür der Kirche bedeutete, dass diese Verordnung gegen das Inhumane der Hexenverfolgungen, der Folter und der Todesstrafe gerichtet war. Voltaire hatte die Verordnung als einen kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt interpretiert: Erst das Licht des Sonnenkönigs und der modernen Wissenschaften hätten der Finsternis und dem Hexenwahn ein Ende bereitet.37 Voltaire schätzte die Gesamtzahl der Hexenhinrichtungen in Europa auf 00.000, eine Zahl, die die Zeitgenossen beeindruckt hat und bis heute gelegentlich genannt wird, obwohl Behringer sie als „völlig aus der Luft gegriffen“ bezeichnet.38 Mit ihrer aggressiven Weigerung, sich ernsthaft und ausführlich mit Voltaire auseinanderzusetzen, bestreiten die Verfasser der Studien noch einmal die Verantwortung der katholischen Kirche für die Hexenprozesse. Seine Argumente lehnen sie als „ein Muster historischen Unsinns und blinden antichristlichen Fanatismus“ bedingungslos ab.39 Rosenberg unterstellen sie, dass sein Kirchenbild durch Voltaire beeinflusst und deshalb nicht ernst zu nehmen ist. Die Forderung der Studien, Rosenberg solle den Mythus aus der Öffentlichkeit zurückziehen, erscheint um so bedeutender, wenn man den folgenden Sachverhalt ins Auge fasst: In den Studien wird Rosenberg mit Paulus verglichen, den dieser als den den Rassengedanken zersetzenden Juden bekämpft. Beide „treten auf als Verkünder einer Religion, von denen die eine die andere absolut ausschließt“.40 Damit erklärt die Kirche die Unversöhnlichkeit des Christentums mit der nationalsozialistischen, als Ersatzreligion verstandenen Weltanschauung – sie sagt dem Nationalsozialismus den Kampf an, zumin36 37 38

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Mythus, S. 02. Francois-Marie Voltaire: Das Zeitalter Ludwigs XIV. [Leipzig] 887. Neudruck München o. J., S. 378. W. Behringer, Neun Millionen Hexen. Entstehung, Tradition und Kritik eines populären Mythos, erschienen in historicum.net, http://www.historcum.net/ themen/hexenforschung/thementexte/rezeption/art/Neun_Millionen/html/ca/0e 43e9dea3/ (8.03.2009) Studien zum Mythus, a.a.O., S. 57f. Studien zum Mythus, a.a.O., S. 49.

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

dest der Rosenbergschen Version, insofern diese Anspruch auf die religiöse Sphäre erhebt. Aus diesem Vergleich ergibt sich aber gleichzeitig auch eine gewisse bhnlichkeit der beiden Machtdiskurse: Sowohl die Kirche als auch der Nationalsozialismus halten eine göttliche oder pseudoreligiöse (Blut, Rasse, Gestalt) Rechtfertigung bereit, die ihre Taten unhinterfragbar erscheinen lassen soll. In den Studien wird das Hexen-Thema nur insofern behandelt, als die Verfasser die Schuld an den Hexenverbrennungen den Germanen zuschreiben und die Kirche von Zaubergläubigkeit und Dämonismus freisprechen. Auf die Opfer sowie die Frauen und deren Stellung im Christentum gehen sie nicht ein. Wie es scheint, ließen sich das konkrete Leid und die realen Qualen nicht so einfach instrumentalisieren, da die Kirche nicht bereit war, ihren Teil der Schuld an den Hexenprozessen einzugestehen und sich mit ihrer eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. So wurden die Opfer zwangsläufig verschwiegen. Was blieb, war, die Schuld für die Verbrennungen den Gegnern der Kirche anzulasten, den Mythos der unschuldigen, vom Zauberglauben freien germanischen Kultur zu stürzen, und die Vaterlandsliebe der deutschen Katholiken zu beteuern.

R o s e n b e r g s An t w o r t a u f d i e k a t h o l i s c h e K r i t i k In der 3. Auflage des Mythus, die 93, also noch vor den Studien erschien, antwortet Rosenberg auf die Angriffe des katholischen Lagers. Zunächst indirekt, indem er dem Buch ein neues Motto voranstellt: „Oh, ihr Genossen meiner Zeit! Fragt eure brzte nicht und nicht die Priester, wenn ihr innerlich vergeht. Hölderlin“.

Sodann im Vorwort, in dem er sich noch einmal zur „reinen“ Lehre Christi bekennt und jegliche heidnische Phantasien ablehnt: „Man unterschlug die große Verehrung, die im Werk dem Stifter des Christentums gezollt wird; man unterschlug, dass die religiösen Ausführungen den offenbaren Sinn haben, die große Persönlichkeit ohne spätere entstellende Beigaben verschiedener Kirchen zu erblicken. Man unterschlug, dass ich den Wotanismus als eine tote Religionsform hinstellte [aber, natürlich vor dem germanischem Charakter Ehrfurcht habe der Wotan ebenso gebar wie den Faust], und dichtete verlogen und skrupellos mir an, ich wollte den „heidnischen Wotanskult“ wieder einführen“.4

4

Mythus, S. 5f. 243

HEXEN UND GERMANEN

Rosenberg meint, dass die Leidenschaft der katholischen wie der reformierten Proteste gegen sein Buch der Einsicht in die Kraft der neuen Weltanschauung und dem Respekt davor geschuldet sei: „Die Dinge liegen nun so, dass die römische Kirche vor Darwinismus und Liberalismus keine Furcht empfand, weil sie hier nur intellektualistische Versuche ohne gemeinschaftsbildende Kraft erblickte, die nationalistische Wiedergeburt des deutschen Menschen aber, von dem die alten Wertverflechtungen durch die Erschütterung von 94—98 abgefallen sind, erscheint deshalb als so gefährlich, weil hier eine typenschaffende Macht zu entstehen droht“.42

Die wütenden Beschimpfungen durch die katholischen Polemiker hätten ihn nicht überrascht, und die ablehnende Haltung der evangelischen habe er geahnt: „Meine Voraussage, dass die Kirchlich-Evangelischen sich dem neuen religiösen Fühlen gegenüber ähnlich verhalten würden wie einst das dogmatisch festgelegte Rom gegenüber der Reformation, hat sich leider bestätigt. Die gegen meine Schrift auftretenden Theologen und Professoren machten es sich im Vollbesitz der „evangelischen Wahrheit“ leicht: sie stellten einfach das Ketzerische meiner Ausführungen fest, lobten das „nationale Gefühl“ – aber unverbindlich -, freuten sich, (vermeintliche) Unrichtigkeiten feststellen zu können und lehnten dann ab“.43

Rosenberg versuchte, diese Angriffe gelassen zu nehmen, fühlte sich jedoch durch sie betroffen und vermutlich auch überfordert. Nach der Veröffentlichung der Studien schrieb er am 26. Dezember 934 in sein Tagebuch: „Mein Mythus hat jetzt 250 000 Stück Auflage, ein Jahrhunderterfolg. Rom hat deshalb alle Kräfte mobilisiert und die Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts herausgegeben, um mich wissenschaftlich zu erledigen. Geschrieben mit bekannten Tricks, im Grunde frech und fadenscheinig. Ich habe bereits 60 Seiten Entgegnung diktiert. Baeumler will in den Weihnachtsferien auch eine Broschüre schreiben, Miller in Celle ebenfalls. Erster von historischer Höhe, der zweite hauptsächlich über das heute bereits als germanisch bezeichnete Hexenwesen“.44

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Mythus, S. 7. Mythus, S. 0. Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs aus den Jahren 934/35 und 939/40, hrsg. Von H.G. Seraphim, Göttingen 956, S. 50.

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In der Vorrede zur 33. und 34. Auflage des Mythus (934) berichtet Rosenberg mit einem gewissen Stolz über das Verbot seines Buches durch die katholische Kirche45 und erklärt seine Bereitschaft, den Kampf fortzusetzen: „Das Inquisitionskollegium der römischen Kirche hat den Mythus feierlich auf den Index gesetzt. Dieser ohnmächtige Protest wird für die weitere Verbreitung des Werkes das seinige beitragen. Ich befinde mich auf dem Index in bester Gesellschaft. Die staatspolitische Revolution ist beendet, die Umwandlung der Geister aber hat erst begonnen... In ihrem Dienst steht nunmehr der Mythus des 20. Jahrhunderts mit in erster Reihe“.46

In einem Brief an den Germanisten und Schriftsteller Alfred Miller, den Herausgeber der völkischen Flammenzeichen, der als Verfasser von Schriften gegen den Katholizismus bekannt war, klagte Rosenberg über die Angriffe „der kirchlichen Wissenschaft“ und bat um eine scharfe Gegendarstellung.47 Er sei noch immer von der Richtigkeit seiner Positionen und der Seriosität seiner Quellen überzeugt, die Gründe der Kritik seien in den Motiven seiner Widersacher zu suchen. Diese lägen auf der Hand, „weil die Etrusker ähnlich den Juden eine priesterliche Herrschaft hatten, die später von der römischen Kirche übernommen wurde, und diese somit einen Angriff auf das Etruskertum auch als Angriff auf sich selbst empfinden muss“.48 Nachdem er verschiedene Wissenschaftler konsultiert hatte, versuchte Miller, Rosenberg klar zu machen, dass aus kirchengeschichtlicher Sicht gegen die meisten Argumente der Studien nicht viel einzuwenden sei. Rosenberg antwortete, er finde es „etwas belustigend seitens unserer Fachgelehrten, dass sie mir raten, 60% meiner angegriffenen Behauptungen fallen zu lassen. [...] Auf all diese durchaus widerlegbaren Angriffe gedenke ich selbst zu antworten“.49 Am 24. Fe45

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In der Begründung des Verbots wurde ganz klar Protest gegen die „religiöse Konkurrenz“ des Nationalsozialismus geäußert: „Das Buch verspottet alle Dogmen der katholischen Kirche und die Fundamente der kirchlichen Religion, und lehnt sie ab. Es verteidigt die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Religion oder einer deutschen Kirche und spricht es grundsätzlich aus, dass heute ein neuer mythischer Glaube entstehe, der mythische Blutsglaube, ein Glaube nach dem auch die göttliche Natur des Menschen mit dem Blut verteidigt werden könne, ein Glaube der sich auf sonnenklare Wissenschaft aufbaue, nach der das nordische Blut jenes Geheimnis darstelle, wodurch die alten Sakramente abgelöst und abgetan sind“. Zit. nach: E. Piper, Alfred Rosenberg, München 2005, S. 24. Mythus, S. 8. Vergleiche: R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich, a.a.O., S. 70. Rosenberg an Miller, 7..934 (BA NS 8/), zit. nach: R. Baumgärtner, a.a.O., S. 7. Rosenberg an Miller, 7.2.935 (BA NS 8/5), zit. nach: R. Baumgärtner, a.a.O., S. 7. 245

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bruar 935 schrieb Rosenberg, überzeugt von der Wichtigkeit seiner politischen Mission, in sein Tagebuch: „Der Weltanschauungskampf scheint nunmehr immer schärfere Formen anzunehmen. Der üble Kardinal Faulhaber hat in München gesprochen und u.a. mein Werk in giftiger Weise angegriffen; da man den Führer noch nicht zu treten wagt, will man seinen gefährlichsten Mitarbeiter madig machen“.50

bhnlich wie die Programme des H-Sonderauftrags betont Rosenberg in diesem Tagebucheintrag die Notwendigkeit, den Kampf gegen römische Einflüsse in Deutschland zu führen, aber auch die Unmöglichkeit, „alle Mächte“ gleichzeitig anzugreifen. Zuerst müsse das jüdische Problem gelöst werden. Dennoch sei die Ausarbeitung einer vorsichtigen, aber unerbittlichen Kampfstrategie unerlässlich: „Nun arbeitet Rom auf der ganzen Linie, aus dem sicheren Gefühl heraus, mitten in seinem schwersten Ringen seit 2000 Jahren zu stehen. Deshalb ist jede amtliche Unachtsamkeit zu vermeiden. Aber ich für meine Person bin bereit, den Kampf 'nichtamtlich' zu führen und nach und nach die Korrektheit abzulegen, die ich bis jetzt gewahrt habe“.5

Trotz der Deklaration, die Auseinandersetzung als Privatperson weiter zu führen, kündigt er in den nächsten Zeilen die Mobilisierung der Hitlerjugendführer an. Diese hätten die Aufgabe, die Jugend über den aktuellen Konflikt mit der Kirche aufzuklären. Auch die Parteipresse sollte sich seinem Kampf anschließen, den er für einen der wichtigsten des neuen Deutschen Reiches hält: „Der Schulungsbrief hat jetzt eine Auflage von .00. 000. Die römische Weltanschauung wird in diesem Jahr systematisch von der Vorgeschichte her angegriffen werden. Ich werde jetzt auch aktuelle Aufsätze über die römische Tätigkeit einschieben lassen und den Mythus groß ankündigen. Ehe ich selbst mit meiner Gegenantwort erscheine, will ich den Führer sprechen. Denn eine Broschüre von mir, als seinem Beauftragten, wenn auch nur 'persönlich' wird Sturm bringen. Und der Führer soll entscheiden, ob die Zeit schon dafür reif ist, d.h. für die schwerartilleristische Vorbereitung vor den folgenden staatsamtlichen Angriffen. Dass das kommt, hat der Führer ja klar ins Auge gefasst – seit 99. Auf der vorletzten Reichs- und Gauleitertagung hat er uns alle vertraulich auf alles vorbereitet. Er verpflichtete die Gauleiter, die Mitarbeiter alle zu überprüfen, damit, wenn einmal eine Entscheidung

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Das politische Tagebuch, a.a.O., S. 56. Ebenda, S. 56.

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käme, keiner auf Seiten der Kirchen, sondern alle auf Seiten der Bewegung stünden“.52

935 veröffentlichte Rosenberg seine Erwiderung auf die Studien. Die Broschüre mit dem Titel An die Dunkelmänner unserer Zeit. Eine Antwort auf die Angriffe gegen den Mythus des 20. Jahrhunderts, die bis 94 dreiunddreißig Auflagen erzielte, wurde in den „NS-Monatsheften“ in einem dramatischeuphorischen Artikel von Matthes Ziegler53 unter der Überschrift Alfred Rosenberg antwortet vorangekündigt: „Und die römische Presse ging in ihrer einfältigen Dreistigkeit bereits soweit, Alfred Rosenberg wohlwollend vorzuschlagen, sein Buch doch wenigstens aus dem Handel zu ziehen, nachdem sich bereits die ganze Welt in seiner Beurteilung einig sei. Aber trotz dieser 'Siegesstimmung' ließ sich doch die große Enttäuschung nicht verbergen über den tatsächlichen Misserfolg der ganzen Aktion. Rosenbergs Werk geht in immer neuen Auflagen durch das Land und hat heute schon viele Millionen in seinen Bann geschlagen, und die Wirkung der Studien ist verpufft und befindet sich in jähem Abklingen. Auf allen Gegnern aber lastet die quälende Frage: Was wird Rosenberg tun? Warum wehrt er sich nicht? Warum setzt er seine Machtmittel nicht ein? [...] Und warum antwortet er nicht?“54

„Deutscher Geist“ versus christliche „magische Weltanschauung“. Rosenbergs Replik auf die Studien. Rosenbergs Taktik kommt im Vorwort und im Schlusskapitel seiner Antwort besonders deutlich zum Vorschein. Er bedient sich hier kontrastvoller Gegenüberstellungen, die jedoch zumeist ohne jegliche Beweise und daher reine Deklarationen bleiben. Zunächst weist er auf seine angebliche Toleranz gegenüber Andersdenkenden hin:

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Ebenda, S.57. Matthes Ziegler (9-992), Nürnberger Theologe, Volkskundler und Chef des Amtes für weltanschauliche Information im Amt Rosenberg, Hauptschriftleiter der „Nationalistischen Monatshefte“, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde. Ziegler forderte, ganz im Geist des Mythus, als Alternative zu den kirchlichen Festen neue Festformen der Gegenwart zu schaffen, und zwar „aus dem Geist der Vergangenheit“ und gestützt auf die Volkskunde. Seit 953 war er Pfarrer in Rimbach und Langen. Nach: E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/M. 2005. M. Ziegler, Alfred Rosenberg antwortet!, in: NS-Monatshefte. 6. Jg, April 935, Heft 6, S. 290-297. 247

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„Ich spreche selbstverständlich den Kirchen das Recht zu, ihre Positionen zu verteidigen. [...] Ich bin auch im Laufe der Jahre über alle persönlichen gehässigen Angriffe hinweggegangen und habe verzichtet [...] Prozesse zu führen“.55

Dann versichert er den Lesern, er habe „vor der Gläubigkeit an sich viel zu viel Respekt“.56 Am Schluss brandmarkt er die Gehässigkeit der Kirche, die alle Andersdenkenden „als Häretiker verunglimpft“.57 Um seine Unparteiligkeit und „Unschuld“ zu beteuern, stellt sich Rosenberg in die Reihen der Opfer der Kirche und spielt auf das Schicksal der Häretiker und Hexen an. Er beschreibt, wie ein katholischer Lehrer in Breslau seinen Schülern erklärte: „dass man den Verfasser des Mythus verbrennen müsse“.58 Ausdrücklich betont er, dass er zunächst darauf verzichten wollte, auf „das obskure Pamphlet“ anonymer Autoren zu antworten: „Diese Haltung beizubehalten ist mir aber jetzt unmöglich gemacht worden, da man nunmehr darangegangen ist, auch den wissenschaftlichen Ernst meines Werkes anzugreifen, um mich auf diesem Gebiete zu widerlegen und damit meine ganze Arbeit zu Fall zu bringen versucht. Aus diesem Grunde zur Wahrung meines sachlichen Ansehens, ist nachstehende Schrift verfasst worden“.59

Es folgen zahlreiche Beteuerungen seiner wissenschaftlichen Objektivität, die belegen sollen, dass Rosenberg auf Seiten der „Wahrheit“ stehe, die der Leser selbst erkennen soll, indem er die Unwissenschaftlichkeit der Gegner vor Augen geführt bekommt. Rosenberg spricht von der „sogenannten wissenschaftlichen Arbeit“ seiner Widersacher, von der „Verdrehung geschichtlicher Tatsachen“, und behauptet, seine Antwort wäre nicht so scharf ausgefallen, „wenn die Gegenseite sich wirklich wissenschaftlich mit den vorliegenden Fragen philosophischer Art und mit dem geschichtlichen Problem ernsthaft befasst hätte“. Er bedauert, dass seine Gegner die „geschichtliche Wahrheit“ unterdrückt und „dogmatisch die Geschichte des Papsttums als die Auswirkung des heiligen Geistes“ dargestellt hätten. Schließlich erklärt er, dass dieser Kampf aus der „Unvereinbarkeit der Standpunkte zwischen wirklichem geschichtlichem Forschen und dem Versuch dogmatischer Aufzwingung von Geschichtslegenden“ resultiere.60 55 56 57 58 59 60

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A. Rosenberg, An die Dunkelmänner unserer Zeit, München 936, S. 3. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 00. Dieser Kampf um „Wissenschaftlichkeit“ wird auch von den Rosenberg verteidigenden Autoren geführt: „Die 'Studien' sind ohne Zweifel weitaus die umfassendst angelegte und geschickteste sämtlicher Gegenschriften gegen den ‚Mythus' und haben, da sie mit der Anmaßung strenger Wissen-

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Sachliche Argumente findet man in diesen Ausführungen hingegen kaum. Rosenberg verteidigt den Mythus durch Angriffe, emotionelle Deklarationen und Warnungen. So wirft er zum Beispiel seinen katholischen Kritikern vor, sie hätten seine wichtigsten Überlegungen verschwiegen und die von ihm angesprochenen negativen bußerungen katholischer Schriftsteller über „die großen Geister des deutschen Denkens“ nicht kommentiert.6 Ohne Namen zu nennen, aber mit der deutlichen Absicht, die Empörung der Leser über die Verunglimpfung nationaler Säulenheiliger zu wecken, wirft er den erwähnten katholischen Autoren vor, sie hätten Kant als den „abständigen, marastischen Alten von Königsberg“ bezeichnet, sein Werk als „Täuschung und Humbug“ abgetan und ihn mit einem „Pesthauch“ verglichen, Goethe als einen „Modegötzen“ und sein Werk als eine „Gefahr für Religion und Sitte“ verunglimpft und Schiller als „Brotliterat“62 betitelt. Dass die Verfasser der Studien diese katholischen Angriffe gegen die „deutsche Identität“ unterschlagen hätten, sei eine logische Konsequenz der eigentlichen Motive, die ihrer Polemik gegen seinen Mythus zugrunde lagen: „das alles bedeutet nichts mehr und nichts weniger als einen bewusst und wohlüberlegt eingeleiteten Versuch einer geistigen Gegenreformation gegen das deutsche Kulturerwachen. Kant und Schiller, Schopenhauer und Goethe bedeuten einen Höhepunkt deutscher Kultur, deutschen Denkens, deutschen Forschungswillens, und gegen diese Großen hat sich der römische Kampf gerichtet. [...] Die von mir angeführten Beschimpfungen der deutschen Dichter und Denker aber werden von den Verfassern der Studien mit keinem einzigen Wort erwähnt. Man nimmt sie also hin als zu Recht bestehend, aber man fühlt sich durchaus nicht bewogen, auch nur mit

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schaftlichkeit geschrieben sind, in gewissen Kreisen ihre Wirkung nicht verfehlt. Es sind dieselben Kreise, die das Phantom einer falsch verstandenen objektiven und sogenannten voraussetzungslosen Wissenschaft zwar stur gegen den Nationalsozialismus verteidigen, die sich jedoch bedenkenlos und instinktlos, heute wie ehedem, in das geistige Schlepptau konfessioneller Interessenpolitik nehmen lassen“. M. Ziegler, Alfred Rosenberg antwortet! a.a.O., S. 294. Bereits 93, im Vorwort zur 3. Auflage des Mythus, kommentiert das Rosenberg: „Die ganze Erregung über meine Schrift war um so bezeichnender, als mit keinem Wort Abstand genommen wurde von den Schmähungen der großen Deutschen wie dies seit langem zum literarischen Geschäft der Jesuiten, und ihrer Genossen gehört. Man förderte stillschweigend die Beschimpfungen Goethes, Schillers, Kants u. a,, man hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn die Schrittmacher Roms ihre religiöse Aufgabe in der Verhinderung der Bildung eines deutschen Nationalstaates erblickten“ (Mythus, S. 8). Es geht Rosenberg hier um die Stellen aus dem Mythus, an denen er über den vermeintlichen Kampf Roms gegen einige deutsche Schriftsteller und Philosophen schreibt (vgl. Mythus, S. 630 f). Ebenda, S. 0f. 249

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einem kleinen Wort diese Beschimpfungen des deutschen Geisteslebens zu entschuldigen“.63

Seine Gegner stellt Rosenberg als die Angreifenden dar, seine eigene Haltung als objektive wissenschaftliche Polemik. Im Gegensatz zu seinen Widersachern habe er aber keinen Kulturkampf im Sinn, sondern polemisiere nur mit der Absicht, „politisch für die Unabhängigkeit der notwendigen völkischen Entschlüsse zu kämpfen und geistig für die innere Freiheit der nicht katholisch denkenden Deutschen“.64 Er leugnet den propagandistischkämpferischen Charakter seines Buches, indem er betont, es solle nicht andere Völker bekehren und wende sich nicht an die Katholiken, sondern an die vielen Deutschen, „die innerlich schon längst Abkehr gehalten haben, ohne dass sie eine Form fanden, die ihrem inneren Erleben jenen Rahmen schuf, der notwendig ist, um aus Millionen Einzelseelen eine Ganzheit mit innerlicher Haltung zu schaffen“.65 Für seinen Mythus nimmt er in Anspruch, „den Millionen Einzelseelen“ nunmehr diese bislang vermisste „Form“ zu geschaffen zu haben. Der Kritik der katholischen Intoleranz und der Betonung der eigenen Objektivität folgt eine Drohung: Wenn die katholische Kirche sich das Recht anmaße, „das Denken, Fühlen und Forschen von ganz Deutschland zu diktieren“, werde man sich dagegen wehren und die aufgeklärte „deutsche Geistesfreiheit“ verteidigen. „Hier wird es notwendig sein, dass [...] der Lebensraum der römisch-katholischen Minderheit ebenso gesichert wie umgrenzt wird, um die ständigen Herausforderungen gegen Deutschland zu vermeiden. [...] In diesem Sinne und zur Verteidigung der deutschen Geistesfreiheit nach innen und nach außen ist auch diese Schrift entstanden, und sie wird – so hoffe ich – das ihrige dazu beitragen, den Standpunkt des Menschen des 20. Jahrhunderts gegenüber den überlebten mittelalterlichen Begriffen aus den Jahrhunderten der Inquisition sicherzustellen“.66

Ungeachtet dieser Erklärung unterstreicht Rosenberg noch einmal, dass er hier nur als Privatperson auftritt: „Ich möchte auch hier bemerken, dass diese leider notwendig gewordene Entgegnung nicht abgefasst worden ist in meiner parteiamtlichen Eigenschaft, sondern in

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Ebenda, S. 02. Ebenda, S. 0. Ebenda, S. 6. Ebenda, S.04.

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meiner Eigenschaft als Verfasser des umstrittenen Werkes, also als Einzelpersönlichkeit“.67

Gleichwohl erscheint diese Behauptung unglaubwürdig, wenn man Rosenbergs Tagebucheinträge über den Weltanschauungskampf sowie die im Anhang zu seiner Antwort abgedruckten Pressestimmen liest, die ihn eindeutig als den Ideologen des neuen Deutschland und sein Werk als eine Offenbarung für alle Nationalsozialisten preisen. Hier nur einige Beispiele: Der NS-Funk Berlin äußerte, wer Rosenbergs Werk gelesen habe, kenne „die geistigen Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung und damit das neue Deutschland“.68 Hanns Johst, Reichsleiter der Fachgruppe Schrifttum in dem 929 von Rosenberg gegründeten Kampfbund für deutsche Kultur und Präsident der Reichsschrifttumskammer (RSK), die für die Säuberung des Schrifttums von allen „artfremden“ und „volkschädlichen“ Schriftstellern verantwortlich war, behauptete: „Alfred Rosenberg schrieb in seinem Mythus mit zwingender Unerbittlichkeit das kulturphilosophische Programm für das neue Deutschland ... Dieses Werk ist die fanatische Offenbarung eines genialen Instinktes“.69 Die Zeitschrift „Die freie deutsche Schule“ forderte die Pädagogen zur Lektüre auf: „Ein deutscher Lehrer muss diese Weltanschauungsbibel kennen und sich mit ihrem reichen Inhalt auseinandersetzen“.70 Die Entscheidung, solche Rezensionen, die den Mythus zur Bibel des Nationalsozialismus stilisieren, in der Antwort abzudrucken, war ein politisch wohl durchdachter Schritt, der die Beteuerungen des rein persönlichen Charakters dieser Schrift erkennbar relativiert. Auch in den beiden für das Hexen-Thema relevanten Kapiteln der Antwort – Die magische Weltanschauung und Der römische Hexenwahn – tritt Rosenberg mit dem Habitus eines Vorkämpfers des freien Denkens auf, der sich von dessen Gegnern zur offensiven Verteidigung gezwungen sieht. Auch hier gibt er vor, sachlich auf die Kritik seiner Widersacher antworten zu wollen. Im erstgenannten Kapitel bestreitet er, dass er die katholische Kirche beleidigen wollte, als er sie im Mythus als „Medizinmann“ bezeichnete. Er habe nur eine nachweisbare Zaubergläubigkeit des Christentums festgestellt. Rosenbergs „wissenschaftliche Argumentation“ beschränkt sich auf den Versuch, auf den sechs Seiten dieses Kapitels anhand von Beispielen „aus dem Leben“, der kirchlichen Literatur und der Presse das magische Weltbild und die Wundergläubigkeit des Christentums zu illustrieren und aus der „Perspektive eines aufgeklärten Wissenschaftlers“ nachzuweisen, dass die Praktiken der Kirche im Wesentlichen auf finanzielle Ausbeutung und Verdummung 67 68 69 70

Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 05. Ebenda, S. 06. Ebenda. 251

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der Gläubigen hinauslaufe.7 Mit besonderer Vorliebe zitiert er Kardinal Faulhaber, der während einer Prozession einmal über einen Zusammenhang zwischen dem Gebet und dem Wetter räsoniert habe, oder die Erwägungen eines Theologieprofessors darüber, wie man den im Fegefeuer leidenden Seelen durch das heilige Messopfer zu Hilfe kommen könne. Erst im Kapitel Der römische Hexenwahn geht Rosenberg direkt auf den Hexenwahn ein, wozu er sich offenbar durch die in den Studien vertretene These vom germanischen Ursprung des Hexenwahns veranlasst sah. Er bekräftigt noch einmal, dass die These vom germanischen Ursprung des Hexenglaubens nichts als Geschichtsfälschung sei, gibt seiner Empörung über die verbrecherischen Hexenprozesse Ausdruck, und führt umfangreiche Zitate aus dem katholischen Schrifttum an, die die Hexenprozesse rechtfertigen. Aber auch hier konzentriert sich Rosenberg mehr auf die Ablehnung der „magischen Weltanschauung“ der Kirche als auf die Hexenprozesse selbst. Schon am Anfang stellt er fest: „Das ganze Zauberwesen reicht von der Gründung der römischen Kirche bis in unsere Gegenwart hinein und wird genau so lange bestehen, wie die römische Kirche selbst besteht“.72 Die nordischen Rassen hätten dagegen immer nach einer Erklärung der Wirklichkeit gesucht: „Das Suchen nach derartiger kosmischer Gesetzlichkeit ist stets das Kennzeichen des nordischen Menschen gewesen, sei es als forschender Grieche, sei es als forschender Europäer. Dieser Auffassung steht die zauberhafte Magie des Morgenlandes und Afrikas schnurstracks entgegen, und deshalb ist alles das, was mit Ablässen, Fegfeuer, Gebet, Hexenwahn und Zauberdingen zu tun hat, eine unmittelbare Fortführung des orientalischen Denkens. Wenn später die Protestanten noch lange dem Hexenwahn folgten, so ist das nicht etwa eine Entlastung für die römische Kirche, sondern zeigt, wie sehr eine jahrtausendelang herrschende Dämonie, gestützt auf politische Gewaltherrschaft, die Seelen der Menschen vergiften konnte“.73

Rosenberg wiederholt hier seine Behauptung aus dem Mythus, dass „das dämonengläubige Papsttum“ aus dem Alten Testament, dem Etruskertum, das für die zauberbesessenen Kulturen steht, und aus dem „römischen Völkerchaos“ entstanden sei. Dass sich die These der Studien, das Hexenwesen sei in der germanischen Kultur begründet, nicht aufrecht erhalten lässt und nur der Verdrehung der historischen Tatsachen geschuldet ist, scheint ihm offensichtlich und keiner weiteren Beweise bedürftig. Die der Natur hörigen und dem Verstand folgenden Germanen seien zu „Beginn der Christenära“ noch

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72 73 252

Rosenberg meint das Gebet als die magische Beeinflussung der Natur, z.B. des Wetters, die Messen und Ablässe als Möglichkeit der Beeinflussung des Schicksals der Gestorbenen usw. A. Rosenberg, An die Dunkelmänner, a.a.O., S. 56. Ebenda, S. 60.

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„vollkommen dämonenlos“ gewesen. Nicht die Kirche, sondern die Deutschen mit ihrem „typisch nordischen Wissensdrang“ hätten den Hexenverfolgungen schließlich ein Ende gesetzt. Diese Argumentation scheint angesichts der klaren Verurteilung der Kirche der Position der Aufklärung ähnlich zu sein, nur dass bei Rosenberg das „nordische Blut“ und nicht die Vernunft als wichtigste allgemeinmenschliche Grundlage der Erkenntnis den Hexenverfolgungen ein Ende gesetzt hat. Allein das Blut, so Rosenberg, bedingt die Fähigkeit zu geistiger Entwicklung und damit die Möglichkeit jeglichen Fortschritts: „Nach Abwerfen der fremden Herrschaft rührte sich in ganz Europa das Denken und Forschen, und je mehr dieser urgermanische Forschungsdrang sich durchsetzen konnte, um so mehr verschwand die blutige Spur der Hexenjahrhunderte, und immer mehr zurückgedrängt wurde dieser infernalische Versuch der Verkrüppelung und bngstigung der Seele der Europäer“.74

Erneut ist es sein diffuser Rassenbegriff, der es Rosenberg ermöglicht, das Wirken des „germanischen Forschungsdrangs“ in ganz Europa zu behaupten. Um den christlichen Ursprung des Hexenwahns und die maßgebliche Rolle der Kirche in den Hexenprozessen zu belegen, zitiert Rosenberg Schriften mehrerer Jesuiten, die den Zauberglauben bejahen und die Folter rechtfertigen. Die Zitate entnimmt er dem Buch von Paul von Hoensbroech, einer der Hauptquellen seines Mythus, ohne allerdings die Titel der zitierten Schriften anzugeben. Die Kritik der Studien an diesem Buch ignoriert er; er betrachtet sie schlicht als die Rache der Kirche an dem davongelaufenen Jesuiten. Anschließend wiederholt Rosenberg seine Behauptung aus dem Mythus, die Jesuiten hätten das Alte Testament als „Kronzeuge für das Recht der Hexenverfolgung angeführt und die unfehlbaren Päpste als Schirmherren der Ausrottung des germanischen Menschentums“.75 Über die Frauen äußert sich Rosenberg auch diesmal nicht ausführlich. Wenn überhaupt, dann werden sie, wie bei Himmler, nur als Mütter angesprochen. Das Verbrechen an den Frauen interessiert ihn nur insofern, als es Zerstörung der Substanz der deutschen Nation und deren biologische Vernichtung bedeutet: „Es wird die Aufgabe einer wirklich deutschen Geschichtsforschung sein, einmal festzustellen, wie viel Mütter des deutschen Volkes die jesuitischen Inquisitoren und der jesuitisch- römische Hexenwahn dahingerafft haben, da selbst die Jesuiten fest-

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Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 59. 253

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stellen mussten, dass ganze Dörfer Bayerns, dort wo sie wirkten, entvölkert wurden“.76

Der Schwerpunkt dieser Schrift liegt auf der Bloßstellung der „magischen Weltanschauung“ und der Belastung der Gegenseite mit einem Verbrechen, das als Verbrechen gegen das deutsche Volk interpretiert wird. Ausdrucksstark thematisiert Rosenberg die Hexenprozesse auf der emotionalen Ebene, auf der keine Beweisführung nötig ist. Der deutschen Nation werden „die Haare zu Berge“ stehen, die deutsche Nation muss „noch heute zusammenschaudern, wenn sie überlegt, was hier im Namen der christlichen Liebe und des Stellvertreters Gottes am Leben aller europäischen Völker gesündigt wurde“.77 Das Papsttum erscheint als „mordende Dämonie“, die Hexenprozesse als „der infernalische Versuch der Verkrüppelung und bngstigung der Seele“.78 Obwohl Rosenberg behauptet, die Hexenprozesse seien gegen das deutsche Volk gerichtet gewesen, erscheinen „europäische Völker“ ebenfalls als Opfer. Zum Teil lässt sich, wie weiter oben erwähnt, diese Erweiterung des Opferkreises mit Rosenbergs unpräzisem Begriff der Rasse erklären, der es ihm ermöglicht, das Germanische breiter zu fassen als viele andere nationalsozialistische Ideologen. Mit „europäischen“ Opfern kann er die Kirche zum Feind der europäischen Kultur erklären, wobei er mit der „europäischen Kultur“ die „nordisch“ geprägte meint. Diese abstrakte Definition der Opfer der Hexenprozesse bestätigt ein weiteres Mal, dass Rosenberg mit den Frauen als Opfer der Prozesse nicht viel anfangen konnte. Rosenbergs Vorankündigung, die Verfasser der Studien würden nach seiner Antwort „in einem sie restlos entlarvenden Lichte dastehen“, folgt ein dreiseitiges Zitat, das fast die Hälfte des Kapitels umfasst. Zitiert wird ein Text aus der Zeitschrift „Bücherkunde“, dem Hausblatt des Amtes Rosenberg. Der anonyme Autor verwendet Argumente, die zum festen Repertoire sowohl Rosenbergs als auch der Hexenforscher Himmlers gehören: Der Hexenglaube könne nicht germanisch gewesen sein, weil zum Hexenwerden die Teufelsbuhlschaft nötig war und die Germanen keinen Teufel kannten. Es werden katholische Denker genannt, auf die sich die Kirche immer noch beruft und die sie zu ihren wichtigsten Autoritäten zählt. Diese hätten auf der Basis der Bibel die theoretischen Grundlagen des Hexenglaubens geschaffen, allen voran Thomas von Aquino. Aus der angeblichen Angst, die sittlichen Empfindungen der Leser zu verletzen, verzichte der Autor auf Zitate aus Thomas Hexenlehre, die von „krankhaften“ sexuellen Vorstellungen zeugen, „weil sich dieser Schmutz dem öffentlichen Druck entzieht“.79 Ohne argumentativ auf das 76 77 78 79 254

Ebenda, S.58. Ebenda, S. 58. Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 62.

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Thema einzugehen, behauptet er, die weltlichen Gewalten, das Volk und teilweise auch der deutsche Klerus hätten sich ursprünglich geweigert, die Urteile der Inquisitoren zu vollstrecken. Rom und seine Propaganda seien für die Morde verantwortlich. Auch in diesem Text kommen die Frauen nur am Rande vor, und wenn, dann eher als eine stilistische Figur, die der Autor benötigt, um die sittliche Reinheit der germanischen Männer preisen zu können. Die Theorie von der Teufelsbuhlschaft kommentiert er mit folgenden Worten, die noch einmal die Verbindung zwischen dem Hexenglauben und der „krankhaften“ Sexualität unterstreichen: Unsere „Altvordern [waren] in geschlechtlicher Beziehung viel zu sauber, dachten viel zu hoch von ihren Frauen und Töchtern, als dass so perverse Gemeinheiten in ihren Hirnen hätten Raum finden können, wie sie die christliche Hexenlehre nun leider enthält“.80 Eine solche Lehre könne nur von perversen Männern stammen, die im Zölibat, also „unter unnatürlichen Verhältnissen“ lebten.8 Der Artikel endet mit rhetorischen Vorwürfen an die Autoren der Studien: „Und nun fragen wir die 'deutschen Fachgelehrten': sind alle diese Zusammenhänge ihnen unbekannt? Wissen sie nicht, dass erst in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mit voller Zustimmung der zuständigen kirchlichen Behörden die letzten offiziellen Hexenprozesse mit nachfolgender öffentlicher Verbrennung der Verurteilten stattgefunden haben? Ist denn der schmähliche Hexenhammer schon auf den Index der von Rom verbotenen Bücher gesetzt worden, auf dem doch Rosenbergs Mythus steht?“82

Am Schluss des besprochenen Kapitels zitiert Rosenberg Theodor Steinbüchel,83 der Augustinus und Thomas von Aquino eine Mitverantwortung für den Hexenwahn zuschreibt und zugibt: „Was in den Hexenaberglauben von Kirche und Staat bis weit über das Mittelalter hinaus der Frau angetan worden ist, ist kein Ruhmesmittel der Kirche und Weltgeschichte“.84

Unter Berufung auf den bedeutenden Moraltheologen erklärt Rosenberg die offensichtliche Niederlage seiner Widersacher: „Und wenn heute ein katholischer Gelehrter hier der Wahrheit die Ehre gibt und die Kultur des Mittelalters als vom 'christlichen Teufelsglauben' gefährdet hinstellt, so 80 8 82 83 84

Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 62. Ebenda, S. 63. Theodor Steinbüchel (888-949), Moraltheologe und Mittelalterspezialist. Rosenberg beruft sich auf sein Buch: Christliches Mittelalter, Leipzig 935. A. Rosenberg, An die Dunkelmänner...,a.a.O., S. 64. 255

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bejaht auch er nur das, was ich behauptet habe und kennzeichnet damit die ganze Unwahrhaftigkeit der anonymen Verfasser des gegen mich gerichteten Machwerks“.85

Die Schrift An die Dunkelmänner unserer Zeit bildet eine Bekräftigung der aus dem Mythus bekannten Thesen, ergänzt um Beispiele aus der kirchlichen Gegenwart, mit deren Hilfe Rosenberg das Christentum kompromittieren will. Das Thema Hexenverfolgung erscheint auch in dieser Schrift nur am Rande, und eigentlich nur deswegen, weil die katholischen Kritiker es in die Diskussion eingebracht haben. Rosenberg nutzt dieses Thema, um die Diskussion auf den zerstörenden Einfluss des Christentums auf die germanische Kultur zu lenken. Mit Hilfe der Hexenprozesse versucht er, die angeblich unüberbrückbaren Unterschiede zwischen der „reinen“, „gesunden“ „heldenhaften“ arischen Kultur und der „sittlich verdorbenen“, „krankhaften“, „naturwidrigen“ des Christentums herauszustellen.

Christentum, Frauen und Germanen. Strategien zur Verteidigung des „neuen Glaubens“ Wie Rosenberg angekündigt hatte, erfuhr seine Antwort auf die Studien massive Unterstützung durch die Anhänger seiner Theorie. Alfred Miller eröffnete die Verteidigung des „neuen Glaubens“ mit einer Kriegserklärung im Namen des Blutes, der deutschen Kultur und Religion, und der „natürlichen Werte“: „Gerade deswegen, dass die irdische Blutsgemeinschaft im Zeichen der Erbsünde die niedere Gemeinschaft ist, darum kämpfen wir für ihre Erhebung zur höchsten Gemeinschaft, darum ist sie uns erst die Grundlage aller Kultur und wahren Religion. Darum aber auch hat euch Alfred Rosenberg den Kampf angesagt. In dieser Kampfansage folgen wir ihm, weil es sich um die Daseinsfrage unseres Volkes handelt. Man hat lange genug die natürlichen Werte zugunsten unbestimmter übernatürlicher entwertet und in den Schmutz gezogen, sie für sündig erklärt und damit ganze Geschlechterreihen mit einem Fluch beladen. Dagegen hat sich unser Geschlecht erhoben. Das ist der Sinn der deutschen Revolution“.86

Die Kampagne zog sich über mehrere Jahre. Noch 943 veröffentliche Alfred Baeumler eine Schrift, in der er Rosenberg als Verkünder einer neuen Weltanschauung feiert und zugleich die ganze bisherige Debatte in den Blick

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Ebenda. A. Miller, „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner. Eine Abrechnung mit den Verfassern und Hintermänner der „Studien zum Mythus des 20. Jhs.“, Leipzig 935, S. 65.

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nimmt.87 Rosenberg habe mit seiner Antwort auf die „pseudowissenschaftlichen“ Angriffe der Kirche „die Form humanistischer Streitschriften“ erneuert. Baeumlers Hauptanliegen besteht darin, den philosophischen Gehalt des Mythus aufzuwerten und seine Bedeutung für die Identitätsstiftung der neuen deutschen Gemeinschaft herauszustellen. Besondere Betonung legt er darauf, dass Rosenberg die Geschichte politisch einsetzt, indem er „die objektiven Voraussetzungen des Kampfes der Bewegung in dem gewaltigen Kampf der Zeiten aufweist“.88 Es sei sein Verdienst, die „Traumkraft der Rasse“ in der Geschichte nachgezeichnet zu haben. Geschichtswissenschaftliche Kritik am Mythus sei unangemessen, denn diesem Werk wäre nur eine theologische Antwort gemäß: Rosenberg habe nämlich die Kirche selbst in Frage gestellt. In seiner Interpretation gehe es um Mythen, Glauben und revolutionäre Wende, nicht um historische Fakten. Die Reaktionen der Kirche seien ein Ausdruck des Bewusstseins, „dass eine neue Epoche des Kampfes um das Christentum begonnen hat“.89 Die Kirche müsse sich mit dem Mythos des Blutes messen, mit einem neuen „Wirklichkeitsgefühl“, das „die Einzelnen zu einer unzerstörbaren Einheit, zu einer Gemeinschaft von überpersönlicher Weihe“ zusammenfasst und das nichts mit liberalistischen Inhalten zu tun habe, sondern eine Loslösung der „deutschen Seele“ vom Christentum bedeute – ihre „Wiedergeburt“.90 Schon 935/36 waren neben dem oben erwähnten Alfred Miller u.a. Edmund Mudrak und Walter Jaide mit Texten zur Verteidigung Rosenbergs an 87

88 89 90

Alfred Baeumler wurde am 9..887 in Neustadt an der Tafelfichte im damals österreichischen Sudetenland geboren. Er studierte in München, Bonn und Berlin Kunstgeschichte und Philosophie. Mit seinem 923 veröffentlichten Buch zu Kants „Kritik der Urteilskraft“ hatte er sich bald einen Namen gemacht. Baeumler arbeitete Ende der 920er Jahre über Bachofen und Nietzsche. Er habilitierte sich 924 an der TH Dresden. 933 wurde er auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Politische Pädagogik an die Universität Berlin berufen. 934 übernahm er das Hauptamt Wissenschaft im Amt Rosenberg, der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, und 940 wurde er von Rosenberg zum Leiter der Hohen Schule ernannt. 934 fordert Baeumler als studentisches Ideal den „politischen Soldaten“, die Einrichtung von „Männerhäusern“ und den Ausschluss des „WeiblichDemokratischen“. Nach 945 wurde Baeumler für drei Jahre in den Lagern Hammelburg und Ludwigsburg interniert. Danach lebte er in Eningen bei Reutlingen, wo er am 9.3.968 starb. Vgl.: Armin Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 98-932, Graz 2002, S. 479; Barbara Schneider, Die Höhere Schule im Nationalsozialismus (Beiträge zur historischen Bildungsforschung 2), Köln 2000, S. 22-276. A. Baeumler, Alfred Rosenberg und der Mythus des 20. Jahrhunderts, a.a.O., S. 45. Ebenda, S. 75. Ebenda, S. 77. 257

HEXEN UND GERMANEN

die Öffentlichkeit getreten. Im Folgenden werden die Argumente dieser drei Autoren näher beleuchtet, da sie, anders als Baeumler, auch ausführlich auf die katholische Kritik sowie das Hexen-Thema eingehen.

Christliche Theologie auf der Anklagebank. Alfred Millers „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner In seiner 935 veröffentlichten Schrift „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner versucht Miller, Rosenberg trotz der von den Kritikern bereits offen gelegten Fehler und methodologischen Mängel des Mythus zu verteidigen. In Anknüpfung an Rosenbergs Wissenschaftsverständnis plädiert er für eine Umwertung des „Wissenschaftsbegriffs“ im neuen Deutschland, die stark an Baeumlers Rede vom „neuen Wirklichkeitsgefühl“ erinnert: „Aber es liegt nun einmal im Wesen des Umbruchs dieser Zeiten, dass man der Wissenschaft nicht mehr blindlings glaubt. Vor allem die Jugend setzt der Wissenschaft das pulsierende Leben entgegen und Wissenschaft hat ihr nur mehr dort Geltung, wo diese Jugend nicht Gefahr läuft, dass ihr durch die Weisheit verstaubter Urkunden der Lebensrhythmus genommen wird. Ob in einem Buch dieses oder jenes anfechtbar oder irrig ist, bedeutet ihr weniger, als wenn die Idee eines Buches der Ausdruck eines langen Sehnens und Suchens ist, und ob der Inhalt dieses Buches ihren Schritt im Vorwärtsstürmen beflügeln kann“.9

Wenn man Rosenberg einen solchen „Wissenschaftsbegriff“ unterstellt, dann ergibt es keinen Sinn, sein Buch wissenschaftlich zu hinterfragen und dessen ideologischen Gehalt zu kritisieren, denn einem Glauben ist mit rationalen Argumenten nicht beizukommen. Ungeachtet einiger Unzulänglichkeiten, so Miller, zeuge Rosenbergs Werk vom „Sieg des Lebens über den Geist, der Seele, aus Blut geboren, über den klügelnden und rechnenden Verstand!“.92 Rosenbergs Kritiker seien Vertreter einer vom Leben selbst widerlegten Welt. Sie glaubten, Rosenberg durch den Nachweis einiger Irrtümer vernichtet zu haben, hätten aber vergessen, dass die Kirche selbst auch keine Überlebenschance mehr hätte, wenn ihr Weiterbestehen von der Erfüllung wissenschaftlicher Kriterien abhängen würde. Miller gibt damit faktisch den katholischen Autoren Recht, die Rosenberg durch den Vergleich mit Paulus als Verkünder eines Glaubens klassifiziert hatten. Indem er der Kirche wiederholte Geschichtsfälschungen und die Verbreitung von Unwahrheiten vorhält, will Miller darauf aufmerksam machen, dass wissenschaftliche Irrtümer und fachliche 9

92 258

A. Miller, „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner. Eine Abrechnung mit den Verfassern und Hintermänner der „Studien zum Mythus des 20. Jhs.“, Leipzig 935, S. 5. Ebenda, S. 6.

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Inkompetenz nicht unbedingt eine Idee zu Fall bringen müssen, wovon das Fortbestehen der Kirche zeuge. Daher sei es gerechtfertigt, Rosenbergs Theorien zu verteidigen, ohne sie wissenschaftlich zu untermauern. Mit den „Geschichtsfälschungen der Kirche“ meint Miller u.a. die in den Studien vertretene These, dass Hexenwahn „altgermanisches Volksgut“ sei. Er greift in diesem Zusammenhang auf eine im Kulturkampf bewehrte Argumentationslogik zurück: Er konzediert, dass die Germanen einen harmlosen Zauberglauben kannten, wendet sich aber zuerst dem Dämonenglauben des Frühchristentums zu, um zu zeigen, dass die Kirche, die von sich behauptet, dass sie den Hexenglauben ausrotten wollte, diesen Glauben selbst verbreitet, die alten Götter zu Dämonen gemacht und so die Welt mit bösen Geistern verseucht habe. Den Zauberglauben der alten nordischen Völker interpretiert Miller als eine Form der Deutung von Naturerscheinungen, die erst durch fremde Kulturen zu einem dämonologischen System entwickelt wurde. Die Genealogie des Hexenglaubens übernimmt Miller von Hansen, den er für den besten Kenner dieser Fragen hält. Als Marksteine dieser Entwicklung nennt er insbesondere die orientalischen Elemente des Dämonismus, die Begründung des Hexenwesens in der christlichen Theologie, die Verstärkung der teuflischen Macht im Neuen Testament, die Übergabe der vollziehenden Gewalt in den Hexenprozessen an die Inquisition. Erkennbar von Hansen inspiriert, befasst sich Miller als einziger Teilnehmer der Mythus-Debatte mit den Frauen als den Opfern der Prozesse. Er vertritt die These, dass das Christentum die Frauen, die es als vermeintlich minderwertige Wesen verachtete, zu Dienerinnen des Teufels degradiert hat. Als Indikatoren dieser Frauenverachtung führt er zahlreiche Beispiele an, u.a., dass die Frauen seit jeher aufgefordert waren, sich vom Altar fernzuhalten, eine Regel, die auf das Judentum zurückgehe; dass sie 33 Tage lang nach der Geburt eines Knaben und 66 Tage nach der Geburt einer Tochter weder eine Kirche betreten noch das Abendmahl empfangen durften, u.a.m. „Kein Wunder, dass auf diesem Boden der Glauben an die bösen Frauen, die Hexen, besonders üppig ins Kraut schießen musste“.93 Der „ungermanische“ Ausschluss des weiblichen Elements aus der Religion, die Beschränkung des Zugangs zur sakralen Sphäre für Frauen sei auch die Ursache für die Degradierung der Frauen im Alltag. Als Ausgeschlossene seien sie häufiger als Männer der Zauberei angeklagt worden. Miller erwähnt Augustinus, der die Möglichkeit des Verkehrs der Dämonen mit Frauen beglaubigt hat, und Thomas von Aquino sowie andere christliche Theologen, die diesen Glauben theologisch begründet haben. Er weist auf die enge Verwandtschaft zwischen Zauberern und Priestern hin, die ebenfalls Amulette benutzen und den Kampf gegen die bösen Geister mit Hilfe magischer Handlungen führen. Damit suggeriert er, dass die katholische Kirche ihren Gegnern 93

Ebenda, S. 4. 259

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deswegen magische Handlungen unterstellt, weil diese zu ihrem eigenen Weltbild gehören. Die Gründe für die Persistenz des Hexenwahns sieht Miller in der „Strenge des mosaischen Gesetzes“,94 dem die Christen treu geblieben seien, sowie in der Erziehung des Volkes im Glauben an die Realität zauberischer Handlungen. Dabei stützt er sich erneut auf Hansen, dem zufolge die Art und Weise, in der die Kirche den Zauberwahn bekämpfte, diesen Wahn nur verstärkt habe. Miller, der sich in diesem Text oft auf katholische Gelehrte beruft, die das Vorgehen der Kirche kritisiert haben, zitiert schließlich noch den katholischen Theologen Michael Koeniger,95 der die Schuld an den Hexenprozessen ebenfalls dem von der Kirche verbreiteten Dämonenglauben zuschreibt.96 Wie andere Autoren aus den Kreisen um Himmler und Rosenberg betont auch Miller die sittliche Reinheit der Germanen und die „Verdorbenheit“ des Christentums: „Niemals war es heidnisch-germanisch, im Genuss vom männlichen Samen oder im Eingeben von Menstruationsblut ein wirkungskräftiges Verhexungsmittel zu erblicken, vielmehr stammen diese Scheußlichkeiten, vor allem auf geschlechtlichem Gebiet, ausnahmslos aus dem Orient. Durch das Christentum aber wurden diese Perversitäten eingeschleppt und richteten jene Verheerungen an“.97

Als Bestätigung des moralischen Verfalls, der erst mit der Christianisierung eingesetzt habe, führt Miller die Sittenlosigkeit am Hofe der christianisierten Merowinger sowie absurde Anklagen gegen Frauen an, die des Liebeszaubers beschuldigt worden sind. Er beruft sich auf Bernhard Kummer,98 um seiner 94 95

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Ebenda, S. 37. Albert Michael Koeniger (874-950), Kirchenhistoriker und Kanonist, studierte Theologie in München, wurde 899 zum Priester geweiht, widmete sich dem Studium der Kirchengeschichte, der Geschichte und des Kirchenrechts. In seiner Forschungstätigkeit hat er sich insbesondere mit der kirchlichen Rechtsgeschichte, der systematischen Erfassung des Kirchenrechts und dem Konkordatsrecht befasst. Nach: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. IV BBKL Herzberg 992, Spalten 286-287. Vgl.: A. Miller, „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner, a.a.O., S. 4. Ebenda, S. 42. Bernhard Kummer (897-962) wurde als Sohn eines Textilkaufmannes in Leipzig geboren. Er studierte Theologie, Geschichte, Germanistik und Religionsgeschichte. 927 schloss er seine Dissertation ab, die unter dem Titel Midgars Untergang erschien. 928 trat er in die NSDAP ein, 930 wieder aus. Am 28.08.938 erfolgte seine Wiederaufnahme in die Partei. 930 begann er als Assistent bei Gustav Neckel, dem Inhaber des Berliner Lehrstuhls für Nordistik und Edda-Herausgeber. Für das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens verfasste er u.a. die Artikel: Ehe, Frau/Weib, Geschlechtsverkehr, Hochzeit, Kind. 935 überwarf sich Kummer mit Neckel, dem er Plagiat vorwarf. Seit 93 übte er die Funktion des Schriftleiters der Zeitschrift Nordische

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Behauptung Autorität zu verleihen, dass die Germanen weise Frauen ähnlich verehrten wie Götter, und diese sich erst unter christlichem Einfluss in Zauberinnen verwandelten. Als weiteren Beleg dafür, dass nicht die germanische, sondern die christliche Kultur die Entstehung des Hexenwahns verursacht hat, hebt Miller hervor, dass die Praxis der Hexenprozesse nicht nur in deutschen Gebieten verbreitet war. In Deutschland seien diese Prozesse nur aufgrund der „Überfremdung germanischen Wesens“ möglich gewesen:99 „So sicher sich also im alten Germanentum Ansätze zum Hexenglauben finden, seine ganze Bösartigkeit und Gefährlichkeit, seine zerstörenden und verheerenden Wirkungen kamen erst durch die christlich-orientalische Gedankenwelt“.00

Im germanischen Recht findet Miller keine Zeugnisse des Zauberglaubens. Den Edictus Rothari, den die Studien als Beleg für den germanischen Zauberglauben zitieren, interpretiert er als Protest der deutschen geistlichen Obrigkeit, die noch das „deutsche Blut“ in sich spürte, gegen die „fremdrassigen“ Vorstellungen des Vatikans.0. Am Ende von Millers Hexen-Kapitel kommt Hansen noch einmal zu Wort: „Aber keines der anderen Religionssysteme hat doch [...] eine so vollständige Entgleisung des menschlichen Geistes herbeigeführt und eine so hartnäckige und grausame Massenverfolgung angeblicher Hexen herausbeschworen wie die christliche Kirche“.02

Im Kapitel An Rom sterben die Völker, Unterkapitel Askese, Zölibat und Rassenentartung, nimmt Miller das Thema „Frauen“ wieder auf und ergänzt seine Ausführungen zum Christentum durch die Beschreibung „positiver“ deutscher Vorstellungen von Weiblichkeit. Wie bereits erwähnt, sieht er die Wurzeln Stimmen aus. Rosenberg gewann ihn für Schulungsabende des Außenpolitischen Amtes. Kummer war Gründer der Arbeitsstätte für germanische Religionsgeschichte und altnordische Überlieferung in Berlin und Herausgeber der Schriftenreihe Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken. Nach dem Krieg blieb ihm die Rückkehr ins akademische Lehramt verwehrt. Er unterrichtete an der Volkshochschule Lübeck und gab die Monatsschrift Forschungsfragen unserer Zeit heraus. Vgl.: B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O., S. 70-7; A. Mohler, a.a.O, S. 382. 99 A. Miller, „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner, a.a.O., S. 53. 00 Ebenda, S. 42. 0 Das war ein typisches Verfahren bei der Deutung des Widerstandes gegen die Prozesse: Jegliche Proteste der deutschen Geistlichen führten die nationalsozialistischen Autoren auf deren deutsche Herkunft zurück, wie z.B. im Fall von Spee. Vgl. das 2. Kapitel der vorliegenden Arbeit. 02 A.Miller, „Wissenschaft“ im Dienste der Dunkelmänner, a.a.O., S. 54. 261

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der Frauenverachtung in der jüdischen und christlichen Sittlichkeit. Die katholische Kirche habe aus dem Alten Testament die Ansicht übernommen, dass „der geschlechtliche Verkehr unrein, unheilig und kultusunfähig macht, weshalb die Berührung mit Jahwe [...] die geschlechtliche Enthaltsamkeit voraussetzt“.03 Durch die Dämonisierung des Geschlechtsverkehrs, der beflecke und die Heiligkeit aufhebe, sei die Frau im Christentum auf die Rolle der Verführerin und Dienerin des Teufels festgelegt worden. Die Lehre des Christentums sei widersprüchlich: „Auf der einen Seite wird in einem freiwillig keuschen Leben und in der geschlechtlichen Enthaltsamkeit das höhere christliche Leben erblickt, auf der anderen aber der uferlosen Fortpflanzung und Paarung das Wort geredet“.04

Einerseits werden das keusche Mönchs- und Nonnenleben sowie die Jungfräulichkeit zum Ideal erhoben, andererseits das Familienleben und das Zeugen von Kindern empfohlen. Dem ersten Ideal stellt Miller das Muttertum und die Kinderfreudigkeit der Germaninnen entgegen. Die germanische Antwort auf die Fortpflanzung ohne Berücksichtigung „des Wohles der Rasse“ sei das Verbot der Rassenmischung und die Eugenik – eine Sicht, die der Politik des Dritten Reiches, „natürliche“, rassenbewusste, patriotische Sexualität05 zu fördern, voll und ganz entspricht. Wenn Miller über sexuelle Vergehen in Klöstern schreibt, dann wirft er den Mönchen und Nonnen dennoch nicht vor, unsittlich zu leben. Ihr Verhalten sei durch die dortigen Lebensverhältnisse bedingt und in dem Zusammenhang nur verständlich und natürlich. Unsittlich sei das System, das sie zu einem unnatürlichen Leben zwinge. Die geschlechtlichen, sinnlichen Fragen seien im Christentum zum Gegenstand theologischer Erörterungen, der weibliche Körper sei in „ehrbare, weniger ehrbare und unehrbare Teile“ zerlegt 03 Ebenda, S. 66. 04 Ebenda, S. 84. 05 Konstanze Hanitzsch analisiert im Text Die goldene Stadt von Veit Harlan einen Unterhaltungsfilm aus der Zeit des Dritten Reiches von dem Standpunkt aus, dass das Geschlechterverhältnis einen zentralen Punkt der nationalsozialistischen Ideologie bildet. Am Beispiel des Films von Harlan zeigt sie, wie eine Selbstmörderin in einem Melodrama zu einer positiven Figur wird, weil sie die patriarchale Ordnung akzeptiert: Sie löscht sich selber aus, weil sie sich mit einem „Falschen“ verbunden hat. Deutlich wird im Film vermittelt, dass das Volk auf "der Frau" beruht, die Reinheit des Volkes auf dem selbstbeherrschten Umgang mit Sexualität: „Indem Anna am Ende allen vergibt und 'die Schuld' auf sich nimmt, wird hier die christliche Vorstellung des Erlösers, der für uns gestorben ist, auf eine Frau übertragen, die durch ihren Tod das Blut ihrer Gemeinschaft 'rein' hält und ihren Vater erlöst. Wir hören Annas Stimme aus dem 'Off': Vater, vergib mir, dass ich die Heimat nicht so liebte wie du“, in: http://www.shoa.de/content/view/205/27/ (20.04.2007) 262

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worden.06 „Die Entartung“ des Klerus durch die Askese illustriert Miller, obwohl sich „seine Feder davor sträube“, am Beispiel von Themen theologischer Dispute unter katholischen Gelehrten. Besprochen werde da vor allem die Beschneidung Christi, genauer, die Frage nach dem Verbleib seiner Vorhaut, und die Verehrung dieser Reliquie durch „keusche Frauen“ wie Brigitta von Schweden und Agnes Blannbekin: „Der Kult der Vorhaut Christi ist ja wohl außerhalb Italiens überall erloschen, [...] nicht erloschen aber ist jener mönchisch-asketische Geist. [...] Es ist der Geist der Widernatur und darum widergermanischer Geist. Hier vollzieht sich eine völlige Umkehr des Gesunden ins Kranke“.07

Dieser Kult war für die Kirche seit langem ein heikles Thema, und wie Miller zeigt, eines, das man als Aufsehen erregendes gegen sie ausspielen kann.08 Neben den Hexen und Ketzern zählt Miller die Kinder, die wegen des Keuschheitsideals nicht geboren wurden, zu den Opfern des „rassenzersetzenden“ Wirkens der Kirche. Dank dem christlichen Keuschheitsgebot sei der Erbstoff vieler wertvoller Menschen verloren gegangen. Die bis ins 20. Jahrhundert anhaltende Frauenverachtung stehe im Widerspruch zu der Behauptung der Kirche, dass die Mutter Gottes von der besonderen Stellung der Frau im Christentum zeuge. Miller zitiert kirchliche Würdeträger, die sich über die Nichtigkeit und Wertlosigkeit der Frau ausließen, so etwa den Abt Konrad von Marchtal mit folgender bußerung aus dem Jahr 273: „In Anbetracht, dass die Nichtswürdigkeit der Weiber alle Nichtswürdigkeit übertrifft, die es in der Welt gibt, [...] in Anbetracht endlich, dass das Gift von Schlangen 06 Miller, a.a.O., S. 70. 07 Ebenda, S. 75. 08 Die Heilige Vorhaut Jesu (lateinisch: "sanctum praeputium"), die angebliche Vorhaut von Jesus, ist eine Reliquie. Nach der Himmelfahrt Jesu blieben von seinem Körper nur die Bestandteile übrig, die er zu dem Zeitpunkt nicht mehr gehabt haben soll. Ausgehend von dem Gedanken, dass bei der Beschneidung Jesu dessen Vorhaut auf diese Weise übrig geblieben ist, beanspruchten mehrere europäische Kirchen im Mittelalter, im Besitz dieser Reliquie zu sein, der wunderbare Heilkräfte zugeschrieben wurden. Für die Echtheit des römischen praeputium hatte sich die Nationalheilige Schwedens, die hl. Birgitta, unter Berufung auf die Gottesmutter Maria selbst verbürgt. Der Vatikan bemüht sich mindestens seit 90, das Interesse an dieser Reliquie herunterzuspielen, da es „unverschämte Neugier auslöse“ (Nach: Horst Herrmann, Lexikon der kuriosesten Reliquien, Rutten & Loening 2003, S. 28 f.; Wikipedia). In der Lexikonreihe Religion in der Geschichte und Gegenwart wird "sanctum praeputium" nur einmal erwähnt: „Bei der Reliquienverehrung haben Fiktion und Betrug eine große Rolle gespielt. Dies wird besonders deutlich bei R. wie der Vorhaut, dem Schweiß und Blut Christi, der Milch Marias (Kalkstein aus der »Milchgrotte« in Bethlehem). RGG (957-965) Bd. 5, S. 046. 263

HEXEN UND GERMANEN

und Drachen für den Menschen eher heilbar und erträglicher ist als Verkehr mit Weibern: so haben wir beschlossen [...] Dass wir keine Frauen mehr aufnehmen, sondern sie wie giftige Schlangen für immer meiden wollen“.09

Ein Zitat von Karl Joseph Kardinal Schulte, des Erzbischofs von Köln, aus dem Jahr 927 soll bezeugen, dass diese Haltung auch im 20. Jahrhundert in der Kirche noch prominent vertreten wird: Wenn schon Frauen aus Mangel an Knaben zu einem Kirchenchor zugelassen werden müssten, dann dürften sie doch „unter keinen Umständen im Altarraum Aufstellung nehmen“.0 Nonnen, die ministrieren, weil kein Mann zur Verfügung steht, dürften nicht an den Altar herantreten. Dieser kirchlichen Diskriminierung, dem Verlust „der natürlichen Polarität der Geschlechter“,2 stellt Miller die traditionell hohe, von Grönbech bezeugte Stellung der Frau bei den Germanen sowie ihre Position im Nationalsozialismus entgegen: „Im neuen Deutschland aber soll es keine Minderwertigkeit der Frau geben, sie wird gewiss vom öffentlichen Kampffeld zurückgezogen, dafür aber umso mehr ihren eigenen weiblichen Aufgaben zurückgegeben“.3

Allderdings verzichtet er darauf, diese „eigenen weiblichen Aufgaben“ zu konkretisieren. Zusammenfassend kann konstatiert werden: Miller unterstützt Rosenberg in der Ansicht, dass die Hexenprozesse ideologisch in den Lehren der katholischen Kirche begründet waren. Da ihm jedoch die geschichtswissenschaftlichen Fehler Rosenbergs bewusst sind, vermeidet er eine kirchengeschichtliche Diskussion. Er zitiert anerkannte Autoritäten in Fragen des Hexenwahns, stützt sich auf die wissenschaftlich anerkannte Arbeit von Hansen und auf katholische Theologen, die die Schuld der Kirche an den Hexenprozessen thematisiert haben. Auf Rosenbergs geschichtliche Spekulationen lässt er sich nicht ein. Dafür konzentriert er sich auf das Thema, das von den Autoren der Studien außer Acht gelassen wurde – die Frauen. Indem er die schmähliche Stellung der Frauen im Christentum schildert und die Verachtung und Verteufelung des Weiblichen als entscheidenden Faktor für das Aufkommen der Hexenprozesse und deren Zuspitzung auf die Frauen nennt, will er eine tiefe Kluft zwischen dem Christentum und der germanischen Kultur aufzeigen:

09 Zit. nach: Miller, a.a.O., S. 82. Miller zitiert nach: Franz Winter, Die Prämonstratenser des 2. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland, S. 283. 0 Ebenda, S. 83, zit. nach: Musica Sacra, Nr. 8/9, 927.  Ebenda, S.84, zit. nach Amtsblatt für die Erzdiözese Freiburg, 29.8.34. 2 Ebenda, S. 76. 3 Ebenda, S. 84. 264

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

Auf der einen Seite Verachtung und Tötung der Frauen durch Männer mit „krankhaften“ sexuellen Vorstellungen, auf der anderen hoch geachtete Germaninnen mit einem speziellen Zugang zur religiösen Sphäre, die einen Teil der „natürlichen“, sittlich reinen Volksgemeinschaft bilden. Diese Gemeinschaft sei von Rosenberg „verkündet“ worden.

Die „volksfremden“ Grundlagen des Hexenwahnes. Edmund Mudraks Versuch einer Annäherung an die germanische Welt Mudrak4 stellt gleich zu Beginn seiner Abhandlung Grundlagen des Hexenwahns, die 936 in der von Kummer herausgegebenen Reihe „Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken“ veröffentlicht wurde, klar, dass er gar nicht erst beabsichtige, nach den Wurzeln des Hexenwahns zu fragen. Denn es stehe längst fest, dass die fremden – orientalischen, jüdischen und christlichen – Einflüsse für die Auswüchse des Hexenwahns entscheidend gewesen seien. Jeglichen Versuch, nach germanischen Ursprüngen des Hexenglaubens zu suchen, hält er für fruchtlos. Mudrak lehnt die Theorie der hexenfeindlichen germanischen Männerbünde und jegliche „volkskundliche“ Beschäftigung mit den Germanen ab: „Wenn wir zwar von Hexenfeindschaft kultischer Geheimbünde hören, so können wir das beiseite lassen, weil weder für das Dasein solcher Bünde noch für ihre angebliche Hexenfeindschaft gültige Beweise vorliegen“.5

4 Edmund Mudrak (894-965) hat in Wien Germanistik, Orientalistik und Vorgeschichte studiert und promovierte über die Wieland-Sage. Bis 943 war er wissenschaftlicher Rat des Kulturamts der Stadt Wien, im selben Jahr übernahm er den Lehrstuhl für Volkskunde an der Universität Posen. Er gehörte zur Wiener "Mythologischen Schule", die sich auf die Ideen von Leopold von Schroeder (85-920, einem Indologen, dem Chamberlain sein Buch Arische Weltanschauung gewidmet hatte; Vertreter der Theorie über Indien als Heimat der Ur-Arier, Wagner-Verehrer und Antisemit) bezog. In der Abteilung für die "Arische Weltanschauung und Volkskunde" des Amtes Rosenbergs war für Mudrak eine wichtige Fachposition vorgesehen. Er hat eine "Forschungsstelle Mythenkunde" mitgeleitet, die mit dem Amt Rosenberg bzw. der in Vorbereitung befindlichen Hohen Schule in Verbindung stand. Bis heute ist er bekannt als Herausgeber der Sammlung Deutsche Märchen – deutsche Welt (939), Hausbuch deutscher Märchen (944), Deutsche Heldensagen (955). Seine Bücher werden neu aufgelegt, das letztgenannte Buch erreichte im Jahr 2003 die 34. Auflage. Bei der Schilderung der Lebensläufe von Mudrak und Jaide stütze ich mich vor allem auf die Recherchen von B. Schier. 5 E. Mudrak, Grundlagen des Hexenwahns, Leipzig 936, S. 3. Mudrak spielt auf das Buch von Otto Höfler Kultische Geheimbünde der Germanen (934) an. Die Auseinandersetzung zwischen Höfler und dem von Mudrak geschätzten Kummer wird im 6. Kapitel der vorliegenden Arbeit besprochen. 265

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Mudraks Anliegen besteht darin, zu untersuchen, wie sich die aus fremden Kulturen übertragene Hexenphobie mit der deutschen Weltanschauung verträgt, die Glaubwürdigkeit der Quellen zu prüfen, die vom Hexenglauben in der germanischen Kultur berichten, und festzustellen, woher die einzelnen Elemente dieses Glaubens stammen. Zu diesem Zwecke referiert er über die Haltung der Germanen zum Götterkult sowie zum Toten-, Zauber- und Dämonenglauben. Nach einer Aufzählung verschiedener Eigenschaften und Fähigkeiten, die den Hexen zugeschrieben wurden, analysiert er die betreffenden Quellen, wobei er von vornherein annimmt, dass diese in Deutschland durch die Kirche verbreitet wurden.6 Mudrak unterstützt Rosenbergs These von den Ketzern als den Vorgängern der Hexen. Unter Berufung auf Hansen schreibt er, dass die Kirche ihre Vorstellungen vom orientalischen und romanischen Aberglauben, die schon im Alten und Neuen Testament zu finden sind, auf die Ketzer übertragen hat, als sie diese zu einer feindliche Sekte erklärte. Die Anklagen, die sie später gegen die Hexen formulierte, stellten faktisch nur geringfügige Modifikationen ihrer früheren Anschuldigungen gegen die Ketzer dar. Dies sei ein überzeugender Beleg dafür, dass der Hexenglaube ein Erzeugnis der christlichen Weltanschauung war. Die kirchlichen Verbote des Zaubers und der Hexerei, auf die sich die Autoren der Studien bezogen und die sie als eine Reaktion auf den germanischen Aberglauben interpretierten, resultierten aus Hexenvorstellungen, die erst in der christlichen Zeit entstanden sind. Sie waren damit, so Mudrak, kein Beweis der Bekämpfung des germanischen Hexenglaubens, sondern eine Projektion des christlichen Aberglaubens auf die Germanen. Das angeblich Volkstümliche des Hexenglaubens sei theologischen Traktaten entlehnt. Ungeachtet seiner eingangs angesprochenen Grundhaltung, dass es eigentlich überflüssig sei, sich damit zu beschäftigen, nach germanischen Wurzeln von Hexenwahn und Zaubereiglauben zu forschen, fühlt sich Mudrak, wie er mehrmals betont, dennoch verpflichtet, auf solche Versuche einzugehen. Schon die Fragwürdigkeit der These, dass das Wort „Hexe“ germanischen Ursprungs sei, zeuge von der Sinnlosigkeit solchen Unterfangens. Es gebe zu wenig Belege dafür, dass das althochdeutsche „hagazussa“ ursprünglich Hexe bzw. Zauberin bedeutete: „Sprachlich ist eine ganze Reihe von Erklärungen möglich, so dass auf diesem Wege keine Sicherheit zu erlangen ist“.7 bhnlich wie Soldan will Mudrak den Lesern die Hexenvorstellungen der anderen Kulturen erläutern, damit sie den Unterschied zwischen diesen und der deutschen Kultur erkennen und begreifen, dass sich der Hexenglauben unmöglich aus dem Germanentum ableiten lässt. Wie Rosenberg beschäf6 Mudrak nennt u.a.: Krankheit verursachen, Behexen von Feldern, Tieren, Teufelspakt und –buhlschaft, Liebeszauber, Nachtflüge und nächtliche Zusammenkünfte. 7 E. Mudrak, Grundlagen des Hexenwahns, Leipzig 936, S. 9. 266

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tigt auch er sich mit dem magischen Weltbild des Orients und betont, dass dieses keine klare Grenze zwischen einer Gottheit und einem Dämon kenne, dass nach orientalischen Vorstellungen das Unglück von Dämonen verursacht werde, der Tod böse sei und der Verstorbene Angst in den Verbliebenen erwecke. Im alten Orient habe es offizielle Beschwörer und unbefugte Zauberer gegeben, die Schadenzauber ausübten und an die exorzierenden Priester und die Hexen erinnerten – eine Aussage, die wie ein Zitat von Rosenberg oder Miller klingt. Mudrak entdeckt im alten Orient viele Zaubermittel und verschiedene Arten von Zauberei, die auch im Hexenbegriff des Christentums zum Vorschein kommen. Die Ursprünge des Hexenglaubens sieht er in der kretisch-mykenischen und etruskischen Kultur sowie im Judentum, das „seiner Geistigkeit nach stark von den Vorstellungen des alten Orients abhängt“.8 Deshalb gebe es in der Bibel so viele Zeugnisse von Zauber- und Dämonenglauben – die Wahrsagerin von Endor, Simon den Zauberer, die Berichte von der Austreibung des Teufels in den Evangelien. Nachdem Mudrak die Verwurzelung des magischen Weltbildes und des Zaubereiglaubens im Orient und im Judentum, und damit deren nicht-arischen Charakter nachgewiesen zu haben glaubt, wendet er sich den rechtlichen Quellen zu, die katholische Forscher als Belege für die Zauberei in den germanischen Gebieten herangezogen hatten. Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Dokumente, die gemeinhin als Zeugnisse der germanischen Gesetzlichkeit gelten, nicht als reine Niederschriften des volkstümlichen Rechtes betrachtet werden dürften: „Wir können regelmäßig beobachten, wie Gesetzsammlungen immer dann auftauchen, wenn ein germanischer Stamm in den Lebensraum eines kultürlich anders gerichteten Volkes eintritt oder von einer fremdartigen Kultur überzogen wird“.9

Die dokumentierten Gesetze seien von den antiken Vorbildern und den Machtvorstellungen der Kirche geprägt, durch Aberglauben der romanischen Völker ergänzt und dem germanischen Volk aufgezwungen worden. Dafür spreche die Tatsache, dass weltliches Gesetz und kirchliches Schrifttum lange Zeit Hand in Hand gingen, dass man in den Gesetzen Vorstellungen findet, die dem Germanentum fremd waren. Mudrak befasst sich in diesem Zusammenhang mit dem Thema der Menschenfresserei der Hexen, wobei er sich auf Jakob Grimm beruft, um mit ihm auf die antiken Quellen dieser Vorstellung hinzuweisen. Karls Capitulatio in patribus Saxoniae, oft als Beleg für den germanischen Zauberglauben und die Menschenfresserei angeführt, sei in Wirklichkeit ein Instrument zur Sicherung des Sieges über die Sachsen, zur

8 Ebenda, S. 3. 9 Ebenda, S. 5. 267

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Vernichtung „der heimischen Weltanschauung“, und eine Widerspiegelung kirchlicher Vorstellungen,20 die die Realität der Zauberei behaupten. Solche Quellen seien für die Erkenntnis altgermanischer Anschauungen unbrauchbar. In den Sagen sei von Menschenfressern und Zauberern keine Rede, und auch in den Märchen spielten solche Motive nur eine unwesentliche Rolle. Auch für die Teufelsbuhlschaft sieht Mudrak keinen Beleg in den Quellen. Zauberei-Motive findet er dagegen in den jüdischen Überlieferungen über Lilith, im Alten Testament und in iranischen Sagen. Daher mahnt er, „vorchristliche“ Kultur nicht unbesehen mit „altgermanischer“ gleichzusetzen, denn auch in vorchristlichen Zeiten seien Einflüsse durch andere Kulturen möglich gewesen. Mudrak rät auch zu Vorsicht bei der Lektüre der Sagas und der Edda. Der Umgang mit den Geistern in den späteren Sagas erinnere mitunter eher an christliche Maßnahmen gegen Gespenster denn an die ehrfürchtige Haltung der Germanen gegenüber ihren Verstorbenen.2 Für germanischen Schadenzauber findet Mudrak dort wenige Zeugnisse, wenngleich die Sagas solche Fälle erwähnen. Die Herkunft des Wetter-, Krankheits- und Liebeszaubers, von denen in der Edda die Rede ist, sei nicht eindeutig zu bestimmen; Zauberei im Kampf lasse sich wiederum mit den germanischen Vorstellungen von Ehre nicht vereinbaren. Deshalb dürfe man auch die Sagas und die Edda nicht unbesehen für rein germanisch halten, es gebe in diesem Schrifttum zu viele Schichten späterer Herkunft, die man bislang nicht hinreichend hinterfragt habe. Die Sagas ergriffen zu offensichtlich Partei für das Christentum und stellten die Heiden und Ketzer als Zauberer dar. Die meisten schriftlichen Zeugnisse zum „germanischen Leben“ schreibt Mudrak damit der Kirche zu, die Germanen seien dagegen weitgehend stumm geblieben. Er fordert daher, diesen „Stummgemachten“ das Wort zu erteilen. Mit dieser Forderung verortet er die Germanen auf der Seite der Unterdrückten, Ausgeschlossenen, denen man endlich eine Chance geben müsse, zu ihrem Recht zu kommen. Mudrak nimmt damit eine Metapher auf, die auch in

20 Ebenda, S. 8. 2 Der Terminus "Isländersagas" bezieht sich auf eine Sammlung von Prosaerzählungen, die vorwiegend in Island in der so genannten Sagazeit (ca. 930-030) spielen, doch der Zeitrahmen ist relativ beweglich. Die ältesten vollständig erhaltenen Handschriften werden auf das 4. Jh. datiert. In Island wurden sie bis zum Ende des 9. Jh. handschriftlich tradiert. Heute analysiert die Forschung die Sagas als schriftliche Werke, aber berücksichtigt dabei, dass die Texte sowohl inhaltlich als auch formal Einflüsse der mündlichen Tradition enthalten. Erzählt werden oft Familiengeschichten, man bekommt Einblick in die Sitten und Gesellschaftsstrukturen. Nach: S. Würth, Isländersagas, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 5, Berlin 2000, S. 5-57. 268

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anderen Kontexten häufig genutzt wird, um der Forderung nach Gerechtigkeit für Hexen, Frauen und Minderheiten aller Art Nachdruck zu verleihen.22 Alle diese Ausführungen sollten die These untermauern, dass in den germanischen Quellen Hinweise auf die fremde Herkunft der Zauberei zu finden sind, die dem germanischen Wesen fremd sei, und dass die Verbindung zwischen Hexerei und Heidentum nur in christlich beeinflussten Texten hergestellt werde: „Mit Zauber und Dämon fällt aber auch der Zauberer und die Hexe als ursprünglich germanische Vorstellung weg, und was wir darüber in unseren Quellen finden, ist das Ergebnis einer allerdings auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten erfolgten Einwanderung fremdartiger Vorstellungen“.23

Mudrak bestreitet nicht, dass der Hexebegriff auch germanische Züge enthält, so etwa die Tierverwandlungen, den Ritt auf den Tieren sowie einige Eigenschaften, die auch den Walküren als Schicksalsgestalten eigen waren. Diese Phänomene seien jedoch unter den fremden Einflüssen zu negativen Attributen geworden; seitdem erschienen sie in völlig anderen Zusammenhängen, hätten gegenüber ihrem ursprünglichen Sinn ganz andere Bedeutungen erfahren. An ihrer Geschichte könne man ablesen, wie die „einheimische Überlieferung“ vernichtet wurde. Die nicht-germanische Herkunft der Hexerei, so Mudrak, wird auch in Überlieferungen offensichtlich, die bezeugen, dass die Zauberer, die in der germanischen Gemeinschaft auftauchten, Finnen oder Lappen, also – wie er besonders hervorhebt – Fremde waren. Als germanisch könne man nur solche Elemente des Zauberglaubens anerkennen, die sich von den fremden eindeutig unterscheiden ließen, was allerdings nahezu unmöglich sei. Angesichts der vielschichtigen kulturellen Überlagerungen mahnt er zu Vorsicht bei den Versuchen, die Herkunft einzelner Elemente zu bestimmen. bhnlich wie Miller ist auch Mudrak um eine wissenschaftliche Form seiner Arbeit bemüht. Er arbeitet mit Anmerkunken, weist die Quellen aus, und betont im Gegensatz zu Rosenberg, der das alles nicht für nötig hält: 22 Foucault entdeckt im Wahnsinn das Schweigen einer erstickten, verdrängten Sprache, das nicht zuletzt durch die Formierung wissenschaftlicher Diskurse über Wahnsinn verursacht wurde. Es sei eine historische Aufgabe, dem Wahnsinn wieder seine Stimme zu verleihen, oder eher, seine unerhörte Stimme zu vernehmen. bhnliche Forderungen werden auch in anderen Fällen erhoben. Von Michelet wird behauptet, er breche das jahrhundertelange Schweigen der Hexen und gebe den Frauen ihre Sprache zurück. Die Formulierungen „Schweigen brechen“, „dem Schweigen entrinnen“ „verborgene Stimme“ tauchen auch in der Frauenforschung auf. Nicht zuletzt wird gefordert, dass die "Zigeuner" endlich mit eigener Stimme Reden dürfen. 23 Mudrak, ebenda, S. 37. 269

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„Die Quellen sollen nachgelesen werden, weil nur so ein selbständiges Urteil möglich wird“.24

Er beruft sich häufig auf Grimm, besonders wenn es darum geht, zwischen fremder und germanischer Herkunft einzelner Elemente zu unterscheiden. Bei der Darstellung des Hexenglaubens als einer theologischen Konstruktion bezieht er sich auf Hansen und, mit besonderer Hochschätzung, auf Kummer. Letzterem dankt er für seine Hinweise auf die Isländersaga, die für die Erforschung des altgermanischen Geisteslebens besonders instruktiv seien, und für die Beschreibung einer germanischen Religiosität, die auf dem Vertrauen zwischen Mensch und Gott beruhe. Im Aufeinandertreffen von Christentum und Germanentum sieht Mudrak einen Kampf auf Leben und Tod. Er beschwört damit eine Vorstellung vom Kampf der Kulturen, wie man sie im Mythus findet: „Wo Überlieferungen verwandter Völker einander berühren, gibt das die Möglichkeit der gegenseitigen Befruchtung und Weiterbildung. Wo aber Einzelvorstellungen völlig verschiedener gearteter Bereiche aufeinander stoßen, bleibt beim Wirtsvolke zunächst die Möglichkeit der Umdeutung, einer Anpassung an das heimische Gedankengut. Wo das Fremde aber mit Gewalt hereinbricht und die fremder Art verfallenen Träger der Macht, unfähig das ererbte Gedankengut in seinem Wesen zu erkennen, es mit ihren Augen sehen, da ergibt sich eine völlige Verkehrung des alten Sinnes und eine Vernichtung aller Werte“.25

Obwohl sich Mudrak wiederholt auf Hansen bezieht, spielt dessen wichtiges Thema – Frauen als Opfer der Hexenprozesse – in seiner Abhandlung keine Rolle. Da sein Buch nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt war, daher für die NS-Propaganda nicht die Bedeutung hatte wie Rosenbergs Reden, schien ihm das Frauen-Thema offensichtlich nicht relevant. Sein vordringliches Anliegen war es, die Vorwürfe gegen Rosenberg zu widerlegen. Für diesen Zweck war es wichtiger, Rosenbergs Charakterisierung der germanischen und christlichen Kultur anhand der Bestandteile des Hexenglaubens „wissenschaftlich“ zu untermauern. Mudraks Einstellung zu den wenigen Zeugnissen der germanischen Kultur, die trotz der fremden Einflüsse erhalten geblieben waren, erinnert an Grimms Wunsch, die Bruchstücke der Vergangenheit zu retten und sie für die Gegenwart nützlich zu machen: „Wir haben so Werte verloren, deren Bedeutung sich nicht ermessen lässt. Alles das aber, was da unterdrückt oder umgedeutet wurde, hat dem Leben des Volkes gefehlt 24 Ebenda, S. 4. 25 Ebenda, S. 55. 270

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und fehlt ihm noch. Denn wer kann heute Fäden wieder anknüpfen, die längst zerrissen sind? Wichtige Bausteine aus der Überlieferung, wie sie im Märchen und in der Sage, in Teilen des Brauchtumes und in der Volkskunst noch heute lebt, sind aus dem Ganzen herausgebrochen, dessen einstige Kraft und Bedeutung wir nur mehr erschließen können“.26

Wie Barbara Schier ermittelt hat, hat das Amt Rosenberg die Arbeit von Mudrak honoriert, ihn zur Mitarbeit in der Forschungsstelle Mythenkunde herangezogen und ihm Publikationsmöglichkeiten in den Zeitschriften des Amtes eröffnet.27 Mudrak hat Sammlungen deutscher Märchen und Heldensagen herausgegeben, die bis heute immer wieder aufgelegt werden.

„Natürlicher“ und „schrankenloser“ Zauber – „vollwertige“ und „minderwertige“ Zaubernde. Walter Jaides Beitrag zur Mythus-Debatte 963 veröffentlichte Jaide28 Wesen und Herkunft des mittelalterlichen Hexenwahns im Licht der Sagaforschung. Das Buch erschien ebenso wie die Abhandlung von Mudrak in der von Kummer herausgegebenen Reihe. Bereits das Inhaltsverzeichnis lässt die Absicht des Autors erkennen. Der erste Teil heißt Motive und behandelt Gemeinsamkeiten zwischen Hexendelikten und Sagamotiven, die Unterschiede „innerhalb der Parallelitäten“,29 sowie Hexenvergehen, die keine Entsprechung in den Sagas haben. Im zweiten Kapitel, Personen, werden die Zaubernden in den Sagas und ihr Status mit den „der 26 Ebenda. 27 B. Schier, S. 99. 28 Walter Jaide wurde 9 in Berlin geboren. Nach dem Abbruch eines Theologiestudiums beschäftigte er sich mit Psychologie, Völkerkunde und Vor- und Frühgeschichte. In den beiden letzten Fächern promovierte er. Während des Studiums war er politisch aktiv, übte leitende Funktionen in Schulungslagern der Deutschen Arbeitsfront (933 als bquivalent der Gewerkschaften gegründet, der NSDAP unterstellt) und der NS-Kulturgemeinde (seit 937 mit der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" verbunden, für die Gestaltung der Freizeit, der Erholung und Volksbildung zuständig); Autor der Bücher Vom Tanz der jungen Mannschaft, Leipzig 935 und Deutsche Schwerttanze, Leipzig 936; Mitglied von „Adler und Falken“ (vgl. Mohler, a.a.O.,S. 59); ab 937 Assistent am Psychologischen Institut Würzburg, 939-94 im Arbeitsamt in Hannover. Er gehörte zum Kummer-Kreis, in dessen Reihe Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken der weiter unten besprochene Text erschien. Seit 94 diente er in der Wehrmacht. Nach dem Krieg gründete Jaide die "Forschungsstelle für Jugendfragen" und schrieb zahlreiche jugendsoziologische Schriften. Er veröffentlichte noch in den 970er Jahren, u.a. ein Buch Jugend und Demokratie, München 970. 29 W. Jaide, Wesen und Herkunft des mittelalterlichen Hexenwahns im Lichte der Sagaforschung, Leipzig 936, S. 3. 271

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Hexerei Verdächtigten“ verglichen, insbesondere auch im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Stellung. Unter dem „Schluss“ steht bereits im Inhaltsverzeichnis das eigentliche Fazit der Arbeit: „Sagazauber und Hexenwahn sind in ihrem psychologischen und kulturellen Wesen durchaus verschiedenartige Dinge. Die Herkunft des einen aus dem anderen ist nicht erweisbar“.30

Zu den Parallelen zwischen den beiden Zauberarten zählt Jaide den bösen Blick, das Wettermachen, die Fähigkeit der Verwandlung in Tiergestalten, den Marenritt, und, was aber relativ selten vorgekommen sei, das Reiten auf Dächern, Tieren und Menschen. Nach dieser Aufzählung stellt er fest, dass die genannten bhnlichkeiten nichts über die historische Entwicklung und die psychologische Verwandtschaft dieser Motive aussagen. Er warnt vor der Versuchung, nach verwandten Motiven zu suchen: Wenn ein altes Element einer Kultur in eine andere Zeit und Kultur übernommen und durch eine fremde Mentalität verändert wird, dann kann es eine völlig andere Bedeutung bekommen. Das wichtigste Merkmal, in dem sich der Hexenzauber vom Zauber in den Sagas unterscheide, sieht Jaide in der Willkür und der Unerklärlichkeit des Hexenzaubers. Die Hexen brauchten zum Zaubern Requisiten – Pulver, Salben und andere Zaubermittel, die sie oft aus Kinderleichen, Tiereingeweiden, Hostien zubereitet hätten. Das Zaubern der Hexen erinnere ihn an religiöse Praktiken des Christentums: „Im Hexenwahn stehen mehr solche Zaubermittel und -praktiken im Vordergrunde, die (für uns) unanschaulich, nicht direkt (analogiemäßig) verständlich sind, und die alles Mögliche zu bewirken vermögen – ähnlich wie im Reliquienglauben. Dagegen herrschen im Sagazauber – und noch viel mehr im Zauber der Primitiven – mehr anschauliche und in ihrer Wirkensweise deutlich begrenzte Mittel und Praktiken vor“.3

Ohne irgendwelche Belege anführen zu können, behauptet Jaide, dass einige der o.g. verwandten Motive in den beiden Typen von Zauberei mit unterschiedlicher Häufigkeit aufgetreten seien, und dass dieser Umstand für ihre Unterscheidung von großer Bedeutung wäre. Der böse Blick werde in den Sagas oft als ein anschauliches Zaubermittel erwähnt, im Hexenwahn habe er eine untergeordnete Bedeutung. Das nächtliche Reiten wiederum wäre bei den Hexendelikten häufiger vorgekommen. Als Hexenvergehen, für die er keine Parallelen in den Sagas findet, bezeichnet er alles, was den Körper (Men30 Ebenda. 3 Ebenda, S. 7. 272

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schenfraß, besonders den Verzehr von Kindern, das Töten von Kindern im Mutterleib, Krankheitszauber, Schadenzauber) und vor allem, was das geschlechtliche Leben betrifft, u.a. das Herbeiführen von Impotenz oder Unfruchtbarkeit. Die Entstehung und Verbreitung dieser Vorstellungen schreibt er eindeutig der Kirche zu. Die Elemente, die für die Hexenprozesse entscheidend waren, wie der Hexensabbat, die Hexensekte und Teufelsverehrung, seien ebenfalls kirchliche Erfindungen gewesen. Zum Abschluss des Kapitels konstatiert Jaide, dass „der qualitativ bedeutendere und quantitativ umfangreichere Teil [der Hexenvergehen] in den Sagas keine Parallelen besitzt“.32 Es handle sich beim Hexenwahn zum guten Teil um einen „wilden“, schrankenlosen Zauber im Gegensatz zum „natürlichen“, geordneten Zauber in den Sagas, wie er bei den meisten primitiven Völkern anzutreffen war. Dieser Gegensatz, so Jaide, lässt auf Unterschiede im Seelenleben und in der Kultur der betreffenden Gesellschaften schließen, die zu beschreiben die Aufgabe „einer Religionswissenschaft, die ernst genommen werden will“, sei.33 bhnlich wie Rosenberg, aber auch wie Hansen und Soldan, sieht Jaide die Schrankenlosigkeit des Zaubers als typisch für den Katholizismus an. Sowohl die Handlungen der angeblichen Hexen, wie sie in den Anklagen beschrieben werden, als auch die des Teufels sowie die der Heiligen und Priester seien willkürlich und unbegreiflich. Das Christentum habe den Menschen „seiner Ordnungen beraubt und in Gedanken und Sitten in ein Chaos gestürzt“.34 Jaide betont, dass der Zauber erst in den neueren, vom Christentum beeinflussten Sagas an Bedeutung gewinnt. Die Frage, wer in den Sagas zaubert, beantwortet er schon im ersten Satz des zweiten Kapitels eindeutig: Es sind die kranken Männer, „die wegen ihres periodisch auftretenden Kraftübermaßes und ihrer Gewalttätigkeit besonders begehrt, aber auch gehasst und gefürchtet“35 und damit keine vollwertigen Mitglieder der Gemeinschaft sind. Oft zaubern die Söhne der Nebenfrauen oder Männer, die aus der Fremde kommen, z.B. Finnen oder Lappen. Jaide gibt zu, dass in den Sagas auch zaubernde Frauen vorkommen. Diese hätten jedoch immer eine randständige Stellung in der Gemeinschaft, seien unbeliebte, absonderliche Menschen gewesen, was „auf die rassische Sonderstellung vieler Zaubernder“ hinweise. Zwar werden in den Sagas auch hoch angesehene Völven und Heilszauberinnen erwähnt, im Allgemeinen jedoch sei „die Beurteilung jener Zauberei [...] gemäß den menschlichen Qualitäten der Zaubernden durchweg abschätzig. Ein rechter Mann oder eine rechte Frau gibt

32 33 34 35

Ebenda, S. 9. Ebenda. Ebenda, S. 0. Ebenda, S. . 273

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sich damit nicht ab“.36 Jaide betont, dass früher, in der vorchristlichen Zeit, die Sitte geherrscht habe, „Frauen auf keinen Fall etwas anzutun“,37 abgesehen von jenen, denen man Zauberei nachweisen konnte. Im Christentum seien im Gegensatz zu den Sagas vor allem Frauen als Hexen angeklagt worden: „Dies ist nur im Rahmen einer zu Saga gegensätzlichen Wertung der Frau (als der „Mütter der Sünde“, als „böse von Jugend auf“) denkbar“.38

Der Minderwertigkeit der Zaubernden in den Sagas stellt er die „Vollwertigkeit“ der als Hexen in der christlichen Zeit verbrannten Frauen und Mädchen gegenüber, die „oft gerade die schönsten, tüchtigsten, angesehensten Glieder der Gemeinschaft“39 gewesen seien: „Nie – abgesehen von den verschwindenden Ausnahmen – wäre es den Sagabauern in den Sinn gekommen, eine Godentochter oder eine ordentliche Bauerntochter oder Bauernfrau der Zauberei zu verdächtigen!“.40

Ausgehend von diesen Erwägungen stellt Jaide fest, dass spätere Auffassungen von der unchristlichen Herkunft des Zauberns von christlichen Verfassern oder Sammlern der Sagas stammen. So wie Mudrak rät er zu Vorsicht bei der Deutung der Sagas und warnt davor, sich von den manchmal verblüffenden bhnlichkeiten zu voreiligen Schlüssen verleiten zu lassen: „Es geht doch immer um die innere Ganzheit eines Phänomensbereiches und um seine Stellung im Seelenleben der betreffenden Menschengemeinschaft!“.4

Ungeachtet der Bemühungen um eine äußerliche akademische Form enthält Jaides Schrift in substanzieller Hinsicht nicht viel mehr als das schon im Inhaltsverzeichnis vorweg genommene Fazit: Außer den erwähnten äußerlichen bhnlichkeiten haben Hexenzauber und Saga-Zauber nichts gemein: „Von der kümmerlichen Randerscheinung in einem gesunden, in sich geschlossenen Leben führt – nochmals: abgesehen von einer Reihe ähnlicher Motive – keine Brücke zu jenem künstlich aufgeblähten Gespenst auf dem schaurigen Schlachtfelde eines gigantischen Kulturkampfes. Hexe wie Heiliger sind weder Rückfälle in germanischen Volksglauben noch in die in sich geordnete Primitivität der Naturvölker,

36 37 38 39 40 4 274

Ebenda, S. 3. Ebenda. Ebenda, S. 4. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 5.

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– sondern entstammen einer neuen Welt des Chaos, die zu jenen beiden in deutlichem Gegensatz steht“.42

Jaides Vergleiche stützen sich häufiger auf Spekulationen denn auf Sachverhalte aus den Quellen. Den möglichen Einwand, dass er historische Tatsachen und die Überlieferungen aus den Sagas als gleichwertige Phänomene behandelt, weist er im Voraus zurück: Diese Vorgehensweise sei berechtigt, „obwohl die Sagas keine bewusst volkskundlichen Augenzeugenberichte sind (auch für das Mittelalter sind wir ja oft nur auf mittelbare Zeugnisse angewiesen)“.43 Seine Überlegungen darüber, warum die Opfer der Hexenprozesse vorwiegend weiblich waren, beschränken sich auf die Feststellung, dass die Frauen bei den Germanen geachtet wurden, und wenn einige doch der Zauberei angeklagt wurden, dann waren das im Unterschied zum Christentum die „fremdrassigen“, „minderwertigen“. Das Christentum, das „vollwertige“ Frauen gemordet habe, sei mit dem Germanentum unvereinbar, es gebe keine wirklichen „charakterlichen“ Berührungspunkte zwischen den beiden. Das Christentum sei die Welt des Chaos, die das Schöpferische vernichtet.

Kampf um die deutsche Frau. Der Schulungsbrief vom März 1937 Mit seiner Ausgabe vom März 937 eröffnete Der Schulungsbrief, das vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP herausgegebene zentrale Monatsblatt der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront zur weltanschaulichen Schulung, nunmehr auch offiziell den Kampf gegen die katholische Kirche.44 Erst in dieser auf propagandistische Wirkung bedachten Publikation wurden, ähnlich wie in Rosenbergs Reden, die Frauen und die Hexenprozesse selbst in den Vordergrund geschoben. Das Heft fällt schon wegen seiner graphischen Gestaltung auf: Wie im H-Sonderauftrag und der Hexen-Ausstellung wurde der propagandistischen Bedeutung des Bildes besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Für die Titelseite wurde der Stich Hexen fahren zum Sabbath aus dem Buch Deutsches Leben der Vergangenheit ausgewählt,45 auf dem Hexen mit Tierköpfen, die auf einem Ast fliegen, zu sehen sind. Die Rückseite der Broschüre bildet den preisgekrönten Plakatentwurf eines sechzehnjährigen Schülers mit dem Titel

42 Ebenda. 43 Ebenda, S. 7. 44 Der Schulungsbrief, IV Jahrgang, 3 Folge, Berlin März 937, in: Archiwum PaĔstwowe in Posen, Czary 3860 (weiter: Schulungsbrief). 45 Diederichs, Eugen (Hg.), Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern. Ein Atlas mit 760 Nachbildungen alter Kupfer-und Holzschnitte aus dem 5ten8ten Jahrhundert. Jena 908. 275

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Deutscher Zukunftsglaube in brennender Welt ab. Im Hintergrund sind ein Stacheldrahtverhau und Flammen zu sehen. In der Mitte des Bildes sitzt eine stattliche junge Frau im Schatten einer riesigen Kanone, wie im Schatten eines Baumes. Ihr Blick ist auf ein Baby gerichtet. Zu ihren Füßen blühen Blumen. Die Nähe der Kanone – man kann sie, auch wenn keine männliche Gestalt zu sehen ist, die als Nähe des die Frau schützenden Mannes deuten – suggeriert ihre Vertrautheit mit dem Gedanken, dass das Leben ein Kampf ist, dass sie ihr Kind mit Freude zu einem Kämpfer erziehen soll. Das Bild vermittelt eindeutig die Identifikation der jungen schutzbedürftigen Mutter und Hüterin der neuen Generation mit ihrem bedrohten, aber verteidigungsbereiten deutschen Vaterland.46 Durch die Wahl dieser Bilder wird der „christlichen Verunglimpfung“ der Frau, die der Vergangenheit angehöre, die „natürliche“ deutsche Verehrung der Frau als der Hüterin des Glaubens an die Zukunft entgegen gestellt. Andere Bilder, die im Heft abgedruckt sind, veranschaulichen vor allem die „Erniedrigung“ der Frau in der Geschichte. Im ganzen Heft sind unter dem Obertitel Der Hexenwahn in zeitgenössischen Bildern Illustrationen unterschiedlicher Hexenpraktiken verstreut. Die Hauptthemen: Milchverhexung, Wetterzauber, Teufelsbuhlerei, Verhexung eines Schuhes, Verbrennung der Hexen. Es gibt auch Bilder, die von der Verachtung der Frau im Christentum zeugen sollen, wie die Darstellung „weiblicher Untugend“ nach einer Zeichnung der Nonne Herrad von Landsberg.47 Auf der Abbildung sieht man 46 Die Frauenfiguren als Allegorien männlicher Macht – Marianne, Germania, Mutter Helvetia, Polonia u.s.w. – gehören zum festen Bestandteil der europäischen Kultur. Auffallend ist der Widerspruch zwischen der Machtrepräsentanz dieser Gestalten und der Machtlosigkeit der realen Frauen. Die Wahl des Frauenkörpers für allegorische Darstellungen hat viele Gründe: Er entspreche der platonischen Vorstellung von Idealität und Schönheit; sei politisch und gesellschaftlich neutral (wenn sich die realen Frauen in das politische Geschehen einmischen, werden sie sofort als hässlich und erotisiert dargestellt); der weibliche Körper entspreche der Suche nach dem Anderen, Ewigen in der Allegorie – in Verbindung mit der Tendenz, die Nation als etwas Natürliches, Organisches zu betrachten, das jedoch zu beherrschen sei. Vgl.: S. Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, Frankfurt/M 979; S. Wenk, Versteinerte Weiblichkeit; Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und neue Weiblichkeit, hrsg. V. Schmidt-Linsenhoff, Frankfurt/M 989. 47 Was im Schulungsbrief nicht thematisiert wird, obwohl die Abbildung im Artikel der Frauenrechtlerin Gertrud Baumgart abgedruckt wurde, ist die Rolle der Herrad von Landsberg als einer schreibenden Frau, die in den Zusammenhang der „Erniedrigung der Frau im Christentum“ nicht hineinpasst. In der Frauenforschung nach dem Zweiten Weltkrieg wird sie als Beispiel weiblicher Aktivität in der Wissenschaft behandelt. Doch sie stand auch schon in HitlerDeutschland, vor allem in Texten, die von Frauen geschrieben wurden, exemplarisch für die „geistig bedeutenden Frauen“ (Lulu von Strauss und Torney, Deutsche Frauenchronik, in: Ausstellung „Frau und Mutter – Lebensquell des 276

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Tiere, die Hinterlist, Ehrgeiz, Schmutz, Geldgier, Heftigkeit, Unersättlichkeit, starrsinnige Zank- und Raubsucht symbolisieren. Zwischen dem Artikel Germanisches Frauentum und unsere Zeit und einer Zitatensammlung zum Hexenwahn wird auf zwei Seiten die angebliche Kontinuität zwischen den christlichen, „jüdischen“ und „marxistischliberalistischen“ Weiblichkeitsvorstellungen plastisch demonstriert. Unter der Überschrift Die Hexenverfolgungen, die an eine zentrale Stelle zwischen den Abbildungen gesetzt wurde, werden die Zahlen der verbrannten Hexen in katholischen und protestantischen deutschen Städten aufgeführt, Opfer eines „Irrglaubens“, der „dem deutschen Volk reichlich 500.000 Frauen und Mädchen gekostet hat.“ Dieses Thema wird mit dem bekannten Holzschnitt Hexen kochen einen Trank von Hans Baldung und Alfred Dürers Stich Hexe, rückwärts auf einem Bock reitend illustriert. Zu dieser Bildgruppe gehört auch eine Darstellung der Hexenverbrennung und des Hexentreibens auf dem Blocksberg. Als Extrembeispiele für frauenfeindliche Vorstellungen werden Bilder von Künstlern präsentiert, die „im Auftrage der Kunsthandelsjuden Flechtheim, Cassirer und Genossen ihre höchste Aufgabe in der planmäßigen Zersetzung aller sittlichen und ethischen Werte des deutschen Volkes“ sehen.48 Sie tragen eine Überschrift, die die nationalsozialistische Machtübernahme als eine moralische Zäsur setzt: „Kunstwerke“ aus der Zeit vor 933. So weit konnte fremder Geist uns zersetzen. Zu den hier verunglimpften „volksfremden“ Künstlern gehören u.a. Emil Nolde, Karl Erdmann, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Scholz und Otto Mueller: „Gesinnungslos stellten sich die oben genannten, größtenteils nichtjüdischen Künstler neben ihren jüdischen Genossen Feininger, Adler, Kisling, Segall, Chagall u.a. in den Dienst jüdischer Kulturzersetzung. Unsere Bildbeispiele zeigen die Verhöhnung

Volkes“ Katalog, Berlin 939, S. 2) Herrad von Landsberg (25/30 – 95), bbtissin in Hohenburg (Odilienberg) im Elsaß und Schriftstellerin ist bekannt als Verfasserin und Illustratorin des „Hortus deliciarum“ („Garten der Wonnen“), eines der hervorragenden Miniaturenwerke des Mittelalters, der ersten nachweislich von einer Frau verfassten Enzyklopädie. Das Werk enthält Auszüge aus der Bibel, ausgewählte Texte von Kirchenvätern und späteren Kirchenschriftstellern, auch von einigen profanen Autoren, sowie zahlreiche eingestreute Gedichte der Verfasserin und anderer Dichter. Herrad von Landsberg H. versah das zuletzt 324 Pergamentblätter umfassende Werk mit 344 für die Kulturgeschichte wertvollen Miniaturen. Bei der Beschießung Straßburgs im August 870 verbrannte die Originalhandschrift samt einer Kopie. Nur Textfragmente und ein Teil der Bilder sind erhalten geblieben. Nach: BiographischBibliographisches Kirchenlexikon, a.a.O., Band II (990), Spalten 766-767. 48 Der Schulungsbrief, S. 00. 277

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und Erniedrigung der Frau, die in den vorliegenden Fällen „an Zügellosigkeit teilweise sogar noch die Juden übertreffen“.49

Diesen Bildern, deren Schöpfer – „um hier mit den Worten des Führers zu sprechen“ – sich als Ziel gestellt hätten „Kretins als Symbole der Mutterwerdung zu zeichnen und krumme Idioten als Repräsentanten der männlichen Kraft hinzustellen“, die in der „marxistisch-liberalistischen Zeit“ durch „jüdische Kunstschreiberlinge“ gefördert wurden,50 wird das ideale Schaffen des deutschen Künstlers entgegengestellt, der „sich dem Volksganzen eingeordnet hat, um an seinem Platz mit ehrlichen und sauberen künstlerischen Mitteln seine Arbeit an dem großen kulturellen und wirtschaftlichen Aufbauwerk des Führers zu leisten“.5 Die „entarteten“ Bilder werden präsentiert als „Gegenstück zu unseren in der letzten und in früheren Folgen gezeigten Meisterwerken deutscher Frauenbildnisse“.52 bhnlich wie mit den Bildern arbeiten die Herausgeber mit Zitaten. Zitatensammlungen eröffnen und schließen das Heft und sollen ebenfalls das ideale, deutsche dem negativen, “fremdrassigen“ Bild der Frau gegenüberstellen. Die erste Seite enthält zwei Aussagen, die im Zusammenhang mit dem erwähnten Plakatentwurf und der Vorstellung von der Leben stiftenden Mütterlichkeit stehen. Zuerst kommt Hitler zu Wort: „Millionen von Frauen, sie lieben den neuen Staat, opfern und beten für ihn. Sie empfinden in ihrem natürlichen Instinkt ihre Mission der Erhaltung unseres Volkes, dem sie selbst in ihren Kindern das lebende Unterpfand gegeben haben“.53

Anschließend wird Bismarck zitiert: „Was bei uns bis in die Häuslichkeit der Frau durchgedrungen ist, das sitzt fest, viel fester als das aus Parteikämpfen im öffentlichen Leben hervorgehende und mit der Kampfstellung wechselnde Urteil der Männer; es ist der Reinertrag des ganzen politischen Geschäfts, was sich im häuslichen Leben niederschlägt; es überträgt sich auf die Kinder, ist dauerhafter, und auch im Falle der Gefährdung hält es fester. [...] Die Überzeugung welche einmal in der Familie durchgedrungen ist, hält die Weiblichkeit strammer fest als Wehr und Waffen; und wenn wir je das Unglück hätten, einen

49 50 5 52 53

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Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 8. In einer anderen Aussage Hitlers, die Masse sei ein Weib, „dessen seelisches Empfinden weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt wird, als durch solche einer undefinierbaren, gefühlsmäßigen Sehnsucht nach ergänzender Kraft“, kommt die Vorstellung von der willenlosen, „gefühlsvollen“, sich hingebenden, führungsbedürftigen Frau zum Ausdruck.

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ungünstigen Krieg zu führen, Schlachten zu verlieren oder ungeschickt regiert zu werden: die Tatsache, dass der Glaube zu unserer politischen Einheit bis in die Frauengemächer gedrungen ist, wird uns immer wieder zusammenbringen, und im Falle der Entscheidung wird es sich herausstellen, dass in der elementaren Herzensbewegung des 'ewig Weiblichen' eine stärkere Macht steckt als in den zersetzenden Säuren, die unsere Männerparteien auseinanderbringen. Mein Vertrauen in die Zukunft beruht auf der Stellung, welche die deutsche Frau genommen hat“.54

In beiden Zitaten wird der Platz der Frau in der Gesellschaft eindeutig definiert. Ungeachtet der Anerkennung ihrer politisch „wichtigen“ und „geschätzten“ Rolle soll die Frau in der Praxis weiterhin aus dem politischen Leben ausgeschlossen bleiben. Zu dem „wir“, das zusammengebracht werden soll, gehört sie nicht. Sie erscheint als ein Faktor, der für die Konsolidierung und Erhaltung des Männerstaates benötigt wird. Sowohl Bismarck als auch Hitler sind sich bewusst, wie wichtig die private Sphäre für die Politik ist, und dass ihre Einverleibung in den staatlichen Organismus nur in dem Maße machtpolitisch produktiv ist, wie man die Frauen zur Kollaboration bewegen kann.55 Immer dann, wenn das gelungen ist, haben die Regierenden unter den Frauen Verbündete gefunden, die bereit waren, auch gegen das eigene Geschlecht zu handeln, es zu disziplinieren und existierende Machtstrukturen zu unterstützen. Um die Frauen zu gewinnen, ohne ihnen einen Teil der Macht abtreten oder emanzipatorischen Bestrebungen nachgeben zu müssen, versuchen die Herrschenden, die weibliche Arbeit in der Privatsphäre aufzuwerten. Die Stilisierung der Mutter zur einer sich aufopfernden Figur, die ihre Gebärfähigkeit, analog zur Opferbereitschaft des Soldaten, in den Dienst der deutschen Nation stellt, soll der Frau auf der symbolischen Ebene eine aktive Rolle anbieten. Die Frau soll dem Volk aus einem „natürlichen Instinkt“ dienen oder den Staat lieben, für ihn opfern und beten, ihn „in der elementaren Herzensbewegung des 'ewig Weiblichen'“ stützen.56 Von den in ihrem Wert und ihrer Besonderheit bestätigten Frauen, auch wenn sie in politischer Unmündigkeit gehalten werden, erwartet man, dass sie die vorpolitischen Grundlagen einer politisch-nationalen Ordnung stiften. Die Zitatensammlung, die den Schulungsbrief abschließt, trägt den Titel Der Hexenwahn und wird mit einem Zitat aus dem Drama Uta von Naumburg von Felix Dhünen eingeleitet, das zwischen 934 und 944 an über hundert

54 Ebenda. 55 Zur Mittäterschaft deutscher Frauen siehe: A. Kuhn, Welche Geschichte wählen wir?, in: Metis 2-93, S. 48-65; Frauen im Nationalismus, hrsg. von Renate Kigge-Tesche, Wiesbaden 994. 56 Schulungsbrief, S. 8. 279

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deutschsprachigen Theatern inszeniert wurde.57 Dieses Zitat, das am Anfang der genannten Sammlung steht, verstärkt durch Anspielung an die plastische Vorstellung einer idealen Weiblichkeit die Grausamkeit der anderen Zitate aus der Sammlung. Uta von Naumburg ist eine frühgotische Statue aus dem Naumburger Dom, die Anfang des 20. Jahrhunderts dank der Fotografie (vor allem dank Walter Hege) „entdeckt“ wurde. Sie hat die Phantasie zahlreicher Künstler beflügelt, wurde mit Artemis verglichen und im Nationalsozialismus zum Ausdruck einer reinen deutschen Gesinnung und des typisch deutschen weiblichen Wesens stilisiert. In der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 937 musste Uta als „Gegenbild“ zu den „fremdrassigen“ Frauendarstellungen herhalten, ihr „damals bereits ikonenhaft-berühmtes Konterfei sollte Derbheit und Hässlichkeit anderer Frauendarstellungen plakativ verdeutlichen“.58 In dem Propagandafilm „Der ewige Jude“ von 940 stand die Skulptur ebenfalls für eine überzeitliche Reinheit.59 Die Widersprüchlichkeit des nationalsozialistischen Frauenbildes ließ Uta zugleich als keusches Mädchen und als „Mutter des Volkes“ erscheinen.60 Das Stück von Dühnen ist einer der vielen literarischen Versuche, die Geschichte der Markgräfin als die Geschichte einer Gesinnung zu erzählen. Nach einer turbulenten Handlung, in deren Verlauf Uta, zum germanischen Heidentum tendierend, knapp einem Hexenprozess entgeht und sich in einen heldenhaften Retter verliebt, findet sie zögernd zu Ekkehard, ihrem Mann, zurück. Im Schlussbild stehen beide wie im Naumburger Dom – die Schauspieler erstarren zu lebenden Bildern. Im Schulungsbrief eröffnen ihre Worte den Überblick über die Grausamkeiten der Hexenprozesse: „Was ihr in Christi Namen/ verbrannt, gefoltert und getötet habt/ kann Christi Werk nicht sein. Sonst wäre er nicht/ Der Sohn des Gottes, nicht des Menschen Sohn. Ungöttlich und unmenschlich handelt ihr./An seinen Früchten sollt Ihr sie erkennen: Ihr

57 Felix Dühnen war ein Pseudonym für Franz Sondinger, Bildhauer, Schriftsteller, Spielleiter an mehreren Berliner Theatern (nach: W. Ullrich, Uta von Naumburg. Eine deutsche Ikone, Berlin 998, S. 38). 58 W. Ullrich, Uta von Naumburg. Eine deutsche Ikone, Berlin 998, S.43. 59 Solange im Film von „den ’heiligsten’ Dingen die Rede ist, sieht man griechische Tempelsäulen und Statuen, den Bamberger Reiter und Uta, die Köpfe des Adams und der Eva von der Bamberger Adamspforte, Botticellis Geburt der Venus, Michelangelos Fresko Erschaffung Adams aus der Sixtina und eine gotische Marien-Darstellung. All das zieht von unten nach oben über die Leinwand, steigt – unterlegt von Bachscher Orgelmusik – gleichsam in transzendente Höhen auf und soll nostalgisch an eine bessere Vergangenheit erinnern. Dann kommt ein abrupter Schnitt, Jazzgesang wird zu schroff und in rascher Folge eingeblendeten modernen, meist expressionistisch-grellen Werken gespielt“ (ebenda, S. 48). 60 Ebenda, S. 53. 280

DIE HEXENPROZESSE ALS ARGUMENT IM KRIEG DER KULTUREN

macht Christus noch zum Sohn des Satans/Nimmt man ihn nächstens nicht vor Euch in Schutz“.6

Nach dieser Einleitung werden Rosenbergs Worte aus dem Mythus über die Millionen von Opfer des etruskischen und christlichen Zauberglaubens als Motto zitiert. Dann folgt das kurze Vorwort der Redaktion. Die Redakteure des Heftes proklamieren, dass aus den im Folgenden vorgestellten Auszügen aus der Hexenprozessforschung, die die Geschichte des Verlustes „oft besten deutschen Blutes“ untersuche, sich „jeder gesunde Volksgenosse ohne weiteres sein eigenes Urteil“ bilden könne. In der Hexenwahn-Zitatensammlung lassen sich einige thematische Schwerpunkte bestimmen. Die Textauszüge aus der oben besprochenen Arbeit Mudraks, aus Johannes Scherrs Kulturgeschichte der deutschen Frau (Dresden 928), Gustav Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit (Leipzig 859-867) und Bernhard Kummers Migdards Untergang (Leipzig 937) führen dem Leser einstimmig vor Augen, dass der Teufel der germanischen Kultur und die Zauberer der germanischen Rasse fremd gewesen seien, dass die jüdisch-christliche Kultur den Teufel erfunden, den Begriff der Sünde eingeführt und die Wirklichkeit dämonisiert habe, indem sie die alten Götter als die Verbündeten des Satans betrachtete. Es wird darauf hingewiesen, dass zwar die Reformation mit Hexerei-Anklagen verfolgt wurde, dass aber auch der Protestantismus seinen Anteil an den Hexenverfolgungen hatte, dass es keine Zuflucht vor dem „religiösen Wahnsinn“ und „christlich-religiöser Mordlust“ gegeben hat. In anderen Textauszügen wird die Absurdität und Unglaubwürdigkeit der durch Folter erzwungenen Geständnisse geschildert. Ausführliche Beschreibungen des Leidens der Gefolterten (aus W. Soldans Geschichte der Hexenprozesse, K. Liebelts Geschichte des Hexenprozesses in Hessen-Kassel, Marburh 932), Hinweise auf die enorme Vitalität des Aberglaubens, dem vor allem die Frauen zu Opfer fallen (aus H.B. Schindlers Der Aberglaube des Mittelalters, Breslau 858), auf die Zerstörung der Sippen, den Tod der Schwangeren, der „jugendfrischen und anmutigen Frauen und Jungfrauen“ sowie „zarter Kinder bis zum Säuglingsalter hinab“ (Graf Hoensbroechs Das Papstum in seiner sozialkulturellen Wirksamkeit, Leipzig 900-9002) sollen den Leser in moralische Empörung versetzen. Die Berichte über die Profitträchtigkeit der Prozesse für den Klerus, der das Morden als ein Geschäft betrieb, haben die Aufgabe, diesen emotionalen Eindruck noch zu vertiefen. Die besondern Leiden der deutschen Frauen werden in einem Auszug aus Friederike Müller-Reimerdes Der christliche Hexenwahn betont:

6 Schulungsbrief, S. 02. 281

HEXEN UND GERMANEN

„Am tiefsten unter allen christlichen Frauen hatten die deutschen Frauen zu leiden, denn sie, die bei ihren vorchristlichen Ahnen hohe religiöse Bewertung erfuhren, fielen bei dieser grauenhaften Umwertung aller ihrer artgesetzlichen Werte den tiefsten Fall seelischer und sittlicher Verelendung“.62

Das durch die Auswahl der Zitate vermittelte Bild der Hexenprozesse steht im Einklang mit den Arbeiten des H-Sonderauftrags. Außer in den zwei besprochenen Zitatensammlungen spielen die Themen „die Frau“ und „die Geschlechter“ eine wichtige Rolle in zwei Artikeln dieses Schulungsbriefes. Am Anfang des Textes von Kurt Ellersiek,63 der mit Seele, Geist und Körper. Kampf gegen drei fremde Weltanschauungen überschrieben und einem Bild von einem stolz blickenden SS-Mann versehen ist, wird die weltanschauliche Absicht des Heftes zusammengefasst: „Es mussten sich erst drei Weltanschauungen über das Volk ergießen, bis wir heute den göttlichen Willen von der blutlich gebundenen Lebensordnung als das Grundgesetz unseres arteigenen Lebens nicht als Rufer in der Nacht, sondern als Künder des neuen Tages in voller Freiheit predigen können. Unsägliche Mühsal, Hunderttausende von Toten, satanische Morde, Hexenverbrennungen, Ketzerfolterungen, alles, was teuflische List erdenken konnte und auch im vorliegenden Heft behandelt wird, zeichnen den Weg unseres Volkes“.64

Der Stellung der Frau in der „blut- und bodenverbundenen“ germanischen Weltanschauung wird ihre Erniedrigung in den Deutschland feindlichen „Ideologien“ entgegengehalten. Die angebliche Einseitigkeit dieser drei „Weltanschauungen“, ihre „Fremdebestimmtheit“ durch jüdische Einflüsse, soll die „harmonische Vollständigkeit“ des Nationalsozialismus hervorheben. Jede dieser „fremden“ Weltanschauungen habe sich auf eine Seite des Lebens konzentriert: Das Christentum sei eine „Seeleninternationale“, der Liberalis62 Der Schulungsbrief, S. 06. Über den Text von Reimerdes, die zum Kreis der nordischen Bewegung gehörte, und über andere HexenprozessInterpretationen, die von den deutsch-völkischen Frauen verfasst wurden, referiert Barbara Schier (Hexenwahn, a.a.O., S. 57-6). Reimerdes ergriff Rosenbergs Partei und war der Meinung, seine Gegner möchten die Germanen als barbarisch und daher besonders der christlichen Erlösungslehre bedürftig darstellen. Eine Auseinandersetzung mit der weiblichen Sicht der Prozesse aus dieser Zeit steht noch vor. Besonders bei Reimerdes werden solche Themen wie die Geschichte der Frauen, Frauen und Christentum, Kampf um Gleichberechtigung behandelt. Schier bezeichnet ihre Position als rassische und „radikal feministische“. Die Erforschung, inwieweit die Nationalsozialistinnen wirklich „feministisch“ waren, und das Aufzeigen von bhnlichkeiten und Unterschieden, könnten für den heutigen Feminismus von Nutzen sein. 63 Obersturmbannführer, 938 dem „Stab RFSS“ zugeteilt. 64 Der Schulungsbrief, S. 82. 282

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mus eine „Vernunftsinternationale“, und der Kommunismus eine „Internationale der Materie“. Der ursprüngliche germanische Mensch wird dagegen als eine Einheit konzipiert, noch nicht zerrissen durch die Konkurrenz zwischen Seele, Geist und Körper. Auch die germanische Frau habe gleiche Entwicklungschancen für ihren Körper, ihren Geist und ihre Seele gehabt, und die Einstellung der Männer zu ihr sei „natürlich“ und „ohne Sündengefühle“ gewesen. Jede „historische Tat“ des Judentums bedeute die Erniedrigung der Frau. Die Harmonie des Menschen und der Geschlechter sei durch das Christentum zerstört worden, vor allem vom „Juden Paulus“, der die rassische Weltanschauung zersetzt und den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt gerückt habe. Dem „verjudeten“ Christentum wird, ähnlich wie von Rosenberg, vorgeworfen, dass es den Menschen „in Seele, Geist und Körper zerlegt und eine Höherbewertung der Seele über den Körper und über den Geist als der erste dogmatische Satz festgelegt“.65 Der „jüdische Intellekt“, die „die politische Kirche“ steuere, sei verantwortlich für die Vergötterung der abstrakten „Seele“ und für die Verabscheuung des Körpers. In der Erklärung der Sündhaftigkeit des Fleisches und in den Lehren von Paulus liege der Grund für die Negierung des Wertes der Ehe und für die Verehrung des Mönchs- und Nonnenlebens. Dem Christentum habe die Menschheit nur Zölibat, Kasteiung des Körpers, verkrampftes Schamgefühl und die Missachtung des Geistes zu verdanken, die Rebellion gegen diese Weltsicht sei mit dem Scheiterhaufen bestraft worden: „Im Interesse einer verstandesmäßig bewerteten Seelenlehre wurden vernünftig denkende Menschen, die gegen diese konstruierte Abstraktion Stellung nahmen, auf den Scheiterhaufen geworfen, verfolgt und gemartert“.66

Die Überwindung der Epoche des Scheiterhaufens wird als Sieg der Freiheitsliebe und Wissensbegierde des deutschen Menschen dargestellt, der in der Renaissance und der Reformation für die Befreiung des Geistes gekämpft hat. Diese Entwicklung sei jedoch wieder gehemmt worden: „Langsam wird die unbewusste Erkenntnis von der blutlichen völkischen Ordnung in das Primat des Geistes, der Vernunft, eingebogen. Geist nannte man es, Vernunft meinte man, und in Intellekt artete es aus“.67 Damit hätte die zweite verhängnisvolle Zeit in der Geschichte Deutschlands begonnen – die vom Liberalismus geschaffene „Epoche des Geistes“:

65 Ebenda, S. 83. 66 Ebenda, S. 84. 67 Ebenda. 283

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„War das stärkste Bollwerk gegen seine Herrschaftspläne, der germanische Mensch, nicht mit der Seeleninterantionale zu fangen, so musste es mit diesem neuen Plan gelingen. Über den Weg der Freimaurerei setzt sich der Jude an die Spitze dieser neuen Internationale, die die Abstraktion, die Vernunft, als den letzten Richtpunkt menschlichen Lebens aufsetzte“.68

Als Resultat dieser „körperverachtenden Entwicklung“ sieht Ellersiek eine Karikatur des Wissenstriebes: „Das Streben nach Wissen züchtete den intellektuellen liberalen, körperlich und seelisch verkümmerten Professor, der vor lauter Wissen unpraktisch und lebensfremd als Gehirnakrobat dahinzog“.69

Die Entstehung der Turn- und der Arbeiterbewegung seien das Werk des deutschen Protestes gegen diese Körper- und Arbeiterverachtung, der im Kampf um die Erhaltung des deutschen Heeres seinen „reinsten“ Ausdruck gefunden habe. Aus der Entstellung der „deutschen“ Idee der Aufwertung des Körpers und der Arbeiter durch die Juden sei die dritte Internationale, die des Körpers, der Materie entstanden – die klassenbewusste Proletarierpartei.70 Der Autor bezeichnet diese als den letzten Versuch der Juden zur Erlangung der Weltmacht:

68 Ebenda, S. 85. 69 Ebenda. Auffallend ist die Analogie: Eine intellektuelle Frau wird als „Hure“, als sexuell schrankenlos dargestellt. Der intellektuelle Jude wird zwar als „körperlich verkümmert“, oft impotent dargestellt, obwohl paradoxerweise der „Jude“ auch für alle möglichen sexuellen Ausschreitungen verantwortlich gemacht wird. Das Bild der „Frau“ und das des „Juden“ werden oft parallel konstruiert, Misogynie und Antisemitismus verbinden sich. Ulrike Brunotte hat dieses Phänomen am Beispiel von Hans Blüher beschrieben: Die Juden werden als weiblich definiert (hier stützt sich Blüher auf Weiniger), die Frauen mit offener Sexualität assoziiert. Ihnen sei auch das Prinzip des Männerbundes und des Staates fremd. Frauen und Juden repräsentieren für Blüher „die von der Verwandtschaft und weiblich beherrschten Sexualität bestimmte Familie und dann die unverbindliche, rationale und dabei nach Blüher zugleich ‚tierische’ Gesellungsform der Herde. ‚Herde’ nennt der Monarchist Blüher auch die sozialistischen und demokratischen Modelle gesellschaftlicher Organisation“, U. Brunotte, Zwischen Eros und Krieg, Berlin 2004, S. 08. 70 Die ursprüngliche Arbeiterbewegung sieht der Autor als deutsche Bewegung gegen die „Internationale der Vernunft“: „Was ein Weitling (Deutscher nach Paris ausgewanderter Schneider und judenfreier Vorläufer der sozialistischen Bewegung) sich erträumte, war typisch Deutsch, romantisch, idealistisch. Was aber Marx hervorbrachte, war die letzte Gestaltungsmöglichkeit jüdisch blutleeren Intellektualismus“ (ebenda, S. 86). 284

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„So vollendet sich der Kreis einer fast zweitausendjährigen Zerstörung einer harmonischen, im Blute gegebenen Weltanschauung, die ihren Anfang in den Dogmen eines Paulus fand und ihren Ausgang in den Dogmen von Marx suchte“.7

Der Nationalsozialismus, der den Kampf der Germanen gegen jüdischen Einfluss auf die Welt fortsetze, soll die Einheit von Seele, Körper und Geist wieder herstellen und so „das deutsche Leben“ vervollkommnen und die „ehrenhafte“ Stellung der Frau sichern. Die Geschichte sei ein kontinuierlicher Kampf gegen das deutsche Volk, die Notwendigkeit des nationalsozialistischen Kampfes gegen das Judentum, das sich auch hinter dem Kommunismus und dem Christentum verstecke und die germanische Frau degradiere, sei geschichtlich begründet. Im zweiten Artikel, Vorgeschichte und Gegenwart. Germanisches Frauentum und unsere Zeit, charakterisiert die Nationalsozialistin Gertrud Baumgart beide Geschlechter.72 Ihre Vorstellungen unterschieden sich kaum von den männlichen Konstruktionen: „Die Sinnesart des Mannes, seine Wertschätzung männlicher Wesenheit wird sehr stark bedingt von der Kultur, in der er lebt und die er sich geschaffen hat.“73 Dagegen ist die „Frau [...] durch die Natur wesensbestimmt; das Muttertum ist ihr Schicksal, ihre Lebensaufgabe“.74 Die Autorin gibt zu, dass die rechtlichen Quellen nicht immer ein günstiges Bild von der Lage der Germanin in der Ehe zeigen, aber das Bild verändere sich, wenn man die Dichtung analysiert. Sie erklärt diese Differenz damit, dass die Germanin durch ihre Charakterstärke das Recht aufgelockert habe. Die Germanen hätten ihre Frauen nie verkauft, sie immer nach ihrer Meinung gefragt, aber die Ehe diente dem Wohl der Sippe und die Frauen hätten diese Regel akzeptiert: „Die Reinheit der Frau verbürgt die Rechtmäßigkeit des Erben, sie bildet mit dem Manne den sakralen Mittelpunkt des Hauses“.75 Baumgart betont die sittliche Reinheit der germanischen Männer und Frauen: Den Germanen sei der Ruhm und das Wohl der Gemeinschaft am wichtigsten gewesen. Mit der Behauptung, das sexuelle Leben der Germanen habe erst mit der Ehe begonnen, will sie erklären, warum in den Sagen keine sexuellen Probleme behandelt werden und keine Prostituierten vorkommen. Die Treue in der Ehe sei den Germanen heilig gewesen. Baumgart treibt den Kampf um die sittliche Reinheit der Frau, die ihrem Pflichtbewusstsein ent-

7 Ebenda, S. 88. 72 Gertrud Baumgart (880-962) war Frauenrechtlerin und nationalsozialistisch gesinnte Philosophin. Sie publizierte in der Zeitschrift Die Frau, deren Herausgeberin die Pionierin der deutschen Frauenbewegung Helene Lange (848930) war. 73 Ebenda, S. 89. 74 Ebenda. 75 Ebenda, S. 90. 285

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stamme, so weit, dass sie gegen Verhütung wütet: Diese sei naturwidrig, degradiere die Hingabe der Frau zum „frivolen Spiel des Alltags“, bedeute das Töten des Lebens, bevor es keimen könne, und verwische die Grenzen zwischen einer Dirne und „dem anständigen Mädchen“. Wenn Beschreibungen der Mütterlichkeit in der Überlieferung nicht oft vorkommen, so nur deswegen, weil sie „selbstverständlich sei“. Dafür sei die Rolle der Frau als Mitkämpferin des Mannes sehr gut dokumentiert. Das Verantwortungsbewusstsein und Heldentum seien Eigenschaften der Germanin, und die Gleichstellung der Geschlechter eine Norm: „Denn einen Geschlechtsehrgeiz oder –neid kannten diese Männer und Frauen, die ihre Arbeit sich gegenseitig so sinngemäß zumaßen, noch nicht“.76 Die deutsche Frau soll Aufgaben erkennen, die ihrem Wesen gemäß sich, nämlich „Seele und Wärme in überpersönliche Dinge“ einbringen.77 Die Kultur der Weimarer Republik sei vom Mann bestimmt gewesen, das habe die Technisierung der Arbeit, die Überschätzung der materiellen Werte und die Entfernung von der Natur verursacht. Der neue Staat solle deshalb auf der Familie gebaut werden. Die Frau soll ihre „Mütterlichkeit“, „ihr lebenswarmes, erd- und naturnahes Empfinden, ihren pflegenden und erhaltenden Sinn“ auch in die Arbeitswelt hineintragen. Baumgart wehrt sich dagegen, das Dritte Reich als „Männerstaat“ zu bezeichnen, und unterstützt damit den Protest anderer nationalsozialistischer Frauen78 gegen Rosenbergs Thesen vom Wesen des Staates: „Die lebensträchtige Keimzelle der Gemeinschaft ist nur die Familie, lebensnotwenig ist die Gesundheit und sittliche Kraft, die von ihr ausströmt. Diese Erkenntnis unterscheidet uns grundlegend vom Bolschewismus“.79

Baumgart betont wiederholt die Rolle der Familie für den neuen Staat und die Notwendigkeit der Einsicht, dass die Frau in der neuen Gemeinschaft eine solche Rolle spielen muss wie früher in der Sippe. Das gestörte Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern könne katastrophal enden. Beide Geschlechter sollten mit ihren „wesenseigenen Kräften“ den Staat aufbauen, es sei an der Zeit, „altgermanische Vorbilder“ wieder zu beleben. In keinem der zuvor analysierten Texte wurde die Frauenfrage so ausführlich behandelt wie in dem Schulungsbrief. Dass dem Hexen-Thema in dieser propagandistischen Zeitschrift ein ähnlich hoher Stellenwert eingeräumt wird wie in Rosenbergs Reden, ist eindeutig dem Anliegen geschuldet, die Integration der Frau in die nationalsozialistische Gemeinschaft zu fördern. Das ganze Heft, sowohl auf der bildlichen als auch auf der Textebene, zielt auf die Be76 77 78 79 286

Ebenda, S. 93. Ebenda. Vgl.: Deutsche Frauen an Adolf Hitler, hrsg. von I. Reichenau, Leipzig 934. Schulungsbrief, S. 96.

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schwörung von Gegensätzen – zwischen dem Germanentum und dem „deutschen Wesen“ auf der einen Seite und dem Christentum, das in Verbindung mit den anderen Feinden, vor allem Juden und Kommunisten, gebracht wird, auf der anderen; zwischen der Erniedrigung der Frau und der ihr angemessenen Stellung. Die Thematisierung der Hexenprozesse, die hier ausschließlich eine propagandistische Rolle spielen, ermöglicht es, die Herabsetzung der Frau in den „feindlichen“ Kulturen zu demonstrieren, die Geschichte als deutschen Kampf um die Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele sowie um „gesunde“ Geschlechterverhältnisse darzustellen. Die Deutung der Hexenprozesse, die man aus den Zitaten herauslesen kann, zielt darauf, ihren christlichen Ursprung, die Vernichtung des Volkes und die Verbrechen der katholischen Kirche herauszustellen. Das Frauenthema, das im Hexen-Diskurs oft entweder dominiert oder verdrängt wird, offenbart hier allerdings nicht nur seinen propagandistischen Wert, sondern auch ein subversives Potenzial. Im Artikel von Baumgart tritt das Inkonsistente der nationalsozialistischen Ideologie zutage – sie ist zu Konzessionen gezwungen, wenn sie im politischen Alltag nicht an Wirksamkeit einbüßen soll. Ansonsten wäre der Text, der zwar rassistisch und hitlertreu ist, aber mit Rosenbergs Ansichten keineswegs vereinbar, hier kaum abgedruckt worden.

Rosenbergs letztes Wort in der Diskussion Abgesehen von der im vorigen Kapitel besprochenen Hexen-Ausstellung gibt es meines Wissens keine Quellen, die bezeugen würden, dass sich Rosenberg auch in späteren Jahren noch ernsthaft mit dem Hexen-Thema beschäftigt hat. Der einzige bekannte Text, der sich auf die Mythus-Debatte bezieht, steht im Zeichen eines Weltanschauungskampfes und erwähnt weder Frauen noch Hexen. In Rosenbergs Tagebucheintrag vom 22. August 939 ist zu lesen: „Vorgestern war ich 3 Stunden bei Göring. Er hatte meine Abhandlung über Weltanschauung und Religion gelesen und begann plötzlich eine eingehende religiöse Aussprache, Kerrl hatte ihn offenbar bestürmt und Göring wollte sich selbst Klarheit über alle Konsequenzen verschaffen: „Sie sind nächst dem Führer der einzige, der diese Fragen fundiert behandelt hat, ich möchte wissen, was Sie denken.“ Ich führte näher aus, was in der Abhandlung niedergelegt war, betonte, dass wir den Kirchenversuchen entgegentreten müssten, ihre Konfession mit Gottgläubigkeit gleichzusetzen. [...] Göring: Glauben Sie, dass also das Christentum zu Ende geht und später eine neue von uns bedingte Form entsteht? Ich: Jawohl! Nach den Abbröckelungen aller Art wird das christliche Wertsystem schon nicht mehr innerlich anerkannt. Gö-

287

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ring: Das will ich wissen. Ich werde unter vier Augen den Führer fragen müssen, was er zuinnerst will. Sie wissen, er hat manches Entgegenkommende gesagt“.80

Diesem Bekenntnis zum Kampf gegen das Christentum folgen Einträge mit vielen aufgeregten bußerungen über die Kirche, die ihre Position ausbaue, die Seelensorge der Soldaten kontrollieren möchte, oder über Priester, die gegen den Krieg predigen, selbst an der Front. Nicht immer scheint sich Rosenberg der Einstellung Hitlers zum Kampf gegen die Kirche sicher zu sein. Deshalb versucht er wiederholt, ihm Zustimmung zu seinen eigenen Ansichten zu entlocken. Am 9. Januar 940 schreibt er: „Auf den Hinweis, die Nachwelt werde die religiöse Stellungnahme des Führers nicht kennen, da er sich nicht äußere, sagte er: Nun, das könne man doch. Nie habe er auf einer Parteiversammlung oder Beerdigung von Pg. einen Geistlichen zugelassen. Die christlich-jüdische Pest gehe jetzt wohl ihrem Ende entgegen. [...] Der Führer sagte, es sei natürlich auch ein harter machtpolitischer Eingriff denkbar; aber nur dann, wenn Deutschland außenpolitisch vollkommen unabhängig sei. Sonst könnte die doch entbrennende innerpolitische Auseinandersetzung uns die Existenz kosten“.8

Rosenberg legt dieses Gespräch positiv für sich aus, empfindet es aber auch als ein Zeichen, dass er sich noch gedulden muss. In der Hoffnung, dass Hitler schon bald offiziell für ihn Partei ergreifen und die endgültige Kampagne der nationalsozialistischen Bewegung gegen die Kirche starten wird, formuliert er seine Vorstellungen noch einmal in einem Aufsatz: Weltanschauliche Thesen. Das Vorwort ist mit Juli 939 datiert und erklärt seine Motive und Absichten: „Die erneuerte Aktivität der Priesterschaften der ganzen Welt wiederum versucht, durch eine neue ‚Gegenreformation’ den verlorenen Boden auf ‚kulturellen’ Umwegen wiederzugewinnen. Da erschien es doch notwendig neben der harten Verteidigung auch die positive Haltung herauszuarbeiten“.82

Der Text besteht aus einer Zusammenfassung und Zuspitzung der MythusThesen zum Unterschied zwischen den germanischen und den christlichen Werten. In diesem Zusammenhang definiert Rosenberg auch den Unterschied zwischen Religion und Konfession:

80 A. Rosenberg, Das politische Tagebuch, a.a.O., S. 74. 8 Ebenda, S. 97-98. 82 Ebenda, S. 97. 288

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„Religion heißt: seelische Bindung eines Menschen oder eines Volkes an ein über diesem Leben stehendes Göttliche. Religion ist also ein Teil der gesamten weltanschaulichen Haltung. [...] Konfession bedeutet die Summe der Zwangsglaubenssätze (Dogmen) einer bestimmten Kirche“.83

Dank dieser Definition kann Rosenberg den Kampf gegen die Kirche als konfessionelle Institution im Namen einer deutschen Religiosität weiterführen. Er versucht, die Zweifelnden zu gewinnen, indem er den Bankrott der Kirchen erklärt und versichert, wer sich für das Volk opfere, könne nicht im Widerspruch zur Religion stehen. Er wiederholt seine These, dass nicht das Christentum Deutschland die Kultur gegeben hat, sondern in den christlichen Meisterwerken der deutsche Geist zu Wort kam. Jetzt sei es an der Zeit, die deutschen Werte wieder in einer rassenbewussten Gemeinschaft zu leben: Die Sippengemeinschaft sei der höchste Wert. Statt christlicher Liebe solle man Kameradschaft praktizieren, nicht den Fluch, sondern die Ehre der Arbeit müsse man lehren. Noch einmal verurteilt er das magische Weltbild der Juden und Christen: „Je mehr einer an Wunder glaubt, umso weniger Religion hat er. Darum ist der Jude ein religionsloser Mensch; und der verjudete Christ täuscht sich über seine religiöse Armut mit der Fülle alttestamentlichen Erzählungen und neutestamentlichen magischer Legenden hinweg. Der die Messe zelebrierende Priester steht religiös auf der gleichen Stufe wie der afrikanische Medizinmann. [...] Er hat mit allen Kräften das Entstehen einer naturforschenden Wissenschaft mit Gift, Kerker und Scheiterhaufen zu verhindern versucht“.84

Die Geschichte der Hexen- und Ketzerprozesse sei eine einzige Anklage des Christentums, sie warne vor der Entartung der deutschen Weltanschauung und weise den Deutschen den Weg in die Zukunft: „Die Anerkennung des Volkstums hat der europäische Geist über alle Scheiterhaufen hinweg dem Christentum abgerungen. Heute sitzt dieses Christentum auf der Anklagebank der Geschichte Europas. Aus der „Madonna“ hat der europäische Künstler Mutter und Kind gemacht; aus der Jungfräulichkeit das Gleichnis völkischer Fruchtbarkeit. Die Verehrung dieses Symbols bedeutet die fortschreitende Entthronung der Mönch- und Nonnenkonfession auch durch die Kunst. [...] Die Frau ist nicht mehr ein Geschöpf des Satans, sondern gleichberechtigte Lebenskameradin des Mannes“.85

83 Ebenda, S. 99. 84 Ebenda, S. 209. 85 Ebenda, S. 22. 289

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Mit dem Versprechen, die Harmonie zwischen Geist, Seele und Körper wieder herzustellen und der Frau ihre Würde und „ihren“ Platz in der Gesellschaft zurückzugeben, verbindet Rosenberg den Sieg über den Geist der Scheiterhaufen. In diesem Kampf-Aufruf kann sogar – im Namen höherer Ziele – die Formulierung „gleichberechtigt“ bezüglich der Frau angewendet werden. *** In der Diskussion über Rosenbergs Mythus fällt hinsichtlich des HexenThemas auf, dass sich mit Ausnahme Millers die Autoren der theoretischen Traktate ähnlich wie Rosenberg selbst vor allem auf die Unterschiede zwischen der christlichen und der germanischen Kultur sowie deren unterschiedliche Magieauffassungen konzentrieren und auf die Kontinuität zwischen den Hexen- und Ketzer-Anklagen hinweisen. Das Hexen-Thema dient ihnen als Auslöser einer Polemik, es ist nicht ihr zentraler Gegenstand. Auf die Thematisierung des Hexenwahns durch die katholische Seite selbst reagiert nur Miller mit Ausführungen über die Opfer. Aber auch er verfolgt damit eine Strategie: Weil er es nicht für möglich hält, Rosenbergs Argumente wissenschaftlich zu begründen, konzentriert er sich auf dieses Thema, dessen propagandistischen Wert er erkannt hat und das schwer zu ignorieren ist. Frauen und Hexen stehen im Mittelpunkt des Schulungsbriefes, der sich an eine breite Leserschaft wandte. Sie werden als Opfer thematisiert, aber vornehmlich um ihre Rolle in der Gesellschaft zu erörtern und ihren Tod als Tod der Mütter der Nation ausschlachten zu können. Sexualität wird sowohl von der Kirche als auch von den nationalsozialistischen Autoren angesprochen, um die Gegenseite zu diskreditieren: Der Gegner ist immer pervers und krankhaft. Ein Zitat von Miller dokumentiert, wie solche Vorwürfe auf der nationalsozialistischen Seite konstruiert werden: „Wo die christlichen Sittlichkeitsbegriffe sich durchsetzten, da finden wir als Folge auch sofort die Geschlechtskrankheiten und eine weitere abendländische Kulturerrungenschaft: die alte Jungfer, die sonst kein Naturvolk kennt“.86

„Christliche Sittlichkeit“ wird zum Synonym für Sittlichkeitsverfall. Dieser bedrohe die Gesundheit des (erotisierten) Volkes durch „Geschlechtskrankheiten“ und gefährde seine „biologische Existenz“ durch die „widernatürliche“ Verherrlichung der Jungfräulichkeit, durch die „verlogene Moral“, die der „artbewussten“ Mutterschaftsberufung im Wege stehe.

86 A. Miller, a. a. O., S. 65. 290

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Sowohl das katholische als auch das nationalsozialistische Lager behandeln Rosenberg in der Mythus-Debatte als Vorkämpfer und Verkünder einer neuen Religiosität. Indem die Anhänger Rosenbergs die Geschichts- und andere Wissenschaften instrumentalisieren und die nationalsozialistische Ideologie in die Vergangenheit, auch in die Geschichte der Hexenprozesse, projizieren, versuchen sie, den neuen Staat historisch und mythisch zu legitimieren. Das mythische Geschichtsbild sollte als Fundament einer Ersatzreligion bzw. als Grundlage für die Erarbeitung kultischer Formen der Politik dienen: Es verleiht dem Leben in der Gemeinschaft einen Sinn, stiftet ein Ideal, das die Menschen anstreben sollten. Da erst die Integration in eine Glaubensgemeinschaft eine kollektive Identität ermöglicht, wollten die NS-Ideologen dem Glauben zum Sieg verhelfen, dass „das nordische Blut jenes Mysterium darstellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat“.87 Beide Seiten der Auseinandersetzung betreiben bewusst „eine Wissenschaft mit Voraussetzungen“, gleichwohl berufen sie sich auf ihre „Objektivität“, auf die objektive Wahrheit, und erheben einen absoluten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Ein klares Feindbild ist jedoch keineswegs hinreichend für die Schaffung eines einheitlichen ideologischen Programms. Die Unterschiede bezüglich der Religiosität, des Geschlechterverständnisses, des „Wesens“ der Germanen, die in der Behandlung des Hexen-Themas durch die Kreise um Himmler und Rosenberg deutlich wurden, enthielten ein subversives Potenzial, wie in der Auseinandersetzung zwischen Otto Höfler und Bernhard Kummer besonders krass zum Ausdruck kam. Das folgende Kapitel beschreibt diesen Disput.

87 Mythus, S. 4. 291

Wozu braucht man die Hexen? Die Kontroverse zw isc he n Bernha rd Kummer und Otto Höfler über verschiedene Visionen des Nationalsoz ialis mus

Die Diskussion über den Hexenwahn im Dritten Reich war ein Bestandteil eines Prozesses, in dem eine aus der Germanen-Geschichte legitimierbare „Volksgemeinschaft“ ausgehandelt werden sollte. Bereits 934 versuchten sowohl Himmler als auch Rosenberg, die Germanen-Forschung zu institutionalisieren: Beider gründeten jeweils ihr eigenes Institut für die Urgeschichtsforschung und bemühten sich, möglichst viele Wissenschaftler für sich zu gewinnen. Rosenbergs Institut nannte sich „Arbeitsgemeinschaft für deutsche Volkskunde“, Himmler rief das „Ahnenerbe“ und den H-Sonderauftrag ins Leben. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges erklärten beide ihre Institute für „kriegswichtig“ und strebten danach, im Rahmen des „Kriegsansatzes der Geisteswissenschaften“ ihre Einflusszonen zu erweitern. Anfangs gab es unter den Mitarbeitern noch sporadische Kooperationen, doch schon bald dominierten Kompetenzgerangel und Konkurrenz um Fördermittel und exklusiven Zugang zu Archiven die Beziehungen zwischen den Einrichtungen, wie man den Dokumenten des H-Sonderauftrags entnehmen kann.2 Die For

2

Vgl.: H. Lixfeld, Aufstieg und Niedergang von Rosenbergs Reichsinstitut für Deutsche Volkskunde, in: Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jh., hrsg. von W. Jacobeit, Wien 994, S. 269-294. Die Initiative zum „Kriegseinsatz“ ging nicht von staatlichen oder parteiamtlichen Stellen aus, sondern kam aus den Geisteswissenschaften selbst, die nach Beginn des Krieges ihren Beitrag für den deutschen Sieg nachweisen wollten. Vgl. dazu: Frank-Rutger Hausmann: „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die "Aktion Ritterbusch (940-945), Dresden, 998. Mehr zu diesem Thema: H. Lixfeld, Rosenberg „braune“ und Himmlers „schwarze“ Volkskunde im Kampf um die Vorherrschaft, Wien 994. 293

HEXEN UND GERMANEN

schungsansätze unterschieden sich zwar partiell, doch im Endeffekt zeigte die Art der Instrumentalisierung des Hexen-Themas weitgehend ähnliche Züge. In der Auseinandersetzung zwischen Bernhard Kummer, der Rosenberg näher stand, und Otto Höfler, der durch Himmler favorisiert wurde, kommen ideologische Paradoxien und Gegensätze besonders deutlich zum Vorschein. Im Streit über das Wesen der alten Germanen versuchte Höfler die These durchzusetzen, dass die kriegerischen germanischen Männerbünde, die zwar Hexen bekämpft hätten, denen aber das Irrationale nicht fremd gewesen sei, als der Prototyp der deutschen Gemeinschaft anzusehen sind. Kummer, der Herausgeber der Zeitschrift Nordische Stimmen. Zeitschrift für nordisches Wesen und Gewissen, ging dagegen davon aus, dass der deutsche Lebensstil in der friedlichen Ordnung der Sippe begründet sei, und stritt vehement ab, dass die Germanen an Dämonen geglaubt hätten. Die Kontroverse verlagerte sich schnell auf die politisch- ideologische Ebene, auf der die Hexen nur noch eine marginale Rolle spielten und sich der Streit hauptsächlich um das offizielle Germanenbild und damit um die Gestalt der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft drehte. Sowohl Kummer als auch Höfler kamen aus dem Universitätsmilieu. Sie hatten ihre Karrieren begonnen, noch bevor Hitler an die Macht kam. Obwohl sie das Regime aktiv unterstützt hatten, blieben sie auch nach dem Krieg im Schulwesen bzw. in der Wissenschaft tätig. Höfler war ein Schüler von Rudolf Much, dem er sein Buch widmete und dem auch Himmler geneigt war. Kummer stand, ähnlich wie Rosenberg, eher in der Tradition der Wiener mythologischen Schule um Leopold von Schroeder. In den bisherigen Ausführungen spielten Höfler und Kummer schon wiederholt eine Rolle. Auf Höfler hatte sich Hans Bauer in seiner Arbeit Vom Hexenwahn berufen, als er nach Beispielen für die Aufnahme des Dämonischen in das Brauchtum und den Nachweis zu führen suchte, dass die Kontinuität des alten Glaubens in den Hexenbräuchen überdauert habe. Auf Höfler berief sich auch Günther Franz, der „Abwickler“ des H-Sonderauftrags, der zwar mit den Hexen nicht viel anfangen konnte, dafür aber von den wütenden Männerbünden als dem Ursprung der germanischen Kultur schwärmte. Höfler war auch derjenige, der Levins Habilitationsthese vom nicht-germanischen Charakter der Hexenprozesse, und damit indirekt die Thesen des H-Sonderauftrags, entschlossen abgelehnt hatte. Seine Theorien wurden wiederum von Mudrak in Frage gestellt, der Rosenberg verteidigte, in Kummers Schriftenreihe Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken publizierte, und Kummer als großen Spezialisten für das Germanentum pries. Auch andere Anhänger Rosenbergs beriefen sich auf Kummer, insbesondere, wenn es um das Frauenthema ging. Auch der von Rosenberg kontrollierte Schulungsbrief zitiert ihn.

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WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

Die Allianzen Rosenberg–Kummer und Himmler–Höfler muten im ersten Augenblick sonderbar an. Wie kam es dazu, dass Kummer, der in SippenKategorien dachte, die germanische Frau idealisierte und für die verbrannten Hexen eintrat, sich auf Rosenberg berufen konnte? Warum nahm Rosenberg, der die Grundlage des Staates in Männerbünden und nicht der Familie sah, die „formlose“ Weiblichkeit als ein feindliches Element betrachtete, das gezähmt werden müsse, und den die Hexenprozesse nur als ein propagandistisches Vehikel interessierten, auf das er wohl oder übel zurückgreifen musste, Kummer in Schutz? Wie konnte Himmler, der der Familie und der Frau so eine wichtige Rolle für den Erhalt „gesunder“ Geschlechtverhältnisse zuschrieb, Partei für Höfler und dessen Männerbünde ergreifen? Aus welchen Gründen förderte er einen frauenfeindlichen Wissenschaftler, der den ungermanischen Charakter des Hexenwahns bestritt, obwohl für ihn selbst die Hexenprozesse ein christliches Verbrechen an der deutschen Nation waren? Die folgende Analyse stützt sich hauptsächlich auf zwei Texte – Kummers Midgards Untergang (927) und Höflers Kultische Geheimbünde der Germanen (934). Als ergänzende Dokumente der Auseinandersetzung werden Kummers Beitrag Frau/ Weib für das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (929/30), Germanenkunde im Kulturkampf (935), Priester Europas wahrt Eure heiligsten Güter! (935) und Höflers Der germanische Totenkult und die Sagen vom wilden Heer (936), Das germanische Kontinuitätsproblem (938) sowie Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit (943) mit einbezogen.

Saga gegen Edda – Höflers und Kummers Au s g a n g s p u n k t e f ü r d i e B e s c h r e i b u n g d e r germanischen Religiosität Im Vorwort zur zweiten Auflage von Mitgards Untergang,3 die 937 erschien, äußert sich Kummer zu Einwänden von Kritikern, seine Arbeit sei unwissenschaftlich und leide an Idealisierungstendenzen. Kummer präsentiert sich selbst als einen „wissenschaftliche[n] Kämpfer“ für die Nation, positioniert sich mit Kampfmetaphern im Zentrum eines Weltanschauungskampfes und hält seinen Kritikern Mangel an politischem Verständnis entgegen. Sie stünden dem ideologischen Kampf des deutschen Volkes fern und es mangele ihnen – sein Lieblingsargument in der weiteren Diskussion – an Rassenbewusstsein. Mit dieser Kritik an seinen Kritikern definiert Kummer die Zwecke und Sanktionierungsmethoden der Wissenschaft. Wissenschaft habe „rassen3

B. Kummer, Mitgards Untergang. Germanischer Kult und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten, Leipzig 937. Das Buch hatte Erfolg beim breiten Publikum (vgl. Hans-Jürgen Lützhöft, Der nordische Gedanke in Deutschland 920-940, Stuttgart 97), 972 erschien die 5. Auflage. 295

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bewusst“ zu sein, sie müsse im Kampf wie eine Waffe einsetzbar sein und in jeder Hinsicht dem „Wohl des Volkes“ dienen: „Der vergiftende Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit oder irgendeiner Idealisierungstendenz ist rasch erhoben, wo man abseits von der völkischen Front ein Lexikon nach der nordischen Seele fragt. So berichtigt man keine Fehler, die andere im Frontdienst begehen. So dient man keiner Wissenschaft in einem kämpfenden Volk. Diese Heimkrieger der Wissenschaft haben Schuld an der Verjudung und Volksentfremdung unserer Universitäten. [...] Was Wissenschaft ist und mit welchem Maßstab man sie misst, das entscheidet der jeweilige Fachmann und des Volkes Notwendigkeit; beide gemeinsam“.4

Der Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit, den Kummer hier als „vergiftend“ bezeichnet, bekommt in seiner Darstellung den Charakter einer Diversion. Die „parteitreue Wissenschaft“, die er vertrete, solle man in ihrer von anderen Wissenschaftlern bedrohten Existenz unterstützen. Er fühle sich als Germanist dazu berufen, nach der „Seele der Ahnen“ zu suchen, und schildert diese Suche als „Frontdienst“, als ständiges Bemühen, die „einzige“, immer noch unterschätzte „Wahrheit“ von den Germanen, die er entdeckt habe, im „kulturpolitischen Kampf“ zur Geltung zu bringen. Die im Dritten Reich weit verbreitete und unterstützte Vorstellung von der Dienstrolle der Wissenschaft, das Bedürfnis, die eigene Wissenschaftlichkeit trotz der offenkundigen Instrumentalisierung zu verteidigen, zieht sich wie ein roter Faden durch Kummers Texte. Er wütet gegen jeden, der „neue germanische Mythologien“ schreibt, die seinen Konzeptionen widersprechen, gegen alle, die das „Deutschtum“ der Wissenschaft „unterwandern“. Trotz seiner Vision von der friedlichen germanischen Kultur benutzt er eine kämpferische Rhetorik, konstruiert das Bild des bedrohten, zu verteidigenden Deutschland, betont ausdrücklich sein Rassenbewusstsein und praktiziert die Idee des Kriegseinsatzes der Wissenschaft. Der Ausgangspunkt für Kummers Rekonstruktion der germanischen Welt sind die Sagas der Isländer, die nach seiner Überzeugung trotz mancher fremden und christlichen Einflüsse mehr vom Leben und Kult der heidnischen Germanen verraten als die poetische Edda, die er für ein von den Romantikern konstruiertes Zeugnis einer fiktiven Religion hält. Die Götter der Edda werden mit Homers Göttern verglichen, beide seien von den Dichtern erschaffen worden:

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Ebenda, S. 9.

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

„Die Edda ist kein Glaubensbuch gewesen. Sie ist eine wertvolle, aber späte, christliche Zusammenstellung von Götter- und Heldenliedern aus dem Erbe vieler bücherloser Jahrhunderte, und deshalb niemals ein heidnisches Bekenntnisbuch“.5

In seinen Schriften stützt sich Kummer auf Wilhelm Grönbech, der die Sagas zur Rekonstruktion der Glaubenswelt der Germanen benutzte, und folgt dessen Empfehlung, die Natur der Bekenner einer Gottheit zu studieren, um den Charakter der Gottheit richtig zu erfassen. Die Isländersagas betrachtet Kummer als ein glaubwürdiges geschichtliches Zeugnis, welches das Wissen vom Leben und Glauben des nordischen Menschen unverfälscht vermittelt, als poetischen Spiegel dessen Wesens: „Sie ist nicht die Literatur in unserem Sinne, nicht eine Kunst, die sich dem Leben entwindet, um Form zu werden. Sie ist Lebensabbild, Lebenskunde, den Kündern im Erzählen zur Kunst geworden und gibt schlichteste Wiedergabe der Zustände und Geschehnisse neben reifster Durchgestaltung des Stoffes zur dramatischen Novelle“.6

Kummer bekennt sich zur Freiprosatheorie, nach der die Sagas Produkte der mündlichen Überlieferung sind.7 Er bestreitet nicht den Einfluss der Schreibenden auf die endgültige Gestalt der Sagas, attestiert aber den Sagas hohe historische Zuverlässigkeit, ohne zwischen erzählter Wikingerzeit und mittelalterlicher Erzählzeit zu differenzieren. In den Sagas finde man das vollständige Bild des germanischen Lebens in allen seinen Erscheinungen, „jeder Sagaheld und, was noch seltener ist in der Weltliteratur, jedes Weib [ist] ein ganzer Mensch und trägt alle Elemente des Lebens in sich, die seine Zeit in sich trug“.8 Auf der Basis dieser Schilderungen beabsichtigt Kummer, die Entwicklung des germanischen Glaubens zu verfolgen. Schon in diesen theoretischen Überlegungen hebt er die besondere Position der Frau in der deutschen Kultur hervor. Wie fast alle Germanenforscher im Dritten Reich beruft sich Kummer auf die Germania von Tacitus als eine historische Quelle und als Beweis für die ursprüngliche sittliche Größe der Germanen. Gemeinsam mit Rosenberg beklagt er die Tatsache, dass die Deutschen sich so lange ausschließlich auf südliche Kultur konzentriert hätten: Die Klassiker träumten nur von Hellas und selbst die Romantiker wollten, nachdem sie so viel für den Norden getan ha-

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Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 22. Vgl. A. Heusler, Die Anfänge der isländischen Saga, 93; S. Würth, Isländersagas, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 5, Berlin 2000, S. 5-57. B. Kummer, Mitgards Untergang, a.a.O., S. 23. 297

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ben, „heim“ nach Rom und wurden katholisch. Das, was man von der germanischen Mythologie relativ gut kenne, sind die Edda, Walhall,9 und Heldensagen. Doch die seien ein „Danaergeschenk“ der Romantik, ein „Germanentraum“, kein Germanenleben.0 Die Versuche, diese nie gelebte Religiosität als die Religion des neuen Deutschland einzuführen, bieten nur den Gegnern des Nationalsozialismus, so Kummer, Gelegenheit, die Deutschen als primitive Barbaren zu verspotten. Die antiromantische und zugleich antichristliche Einstellung kommt bei Kummer als Bestimmung seiner „Kampfposition“ zum Ausdruck, wenn er den Mangel an Besprechungen seines Buches damit erklärt, dass „ein romantisch-antiliberaler Einschlag in unserer Gegenwart eine neue Abneigung gegen die freiheitliche Haltung des Buches und gegen den Widukindgeist des altisländischen Volksglaubens“ schafft.2 Es sei das Ziel seiner Arbeit, „auf Grund der Isländersagas eine Entwicklung des Glaubens oder der religiösen Einstellung der letzten heidnischen Jahrhunderte, ein Stück germanischer Religionsgeschichte, und zwar das letzte und für uns wichtigste, sichtbar zu machen“.3 Kummer geriert sich als wissenschaftlich fundierter Erneuerer der deutschen Religiosität: Die germanische Religion, die von der Gemeinschaft der Sippe, der Familie getragen wird, soll der kritischen christlichen Beurteilung der Germanen als primitive Barbaren entgegengestellt werden und seinen Landsleuten den Weg zeigen zur „neuen, innerlichen Bindung nur an das ererbte, fromme deutsche Gemüt, 9

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Walhall ist in der germanischen Mythologie der Ruheort der in einer Schlacht gefallenen mutigen Kämpfer, eine prächtige Halle in Odins Burg in Asgard. Die Walküren führen die Helden zu Odin. Tagsüber messen sich die toten Kämpfer im Zweikampf oder jagen ein mythisches Wildschwein, das allabendlich wieder zum Leben erwacht. Abends vergnügen sich die Kämpfer bei Bier und Met, welches ihnen die Walküren reichen. Nach: Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart, 984, S. 454f. Vgl.: B. Kummer, Germanenkunde im Kulturkampf, Leipzig 935, S. 3. Am Beispiel einiger Texte evangelischer Autoren, zeigt Barbara Schier, dass seine Befürchtungen gar nicht so unbegründet waren, vgl.: B. Schier, a.a.O, S.83f. Kummer, Midgards Untergang, a.a.O., S. 22. Widukind war der bedeutendste Gegenspieler Karls des Großen und leistete Widerstand gegen die überlegenen Franken und das Christentum. Im Nationalsozialismus entstanden viele Bücher über ihn: Fritz Vater, Weking. Die Saga vom Heldenkampf der Niedersachsen, Zentralverlag der NSDAP – Verlag Franz Eher Nachf. G.m.b.H., München 938; Wilhelm Weitz, Vom sächsischen Volksführer Widukind und der Kultstätte Enger. Eine kurzgefaßte, für alle deutschen Volksgenossen verständliche Einführung in die kämpferische Vergangenheit des Widukindlandes, Herausgegeben von der Stadt Enger in Westfalen, Enger, Bielefeld 938; Heinar Schilling, Widukind. Eine Historie, Widukind-Verlag / Alexander Voß, Berlin 94; Klemens Lorenz, Widukind, der Sachsenheld. Für den Schulgebrauch im Dritten Reiche bearbeitet von Kl. Lorenz. Schriften zu Deutschlands Erneuerung, Verlag von Heinrich Handel, Breslau, ohne Jahr. B. Kummer, Midgards Untergang, a.a.O., S.23.

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

das seines Gottes gewiss ist“.4 In der Religion der Ahnen, in den Sagas, wird nach dem Weg zu einer eigenen Religiosität gesucht, die den Deutschen zu einer neuen, zeitgemäßen „Volksgemeinschaft“ verhelfen solle. Die Begriffe „Sippe“ und „Saga“ bringen die Kontroverse zwischen Kummer und Höfler auf den Punkt. Die Gemeinschaftsform, die Höfler im Gegensatz zu Kummer als typisch germanisch propagiert, ist durch kriegerische Verbände, Ahnen und Ekstase geprägt und in den kultischen Bräuchen zu finden. Sie wird durch Männerbünde, nicht durch die Sippe konstituiert. Höfler findet Inspiration in Heinrich Schurtz Buch Altersklassen und Männerbünde, das die Vereinigung der wehrhaften Männer als den Ursprung der eigentlich staatlichen Kräfte und Gemeinschaftsformen behandelt.5 Er bedankt sich auch bei der von Kummer kritisierten Lily Weiser, insbesondere

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Ebenda, S. 7. H. Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft, Berlin, 902. Heinrich Schurtz hat 902 den Begriff „Männerbund“ benutzt, um die Inititiationsrituale in Ostafrika zu beschreiben. Aus einem Zusammenschluss der Jungen für Initiationszwecke soll sich eine frauenlose männliche Vereinigung entwickelt haben. Sie, und nicht die Familie, sei der Anfang jeder höheren gesellschaftlichen Entwicklung. Ein Männerbund ist eine Schwurgemeinschaft von Männern, die ein bestimmtes gemeinsames Ziel haben. Das Miteinander in einem Männerbund wird durch bestimmte feste Rituale und Regeln bestimmt, oft gibt es eine hierarchische Ordnung. Die Zugehörigkeit zum Männerbund wird häufig durch äußerliche Erkennungsmerkmale angezeigt (z.B. Symbole, bestimmte Kleidung, Haartracht, Tätowierungen). Frauen sind aus Männerbünden generell ausgeschlossen. In der Zeit des Modernisierungsprozesses, der die traditionelle Ehe und Arbeitsteilung erschüttete, fand diese Theorie großes Echo. Zum männerbündischen Denken trug wesentlich Hans Blüher (888–955) bei, der den von Schurtz vertretenen Antifeminismus durch Antisemitismus ergänzte. Er vertrat die These, dass die Grundstrukturen des Staates und der Gesellschaft aus männlichen, sich auf den homoerotischen Eros stützenden Freundschaftsbeziehungen bestehen. Diese Männerbünde seien keine Zweckorganisation, sondern eine Schicksalsgemeinschaft. Nationalsozialistische Gruppen wie die SA und SS griffen auf diese Idee – SS mit Ausschluss der Homoerotik – zurück. In der Geschichte gab es viele Gruppen, die bei Schurtz und in seiner Nachfolge als Männerbünde bezeichnet wurden. Meist waren das die Priesterschaften und Kriegergruppen (z.B. Berserker, Ritterorden), oft auch männerbündlerisch organisierte Händlergemeinschaften (z.B. Hanse). Moderne Männerbünde sind z.B. Studentenverbindungen. Zudem wird seit den 970er Jahren der Begriff Männerbund bzw. männerbündische Gesellschaft im Feminismus benutzt, um polemisch Strukturen zu beschreiben, in denen Männer durch direkte und indirekte Ausschlussverfahren Frauen den Zugang verwehren (z.B. im Bezug auf Politik, Armee, Universität). Mehr dazu: U. Brunotte, Ritual und Erlebnis. Theorien der Initiation und ihre Aktualität in der Moderne, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 52. Jahrgang, Heft 4, S. 349-367; dieselbe, Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Berlin, 2004. 299

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für ihr Buch Altgermanische Jünglingweihen und Männerbünde von 927.6 Höfler versucht, die Geschichte der germanischen Männerbünde in der Edda und in den kultischen Bräuchen der Vergangenheit und der Gegenwart aufzuspüren. Besonders verpflichtet fühlt er sich Rudolf Much, der seine Schüler in eine Germanistik eingeführt habe, „die zur Geschichte hindrängt, weil sie im Sinne Jacob Grimms Wissenschaft vom Volk sein will“.7 Die Entstehung der Germanistik und Volkskunde legt er in die Romantik – „eine völkisch gefährdete Zeit“.8 Die „Gefährdung“, die Höfler nicht näher bestimmt, soll bei den Romantikern das Interesse für die germanische Kultur geweckt haben. Von der Gegenwart, in der Deutschland ebenfalls von undefinierten Kräften bedroht sei, erhofft er sich eine ähnliche Wiedergeburt der Germanenforschung. Die Idee der Kontinuität in der Geschichte des germanischen Kulturkreises sei wieder lebendig, Walhall und Heldensagen werden untersucht, Edda, in der die „tragische Gesinnung“ der Germanen Ausdruck gefunden habe, kommentiert, Mythen mit Volksbräuchen und Volksüberlieferungen verglichen. Im Gegensatz zu Kummer ergreift Höfler Partei für die deutsche Romantik, deren Bemühen, auch „dämonische Seiten“ des Lebens zu ergründen, er fortsetzen möchte. Er betrachtet diese „dämonischen Seiten“ als einen Teil des „germanischen Wesens“, den man nicht ablehnen kannn, ohne das „deutsche Wesen“ in Frage zu stellen:

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L. Weiser, Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde. Ein Beitrag zur deutschen und nordischen Altertums- und Volkskunde, Bühl (Baden) 927. Weiser löste die Initiation der Jungen aus der gesellschaftlichen Struktur, um sie als ekstatisches Erlebnis des Ergriffenseins zu beschreiben: Die neuen Krieger verschmelzen im Initiationsprozess mit den kriegerischen Ahnen. Die rituellen Verwandlungsekstasen lieferten ihr zufolge den Stoff für alle Sagen vom Toten Heer, der Wilden Jagd. In diesem grausamen Totentanz sah sie im Gegensatz zu Höfler auch einen Kampf zwischen den Generationen, einen Kampf um „die Herrschaft der Männer den Frauen gegnüber“ (L. Weiser, Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde, a.a.O., S.23). und untersuchte nicht nur germanische, sondern auch asiatische Extaseformen. Ausserdem entdeckte sie in den Extasen der Männerbünde einen Bezug zu dionysischen Ritualen, weiblichen Gottheiten, auch „ekstatisch erregte Frauen“ (ebenda, S. 52) und Orgien kommen bei ihr in diesem Zusammenhang vor. O. Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen, Frankfurt/M. 934, S. XI. Nur der .Band liegt vor. Die anderen zwei hätten umfassen sollen: . Geschichte des Kultes und der ihn tragenden Verbände, in denen die dämonischen Elemente weiter existieren. Der Beweis, dass die neuen kultisch-sozialen Formen aus dieser alten Vorstellung herkommen, könne von Bedeutung für das Problem der Einheit der deutschen Geschichte sein. 2. der Beweis, dass das deutsche Volksdrama aus dem männerbündischen Brauchtum entstanden sei. O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, S. , zit. nach: http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/hoeflerprobleme.pdf

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

„Hier steht die Frage zur Entscheidung, ob eine Erscheinung des historischen Lebens der leichtbeweglichen Oberfläche angehöre oder ob sie aus dem schweren, ernsten Lebensgrund erwachsen ist, den die gehöhnte Romantik die ‚Seele’ des Volkes genannt hat“.9

Im Vorwort zu seinem Buch Kultische Geheimbünde der Germanen charakterisiert Höfler das Ziel seiner Arbeit als Rekonstruktion einer kultischen Lebensform, die – wie in der Vergangenheit, so auch in der Gegenwart – die treibende Kraft der deutschen Geschichte sei: „Diese Arbeit handelt von Gegenständen, die weit auseinander zu liegen scheinen: von den germanischen Totenmythen und von Kulten ekstatischer Ergriffenheit, von kriegerisch-politischen Verbänden, die in uralten Zeiten wurzeln, aber bis in späte Epochen lebendig bleiben, von der religiösen, sozialen und geschichtlichen Bedeutung dieser Bünde und von der Entstehung des deutschen volkhaften Dramas. Die vorliegende Untersuchung strebt ein Gebiet zu umschreiben und zu durchforschen, in dem scheinbar so verschiedenartige historische Gebilde ihren gemeinsamen Ursprung haben – eine Lebensform, bei der kultische und Gemeinschaftskräfte in unauflösbarer Einheit zusammenwirken“.20

Höfler kündigt an, Beweise dafür zu erbringen, dass Mythen mehr als poetischer Ausdruck der Naturerscheinungen seien. Er will zur Überwindung der „positivistischen Deutungsweise“ der deutschen Mythologie beitragen, nach der jede Religion eine „Seelenstörung“ und Volksüberlieferungen nur „unsinniger Aberglaube“ seien.2 Er hofft, damit der Missachtung der „heroischekstatischen, ethisch streng verpflichtenden Verbundenheit der Lebendigen mit ihren verehrten Toten“ – manchmal benutzt er die Bezeichnung „heroisch-dämonischen“ – entgegenzuwirken, die er als Grundlage der germanischen Kultur versteht.22 In seinem Text findet man weniger direkte politische Deklarationen als bei Kummer, weniger offene Kampfansagen. Das zeugt jedoch keineswegs von einer geringeren Kampfbereitschaft und oder schwächerem Engagement: Höfler scheint sich vollkommen auf sein Forschungsobjekt zu konzentrieren, als ob seine Bestimmung der Quellen der politischen Strukturen der Germanen ihn selbst an die Quelle der Macht führen würde. In persönlichen Auseinandersetzungen agierte er nicht weniger entschlossen als Kummer.

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O. Höfler, Kultische Geheimbünde, a.a.O., S. 53. Ebenda, S.VII. O. Höfler, Der germanische Totenkult und die Sagen vom wilden Heer, in: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde, 0(936), S. 49. O. Höfler, Kultische Geheimbünde, a.a.O., S. VIII. 301

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Der germanische Hexenglauben als Begleiterscheinung des Untergangs der Germanen. Kummers Sicht auf das Hexen-Thema Kummer baut sein Germanenbild auf die für die nordische Mythologie charakteristische Unterscheidung zwischen der menschlichen Welt, Midgard, die er von Wilhelm Grönbech übernommen hat. Diese Unterscheidung basiert auf den Gegensätzen zwischen Leben und Tod, Land und Unland, Frieden und Friedlosigkeit.23 Die Entwicklung des Germanentums sei durch die Relation zwischen diesen beiden Welten bestimmt worden. Mitgards Kraft bestand, so Kummer, in ihrer Blütezeit in der „Summe der Sippenseelen“. Mitgard wird beschrieben als die Welt des Tages, frei von der Dämonenfurcht, geschützt durch die göttliche Kraft, der man oft den Namen Thor gab und die Leben, Vertrauen und Licht symbolisierte.24 Weil in Kummers Germanenbild den Schilderungen in den Sagas entsprechend die Sippe im Zentrum steht,25 misst er der germanischen Frau eine besondere Bedeutung bei: Sie hielt Gottesdienste, konnte heilen, besaß einen „sechsten Sinn“. Kummers Germanen achteten die Meinung der Frau, sie ging mit auf Neulandsuche, war Kampfgenossin des Mannes, zuweilen die Führerin im Kampf, aus Liebe diente sie der Sippe, kannte auch die Blutrachepflicht. Um die damalige Gleichstellung der Geschlechter zu belegen, beruft sich Kummer auf die Schilderungen der hoch geachteten germanischen Frauen bei Tacitus. bhnlich wie Grimm führt er den Schöpfungsmythus der Germanen an, nach dem Frau und Mann gleichzeitig aus einem Baum geschaffen wurden.26 Mehrmals betont er, dass anders als im Christentum die Jungfräulichkeit nicht vom Begriff der Sünde bestimmt war. Die Sexualität der Germanen sei anders

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Midgard bezeichnet in der nordischen Mythologie die Welt der Menschen, aber auch den Schutzwall, der den Wohnort der Menschen umgibt, zuweilen „die eigentliche Welt“ der Menschen und der Götter. Utgard ist eine öde, von Riesen, Dämonen und Ungeheuern bewohnte Außerwelt. Nach: R. Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart, 2006. Thor (auch Donar genannt, der Sohn von Odin/ Wodan) wird oft als der Gott geschildert, der den Menschen, aber auch anderen Göttern besonders nah ist, weil er sie vor den Riesen und Chaosmächten schützt. Sein Attribut ist Hammer, einerseits eine Waffe im Kampf gegen die Riesen, andererseits Symbol für die germanisch-heidnische Religion, das in der heidnischen Spätzeit dem christlichen Kreuz entgegengesetzt wird. Von den Bauernkriegern als Kriegsgott verehrt. Nach: R. Simek, Lexikon, a.a.O. Vgl.: M. Evers, Genetrix und Rächerin. Soziale Realität und kollektive Imagination des Weiblichen in den Isländersagas, Dissertation an der Universität Frankfurt/M. 2004. Vgl.: Kummers Artikel Frau/Weib, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2, Berlin 929/30, S. 736; vgl. auch: Kapitel 3 vorliegender Arbeit, Anmerkung 82.

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

gewesen als die „verdorbene“ orientalische oder semitische, mit Erotik durchtränkte Sexualität. Für die Nachkommen sei diese alte germanische Sexualität allerdings schwer vorstellbar – offenbar auch für den Autor selbst, der gar nicht erst versucht, ihrem Wesen auf die Spur zu kommen: „Wir, die wir seit anderthalb Jahrtausenden gelernt haben, das Lebenselement der Liebe in die Lebensfessel der Sünde umzudenken und schließlich umzutaufen in Erotik, können uns kaum […] die andere Sexualität unserer heidnischen Vorfahren denken“.27

Man erfährt vor allem, dass der sexuelle Akt nicht beflecke, deshalb könne er die Reinheit der Frau, der Garantin des Zusammenhaltens der Sippe, nicht zerstören. Die gleichwertige Bedeutung beider Geschlechter für die Sippe wird bei Kummer dadurch betont, dass die Germanen eine Geschlechtertrennung weder bei den kultischen Handlungen noch bei den meisten Festen kannten. Es habe bei ihnen weder Männerbünde noch Matriarchat gegeben. Als Grundwerte der Germanen in der Midgard-Zeit nennt Kummer die Friedensliebe, das tüchtige Leben und Arbeiten, die Hochachtung für die sakrale Sphäre und die harmonische Kunst, die Monogamie, die Familie. Die Kontinuität dieser Welt komme in den Genealogien zum Ausdruck. Alle unheimlichen Mächte, die intensive Beschäftigung mit dem Tod, der Zauberglaube seien Bestandteile der Untergangszeit: „Denn hier schon, im Augenblick, wo der Heide ‚resigniert’, wo er den Kampf aufgibt gegen Utgard, wo er sich nachts vor dem Widergängerspuck einschließt oder vor Zauberei fürchtet, stirbt sein germanisches Selbstgefühl und damit sein selbstständiges religiöses Leben“.28

Den Untergang der germanischen Welt verbindet Kummer mit der Lockerung der Bindungen zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft, die den Sieg des Utgards – das Eindringen des Todes, des Unheimlichen – ermöglichte. Utgard sei das Gegenteil von Midgard, „das Reich des Unheimlichen, des Ungeheuren, das Reich des Ausgestoßenen, der Unmenschen, der Geächteten und Widergänger, der Grolle und Unholde, das Reich der Toten – und der Totengötter“.29 Alles, was zu dieser dunklen Sphäre des Lebens gehört, klassifiziert Kummer als „international“ und „charakterlos“: „Was in seinem Bereich geglaubt wird, entbehrt der völkischen Eigentümlichkeit in hohem Grade“.30 So lange wie die Sippenbande der Germanen fest waren, sei Midgard sicher ge27 28 29 30

B. Kummer, Midgards Untergang, a.a.O., S. 34. Ebenda, S. 236. Ebenda, S. 25. Ebenda, S. 238. 303

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wesen. Schon in der späten Heidenzeit sieht Kummer jedoch den Rückzug des alten Gottesglaubens vor dem Aberglauben; die Zielstrebigkeit auf das Leben sei umgeschlagen in „eine sinnlose Flucht vor dem Tode“.3 Die Verlagerung der Verehrung von den Göttern auf die Ahnen, vom Überirdischen auf die Verstorbenen wurde, so Kummer, endgültig vollzogen, als die alten Götter durch das Christentum verdrängt wurden. Erst dann verbreiteten sich die Furcht vor den lebenden Leichen, die Angst vor dem Tod und seinen dunklen Mächten, deren Idealisierung er Höfler vorwirft. Im Ahnenkult, der den Glauben an eine ordnende göttliche Kraft ersetze und im Totenkult ende, sieht Kummer den Grund für die fortschreitende Vereinzelung der Bewohner Midgards in ihrer Angst. Er interpretiert das als eine bedeutende Wende in einer Welt, die ursprünglich keine Teilung in Jenseits und Diesseits gekannt habe, keinen Dualismus zwischen dem Tod und Leben: „Solange Utgard noch Ausland war, konnte im weiten Reich des Lebens unter Thors Hammerschutz die Fahrt der Toten in unbestimmte Ferne gehen. Nähe und Ferne waren heilig und drinnen wie draußen war Gottheit. Da aber Utgard sich immer mehr zwischen das Leben drängt, wandern auch die Toten nicht mehr weit. Immerhin, das ist zu betonen, zunächst noch weiter als bis zum Grab“.32

Die unerwartete Nähe der Toten in der „Krisezeit“ bedeutet für Kummer, dass der Tod gegenwärtig, fassbar wird. Diese Entwicklung endet mit dem Auftauchen in der „heilen Welt“ der dämonischen Toten, die keine Ruhe finden und die Lebenden verstören. Als Gegensatz dazu nennt Kummer den alten nordischen Brauch, nach dem man die Toten auf Schiffe legte und auf die letzte Reise aufs Meer hinaus schickte.33 Auffällig ist hier der Wunsch nach Harmonie zwischen Leben und Tod, nach Verdrängung alles Dämonischen, das der Tod mitbringt. Erst als Mitgard in einen solchen „Schwächezustand“ geraten war, als die alten Götter ihre Kraft verloren und die Toten das Dämonische in die Menschenwelt brachten, konnten die „zersetzenden“ Einflüsse der „Völker niedriger Kulturstufen“ stärker werden. Auch die zum Christentum bekehrten Heiden selbst, so Kummer, trugen zum Untergang bei. Erst dann sei Odin/ Wodan mit seinem Totengefolge von den Dichtern zu einem Götterkönig erhoben worden. Kummer beschreibt ihn als Gott des Zaubers und der Runen, als Frauenverführer, Verwandlungskünstler, Grabschänder, Verursacher von Wahnsinn und Tod, also als eine „Krisenerscheinung“ und Verkörperung der Utgard-Mächte. In der Erhöhung dieser Gestalt sieht Kummer neben der „ro3 32 33 304

Ebenda, S. 239. Ebenda, S. 58. Nach Simek (Das Lexikon, a.a.O., S. 55) ist Bootsbestattung für die Germanen Nord- und Westeuropas bis zum Ende der Wikingerzeit belegt.

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mantisierenden“ Poetisierung eine christliche Eroberungsstrategie: Zur höchsten göttlichen Kraft sollte ein böser, bedrohlicher, Jahwe ähnlicher Gott erhoben werden, der sich nachher als Feind des Christentums zum Satan verwandeln lässt. Das Bild der wütenden, dämonischen Germanen, das von Wodan und seinem Heer abgeleitet wurde, sei eine Vergangenheitsfälschung, die es der katholischen Kirche möglich gemacht habe, die Vorstellung von den germanischen Barbaren zu verbreiten und dem Volk „den wahren germanischen“ Glauben zu rauben. Diese Vorstellung bedrohe Deutschland noch immer: „Die Donarseichen mussten fallen, und die Axt hält sich bis heute bereit jeden neuen Trieb des alten Stammes abzuschlagen. Aber Hels Schatten und des Wilden Jägers Schrecken gefährden keine Kirchenherrschaft. Auch Walhall ist ‘erlaubt’, wir dürfen von ihm träumen. Es liegt weit ab vom heidnischen Altar“.34

In der Metapher der Axt, die bestrebt ist, jede Regung der „wahren“ deutschen Religiosität zu verunmöglichen, setzt Kummer die Konstruktion der Gefahr fort, die Deutschland von Seiten der Kirche droht. Gleichzeitig wird auch seine eigene „Wahrheitssuche“ heroisiert. Das von Edda-Anhängern gelobte Walhall kritisiert Kummer als eine Erfindung der Utgard-Zeit, als ein Massengrab für die Männer, in dem sich alle täglich neu zerfleischen und totschlagen. Wer daran glaube, unterstütze die germanenfeindlichen Vorstellungen der Kirche. Den heidnischen Germanen und ihrem Sinn für die Gemeinschaft seien solche Vorstellungen fremd gewesen: „Die Bauern Islands, Menschen wie wir, die ihre Waffe am Feldrain niederlegen und ihre Saaten bestellen, die heilige Feste feiern an Stätten des Friedens, die kein Mann durch Gewalttat entweihen darf, die Prozesse führen, Schiffe bauen, Handel treiben, Verse machen, sich mit Sport und Spiel die Zeit vertreiben, die aber vor allem Frauen und Kinder haben, nachweislich im starken Maße monogam leben und meist gute Ehemänner und Familienväter sind, denen das Dasein in Genealogien besteht, soll denen die Aussicht, in einem Männerparadies sich täglich gegenseitig totzuschlagen, das Sterben leichter machen?“35

Kummers Germanen bilden eine sippenhafte, eng miteinander verbundene, tüchtige Gemeinschaft, die abseits des Dämonischen „sittlich“ lebt, das heißt, nur „geordnete“ Sexualität kennt. Das manchmal erwähnte Freudenleben mit Wallküren, „die man dann leichtfertig zu den himmlischen Dirnen dieses Männerparadieses machte“,36 führt Kummer auf eine Sexualitätsvorstellung zurück, die der germanischen völlig entgegen gesetzt sei. Die Vorstellung des 34 35 36

Ebenda, S. 272. Ebenda, S. 62. Ebenda, S. 67. 305

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zivilisierten, friedlichen Germanen musste, so Kummer, getilgt werden, um Empörung gegen die gewalttätige Christianisierung zu vermeiden. Zwar spricht Kummer die Germanen nicht völlig frei von einer Mitschuld am Verfall, an Mitgards Untergang: Schon die herumreisenden Wikinger, die „Atheismus, Heidenverachtung oder Christentum mit nach Hause“37 brachten, hätten den Zerfall der Sippe eingeleitet. Das Christentum habe jedoch diesen Prozess erst vollendet, seine Gelehrten konnten geschickt von der Überlegenheit des neuen Gottes, der viel fassbarer als die germanischen Gottheiten war, überzeugen. Sie hätten die Heidengötter dämonisiert und mit christlichen Heiligen einen richtigen Polytheismus und Aberglauben eingeführt: „Das Christentum setzt den bestimmten, historisch beglaubigten Gott und seine Lehre an die Stelle des unbestimmten, nur gefühlten Göttlichen der ungelehrten Heiden; daher sein überraschender Sieg trotz der Minderwertigkeit seiner Vertreter. Eine eigentliche Vielgötterei hatte es nirgends zu überwinden, und die Bekehrten, die dann bald beten lernten zu „Krist und dem heiligen Olaf“, an die sich bald noch andere Heilige und die Maria anschlossen, haben eine gewisse „Vielgötterei“ erst in der katholischen Kirche gelernt“.38

Kummer behauptet, dass die germanische Religion eine mythenbildende Kraft hatte, aber ohne polytheistische „Rollenteilung“ unter den Göttern auskam. Zwar kannte sie ein Nebeneinander des persönlichen und unpersönlichen Göttlichen, verehrte jedoch in allen Gestalten nur eine lebensspendende Macht, ein unbestimmtes Heiliges. bhnlich wie Jakob Grimm glaubt Kummer an einen spezifischen Monotheismus der Germanen und vermutet unter vielen göttlichen Gestalten die Anbetung einer einzigen göttlichen Kraft, die die Welt „entwirft“. Den Sieg des Christentums erklärt er nicht mit dessen abstraktem Charakter, sondern er deutet ihn umgekehrt als Verführung der in ihrer naiven magischen Mentalität verunsicherten Germanen durch zauberwirkende Gestalten. Das Christentum wolle diesen „Polytheismus“, den es selber vertrete, auch den Germanen unterstellen, deshalb unterstütze und verbreite es die Mythen der Edda. Mit dem Christentum und der Dämonisierung der Welt verbindet Kummer die Entwürdigung der Frau, ihre Erniedrigung zum Besitztum des Mannes. Der endgültige Sieg des Christentums sei jedoch erst dann möglich gewesen, als die Frauen ihre Macht zu verlieren begannen.39 In der neuen Religion konnten sie ihre Position der Grimmschen Vermittlerin des Göttlichen nicht behalten. Sie wurden zu den Töchtern Evas, womit Kummer „sekundäre 37 38 39 306

Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 47. Vgl.: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2, Berlin 929/30, der Artikel „Frau“, S. 738.

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Erschaffung“, „primäre Verführung“ und im „Hohelied Salomons verherrlichte Sexualität“ verbindet. Erst mit dieser Verwandlung tauche die Erotik auf, verstanden als „Verdorbenheit“ und Erniedrigung der Frau: „Wo Natur Sünde heißt, blüht aus der Heimlichkeit des Verbotenen die Erotik auf“.40 Erst das Christentum habe das „Gretchen“ geschaffen, „dessen Menschenwert von jedem Verführer vernichtet werden kann.“4 Kummers Strategie, die Erotik als Resultat des christlichen Sündeverständnisses zu entlarven, gipfelt in der Verherrlichung der germanischen „unbewussten Sinnlichkeit“, deren einziges Ziel die Fortpflanzung und Erhaltung der Sippe sei. Die Sexualisierung und Dämonisierung der Frau sieht er als wichtigsten Faktor für die Bildung des christlichen Hexenbegriffs. Die angebliche Gefährdung der Frau durch böse Dämonen während der Schwangerschaft, Menstruation und Geburt sowie durch Sexualsymbolik, die die Frau in „passiv empfangenden Acker des Mannes“ und die Verkörperung der Sünde verwandle, ermöglicht es, dass die Frau zur Verbündeten des Teufels werde. Die Hexenprozesse, die die Degradierung der Frau vollendeten, seien erst dann möglich gewesen, als „weibisch“ zum Schimpfwort wurde und der Mann in der Frau den Grund seiner Sündhaftigkeit suchte, als die Germanen Furcht vor den Toten und das Paktieren mit der dämonischen Welt gelernt haben. Sein Verständnis der christlichen Hexe erklärt er ausführlicher im Artikel Frau, der im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens veröffentlicht wurde: „Von den offiziellen Bildungsmöglichkeiten weitgehend abgeschlossen und als böses Prinzip gleichsam dogmatisch abgestempelt, griffen die Frauen in Selbsthilfe oder in jener von der ‚Stamm-Mutter Eva’ ihren Töchtern vererbten ‚Neugier nach größerem Wissen als recht ist’, zur Hexenkunst, die sie sehr oft für Gottbegnadung hielten, während längst die fromme Umwelt an den Satan in den Frauen glaubte. […] Man kann nicht sagen, dass der Hexenglaube auf dem altgermanischen Glauben an die Hoheit des Weibes und seine geheimnisvolle, wunderbare Ausstattung beruhte. […] Der Teufel, als die Hauptperson im Volksglauben der Bekehrten, trat in Verbindung nicht mit den Nachkommen nordischer Seherinnen, sondern mit denen der ‚Mutter der Sünde’“.42

Kummer teilt Hansens und Grimms Ansicht, dass die Frauen in einer frauenfeindlichen Zeit in ihrer Bedrängnis Hilfe in den alten heidnischen Bräuchen oder in einer scholastischen Konstruktion suchten, die sie für Realität hielten und die ihnen zum Verhängnis wurde. Einen germanischen Ursprung des Hexenglaubens streitet Kummer dezidiert ab. Germanische Elemente dieses Phänomens, falls sie wirklich nachweisbar seien, erklärt er damit, dass die 40 4 42

B. Kummer, Mitgards Untergang, a.a.O., S. 3. Ebenda, S. 37. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2, Berlin 929/30, S. 747f. 307

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germanischen Frauen am längsten Widerstand gegen den neuen Glauben geleistet hätten. Wenn sie mit der ganzen Götterwelt dämonisiert wurden, wurden auch ihre kultischen Handlungen zur Hexerei degradiert. Die „Wiedergeburt“ der germanischen Frau sieht Kummer erst in der deutschen Klassik. So wie Rosenberg sieht auch er in dieser Epoche das „Aufleuchten des germanischen Geistes“ und die erneute Zusammenfügung von Menschlichkeit und Weiblichkeit in der Frau: „Die deutsche Klassik ist nicht nur ein Sieg über die zügellose Unbändigkeit von Sturm und Drang, sondern eben durch den neuen Sturm und Drang ein Sieg auch über die gesamte Erotik, die mit dem Christentum ins Land kam und das Weib zum Objekt erniedrigte“.43

Dass in den isländischen Sagas Zauberer vorkommen, sei, so Kummer, keineswegs ein Beleg dafür, dass die Hexe aus der Zeit der Hexenprozesse germanischen Charakters gewesen wäre. Die Germanen hätten nichts zu tun ge43

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B. Kummer, Priester Europas, a.a.O., S. 320. Kummer führt aus, dass die deutsche Klassik die Erniedrigung der Frau, die das Christentum produzierte, das auch „Gretchen“ geschaffen habe, für kurze Zeit aufheben konnte. Klaus Theweleit schlägt in seinen Männerphantasien eine andere Deutung vor. Das „neue Frauenbild der Höhe“ der deutschen Klassik sei einerseits die Reaktion auf die Sexualisierung der bürgerlichen Frau, ihr Frauenkult sei andererseits ein Teil des Kampfes gegen den absolutistischen Adel, dessen „Unmoral“ der „Kult der Einzigen“ entgegengestellt wird. Die Erhöhung der (oft toten) Frau interpretiert er als Selbstbetrug der Männer, die auf die „Höhe“ fixiert die Machtverhältnisse nicht so scharf zu sehen brauchten, die geopferte Frau ist eine Sublimation der Machtansprüche des Mannes: Sie muss geopfert werden, damit er Herrscher bleibt. „So sind all die Gretchens, Kätchens, Klärchens aus dem Selbstbetrug impotenter Männer entsprungen (und die Impotenz der Klassiker vor der Frau versteht sich gesellschaftlich, nicht persönlich)“ (S. 366). Die Produktivität des Mannes baue auf „die Geschlechtertrennung und Unterwerfung der Weib-Natur“ (S. 369). Die Frauen müssen deshalb wie Iphigenie die Welt versöhnen, als Freiheitsgöttinnen (wie Klärchen ihrem Egmont) und Repräsentantinnen des „Erhabenen“ erscheinen. Theweleits These, dass die Frauenbilder bis jetzt nie endgültig „veralten“ – sie sind reproduzierbar, werden für die Legitimation der politischen Ordnungen immer wieder neu belebt – findet Bestätigung in den Weiblichkeitsvorstellungen, die im Hexen-Diskurs im Dritten Reich an den Tag gelegt werden. Dazu, wie der Tod der Frau die Norm bestätigt und Ordnung garantiert, vgl. auch: E. Bronfen, Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und bsthetik, München 994. Klassik bedeutet auch für Rosenberg, jedoch nicht im Bezug auf Frauen: „Anbetung des Lichten, Weltoffenen, Anschaulichen“ (Mythus, S. 37). Wie Apollon dem Dionysos, so stehen bei ihm Kopernikus, Kant, Goethe dem Augustinus, Bonifaz VIIl., Pius IX. gegenüber, „Wie das „Mänadentum“ und die „Phallussitten“ altgriechische Gesittung zu zersetzen strebten, so vernichteten „etruskische Höllenlehre“ und „Hexenwahn“ möglichst jede Regung nordischer Welterkenntnis“(Mythus, S.4).

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habt mit der christlichen Hexerei und den „Wahnvorstellungen von der Übermacht des Teufels, der sich besonders des schönen Evageschlechts bemächtigt, um den Adam zumal in Gestalt heiliger Männer zu verführen und die Welt zu verderben“.44 In der Midgard-Zeit galt weibliche Weissagung als Bestandteil der Religion. Die Berufszauberer, die auch Schadenzauber ausübten, seien dagegen „minderwertig“ und fremder Herkunft gewesen. Die Zauberei, die die kirchliche Literatur den Germanen zuschreibe, sei Finnen- und Lappenkunst, also „rassenfremd“, und sie sei ursprünglich als etwas Unwürdiges abgelehnt und auch mit dem Tode bestraft worden.45 Sie widerspreche dem Willen der Germanen, ihr Leben selbständig zu gestalten, und sei nicht zu versöhnen mit ihrer Abneigung, mit den Kräften des Utgards zu paktieren. Die Zauberer, so Kummer, standen als die „Friedlosen“ am Rand der Gemeinschaft. Erst der verunsicherte, von Angst vor den Toten geplagte Germane der Zeit des Untergangs verletzte diese Regel und übernahm die von der Kirche endgültig ausgeformte Zauberlehre. Alle Versuche, die Hexenverfolgungen den Germanen zuzuschreiben, gehörten daher zur alten Strategie der katholischen Kirche, mit diesem Verbrechen, dem „Frauenmassenmord“,46 die Nachkommen der Opfer zu belasten: „den alles überflutenden Wahn des Mittelalters [...] sollen wir nun als Rest germanischen Heidentums aufgrund jener zwei „lateinischen“ Belegen ansprechen lernen, und das Schandwerk zweier Kleriker, den Hexenhammer, als ein Werk aus deutschem Erbgut auf unser Konto nehmen, damit die Kirche der Inquisition und des Frauenmassenmordes freigesprochen werde“.47

Ironie ist eine von Kummer oft bevorzugte Tonart. Argumente, die seiner Sicht widersprechen, fasst er so zusammen, als ob sie schon längst widerlegt worden wären und nur belächelt werden könnten. Er suggeriert mit großem Pathos ihre Gefährlichkeit für die „deutsche Gemeinschaft“ und denunziert sie als Kollaboration mit den Mächten, die Deutschland bedrohen. Die These von den deutschen Wurzeln der Hexenverfolgungen kommt Kummer irrsinnig vor, weil sie im Widerspruch mit der religiösen Haltung der Germanen stehe. Auch eine der Hauptmerkmale der germanischen Gemeinschaft, die Hochachtung für die Frau als Mittlerin oder Trägerin der göttlichen Kraft, spreche dagegen. Das abergläubische Denken, das den Hexen-

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B. Kummer, Prister Europas, a.a.O., S. 35. Vgl. B. Kummer, Midgards Untergang, a.a.O., S. 252. Die Finnen und Lappen als Zauberer treten schon bei Soldan, Hansen und Grimm auf. Frauen der nordischen Bewegung benutzen oft diese Formulierung und zitieren aus Kummers Buch als Quelle des positiven Germanenbildes. Mehr dazu, B.Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O. B. Kummer, Priester europas, wahrt eure heiligsten Güter, a.a.O, S. 36. 309

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Glauben ermöglicht hat, bringt er in Zusammenhang mit der „Abnahme an kritischem Verstand“ während Midgards Untergangs, mit der Resignation der Menschen, die den Zugang zum Religiösen verloren haben.48 Die Tatsache, dass man in seiner Zeit noch immer die Hexenprozesse aus der germanischen Geschichte und Religion zu erklären versucht, interpretiert Kummer als die Fortsetzung des alten Kampfes gegen die Germanen, der auch im nationalsozialistischen Deutschland nicht zu Ende sei. Selbst in den „eigenen“, nationalsozialistischen Reihen spürt er die Tendenz auf, diese Strategie der katholischen Kirche bewusst oder unbewusst zu unterstützen. Zu diesem „ideologisch verdächtigen“ Lager zählt er u.a. Otto Höfler und Lily Weiser, weil sie den germanischen Ursprung des Hexen-Glaubens nicht ausschließen. Weisers Beitrag über die Hexe im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,49 auf den sich Höfler beruft, nennt Kummer „ein zu weitgehendes Zugeständnis bzgl. eines germanischen Ansatzes zum mittelalterlichen Hexenwahn“.50 Alle, die diese These verteidigen, werden von ihm „denunziert“: „Ist das deutsche Volk einverstanden mit der These, das deutsche Volk sei schuld an allen Scheiterhaufen im Land? Das Volk weiß, was und wer das gleiche Blut gegeneinander hetzt, welche Mächte über den Völkern Kriege entfesseln ohne völkische Notwendigkeit, und kriegerische 'Nationen' zu Kreuzzügen einsetzen für 'die Religion'“.5

Derartige rhetorische Fragen an das Volk stellen das Volk selbst auf die Seite des Fragenden. Sie appellieren an das „gemeinsame Wissen“ über eine feindliche Verschwörung, stiften eine „blutmäßige“ Verteidigungsgemeinschaft 48 49

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B. Kummer, Midgards Untergang, a.a.O., S. 248. Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens wurde der Begriff Hexe von Lily Weiser bearbeitet. Sie gibt zu, dass der theologische Hexenbegriff von der katholischen Kirche geschaffen wurde, distanziert sich aber von den Theorien, nach denen der Hexenglauben orientalischer Herkunft, ungermanisch sei (hier nennt sie Soldan/Heppe, Hansen). Die andere Forschergruppe vertrete ähnlich wie Grimm die Ansicht, dass schon das germanische Heidentum dieselbe Hexenvorstellung mit Ausnahme des Teufelspaktes und Hexenversammlung gekannt hat. „Die Ausführungen männlicher Theologen, die antiken und orientalischen Volksglauben in ein gelehrtes System verarbeitet haben, wurden in allen in Frage kommenden Ländern durch ähnlichen einheimischen Volksglauben leicht angenommen und die durch die Folter erpressten Geständnisse durch eigenen Volksglauben ergänzt und erweitert“, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, a.a.O., Bd.3. Vermutlich solche Formulierung hat Kummer bewogen, in seinem Artikel über die Frau das Hexenthema als „Korrektur“ zu berücksichtigen. B. Kummer, Kultische Geheimbünde der Germanen?, Leipzig 935, S.60. B. Kummer, Priester Europas wahrt Eure heiligsten Güter! In: Nordische Stimmen. 5. Jg., Hornung 935, 2. Heft, S.39.

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und versetzen das „wissende“ deutsche Volk in eine Gegenpositionen zur katholischen Kirche, die sich im Verlauf der Geschichte an zahlreichen Morden schuldig gemacht habe. Sie suggerieren die einzig „richtige“ Antwort und verdammen jede andere als „Verrat“ am Volk. Vieles kann unausgesprochen bleiben und trotzdem verstanden werden in dieser konstruierten ideologischen Gemeinsamkeit des Autors und der Leser. Die Ablehnung der germanischen Herkunft des Hexenglaubens ist ein Bindeglied zwischen der positiven Bestimmung des Charakters der germanischen Gemeinschaft und der Festlegung der Feinde.

D ä m o n i s c h e M än n e r b ü n d e u n d d i e H e x e n a l s feindliche Dämoninnen in der germanischen Welt. Die Version Otto Höflers Nach Höflers Auffassung macht die dämonische Kampfbereitschaft der Männerbünde, die in allen Epochen in ähnlichen Formen zum Vorschein komme, das Wesen der germanischen Kultur. aus. Der Kern der germanischen Religiosität besteht für ihn in der Verbundenheit mit den Toten. Die Träger dieser Verbundenheit seien eben die Männerbünde. Anders als Kummer bestimmt er den Totenkult und nicht das Leben in der Sippe als den Schwerpunkt der germanischen Religiosität: „Ich sehe in dem höchst merkwürdigen heroisch-dämonischen Totenkult der Mannschaftsverbände, der hier freigelegt werden soll, einen Mittelpunkt des germanischen Lebens, eine Quelle religiöser, ethischer und historisch-politischer Kräfte von ungeheurer Kraft“.52

Die Spannweite zwischen den so unterschiedlichen Visionen von Kummer und Höfler belegt, wie krampfhaft im Nationalsozialismus nach einer Legitimation des Germanischen, einer Bestätigung der These von der germanischen Kontinuität gesucht wurde, und dass auch sich widersprechende Suchrichtungen in dieser Ideologie Platz fanden. Höfler erklärt die beiden zentralen Begriffe seines Germanenbildes – “ekstatisch“ und „dämonisch“ – auf solche Art und Weise, dass sie nicht völlig in Gegensatz zu Rosenbergs Antidämonismus geraten.53 „Ekstatisch“ be-

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Höfler, S.VIII "Dämonisch" tritt in Rosenbergs Mythus am häufigsten in Verbindung mit "mänadenhaft", "chtonisch", "mutterrechtlich", "gestaltlos", "brünstig" auf. Juden und Priester sind dämonische Gestalten, der Geschlechtstrieb ist dämonisch, alle Mächte, die das „germanische Blut“ bedrohen, sind dämonisch. "Dämonisch" verbindet sich mit "ekstatisch", und ekstatisch heißt sinnlich erregt, dionysisch, bedeutet Rausch. 311

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deutet für ihn nicht Rausch, Chaos oder Genuss. Zwar werden in der Ekstase die Grenzen des Individuums überschritten, „aber nicht um das Individuum von den Schranken der Ordnungen zu entbinden, sondern um es eingehen zu lassen in die überindividuelle Gemeinschaft des Bundes mit den Toten”.54 Die germanische Ekstase sei „nicht ein Hinstürzen ins Chaotische, sondern ein Eingehen in die bindende Gemeinschaft der Verstorben-Unsterblichen: eine Quelle unermesslicher sozial-staatlicher Energien“.55 Dem so verstandenen Ekstatischen schreibt er eine konstruktive, gemeinschaftsbildende Kraft zu. Das Dämonische bezeichnet Höfler mit Goethe als etwas, „was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist“.56 In der Polemik gegen Kummer, teilweise auch als Antwort auf den Sturm der Entrüstung, den seine These unter vielen nationalistischen Ideologen ausgelöst hat, erklärt er in seinem Text Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit57 seine Auslegung des „Dämonischen“, indem er zwischen drei historischen Bedeutungen dieses Begriffes unterscheidet. Höfler verwendet das altgriechische Wort „Daimonion“ von Sokrates und Plato,58 von denen auch Goethe den Begriff übernommen hat, als Beschreibung eines Zustandes, in dem man von einer höheren, göttlichen Macht getrieben ist. In dieser ersten Bedeutung schreibt er das Dämonische im positiven Sinne Hitler zu, der „von der Kraft der Geschichte“ getrieben werde. Die zweite Auslegung, die man auch auf die Hexenprozesse beziehen könnte, versteht unter dem Dämonischen das „Verteufelte“: Der Dämon wird hier als ein unreiner Geist bezeichnet. Die Theologie des Mittelalters habe den Begriff des Dämonischen vor allem als teuflische, böse Kraft definiert:

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Ebenda, S. IX. Ebenda, S. 323. Vgl.: Goethes Gespräch mit Eckermann vom 2.03.83. In diesem Gespräch definiert Goethe tatsächlich das Dämonische, das nicht in seiner Natur liege, aber dem auch er unterworfen sei, in der zitierten Weise. Als einen dämonischen Menschen bezeichnet er Napoleon, „dämonische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter“. Das Dämonische sei von dem Mephistophelischen, vom negativen Wesen zu trennen, es sei „eine positive Tatkraft“, in: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe, hrsg. von Houben, Wiesbaden 975. O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, a.a.O., S.7. Das Daimonion wurde von Sokrates als eine innere Stimme von göttlichem Ursprung erklärt, die das erkennt, was der Vernunft verborgen bleibt. Sie habe ihn auch in seiner Haltung gegen seine Richter befestigt, indem sie ihm nicht widersprochen hat (Platon, Apologie, 23A Das Ausbleiben des Daimonion und seine Bedeutung)Vgl.: Platons Dialoge »Apologie« (3 D), «Phädrus« (242 B, C), »Alkibiades« (O3 A, 24 C), »Theages« (28 D)

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„Die Griechen verstehen die höchste Kraft darunter, die Bibel hingegen, das was bei der Austreibung in die Säue fährt“.59 In der nicht näher präzisierten „modernen Theologie“ und „Religionspsychologie des nordischen Relativismus“, nach denen Religion sinnlos sei und aus Angst entstehe, findet Höfler die dritte Bedeutung.60 Das Wort „Dämon“ werde hier als Bezeichnung für die belächelten Angstgespenster verwendet: „Ein Generalinstinkt sei die Angst vor den Gefahren, so seien Dämonen die gefährlich drohenden Geister, die der primitive religiöse Mensch a) aus Angst und Feigheit, b) in Unkenntnis der Dinge in Gestalt von Geistern in die Welt hineinprojiziert. Die glaubenslose untergehende Antike und das späte 9. Jh. reichen sich hier die Hand“.6

Auch diese Definition ist für Höfler nicht annehmbar, weil sie nur in einer Zeit ohne Sinn für Religiosität entstehen konnte, in einer Gesellschaft, die nach seinem Verständnis nicht mehr entwicklungsfähig ist. Die drei Bedeutungen durcheinander zu bringen, bezeichnet er als ein „geistiges Verbrechen“. Für sein Bild des Germanentums sei ausschließlich die erste Bedeutung wichtig. Höfler leugnet nicht die dunkle Seite des griechischen Dämons, der nicht nur das Schöpferische ermöglichte, sondern zugleich auch gefährlich sein konnte. Doch es steht für ihn außer Zweifel, dass das Germanentum, wie das Griechentum, seine gefährlichen dunklen Mächte des Daseins als göttlich empfand: „Es entspricht dies der Seele des Germanentums, die auch das Dunkel ertragen kann, es spiegelt sich gleichsam darinnen“.62 Der erwünschte, schöpferische Dämonismus kommt in dem für Höflers Theorie zentralen Mythos des Wilden Heeres und seines Führers Wodan deutlich zum Ausdruck. Höfler thematisiert das Problem, dass die meisten seiner Zeitgenossen – er meint damit auch Kummer – das Dunkle und Tragische dieses Gottes und seiner todgeweihten Helden nicht akzeptieren wollen, obwohl er den Übergang vom Bauernleben in die geschichtliche Existenz bedeute.63 59 60

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O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, a.a.O., S. 7. Ebenda. Es geht hier Höfler vermutlich um Versuche, die Mythologien und kultische Bräuche mit Naturerscheinungen, mit der Angst vor unerforschten Kräften zu erklären. Er kann auch von Leyen meinen, der sein Buch scharf kritisiert hat. Ebenda. Ebenda. Höfler beruft sich auf Wagner als auf einen Kenner der germanischen Tragik, der ihre Bedeutung für die „Entwicklung und Expansionskraft der germanischen Rasse“ verstanden habe. Rosenberg hat ebenfalls Wagner als Vertreter des heroischen deutschen „Kämpfertums“ gesehen und Wagners Worte „Kunst ist die lebendig dargestellte Religion“ als Motto zu seinem Mythus-Kapitel „Das Wesen der germanischen Kunst“ gewählt: „Das Wesentliche aller Kunst 313

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Höfler behauptet, dass dieser Übergang nur dort stattfinden konnte, wo Wodan als die höchste Kraft angebetet wurde und die männlichen Mannschaften die Rolle der politischen Exponenten spielten. Die Vorstellung des Dämonischen rüstete sie „seelisch“ auf, bereitete sie vor auf die „Eroberung“ und den Kampf. Die Herkunft dieses Mythos leitet Höfler von den kultischen Handlungen der geheimen, wirklich existierenden Männerbünde ab: „In der kultischen Ekstase haben diese Verbände gegipfelt, und sie wurzeln in dunklen Tiefen des Irrationalen.“64 Die Bezeichnung „geheim“ für die Männerbünde, die in den nationalsozialistischen Reihen für Aufregung gesorgt hat, habe nichts mit geheimen Organisationen wie den Freimaurern zu tun. Diese Bezeichnung komme von daher, dass diese Bünde dämonischen Eindruck erweckten und ihre Organisation ursprünglich vor Außerstehenden geheim gehalten wurde.65 Auf die geschichtsbildende Kraft der „sozialen Dämonie“, wie Höfler sie nennt, führt er die Entstehung und Wirkung allerlei Verbände der verschiedensten Schichten deutscher Männer zurück, die in die Geschichte eingegriffen haben, z.B. der Zünfte, der Hansa, auch der SS. Weil Höfler, ganz im Gegensatz zu Kummer, die Abstraktion aus der deutschen Religiosität ausschließt und als ihr Wesen eine kultische Handlung, eine konkrete Leibhaftigkeit bestimmt, gestaltet bei seinen Germanen der religiöse Gedanke die Handlung ohne Vermittlung des Wortes. Er kommt in den Umzügen der vermummten Männer zum Ausdruck, die Rauschmittel und Instrumente benutzen, die sie in Trance versetzen. Gerade diese mimische Handlung wurde, so Höfler, für eine mythische Wirklichkeit gehalten und als eine solche beschrieben. Die Sagen seien eine Widerspiegelung der kultischen Handlungen: „Gerade an jenen Stellen des Menschenlebens lässt die Phantasie Sagen erwachsen, wo das Leben selbst `wunderbar` ist”.66 Bei Höfler ist die Sphäre der Religion durchaus männlich besetzt, deshalb wird sogar der Fruchtbarkeitskult von Männern getragen, die von Emotionen beherrscht seien: „man helfe den Kräften der Natur zum Erwachen und Erstarken, wenn

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des Abendlandes ist aber in Richard Wagner offenbar geworden: daß die nordische Seele nicht kontemplativ ist, daß sie sich auch nicht in individuelle Psychologie verliert, sondern kosmisch-seelische Gesetze willenhaft erlebt und geistig-architektonisch gestaltet. Richard Wagner ist einer derjenigen Künstler, bei denen jene drei Faktoren Zusammenfallen, die jeder für sich einen Teil unseres gesamten künstlerischen Lebens ausmachen: das nordische Schönheitsideal, wie es äußerlich im Lohengrin und Siegfried hervortritt, gebunden an tiefstes Naturgefühl, die innere Willenhaftigkeit des Menschen in "Tristan und Isolde" und das Ringen um den Höchstwert des nordisch-abendländischen Menschen, Heldenehre, verbunden mit innerer Wahrhaftigkeit. Dieses innere Schönheitsideal ist verwirklicht im Wotan, im König Marke und im Hans Sachs“ (Mythus, S. 433f). O. Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen, a.a.O , S. 2. Ebenda, S. 309. Ebenda, S.5.

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man seine eigene Kraft zum höchsten anspanne. Leben weckt Leben: auch diese Empfindung war dem ‚primitiven’ Menschen gewiss nicht fremd“.67 Zu den kultischen Handlungen der Männerbünde zählt Höfler auch Verwandlungskulte: Das, was Kummer als sinnlose und zerstörende Rastlosigkeit ablehnte, erhebt er zur treibenden, gestaltenden Kraft des Germanentums. Höfler schreibt der kultischen Ekstase, in der es zur „Verwandlung“ kam, eine große Bedeutung zu, die über den Charakter einer rein nutzenorientierten Handlung hinausweist: Die Beteiligten sollten nicht nur die Dämonen verjagen, sondern sie wurden dabei selbst besessen und dämonisch. Aus dieser mythischen Erfahrung der Vereinigung mit den toten Vorfahren, den mythischen Wesen, hätten diese dem Tod geweihten Bünde die Kraft zur Gestaltung der Wirklichkeit geschöpft. Im germanischen Jenseits sieht Höfler nur Männer, was ihm vollkommen verständlich erscheint: Männer hätten die Gemeinschaft der Lebenden gestaltet, nach dem Tod wollten sie ihre Nächsten bei sich haben – ihre Kampfgenossen. Höflers Germanenwelt ist im Diesseits und Jenseits eine männliche Welt, eine Kriegerwelt, in der nur das Männerbündische, Kämpferische als Motor der Geschichte wirkt. Die Sippe und damit auch das Weibliche habe von sich aus keine gestalterische Kraft, sie helfe nur bei der Erhaltung der Spannung, die das männliche Schaffen antreibt: „Der Widerstreit zwischen Sippe und Bund, wie zwischen Sesshaftigkeit und Kriegerleben, hat wohl das ganze Leben durchzogen. Seit H. Schurtz (Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft) wissen wir, dass der Gegensatz der sippenhaften und der bündischen Gliederungen eine Urspannung der menschlichen Gesellschaft bildet“.68

Die Männerbünde und ihre ekstatischen Bräuche erklärt Höfler zur Grundlage der germanischen und der deutschen Staatlichkeit. Straff organisiert, elitär, durch gemeinsamen Glauben und in der Gemeinschaft mit den Toten verbunden gestalteten sie die Bande der Gemeinschaft der Lebenden. Nur sie seien fähig, bedeutende politische Ordnungen hervorbringen, die Politik der Expansion zu betreiben. Anders als bei Kummer spielen die Themen „Hexen“ und „Hexenverfolgung“ bei Höfler keine wichtige Rolle. Das einzige Kapitel, in dem das Hexen-Thema behandelt wird, trägt den Titel Dämonenverfolgung und enthält Ausführungen zum Motiv der Wilden Jagd aus den Sagen. Ein dämonisches, in der Regel weibliches Wesen wird durch den Wilden Jäger verfolgt. Höfler betont wird, dass die Sympathie in den Sagen vorwiegend dem Wilden Jäger

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Ebenda, S.56. Ebenda, S. 224. 315

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gilt, nicht der gejagten Frau. Darin sieht er den Grund für die Infragestellung der These, dass die verfolgte Frau Fruchtbarkeit symbolisiere. Er lehnt auch die erotische Deutung des Motivs entschlossen ab, mit dem zweifelhaften Argument, dass der Jäger in vielen Varianten das Weib nicht fängt, sondern tötet, oder mehrere verfolgt, ihre Haare zusammen bindet und die Frauen übers Pferd wirft. Diese Gewalt schließe eine sexuelle Motivation aus, so Höflers ziemlich fragwürdige These. Die weiblichen Wesen seien schlimme Dämonen und würden nicht aus Liebe oder Gier verfolgt. Die „schmutzigen“ Elemente, so nennt er jegliche Sexualität, sollten in den Sagen vom Wilden Heer, in denen das Kriegerische im Vordergrund stehe, vollkommen fehlen: „[...] so zahlreich die Belege für die germanische Ekstase des Kampfes sind [...], so schweigsam sind die Quellen in Bezug auf altgermanische Feiern, die sich mit den südlichen Geschlechtorgien vergleichen ließen“.69

Die Ekstase der wilden Krieger sei keine sexuelle, sondern eine asketische, eine Kampfraserei gewesen, im Gegensatz zum Hexentreiben, das in mancher Hinsicht den Sagen über das Wilde Heer ähnelt: „In den Sagen von den Hexensabbaten – und gewiss auch in den 'Hexenkulten', die wirklich vollzogen worden sein mögen – beherrscht zügellose Ausschweifung das Bild“.70 Höfler findet es unwahrscheinlich, dass erst der kirchliche Glaubenseifer diesen Festen „die zynische Schmutzigkeit“ zugeschrieben habe.7 Mit dieser Feststellung widerspricht er allen bisherigen Hexen-Forschern sowohl aus Rosenbergs als auch Himmlers Lager, die beweisen wollten, dass der Hexenglaube nicht germanisch sei. Höfler behauptet, dass man der Jagd auf dämonische Wesen im Brauchtum oft begegnet:

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Ebenda, S. 294. Ebenda, S. 277. Höfler beruft sich auf das 92 erschienene Buch The WitchCult in Western Europe der englischen Aegyptologin Margaret Murray. Murrays These knüpft an Fraziers Werk The Golden Bough an, welches davon ausgeht, dass alle Religion ursprünglich Fruchtbarkeitskult sei. Diesen assoziiert Murray mit der Figur einer großen Göttin, welche in Europa zuerst im Heidentum offen, dann unter dem Christentum verborgen verehrt worden sei. Die Frauen und Männer, die der Hexenverfolgung der Renaissance zum Opfer fielen, seien VertreterInnen dieser unterschwelligen religiösen Strömung gewesen, die letzten eines keltischen Stammes. Murrays Theorie konnte in der Fachwelt nicht bestehen. Schon der Ausgangspunkt ist problematisch. So wäre eine Behauptung in dem Sinne, dass die germanische Religion vorwiegend Fruchtbarkeitskult gewesen sei, nach allen Quellen unhaltbar. Vgl.: G. Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 986; C.Ginzburg, Hexesabbat, Berlin 2005, S. 23. O. Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen, a.a.O., S. 277

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

„Wir stehen hier offenbar vor einer alten kultischen Einrichtung: die magischen Männerbünde sind den Hexen feind und bekämpfen diese Dämoninnen“.72

Eine Antwort auf die Frage, warum die Frau das Böse verkörpern soll, gibt er nicht. Es fehlen auch Überlegungen, warum er gerade das Weibliche mit der zweiten, von der Kirche verteufelten Bedeutung des Dämonischen behaftet. bhnliche „kultische Abwehrhandlung“ entdeckt er bei den Männerbünden im Baltikum und Polen.73 Sie komme auch im deutschen Fastnachtkult vor. Deshalb kommt Höfler zu der Schlussfolgerung: „Die Verfolgung des hexenhaften Wesens mit den nachschleppenden Brüsten hat unsere Volkssage also offenbar mit dem Brauchtum gemeinsam“.74 Wesentlich für die soziologische Beurteilung der Bünde erscheint ihm die Frage, warum die Männerbünde, selbst ein dämonisches Gebilde, die Menschen vor den Dämonen schützen sollen. In den kultischen Ursprüngen der Überlieferungen entdeckt er, dass es sich um eine rituelle Handlung, um einen Kampf gegen die Gewalten des Unterganges handelte. Auf die Vermischung der Dämonenbegriffe, die er hier selbst vollzieht, geht er nicht ein, nur den Schutzcharakter der Bünde betont er wiederholt: „Da finden wir, dass solche schreckenerregende Dämonenbünde mit großer Regelmäßigkeit den kultischen Schutz des ganzen Stammes gegen die lebenszerstörenden Mächte üben. Dieser härteste Teil des Gesamtvolks, die verbündete kriegerische Mannschaft, ist eine Wehr gegen seine Feinde, irdische Kampfgegner, wie unmenschliche Gewalten des Verderbens“.75

Das sich in der Überlieferung oft wiederholende Bild des verfolgten Weibes bestätigt Höfler in der Überzeugung, dass Hexenjagd eine verbreitete, wirklich praktizierte magische Handlung zur Schadenabwehr war, die zum Sieg eines positiven Prinzips über ein verderbliches verhelfen sollte. Die erste, positive Bedeutung des Dämonischen bleibt für die Männerbünde reserviert, „die zu gewissen Zeiten in wilde Dämonen verwandelt umherstreifen, getrieben von einer so elementaren Gewalt, dass es an das Rasen des Sturmes gemahnte“, 76 sowie für das Wilde Heer und für den dämonischen Gott Wodan. Wodan sei der Gott des Zaubers, zumal des Totenzaubers, der eine Kunst sei, auf die die Männerbünde Anspruch erheben, auch wenn

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74 75 76

Ebenda, S. 279. Höfler beruft sich auf das Buch von W. Hertz Der Werwolf, wo er die Information findet, in Polen soll es zu Weihnachten und zur Johannisfeier Dämonenverfolgung der kultischen Männerbünde gegeben haben. Ebenda, S. 280. Ebenda, S. 249. Ebenda, S. 340. 317

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sie vor allem Krieger bleiben: „Aber der Totengott ist gleichzeitig Kriegsgott – wie der Männerbund in seinem Wesen immer Kriegerbund sein musste“.77 Höfler schreibt das Zaubern sowohl dem launischen und unberechenbaren Wodan und den Männerbünden zu als auch den Hexen, deren Existenz – als ein feindliches Prinzip – er nicht bestreitet. Seiner Germanenwelt war die Magie nicht fremd. Das politisch Wesentlichste in Höflers Theorie ist, dass er einen direkten Bezug der frauenfeindlichen Männerbünde zur Gegenwart herstellt. Die kämpferische Ekstase, die Eroberungsfähigkeit, das Gestalten der Welt seien nicht nur Merkmale der Bekenner Wodans, der Berserker und anderer Krieger, sondern auch der Sturmmänner, des Heeres der nationalsozialistischen Bewegung.

Gegen die magische Weltanschauung – Kummers Ar g u m e n t e g e g e n H ö f l e r Kummer griff Höflers Germanenbild scharf an, da es seine eigenen Vorstellungen von der Sittlichkeit und Religiosität der Germanen und der Entstehung des Staates aus der Sippe vollkommen in Frage stellte und seiner Meinung nach die deutsche Position im Kampf gegen das Christentum bedrohte. Er wirft Höfler vor, dass er die Elemente der Zeit, die nicht mehr germanisch waren, das Dämonische und Ekstatische, als das Wesen der Germanen schildert. Angesichts der Unbeliebtheit der Zauberer in den Isländersagas empfindet er es als eine Ironie des „Schicksals“, „wenn heute die Berserker und Maskentänzer des Übergangs und des Mittelalters zum Beleg für kultische geheime Männerbünde als Grundlage germanischen Staatslebens genommen werden“.78 Im Führer des Wilden Heeres, dem Gott der Toten, Wodan, den Höfler für die höchste göttliche Kraft und die Inspiration der kultischen Männerbünde hält, sieht Kummer lediglich die Zeichen des Untergangs der germanischen Welt – die Friedlosigkeit und Dämonie. Er lehnt jeden Zusammenhang zwischen dem germanischen Glauben und den Vorstellungen über die „lebenden Leichen“ ab, die zu Wodans Gefolge gehören. Bei derartigen Todesvorstellungen „handelt es sich um eine Verminderung, Verengung des Lebens, um ein schattenhaftes Fortvegetieren bis zur endgültigen Verwesung, hier [im von Kummer favorisierten Thor-Kult – K.L.] um eine Lebenserweiterung, eine Befreiung“.79 Mit der Behauptung, die ekstatischen Männerbünde seien germanisch gewesen, unterwerfe Höfler „das germanische Leben jener magischen Weltan-

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Ebenda, S. 330. B. Kummer, Midgarts Untergang, a.a.O., S.240. Ebenda, S. 250.

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

schauung, die Alfred Rosenberg in seinem Buch gegen die Dunkelmänner in unserer Zeit als Kennzeichen des nichtgermanischen Geistes wiederum bezeichnet hat“.80 Indem sich Kummer in dieser Auseinandersetzung mehrmals auf Rosenberg beruft, versucht er, seine Haltung politisch zu legitimieren. Im Artikel Germanenkunde im Kulturkampf, dessen Titel an die Verteidigungskampagne Rosenbergs gegen die katholische Kirche anknüpft, greift er Höflers Buch an als eine Sammlung unappetitlicher Phantasien über den angeblichen Dämonenglauben der Germanen, die keine Beweise, nur Annahmen beinhalte. Höfler beschreibe die Germanenwelt als eine verkommene Welt, die von einem „Geheimbund“ regiert und „terroristisch beherrscht“ wird und in der man Hexen verfolgt. Diese Männerbünde seien nicht „volksgemäß“, weil ihre „Mitglieder als Verkörperung dämonischer, oft tierköpfiger Widergänger, der ‚Väter’, sogar aus fremdem Volk Zuzug bekommen können“.8 Höfler, selbst ein Fremder, worauf Kummer mehrmals anspielt, „ein bis dahin uns allen noch unbekannter, in Wien und Uppsala arbeitender Österreicher“,82 zeige in seinen Texten Mangel an Rassengespür und bejahe deshalb die Erniedrigung der Frauen. Kummer gilt das als ein Beweis für Höflers geringes „Rassenbewusstsein“. Schon die Struktur und die Regeln der von Höfler bewunderten Bünde empören ihn wegen ihrer Frauenfeindlichkeit: Die Frauen durften den Bünden nicht beitreten, Fremde aber wurden aufgenommen.83 Frauenfeindlich sei auch der von Höfler als ganz „normal“ beschriebene Zustand der Ungeweihten: Die „Knaben oder Jünglinge, die noch nicht aufgenommen sind, gelten vor der Weihe oft noch als Weiber, offenbar eine rein negative Bestimmung: sie sind noch keine ‘wahren’ Männer“.84 Höflers Vorstellung von Weiblichkeit stellt Kummer die Rolle der germanischen Frau entgegen, die für den Mann „die Genossin im Krieg und Frieden“85 gewesen sei. Kummer interpretiert Höflers Germanenbild als Anerkennung der christlichen Vision der Geschichte und Infragestellung des Wertes der germanischen Kultur: „Wenn es gelingt, uns die Erklärung der Schattenseiten christlicher Zeit als heidnische Reste einzureden, dann ist alles, was im Zeichen des Sittlichkeits- und Moralgefühls germanischer Art gefordert wird, umsonst gefordert. Ein Germanenerbe, das mit dem Hexenmord und dem Sadismus der Inquisitoren oder mit der Grausamkeit 80

8 82 83 84 85

B. Kummer, Kultische Geheimbünde der Germanen? in: Reaktion oder deutscher Fortschritt in der Geisteswissenschaft (Reden und Aufsätze zum nordischen Gedanken, Heft 32), Leipzig 935, S.70. B. Kummer, Germanenkunde im Kulturkampf, Leipzig 935, S. 2. Ebenda, S. 27. Kummer, Kultische Geheimbünde der Germanen? a.a.O, S.68. Kummer, Germanenkunde im Kulturkampf, a.a.O., S. 27. Ebenda, S.45. 319

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und Unsittlichkeit der Merowinger belastet ist, ist wert, dass man es erlöst von sich selbst“.86

Schärfer könnte die Verurteilung der Vision Höflers kaum ausfallen: Wenn die Germanen so gewesen wären, wie Höfler sie schildert, dann hätten sie Kummer zufolge keine Existenzberechtigung mehr. Mit seinen Erklärungen stelle sich Höfler auf die Seite der katholischen Studien, unterstelle den Germanen Dämonengläubigkeit und verschweige die Dämonisierung des Abendlandes durch Rom: „Wo blieb der u.a. von mir angeregte entscheidende Nachweis des religions- und sittengeschichtlichen Wandels in der Zeit der Mission, der Nachweis der Tatsache, dass die Germanen, als sie Christen wurden, die von Höfler bei Ketzerrichtern und Gelehrten als germanisch vorgefundene Disposition zum Zittern vor Dämonen, die „magische Weltanschauung“ und die sittliche Erlösungsbedürftigkeit erst gewannen?“87

Den Vorwurf, dass man seine Forschungsresultate nicht berücksichtige, wiederholt Kummer auch anderenorts mit verblüffender Regelmäßigkeit. Höfler als Vertreter „einer magischen Weltanschauung“ bejahe mit seinem Germanenbild die Behauptung, Hexenwahn sei ein germanischer Wahn gewesen: „Es ist schwer zu verstehen, dass man diese wildgewordenen Geisterspieler dann auch zur Verderbnisabwehr und zum Wachstumszauber benutzt hat, dass ihnen (was H. aus der weiblichen Jagdbeute des Wilden Jägers schließt) als Männerbünden z.B. der Kampf gegen die bösen Hexen oblag, eine sehr interessante „Feststellung“, die nicht nur die mittelalterliche Hexenverfolgung aus germanischem Aberglauben erklärt, sondern auch das Verbrechen einer Priesterhierarchie, die der „sündigen“ Evastochter den furchtbaren Prozess machte, entschuldigen kann als germanische Männerbundfunktion“.88

Nach dem alten Muster des Kulturkampfes schlussfolgert Kummer: Wenn nach Höfler der Geheimbund schon die alten Germanen vor den Hexen schützen musste, ist die deutsche Herkunft von Sprenger und Institoris eine ausreichende Erklärung dafür, warum sie ihr Buch geschrieben haben. Mit seiner Anerkennung des Dämonismus und des Hexenwahns als germanische Erscheinungen schreibe Höfler den Germanen die Schuld am Mord an den germanischen Frauen zu und bestätige kirchliche Theorien von der Bändigung

86 87 88 320

Ebenda, S.38. Ebenda, S. 30. B. Kummer, Kultische Geheimbünde der Germanen?, a.a.O., S. 66.

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

der rohen Natur der Germanen durch das Christentum. Das sei eine unakzeptable Haltung, die die nationalsozialistische Revolution in Frage stelle: „Des Führers Glauben an unsere gute ‚Natur’ schuf den Nationalsozialismus. Sein Sieg bestätigte seinen Glauben. Jene falsche Darstellung von der römischen Veredelung unserer Rohheit sabotiert diese Glaubenstat“.89

Die Erklärung der Erschaffung des Nationalsozialismus durch des „Führers Glauben“ an die „gute Natur“ der Germanen sakralisiert die „Bewegung“ im Sinne von Kummers Religiositätsvorstellung und lässt jede Infragestellung dieser gegebenen „Natur“ als ein Sakrileg erscheinen. Kummer warnt vor der Unterstützung der „deutschfeindlichen“ Theorien, die behaupten, die Christianisierung der „barbarischen“ Germanen sei eine geschichtliche Notwendigkeit gewesen. Wer das tut, spiele Rom Argumente in die Hände, die „unsere Begriffe vom germanischen Volk und seinem mutvollem Wesen“90 stürzen könnten. Einen der Gründe für Höflers „Irrtümer“ sieht Kummer darin, dass dieser aufgrund von mittelalterlichen und „fremdvölkischen“ Belegen die Volksgemeinschaft mit Hilfe „völkerkundlicher Werke über primitive Völker [...] auf der Suche nach einer Grundform der Gesellschaft“ zu erklären versuche.9 Diese, wie er meint, unangemessene Methode wird oft benutzt, weil es an Institutionen fehle, die an der Germanenkunde vereint arbeiten würden. Damit postuliert Kummer eindeutig den „Kriegseinsatz“ der Wissenschaft. Eine Germanenkunde, die dem Staat dient, müsse ein rassenbewusstes Germanentum und keine magische Disposition propagieren. Richtungweisend sei in dieser Hinsicht Rosenbergs Antidämonismus. Kummer wirft Höfler Unwissenschaftlichkeit vor, weil dieser nicht sachlich auf seine Argumente eingegangen sei. Dieser Vorwurf wird auf beiden Seiten wiederholt erhoben, zumeist in Situationen, in denen klar wird, dass man weder die Richtigkeit der eigenen Position noch die Unrichtigkeit der des Gegners belegen kann, den man diskreditieren will. Kummer ist nicht nur über Höflers Ansichten aufgebracht, sondern auch darüber, dass dieser sein Buch gerade mal am Rande erwähnt hat, und dies auch noch in Form einer „unvornehme[n] und überaus unwissenschaftliche[n] Abfertigung und Lächerlichmachung“ – gemeint ist eine Fußnote, in der Höfler Kummers Germanenversion kritisiert. Angesichts dieses „Dilettantismus“ könne er nicht verstehen, warum ein so anerkannter Wissenschaftler wie Baeumler für Höfler eintritt. Höfler sei ignorant und gefährlich, weil er wissenschaftlich unverifizierte Theorien in Umlauf bringe,

89 90 9

B. Kummer, Germanenkunde im Kulturkampf, a.a.O., S. 39. Ebenda, S. 27. B. Kummer, Kultische Geheimbünde der Germanen?, a.a.O., S. 66. 321

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die die neue deutsche Identität, als deren Verfechter sich Kummer versteht, „unterwandern“: „Warum wird eine so alle unsere Begriffe vom nordischen Menschentum ignorierende Arbeit, die als Theorie zunächst in eine gelehrte Diskussion gehört, ins Volk geworfen und derart eilig zum Anlass genommen, den Verfasser zur Autorität zu machen, so dass er sich zwar niemals einzuordnen brauchte ins Wissen des neuen Deutschland, wir aber nun gezwungen sind, mit diesem seltsamen “Pfeil im Fleische“ uns abzufinden“.92

Höfler wird als Fremdkörper in der von Kummer als „wir“ empfundenen rassischen Wissenschaft des „neuen Deutschland“ dargestellt, als derjenige, der „unsere“ Begriffe vom Wesen der Germanen ignoriert. Und schon wieder geht Kummer denunziatorisch vor, wenn er dazu aufruft, darüber nachzudenken, was hinter der Förderung dieses „Fremden“ steckt. Kummer war von der Parteitreue seiner Ansichten so überzeugt, dass er forderte: „Wir rufen die Partei an, der wir in ihrem Kampf gegen das Widerdeutsche, u.a. gegen ‚terroristische Geheimbünde’, seit vielen Jahren dienten, dass sie sich dieser Frage annehme“.93 Höflers Ansichten seien gefährlich, insbesondere bei der vorherrschenden „Tendenz da draußen, unsere Ahnen und uns ins Licht der angeborenen Wildheit und Wolfsnatur zu stellen“.94 Diese „Tendenzen da draußen“, von denen sich Kummer als Deutscher ständig bedroht fühlt, erinnern an die dunklen Kräfte der Utgard, der „Außenwelt“, die nach Kummer die germanische Kultur unterwandert haben. Sie tragen zur Bestätigung der Vorstellung von der deutschen „Barbarei“ in der Vergangenheit und der Gegenwart bei, schaden dem guten Ruf Deutschlands, den Kummer immer bedroht sieht, und stellen eine Gefahr dar, weil die Deutschen selber daran glauben könnten.

Die dämonischen Männerbünde als staatsbildende K r a f t – H ö f l e r s Ar g u m e n t e g e g e n K u m m e r Kummer hätte sich eigentlich über Beaumlers Unterstützung für Höfler nicht wundern dürfen. In Alfred Baeumlers Vortrag Das akademische Männerhaus fand Höfler die Bestätigung der Wichtigkeit seiner männerbündischen Theorie für die nationalsozialistische Bewegung. Beaumler verbindet dort nämlich die Idee des Kampfes mit der der Staatlichkeit:

92 93 94 322

B.Kummer, Germanenkunde im Kulturkampf. a.a.O., S. 28. Ebenda, S. 29. Ebenda.

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„Der Männerbund der Frühzeit, aus welchem der ursprüngliche Staat hervorgeht, ein Gebilde von ungeheurer Mächtigkeit und Kraft, entfaltet sich gegen eine Welt von Feinden. Ohne dass Gegner überwunden werden, ohne den Sieg über das Chaos gibt es keinen Staat“.95

Der gleiche Vortrag liefert Argumente für Höflers Missachtung der Sippe: „Die Familie ist nicht die ‘Keimzelle’ des Staates. Der Staat kommt aus einem Prinzip heraus, das dem der Familie ursprünglich entgegengesetzt ist. Das Volk wächst organisch, aber der Staat entsteht nicht organisch, sondern wird künstlich geschaffen, durch die Taten und die Vereinigung freier Männer“.96

Ganz direkt wird hier die Ausschließung der Frauen aus der politischen Sphäre postuliert, die Himmler öffentlich nie so scharf formuliert hat. Nicht nur Baeumler teilt in dieser Hinsicht Höflers Meinung. Auch Rosenberg vertritt in seinem Mythus die Konzeption vom Ursprung des Staates in einem Männerbund. Vermutlich deshalb hat Rosenberg Höfler nicht restlos abgelehnt und ihn sogar „sehr beachtlich“ gefunden. Höflers kategorische Ablehnung kam eher, wie Gerd Simon nachweist, von den niederen Chargen im Amt Rosenberg.97 In seinem Buch Kultische Geheimbünde der Germanen, im Kapitel Wodan und die germanischen Männerbünde, fügt Höfler nach der Besprechung der dämonischen Unberechenbarkeit, der Hinterhältigkeit und Wildheit Wodans eine mehrseitige Fußnote an, in der er sich mit dem Germanenbild von Kummer befasst und versucht, ähnlich wie dieser, das Argument der ideologischen Diversion auszuspielen. Höfler unterstellt dort Kummer, dass der – genau wie die Kirche – Wodan als eine Bedrohung der Menschenwelt versteht: „Kummers Buch tritt mit dem Anspruch auf, ein Gesamtbild vom Wesen der alten germanischen Kultur zu zeichnen. Dass er Wodan zum Teufel macht – wie so viele 95 96 97

A. Bäumler, Das akademische Männerhaus, in: ders., Männerbund und Wissenschaft, Berlin 940, S. 33. Ebenda, S. 42. Vgl.: G. Simon, Der Modernisierer des nördlichen Gedankens. Otto Höfler und die Skandinavistik im III Reich, in: http://homepages.uni-tuebingen.de/ gerd.simon/hoeflereinleitung.pdf S.4, (7.09.2008). Ein Abteilungsleiter der Arbeitsgemeinschaft für Volkskunde, Karl Heiding, schreibt an Rosenberg am 9.05.939: „Indessen ist eine wenig erfreuliche Rivalität des Ahnenerbes gegenüber der Arbeitsgemeinschaft für dte. Volkskunde zu beobachten, da im Ahnenerbe Kräfte wirken, die niemals Eingang in unsere AG finden würden. [...] Sein [Muchs – K.L.] Schüler Höfler ist durch die von der AG abgelehnte These von den kultischen Geheimbünden bei den Germanen bekannt geworden“, in: http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 4, (7.09.2008). 323

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Quellen seit dem Mittelalter unseren Wilden Jäger – das berührt den Lebensnerv dieses Bildes“.98

Neben der Verteufelung des höchsten germanischen Gottes wirft er Kummer die Verniedlichung der germanischen Welt, ihre Reduzierung auf das Bauerntum, die Unterschätzung des Heldentums der Wikingerzeit und die Missachtung der Eroberungszüge vor. Umfassend zitiert er Kummers Kritik an Walhall als dem männlichen, kämpferischen Paradies. Er verspottet dabei dessen Kritik des Dämonischen und des Schicksals: „Das Schicksal ist die Seele des germanischen Heldenliedes, – es kündet nicht von fetten Ernteerträgen, sondern von Tragödien“.99 Kummers Rationalismus verursache, dass er die germanische Religion als eine abstrakte bezeichnet und das Vorhandensein der germanischen tiergestaltigen Gottheiten und der Götterbilder bestreitet. Alles, was nicht abstrakt war, erkläre er als Einfluss des Christentums und bezeichne er als Verfall. Kummer lehne alles ab, was ihm persönlich unsympathisch sei: „Kein Respekt vor den schicksalhaft gegebenen Wirklichkeiten hindert ihn, ungeheuren Epochen unsrer Geschichte das Zeugnis der Minderwertigkeit zu erteilen. Das ist schon der wunderlichste Patriotismus, der darauf ausgeht, die eigene Vergangenheit ohne Hemmung herabzusetzen und abzukanzeln, weil man sie lieber anders hätte. Kummer geht noch ein Stückchen weiter, als die meisten Geschichtsrichter dieser Art: er erklärt all das für ‘dekadent’, was über die bäuerliche Sesshaftigkeit hinausgeht – damit alle Staatengründungen, alle wahre Geschichte“.00

Mit dem Vorwurf, Kummer verunstalte und verharmlose die durch große tragische Vergangenheit Deutschlands, unterstellt Höfler diesem nicht nur Realitätsfremdheit und gefährliche Schwärmerei, sondern bezichtigt ihn auch der Missachtung der deutschen Fähigkeit zur Staatsbildung. Kummers Bild der Germanen, so Höfler, führe dazu, dass man die ganze germanische Geschichte als Verfall sieht. Kummer habe mit Einfühlung nur eine Seite des germanischen Lebens beschrieben, eine bäuerliche Idylle, die andere jedoch, die politische, geschichtsgestaltende, völlig ausgeblendet: „In dieser idyllischen Welt von Frieden, Erntesegen und Nutzen, Zuversicht, Vertraulichkeit und Erfolg gäbe es keine Tragik. Das ‘heitere Griechentum’ ist seit Nietzsches ‘Geburt der Tragödie’ nicht mehr. Unserer Zeit ist es nicht bestimmt, das zweite tragische Volk, die Germanen, als heiter zu verkennen. Der Heroismus des Wodankultes mag der dionysischen Tragik trotz des Unterschiedes der Breiten näher

O. Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen, Frankfurt am Main 934, Anm. 69, S. 335. 99 Ebenda, S. 337. 00 Ebenda, S. 338. 98

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stehen als irgendeine andere Religionsform. Wenn wir seinen Spuren folgen, dringen wir aus dem Kreis des sesshaften Sippenlebens in die Welt der geschichtlichen staatlichen Mächte vor. Und es scheint mir die merkwürdigste Tatsache der germanischen Mythologie, dass der tragisch-dämonische Gott der Gott des staatenbildenden Kriegertums war“.0

Der Vergleich der Erscheinung Wodans mit der Erscheinung von Dionysos, die Berufung auf Nietzsche, hebt den tragischen Charakter des germanischen Gottes und der germanischen Kultur hervor. Wodan sei furchtbar und unberechenbar, weil er sich auch gegen seine Verehrer wenden könne. Er sei dämonischer Art, aber seine Dämonie wird als die germanische Kontinuität verstanden, sie kehre in der deutschen Geschichte immer wieder zurück. Die deutsche Geschichte erscheint hier als eine Kette von männlichen, staatsbildenden Existenzen: „Die Neuzeit hat sich gewöhnt, im Dämonischen eine Kraft des Chaos zu sehen, die alle Ordnungen zertrümmert, einen Feind der fest gefügten Gemeinschaft und des bindenden Ethos. Die ekstatischen Kulte der germanischen Totenreligion lehren uns ein anderes: die Bindung (re-ligio!) an die fortlebenden Toten und ihren Führer ist heilige Verpflichtung“.02

Im Dämonismus entdeckt Höfler eine ordnende Kraft, die die Männer vereint und sie als freie Kämpfer einem Führer unterordnet. In der RSHA-Sammlung in Warschau ist eine Erläuterung des Streites aus der Feder Höflers erhalten geblieben. Höfler klagt Kummer an, Odin, und damit einen großen Teil der germanischen Geschichte, mit dem „Teufel“ und dem „ewigen Juden“ gleichzusetzen. Das ekstatische Moment der Männerbünde erklärt er in dieser Schrift wie in seinem Buch: Die „Lebenden fühlen sich in der kultischen Ergriffenheit eins mit ihren Toten, sie werden von diesen ihren heroischen Ahnen beseelt und fühlen sich mit ihnen nicht nur verbunden, sondern geradezu in sie verwandelt“.03 Nicht von Kummers Sippen, sondern von seinen Männerbünden leitet Höfler Gilden, Zünfte, Ritterorden, englische Klubs und nordische Wikingerverbände ab, die von der germanischen Kontinuität zeugen.04 Er glaubt, in ihnen das Fortleben der altgermanischen Gemeinschaften entdeckt zu haben, oder genauer, er konstruiert die Parallelen, um seine Kontinuitätstheorie begründen zu können: „Kummers Grundanschauung steht auch hierzu in tiefstem Gegensatz: nach ihm war das

0 02 03 04

Ebenda, S. 339. Ebenda, S. 34. RSHA 362, Sygn. 268, s. 33. Davon sollten die nicht zustande gekommenen weiteren Bände seines Werkes handeln. 325

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germanische Heidentum schon lange vor der Christianisierung am Ende seiner Kraft“.05 Höfler fragt nach der Kontinuität der Kulturträger, der Rasse, der Sprache, des Raumes und des Staates, nicht nach der Kontinuität der Kultur, die schwerer zu beweisen wäre. Er versucht, auf die organische Entwicklung der „völkischen Lebensformen“ hinzuweisen und so den Bruch zwischen dem germanischen Altertum und dem germanischen Mittelalter zu überwinden: „Die Historiographie, die aus dem Süden kam, hat die Stränge, die in die germanische Frühzeit zurückführen, zerschnitten und sie neu angeknüpft an die Welt ihrer Tradition – den Süden“.06 Kummer verstehe den Wodan nicht, weil er das Gefährliche in der menschlichen Existenz ablehne. Deshalb setze er diesen urgermanischen Gott mit dem Teufel gleich: „Für ihn ist Midgard die Welt der Sicherheit, Utgard die Welt der Gefährlichkeit des Lebens. Bei dieser Betrachtung wird Wodan zum altgermanischen Teufel in der Verkörperung der Gefährlichkeit des Lebens“.07 Trotz der Zeugnisse des Tacitus wolle Kummer den Wodan nicht als den obersten der Götter anerkennen, der dem Wesen der Germanen am nächsten stand: „Wenn die Königsgeschlechter der bedeutendsten germanischen Reiche auf jenen Wodan zurückführten, so war das keine Marotte ihrer Dekadenz, sondern ganze Völker führten durch Jahrhunderte hindurch diese Überlieferung weiter und empfanden ihre Abstammung als einen Adelsbrief. Aber dann können sie in Wodan nicht den Teufel gesehen haben, sondern etwas, was sie verehren“.08

Höfler widmet in seiner Polemik dem Frauen- und Weiblichkeitsthema keine Aufmerksamkeit. Während der ganzen Auseinandersetzung geht er nicht auf die Kritik an den Hexen verfolgenden Männerbünden und auf die Vorwürfe der Diversion im Kampf gegen die Kirche ein. Er vermeidet das Thema der Hexenprozesse und des Kampfes gegen die Kirche und konzentriert sich auf die staatsbildende Macht seiner Männerbünde, mit der er auch an Rosenbergs Ansichten anknüpfen kann. In einem Artikel in Germanien (937), der Grönbech gewidmet ist, führt er die Polemik gegen Kummer weiter, indem er die Zeit des Wodanskultes aufwertet, weil ihr die Germanen zahlreiche „Stoffe tragischer Heldendichtung“ und „straffere politische Organisationsformen“ verdanken. Durch das „Hochkommen neuer politischer Formen und wehrmannschaftlicher Verstraffung“ sei „die Voraussetzung der weltpolitischen

05 Ebenda, S.33. 06 O. Höfler, Das germanische Kontinuitätsproblem, in: Historische Zeitschrift 57, 938, S. 5. 07 O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, 26.02.943, http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/hoeflerprobleme. pdf, S.3, (7.09.2008). 08 Ebenda, S.3. 326

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Bedeutung der Nation“ geschaffen.09 Diese Position bekräftigt Höfler auch in späteren Texten: Als die Germanen „aus dem bäuerlichen in den geschichtlichen Zustand“ übertraten,0 musste Wodan zum höchsten Gott werden, und die Träger der Wehrhaftigkeit mussten als politische Exponenten auftauchen. Die Verneinung dieser Tatsache ist für ihn unverzeihlich, die persönliche Meinung dürfe nicht das politische Wesen der Germanen in Frage stellen, wenn man an ihm als Wissenschaftler teilhaben möchte: Denn „wenn Germanien nicht offensiv geworden wäre, würde es nicht Europa beherrschen. Das persönliche Urteil eines Herrn Kummer ist dabei wertlos“. Höflers nächster Schritt in dieser Polemik ist zukunftsorientiert und strategisch durchdacht. 937 gab er Kultur und Religion der Germanen heraus. Grönbech war einer der für Kummer wichtigsten Bezugsautoren. In einer Vorrede zu dieser Ausgabe weist Höfler auf die Wichtigkeit der Blutgemeinschaft, die Härte und Archaik der germanischen Mythologie hin, die auch Grönbech berücksichtigt, Kummer jedoch verkannt habe. Island klassifiziert Höfler als einen Sonderfall in der Geschichte, der sich nicht auf die ganze germanische Welt ausweiten lässt. Und indirekt greift er erneut Kummer an, genauer gesagt, dessen Versuche, eine Religion zu begründen, wenn er über Grönbech schreibt, dieser habe „sich nie darüber weggetäuscht, dass eine nach-denkende Einfühlung, so lebensvoll sie sein mag, doch niemals eine geschichtliche Neugeburt des Vergangenen bedeutet. Er, der wie wenige darum gewusst hat, dass der Kult die Lebensmitte des geschichtlichen Daseins war, hat nie gewähnt, dass aus solchem Wissen ein neuer Kult geschaffen werden könnte“.2

Man solle nicht alte Kulte wieder beleben, sondern das „Wesen“ des Volkes in den alten Kulten entdecken und daraus die Legitimation der Gegenwart schöpfen. Diese Bestimmung der Beschäftigung mit der Vergangenheit steht mit Rosenbergs Ansichten in Einklang. Höfler versuchte, Kummer auch mit anderen Mitteln als nur wissenschaftlicher Polemik zu disqualifizieren. Am 9.07.937 schrieb er an Sievers: „Rutscht Kummer jetzt unversehens hinein, so haben wir für Jahrzehnte eine Quelle von Sabotage und Quertreiberei und Revolte ostischer Unterinstinkte

09 O.Höfler, Ein Bild gesamtgermanischer Kultur. Zu Wilhelm Grönbech Kultur und Religion der Germanen, in: Germanien, Juli 937, Heft 7, S.93-200, S. 99. 0 O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, 26.02.943, a.a.O., S.6, (7.09.2008).  Ebenda. 2 O. Höfler, die Einleitung zu: W. Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, Darmstadt 997, S. 4. 327

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in ´wissenschaftlicher´ Markierung“.3 Er recherchierte nach diskreditierendem Material in Kummer Lebenslauf und vergalt ihm Gleiches mit Gleichem: In einem Schreiben an das Reichsministerium für Wissenschaft erwähnt er, dass Kummer vor 933 einen Beitrag veröffentlicht hat, in dem er Hitler „romhörig“ und „gefährlich“ nennt.4

Die machtpolitische und ideologische Au s e i n a n d e r s e t z u n g ü b e r H ö f l e r s u n d Kummers Thesen Die Auseinandersetzung zwischen Kummer und Höfler ging weit über die Uneinigkeit zweier Wissenschaftler hinaus. Die ideologischen Argumente, die sie gegeneinander auszuspielen versuchten, wurden vom RSHA ernst genommen und auch für innerparteiliche Kämpfe und Intrigen ausgenutzt. Der Parteiöffentlichkeit wurde vermittelt, welche Einstellung, zumindest vorübergehend, „richtig“ war. Der Verlierer musste seinen Irrtum büßen. Schnell wurde aber auch klar, dass das „Urteil“ nicht endgültig sein konnte. Die folgende Darstellung erhebt nicht den Anspruch auf eine komplette, chronologische Wiedergabe dieser Diskussion. Gerd Simon hat die betreffenden Dokumente auf seiner Internetseite aufgelistet. Diese Dokumentenliste entstand im Rahmen des Projektes Der Modernisierer des nordischen Gedankens. Otto Höfler und die Skandinavistik im 3. Reich, in dem Simon Höflers Rolle in der Kulturpolitik des Dritten Reiches nachgeht.5 Barbara Schier schildert ebenfalls den Verlauf dieser Auseinandersetzung.6 Aus dieser Polemik mit ihrem wissenschaftlichen, politischen und ideologischen Hintergrund kann man wahrscheinlich noch einiges über den kulturpolitischen Betrieb jener Zeit erfahren. Die vielen Schichten dieser Polemik können hier nicht untersucht werden, auch die Auseinandersetzungen zwischen Volkskundlern und Germanisten, wie sie damals geführt wurde und sich bis heute fortsetzt, muss hier außer Acht bleiben.7 Hier geht es darum, zu prüfen, wie die in den Hexen3 4 5 6 7

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http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 24. http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 30. http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O., S.69-78. Zu den gegenwärtigen Kritikern Höflers gehört Carlo Ginzburg. In: Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte, Berlin 2005, nennt er die Autoren, die das Vorkommen weiblicher Gestalten in der „wilden Jagd“ belegen (S. 345). Er gliedert Höflers These in drei Schwerpunkte. Er findet nur den ersten belegbar, dass nämlich die Sagen zur Wilden Jagd eine mythisch-religiöse Bedeutung hätten. Die zwei anderen lehnt er ab – dass sie einen kriegerischen, germanischen Mythos zum Ausdruck bringen, und dass sie als „Belege für Riten zu interpretieren seien, die Geheimorganisationen und Gruppen junger, in der Regel verkleideter Männer praktizieren, welche von ekstatischer Raserei ergriffen, die Geister der Toten zu verkörpern glaubten“(S. 367). Von anderen

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prozess-Diskussion deutlich gewordenen und für die Legitimation der Germanenvision relevanten Themen wie Sippe, Männerbund, Geschlechtsfragen, Zaubergläubigkeit und Dämonismus in einer durchaus politischen Kampagne verwendet worden sind. Dazu sollen einige Texte herangezogen werden, die im Zentrum dieser ideologischen Debatte standen und deren Autoren versuchten, machtpolitischen Druck auszuüben. Die meisten dieser Texte stammen aus dem RSHA-Archiv am Warschauer Instytut PamiĊci Narodowej (Institut des Nationalen Gedenken) und sind dort unter einer Signatur versammelt. Die anderen Dokumente wurden Gerd Simons Internetseite entnommen. Alle Beiträge zu analysieren, die zu dieser Debatte gehören, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und weit über das Hexen-Thema hinausgehen.8 In den hier ausgewählten Texten zeichnen sich die Fronten dieser Auseinandersetzung deutlich ab, denn sowohl Himmlers als auch Rosenbergs Anhänger kommen dort zu Wort. Die Diskussion begann direkt nach der Veröffentlichung von Höflers Buch. Das RSHA holte an verschiedenen Orten Auskünfte über die Debatte ein und dokumentierte ihren Verlauf. – positiven – Bezugnahmen sei noch Rudolf Simek genannt. In dessen Lexikon der germanischen Mythologie (Neuauflage 2006) ist zu lesen: „Erst Höfler hat mit grosser Wahrscheinlichkeit nachweisen können, dass die Sagen vom Wilden Heer >zu einem sehr wesentlichen Teil Spiegelungen von altertümlichen Kulten geheimnisvoller Bünde< sind“. Simek findet die kultische Ekstase dieser Bünde, ihre Bezeichnung als Totenheer, kultisch-ekstatische Verbindung mit den Toten als Basis der Umzüge für belegt (R. Simek, Lexikon a.a.O., S 49). 8 Dazu gehört z.B. Friedrich Ranke, Das Wilde Heer und die Kultbünde der Germanen. Eine Auseinandersetzung mit Otto Höfler, veröffentlicht in Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde und Blätter für niedersächsische Heimatpflege Nr 8 (940) (ich zitiere nach: Friedrich Ranke, Kleinere Schriften, hrsg. von H. Rupp, Bern 97) Ranke sieht in der „Leidenschaft“ des Autors und im „stürmischen Rhytmus, der dem Leser ins Blut schlägt“ (F. Ranke, op.cit., S. 380) den Grund, warum die ruhige Urteilsbildung über dieses Buch so schwierig sei. Er ergreift Partei für Friedrich von Leyen. Er analysiert Höflers Argumente aus der Perspektive eines Volkssagenforschers und stellt seine These, die Sagen vom Wilden Heer seien Spiegelungen von Kulten geheimnisvoller Bünde, in Frage. Höflers Theorie sei für die Sagaforschung nicht von Nutzen. Als ein Argument gegen die Herkunft dieser Sage aus dem Brauchtum nennt Ranke die sexuelle Ausgelassenheit des Maskenbrauchtums, die diesen Sagenvorstellungen fehle, und die Höfler immer zu negieren versuchte. Auch Höflers These vom Geheimcharakter der Bünde wird verspottet und als dem „Wissenstand“ über die Germanen widersprechend, als „Unding“, abgelehnt: „Diese Vorstellung von einer esoterischen, den Außerstehenden unzugänglichen Kultüberlieferung widerspricht nun freilich allem, was wir bisher vom Wesen der germanischen Volkskultur und Religion zu wissen glaubten. Zu diesem Wesen gehörte uns die alle Stammesgenossen umschließende Gemeinsamkeit, die Öffentlichkeit der Götterverehrung, das Fehlen jeder `Geheimlehre` der Kultträger [...] und jeder Zerspaltung in Eingeweihte und Lainen“ (F. Ranke, a.a.O., S. 407). 329

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Die ersten kritischen Höfler-Rezensionen kamen aus Volkskundlerkreisen. Schon im Dezember 935 hat Friedrich von Leyen Höflers Buch im „Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur“ besprochen. 9 Seine Kritik war zwar nicht eindeutig von nationalsozialistischer Position aus geschrieben, aber sie zeigen, dass das ideologische Engagement der beteiligten Autoren schon damals offensichtlich war und dass die nationalsozialistischen Arbeiten an der Vision der Germanen zum „Zeitgeist“ gehörten. Im gleichen Jahr hat der Leiter der SS-Bibliothek, Harald Spehr, eine kritische Rezension der Kultischen Geheimbünde verfasst.20 Eine andere Kritik an Höflers Ansichten veröffentlichte Martin Ziegler im September 936 unter dem Titel Germanische Religionsforschung im Weltanschauungskampf.2 Ziegler war ein enger Mitarbeiter Rosenbergs, der diesen im Kampf gegen die Autoren der katholischen Studien unterstützte. 937 wurde ein „streng vertrauliches“, mit Kummer sympathisierendes Gutachten unter dem Titel Die 9 F. von Leyen, Otto Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen, in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur, LIV,4, Dezember 935, S. 53-65 (weiter: Leyen). Friedrich von der Leyen (873-966) war ein völkisch-nationaler Germanist und Volkskundler, seine Habilitationsschrift von 899 war den "Märchen in den Göttersagen der Edda" gewidmet. Die Märchenforschung, auch in der Verbindung mit Traum, und die Volkskunde nehmen eine zentrale Stellung in seinem Oeuvre ein. Von 920 bis zu seiner Zwangsemeritierung 937 hatte er einen Lehrstuhl für Deutsche Philologie an der Universität Köln inne. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er bis 953 als Honorarprofessor in Köln und München tätig. Aus den Recherchen von Gerd Simon geht hervor, dass Leyen zwar kein NSDAP-Mitglied, aber ein Antisemit war, was in seinen Texten dokumentiert ist (u.a. über Wedekind, Schnitzler, gegen die „zersetzende“, „internationale“ moderne Literatur). Einige Zeit wurde er von Hess unterstützt. Wegen seiner jüdischen Frau und angeblich die neue Zeit herabsetzenden bußerungen wurde er zwangsemeritiert. 938 verteidigte er die zu dieser Zeit unerwünschte Auffassung, dass die Heimat der Indogermanen im Osten oder Südosten zu suchen sei und nicht im Norden, dass viele eddische Mythen nicht ins germanische Altertum reichen, und arbeitete die Rolle des Christentums für die Mythologie der Nordgermanen und ihre Überlieferung heraus. In seinen Erinnerungen schrieb er: „Ich meinte das Dritte Reich würde mich gewähren lassen, meine Anschauungen über dass Deutschtum schienen mir den neuen Herren gegenüber haltbar“ (zit. nach: K.O.Conrady, Völkisch-nationale Germanistik in Köln. Eine unfestliche Erinnerung, Schernfeld 990, S. 59. Vgl. auch: K. Schier, Leyen, Friedrich von der, in: Enzyklopädie des Märchens, begründet von Kurt Ranke, Bd. 8, Berlin 996, Sp. 005-0; und Gerd Simons Recherchen http://homepages.unituebingen.de/gerd.simon/LeyenSchneider.pdf, S. , 8.09.2008). 20 H. Spehr, Otto Höffler: Kultische Geheimbünde der Germanen. SchleswigHolsteinische Hohschulblätter, 935, RSHA 362, Sygn, 268, S34-35 (weiter Spehr). 2 M. Ziegler, Germanische Religionsforschung im Weltanschauungskampf, in: Nationalsozialistische Monatshefte, Heft 78, Sept. 936, S. 43-48 (weiter: Ziegler). 330

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germanenkundliche Streitlage der Gegenwart (Höfler-Kummer) und ihre rassisch-weltanschauliche Tragweite vorbereitet.22 Der Verfasser war Hermann Mandel, ein mit der Deutschen Glaubensbewegung sympathisierender Professor für rassenkundliche Geistesgeschichte aus Kiel.23 Schließlich sei noch die mehrseitige Denkschrift Das bedenkliche und Gefährliche in der Germanenauffassung von Dr. Bernhard Kummer, besonders im Hinblick auf die SS,24die Walther Wüst signiert und im November 937 an Himmler geschickt hat.25 22 H. Mandel, Die germanenkundliche Streitlage der Gegenwart (HöflerKummer) und ihre rassisch-weltanschauliche Tragweite, RSHA 362, Sygn. 268, S. 30-32 (weiter Mandel). 23 Hermann Mandel (882-946) war formell der einzige Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie innerhalb der Kieler Fakultät. Er habe den Weg zu einer »Religionsstiftung« außerhalb der Traditionen des Christentums eingeschlagen. Mandel trat seit 933 nicht nur offen für den Nationalsozialismus und das politische Programm der NSDAP ein, sondern schloss sich auch der deutschgläubigen Bewegung an. 936 veröffentlichte er einen Bericht, in dem er über die Veränderungen seiner religiösen und theologischen Einstellungen Auskunft gab und sie als Ergebnis eines kontinuierlichen, bruchlosen Entwicklungsprozesses darzustellen suchte (Mein Weg zu arteigenem Glauben, in: Nordische Welt. Ausgabe vom Februar 936). In rascher Folge publizierte M. zwischen 933 und 935 eine ganze Reihe von Texten, in denen er für ein neues, am Nationalsozialismus und seiner Deutschtumsideologie orientiertes, nicht-christliches Religionsverständnis eintrat (Nordisch-arische Wirklichkeitsreligion, 934; Deutsche Glaubensunterweisung in Frage und Antwort, 935). Im April 934 bestätigte die NS-Gauleitung Schleswig-Holstein in einem Bericht an das Wissenschaftsministerium, dass M. »bis jetzt hier in der Provinz, vielleicht sogar in ganz Deutschland der einzige Theologie-Professor [ist], welcher bereits seine ganze Tätigkeit auf rassischer Grundlage aufbaut und damit dem Kulturwillen des Nationalsozialismus nachkommt« (zitiert nach Jendris Alwast, Geschichte der Theologischen Fakultät, S.87).935/36 wurde er der Philosophischen Fakultät zugeordnet. Im Rahmen seiner neuen Fakultät wurde ihm eine ordentliche Professur für Religionsphilosophie und Religionsgeschichte »mit besonderer Berücksichtigung rassenkundlicher Geistesgeschichte« übertragen. 938 trat er dem neugegründeten NSD-Dozentenbund der Kieler Universität bei. Vgl.: http://www.bautz.de/bbkl Auf ihn und auf Kummer berufen sich Deutsche Unitarier. 24 W. Wüst, Das bedenkliche und Gefährliche in der Germanenauffassung von Dr. Bernhard Kummer, besonders im Hinblick auf die SS, http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordkummer.pdf (8.09.2008). Gerd Simon vermutet, dass Wüst diese Schrift nicht selber verfasst hat und er schließt Höfler als Autor nicht aus. 25 Walther Wüst, 90-99, Indologe, hoher SS-Offizier, enger Freund Himmlers sowie Kurator der „Stiftung Ahnenerbe“. Wüst war während des Krieges Rektor der Universität München. Er ist daher u.a. mitverantwortlich für die Verfolgung der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" und die Hinrichtung ihrer Mitglieder. Er war Spartenleiter Orientalistik beim Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, Mitherausgeber des „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ und Mitglied des Beirats des Entomologischen Instituts des AE im KZ 331

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Die Kritiker Höflers haben vor allem dessen positive Bewertung der „magischen“, „chaosstiftenden“, „dunklen“ Seite des Germanentums hervorgehoben. Sie betonten die Gefahr, dass die Anerkennung dieser Seiten von der katholischen Kirche und anderen Gegnern in der Propaganda gegen die nationalsozialistische Weltanschauung benutzt werden könnte. Ziegler moniert, dass Höfler negative Eigenschaften als germanisch klassifiziert und man nach der Lektüre Rosenbergs, der die Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung klar definiert habe, nicht mehr akzeptieren könne: „dass Begriffe wie Dämonie, Ekstase und Magie, die Alfred Rosenberg als dem nordischen Wesen artfremd bezeichnet, nach den Arbeiten von Höfler (...) wesentlich und ursprünglich mit der germanischen Religion verknüpft seien“.26 Höflers Buch könne gefährliche Auswirkungen haben, weil er die Welt der „Ordnung“, „Klarheit“ und des „schöpferischen Geistes“ in Frage stelle, die Rosenberg im Mythus überzeugend als die germanische Welt dargestellt habe. Ziegler gibt zu bedenken, dass die Kritiker der germanischen Kultur in diesem Buch die Kulturunfähigkeit der Germanen bestätigt finden. Er befürchtet, dass das Buch die These der katholischen Kritiker des Nationalsozialismus von den mordenden und raubenden germanischen Geheimbünden, von Ekstase, dämonischer Raserei, dem Werwolf als „Typ germanischen Wesens“, also die „Gräuelpropaganda“ gegen Deutschland unterstütze. Um Vorwürfen des Pazifismus und der Unterschätzung der politischen Organisation der Germanen gegen Kummer vorzubeugen, betont er den wehrhaften Charakter der germanischen Sippe und unterscheidet scharf zwischen „der aktivistischen Ekstase Höflerscher Geheimbünde“ und „der Begeisterungskraft und dem Kampfesmut“ der germanischen Mannschaften. Er gibt zwar zu, dass Kummer zur idyllischen Verklärung der Germanen neigt, führt das jedoch darauf zurück, dass Kummer die Heldensagas zu wenig berücksichtigt habe. Nichtsdestoweniger steht für ihn außer Frage, dass man einen wichtigen Grundsatz der germanischen Religion anerkennen muss: Die Germanen kannten zwar Götter und Unholde, aber „das Gesetz des Lebens ist ein Gesetz der Ordnung und nicht des Chaos“; sie wussten, dass die „zerstörenden Kräfte“ nie die Oberhand gewinnen können.27 Diese Betonung der „Ordnung“ der germanischen Welt findet eine Entsprechung in Texten, in denen die germanische Herkunft des Hexenglaubens mit der Behauptung bestritten wird, dass der Zauber der „christlichen“ Hexen nicht nachvollziehbar, chaotisch gewesen sei. Erst mit der Christianisierung „wurden nicht nur Unholde, sondern vor allem auch die ordnenden und schaffenden Kräfte des germanischen Weltbildes

Dachau. 945 wurde er in Dachau interniert, 950 als minder belastet entnazifiziert. Nach: E.Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt 2005. 26 Ziegler, S. 43. 27 Ziegler, S. 47. 332

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verteufelt“.28 Diese Verteufelung sei nicht ohne Einfluss auf die „dem Zugriff der Kirche sich entziehende Weiterpflege germanischen Brauchtums“. Ziegler warnt, dass Höflers Thesen, vor allem seine „missverständliche Begriffsprache“, fatale weltanschauliche Auswirkungen haben könnten: „Die Germanenkunde aber tut gut daran, wenn sie aus den bußerungen aus dem konfessionellen Lager das eine lernt, dass das germanische Weltbild ein Bild der Ordnung war, und dass germanischer Geist zu allen Zeiten ein Geist der schöpferischen Klarheit gewesen ist; denn der Germane war weder Priester noch Nomade, noch Räuber, sondern Künstler, Bauer und Krieger“.29

Auch Harald Spehr wirft Höfler vor, die klaren Formen der germanischen Welt in Frage zu stellen: „Passt solch uns fremd anmutende Geheimnistuerei und Verdunklung zu der klaren, harten und nüchternen nordischen Art?“30 bhnlich argumentiert Hermann Mandel. Er suggeriert, dass Höflers Germanenbild Interpretationsmöglichkeiten bietet, die es in die Nähe verschwörerischer Geheimorganisationen rücken und als Grundlage des deutschen Staates Wahn, Tod und Ekstase suggerieren. Die Germanen wären dann nichts als: „exklusives, geheimbündlerisches Totenkriegertum, das sich durch Vermummung und ekstatischen Taumel in den Wahn versetzt, dass die Geister der Toten in sie eingingen. [...] Diese totenekstatischen Geheimbünde seien die Träger des germanischen Kriegertums und seiner welterobernden staatengründenden Wirksamkeit gewesen“.3

Mandel beruft sich auch auf die „Autorität der Wissenschaft“. Er betont ausdrücklich, dass dieses Bild von der „germanistischen Wissenschaft“ längst abgelehnt wurde, u.a. von Edmund Mudrak, weil es keine überzeugenden Beweise für ein ekstatisches Germanenbild gebe und Höfler selbst auch keine liefere. Entschlossen werden von allen Kritikern jegliche orgiastisch-ekstatischen Züge als „völlig abwegig“ abgelehnt, wobei niemand auf Höflers Begriffserklärungen, z.B. des Geheimen, oder seine Ablehnung des erotisch Orgiastischen eingeht. Die Kritik an Höflers Dämonisierung der germanischen Kultur wird fortgesetzt, seine unakzeptablen Schlussfolgerungen werden auf Fehler in seiner wissenschaftlichen Methode zurückgeführt, auf die sich auch schon Kummer konzentriert hat. Teilweise erinnern diese Argumente an die Vorwürfe, die auch an die Befürworter der germanischen Herkunft des Hexenglaubens ge28 29 30 3

Ziegler, S. 47. Ziegler, S. 48. Spehr, S.35. Mandel, S. 30. 333

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richtet wurden. Zugleich haben wir es hier mit einem Kampf um das Definitionsmonopol für Wissenschaftlichkeit“ zu tun. Ziegler wirft Höfler in der Tradition des Streites um die Quellen vor, dass er die vor- und nachchristlichen Quellen nicht trennt und dadurch die christliche Verteufelung des germanischen Weltbildes als germanische Vergangenheit übernimmt. Die Zeitschrift Germania, die Höflers Thesen lancierte, wird als „Berliner Tageszeitung der Romkatholiken des Deutschen Reiches“ denunziert, die Rosenbergs Auffassungen von der germanischen Religion unterwandere. Außerdem tritt Ziegler gegen die Benutzung volkskundlicher Begriffe bei der Erforschung der Germanen auf, denn: „diese Begriffe atmen den Geist des Liberalismus, des gleichen Liberalismus, der von „Primitiven“ und „Wilden“ da spricht, wo die römische Kirche von „Heiden“ spricht“.32 Höfler habe, so Ziegler, ohne jegliche Beweise die Annahme eines „bündischen Prinzips“ bei den alten Germanen von der christlich beeinflussten Völkerkunde übernommen, und damit auch die Behauptung, dass die Germanen erst mit der Christianisierung der primitiven Stufe der Entwicklung entwachsen seien. Auch Mandel hält es für unzulässig, dass Höfler aus dem „durch christliche Dämonisierung entstellten“ Volksbrauchtum und aufgrund christlich beeinflusster Quellen auf die germanische Religiosität schließt. Er stellt das Vorhandensein der orgiastisch-ekstatischen Neigungen bei den primitiven Völkern nicht in Frage. Diese Forschungsrichtung schreibt er aber als Schwerpunkt vor allem der katholischen völkerkundlichen Schule zu, der sich Höfler durch sein Buch anschließe, wobei er die rassischen Kriterien außer Acht lasse: „Allein dieser völkerkundliche Tatbestand verbietet es artbewusstem Denken, in jedem Brauchtum etwas spezifisch Germanisches zu sehen, oder es gar in die Mitte germanischen Wesens zu setzen“.33 Vor der Übertragung der völkerkundlichen Art der Betrachtung auf die Germanen warnt auch Spehr. Dieser sieht darin den schon früher unterlaufenen Fehler, „dass wir in das germanische Wesen Dinge hineinsahen und hineindeuteten, die ihm nie und nimmer eigen waren noch sind“. Was für viele primitive Völker gelte, gelte nicht für die auf einer höheren Entwicklungsstufe stehenden nüchternen Germanen. Er verteidigt den lange konstruierten Mythos: „Dieses glücklich gewonnene Bild des nordischen Menschen wollen wir uns nicht wieder verdunkeln und verzeichnen lassen“.34 Höflers These, dass der Mythos ein Widerschein des Brauchtums sei, kommt ihm gewagt vor, um so mehr, als er bei Höfler weder eine umfassende Untersuchung der Vorstellungen von der Wilden Jagd, dem Totenheer und dem Wilden Jäger, noch Belege für germanische kultische Männerbünde und ihren Geheimcharakter findet.

32 Ziegler, S. 48. 33 Mandel, S. 30. 34 Spehr, S. 35. 334

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Die einstimmige Ablehnung ethnologischer Methoden für die Untersuchung der Vergangenheit der Germanen bestätigt einerseits das Fehlen von Quellen, andererseits den mythologischen Charakter der Germanenkunde. An der Kritik über Höflers „Wissenschaftlichkeit“ setzt auch von Leyen an, der bei Höfler unzureichendes Wissen auf dem Gebiet der deutschen Sagaforschung und der deutschen Mythologie bemängelt. Methodologisch unakzeptabel findet er, dass Höfler die Sage und die Bräuche auf der gleichen Ebene betrachtet. Die Wildheit der wilden Jagd sei keine kultische Ekstase, sondern bestehe aus verschiedenen erklärbaren Elementen wie zum Beispiel der Furcht vor den Toten und der nächtlichen Stürme. Die ungeheuren Reiter seien Götter, Menschen, Dämonen, Verbrecher, keine Mitglieder der Jünglingsbünde. Leyen findet zwar Höflers berühmte Fußnote zu Kummer treffend, aber Höfler selbst wirft er vor, dass dieser trotz der vielen „klugen und richtigen methodischen Bemerkungen“, trotz der „anregenden Kraft“, die sein Buch ausstrahle, alles seiner Idee von Ekstase, kultischer Steigerung und Jünglingsbünden unterordnet und nach dieser Idee formt. Er kann sich die bissige Bemerkung nicht verkneifen, der Verfasser sei, durch die Erlebnisse und die politische Entwicklung der letzten Jahre hingerissen, zu seinen „Männerbünden“ verführt worden: „was er zeige, das sei ein Beweis aus der germanischen Urgeschichte für die Richtigkeit der nur erreichten Ziele. Auch der Kult und die Mythologie unserer Vorfahren hätten die Ekstase über die Vernunft, die Gesamtheit über den Einzelnen gestellt, und diese Kräfte, in Geheimbünden gepflegt, die unseren neuen Bünden gleichen, seien von >unabsehbarer< und >ungeheuerer< Bedeutung. Aber die frischen Erfahrungen weniger Jahre in die Urzeit versetzen und wieder aus der Urzeit diese Erfahrungen rechtfertigen wollen, das verträgt die Wissenschaft nicht“. 35

Leyen verspottet Höflers Argumente als Übertragung der Annahmen einer Ideologie auf die Wissenschaft.36 Er weist auf die christliche Bedeutung der Sage von der wilden Jagd hin: Die toten Reiter büßen in vielen Überlieferungen ihre Sünden, ihr Leiden erinnert an Höllenstrafen. Diese christlichen Elemente dürfe man nicht abstreiten, auch wenn die Suche nach germanischen Wurzeln der Sagen und Märchen wichtig sei. Höflers Gegner konzentrierten sich auf die Kritik des dämonischen Weltbildes, das die Angriffe der Kirche erleichtere. Die Sippe und die mit ihr zu-

35 Leyen, S. 64. 36 Vgl. auch: „Wenn die Einherjer kultischen Geheimbünden entstammen, dann sind auch Walküren eigentlich ein kultischer Geheimbund germanischer Mädchen und die Vorläuferinnen des B.D.M.“ (Leyen, S. 56). „Wer auf den Rationalismus schilt, der ist noch kein Bachofen und kein Nietzsche“ (Leyen, S.64). 335

HEXEN UND GERMANEN

sammenhängende rassische Kontinuität werden zwar als ein Gegenentwurf in Bereitschaft gehalten, aber die frauenfeindliche Einstellung Höflers wird nicht thematisiert. Ziegler stellt als einziger fest, dass die Ausschließung der Familie aus der politischen Gemeinschaft es unmöglich macht, Höflers Theorien auf die Männerbünde des Nationalsozialismus zu übertragen, da diese „ein gesundes Verhältnis“ zur Familie hätten. Auch das Wesen der mittelalterlichen Genossenschaften, z.B. der Gilden, erklärt er aus dem „germanischen Sittenverband“ und nicht aus dem völkerkundlichen Begriff des Männerbundes. Wenn man „die kultdämonische Ekstase“ der Germanen behauptet, sei man nur einen Schritt davon entfernt, „den Germanen auch noch geschlechtliche Ausschweifungen als Kulthandlungen nachzuweisen“.37 Eine ähnliche Einstellung vertritt Mandel, der „das orgiastische geheimbündlerische Brauchtum“ bei den Germanen für unmöglich hält und in der „Loslösung von der Sippe“ immer ein Unglück für das Volk sieht: Der Zerfall der Sippe endete immer damit, dass „kostbares nordisches Bluterbe in fremdem Volkstum aufging“. Das Hexen-Thema spielt nur bei Kummer eine Rolle, bei seinen Verteidigern kommt es nicht vor. Was die meisten Kritiker anerkennen, ist Höflers Hinweis auf die staatsbildende Kraft der Germanen, das bündische Prinzip sowie sein Kontinuitätsgedanke – obwohl, wie Mandel unterstreicht, die Kontinuität „für jede rassenkundliche Sicht in ganz anderen Zügen germanischen und nordischen Wesens zu suchen ist“.38 Im Vergleich zu Höfler fällt die Beurteilung Kummers in diesen Texten deutlich positiver aus. Kummers Betonung der Rolle der Sippe und der „Ordnung“ in der germanischen Kultur wird als rassenbewusst gewertet. Mandel nennt als Grundzüge des Germanenbildes von Kummer „das sippengebundene Bauernkriegertum“, „Volksführertum auf freibäuerlicher Grundlage“, ein „bei aller Gebundenheit an die Scholle dennoch weltweit unternehmender, forschender und erobernder Weltgeist“, eine „allem okkulten und ekstatischen Wesen abgewandte Frömmigkeit und Weltanschauung, die sich um die natürliche Welt des Bauerntums, des Sippenfriedens und der Blutrachpflicht dreht und sich in einer hohen Ehrauffassung und Wehrhaftigkeit vollendet“.39 Aus der Einsicht, dass Kummers „friedliches“ germanisches Bauerntum politisch gesehen die schwache Stelle seiner Theorie in der Zeit sein könnte, die selbst von Kummers Anhängern als eine Bedrohungszeit dargestellt wird, die die Aktivierung aller Abwehrkräfte fordert, werden das Kriegerische und der Kampfgeist der germanischen Sippe und das Prinzip des Führertums, der Blutrache und der Eroberung unterstrichen. Rassisch gesehen wird Kummer Recht gegeben:

37 Ziegler, S. 47. 38 Mandel. S. 30. 39 Mandel, S. 30. 336

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„Kummers Bild steht in völligem Einklang nicht nur mit dem Germanenbild früherer Germanisten [...], sondern auch in den Grundzügen mit dem arischen (indogermanischen) Gesamtbild sowie den anerkannten rassekundlichen Zeichnungen der nordischen Seele (Rosenberg, Darré, Günther, Clauss). Höflers Bild dagegen ist ohne jede rassenkundliche Sicht, von artgemäßem Instinkt überhaupt zu schweigen“.40

Auch Kummers Arbeitsmethode, die Wahl des altnordischen Schrifttums als Ausgangbasis seiner Interpretationen, wird als einwandfrei bezeichnet, denn das sei „das einzige authentische, von Christentum und Mittelmeerkultur nicht beeinflusste Zeugnis altgermanischen Lebens und Wesens“.4 Zu Kummers Gunsten verbucht Mandel, dass dessen Vorstellungen mit den Arbeiten des anerkannten dänischen Forschers Grönbech, aber auch mit Rosenberg, Daree, und Günther übereinstimmen. Als einzige Schwäche Kummers nennt er eine gewisse Einseitigkeit in der Quellenwahl, die sich in der Schilderung des germanischen Pantheons niederschlägt: „Von diesem Bilde aus zeichnet er den Odin des späten, wurzellos gewordenen Wikingertum, sowie auch den Schicksalsglauben in einem doch wohl etwas einseitigen Licht“.42 Mandels Gutachten enthält einen Abschnitt mit weltanschaulichen Überlegungen über die Kontroverse zwischen Kummer und Höfler, den man als Fazit des Rosenbergschen Lager auffassen kann: Kummers Bild füge sich „in die organische, immanente, wirklichkeitstreue Weltanschauung“ ein, 43 Höflers Bild „verdirbt uns mit jenem dem gesunden natürlichen Leben entfremdenden Ekstatismus […] jene weltanschauliche Einstellung“.44 Kummer nehme an dem Kampf für das germanische Wesen und gegen Rom und „alle Pfäfferei“ teil, Höfler liefere dem Feind die Waffen, weil die katholischen Autoren seine Arbeit dem Buch von Rosenberg als Beweis für Magie, Dämonie und Ekstase der germanischen Kultur gegenüberstellen. Mandel beruft sich auf den Artikel von Ziegler, der die Gefahren solcher Einstellung klar dargestellt habe. Und er hält „ein klärendes Wort“ der dazu berufenen Stellen für nötig.45 Ihm ist bewusst, dass die Tragweite dieser Kontroverse, die die 40 4 42 43 44 45

Mandel, S.3. Mandel, S. 30. Ebenda. Mandel, S. 3. Ebenda. Mandel schreibt auch an Wüst und weist auf persönliche Motive hin, die die Auseinandersetzung verschärfen. Plassmann wirft er Hinterhältigkeit vor: „Der aus persönlichen Gründen mit Kummer verfeindete Dr Plassmann hat einen anonymen Aufsatz angenommen, in dem Kummer mit seiner Auffassung von altnordischer Bauerfrömmigkeit in geradezu unglaublicher Weise, mit ganz unsachlichen und einseitigen, ja bis in Persönliche hinein gehässigen Ausführungen vor der grossen Lesergemeinde der Zeitschrift diffamiert wurde“ (http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 24, 8.09. 2008). 337

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Uneinheitlichkeit der Ideologie zeigt, für die „nationalsozialistische Weltanschauung und Schulung“ bedrohlich sein könnte: „nicht zuletzt erzeugt die Streitlage eine Beunruhigung, die das völkisch germanenkundliche Lager zum Triumph zu zerspalten droht und die weltanschauliche Schulung und Ausrichtung in völlige Unklarheit bringt“.46

Das von Mandel erwünschte Machtwort wurde gesprochen. Am 4. März 937 fand im SD-Hauptamt eine Besprechung mit SS-Unterscharführer Rampf vom „Ahnenerbe“ statt, in der auch das Problem Höfler-Kummer thematisiert wurde. Rampf erklärte, dass Germanien, mit Einwilligung von Himmler, ein rechtliches Vorgehen gegen Kummer plante und bat, zu prüfen, ob Kummer wirklich, so wie er in einem Heft der „Nordischen Stimmen“ behauptet, seit 928 bei den Klebekolonnen der SA gewesen sei. Der SDMitarbeiter wies wiederum auf Höflers Fehler und seine rein persönliche Angriffe gegen Kummer hin und fragte, ob Rampf wisse, dass Kummer an der Jenaer Universität bei Prof. Astel an Forschungsprojekten arbeitet, die der Reichsführer unterstützt. Rampf antwortete, „dass der RFSS über alle Vorgänge um Germanien Bescheid wisse und dass das Vorgehen gegen Kummer mit seinem Willen geschehe“.47 Am 3. November 937 berichtet Sievers in einem Brief an Wüst, dass er nach Absprache mit Plassmann und Höfler eine Schilderung der Ansichten Kummers vorbereitet habe, die er ihm zum Unterschreiben schicke.48 Ein Rückzug im Fall Kummer sei unmöglich und gefährlich, weil dann SSfeindliche Ideologen einen Freibrief bekommen würden. Die von Wüst signierte Schrift an Himmler, „Nur für den Reichsführer SS bestimmt“, enthält eine zerschmetternde Kritik der Germanenauffassung des Kummer-Kreises und ist eigentlich eine Denunziation Kummers „heimtückischer Angriffe“ auf Germanien und die SS. Höfler wird gar nicht erwähnt. Der folgenschwerste Vorwurf gegen Kummer ist, dass es in dessen Germanenbild vor allem „einen blinden Hass gegen wehrhafte politische Mannschaftsverbände“ gebe.49 Dieser Vorwurf ist eigentlich das Hauptargument in der Polemik gegen Kummer. Straffe und wehrhafte Mannschaftsverbände seien die unentbehrliche Grundlage jeder politischen Macht. Sie wurden und werden aber „von allen pazifis-

46 Mandel, S. 32. 47 RSHA 362, Sygn.268, , S.37. 48 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 29 (8.09. 2008). 49 W. Wüst, Das bedenkliche und Gefährliche in der Germanenauffassung von Dr. Bernhard Kummer, besonders im Hinblick auf die SS, a.a.O.,S. . (weiter: Wüst). 338

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tischen, demokratischen und 'gleichmacherischen' Gruppen gehasst“.50 Auch in Deutschland gebe es seit längerer Zeit eine Strömung, die in etwas kurzsichtiger und einseitiger Hochschätzung des bäuerlichen Friedens solche Wehrverbände als Ruhestörer ansehe: „Das ist deshalb kurzsichtig, weil auch das Bauerntum zum Tode verurteilt wäre, wenn es nicht durch Wehrverbände gegen äußere und innere politische Gegner geschützt würde“.5 Bedroht von solchen Auffassungen sei vor allem die SS, ein Männerverband, der nicht im Gegensatz zur Familie, was sehr deutlich hervorgehoben wird, und zum Bäuerlichen stehe, sondern sie „organisch ergänzt, politisch überdacht und schützt“: „In Deutschland allein besteht neben der Wehrmacht der Typus des politischen Männerbundes als entscheidender innenpolitischer und auch außenpolitischer Machtfaktor, in der Familie entscheidend verwurzelt und die einzelnen Familien politisch ergänzend. Die germanische Geschichte aber zeigt, dass es sich nicht um eine willkürliche Neuerung der Revolution handelt, sondern dass ähnliche Kampfgemeinschaften bis ins germanische Altertum nachweisbar sind (was Kummer leugnet), und dass sie überall die wichtigsten und entscheidendsten politischen Machtfaktoren in unserer Geschichte seit altgermanischer Zeit gewesen sind“.52

Das ist die einzige Erwähnung der Familie; Frauen sind kein Thema. Kummer wird damit unterstellt, dass seine Ansichten der SS direkt schaden und „die geniale politische Leistung der indogermanischen und der germanischen Welteroberung“ in Frage stellen könnten. Und gerade dieses Phänomen der Geschichte sei „der stärkste Garant der weltpolitischen Zukunft der Germanen“.53 Die Angriffe werden mit jedem Satz intensiver, den bäuerlichpazifistischen Phantasien Kummers, der der heldenhaften deutschen Geschichte ihre Größe nehmen wolle, werden die Machtvisionen Hitlers gegenübergestellt – und zwischen diesen zwei Positionen gebe es keine Kompromisse: „Wer die großpolitische und organisatorische Leistung der germanischen Geschichte nur als Störung der bäuerlichen Ruhe betrachtet, der muss die 2000 jährige Geschichte Deutschlands als ein Unglück ansehen – das propagiert Bernhard Kummer seit 0 Jahren – denn sie war kein ländliches Idyll, sondern eine politische Neugestaltung Europas. Der Führer hat klar gesagt, dass er die Machtentfaltung Deutschlands nicht als ein Unglück ansieht, sondern als einen Grund zum Stolze für das deutsche Volk, und dass er sich als der Erbe und Fortführer der 2000 jährigen deut-

50 5 52 53

Ebenda. Ebenda, S.2. Ebenda. Ebenda. 339

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schen Geschichte und ihrer Größe fühlt. Das ist der größte Gegensatz zu Kummers pazifistischer Herabsetzung der germanischen Machtpolitik, der überhaupt gedacht werden kann“.54

Der angeblich von Kummer propagierten statischen, pazifistischen Vision der germanischen Geschichte werden solche Attribute zugeschrieben wie „bäuerliche Ruhe“ und „ländliches Idyll“. Weil die deutsche Geschichte eher deren „Störung“ gewesen sei, unterstellt man Kummer, dass er die deutsche Geschichte als Unglück betrachtet. Dabei sei das, was Kummer als Unglück ansehe, nach Hitlers Auffassung eine „Machtentfaltung Deutschlands“, politische Existenz, „Neugestaltung Europas“, Machtpolitik. Kummer verdamme die Geschichte, auf die man stolz sein sollte. Unakzeptabel sei auch Kummers Annahme, dass es nur in Island ein reines und unverfälschtes Germanentum gegeben hat, die anderen germanischen Länder hingegen durch die kriegerischen Mannschaftsverbände und Wodan verdorben worden seien. Island sei jedoch eine Ausnahme gewesen, es hatte keine außenpolitischen Feinde, deshalb habe es keine Wehrverbände und keine die Familie überhöhenden staatlichen Strukturen hervorgebracht. Diese Feststellung ist eine Anknüpfung an den „schöpferischen“ Kampf, an Höflers These, dass die Slawen keine bedeutenden politischen Strukturen geschaffen hätten, weil sie nicht über „das vegetative Gedeihen“ hinausgegriffen hätten.55 Wer so wie Kummer der Versuchung erlege, „in dem staatenlosen und wehrverbandslosen Island, das sich in Familienkämpfen zerfleischte, das Idealbild des Germanentums zu sehen, der verkennt das Allerwesentlichste an unserer gesamten politischen Geschichte“.56 Über Dämonismus-Vorwürfe gegen Höfler, über Magie, über die oft suggerierte bhnlichkeit seiner Thesen mit den kirchlichen Ansichten oder die „familienzersetzende Kraft“ seiner Argumente wird kein Wort verloren. Etwas deutlicher werden die Themen Familie und Rassenbewusstsein in den Referenzen zur politischen Haltung der beiden Wissenschaftler angesprochen. In einem Schreiben vom 2. Juli 935 versucht Richard Suchenwirth,57 ein Österreicher, Höfler ideologische Glaubwürdigkeit zu verschaffen – nicht nur 54 Ebenda, S. 3. 55 O. Höfler, Probleme der germanenkundlichen Forschung in unserer Zeit, a.a.O., S.5 56 W.Wüst, a.a.O., S. 4. 57 Richard Franz Josef Suchenwirth (896 – 965), bürgerlicher Name bis 922: Richard Suchanek, war ein Historiker und Mitbegründer der österreichischen NSDAP. Er studierte in Wien Geschichte und Germanistik. Im Juni 934 flüchtete er nach Deutschland, wo er als Standartenführer in der Österreichischen Legion und bis Anfang 936 als Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer aktiv war, und wurde schließlich aus Österreich ausgebürgert. Er war dann von 938-945 Mitglied des Deutschen Reichstags, hatte aber nur gerin340

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mit der Beglaubigung seiner Partei-Laufbahn als Mitglied der Ordnungstruppe der NSDAP in Österreich, der SA. Er verweist auch darauf, dass Höfler der Obmann des Wiener Germanistenverein war. Dieser Verein „war in Österreich bekannt durch seine scharf antisemitische Stellung und leistete gegen die Verjudung der Wiener Universität nicht allein durch Propaganda und Kampf, sondern auch durch das praktische Bemühen, durch die Leistungen seiner Mitglieder die Leistungen der jüdischen Studenten zu übertreffen, wirkungsvolle Abwehrarbeit. Seit 928 in schwedischem Staatsdienst (Upsala), konnte er sich nicht mehr in der NSDAP betätigen. Seine völkische Einstellung unterlag aber keinem Zweifel“58[Unterstreichung im Original].

Der Hinweis auf die Beteiligung am Kampf gegen die „Verjudung“ soll auch Höflers Korrektheit in rassischen Angelegenheiten beglaubigen, die Kummer in Zweifel gezogen hatte. Der „praktizierte“ Antisemitismus in der Wissenschaft, auch als Konkurrenz gegen jüdische Studenten und Wissenschaftler begriffen, wird als ein Teil des Kampfes für den Nationalsozialismus, als „Abwehrarbeit“ dargestellt. Der Beitrag der Germanistik im Aufbau der nationalsozialistischen Ordnung wurde damals anscheinend, anders als nach dem Krieg, hoch eingeschätzt. Die Notiz bleibt vage und geht auf keine Details ein. In ähnlichem Stil schreibt Höfler 937, als er sich um eine Professur in München bewirbt, in seinem Lebenslauf: „Seit 92 gehörte ich dem Wiener Akademischen Verein der Germanisten an, der von seinen Mitgliedern schriftliche ehrenwörtliche Erklärungen deutsch-arischer und deutsch-völkischer Gesinnung verlangt“.59

Wenn Mandel über Höfler schreibt, betont er dessen wohlsituiertes elterliches Wiener Professorenhaus, die „ungestörten Privatdozentenjahre“ in Wien und Uppsala. Seine politische Zuverlässigkeit sei unbestritten, jedoch wird seine privilegierte Lebenssituation hervorgehoben. Auch sein Familienstand: „Er ist bis heute unverheiratet“ – das ist angesichts der Familienpolitik des Dritten

gen politischen Einfluss. Von 936 bis 942 war er Rektor der Lehrerhochschule Pasing, dann München-Pasing, und von da an bis 945 Professor an der Universität München. Nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft war er wieder Lehrer an einer Privatschule in Düsseldorf und freier Mitarbeiter der Historical Division des U.S. War Department zur Erforschung der Geschichte des Luftkriegs. Nach: Bestand ED 420, in: Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Archiv-Findmittel online, http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0420.pdf (20.09.2008). 58 RSHA 362, Sygn. 268, S.27. 59 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 4 (8.09. 2008). 341

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Reiches, der Verpflichtung, dem Reich Kinder „zu schenken“, ein unausgesprochener Vorwurf.60 Liebenswürdig, kameradschaftlich, bei Studenten beliebt, zeige Höfler oft einen Mangel an wirklicher Linienführung und Klarheit in seinen Thesen. Im Anschluss an Mandels Bericht gibt es eine unsignierte „Abschrift“, in der festgestellt wird, dass „eine gewisse Katholizität seiner [Höflers – K.L.] Gedankengänge […] sich nicht verleugnen“ lässt und „seine österreichisch-süddeutsche und katholische Herkunft irgendwie durchschlägt“,6 auch wenn das im Einzelfall schwierig nachzuweisen sei. Er werde zweifellos positiv in katholischen Kreisen besprochen. Zu seinen Gunsten wird gezählt, dass er ein eifriger Vertreter der Kontinuitätstheorie sei. Die Frage der ideologischen Zuverlässigkeit und der konfessionellen Haltung Höflers schien ein relevantes Thema gewesen zu sein. Das RSHA wollte sicher sein, dass die Angriffe der Gegenseite, die Höfler eine katholische Sichtweise unterstellte und ihn als politisch unsicher einstufte, widerlegbar sind. Vom 3. April 937 stammt ein Schreiben des SD-Oberabschnitts NordWest aus Hamburg an das RSHA, das in aller Bestimmtheit feststellt: „Die früher gegen Höfler geltend gemachten Bedenken in politischer Hinsicht können nunmehr fallen gelassen werden“.62 Auch seine katholischen Verbindungen seien nicht „kirchenpolitischer Natur“. Seine Anschauungen zum skandinavischen Norden stünden zwar im Widerspruch zu den Bestrebungen des Außenpolitischen Amtes von Rosenberg, jedoch würden sie „von hier aus für durchaus klar und richtig gehalten“.63 Im Fall Kummers verweist Mandel auf dessen Herkunft aus „bescheidenen Verhältnissen“, was offensichtlich den Kontrast zu Höfler betonen soll. Kummers Sorge um die Frau und seine zwei Kinder, seine Bewegungstreue, Tapferkeit, „wurzelechte, bodenständige instinktsichere Art, die sich stets natürlich und schlicht, zurückhaltend und bescheiden gibt“ unterstreichen seine Reputation als eines verlässlichen, folgsamen Mitglieds der nationalsozialistischer Gemeinschaft bei.64 Seine Einseitigkeiten und Schroffheiten während der Auseinandersetzung mit Höfler werden damit entschuldigt, dass er seit Jahren gegen „eine völkisch-rassisch ungenügend eingestellte germanistische Wissenschaft“ um sein Germanenbild kämpfen musste. 65 Der Autor der von Wüst signierten Schrift beschuldigt Kummer dagegen einer zweifelhaften politischen Haltung. Er hält ihm seinen Parteiaustritt vom .Juli 930 vor, wirft ihm eindeutig ideologische Diversion vor und betont,

60 6 62 63 64 65 342

Mandel, S.3. Ebenda, S.34. RSHA 362, Sygn. 268, S. 52. Ebenda. Mandel, S.3. Ebenda.

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dass es sich bei Kummers Auffassung um eine Meinung „privaten“ Charakters handele: „Seit 933 versucht er, seine persönliche Herabsetzung der deutschen Geschichte ins nationalsozialistische Lager einzuschmuggeln, aber zwischen seiner Herabsetzung der zwei Jahrtausende deutscher Geschichte und Adolf Hitlers Bewunderung für diese zwei Jahrtausende wird es weder einen Kompromiss noch eine Versöhnung geben“.66

So wie Höfler Kummer vorgeworfen hat, in der Debatte um die Vision der Germanen nur seine private Meinung durchsetzen zu wollen, so wird Kummer auch hier wieder der „persönliche(n) Herabsetzung der deutschen Geschichte“ bezichtigt. Kummers Anhänger warfen wiederum Höfler vor, dieser strebe nach der Auflösung der Individualität. Innerhalb der SS waren die Positionen in Bezug auf diese Kontroverse nicht eindeutig, aber die gegenseitigen öffentlichen Beschimpfungen wurden als lästig empfunden.67 Am 5. November 937 führte Wüst ein Gespräch mit Himmler, in dem Himmler meinte, Kummer soll man gehörig in seine Schranken weisen, und eine Disziplinaruntersuchung gegen das SSMannschaftshaus der Universität Jena wegen des dortigen Kummerschen Einflusses anordnete. Kummers Anhänger in der SS solle man fragen, wer ihnen näher stehe – „Kummer oder der Reichsführer“.68 Vom 28. Dezember 937 datiert eine Dokumentensammlung, die der SDFührer des SS-Oberabschnittes Nord-West aus Hamburg an das RSHA geschickt hat.69 Als Betreff steht: „Wissenschaftlicher Streit zwischen Höfler und Kummer zur Frage der Erkenntnis des nordischen Wesens und nordischer Religiosität“. Am Anfang wird festgestellt, dass der SS-Oberabschnitt NordWest den Auffassungen Höflers gegenüber positiv eingestellt ist. Von dieser Position aus werde die Auffassung vertreten, dass „sowohl Höfler wie Kummer zwei Seiten des germanischen Lebens und Weltauffassung besonders 66 Wüst, S.3. 67 Plassmann erwirkte auch eine einstweilige Verfügung, „die Kummer und Klein untersagt, durch ehrverletzende bußerungen in der Zeitschrift „Nordische Stimmen“ Plassmann zu beschimpfen oder herabzusetzen“ (homepages.unituebingen.de/gerd.simon/nordschulz.pdf). Plassmann legte nach und wollte einen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung ahnden lassen, wurde aber vor Gericht abgewiesen. Kummer versuchte, einen Prozess gegen Plassmann anzustrengen, um sich zu rehabilitieren. Das Kriegsende unterbrach diese Auseinandersetzung. 68 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S.29 (8.09.2008). 69 Gerd Simon hat als Autor Siegfried Engel identifiziert, der „kürzlich (wegen der in Italien begangenen Morde)“ verurteilt wurde, in: http://homepages.unituebingen.de/gerd.simon/nordschulz.pdf (8.09.2008). 343

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stark herausgearbeitet haben bzw. sie überbetonen, und deswegen nur sehr schwer eine gemeinsame Basis finden können“.70 Die Schuld für die Verschärfung des Streites wird aber Kummer zugeschrieben. Es wird berichtet, dass Himmler eindeutig zu Gunsten Höflers Stellung genommen und Maßnahmen gegen Kummers Anhänger, die es auch im SS-Mannschaftshaus der Universität gab, ergriffen habe: „Der RFSS hat seine Empörung darüber ausgedrückt, dass SS-Führer wegen eines derartigen 'verschwommenen Pazifismus' ihm und der SS in den Rücken fielen, weil zwar die Kummersche Auffassung der Wehrmacht nicht schädlich sein könne, die ja naturgemäß stets ein Kriegerbund bleiben müsse, dass sie aber gerade demgegenüber die Stellung der SS stark erschüttere“.7

Eine beigelegte Aktennotiz zum oben erwähnten Thema, die von einem gewissen SS-Obersturmführer Löw zu Steinfurth aus Kiel unterschrieben und mit dem 25. November 937 datiert ist, bespricht zwei Fronten in der Germanenkunde. Die erste Gruppe, zu der Kummer und Mandel gehören, wird mit Rosenberg identifiziert. Der Wortführer der anderen Front sei Höfler, unterstützt von Plassmann aus dem Ahnenerbe und vom Stab RFSS.72 Es wird die Schärfe des Streites beschrieben, der zu gegenseitigen Beschimpfungen und beinahe dazu geführt habe, dass beide Seiten jetzt rechtliche Schritte vorbereiten würden. Die erörterten Themen erachtet Löw zu Steinfurth als wichtig für die Gestaltung einer neuen deutschen Identität, für die Zementierung des Bundes vor allem mit den Skandinaviern sowie die Überwindung des Christentums, weshalb er mit Höfler gesprochen habe, um die Positionen zu klären: „Da die wissenschaftliche Auseinandersetzungen dieser beiden Gruppen hiesigen Erachtens von starker politischer Bedeutung sind, und zwar innenpolitisch für die Gestaltung des neuen deutschen Geschichtsbildes und des Geschichtsbewusstseins, darüber hinaus aber auch für die Konkretisierung einer religiösen Haltung, die in der Lage ist, die Herrschaft des Christentums und der Kirchen zu überwinden, und au-

70 RSHA 362, Sygn. 268, S. 38. 7 Ebenda. 72 Joseph Otto Plassmann (895-964), Germanist, kam über das Stabsamt von Darré zum RSHA und wurde im Dezember 937 Abteilungsleiter der „germanischen Altertumswissenschaft“ beim Ahnenerbe; bereits seit März 936 war er Schriftleiter der Zeitschrift Germanien; er gehörte zum persönlichen Stab des Reichsführers-SS. 940 war er SS-Hauptsturmführer im Einsatzkommando West. 954 wurde er Vorsitzender des Bundes deutscher Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebenen. Nach: E. Klee, Personenlexikon, a.a.O.; http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/plassmann.pdf (8.09.2008) 344

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ßenpolitisch insbesondere für die kulturelle Zusammenarbeit und das Verständnis der skandinavischen und angelsächsischen Länder“.73

Löw zu Steinfurth bespricht Höflers Vorwürfe gegen Kummer, vor allem gegen dessen weitgehende Verharmlosung des Wesens der Germanen. Kummer gehe so weit, dass seine Germanen nur als bäuerliche Menschen erscheinen, deren wichtigste Aufgabe die Erhaltung der Sippe und die Schaffung eines bequemen Lebensstandards, der Gemütlichkeit sei. Höfler werfe der Gegenseite vor, sie mache aus dem Germanentum eine Schäferidylle im Stil des 8. Jahrhunderts; aus plattem Rationalismus verkenne sie die „urtümliche[n] Kräfte des nordischen Wesens“; sie verfälsche die germanische Geschichte, „indem sie, was nicht in ihr rosiges zivilisatorisches Germanenbild hineinpasst, als Fälschung, Gräuelpropaganda und Entartung abtue“.74 Der zweite zentrale Vorwurf richtet sich gegen eine zu rationalistische Einstellung, wegen der Kummer alles ablehnt, was nicht erklärbar ist, auch jede Beschäftigung mit dem Tode, jeglichen Totenkult. Höflers schwerstwiegender Vorwurf betrifft Kummers Behauptung, „dass der Drang zur Staatsbildung, als einer Bildung von über den engeren Sippenverbünden hinausgehenden Gemeinschaften, die das ganze Volk umfassten, nicht ursprünglich germanisch, sondern erst von den Römern anerzogen sei“.75 Er selbst behauptet hingegen, dass die Germanen staatsbildend und die Träger dieses Dranges die germanischen Kriegermannschaften gewesen seien, die dem Totenkult huldigten, „in dem die unmittelbare Verbundenheit mit den Ahnen als Kraftquelle des völkischen Lebens wirksam gemacht worden sei und in der Bejahung des Kampfes und des Furchtbaren in der Natur (die letzten Endes nur die Stärkung für den Kampf um die Erhaltung der Art und den Sieg über fremde Wesensart diente) einen Ausdruck nordischen Wesens darstellt“.76 Dank Kummers Germanenbild könnten sich „der angelsächsische individualistische Händlergeist und der skandinavische Pazifismus gegenüber dem in den Organisationen der Bewegung und des Staates straff zusammengefassten deutschen Volke als die Vertreter echten nordischen Germanentums fühlen“.77 Auch dem Kampf gegen das Christentum erweise dieses Bild einen schlechten Dienst, weil man sich wegen der pauschalen Ablehnung aller christlichen Thesen gezwungen sah, sich auf die katholische „Frontziehung“ einzulassen. Dieses Argument muss ein Schlag für Kummer gewesen sein, der sich eben auf diesen Kampf konzentrierte, dessen Texte über die Christia73 74 75 76 77

Steinfurth, RSHA 362, Sygn. 268, S. 39. Ebenda, S.40. Ebenda, S.40. Ebenda. Ebenda. 345

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nisierung Europas bis heute von den Neonazis und neuheidnischen Gruppen zitiert werden78: „Diese Richtung ist im Grunde nichts anderes als Christentum mit umgekehrten Vorzeichen. So überwinde sie beispielsweise die christliche Spaltung der Welt in eine diesseitige und eine jenseitige Welt, sondern lehne lediglich die Beschäftigung mit der jenseitigen Welt ab. In ihrer Ablehnung des Staatlichen und Kämpferischen als nordische Eigenschaft sehe sie sich genötigt, den germanischen Gott, der Vertreter dieser Eigenschaft sei, Wodan, den Königsgott der Germanen ebenfalls als eine Entartungserscheinung des ursprünglichen Germanentums zu bezeichnen zu dem christlicher Propaganda durchaus entgegenarbeitenden Schluss, dass die germanische Religiosität zu dem Zeitpunkt, als sie mit dem Christentum zusammenstieß, bereits seit 000 entartet gewesen sei“.79

Höfler erklärte in dem besagten Gespräch auch seine Einstellung zur katholischen Kirche, zu der er keine Kontakte mehr habe. Er sei auch überzeugt, dass das Christentum im deutschen Volke überwunden werden sollte, jedoch nicht durch eine areligiöse Haltung. Er lehnt entschieden den Vorwurf ab, seine Männerbünde trügen den Charakter katholischer Orden oder freimaurerischer Organisationen, denn sie seien im Unterschied zu jenen im Volke verwurzelt und dienten der Volksgemeinschaft. Das Geheime dieser Bünde liege nicht in ihren Zielen, sondern nur in gewissen Bräuchen, „die anstelle eines schriftlichen Ausweises als Ausweis der Angehörigen gewirkt hatten“.80 Die Intrigen und Beschuldigungen hörten nicht auf, Briefe wurden gewechselt, Richtigstellungen geschickt. Kummer erklärte z.B., dass er mit der Bezeichnung „die Schwarzen“ in einem seiner Artikel den Klerus und nicht die SS gemeint habe.8 Himmler bekam Referate von Höfler zugeschickt, aber auch Kummers Parteigänger gaben nicht auf und setzten sich für ihn ein. Am 3. Dezember 937 ordnete Himmler eine klärende Aussprache zwischen Wüst und Kummer sowie Kummer und Höfler an.82 Am 7. März 938 plädierte Reimar Schulz aus dem Thüringischen Landesamt für Rassenwesen gegenüber dem SD Hamburg für Kummer. Er schrieb an Engel und beschwerte sich über Plassmann von Germanien, der „früher Katholik“ gewesen sei, mit Höfler in Verbindung stehe und einer derjenigen sei, die „mit fast jesuitischen Mitteln gegen den um die Bewegung verdienten Bernhard Kummer schießen 78 Vgl.: http://asatru.de/nordzeit/index.php?option=com_content&task=view&id =356&Itemid=3 (30.05.2007). 79 Steinfurth, S.40. 80 Ebenda, S.4 8 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 30 (8.09.2008). 82 Vgl.: Ein Brief, unterzeichnet vom Chef des persönlichen Stabes Reichsführer SS, Wolff, nach: B.Schier, a.a.O., S.77f. 346

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mit dem Erfolg, dass diesem die Professur vorenthalten bleibt“.83 Er hält es auch für nötig, einen gewissen Siemsen im SD, einen Schüler Höflers, „kalt zu stellen“, weil dieser jede Gelegenheit nütze, gegen Kummer zu intrigieren: „Was haben Propagandisten für Kultekstase und Germanendämonen im SD zu suchen?“84 Das Ende der Kontroverse ist dokumentiert in der Abschrift der Erklärung Kummers aus der Zeitschrift Germanien vom April 938, die im Warschauer Archiv zu sehen ist. Kummer erklärt dort nach einer Aussprache mit Wüst, dem Präsidenten des Ahnenerbes, dass die Auswirkungen des von ihm geführten Streits mit der Zeitschrift Germanien, „deren enge Verbundenheit mit der Schutzstaffel ihrerseits mir nicht genügend bewusst war, in der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck über meine Einstellung hervorrufen musste. Es hat mir völlig fern gelegen, einen derartigen Eindruck zu erzielen, insbesondere etwa gar die Schutzstaffel oder den Reichsführer SS beleidigend anzugreifen und die Arbeit des Ahnenerbes herabzusetzen“.85

Er bat um Entschuldigung und gab seinen Rücktritt von der Schriftleitung der Nordischen Stimmen bekannt. Am 4. April 938 fand eine Aussprache zwischen Kummer und Wüst statt, der Himmler darüber informierte, dass für das Ahnenerbe die Sache erledigt sei.86 Bereits im Mai beklagte Höfler wieder, dass Kummer in den Nordischen Stimmen „getarnt“ intrigiere. Am 24. Mai 938 hielt Kummer einen Vortrag in Jena, in dem er an die Auseinandersetzung anknüpft: „In der Germanenkunde gibt es zwei Richtungen, die einander gegenüber stehen: die nationalistische und die romantische. Wir hoffen, dass die Wahrheit siegt“.87

Am 27. August 939 erfolgte die Aufnahme Kummers in die Partei.88 Höfler wurde zwecks engerer Zusammenarbeit mit dem Ahnenerbe zum Sommersemester 938 als Professor nach München berufen.

83 Reimar Schulz, Anfrage zur germanenkundlichen Lage, http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordschulz.pdf., 2008). 84 Ebenda, S. 2. 85 RSHA 362, Sygn. 268, S. 59. 86 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, 2008). 87 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, 2008). 88 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, 2008).

7.3.938, in: S. (8.09.

S. 34 (8.09. S. 35 (8.09. S. 37 (8.09. 347

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Obwohl Höfler in der hier beschriebenen Auseinandersetzung favorisiert wurde, bedeutete das nicht, dass seine Position unerschüttert bleiben sollte. Noch am 4. März 939 schickt Höfler über Sievers Himmler das Buch von Wilhelm Grönbech Kultur und Religion der Germanen, und schon 30. März 939 wird erwähnt, dass im SS-Mannschaftshaus bereits die Rede umgeht, „der RFSS sei von Höfler abgerückt; es würden jetzt Mitarbeiter des Kummer-Kreises auf die Wewelsburg kommen u. dort arbeiten (Mitteilung von unserem Mitarbeiter Siemsen über SD)“.89 Am . Februar 940 schreibt Plassmann, der Kummer lange angegriffen hat, obwohl der immer noch nach Argumenten gegen Wodan sucht, es gebe keinen Grund „KUMMER für immer als Todfeind zu behandeln. Man kann ihm ja mitteilen, dass man sein Interesse zur Kenntnis genommen habe“.90 Am 29. März 940 geht ein Schreiben vom Kulturpolitischen Archiv des Amtes Rosenberg an die Zentrale: Trotz der seinerzeit negativen Beurteilung solle man „in der augenblicklicher Situation über die geringfügige[n] Bedenken hinwegsehen, weil Höfler tatsächlich einer der besten Kenner des Nordens ist“.9 Im selben Jahr wird Höfler mit der Leitung des Kriegseinsatzes der Germanistik (Gruppe II: Germanische Frühzeit) beauftragt. Im Juli 94 stößt Kummers Berufung an die Universität immer noch auf große Schwierigkeiten. Karl Astel,92 der Rektor der Universität Jena, schreibt am 25. Juli 94 an Himmler: „So kann es mit 89 BA NS 2/777 K Sievers Aktenvermerk, zit. nach: http://homepages.unituebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S.4 (8.09.2008). 90 Plassmanns Stellungnahme zum Schreiben von Kummer 3.2.39, http://home pages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 43 (8.09.2008). 9 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 43. 92 Karl Astel (898- 945) war ein deutscher Rassenhygieniker und führender nationalsozialistischer „Rassenforscher“. 933 bis 945 war er Präsident des Landesamtes für Rassewesen in Weimar. Aufgrund dieser Tätigkeit wurden Tausende von Zwangssterilisationen seiner Verantwortung zugeschrieben. Er erhielt ein eigenes Institut, welches zunächst "Institut für Menschliche Züchtungslehre und Erbforschung" hieß und 935 in "Institut für Menschliche Erbforschung und Rassenpolitik" umbenannt wurde. Die Antrittsvorlesung nach der Ernennung zum SS-Hauptscharführer hielt er über Rassendämmerung und ihre Meisterung durch Geist und Tat als Schicksalsfrage der weißen Völker. In dieser Rede rief er die „Edelrassigen aller Länder“ dazu auf, „das unglückliche lebensunwerte Leben, das sich während der Herrschaft der Minderwertigen in ihren Völkern angesammelt hat, gemeinsam wieder (zu) entfernen (...) zum Heile aller. Das ist die frohe Botschaft, die der Nationalsozialismus der leidenden und hoffenden Menschheit zu verkünden hat.“ 939 wurde Astel zum Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena ernannt. Am 3. April 945 beging er in seinem Dienstzimmer Selbstmord durch Erschießen. Vgl.: B. Jensen, Karl Astel – "Ein Kämpfer für Volksgesundheit", in: Historische Rassismusforschung. Ideologen, Täter, Opfer, hrsg. B. Danckwortt, Hamburg 995, S.52-78; zur Universität Jena: „Kämpferische Wissenschaft" – Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Hg. Uwe Hoßfeld, Köln/ Weimar/Wien 2003. 348

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einem Mann, der wissenschaftlich und weltanschaulich etwas bedeutet und zur Niederringung der Christenlehre dringend gebraucht wird, nicht weitergehen“.93 942 wird Kummer schlussendlich zum Ordinarius in Jena ernannt. Am 22. Januar 942 schreibt Himmler an Astel: „In der Sache Kummer habe ich mich ja nun nicht mehr einzuschalten brauchen. Ich freue mich, dass die Angelegenheit nun erledigt ist, und habe an meine Dienststellen die Anweisung gegeben, damit nicht etwa durch irgendwelche Missverständnisse noch nachträgliche Schwierigkeiten entstehen können“.94

943 übernimmt Kummer in dem von Jacob Wilhelm Hauer geleiteten Kriegseinsatz der Indogermanisten das Thema „Die Stellung der Frau bei den Indogermanen“.95 Sowohl Höfler als auch Kummer haben den Krieg überlebt und ihre Meinungen weiterhin vertreten. Nach 945 taucht Kummer – mit Professorentitel – als Schriftleiter des Verlages „Forschungsfragen unserer Zeit“ auf. 947 trifft er sich mit einem kleinen Kreis Gleichgesinnter, u.a. mit Herbert Grabert, der mit dem Amt Rosenberg zusammengearbeitet hat, auf dem Berg Klüt bei Hameln, um Möglichkeiten einer deutschgläubigen bzw. freireligiösen, nichtchristlichen Bewegung zu erörtern. Daraus gingen die „Deutschunitarier“ hervor, direkte Nachfolger der „Deutschen Glaubensbewegung“: „Führende Personen der völkischen Bewegung, der SA, SS und Gestapo, Mitkämpfer und enge Mitarbeiter des NSDAP-Chefideologen und „Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP“, Alfred Rosenberg, und des Chefs des „Rasse- und Siedlungsamtes“ der SS, Reichsbauernführers und NS-Ernährungsministers, Walter Darré, haben die DUR zum eigenen Unterschlupf nach 945 aufgebaut und inhaltlich geprägt. Dabei schreckten sie auch nicht vor der Zusammenarbeit in dem nationalsozialistischen und neofaschistischen kriminellen Bereich zurück“.96

93 Astel an Himmler, BA BDC, PA Astel, Bl 22083-7 K, zit.nach: http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 46 (8.09. 2008). 94 Himmler an Astel, BA BDC, PA Astel, Bl. 22068, K, zit. nach: http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 5 (8.09. 2008). 95 http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/nordistikchr.pdf, S. 55 (8.09. 2008). 96 http://home.snafu.de/bifff/NA4.htm (4.05.2006) Die Seite ist nicht mehr abrufbar (27.09.2007). Die Arbeit ist jedoch im der Buchform erhältlich: Peter Kratz: Die Götter des New Age. In Schnittpunkt von "Neuem Denken", Faschismus und Romantik, Berlin 994. 349

HEXEN UND GERMANEN

958 erscheint in „Forschungsfragen unserer Zeit“ Gefolgschaft, Führertum und Freiheit – Vom Grundgesetz der Demokratie in alter Zeit, ein Text, in dem Kummer weiterhin gegen Höfler polemisiert: „Alle ‚Geschichte’ wird dann diesen Bünden verdankt, oder, wie es heißt: ‚der Zirkulation von Führern und Eliten’, statt, wie wir meinen möchten, dem großen, spannungsreichen Zweiklang zwischen Volksgemeinschaft und großer Persönlichkeit im Volk. Ich behaupte: Seit der Verkündung dieser und ähnlicher Ansichten gab es für unsere Zeit keine bedeutsamere Streitfrage als diese“.97

Höfler wurde nach 945 als Mitläufer eingestuft, erhielt jedoch schon 950 in München wieder die Lehrbefugnis für Skandinavistik. 954 durfte er seine volle Lehrtätigkeit in Nordischer Philologie und Germanischer Altertumskunde ausüben, 957 wurde er an die altgermanistische Lehrkanzel der Universität Wien berufen, wo er seine Theorien, u.a. über die besondere Begabung der Germanen zur Staatenbildung, weiter verbreitete.98 Mit einem Verweis auf die Hirschsymbolik bei den Germanen integrierte er seine alten Männerbundtheorien in den Überlieferungsstrom matriarchaler Theorien.99 Vor allem in der Wiener Germanistik hat Höfler nach 957 eine Tradition begründet; seine Schüler haben sich meist nur sehr zurückhaltend mit Höflers Rolle im NSStaat und der ideologischen Funktion seiner Forschungen auseinandergesetzt. Erst die Studentenbewegung 968 und die Tatsache, dass man auch gegen 97 Zit. nach: V. Gallé, Otto Höfler & Bernhard Kummer. Nibelungenforscher im NS-System http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de/03_beitrag/galle/fs06_ galle.html (9.09.2007). Galle schreibt über die beschränkte Rezeption von Kummer nach dem 2. Weltkrieg: „Kummers Bauerntumsideologie hielt sich nur in diesem, gesellschaftlich auf dem Rückzug befindlichen Umfeld, bzw. im engeren Kreis der rechtsextremen, nordisch-deutschgläubigen Bewegung der Gegenwart. So wird z.B. auf seine Auffassung von der Sippenseele 2005 in der Zeitschrift 'Nordische Stimmen' der 'Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft' Bezug genommen. Deren Schriftleiter ist der rechtsextreme Multifunktionär Jürgen Rieger, der u.a. an der Organisation der RudolfHess-Gedenkmärsche in Wunsiedel beteiligt ist und 2004 das Vorwort zur zweiten russischen Auflage der Rassenkunde von ans Fk. Günther verfasst hat (siehe wikipedia).“ 98 Vgl.: I. Ranzmaier, Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus, Wien 2005. Im Gespräch mit Autorin berichtet Helmut Birkhan über Höfler: „Er sagte, er habe geglaubt, wir, also die Deutschen hätten recht. Und dann stellte sich heraus, das sei unwahr. Nicht dass es sich vor Gott oder dem Weltgeist als unwahr herausgestellt hätte, sondern weil sie den Krieg verloren hatten“, S. 95. 99 Vgl.: V. Galle, Otto Höfler & Bernhard Kummer, a.a.O.: „so lässt sich seine Analyse germanischer Religion leicht in die Arbeiten von Ranke-Graves zur Weißen Göttin oder zur feministischen Theorie Göttner-Abendroths vom Heiligen Paar einbauen, bzw. mit den bis heute in der Wissenschaft ernsthaft diskutierten Thesen vom germanischen Sakralkönigtum verbinden“. 350

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

Höflers Vorlesungen protestierte, bewogen ihn zum endgültigen Rückzug. 997 wurde Grönbechs Kultur und Geschichte der Germanen neu aufgelegt – mit einem Vorwort von Höfler.200 *** Es fällt schwer, in diesem Fall von Erfolg oder Niederlage zu reden. Sowohl Höfler als auch Kummer haben – mit ihren unvereinbaren Darstellungen des Hexenglaubens – Vorstellungen vertreten, für die es im Nationalsozialismus sehr wohl Platz gab und mit denen beide politische Arbeit für den Hitler-Staat leisten wollten. Der momentane Sieg des einen war vermutlich der Gunst der Stunde und den strategischen Überlegungen zur aktuellen politischen Kriegssituation zu verdanken. Der vorläufige Sieg fiel den dämonischen Männerbünden zu, die die Dämonie bekämpften. Die Frau, die bei Höfler als Hexe und Feindin der Männerbünde auftritt, erscheint in der „geschichtlichen Mission“ des deutschen Volkes als störender Faktor. Ihre Volks- oder Rassenzugehörigkeit spielt keine Rolle. Die Rassengrenzen verschwimmen auch durch ethnologische Parallelen. Die Frauen werden noch auf eine andere Art und Weise ausgeschlossen: Höflers germanische Kontinuität der Männerbünde lässt sich als eine gewisse Unsterblichkeit dank der männlichen Ahnen auslegen. Die chthonische Sphäre existiert zwar, aber am Rande, dem Staat untergeordnet. Begierde, sexuelle Lust, orgiastische Züge werden ausgeschlossen. Nicht die Magie und die Zauberei werden negativ belegt, vielmehr erfolgt die Bewertung nach dem Geschlecht. Der zaubernde Wodan wird als Ausdruck der mythischen Religiosität interpretiert, die Hexe kann nur böse Dämonin sein. In der Zeit der Militarisierung und Aufrüstung Deutschlands war die Idee der Männerbünde ohne Zweifel primär. Höflers Theorie war jedoch einseitig: Die Frauen brauchte man im neuen Staat auch, man sollte sie zumindest in der Theorie nicht so direkt ausschließen. Schon Rosenbergs Thesen hatten unter den deutschen Frauen Missbilligung hervorgerufen. Und in der von Ro200 Vgl.: „Die Mythisierung des germanischen Volkes führte nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus zu gefährlichen Konsequenzen, sondern könnte auch die Phantasien heutiger Sinnsucher nähern und damit der ursprünglichen Intention des Herausgebers dienen. Wenn man schon meint, diese alten Germanenkompedien immer wieder auflegen zu müssen, dann kann man dies nur mit einer Einführung, welche die alten närrischen Phantastereien durch zeitgemäße Erkenntnisse [...] auflöst, die Positionen der Verfasser eingehend und kritisch darstellt [...]. Vor allem aber eindringlich auf die Folgen hinweist, die mit dieser mörderischen Germanistik und Volkskunde verbunden gewesen sind“, W. Behringer, Das Ahnenerbe der Buchgesellschaft. Zum Neudruck einer Germanen-Edition des NS-Ideologen OttoHöfler, http://www.uni-saarland.de/ fak3/behringer/HP/pdf_behringer/ahnenerbe.pdf 351

HEXEN UND GERMANEN

senberg unterstützten Ausstellung Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes konnte man 939 lesen: „Der Nationalsozialismus wertet die Familie höher als jemals eine Weltanschauung vor ihm. Er erkennt die ausschlaggebende Bedeutung der Frau in der Familie und bemüht sich, durch immer neue Maßnahmen Frau und Familie zu schützen, ihre Lebensbedingungen zu erleichtern und die Bildung neuer Familien zu ermöglichen. Das Volk ist die große deutsche Familie, die sich nach dem Vorbild der kleinsten Zelle bemüht, einen jeden angehörigen zu betreuen und durch Schaffen und Fröhlichsein der Freuden des Lebens und auch seines Ernstes teilhaftig werden zu lassen“.20

In dieser Hinsicht erschien Kummers Germanenbild als akzeptabler, da es die Stärke einer Nation im Zusammenhalt der Sippe begründet sah. Wenn der Sippe die einigende Rolle zugeschrieben wird, lässt sich die Frau nicht ausschließen. Sie ist dann der Körper der deutschen Gemeinschaft, der sich jedoch nicht mit Erotik, sondern mit rassischer Reinheit verbindet. Die Erotik, die oft in Verbindung mit den Hexenprozessen thematisiert wird, wird immer als „krankhaft“ den Gegnern zugeschrieben. Die Hexenverteidigung gehört nach Kummer zur Kampfstrategie gegen die Kirche, die die „Rasse“ in Frage stelle. Man müsse die Erniedrigung der zur Hexe gemachten Frau im Christentum belegen und diese Herabsetzung als einen der Gründe des Verfalls der Sippe herausarbeiten. Das Aufzeigen des ungermanischen Charakters der Prozesse war auch ein Argument gegen die Theorie der „Veredelung“ der Germanen durch das Christentum. Es sollte die „höhere Moral“ der Germanen beweisen, die seit jeher gegen die „magische Weltanschauung“ auftraten. Am wichtigsten erscheint in Kummers Germanenwelt die transparente Ordnung, in der die Frauen ihren Platz und eine ordnungserhaltende Rolle haben. Um zu verstehen, wie trotz aller Unterschiede die strategischen Bündnisse Rosenberg-Kummer und Himmler-Höfler geschlossen werden konnten, ist zusammenzufassen, was sie trennte und was sie verband. Rosenberg und den Rosenbergianern waren Kummers Frauen-Verehrung und die zentrale Stelle der Sippe bei den Germanen ohne Frage fremd. Bei Höfler musste ihnen dafür die dämonische, irrationale Seite des germanischen Lebens verdächtig erscheinen. Gleichzeitig jedoch bildete sowohl bei Rosenberg als auch bei Höfler der Männerbund die Grundlage des Staates. Die Frau blieb aus der Geschichte und Politik ausgeschlossen. Sowohl bei Rosenberg als auch bei Höfler verschwimmen die rassischen Grenzen. Auch Rosenberg pflegte einen Heldenkult, schon in der Widmung des Mythus an die Gefallenen des ersten Weltkrieges, und zelebrierte die Verbindung mit den verstorbenen Männern. 20 Ausstellung „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ Katalog, Berlin 939, S. 258. 352

WOZU BRAUCHT MAN DIE HEXEN?

Obwohl Rosenberg das Dämonische abwertend einschätzte und Apollo als Vernichter des „unnordischen Zauberwesens“ lobte (Mythus, S. 42), schrieb auch er über die Unruhe, den Drang nach Wissen und die Suche nach dem eigenen Wesen, über die Gestaltung der Welt als „typisch Germanisch“. Diese Unruhe bleibt jedoch bei ihm undefiniert, er benutzt dafür nicht explizit die Bezeichnungen „tragisch“, „dämonisch“. In den Kritiken, die von Rosenbergs Anhängern verfasst wurden, wurden die dunklen, ekstatischen Elemente bei Höfler stark kritisiert. Man warnte ausdrücklich davor, dass diese der katholischen Kirche wirksame Waffen für den Kampf gegen den Nationalsozialismus liefern würden. Auch Vernachlässigung der Rassenfragen wurde Höfler vorgeworfen. Kummer, der gegen die magische Weltanschauung, den Dämonismus, für klare Formen, Apollo und nicht Dionysos auftrat, war für sie auch mit seiner Sippe akzeptabler als Höfler. Auch die klare Position Kummers in der Frage der Hexenprozesse wird gelobt. Für Himmlers Lager war zwar die Unterschätzung der Männerbünde nicht annehmbar, Höfler stellte wiederum den Sippenaspekt und die besondere Beachtung der Frauen in Frage. Eigentlich negierte Höfler die ganze Arbeit des H-Sonderauftrags, die wiederum bei Kummer massive Unterstützung fand. Kummer konnte Pluspunkte sammeln mit seinem manifesten Kampf gegen die Kirche, mit der Verteidigung der Hexen als Opfer eines Verbrechens am deutschen Volk und mit der Verehrung der Frau in ihrer helfenden, die bestehende Ordnung unterstützenden Rolle. Trotzdem erhielt Höfler und nicht Kummer die Unterstützung Himmlers. Höfler lieferte diesem geheimnisvolle Zeremonien, emotional-ekstatische Kulte, die man bei dem zur Abstraktion neigenden Kummer nicht fand. Vor allem jedoch der Heldenkult und die Vergöttlichung des Kampfes und der männlichen Kameradschaft – die er ausdrücklich in Zusammenhang mit der SS gebracht hat – haben wohl den Ausschlag für Höflers momentanen Erfolg gegeben.

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Resümee und Au sblick

Die Untersuchung der Veröffentlichungen und Archivmaterialien, die auf verschiedenen Ebenen des Hexen-Diskurses im Dritten Reich von Bedeutung waren, hat diverse Inkonsistenzen der nationalsozialistischen Ideologie sowie den diffusen Charakter ihrer Begrifflichkeit zu Tage gefördert. Selbst in der grundlegenden Frage nach dem Wesen der „germanischen Gemeinschaft“, das man bei der Neufassung der Geschichte der Hexenprozesse klar zu bestimmen erhofft hatte, konnte man sich bis zuletzt nicht auf eine einheitliche Deutung verständigen. Teils wurde diese „germanische Gemeinschaft“ als eine männliche, dämonische, tragische, kriegerische und zur Irrationalität neigende definiert, teils als eine bäuerliche, sippenhafte, nüchterne und friedliche. Die Untersuchung hat weitere konzeptionelle Unbestimmtheiten und Widersprüche zum Vorschein gebracht, die zum Teil ein erhebliches internes Konfliktpotential in sich bargen und die Einheitlichkeit dieser Ideologie latent in Frage stellten. Die Interpretationen der Hexenverfolgungen im Dritten Reich dürfen nicht nur als Ausdruck einer bewussten ideologischen Strategie im neuen „Kulturkampf“ betrachtet werden. Durch die Einbeziehung des politischen Kontextes und die kulturhistorische Verortung der analysierten Texte sind hier Verschränkungen innerhalb des Hexen-Diskurses zu Tage getreten, die 

Schier schreibt in diesem Zusammenhang: „Nach der bisherigen Kenntnis der Ereignisse, der Quellen und der Autoren muss allerdings gesagt werden, dass es eine einseitige politische Zurichtung nicht gegeben hat, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen der persönlich vorgenommenen politischen Zurichtung und einer Instrumentalisierung als Fremdzugriff in fast allen Fällen vorlag“ (B. Schier, Hexenwahn und Hexenverfolgung, a.a.O., S. 94). Vieldeutigkeit kennzeichnete auch die Anhänger der NSDAP, die sich in besonders radikaler Weise dem Kampf gegen die Republik verschrieben hatten. Die Heterogenität des am 20. Februar 920 verkündeten nationalsozialistischen Parteiprogramms bot die Möglichkeit zur Projektion von Hoffnungen und Sehnsüchten vielfältiger Art. 355

HEXEN UND GERMANEN

die parteistaatlich gesteuerte Geschichtspolitik oft aus der Bahn zu werfen drohten. Das Bestreben, die Diskurse politisch zu lenken und die Opfer für die ideologischen Zwecke des Nationalsozialismus zu vereinnahmen, war nur teilweise erfolgreich. Derartige Versuche liefen zwar oft darauf hinaus, dass die Rezeption über die Opfer hinweg ging. Gleichwohl ließ sich der nationalsozialistische Hexen-Diskurs von seiner Vorgeschichte nicht gänzlich abkoppeln; die Aspekte, die verdrängt werden sollten, kamen – oft gegen den Willen der Verfasser – in den Texten immer wieder zum Vorschein. Mitunter entblößten sie die Schwächen der Argumentation oder sie führten die Diskussion in eine unbeabsichtigte Richtung. Das Umschreiben und Umdeuten der Geschichte der Hexenprozesse unter ideologischen Prämissen, wie etwa durch den H-Sonderauftrag, konnte sich trotz vieler Unstimmigkeiten in der Tagespolitik durchaus als propagandistisch ergiebig erweisen, wie die Ausstellung Frau und Mutter (939/40) zeigte. Dennoch bereitete diese Eigendynamik des Diskurses den Autoren, die das Hexen-Thema für ihre weltanschaulichen Kämpfe auszuschlachten suchten, unvorhergesehene Schwierigkeiten. So tauchte in der Debatte zum Beispiel die Geschlechterfrage regelmäßig auf, obwohl das Geschlecht der Opfer in den analysierten Texten selten explizit thematisiert wurde, und wenn doch, dann vor allem aus propagandistischen Gründen. Doch die Geschlechterfrage ließ sich nicht umgehen, wenn man die Geschichte der Hexenprozesse einsetzen wollte, um eine neue nationale Identität und eine neue Religiosität zu stiften. Die nationalsozialistischen Autoren haben dann vorwiegend Interpretationen übernommen, nach denen die Hexenprozesse durch die Kraft der Vernunft und der Wissenschaft überwunden worden seien. Die Vernunft haben sie dabei in eine „rassische“, „nordische“ Vernunft umgedeutet, deren endgültiger Sieg erst noch bevorstand. In ihren Texten findet sich auch das Hintergründige der aufklärerischen Deutungsansätze wieder. Sowohl in den Hexenprozessen als auch in ihren wissenschaftlichen Erklärungen spielte immer die Angst mit, dass die „Unvernunft“ der Begierde männliche Vorstellungen von der Autonomie sowie das männliche Bestreben, sich von den Trieben zu emanzipieren, gefährden könnte.2 Die Furcht vor dem Vermögen der Frau, den Mann zu „Formlosigkeit“ und „Dunkelheit“ zu verführen und damit die männliche politische Ordnung zu gefährden, begleitet auch die nationalsozialistischen Autoren. Diese Angst wurde ganz unverhüllt zum Ausdruck gebracht, wie bei Höfler, der überzeugt war, dass alles Weibliche im Gegensatz zur politischen Existenz steht und diese bedroht, die Hexenverfolgungen daher als Teil der germanischen Welt anzusehen sind. Teilweise wurde sie verdrängt, wie bei Rosenberg, der die verbrannten Frauen zum „Volk“ bzw. zum „germanischen Ty-

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Vgl.: E. Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum ersten Weltkrieg, München 996.

RESÜMEE UND AUSBLICK

pus“ umdeutete. Schließlich konnte sie auch in verhüllter Form erscheinen, als Vereinnahmung der Opfer für den Dienst an der neuen Weltanschauung, wie bei Kummer und im H-Sonderauftrag. In der letztgenannten Variante wurde das romantische Paradigma selektiv eingesetzt – alles Abgründige, Dämonische, Chthonische wurde unterschlagen, um die Hexen als Germaninnen und Beschützerinnen der alten Kulte präsentieren zu können. Dass die „Hexen“ mehrheitlich Frauen waren, wurde in der Regel nur dann betont, wenn sich diese Tatsache in der Diskussion um die Schuldfrage zu Lasten der Kirche ausspielen ließ. Die verbrannten Hexen wurden dann vor allem als „deutsche Mütter“ präsentiert, ihre Verfolgung als Beleg für die Unterstellung, die Kirche hätte sich von der Absicht leiten lassen, die deutsche Rasse auszurotten. Trotz dieser Kampagne um die „Würde der deutschen Frau“, der Diskussionen über die „Lösung der Frauenfrage“ sowie der vermeintlichen Aufwertung der „Frau“ hielt die nationalsozialistische Ideologie die Frau nur als „Mutter“ für ein vollwertiges Mitglied der neuen rassischen Gemeinschaft. Ihre Idee des Staates gründete unverhohlen auf der Geschlechterdifferenz. Das Bedürfnis, „das Weibliche“ zu kontrollieren und den weiblichen Körper zu „zähmen“, spielte auch im Hexen-Diskurs des Dritten Reiches eine wichtige Rolle. Obwohl die verschiedenen Konzeptionen der „Disziplinierung des Weibes“ und der Ausschließung des Weiblichen aus der Öffentlichkeit im Endeffekt alle auf das Gleiche hinausliefen, lösten sie unter den Ideologen heftige Konflikte hinsichtlich der symbolischen Inhalte der Geschlechterrollen in der deutschen Gemeinschaft aus. Diese Auseinandersetzungen lösten sich oft vom Hexen-Thema und verselbständigten sich auf verschiedenen Ebenen. Die von der staatlichen Propaganda forcierte „Erhöhung“ des weiblichen Geschlechts war keineswegs als Korrektur der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern gemeint. Aber auch das Gefühl, man könne die hintergründigen Motive dieser scheinbaren Aufwertung verbergen, erwies sich als trügerisch. Die Konstruktion der „germanischen Frau“, die der benachteiligten Position der Frau im Christentum entgegengesetzt wurde, mündete in ein traditionelles Bild, das die Geschlechter in konservativer Manier als naturgegebene Träger ewiger Normen und Werte präsentierte. Die nationalsozialistischen Ideologen postulierten die Befreiung der Frau, umgaben die zu Befreiende mit einem neuen Mythos und stellten sie dann in Dienst der neuen Macht, die sie nicht mitgestalten durfte. Zum Teil ist diese Strategie aufgegangen. Zum Teil wurde sie jedoch durchschaut und löste auf Seiten nationalsozialistischer Frauen Proteste aus.3 Diese wollten die Überzeugung von der 3

„Kritische“ nationalsozialistische Frauen wiesen darauf hin, dass dieses Weiblichkeitsbild nicht „naturgewollt“, sondern „manngewollt“ sei, und protestierten gegen die nur symbolische Aufwertung: „Einerseits hebt man die Frau auf einen Thron; dort darf sie madonnenhaft lächeln, aber nicht hinuntersteigen in diese irdische Welt, um verantwortungsvoll zu handeln“, I. Reichenau, Die be357

HEXEN UND GERMANEN

Unvereinbarkeit des Weiblichen mit der politischen Macht, die trotz aller formellen Differenzen hinsichtlich der Frauen-Frage in der nationalsozialistischen Ideologie dominierte, nicht akzeptieren, auch wenn sie mit der traditionellen Auffassung, dass die Frau einen unterstützenden Beitrag zur Stabilisierung der angestrebten Ordnung zu erbringen habe, grundsätzlich einverstanden waren.4 Die nationalsozialistischen Feministinnen versuchten, das Problem der Gleichberechtigung ins Zentrum der öffentlichen Diskussion zu rücken. Sie unterstellten den „Männerbündlern“, die die Ebenbürtigkeit der Frau nicht anerkennen wollten, ahistorisches und „rassenfremdes“ Denken. Zudem entging ihnen nicht, dass die Aufwertung der Mütter, wie sie im Hexen-Diskurs geradezu penetrant beschworen wurde, kein Hindernis war, die Familie zu „verstaatlichen“ und zu kontrollieren. Denn die Funktion der Familie wurde weitgehend darauf reduziert, „erbgesunden“ Nachwuchs zu reproduzieren und zu treuen „Volksgenossen“ zu erziehen: „Gestützt haben sie [die Faschisten] die formale Vatermacht (absoluter Gehorsam der Kinder) und die Mutterposition: große Gebärerin. Aber das Erziehungsrecht haben sie ihr letztlich entzogen und die Kinder in ihren Jugendorganisationen HJ und BDM direkt dem Gehorsam zum Führer verpflichtet. Im Konfliktfall zwischen dem

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gabte Frau. In: Deutsche Frauen an Adolf Hitler, hrsg. von Irmgard Reichenau, Leipzig 934, S. 30. Teile dieses Aufsatzes wurden bereits im März 932 mit der Bitte um Beachtung an Hitler geschickt. Rogge-Börner forderte unter Berufung auf die germanische Tradition für die deutsche Frau eine Stellung im Staat, die ihr in der nordischen Kultur angeblich gebühre. Sie wollte, dass die artbewussten Frauen außer Mutterschaft auch „allen anderen Dienst an der Volksgemeinschaft“ erfüllen, von dem sie so lange ausgeschlossen waren. Richterämter, Seelensorge, Innen- und Außenpolitik, Armee sollten ihnen nicht mehr versperrt bleiben: „Die deutsche Frau ruft heute das Geschlecht, das sich noch immer in alleinigen Besitz aller staatlichen und gesetzlichen Machtmittel befindet, zur Einsicht auf [...] Richtet sich der neue Staat noch einmal als Staat des Mannes ein, in der die Frau nur Gegenstand der Gesellschaftsordnung ist [...] können wir im besten Falle noch einmal einen technisch gut ablaufenden Staat erleben; aber eine freie, artrechte, echte Volksgemeinschaft wird er nicht umschließen“, S. Rogge-Börner, Denkschrift an den Kanzler des Deutschen Reiches, Herrn Adolf Hitler und an den Vizekanzler Herrn Franz von Pappen, 933, in: Deutsche Frauen an Adolf Hitler, a.a.O., S.. Irmgard Reichenau verlangte im gleichen Band anstelle der Männerherrschaft eine Herrschaft der geeigneten Menschen, Selbstverwirklichungsmöglichkeiten für begabte Frauen in allen Sphären des Lebens, gleichen Lohn. Auch sie übernahm konservative Vorstellungen: Sie sah die Gefahr des Verfalls der Kultur, wenn „die Hüterin von Sitte und Kultur ausgeschaltet wird“, I. Reichenau, Die begabte Frau. Teile dieses Aufsatzes wurden bereits im März 932 mit der Bitte um Beachtung an Adolf Hitler geschickt, in: Deutsche Frauen, a.a.O, S. 23.)

RESÜMEE UND AUSBLICK

Führer und Familienanspruch wurde das Kind angehalten, Spitzel im Dienst des Führers gegen die Eltern zu sein“.5

Dieses Diktum, das Theweleit ausgearbeitet hat, findet Bestätigung in den Worten vieler Nationalsozialistinnen, die nicht nur bezweifelten, dass Mutterschaft allein das Leben ausfüllen kann, sondern auch die Wahrhaftigkeit der Aufwertung der Familie und Mutter im Nationalsozialismus hinterfragten: „auch noch das Gepriesene, die Mutter, gilt bei solcher Auffassung der Welt [nach der die Frauen nur Mittel männlicher Ziele und Werte sind – K.L. ] letztlich als Mittel zum Sohn und die Tochter als Mittel zur weiteren Sohngeburt. Beide nur als Mittel zum Volk der Söhne.[...] Der ganze Mutterkult ist unter solchen Umständen nur Lippenkult, und der Sohn, auch der jüngste, lacht schon heute der Mutter ´männlich´ überlegen ins Gesicht“.6

Die Hexen-Debatte macht deutlicht, dass die Ideologen des Nationalsozialismus sich zwar der Wichtigkeit der Geschlechterfrage bewusst waren, sich aber nicht auf eine einheitliche Auffassung dazu verständigen konnten: Unter den männlichen Ideologen wurde sowohl die Überzeugung vom männerbündischen Wesen der germanischen Gemeinschaft als auch die von der Sippe als deren Grundlage vertreten; sogar Matriarchatsthesen hatten ihre Anhänger.7 5 6

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K. Theweleit, Männerphanasien, Bd. 2, München 2005, S. 249. L. Kühn, Natürlicher Aristokratismus, in: Deutsche Frauen an Adolf Hitler, a.a.O., S. 39f. Vgl. in demselben Band: Nella Erdmann, Die Stellung der Mutter als Erzieherin ist in Gefahr! Faktisch alle Autorinnen dieser Briefe protestierten gegen das Männerbündische der Partei und gegen die Verstaatlichung der Familie. Reichenau warnte, dass der Mann gegen die Ehe erzogen wird: „Bündische Erziehung, Kameradschaftshäuser, Männerbünde, Sport, Kraft durch Freude, drohen durch Trennung der Geschlechter das Familienleben zu zerreißen. Immer weniger teilen die Ehegatten miteinander, immer weniger Einfluss behalten sie auf die Kinder und immer weiter bleibt die Frau im Schatten der Vereinsamung zurück“ (S. 27); „Mutterschaft ist ein Mysterium, das nicht in der jetzt beliebten Weise in die Öffentlichkeit gehört“ (S. 9), in: I. Reichenau, Die begabte Frau, in: Deutsche Frauen, a.a.O. Die Familie als Sozialisationsort war im Dritten Reich nicht erwünscht und auch durch Denunziation bedroht (vgl. K. Sauerland, Dreißig Silberlinge, a.a.O). Nur wer Hitlers „Familienpolitik“ betrachtet, ohne ihren Kontext zu berücksichtigen und sich mit den Frauenvorstellungen der Naziideologen auseinanderzusetzen, kann, wie die deutsche Moderatorin Eva Herman, behaupten, dass manches im Nationalsozialismus auch gut gewesen sei, „zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter“, oder dass „Werte wie Familie, Kinder und das Mutterdasein, die auch im Dritten Reich gefördert wurden, anschließend durch die 68er abgeschafft wurden“, in: Spiegel online, 9.09.2007, URL:http://www.spiegel.de/kultur/ gesellschaft/0,58,504703,00.html Inge Stephen warnt davor, die Matriarchatsmythen gedankenlos zu übernehmen: „Als utopische Entwürfe von Weiblichkeit und als polemische Kritik an 359

HEXEN UND GERMANEN

Unabhängig von der jeweiligen Vision von Weiblichkeit wurde die Rolle der Frau jedoch immer auf ihre Funktion in der biologischen Reproduktion reduziert. Sowohl die unverblümte Ausschließung als auch die Einhegung durch symbolische Überhöhung mündeten in eine politisch bedeutungslose Position. Sexualität wurde im nationalsozialistischen Hexen-Diskurs als Staatsräson thematisiert, die Kontrolle über sie als ein unentbehrlicher Teil von Herrschaft. In dieser Hinsicht waren sich die nationalsozialistischen Ideologen weitgehend einig, wenn man von einigen eher oberflächlichen Meinungsverschiedenheiten absieht. In den Auseinandersetzungen mit dem Katholizismus zeigte sich bezeichnenderweise, dass sich ihre diesbezüglichen Auffassungen von denen der Kirche nicht grundsätzlich unterschieden. Zwar wurden im Dritten Reich, um die Ablehnung der als oppressiv gegeißelten Sexualpolitik der Kirche zu demonstrieren, vorehelicher Sex und Freude an der Lust als Zeichen der Befreiung von den kirchlichen Vorstellungen propagiert, jedoch galt diese „sexuelle Befreiung“ nur in einem „rassisch“ begrenzten, vom Staat kontrollierten Rahmen.8 Der illusorische Charakter der „sexuellen Befreiung“

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einem verkürzten Verständnis von Weiblichkeit finde ich Matriarchats- und Amazonengeschichten außerordentlich produktiv, als vermeintliche historische Rekonstruktion matriarchalischer Gesellschaftsformen und als emphatische Rückbesinnung auf einen angeblich heroischen Zustand von Weiblichkeit, finde ich sie ähnlich problematisch, wie den Rekurs auf Biologie und Anthropologie für die Gewinnung einer Definition von’männlich’ und ’weiblich’“ (S. 25). Spannender wäre zu untersuchen, „wie ein Verständnis von Weiblichkeit und Männlichkeit ohne Geschlechterkampf, ohne Herrschaft, ohne Zerstörung, Unterwerfung und Unterdrückung aussehen könnte“ (S. 26), I. Stepan „Bilder und immer wieder Bilder“ Überlegungen zur Untersuchung von Frauenbildern in männlicher Literatur, in: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Mit Beiträgen von Inge Stephan und Sigrid Weigel, Berlin 983. In Dagmar Herzogs Buch Die Politisierung der Lust, Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts (Siedler Verlag, München 2005), wird zu große Betonung auf die vermeintliche Förderung der „freien Liebe“, des „sexuellen Vergnügens“ im Nationalsozialismus gelegt, und zu wenig beachtet, dass z.B. die Lockerung des Scheidungsgesetzes eher für Fälle zutraf, in denen die „ehelichen Pflichten“ vernachlässigt wurden, und mit dem Wunsch nach einer höheren Geburtenrate zusammenhing. Auch die Kriminalisierung der Abtreibung und der Homosexualität zeugen nicht von einer libertären Sexualpolitik, und in der Nacktkultur des Dritten Reiches war auch keine „dekadente“ Erotik zu finden. Die Tatsache, dass das sexuelle Verhalten von Frauen bei der Entscheidung über Zwangssterilisationen eine wesentliche Rolle spielte, spricht ebenfalls gegen Herzogs These: So genanntes „auffälliges sexuelles Verhalten“, wie „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“ „starker erotischer Eindruck“ „sexuelle Erregbarkeit“ „sexuelles Interesse“ waren Gründe, einem Antrag auf Zwangsterilisation stattzugeben. Vgl.: Christa Paul, Zwangsprostitution., a.a.O., S. 8. Sexuelle Beziehungen zwischen Deutschen und Angehörigen anderer Rassen galten als „Rassenschande“. Wenn es sich bei den betreffenden Deutschen um Frauen handelte, wurden diese besonders streng bestraft.

RESÜMEE UND AUSBLICK

klang im Hexen-Diskurs durch: Es „sträubte sich die Feder“ der nationalsozialistischen Autoren, wenn sie die „krankhaften“ Sexualvorstellungen der katholischen Kirche, der Juden, der Emanzipierten, der Demokraten, Kommunisten, Liberalen usw. beschrieben. Die sexuell konnotierten Ressentiments, die Ekel und Empörung hervorrufen sollten, wurden auf alle „Gegner“ projiziert, die als „artfremd“ galten und eines unbändigen Sexualtriebes bezichtigt wurden. Auch die Frauen, die aus rassischen Gründen, oder weil sie sich „zu emanzipiert“ gaben und damit die männliche Ordnung gefährdeten, in das nationalsozialistische Schema nicht hineinpassten, gehörten zu diesen „Gegnern“. Zu untersuchen wäre noch, inwieweit sich trotz der rhetorisch-symbolischen Aufwertung der „rassentreuen“ Frau diese Sichtweise, die Frauen eine bedrohliche Sexualität unterstellt, welche mittels staatlicher Kontrolle in gemeinschaftsverträglichem Rahmen zu halten ist, auf das weibliche Geschlecht generell bezog. Die Texte aus dem Hexen-Diskurs legen diese Vermutung zumindest nahe.9 Die vielfältigen Zuschreibungen „krankhafter“ Sexualität, welche sich auf die Vertreter des „Intellektes“ (das am häufigsten gebrauchte Schimpfwort), die anderen, „niederen“ Rassen oder das weibliche Geschlecht bezogen, und die nicht nur im Hexen-Diskurs, sondern auch in vielen anderen Texten dieser Zeit zum Vorschein kamen, konnten hier nicht in aller Ausführlichkeit analysiert werden. Ihre genauere Untersuchung wäre ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern und der Sexualisierung der Gewalt nicht nur im Dritten Reich. Charakteristisch für das Vorgehen der nationalsozialistischen Ideologen bei der Bestimmung der „deutschen“ Merkmale von Weiblichkeit, Sexualität, Religiosität, Gemeinschaft und Staat war ein Denken in Freund-FeindKategorien, der Versuch, das Eigene über das Fremde zu definieren.0 Im

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Männliche Homosexualität wurde als eine Gefährdung des Staates gedeutet, obwohl die erwünschte Organisation des Staates als „Männerbund“ doch gleichsam zwangsläufig auf eine Förderung homoerotischer Beziehungen hinauslief. Dieses Paradox versuchte man, durch politische Sublimierung dieses Eros zu lösen. Rosenberg beispielsweise hielt die weibliche Unfähigkeit, einen Staat zu gründen und zu führen, für rassenunabhängig. Diese Denkweise erinnert an Carl Schmitt, der sich in der letzten Zeit in Polen wieder zunehmender Popularität erfreut. Laut Schmitt gilt für das Politische immer der Freund-Feind-Gegensatz. Der Feind ist dabei derjenige, der per autoritative Setzung zum Feind erklärt wird. Der Feind wird als etwas grundsätzlich Fremdes präsentiert, als eine existentielle Bedrohung des nationalen Seins. Diese Sichtweise impliziert die Notwendigkeit, den Feind im Interesse des eigenen Überlebens zu vernichten. In Polen wird Schmitt als geistigen Vater der antiliberalen Parteien behandelt, die Befürworter der staatlich kontrol361

HEXEN UND GERMANEN

Hexen-Diskurs des Dritten Reiches wurde das, was „germanisch“ ist, immer als Gegenbild zu einem Anderen konstruiert – in Abgrenzung zum Christentum, zum Judentum, zu allem Fremden, nicht „blutgemäßen“. Alles Fremde, von außen Kommende, bedeutete Bedrohung. Dies ist das Muster, nach dem in der Aushandlung der neuen Gemeinschaft die meisten Begriffe bestimmt wurden, weshalb sie oft unpräzise bzw. diffus erscheinen, aber dennoch massenwirksam waren. Eine solche Art von Begriffsbildung ist eine gefährliche Strategie. Denn eine Politik, die die Welt vornehmlich in der Freund-FeindDichotomie perzipiert, wird immer wieder neue Feinde erzeugen. Diese Denkweise hat sich in der Geschichte immer wieder propagandistisch bewährt, und sie stellt auch heute ihre suggestive Kraft unter Beweis. Das Bestreben der nationalsozialistischen Autoren, die Hexenprozesse als rassisch bedingt zu interpretieren, blieb letztlich erfolglos. Entsprechende Versuche förderten eher die Uneindeutigkeit des Rassenbegriffes zu Tage. Auch andere Begriffe, denen für die Konzipierung der „deutschen Gemeinschaft“ eine konstitutive Bedeutung zugedacht war und die auch im Hexen-Diskurs auftauchten, erscheinen sehr diffus. In den analysierten Texten präsentiert sich die nationalsozialistische Weltanschauung als eine relativ vage, heterogene Sammlung populären Wissens. Wenn die Tagespolitik es erforderte, ließen sich die meisten Thesen der nationalsozialistischen Ideologie ohne weiteres relativieren bzw. modifizieren, wie die Debatte zwischen Höfler und Kummer gezeigt hat. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass es ungeachtet der Flut von Propagandaschriften keine grundlegende und umfassende schriftliche Darstellung des nationalsozialistischen Weltbildes gibt. Die argumentativen Brüche im Hexen-Diskurs sprechen dafür, dass weltanschauliche Geschlossenheit und Konsistenz für die Politiker des Nationalsozialismus nicht im Vordergrund standen. Denn trotz ihrer inneren Widersprüche konnte diese Weltanschauung sehr wohl zum Dogma erhoben werden. Ihr scheinba-



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lierten Geschichtspolitik berufen sich auf ihn. Schmitt bejahte bedingungslos das Nazi-Regime, die Nürnberger Gesetze nannte er eine „Verfassung der Freiheit“. Er beteiligte sich an der Aktion Ritterbusch, hat sich weder vom Nationalsozialismus distanziert noch um Entnazifizierung bemüht, noch ist er von seinem Antisemitismus abgerückt. Vgl.: Frank-Rutger Hausmann: Die Aktion Ritterbusch – Auf dem Weg zum Politischen: Carl Schmitt und der Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 3. März 999, Nr. 6, II (Bilder und Zeiten). Hitler war ganz entschieden für das gesprochene Wort: „Ich weiß, dass man Menschen weniger durch das geschriebene Wort als vielmehr durch das gesprochene zu gewinnen vermag, dass jede große Bewegung auf dieser Erde ihr Wachsen den großen Rednern und nicht den großen Schreibern verdankt“ (A. Hitler, Mein Kampf, Vorwort S. XXVII). Man versuchte, Hitlers und Rosenbergs Bücher zu „Bibeln“ des Nationalsozialismus zu stilisieren.

RESÜMEE UND AUSBLICK

rer Pluralismus war begrenzt und hatte keine Einschränkung der ideologiepolitischen Effektivität zu Folge: Weder beeinträchtigte er den Einfluss dieser Weltanschauung auf die Gestaltung der öffentlichen Sphäre, noch behinderte er ihre verbrecherische Umsetzung. Frank-Lothar Kroll hat den Nationalsozialismus treffend als „Polyzentrismus der ideologischen Konzeptionen“2 charakterisiert. Die Tatsache, dass die NS-Ideologen, wie hier gezeigt wurde, gar nicht bestrebt waren, ihre unterschiedlichen Auffassungen zu harmonisieren, spricht für diese Beschreibung. Ein anderes Thema, mit dem die nationalsozialistischen Ideologen ihr Interesse an den Hexenprozessen verbanden, ist die Bedeutung von Religion und Mythen für die Konstruktion der Volksgemeinschaft. In der Thematisierung der Hexenprozesse dominierte die kämpferische Ablehnung des Christentums als einer den Germanen (und dem Nationalsozialismus) feindlich gesinnten Macht, die keine rassischen Prämissen anerkennt. Die Kirche mit Schuldzuweisungen herauszufordern, gehört zur Tradition der Hexenprozessrezeption und hat sich immer als hilfreich erwiesen, wenn es darum ging, Emotionen zu manipulieren und Empörung auszulösen. Für eine antikirchliche Kampagne schien das Thema Hexenprozesse bestens geeignet. Das betraf jedoch nicht nur den Aspekt des Kulturkampfes. Alle in dieser Arbeit besprochenen „Hexenforscher“ schienen sich bewusst gewesen zu sein, dass ihre „Bewegung“ auf Religion nicht verzichten darf. Immer wieder forderten sie eine deutsche Religionswissenschaft, die den „wahren Glauben“ der Germanen herausarbeiten sollte; den Angriffen gegen das Christentum folgte regelmäßig der Versuch, die „germanische Religiosität“ zu definieren. Wer die Religiosität definiert, so die Überzeugung, der verfügt über zusätzliche Ordnungsmacht. Darüber hinaus kann man bei diesen Autoren die Neigung beobachten, Denkstile von als feindlich eingestuften Kräften, die sie für instruktiv hielten, für ihre eigenen Zwecke zu adaptieren. Manchmal geschah das eher unbewusst, wie z.B. in der Frage der Sexualität oder beim Frauen-Thema. In anderen Fällen machte man das gezielt. So wurden etwa die Machtstrategien der katholischen Kirche analysiert und übernommen, inklusive des Anspruchs, den ganzen Menschen zu erfassen, einschließlich der Fragen der Sinngebung des Lebens. Die nationalsozialistischen Ideologen waren überzeugt, dass eine Gemeinschaft zu ihrer Legitimation eines von allen Mitgliedern geteilten obersten Wertehorizontes bedarf. Die deutsche Weltanschauung sollte zu einer „Religion“ erhoben werden, die Selbsterlösung und Unsterblichkeit durch Blut und Ehre garantierte. „Blut“ war dabei als Heldenblut gedacht – „Unsterblichkeit“ entsprechend nur als Unsterblichkeit der Männer. Den meisten Autoren ging es nicht um Religion im eigentlichen Sinne als einer in 2

Frank-Lothar Kroll, Utopie als Ideologie, a.a.O.,S. 9. 363

HEXEN UND GERMANEN

sich geschlossenen transzendenten Lehre, sondern um die Verabsolutierung weltlicher Wertbezüge. Sie wollten schlicht die Prägekraft religiöser Symbole, Erwartungen und Gefühle für ihre politischen Zwecke einsetzen. Ihre Überzeugung vom religiösen Ursprung der Mythologie erklärt, warum sie bei ihren Versuchen, Leben und Gesellschaft aus „höchsten Werten“ zu legitimieren, den Mythen eine so wichtige Rolle zuerkannten. Die in den analysierten Texten auffallende Popularität der Mythen zeugt nicht nur von einem Bedürfnis nach Erklärung der Vergangenheit, sondern auch von der Suche nach Zukunftsvisionen, nach der Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Da Mythen strukturell lockerer sind als alle anderen Weltauslegungen, die Grenze zwischen Geschichte und Fiktion hier verblasst, schienen sie für die Legitimation der nationalsozialistischen Gegenwart besonders geeignet. In der Hexen-Debatte wurde die germanische Identität in mythische Zusammenhänge eingebettet, die Sinn und Erklärungen produzieren und unbestimmter sind als Religionen. Die neue „Religiosität“ sollte für weitere Entwicklungen offen bleiben. Die Analyse der Texte hat deutlich gemacht, dass die „Glaubensmuster“ des Nationalsozialismus nicht aus dem Nichts kamen, sondern ihre Quellen in der Religions- und Mythengeschichte der Neuzeit haben. Die Aufdeckung der Mechanismen solcher propagandistischen „Verzauberung“ soll gegen ähnliche Tendenzen in unserer Gegenwart sensibilisieren. Die Geschichte der nationalsozialistischen Hexenforscher gehört zur Geschichte der Beteiligung der Geisteswissenschaften am Nationalsozialismus. Sie bietet ein exemplarisches Muster der Relation zwischen Wissenschaft und Macht, das sich auch für die Untersuchung dieser Beziehung in anderen politischen Systemen als instruktiv erweisen könnte. Der Verweis auf die Tatsache, dass die Mitarbeiter des H-Sonderauftrags und die Autoren anderer Hexen-Texte, die den Krieg überlebt haben, keine besonderen Schwierigkeiten hatten, ihren Platz in der Bundesrepublik Deutschland zu finden, soll keine Denunziation einer gescheiterten Entnazifizierung sein. Aber er ist eine Warnung vor der Verharmlosung der politischen Relevanz der Geisteswissenschaften und soll daran erinnern, dass diese ewig Gestrigen ihre Theorien bis vor kurzem vertreten konnten und noch immer ihre Anhänger finden. Es geht darum, gewisse Mythen zu dekonstruieren, damit sie nicht mehr ideologisch eingesetzt werden können. Die Nationalsozialisten haben versucht, ihren neuen Staat historisch zu legitimieren, indem sie die Geschichts- und anderen Geisteswissenschaften instrumentalisierten und ihre Ideologie in die Vergangenheit zurück projezierten, auch in die Geschichte der Hexenprozesse. Für ihre rassisch definierte, jeden anderen Wissenschaftsbegriff ausschließende Wissenschaft erhoben sie den Anspruch auf universelle Geltung. Flecks Über364

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legungen zur Funktionsweise von Denkkollektiven und zur potentiellen Ausartung von Denkstilen zu Ideologien bieten eine hilfreiche Erklärung dafür, wie die Wissenschaften – genauer: die im Wissenschaftsbetrieb produzierten ideologischen Konstrukte, versehen mit Elementen von Wissenschaftlichkeit – die politische Realität mitgestaltet haben. Die hier behandelten Autoren haben alle auffallend oft ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit beschworen und die Exaktheit ihrer eigenen Methoden mit denen der Naturwissenschaften verglichen. Abgesehen davon, dass man mit Fleck die Objektivität letzterer hinterfragen kann, verwickelten sich die nationalsozialistischen Autoren auch hier in Widersprüche: Zwar negierten sie die Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft, nutzten das Wissen von ihrer sozialen Bedingtheit, doch beanspruchten sie zugleich für ihre eigenen „wissenschaftlichen Tatsachen“ einen universellen Charakter, wollten sie diese als „objektive“ Wahrheit präsentieren. Ihr so häufig strapazierter Wissenschaftsbegriff war sehr diffus und hauptsächlich auf Ausgrenzung bedacht. Was für die jeweilige Konzeption des Nationalsozialismus irrelevant oder der Tagespolitik abträglich war, galt als unwissenschaftlich. Es kam darauf an, zu wissen, für welche Fragestellungen, Thesen und Theorien die gegebenen (politischen) Voraussetzungen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zuließen. Die Hexen-Debatte, insbesondere die Arbeiten des H-Sonderauftrags und die Auseinandersetzung zwischen Höfler und Kummer, verdeutlichen die Abhängigkeiten zwischen politischen Machthabern und Wissenschaftsbetrieb: Politische Instanzen entscheiden in wissenschaftlichen Konflikten, einflussreiche Persönlichkeiten gruppieren bestimmte Wissenschaftler um sich, wissenschaftliche Kontroversen werden vor der Öffentlichkeit möglichst verborgen und im internen Kreis der „Eingeweihten“ ausgetragen. Die Auseinandersetzung der Nationalsozialisten mit dem Hexen-Thema ist bestens geeignet, unseren Blick auf die gegenwärtigen Versuche zu schärfen, nationale Identität mittels „Geschichtspolitik“ zu stiften. Die Mechanismen, nach denen „Geschichtspolitik“ funktioniert, sind nicht zuletzt deswegen von Bedeutung, weil sie maßgeblich die Selektion der Fakten, Erinnerungen etc. beeinflussen, die in das Funktionsgedächtnis einer Gesellschaft einfließen. Jede Neuorientierung einer Gesellschaft hängt von ihrem Umgang mit der Geschichte ab. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf dem Nationalsozialismus lag, konnte die Rezeptionsgeschichte der Hexenprozesse hier nicht ausführlicher behandelt werden. Durch den Vergleich einiger Argumentationsfiguren aus dem Hexen-Diskurs des Dritten Reiches mit der Thematisierung der Hexenverfolgungen durch drei bedeutende Autoren früherer Phasen dieses Diskurses (Kapitel 3) wurden jedoch Deutungstendenzen herausgearbeitet, die überzeitlich sind. Unverändert sind auch die Herausforderungen, denen sich Forscher bei der Bearbeitung dieser Thematik gegenüber sehen: Da das Phänomen derart 365

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kompliziert, vielschichtig, emotionell geladen und leicht zu trivialisieren ist, droht die Beschäftigung damit oft, in Schuldzuweisungen, Vereinahmung der Opfer, Verschwörungstheorien oder billigen Kitsch auszuarten.3 Seit jeher griff man in Wende- und Krisensituationen – bewusst oder unbewusst – zum Hexen-Thema als zu einer ideologischen Waffe. Würde man die Hinwendung der katholischen und protestantischen Kirche zu diesem Thema in den letzten Jahren auch als eine Reaktion auf die Frauenbewegung interpretieren, darauf, dass die Frauen aus dem Schatten des Symbols herausgetreten sind und begonnen haben, sich als politische Akteurinnen zu verhalten, also in gewissem Sinne die bestehende Ordnung zu bedrohen, dann würde das die These von einer besonders intensiven Rezeption der Hexenprozesse in Krisenzeiten bekräftigen.4 Die Geschichte der Rezeption der Hexenprozesse, von der man 3 4

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Vgl.: Jürgen Scheffler, "Lemgo, das Hexennest". Folkloristik, NSVermarktung und lokale Geschichtsdarstellung, in: Jahrbuch für Volkskunde. N.F., Bd. 2, 989, S.3-32. Einerseits wird die Schuld der Kirche nach bekannten Mustern geleugnet. Anlässlich der Eröffnung des Archivs der Glaubenskongregation zu Rom erklärte Joseph Kardinal Ratzinger: „Was die Hexenfrage angeht, so weiß der historisch Gebildete, dass nicht zufällig im Kirchenstaat nie Hexen verbrannt wurden. Hexenverbrennung ist ein nordisches Phänomen, das in Spanien, im südlichen Italien und im Kirchenstaat keinen Raum fand“, in: J. Ratzinger, Ein Spiegel der europäischen Geistesgeschichte. Überlegungen aus Anlass der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2000, Nr. 8, S. 5. Auf der Internetseite der katholischen „KarlLeisner-Jugend“ wird der Hexenglaube als Anzeichen eines verlorenen Glaubens interpretiert, der gerade in Deutschland in der Zeit der Hexenprozesse besonders deutlich war: „Das heißt nun im Klartext: Die schrecklichen Hexenverfolgungen sind nicht eine Aktion der universalen katholischen Kirche, sie sind vielmehr Teil unserer deutschen historischen Schuld“, in: http://www.karl-leisner-jugend.de/Hexenverfolgung.htm. Johannes Paul II sprach zwar von Irrtümern der Inquisition, formulierte das Bekenntnis der Sünden gegen die Würde der Frau, aber er erwähnte die Hexen nicht explizit. Einem eindeutigen Schuldbekenntnis in Bezug auf die Hexenprozesse hat sich die katholische Kirche bis heute verweigert (B.B. Bartels, Die Vergebungsbitte Papst Johannes Pauls II. und die Inquisition, in: Hexentribunal, hrsg. von Christoph Becker, Augsburg 200 S. 385). Von der Tendenz zur „Abrechnung“ zeugt wiederum der Aufruf von Hartmut Hegeler (protestantischer Geistlicher, Initiator des Arbeitskreises „Hexenverfolgungen in Westfalen“) zur theologischen Stellungnahme zur Hexenverfolgung, zur Übernahme der Mitverantwortung. Seiner Auffassung nach sei „ein grundsätzlich klärendes Wort der Kirchen nötig für eine Rehabilitation der Opfer und eine Neuschreibung der Geschichte der Hexenverfolgung“. Die religiöse Schuld soll von den Opfern genommen und „ihre Christenehre wiederhergestellt werden“ (H. Hegeler, Hexenverfolgungen, die Schuld und die Kirchen, in: Realität und Mythos Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte, hrsg. Katrin Moeller, Hamburg 2003, S. 260- 282, hier. S. 273). Anlässlich der aktuellen Diskussionen um die Rehabilitierung von Anna Goldi, der letzten in der Schweiz verbrannten Hexe, welche die Glarner Regierung ablehnt, erinnerte Ruedi Reich, Präsident der evange-

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sehr viel über die Interpreten selbst und ihre Zeit erfährt, wäre noch zu schreiben; hier wurde nur eine Spur im Nationalsozialismus verfolgt. Die Nachkriegsrezeption der Hexenprozesse scheint die Relevanz weiterer Untersuchungen zu den Funktionen der Hexenprozessdeutung zu bestätigen.5 So wurde nach dem Krieg an bundesdeutschen Schulen die Polemik gegen den Aberglauben wieder aufgenommen, die Verantwortung für die Prozesse wieder der Kirche zugeschrieben, und die Menschen bzw. die Gesellschaft wurden entlastet. „Hexerei“ als „Aberglaube“ wurde der kirchlichen Reliquienverehrung gleichgesetzt, die mittelalterlichen Judenverfolgungen wurden miterwähnt, und das alles wurde als Wahn in verworrenen Zeiten interpretiert. Inwieweit das mit der psychischen Verfassung der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg zusammenhing, wäre zu untersuchen.6 Zwischen Ende der 950er und Mitte der 980er Jahre verschwanden die Hexen aus den bundesdeutschen Geschichtsbüchern. In der DDR stieß man auf dieses Thema im Zusammenhang mit dem „Kampf um ein wissenschaftliches Weltbild“ (Kopernikus, Galilei, Bruno): Es wurden – mit großer bhnlichkeit zu nationalsozialistischen Interpretationen (vor allem Rosenbergs), aber im Namen einer

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lisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, an eines der „dunkelsten Kapitel“ der Zürcher Geschichte. Er bedauerte das Unrecht, das 70 sieben Frauen und einem Mann widerfahren ist. „Die Schuld von Obrigkeit und Kirche damals erkennen, heisst auch zur Schuld von Staat und Gesellschaft in der Moderne zu stehen“, glaubt Reich. Vgl.: Markus Rohner, Wie eine Hexe aktuell wird, in: St. Galler Tagblatt; .09.2007, URL: http://www.annagoeldin.ch/pressespiegel.htm#%A9_St._Galler_Tagblatt;_.0 9.2007[0];_Seite_2 (7.09.2007) Vgl.: Thomas Lange, Hexenverfolgung als Unterrichtsthema Ein regionalgeschichtlicher Stoff im Wandel von kulturgeschichtlicher Aufklärung zum ethnologischen Lernen, (9.05.2006)URL: http://www.historicum.net/no_cache/ persistent/artikel/83 Eine ähnliche Frage stellt sich Thomas Lange: „Es ist die Frage, ob hier Ausweichen oder Hilflosigkeit bei Autoren vorliegt, die Zeugen der Massenpsychosen vom gelenkten Volkszorn bis zur jubelnden Untergangshysterie des totalen Kriegs wenige Jahre zuvor gewesen sind“ (T. Lange, Hexenverfolgung als Unterrichtsthema, a.a.O., S.407). Er weist darauf hin, dass im Gegensatz dazu die Emigranten dieses Thema behandelten. Hermann Broch formulierte im amerikanischen Exil in immer neuen Anläufen eine „Massenwahntheorie“, in der er den Rassenhass als „Teufelsglauben“ interpretierte, Hexen- und Judenverfolgungen sogar als Rückfälle in heidnische Bräuche von Menschenopfern. Kurt Baschwitz trat in seinem Buch Hexen und Hexenprozesse gegen die vereinfachende Gleichsetzung von Aberglaube und Massenwahn ein. Nicht der Torheit der Massen, sondern „den denkgeschulten Köpfen“ und „verbrecherischen Demagogen“ schreibt er die Verantwortung zu (K. Baschwitz: Hexen und Hexenprozesse. Die Geschichte eines Massenwahns und seiner Bekämpfung. München 963, S. 472). 367

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anderen Ideologie – „die erfolglosen Versuche zur Unterdrückung dieses Weltbildes (Inquisition, Hexenprozesse)“ erwähnt.7 Erst in der zweiten Hälfte der 980er Jahre kamen die Opfer der Hexenprozesse mit der feministischen Bewegung als Thema zurück. In diesem Kontext können zwei Tendenzen unterschieden werden. Auf der einen Seite werden auch in der feministischen Rezeption alte Mythen reproduziert. Hier figurieren die Hexen als „weise Frauen“ und „Hebammen“. Auch die These der neun Millionen Opfer wird wieder aufgegriffen, in den Hexenpraktiken wird nach heidnischen Bräuchen gefahndet. Die Hexenprozesse werden als Maßnahmen gedeutet, die das geheime Wissen der Hexen um Verhütungsmöglichkeiten aus der Gesellschaft verbannen und die Vorherrschaft der männlichen Medizin sichern sollten, oder auch als Kampf um Geburtenkontrolle.8 bhnlich wie in den oben beschriebenen Fällen wird auch hier die Geschichtsinterpretation in den Dienst tagespolitischer Zwecke gestellt. Eine andere Richtung der feministischen Forschung ist um einen neuen Zugang zu der Thematik bemüht, der der Komplexität des Phänomens der Hexenprozesse gerecht wird und es ermöglicht, diese aus der Gender-Perspektive, d.h in Bezug auf die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu analysieren. Hier werden die komplexen sozialen Existenzbedingungen der Frau und das gesamte frauenfeindliche Potential der christlich-abendländischen Kultur als Kontext der Hexenverfolgungen mitgedacht. Die Hexengeschichte wird ein Teil der Frauengeschichte, der Geschichte der Verdrängung der Frauen aus der Produktion und der Öffentlichkeit, sie wird jedoch nicht darauf reduziert.9 Wenn der Feminismus nicht zu einer bloßen Ideologie degradiert wird, 7 8

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T. Lange, Hexenverfolgung als Unterrichtsthema,a.a.O., S. 408. Zu den bekanntesten Interpretationen, die in diese Richtung gehen, gehört: Gunnar Heinsohn/Otto Steiger, Die Vernichtung der weisen Frauen. Hexenverfolgung, Kinderwelten, Bevölkerungswissenschaft, Menschenproduktion. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, München 985. Ingrid Ahrendt-Schulte: Weise Frauen – böse Weiber. Die Geschichte der Hexen in der Frühen Neuzeit. Freiburg 994; Frauen in der Geschichte, hrsg. von Anette Kuhn, Düsseldorf 982. Manchmal rufen Publikationen der feministischen Autorinnen sehr gereizte Reaktionen männlicher Forscher hervor. So fragt sich der Kenner dieser Thematik, W. Behringer, woher Eva Wisselinck die Millionen-Opfer- These entlehnt hat, und stellt sarkastisch fest: „In Frage kommt jedoch auch Mathilde Ludendorffs `Christliche Grausamkeit an deutschen Frauen´, das Wisselinck überraschenderweise heranzieht“ (W. Behringer, Neun Millionen Hexen, a.a.O., S. 68). Dabei erwähnt Wisselinck Ludendorff nur an einer Stelle und gar nicht als eine glaubwürdige Quelle: „In der Nazizeit nehmen die Veröffentlichungen [zu Hexenprozessen] wieder zu, jetzt allerdings unter ideologisierten Gesichtspunkten. Ein Titel von Mathilde Ludendorff zeigt die Richtung: ’Christliche Grausamkeit an deutschen Frauen’. SS-Führer Heinrich Himmler stellte ein Sonderkommando zur Hexenforschung

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die lediglich die Interpretation der Geschichte als einer einzigen Leidensgeschichte legitimieren soll, dann ist feministische Forschung dank der GenderPerspektive in der Lage, neue Aspekte der Hexenverfolgungen aufzuzeigen. Die künftige Forschung sollte auch die auffallend dürftige polnische Hexenforschung einer Analyse unterziehen. Sieht man von einigen regionalen und juristischen Studien ab, dann gibt es in Polen nur eine einzige größere Arbeit. Diese stammt aus dem Jahr 952.20 Die gegenwärtige polnische Debatte dreht sich vorwiegend um die Zahl der Opfer der in Polen abgehaltenen Hexenprozesse. Die Zahlen, die in der kommunistischen bra mit Berufung auf Baranowski veröffentlicht wurden, werden heute mit dem Argument angezweifelt, dass die Historiker damals die westlichen Gebiete, die erst seit 945 zu Polen gehören, in ihre Untersuchungen einbezogen, dafür aber den ganzen Osten außer Acht gelassen hätten, weil dieser seit 945 sowjetisch war und die Zensur es nicht zuließ, ihn als ehemaliges polnisches Staatsgebiet zu thematisieren. Maágorzata Pilaszek wirft Baranowski vor allem vor, die Zahl der Opfer polnischer Hexenprozesse falsch eingeschätzt zu haben. Des Weiteren kritisiert sie, dass Baranowski versucht, die Hexenprozesse als KlassenkampfPhänomene zu erklären, die Rolle der Kirche überbewertet und die Polen als „dem Hexenwahn verfallen“ und vom „wilden Ausrottungswillen“ besessen darstellt.2 Über diesen Disput hinaus hat die polnische Diskussion bislang jedoch nicht viel zur Erforschung der Hexenprozesse in Polen beigetragen. Die Geschichte der polnischen Hexenprozesse muss erst noch geschrieben werden. Zudem wäre die Frage zu klären, warum das bisher nicht geschehen ist. Vor allem aber bedarf die polnische Öffentlichkeit dringend einer Reflexion darüber, wie es möglich ist, dass ein antisemitischer Priester wie Tadeusz Rydzyk, der Chef des ultrakatholischen Rundfunksenders Radio Maryja, die Frau des Präsidenten ungestraft mit der Bezeichnung „eine Hexe, die sich selbst der Euthanasie unterziehen soll“ beleidigen darf. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnte die Frage, inwieweit die Hexenprozesse eine Vorwegnahme moderner Totalitarismen oder Massenverfolgungen bedeuteten, nicht ausführlich behandelt werden. Am Beispiel von Texten von Bruno Brehm, Alexander Weissberg-Cybulski und Werner

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zusammen“ (E. Wisselinck, Hexen. Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Analyse einer Verdrängung, München 995, S.0f). Bogdan Baranowski, Procesy czarownic w Polsce w XVII i XVIII wieku, àódz 952. Maágorzata Pilaszek, Procesy czarownic w Polsce w XVI-XVIII wieku. Nowe aspekty. Uwagi na marginesie pracy B. Baranowskiego, in: ĝlady, Nr  / 2005, URL: http://www.slady.pl/artykul.php?art=54 (5.09.2007). Die Arbeit wird in der Zeitschrift der katholischen Bewegung Comunione e Liberazione zitiert. 369

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Kretschmer wurde jedoch gezeigt, dass sich namentlich die Geschichte der Hexenprozesse als ein Rahmen eignet, den man mit beliebigen Inhalten füllen und in ideologischen Auseinandersetzungen einsetzen kann. Das folgende Zitat illustriert diese Möglichkeit anhand eines Beispiels aus der Gegenwart: „Im christlichen, vornehmlich protestantisch geprägten Amerika, ist jetzt zu beobachten, wie die Logik des „Hexenhammers“ nach den „dämonischen“ Ereignissen vom . September wieder Politik macht. Die Bedrohung wird als so groß eingeschätzt, dass ungeregelte Gewalt als erlaubt gilt, selbst wenn Unschuldige dabei auf der Strecke bleiben. [...] Das Verbrechen vom . September war monströs und real. Aber die anschließende irrationale Jagd nach Hexen und Oberschurken trifft nicht nur oft die falschen, sondern zermürbt und entmenschlicht die eigenen Soldatinnen und Soldaten genauso wie das gesamte amerikanische Wertesystem und gefährdet somit jeden Einzelnen, denn jeder kann in die Mühlen der Folter geraten und für schuldig befunden werden. So wie die Eindämmung des deutschen Hexenwahns nur von Deutschland selbst ausgehen konnte, muss eine moderne Fassung der „Cautio Criminalis“ amerikanischen Ursprungs sein. Wird sie nicht bald geschrieben, dann stehen womöglich düstere Zeiten bevor“. 22 Man könnte dieser Fragestellung nachgehen und die Grenzen der Instrumentalisierbarkeit dieses Rahmens erforschen. In der aktuellen Literatur werden die Hexenverfolgungen auch mit den Judenverfolgungen verglichen, die „extirpatio“ der Hexen neben die „Ausrottung“ der Juden gestellt.23 Erika Wisselinck nennt die Hexenprozesse den „Frauen-Holocaust“, sie vergleicht die Rolle des Hexenhammers mit der von Hitlers Mein Kampf. Wisselinck vermerkt zwar, dass sie diesen Vergleich nur „in den Strukturen der Verfolgermentalität“ anstellt, „wo die Parallelen allerdings erschreckend sind“,24 erklärt jedoch ihre These nicht. Inwieweit solche Vergleiche berechtigt sind, und ob sie tatsächlich geeignet sind, außer einer emotional aufgeladenen Semantik auch neue Erkenntnisse zu erbringen, müsste sich allerdings erst noch herausstellen. Lohnenswert scheinen weitere Forschungen zu dem Themenkreis, in dessen Zentrum das Motiv der Pallas Athene steht, das hier an drei Beispielen (Rosenberg, Bergmann und Rogge-Börner) besprochen wurde. Die Berufung auf 22

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Christian Gapp, Dringend benötigt: Eine amerikanische "Cautio Criminalis", in: Telepolis, 2.05.2004, URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/ 7/7390/.html (4.09.2007) Vgl.: Hans Jürgen Wolf, Geschichte der Hexenprozesse. Holocaust und Massenpsychose vom 6.-8. Jahrhundert, Erlensee 995; Franz Wegener, Kelten, Hexen, Holocaust: Menschenopfer in Deutschland, Gladbeck 2004. E. Wisselinck, Hexen, a.a.O., S.5.

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diese antike Göttin erscheint paradox, und die Frage, warum man sich bei dem offiziell herrschenden Mütterlichkeitskult ausgerechnet auf eine mutterund kinderlose Göttin stützte, bleibt offen. Man sollte weitere Texte analysieren, in denen diese Figur für widersprüchliche Weiblichkeitsbilder und Definitionen der europäischen Kultur steht. Dabei wäre unbedingt zu berücksichtigen, dass so viele schreibende Jüdinnen als „Pallas Athene“ bezeichnet wurden – Rahel Varnhagen, die als „die Rahel, ein wunderbares Geschenk des Himmels, die deutsche Pallas Athene“25 gefeiert wurde, Hannah Arendt, die ihre Freunde so nannten.26 Die „Jüdin Pallas Athene“ taucht auch direkt auf – als eine Figur in Paul Celans Gedicht „Wenn ich nicht weiss, nicht weiss“ (968), die in sich heterogene Traditionen verknüpft, die antike Göttin der Klugheit und des Krieges mit dem Judentum. Pallas Athene wirft noch eine weitere Frage auf, nämlich die, warum im Geschlechterdiskurs im Dritten Reich gerade eine griechische, antike Gestalt eine so wichtige Rolle spielte. Man begegnet dieser Göttin in dieser Zeit übrigens auch noch in anderen Zusammenhängen. An Hitlers Schreibtisch waren drei emblematische Felder mit den von gekreuzten Stäben und Waffen hinterfangenen Kopfmasken einer Medusa, eines Mars und einer Pallas Athene zu sehen.27 Auch auf einer Plakette des NSDAP-Parteitages von 93328 und im Titelblatt der Zeitschrift Die Kunst im deutschen Reich29 war sie abgebildet. Auffallend in den analysierten Texten war eine Rivalität zwischen der Antike (synonym für Klassik) und der Romantik. Bei Rosenberg finden wir die Behauptung, dass die Antike die Blüte der nordischen Kunst bedeutete. Der Klassik schreibt er eine besondere Bedeutung in der Geschichte „des deutschen Geistes“ zu. Auch wenn im Dritten Reich Rufe nach dem Germanischen in der Kunst ertönten (auch nach der romantischen deutschen Mythologie), dominierte dort die Antike als ein Bezugspunkt des Klassischen. Die Adjektive „monumental“, „heroisch“ und „klassisch“ wurden austauschbar.30

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B. Hahn, Die Jüdin Pallas Athene. Eine andere Theorie der Moderne, Berlin 2005, S.7. Ingeborg Nordmann, „Fremdheit und Bodenlosigkeit ist unser aller Schicksal.“ Hannah Arendts Freundschaften und Briefwechsel mit Karl Jaspers, Mary McCarthy und Kurt Blumenfeld, in Polis 47, URL: http://www.hlz.hessen.de/? id=download&type=polis&file=polis47web.pdf, S. 5. Vgl.: URL: http://kunst.gymszbad.de/nationalsozialismus/architektur/speer/ werk/speer-939-reichskanzlei.htm Theweleit, Männerphantasien, a.a.O., Bd 2, S. 40. B. Bressa, Nach-Leben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NSSkulptur Arno Brekers, Dissertation an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tübingen, Publikationsdatum 23.03.200, URL: http://tobiaslib.ub.uni-tuebingen.de/volltexte/200/234/pdf/promotion.pdf, Abb. 96. B. Bressa, Nach-Leben der Antike, a.a.O., S. 06. 371

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Die antik-klassischen Muster der staatlichen Machtentfaltung und der Hochkultur, die Identität von Kultur und Politik, das Ideal eines Staates, aus dem das Weibliche ausgeschlossen war, waren gefragt. Es wäre weiterer Forschung wert, herauszufinden, inwieweit man im Dritten Reich darauf hoffte, in der Klassik die Rettung vor der Krise der Moderne, dem Individualismus und der Frauenemanzipation zu finden. Über die Antike rückte auch das Homoerotische ins Blickfeld – und zwar gleich zusammen mit einer Lösung – der Einbindung des Körpers in einen höheren Zweck, die Gemeinschaft, die Rasse, den Staat, den Männerbund. Der Verdacht wiederum, dass die weibliche Sexualität die staatliche Ordnung bedrohen kann, zog zugleich auch einen Verdacht gegen die Romantik nach sich. Die Romantik wurde oft als weiblich, formlösend, ohne Größe bezeichnet.3 Alles was tellurisch, geschlechtlich, chthonisch,32 ekstatisch war, wurde der Romantik zugeschrieben und abgelehnt. Die Auseinandersetzung zwischen Klassik und Romantik findet sich u.a. in Texten von Rosenberg, Höfler und Kummer. Der dem Nationalsozialismus häufig nachgesagte Dämonismus erscheint dort wenig dämonisch: Die Dämonie wurde durch zahlreiche Regeln beschränkt, einem Führer untergeordnet, jeglicher Erotik beraubt – sie wurde zu einer gefesselten Dämonie. Die Auseinandersetzung mit dem Motiv der Athene könnte vielleicht einen Beitrag zu der Diskussion liefern, inwieweit die „romantische Geisteshaltung“ wirklich zur „Vorgeschichte“ des Nationalsozialismus gehört und einen entscheidenden Anteil an dessen Erfolg hatte.

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Ebenda, S. 22. Es gab zwar im Nationalsozialismus Totenkult, die chthonische Sphäre wurde jedoch dem Ideal der rassischen Gemeinschaft, des Männerbundes untergeordnet.

Que lle n und Litera tur

Ungedruckte Quellen Archiwum Instytutu PamiĊci Narodowej w Warszawie, Akta Gáównego UrzĊdu BezpieczeĔstwa Rzeszy: „RSHA 362” ( das Archiv vom Institut für Nationales Gedenken in Warschau, Dokumente des Reichssicherheitshauptamtes SS, geführt unter: „RSHA 362”). Archiwum PaĔstwowe w Poznaniu, Gáówny Urząd BezpieczeĔstwa Rzeszy SS Wydziaá Archiwalny – komórka do spraw badaĔ procesów o czary: „Czary” (Staatsarchiv in Posen, Reichsicherheitshauptamt SS, Archivreferat – Abteilung für Hexenprozessenforschung, geführt unter dem Stichwort: „Czary”). Zdunek, Maciej: Kartoteka procesów o czary: dzieje, zawartoĞü i moĪliwoĞci wykorzystania, Refarat gehalten am 8.09.2005 auf einer wissenschaftlichen Sitzung im Archiwum PaĔstwowe in PoznaĔ.

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HEXEN UND GERMANEN

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nahm Margret Chatwin (die Gründerin IDGR) die Webseiten des IDGR vom Netz. Als Begründung nannte sie, dass ein privat betriebenes Informationsprojekt aufgrund zahlreicher Angebote zum Thema Rechtsextremismus inzwischen nicht mehr so notwendig sei wie zur Gründungszeit des IDGR, online unter URL: http://lexikon.idgr.de (für die vorliegende Arbeit benutzt wurde der Artikel über Rudolf Germar: http://lexikon.idgr.de/r/r_u/rudolf-germar/rudolf-germar.php). Karl Leisner Jugend – Internetauftritt mit einem Angebot an Jugendliche, Gruppenleiter, Jugendseelsorger und alle anderen, die sich in der Jugendpastoral engagieren, online unter URL: http://www.karl-leisnerjugend.de/Hexenverfolgung.htm (9.09.2007). Paranormal Deutschland e.V., online unter URL: http://www.paranormal. de/hexen/hexenverfolgung.htm Projektgruppe »Hexenprozesse in Lemgo«, online unter URL: www. hexenprozess.de Simon, Gerd – Internetseite mit Dokumenten des Archivs der Gesellschaft für Interdisziplinäre Forschung Tübingen, online unter URL: http:// homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ Shoa.de – eine gemeinnützige Initiative, die sich unter dem Gedanken zivilgesellschaftlichen Engagements der wissenschaftlich-didaktischen Auseinandersetzung mit den Themen Drittes Reich, Antisemitismus und Holocaust sowie ihren Nachwirkungen bis in die Gegenwart widmet, online unter URL: http://www.shoa.de/ Wikipedia. Freie Enzyklopädie, online unter URL: http://de.wikipedia. org/wiki/Hauptseite

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GenderCodes – Transkriptionen zwischen Wissen und Geschlecht Christina von Braun, Dorothea Dornhof, Eva Johach (Hg.) Das Unbewusste Über das Verhältnis von Wissen und Geschlecht August 2009, 448 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1145-8

Ulrike Brunotte, Rainer Herrn (Hg.) Männlichkeiten und Moderne Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900 2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-707-3

Gabriele Dietze Weiße Frauen in Bewegung Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken Januar 2010, ca. 450 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN 978-3-89942-517-8

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3) ANZ1169.p 215047693686

GenderCodes – Transkriptionen zwischen Wissen und Geschlecht Gabriele Dietze, Claudia Brunner, Edith Wenzel (Hg.) Kritik des Okzidentalismus Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht August 2009, 316 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1124-3

Elke Frietsch, Christina Herkommer (Hg.) Nationalsozialismus und Geschlecht Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, »Rasse« und Sexualität im »Dritten Reich« und nach 1945 Januar 2009, 456 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-854-4

Sabine Grenz, Martin Lücke (Hg.) Verhandlungen im Zwielicht Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart 2006, 350 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-549-9

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3) ANZ1169.p 215047693686

GenderCodes – Transkriptionen zwischen Wissen und Geschlecht Bettina Bock von Wülfingen, Ute Frietsch (Hg.) Epistemologie und Differenz Zur Reproduktion des Wissens in den Wissenschaften Oktober 2009, ca. 210 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1013-0

Ute Frietsch, Konstanze Hanitzsch, Jennifer John, Beatrice Michaelis (Hg.) Geschlecht als Tabu Orte, Dynamiken und Funktionen der De/Thematisierung von Geschlecht 2007, 270 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-713-4

Sven Glawion, Elahe Haschemi Yekani, Jana Husmann-Kastein (Hg.) Erlöser Figurationen männlicher Hegemonie 2007, 218 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-733-2

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3) ANZ1169.p 215047693686