Hexen der Großstadt: Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin 9783839443699

Berlin claims to be the city with the highest witch density in Central Europe. Victoria Hegner accompanied the city'

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German Pages 330 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung: Großstadthexen
1. Kapitel: Die Hexenreligion als Palimpsest
2. Kapitel: Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin
3. Kapitel: Unsichtbar bleiben. Die privatisierte religiöse Praxis der Berliner neuheidnischen Hexen
4. Kapitel: Liminal sein – Die Rituale der neuheidnischen Hexen in der großen Stadt
5. Kapitel: Öffentlich werden
Resümee und Ausblicke: Ethnografie, Religion und Urbanität
Danksagung
Bibliografie
Abbildungs- und Interviewnachweise
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Hexen der Großstadt: Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin
 9783839443699

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Victoria Hegner Hexen der Großstadt

Urban Studies

Victoria Hegner (Dr. phil.), geb. 1971, lehrt Kulturanthropologie an der Georg-August-Universität Göttingen und ist hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte der dortigen Philosophischen Fakultät. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Stadtethnologie an der Schnittstelle zur Religions- und Genderforschung sowie in der sinnlichen Ethnografie.

Victoria Hegner

Hexen der Großstadt Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin

Der Druckkostenzuschuss wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Urheberin: Manuela Schneider (http://www.photograephin.de), Berlin, Drachenberg, 2015 Lektorat: Magdalena Gromada Satz: Francisco Bragança, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4369-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4369-9 https://doi.org/10.14361/9783839443699 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einleitung: Großstadthexen  | 7 Die neuheidnische Hexenreligion und die (post-)moderne Stadt | 8 »Sowohl-als-Auch« – Religion und Spiritualität | 11 Tabu und Zäsur – Kulturanthropologische Forschung zu (neuheidnischen) Hexen | 17 Die Ethnografie religiöser Lebenswelten – »A mixing of head and heart« | 27 Unsichtbar bleiben – sichtbar werden: Analytischer Fahrplan der Arbeit | 38

1. Kapitel: Die Hexenreligion als Palimpsest  | 41 Für und wider die säkulare, aufgeklärte Welt – »The Occult Revival« im Großbritannien des 19. Jahrhunderts | 44 Die »Wiederentdeckung« einer alten Religion – Die Proklamation der Hexenreligion | 60 »If you’re going to San Francisco« – Die feministische Wendung der Hexenreligion in Kalifornien | 76 Feministisch-christliche Theologie und New Age – Rezeptionswege | 85 Zusammenfassung | 88

2. Kapitel: Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin  | 91 Westberlin und das (Neu-)Heidentum – Zwischen spirituellem Boom und der Suche nach politischen Alternativen | 96 Westberlin und das Hexengeflüster der Frauenbewegung – Zwischen politischem und spirituellem Feminismus | 111 Zusammenfassung | 122

3. Kapitel: Unsichtbar bleiben. Die privatisierte religiöse Praxis  der Berliner neuheidnischen Hexen  | 125 Berlin – Stadt der Hexen | 131 Das Refugium des Privaten: Die Hexen-Wohnungen und die unsichtbare Praxis einer Religion im Stadtkontext | 143 Zusammenfassung | 166

4. Kapitel: Liminal sein – Die Rituale der neuheidnischen Hexen in der großen Stadt  | 169 Die Nacht in der Stadt und die (Un-)Sichtbarkeit der Hexen | 175 Der Tag in der Stadt und die (Un-)Sichtbarkeit der Hexen | 203 Wieder unsichtbar – Wieder zu Hause | 207 Zusammenfassung | 215

5. Kapitel: Öffentlich werden  | 219 Passende Orte zur passenden Zeit – Die öffentliche religiöse Topografie der Hexen | 226 Entsprechen und Herausfordern – Das Bourdieu’sche Spiel der Hexen im Berliner religiösen Feld | 248 »So bunt wie das Leben selbst!« – Inszenierte Gemeinschaft(en) | 260 Zusammenfassung | 265

Resümee und Ausblicke: Ethnografie, Religion und Urbanität  | 269 Vom privaten zum liminalen zum öffentlichen urbanen Raum | 272 Rituale als urban-ästhetische Praxis und als Spiel mit symbolischen wie konkreten Grenzziehungen der Stadt | 277

Danksagung  | 281 Bibliografie  | 285 Abbildungs- und Interviewnachweise  | 325

Einleitung: Großstadthexen

»Komm zum Göttinnenbankett und werde eine Göttin Deiner Wahl«, hieß es in Xenias Rundmail. »Verkörpere sie und lass sie so lebendig werden […] Deiner Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!« Die »ekstatische Üppigkeit« der sommerlichen Natur, so schrieb Xenia, soll gefeiert werden. »Bereite auch eine Speise vor«, fuhr sie fort, »eine Speise, durch die sich die Göttin mitteilt. Tue dies mit reinem Herzen […] Sei Dir gewiss, welche Qualität der Göttin Du Dir einverleiben willst und auch den Anderen anbietest«. […] Das Ritual beginnt, wie es sich für neuheidnische Hexenrituale gehört, spät: Die Sonne ist längst untergangen. Wir sind acht Frauen und stehen in Xenias Hinterhof, in ihrem Hexengarten, wie sie ihn auch nennt. Jede ist als eine andere Göttin gekommen. Xenia ist in schlichtes Weiß gekleidet und tritt als Hekate auf, die griechische Göttin der Magie, die auch als Vermittlerin zwischen der Welt der Menschen und der Gött*innen gesehen wird und den Zugang zum Reich der Toten bewacht. Xenia hat eine einfache und beliebte Speise mitgebracht; sie bietet Kirschen vom Obstbaum an, der hier wächst. Doris hat sich eine glitzernde, mit Rosen bestickte Bluse übergezogen. Doris’ Duft ist durchdringend. Sie riecht danach, wer sie heute ist: die Rosengöttin, und als solche bewirtet sie uns mit Rosengelee. Flora – die römische Göttin der Blüten und der Lebenslust – ist ebenfalls anwesend. Magdalena erzählt, dass sie im Urlaub auf die Göttin gestoßen sei: »Ich kannte Flora vorher nicht,« erklärt sie, »bis sie mir in Florenz im Frühling überall begegnete und ich begriff, dass das ihre Stadt ist, in diesem prinzessinnenhaften Pomp und dem Überfluss und der italienischen Sinnlichkeit: Natur, Essen, Kunst, Architektur, Flirten«. Sie habe einen sehr süßen Blütenkuchen kreiert, der geschmacklich all diese Eigenschaften Floras hoffentlich vermitteln könne. Monika wiederum hat sich für Lakshmi entschieden: die Göttin des Glücks, der Liebe und des Wohlstands im Hinduismus. Monika ist mit Ketten und Juwelen reich behängt. Alles an ihr funkelt und glitzert. Lakshmi ist sicher ein Leckermaul, meint Monika, deshalb habe sie Brownies gebacken. Es gesellt sich noch Hel, die nordische Göttin der Unterwelt hinzu. Hel – und damit Melany – erkenne ich erst gar nicht. Sie hat sich in ein schwarzsamtenes Kleid geschnürt, ihr Gesicht ist zur Hälfte schwarz geschminkt und sie hat eine Sonnenbrille auf, deren Rahmen an Fledermausflügel erinnern. Ihr Holundersaft, den sie uns einschenkt, ist köstlich und dabei auch ein wenig sauer und bitter. Ursula schließlich verkörpert heute Nacht die Göttin Meladi und hat

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Hexen der Großstadt einen langen Rock an, auf den sie das Wort »Tanz« geschrieben hat. »Ich kenne sie überhaupt nicht«, bemerkt Ursula. »Zuerst gab es den Namen: Meladi, Meladi, Meladi, der ging mir nicht aus dem Kopf […] Als Xenias Email kam, wusste ich: Meladi ist eine Göttin. Sie ist die Göttin des Tanzes, denn ich will heute Abend mit euch tanzen«. Und was ist mit mir? Ich war verunsichert, ob ich mich auf dieses Ritual einlassen sollte. Einerseits hatte ich Angst, dass ich mit dem Auftritt als eine selbstgewählte Göttin meinen Status als Forscherin riskierte, die bei aller Teilnahme und Empathie doch auch immer die analytische Distanz finden sollte. Kam ich dem Feld damit nicht doch viel zu nahe? Andererseits packte mich die Lust, am Schauspiel teilzunehmen. Es würde schon ein gutes Ende nehmen. So entschied ich mich letztlich für eine Griechin, für Athene. Laut der Mythologie ist sie eine Kopfgeburt, das erschien mir mit Blick auf meine Selbstzweifel passend. Zudem gilt sie als Kämpferin, womit ich mich gern identifiziere. Ich trage eine blaubedruckte weite Tunika, habe eine Eulenkette umgelegt und Athenes ständige Begleiterinnen, die Oliven, mitgebracht. Sogar ein Gedicht habe ich verfasst. Wir beginnen uns gegenseitig als Göttinnen vorzustellen, indem Anrufungen und eigens verfasste Geschichten sowie Lyrik vorgetragen und die selbsterrichteten Altäre präsentiert werden. Bald reden sich alle nur noch mit den Göttinnennamen an. Es wird gesungen, zwischen den Altären flaniert, getanzt und gegessen. Mit allen Sinnen erlebe ich das, wovon neuheidnische Hexen immer reden – die Kraft, die all diese Göttinnen symbolisieren und zu vermitteln scheinen: Ich schmecke wie stark und bitter der Tod sein muss, ich meine in Doris’ Rosenwasser die Fülle des Lebens zu riechen. […] Weit nach Mitternacht findet das Ritual sein Ende. Der imaginäre Hexenkreis, den Xenia zu Beginn unseres Zusammentreffens gezogen hatte, ist wieder offen«.1 (Feldnotizen: 15.06.2011)

D ie neuheidnische H e xenreligion und die (post -) moderne S tadt Dieses Buch beschäftigt sich mit neuheidnischen Hexen in Berlin und welche Rolle der großstädtische Kontext in der Formierung ihrer Religion – der Hexenreligion – spielt. Dabei gehe ich davon aus, dass die Besonderheit für die gepflegten und entwickelten religiösen Praktiken und Vorstellungen vor allem in der gebotenen Vielfalt von Bezugnahmen und Erfahrungen in der Stadt besteht. Wie der Religionswissenschaftler Robert Orsi bereits Ende der 1990er Jahre mit Blick auf das Wechselverhältnis von Stadt und Religion anmerkte und damit zugleich eine Forschungsrichtung vorschlug: »City peoples must contend with considerable discrepancies among dimensions of their experience, and it is one of the challenges of the study of urban religion to understand how practitioners live with such existential multiplicities« (Orsi 1999: 57/58). 1 | Auf die Bedeutsamkeit des Hexenkreises wird im ersten Kapitel eingegangen.

Einleitung: Großstadthexen

Dieser Überlegung folgend möchte ich aufzeigen, wie die urbane Kultur und die Imagination des Städtischen gerade in ihrer Pluralität die Rituale und andere religionsgebundene Handlungen und Ideen der neuheidnischen Hexen prägen. Auf welche Weise wird dabei urbaner Raum spezifisch konstituiert und womöglich sakralisiert? Und wie schreibt sich die Stadtkultur in die Lebenswelt der selbsternannten Hexen ein, wird Teil ihrer alltäglich gelebten Kosmologie? Ziel meiner Analyse ist es, sowohl allgemeine Charakteristika des Wechselspiels von Stadt und Religion offenzulegen, als auch – dort wo es mir möglich ist – seine Einzigartigkeit herauszustellen, also zu zeigen, dass die Hexenreligion in Berlin eben ein Berlinisches Phänomen ist: eine spezifische religiöse Praxis, die es so nur in dieser Stadt geben kann. Dabei greife ich auf eine Idee zurück, wie sie momentan in der Stadtethnologie und -soziologie wieder viel diskutiert wird und sich in Konzepten wie »der Habitus der Stadt«, »city as context« sowie »der Stil der Stadt«, das »Urban Imaginäre«, und die »Eigenlogik der Stadt« ausdrückt (vgl. Wohl/Strauss 1958; Leeds 1968; Rollwagen 1975; Lee 1997; Lindner 1997a, 2003, 2006; Lindner/Moser 2006; Berking/Löw 2008; Löw 2008; Musner 2009; Schwab 2013). In der Religionsforschung entwickelte der Anthropologe Peter van der Veer kürzlich den Begriff der »urban aspirations« (Van der Veer 2013). All diese theoretischen Fassungen, mit einigen Nuancen, beruhen auf der Idee, dass jede Stadt über eine je einzigartige Mischung aus Geschichte, Wirtschafts- und Sozialstruktur verfügt, die ganz bestimmte symbolische Repräsentationen hervorbringen, die das urbane Setting als Ganzes durchziehen und ihm und seinen Stadtbewohner*innen ihr spezifisches Gepräge geben. Die Stadt, so bringt es der Ethnologe Rolf Lindner in diesem Zusammenhang auf den Punkt, ist kein »neutraler Container«, der beliebig gefüllt werden kann, sondern ein kulturell zutiefst kodierter Ort, der angereichert ist mit Bedeutungen und mentalen Bildern bzw. Images. Und es sind diese Bilder/Images, die darüber entscheiden, was in einer Stadt denkbar und undenkbar ist, passend und unpassend wird, möglich und unmöglich sein kann. (Lindner 2006: 210). Welche mentalen Bilder/Images und Bedeutungen der Berliner Stadtkultur sind es also, die die praktizierte Hexenreligion vor Ort modellieren? Welche Formen religiöser Praxis der Hexen werden in Berlin denkbar und so möglich und umgesetzt, passen kurzum in die Stadt und zu ihr? Auf diese Fragestellungen Antwort zu geben, ist das zentrale Anliegen der vorliegenden Studie. Momentan zeichnet sich ein wahrer Boom an Veröffentlichungen zum Thema »Stadt und Religion« ab (Livezey 2000; Beaumont 2008; Al Sayyad/ Massoumi 2010; metroZones 2011, 2012; Pinxten/Dikomitis 2012; Desplat/ Schulz 2012; David 2012; Becci/Burchardt/Casanova 2013; Garnett/Harris 2013; Gòmez/van Herck 2013; Jackson 2013; Stringer 2013; Becker/Klingan/ Lanz/Wildner 2014; Day 2014; Narayanan 2014; Lanwerd 2016; Nagel 2015a;

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Hexen der Großstadt

Hegner/Margry 2017).2 In den Studien wird herausgestellt, wie sehr Städte – anders als lange diagnostiziert – zu zentralen Arenen für religiöse Praxen und Vorstellungen avancieren. Mit zunehmender Verdichtung von urbanen Ballungsgebieten in der Spät- bzw. Postmoderne, verstärken sich auch die hier zu findende religiöse Vielfalt und Innovationskraft. Um dies aufzuzeigen, konzentrieren sich die Untersuchungen auf die religiösen Großorganisationen – allen voran auf das Christentum, den Islam, das Judentum und – um dem Polytheismus Rechnung zu tragen – auf den Hinduismus. Diese Institutionen, so zeigt sich, gewinnen als Akteurinnen in der städtischen Zivilgesellschaft an Bedeutung, vor allem im Umgang mit sozialer Unterschiedlichkeit, Migration und Segregation. Religiöse Akteur*innen prägen städtischen Raum in entscheidender Weise, so wie auch der städtische Raum in seiner Materialität und mit den Imaginationen, die ihn modellieren, religiöse Akteur*innen in ihren Handlungen und Weltvorstellungen formt. In den Studien tritt anschaulich hervor, wie dabei religiöse Innovationen über den städtischen Kontext hinaus diffundieren und gesamtgesellschaftlich relevant werden. So richtungsweisend die Untersuchungen sind, sogenannte neue Religionen bzw. neue religiöse Bewegungen, wie sie sich jenseits der dominanten Glaubenssysteme zeigen – und hierzu zählt die Hexenreligion –, blieben bisher nahezu unbeachtet, was im klaren Gegensatz zu ihrer wachsenden Bedeutsamkeit steht (Heelas/Woodhead 2005; Lüddeckens/Walthert 2010). Gerade in der Stadt finden sie einen ihrer wichtigsten Aktionsräume. Hier etablieren sie sich mit größtmöglicher Vielfalt. Manche Theolog*innen bezeichnen neue Religionen demzufolge auch als »City-Religionen« per se. Sie spielen dabei auf den für neue Religionen typischen Anti-Institutionalismus, ihre Dogmenfeindlichkeit, den Synkretismus der religiösen Praktiken und die radikale Subjektorientierung an. Die Stadt stellt das kulturgeografische Pendant dazu dar (Höhn 1996: 119). Doch bei aller Urbanität neuer Religionen – darauf machte Gisela Welz bereits vor mehr als 20 Jahren aufmerksam – bleibt die Haltung ihrer Protagonist*innen zur Stadt zwiespältig. Einerseits schätzen sie die Stadt für ihre soziale und kulturelle Liberalität und das Bereithalten ökonomischer Nischen. 2 | Ein besonderer Forschungsschwerpunkt ergibt sich an der Schnittstelle zu den Migrationsstudien. Dabei ist der urbane Kontext der zentrale Lokus der Untersuchungen. Das Zusammenspiel von Urbanität/Stadt und Migration sowie Religiosität wird konstatiert, konzeptionell spielt es allerdings eine untergeordnete Rolle. In erster Linie wird auf transnationale/globale Verflechtungen, auf den nationalstaatlichen Umgang mit dem Prozess der religiösen Pluralisierung, auf Ausformungen von der Idee der Zivilgesellschaft und/oder allgemein auf die Herausbildung lokaler Besonderheiten fokussiert. Saunders/Fiddian-Qasmiyeh/Snyder 2016; Sterkens/Vermeer 2015; Nagel 2012, 2015b; Bonifacio/Angeles 2010.

Einleitung: Großstadthexen

Sie sehen hierin die soziale wie kulturelle Existenzgrundlage ihrer religiösen Vorstellungen und Handlungen. Andererseits aber misstrauen sie der Stadt zutiefst und sehen in ihr den Ort von Anonymität und Vermassung, der Entfremdung von sich selbst und der Fragmentierung von Lebenswelten. Die Stadt widerspricht damit einem der grundlegenden Ideale neuer Religionen, nämlich einem ganzheitlich gelebten Leben (Welz 1990: 9). In der Hexenreligion verdichtet sich dieser Widerspruch. Im Mittelpunkt ihrer Praxis steht die Verehrung der Natur, die als immanent göttlich betrachtet wird. Die Rückverbindung mit ihr verspricht die Erfahrung der Ganzheitlichkeit in besonderem Maße. Doch wie lässt sich die Natur verehren, an einem Ort wie der Stadt, der emblematisch doch für die Zerstörung von Natur steht? Die Vereinbarkeit der religiösen Praxis mit dem Leben in der Stadt, dem urbanen Kontext überhaupt, scheint auf den ersten Blick kaum möglich. Vermittlungsversuche gestalten sich dementsprechend intensiv, vielfältig und kontrovers. Die Konturen der Wechselbeziehung von Stadt und (neu-)religiöser Verortung treten mit besonderer Stärke, geradezu idealtypisch, hervor.

»S owohl- als -A uch « – R eligion und S piritualität Ich verwende mit Blick auf die Praktiken und die Vorstellungen der neuheidnischen Hexen übergreifend den Begriff der Religion, mitunter spreche ich auch von Spiritualität sowie von religiösen als auch spirituellen Praktiken. Um sprachliche Wiederholungen zu vermeiden, verwende ich für den Begriff »Hexenreligion« auch das Wort »Hexentum« – ein in der Literatur und auch unter Hexen geläufiges Synonym. Mit der »Sowohl-als-Auch«-Haltung nehme ich dezidiert Bezug auf die gegenwärtige Fachdiskussion um die Entwicklung religiöser Vorstellungen und Praxen in der (Post-)Moderne, insbesondere auf die hier erfolgte analytische Unterscheidung zwischen Religion und Spiritualität. So plädiert eine Vielzahl von Forscher*innen dafür, die (verstärkt) seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kreierten religiösen Formen, als Ausdruck einer neuen bzw. alternativen Spiritualität zu verstehen, und den Begriff der Religion in diesem Zusammenhang vorsichtig bzw. eher in Abgrenzung dazu zu verwenden (Knoblauch 2005, 2010a; Knoblauch 2009; Heelas/Woodhead 2005; Aupers/ Houtman 2007, 2010; Mohrmann 2010, Schöne/Groschwitz 2014). Dabei wird in Teilen dem Verständnis und dem Sprachgebrauch von Praktizierenden gefolgt, die in Unterscheidung zu den sogenannten etablierten, monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – ihre spezifische Weltsicht und die damit verbundene Praxis als spirituell ansehen (Siegers 2012: 14). Postulierte Kennzeichen dieser spirituellen Praxis – der neuen/alternativen Spiritualität – sind dementsprechend, dass festverankerte Glaubensgrundsätze

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und religiöse Autoritäten jenseits des eigenen Selbst verneint und soziale Hierarchisierungen unter Praktizierenden abgelehnt werden. Was zählt, ist nicht die kollektive, sondern die individuelle transzendente Erfahrung. Ein in sich schlüssiges religiöses Weltbild wird nicht geboten und auch nicht angestrebt. Stattdessen werden unterschiedlichste, sich auf den ersten Blick widersprechende religiöse Traditionen frei miteinander kombiniert, um situativ Antwort auf persönliche Belange und auf die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz zu erhalten. Diese Vorgehensweise, die meist als synkretistisch oder eklektisch gilt, führt zu einer religiösen Bricolage, durch die jedoch keine verpflichtende Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen, sozialen Gruppe hergestellt wird. Das Motto ist vielmehr »believing without belonging« (Davie 1990: 455-469). Einige Wissenschaftler*innen konstatieren, dass das dauerhafte, meist durch die Familie weitergegebene, also »geerbte« Bekenntnis zu einer Religion allmählich durch die unverbindliche, selbst gewählte Praxis von Spiritualität verdrängt würde. Diskursmächtig und nicht unumstritten proklamierten die Religionswissenschaftler*innen Paul Heelas und Linda Woodhead in diesem Zusammenhang sogar eine »spirituelle Revolution«, die zumindest in der westlichen Hemisphäre der Welt im Gange sei (Heelas/Woodhead 2005). Andere sprechen auch vom »spiritual turn« (Aupers/Houtman 2010: 306-310). Damit wird zwar in griffiger Weise auf die zu beobachtende Transformation von Religionen und religiösen Ordnungen verwiesen. Doch die Unterscheidung zwischen den zwei Polen – Religion versus Spiritualität – ist nicht so klar, wie sie oftmals formuliert wird. Die Religionswissenschaftlerinnen Anna Fedele und Kim Knibbe merkten hierzu pointiert an: »[T]he two sometimes overlap, at other times spirituality uses religion to play off against while reproducing some of the underlying interpretative frameworks« (Fedele/Knibbe 2013: keine Seitenzahl, Einführungsseite). So zeigt sich beispielsweise auf der Mikroebene, die vor allem in qualitativen Studien herausgearbeitet wurde, dass unter Praktizierenden, die sich selbst als Anhänger*innen einer alternativen Spiritualität sehen und so auch wissenschaftlich betrachtet werden – sei es etwa Umbanda, Channeling, verschiedene Einhornkulte, das mediumistische Heilen und auch neuheidnische Hexen – sehr wohl Hierarchisierungen entstehen und dass bei aller Verneinung (religiöse) äußere Autoritäten produziert und überaus entscheidend werden (Teisenhoffer 2013: 78-95; Trulsson 2013: 2845; Hegner 2013: 126-141; Knibbe 2013: 179-194). Dabei bestätigt sich, was in den Sozial- und Kulturwissenschaften spätestens seit Foucault gilt, nämlich, dass machtfreie Verhältnisse und Umgangsformen, so sehr sie auch von Menschen angestrebt werden, nicht existieren und letztlich alles »durchmachtet« ist. Der wiederum vor allem in der Religionswissenschaft und Religionssoziologie häufig konstatierte Synkretismus bzw. Eklektizismus ist ebenfalls kein Spezifikum. Religionsgeschichtlich und gegenwärtig lässt sich dies ebenso für die etablierten Religionen nachweisen und sogar von einem konstitutiven

Einleitung: Großstadthexen

Moment für jegliche religiöse Ausdrucksform sprechen (van der Leeuw, 1938: 603-609; Shaw/Stewart 1994; Chung 2001).3 Was die Zuschreibung synkretistischer Tendenzen als herausgehobenes Merkmal neuer bzw. alternativer Spiritualität zudem problematisch gestaltet, ist die kontroverse Historie des Terminus »Synkretismus«, durch die er teilweise die Botschaft des »Unauthentischen« und »Unreinen« trägt. Diese Form der Negativkonnotation schrieb sich insbesondere durch die missionarischen Expansionen im europäischen Kolonialzeitalter fest, als synkretistisch kritisierte Kirchenvertreter, hier vor allem christliche Gemeinden im Kolonialgebiet, die lokalen religiösen Vorstellungen und Zeremonien in die christlichen Praktiken integrierten (Stewart 1999).4 Synkretismus wurde dabei zunehmend und dann im 19. Jahrhundert verstärkt durch die sich institutionalisierenden 3 | Im deutschsprachigen Kontext wurde diese Auffassung gerade an der Universität Göttingen vergleichsweise früh vertreten und die Verengung des Synkretismus-Begriffs zur Beschreibung gegenwärtiger religiöser Phänomene bzw. Praxen jenseits des Christentums problematisiert. Hier ist vor allem auf den Religionswissenschaftler Ulrich Berner zu verweisen, der im Rahmen der Göttinger Forschung zu Synkretismen im Vorderen Orient bereits 1979 den Synkretismus pointiert als einen »religionsgeschichtlichen Prozess« beschrieb, der jegliche Ausdruckformen und Systeme von Religion betrifft (Berner 1979: insb. 71). Der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß nimmt Berners Überlegungen auf und differenziert die Typen von Synkretismen, um so die Vorstellungen und Konstruktionen vom »fremden« und »eigenen« Glauben analytisch zu durchdringen (Grünschloß 1999 und 2009). 4 | Wie sehr der Begriff »Synkretismus« in missionarischen Kontexten bis heute negativ belegt ist und als »Verwässerung« von christlichen Ideen betrachtet wird, zeigt der Eintrag im »Evangelical Dictionary of World Missions« von 2000. Synkretismus wird wie folgt erklärt: »the replacement or dilution of the essential truths of the gospel through the incorporation of non-Christian elements. Diese Definition verbindet sich mit der Ermahnung: »We are naïve to think that eliminating the negatives of syncretism is easily accomplished.« (Ebenda: 924). Hingegen bietet die Theologische Realenzyklopädie (TRE) von 2001 eine gehaltvolle historische Analyse des Synkretismus als konstituierende religiöse Praxis im Christentum, ebenda: Bd. 32: 527-559. Die Historikerin Rebekka Habermas zeigt in ihrem Aufsatz »Wissenstransfer und Mission« auf, dass Missionare, so sehr sie sich darum bemühten, die ›reine‹ christliche Lehre in den (deutschen) Kolonialgebieten zu verbreiten, durch ihre veröffentlichten bzw. in Europa weitergetragenen akribischen Beschreibungen der vor Ort zu findenden »heidnischen Riten«, letztlich dazu beitrugen, dass sich im europäischen Kontext die Vorstellungen von Religion/ Religiosität pluralisierten – mithin, so kann argumentiert werden, Synkretismen sich hier verstärkten. Dies, so spitzt sie argumentativ zu, war langfristig betrachtet für das Christentum womöglich bedrohlicher als jegliche Angriffe einer »gottlosen« selbstbewussten Arbeiterschaft bzw. Sozialdemokratie (Habermas 2010: insb. 284).

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ethnologischen wie anthropologischen Wissenschaften bzw. Forschungen in ein evolutionäres Schema integriert, wonach er als Vorstufe des christlichen Monotheismus gefasst wurde (Shaw/Stewart 1994: 4). Sicherlich ist diese spezifische Semantik diskursiv längst überformt: Die Konstatierung von Synkretismen gerinnt heute eher zur Zuerkennung von Kreativität und ideenreicher Akkulturation, mithin zur symbolischen Ressource von Erfolg (Glazer/Moynihan 1963; Baumann 1996; Leopold/Jensen 2004); und doch bleibt gerade mit Blick auf Religionen die wertende Vorstellung vom Abweichenden, das in sich kein kohärentes Ganzes ergibt, in dem Begriff erhalten. Sie schreibt sich im Wort »Spiritualität« fort 5 und erweist sich dabei einmal mehr, wie die Religionswissenschaftlerin Linda Woodhead analytisch scharf ausführt, als ein implizites Bekenntnis zu den historisch einflussreichen Formen eines in Kirchen institutionalisierten Christentums und ist »unable to accommodate spirituality as ›real‹ religion, and is forced to conclude that it is a ›fuzzy‹ pretender to the title« (Woodhead 2010: 31f.). So gilt denn auch in der wissenschaftlichen Debatte Spiritualität im Vergleich zu Religionen meist als »diffus« und »implizit« und kennzeichnet einen »eclectic – if not kleptomaniac – process […] with no clear reference to an external or ›deeper‹ reality« (Possamai 2003: 40). Man setzt also einen Standard als gegeben voraus, welchem nicht entsprochen wird. Spiritualität bezeichnet folglich das Andere. Wenn ich nun die Vorstellungen und Handlungen von neuheidnischen Hexen sowohl unter dem Begriff der Religion zusammenfasse, sie aber zugleich als Ausdruck einer neuen/alternativen Spiritualität verstehe, möchte ich vor allem die analytische Rangfolge, die sich hinter den Begrifflichkeiten verbirgt, problematisieren und ihr ein konzeptionelles Modell entgegensetzen, bei dem die Demarkationslinien zwischen Spiritualität und Religion situativ und beständig verhandelbar gedacht werden. Dabei wird, um einen empirisch-handhabbaren Ansatzpunkt zu setzen, die vorliegende Studie mit einer allgemeingefassten Arbeitsdefinition von Religion – und so simultan von Spiritualität – unterlegt, die den klassischen Überlegungen des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz folgt. Danach ist Religion und so Spiritualität als ein System von Symbolen – also Objektivationen gedeuteter Erfahrung – zu verstehen, »das Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert«. 5 | Dabei mehren sich mittlerweile Studien, die den religiösen Synkretismus als eine Strategie verschiedener religiöser Gruppierungen darstellen, um eine feine und doch konfliktbeladene Machtbalance untereinander herzustellen: siehe beispielsweise die instruktive Ethnografie von Lubanska 2015 sowie den Sammelband: Hayden et al. 2016. In neuesten Studien wird auch gezeigt, dass zwar gerade im missionarischen Kontext Synkretismus nach wie vor semantisch negativ belegt ist, in der alltäglichen Praxis Missionare beispielsweise im asiatischen Kontext dem aber tolerant gegenüberstehen: Lindenfeld/Richardson 2012.

Einleitung: Großstadthexen

Diese Vorstellungen werden in eine »Aura der Faktizität« gekleidet, die ihnen die Qualität des Realen verleiht (Geertz 1987: 44-95, hier 48). Die Erfahrungen, auf denen die Vorstellungen beruhen, werden auf eine nicht-alltägliche Wirklichkeit bezogen erfasst. Thomas Luckmann beschreibt dieses Erlebnis als »große Transzendenz«. Für Luckmann macht sie das aus, was als Religion bezeichnet werden kann. Die große Transzendenz, so ist zum Verständnis anzufügen, ist in Abgrenzung von den auf den Alltag bezogenen kleinen und mittleren Transzendenzen zu sehen, wobei sich Luckmann bei dieser Fassung konzeptionell an Ausarbeitungen von Alfred Schütz orientiert (Luckmann 1985; zu Schütz’ Transzendenzvorstellungen: Schütz 2003: 598-633. Siehe auch Knoblauch 1998: 147-186). Die kleine Transzendenz soll die zeitliche und räumliche Überschreitung einer unmittelbaren Erfahrung bezeichnen (zum Beispiel: Während man zu Hause in der Küche steht, erinnert man sich an den Geschmack eines Apfels im Garten der Großeltern). Erfahrungen, die grundsätzlich nur mittelbar gemacht werden können, werden als mittlere Transzendenz gefasst (zum Beispiel: Man kann die Trauer eines Menschen um dessen verstorbenen Angehörigen nachempfinden). Große Transzendenzen sind nur in herausgehobenen Situationen wie Trancen bzw. Formen von Ekstase erfahrbar, wobei Trancen als Phänomen konturiert werden können, das sich grob in eine Form leichter Trance (zum Beispiel Tagträumen) und einer intensiven, tiefergehenden Trance unterscheiden lässt, in der sich die jeweilige Person vom eigenen Körper entfernt fühlt bzw. keine vollständige Kontrolle darüber hat. Dieser Zustand kann mit physischen Veränderungen einhergehen (siehe hierzu auch Tart 1971; Goodman 1988, 1988: 39; Newberg/D’Aquili 2001; Sturm 2000). Dabei existieren – wie sich auch bei den Hexen zeigen wird – spezifische, geschichtlich generierte (Körper-)Techniken, durch die Trancen/Ekstasen und somit die Erfahrung des Religiösen möglich bzw. herbeigeführt werden. Neben dieser grundierenden konzeptionellen Fassung von Religion/Spiritualität schaue ich simultan darauf, was die Protagonist*innen selbst als religiös und/oder spirituell bezeichnen, kommunizieren und performativ herstellen. Damit komme ich der jüngst vom Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad stark gemachten diskursanalytischen Fassung von Religion/Spiritualität nahe, dernach man nicht schlicht darauf blickt, wie eine bestimmte Religion bzw. eine bestimmte Form von Spiritualität praktiziert wird, sondern wie eine bestimmte Praxis semantisch überhaupt erst als religiös bzw. spirituell verstanden, produziert und perpetuiert wird (von Stuckrad 2010, 2013, 2015; siehe auch die Vorläufer: Kippenberg 1983, 1992; Lincoln 1989). Die diskursive Annäherung an das Verständnis von Religion/Spiritualität greift in entscheidender Weise die emische Perspektive – das Verstehen eines Phänomens und dessen Klassifizierung aus einer Art Innensicht heraus  – mit auf; und gerade diese offenbart im Falle der Hexen, wie sehr sich die konsequente Scheidung zwischen Spiritualität und Religion immer mehr

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enthierarchisiert und sich zu verflüchtigen beginnt. So reden Hexen einerseits von ihrer Spiritualität, wenn sie ihre neuheidnische Verortung thematisieren. Mit dem Begriff werden vor allem die Individualität, die Bejahung körperlicher und sexueller Erfahrung betont und das Fehlen religiöser Dogmen und verpflichtender Anbindungen thematisiert, denn »die haben wir mit der Kirche genug gehabt« (Interview mit Curtis Nike, 07.03.2012). Andererseits aber nehmen Hexen für sich den Begriff der Religion in Anspruch. Damit fordern sie vor allem Anerkennung ein und stellen bei aller gewollten Disparität ihrer Auffassungen und Praxen auch deren Geschlossenheit heraus. Sie kritisieren damit vehement gerade den wissenschaftlich konstatierten Eklektizismus, wenn es um heutige Formen von Spiritualität in Abgrenzung zu Religion geht. Für Hexen transportiert sich mit der Bezeichnung eine klare Abwertung. So vermerkt Faye, eine der zentralen Personen unter den Berliner Hexen: »In der Wissenschaft wird immer betont, dass das, was heute spirituell erprobt und gemacht wird, also die heutige, gelebte Spiritualität der neuen Hexen, eklektisch sei. Das sind ›eklektische Hexen‹ heißt es dann. […] In der Kunst sind die Eklektizisten verschrien. So ein durchmischter ›Stil‹ gilt eher als Stillosigkeit. Etwas als eklektisch zu bezeichnen ist also abwertend. Aber ich nehme mir das, was mir guttut, das ist mein Mittel für Reflexionen, praktische Anwendungen und magische Arbeiten, z.B. […] keltische und germanische Überlieferungen (soweit vorhanden) […] indianische (und) schamanische Sichtweisen […], und ich nenne mich Hexe, weil das für mich auch viel mit dem Land, in dem ich lebe und geboren wurde, zu tun hat, dem Land meiner Ahnen, und mit den weisen Frauen der früheren Jahrhunderte.« (Telefonat, 04.06.2014, Interview, 11.05.2012)

Gerade die letzte Aussage – der Verweis auf die eigenen »Ahnen« und die »weisen Frauen der früheren Jahrhunderte« – kann als ein übergreifender Mythos bzw. eine vereinende historische Bezugnahme unter neuheidnischen Hexen weltweit gelten. Daraus formt sich in signifikanter Weise das Selbstbild von Hexen, eine Religion auszuüben – die lokalgebunden (»native«) und keineswegs neu, sondern alt und vor allem älter als das Christentum ist. Dies führt auch den Historiker Ronald Hutton dazu, die Elemente des New Age, wie er es noch nennt und was heute als alternative Spiritualität reüssiert, im Hexentum anzuerkennen und zugleich für den Begriff der Religion zu votieren: »It seems at least arguable, therefore, that pagan witchcraft qualifies as a full blown, independent religion«, und er fährt fort: »It is more than a shared set of stories, language, or images, and more than a common store of deities and texts. It has a common identity […]« (Hutton 1999: 413). Analytisch geschärft spricht er von einer »revived religion« womit er ihr zentrales Charakteristikum an-

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spricht, nämlich auf vorchristliche Vorstellungen zurückzugreifen, um damit auf gegenwärtige Bedürfnisse, Erfahrungen, Träume und Ängste zu reagieren.

Tabu und Z äsur – K ultur anthropologische F orschung zu (neuheidnischen) H e xen Seit den 1950er Jahren sind neuheidnische Hexen in der westlichen Hemisphäre und hier vor allem in den Großstädten anzutreffen. Wie in den folgenden Kapiteln noch ausführlich dargelegt und eingeordnet wird, gilt als Religionsstifter der Brite und Hobbyanthropologe Gerald B. Gardner (1884-1964). In seinem 1954 veröffentlichten Buch »Witchcraft Today«, entwarf er das Glaubensgerüst einer Religion, die er als vorchristlich ansah (Gardner 1954, 1959; Rensing 2007; Neger 2009). Ihre Anhänger*innen – Hexen, die Gardner, so gab er vor, selbst getroffen habe – nannte er auch »Wica« bzw. »Wicca«, was »weise Menschen« bedeuten soll.6 Grundlegend für Wicca ist, dass man in Hexenzirkeln, sogenannten coven organisiert ist, in die man rituell initiiert werden kann. Es wird ein polytheistisches Pantheon verehrt. Zugleich ist das Konzept der Schöpfung mit der Idee von der Existenz von Göttin und Gott unterlegt. Dies resultiert aus der als natürlich betrachteten Grundlage von zwei Geschlechtern bzw. aus dem Prinzip der Befruchteten und des Befruchtenden. Es wird ein esoterisch geprägtes Weltbild vertreten. Danach ist jedes Ding, alles, was auf der Erde existiert, belebt. Alles steht mit allem in Verbindung und wird von einer universellen »Energie« durchdrungen. Die Erde selbst stellt sich als ein gewaltiger lebender Organismus dar (Rensing 2007).7 Von England aus verbreitete sich die Hexenreligion ab den 1960er Jahren durch einzelne Protagonist*innen und durch Publikationen vor allem in den USA. Sie wuchs von dort aus zu einer weltweiten Bewegung an und fasste auch im deutschen Kontext Fuß. Erst Mitte der 1980er und vor allem zu Beginn der 1990er Jahre erlangte die neuheidnische Hexenreligion wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Bis dahin mangelte es dem Thema an akademischer Legitimität. Dies muss in Teilen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen »Anti-Kult-Bewegung« gesehen werden (Shupe/Bromley 1994; Arweck 2006, 2010). In den von ihr ausgelösten Debatten gerinnen die damaligen neuen religiösen Bewegungen und neuen Religionen zu einer Ansammlung manipulativer »Sekten«, »Psychogruppen« und »Jugendreligionen«. Die Wirkmächtigkeit vom Bild der »Hexe/Witch« und des damit verbundenen Topos vom Aberglauben belegten die neuheidnische Religion geradezu mit einem Forschungstabu. Jene, die dazu arbeite6 | Siehe zur Bedeutsamkeit des Wortes wie auch der verschiedenen Schreibweisen und deren Implikationen das folgende Kapitel der vorliegenden Arbeit. 7 | Ausführlich zum esoterischen Weltbild: Faivre 2001.

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ten, wurden in akademischen Diskussionen – ganz ähnlich wie die Gruppen, die sie beforschten – wissenschaftlich wie sozial marginalisiert. Die amerikanische Forscherin Wendy Griffin beschäftigte sich als eine der ersten mit neuheidnischen Hexen – hier vor allem mit Vertreter*innen, die sich der sogenannten Göttinnenspiritualität verschrieben.8 Sie kolportiert die Situation innerhalb des sozialen Feldes der Wissenschaft wie folgt: »[R]esearch in this area has been actively discouraged. One colleague was advised not to put an article she had published on Goddess spirituality into her tenure review file because the topic was ›questionable‹. Fundamentalist Christians picketed a presentation she gave on her research. […] Funding for doing research into religious and spiritual groups in general is typically hard to come by, unless, of course, these groups are suspected of being dangerous cults threatening to kidnap children or kill themselves and others. Funding for research into Goddess spirituality is especially difficult to obtain«. (Griffin 1999: 14)

Als Anfangspunkt einer allmählichen Enttabuisierung kann die 1989 veröffentlichte Studie von der Ethnologin Tanya Luhrmann gelten (Luhrmann 1989). Basierend auf Feldforschung unter Hexen, vor allem Wiccas und Zeremonialmagier*innen in London, geht sie der Frage nach, warum Menschen im Zeitalter der Postmoderne, wo das Paradigma der Rationalität gilt, Magie praktizieren und an ihre Wirksamkeit glauben, obwohl Magie als »irrational« angesehen wird. In der dichten Beschreibung gelangt sie zu der These eines »interpretive drift«. Dies meint, dass der Glaube an Magie nicht plötzlich vorhanden oder per se gegeben ist, sondern durch das Involviert-Sein in neuheidnische, hexische Praxen erworben wird. Es kommt zu einer langsamen, oftmals vom Einzelnen unbemerkt stattfindenden Verlagerung der Weltsicht. Dabei erfolgt kein Bruch mit gesellschaftlichen (vermeintlich) rationalen Auffassungen und den darauf basierenden Lebensstilen. Vielmehr findet eine Kombination von auf den ersten Blick inkongruenten Überzeugungen und Praxen statt, wobei sich die Bewertungen von »rational« und »irrational« verschieben. Für Luhrmann stellen neuheidnische Hexen dabei eines der »farbenprächtigsten« Beispiele postmoderner Identitätsbildungen dar. Die Idee eines »interpretive drift« im neuheidnischen Hexenglauben ist für folgende Ethnografien diskurssetzend. Sie entstehen größtenteils in den USA, wo auch die meisten neuheidnischen Hexen zu finden sind. Seit Beginn der 2000er Jahre erlebt die gegenwartsbezogene Hexenforschung dabei Hochkonjunktur und die Vielfalt der untersuchten Themen nimmt zu. So beschäftigen sich Forscher*innen mit Fragen zu Community-Bildung auf neuheid8 | Zur Göttinnenspiritualität siehe ausführlicher das folgende Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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nischen Festivals, beleuchten die Aushandlung von Geschlechteridentitäten, gehen auf die kulturelle Bedeutsamkeit des Internet ein, setzen sich mit der populärkulturellen Aneignung der neuheidnischen Hexenreligion auseinander, schauen auf das künstlerisch-religiöse Schaffen von Hexen und wenden sich deren Verständnis von Tradition zu und zeigen dessen Postmodernität und Selbstreflexivität auf (Pike 2001, 2004; Harvey 2006, 2011; Magliocco 2001; 2004; Lewis 1999; Greenwood 2000a/b; 2005; Rountree 2004, 2016; Coleman 2009). Zunehmend wird der geografische Fokus der Untersuchungen auch auf das östliche Europa gelenkt, wo im Zuge der Auflösung des sogenannten Ostblocks und damit des sozialistischen Nationalstaatengefüges, neuheidnische Religionen vermehrt rezipiert und kreiert werden. In den dazu entstandenen Ethnografien wird detailliert aufgezeigt, wie sehr sich diese Entwicklung in den nationalistischen Diskurs um die Wiederentdeckung bzw. Rückforderung »alter Traditionen« und eines »nationalen (religiösen) Erbes« einordnet: Traditionen und Erbschaften, die, so die Argumentation, im sozialistischen Regime keine Anerkennung fanden und massiver Repressionen ausgesetzt waren (Ivakhiv 2005a, 7-38; Ivakniv 2005b, 209-239; Aitamurto 2006: 146-163; Lesiv 2013; Črnič 2013: 182-194; Shnirelman 2013: 62-71; Shnirelman 2017: 87-108). Zugleich aber gibt es unter den entstehenden Gruppen auch eine Gegenbewegung: Statt »alte Traditionen« rekonstruieren zu wollen, erfindet sie offensiv und dekonstruktivistisch informiert neue religiöse Praktiken, die sie dann neuheidnisch labelt und sich in diesem Kontext auch als Hexen benennt. Eines der bedeutsamsten Beispiele ist sicherlich der in Tschechien entwickelte Wolfskult, der von der Anthropologin Kamila Velkoborská über 10 Jahre hinweg intensiv mittels Feldforschung untersucht wurde. In den Gruppen, die den Wolfskult praktizieren, wird sich auf das nordische Pantheon bezogen und der mythologischen Figur des Fenriswolfes besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sein Schicksal wird in Beziehung zum Aussterben des Wolfes in Eurasien gesetzt und gilt als Spiegel für den menschlichen Verlust an Nähe zur Natur. In der religiösen Praxis wie auch im alltäglichen Leben (man lebt mit Wolfshunden zusammen9) sucht man nach der Rückverbindung mit der Natur und distanziert sich dabei dezidiert von jeglicher nationalen Identifikation: Der Wolfskult gilt als universell und kann von jedem und jeder ungeachtet der Herkunft ausgeübt werden (Velkoborská 2016: 86-109). Hinter dieser international entwickelten Themenvielfalt, den Analysestandards und dem Repertoire an Feldforschungstechniken bleiben die im deut9 | Beim Wolfshund handelt es sich um eine Kreuzung zwischen dem Deutschen Schäferhund und dem Wolf. Diese Kreuzung wurde in Tschechien, damals noch Tschechoslowakei, entwickelt. Der erste erfolgreiche Kreuzungsversuch erfolgte 1958. Šebková/ Jedlička/Hartl/Hrach 2008, online: www.selmy.cz/data/publications/47.pdf#pa​g e=4​ 2; letzter Zugriff: 01.07.2017.

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schen Kontext erfolgten Untersuchungen zur neuheidnischen Hexenreligion und allgemein zum Neuheidentum gravierend zurück. Für die Religionswissenschaft lassen sich einige wenige, auf der Feldforschung basierende Studien ausmachen. Hier ist vor allem auf die Untersuchung von René Gründer zu neugermanischen Gruppierungen sowie Kirstin Futterliebs Schrift zu dem sich online herstellenden Netzwerk neuheidnischer Hexen zu verweisen (Futterlieb 2009; Gründer 2010). Mit Katrin Fischers 2007 veröffentlichten Dissertation nähert sich erstmals die deutsche Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie/Volkskunde dem Forschungsfeld der neuheidnischen Hexenreligion an (Fischer 2007). Zwei Jahre zuvor lieferte der Ethnologe Oliver Ohanecian mit seinem Buch »Wer Hexe ist, bestimme ich« einen ersten Einblick in Praxen und Glaubensvorstellungen von deutschen Wiccas (Ohanecian 2005). So sehr diesen Studien der Verdienst zukommt, die ersten ihrer Disziplin in Deutschland gewesen zu sein, so kritisch ist mit ihren wertenden dabei kaum reflektierten Analysekategorien umzugehen. Entsprechend des Diskurses um »Sekten« und »Psychogruppen«, werden Hexen als »manipulativ«, »egoistisch«, »machtorientiert« und wenig (selbst-)reflektiert beschrieben. Katrin Fischers Unterscheidung zwischen einer subjektiven Innensicht und einem objektivierenden wissenschaftlichen Urteil ist theoretisch problematisch und führt an aktuellen kulturwissenschaftlichen Debatten vorbei. Einen wertungsfreieren und konzeptionell differenzierteren Zugang bietet hier die kürzlich publizierte Magistraarbeit der Kulturanthropologin und Religionswissenschaftlerin Jennifer Kunstreich (Kunstreich 2011). Ein Jahr lang hat sie neuheidnische Hexen in ihrem Alltag und bei Ritualen begleitet. Ihr Zusammentreffen mit Hexen ethnografierte sie nicht nur schriftlich, sondern auch filmisch. Sie interessiert, was Menschen in der westlichen Welt dazu motiviert, sich der Hexenreligion anzuschließen. Die Autorin lässt Hexen ausführlich zu Wort kommen und beschreibt so, eng am Material bleibend, die Hexenreligion als ein alternatives Sinn- und Bezugssystem, womit deren Anhänger*innen den Herausforderungen der fortschreitenden Moderne begegnen. Die Studie von Jennifer Kunstreich ist analytisch ambitioniert und methodisch reflektiert, jedoch bleibt sie mit Blick auf die Erforschung neuheidnischer Religionsformen (sowie neuer religiöser Bewegungen insgesamt) eine Randerscheinung im Fach. Dies hat spezifische, disziplingeschichtliche Gründe, auf die näher eingegangen werden soll. So ist festzuhalten, dass die kulturanthropologische bzw. volkskundliche Religionsforschung seit ihren Anfängen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und bis weit in die 1950er Jahre größtenteils aus der »Dorfkirchenbewegung« bestand. Damit ist die Arbeit von ländlichen Geistlichen angesprochen, die das Religionsverständnis ihrer lokalen Gemeinden beforschten und darauf schauten, wie sich dies vor allem in der Alltagspraxis jenseits des Kirchengangs wiedergab. Auf Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnis-

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se hofften sie eine »volksgerechtere« Vermittlung ihrer gelehrten Inhalte zu entwickeln. Das Ziel war letztlich »die innere Mission mit anderen Mitteln, die Verchristlichung der modernen Arbeitswelt«, wie der Volkskundler Wolfgang Brückner in einem fachgeschichtlichen Rückblick bereits 1986 anmerkt (Brückner 1986: 15). Pointiert fügt sein Kollege Martin Scharfe hinzu, dass damit die Religionsforschung – die als Religiöse Volkskunde gefasst wurde – zur »Magd der praktischen Theologie« wurde (Scharfe 1986: 78). Religion meinte dabei ausschließlich christliche Religion. Dieses Verständnis hat sich nachhaltig tradiert und ist bis heute maßgeblich.10 Es liegen zwar mittlerweile auch Studien zu »anderen« religiösen Vorstellungen und Praktiken vor, wobei man im Gefüge des Monotheismus bleibt und auf Gruppierungen innerhalb des Judentums und des Islams fokussiert. Diese Untersuchungen werden allerdings selten zum Bereich der disziplinären Erforschung von Religionen gezählt. Die Forscher*innen selbst bevorzugen es – in Teilen aus ihrem säkularisierten Selbstverständnis heraus – sich einem anderen (in gewisser Weise »lässigerem«) Oberthema wissenschaftlich und dabei sozial zuzuordnen: den Migrationsstudien, den Cultural Studies, der Stadtforschung oder den Geschlechterstudien (z.B.: Steinke 2011; Gromova 2013; Kanitz 2017). Die disziplinäre Dominanz der Untersuchungen zum Christentum und die damit verbundene Marginalität des Blicks auf weitere (neue) religiöse Ausdrucksformen und Weltsichten, wie jene des Neuheidentums und der Hexen, sind allerdings nicht nur als eine wirkmächtige historische Sedimentierung der Religiösen Volkskunde, die ab zirka den 1960er Jahren auch als Frömmigkeitsforschung sprachlich gefasst wurde, zu verstehen. Im selben Moment hat sich hier die geschichtliche Zäsur eingeschrieben, die das Fach durch seine Rolle während des NS-Regimes und die Auseinandersetzung damit erlebt hat. Hierdurch hat sich gleichsam der Fokus auf das Christentum, wenngleich in seinen unterschiedlichsten alltagskulturellen Ausprägungen, ab den Nachkriegsjahren zu einem Status Quo entwickelt, hinter den schwer zurückzutreten ist. Um dies zu verstehen, muss sich vor Augen geführt werden, dass unter der nationalsozialistischen Diktatur die Religiöse Volkskunde konzeptionell und personell zunehmend von der »germanenkundlichen Forschung« und 10 | Dies betrifft sowohl monografische, historisch- wie gegenwartsorientierte Einzelstudien als auch grundlegende Einführungswerke in die kulturanthropologische/volkskundliche Religionsforschung bis weit in die 2000er Jahre: z.B. Scheer 2006; Ponisch 2008; Reininghaus 2009; Kubin 2009; Scharfe 2004. Bei Scharfe, der einen disziplinären Rundumschlag zu Fragen von Religion und religiöser Entwicklung und deren Beforschung bietet, auf den bis heute nichts folgte, ist dies besonders augenfällig: Das Buch trägt den offenen Titel »Über die Religion«, doch im Fokus seiner Darlegungen steht einzig das Christentum.

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der »germanischen Religionsforschung« ersetzt wurde (siehe hierzu ausführlich, insbesondere auch die Rolle der Erforschung von Hexen als Teil des »germanenkundlichen Forschung« und »germanischen Religionsforschung«: Leszczynska 2009). Der bis dahin negativ belegte Begriff des Aberglaubens, der eine präszientistische und längst überholte Auffassung vom Kosmos zum Ausdruck bringen sollte, sowie der damit eng korrelierende Terminus »heidnisch« als Gegensatzbeschreibung zum modernen Glauben des Christentums, erhielten eine positive Umdeutung (Brückner 1986: 12/13; Scharfe 1986: 79/80). Der von der Religiösen Volkskunde bis dahin eher als bekämpfenswert angesehene »heidnische Aberglaube« avancierte dabei zu einer zentralen Quelle für die Rekonstruktion germanischer Religion und Kultur (Scharfe 1986: 79/80). Wichtige Vertreter dieses Ansatzes waren unter anderem Otto Höfler, von 1938 bis 1945 Professor für Nordistik, deutsche Volkskunde und Germanistik in München, nach dem Krieg Professor in Wien, und Matthäus alias Matthes Ziegler, Philologe, Volkskundler und später Theologe. Ihnen ging es mit ihren Forschungen darum, den Nationalsozialismus als historische Kontinuität eines »unverfälschten« Germanentums zu porträtieren und Formen »nordischer Gläubigkeit aus Blut und Boden« zu institutionalisieren (Ziegler 1935). Wie eng hier die Verquickung mit dem NS-Regime war und wie sehr sich die Volkskunde damit dem Machtapparat andiente, zeigt sich daran, dass Personen wie Höfler und Ziegler in Institutionen wie dem SS-Ahnenerbe und dessen »Konkurrenzeinrichtung« Amt Rosenberg zentrale (Forschungs-) Positionen innehatten. Als der Zweite Weltkrieg und das NS-Regime endeten, stand man vor einem disziplinären Scherbenhaufen. Die Volkskunde und mit ihr die volkskundliche Religionsforschung waren politisch diskreditiert, so sehr, dass einige Wissenschaftler wie der Soziologe Heinz Maus für deren Abschaffung plädierten (Maus 1946). Im Fach selbst erfolgte keine konsequente Entnazifizierung, weder von »innen« initiiert noch von »außen« herangetragen: Radikale Veränderungen fanden vorerst nicht statt.11 Nur sehr vereinzelt gab es schmerzhafte Neuanfänge, wie in Göttingen, wo Will-Erich Peuckert – dem die Nationalsozialisten 1935 die Lehrbefugnis aufgrund, wie es hieß, »politischer 11 | Erst Mitte/Ende der 1960er Jahre begann eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Ideologie-befrachteten Theorien von Kontinuität/Sitte/Brauch/Volk, siehe beispielhaft Bausinger 1965. 1970 »verabschiedete« man sich programmatisch vom »Volksleben« (Geiger 1970) und plädierte dabei u.a. für die Aufarbeitung der volkskundlichen Vergangenheit. Eine detaillierte und zugleich generelle Auseinandersetzung mit der Volkskunde in der NS-Zeit erfolgte erst 1986 auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in München unter dem Titel: »Volkskunde und Nationalsozialismus« siehe Gerndt 1987. Siehe auch Dow/Lixfeld 1986; Dow/Lixfeld 1991: 117-153; Dow/Lixfeld 1994: 341-366.

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Unzuverlässigkeit«, entzogen hatten – eine Volkskunde jenseits von »Deutschtümelei« und als eine vergleichende Wissenschaft auf bauen wollte.12 Er wandte sich zwar erneut der Erforschung »abergläubischer«, heidnischer und okkulter Praktiken zu, doch es ging ihm nicht darum, vermeintliche Kontinuitäten bis in die Gegenwart zu konstruieren und damit nationalistischen Thesen Vorschub zu leisten, sondern er wollte den Wandel und die gesellschaftliche Kontextualität solcher Praktiken offenlegen. Doch dem Untersuchungsfeld wurde bedingt durch seine Popularität und seinen wissenschaftlich-ideologischen Missbrauch während des Nationalsozialismus im Fach eher mit Skepsis begegnet. Durch Peuckerts erfahrungsbasierten Zugang verstärkten sich die Vorbehalte.13 So hatte Peuckert in der Erforschung okkulter Ideen inklusive der Vorstellungen von Hexen beispielsweise Hexensalben auf Grundlage eines Rezeptes aus dem 16. Jahrhundert zusammengestellt und deren Wirkung an sich selbst getestet. Methodisch lief er damit den Entwicklungen der Volkskunde in den Nachkriegsjahren vollkommen entgegen, die sich eher auf statische und stark klassifizierende Analysen besann – nicht unähnlich jenen, die sich im Zuge der Professionalisierung der Volkskunde Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hatten.14 Wie Bausinger schreibt: »In den beiden Jahrzehnten nach dem Krieg war das Fach im großen und ganzen nicht durch einen Aufbruch zu neuen Ufern charakterisiert, sondern durch den Rückzug auf traditionelle Positionen und durch die eifrige Arbeit an den über einen langen Zeitraum hinweg zusammengetragenen Materialien. Man war offensichtlich froh, den bombastischen ideologischen Überbau der nationalsozialistischen Ära los zu sein […]. In der nüchterner gewordenen volkskundlichen Arbeit lag so ein Stück Befreiung«. (Bausinger 1999: 298)

Die Bedenken, die man der Erforschung »abergläubischer« und heidnischer Praktiken – womit man konzeptionell endgültig und vereinfacht jegliche religiöse Vorstellungen und Handlungsweisen jenseits des Christentums bzw. des Monotheismus fasste15 – entgegenbrachte, entwickelte sich im Verlauf der 12 | Ab Ende der 1960er Jahre zählte hierzu auch das Tübinger Institut. 13 | Zur Rolle von Peuckert und zu seinem Wirken im Fach der Nachkriegsjahre siehe ausführlich: Jacobsen 2007: 59-245. 14 | Zu seinem sogenannten »Hexenexperiment«, das ihm den Spitznamen »Hexenprofessor« einbrachte, und wie dieses Experiment innerhalb des Faches vs. der außeruniversitären Öffentlichkeit wahrgenommen wurde siehe ausführlich: Jacobsen 2007: 199-245. 15 | Es ist anzumerken, dass die zwei weiteren großen Monotheismen – das Judentum und der Islam – weitestgehend von der disziplinären Religionsforschung ausgeklammert wurden und werden. Das religiöse Judentum ist vor dem Nationalsozialismus in erster

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Jahre zu einer immer stärkeren Abkehr von deren Untersuchung. Man wendete sich in der Forschung durchaus neuen religiösen Entwicklungen und insbesondere dem aufkommenden New Age der 1970er und 1980er Jahre zu, aber vor allem deshalb, um aufzudecken, wie sehr sich dahinter »abergläubischer Mumpitz oder schizoider Blödsinn« verbarg (Wimmer 1975: 184). Viele der Praktiken wurden als Betrug entlarvt und ihre Protagonist*innen des Verbrechens überführt (Wimmer 1975: 181-201). Als schließlich eine Neuauflage des »Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens« erschien, das in den politisch neuralgischen Jahren zwischen 1928 und 1942 erarbeitet worden war, versah es der Volkskundler Christoph Daxelmüller mit einer instruktiv-kritischen Einleitung, in der er den rassistischen und ideologischen Inhalt des Nachschlagwerks analysierte (Daxelmüller 1987b: 5-40). Die Betrachtung und Einordnung waren bedeutsam und erhellend. Im selben Moment jedoch führten sie dazu, dass jegliche Forschung zu »abergläubischen« Vorstellungen und Praxen von der Agenda des Faches gestrichen wurde. Die volkskundliche Religionsforschung zog sich nun vollständig auf das politisch unbelastete Terrain der christlichen Praxen zurück und versuchte damit zugleich an die Tradition der Religiösen Volkskunde anzuknüpfen.16 Man entkleidete sie des theologisch-praktischen Inhalts: EmpiLinie von der Gesellschaft für jüdische Volkskunde beforscht worden. Die Gesellschaft musste sich 1938 auflösen. Erst ab Ende der 1960er Jahren gibt es wieder erste, vereinzelte Studien zum Judentum. Allerdings geht es hier in erster Linie um Fragen des Umgangs mit der Erinnerung an den Holocaust bzw. die Konstituierung dieser Erinnerung. Ab den 2000er Jahren wird das (religiöse) Judentum im Kontext der fachlichen Migrationsstudien thematisiert (Jeggle 1969: 1997; Raphael 2001; Becker 2001; Körber 2005; Hegner 2008; Gromova 2013). Zur Geschichte der Forschung zum Judentum insbesondere vor der nationalsozialistischen Diktatur siehe Daxelmüller 1987a: 1-20. Studien zum Islam finden sich nur äußerst sporadisch und erst seit Mitte der 2010er Jahre in der fachlichen Religionsforschung. Hier ist auf die Studie von Andrea Kreuzer (2016) zu verweisen, in der die Vermittlung religiöser Kenntnisse im Rahmen des evangelischen Religionsunterrichtes betrachtet wird und wie dabei auch Vertreter*innen anderer Religionen, insbesondere des Islams miteinbezogen werden. Die Kulturanthropologin Christine Bischoff führt eine Forschung zu Konversionsprozessen durch, in der unter anderem Übertritte zum Islam bzw. Übertritte von Muslim*innen zu einer anderen Religion näher betrachtet werden. Veröffentlichungen liegen noch nicht vor. 16 | Im Zuge der kritischen Auseinandersetzungen mit den Kategorien, Begrifflichkeiten und Inhalten der Volkskunde in den 1970er Jahren als auch durch die fortschreitende Säkularisierung verlor allerdings das Themenfeld Religion insgesamt an fachlicher Attraktivität. Zu den Fachvertreter*innen, die sich beharrlich der Thematik (dabei dem Christentum) zuwendeten, zählten: Christel Köhle-Hezinger, Gottfried Korff, Lenz Kriss-Rettenbeck, Christoph Daxelmüller, Martin Scharfe und Wolfgang Brückner.

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rie und Analyse folgten nicht dem Zweck, dem Christentum Kontinuität zu sichern. Vielmehr ging es darum, christliche Vorstellungen und Handlungen gerade auch in ihrer modernen Veränderbarkeit zu analysieren. Religion sollte als sozialer Prozess gekennzeichnet werden. Die außerkirchlichen Manifestationen von Religiosität standen dabei im Mittelpunkt, womit ihnen gleichsam größere gesellschaftliche Legitimität zuerkannt wurde. Wie die Fachvertreterin Christel Köhle-Hezinger in einem frühen programmatischen Artikel betonte, musste in den Untersuchungen der gesellschaftliche Bezugsrahmen des religiösen Pluralismus beachtet werden (Köhle-Hezinger 1975: 233). Dieser sprach die unterschiedlichen (konfessionellen) Ausprägungen des Christentums an: Andere Formen von Religion blieben unhinterfragt ausgeblendet (Köhle-Hezinger 1975: 221-236). Diese inhaltliche und konzeptionelle Engführung dessen, was als Religion verstanden und beforscht wird, ist nur mühsam aufzuweichen. Die wissenschaftlichen Berührungsängste mit religiösen Ausdrucksformen jenseits des Christentums und insbesondere mit dem Neuheidentum inklusive der Hexenreligion bleiben erhalten, wobei die tiefgreifende Erschütterung des Faches durch seine nationalsozialistische Vergangenheit hier deutlich nachklingt. Allzu schnell werden Neuheid*innen und Hexen in fachlichen Diskussionen in die Nähe völkischer und nationalistischer Gruppierungen gebracht und als Forschungsthema und die für Ethnografien sonst übliche verstehende Annäherung mit Fragwürdigkeit ausgestattet.17 Allerdings ist anzumerken, dass sich seit zirka den 2010er Jahren auch eine zaghafte Auf bruchbewegung in der fachlichen Religionsforschung abzeichnet (Mohrmann 2010; Schöne/Groschwitz 2014; Lossin/Ramming 2016). Im Zusammenhang mit den gegenwärtigen internationalen Migrationsprozessen werden allmählich Themen wie die verstärkten Konversionen innerhalb der 17 | So werden auf Kongressen und Kolloquien die wenigen Referent*innen zum Neuheidentum sowie zur Hexenreligion stets mit Fragen nach der Gemeinsamkeit mit völkischen und allgemein rassistischen Bewegungen konfrontiert sowie die Ähnlichkeit mit satanistischen, rechten Gruppierungen und die Fragwürdigkeit hergestellter historischer Kontinuitäten, die bereits in der NS-Zeit zur Anwendung kamen, diskutiert. Die Nachfragen und Debatten sind berechtigt, zeigen jedoch, gerade weil sie wenig darüber hinausgehen, die fest verankerten Vorannahmen auf. Gedächtnisprotokoll: 2. Tagung der Kommission »Religiosität und Spiritualität« in Telgte, 22-24.11.2012, Rückfragen zum Vortrag von Marion Näser-Lather: »Der große Pan ist nicht tot. Pan-Verehrung im Wicca« und Meret Fehlmanns Vortrag: »Das Internet als Heimat neuer Formen der Spiritualität – das Beispiel der feministischen Spiritualität«; eigene Vorträge am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie in Wien, Berlin und Göttingen im Mai und am 13.11.2013 sowie am 08.11.2017. Diese Beispiele sind nicht repräsentativ, aber signifikant.

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großen monotheistischen Religionen diskutiert. Zudem steht die Rolle von Körperempfindungen und Emotionen in religiösen Praxen vermehrt im Mittelpunkt der Analysen. Die Popularisierung religiöser Weltsichten und vor allem ihre subkulturelle Vereinnahmung – wie sie sich beispielsweise in Genres wie der Splatter-/Zombifilme zeigt – ist ebenfalls ein Blickwinkel, der in der gegenwärtigen disziplinären Religionsforschung Zuspruch erfährt (Dinkl 2016). In diesen verschiedenen Perspektivierungen ringt man immanent mit neuen Konzepten davon, was als Religion verstanden werden kann. Um hier eine Öffnung voranzutreiben, plädierten jüngst die Kulturanthropologinnen Christine Bischoff und Karoline Oehme-Jüngling überzeugend dafür, dass es in der fachlichen Religionsforschung nicht so sehr um die »offiziellen Deutungen religiöser Institutionen oder theologischer Lehren« gehen kann, sondern »um die ›Rekonstruktion‹ von ›Glaubenswirklichkeiten‹, die der subjektiven Perspektive der Gläubigen gerecht wird« (Bischoff/Oehme-Jüngling 2016: 32). So ganz entkommen die Autorinnen in ihren Darlegungen der Norm etablierter Religionsmodelle und dabei jenen des Christentums (als Untersuchungsfokus) jedoch nach wie vor nicht. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn sie sich für die Analyse eine Unterscheidung zwischen »Träger[n], also Verwalter[n] und Vermittler[n] religiösen Wissens und religiöser Macht« und den »Laien als Träger[n] der durch die ersteren vermittelten Weltbilder und Ethiken« stark machen (ebenda).18 Das Merkmal neuerer Formen von Religionen ist allerdings, 18 | Wie schwer man sich mit der Erweiterung des Fokus über das Christentum hinaus trotz aller Öffnungsversuche tut, zeigen die veröffentlichten Sammelbände: Mohrmann 2010; Schöne/Groschwitz 2014; Lossin/Ramming 2016 anschaulich. So wendet man sich in Mohrmanns herausgegeben Band unter dem programmatischen Titel »Alternative Spiritualität heute« zwar den Formen von Religion/Spiritualität jenseits des Christentums zu, nicht aber ohne die Einschätzung eines katholischen und evangelischen Theologen hierzu mit abzudrucken. Sie setzen damit eine spezifisch christliche Perspektivierung der Thematik des Buches, von der aus die anderen religiösen/spirituellen Praktiken und Vorstellungen betrachtet werden. Angesichts der religiösen Pluralisierung wird denn auch für eine »evangelische Frömmigkeit« geworben und davon ausgegangen, dass »Gott in der Welt gesucht und gefunden werden« muss (Mohrmann 2010, hier die Beiträge: Volmer, 55-58; Beese, 59-67). In den folgenden Sammelbänden finden sich in überwältigender Mehrheit Studien, die sich im christlichen Kontext bewegen. Andere Formen von Religion sind metaphorisch wie konkret marginal, im Schlussteil verortet (Schöne/Groschwitz 2014). Der Band von 2016 lässt den Versuch nach disziplinärer Öffnung am deutlichsten erkennen: Der Band kann als fachgeschichtlich entscheidend gelten, zugleich aber wird in Teilen an Debatten angeschlossen, die in der Religionswissenschaft bzw. den Religious Studies und Studies of Western Esotericism bereits geführt wurden (Lossin/Ramming 2016). Die Publikation von 2018 schließt an die versuchte fachliche und thematische Öffnung an. Der (historischgelagerte) Fokus auf das

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dass die Rollen des »Verwalters« versus »Laien« kaum noch klar verteilt sind. Es gilt mehrheitlich das Prinzip, dass jede/r Experte/in der eigenen Religion bzw. religiösen Praxis ist. Statt die Generierung von Macht und religiösem Wissen entlang wenig zutreffender Rollenverteilungen zu untersuchen, muss vielmehr das komplexe wie situative Zusammenspiel von Geschlecht, Alter und Herkunft in den Mittelpunkt der Analyse gerückt werden. Die Hexenreligion ist hierfür ein besonders instruktives Beispiel, wobei an ihr die tiefgreifenden Veränderungen des Verständnisses von Religion und ihrer Praxis im 21. Jahrhundert paradigmatisch werden: Veränderungen, denen sich das Fach konzeptionell stellen muss, um weiter an international geführte Debatten anzuschließen und hier die besondere Ertragfähigkeit der kulturanthropologisch-ethnografischen Perspektive einzubringen. Wenn ich die Hexenreligion in den Mittelpunkt der Untersuchung stelle, ist dies als eine Forcierung des fachlichen Auf bruchs zu werten. Doch zugleich ordne ich mich disziplingeschichtlichen Prägungen bzw. Ideen zu, die es in der Religionsforschung des Faches gegeben hat. Hier ist vor allem WillErich Peuckerts erfahrungsbasierter Forschungszugang zu nennen, bei dem der Körper der Forschenden als Erkenntnisinstrument ernst genommen wird. Lange negiert, erfährt dieser Zugang in den sozial- bzw. kulturwissenschaftlichen Fächern heutzutage Konjunktur, ein Moment, der bereits als »sensory turn« gefasst wird. Nur durch den erfahrungsbasierten – alle Sinne erfassenden – Zugang, so das Plädoyer der Arbeit, lässt sich der Hexenreligion als Untersuchungsgegenstand wissenschaftlich-ethnografisch gerecht werden. Darauf soll im Folgenden ausführlicher eingegangen werden.

D ie E thnogr afie religiöser L ebenswelten – »A mixing of he ad and he art« In den Studien, die zu neuheidnischen Hexen vorliegen, wird vor allem auf die Kreativität, auf die Vorstellungskraft und lustvolle Widerständigkeit verwiesen, die sich in ihrer religiösen Praxis ausdrücken. Um zu erkennen, wie sehr die gesamte Lebenswelt der Hexen von dieser Form religiösen Handelns und Verstehens durchzogen ist – also wie sie dem alltäglichen wie außeralltäglichen Leben der Hexen Struktur und Bedeutung verleiht19 – und um zu Christentum bleibt dominant. Als neue Formen von Religion/Spiritualität werden Umbanda und der Gegenwartsschamanismus thematisiert (Aka/Hänel 2018, insbesondere: Scharf da Silva: 217-236; Uhlig: 237-248). 19 | Hier greife ich Alfred Schütz’ Begrifflichkeit von der Lebenswelt auf. Siehe Schütz 2003 (19781). Einen guten Überblick, wie Schütz Lebenswelt konzeptionell fasste, bietet das Vorwort von Thomas Luckmann: 13-26; sowie das erste Kapitel »Die Lebenswelt

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erfassen, wie sehr sich dabei das Zusammenspiel mit urbaner Kultur kundtut, ist die Ethnografie, so mein Argument, der ertragreichste Weg. Ihr Potential liegt darin, dass sie besonders nah an die Protagonist*innen, an ihr Leben, ihre Wünsche und Träume heranrückt und sie als Expert*innen ihrer eigenen Existenz ernst nimmt. In diesem Zusammenhang fokussieren Ethnografien zumeist auf marginale bzw. marginalisierte Gruppen und Menschen. Auch in dieser Studie wird auf eine bisher randständige und weitestgehend verschlossene religiöse Szenerie geschaut. Ethnografien buchstabieren auf diese Weise nicht allein die modernen Formen von Individualisierung aus, die der urbane Kontext in herausgehobener Weise erst ermöglicht, sondern sie fungieren als ein wichtiges analytisches Korrektiv gegenüber eher universalisierenden gesellschaftstheoretischen Annahmen. Zudem lassen sie durch ihren Fokus auf eher marginale Gruppen, Vorstellungen und Praktiken bisher nicht hinterfragte dominante Denk- und Machtstrukturen aufscheinen. Ethnografien schaffen hier ein notwendiges Gegengewicht zur Homogenisierung von Formen wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Wissens (Herzfeld 2001: 5-19). Methodisch bedeutet die Ethnografie, so wie ich sie begreife, mehr als das Diktum der Feldforschung, bei dem es um das wohltemperierte Pendeln zwischen empathischer Nähe und analytischer Distanz geht. Sie ist viel stärker noch ein existentielles Erlebnis und meint, sich in ein Thema hineinzubegeben und auf Zeit zu leben, ihm mit allen Sinnen und in jedem Moment auf die Spur kommen zu wollen: es zu schmecken, zu riechen, zu sehen, zu hören und zu tasten.20 Sie geht über »participant observation« hinaus und ist genauer – um mit Sarah Pink zu sprechen – »participant sensing« (Pink 2009: 67). Gerade die Sinnlichkeit von ethnografischer Forschung ist in den letzten zwei Jahrzehnten in den kultur- wie sozialwissenschaftlichen Disziplinen wieder vermehrt diskutiert worden. Dabei wird nicht allein die Bedeutsamkeit sinnlicher und damit leiblicher Erfahrungen für die Konstituierung kultureller Phänomene angesprochen und so die verbovisuelle Zentrierung und Einengung von Forschungsperspektiven aufgeweicht. Es wird hierin auch verhandelt und reflektiert, wie sehr der Körper und das sensorische Erleben der Forschenden selbst eine Quelle der Erkenntnis darstellt (Bendix 2005, 2006; Arantes/ Rieger 2014). Das Descartes’sche Modell von der Trennung zwischen Körper und Geist, das für die Idee akademischen Arbeitens so lange maßgeblich war, ist aus diesem Blickwinkel heraus nicht mehr aufrechtzuerhalten. Vielmehr des Alltags und die natürliche Einstellung«, 27-50. Schütz’ »Strukturen der Lebenswelt« muss letztlich als ein Werk mit Co-Autorenschaft gelesen werden: Luckmann hat maßgeblich das Werk, das zu Lebzeiten von Schütz noch nicht veröffentlicht war, für die Publikation überarbeitet. 20 | Zur Ethnografie als existentielles Erlebnis siehe den instruktiven Überblick von Lindner 2003: 205-210.

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muss es darum gehen, wie der Kulturanthropologe Paul Stoller in seinem Plädoyer für eine »sinnliche Wissenschaft« herausstellt: »(t)o eject the conceit of control in which mind and body, self and other are considered separate«, und er führt aus: »It is indeed a humbling experience to recognize […] that we do not consume sorcery, history and knowledge, rather, it is history, sorcery, and knowledge that consume us. To accept sensuousness is […] to lend one’s body to the world and accept its complexities, tastes, structures, and smells« (Stoller 1997: 17). Metaphorisch beschreibt er den Einbezug von Sinnlichkeit in die Art, wie wissenschaftliche Forschung betrieben wird und wie Dinge und Erfahrungen betrachtet werden, auch als »a mixing of head and heart […] an opening of one’s being in the world«. Er stellt dabei ein lohnenswertes Ziel in Aussicht: »Such embodied hospitality is the secret of the great scholars, painters, poets, and filmmakers whose images and words resensualize us« (ebenda: 18). Für solch einen sinnes- und dabei leibesbetonten methodischen Zugang ist das Feld der Hexenreligion in besonderer Weise geeignet. Er spiegelt gleichsam die Bedeutsamkeit, die Hexen dem sensorischen und körperlichen Erlebnis von Transzendenz in ihrer religiösen Praxis zuschreiben (Pike 2004: insb. 182-205). In diesem Zusammenhang muss man sich vor Augen führen, dass Hexen in überwältigender Mehrheit Frauen sind. Für sie ist das körperliche Erleben in der Ausübung ihrer Religion zugleich feministischer Ausdruck »sinnlicher Selbstbestimmung«, die, so ihr Argument, durch patriarchale Machtstrukturen gerade Frauen so lange entzogen wurde. Sie feiern ihren »einzigartigen Frauenleib als Aspekt der großen Göttin« (Feldnotizen, 24.05.2013) und setzen dies in Opposition zu den dominanten Monotheismen und zur westlichen Kultur überhaupt, in denen der weibliche Körper und Sakralität eher als gegensätzliche Pole gedacht und konzeptioniert wurden und werden (Long 2000: 935-936).21 Dabei steht in der Praxis ihrer Religion die Individualität von Erfahrungen im Mittelpunkt. Will man diese Erfahrungen verstehen und analytisch durchdringen, muss man sie, so die von Hexen herangetragene Erwartung, selbst – eben individuell – gemacht haben. Man muss sich also bei einer Trancereise auf eine Trance einlassen können, sich rituell in Ekstase bringen lassen oder über Symbole meditieren und mit allen Sinnen erkunden, bis sie »ihr esoterisches Wissen offenbaren« (Salomonsen 2002: 17, 21). Die Protagonist*innen im Feld haben dabei ein feines Gespür dafür entwickelt, inwiefern man bestimmte (körperliche) Empfindungen und Verhaltensweisen nur vorgibt oder sich »tatsächlich« darauf einlässt. Immer wieder wird man hier zur Reflexion aufgefordert. So höre ich oft die als Frage formulierte Forderung der Hexen: »Sag mal, du warst jetzt aber nicht nur wegen deiner Forschung hier?! Dich interessiert das auch so?« (Feldnotizen, 05.05.2012). Ak21 | Siehe hierzu auch die Bedeutsamkeit von Kleidung und Nacktheit während der Rituale: Magliocco 2001: 35-64.

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tive Teilnahme ist oberstes Gebot. Eine forschende Perspektive aus der Distanz und von »außen«, ohne die Übernahme bestimmter neuheidnischer Vorstellungen, ist kaum möglich. Die norwegische Theologin Jone Salomonsen, die sich mit modernen Hexen in San Francisco – dem sogenannten Reclaiming network – beschäftigte und sich in diesen Kreis initiieren ließ, bringt es so auf den Punkt: »[…] the main reason, why it is not enough to conduct fieldwork from […] an ›outside‹ position is that in Witches’ rituals, covens and classes, there is no outside where the observer can literally put herself. Regarding the practice of modern mystery religions, you are either in, or you are not there at all«. (Salomonsen 2002: 17)

So nahm ich während meiner Forschung an mehr als 50 Ritualen teil und organisierte sie teilweise mit. Dabei bewegte ich mich hauptsächlich in zwei Gruppen bzw. Zirkeln von Hexen in Berlin: den Reclaimer*innen und im Kreis der Mondfrauen. Auf ihre spezifischen religiösen Vorstellungen wie auch ihre Historie werde ich in späteren Kapiteln eingehen. Ich besuchte Tarot-Workshops, absolvierte Kurse zur Krafttiermagie und ließ mich auf ekstatische Momente ein. Mit den Reclaimer*innen ging ich auf Fahrt ins Hexencamp, um über sieben Tage hinweg den Nornenmythos in seinen »spirituellen Dimensionen« zu erkunden und in Ritualen zu feiern. Die Fahrt war ein signifikanter Moment meiner Feldforschung: Erst hier erschloss sich für mich – durch die Vielzahl von Zeremonien – die starke Performativität der Hexenreligion; und erst dann begann ich die besondere Lust der Hexen am eigenen Schauspiel zu begreifen und erfuhr selbst dessen verändernde Kraft im Umgang mit der eigenen Lebensgeschichte, mit Trauer und Freude und ganz allgemein mit den Vorstellungen von sich und der Welt. Für die Hexen wiederum stellte meine Teilnahme einen Vertrauensbeweis dar: Ich war die Forscherin, aber hier wurde ich zu »ihrer« Forscherin, die sicherlich vieles noch nicht verstand und noch mehr vom »Kopf« denn vom »Herzen« dabei war, aber doch wurde ich fortan als Teil der Berliner Hexengruppe akzeptiert. Mit den meisten Frauen, die ich kennenlernte, habe ich mich auch privat getroffen: mit ihnen Geburtstage gefeiert, auf ihren Hochzeiten getanzt, Trauer geteilt oder abends im Schöneberger Café Vis-à-Vis »über Gott und die Welt« und Konzepte von Magie diskutiert. Mit einigen der Hexen führte ich narrative Interviews durch. Die Gesamtzahl der nicht allein mit ihnen, sondern auch weiteren religiösen Expert*innen Berlins wie vereinzelt der Bundesrepublik geführten Interviews beläuft sich auf 50, aus 46 von ihnen zitiere ich in dieser Arbeit. Die Mehrheit der Protagonist*innen dieser Studie tritt dabei mit ihrem Klarnamen in der Arbeit auf. Es handelt sich dabei meist um ihren Namen, den sie sich als Hexe gegeben haben und der sich von ihrem bürgerlichen Namen – jenem, der auf ihrer Geburtsurkunde steht und mit dem sie ihre staatsbürgerlichen Rechte

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und Pflichten wahrnehmen – unterscheidet (aber nicht zwangsläufig). Manche lassen sich ihren selbstgewählten Hexen- oder Ritualnamen als Künstlernamen anerkennen, der im Ausweis verzeichnet wird.22 Dass Hexen mehrheitlich auf eine Anonymisierung verzichteten und identifizierbar werden, hängt zwar in Teilen mit dem Vertrauen, dass sie mir als Forscherin entgegenbringen, zusammen, vielmehr aber ist dies darauf zurückzuführen, dass Hexen selbstbewusst religiöse Legitimität für sich beanspruchen, die ihnen lange verweigert wurde und die ihnen gerade auch mit dieser Publikation zuerkannt wird. Einige Hexen wie auch weitere Personen der Studie werden allerdings entsprechend ihres Wunsches nur mit ihren Vornamen genannt oder sind anonymisiert (insbesondere die Frauen der autonomen Lesbenszene der 1970er Jahre sowie Personen, die im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb tätig sind oder waren. Insbesondere Letztere fürchten um ihre Anerkennung als Akademikerin, falls sie sich als Hexen zu erkennen geben). Mich in der beschriebenen, umfassenden und aktiven Weise auf eine Religion und religiös geprägte Lebenswelten einzulassen und zu öffnen, auch auf die Gefahr hin, von ihnen überwältigt zu werden, fiel mir keineswegs leicht, mehr noch, es lief der Geschichte meiner Person und meiner wissenschaftlichen Sozialisation vollkommen entgegen. Ich bin fern jeglicher Religion im damals noch sozialistischen Ostberlin, Hauptstadt der DDR, aufgewachsen. Atheismus war Ausdruck überzeugten Staatsbürgertums, gegen das ich wenig rebellierte: Besonders mutig war ich nicht. Kritischer Abstand zu religiösen Vorstellungen und Praktiken war mir, mithin seit Kindesbeinen, eingeschrieben: Er hat sich mir, um auf Bourdieu zu rekurrieren, in den Körper eingesenkt und ist als Teil meines Habitus’ und meiner Hexis einverleibt. Dieser wirkmächtigen Prägung ist bekanntlich schwer zu entfliehen. In dem Fach, das ich wiederum studierte, in der Europäischen Ethnologie bzw. Kulturanthropologie, bekommt man von Anbeginn gelehrt, dass das Prinzip der Feldforschung zwar auf der Herstellung verständnisvoller Vertrautheit zu den Beforschten beruht, aber dass dies »kein Telos, sondern ein immer neu zu überwindender Durchgangspunkt« sei (Amann/Hirschauer 1997: 29). Es geht um ein sinnverstehendes Miterleben, für das man in die jeweilige »andere« Lebenswelt eintauchen soll, aber doch nie zu sehr (Beer 2008; Gerndt 2001; Hauser-Schäublin 2008; Knoblauch 2003: 97; Petersen 2007; Schmidt-Lauber 2007; Cohn 2014). Man muss sich in Betrachtungsweisen der Beforschten einfühlen können, aber sie keinesfalls kognitiv für sich selbst annehmen, was meint, dass sie Einzug in das eigene Denken und Weltverständnis halten. Wie der Soziologe Peter L. Berger bereits Ende der 1960er Jahre meinte, sei die »Strafe«, sich während der Forschung nicht ausreichend vom Feld zu distanzieren, ein going native. Dabei differenziert er: »To be sure cultural anthropologists like to do this behaviorally 22 | Zur Bedeutsamkeit von Hexen- und Ritualnamen siehe Magliocco 2004: 66-69.

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(›participant observation‹), and even emotionally (›empathy‹). If they ›go native‹ cognitively, however, they will no longer be able to do cultural anthropology« (1969: 12). In diesem Zusammenhang sind Studien, in denen offensichtlich »zu viel Nähe« riskiert wird und Forscher*innen in die Weltsicht der Beforschten »eintauchten« und als die eigene – eben kognitiv – übernahmen, und dies auch als Potential der Untersuchung deklarierten, längst als exotisierend und wissenschaftlich unhaltbar dekonstruiert worden: als eine Anmaßung ethnografischer Autorität, bei der man doch längst die »Seiten gewechselt« hätte und etwas aus einer derart beengten persönlichen Perspektive heraus beschreibt.23 Mein Selbstverständnis als Kulturanthropologin und Wissenschaftlerin ist von dieser fachlichen Methodendiskussion und -definition zutiefst geformt. Und doch haben mich gerade Untersuchungen, in denen sich die Forscher*innen dem Gegenstand der Untersuchung vorbehaltlos und aktiv aussetzten und ein »Zuviel an Nähe« eingegangen sind, immer auch fasziniert. Studien, wie jene von Karen McCarthy Brown über den Voudou-Glauben in New York, durch die sie selbst Teil der Glaubensgemeinschaft wurde, oder Loïc Wacquants Forschung zum Boxen im amerikanischen Getto, die ihn dazu verführte, selbst in den Ring zu steigen und als »French Hammer« Furore zu machen, sind fest in meinem (kulturanthropologischen) Gedächtnis verankert. So kritikwürdig die von ihnen gewählten Zugänge auch erscheinen und so sehr sie genau – oder beinahe24 – das begehen, wovor jedwede Methodeneinführung warnt: den Tabubruch des going native, so sehr ermöglichen sie den Leser*innen ihrer Texte – eben durch die hier vermittelte Nähe ihrer Einsichten – einen geradezu holistischen Nachvollzug von sonst fremden Lebenswelten. Sie weihen sie quasi in deren Geheimnisse ein. Genau dies ist es, was beeindruckt. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass solche Studien in ihrem Zugang zwar problematisiert und für Qualifikationsarbeiten keinesfalls zur methodischen Nachahmung empfohlen werden, sie es aber doch in die grundständige Semi23 | Knoblauch spricht von der »Verkafferung«: »Die Beobachtenden werden Teil des Feldes, das sie untersuchen wollen« (2003: 97). »Verkafferung« gilt als deutsches begriffliches Pendant zum englischen going native. Das Wort ist allerdings aufgrund seiner kolonialistischen Geschichte und seines wertenden Charakters schwierig und sollte im sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurs verstärkt problematisiert und als Begriff fallengelassen werden. Zur Geschichte der »kulturellen Überläufer« als einem wichtigen Teil der methodischen Entwicklung in der Ethnologie siehe Kohl 1987. 24 | Wacquant hat letztlich einen Ruf nach Harvard angenommen und die mögliche Karriere als Profiboxer aufgegeben. Wie er schreibt: »But only at the cost of a clinical depression and difficult self-work to rebuild my libido sociologica (and tame my libido pugilsitica)«. Er steht weiterhin intensiv im Kontakt mit den Protagonisten seiner Studie, unterstützt sie und ihre Verwandtschaft auch finanziell. Email an die Autorin, 07.09.2012.

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narlektüre schaffen und sich großer Beliebtheit erfreuen. Ihre Erkenntnisse, ihre Geschichten und Figuren wie auch die – von den Autor*innen sehr detailliert reflektierte – Forschungssituation prägen sich ein und machen den (heimlichen) Reiz des Faches entscheidend aus.25 In der vorliegenden Studie bin ich nun genau jenes Wagnis, von dem diese Untersuchungen berichten, selbst eingegangen: Ich habe mich dem Feld der Hexenreligion ausgesetzt und mich letztlich selbst aufs Spiel gesetzt: mit allen persönlichen und methodisch-fachlichen Ambivalenzen, die das bedeutet. Dies erfolgte nicht aus Selbstzweck, sondern stellt, wie bereits ausgeführt, eine von den Hexen herangetragene Erwartung dar. »You are either in, or you are not there at all«: Es war der einzig mögliche Weg ins Feld. Zugleich aber ist dieser Zugang von dem wesentlichen Prinzip ethnografischer Erkenntnis – der Angstlust – gekennzeichnet: dem Thrill der sozialen und kulturellen Verunsicherung, durch den man Furcht und Wonne zugleich empfindet und der sich mit der Hoffnung auf ein gutes Ende verbindet: auf Freundschaft, auf Erkenntnis und Anerkennung (Lindner 2003: 205). Meine Feldforschungserfahrungen und der entwickelte Zugang gehen eng mit der Einsicht zusammen, dass die Grenzen des gegenwärtig gelehrten Methodenrepertoires weiter aufzuweichen sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich auch, dass mit der wiederholten Warnung vor einem »Zuviel an Nähe« und damit vor der Subjektivität des Feldforschungsprozesses, gleichsam durch die dekonstruktivistische Hintertür die Idee der Objektivität wieder hereinspaziert ist, jene Idee, die man doch berechtigterweise als unhaltbar herausgestellt hatte. In wissenschaftlichen Diskussionen und Kongressen wurde ich denn auch häufig mit der Frage konfrontiert, inwiefern ich durch meinen Zugang noch eine »neutrale« Beobachterin der Hexenreligion sein könne oder womöglich schon eine »Insider-Position« eingenommen hätte – die unkritische, enthusiastische Perspektive einer religiösen Konvertitin: einer Hexe. Die Erkundigung nach dem sogenannten Bias einer Forschung ist berechtigt und dring25 | »Beliebtheit« übersetzt sich nicht nur darin, dass solche Studien – nach eigener Lehrerfahrung –vollständig gelesen und lebhaft diskutiert werden. Sie werden teilweise auch an Familienangehörige verschenkt, damit diese endlich verstehen, »was man da eigentlich studiert«. Andere methodische Einführungen eignen sich offensichtlich weit weniger als Außenrepräsentation. Zudem stehen Fachvertreter*innen den Zugängen dieser Studie zwar skeptisch gegenüber, dennoch sind die Studien entscheidend für das disziplinäre Selbstverständnis, was sich beispielsweise daran zeigt, dass Browns Studie 1991 mit dem American Academy of Religion Award for the Best First Book in the History of Religion ausgezeichnet wurde. 1992 erhielt Karen McCarthy Brown für »Mama Lola« von der American Anthropological Society den Victor-Turner-Prize in Ethnographic Writing. Wie diskurssetzend wiederum Loïc Wacquants »Leben für den Ring« ist, zeigt sich daran, dass das Buch mittlerweile in acht Sprachen übersetzt wurde.

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lich. Aber dieses Bias zu reflektieren und sichtbar zu machen, kann kaum über die Kategorien von »In-« versus »Outsidertum« »emisch« versus »etisch«, »native« versus »non-native«, »Nähe« versus »Distanz«, »neutral« versus »nicht neutral« erfolgen. Hierdurch werden die Kategorien, die man zu erhellen versucht, eher fixiert und essentialisiert, dabei muss man sie als zutiefst kontextuell bedingte Konstruktionen verstehen, die fortwährend verschoben und ausgehandelt werden (Magliocco 2004: 15; Narayan 1993). Die Unmöglichkeit, hier feste Demarkationslinien zu ziehen, bringt die Kulturanthropologin und Schriftstellerin Kirin Narayan in ihrer Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen »native« und »non-native«, »closeness« und »distance« anschaulich auf den Punkt, indem sie anmerkt: »Given the multiplex nature of identity, there will inevitably be certain facets of self that join us up with the people we study, other facets that emphasize our difference. In even the closest of relationships, disjunctures can swell into distance; ruptures in communication can occur that must be bridged«. (Narayan 1993: 680)

Diese Überlegungen bedenkend, kann es methodisch auch nicht darum gehen, bei aller Vertrautheit mit den Protagonist*innen ein »Zuviel an Nähe« und dabei vor allem auch ein kognitives Ernstnehmen zu vermeiden, um so die Subjektivität der Forschung gleichsam einzuhegen. Vielmehr muss man sich den Fluss und die Kontextualität der eigenen Positionierung im Feld beständig vergegenwärtigen. Die ethnografische Fertigkeit besteht nicht darin, empathische Nähe zu ermöglichen und sodann analytische Distanz herzustellen, sondern sie liegt genauer in einer Form soziokultureller Durchlässigkeit, wie ich es benennen möchte, womit die erworbene Fähigkeit angesprochen ist, mehrere Referenzrahmen, mit denen die Welt interpretiert werden kann, in sich – in geradezu körperlicher Weise – aufzunehmen und gleichberechtigt gelten zu lassen, emotional wie kognitiv anzuerkennen und zwischen ihnen – entsprechend des Kontextes – behände wechseln zu können. Wenn ich mich für die religiösen Vorstellungen und Praktiken der Hexen durchlässig werden ließ, vergaß ich nicht, dass ich Forscherin bin, so wie dies auch die Hexen während der Feldforschung nie taten, war doch gerade der Moment, dass ich eine wissenschaftliche Untersuchung durchführte, für sie bedeutsam: Er stellte für sie einen Ausdruck der wachsenden Legitimität ihrer Weltsicht dar, auf die sie seit Jahrzehnten drängen.26 Das Buch, an dem ich schrieb, musste fertig werden, daran wurde ich fortwährend erinnert. 26 | Dass Beforschte bei aller Vertrautheit mit den Forscher*innen deren Untersuchungsanliegen nicht aus den Augen verlieren und dabei auch Sorge tragen, dass die Forscher*innen selbst dies nicht vergessen, wird in Wacquants Studie anschaulich. Er beschreibt zwar, wie sehr er Teil des Feldes wurde, das er beforschte: Er war einer von

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Sicherlich: Ich bin keine »neutrale« Beobachterin. Das war ich von vornherein nicht, denn in den Forschungsprozess spielen stets Aspekte hinein – Geschlecht, Bildung, sexuelle Orientierung, Klasse, politisch-ideologische Überzeugung oder schlicht die Dauer der Forschung – wodurch man sich in besonderer und dabei individueller Weise den Beforschten annähert und zugleich auch entfernt. Hexen sind beispielsweise radikal frauenbewegt, was für mich aufgrund meiner feministischen Grundeinstellung und bei aller religiösen Ferne von Anbeginn der Forschung eine Form der Zugehörigkeit stiftete: In dieser Beziehung war ich sogleich »native to the field«. Hingegen erschließen sich mir die Wirkungsmechanismen von Magie kognitiv bis heute nur schwer und es bedarf hier immer wieder der Einübung von dieser spezifischen Denkweise: Soziokulturelle Durchlässigkeit ist eine Frage des Trainings. Indem ich die Dynamiken der persönlichen Involviertheit im Forschungsprozess reflektiere, um sie so auch für die ethnografische Erkenntnis fruchtbar zu machen, sehe ich mich in einer Position, die nicht mit der »neutralen«, sondern eher mit der »verwundbaren« Beobachterin zu vergleichen ist. Die verwundbare Beobachterin ist eine Figur, die bereits Mitte der 1990er Jahre von der Anthropologin Ruth Behar in die fachliche Diskussion eingebracht wurde. Als Forscherin verwundbar zu sein bzw. sich verwundbar zu machen, meint, ein geschärftes Verständnis dafür zu entwickeln, wie sehr man sich selbst durch die ethnografische Erfahrung verändert und wie sehr diese Veränderungen wiederum die Untersuchung prägen – eine Forderung, die ja bereits der Ethnopsychoanalytiker George Devereux Ende der 1960er Jahre aufgestellt hatte (1992 [1967]).27 Diese Form der Selbstreflexion meint nicht, dass For»DeeDees’ Boys« (Trainer im Boxing Gym, das Wacquant besuchte), wie er stolz sagt. Aber zugleich zeigt Wacquant, dass seine Mitstreiter im Boxing Gym – in erster Linie sein Trainer – darauf achteten, dass er dabei nicht sein Forschersein aufgab. Dies wird deutlich, nachdem er an dem jährlichen amerikanischen Amateurturnier Golden Gloves teilgenommen hatte und kurz darauf von seinen Boxkollegen im Gym empfangen wurde. Wacquant beschreibt die Situation wie folgt: »All diese Schmerzen verschwinden jedoch bei meiner triumphalen Ankunft im Gym […] von allen Seiten Handschläge, Lächeln, Augenzwinkern, Schulterklopfen, Komplimente […]. Ab jetzt bin ich voll und ganz in ihre Reihen aufgenommen: ›Yep, Louie’s a soul brother.‹ Ashante erkundigt sich voll Begeisterung nach meinem nächsten Kampf, aber DeeDee unterbricht uns trocken: ›Es gibt kein nächstes Mal. Du hast deinen Kampf gehabt. Das reicht um dein verdammtes Buch zu schreiben. Du brauchst nicht in den Ring zu steigen, du nicht‹« (2003: 265). 27 | Wie George Devereux schreibt: »Da die Existenz des Beobachters, seine Beobachtungstätigkeit und seine Ängste […] Verzerrungen hervorbringen, die sich […] unmöglich ausschließen lassen, […] muss jede taugliche verhaltenswissenschaftliche Methodologie diese Störungen als die signifikantesten und charakteristischen Daten der Verhaltenswissenschaft behandeln und […] sich die aller Beobachtung inhärente Subjektivität

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schende mit ihrer Subjektivität zum Dreh- und Angelpunkt der Ethnografie werden und die Untersuchung sich als Therapieprojekt einer selbstverliebten Person generiert. Wie Behar schreibt: »Vulnerability doesn’t mean that anything personal goes. The exposure of the self who is also a spectator has to take us somewhere we couldn’t otherwise get to« (1996: 14). Dieser Zugang weist auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit autoethnografischen Methoden auf, ist jedoch nicht damit zu verwechseln. Bei Letzteren wird zwar ebenfalls zentral auf die eigenen Erfahrungen zurückgegriffen, um Erkenntnisse über das Feld zu generieren. Doch die autoethnografische Annäherung beschreibt entsprechend der gängigen Definitionen eine Situation, bei dem man ein Phänomen betrachtet, dessen Teil man vor der Forschung bereits ist und mit dem man sich seit langem identifiziert (Ellis/Adams/Bochner 2011; Pratt 1991; Wacquant 2005). Bezogen auf das Beispiel hieße dies, sich als Hexe zu verstehen und sodann und immanent zur Ethnografin zu werden. Dies ist hier nicht der Fall.28 Verwundbar zu sein und durchlässig zu werden stellt eine Forschungsweise dar, die sich mit einer spezifischen Form der Textproduktion und Repräsentation verbindet. Statt hinter blutleerer, szientistischer Prosa die Menschen zur theoretischen Manövriermasse werden und so verschwinden zu lassen, geht es mir darum, dass die Protagonist*innen im Schreiben und durch die Schilderung des eigenen Ringens mit ethnografischer Erfahrung lebendig werden.29 Ganz im Sinne einer »sinnlichen Wissenschaft« versuche ich, die Lebenswelt der Hexen umfassend und in seiner gesamten Sensorik einzufangen (was nie vollständig gelingen kann). Auf diese Weise soll der Leserin ein Nachvollzug dieser Lebenswelt ermöglicht werden, sie soll selbst darin eintauchen können und auf diese Weise die Analysen verstehen. In diesem Zusammenhang habe ich mich für zwei Textformen entschieden. In ihrer Unterteilung kommen sie dem nahe, was die amerikanische Essayistin Vivian Gornick »Situation« und »Story« nennt (Gornick 2001). Es ist eine Struktur ethnografischer Repräsentation, die kürzlich auch Kirin Narayan vorgeschlagen hat. Indem sie Gornick zitiert, führt sie aus: als den Königsweg zu einer authentischen als fiktiven Objektivität dienstbar machen, […] die eher anhand der realen Möglichkeiten zu definieren ist, als anhand dessen, was ›sein sollte‹« (1992: 17). 28 | Siehe zur Stellung des autoethnografischen Zugangs in der deutschsprachigen Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie und Soziologie den instruktiven und dichtbeschriebenen Artikel von Ploder/Stadlbauer 2016. 29 | »Lebendig werden« ist eine gängige Metapher für eine Schreibweise, die im angloamerikanischen Bereich auch als »creative nonfiction« bezeichnet wird. Kirin Narayan spricht mit Blick auf Ethnografien auch von »ethnographic prose«: »accounts based on actual people, places, and events, and written as imaginatively engaging stories« (Narayan 2012).

Einleitung: Großstadthexen »›The situation is the context or circumstance, sometimes the plot; the story is the emotional experience that preoccupies the writer […]‹. Adapting this distinction for ethnographers, the situation might include the site of fieldwork, various personal circumstances, the historical and social moment, and […] prevailing theories about the subject of research. The story, though, follows the transformations – physical, emotional, intellectual – that an ethnographer experiences personally or witnesses in others«. (Narayan 2012: 13)

Diese Überlegung aufgreifend, werde ich Passagen, in denen ich von eher persönlichen oder beobachteten unmittelbaren Erfahrungen und Reaktionen im Zusammensein mit den Hexen berichte, kursiv halten. Diese Abschnitte kommen der Idee der »Story« nahe. Sie führen an die stärker interpretativ und analytisch gehaltenen (Haupt-)Texte – an die Situationen – heran und sind davon zugleich abgesetzt. Wissend, dass »Story« und »Situation« idealtypische Konstruktionen sind – empirisch sind die Kategorien schwer voneinander zu trennen, vielmehr bedingen und durchdringen sie einander – möchte ich durch das besondere Schriftbild den reflexiven Prozess der ethnografischen Untersuchung visuell hervorheben und so im Gedächtnis der Leserin präsent halten.30 Es stellt eine physische Repräsentation der verwundbaren Beobachtung dar und soll zugleich die ethnografische Methode – den Prozess des soziokulturellen Durchlässigwerdens – nachzeichnen. In diesem Zusammenhang bemühe ich mich mit Blick auf die feministische Grundeinstellung der Protagonist*innen dieser Studie um eine geschlechtersensible Schreibweise, deren Grundlage das Verständnis von der Konstruktionshaftigkeit/Performativität von Geschlecht bildet. Bei Wörtern wie beispielsweise »Anhängerschaft«, »Christen-«, »Juden-« und »Heidentum« behalte ich allerdings den maskulinen Wortstamm bei – hier folge ich den allgemeinen Sprachgewohnheiten, ohne die Kategorie »Geschlecht« essentialisieren zu wollen. Mitunter verwende ich wiederum ausschließlich die grammatikalisch weibliche Form von Personalpronomen und Substantiven. Der Wechsel von (vergeschlechtlichten) Schreib- und Ausdrucksmöglichkeiten ist als eine Form des sprachlichen Spiels zu verstehen, die unsere eigenen Ausdrucksmöglichkeiten flexibel halten soll und in der keine Repräsentationsform dogmatisch wird und über andere obsiegt. Schließlich verwende ich – sowohl für Zitate als auch für die Kennzeichnung des konzeptionellen Charakters von Zuschreibungen – ausschließlich doppelte Anführungszeichen (zum Beispiel: »innen«, »außen«). Insgesamt ist anzumerken, dass die Ethnografie religiöser Lebenswelten, die mit dem hier beschriebenen Zugang zu einem existentiellen Erlebnis wird, 30 | Siehe die Nutzung verschiedener Schriftbilder, um den Prozess der Feldforschung zu verdeutlichen: Magliocco 2004.

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letztlich ein Versuch ist, dem Untersuchungsgegenstand in all seinen Verschachtelungen und seiner Vielfalt von Bezügen, kurzum: in seiner Komplexität, gerecht zu werden. Die »Feldarbeit« ist dabei das zentrale und entscheidende Element, und doch muss immer auch darüber hinausgegangen werden. Ein Thema auf Zeit zu leben, wie es einleitend hieß, meint, ihm »ständig auf der Fährte zu sein« und neben der Feldforschung auch gezielt Diskurse und Bereiche auszumachen, die für den Untersuchungsgegenstand ebenfalls von Belang sind (Lindner 2003: 177-188, insb. 186/187). Entsprechend wird in dieser Arbeit die Datenerhebung über die Feldforschung hinausgehend geweitet. Um die Komplexität der religiösen Lebenswelt der Hexen zu verstehen, müssen auch die wissenschaftlichen Debatten um Mythen, Riten und die Entwicklung von Religion näher betrachtet werden – für das »Auftauchen« neuheidnischer Hexen Mitte des letzten Jahrhunderts spielen sie eine entscheidende Rolle und sind für das gegenwärtige Selbstverständnis als Hexe prägend. Zudem gilt es sich auch in die lokale Geschichte der Hexenreligion – konkret in ihre Geschichte in der Stadt Berlin – zu vertiefen. Nur in dieser historisch-anthropologischen Grundierung ist auch die Spezifik und Wirkmächtigkeit städtischer Kultur herauszuarbeiten. Schließlich gibt es Romane, Reportagen, Zeitschriften, die Hexen sehen bzw. lesen und/oder die Hexen thematisieren. Auch sie sind Teil der religiösen Lebenswelt der Hexen, machen sie aus und müssen in die ethnografische Untersuchung einbezogen werden. Erst die Gesamtschau all dieser verschiedenen Quellen formt die Ethnografie zu einer überzeugenden dichten Beschreibung und ermöglicht nicht allein exemplarisches, sondern auch systematisches Wissen über das Zusammenspiel von religiösen Lebenswelten und dem städtischen Alltag.

U nsichtbar bleiben – sichtbar werden : A naly tischer  F ahrpl an der A rbeit Die Hexenreligion zählt heute zu den neureligiösen Richtungen, die mit den stärksten Zulauf erfahren. Die religiöse Praxis ist dabei einerseits zutiefst privatisiert oder, um es mit Thomas Luckmann zu sagen, unsichtbar. Andererseits aber reklamieren ihre Protagonist*innen zunehmend Sichtbarkeit, was gesellschaftliche Öffentlichkeit für sich und ihre religiösen Überzeugungen meint. Genau dieses Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit machen sie für ihr eigenes Selbstverständnis fruchtbar und es ist die Stadt in ihren spezifischen kulturellen, sozialen und materialen Manifestationen, die es ihnen ermöglicht, dieses Spannungsverhältnis zu leben und weiterzuentwickeln. Um zu durchdringen, worauf die Handlungen und Praktiken der Hexen in Berlin in diesem Zusammenhang genau rekurrieren und inwiefern Fragen

Einleitung: Großstadthexen

von (Un-)Sichtbarkeiten in der neuheidnischen Hexenreligion bereits historisch sedimentiert sind, ist es notwendig, bevor sich in die Ethnografie vertieft wird, in die Geschichte der Hexenreligion zu blicken. Mit deren Darstellung und Diskussion eröffnet diese Arbeit. Das erste Kapitel lässt nicht nur deutlich werden, wie sehr sich die Hexenreligion in die Linien der westlichen Esoterik und Vergangenheit einordnet, sondern wie sehr sie die Kunst »aus Altem Neues zu machen« beherrscht, die zu unterschiedlichen Zeiten und lokal verschieden sichtbar wurde und zugleich unsichtbar blieb. Städte wie London und San Francisco spielen dabei eine zentrale Rolle, wobei es den Gründen – warum genau dort – nachzugehen gilt. Statt Geschichte mit dem problematischen Begriff des Synkretismus zu klassifizieren, wird für die Analyse die Metapher des Palimpsests konzeptionell stark gemacht (Genette 1993): ein Sinnbild, das in seiner Bedeutung genau geklärt wird. Im zweiten Kapitel stelle ich den Fokus schärfer auf die historische Wirkmächtigkeit des Berliner Kontextes. Meine Untersuchungen setzen dabei in den 1980er Jahren, in Westberlin, ein. In Anlehnung an die Idee, dass sich städtische Lokalkultur historisch spezifisch sedimentiert, geht es mir darum, die Geschichte der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin hervortreten zu lassen – eine Art urban-kulturelle Patina, die sich auf die religiöse Praxis heutiger Hexen gelegt hat (siehe einem ähnlichen Verständnis von urbaner Geschichte als wirksame »urban-kulturelle Patina«: Suttles 1984). Mit diesen historischen Betrachtungen und Einordnungen wird schließlich der Weg in die Gegenwart und damit zum »Herzstück« der Arbeit geebnet. In der Struktur der anschließenden drei Kapitel vollziehe ich den Prozess der gegenwärtigen Sichtbarwerdung bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit der Hexenreligion idealtypisch nach und kennzeichne damit den Prozess zugleich als einen zutiefst städtischen. So lenke ich zuerst den Fokus auf die privatisierte (unsichtbare) religiöse Praxis und begebe mich dafür in das Refugium des Privaten: in die Wohnungen der Hexen. Ihre Materialität und Ästhetik entfaltet eine Vitalität, die es ermöglicht, an einem Ort, der wie kaum ein anderer für das alltägliche, »profane« Einerlei steht, in spirituelle Welten einzutauchen. Es zeigt sich, wie sehr die »eigenen vier Wände« im urbanen Kontext den Charakter der Stadt als ein soziokulturelles Laboratorium spiegeln und Orte sind, an denen dicht gedrängt verschiedenste und neuartige (religiöse) Ausdrucksweisen modelliert und ausprobiert werden. Von den Wohnungen folge ich den Hexen hinaus auf die Straßen und die Parks der Stadt. Der Fokus richtet sich darauf, wie sich Hexen den städtischen Raum als Ort ihrer religiösen Vorstellungen und Handlungen kollektiv – in ihrer gemeinschaftlichen Ritualpraxis – aneignen. Die zeremoniellen Plätze, die sich Hexen in der Stadt schaffen und damit die Imaginationen des Urbanen bzw. der städtischen Kultur verhandeln, sind liminal: betwixt and between:

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sichtbar und doch unsichtbar, privat und öffentlich zugleich. Gerade im Zustand der Liminalität manifestiert sich (materiell und dabei soziokulturell wie religiös) ein zentraler Aspekt des Selbstverständnisses von Hexen. Geschult durch die Lektüre volkskundlicher Literatur, in der die Hexe etymologisch auf das Wort »hagazussa« zurückgeführt wird – die Zaunreiterin, die in der Hecke haust und ein grenzhütender Geist ist (Duerr 1978: 147f.; Petzoldt 2003: 98) – begreifen sich die meisten der heutigen Hexen auch als Grenzgängerin zwischen der Realität, die uns im Alltag umgibt und wahrnehmbar ist, und jener, die darüber hinausweist und meist nur in anderen Bewusstseinszuständen zugänglich wird. Dieses »Sitzen auf der Grenze« findet in den Ritualen und ihren geschaffenen Austragungsorten in der Stadt – verborgen und doch häufig vor unserer aller Augen – prägnant Ausdruck. Schließlich begleite ich die Hexen auf ihren Wegen in die städtische Öffentlichkeit und stelle dar, wie sie diese offensiv kreieren und Mitspracherecht einfordern. Sie stiften damit Unruhe im bereits dynamischen religiösen Feld Berlins. Wie sie das tun, welche Aspekte Hexen von sich auf welche Weise öffentlich machen und zur Aufführung bringen, darum wird es in diesem Abschnitt gehen. Mit der umfassenden Betrachtung der Sichtbarwerdung der neuheidnischen Hexenreligion im urbanen Kontext wird herausgestellt, wie sehr neureligiöse Bewegungen in den westlichen Gesellschaften diskursive Wirkmächtigkeit erlangen und dass in der Stadt ihre territorial-diskursive Arena liegt. Nicht nur tritt dabei die Kraft des Lokalen in globalen Zeiten hervor. Vor allem soll anhand der Hexenreligion im städtischen Kontext deutlich werden, dass die häufig entgegenstehenden Topoi von der Privatisierung versus Entprivatisierung des Religiösen zusammengedacht werden müssen. Es gilt die Gleichzeitigkeit solcher Prozesse zu betonen und konzeptionell zu fassen. Mehr noch: Neue Religionen, so zeigt sich anhand der Studie, beginnen sich zunehmend zu politisieren, dabei als Gemeinschaft zu etablieren und zu agieren, also Charakteristika anzunehmen, wie sie von José Casanova in seinem Konzept der public religions benannt und durch das Habermas’sche Diktum der Postsäkularität, auf das noch genauer eingegangen wird, weiter differenziert wurden (Casanova 1994; Habermas/Reemtsma 2001). Die Hexenreligion mit ihrem religiös-ökologischen wie religiös-feministischen Impetus übernimmt in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle: Sie steht emblematisch für die gegenwärtige Entwicklung von Religionen und ist zugleich ein Sonderfall. Wie genau legen die folgenden Seiten, Geschichten und Figuren offen.

1. Kapitel: Die Hexenreligion als Palimpsest

Es ist Vollmond. Xenia hat zum Ritual an der Krummen Lanke eingeladen. Für neuheidnische Hexen gilt der Mond als sehr magisch. Als Symbol und Verkörperung der großen Göttin, die für die Hexen die Hervorbringerin allen Lebens ist, enthält er, oder genauer sie, also die Mondin, die »Energie« für Veränderungen. Diese Energie gilt es im Ritual »herabzuziehen« und »in sich aufzunehmen«. Der Vollmond, so Hexen, vermittelt die Kraft der Erfüllung. Wünsche und Hoffnung können gerade in dieser Phase wahr werden. Wir sind neun Frauen, die sich an der Krummen Lanke, einem See im Südwesten von Berlin, treffen, an einer Stelle, die tagsüber als Bademöglichkeit genutzt wird und sich nachts zum angestammten Ritualplatz der Hexen wandelt. Xenia zieht den Hexenkreis und zeichnet dabei imaginär im Osten, Süden, Westen, Norden ein beschwörendes Pentagramm in die Luft. Sie ruft die Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde herbei. Sie sind den einzelnen Himmelsrichtungen zugeordnet. Als Xenia sich gen Süden wendet und laut das Feuer ruft, trifft mich ihre Stimme heftig: »Spüre die Hitze des Südens. Sei wie eine Löwin, denk an deine Beute, an deinen Erfolg, krall ihn dir«, spornt sie uns an. Und obwohl ich es nicht möchte, wird mir ziemlich warm, spüre ich, wie die beschworene Hitze in mir aufsteigt. Es ist mir unangenehm, dass ich diesem »Zauber« zu erliegen scheine. Nachdem die große Göttin herbeigerufen wird und wir die Hände zum Himmel heben, zur Mondin, um ihre Energie in uns aufzunehmen, beginnt das Ritual. Wir unternehmen einen »spirituellen Spaziergang« rund um den See. Zu Hause haben wir Wünsche auf Blütenblätter geschrieben. An den Stellen, an denen wir »intuitiv« stehen bleiben, sollen wir sie in die Krumme Lanke werfen, schlägt Xenia vor. Unsere Gedanken und unseren Willen müssten wir bündeln und auf die Wunscherfüllung lenken, uns vorstellen, wie diese eintrifft, sagt sie, und sodann durch das Blütenblatt symbolhaft der »Transformation« überantworten. Ich gehe los. Das Gehen tut mir gut. Ich hänge meinen Gedanken nach und bringe ein wenig Ordnung hinein. […] Ich laufe bis zu einer Badestelle und werfe »Gelassenheit«, »Gesundheit« und meinen Wunsch, keine Flugangst mehr zu haben, in den See. Wie heimelig es riecht, nach Schilf, Wasser und einer lauen Berliner Nacht, die schon ein wenig die kommende Sommerhitze erahnen lässt. […] Als wir uns alle wieder am Ausgangspunkt versammeln, sind Xenia und Ela bereits im Wasser. Katja zieht sich auch aus und geht hinein und schwimmt. Christiane, wie immer ganz ruhig, packt ihre Sachen ordent-

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Hexen der Großstadt lich zusammen und dann, ohne zu bibbern, stürzt sie sich ebenfalls in den See. […] Ela ruft uns zu: »Großartig, wir schwimmen in unseren Wünschen. Die Krumme Lanke ist der magische Ort unserer Sehnsüchte und die Mondin die Zeugin und Begleiterin«. (Feldnotizen, 04.06.2012)

Seit den 1950er Jahren sind neuheidnische Hexen in der westlichen Hemisphäre und hier vor allem in den Großstädten anzutreffen. Doch so sehr sich die Hexenreligion als noch junges Phänomen darstellt, sind die durch sie propagierten Welt- und Transzendenzvorstellungen tief in den Traditionslinien der westlichen Esoterik und damit der westlichen Kultur und Geschichte überhaupt verwurzelt. Will man also das religiöse bzw. spirituelle Selbstverständnis heutiger Hexen und ihren damit verbundenen Umgang mit der Stadt begreifen, so ist es unabdingbar, vorab darauf zu schauen, welche Quellen der Esoterik und der westlichen Vergangenheit es sind, auf die sie dabei rekurrieren. Wenn ich mich diesen im Folgenden zuwende, so geht es mir nicht um deren schlichte Offenlegung. Vielmehr möchte ich aus der Entstehungshistorie der Hexenreligion heraus die wechselnden Lesarten dieser, teilweise bis in die Antike zurückreichenden Quellen aufzeigen und deren Auswahllogiken hervortreten lassen. Welche Kontinuitäten wurden und werden dabei postuliert und wie die Vergangenheit interpretiert, erinnert und imaginiert und somit festgeschrieben und angeeignet? Für meine Darstellung begebe ich mich zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, nach Großbritannien, wo einzelne geheimgesellschaftliche Vereinigungen sich spirituell in vielfältiger Weise ausprobierten und dabei mit ihren Vorstellungen und Praktiken den Weg für die neuheidnische Hexenreligion entscheidend bereiteten. Schlaglichtartig arbeite ich mich von da zur Gegenwart vor: diskutiere die dauerhafte Proklamation der Hexenreligion durch den Briten Gerald B. Gardner im Jahre 1954 und gehe auf die feministische Umformulierung ein, die die Religion der Hexen in den USA erfuhr, um schließlich in Deutschland, genauer in Westberlin, anzukommen. Anhand der Geschichte wird nicht allein deutlich, wie sehr die Hexenreligion sich in die Linien der westlichen Esoterik und Vergangenheit einordnet, sondern wie sehr sie zugleich die Kunst »aus Altem Neues zu machen« beherrscht. Die Mannigfaltigkeit und das intellektuelle Know-how, mit der neuheidnische Hexen überlieferte Vorstellungen und Praxen aufgreifen und dabei mit neuen Funktionen und Inhalten versehen, ist beeindruckend: Immer wieder wurden kosmologische Parameter und historische Bezüge in der Hexenreligion kritisch geprüft, gewendet, verworfen, wieder aktiviert, dann abermals fallengelassen oder erneut ausgerufen. Im Laufe der Zeit hat sich die Hexenreligion dabei zu einem Gebilde geformt, das sinnbildlich einem Palimpsest gleicht: einem kostbaren Pergament-Schriftstück, das immer wieder

Die Hexenreligion als Palimpsest

überschrieben wurde. Unter einem Text verbirgt sich stets ein weiterer, der aber nie ganz getilgt wurde und der von Zeit zu Zeit hervorkommt, um wieder überschrieben zu werden. Die Übergänge der einzelnen Schichten sind an manchen Stellen verwischt, hin und wieder – mit ein wenig Glück – meint man, das erste, ursprüngliche Manuskript durchschimmern zu sehen. Mit der Metapher des Palimpsests wird die Komplexität der Hexenreligion und der Quellen, aus denen sie sich speist, gut eingefangen. Für den französischen Literaturwissenschaftler Gérald Genette liegt hierin der analytische Reiz – die Schönheit, wie er schreibt – solcher palimpsesthafter Phänomene (Genette 1993: 532). Diese Schönheit möchte ich offenlegen. Dabei bin ich mir zugleich der Problematik der Metapher des Palimpsests bewusst, ist doch das Kennzeichen von (konkreten) Palimpsesten eigentlich und in erster Linie, dass versucht wird, alte Texte, soweit es geht, verschwinden zu lassen, um eine nahezu unbeschriebene Oberfläche wiederherzustellen und zu nutzen. Es geht gerade nicht um die bewusste Integration des Alten in etwas Neues. Mit Rückgriff auf die Überlegungen des Ägyptologen und Historikers Jan Assmann soll dementsprechend die Metapher des Palimpsests definitorisch genauer und dabei zugleich erweitert gefasst werden. In seinem Buch »Moses, der Ägypter«, in der er die Geschichte der Moses-Rezeptionen und damit der sich wandelnden Deutungen des Monotheismus als »Gegen-Religion« von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert erzählt und dabei eine, wie er sie nennt, »Gedächtnisgeschichte« entwirft, nutzt er zur Beschreibung des entstehenden diskursiven Gebildes dieser »Gegen-Religion« ebenfalls das Sinnbild des Palimpsests. Er unterscheidet dabei zwei Formen – er nennt sie das alte und neue Paradigma –, wie mit Palimpsesten konkret und metaphorisch umgegangen wurde und wird und wie sie entstehen: »The old text is erased, and the new text is written on the cleaned surface. […] But some faint trace of the old text usually remains. It is viewed with hatred and abomination. This is the old paradigm. The new paradigm focuses on the old text which is still visible under the new inscription. But instead of seeing in it traces of what has to be rejected and discarded, the paradigm looks upon it as a kind of ›golden ground‹ as that was used in Sienese paintings of the Trecento.« (Assmann 1998: 246)1

Für Hexen und jene, die zur Entstehung und Ausdifferenzierung der Hexenreligion beigetragen haben, sind die unterschiedlichsten Quellen der Esoterik und die Erinnerung an die eigene Geschichte, so kritisch sie damit auch umgehen, genau das: der »Gold-Grund«, den sie aktiv rezipieren. Sie gleichen in ihrer Lesart der Vergangenheit dem, was Assmann als »neues Paradigma«, im 1 | Ich nutze hier die englischsprachige Ausarbeitung von Assmanns Buch, da diese vor der deutschsprachigen erschien.

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Umgang mit der Geschichte von Religionen ausfindig gemacht hat, wodurch sie sinnbildlich gesprochen dem Palimpsest immer weitere Textschichten hinzufügen, manches löschen und vollkommen neu beschreiben wollen. Im Folgenden sind die einzelnen Zeitabschnitte, die ich thematisiere, als jene weiteren, aufgetragenen Textschichten zu verstehen, die ganz eigene Inhalte tragen und in denen doch die vorhergehenden Schichten gezielt, durch spezifische Rezeptionswege, die es aufzuzeigen gilt, zum Bestandteil des neuen Textes gemacht werden. Jeder dieser Abschnitte – jede einzelne Schicht – hat dabei zum charakteristischen Gesamtgepräge der Hexenreligion beigetragen, das das Selbstverständnis ihrer heutigen Protagonist*innen formt. Dieses konturiert sich erstens durch das Für-und-Wider die säkulare, aufgeklärte Welt, zweitens durch die »Wiederentdeckung« einer vorchristlichen Religion und drittens durch die feministische Wendung von Religion/Spiritualität.

F ür und wider die säkul are , aufgekl ärte  W elt  – »The O ccult R e vival« im G rossbritannien des  19. J ahrhunderts Es mag paradox klingen, doch für die Entstehung der Hexenreligion war der Prozess der Säkularisierung, wie er in Europa seit der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert voranschritt, die entscheidende Triebfeder. Als maßgebliches Resultat der Aufklärung musste die Kirche einen gewaltigen politisch-kulturellen Einflussverlust hinnehmen, der sich in der umfassenden Einziehung ihrer Besitztümer durch die jeweiligen Territorialstaaten ausdrückte und sich dabei gleichsam fortschrieb. Religiöse Deutungsmodelle verloren für die weltliche Lebensführung kontinuierlich an Relevanz und die Idee von Rationalität, wie sie vor allem in den Wissenschaften dominant wurde, gewann alltagsweltlich an Überzeugungskraft, also »das Wissen davon oder de(r) Glauben daran: […] daß es […] prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte« gab und »daß man […] alle Dinge […] durch Berechnen beherrschen« konnte (Weber 1985 [19191] 594). »Das aber bedeutete«, wie Max Weber den Bedeutungsschwund von Religion so eindringlich in Worte fasste: »die Entzauberung der Welt« (ebenda). So grundsätzlich und dabei doch differenziert sich diese Entzauberung darstellt und einen Wendepunkt in der europäischen Religionsgeschichte beschreibt, sie kreierte eine nicht weniger bedeutsame Gegenbewegung: den Wunsch, die Vorstellung vom allumfassenden Wirken göttlicher Kräfte, den Glauben an Offenbarung und jenseitige Welten zu bewahren bzw. erneut her-

Die Hexenreligion als Palimpsest

beizuschaffen.2 In der überkommenen Epocheneinteilung wird dieses Bestreben häufig unter dem Stichwort der Romantik subsumiert, einer Ära, die sich schon in der Aufklärung ankündigte und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein datiert wird. Sie figuriert dabei in erster Linie als Antipodin gegenüber aufklärerischen Idealen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die romantische Bewegung und die Hoffnung, doch das ewige Wirken göttlicher Mächte für bzw. in Mensch und Natur offenzulegen, zwar mit den aufklärerischen Ideen von Rationalität in weiten Teilen unvereinbar schien und insofern als »revival of something old,« gesehen werden konnte und als solches auch geschmäht wurde. »But it was a revival with a difference«, wie der Literaturwissenschaftler René Wellek bereits 1949 in seiner Analyse der Romantik anmerkte und fortfuhr: »these ideas were translated into terms acceptable to men who had undergone the experience of the Enlightenment« (Wellek 1949: 171, zit. in: Hanegraaff 1998: 420). Diese Ideen stehen denn auch – stellt man den Fokus schärfer – nicht notwendig konträr zu aufklärerischen Idealen, sondern sie erweisen sich oftmals als eine Synthese und ein erforderliches Korrektiv. Der Kulturwissenschaftler Harm-Peer Zimmermann schlägt dementsprechend vor, die Romantik eher als eine »ästhetische Aufklärung« zu fassen. Es wurden hier Ausdrucksweisen und Vorstellungen entwickelt und ausprobiert, so erklärt er, die – statt auf das menschliche Vermögen, kausale Zusammenhänge zu benennen und die Welt in empirisch gestützte Begrifflichkeiten zu fassen – auch auf die Fantasie setzten, für die das Prinzip der Ursächlichkeit wenig Relevanz hatte und bei der es um überraschende Kombinationen, um Einzigartigkeit und Sinnlichkeit ging. Hierdurch aber wurden Dinge und Phänomene benannt und erfahrbar, die der abstrakten Begrifflichkeit (die bei Kant durch den Verstand hervorgebracht wurden) allzu leicht entglitten und die doch bedeutsam waren. Sie zu berücksichtigen, macht aufklärerische Überzeugungen komplexer und reflexiver (Zimmermann 2001: 59-65, 543-562). Für diese Form der Verschmelzung von Ideen, die eigentlich konträr zueinander gedacht werden – also gewagt formuliert: für diese Form der »ästhetischen Aufklärung« – sind die geheimgesellschaftlichen Organisationen, die ab dem 18. Jahrhunderts in England entstanden und die zu den unmittelbaren 2 | Hierin bestätigt sich in Teilen die von dem Kulturanthropologen Talal Asad entwickelte Kritik an der Säkularisierungsthese: Weder beschreibt die Säkularisierung, wie von Religions- und Sozialwissenschaftler*innen lange deklariert, einen Prozess, der schlicht auf ein religiöses Zeitalter folgt, noch ist dieser Prozess von einem grundsätzlicher Bruch mit religiösen Vorstellungen und Lebenswelten gekennzeichnet. Vielmehr bedingen und durchdringen sich Säkularisierung und die Entwicklung von Religion. Das Säkulare und das Religiöse sind keine essentiell fixierten Kategorien, sondern sind in einem ständigen und sich historisch wandelnden Bezug aufeinander zu begreifen. Asad 2003: 25-26.

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Wegbereiterinnen der neuheidnischen Hexenreligion gezählt werden können, paradigmatisch. Sie sind dabei Teil des häufig zitierten Occult Revival – einer erneuten Rezeption der sogenannten okkulten Wissenschaften: Magie, Alchemie und Astrologie (Hanegraaff 1998: 392-395).3 Als okkult galten sie, weil sie sich mit Dingen und Phänomenen befassten, die kaum oder gar nicht sinnlich wahrnehmbar waren und die im Verborgenen wirkten (Kieckhefer 1992: 22). Man studierte sie, experimentierte und forschte darüber. Das Wissen, das durch die Studien erworben wurde, blieb nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten. Es war geheim und in sich selbst okkult. Dabei traten in der Praxis von Magie, Alchemie und Astrologie religiöses Verständnis und (natur-)wissenschaftliche Einsichten auf das Engste zusammen. Die Zusammenschlüsse, die hier für die neuheidnische Hexenreligion bedeutsam wurden, sind die Societas Rosicruciana in Anglia, die sich 1866 konstituierte sowie die Gemeinschaft The Hermetic Order of the Golden Dawn, die 22 Jahre später aus der Societas hervorging. Sicherlich, es gibt weitere Organisationen, in deren Ausrichtung sich Kontinuitäten erkennen lassen: wie beim Hellfire Club – einer Gruppe von Aristokraten, die sich bereits 1716 in London zusammenfand. Sie verschrieben sich okkulter Praktiken und verehrten zudem die Gött*innenwelt der griechischen Antike. Hauptsächlich jedoch ging es darum, sich sexuell in vielfältiger Weise auszuprobieren. Ein größeres Schriftentum, auf das man sich beziehen könnte, ging daraus nicht hervor. Auch der Ancient Order of the Druids, der 1781 ebenfalls in London gegründet wurde, ist eine Organisation, die auf die Konstituierung der Hexenreligion Einfluss hatte.4 Sie berief sich auf die antike Priesterschaft von Druiden und hat vor allem die Begeisterung für das Keltentum, für die Hexenreligion mitgeprägt. Doch die Societas und der Golden Dawn setzten sich mit Magie, Astrologie und Alchemie in einer Weise auseinander, die in ihrer Komplexität einzigartig blieb. Sie haben den Occult Revival maßgeblich befeuert. Es wurden dabei Vorstellungen und Rituale entwickelt, die eine Vielzahl neureligiöser Gruppierungen des 20. Jahrhunderts – und die Hexenreligion im Besonderen – beeinflusst haben (Otto 2011: 599). Sowohl die Societas als auch der Golden Dawn basierten dabei auf Motiven, die als »romantisch« reüssieren: die Sehnsucht nach einer organischen, sakralen Einheit von Mensch, Kultur und Natur, einer Einheit, die man der aufgeklärten, sich zunehmend urbanisierenden Welt gegenüberstellte, die man als 3 | Hanegraaff meint, dass der Okkultismus des 19. Jahrhunderts eine Form war, esoterische Ideen mit der »entzauberten Welt« in Einklang zu bringen, Hanegraaff 1998: 423. Zu Bestandteilen der Esoterik siehe weiter unten im Kapitel. 4 | Zur Geschichte der Druiden in Großbritannien siehe Huttons detaillierte Ausarbeitung: Hutton 2009.

Die Hexenreligion als Palimpsest

unnatürlich, aufgespalten und autoritär wahrnahm. Alle zwei Gruppierungen begeisterten sich in diesem Zusammenhang für die als heidnisch bezeichnete Gött*innenwelt der Antike, der Golden Dawn – unter dem Einfluss der sogenannten Ägyptenmode des 19. Jahrhunderts – insbesondere für das ägyptische Pantheon.5 Man blickte dabei nostalgisch zurück auf längst entschwundene Vergangenheiten. Die okkulten Wissenschaften schienen der Schlüssel zu sein, durch den der ideelle Verlust, den man erfuhr, getilgt werden konnte und man erlebte, wie alles mit allem zusammenhing und man die Fähigkeit hatte, in den Lauf der Welt einzugreifen. Doch zugleich pflegten diese Organisationen zutiefst »aufgeklärte« Einstellungen: Die Mitglieder waren davon überzeugt, dass es eine Wahrheit, wie sie die Schriften der großen Religionen für jetzt und alle Zeit verkündeten, nicht gab. Solch eine Wahrheit, die außerhalb von einem/r Selbst lag, stellte ein »irrationales Dogma« dar.6 Nur durch und in sich selbst konnte man diese erkennen und übernahm dabei selbstbewusst Verantwortung für das eigene Handeln. Ganz gewiss sollte man sich dabei nicht nur der Magie, Astrologie und Alchemie, sondern auch den modernen, »materiellen« Wissenschaften, wie sie auch genannt wurden, zuwenden: sich mit Naturgesetzen gleichermaßen befassen wie mit dem kritischen Studium und Prüfen historischer wie philosophischer Quellen. Moina MacGregor Mathers (1865-1928), eine der wichtigsten Protagonistinnen des Golden Dawn, brachte die Einstellung und das synthetisierende Anliegen rückblickend so auf den Punkt: »Material science would appear to be spiritualizing itself and occult science to be materializing itself. If not clasping hands, they are certainly making tentative attempts in that direction. The Ancient Wisdom, the Sacred Books, taught that we cannot understand

5 | Ausführlich zur »Ägyptenmode«/»Ägyptomanie« im Okkultismus bzw. in der Esoterik im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert siehe Curl 1994. Ausgelöst bzw. fortgeschrieben wurde die europäische Rezeption der Geschichte, der Gött*innenwelt und der materiellen Kultur des alten Ägyptens (unter dem Vorzeichen, hier die Anfänge der menschlichen Geschichte zu finden), nicht zuletzt durch den Ägyptenfeldzug Napoleons, wodurch auch Artefakte des alten Ägyptens nach Frankreich bzw. Europa gelangten. Bedeutsam war der Fund des Steins von Rosette, durch den Champollion 1822 die Hieroglyphen entziffert konnte. 6 | Das bedeutete nicht, dass man sich in den Organisationen vom Christentum abwendete. Gerade die Societas machte es zur Voraussetzung, Christ zu sein. Dies hielt jedoch nicht davon ab, die Christliche Lehre und die Kirche für ihre Dogmen und das offensichtliche Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung mit den heiligen Schriften zu hinterfragen.

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Hexen der Großstadt Matter without understanding Spirit, that we cannot understand Spirit without understanding Matter«. (Mathers 1926: vii/viii)

Hermetik, Kabbala, Magia Naturalis und Initiation – Die Londoner Vorlage für die neuheidnische Hexenreligion Wie sich »spirit and matter« zu einer ersten kosmologischen und rituellen Vorlage zusammenfügten, deren Elemente für die Konstituierung der Hexenreligion einflussreich waren, ist eine wechselvolle und schwer zu entwirrende Geschichte. Einiges davon wurde schon oft erzählt. Manches ist vage und ungeklärt. Vieles bleibt umstritten. Eines aber steht fest: Der zentrale Schauplatz ist London, eine der modernsten und größten Städte der Welt in jener Zeit. Bisher ist diesem Datum kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Dabei ist es ein bedeutsamer Befund, denn er zeigt abermals, wie eng sich spirituell-religiöse Innovationen an das Erlebnis und den Kontext der Großstadt binden. In London, in dieser »monster city«, wie Henry Mayhew (1812-1887) die Stadt ob ihrer schieren Ausmaße nannte (Mayhew 1852: 224), schien sich das Gefühl der Entfremdung von den göttlichen Kräften, von der Natur, sich selbst und anderen zu katalysieren. »Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Zweck hat, die Welt der Atome ist hier auf ihre höchste Spitze getrieben«, so beschrieb Friedrich Engels (1820-1885) das Lebensgefühl in der Stadt. (Engels 1892 [1845¹]: 24). Er empfand es als »brutale Gleichgültigkeit«, diese Blasiertheit und Individualität der Großstädter*innen, doch genau sie gab die nötige Freiheit und das Potential, sich ohne größere soziale Kontrolle auszuprobieren und alternative – spirituell-okkulte – Weltsichten zu erdenken und so den gefühlten Riss zwischen sich und dem Göttlichen zu kitten. In der Millionenbevölkerung war zudem die Chance gegeben, trotz der Vereinzelung, eine relevante Zahl von Gleichgesinnten zu finden, die das Bedürfnis, die Intellektualität sowie Zeit und Geld mitbrachten, sich damit auseinanderzusetzen. Die Kulturgeschichte Londons jener Zeit ist eben nicht allein durch eine vibrierende Theater- und Schriftstellerszene mit »neuen Frauen« und »dekadenten Männern« gekennzeichnet, sondern auch durch ein lebhaftes Interesse am Okkultismus.7 Dabei hatte sich die Beschäftigung 7 | Siehe hierzu ausführlich: Beckson 1992. Insbesondere die Kapitel: »The Damnation of Decadence« (32-70). Dekadenz impliziert für Beckson: »an aesthetic vision rather than a moral, social or artistic decline« (32). Er beschreibt in dem Kapitel, wie vor allem Schriftsteller in London – in dem Fall Männer – sich gegen den Vorwurf der Dekadenz wehrten, indem sie in ihren Romanen Dekadenz als einen positiven Wert darstellten gegenüber der Viktorianischen »acquisitive, insensitive, unimaginative world with all its morality, sincerity and seriousness,« (45). Zu den Schriftstellern, die sich gegen die Vik-

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mit okkulten Phänomenen und Forschungen – das Grenzgängertum zwischen Religion und Wissenschaft – in die Geschichte Londons fest und prominent eingeschrieben. Als diskursive Ressource lag sie bereit und hatte die Potentialität wieder aufgegriffen zu werden. Sie prägte London atmosphärisch8: Nicht nur John Dee (1527-1609), der bekannte Mathematiker und christliche Kabbalist des 16. Jahrhunderts sowie der Alchemist Dr. Chaim Jacob Falk (1708-1782), den selbst Giacomo Casanova in Liebesdingen um magisch-spirituellen Rat gebeten haben soll, hatten hier gewirkt und dauerhaften, über die Stadt hinausreichenden Ruhm erlangt (Glinert 2006: 76).9 Auch Francis Barrett (wahrscheinlich 1774-1830) war Einwohner der Stadt gewesen, ein Apotheker und selbsternannter »Professor for Chemistry, natural and occult Philosophy, the torianische Gesellschaft in ihre Moralität auflehnten und dabei Dekadenz neu belegten, zählten Algernon Swinburne, George Moore, Oskar Wilde (dessen Frau Constance Mary Wilde im Golden Dawn aktiv war) und der Illustrator Aubrey Beardsley. Zu den »neuen Frauen« siehe das Kapitel »The New Woman«, 129-159. Die »neuen Frauen« – ein damals entstandener Begriff – wehrten sich gegen überkommene Rollenmuster, wonach Frauen sich vor allem durch Heirat und Mutterschaft definierten. Sie traten für das Frauenwahlrecht ein sowie für ökonomische und sexuelle Gleichberechtigung und gleiche Bildungschancen. »Neue Frauen« haben allerdings für sich persönlich mitunter eher konservative Werte vertreten (z.B. hoher Wert der eigenen Ehe). Habituell konnten »neue Frauen« daran erkannt werden, dass sie in der Öffentlichkeit rauchten, allein Fahrrad fuhren und sogenannte Reformkleidung trugen (z.B. Hosenrock). Vorerst nur ein Modell für die gehobene Mittelklasse, avancierte die »neue Frau« auch zu einer Vorlage für Frauen der Arbeiterklasse. Zu den »neuen Frauen« zählten unter anderem die Londoner Schriftstellerin Ella Hepworth Dixon (1855-1932) wie die Frauenrechtlerin Millicent Garrett Fawcett (1857-1929) wie auch die Frauen des Golden Dawn. 8 | Hier greife ich auf Martina Löws Raumtheorie (die sie konkret auf Städte bezieht) zurück. Sie vermerkt dabei: Die »Außenwirkung sozialer Güter und Menschen bleiben nicht einfach als verschiedene Wirkungen nebeneinanderstehen, sondern entwickeln im gemeinsamen Arrangement eine eigene Potentialität. In der Zusammenschau verschiedener Außenwirkungen entstehen […] spezifische Atmosphären, die dann […] aktiv aufgegriffen werden müssen« (Löw 2001: 204). Sie fügt wenig später an: »Raum ist eine an materialen Sachverhalten festgeschriebene Figuration, deren spürbare unsichtbare Seite die Atmosphäre ist« (ebenda: 205). 9 | Wie sehr sich die Praxis des Okkultismus in London historisch und atmosphärisch eingeschrieben hat, zeigt sich daran, dass auch gegenwärtig Stadtführer publiziert werden, die ausschließlich durch das »okkulte London« führen, siehe Coverley 2007. Wenn Joanne K. Rowling in ihrer Harry-Potter-Serie (1997-2007) die britische Hauptstadt zu einem wichtigen Schauplatz macht und exemplarisch mit einer kompletten magischen Parallelwelt ausstattet, so könnte das als ein weiterer Verweis auf die kulturelle Wirkmächtigkeit des okkulten Motivs für London gelesen werden.

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Cabala, &c, &c.«. Er schrieb ein kompilatorisches okkultes Werk »The Magus« (Barrett 1967 [1801¹]) und unterhielt zudem eine Schule für »Natural Philosophy, Natural Magic, the Cabala, Chemistry, the Talismanic Art, Hermetic Philosophy, Astrology, Physiognomy etc. etc.« (Barrett 1967 [1801¹], Bd.2: 140).10 Der Naturforscher und begeisterte Okkultist Emanuel Swedenborg (1688-1772) wohnte ebenfalls eine Zeit lang in London, wo er auch begraben wurde.11 Hier hatte er eine seiner entscheidenden Visionen, in der ihm seine Bestimmung als Stifter einer neuen Religionslehre offenbart worden sein soll. Seine Londoner Anhängerschaft trug maßgeblich zur Institutionalisierung der Swedenborgischen New Church bei.12 Neben diesen wichtigen und engagierten Personen im Bereich der Magie und Alchemie verfügte London über rührige Buchhändler, die okkulte Literatur sammelten und vertrieben. John Denley, der einen Buchladen in der Nähe von Covent Garden betrieb, hat sogar als Romanfigur überlebt (Bulwer-Lytton 1853; siehe auch Davies 1999). Neben diesem geschichtlich bereiteten Potential aus Strukturen und (Vor-) Denkern okkult-spirituellen Wissens bot die Stadt schließlich und vor allem eine über Jahrhunderte fest etablierte geheimgesellschaftliche Struktur: Die Stadt war eine der Zentralen des Freimaurertums. 1717 formte sich hier die erste freimaurerische Großloge – eine repräsentative, bald überregional operierende Vereinigung von Freimaurer-Gruppierungen in ganz England. Mit ihrer Gründung wurde ein grundsätzlicher Übergang der Freimaurerei von einer in erster Linie Berufsvereinigung des Bauhandwerks hin zu einer Institution vollzogen, in der unter dem Schwur der Geheimhaltung Interessierte, ungeachtet der Profession, Zugang fanden und mit der schrittweisen Initiation spirituelle Erfahrungen machen und sie unter Gleichgesinnten diskutieren konnten – ein Erlebnis freilich, dass vorerst Männern vorbehalten war. Genau aus diesen Londoner freimaurerischen Strukturen rekrutierten sich denn auch die Gründungsmitglieder der Societas und ihres Sprosses Golden Dawn.13 Zur Societas gehörte unter anderem Kenneth Mackenzie (1833-1886), der sich hauptberuflich den okkulten Wissenschaften zuwandte, aber auch als Übersetzer sehr geschätzt wurde. Der hochangesehene Londoner Freimaurer Robert Wentworth Little (1838/40-1878) sowie der Arzt William Robert Wood10 | Zu Barrett siehe Otto 2011: 513-518. 11 | 1908 wurde der Leichnam nach Uppsala, Schweden überführt und dort im Dom – wo bereits die Mutter und sein Bruder beerdigt wurden – erneut beigesetzt. Siehe hierzu Duner 2013: 13; Hultkrantz 1910: 10-27. 12 | Zu Swedenborg siehe Jonsson 1971; ebenfalls: Hanegraaff 1998: 424-429. 13 | Zur Geschichte des Golden Dawn und dabei auch der Societas sind bereits einige sehr quellenreiche Studien erschienen: z.B. Gilbert 1983; King 1989; Howe 1972. Ronald Hutton bietet ebenfalls eine gute Einführung: Hutton 1999; wie auch Otto 2011: 564-600. Hierauf beziehe ich mich in den folgenden Ausführungen.

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man (1828-1891) waren ebenfalls Mitglieder wie auch der Buchhalter Frederick Hockley (1809-1885). Er hatte zeitweise in Denleys Buchladen gearbeitet und verfügte hierdurch über ein äußerst umfängliches Wissen okkulter Schriften. Der Golden Dawn öffnete sich nachdrücklich für Frauen.14 In dem am 1. März 1888 gegründeten Isis-Urania-Tempel in London –wie die erste Gruppe des Golden Dawn hieß – waren über 40 Prozent Frauen anzutreffen, die in allen Funktionen innerhalb der Vereinigung Männern gleichgestellt waren.15 Gerade das macht diese Vereinigung für heutige Hexen zu einer entscheidenden Bezugsgröße. »Das war eine totale Veränderung zu dem, was bei den Rosenkreuzern und Freimaurern zu finden war«, unterstreicht Curtis (Interview, 04.09.2014). Sie beschreibt die nicht nur proklamierte, sondern auch praktizierte Gleichheit von »Männern und Frauen in allen Funktionen, in allen Graden und in allem, was war«, als eine »magische Emanzipation«, die mit vom Golden Dawn initiiert wurde und für die Hexenreligion maßgeblich ist (ebenda). Diese Form der gleichwertigen Behandlung im Golden Dawn hob allerdings nicht geschlechterspezifische Zuschreibungen und Unterscheidungen auf. So wurden Mann und Frau als die zwei Hälften eines Ganzen betrachtet: Sie standen komplementär zueinander und bildeten zusammen eine Einheit. »She develops and perfects the forms created by men«, so brachte ein männliches Mitglied die Vorstellung zu Papier. Dabei galt, dass Frauen, da sie eine »große natürliche Sensibilität« besäßen, eine besondere Fähigkeit zur Magie hätten (zit. in: Bogdan 2009: 258). Mit Blick auf die Mitglieder sind vor allem das Ehepaar Samuel Liddell (1854-1918) und Mina MacGregor Mathers (ab der Heirat mit Samuel 1890 nannte sie sich Moina) zu nennen, die sich hauptberuflich mit okkulten Studien beschäftigten. Finanziell unterstützt wurden sie dabei eine Zeit lang von William Wynn Westcott (1848-1925), einem Gerichtsmediziner, der zusammen mit Mathers und Woodman an der Gründung des Golden Dawn entscheidend mitwirkte und – wie Woodman aber auch Mathers – schon Mitglied der Societas war. Die damals berühmte Schauspielerin Florence Farr (1860-1917) sowie Annie Horniman (1860-1937), die in der englischen Theaterwelt für Innovationen sorgte und eine zentrale Geldgeberin für den Golden Dawn war, als auch die irische Nationalistin Maud Gonne (1866-1953) und der Schriftsteller 14 | Eine detaillierte Betrachtung der zentralen Frauen-Persönlichkeiten und ihren Biografien bietet: Greer 1995. Greer stellt heraus, wie sehr sich die Mitwirkung im Golden Dawn auch für Frauen mit einem gegenkulturellen Selbstverständnis verband. 15 | Von 229 Mitgliedern im Jahr 1900 waren 133 Männer und 96 Frauen. Bogdan 2009: 245-262, hier: 253f. Man muss mit Blick auf die proklamierte Gleichheit aller vorsichtig sein – in den Folgeorganisationen des Golden Dawn, z.B. im Stella Matutina, der bedingt durch die Auswanderung einer der Initiatoren vor allem in Neuseeland sehr aktiv war, waren höhere Positionen/Grade wieder stark von Männern dominiert.

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William Butler Yeats (1865-1939) zählten zu weiteren wichtigen Persönlichkeiten des Golden Dawn. Der skandalumwobene, teilweise des Satanismus verdächtigte Aleister Crowley (1875-1947) trat auch dem Golden Dawn bei.16 Sein zweifelhafter Ruf wird zwar in der Wissenschaft heute noch benannt, doch hier gilt er als der »bedeutendste Magier des zwanzigsten Jahrhunderts« (von Stuckrad 2004: 194). Unter den heutigen Protagonist*innen der Hexenreligion bleibt Crowley jedoch wie kaum eine andere historische Figur hoch umstritten, wobei es vor allem um seine Einstellung gegenüber Frauen geht, die als geringschätzend eingestuft wird. Diese Wertung kann gewiss nicht uneingeschränkt gelten. So trat Crowley, der sich selbst als »the fiercest of feminists« (Grant/ Symonds 1969: 695)17 bezeichnete, nachdrücklich dafür ein, dass Frauen in okkulten Organisationen in Führungspositionen kamen – eine bedeutsame Geste in einem traditionell männerdominierten Feld (Kaczynski 2010: 150). Trotzdem wird er von einigen Hexen als Vertreter misogyner Vorstellungen gesehen, »der die Magie vor allem verwendet hat, um selbst zu Ruhm zu kommen« (Feldnotizen, 28.02.2014). Der Societas wie auch dem Golden Dawn ging es allgemein darum, die »großen Geheimnisse der Natur« zu erforschen und die Mitglieder dabei zu ermutigen, die Hermetik und die Kabbala zu studieren (Hutton 1999: 72f., Gilbert 2005: 544-550). Beide Lehren sind grundlegende Quellen der westlichen Esoterik, die auf der Vorstellung von einer alles durchströmenden kosmischen Kraft beruhen. Alles ist mit allem verbunden, in sich göttlich und ordnet sich nicht allein durch Kausalitäten, sondern vor allem durch Entsprechungen. Es gilt: wie innen so auch außen, wie oben so auch unten.18 Bei der Hermetik, 16 | Sir Arthur Conan Doyle, Arzt und Autor der berühmten Sherlock-Holmes-Romane, war mit den Mitgliedern des Golden Dawn gut bekannt, trat der Vereinigung aber nie bei, wie in einigen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen, inklusive Wikipedia, angenommen wird. In einer der jüngsten Fortschreibungen der Sherlock-Holmes-Romane lässt der Autor Holmes und Watson mit Aleister Crowley zusammentreffen, kurz nachdem er sich mit dem Golden Dawn überworfen hat. Dies mag die Idee, dass Arthur Conan Doyle Mitglied im Golden Dawn gewesen sei, diskursiv gestärkt haben. Es zeigt sich mit dem Roman zugleich die popkulturelle Aneignung der Geschichte des Londoner Occult Revival (Adams 2011). 17 | Gleichwohl man diese Einschätzung auch als Selbstironie lesen könnte oder auch als eine Ironisierung der Freimaurerei (er deklariert seinen Feminismus in diesem Zusammenhang), die so erpicht auf Titel ist. 18 | Antoine Faivre hat 2001 eine heuristische Definition der Esoterik als Denkform aufgestellt. Er postuliert vier bzw. sechs Grundzüge der Esoterik auf: 1. Das Denken in Entsprechungen: Alle Teile des Universums sind miteinander verbunden und ordnen sich symbolhaft zueinander – wie unten so auch oben, wie innen so auch außen. 2. Der Kosmos stellt ein komplexes, beseeltes System dar, das von einer lebendigen Energie

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genauer dem »Corpus Hermeticum«, handelt es sich um eine Sammlung von griechischen Traktaten, die mehrere Gelehrte niedergeschrieben haben sollen und das zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert u.Z. entstand (Hanegraaff 1998: 391).19 Der italienische Philosoph, Mediziner und Humanist Marsilio Ficino (1433-1499) hatte das Werk im 15. Jahrhundert vom Griechischen ins Lateinische übertragen, was für dessen Übersetzung in andere Sprachen und somit für die Verbreitung entscheidend war. Man hielt die Hermetik für die direkte Offenbarung des griechisch-ägyptischen Gottes Hermes-Thot, auch Hermes Trismegistos genannt, der »dreimalgrößte Hermes«. Es wurde geschätzt, dass er älter als Platon und sogar Moses war und der Menschheit ein »Urwissen« bot (von Stuckrad 2004: 90, Hanegraaff 1998: 390).20 Dieses bestand aus der Philosophia perennis – einer Art Fluss von Überlegungen, bei denen spirituelle Vorstellungen philosophisch durchdacht wurden (Schmidt-Biggemann 1998: 49-94, bes. 49-63) – und der Einsicht in die Wirkmächtigkeit von Astrologie, Alchemie und Magie – also wieder den okkulten Wissenschaften. Die Kabbala ist wesentlich jüngeren Datums, entstand im jüdisch-rabbinischen Kontext zirka im 12. Jahrhundert und wurde im 13. Jahrhundert verschriftlicht. Hierin wird von zehn göttlichen Wirkungskräften – den Sephirot – ausgegangen, die in überaus komplexer Weise miteinander in Verbindung stehen. Dargestellt werden sie meist in Form eines Baumes, der damit zu einem vollkommenen Abbild göttlicher Wirkmacht gerinnt. Ziel des Studiums war es letztlich, Möglichkeiten zu entdecken, durch die die universelle, göttliche Kraft zu beeinflussen war. Kurzum, es ging vor allem und in erster Linie – insbesondere im Golden Dawn – um die Praxis von Magie. Dabei sah man sich durch die Idee der Magia naturalis inspiriert, wie sie seit der Neuzeit konzeptionell profiliert wurde: »Die Natur ist voller Zauberdurchflossen wird. 3. Das Wissen um die Entsprechungen erfordert hohe symbolische Vorstellungskraft (Imagination) und wird durch spirituelle Autoritäten, in Ritualen offenbart (via Meditation). 4. Die Erfahrung der Transmutation – es gibt eine Parallele zwischen äußerem Handeln und innerem Erleben. Der Mensch wird auf seinem spirituellen Weg geläutert (»erleuchtet«) und erlebt eine innere Metamorphose. 5. Es wird nach Konkordanz gesucht – man versucht den gemeinsamen Nenner, das »Urwissen« aller Lehren zu finden. 6. Es kann die Transmission oder Initiation gelten. Lehren werden durch spirituelle Meister weitergegeben (Faivre 2001: 24-34). 19 | Hanegraaff macht jedoch darauf aufmerksam, dass trotz dieser Datierung, Einflüsse aus wesentlich älteren – vor allem ägyptischer – Traditionen im »Corpus Hermeticum« aufgegriffen wurden. Siehe Hanegraaff 1998: 391 (FN). 20 | 1614 wurden erstmals Zweifel daran geäußert, dass es sich bei dem »Corpus Hermeticum« um die direkte Offenbarung von Hermes handelte. Erst ab diesem Zeitpunkt begann man die Schrift zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert u.Z. zu datieren. Siehe Hanegraaff 1998: 390f.

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kraft«, so hatte Marsilio Ficino das naturmagische Verständnis einstmals auf den Punkt gebracht (zit. in: Kieckhefer 1992: 170). Die göttliche, den Kosmos durchströmende Kraft wurde mithin als Teil der Natur verstanden. Magie – die Möglichkeit diese Kraft zu beeinflussen – konnte also den Gesetzen der Natur nie entgegenlaufen. Wichtig für den naturmagischen Gedanken war zudem die Idee der Übertragung: Wenn also auf einen Punkt innerhalb der universellen Kraft eingewirkt wird und somit auf ein Element im allumspannenden Kosmos – egal wie schwach oder wie stark – hatte das Einfluss auf alle anderen Elemente. Um diese naturmagischen Vorstellungen zu verfeinern, studierten die Mitglieder neben der Hermetik und der Kabbala eine Vielzahl anderer Schriften. Dazu zählten unter anderem die frühneuzeitlichen Klassiker der Magie: allen voran John Dee und Agrippa von Nettesheim (1486-1535). Hinzu kamen Niederschriften, die zum »Clavicula Salomonis« (Schlüssel Salomons) zusammengefasst wurden und die Beschwörungs- und Anrufungsformeln enthielten, deren Urheberschaft man auf König Salomon zurückführte. Mathers hatte sich die Mühe gemacht, die vorhandenen Manuskripte des Britischen Museums in die englische Sprache zu übersetzen und unter dem Titel »The Key of Salomon the King« zu publizieren.21 Er übertrug ebenfalls Teile der von Christian Knorr von Rosenroth (1636-1689) im 17. Jahrhundert edierten »Kabbalah Denudata« – eine Übersetzung kabbalistischer Texte – ins Englische und gab sie unter dem Titel »Kabbalah Unveiled« heraus. Als entscheidend stellten sich auch die Bücher des französischen Okkultisten Eliphas Lévis (1810-1865)22 sowie vereinzelt antike Überlieferungen, beispielsweise graeco-ägyptische Papyri zur Magie, die vage auf das zweite Jahrhundert v.u.Z. datiert wurden (Hutton 1999: 76; Goodwin 1852: iii) dar. Schließlich muss noch auf die Theosophie verwiesen werden: Vor allem im Golden Dawn war man von deren Einsichten 21 | Mathers war davon überzeugt, dass die originalen, in Hebräisch verfassten Manuskripte verloren gegangen waren, die lateinischen Manuskripte zirka im 17. Jahrhundert erstellt wurden, die Beschwörungen und Sprüche allerdings direkt von König Salomon stammten. Sein Golden Dawn-Mitstreiter Arthur Edward Waite hingegen ging davon aus, dass es sich dabei um (früh-)neuzeitliche Überlieferungen handelte, die nichts mit dem historischen Salomon zu tun hatten – eine Überzeugung, die heute die gängige und anerkannte ist (siehe Mathers 2000 [1889¹]): IXf). 22 | Wie wichtig der Einfluss des Okkultisten Eliphas Lévis alias Alphonse Luis Constant insbesondere auf den Golden Dawn war, wird allein daran ersichtlich, dass eines der Golden Dawn-Mitglieder, Arthur Edward Waite, sein Werk »Dogme et rituel de la haute magie« ins Englische übersetzte. Das Buch erschien unter dem Titel »Transcendental Magic. Its Doctrine and Ritual. By Eliphas Lévis. A Complete Translation of ›Dogme et rituel de la haute magie‹ with a Biographical Preface. By Arthur Edward Waite« London 1896.

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und Praktiken und der vertretenen »Weisheit des Ostens« – also der sich eng an den Kolonialisierungsprozess bindenden Hinwendung zu und Aneignung von hinduistischen wie buddhistischen Vorstellungen, wie sie in den indischen Gebieten anzutreffen waren, – angetan.23 Man pflegte in London einen überwiegend freundschaftlichen Umgang mit solch schillernden Persönlichkeiten wie Helena Blavatsky (1831-1891) und Anna Kingsford (1846-1888). Viele der Mitglieder im Golden Dawn waren zugleich in der Theosophischen Gesellschaft tätig.24 Aus dieser Vielzahl von rezipierten Schriften und regen Kontakten formte sich ein Konglomerat okkulter wie spiritueller Ansichten, das mit einem neun- (Societas) bzw. zehnstufigen (Golden Dawn) Initiationssystem unterlegt wurde. Mit dieser Einweihungsfolge lehnte sich die Societas an das System des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer an, in den MacKenzie – so gab er jedenfalls vor – bereits initiiert war (Gould 1936: 314). Man sah sich hier in deren Nachfolgeschaft und griff auf den Entstehungsmythos der Rosenkreuzer zurück.25 So handelt es sich bei den Rosenkreuzern um Anhänger eine Lehre, die auf einen gewissen Christian Rosencreutz zurückgeht. Dieser soll im Mittelalter nach Arabien und Ägypten gereist sein und das »Buch der Natur« – »Liber Mundi« – studiert, also Wissen zur Pflanzen- und Tierwelt und zu den Mineralien angehäuft haben. Er machte sich auch mit der Kabbala vertraut. In dem Büchlein »Fama Fraternitas«, das 1614 erschien und seine Lebensgeschichte enthält, wird er als ein Universalgelehrter dargestellt, dem durch die Erkenntnisse, zu denen er gelangte, gewahr wurde, wie sehr sich Mikro- und Makrokosmos spiegeln und dass sich diese Einsicht zwar mit dem christlichen Glauben, nicht aber mit dessen Dogmatik vereinbaren ließ, weshalb er eine eigene Bruderschaft aus Gelehrten gründete. (Peuckert 2003 [1951¹]: 567-578). Im Golden Dawn folgten die Einweihungen der symbolischen Grundstruktur des kabbalistischen Lebensbaums, wo jeder Grad eine der zehn Sephirot repräsentierte. Indem man sie durchlief, machte man sich frei vom »niederen Selbst«, von Egoismen und alltäglichen Bedürfnissen und Affekten und bereit für die Berührung und Verschmelzung mit dem »Higher Genius«, dem alles 23 | Siehe zur Entwicklung der Theosophie im Kontext des britischen Kolonialismus unter besonderer Beachtung des aufkommenden indischen Nationalismus: Lubelsky 2012. Siehe auch: Goodrick-Clarke 2004. 24 | Zu dem teils wechselvollen Verhältnis zwischen dem Golden Dawn und der Theosophischen Gesellschaft (auch mit der Hermetic Society, geleitet von Anna Kingsford) siehe van Egmond 1998: 311-346. 25 | 1870 veröffentlichte Hargrave Jennings, ebenfalls wohl Mitglied der Societas, sein Buch »The Rosicrucians, their Rites and Mysteries« in London. Hiermit stattete er die zeitgenössischen Rosenkreuzer mit einer großartigen Geschichte aus, die weit in die Geschichte der Menschheit zurückreichte und letztlich auch antike Wurzeln hat.

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durchfließenden göttlichen Prinzip (Regardie 1984: 59f, 215f., 1012; Otto 2011: 577-585). Dabei waren der eigene Wille und die Fähigkeit zur Imagination entscheidend – Magie wurde genau unter diesen Voraussetzungen möglich und ereignete sich vor allem im Kopf. Wie es in einem der Lehrtexte für die Anwärter*innen auf die höheren Grade hieß: »[I]magination is a reality. When a man imagines he actually creates a form on the Astral or even on some higher plane; and this form is as real and objective to intelligent beings on that plane, as our earthly surroundings are to us … To practice magic, both the Imagination and the Will must be called into action, they are co-equal in the work […] When […] the two are conjoined – when the Imagination creates an image – and the Will directs and uses that image, marvelous magical effects may be obtained«. 26

Diese Überzeugung, dass Magie vor allem eine Frage der eigenen Vorstellungskraft ist und der Fähigkeit, diese willentlich zu lenken, war bereits in naturmagischen Konzepten der Neuzeit angedeutet (Daxelmüller 2001: 218-232, hier: 223). Hier nun, im Golden Dawn, profilierte man diesen Gedanken weiter. Dabei fanden Wissensformen Eingang, wie sie in der sich zu diesem Zeitpunkt etablierenden Psychoanalyse ebenfalls anzutreffen waren: Magie wurde ein Stück weit psychologisiert und zunehmend mit der Chance gleichgesetzt, sich selbst auf einer psycho-religiösen Ebene zu erkennen und zu verändern. Erst hierdurch wurde es möglich, die Welt, in der man lebte, nach eigenem Willen und im Einklang mit dem »Higher Genius« umzugestalten. In diesem Zusammenhang stand man der Manipulation der materiellen, »äußeren« Welt zum bloßen eigenen »inneren« Wohlbefinden sehr kritisch gegenüber. Wie der Religionswissenschaftler Bernd-Christian Otto detailliert herausgearbeitet hat, standen »[v]ielmehr klassisch religiöse Motive wie Askese und Selbstlosigkeit, Demut und Gottesverehrung, Liebe und spirituelle Weiterentwicklung in den Dokumenten des Ordens im Vordergrund« (Otto 2011: 593). Mit dieser spezifischen Idee von Magie als Mittel zur »inneren« Veränderung sowie dem Initiationssystem und der Vielfalt von Bezügen auf Quellen westlicher Esoterik aktivierten und modellierten die Societas und der Golden Dawn ein religiös-okkultes Repertoire, das mit der später verkündeten Hexenreligion aufgegriffen und fortgeschrieben wurde. Die symbolischen Grundbestandteile finden sich in den Ritualen der heutigen Hexen in erstaunlicher Ähnlichkeit wieder. Im Golden Dawn wurden sie 26 | Es handelt sich hier um eine sogenannte »Flying Role« – Lehrtexte, die eigens für Kandidat*innen der höheren Grade verfasst wurden. Die »Flying Roles« sind online verfügbar: www.hermeticgoldendawn.org/hogdframeset.html. Hier wird aus der Flying Role V zitiert: Some Thoughts on Imagination by V.H. Frater Resurgam (Dr. Edmund William Berridge), letzter Zugriff: 05.02.2017.

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entscheidend zusammengefügt. Hier ist nicht nur auf die elaborierten Einweihungen zu verweisen, die durch die Freimaurerei/Rosenkreuzer und durch kabbalistische Vorstellungen inspiriert sind. Auch die zu Beginn eines (Initiations-)Rituals erfolgende Anrufung der vier Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde gehört dazu – sie wurden im Golden Dawn maßgeblich ausformuliert. Antike Vorstellungen der aristotelischen Vier-Elemente-Lehre trafen hier auf Agrippas ausführliche Darlegungen zur »natürlichen Qualität« der Elemente (Regardie 1984, Bd. 2: 53, Bd. 9: 79f.) und trugen zugleich Levis’ Handschrift, der in Anlehnung an die Schrift »Clavicula Salomonis« meinte, dass wenn man die Elemente anriefe, man sie sich auch dienstbar machen könnte. Dabei hat der Golden Dawn das System von Entsprechungen bezüglich der Elemente entscheidend ausformuliert und praktiziert. Nicht allein waren Elemente den Himmelsrichtungen zugeordnet, sie wurde zudem durch spezifische magische »Werkzeuge« angerufen und durch Tarotkarten symbolisiert. Folgende grundständige Analogien ergaben sich hier, die in Abwandlung auch für gegenwärtige Hexen signifikant sind. Element

Himmelsrichtung

Magisches Werkzeug

Tarotkarte

Luft

Osten

Dolch

Die Schwerter

Feuer

Süden

(Zauber-)Stab

Die Stäbe

Wasser

Westen

Kelch

Die Kelche

Erde

Norden

Pentakel

Die Pentakel

Schließlich erfolgte die Herstellung eines geweihten Raumes für das Ritual – heutige Hexen würden sagen: das Ziehen des magischen Kreises – unter anderem dadurch, dass man die Elemente durch die Zeichnung imaginärer, sogenannter beschwörender Pentagramme in die Luft zeichnete, wobei hier die Lehren des Eliphas Levi anklingen.27

Verschlungen und direkt: Rezeptionswege Gewiss, wenn heutige Protagonist*innen wie Xenia den Kreis ziehen, die Elemente beschwören und dabei mit einem Magiebegriff operieren, der zentral auf den Willen und die eigene Vorstellungskraft setzt, beziehen sie sich kaum konkret auf den Londoner Occult Revival und sie benennen auch den Golden Dawn nicht notwendig als einen Vorläufer, der für solch eine Praxis den Weg

27 | Zur Bedeutung des »magischen Kreises« bereits im Mittelalter vgl. Kieckhefer 1992: 184-186.

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geebnet hat. Die Rezeptionswege sind eher verschlungen und überlagert als geradlinig und klar einzusehen. Allerdings gibt es Momente, in denen werden historische Verweise auf den Golden Dawn und auf einzelne seiner Akteur*innen und Nachfolger*innen erstaunlich direkt vorgenommen – das Initiationssystem ist hierfür exemplarisch. Es erfreut sich unter einigen neuheidnischen Hexen seit geraumer Zeit größten Zuspruchs, ist in Berlin wiederbelebt und verändert worden. Der promovierte Philosoph Frater V. .A.·., der eine Lokalgröße der Berliner Okkultismus-Szene ist und auch Kontakt zu neuheidnischen Hexen pflegt, hatte daran wesentlichen Anteil. Er entwickelte aus dem zehnstufigen Einweihungssystem des Golden Dawn eine neue Form der sogenannten Pfadarbeit. In der Begrifflichkeit und Konzeption bezieht er sich auf eine Entwicklung von Dion Fortune. Sie wiederum war in einer von Moina Mathers gegründeten Nachfolgeorganisation des Golden Dawn (der sich 1900 auflöste) aktiv und hat später eine eigene Vereinigung in Fortschreibung des Golden Dawn – The Fraternity of Inner Light – in London gegründet. Dion Fortune (alias Violet Mary Firth, 1890-1946) hatte die Idee, die Initiation entlang des kabbalistischen Lebensbaums ganz ins imaginierte Abschreiten der Pfade, die die Sephirot verbinden, zu verlagern, statt auf real durchgeführte Rituale zu setzen (Fortune 1987). Es sind meditative Reisen in die immaterielle, spirituelle Welt.28 Ihr ging es dabei eher um eine Erfahrung mit dem Göttlichen, die für alle gleich sein sollte und dabei stark an die Symbolik der Freimaurerei und des Golden Dawn gebunden blieb. Das Berliner System hingegen ist für die hoch-individualisierte, urbane Welt des 21. Jahrhunderts gewendet worden. Das Abschreiten der zehn Sephirot dient nicht mehr – wie im Golden Dawn und bei Dion Fortune – einer Gruppenbildung von Eingeweihten und damit in weiten Teilen auch als Mittel der Distinktion. Das Anliegen ist ein anderes geworden. Um es mir verständlich zu machen, hatte Frater V.·.A.·. bei unserer Begegnung am Kurfürstendamm eine Abbildung des Lebensbaums auf sein Smartphone geladen. Während ich darauf blickte, erklärte er: »[…] letztlich geht es in der Kabbala darum, Gott zu schauen«. Doch, so fügte er an: »Ein heutiger Psychologe würde sagen, sich selbst zu erkennen« und er definierte daraufhin einen therapeutischen Wert der Pfadarbeit, den er mit einem spirituell-holistischen verband:

28 | In ihrem Buch »Die mystische Kabbala« (1987, englisch: The Mystical Qabalah. 1935. London: Ernest Benn), in dem sie diese Initiationen entwickelte, sprach sie meist von Meditationen, mitunter auch von hypnoseähnlichen Techniken. In »Psychic Self-Defense« von 1930 definiert sie diese Techniken näher als »deutliche Träume« »in denen man seine Fähigkeit der freien Wahl, der Willenskraft und des Urteils behält«: Fortune 1930 (dt. 2000): 119.

Die Hexenreligion als Palimpsest »Es geht darum, keine gespaltene Persönlichkeit zu sein. Wir müssen heute alle der Gesellschaft etwas vormachen und so tun als ob, immer mit Masken vor dem Gesicht. Irgendwann können die Leute die Masken von ihrem wahren Ich nicht mehr unterscheiden und zerfallen in viele Einzelteile. Sie wissen nicht mehr, wer sie selbst sind. Die Kabbala ist eine Methode, diese Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenzufügen und zum Schluss – das ist dann die Vorstellung von Gott – als Einheit zu sein, sich als eins zu erleben«.

Das ist jedoch kein statisches, einmaliges Ereignis, sondern ein dynamischer, sich wiederholender Vorgang (Interview, 29.9.2014). Einweihungsgrade und damit ein hierarchisierender Zugang zu religiösen Erfahrungen sind nicht mehr bedeutsam. Dies meint auch Anna, die seit über 10 Jahren in einer Hexengruppe aktiv ist und diese Pfadarbeit zusammen mit anderen Hexenschwestern, wie sie ihre Mitstreiter*innen nennt, durchlief: »Das sind Äußerlichkeiten, auf so etwas lege ich keinen Wert,« bringt sie es auf den Punkt und definiert die Pfadarbeit letztlich als einen immerwährenden Auftrag, sein »wahres Selbst« zu erkennen: »Selbst, wenn du die Pfadarbeit durchläufst, wirst du nie zu dem Punkt kommen, wo du sitzt und sagst: ›So, jetzt habe ich es geschafft.‹ Das kann nie sein: ›Jetzt bin ich hier oben, jetzt bin ich Hohepriesterin, jetzt bin ich erleuchtet, jetzt weiß ich alles.‹ Für mich ist klar, dass das eine lebenslange Aufgabe ist: sich selbst erkennen, immer weiter zu wachsen, sich weiter zu transformieren«.

Das ist die »magische Arbeit für dich persönlich« und das, so schlägt sie den Bogen, macht für sie »das Hexesein« aus (Interview, 04.09.2014). Noch etwas hat sich in Bezug auf den Golden Dawn getan. So war das, was die Männer und Frauen in dieser Vereinigung betrieben, eine Form der sogenannten »hohen«, der zeremoniellen Magie, die sie in kreativer Weise tradiert haben: also elaborierte Rituale, in denen die Einheit mit einer allumfassenden göttlichen Kraft, die das Universum durchwirkt, beschworen wurde. Dies unterschied man klar von einer »niederen« Magie – einer Magie, die half, praktische Probleme des Alltags schnell und ohne größeren Aufwand zu lösen. Doch die alltäglichen Herausforderungen in einer Stadt wie Berlin scheinen diese Unterscheidung obsolet werden zu lassen – zum Beispiel was die Parkplatzsuche betrifft: ein leidiges Berliner Thema, das im Zusammenhang mit Magie gern unter neuheidnischen Hexen diskutiert wird. »Zwischen hoher und Alltagsmagie unterscheide ich nicht mehr,« meint denn auch Faye während eines Interviews zu mir, in dem wir über die Geschichte der Magie sinnieren, »ich besorge mir den Parkplatz über das Universum genauso gerne wie ich theoretisiere, philosophiere oder ritualisiere. Der Aufwand und der Einsatz bestimmter Techniken richtet sich immer nach dem Ziel« (Interview, 07.06.2014).

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Wie für Anna ist auch für Faye Magie ein zentraler Bestandteil ihres Hexeseins. Die Figur der Hexe, die für beide so wichtig ist, taucht im Londoner Occult Revival und in der Societas wie dem Golden Dawn – auch bei genauerer Betrachtung – jedoch kaum auf. Wann und wie kam sie ins Spiel und führte schließlich zur Proklamation der Hexenreligion? Wie gestalten sich die eingangs angesprochenen verschlungenen Rezeptionswege, auf denen sich die religiös-okkulten Vorstellungen des 19. Jahrhunderts fortschrieben und mit neuen Inhalten und historischen Bezügen verbanden? Darum soll es im Folgenden gehen. Dabei wird – um beim Bild des Palimpsests zu bleiben – eine frische Textschicht aufgetragen, in der es um die »Wiederentdeckung« einer vorchristlichen Religion geht. Sie wurde maßgeblich von einer einzelnen Person geschaffen bzw. beschrieben: dem Kolonialbeamten und Hobbyanthropologen Gerald B. Gardner. Seit seinen jungen Erwachsenenjahren und gerade auch durch seine Erlebnisse in den kolonialen Gebieten und den hier praktierten spirituellen Vorstellungen war er auf der Suche nach einer Religion, die zu ihm passte und hatte auch Okkultes ausprobiert. So ließ er sich mit Mitte 20 in die Freimaurerei initiieren und fühlte sich von der Theosophie angezogen. Später war er in dem Ancient Order of the Druids aktiv. Auch der Ordo Templis Orientis (O.T.O.) interessierte ihn. Dieser Orden tauchte erstmals 1904 in Deutschland auf und sah seinen Ursprung in der mittelalterlichen Tempelritter-Gemeinschaft. Innerhalb weniger Jahre gründeten sich Dependancen in England wie auch in den USA. Aleister Crowley persönlich führte zeitweise den O.T.O. an. Er war es auch, der Gardner dazu anhielt, für den O.T.O. in England Mitglieder zu gewinnen, um ihn so vor dem Verschwinden zu retten. Doch zu diesem Zeitpunkt begann sich Gardner für einen anderen Kult zu interessieren: Erst als er der Welt die Religion der Hexen verkündete, schien er religiös angekommen zu sein.

D ie »W iederentdeckung « einer alten R eligion – D ie  P rokl amation der H e xenreligion Zum Zeitpunkt als Gardner die Existenz einer Hexenreligion proklamierte und damit zu dauerhaftem Ruhm gelangte, ging er bereits auf die 70 zu. Er muss eine imposante Erscheinung gewesen sein: »With his halo of snow-white hair, his pointed beard, the voluminous pockets from which he produced an astonishing variety of objects, and the long handled geologist’s hammer which he used as a walking stick, he seemed at the very least, a man out of the ordinary,«

Die Hexenreligion als Palimpsest

so erinnert sich der Kurator des Victoria and Albert Museums James Laver 1960 an seine erste Begegnung mit Gardner (Laver 1960: 6). Gardner galt als sehr geistreich, mitunter etwas kauzig: ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler, mit dem man sich gut über die Absurditäten des Lebens amüsieren konnte (Lamond 2004: 8). Über die Jahre hinweg sind eine Vielzahl von Veröffentlichungen entstanden, in denen die Kontexte, aus denen heraus Gardner agierte, detailliert beleuchtet werden (Bracelin 1960; Valiente 1973; Guiley 1989: 133f.; Kelly 1991; Adler 1997: 60-66, 78-86; Hutton 1999: 241-252; ders. 2012: 285306; Lamond 2004; Rensing 2006: 59-64; Neger 2009: 53-80; Kunstreich 2011: vor allem 31-42). Die Frage, inwiefern die in seinen Schriften offerierten Darlegungen auf tatsächlichen Gegebenheiten beruhten und ob die eigenen Erlebnisse, die er schilderte, wirklich so stattgefunden haben, wird dabei immer wieder gestellt.29 Denn Gardner gab in seinen Büchern mit den Titeln »Witchcraft Today« und »The Meaning of Witchcraft«, die ab Mitte der 1950er Jahre erschienen, etwas Erstaunliches vor, nämlich eine Religion wiederentdeckt zu haben. Er führte aus, dass das Wissen darum heute noch lebende Hexen besäßen, denen er selbst, in der Gegend um New Forest, begegnet sei. Zwar sei er bereits Ende der 1930er Jahre auf sie gestoßen, aber erst dann konnte er straffrei von ihrer tatsächlichen Existenz berichten. Dies ging darauf zurück, dass 1951 der sogenannte »Witchcraft Act« in England abgeschafft wurde. Bis dahin konnten Personen, die meinten, Hexen zu sein und/oder beispielweise für sich deklarierten, mit Geistern zu kommunizieren und die Zukunft voraussagen zu können oder allgemein »Magie zu betreiben« – oder dessen verdächtig waren – angeklagt werden.30 Gardner erzählte, dass die Hexen ihn in ihren Kreis initiiert hätten – er war jetzt selbst Hexe. Sie hätten ihm die Erlaubnis gegeben, in Teilen von ihnen zu berichten. Ihre rituell-magischen Handlungen seien Überbleibsel einer 29 | Siehe hierzu die Diskussion von Aidan A. Kelly, der herausstellt, dass letztlich jede Religion über einen spezifischen Gründungs-/Stiftungsmythos verfügt. Die Spannung zwischen »Mythos« (von Kelly gedacht als »historisch nicht belegbar«) und »Geschichte« (von Kelly gedacht als »historisch belegbare Ereignisse«) ist ein Moment, das Religionen ausmacht – religiöse Strömungen erst zu einer Religion formt (siehe Kelly 1991: 8-11). 30 | Aidan A. Kelly bezweifelt allerdings, dass der Grund dafür, dass Gardner erst ab 1954 in nicht-fiktionalisierter Form über die Hexen berichtete, im Fall des Witchcraft Act lag. Für ihn stellt es sich so dar, dass die Gruppe von Hexen in New Forest nie proklamierte, einer alten Religion mit Kontinuitäten bis ins Mittelalter oder gar in die Steinzeit zu folgen. Unter anderem deshalb wollten sie nicht, dass Gardner von ihrer Existenz berichtete. Als dann allerdings 1951 ihre Anführerin Dorothy Clutterbuck starb (es gab sie, aber ob sie wirklich eine Hexe und überhaupt in der Gruppe von New Forest je aktiv war, wird mittlerweile bezweifelt, siehe Hutton 1999: 205-212), sah Gardner den Weg frei, an die Öffentlichkeit zu gehen (siehe Kelly 1991: 44).

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Religion, die heidnische Wurzeln hätte, weit in die Steinzeit zurückreiche und über Jahrhunderte im Geheimen ausgeführt wurde (Gardner 1954: 43). Die Hexen glaubten an die Vielfalt der Götter und Göttinnen, die aus einer alles durchdringenden, göttlichen Kraft entsprang, was Gardner selbst als hermetisch-neuplatonisch inspiriert sah (Gardner 1959: 26f., Magliocco 2004: 27f.). Er bemühte sich in seinen Büchern immer wieder, die historischen Wurzeln ihrer Rituale und Vorstellungen genauestens zu lokalisieren und zu erklären. So machte er sie zwar allgemein in der Steinzeit aus und sah dabei den Ursprung der Rituale im Bemühen liegen, die existentiellen Bedürfnisse der Gemeinschaft (zum Beispiel gute Ernte, Gesundheit) zu befriedigen, woraus sich schrittweise Mythen wie der von einer großen fruchtbaren Göttin entwickelt hätten (Gardner 1954: 32). Einige rituelle Handlungen waren auch aus einer Art »inneren«, mythologischen Vorstellungswelt hervorgegangen – aus dem Nachdenken über so grundlegende Dinge wie Geburt und Tod (Gardner 1954: 42). Für erste konkrete – auch schriftliche – Überlieferungen vor allem für Letzteres verwies er allerdings auf antike Mysterienkulte (Gardner 1954: 8292). In Großbritannien sah er die Anfänge der Religion bei dem sagenumwobenen »Little Folk«, womit er das »Volk der Feen« meinte, das, so Gardner, als eine Pygmäen-ähnliche »Rasse« tatsächlich in Europa, insbesondere in den Highlands, auf den Western Isles und der Isle of Man schon in vorkeltischen Zeiten, also vor dem 6. Jahrhundert v.u.Z., existiert hätte, jedoch dann vom Christentum erbarmungslos verfolgt und verdrängt wurde (Gardner 1954: 6281). Schon zu Lebzeiten von Gardner kamen Zweifel an seinen Beschreibungen und Erläuterungen auf. Er mochte durchaus auf Menschen getroffen sein, die sich Hexen nannten und sicherlich oder wahrscheinlich hatte er auch an deren Ritualen teilgenommen. Doch das, was er niederschrieb, ließ sich bei genauerer Lektüre kaum als eine »alte Religion« bezeichnen. Von wissenschaftlicher Seite – hier der Folklore Society, deren Mitglied Gardner seit 1939 war – hieß es, dass das Hexentum zwar ein interessantes Thema sei, aber Gardners Beschreibungen und Analysen, so das vernichtende Urteil, »can hardly be regarded a serious contribution to a very complex and highly controversial subject« (Bonser 1955: 313). Selbst Gardners engste Mitstreiter*innen, wie Frederic Lamond, der sich begeistert in einen Hexenkreis initiieren ließ, bezweifelten die historischen Grundlagen, mit denen Gardner die Hexenreligion ausstattete. Wie Lamond fast mitleidig über den »alten Gentleman« anmerkte: »Good old boy! He is trying so hard to persuade us that there is a continuous tradition stretching back to the Middle Ages if not the Stone Age, whereas we all know that this is utterly unprovable, and that even today’s family traditions might not go back further than the occult revival of the 1890s«. (Lamond 2004: 14)

Die Hexenreligion als Palimpsest

Doch so sehr die Wiederentdeckung einer alten Hexenreligion akademisch fragwürdig erschien und selbst Praktizierende scharfsinnig die Prägung durch den Occult Revival ausmachten, so sehr referierte Gardner in den Grundlagen der Hexenreligion überaus gängige wissenschaftliche wie gesellschaftliche Überzeugungen. Dies erklärt, warum er in den Reihen der Akademie überhaupt wahrgenommen wurde. Nicht allein die Hexe war eine gute Bekannte in der Wissenschaft und als Repräsentantin einer vorchristlichen Religion bereits eingeführt. In Gardners Topos von einer Religion, deren Überbleibsel er durch seine Veröffentlichung bekannt machen wollte, spiegelten sich die Survival-Theorien, wie sie Edward Tylor (1832-1917) und James Frazer (18541941) so einflussreich für die Entwicklung von Kultur und Religion weltweit entworfen hatten. Wie genau Gardners Bezüge auf diese Theorien wie auch auf die akademisch entwickelten Hexenvorstellungen zu verstehen sind, wird deutlich, wenn man sich in gebotener Kürze die Konzepte von Tylor und Frazer nochmals vor Augen führt, um sodann den Fokus schärfer auf die Figur der Hexe zu stellen.

»Von Überlebseln und Wiederbelebtem« 31 – Religion als Relikt der Vergangenheit Tylor und Frazer zufolge ordnete sich die Geschichte der Menschheit entsprechend einem evolutionistischen Prinzip: von »primitiven Stammeskulturen« (wie man meinte sie in den Kolonien des britischen Empires vorzufinden) hin zur »Zivilisation« (deren krönende Spitze die Kolonialmacht Großbritannien verkörperte). Die Entwicklungsleiter vom »Niederen« zum »Höheren«, vom »Einfachen« zum »Differenzierten« war wiederum stark durch die Rezeption von Charles Darwin (1809-1882) und seinem Buch »Die Entstehung der Arten« wie auch durch Herbert Spencers (1820-1903) Idee zur Gesetzmäßigkeit des Fortschritts geprägt (Darwin 1859; Spencer 1857). Tylor selbst machte auf die Ähnlichkeiten aufmerksam, versuchte sich aber zugleich von Darwin und Spencer abzugrenzen, indem er betonte, dass er seine Ergebnisse nach anderen Kriterien ordnen würde – was diese »anderen Kriterien« waren, erklärte er allerdings nicht (Tylor 1874: vii-viii). Auf der höchsten Stufe der menschlichen Entwicklung, davon ging Tylor in seinem Modell aus, gäbe es sogenannte »Survivals – Überlebsel« – mitunter auch »Revivals – Wiederbelebtes«, aus vorhergehenden Evolutionsstufen. Aus seiner Perspektive gehörten hierzu: der »Aberglaube« (superstition) mit seinen animistischen Vorstellungen, die 31 | Mit dem heute ungewohnten Begriff »Überlebsel« für »survival« greife ich auf die bis heute einzige deutsche Übersetzung von Tylors monumentalem Werk »Primitive Culture« aus dem Jahr 1874 zurück. Hier wird »survival« konsequent mit »Ueberlebsel« wiedergegeben (Tylor 1874).

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auch in den okkulten Wissenschaften bzw. dem modernen Spiritualismus zu finden waren, sowie allgemein mythische, religiöse Vorstellungen (Tylor 1874: 112-159).32 Auch Frazer war von solchen Überlebseln überzeugt. In seinen Untersuchungen zur Entwicklung von Religion entwarf er eine Evolutionsleiter, die drei Stufen umfasste: Magie, die für ihn den frühen Versuch der Menschen beschrieb, in den Gang der Welt einzugreifen und bei dem man bereits ähnlich wie die Wissenschaft von Gesetzmäßigkeiten in der Natur ausging, aber eher implizit. Die Zeremonien, die man sich in diesem Zusammenhang erdachte und so hoffte, das Dasein zu beeinflussen, wurden mit einer Nomenklatur und Geschichte von Geistern und Göttern unterlegt (z.B. Frazer 1913ᶟ, IX, 374). Insgesamt aber sei das Verständnis von der natürlichen Ordnung falsch gewesen. Die daraus resultierende Erfolglosigkeit von Magie führte zur nächsten Stufe: der Religion, in welcher sich der Mensch eingestand, die natürliche Ordnung doch nicht erkennen und kontrollieren zu können und sich demütig einer vermeintlich höheren Macht unterwarf. Da Menschen stets hinterfragen und die Gabe zur genauen Beobachtung haben, so meinte Frazer, wurde ihnen allmählich gewahr, dass es doch keine Gött*innen oder Geister geben konnte und sie erkannten die »wahre Ordnung« der Natur: das Zeitalter der Wissenschaft setzte schließlich ein (Frazer 1913ᶟ, IX (2), 304-309). Religiöse und magische Vorstellungen verschwanden damit aber noch nicht, sie überlebten als Relikte der Vergangenheit und dies, so schätzte Frazer seine Gegenwart ein, sogar in der Mehrheit der Bevölkerung – vor allem aber unter der ländlichen Bewohner*innenschaft. Für ihn war es nur die akademische Elite, die bereits auf der wissenschaftlichen Kulturstufe angekommen war. Fortschritt, so gab der religionskritische Frazer zu Bedenken, war allerdings nur möglich, wenn die ganze Gesellschaft auf diese Stufe gelangen würde. Wie es im Schlusswort des »Golden Bough« emphatisch heißt:

32 | Tylor benutzte den Begriff »okkulte Wissenschaften«, wie sie zu seiner Zeit praktiziert wurden, synonym zu »modernem Spiritualismus«. Er folgte dabei einer damals gebräuchlichen Praxis. Animismus wiederum umfasste für Tylor zwei Dinge: zum einen die Vorstellung, dass ein Wesen nach seinem Tod und dem Verfall seines Körpers weiterexistiert – seine Seele bleibt in einer nichtmateriellen, spirituellen Welt vorhanden. Zum anderen betrifft es die Überzeugung von der Existenz spiritueller Wesenheiten – Gottheiten –, die die Ereignisse in der materiellen Welt beeinflussen und kontrollieren. Menschliches Handeln kann ihren Zorn erwecken, sie aber auch sanftmütig stimmen. Animismus sah Tylor als die »unterste Stufe« in der Entwicklung der Menschheit und ihren religiösen Vorstellungen an (Tylor 1874: 426f.). Tylor offerierte viele Beispiele für den »Survival« animistischer Vorstellungen (ebenda: 144, 461, 463, 466, 483).

Die Hexenreligion als Palimpsest »It is probably not too much to say that the hope of progress – moral and intellectual as well as material – in the future is bound up with the fortunes of science, and that every obstacle placed in the way of scientific discovery is a wrong to humanity«. (Frazer 1913 ᶟ, IX (2): 306)

Frazers wie Tylors Studien waren allein in ihrem Seitenumfang monumental und ihre Theorien derart fundamental, dass sie über Jahrzehnte die Forschungsperspektiven dominierten. Vor allem die britischen Folklore Experts der Folklore Society – studierte Fachleute und Autodidakt*innen, die sich für die Bräuche, Sitten und das Sagen- und Märchengut vor Ort interessierten – sahen in Frazer und Tylor die Chance, ihre Studien endlich als eine Wissenschaft zu etablieren, in der es vor allem darum ging, durch die Betrachtung der ländlichen Bevölkerung die Weltsicht und das Leben der nationalen Vergangenheit exakt zu rekonstruieren. Doch unter einigen dieser Expert*innen kam auch Unbehagen im Umgang mit Tylors and Frazers Theorien auf. Dies äußerte sich beispielsweise darin, dass sie nicht gewillt waren, Religion, Magie und (mit eingeschlossen) den Okkultismus einzig als historische Relikte zu betrachten, die auf falschen und »irrationalen« Annahmen beruhten und die es in der Zukunft nicht mehr geben sollte. Selbst Andrew Lang (1844-1912), eines der führenden Mitglieder der Folklore Society und ein »devoted Tylorian« (Marett 1936: 104), protestierte dagegen, den aufkommenden modernen Spiritualismus in Großbritannien als ein animistisches, dem Prinzip der Irrationalität folgendes Überlebsel abzutun.33 Für ihn stellten die hier praktizierten Vorstellungen ein überaus modernes Phänomen dar, das der Vernunft nicht notwendig zuwiderlief. Vielmehr schien es sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinbaren. Um dies nachzuweisen, engagierte er sich in der Society for Psychical Research – ein Sammelbecken eines Teils der intellektuellen und politischen Elite Großbritanniens (die sich in London konzentrierte) – mit Mitgliedern wie dem Premierminister William E. Gladstone (1809-1898), dem Kunsthistoriker John Ruskin (1819-1900) und dem Naturforscher Alfred Russel Wallace (1823-1913).34 Die Gesellschaft widmete sich der empirischen Untersuchung okkulter Phänomene, um deren Ursache und Wirkung wissenschaftlich genau zu erklären. Für einige Wortführer*innen der Folklore Society allerdings war Lang mit sei33 | Ausführlich zu Andrew Lang und seiner Rolle in der Folklore Society und der Etablierung der Folklore Studies als eine Wissenschaft siehe Dorson 1999: 206-220. Zu der Auseinandersetzung um den modernen Spiritualismus siehe insbesondere ebenda: 215-216. 34 | Eine genaue Darstellung der Rolle der Society of Psychical Research innerhalb der intellektuellen Elite Großbritanniens, die ihren Kristallisationspunkt in London hatte, siehe Asprem 2014: 266-274.

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nem Engagement dem »Aberglauben« aufgesessen. Seine Einwände wurden zwar heftig diskutiert, aber letztlich abgelehnt.35 Auf Gardner hatte diese Debatte, auch wenn er Jahre später agierte, Auswirkungen. So bezog er sich in seinem proklamatorischen Buch »Witchcraft Today« direkt auf Frazer, um den »Survival«-Charakter der Hexenreligion zu unterstreichen. Zugleich aber kennzeichnete er diese Religion als etwas unbedingt Bewahrenswertes, was keinesfalls verlorengehen durfte. Er sah darin eine Wiedergutmachung für die Hexenverfolgung der frühen Neuzeit – die »Burning Times«, wie er sie nannte (Gardner 1959: 11). Zudem schienen für ihn die Hexenreligion und vor allem ihr Verständnis von Magie – hier war er wiederum der Argumentation von Andrew Lang sehr nahe – modernen, wissenschaftlichen Weltvorstellungen keineswegs entgegenzulaufen. Im Gegenteil, sie nahmen sie oftmals vorweg. Er illustrierte dies am Beispiel der magischen Idee von Hexen, allein durch den Besitz von persönlichen Dingen einer Person in Kontakt mit dieser zu kommen und von ihr beeinflusst zu werden. Hier hätten Wissenschaftler*innen bis vor einigen Jahren noch behauptet, dass dies vollkommener Nonsens sei, bemerkte Gardner. Aber nichts Anderes besage die in der Medizin inzwischen entdeckte Ansteckungsmöglichkeit, die auch durch Gegenstände, mit der eine Person in Kontakt kam, gegeben ist, ohne dass letztere leibhaftig vor Ort sein müsse. Womöglich sei auch die von Hexen vertretene Radiästhesie – die Lehre von einer allgegenwärtigen Strahlung, die nur von besonders feinfühligen Menschen wahrgenommen werden kann (zum Beispiel via Wünschelrute, Pendel) – wissenschaftlich fundiert, zumindest wurde dies von Mediziner*innen, Forscher*innen wie auch Priester*innen mit größter Ernsthaftigkeit untersucht (Gardner 1954: 152-154). Jenseits dieser Darlegungen beschrieb Gardner die Kosmologie und Praxis der Hexen vornehmlich als eine Form religiöser Naturverehrung, wobei er nicht müde wurde, zu betonen, wie alt dieser Kult sei. Dabei stellt sich die Frage, wie es dazu kam, dass Gardner Hexen – vorchristliche Zeiten – Naturverehrung in so enge Beziehung zueinander setzte. Hierfür muss man die Figur der Hexe betrachten und wofür sie ideell und historisch-kulturell steht. So mochte Gardner (vielleicht) berichten, was er unter den Männern und Frauen in New Forest erfahren und erlebt hatte. Vielmehr allerdings war sein Bild von Hexen, das er entwarf, von Vorstellungen geprägt, wie sie seit dem 19. und verstärkt seit Beginn des 20. Jahrhunderts tradiert wurden. Die Hexe galt, wie bereits erwähnt, als Bewahrerin einer alten Religion. Gardner holte sehnsuchtsvoll eine historische Figur in die Gegenwart. Wie diese Vorstellungen modelliert wurden und wer dabei Gardner besonders beeinflusst hat, soll im 35 | Beispielhaft für die Kontroverse und ihre Tonlage ist eine Diskussion zwischen Lang und dem damaligen Präsidenten der Folklore Society Edward Clodd, wie sie im Folklore Journal 1895 geführt wurde: Clodd 1895: 54-82, bes. 78-81; Lang 1895: 236-248.

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Folgenden geklärt werden. Diese Rückschau ist wichtig, offenbart sie doch mit besonderer Anschaulichkeit das palimpsesthafte Selbstverständnis heutiger Hexen – wie viele historische Bezüge hier (bewusst und unbewusst) zum Ausdruck kommen.

Die Hexe – Der Topos von der Bewahrerin einer alten Religion Für die historische Situierung und Festschreibung der Figur der Hexe sind die Studien des ersten Präsidenten der Folklore Society George Laurence Gomme maßgeblich. Gomme (1853-1916) war ein ehrgeiziger und talentierter Wissenschaftler. Sein Verständnis von Geschichte und Kultur war tief von der Tylorschen/Frazerschen »Survival«-Theorie geprägt. Insbesondere in »Ethnology in Folklore« – einem seiner wichtigsten Werke – bot er dementsprechend eine Rundumschau von Sitten, Bräuchen und Legenden, wie sie in Großbritannien gepflegt und von eifrigen Sammler*innen (nicht Gomme selbst, er widmete sich ausschließlich der Analyse, bemühte sich aber, die Methoden des Sammelns zu systematisieren und als eine Art Leitfaden den Sammler*innen an die Hand zu geben) zusammengestellt wurden, und er destillierte kulturell-ethnische Überlebsel heraus.36 Auf diese Weise, das war Gommes erklärtes Ziel, konnte er die Geschichte Großbritanniens nicht allein in neuartiger, sondern vor allem auch in wissenschaftlich-allgemeingültiger Weise rekonstruieren. Der Hexe als Bewahrerin eines archaisch-heidnischen Kultes kam in seinen Betrachtungen eine prominente Rolle zu. Sie wurde dabei aus der deutschen Gelehrtenwelt, wo sie als solche kurz zuvor reüssierte, in den wissenschaftlichen Kontext Großbritanniens gebracht. In »Ethnology in Folklore« gab sie in der Rolle einer Bewahrerin ihr Debüt. So meinte Gomme – ausgehend von Jacob Grimms (1785-1863) Ausarbeitungen für die Deutsche Mythologie  – in den Märchenhexen sowie aus den Protokollen der Hexenprozesse des Vereinigten Königreiches, die Relikte eines alten Kults wiederzuerkennen. Dieser sei von einer »vor-arischen Rasse«, ausgeübt worden – einer Art europäischen »Urbevölkerung«. Im keltischen Bereich, so Gomme weiter, wurde dieser Kult vor allem von Druiden praktiziert. Als Letztere durch die »arische Rasse«37 36 | Ausführlich zu Gomme, seiner Rolle in der Folklore Society, und seinen historischen, theoretischen wie methodischen Annahmen, die er vertrat, siehe Dorson 1999: 220-229. Dorson zählt ihn zum »great team of folklorists« (neben Gomme auch Andrew Lang, Alfred Nutt, Edwin Sidney Hartland, Edward Clodd und William Alexander Clouston), die durch ihre Vielzahl von Veröffentlichungen und Diskussionen maßgeblich zur Etablierung der Folklore Studies als Wissenschaft beigetragen haben (Dorson 1999: 202-206). 37 | Gomme ging in seinen Ausführungen von der damals gängigen sogenannten »Arierhypothese« aus, wonach die Basis der westlichen Kultur durch »arisch-stämmige« Men-

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verdrängt wurden, traten an ihre Stelle die Hexen (Gomme 1892: 58f.).38 Als Priesterinnen, so der Autor, sorgten sie für den Erhalt der rituellen Praxis und der damit verbundenen religiösen Vorstellungen der Druiden. Ein anderer (Hobby-)Folklorist, der ebenfalls bereits Ende des 19. Jahrhunderts zur Auffassung gelangte, dass es sich bei den Hexen um Vertreterinnen einer alten Religion handle, und der auf die Idee einer Hexenreligion maßgeblichen Einfluss hatte, war der Amerikaner Charles Leland (1824-1903). Unter den Folklorist*innen Englands und vor allem auch in der okkultistisch-spiritistischen Szene Londons, wo er jahrelang lebte, war er wohlbekannt (Hutton 1999: 141-148; Magliocco 2004: 44-46; Wiedemann 2007: 237f.). Wie Gardner ging er in seinen Schriften davon aus, dass es Hexen immer noch gäbe  – schließlich, so führte er aus, war er ihnen selbst begegnet. Das Textmaterial, das er in seinem Buch »Aradia« hierzu bereithielt, beschrieb detailliert die religiöse Kosmologie und die Rituale der Hexen. Demnach stand im Mittelpunkt der religiösen Verehrung die Göttin Diana und deren Tochter Aradia. Diana hatte Aradia zur Erde geschickt, um den Menschen den Hexenkult zu lehren – die Rituale und die Kunst der Magie. Leland führte aus, dass Hexen stets zu Vollmond ihre Rituale feierten und dabei nackt waren. Zudem gab er an, auf welche magische Weise Diana angerufen wurde und welche Sprüche es gab, um beispielsweise das Glück »herbeizuholen«, die Liebe eines anderen zu gewinnen oder ganz pragmatisch eine gute Weinernte zu haben (Leland 1990). Die Authentizität des Zusammentreffens von Leland mit Hexen ist in Folkloristenkreisen lebhaft hinterfragt worden. Was man gesichert sagen kann, ist, dass »Aradia« eine Zusammenstellung »volkstümlicher« Weisheiten und Sprüche darstellt, gemischt mit Lelands politischen wie gegenkulturellen Auffassungen. In dieser Mischung hat Lelands »Aradia« das Hexen-»Revival« in mehrfacher Hinsicht geprägt, insbesondere in der Zentralität der Göttin Diana als Göttin der Hexen, der rituellen Nacktheit und der Idee, dass Hexen sich vor allem zu Vollmond treffen (Magliocco 2004: 46). Auf Gardner und sein Verständnis von den Hexen und deren Religion hatten die Schriften der Ägyptologin Margaret Murray (1863-1963) den wohl unmittelbarsten Einfluss. Murray hatte 1921 ihr Buch »The Witch-Cult of Western Europe« veröffentlicht. Sie richtete darin ihre Aufmerksamkeit auf die Hexenprozesse des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa und stellte die These auf, dass die verfolgten Hexen eine vorchristliche Religion praktizierten, die die Inquischen aus Asien (Indien) gelegt worden sei, die als Eroberer nach Europa kamen (siehe Ackerman 1975: 117). 38 | Wie Hutton herausstellt, hatte Gomme hierzu keinerlei weitere Forschung betrieben. Er zitierte Jacob Grimm so, als hätte dieser bereits nachgewiesen, dass Hexen die Bewahrerinnen einer alten heidnischen Religion waren, was Grimm aber nicht hatte (siehe: Hutton 1999: 149).

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sitoren als Teufelsanbetung jedoch missverstanden hatten. Es hätte sich dabei nämlich um Relikte eines Fruchtbarkeitskults gehandelt, der im Wandel der Jahreszeiten begangen wurde und in dem der gehörnte Gott (den Christ*innen irrigerweise als Teufel interpretierten), verehrt wurde.39 In den Jahren zuvor hatte Murray bereits fünf Artikel zu dieser Thematik veröffentlicht.40 Gerade in der Zeitschrift, die von der Folklore Society herausgegeben wurde, war man voll des Lobes. Man sah in Murrays Überlegungen berechtigterweise Ähnlichkeiten mit Frazers Thesen im »Golden Bough«, wo davon ausgegangen wurde, dass vorchristliche Riten sich aus dem jahreszeitlichen Wechsel ergaben und einen Fruchtbarkeitskult darstellten (Burne 1917: 453). Die Grundlagen für eine erfolgreiche Buchveröffentlichung waren (eigentlich) gut ausgelegt. Doch Murray erntete zugleich viel Kritik. Denn ihre Ausführungen beruhten auf einer allzu freien Auslegung und teilweise bewussten Manipulation von Quellen. Zudem entbehrten die Darlegungen grundlegende Kenntnisse historischer Zusammenhänge. Geschichtsexpert*innen stellten dies früh und unerbittlich heraus (W.R. Halliday 1922: 224-230; Simpson 1994: 89-96, besonders: 91). Doch so sehr die Forscherin dafür vom akademischen Publikum gescholten wurde, so sehr popularisierten sich ihre Thesen außerhalb der Universität. Ihr späteres Buch »The God of the Witches«, in dem sie abgeschwächt die gleichen Befunde wie in »The Witch-Cult« offerierte, wurde in den 1940er Jahren zu einem Bestseller (Hutton 1999: 200). Gardner kannte Murray persönlich. Er hat einige Befunde von ihr direkt übernommen, wie beispielsweise die Idee von der Hexenreligion als Fruchtbarkeitskult sowie die These vom gehörnten Mann, der von den christlichen Vertreter*innen als Teufel missverstanden wurde. Auch Begrifflichkeiten nahm Gardner wortwörtlich in seine Niederschrift der Hexenreligion auf: wie coven (für eine feste Gruppe von Hexen, den Hexenzirkel), Sabbat (für die vorerst vier, später acht rituellen Feste) und Esbat (für die Rituale/Zusammentreffen zu Vollmond). Doch in einem Punkt wich Gardner grundlegend von Murray ab. Für die Ägyptologin war die Hexenreligion eine zutiefst patriarchale Angelegenheit: Es gab nur eine Gottheit und die war männlich und wurde von Männern personifiziert, die in allen Ritualen in der Führungsposition verblieben. Nirgends taucht eine Göttin bei Murray auf (Simpson 1994: 92). Gardner jedoch kam mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass im Mittelpunkt der Religion der Hexen die große Göttin stand. Dabei gab er sich als Anhänger der Matriarchatstheorie zu erkennen (Gardner 1954: 31, 43). Er erklärte, dass sich steinzeitliche Gesellschaften, in denen der Hexenkult seiner Meinung nach 39 | Hutton kontextualisiert Murrays Forschung in aller Ausführlichkeit und gibt einen Einblick in die Grundannahmen ihrer Forschung: Hutton 1999: 194-201. 40 | Murray 1917: 228-258; Murray 1918: 310-321; Murray 1919a: 55-58; Murray 1919b: 137-140., Murray 1920: 204-209.

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den Ursprung hatte, matrilinear geordnet hätten. Frauen statt Männer dominierten politisch, kulturell und religiös – dementsprechend war das Göttliche weiblich: die große Göttin oder große Mutter. Der gehörnte Gott war sicherlich wichtig, aber lediglich Gemahl und Sohn. Sie galt als die Hervorbringerin des Lebens und sie erschien in allem, was den Menschen umgab, als die Verkörperung der Natur per se. Mit dieser Aussage befand sich Gardner in prominent-studierter Gesellschaft. Nichts anderes hatten bereits Frazer (gleichwohl er kein Anhänger der Matriarchatstheorie war) über die praktizierten Rituale und Mythen vorchristlicher Gesellschaften postuliert.41

Theologisches und organisatorisches Grundgerüst der Hexenreligion Gardner ging davon aus, dass der Glaube und das Wissen, die sich um die große Göttin mit ihrem gehörnten Kompagnon rankten, vor allem vererbt wurden – via geheime Initiation von einer Familiengeneration zur nächsten. Man konnte allerdings auch ohne (genetische) Familienbande eingeweiht werden. Die Hexen, so Gardner weiter, waren teilweise direkte Nachfahr*innen und mitunter sogar die Reinkarnationen der »weisen Frauen und Männer«, die während der Inquisition den Tod gefunden hatten bzw. angeklagt wurden. Wie sich das organisatorische und theologische Grundgerüst der von ihm entdeckten Religion konkret gestaltete – hierzu vermittelte Gardners »Witchcraft Today« grundlegende Einblicke. Dabei erfahren die Leser*innen, dass sich die Hexen, denen Gardner begegnet war, »Wica« (sic!) nannten, was »weise Menschen« oder »weises Volk« bedeuten soll (Gardner 1954: 102). Bis heute gibt es allerdings unterschiedlichste Vermutungen, was »Wica« oder »Wicca« (die heute gebräuchliche Schreibweise) im Ursprung meint. Der Begriff, so wie Gardner ihn buchstabierte, findet sich im »Chamber’s Dictionary Scots-English«, wo seine Bedeutung tatsächlich mit »weise« angegeben wird (Hutton 1999: 241). Eine aktuellere Theorie besagt, dass das Wort »biegen« bzw. »formen« meint. Daneben gibt es die Überlegung, dass »Wicca« mit altgermanischen Wörtern verwandt sein könnte, die so viel wie »Ratgeber«, »Wahrsager« und »Opferpriester« bedeuten (Hutton 1999: 241). Die Wicas bzw. Wiccas glaubten daran, dass die Kraft der großen Göttin und des gehörnten Gottes in ihnen wohnte und dass sie diese durch Kreis41 | Frazer verneinte zwar, dass es je ein Matriarchat gegeben hatte, in dem zentral eine Göttin verehrt wurde und Frauen die zentralen Machtpositionen innehatten. In der Rezeption seiner Studien stieg er allerdings zu einem der wichtigsten Wegbereiter*innen für die Matriarchatsthese im 20. Jahrhundert auf – insbesondere in der Hexenreligion. Siehe ausführlicher zur Entwicklung der Matriarchatsthese im 19. und 20. Jahrhundert sowie Frazers Position: Eller 1993: insb. 96.

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tänze, Singen und lautes Rufen freisetzen konnten. Dabei waren sie nackt, wie Gardner betonte, da Kleidung den Austritt dieser Kräfte aufhalten könnte. (Gardner 1954: 19f.). Rituale, so liest man, wurden in einem magischen bzw. heiligen Kreis gefeiert, dessen Grenzen mit einem zeremoniellen Messer (Athame) oder Schwert markiert bzw. gezogen wurde und den man durch Kreide, Farbe oder durch die Platzierung von Möbelstücken kennzeichnete. Im Kreis befanden sich die Hexen »zwischen den Welten«, zwischen der Welt, in der sie täglich lebten, und der Domäne der Götter und Göttinnen (Gardner 1954: 26). Die Hexen, die zusammen feierten, gehörten einem coven an, in den man initiiert wurde und der maximal aus 13 Personen bestand (Gardner 1954: 115). Gardner ging in diesem Zusammenhang auch auf Initiationsrituale ein. Er gibt hier beispielsweise die Anrufung der großen Göttin wider, allerdings nicht vollständig, da ihm dies die Hexen verboten hätten – das verbleibende Geheimnis würde nur dem Eingeweihten offenbart (Gardner 1954: 42). Zudem gab er an, dass in der Regel eine Frau einen Mann und ein Mann eine Frau initiieren kann, weil, so Gardner, die Initiation ein starkes Liebesgefühl erzeuge.42 Schließlich beschrieb Gardner die vier großen Feste – die Sabbate – der Hexen: May Eve, August Eve, November Eve (Hallowe’en) und February Eve. Er meinte, dass diese mit den früheren gälischen »Feuerfesten« korrespondieren: Beltane (1. Mai), Lugnasadh (1. August), Samhain (1. Nov.) und Brigid (1. Februar). Er erwähnt ein weiteres Fest, dass er »Cauldron of Regeneration – Kessel der Erneuerung« nennt: die Wintersonnenwende bzw. das Yulefest um den 22. Dezember herum (Gardner 1954: 130). Dieses Fest fügte er allerdings nicht zu den großen Feiern. Mit diesen gebotenen Informationen zum religiösen Hexenkalender, zur Gestaltung der Rituale und zu den Ursprüngen und der Bedeutungen der Hexenreligion avancierte »Witchcraft Today« zu der entscheidenden Publikation, durch die die Hexenreligion zum festen Bestandteil moderner Religiosität/Spiritualität wurde.

Die Spuren des Occult Revival Frühere Schriften von Gardner boten jedoch – wenngleich als fiktionalisierte Romane – ein viel detailreicheres Bild der Hexenreligion und vor allem ihrer Rituale. Aufschlussreich ist auch ein Manuskript, dessen Titel wohl bewusst altertümlich gehalten ist: »Ye Bok of Ye Art Magical«. Sicherlich war es nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Es blieb denn auch, so wie es manche okkulte Dinge an sich zu haben scheinen, lange verschollen und tauchte erst nach 42 | Eine Initiation der Tochter durch die Mutter und des Sohnes durch den Vater ist möglich, da man sich in der Familie – so die Annahme – grundsätzlich in Liebe zugetan sei (Gardner 1954: 69).

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Gardners Tod hinter einem Aktenschrank wieder auf. Heutzutage kursiert es in Auszügen als digitale Version im Internet und ist für jede(n) Interessierte(n) frei und jederzeit zugänglich.43 Vertieft man sich nun in »Ye Bok of Ye Art Magical« sowie in die Romane, so tritt schnell hervor, dass gerade die Ausgestaltung der Rituale der Hexen auf keinen Fall auf steinzeitlichen oder antiken Überlieferungen basierten, sondern sich aus direkten Kopien und Paraphrasierungen von Veröffentlichungen der Protagonist*innen des Occult Revival zusammensetzten. Einige wenige Wissenschaftler*innen haben sich bereits der minutiösen Analyse dessen gewidmet, was Gardner hier genau aus welchen Quellen abgeschrieben hatte (Hutton 1999). Dabei ist interessant, dass diejenigen, die der Hexenreligion nahestanden und -stehen oder gar ganz offiziell – im Sinne für jedefrau/jedermann via Publikationen bzw. im Internet recherchierbar – angehörten und angehören, die Diskussion hierüber angestoßen haben. Interessant ist das deshalb, weil in wissenschaftlichen Kreisen eine soziale wie ideelle Nähe zu einem bestimmten Phänomen, einer Bewegung oder Religion häufig mit verminderter Kritikfähigkeit und Reflexivität in eins gesetzt wird. Hier allerdings kommt die Problematisierung direkt aus den »eigenen Reihen«. Wie schmerzvoll allerdings die kritische Analyse sein konnte, beschreibt Aidan Kelly, einer der entscheidenden Protagonisten in diesem Zusammenhang: »I wanted the Craft [witchcraft, V.H.] to be based on traditional documents; I wanted there to have been some tradition behind Gardner’s coven; I wanted there to have been an ancient religion of the Mother Goddess. The major reason why it took me months to think through the implications of evidence I had collected, was that I was being forced step by step to conclude that these things which I wanted to be true, simply were not historically true«. (Kelly 1991: xix)

43 | Daneben gibt es noch Niederschriften, die zu dem sogenannten »Buch der Schatten« zusammengefasst werden. Gardner beschrieb es als »personal cookbook of spells, that have worked for the owner« (Lamond 2004: 14). Es sollte von den Mitgliedern eines coven kopiert und mit eigenen Vorstellungen und Beschreibungen versehen und dann für neue Mitglieder zur Abschrift verwendet werden. Jedes coven-Mitglied besaß letztlich sein eigenes »Buch der Schatten«. Von Gardners »Buch der Schatten« gibt es mehrere Versionen. Überliefert und öffentlich gemacht sind sie nicht direkt, sondern nur mittelbar – durch Publikationen seiner Mitstreiter*innen. Spuren finden sich auch in Gardners Romanen. Da keine, »originale« (im Sinne von nachprüfbare) Version vorhanden ist und es – laut Aidan Kelly – das »Buch der Schatten« von Gardner nicht gibt, soll sich hier die Betrachtung auf »Ye Bok« konzentrieren, das wiederum von Kelly als die erste Version des »Buches der Schatten« eingestuft wird. Kelly 1991: 41; siehe auch Neger 2009: 75-77.

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Kelly zeigte genau auf, dass Gardner bei den grundständigen rituellen Handlungen, die in »Ye Bok« und den Romanen beschrieben waren – unter anderem das Kreisziehen bzw. -weihen mittels eines Messers/Dolchs und die Anrufung der einzelnen Elemente und der großen Göttin – vor allem auf Mathers’ Übersetzung und Veröffentlichung von »The Key of Solomon the King« zurückgegriffen hatte, woraus auch schon die Rituale des Golden Dawn in vielen Teilen zusammengestellt waren. Teilweise hatte Gardner bei der Invokation der Göttin auch Zeilen aus Lelands »Aradia« kopiert. Wenn er in »Ye Bok« zudem davon sprach, dass man in dem Moment, in welchem man die Elemente herbeiruft, auch imaginär Pentagramme zeichnet, so klingt Eliphas Levi an. Bei dem dreistufigen Initiationssystem der Hexen ließ sich Gardner wiederum durch seine freimaurerische Erfahrung inspirieren. Der erste Grad wies dabei viele Überlappungen mit der Golden Dawn-Einweihung des sogenannten »Neophyten« auf.44 Zudem griff er auch gern auf Crowley zurück – insbesondere für die Initiation in den dritten Grad nutzte er seine Schrift »The Gnostic Mass« – eine Ritualanleitung, deren Elemente ebenfalls Ähnlichkeiten mit der Praxis und den Vorstellungen des Golden Dawn aufwiesen (Kelly 1991: 47-94). Gardner war sich durchaus bewusst, dass diese Kopien erkannt würden. Teilweise gab er so auch zu – zumindest in privaten Briefen –, dass er abgeschrieben hatte und erklärte, dass er das habe tun müssen. Die von ihm getroffenen Hexen wollten keinesfalls dass »die echte Hexenmagie« je an den Tag kommt und »The Key« erschien ihm in dem Zusammenhang offensichtlich als ein gutes Substitut. Mit Blick auf Crowley bemerkte er in »Witchcraft Today«: »There are indeed certain expressions and certain words used which smack of Crowley« (Gardner 1954: 47; siehe auch Hutton 1999). Er führte dies jedoch nicht darauf zurück, dass er bei dem großen Magier abgeguckt haben könnte. Vielmehr gibt er an, dass Crowley selbst einmal eine Hexe gewesen sei, wodurch auftretende Ähnlichkeiten in der Natur der Sache lägen.45 Gardners proklamierte Hexenreligion beruhte also in entscheidender Weise auf dem Zusammenfügen verschiedenster (okkulter) Traditionen und wissenschaftlicher Diskurse. Sie ergab sich weniger aus tatsächlichen steinzeitlichen Riten, wie Gardner es vorgab. Doch ungeachtet dessen schien er einen Nerv der Zeit in Großbritannien zu treffen. Die Hexenreligion begann sich 44 | Hierfür griff er wahrscheinlich auf Israel Regardies Veröffentlichung zurück: »The Golden Dawn. An Account of the Teachings, Rites and Ceremonies of the Order of the Golden Dawn«, erschienen 1937, Chicago: Aries Press. 45 | Es gibt keine Quellen aus den Lebzeiten Crowleys, die darauf verweisen, dass er »Hexe« gewesen sei. Ausführlich hierzu und zum Einfluss Crowleys auf die Konstituierung der Hexenreligion siehe Hutton 2012: 285-305. Hutton kommt zu dem Schluss, dass Crowley (ungewollt) den größten individuellen Einfluss auf die Hexenreligion hatte und er zum »Godfather« der Hexenreligion wurde.

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kontinuierlich zu verbreiten. Über die Jahre kam es hier zu einigen Überformungen der rituellen Praxis. So wurden den vier großen Sabbaten nebst Yule drei weitere – »kleinere« Sabbate – hinzugefügt: Ostara (Frühjahrstagundnachtgleiche), Litha (Sommersonnwende) und Mabon (Herbsttagundnachtgleiche) (Lammond 2004: 16f.). Auf diese Weise ergab sich das sogenannte Jahresrad der Hexenreligion mit seinen zentralen Feiern, das bis heute gilt. In ihm versinnbildlicht sich der Lebenskreislauf des Werdens und Vergehens und Wiedergeborenwerdens, der sich in der Natur – und damit der Göttin selbst – spiegelt.46 Bereits ab Ende der 1950er Jahre gab es Versuche, aus dem Gardnerischen Grundgerüst weitere Varianten von Wicca zu entwickeln. Eine der bekanntesten ist wohl jene, die durch Orrell Alexander Carter (1926-1988) alias Alex Sanders begründet wurde. Alex Sanders hatte Anfang der 1960er Jahre Gardner darum gebeten, in den Wicca-Kult initiiert zu werden, was aber abgelehnt wurde. In den darauffolgenden Jahren entwarf Sanders selbst Rituale und fertigte daraus eine eigene Wicca-Tradition, das sogenannte Alexandrinische Wicca. Seine Anhängerschar wuchs beträchtlich an und im Jahre 1965 waren es bereits über 1.600 Männer und Frauen, die sich durch Sanders hatten einweihen lassen. Noch im selben Jahr ließ er sich zum »König der Hexen« auf Lebenszeit ausrufen.47

Publikationen und gegenkulturelle Bewegungen: Rezeptionswege Zur erfolgreichen Verbreitung der von Gardner verkündeten Hexenreligion auch über die Grenzen Großbritanniens hinaus, trug wesentlich bei, dass nur ein Jahr nachdem »Witchcraft Today« erschienen war, das Buch auch auf dem amerikanischen Markt publiziert wurde. »The Meaning of Witchcraft« von 1959 wurde im Vereinigten Königreich und den USA zeitgleich herausgegeben. 1965 lag von Gerald Gardners »Witchcraft Today« bereits eine deutsche Übersetzung vor, wobei die Inhaberin des Otto-Wilhelm-Barth-Verlages, bei dem das Buch erschien, Ursula von Mangoldt, die Übertragung ins Deutsche selbst vorgenommen hatte. In ihrem Vorwort beschwor sie die »Einheit zwischen Mensch und Natur«, die die »magische Wirkmacht« der von Gardner beschriebenen Hexenreligion ausmachen würde (Gardner 1965: 5). Mangoldt 46 | Eine ausführliche Diskussion dieser Vorstellung/Philosophie siehe Rensing 2006: 221-237. 47 | Zu den genauen Zahlen siehe die Biografie zu Alex Sanders von June Johns (1969), hier vor allem Seite 96. Das Buch präsentiert eine Vielzahl von Fotos, bei dem die Protagonist*innen meist unerkannt bleiben, abgesehen von Alex Sanders selbst und seiner Frau Maxine. Siehe ebenfalls zu Sanders und der Konstituierung des Alexandrinischen Wicca: Hutton 1999: 319-329.

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gab damit einmal mehr Aufschluss darüber, worin wohl der Reiz für viele lag, sich dieser Religion zuzuwenden: das Gefühl nämlich, genau dieser Einheit in der aufkommenden Wohlstands- und Überflussgesellschaft verlustig gegangen zu sein, und die Chance, die man nun in der Hexenreligion sah, sie wieder zu finden. Einige Berliner Hexen haben »Ursprung und Wirklichkeit der Hexen«, so der deutsche Titel von »Witchcraft Today«, gewissenhaft in ihre Bücherregale geordnet. Auch die englische Originalfassung (und die viel öfter) findet sich bei ihnen wieder. Doch das Buch stellt eher eine (ungelesene) Reminiszenz dar – eine Erinnerung daran, wer historisch die Religion, der sie folgen, entscheidend geprägt und öffentlich gemacht hat. Als eine Anleitung bzw. eine Schrift, die man aufschlägt, um kosmologische Einblicke, Ritualvorschläge und geschichtliche Erkenntnisse zu erhalten, wird es nicht gesehen. Denn es gibt bestimmte, in »Witchcraft Today« beschriebene Vorstellungen, die sich für eine Vielzahl von Hexen grundlegend geändert haben und nicht mehr zu ihrem Selbstverständnis als Hexe gehören. So kommt die Mehrheit von ihnen heute ohne Initiation aus und auf eine Mitgliedschaft in einem exklusiven (geheimen) coven wird dezidiert verzichtet. Gleichwohl sie Elementen der rituellen Praxis folgen, wie sie einstmals Gardner und seine Mitstreiter*innen entwarfen, sind sie bewusst nicht Wiccas. Im Deutschen werden sie als »freifliegende Hexen« bezeichnet, im englischen Sprachraum, wo die meisten selbsternannten Hexen leben, spricht man von »solitary witches«.48 Die freifliegenden Berliner Hexen – auf die sich die vorliegende Arbeit konzentriert – begründen ihre Ablehnung gegenüber Wicca beispielsweise damit, dass sie die hier praktizierten Initiationen als einen ungerechtfertigten Autoritätsanspruch empfinden. Das Argument wird von Angela, die bereits seit den späten 1980er Jahren am Hexenkult interessiert ist, so zusammengefasst: »Wer will mich eigentlich initiieren? Sich diese Autorität nehmen? Und vor allem warum? Ich lebe meine Spiritualität, wie ich es für richtig halte. Ich möchte mich 48 | Repräsentatives, statistisches Material ist hier nur schwer zu erheben. Laut des United Kingdom Census leben in England und Wales zusammen 56.620 Personen, die sich als »pagan« identifizieren. 11.766 sagen, sie seien Wiccas. 1.276 Personen bekennen sich zur »Witchcraft«. Im »American Religious Identification Survey« von 2001 wird aufgeführt, dass zirka 134.000 Wiccas in den USA lebten, zirka 140.000 identifizierten sich »pagan«. Berger/Leach/Shaffer geben in ihrer Studie an, dass von denen, die sich in ihrer Studie »pagan« identifizieren, 50,9 Prozent »solitary practitioners« seien. Siehe »United Kingdom Census: TableQS210EW«, online: http://ons.gov.uk/ons/rel/ census/2011-census/key-statistics-for-local-authorities-in-england-and-wales/rfttable-qs210ew.xls; letzter Zugriff: 20.11.2017. Berger/Leach/Shaffer 2003: 12. American Religious Identification Survey: online: http://commons.trincoll.edu/aris/surveys/ aris-2001/download-aris-2001/, letzter Zugriff: 20.11.2017.

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hier niemandem unterordnen, weil es mir irgendein System so vorschreibt« (Interview, 23.08.2012). Coven wiederum gelten unter den freifliegenden Berliner*innen ob ihrer beschränkten Zugänglichkeit – nur wer initiiert ist, findet vollständig Aufnahme – als eher ausschließend denn gemeinschaftsbildend. Die von Wiccas proklamierte rituelle Nacktheit schließlich wird vor allem als Ausdruck eines »typisch« männlichen Sexismus angesehen (Interview mit Britta, 26.08.2013), ungeachtet dessen, dass die rituelle Nacktheit unter Wiccas heute eher selten praktiziert wird. In all diesen Wertungen – unnötige Hierarchisierung, Exklusivität und geschlechtliche Diskriminierung – zeigt sich eine spezifische Fortschreibung des Hexeseins. Sie erklärt sich historisch in erster Linie aus der Verbreitung der Hexenreligion in den USA. Denn als die Idee einer alten Hexenreligion ab den 1960er Jahren den amerikanischen Kontinent erreichte – nicht nur durch Veröffentlichungen, sondern auch durch einzelne initiierte Wiccas, die von England in die Vereinigten Staaten auswanderten, – fiel sie auf einen äußerst fruchtbaren Boden; und sie erfuhr dabei eine radikal-feministische und damit verbunden radikal-sozialistische Umdeutung. Das Palimpsest der Hexenreligion, so lässt sich diese Entwicklung beschreiben, erhielt eine neue Textschicht. Auf sie soll im Folgenden, letzten Abschnitt dieses Kapitels geblickt werden – dies vor allem auch deshalb, weil für heutige Hexen eine feministische Grundhaltung – die immer auch eine (links-)politische ist – zu einem der zentralen Bestandteile ihrer Religion geworden ist – anders gesagt: Eine neuheidnische Hexe, die das Patriarchat und gesellschaftliche Machtstrukturen nicht in Frage stellt, kann es (eigentlich) nicht geben. Sie wäre ein leibhaftiges Oxymoron.

»I f you ’re going to S an F r ancisco « – D ie feministische W endung der H e xenreligion in K alifornien An der Herstellung dieser so entscheidenden Textschicht waren zwar einzelne Personen in besonderer Weise beteiligt, vielmehr aber liest sie sich als ein Produkt, das im Kontext der soziokulturellen Protestbewegung entstand, die die Vereinigten Staaten in jener Zeit erfasst hatte und in der unter anderem die Allgemeingültigkeit christlicher middle class-Überzeugungen als Bestandteil der Staats- und Wertedoktrin der USA in Frage gestellt wurde. Im Zuge dessen und vor allem auch mit der sogenannten Hippiebewegung kam es zu einem regelrechten »spirituellen Boom« (Pike 2004: 68-73), der teilweise als »New-Age-Movement« firmierte – der aktive Glaube an das herannahende, womöglich bessere, Zeitalter des Wassermanns: »When the moon is in the Seventh House and Jupiter aligns with Mars, then peace will guide the planets and love will steer the stars. This is the dawning of the age of Aquarius.«, wie

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die Zeitenwende im Broadway-Musical »Hair« besungen wurde und das New Age so von der Counter Culture zum Bestandteil der Pop Culture avancierte. Der spirituelle Boom ging von der kalifornischen Küste aus. Sie hatte sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Experimentierfeld für Religionen jenseits des Christentums entwickelt. Kalifornien bot beste Bedingungen, sich spirituell auszuprobieren: Es lockte mit dem Slogan, »Himmel des Wohlbefindens« zu sein (wegen des Klimas), die Immobilienpreise waren niedrig, die etablierten Kirchen galten als politisch schwach und die intellektuellen Eliten, vor allem in Berkeley und Stanford, gaben sich liberal und dabei spirituell äußerst interessiert (Pike 2004: 64; Jenkins 2000: 88f.).49 Es verwundert so kaum, dass die neuheidnische Hexenreligion in Kalifornien ihr Epizentrum fand – genauer in der Bay Area, mit dem Knotenpunkt San Francisco. Dass gerade San Francisco zu einem Hotspot wurde, ist interessant. Der Surrealist und Schriftsteller Philip Lamantia beschrieb die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg als »terribly straight-laced and provincial, but at the same time there were these islands of freedom […] a whole underground culture that went unnoticed by the city at large« (zit. in: Peters 1998: 203). Manche führen es auf den Charakter als Hafenstadt zurück, der San Francisco in besonderer Weise offen für verschiedenste kulturelle, politische, soziale und religiöse Vorstellungen machte und damit – wie es in einer Anthologie zur Stadt heißt – zu einer »receptive environment for radicals, anarchists, communists, populists, Wobblies, abstract expressionist painters, assemblage artists, and experimental theater troupes« (Peters 1998: 202).50 Neuheidnische Hexen rekrutierten sich teilweise direkt aus den benannten politischen wie künstlerischen Szenen und/oder lebten mit ihnen in engster Nachbarschaft zusammen (Kelly 2011: 2). Bereits seit den 1950er Jahren wurde dabei San Franciscos Underground Culture öffentlich: So machte die Stadt die Beatniks groß, wurde bekannt für ihre politisierten Schwulen- und Lesbengruppen und war der Ausgangspunkt der Hippiebewegung wie es bei Scott McKenzie heißt: »If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair«.51 All diese Bewegungen, Gruppierungen, Einzelkämpfer*innen, Strukturen und dabei erzeugten Topografien produzierten eine Atmosphäre, die San Francisco für neuheidnische

49 | Jenkins beschreibt, wie sich um die Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts die okkulte Szene von Boston und New York an die Westküste verlagerte. Er fasst diese Entwicklung pointiert als »the California Cult« zusammen: Jenkins 2000: 90-100. 50 | Zu den historischen Umbrüchen in der Stadtkultur San Franciscos siehe auch den instruktiven Überblick von Walker 1998: 1-19. 51 | Über das Symbol der Blume in der Hippiebewegung siehe Hall 2007 [1968¹], 155.

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Hexen prädestinierte und es zu einem »occult power spot« machte, wie Aidan Kelly es beschreibt.52 Dabei ist es vor allem eine Richtung – das sogenannte Reclaiming-Netzwerk – die sich hier herausbildete und mit zur populärsten Traditionslinie in der Hexenreligion weltweit aufstieg. Es war von Gardners Wicca inspiriert, behielt bestimmte Elemente bei, löschte andere und wendete es nachdrücklich in die feministische Richtung. Der Name Reclaiming sollte signalisieren, dass man sich die »Religion der großen Göttin« zurückholen wollte und damit – wie man im ersten Newsletter 1980 liest: »our visions, our personal myths, our heritage and lost past«. Proklamatorisch heißt es am Ende: »We use the word ›Witch‹ as an affirmation of women’s power to shape reality« (zit. in: Salomonsen 2002: 40-41). Zum Erfolg von Reclaiming – das als ein kleines Kollektiv von vier Frauen startete – trug maßgeblich eine Schrift bei, die von der angehenden Psychologin und politischen Aktivistin Miriam Simos (*1951) alias Starhawk verfasst wurde und den Titel »Spiral Dance. A Rebirth of the Ancient Religion of the Great Goddess« (1979) trägt – deutsch: »Der Hexenkult als Ur-Religion der großen Göttin« (1983). In einer wohlsortierten Hexenbibliothek darf dieses Werk nicht fehlen. Es findet sich in nahezu allen Bücherregalen der Berliner Hexen wieder. Anders als »Witchcraft Today« wird es auch gelesen und immer wieder gern zur Hand genommen. Wie Curtis meint: »Wenn ich ein Ritual mache und mir an einer bestimmten Stelle unsicher bin, dann denke ich nur: Starhawk! Ich muss also immer wissen, wo die liegt. Ich schaue dort in diesen schönen Tabellen nach [lacht]. Und dann weiß ich: ›Achja, alles klar, so war das‹ [lacht].« (Interview, 07.03.2012)

Wenn Curtis während ihrer Ausführungen herzhaft lachen muss, so spiegelt dies ein Stück weit die Unbeschwertheit, mit der auch »Spiral Dance« geschrieben ist. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass im Gegensatz zu »Witchcraft Today«, was von einem durch die viktorianische Erziehung geformten, pensionierten Mann verfasst wurde, »Spiral Dance« die Niederschrift einer jungen Frau war, die vom kalifornischen Geist der Rebellion geprägt wurde, gerade studierte und für die das Leben als Erwachsene erst angefangen hatte. Mit jugendlicher Verve deutete sie in ihrem Buch das Hexentum großzügig um als eine Religion, in der es um geschlechtliche Gleichberechtigung ging

52 | »Occult power spot« – hier hat Aidan Kelly vor allem den Bezirk Bernal Heights im Blick – mit seiner Mischung aus Künstler*innen, Aussteiger*innen, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen, Student*innen, die sich für die Ideen des New Age besonders empfänglich zeigten. Kelly 2011: 2.

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und die gesellschaftliche Egalität propagierte. Ein Kult, in dessen Mittelpunkt die große Göttin stand, davon war Starhawk überzeugt, inspirierte Frauen: »[…] uns selbst als göttlich, unsere Körper als geweiht, die wechselnden Phasen unseres Lebens als heilig, unsere Aggressionen als gesund, unseren Zorn als reinigend und unsere Macht, zu stillen und zu gebären, aber notfalls auch zu begrenzen und zu zerstören, als die eigentliche Kraft zu betrachten, die alles Leben erhält. Durch die Göttin können wir unsere Stärke entdecken […]. Wir können aus unseren engen, einengenden Rollen ausbrechen und wir selbst werden«. (Starhawk 1985 [1983¹], 23)

Letztlich, so spitzte es Starhawk zu, sei jede Frau die Verkörperung der Göttin auf Erden. Am Himmel, so Starhawk weiter, war ihr Symbol als auch ihre konkrete Gestalt der Mond – was dazu geführt hat, dass in der deutschen Übersetzung aus ihm kurzerhand eine sie gemacht wurde: die Mondin (Starhawk 1985 [1983¹], 120-122) – ein Codewort, an dem sich Hexen in Deutschland heute klar erkennen.53 Die früheren, steinzeitlichen Hexen schließlich traten bei Starhawk nicht mehr nur als die »Bewahrerinnen einer alten Religion« in Erscheinung, sondern avancierten zu Vorläuferinnen des modernen Feminismus – zu unabhängigen und sexuell aktiven Frau, die mutig gegen jegliche Form von Unterdrückung vorgingen und die dabei gesellschaftliche wie religiöse Wortgeberinnen waren – die Gemeinschaft in der sie lebten, organisierte sich matriarchal.54 Ansonsten folgt das Buch in undogmatischer, lockerer Weise den Ritualvorstellungen, wie man sie schon bei Gardner findet: Das Jahresrad wird beschrieben, es wird erläutert, wie die Sabbate und Esbate zu feiern sind, der magische Kreis gezogen werden sollte und ob und wie eine Initiation erfolgen kann (Sie war als ein einmaliger Akt konzipiert). Starhawk unterlegt dieses Grundgerüst dabei mit moderner Psychologie: Es klingt C.G. Jungs Archetypenlehre und Vorstellungen von Anima und Animus (jeder Mensch vereint in sich eine weibliche und eine männliche Seite) durch, wie auch Freuds Theorie vom Unbewussten (beide werden allerdings nicht zitiert) und Herb Goldbergs These von einer 53 | Es kann nicht mit letztendlicher Sicherheit gesagt werden, wo genau das Wort »Mondin« im Deutschen (im Kontext der Hexenbewegung/feministischen Bewegung) zuerst auftauchte. Die Übersetzerin von Starhawks »Spiral Dance«, Ulla Schuler, meint, bei ihrer Wortschöpfung auf kein Vorbild zurückgegriffen zu haben. Mit der »Mondin«, so führt sie aus, versuchte sie die weibliche Konnotation des englischen Wortes »moon« ins Deutsche zu transferieren. Email an die Autorin vom 14.12.2011. 54 | Meret Fehlmann bietet in ihrer Dissertation einen grundlegenden Überblick über die Verbreitung und Ausformulierung der Matriarchatsthese im Feminismus der sogenannten »ersten« und »zweiten« Welle (eingeschlossen die feministische Spiritualität). Fehlmann 2011: hier bes. 359-419.

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destruktiven Männlichkeit in der Moderne. Obwohl Starhawk sich stark auf Wicca bezieht, wird Gardner nur an einer Stelle im Buch erwähnt, häufiger dafür Margarete Murray und Robert Graves’ »The White Goddess« – ein Werk an der Schnittstelle von wissenschaftlicher Studie und Poesie über die antike Mythologie. Manchmal verweist sie auf James Frazer, hin und wieder Dion Fortune (1890-1946), insbesondere wenn es um das Verständnis von Magie geht. Mitunter führt sie Mircea Eliade (1907-1986) an, um Ähnlichkeiten zwischen Schamanismus und Hexenreligion herauszustellen. In späteren Veröffentlichungen zieht Starhawk zur Untermauerung ihre Matriarchatsthese Studien von Archäolog*innen bzw. Historiker*innen wie Mirija Gimbutas (1921-1994), Gerda Lerner (1920-2013), Ruby Rohrlich (1913*?) und James Mellaart (19252012) heran.55 Mit der Mischung aus engagierter, kurzweiliger Prosa und praktischen Tipps stieg »Spiral Dance« schnell zu einem Bestseller auf. Mittlerweile stellt das Buch eine Art Initiationstext für viele angehende Hexen dar und hat darin »Witchcraft Today« klar ersetzt. Wie Xenia, die in ihrem »bürgerlichen« Beruf professionelle Schauspielerin ist, es anschaulich beschreibt: »Als ich mich auf ein Theaterstück vorbereiten musste, in dem es um eine Hexe ging, habe ich die Einarbeitung sehr ernst genommen. Ich habe mir alles über Hexen ausgeliehen. Dabei bin ich auch auf Starhawk gestoßen. Ich las ihr Buch ›Der Hexenkult‹ und ich wusste: Das ist es! Es hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Vorher hatte ich mich schon ein wenig mit Tarot beschäftigt. Doch das, was da beschrieben wurde, war das, was ich sein wollte: eine Hexe«. (Feldnotizen, 22.10.2010)

Es muss betont werden, dass Starhawk, so prominent sie auch sein mag – sie gilt mittlerweile als die »berühmteste Hexe der Welt« (Hutton 1999: 345) –, zum Zeitpunkt, als sie ihr Buch schrieb und veröffentlichte, eine von vergleichsweise vielen selbsternannten Hexen war, die sich von Gardner inspiriert zu Gruppen formierten und Wicca als Form frauen-emanzipatorischer Spiritualität uminterpretierten und -modellierten. Zu nennen ist hier vor allem das sogenannte Dianic Wicca, benannt in Referenz zur klassischen Göttin Diana. Begründet wurde es von Zsuzsanna Budapest (*1940), kurz Z Budapest, alias Zsuzsanna Emese Moksay, die aus Ungarn stammt und 1959 in die USA kam. Die Mutter und Großmutter sollen ihr den Glauben an die große Göttin weitergegeben haben. In der rituellen Praxis orientierte sich Budapest zwar an Gardner und Leland sowie an Ausarbeitungen von Jane Ellen Harrison,

55 | Eine detaillierte Diskussion zu den historischen Bezügen, die Starhawk in ihren Büchern herstellt, siehe Salomonsen 2002: 67-96.

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eine britische Altertumswissenschaftlerin und Zeitgenossin Frazers56, doch waren – anders als bei Reclaiming – von Anbeginn keine Männer zugelassen.57 Die feministisch-separatistische Ausrichtung ist bis heute in der Religionsausübung der Dianic Wiccas zentral, denn für Z Budapest bedeutet die Praxis einer emanzipatorischen Religion für Frauen »to abide in an all-female energy environment, to read no male writers, to listen to no male voices, to pray to no male gods« (Budapest 1989: 168; zit. in: Hutton 1999: 145).58

Die Hoffnung auf eine »Hag-ogracy« – Synthese aus politischem und spirituellem Feminismus Die feministische Umdeutung der Hexenreligion in den USA muss im Kontext des Second Wave Feminism verstanden werden. Hier ist zu unterscheiden zwischen einem eher gemäßigten Feminismus – bei dem innerhalb etablierter politischer Strukturen versucht wurde, gleiche Rechte für Frauen zu erwirken (zum Beispiel gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit) – und einem wesentlich radikaler verstandenen Feminismus, der auch als Frauenbefreiungsbewegung bezeichnet wird und bei dem es nicht um bloße Strukturveränderungen ging, sondern darum, grundsätzlich neue Strukturen zu kreieren und das alte männerdominierte kapitalistische System hinter sich zu lassen (Thornham 1998: 25-35). Aus dieser radikaleren Variante erhielten die entstehenden neuheidnischen Hexengruppierungen ihre Anreize. Diese Form des Feminismus formierte sich im Zuge des Civil Rights Movements und den Anti-Vietnamkriegs-Studierenden Protest. Die hier agierenden politischen Feministinnen hatten dabei die Figur der Hexe schon längst in ihre Rhetorik integriert. So machte beispielsweise von 1968 bis 1969 W.I.T.C.H – Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell (hervorgegangen aus der Vereinigung New York Radical Women) die Straßen von New York und bald auch San Francisco, Chicago, Boston und Washington mit sogenannten zap actions unsicher. Oftmals als »typische« Hexen verkleidet (Spitzhut, schwarzer Umhang, Besen, furchterregend geschminkt) protestierten sie damit gegen die Unterdrückung der Frauen: So stürmten sie Hochzeitsmessen in San Francis56 | Harrison war Anhängerin der Matriarchatstheorie. Zu ihrem wissenschaftlichen Austausch mit Frazer, ihre und seine Arbeit betreffend, siehe Ackerman 1991: 67-87. 57 | Eine kürzlich erschienene Ethnografie, die Einblicke in die gegenwärtigen feministisch-religiösen Vorstellungen und in die Ritualpraxis der Dianic Wicca gibt ist: Kristy S. Coleman 2009. 58 | Dianic Wicca und Reclaiming sind zwar die zwei zentralen Ausprägungen der feministisch interpretierten Hexenreligion. Es existieren jedoch weitere Gruppierungen und wichtige Einzelprotagonist*innen. Eine Übersicht über die Ausdifferenziertheit bis in die 1980er Jahre hinein bietet Adler 1997: 176-229.

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co und New York und erklärten die Ehe als »legal whoredom for women«, sie verfluchten auf der New Yorker Wall Street die Banker, belegten Professoren, die sich als Antifeministen erwiesen, in Chicago öffentlich und theatralisch mit einem Bann und störten lärmend die Amtseinweihung von Senatoren.59 Historisch stand für W.I.T.C.H fest, dass die frühneuzeitliche Hexenverbrennung sich vor allem gegen die starken, mutigen und sexuell befreiten Frauen gerichtet hatte, die sich nicht Untertan machen ließen. Die Verfolgungen waren ein Krieg gegen den Feminismus und gegen eine alternative Kultur, in der sich die Geschlechter noch gleichberechtigt begegnet waren (Adler 1997: 179).60 Auch an den Universitäten, insbesondere in den Fachbereichen Theologie und Geschichte, wurde die einstige Hexenverfolgung und ihre Ursachen zu einem zentralen Thema und durch die feministische Linse neu gedeutet – aus HIStory wurde HERstory. Die Theologin Mary Daly (1928-2010), die am jesuitischen Boston College lehrte, stellte sich hier als entscheidende und wohl radikalste Vorreiterin dar. In ihren Büchern »Beyond God the Father« und »Gyn/ ecology. The Metaphysics of Radical Feminism« verhandelte sie die Geschichte der Frauen als die Geschichte männlicher Unterdrückung. Die Hexenprozesse sah sie dabei als organisierten Frauenmord und interpretierte ihn als einen vorläufigen Sieg des Christentums über die Religion der großen Göttin (die durch die Hexen repräsentiert wurde) und damit zugleich als einen traurigen Triumph des Patriarchats über das Matriarchat. Für diesen historischen Rundumschlag verließ sich Daly vor allem auf Margaret Murrays »Witchcult«, zog Robert Graves’ »The White Goddess« zu Rate und griff auf die Schriften der Feministin und Native American Activist Matilda Joselyn Gage (1826-1898) zurück.61 Daly verfolgte dabei einen aktivistischen Anspruch und forderte Frauen offensiv dazu auf, zu erkennen, wie tief das Leben einer Hexe »verwoben mit unserem eigenen Entwicklungsprozeß« sei. Sie nennt Hexen dabei auch Hags – eine altenglische verkürzte Bezeichnung für Hexen, die, so gibt Daly 59 | Die Informationen stammen von der US-amerikanischen Feministin, politischen Aktivistin und Schriftstellerin Jo Freeman aka Joreen. Ihre Artikel zur W.I.T.C.H.-Gruppierung, die sie speziell in Chicago persönlich gekannt haben muss, sind teilweise in Sammelbänden oder als Zeitschriftenartikel erschienen. Sie hat sie auf ihrer Webseite gesammelt und frei zugänglich gemacht: www.jofreeman.com/photos/witch.html; www.jofreeman.com/feminism/happening.htm, letzter Zugriff: 29.07.2017. 60 | Das »Manifest« von W.I.T.C.H., in dem dies zum Ausdruck kommt, ist mittlerweile online zugänglich: www.ipernity.com/doc/malcolmme/17338377, letzter Zugriff: 30.07.2017. 61 | Ausführlicher zu Gages radikal-feministischen Betrachtung von Geschichte und Religion, womit sie zugleich zu einer Repräsentantin des sogenannten First Wave Feminism wurde, siehe Eller 1993: 128-132.

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an, soviel wie »weiblicher Dämon« meint. Sie deutet dies feministisch positiv um und entwickelt die Vorstellung, dass letztlich jede Frau im »Inneren« eine Hexe sei. Es gilt, sie hervorzuholen, um so einen Ort zu schaffen, »wo wir regieren« – eine Herrschaft der Hexen: die »Hag-ocracy«.62 Mary Daly stieg mit dieser Synthese aus radikal-politischem Feminismus und Spiritualität zur Gallionsfigur innerhalb der amerikanischen (später auch deutschen) neuheidnischen Hexenbewegung auf. Gewissenhaft wurde sie gerade auch von den Reclaimer*innen rezipiert und als Inspirationsquelle für ihre religiösen Vorstellungen genutzt. Keine andere Ausrichtung innerhalb der neuheidnischen Hexenreligion hat dabei eine derart enge Verknüpfung von Religion und Politik vorgenommen. Anders gesagt: Die Ausübung der Hexenreligion ist politisches Handeln für Reclaimer*innen, wobei das Ziel ist: »Systeme der Unterdrückung in Frage zu stellen und neue, zum Leben hin orientierte Kulturen zu schaffen« (Starhawk 1985²: 25). Die gesellschaftliche Utopie ähnelt der Idee einer »Hag-ocracy«: Es geht um die Abschaffung der Geschlechter- und Rassendiskriminierung, um ökologisches Gleichgewicht, um Wertschätzung aller Lebewesen und weniger Konsum. Sich also beispielsweise in sozialen Nachbarschaftsinitiativen zu engagieren, auf Sexismus in der Werbung und auf der Arbeit öffentlich aufmerksam zu machen oder als Parteimitglied vehement für den Tierschutz einzutreten, als Kiezbewohnerin Umweltprojekte zu initiieren und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu fordern: All dies ist Ausdruck auch des spirituellen Selbstverständnisses als Reclaiming-Hexe – und gerade in Berlin sind sie vergleichsweise häufig anzutreffen. Doch hatte Daly ihre gesellschaftliche Utopie noch als exklusives Projekt von (biologischen) Frauen definiert, so versteht man dieses bei Reclaiming als ein geschlechterübergreifendes Anliegen, wobei konstruktivistisch-performativ informiert jedwede Spielarten von Geschlecht und Sexualität angesprochen sind. Merkmale von Reclaiming sind bis heute, dass man Hierarchien in der Ausübung der Hexenreligion als Form einer Machtausübung über jemanden verneint. Eine Einteilung in Priester*in und Adept*in erfolgt nicht starr. Es gilt der Grundsatz: Jede*r ist Lehrer*in und Lernende*r zugleich und alle sind Spezialist*innen ihrer Religion. Initiationen, die in »Spiral Dance« noch als ein Obligat galten, können erfolgen, sie müssen es aber nicht, um Teil der Gemeinschaft zu werden. Es gibt kein Regelwerk, das aufzeigt, wie jemand initiiert werden sollte und wer in der Position ist, diese vorzunehmen. Die Möglichkeit

62 | Daly 1980: 36 sowie Daly 1978: 15. In der deutschen Übersetzung wird »Hag-ocracy« mit »Häxokratie« wiedergegeben, um – wie es heißt – einerseits Dalys’ Wortwahl im Ansatz aufzunehmen und zugleich zu kennzeichnen, dass Hexen damit gemeint sind.

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der Selbsteinweihung ist gegeben.63 Diese Formen, Rangfolgen flach zu halten und ihnen entgegenzuarbeiten, waren und sind überaus konfliktanfällig. So sehr man Gleichheit möchte, so ungleich sind die Menschen, die in solchen Zirkeln aufeinandertreffen – es gibt stets »Erfahrenere«, diejenigen, die mehr zu wissen scheinen und die mehr Zeit und Eigeninitiative in die Praxis der Hexenreligion investieren als andere und die hieraus (verständlich) Verantwortung und Autorität für sich beanspruchen, wogegen dann (verständlich) rebelliert wird. Die ursprüngliche Reclaiming-Community in San Francisco hat so beispielsweise schon einige Schismen erleben müssen. Als Resultat von Auseinandersetzungen und Machtkämpfen geht Starhawk längst unabhängige Wege.64 Es zeigt sich dabei abermals, dass es machtfreie Strukturen letztlich nicht geben kann, sie bleiben utopisch, so sehr man sie propagiert. Wie dieser Widerspruch gerade auch in den Berliner Hexenzirkeln ausgehandelt und ausgehalten wird, wird zu zeigen sein. In den Religions-, Kultur- und Geschichtswissenschaften wie auch in der Theologie hierzulande ist die Hexenreligion in ihrer feministischen Ausprägung bisher kaum diskutiert worden. In den wenigen Studien, die es gibt, wird insbesondere der Bezug auf ein vorchristliches Matriarchat problematisiert, er gilt als nicht valide und wird als romantisch-mythologisch (ab-)gewertet (Wiedemann 2007; Behringer 2000²: 92-102). Freilich beruhen die Studien, die neuheidnische Hexen für ihre Ideen über den matriarchalen Ursprung ihrer Religion ins Feld führen, wie die Untersuchungen von Marija Gimbutas, Heide Göttner-Abendroth (*1941), Mary Daly oder auch James Mellaart, mehrheitlich auf sehr vagen Interpretationen und oftmals unzulässigen Verallgemeinerungen. Sie sind vor allem Ausdruck politischer Überzeugungen als eine versuchsweise interessenlose Sichtung von Quellen, wovon Wissenschaftlichkeit gekennzeichnet sein sollte. Dieser Kritik haben sich neuheidnische Hexen in den letzten Jahren vermehrt gestellt. Die Einsicht, dass die Existenz eines vorchristlichen Matriarchats keine gesicherte Erkenntnis darstellt, wird nicht zurückgewiesen. Doch letztlich ist die Frage nach der historischen Authentizität zweitrangig, wie Hexen betonen, zumal jede Religion auf geschichtlichen Legenden beruhe und daraus hervorgehe. »Das Matriarchat«, darauf verweist Curtis, »ist ein Hilfsmittel, ein Konstrukt, dass wir [neuheidnische Hexen, V.H.] uns schaffen mussten, um zu zeigen: Es gibt andere Möglichkeiten« – alternative Varianten, wie eine Welt und eine Gesellschaft organisiert sein können (Interview, 07.03.2012). Darin, so Curtis, läge die eigentliche Kraft der 63 | Salomonsen bietet in ihrem Buch eine dichte Beschreibung und theologische Analyse eines Initiationsprozesses, wobei sie sich auf mehrere Interviews mit einer Protagonistin sowie auf die eigene Erfahrung der Initiation stützt. Salomonsen 2002: 248-281. 64 | Einen geschichtlichen Abriss zu den Konflikten und Machtstreitigkeiten in Reclaiming in San Francisco siehe Salomonsen 2002: 37-66, insbesondere 54-66.

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Geschichte. Starhawk bringt diese Sichtweise so auf den Punkt »Hey, maybe it wasn’t always like this. It doesn’t always have to be like this. So – what culture do we want to live in? Let’s create it« (Starhawk 1999: 4).65

F eministisch - christliche Theologie und N e w A ge – R ezep tionswege Berliner Hexen legen auf die feministisch-politische Ausrichtung ihrer Religion sehr viel Wert. Für Anregungen, wie dies in der Praxis umzusetzen und mit kosmologischen wie geschichtlichen Vorstellungen zu vereinbaren ist, greifen sie auch heute noch auf US-amerikanische Veröffentlichungen zurück – vor allem auf Starhawk – hier nicht nur auf das Buch »Spiral Dance«, sondern auch auf die von ihr und ihrer Mitstreiterin Hilary Valentine verfassten Schrift »The Twelve Wild Swanes« (2001). Darin wird das Andersen-Märchen von den Königssöhnen, die zu Schwänen verwandelt und durch die Hilfe ihrer Schwester wieder zu Menschen werden, zum Ausgangspunkt genommen, um ein Set von magisch-spirituellen Wegen zu entwickeln, durch die Frauen ermächtig werden sollen, für sich und in der Welt Gerechtigkeit zu erlangen. Z Budapest und ihr Erstlingswerk »The Holy Book of Women’s Mysteries« (1979) wurde und wird ebenfalls gern gelesen und studiert. Anstöße für diese intensive und beständige Rezeption kommen historisch aus einer – auf den ersten Blick – unerwarteten Richtung. Es sind nämlich vor allem christliche Theologinnen, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre in Deutschland mit als Erste auf die amerikanischen neuheidnischen Hexen aufmerksam wurden. In jener Zeit hatte auch in der Bundesrepublik die zweite Welle der politischen Frauenbewegung eingesetzt. Es ging vor allem um die frauendiskriminierende Rechtsprechung. Im Mittelpunkt stand der Protest gegen den 65 | Siehe auch den programmatischen Aufsatz in der Zeitschrift für feministische Theologie »Schlangenbrut« von A.B. (1993): »Er-fundene Wirklichkeit? – Matriarchatsforschung.« In: Schlangenbrut 11:42: 6. Darin wird die Notwendigkeit der Erfindung einer matriarchalen Vergangenheit postuliert, denn nur so sei Herrschaftskritik möglich. Ausgegangen wird dabei von einem Zitat, das von Hexen in diesem Zusammenhang häufig gebraucht wird und paradigmatisch geworden ist. Es stammt aus dem Buch »The Guerilleres« von Monique Wittig, worin eine exklusive, wehrhafte Frauengesellschaft beschrieben wird, die im Krieg gegen Männer den Sieg davonträgt. In einer Rede einer der Roman-Heldinnen heißt es: »There was a time when you were not a slave, remember that. You walked alone, full of laughter, you bathed bare-bellied. You say you have lost all recollection of it, remember […]. You say there are no words to describe this time, you say it does not exist. But remember. Make an effort to remember. Or, failing that, invent« Wittig 1972: 95.

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§218 und das überkommene Konzept von Ehe und Familie. Für Theologinnen und gläubige Christinnen, die sich als Teil dieser Bewegung begriffen, führte dies zu einem Gefühl der Zerrissenheit, denn, so hieß in der damals frischgegründeten Zeitschrift für feministische Theologie »Schlangenbrut«: »Unsere Möglichkeit in der Kirche zu arbeiten wird zunehmend geringer, je konsequenter wir feministisch denken und handeln« (Floh 1983: 4). Auf der Suche danach, wie sich frauenemanzipatorischer Aktivismus mit einem religiösen (christlichen) Weltverständnis vereinbaren ließe, entwickelten Theologinnen verschiedene Ansichten und blickten in diesem Zusammenhang auch auf Formen feministischer Spiritualität, wie sie sich zu diesem Zeitpunkt in den USA entwickelten.66 Die »Schlangenbrut« fungierte dabei als ein wichtiges, außeruniversitäres Forum des Austausches und der Verbreitung neuer Denkansätze. Bereits im ersten Jahr ihres Erscheinens diskutierten hier Theologinnen Wicca als die Religion der großen Göttin und deuteten vorsichtig erste persönliche Erfahrungen damit an (Cramer 1984: 36-39). Z Budapest wurde interviewt (erstmalig im deutschsprachigen Raum, Friedberg 1986: 29-32) und Starkhawks »Spiral Dance« als Lektüre empfohlen (Cramer 1984: 39) sowie die Autorin vorgestellt (Koppers 1985: 26; Interview mit ihr: Gummel 1995: 34-38). Insbesondere die promovierte Religionswissenschaftlerin und Universitätsangestellte Donate Pahnke nutzt die »Schlangenbrut« und veröffentlicht ab Ende 1980er Jahren Artikel zur neuheidnischen Hexenreligion und erörterte detailliert kosmologische wie geschichtliche Grundlagen (1987: 6-11; 1990: 8-14; 1993: 11-13; 1995: 39-40; 1997: 13-16; 1999: 20-22). Derselbe Jahrgang wie Starhawk, wie sie gerne betont, begann sie sich verstärkt für Reclaiming zu interessieren (Interview, 27.6.2012). Schließlich ließ sie sich hierin einweihen und berichtete darüber ausführlich in einem der »Schlangenbrut«-Artikel (1999: 20-22). Als eine der Ersten, die den Schritt der Initiation wagte und auch öffentlich machte, avancierte sie zur maßgeblichen Wegbereiterin von Reclaiming in Deutschland. Es ist dabei ein historischer Synergieeffekt zwischen einem erstarkenden Feminismus, theologisch-religionswissenschaftlichem Interesse und der aufkommenden sogenannten New-Age-Bewegung, wodurch sich gerade auch diese Traditionslinie der Hexenreligion in Deutschland, zumindest jedoch grundlegende Parameter, verbreiteten und halten konnten. So entstanden ab den 1980er Jahren verschiedene Zentren und Institute, in denen man sich spirituell jenseits der etablierten Religionen ausprobierte. Das Arkuna-Frauenforschungs- und Bildungszentrum in Stuttgart war eines davon, das Starhawk im Mai 1987 zu einem Workshop und Vortrag einlud, an dem 66 | Felix Wiedemann bietet eine aufschlussreiche historische Darstellung wie einzelne feministische Theologinnen, z.B. Christa Mulack und Jutta Voss, schon früh die Figur der Hexe in ihre theologischen Betrachtungen aufnahmen, ohne notwendig Rekurs auf US-amerikanische Veröffentlichungen zu nehmen (Wiedemann 2007: 273-324).

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wiederum Donate Pahnke teilnahm und von da an kein Seminar von ihr in Deutschland versuchte auslassen (Email an die Autorin, 30.01.2015). In Berlin ist es das Zeitlos-Zentrum in Schöneberg, wo es, wie es ein Veteran der neuheidnischen Hexenszene ausdrückt, »spirituell gebrummt hat« (Interview mit Lotan, 24.02.2009). 1986 luden die Initiator*innen vom »Zeitlos« Starhawk in die geteilte Stadt ein und einige Jahre darauf wurde auch Z Budapest hierher geholt. Wenn heutige Hexen ihr Zusammentreffen vor allem mit Starhawk beschreiben, so gerinnt dies häufig zur Erzählung eines Erweckungserlebnisses. So berichtet Donate Pahnke während eines Interviews bei ihr zu Hause davon, dass ihr erstes Seminar und Ritual mit Starhawk, sie »hin- und weggefegt« hätte. »Ich war eine evangelisch-lutherische geprägte Religionswissenschaftlerin und ich hatte schon an vielen verschiedenen Zeremonien, Gottesdiensten teilgenommen. Aber, das, was ich hier erlebte, das war es! Starhawk kann toll Rituale leiten. Voll und ganz ist sie dabei: mit ihrem Herzen, mit allem. Ich wusste, das war es, wonach ich gesucht hatte, und ich beschloss bei ihr in die Ausbildung zu gehen«. (Interview, 27.6.2012)

Lotan, ebenfalls studierter Religionswissenschaftler, und seit den 1980er Jahren am Neuheidentum, an Hexen und insbesondere Wicca interessiert, meint auf den Punkt gebracht zum Besuch der Kalifornierin im »Zeitlos«: »Starhawk hat mich inspiriert« – Knapp und grundsätzlich fügt er an: »Mit ihr wurde in Berlin alles losgetreten.« (Interview, 24.02.2009) Das in den USA entwickelte feministisch-neuheidnische Hexentum – Reclaiming und Starhawk, Dianic Wicca und Z Budapest – war für die Entwicklung der Hexenreligion in Deutschland und Berlin von zentraler Bedeutung. Doch Lotans historischer Rundumschlag, dass alles hierdurch erst in Bewegung geriet, erfolgt dann doch zu großzügig und kann so nicht gelten. Es gibt verschiedene Strömungen, geschichtliche Kontinuitäten, Prozesse und Traditionslinien innerhalb der neuheidnischen Hexenreligion in Deutschland, die spezifisch und singulär bleiben und kaum auf angelsächsische Vorbilder zurückgreifen. Salopp formuliert: Nicht alle waren von Starhawk begeistert und fühlten sich von Reclaiming und Wicca inspiriert. Die Bandbreite von historischen, ideellen, politischen und religiösen Bezügen war gerade in Berlin, genauer Westberlin, enorm. Die Stadt – diese politisch-kulturelle Insel im Ostblock – fungierte Anfang der 1980er ähnlich einem Brennglas: Hier bündelten sich die Ausprägungen, die es in der großen und fernen Bundesrepublik gab, und traten mit besonderer Konturschärfe hervor. Dabei können die soziokulturellen Milieus, in den die selbsternannten Hexen seit den 1980er verstärkt auftauchen, kaum unterschiedlicher sein. Es

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ist einerseits die autonome Frauen- und Lesbenbewegung in den besetzten Häusern von Kreuzberg und feministischen Frauen-Gesundheitszentren, wo sie zu finden sind. Andererseits kommen sie aus dem wohlsituierten Westberlin und vertreten konservativ-national(istisch)e Werte von »Heimatverbundenheit« und »geschichtlicher Rückbesinnung«. Es wird eine weitere Textschicht auf dem Palimpsest der Hexenreligion aufgetragen, bei der die Spezifik der Hexenreligion in Deutschland exemplarisch wird. Westberlin, gleichwohl ein deutscher Ausnahmefall, wird ihr Repräsentant. In aller Ausführlichkeit soll dies im folgenden Kapitel verhandelt werden. Es geht dabei um ein konfliktreiches Postulat: nämlich einerseits feministisch-linkspolitische Werte via Religion zu vertreten, andererseits auf eine romantisch-nationalistische Idee zu setzen, wonach sich Religion kulturell-historisch und dabei konkret-topografisch an ein bestimmtes Territorium bindet.

Z usammenfassung Die neuheidnische Hexenreligion kann als ein Paradebeispiel dafür gelten, wie sehr sich religiöse Weltsichten und Praxen durch die Vielfalt und Vieldeutigkeit von historischen, sozialen und kulturellen Bezugnahmen konstituieren. Statt dies schlicht als Synkretismus bzw. Eklektizismus zu klassifizieren, wurde hier auf die Metapher des Palimpsests zurückgegriffen. Damit sollte nicht allein der immer noch abwertenden Konnotation des Begriffs des Synkretismus entgangen werden. Es ging auch und besonders darum, aufzuzeigen, wie sehr das heutige Hexentum mit der Geschichte von Religion und Spiritualität in der westlichen Hemisphäre verbunden ist – eine Verbindung, die bei der Untersuchung neureligiöser Phänomene immer noch wenig Beachtung findet und selten detailliert herausgestellt wird. Das Sinnbild des Palimpsests lädt dabei zu einer relationalen Lektüre der Hexenreligion und ihrer Entwicklung ein. So sind die zu verschiedenen Zeiten kreierten Textschichten stets in Bezug aufeinander zu begreifen. Idealtypisch habe ich in diesem Kapitel drei Textschichten ausgemacht: So wurden mit dem Londoner Occult Revival entscheidende Quellen der westlichen Esoterik (re-)aktiviert, die die kosmologischen Grundlagen der späteren Hexenreligion bilden: die Hermetik, die Kabbala sowie die Idee der Magia naturalis. Diese Lehren sah man den Idealen der Aufklärung – die Einsicht, dass es die eine göttliche Wahrheit nicht gibt sowie die Anerkennung eines (natur-)wissenschaftlichen Weltbildes – nicht entgegengesetzt. Es ging vielmehr um die Verschmelzung von »spirit and matter« als zwei Teile eines Ganzen – eine Maßgabe, die für das heutige Selbstverständnis als neuheidnische Hexe prägend ist. Von zentraler Bedeutung für diese versuchte Synthese zeigten zwei geheimgesellschaftlich organisierte Gruppierungen: die Societas Rosicruciana

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in Anglia und der aus ihr hervorgegangene Golden Dawn. Letzterer wird von heutigen Hexen als bestimmend gerade mit Blick auf das in ihrer Religion gepflegte Magieverständnis gesehen. So hat der Golden Dawn mit dazu beigetragen, den Magiebegriff zu emanzipieren, denn in entscheidender Weise wurden von da an Frauen als zentrale Protagonist*innen in der konzeptionellen Ausformulierung und der Praxis von Magie anerkannt. Des Weiteren wurde Magie konzeptionell mit der modernen Wissenschaft der Psychologie verbunden und immer stärker als eine Möglichkeit erachtet, einen »inneren Wandel« zu ermöglichen. Magie gilt seither vornehmlich als ein Weg, sich selbst zu erkennen und dadurch Veränderungen, auch in der »äußeren« Welt, zu erreichen. Schließlich erfuhr die magisch-religiöse Symbolwelt durch neuartige und wiederbelebte Kombinationen wichtige Erweiterungen. Hier ist nicht allein auf die zugeschriebene Bedeutsamkeit und die Kreation magischer Werkzeuge, auf Pentagrammrituale und Anrufungen im Rückgriff auf die Elementelehre zu verweisen, sondern auch auf die verstärkte Einbindung östlich-asiatische Vorstellungen durch den Einfluss der Theosophie (ausführlich: Hutton 1999; Otto 2011: 505-614; Gilbert 1983; King 1989; Howe 1972; Regardie 1984). Ein entscheidender Punkt, denn damit fanden Ideen von Chakren, Tattwas, yogischen und tantrischen Praktiken nachhaltig Eingang in westliche Vorstellungen von Religiosität und Spiritualität und so auch die spätere Hexenreligion. Auf diesen im Occult Revival entwickelten Komplex von Vorstellungen und rituellen Praktiken legte sich die zweite entscheidende Textschicht, die sich zugleich mit der vorhergehenden verband. Dabei ging es um die Entdeckung oder – zugespitzt formuliert – um die Erfindung einer alten Religion. Ihr Stifter Gerald B. Gardner definierte sie als einen aus der Steinzeit stammenden Fruchtbarkeitskult, dessen Repräsentantinnen heute noch lebende Hexen seien. Unabhängig davon, inwiefern Gardner selbst tatsächlich auf Hexen getroffen war, traten in seinen Darlegungen mehrere diskursive Stränge zur Entwicklung von Religion, zur nationalen Geschichte und zum modernen Normen- und Wertegefüge zusammen. Indem Gardner die Hexenreligion als ein steinzeitliches Überlebsel sah, zeigte er sich geprägt von den Survival-Theorien, wie sie maßgeblich von Edward Tylor und James Frazer aufgestellt und in der Folge unter britischen Folklore Experts ausformuliert wurden. Er holte dabei zugleich einen in der Forschung postulierten antiken Fruchtbarkeitskult, in dessen Mittelpunkt die große Göttin stand, sehnsuchtsvoll in die Gegenwart. Hierdurch erwies er sich allerdings nicht allein als Fürsprecher, sondern zugleich als Kritiker der Survival-Theorien. Insbesondere widersprach er der durch sie propagierten evolutionistischen Weltsicht, wonach mythische, okkulte wie religiöse Vorstellungen der Vergangenheit angehörten und einstmals von der Welt verschwinden würden, verdrängt von den Einsichten der (Natur-)Wissenschaften. Gardner sah demgegenüber den Fruchtbarkeitskult der Hexen als bewahrenswert an, nicht zuletzt, weil dieser Kult in Teilen auf mo-

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dernen Vorstellungen zu basieren schien und sie mitunter vorwegnahm. Zudem beschrieb Gardner ihn als Bestandteil eines europäisch-nationalen Erbes. Diese Auffassung kristallisierte sich in der Figur der Hexe heraus. Als Expertin einer vorchristlichen Religion zu keltischen Zeiten sowie im germanischen Bereich war sie bereits in der historisch-wissenschaftlichen Forschung, insbesondere durch Jules Michelet, Jacob Grimm und Laurence Gomme, wie auch in spirituell-okkultistischen Kreisen postuliert worden. Schließlich trug der Entwurf der Hexenreligion in seiner Hinwendung zu längst entschwundenen Zeiten und in der Betonung ekstatischer Elemente (die Nacktheit und rituell vollzogenen Geschlechtsverkehr mit einschloss), gegenkulturellen Charakter. Er ist mithin auch als Anklage gegen die zunehmende Dominanz von Wissenschaft und Technik, die Entfremdung der einzelnen von sich und der Natur sowie als Kritik gegen die herrschende Sexualmoral zu verstehen. Insgesamt bleiben die Inhalte des Occult Revivals klar erkennbar. Außer in den kosmologischen Grundlagen, dem gegenkulturellen Impetus, zeigen sie sich gerade im Ritualsystem der Hexenreligion an, das sich in Teilen als direkte Übertragung, gar als Kopie der zeremoniellen Praxis des Golden Dawn und der von Aleister Crowley entworfen Rituale (insbesondere im Equinox) erweist. Mit der dritten Textschicht der Hexenreligion ist schließlich auch ein Schauplatzwechsel verbunden. Von Großbritannien, und darin besonders London, verlagert sich das Zentrum entscheidender religiös-magische Innovationen an die Kalifornische Küste, nach San Francisco. Die Hexenreligion wird als »Religion der großen Göttin« von den Protagonist*innen der Frauenbefreiungsbewegung aufgegriffen und Bestandteil einer feministischen Spiritualität, wie sie sich im Zusammenhang des New-Age-Movements und dabei auch der Hippiebewegung ausbildet. Die Hexe gilt fortan nicht allein als Bewahrerin einer alten Religion, sondern als Sinnbild für die selbstermächtigte Frau, die sich gegen eine männerdominierte kapitalistische Gesellschaft auflehnt. Stärker noch als bei Gardner erfolgt die Anbindung an die Matriarchatsthese. Damit einher geht das Postulat einer Utopie durch die Theologin Mary Daly: die Hoffnung auf eine Hag-ocracy: eine Herrschaft der Hexen geprägt durch die Gleichheit aller und ein Dasein, das sich auf das Wohl aller Lebewesen ausrichtet. Der Glaube an die große Göttin und damit die Hexenreligion wird immer stärker als Mittel der Politik begriffen. Am ausgeprägtesten ist dieses Verständnis in der sich herausbildenden Traditionslinie des Reclaiming. Religiöse Vorstellung und Praxis werden hier grundsätzlich, als Möglichkeit gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, betrachtet. Diese Textschichten – das Occult Revival, das Postulat einer alten Religion und die feministisch-politische Wendung der Hexenreligion – muss man von Zeit zu Zeit gleichzeitig lesen: Nur so lässt sich das untersuchte Phänomen wirklich verstehen. Um seine Berlinische Variante und zugleich um die Besonderheiten hierzulande geht es im folgenden Kapitel.

2. Kapitel: Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

Ich hatte es lange vor mir hergeschoben, zu den Anfängen einer neuheidnischen Religion in Berlin in den 1980er Jahren bzw. zu neuheidnischen Gruppen aus jener Zeit zu forschen, in denen dann auch vereinzelt die ersten Hexen oder Wiccas auftauchten. Aus der Literatur und einem Verfassungsschutzbericht erfuhr ich nämlich, dass es unter ihnen Rechtsextremisten gegeben haben soll. Sich darauf einzulassen, fällt schwer. Schließlich habe ich mich mit einem der ersten Neuheiden in der Stadt doch getroffen – mit Michael Pflanz. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Heidnischen Gemeinschaft – eine zur damaligen Zeit sehr aktive Gruppierung. Wir haben uns in einem Café in Schöneberg verabredet. Die Atmosphäre ist anfänglich etwas unterkühlt, da mein Gesprächspartner und seine Vereinigung, wie er mir erklärt, oftmals »schlechte Erfahrungen mit Wissenschaftlern gemacht haben«. Zumindest damals sei heidnische Religiosität wegen der Verwendung von Runen und der Betonung einiger Symbole im sogenannten Dritten Reich mit politisch rechtem Gedankengut in der Öffentlichkeit verknüpft worden. Ich werde daher deutlich dazu aufgefordert, dass »jegliche Bezugnahme auf […] totalitäres Gedankengut, namentlich der Bereiche Faschismus, Nationalismus, Rassismus […] unterbleibt oder bei Erwähnung […] als im Gegensatz zur Auffassung der Heidnischen Gemeinschaft stehend zu bezeichnen.« Erst langsam tauen Michael Pflanz und ich auf. Er hat zahlreiche Flugblätter dabei, die die Gemeinschaft damals verteilte. Michael Pflanz, so zeigt sich, gibt offen Auskunft, wobei er in diesem Problembereich von dem Gedanken der Richtigstellung geleitet ist. Das Heidentum sei damals politisch, durch die Kirche und vor allem von der Wissenschaft bewusst in die rechte Ecke gestellt worden. Er beispielsweise, wie andere in der Gemeinschaft auch, sei nie rechtsextremistisch gewesen. »Ich war bei den Grünen und wissen Sie, wofür ich zuständig war? Für die Auf klärung über den Alltagsfaschismus!« Oftmals, so Pflanz, haben Wissenschaftler und Journalisten unredlich recherchiert. Ich bin verunsichert – ich kenne die Studie, auf die er sich hier im Besonderen

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Hexen der Großstadt bezieht. Sie ist wissenschaftlich diskurssetzend.1 Ich wende ein, wobei ich auf eine abgedruckte Irminsul2 deute, dass er sich doch bewusst gewesen sein muss, auf welch ein politisch schwieriges Feld er sich mit solchen Symbolen begab. Die Irminsul war das Zeichen der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe bzw. des SS-Ahnenerbes. Die Vermutung rechter Tendenzen ist da nicht unbegründet. Pflanz gibt zurück, dass man daher kritisch sein könne und sogar müsse, aber dennoch diese Dinge nicht einzig aus der zwölfjährigen NS-Perspektive wahrnehmen darf. Solche Symbole gab es lange vor den Nazis. Diese wolle man sich nicht nehmen lassen […]. Beim Abschied wird mir nochmals gewahr, wie diskursiv kompliziert das Neuheidentum in Deutschland ist: eine Kakophonie von Bedeutungen, Bezugnahmen und Wertungen, die schwer zu vermitteln ist. Michael Pflanz ist dabei ein sympathischer Erzähler. Insbesondere seine Art zu sprechen, nimmt mich ein. Wir kommen beide aus Berlin und die schnelle und abgeschliffene Sprache, die Sprachmelodie stiftet zwischen uns Vertrautheit und beredte Leichtigkeit. Dabei bleibt die gestiftete ethnografische Nähe und Empathie von politischen Ambivalenzen auf beiden Seiten begleitet. (Feldnotizen, 18.01.2015)

Im letzten Kapitel habe ich abschließend formuliert, dass sich die neuheidnische Hexenreligion in Deutschland durch ein konfliktreiches Postulat charakterisiert. So wird sie als Religion verstanden, die sich historisch und dabei konkret-topografisch an ein bestimmtes Territorium bindet – eine aus dem romantischen Nationalismus kommende Idee, die mit Blick auf Deutschlands Erfahrung einer katastrophalen nationalistischen Ideologisierung im 20. Jahrhundert für sich genommen bereits problematisch ist. Durchwirkt ist dieses religiöse Grundverständnis von feministisch-linkspolitischen Werten der Emanzipation und der geschlechtlichen, sozialen wie ethnischen Egalität. Die Komplexität, die sich aus diesen unterschiedlichen und teilweise konträren Bezügen für die Hexenreligion ergibt, wird in Berlin exemplarisch. Zugleich vertrete ich die Auffassung, dass die religiösen Handlungen und Vorstellungen neuheidnischer Hexen in Berlin ein Berlinisches Phänomen darstellen, das einmalig bleibt. In diesem Spannungsverhältnis von »generalisierbar 1 | Es handelt sich dabei um die Studie von Stefanie von Schnurbein »Religion als Kulturkritik. Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert,« die 1992 erschien. Stefanie von Schnurbein kommt der Verdienst zu, dass sie eine der ersten war, die das Neuheidentum in Deutschland und dabei vor allem in Berlin qualitativ – mittels Teilnehmender Beobachtung und Interviews – untersuchte. In der Forschung wird heute die hier (wie auch in anderen Untersuchungen zum sogenannten germanischen Neuheidentum) erfolgte pauschale Zuschreibung rassistischer und antisemitischer Weltbilder kritisch diskutiert: siehe hierzu die instruktive Analyse von Gründer 2010: 28-34. 2 | Die Irminsul gilt unter anderem als Symbol für Yggdrasil, die sogenannte Weltenesche in der nordischen Mythologie, die den Kosmos umspannt und mit den neun Welten, die sie beherbergt, das gesamte Sein repräsentiert.

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

und einzigartig« bewegt sich die folgende Darstellung. Meine Untersuchung setzt dabei in den 1980er Jahren ein. Dabei gehe ich von dem vergleichsweise simplen Gedanken aus, dass sich städtische Lokalkultur historienspezifisch festschreibt, und sich als eine Art »urban-kulturelle Patina«, wie der amerikanische Kulturanthropologe Gerald D. Suttles die Wirkmächtigkeit von Stadtgeschichte auf heutige urbane Phänomene beschreibt, auf die religiöse Praxis heutiger Hexen gelegt hat und die die Gleichzeitigkeit von Verallgemeinbarkeit und Singularität in besonderer Weise hervortreten lässt (Suttles 1984: 283-304). Die einstigen Treffpunkte, Orte, Gruppen, Strukturen und politischen wie kulturellen Gegebenheiten mögen heute in der Form nicht mehr existieren, obwohl sie in einzelnen Fällen ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen aufweisen. Aber in das Selbstverständnis und in die Gewohnheiten heutiger neuheidnischer Hexen und in die Art und Weise, wie sie ihre Religion in der Stadt praktizieren, hat sich die Vergangenheit eingeschrieben. Bestimmte gegenwärtige Handlungsweisen, Vorstellungen, Konflikte und Grenzziehungen werden mithin erst in der (stadt-)historischen Vertiefung verständlich, wie ich sie im Folgenden aufzeigen werde. Für die 1980er Jahre interessiert mich dabei, welche Gruppierungen und Einzelprotagonist*innen in der Stadt sich die Hexe als Identifikationsfigur aneigneten (unabhängig davon, ob »Hexe« als Selbstbezeichnung genutzt wurde). Welche religiös-neuheidnischen, aber auch oder ausschließlich sozialen, kulturellen und politischen Weltvorstellungen und Lebensformen wurden damit angesprochen? Und wie wurden sie im urbanen Kontext mit seinen besonderen Bedingungen ausgehandelt und profiliert? In diesem Zusammenhang soll auch auf die geografische Aneignung der Stadt geschaut werden. Wo genau also wurden Gruppen aktiv und warum gerade dort? Mit welchen kulturell bzw. spirituell bedeutsamen Topografien wurde die Stadt dabei ausgestattet und inwiefern wurden diese in der Stadt sichtbar, generierten eine Form von städtischer Öffentlichkeit? Die Geschichte, die dabei erzählt wird, ist die einer geteilten Stadt – denn es ist Westberlin, wo die ersten Hexen (bzw. der Verweis auf sie) und Neuheid*innen zu finden sind. In Ostberlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), hat es vereinzelt und in familiären Kreisen zwar Praktiken gegeben, die im weitesten Sinne als neuheidnisch und spirituell bzw. okkult gelten können: wie das Begehen einzelner Feste, die den Jahreskreisfeiern ähnelten, oder das Legen von Skatkarten als Mittel der Weissagung. Aber eine Auseinandersetzung mit der Figur der Hexe hat es in diesem Zusammenhang kaum gegeben (Interview mit Stefanie, 12.06.2012; Interview mit Mareike Seadini, 10.10.2011). Des Weiteren kam es angesichts der atheistischen bzw. antireligiösen Staatsräson und der starken Begrenzung der Meinungsfreiheit zu keiner erkennbaren Gruppenbildung, die forschungsrelevant sein könnte.

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Gewiss war das Auftauchen von Hexen und neuheidnischen Religionsvorstellungen kein auf Westberlin beschränktes Phänomen, sondern zeigte sich ab den 1980er Jahren in der gesamten Bundesrepublik (Rensing 2006: 9; Wiedemann 2007: 316-324). Stets wurden damit Alternativen zu den propagierten Lebensmodellen der damaligen Bundesrepublik angesprochen (von Schnurbein 1992: 1-4). Dabei spielte die Erfahrung der Grenzen des Fortschritts eine Rolle. Im Zuge eines wachsenden Krisenbewusstseins festigten sich die sogenannten neuen sozialen Bewegungen in jenen Jahren: die Friedens- und Frauenbewegung gleichermaßen wie die Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung. Es ging um gesellschaftliche Gegenwehr: gegen das Waldsterben, den »sauren Regen« und das Ozonloch, gegen die »schnellen Brüter« und die durch den Nato-Doppelbeschluss wachsende atomare Bedrohung und schließlich gegen den Paragraphen 218, die paternalistische Rechtsprechung und die daraus resultierende Geschlechterdiskriminierung (Roth/Rucht 1987; Lang 1997: 125; Gerhard 2008: 187-218; Brand 2008: 219-244; Rucht 2008: 245-266). Die Hexe wurde dabei innerhalb eines gesellschaftlichen Alternativentwurfs interessant, der eine natur- und menschengerechtere »Heimat- und Urreligion« postulierte (von Schnurbein 1992: 1). Ähnlich wie schon bei Gardner, setzten ihre Protagonist*innen auf die »Rückbesinnung« auf steinzeitliche, heidnische Lokaltraditionen, die sie als germanisch, keltisch und oftmals auch slawisch-wendisch ansahen. Man war davon überzeugt, dass so der verloren geglaubte Einklang von Mensch, Natur, den Göttern und Göttinnen wiederhergestellt würde und dass dies der Weg zu einer notwendigen gesellschaftlichen Erneuerung sei. Die Hexe trat dabei als »weise Seherin«, als »Naturheilkundige« und »freie germanische Frau« der frühen Menschheitsgeschichte in Erscheinung, die über »ein reiches Wissen im Bereich der Weissagung, Heilkunst und der Magie« verfügte und die »die heidnischen Götter und Göttinnen« verehrte (von Nemenyi 1988: 263-264).3 Zugleich und davon unabhängig stieg die Hexe – wie auch schon in den USA zu beobachten war – zur Gallionsfigur der zweiten Welle der Frauenbewegung auf. Von religiösen Vorstellungen und neuheidnischem Heimatverständnis weit entfernt, war sie vor allem eines: die »Personifizierung femininer Revolte« (Siebenschön 1977: 19; Bovenschen 1977: 259-274). Gleichwohl hier geschichtliche Vorstellungen von der Hexe als kluge und autarke Frau aus vorchristlichen Zeiten eine Rolle spielten, wurde sie gerade nicht mit der Rückkehr, sondern viel eher mit einer radikalen Abkehr von Traditionen verbunden. Sie war die wehrhafte Frau, die sich in ihrer Stärke und Unabhängigkeit gesellschaftlicher Probleme annahm und sie beseitigte. Dem herrschenden Pa3 | Siehe auch die Flugblätter der Heidnischen Gemeinschaft, eine Berliner Organisation, die weiter unten diskutiert wird: »Hexen – Weise Frauen«, o.D.; »Gleichberechtigung«, o.D.

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triarchat sollte sie Furcht und Respekt einflößen. Erst allmählich und über Widerstände hinweg verband sich die politische Botschaft mit der Idee einer spirituellen inneren Kraft in Form eines »alten magischen Wissens«. Auf welche Weise wurden nun solche feministisch-inspirierten Vorstellungen wie auch die Idee einer »heidnischen Heimat- bzw. Urreligion« in Westberlin umgesetzt? Meine Analyse setzt an dem Punkt an, an dem sich die ersten Männer und Frauen zusammenfanden, um ein altes Heidentum wiederzubeleben, das für sie die älteste und ursprüngliche Religion Europas darstellte. Es zeigt sich im Folgenden, wie sie die Stadt als Aktionsraum ihrer religiösen Vorstellungen nutzten. Die urbane Öffentlichkeit, die dabei generiert wurde, verdichtet Fragen nach den (il)legitimen Bezügen auf eine nationale Vergangenheit in der neuheidnischen Praxis und nach den damit einhergehenden Grenzen des religiösen Feldes – eine Problematik, mit der sich gegenwärtige neuheidnische Hexen in Berlin nach wie vor konfrontiert sehen.4 Damalige Protagonistinnen5, die ihre religiösen Vorstellungen aus dem modernen Feminismus heraus entwickelten, wurden in Westberlin weit weniger öffentlich und kaum über die Reihen der Frauenbewegung hinweg wahrgenommen. Die Quellenlage über sie ist spärlich. Für die Vertreterinnen von damals stellen die 1980er Jahre zudem eine abgeschlossene Episode ihres Lebens dar, von der sie nicht weiter berichten wollen, da sich mittlerweile ihre Interessen verschoben haben. So schlossen denn auch die Gründerinnen des Adhara-Büchertempels – ein Geschäft in Berlin-Charlottenburg, das Autorinnen »mit anspruchsvoller Spiritualität und feministischem Hintergrund« fördern wollte (Email der Gründerinnen des Adhara-Büchertempels vom 15.10.2013 an die Autorin) und ein Treff neuheidnischer Hexen war – ihre knapp gehaltenen Ausführungen zu den 1980er Jahren: »Zu unserem Erleben in eigenen Zirkeln oder Kreisen bzw. dem Zusammentreffen mit […] Hexen verspüren wir heute tiefe Verbundenheit, jedoch sind wir ›Weiber der Zukunft‹ und so ehrenwert Gelebtes ist, es ist gelebt« (Email vom 18.10.2013 an die Autorin). Anders als bei den Protagonist*innen eines alten Heidentums wurden unter gegenwärtigen neuheidnischen Hexen kaum Erinnerungen an diese damaligen femi4 | Wie Bourdieu begreife ich das »religiöse Feld« als einen Handlungsraum, innerhalb dessen ein Kampf um die Durchsetzung einer legitimen Definition des Religiösen sowie einer bestimmten Art, religiöse Rollen zu erfüllen, ausgetragen wird. Kurzum, es geht um den Kampf um religiöse Macht. Die Akteur*innen unterliegen dabei bestimmten sozialen (Spiel-)Regeln und bringen verschiedenes symbolisches, kulturelles, soziales und kulturelles Kapital in diesen Kampf mit ein (ins Spiel, wie Bourdieu auch schreibt). Siehe Bourdieu 2000: 15-110; sowie ders. 1992: 231-237. 5 | Ich verwende in diesem Zusammenhang ausschließlich die weibliche Form, weil es sich hier exklusiv um (biologische) Frauen handelt. Sie bilden eine Gemeinschaft, die für Männern verschlossen blieb. Es galt das binäre Geschlechtermodell.

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nistisch-spirituell aktiven Frauen weitergegeben, noch gibt es – nach jetzigem Kenntnisstand – Personen aus jener Zeit, die bis heute aktiv sind. Man muss den Bereich von Religion bzw. Spiritualität verlassen, um erkennen und einordnen zu können, inwiefern der moderne Feminismus Einfluss auf heutige Hexen und ihr Selbstverständnis hatte. Der Blick in diesem Kapitel richtet sich vor allem auf die autonome Lesbenszene der Stadt. Die Analyse konzentriert sich auf den Begriff der Hexe und wie er Einzug in das lesbischfeministische Sprach- und Bilderrepertoire hielt. In geradezu lustvoller – körperbetonter und lebensbejahender – Weise, so ist zu beobachten, haben lesbische Frauen Orte der Hexen benannt und der Figur mit ihren politischen Implikationen im Stadtbild Prominenz verschafft. Es wurden Lebens- und Weltvorstellungen entwickelt, auf die die Berliner Hexen der Gegenwart nach wie vor rekurrieren, wie im Folgenden ersichtlich werden soll. Zwischen den damaligen neuheidnischen und frauenbewegten Gruppierungen gab es keine personellen und keine – und wenn, dann ungewollte – ideellen Überschneidungen. Worin sie sich jedoch glichen, war, dass sie Westberlin als den Freiraum zur Verwirklichung ihrer religiösen und politischen Weltsicht ansahen.

W estberlin und das (N eu -)H eidentum – Z wischen   spirituellem B oom und der S uche nach   politischen A lternativen In dem Jahrzehnt vor dem Mauerfall schien in Westberlin alles möglich. Was anderswo als nicht realisierbar galt, konnte hier – davon waren viele überzeugt – umgesetzt werden. Dabei herrschte ein Lebensgefühl, das sich aus der territorialen Inselsituation und damit verbunden besonderen ökonomischen wie sozialen Implikationen speiste. »So künstlich, hochsubventioniert und vielgeschmäht diese Insellage auch gewesen sein mag, sie hatte durchaus auch ihre Vorteile«, so beschreibt es die Journalistin Regine Ahrem, die 1977 aus München nach Berlin kam, und erklärt: »Im Schatten der rundum gezogenen Mauer haben sich ungehinderter und farbiger als anderswo Künste, Kulturen und Individuen entfalten können, war mehr als anderswo eine gewisse Offenheit und Toleranz für Außenseiter und Randexistenzen, für Abwegiges und Ausgeflipptes vorhanden« (Ahrem 1991: 76). Dabei erstreckte sich der (imaginierte) Freiraum nicht allein auf die Autonomenbewegung und die Punks der Stadt, auf die Musik- und Literaturszene und auf die Off-Theater – die allesamt derart häufig porträtiert und dokumentiert wurden, dass sie für Westberlin ikonografischen Status erreicht haben und zu den (popkulturellen) Sinnbil-

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

dern der Stadt in den 1980er Jahren aufgestiegen sind.6 Was bisher in keinem Stadtporträt beachtet wurde, ist der Umstand, dass in den 1980er Jahren auch die New-Age-Bewegung die Westberlinischen Gefilde erreicht hatte; und mit ihr kam es zu einem Boom an Religionen und allgemein philosophisch-religiösen Strömungen, die weit über die Vorstellungen des etablierten Christentums hinausgingen. Was sie verband, war die Vorstellung, mittels Selbsterkenntnis Einsicht in eine allumspannende göttliche Kraft zu erhalten und auf diesem Weg sich selbst und die umgebende Wirklichkeit zum Besseren zu verändern. Ob dies nun religiös, spirituell oder doch eher esoterisch zu bezeichnen war – darüber blieben sich selbst die Protagonist*innen unschlüssig, weshalb diese Begrifflichkeiten beliebig und situativ vergeben wurden. Die Bandbreite von Angeboten in diesem Bereich war enorm: Man konnte sich der Bhagwan-Gemeinschaft anschließen oder/und AnhängerIn des Buddhismus werden (Berlin Okkult 1985: 47). Die »esoterischen Schulen Berlin« vermittelten Einblicke in die verschiedensten Lehren der Mystik (Berlin Okkult 1985: 55) und in der »Residenz des Zeitalters der Erleuchtung Berlin e.V.« konnte man zu »›erweitertem‹ Bewusstsein« und »›übernatürlichen‹ Fertigkeiten« gelangen (Berlin Okkult 1985: 48). Schließlich boten nahezu zehn Buchläden in der Stadt ein spezialisiertes Programm an und hielten Schriften zur »östlichen und westlichen Esoterik«, zur »Religionsgeschichte und Magie« und »alles von Astrologie bis Zen, Schamanismus, Sufis […] Religion […]« bereit (Berlin Okkult 1985: 79-80). Kurzum: Berlin war »ein spirituelles Mekka«. Das jedenfalls meinten die Herausgeber*innen des »ersten esoterischen Stadtführers der Welt«.7 Die im Titel anklingende (und wie so oft ungeprüfte) Vorreiterrolle Berlins spiegelt

6 | Dies ist bereits in den 1980er Jahren der Fall und zeigt sich unter anderem, wenn das 1986 erschienene »GEO-Special«-Heft über Berlin als Titelbild ein punkgestyltes Mädchen zeigt, das sinnbildlich für die Stadt steht (Lindner 1993: 106; Lang 1997: 23). Weitere Beispiele, dass Punks/Autonome/alternative Musikszene/Off-Theater als (popkulturelle) Sinnbilder für Westberlin der 1980er Jahre gehandelt werden: der Dokumentarfilm »B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin – 1979-1989« (2015) von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange; Dokumentarfilm »No Wave – Underground ʽ80 Berlin – New York« (2009) von Christoph Dreher, Ellen El Malki; Spielfilm »Tod den Hippies: Es lebe der Punk« (2015) von Oskar Roehler; Romane: Dückers, Tanja (2011). Hausers Zimmer. Frankfurt a.M.: Schöffling. Siehe auch Sven Regeners Roman-Triologie »Herr Lehmann«; Bd.1 »Herr Lehmann«, Bd.2 »Neue Vahr Süd«, Bd. 3 »Der kleine Bruder«: München: Goldmann. Ausstellung »West:Berlin. Eine Insel auf der Suche nach Festland« vom 14.11.2014 bis 28.06.2015 im Stadtmuseum Berlin, Ephraim Palais. Musical »Linie 1« (1986) von Wolfgang Kolneder. 7 | Scharna, Michael/Flamm, Wolfgang M./Lux, Claudia (Hg.) (1985). Berlin Okkult. Der erste esoterische Stadtführer der Welt. Berlin: Frieling.

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anschaulich die damals gefühlte Dynamik wieder. Wie es in der Broschüre einleitend heißt: »Berlin ist die heimliche Hauptstadt der Esoteriker und Okkultisten. Wahrsager, Kartenleger, Astrologen und Seher, Mystiker, Derwische und Ordensgemeinschaften, Feen und Zauberer wirken in der Metropole an der Spree. Sie verfügen über gut ausgestattete Bürohäuser, Clubs, Tempel und Kirchen […]. In keiner anderen europäischen Stadt gibt es ähnlich viele verschiedene religiöse Gemeinschaften und Gruppen. Tatsächlich ist Berlin ein spirituelles Mekka«. (Scharna/Flamm/Lux 1985, 7)

In diesem »spirituellen Mekka« sind auch die Anfänge eines (Neu-)Heidentums und darin eingeschlossen Elemente eines neuheidnischen Hexentums zu verorten. Eine der Initialzündungen stellte hier eine in Frakturschrift verfasste Annonce dar, die der damals 24jährige Student der Hochschule der Künste Geza von Nemenyi aufgesetzt hatte und in dem kleinen Buchladen »Yggdrasil« in der Charlottenburger Mindener Straße ans schwarze Brett heftete. Der Inhalt des Inserats fügte sich gut zum Namen des Geschäfts. Unter der Überschrift: »Germanische Mythologie« konnte man lesen: »Für einen entsprechenden Verein werden interessierte Gründungsmitglieder gesucht. Vereinsziel: Verbreitung mythologischen Wissens. Dazu z.Bsp. gemeinsame Kultfeiern (Jul, Sonnenwende […]) mit alten Bräuchen, […] Runenkunde […] Reise zu den Göttern von Asgart oder zu den Elfen von Alfheim. Treffpunkt für echte Hexen (Hag=Idisen, Walküren, weise Frauen […]), vielleicht Volkstänze, Volkslieder […] Naturverbundenheit-Geselligkeit. Keine Politik«. (handschriftliche Annonce, Herbst 1983, Bestand des Archivs von Geza von Nemenyi)

Was ihn zu diesem Inserat motivierte, erklärt mir Geza von Nemenyi in einem Interview. Dabei meint er einleitend, dass er lange versucht habe, ein guter Christ zu sein. Er wurde streng katholisch erzogen, denn sein Vater war studierter Theologe und arbeitete als Diakon in Berlin. Geza von Nemenyi las gründlich die Bibel und wollte sie unbedingt verstehen und daran glauben, aber ihm fehlte etwas: »[…] mir hat die Natur gefehlt. Mir war da zu viel ›Wüste‹ [in den Darstellungen der Bibel, V.H.]. Ich habe mir dann Runenbücher gekauft und irgendwann auch die Edda […]. Davon war meine Seele mehr angesprochen, da war eben die Natur, das fand ich interessanter. […] Ich brauchte die Natur […] Von meinem seelischen Empfinden her, das wurde mir klar, war ich heidnisch«. (Interview mit Geza von Nemenyi, 22.10.2012)

Wenn Geza von Nemenyi sagt, dass ihm in den biblischen Beschreibungen »zu viel Wüste« gewesen sei, so greift er hier auf die Idee vom Christentum als

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»Wüstenreligion« zurück. Diese hat ihre Wurzeln in den romantisch-nationalistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und manifestierte sich im völkischen Orientalismus des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei wurde argumentiert, dass das Christentum im »semitischen Orient« und hier in der »Wüste« entstand, und dementsprechend räumlich und kulturell fremd für Europa und Deutschland sei (Wiedemann 2007: 126). Geza von Nemenyi folgt diesem historisch konstituierten Sinngehalt jedoch nur ein Stück weit und illustriert seine Einstellung mit folgender Allegorie: »Die Religion ist wie eine Jacke und die Jacke ›Christentum‹ ist eigentlich nicht für unser Klima gemacht. Wir haben sie zwar ausgebessert, wir haben die Löcher geflickt und vielleicht unten noch etwas drangehängt. Aber, so richtig optimal ist sie nicht. Diese Jacke ist kein Maßanzug. Das Heidentum ist für uns der Maßanzug, passend zu unserer Natur.« (Interview, 22.10.2012)

Und um solch ein (Neu-)Heidentum zu praktizieren, suchte Geza Mitstreiter*innen. Er setzte dabei auf die Idee der exakten historischen Rekonstruktion. Grundlage hierfür bildeten die Überlieferungen aus der Edda, die Grimm’sche Deutsche Mythologie, Germanische Götter-und Heldensagen sowie volkskundliche Forschungen zu lokalem Brauchtum. Für Geza von Nemenyi stellte und stellt das Heidentum die »Urreligion« Europas dar.8 Sie wiederzubeleben war das große Ziel. Keinesfalls war und ist sie »neu« – weshalb er die häufig gebrauchte Bezeichnung »Neuheidentum« strikt ablehnt (Interview, 22.10.2012). Durch weitere Annoncen im Stadtmagazin »Zitty« und durch private Kontakte kam schließlich eine eher lose Gruppe von maximal 20 Personen zusammen – darunter überwiegend Studierende unterschiedlicher Disziplinen und Angestellte im Verwaltungs- und Technikbereich, vornehmlich männlich. Der Kern wurde von vier Leuten gebildet: neben Geza von Nemenyi waren dies der Chemie- und Biologiestudent Michael Pflanz, der Versicherungsangestellte Matthias Wenger sowie der Fernmeldetechniker Bernhard Schulz. Zwischen Geza von Nemenyi, Matthias Wenger und Michael Pflanz zeigte sich dabei eine erstaunliche Kongruenz religiöser Sozialisation: Alle drei waren in Familien groß geworden, in denen das Christentum in seinen vielfältigen Ausprägungen eine zentrale Rolle gespielt hatte: Geza von Nemenyi war katholisch erzogen, Matthias Wengers Eltern gehörten den bibeltreuen Siebentagsadventist*innen an und Michael Pflanz wuchs in einem protestantischen Haushalt heran (Interview mit Geza von Nemenyi, 22.10.2012; Interview mit Matthias Wenger, 20.11.2012; Interview mit Michael Pflanz, 18.01.2015). In der Hinwendung zum (Neu-)Heidentum drückte sich nicht zuletzt die Opposition gegen 8 | Wenn hier vom Heidentum die Rede ist, wird sich damit an den Sprachgebrauch der Protagonist*innen angelehnt.

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die Elterngeneration aus und war mit der Idee einer religiösen Abkehr verbunden. Dies erklärt die Vehemenz, mit der man in den folgenden Jahren gegen christliche Lehren Stellung bezog. Ihrer religiösen Prägung entkamen die drei Männer allerdings nicht ganz – sie klang in dem zentralen Bezug auf die Edda durch, die wie die Bibel im Christentum als heilige Schrift fungierte (Nemenyi 1988: 6, 10), als auch in der für monotheistische Religionen ebenfalls spezifischen Dogmatik (wie sie sich gerade auch in der Idee der »exakten Rekonstruktion« zeigt). 1985 ließ man sich als Verein mit dem Namen »Heidnische Gemeinschaft« registrieren.9 Gemeinschaftlich wurden die Jahreskreisfeste begangen, sich ins Studium der Edda vertieft und die Runen studiert. Die Hexe diente zwar nicht als Selbstbezeichnung, doch kam ihr im Verständnis vom (Neu-)Heidentum und den deklarierten Geschlechteridentitäten eine zentrale Rolle zu. Dabei verschränkte sich der feministische Diskurs mit einem antiklerikalen Interpretationsmuster sowie abermals mit Versatzstücken romantischer, nationaler Vorstellungen: hier jene vom Germanentum als eine Form des Zusammenlebens, die wahrhaft gerecht und egalitär gewesen sei. Gut zusammengefasst wird diese Position in einem der Flugblätter, die während der 1980er Jahre von der Gruppe verfasst und überall in der Stadt, besonders an den Universitäten, ausgelegt wurden. So liest man in dem Flyer »Hexen – Weise Frauen« von der Hexenverfolgung, »die aus dem Hass widernatürlich lebender Kleriker gegen alles Weibliche […]« geboren worden sei. Und weiter: »Bei unseren heidnischen Vorfahren war die Frau immer hoch geachtet. Sie gab als weise Seherin Rat, und sie saß als Hag-Idise, daher der Name Hexe, beim Thing. Im Alltag, bei der Arbeit und allen Dingen des täglichen Lebens stand sie den Männern gleichberechtigt zur Seite. Die freie germanische Frau führte als Zeichen ihres Ansehens eine Waffe. […] An diese hohe Stellung der Frau wollen wir wieder anknüpfen, indem wir die heidnische Religion ausüben.« (Flugblatt »Hexen – Weise Frauen«, o.D., Mitte der 1980er Jahre) 9 | Die Gründung gestaltete sich wechselvoll. 1983 wurde bereits die »Heidnische Glaubensgemeinschaft« in einem Verfassungsbericht erwähnt (Senator für Inneres, Landesamt für Verfassungsschutz Berlin: Völkische Gruppierungen in Berlin (West). Stand 01.01.1984: 41). Wahrscheinlich geht dieser Name auf Matthias Wenger und Bernhard Schulz zurück. Doch, wie Michael Pflanz sagt, empfanden Geza von Nemenyi und er die Bezeichnung »[…] als sehr eng gefasst. Es sollte doch vielfältig sein. Es ging nicht um einen konkreten Glauben, eher um ganz allgemeine Vorstellungen von einer göttlichen Kraft. So sind wir dann auf den Namen ›heidnische Gemeinschaft‹ gekommen« (Interview mit Michael Pflanz, 18.01.2015). Matthias Wenger und Bernhard Schulz trennten sich von der Gruppe. Siehe hierzu weiter unten. 1985 wurde die Heidnische Gemeinschaft offiziell im städtischen Vereinsregister registriert (siehe auch von Schnurbein 1993: 142-165).

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

Geza von Nemenyi betonte stets – und andere Mitglieder pflichteten ihm bei –, dass man in der Praxis eines (Neu-)Heidentums »keine Politik« betreiben wollte (Interview, 22.10.2012; auch Interview mit Michael Pflanz, 18.01.2015). Dieses proklamierte Credo entsprang in weiten Teilen dem Bewusstsein darüber, auf welch ein diskursiv hoch umkämpftes Feld man sich mit den Bezügen auf eine heidnische und germanische Vergangenheit begab und wie historisch problematisch der Umgang mit der Runenreihe, dem sogenannten Futhark, und mit nordischen Symbolen war. Ausgelöst durch die kollektive Erinnerung an die NS-Zeit und deren Anleihen an ein vermeintliches Germanentum konnte dies mit politisch-rechtsextremen Tendenzen gleichgesetzt werden. Indem man sich dezidiert unpolitisch verortete, wollte man dieser Zuschreibung entgehen. Doch diese unpolitische Positionierung stimmte nur bedingt. Nicht allein klang in der deklarierten Gleichheit der Geschlechter ein gesellschaftlicher Gestaltungswille durch und somit ein durchaus politisches Ziel. Indem man die Natur als immanent göttlich betrachtete und diese Anschauung als einen zentralen Aspekt des eigenen (neu-)heidnischen Selbstverständnisses deklarierte, taten sich ebenfalls politische Überzeugungen kund, nämlich dass eine fortschreitende Umweltzerstörung nicht länger hingenommen werden konnte und dass das (Neu-)Heidentum die passende religiöse Antwort auf die ökologischen und auch sozialen Probleme war: ein funktionierender Gegenentwurf zum gegenwärtigen Normen- und Wertesystem des Kapitalismus. »Passend« sprach dabei eine Form »europäischer Eigenart«, wie es die Männer der Heidnischen Gemeinschaft nannten, an, die sich territorial und dabei kulturell wie auch in Ansätzen biologisch-körperlich zu binden schien. So heißt es programmatisch in zwei Flugblättern der 1980er Jahre: »Die Ursache für die Naturzerstörung liegt in einem kraß egoistischen, materialistischen Denken […]. Wo sind die Bausteine einer neuen Ordnung? Diese Frage zu beantworten, bieten sich eine ganze Reihe christlicher Sekten und östlicher Religionen an. Aber sind ihre Antworten uns Europäern gemäß? […] [I]n unserem Raum gab es über Jahrtausende eine unseren Eigenarten entsprechende Religion, die hierher paßte, weil sie sich hier entwickelt hatte. Sie sorgte […] dafür, daß der Mensch Schönheit und Reichhaltigkeit der Natur bewahrte und sie nicht ausbeutete.«

Und schließlich: »Wir versuchen die Naturverbundenheit unserer Vorfahren wieder so zu leben, wie es uns in den mythologischen Quellen überliefert ist. In dem Glauben an die Lebendigkeit und Heiligkeit der Natur sehen wir die große Chance der Menschheit…« (Flugblätter: »Naturgemäß glauben und leben«, »Wollen und Wirken«, o.D.).

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Die Praxis einer »europäischen Urreligion« im Stadtraum – Entwurf einer heidnisch-religiösen Topografie Westberlins Die Praxis eines »Glauben(s) an die Lebendigkeit und Heiligkeit der Natur« – einer »europäischen Urreligion«, wie die Gemeinschaft meinte – stellte in einer Stadt wie Westberlin in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar. So stand und steht allgemein das urbane Setting gerade für die Entfremdung und die Loslösung von Natur.10 In Westberlin verdichtete sich die Problematik: Umgeben von der Mauer, inmitten des »realexistierenden Sozialismus«, konnte man sich der Stadt nicht ohne Weiteres entziehen. »Auf’s Land« und »einfach mal raus« fahren, zu entlegenen Waldeslichtungen, um der Natur in besonderer Weise nah zu sein und so die Verbindung mit dem Göttlichen zu vertiefen, war und ist eine unter (Neu-)Heiden und Hexen gängige Praxis. Solch ein Ausflug bedeutete in der geteilten Stadt allerdings den Übertritt fester und dabei politisch hochsensibler Grenzen, was sich in dem hierfür notwendigen bürokratischen Aufwand spiegelte. So musste man in einem der fünf Westberliner Büros »für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Berlin (West)« vorstellig werden. Dort galt es, einen »Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums der DDR« zu erwerben, auf den man ein bis zwei Tage warten musste. Hatte man diese Hürden genommen, wurde an der Grenze ein »Pflicht-« bzw. »Zwangsumtausch« von 25 D-Mark pro Tag fällig. »Ja, gewiss, man konnte raus«, wie Matthias Wenger lapidar auf meine Nachfrage während des Interviews meinte, ob man nie darüber nachgedacht habe, in der umgebenden Natur außerhalb von Westberlin Rituale zu begehen, »[…] aber das war beschwerlich und es kostete Eintritt. Wenn, dann war unsere Natur der Grunewald. Und falls wir dann doch rausgefahren sind, also Westberlin verlassen haben, dann sind wir immer gleich durchgerauscht nach Westdeutschland, um dort mit Freunden zu feiern. Aber auch das passierte nicht oft.« (Interview, 20.11.2012)11

10 | Die diskursive Herausbildung des Gegensatzpaares »Natur versus Stadt« ab der Frühmoderne (15. Jh. bis 18./19. Jh.) diskutiert der Historiker Keith Thomas beispielhaft für England (Thomas 1983: insbesondere 242-287). 11 | »Unsere Natur war der Grunewald«: Hierin spiegelt sich der Gedanke, dass sich im Kleinen die große weite Welt wiederfindet, in dem Fall die Natur an sich. Diese Art Lebensgefühl in den Jahren vor dem Mauerfall (dass sich in Westberlin die große Welt zeigt, wenngleich im Kleinen, und dass man sich darin einrichtete) wird auch in dem im April 2015 veröffentlichten Lied des Berliner Musikers Lüül alias Lutz Graf-Ulbrich wiedergegeben. Es heißt im Refrain: »Unser Meer war der Wannsee, unsere Insel West-Berlin. Alles war möglich […], wenn die Sonne schien!«

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Da man sich von Westberlin kaum zurückziehen konnte und dies auch nicht wollte, richtete man sich auf der Insel ein. Statt bei der religiösen Praxis in erster Linie auf die Erfahrung in der »freien Natur« zu setzen, gewann die Dimension Geschichte an Bedeutsamkeit und man wandte sich verstärkt Berlins vorchristlicher Vergangenheit zu. Vor allem Geza von Nemenyi begann minutiös, die slawische, germanische und keltische Besiedlungszeit der Stadt zu erforschen, immer auf der Suche nach früheren Kultplätzen oder auch Heiligtümern, wie er sie nannte. Er versah die Stadt dabei – so lässt es sich analytisch fassen – mit einer (neu-)heidnisch-religiösen Topografie, die er gemeinschaftlich mit anderen durch Rituale »zu aktivieren« hoffte, wie er es im Interview beschreibt. Mit Stolz und einem Lachen fügt Geza von Nemenyi hinzu: »Ich habe ungefähr 40 Kultstätten in Berlin gefunden. Also unterversorgt waren wir nicht« (Interview, 22.10.2012). Die Logik, mit der die rituelle Nutzung dieser Orte und damit die entworfene Topografie insgesamt unterlegt wurde, war, dass »unsere Vorfahren diese Heiligtümer […] genutzt haben, weil da bestimmte Kräfte herrschen«. Wie Geza von Nemenyi weiter erklärt: »Esoteriker würden sagen ›Erdkräfte‹, ›kosmische Kräfte‹ […] ›Magnetismus‹ […]. Wir sagen, das sind Götterkräfte. Die Germanen und Kelten haben einfach gespürt, wo die Götter leben, wo die Kräfte der Götter besonders stark sind. Das waren die Heiligtümer. Da haben sie dann auch ihre Kulte begangen und dadurch diese Kraft verstärkt. […] Und diese Kraft können wir jetzt nutzen, denn sie ist immer noch da.« (Interview, 22.10.2012)

Im November 1983 fand eines der ersten gemeinschaftlichen Rituale an der sogenannten Blanken Helle bzw. am Helpfuhl statt, ein für Berliner Verhältnisse recht tiefer und großer Tümpel im Stadtteil Schöneberg. Hier, so wird in einer Sage beschrieben, soll sich der Eingang zum Reich der Göttin Hel, die in der germanischen Mythologie über das Reich der Toten herrscht, befinden und einstmals ein Heiligtum für sie errichtet worden sein. Geza von Nemenyi hatte hierzu sehr genau recherchiert. Die Geschichte kündigte sich schon im Namen an und wurde im Stadtraum bereits mehrfach tradiert. Sie hat sich dabei in diesen Ort eingeschrieben, wodurch er den Ruf, beängstigend zu sein, erwarb und zeitweise den Spitznamen »Blanke Hölle« erhielt (Weißpflug 1996: 58-61; Krügel 1926: 29-34, insbesondere 34; Wollschläger 1964: 30-31). Es heißt, die Göttin hole sich genau an dieser Stelle jedes Jahr einen Menschen ins Totenreich, weil sie erzürnt sei, dass niemand mehr an sie glaubt und sie verehrt. Geza von Nemenyi und seine Mitstreiter*innen aktivierten mit ihrem Ritual eine mythologisch-vorchristliche Geschichte und eigneten sie sich an. Zugleich aber griffen sie eine teilweise bis heute währende Imagination von

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diesem Ort in der Stadt auf und schrieben sie fort.12 Dies zusammengenommen machte die Blanke Helle zu einem äußerst geeigneten Ritualort, so sehr, dass er als solcher bis heute noch genutzt wird. Er passt zur Stadt mit ihren kulturell-historischen Kodierungen und ist jetzt nachweislich zu einer Kultstätte geworden. Wie Anja Hoffmann, eine neuheidnische Hexe, die mit Matthias Wenger gut bekannt und mit Geza von Nemenyi bekannt ist, meint: »Auf dem Grund des Helpfuhls müssen schon zig Teelichter von Ritualen verschiedenster Hexengruppen liegen. Später wird ein Archäologe sagen, dass das wohl ein Kultplatz gewesen sein muss« (Interview, 05.02.2009). Neben der Blanken Helle nutzte man weitere Orte der heidnisch-religiösen Topografie, wobei man darauf achtete, nur an jenen Plätzen Rituale zu begehen, die zumindest ein Stück weit den Rückzug von der Hektik, der Lautstärke und der Vielzahl der Menschen in der Großstadt ermöglichten – Orte bzw. ehemalige Kultstätten, die noch nicht überbaut waren und die in Erholungsgebieten, großflächigen Grünanlagen oder an Seen gelegen waren. So abgeschieden diese Gegenden allerdings waren, sie galten zumeist als öffentlich, was meint, dass sie dazu geschaffen wurden, allen Bewohner*innen der Stadt Entspannung und eine Pause vom urbanen Treiben zu geben. Genau hierin lag eine Problematik: Es wurde nicht allein schwierig, die allgemein für die religiöse Erfahrung wichtigen Momente des Geheimnisvollen und Unzugänglichen aufrecht zu erhalten.13 Es führte auch dazu, dass die (neu-)heidnischen Aktivitäten der Gruppe um Geza von Nemenyi im Stadtraum publik wurden und die Berliner Lokalpresse davon zu berichten begann. Eine überaus konfliktreiche urbane Öffentlichkeit nahm Gestalt an.

12 | Gewiss ist diese Sage nicht jedem Berliner und jeder Berlinerin geläufig, doch sie ist materiell durch ein Stierdenkmal vor Ort präsent und wird damit auch tradiert. Der Künstler setzte sich via Denkmal mit der Sage auseinander (auf Hels Geheiß, so heißt es in der Sage, erschienen stets zwei Stiere, die die Erde pflügten und so dafür sorgten, dass eine ausreichende Ernte vorhanden war). 13 | Die Rolle des Geheimnisses in der religiösen Erfahrung und Praxis eines spezifischen Glaubens wird von dem Religionswissenschaftler Shaul Shaked prägnant so zusammengefasst: »Secrecy adds to faith a dimension of depth that may otherwise not be felt to be there. Things that are open and accessible have an air of being commonplace, while secret things have to be prepared for. […] The truth of a mystery is by definition not intellectual, it is experiential, and exclusiveness – the social dimension of admitting certain carefully selected people and not admitting others – is part of the experience«. Shaked 1997: 221-233, hier 222.

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Die Konstituierung einer konfliktreichen urbanen Öffentlichkeit – Das Westberliner (Neu-)Heidentum als ein »unrepresentative case of representation« In der Rhetorik der Presse war die Formierung einer (neu-)heidnischen Gruppe eine Sensation, was vor dem Hintergrund der damals virulenten Anti-KultDebatte verstanden werden muss, also der vor allem durch Pädagog*innen und Kirchenvertreter*innen ausgerufenen sozialen Gefahr von sogenannten Sekten, Psychogruppen und Jugendreligionen, die sich unter dem Label des New Age zu sammeln schienen.14 Das Stadtmagazin »Tip« zog mit Blick auf Geza von Nemenyi und seine Mitstreiter*innen gar den Vergleich mit dem Jim Jones’ People’s Temple und eröffnete eine Reportage hierüber mit einem Foto von Geza von Nemenyi, dem zum Vergleich ein Bild toter Anhänger*innen von Jim Jones angefügt wurde. Darunter hieß es einleitend: »10 Jahre nach dem spektakulärsten Massenmord der Geschichte in Jonestown haben Sektierer Konjunktur wie eh und je. Dass dabei Berlin überhaupt keine Ausnahme macht, zeigt eine Bestandsaufnahme der Sektenszene. Irgendwo hört der Heiden-Spaß auf« (Hermann 1988: 240 [Tip]). Die Diskussion um das (Neu-)Heidentum gewann dabei an politischer Brisanz. Einer Politisierung hatte die Gruppe zu entgehen versucht und doch schien sie unausweichlich und für den deutschen Kontext dabei spezifisch. So begannen sich kommunale Stadtvertreter*innen, der evangelische Sektenbeauftragte Thomas Gandow wie auch der Verfassungsschutz für Geza von Nemenyi und die anderen Mitglieder der Gemeinschaft zu interessieren.15 Die von den Männern und Frauen deklarierten »germanischen Wurzeln« und vor 14 | Der Begriff der Jugendreligion wurde 1974 durch den Theologen Friedrich Wilhelm Haack geprägt und in die Debatte um das aufkommende New Age gebracht. Haack vertrat eine traditionsorientierte Abgrenzungsapologetik innerhalb der evangelischen Kirche und formte nachhaltig deren Politik gegenüber Formen von Religion/Religiosität jenseits monotheistischer Glaubenssysteme (siehe Roser 2003: Spalte 453-500). Er trat hin und wieder in den 1980er Jahren in Berlin mit öffentlichen Vorträgen auf. Zur Entwicklung der Anti-Kult-Debatte in Deutschland und ihre Spezifika in den 1970er und 1980er Jahre siehe Shupe/Hardin 1983: 177-194. Der Religionswissenschaftler Beckford bietet ebenfalls eine kurze Charakterisierung der Anti-Kult-Debatte in Deutschland (siehe Beckford 1983: 195-214, hier: 208-211; siehe ebenfalls Usarski 1988; Scheffler 1989). Eine der wenigen aktuelleren Studien (Blick auf Europa): Introvigne 1998. 15 | Senator für Inneres, Landesamt für Verfassungsschutz Berlin: Völkische Gruppierungen in Berlin (West). Stand 01.01.1984; PREMA (Presseagentur Jochen Maes) 1983. Bericht über »Gründungsveranstaltung« für die »Heidnische Glaubensgemeinschaft Berlin« am 02.11.1983; PREMA 1985. Dokumentation: »Völkische Ideologien und Gruppierungen, Berlin.

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allem der Gebrauch von Runen übernahmen eine Signalfunktion und sehr schnell wurde dies mit nationalsozialistischen Ideologien von »Rasse« und einem überlegenen Germanentum in eins gesetzt und die Gruppe dem rechtsextremen bzw. rechtsradikalen Spektrum zugeordnet. Dabei muss man sich die historische Spezifik des Berliner Kontextes vor Augen führen, die solche Zuschreibungen verstärkte. So katalysierte Berlin die westdeutsche kollektive Erinnerung an die NS-Zeit, nicht allein, weil es das ehemalige Machtzentrum des Nationalsozialismus repräsentiert. Eine der traumatischen Folgen der NSHerrschaft und des Krieges für Deutschland – die Teilung – hatte in Berlin mit der Mauer eine besondere physische Präsenz angenommen und war mit Eindringlichkeit und täglich erfahrbar.16 Diese städtische Charakteristik macht die besondere Sensibilität für die nationalsozialistische Vergangenheit verständlich und erklärt die geradlinige und kompromisslose Reaktion von Kirchenleuten, Stadtvertreter*innen und Geheimdienstler*innen auf die (neu-) heidnische Gemeinschaft in der Stadt. Das journalistische Interesse war kontinuierlich groß. Die »TAZ« berichtete über die (Neu-)Heid*innen wie auch die »Berliner Zeitung« (BZ), das Stadtmagazin »Zitty«, die »Berliner Morgenpost« und gar das Boulevardblatt die »Bild-Zeitung« (Spielhagen 1983: 30-33 [Zitty]; o.V., Bild-Zeitung, 24.02.1984: 4; Schröder 1988: 20 [TAZ]; Semtner 1988 [Berliner Morgenpost], 24.02.; o.V., BZ, 23.06.1988). Man warnte vor »Heiden«, die sich als »Neonazis« entpuppten, die sich mit »Thorhämmern, Rasierklingen und ähnlichem Firlefanz […] bestücken« würden und die Religion an »Blut und Boden« festmachten. Als die Gruppe Rituale auf dem Teufelsberg abhielt – der kein vorchristlicher Kultplatz ist, sondern ein Trümmerberg, der aus dem Schutt des letzten Krieges angehäuft wurde – titelte die Bild: »Mit Bier und Runenorakel. Opferfest am Teufelsberg«. Der evangelische Sektenbeauftragte Thomas Gandow warnte in dem Artikel: »Diese Neu-Germanen sind dabei, sich in einem festen Verbund zusammenzuschließen, predigen die Stimme des Blutes und der reinrassigen Ahnen. Es kann unserer Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wenn das Religionsbedürfnis der Menschen in unserer Stadt von okkulten Gruppen missbraucht wird!«

Rhetorisch scharf schloss er seine Ausführungen, indem er meinte, dass man solche »göttliche[n] Erkenntnisse aus der Stimme des Blutes […] auch als nachträgliche Heiligsprechung der Nazi-Ideologie ansehen« könne (Bild-Zeitung, 24.02. 1984: 4).

16 | In der DDR versinnbildlichte die Berliner Mauer eher die Legitimation eines antifaschistisch-kommunistischen Staates und damit die der Teilung an sich.

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Die Situation war kompliziert. So wehrten sich Geza von Nemenyi und seine Mitstreiter*innen wiederholt gegen den Verdacht des Nationalismus und Rassismus. In diesem Zusammenhang scheuten sie nicht die Konfrontation mit der städtischen Öffentlichkeit – sie suchten sie geradezu, hier vor allem mit dem evangelischen Sektenbeauftragten. Sie wurden nicht müde, bei seinen öffentlichen Vorträgen zugegen zu sein, ihre Flugblätter zu verteilen und ihn mit ihren Meinungsäußerungen zum Christen- und (Neu-)Heidentum, zur Hexenverbrennung und den Kreuzzügen herauszufordern (Interview mit Michael Pflanz, 18.01.2015). Stets distanzierten sie sich dabei von nationalistischen/nationalsozialistischen Ideologien und forderten neue Perspektiven auf das Germanentum. In seinem 1988 publizierten Buch »Heidnische Naturreligion«, das als Curriculum der Heidnischen Gemeinschaft angesehen werden kann, machte Geza von Nemenyi explizit, dass es im (Neu-)Heidentum um die Freiheit des Individuums ginge und hier rassistisches Gedankengut keinen Platz hätte (Nemenyi 1988: 12). Er und Michael Pflanz setzten dafür ein Zeichen und legten in den Statuten der »Heidnischen Gemeinschaft« nieder, dass »[a]ls Mitglieder […] gläubige Heiden aufgenommen werden [können], sofern sie sich vom Faschismus und Rassismus distanzieren« (zit. in: von Schnurbein 1992: 142). Tatsächlich aber hatten einige Heid*innen mit Neonazis in Verbindung gestanden.17 Mitunter, so wendet Michael Pflanz ein, sei der Kontakt zustande gekommen, weil man politisch an allen Fronten kämpfte und auch nicht davor zurückschreckte, rechtsgerichteten Gruppierungen die demokratischen Potentiale des (Neu-)Heidentums erläutern zu wollen: um vor dem Missbrauch dessen zu schützen und ein Umdenken zu bewirken. Von Außenstehenden ist dies allerdings bewusst missverstanden worden (Interview, 18.01.2015). Es gab des Weiteren gelegentlichen Kontakt zu Gruppen, deren religiöses Weltbild auf einem spezifischen Rasseglauben basierte und die sich selbst als völkisch bezeichneten – wie die sogenannte »Artgemeinschaft« oder der »Armanen-Orden« (von Schnurbein 1992: 44-79, 120-122).18 Geza von Nemenyi selbst war des Öfteren als Redner wie auch als Thing-Teilnehmer zu Gast bei den Armanen.19 Hinzu kam, dass noch einige Protagonist*innen völkisch-re17 | Senator für Inneres, Landesamt für Verfassungsschutz Berlin: Völkische Gruppierungen in Berlin (West). Stand 01.01.1984: 41/42. 18 | Eine jüngere Studie zum religiösen Selbstverständnis, zum Gruppenbezug und zur allgemeinen Weltsicht im Armanen-Orden und in der Artgemeinschaft siehe Gründer 2010. 19 | Thing ist die Bezeichnung für die in regelmäßigen Abständen stattfindende Vollversammlung der Gemeinschaft/des Vereins. Über Geza von Nemenyis Mitgliedsstatus bei den Armanen wurde viel gemutmaßt. Die Skandinavistin Stefanie von Schnurbein meint, dass er den Armanen wohl angehörte, er selbst verwahrt sich dagegen. Siehe von Schnurbein 1993: 41; Interview mit Geza von Nemenyi, 22.10.2012.

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ligiöser Organisationen aus der Vorkriegszeit versprengt in Berlin lebten, mit denen man ebenfalls im Austausch stand. Die Kontaktaufnahme zwischen einzelnen Leuten in der Stadt nahm dabei kurios anmutende Wege. Neben Zeitungsannoncen, handschriftlichen Inseraten oder auch schlicht Telefonbüchern studierte man nämlich genau jenen Verfassungsschutzbericht, in dem man selbst vorkam, stets auf der Suche nach Gleichgesinnten, wie Matthias Wenger erzählt. Mit seiner damaligen rechtsextremen Einstellung hat sich Matthias Wenger intensiv und offen auseinandergesetzt und bezeichnet diese als »fürchterlichen Umweg« zu seiner heutigen linkspolitischen Haltung (Interview, 20.11.2012): Er war in den 1980er Jahren unter anderem Mitglied der sogenannten Gyfiliten, die beispielsweise Hitler als Verkörperung Odins ansahen, später trat er dem Armanen-Orden bei.20 Zudem gründete er mit dem mehrfach wegen rechtsradikaler Aktivitäten und Gewalttaten vorbestraften Arnulf-Winfried Priem den ASGARD-Bund, der sich der »Pflege nordischen Brauchtums« widmete (von Schnurbein 1992: 176; den Bund verließ er allerdings ein Jahr darauf, weil ihm, wie er schreibt, das »politische Haßpotential dieser Gruppe allzu deutlich wurde«; Wenger. o.D., 1; wahrscheinlich um 2000). Anschaulich beschreibt Matthias Wenger die Funktion der Verfassungsberichte so: »Das vermeintlich Schöne an den Berichten war, dass man nicht allein über diverse Gruppen lesen konnte, sondern gleich auch die Anschriften der einzelnen Leute geliefert bekam. Die Berichte fungierten quasi als Durchlauferhitzer, als Kontaktbörse in Westberlin […]. Dass die Informationen solche Wege nehmen könnten«,

fügt er etwas sarkastisch hinzu, »hat man sich wahrscheinlich nicht gedacht« (Interview, 20.11.2012).21 Die rechtsextremen Einstellungen innerhalb der 20 | Im Interview erklärt Matthias Wenger, dass sein Umdenken stark mit den rassistischen Übergriffen auf ein Flüchtlingsheim und ein Wohnheim von Vertragsarbeiter*innen (noch von der DDR zeitlich befristet eingestellten Arbeiter*innen aus Vietnam und Mosambik) in Hoyerswerda im September 1991 zusammenhängt, aber auch schon vorher begonnen hat. Die Armanen rechtfertigten diese Angriffe, was für Matthias Wenger unverständlich war. Eine von Matthias Wenger selbst verfasste Dokumentation mit einem quellenreichen Anhang zu seiner veränderten politischen wie religiösen Haltung mit dem Titel: »Meine politische Position und ihre Entwicklung in 30 Jahren – eine Dokumentation«, findet sich online auf: www.derhain.de/Matthias%20Wenger%20%20%20 %20Meine%20politische%20Position%20und%20ihre%20Entwicklung%20in%20 30%20Jahren.pdf, letzter Zugriff: 20.11.2017. 21 | Man erhielt diese Berichte, wie Matthias Wenger ausführt, durch die Zentrale für politische Bildung sowie durch einen Berliner SPD-Abgeordneten, der diese Berichte an private Haushalte verschickte.

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(neu-)heidnischen Gruppierungen dominierten in den folgenden Jahren die öffentliche Wahrnehmung. Die Distanzierungen von rechtsextremen Positionen und die Heterogenität bzw. Widersprüchlichkeit (neu-)heidnischer Überzeugungen, die klare Zuordnungen und die Konstruktion einfacher historischer Kontinuitäten zur NS-Diktatur und ihren rassistischen Ideologien nicht zuließ, wurden diskursiv fast vollständig ausgeblendet. Dabei spielt zum einen die in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik gemachte Erfahrung des politischen Extremismus eine Rolle – der sich unter anderem in Westberlin konzentriert hatte (insbesondere die Bewegung 2. Juni22) – und weshalb selbst kleinste Gruppierungen mit alternativen Weltvorstellungen beobachtet und aus einem rigorosen Sicherheitsbedürfnis heraus (rechts- wie links-)extremen Positionen zugeordnet wurden. Zum anderen sah sich die Kirche angesichts der religiösen Pluralisierung in ihrer Autorität herausgefordert. Die Vehemenz, mit der sie sich gegen das (Neu-)Heidentum stellte, kann als ein Ringen um die Grenzen des religiösen Feldes gedeutet werden: darum, wem die Definitionsmacht des Religiösen in der Stadt zukam und wem sie versagt bleiben sollte. Indem man Einzelpersonen oder Gruppierungen religiöse Vorstellungen in Kontinuität mit nationalistischen und nationalsozialistischen Ideologien nachsagte, war diesen augenblicklich jegliches Mitspracherecht entzogen. Über die gesamten 1980er Jahre verlor die öffentliche Debatte um die (neu-) heidnischen Vereinigungen in der Stadt nicht an Intensität. Sie wurde befeuert durch den Eintritt einiger Männer, darunter Geza von Nemenyi, Michael Pflanz und Matthias Wenger, in den Berliner Landesverband der Grünen, um auch parteipolitisch ihre ökologisch-religiöse Weltsicht zu verwirklichen. Nun begann man sich auch überregional für das Berliner (Neu-)Heidentum zu interessieren. Unter der Überschrift »Neonazis enttarnt« berichtete beispielsweise der Stern von der »Unterwanderung« des Grünen-Landesverbandes durch »rechtslastige« (Neu-)Heid*innen (o.V. 03.01.1985: 146). Im Spiegel wiederum las man über »braune Schafe« in der »Ökopartei« – wobei vor allem Geza von

22 | Die Bewegung 2. Juni – benannt in Erinnerung an den Tod des am 2. Juni 1967 auf einer Demonstration gegen den Schahbesuch in Berlin erschossenen Studenten Benno Ohnesorg – war eine links ausgerichtete, terroristische Gruppe (hervorgegangen aus dem weniger militant ausgerichteten Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen), die tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung vorantreiben wollte, und den einzigen Weg hierfür im gewaltsamen politischen Umsturz des, wie die Mitglieder es nannten, »Sklavenhaltersystems« der Bundesrepublik sah. Mittel der Gewalt waren die Entführung hochrangiger Politiker und Sprengstoffanschläge auf amerikanische Einrichtungen (siehe auch Korndörfer 2008: 236-256).

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Nemenyis Interesse an Runen, an germanischen Festen und an der Edda kolportiert wurde.23 Für die Presse- und auch TV- und Rundfunkmedien schienen dabei die Heidnische Gemeinschaft und die sich nachfolgend entwickelnde neuheidnische Szene immer wieder beispielhaft für das (Neu-)Heidentum in der Bunderepublik.24 Merkmale und Problematiken der Abgrenzung zu und das In-einsSetzen mit nationalistischen Ideologien traten hier mit Konturschärfe hervor. Doch so exemplarisch die Berliner (Neu-)Heidinnen auch waren, sie blieben ein Ausnahmefall, denn nirgendwo anders schien die Auseinandersetzung mit (neu-)heidnischen Vorstellungen und Handlungen eine derartige politische Dynamik und Öffentlichkeit anzunehmen.25 Genau in diesem Wechselverhältnis von typisch und doch einzigartig spiegelte sich abermals die Stadt, war sie doch das von der Bundesrepublik erklärte »Schaufenster des Westens« und im 23 | O.V. (1985). Mythos der Edda. In: Spiegel, 07.01., 74. Die »Grünenunterwanderung«, wie der Grüneneintritt durch HG-Mitglieder bald bezeichnet wurde, war auch Thema in einem Beitrag in der Sendung »Näher betrachtet« des Süddeutschen Rundfunks vom 05.02.1985, auch in der überregionalen Jüdischen Wochenzeitung vom 11.01.1985 wurde davon berichtet. Des Weiteren in der Mitgliederzeitschrift der Grünen, den »Grünen Blättern« (Baden-Württemberg): Walter, Rüdiger (1985), November, 8-10; Walter, Rüdiger (1985), Dezember, 17-19. 24 | Auftritte von Geza von Nemenyi im Fernsehen: Abendschau 16.01.1985 (ARD), sowie am 17.05.1985 zu einer Talkshow bei »3 nach 9« (NDR); Radioberichte am 16.01.1985: »s-f-beat«, SFB 2; am 25.10.1988: »s-f-beat«, SFB 2; am 17.02.1989: »Thema des Tages«, Radio Hundert, 6. 25 | Es gab in der gesamten Bundesrepublik neuheidnische, germanisch orientierte, teilweise völkisch eingestellte Gruppierungen, neben dem Armanen-Orden, der Artgemeinschaft und den Gyfiliten beispielsweise noch den Hecksenkreis Yggdrasil (Frankfurt a.M.) und den Chatten-Bund (ebenfalls Frankfurt a.M., benannt nach einem germanischen Stamm). Sie erhielten keine so starke Präsenz in den verschiedenen Presse- und TV-Medien wie die Gruppierungen in Berlin. Dass Berlin ein herausgehobener Ort für neuheidnische Aktivitäten in jener Zeit war, zeigt sich auch an der grundlegenden Studie von Stefanie von Schnurbein zum neugermanischen Heidentum nach 1945, in der die Berliner Vereinigungen und ihre Protagonisten (insbesondere Geza von Nemenyi und Matthias Wenger) immer wieder zentral thematisiert werden. Die politische Dynamik, die der Beitritt der HG-Mitglieder zu den Grünen auslöste, war einmalig. So kann die Auflösung des Berliner Landesverbandes der Grünen maßgeblich darauf zurückgeführt werden (fortan war die Alternative Liste der Berliner Grünen Landesverband), siehe die Erklärung des Bundesvorstandes der Grünen zu den Aktivitäten von Neonazis im Westberliner Landesverband (07.01.1985), abgedruckt in: Arbeiterkampf, Nr. 254, 14.01.1985: 22, online: www.rabenclan.de/index.php/Magazin/GruenenBun​ desvorstandErklaerung1985, letzter Zugriff: 20.11.2017.

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selben Moment politisch, sozial und ökonomisch für den »Westen« wenig repräsentativ. Die Inselsituation gab dieser Singularität zusätzlich geografischen Ausdruck. Kurzum: Westberlin und seine (Neu-)Heiden waren gleichermaßen ein »unrepresentative case of representation« (Lindner 1993: 104-105) und deshalb passten sie so gut zusammen. Ende der 1980er Jahre tauchten in den heidnischen Gruppierungen der Stadt zunehmend Leute auf, die in ihrer religiösen Praxis den Begriff der Hexe immer stärker als Selbstbezeichnung aufgriffen. Geza von Nemenyi selbst ließ sich in den Wicca-Kult einweihen (Interview, 22.10.2012; Interview mit Lotan, 24.02.2009). Als dann 1986 und 1988 Starhawk und Vivianne Crowley, eine bekannte britische Wicca-Priesterin, in die Stadt kamen, trafen sich die angestammten (Neu-)Heiden mit ihnen. Doch Geza von Nemenyi und auch Matthias Wenger waren enttäuscht. Geza von Nemenyi erklärt, dass der Austausch mit ihnen eine Bestätigung dessen gewesen sei, was er seit Längerem recherchiert hatte, dass nämlich der Wicca-Religion die historische Fundierung fehle und ihre Ausübung nichts mit dem »Originalhexentum« zu tun hätte, wie er es verstand (Interview, 22.10.2012). In der Konsequenz dieser Einsicht entschied er sich, kein Wicca mehr zu sein. Matthias Wenger empfand insbesondere gegenüber Starkhawks Auffassungen ähnlich. Ihm kamen diese »wie ein großer Eintopf [vor], in dem alle möglichen historischen Quellen hineingerührt wurden. Das hat mir nicht behagt. Ich war damals einfach zu pedantisch, um das zu akzeptieren« (Interview, 20.11.2012). Anderen, vor allem denjenigen, die der feministischen Bewegung nahestanden und nach einer »weiblichen Spiritualität« suchten, behagte Starhawk sehr wohl. Das frauenemanzipatorische »Hexengeflüster« war in der Stadt schon lange hörbar. Es wurde allerdings weniger von den spirituell bzw. religiös interessierten Frauen angestoßen, sondern entwickelte sich aus dem in erster Linie politisch orientierten Feminismus. Er setzte in seiner Radikalität entscheidende Akzente für das feministische Selbstverständnis heutiger neuheidnischer Hexen.

W estberlin und das H e xengeflüster der F r auenbe wegung  – Z wischen politischem und   spirituellem F eminismus »The witches are back to do self help. The witches are back. You thought we’re gone. But the witches are back and this time we’re here to stay«, fängt Ute leise zu singen an und Joan stimmt ein (Interview mit Joan Murphy und Ute, 07.02.2015). Wir sitzen in einem kleinen, gemütlichen Café und ich bin froh, dass unser Treffen nach einer ziemlich komplizierten Terminsuche doch noch

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zustande gekommen ist. Eigentlich wollten mehr kommen, aber »in Berlin sind alle immer fürchterlich beschäftigt. Mehr Frauen von damals habe ich nicht zusammentrommeln können«, meint Joan und freut sich über die Gelegenheit, Ute nach langer Zeit wiederzusehen. Beide gehören zur frühen Generation von Mitstreiterinnen des Feministischen Frauengesundheitszentrums (FFGZ) und der Song, den sie anstimmen, ist Anfang der 1970er Jahre im legendären Frauen-Sommercamp auf der dänischen Insel Femø verfasst worden. Wie es heißt, sollen zwei Campbesucherinnen, genauer »2 Hexen Sand, Meer, Sonne und frauenklingende Luft« zusammengemischt haben, »bis die Zeilen aus dem Feuer flackerten« (Ewert/Kasten/Schultz 1987: 214). Das FFGZ wurde 1974 in Westberlin gegründet. Es war das Erste seiner Art bundesweit und diente als Vorlage für die Gründung ähnlicher Institutionen in Deutschland. Es existiert bis heute.26 Seine Initiatorinnen hatten in überwältigender Mehrheit studiert, waren (angehende) Soziologinnen, Politologinnen, Sozialpädagoginnen, Mathematikerinnen und Medizinerinnen (Ewert/Kasten/Schultz 1975: 2; Interview mit Joan Murphy und Dagmar Schultz, 13.03.2015). Es ging um die Idee, dass Frauen bei Erkrankungen auf Selbsthilfe zurückgreifen sollten, statt sich ausschließlich in die Verantwortung von Ärzten und dabei Männern zu begeben. Sie sollten ihren Körper selbst erkunden und kennenlernen, denn dieses Wissen »um unseren Körper«, heißt es in einer frühen Selbstbeschreibung, »sehen wir als Voraussetzung der Selbsthilfe an, die zur Inwertsetzung der eigenen Person und damit des Geschlechts hinführen soll« (Busch/Lauterbach 1979: 198). 1975 veröffentlichten einige Mitstreiterinnen das erste medizinische Selbsthilfehandbuch für Frauen im deutschsprachigen Raum und nannten es stolz »Hexengeflüster« (Ewert/Kasten/Schultz 1975). Der Titel ist denkwürdig, denn innerhalb der Reihen der zweiten Welle des Feminismus in Deutschland stellt dies mit die ersten – wenn nicht die ersten – schriftlich festgehaltenen, expliziten Bezüge auf die Hexe dar. Die Verfasserinnen waren von einem Buch der amerikanischen Feministinnen Barbara Ehrenreich und Deirdre English inspiriert, in dem die These vertreten wurde, dass Frauen bis ins Mittelalter hinein die Heilkundigen gewesen seien und von Männern systematisch aus dieser Profession herausgedrängt und als Hexen diffamiert wurden. Im Hexengeflüster heißt es dazu:

26 | Es gibt differierende Gründungsangaben. In einer Selbstdarstellung von 1979 wird das Gründungsdatum mit 1977 angegeben, was damit zusammenhängt, dass man zu diesem Zeitpunkt eigene Räume im Kadettenweg 77, Berlin Lichterfelde beziehen konnte (Busch/Lauterbach 1979: 198-202, hier 198). In Gespräch geben die Frauen 1974 an, weil man sich hier als Gruppe zusammenfand (Interview mit Joan Murphy und Dagmar Schultz, 13.03.2015).

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin »Weise Frauen wurden sie von denen, die ihren Kenntnissen vertrauten, genannt, Hexen von denen, die sich durch ihre Kenntnisse in ihrer Herrschaft bedroht fühlten […]. Sie wußten über Anatomie und Physiologie des Körpers Bescheid. Sie praktizierten Abtreibund Verhütungsmethoden und erforschten und benutzten Kräuter als Heilmittel. Sie […] tauschten ihre Kenntnisse mit den Frauen aus und gaben sie auch an die Töchter weiter. Diese Rebellinnen waren nicht bereit, das letzte bisschen Macht aufzugeben, deshalb mussten sie vom Patriarchat vernichtet werden.« (Ewert/Kasten/Schultz 1987: 56)

Genau an diesen postulierten Geist der Rebellion – der vor allem das eigene Selbstverständnis spiegelte und mit Geschichte ausstattete – wollten die Frauen des FFGZ mit ihrer Arbeit anschließen und das Wissen ihrer »Vorschwestern« wieder erwerben (Ewert/Kasten/Schultz 1987: 53). Für die Initiatorinnen und eine Vielzahl der Zentrumsfrauen war das Engagement für diese Art von Selbsthilfe nicht nur Ausdruck ihrer frauenemanzipatorischen Selbstverortung, sondern verband sich zunehmend und auf das Engste mit ihrer lesbischen Identität.27 Darin schlägt sich nicht zuletzt die damalige radikalfeministische Einstellung »Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis« nieder. Anders gesagt: Feministische Überzeugung und Lesbischsein traten ab Mitte der 1970er diskursiv derart dicht zusammen, dass das eine synonym für das andere stehen konnte.28 Diese enge Verknüpfung ist für die Figur der Hexe und für die ihr zugeschriebenen und tradierten Inhalte interessant. Mit ihr und ihrer feministischen Botschaft wurden insbesondere Lesben sichtbar und traten ins Sagbare. Dem FFGZ ging es grundsätzlich um Gegenmodelle zu einer patriarchal geprägten Medizin und um körperliche Selbstbestimmung der Frau, immanent wurden dabei alternative Formen weiblicher Sexualität thematisiert und im FFGZ die Möglichkeit geboten, diese als legitim zu erfahren. Gerade dies war es auch, was Ute am Zentrum schätzte: 27 | Sowohl in der ersten Ausgabe von »Hexengeflüster« als auch in den darauffolgenden Auflagen wurden lesbische Beziehungen ausführlich thematisiert. Dabei hatte man in der ersten Ausgabe nicht daran gedacht. Wie zentral dies für die Frauen aber war, zeigt sich daran, dass noch vor der Auslieferung der gedruckten Exemplare an den Buchhandel, in die gesamte erste Auflage (10.000 Stück) zwei Extraseiten verfasst und eingeklebt wurden, in denen man auf lesbische Formen des Zusammenlebens und die Existenz von Lesben an sich einging. Deshalb sind in dieser Auflage die S. 7/8 zweimal vorhanden. 28 | Dies war eine von mehreren Ausrichtungen, die sich in einem konfliktreichen Differenzierungsprozess des Feminismus in den 1970er/1980er Jahren herausbildete. Sie war in sich auch nicht homogen. Ilse Lenz bietet hierzu eine übersichtliche Darstellung: siehe Lenz 2010a: 225-263. In dem Band sind zahlreiche Quellen mitabgedruckt, die kurz kontextualisiert und kommentiert werden.

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Hexen der Großstadt »Mir war es wichtig, in einer Gruppe von Frauen zu sein, wo dieses Lesbischsein einen Raum hatte, wo ich eine sexuelle Identität auch darüber erfahren konnte, dass andere so selbstverständlich damit sein konnten. Während ich früher dachte: Oh Gott, das […] ist was Verbotenes. Ich bin die Einzige auf der Welt. Das hat sich dann in dieser Zeit gedreht und ich dachte selbstbewusst: Ja, das ist genau mein Weg«. (Interview, 07.02.2015)

Mit seinem Ansatz und dem Freiraum, den es für lesbische Frauen schuf, war das FFGZ Teil vielfältiger feministischer Initiativen. Joan spricht griffig von der »Hexenvernetzung eines starken Frauenkollektivs« über die ganze Stadt hinweg, denn so unterschiedlich die einzelnen Personen und verfolgten Projekte dabei auch waren, die Figur der Hexe hielt sie ein Stück weit zusammen und vermittelte wirkungsvoll die Idee feministischen Widerstands (Interview, 07.02.2015).

Formen der Öffentlichkeit: »mobil« und »stationär« In der Stadt bildeten sich Treffpunkte heraus, an denen sich Frauen und vor allem frauenbewegte Lesben den Begriff »Hexe« in besonderer Weise aneigneten und öffentlich wurden. Grob lassen sich diese Treffpunkte in »mobil« und »stationär« unterscheiden. »Mobil« meint in erster Linie die Hexendemonstrationen zur Walpurgisnacht am 30. April. Ab 1977 fanden sie regelmäßig in deutschen Großstädten, insbesondere in Hamburg, Frankfurt a.M., Köln, München und in Westberlin statt. Unter dem Motto: »Wir erobern uns die Nacht zurück« ging es in erster Linie um den Protest gegen die Gewalt von Männern gegenüber Frauen, die gerade nachts in den Straßen allgegenwärtig schien.29 Ein wichtiger Auslöser für diese Form der Gegenwehr stellte die Vergewaltigung der 26jährigen Studentin Susanne Schmidtke in Berlin im Februar 1977 dar. Die junge Frau verstarb an den Folgen des Verbrechens. Dieser Vorfall beeinflusste vermutlich den auf dem Nationalen Frauenkongress im März desselben Jahres in München gefassten Beschluss, bundesweit jährliche Frauendemonstrationen zur Walpurgisnacht zu veranstalten.30 Der Rückgriff auf die Figur der Hexe als (nächtliche) Rebellin gegen Männer wurde durch ein weiteres Ereignis verstärkt, das sich in Mailand zugetragen hatte. Hier hatten, ebenfalls im Jahr 1977, mehrere Männer eine junge 29 | Flugblatt des Frauenzentrums in Berlin zum Aufruf zur Demonstration zur Walpurgisnacht, online: www.frauenmediaturm.de/fileadmin/Images/Chronik/77/77_D1_F​B​ _NachtDemo_gr.jpg, letzter Zugriff: 20.11.2017. 30 | Eine genaue Darstellung zur Bewegung gegen Gewalt gegen Frauen, aus der die Frauen-/Hexendemonstrationen zur Walpurgisnacht mit hervorgegangen sind: siehe auch Lenz 2010b: 281-324, vor allem 295-300.

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Frau 16 Mal [sic!] vergewaltigt und dafür skandalös milde Strafen vor einem römischen Gericht erhalten.31 Daraufhin versammelten sich Frauen in der italienischen Hauptstadt – es sollen 100.000 gewesen sein – und protestierten gegen das Urteil. Dabei, so wird berichtet, skandierten sie: »Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da«. Von der Tat, dem Urteil und der Reaktion der italienischen Frauen wurde beispielsweise in der »Emma« und in der »Zeit« genau berichtet (Dolce 1977: 20-22; Stehle 1977: 62).32 In Westberlin, so erzählen damalige Protagonistinnen, haben sich zu den Demonstrationen am 30. April zwar nicht 100.000, aber doch hunderte bis tausende Frauen zusammengefunden. Die Zusammenkünfte, so erinnert sich die damalige Redakteurin der Frauenzeitschrift »Courage« Sabine Zurmühl, waren »sehr schön und eigentlich nur lustbetont […] man malte sich an, schwarz, weiß und viele haben auch einen Besen dabei gehabt […]. Wir haben zusammen gesungen und Musik gemacht, auf Töpfe geschlagen und Samba gab es auch« (Interview mit Sabine Zurmühl, 14.11.2013). Mit der Zeit ging es bei diesem lustvollen Frauenumzug durch die Straßen von Berlin – der mal den Kurfürstendamm entlangführte, dann wieder vom (spieß-)bürgerlichen Charlottenburg ins alternative Kreuzberg ging und in einem Jahr auch das Frauengefängnis im Wedding ansteuerte – nicht mehr allein um männliche Gewalt gegen Frauen, sondern generell um weibliche Emanzipation (Interview mit Joan Murphy und Dagmar Schultz, 13.03.2015). Der Begriff der Hexe entfaltete dabei, wie Ute es prosaisch beschreibt: »eine Leuchtkraft, weil wir uns damit identifizieren konnten. Wir wollten was bewegen, wir wollten was tun und zwar aus eigener Kraft und eigener Definition und nicht von außen definiert sein […] das war tragende Basis […] wir wussten irgendwie schon, dass es noch nicht so lange her war, dass Hexen verbrannt wurden aufgrund dessen, dass sie ein Wissen über den eigenen Körper hatten […] was gesellschaftlich nicht erlaubt war […]. Wir dachten: Naja, diese Tradition, die stützen wir auch«. (Interview, 07.02.2015)

31 | Wie aus einem Artikel in der »Die Zeit« vom 5. Mai 1977 hervorgeht, erhielten drei Männer jeweils vier, drei und zwei Jahre Gefängnis. Vier weitere Männer wurden auf freien Fuß mit Bewährungstrafen gesetzt. Stehle 1977: 62. 32 | Felix Wiedemann weist darauf hin, dass die Zahl von 100.000, die häufiger wiedergegeben wird, wahrscheinlich zu hoch gegriffen ist. In der damaligen Presse (»Emma« und »Spiegel«) wird noch von 10.000 gesprochen. Überhaupt hat die Geschichte um diese Demonstration von italienischen Frauen ein erstaunliches Eigenleben entwickelt. Ihre Rekonstruktion spiegelt in besonderer Weise die disziplinäre wie politisch-feministische Verortung der/des jeweiligen Verfassers/in wider. Siehe unterschiedliche Varianten der Geschichte: Hauschild 1987: 219; Graichen 1999², 67; Neger 2009: 33.

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Die Unbeschwertheit, mit der Ute diesen letzten Gedanken formuliert, und schließt: »Naja, diese Tradition, die stützen wir auch«, lässt anklingen, dass es in den historischen Bezügen gar nicht so sehr um akribisch hergestellte, wissenschaftliche Korrektheit ging. Solche Bezüge erfolgten eher situativ und man war weit davon entfernt, eine Art revolutionsgeschichtliche Kontinuität des Feminismus via Hexenhistorie konstruieren zu wollen, so wie es beispielsweise im amerikanischen Kontext der Fall gewesen war (Bovenschen 1977: 260-262). Es stellte vielmehr einen spielerischen Umgang mit der Vergangenheit dar: Geschichtlich vermittelte Bilder wurden bewusst und immer wieder mit eigenen Imaginationen und Praktiken angefüllt und spezifisch im urbanen Kontext umgesetzt. Dies wird besonders anhand der stationären Treffpunkte deutlich, mittels derer die Hexe prominent in die Stadt hineingetragen wurde. So gab es denn den Blocksberg auch in Berlin. Eine der ersten Frauenund Lesbenkneipen der Stadt hatte sich nach ihm benannt und avancierte zu einem wichtigen Ort feministischer Vernetzung – worin sich letztlich auch das mythologische Motiv des Blocksbergs als Hexenversammlungsort spiegelte (Grimm 1854: 1003/1004).33 Die Frauen der »Courage« waren hier gleichermaßen anzutreffen, wie jene vom FFGZ und anderer feministischer Gruppen. Wie Sabine Zurmühl in Erinnerung an den Blocksberg beschreibt: »Man war fast jeden Abend in der Kneipe. Weil wir so viel zu besprechen hatten, zu planen und auch miteinander auszufechten […]. Das war so eine Zeit, wo man auch diese Selbstvergewisserung wahnsinnig suchte […]. Und das lief eigentlich ganz, ganz viel über die Kneipe. Die Vernetzung fand praktisch darüber statt.« (Interview, 14.11.2013)

Mit dem ersten, exklusiv von Frauen besetzten Haus in der Stadt wurde sich ebenfalls auf die Figur der Hexe bezogen und wirkungsvoll das Hexenhaus genannt. Die Idee zur Besetzung entstand abermals aus der Lesbenbewegung heraus. Eine kleine Gruppe von Frauen hatte den Gedanken standesgemäß in den langen Abenden im Blocksberg entwickelt (Interview mit Ursula Munker, 22.03.2015). In diesem Zusammenhang ist sich vor Augen zu führen, dass es in der Stadt seit 1979 eine Welle von Besetzungen gab, wobei sie häufig symbo33 | Der Legende nach suchen Hexen jeweils den höchsten Berg einer bestimmten Region auf. Dementsprechend erwähnt Grimm nicht allein den Blocksberg/Brocken, sondern verweist auch auf andere Berge, wo sich vermeintlich Hexen versammelt haben sollen. Zur Verbreitung der Idee, dass der Blocksberg/Brocken ein Versammlungsort der Hexen insbesondere zu Walpurgis (siehe ausführlich zur religiösen Bedeutsamkeit von Walpurgis für heutige Hexen im fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit) ist, trug Goethes Schrift »Faust I« bei. In der Walpurgisnacht lässt sich Faust von Mephisto dazu verführen, in das rauschende Fest auf dem Blocksberg einzustimmen. Er vergisst Gretchen, die das gemeinsame Kind getötet hat, und lädt damit Schuld auf sich.

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lischer Akt waren, um auf Fehler in der Berliner Wohn- und Sanierungspolitik aufmerksam zu machen. Kreuzberg wurde zum Dreh- und Angelpunkt.34 Hier fanden sich die meisten besetzten Häuser und hier nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Besetzer*innen und der Polizei, die die Häuser räumen wollte, besondere Härte an. Wie die Presse es kolportierte, schien der Bezirk in »Straßenschlachten«, »Chaos« und »Krieg« zu versinken (Lang 1997: 132-137). Hier wollten die Frauen hinziehen. Für sie war die Besetzung nicht nur ein symbolischer Akt. In erster Linie ging es ihnen um dauerhafte Wohnraumbeschaffung, denn unverheiratete und lesbische Frauen, so zeigte ihre Erfahrung, wurden bei der Vermietung von Wohnungen besonders diskriminiert und nicht berücksichtigt. In dieses Ansinnen mischte sich von Anbeginn die politische Vorstellung von weiblicher Autonomie – die Hauptbotschaft der Hexe war die Abgrenzung gegenüber Männern – und formulierte zugleich den Wunsch, neuartige Wohnformen zu kreieren. Die Frauen erfüllten sich hier einen Traum, wie es die einstige Besetzerin Ursula Munker ausdrückt, »von was Eigenem […] jenseits vom Einfamilienhaus, weil es die klassischen Familienstrukturen nicht gab« (Interview, 22.03.2015). Als Ausdruck einer »Zwangsheterosexualität« wurden überkommene Muster familiären Zusammenlebens rigoros abgelehnt.35 Nach geglückter Besetzung im Januar 1981, bei dem man das FFGZ mit »ins Boot« holte, das die Ladenfläche im Erdgeschoss als Beratungsräume nutzte, erhielt das Hexenhaus als eines der ersten unter den illegal bewohnten Häusern zwei Jahre darauf legalen Status. Die Frauen hatten sich zu einem Verein zusammengetan – Hexenhaus e.V. –, durch den die Immobilie gekauft wurde (Selbstverwaltete Häuser in Kreuzberg SHIK e.V. 1983: 80). Gleichwohl sich die Belegschaft in der Folgezeit nahezu vollkommen austauschte, blieb das Haus über die Jahrzehnte, was es war: das Hexenhaus. Mit den neuen Bewohnerinnen kam zwar auch die Überlegung auf, den Namen zu ändern – einzelnen Frauen wurde der Name etwas »peinlich«, weil man sich in kindischer Weise an die Märchenhexe erinnert fühlte (Interview mit einer Bewohnerin, 12.02.2015). Wie Ursula Munker anmerkt: »[…] waren das Versuche, etwas Neues hereinzubringen, wo alle ziemlich schnell merkten: Nein, das ist es nicht. Wir sind das Hexenhaus« (Interview, 22.03.2015); und bis heute bleibt der Ort ein ausgewiesener Freiraum für (lesbische) Frauen, wo alternative Wohn- und 34 | Ausführlich zu den Besetzungen, wie sie zum Mythos Kreuzberg beigetragen und ihn spezifisch fortgeschrieben haben, siehe Lang 1997: 120-143. 35 | Einen zeitnahen Einblick in die Formen des Zusammenlebens im Hexenhaus, die Freiräume aber auch Konflikte, die sich dabei ergaben, siehe die Diplomarbeit einer ehemaligen Hexenhaus-Bewohnerin: Gronemeyer, Cornelie (1984). Politischer Widerstand und Lebenslust. Diplomarbeit, eingereicht an der Technischen Universität Berlin, Fachbereich 22, Erziehungswissenschaften, unveröffentlichtes Manuskript.

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dabei Eigentumsverhältnisse praktiziert werden und Männern nach wie vor versagt ist, zu wohnen. Mit seiner für die Bedürfnisse einer Frauengemeinschaft spezifisch umgebauten Raumaufteilung übernahm das Hexenhaus Vorbildcharakter und wurde gerade in der feministisch orientierten Architektur häufiger diskutiert (Nausester 1983: 63-70; Rebe 2002: 11-15; Becker 2009).36 Die Dauerhaftigkeit dieser Institution ist angesichts urbaner Schnelllebigkeit und der historischen Zäsur, die die Stadt mit dem Mauerfall erlebt hat, beeindruckend und mag auf den ersten Blick überraschen. Sie erklärt sich wohl nicht zuletzt daraus, dass das Haus mit seiner Geschichte und Entwicklung, seinem Namen und den soziokulturellen Alternativen, die sich darin kundtun, den historischen wie gegenwärtigen urban-kulturellen Zuschreibungen der Gegend, in der es sich befindet, zutiefst entspricht. Kreuzberg hatte seit den 1960er und verstärkt den 1980er Jahren den Ruf erworben, ein »Refugium der Nicht- bzw. Noch-Nicht-Angepaßten« zu sein, »wo das bunte und das triste Chaos und der künstlerische Wildwuchs besser als anderswo gediehen« (Kotschenreuther 1990: 22, zit. in: Lindner 1997b: 9). Auch heute noch gilt der Bezirk als ein »Kreativquartier«, »wo Künstler und Kulturleute, Kreative, Aufsteiger, Studenten und Einwanderer aus reicheren Ländern mit einer innovativen und risikofreudigen Mentalität« leben.37 Kurzum: Das Hexenhaus passt genau hierher und ist Teil dessen, was Kreuzberg zu einem Mythos gemacht hat. Insofern stellt es eine sehr Berlinische Variante des Hexenbezugs dar. Sicherlich darf man den Verweis auf und die propagierten Bilder von der Hexe in den feministisch-lesbischen Bewegungen der späten 1970er und den 1980er Jahren nicht überbetonen. Eine Vielzahl frauenemanzipatorischer Initiativen in der Stadt wie auch bundesweit kam in der täglichen Arbeit und im Engagement weitestgehend ohne historische wie inhaltliche Bezugnahme auf sie aus. Und doch übernahm die Figur der Hexe immer wieder Signalfunktion. Sie kreierte wirksam Öffentlichkeit für die Forderungen nach der Gleichstellung der Geschlechter, nach sexueller Vielfalt und neuartigen Lebensformen. In dieser stark feministisch-politisierten Variante (jenseits spiritueller Zuschreibungen) hat sich die Hexe fest ins Selbstverständnis heutiger neuheidnischer Hexen in 36 | Für die Bedürfnisse einer Frauengemeinschaft umgebaute Raumaufteilung meinte in erster Linie eine Mischform aus abgeschlossenen Wohneinheiten (21 1-Personen Wohnungseinheiten, zwei 2-Personen Wohnungseinheiten, unkonventionelle und unterschiedlich groß geschnittene 1 -bis 1 ½-Zimmer-Wohnungen zwischen 33 und 75m², 2-Zimmer-Wohnungen bis zu 100 m²) und Gemeinschaftsräumen: Garten, Waschmaschinenraum, Atelier, Dachterrasse mit Wintergarten (siehe Rebe 2002: 15). 37 | Hertie Berlin Studie 2008, Online-Ressource: Die Berliner Lebenswelten im Überblick. www.hertieberlinstudie.de/presse/pressematerial/texte/Lebenswelten_Ueber​b​ lick.pdf, letzter Zugriff: 28.02.2017.

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Berlin verankert. Es erklärt die Vehemenz, mit der neuheidnische Hexen insbesondere in Berlin öffentlich werden und für Meinungs- und Religionsfreiheit, für Gleichberechtigung und eine faire Gesellschaftsordnung eintreten; und es macht verständlich, warum auch die aus den USA stammende Tradition des Reclaiming so populär unter ihnen ist. Das gesellschaftsverändernde Engagement in der Praxis der Hexenreligion traf und trifft gewissermaßen auf eine in Westberlin diskursiv bereitete und sedimentierte Ressource der politischen Hexe.

Spiritueller Feminismus und das nüchterne Berlin Die Hexe als Ausdruck eines spirituellen Feminismus hingegen ist im Westberliner Kontext wenig tradiert und peripher in originärer Weise in den 1980er Jahren modelliert worden. Es gab vereinzelt Frauen innerhalb (lesbisch-)feministischer Reihen und einer feministisch-therapeutischen Szene, die nach Formen von Religiosität jenseits patriarchaler Glaubenssysteme suchten und dabei unter anderem die Hexe als Verkörperung dieser Alternativen sahen. Spuren in Form von Veröffentlichungen, medialer Aufmerksamkeit, geschweige denn Institutionen haben sie nicht hinterlassen. Berlin mochte ein »spirituelles Mekka« gewesen sein – feministisch geprägt war es nicht. In weiten Teilen mag diese Leerstelle an der starken Ablehnung und Dominanz liegen, mit der die politisierten Feministinnen Berlins den Ideen von Religion und Spiritualität begegneten. »Politfrauen« trafen hier auf »Spirifrauen« und erstere ließen letzteren wenig Freiraum. Sabine Zurmühl beschreibt das Verhältnis sehr anschaulich: »Die Spirifrauen waren bei uns in der ›Courage‹ überhaupt nicht gut angesehen […] die waren für den Kampf verloren, weil die nicht in gleicher Weise diese Unbedingtheit mitbrachten. Also zu sagen: ›Heute gehe ich dahin und morgen ist Vollversammlung, da muss ich auch hin, egal ob ich Zahnschmerzen habe. Zack, das ist eben nötig‹. […] Die spirituellen Frauen, die hatten oft so einen Bezug auf sich selber: Was ist eigentlich mit meinem Körper? Braucht der jetzt Ruhe? […] Das war nicht sehr brauchbar für unseren feministischen Kampf und auch mit einem hohen Maß an Misstrauen von uns, den Politfrauen, besetzt. Aber beneidet habe ich sie auch immer im Stillen«. (Interview, 14.11.2013)

Der spirituelle Feminismus wurde in Deutschland aus ganz anderen Regionen und urbanen Settings heraus intensiv und spezifisch geprägt und dann zeitversetzt im Berliner Kontext rezipiert.38 Knotenpunkte waren vor allem 38 | Von den Protagonistinnen des spirituellen Feminismus wird auch von feministischer oder weiblicher Spiritualität gesprochen. Siehe auch die Studie von Fehlmann 2011.

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München und die fränkische wie schwäbische Gegend. Gerade die in der feministischen Spiritualität propagierte Sinnlichkeit – der Vorrang individueller, körperlicher Erfahrung gegenüber dem gesprochenen Wort, das Streben nach Ekstase und die Lust an (opulenten) Ritualen und daran, alle menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten zu inkorporieren, – schien in diesen Gegenden auf fruchtbareren Boden zu fallen. Vorsichtig kann man dies mit der Prägung dieser Landstriche durch den Katholizismus in Verbindung bringen, wo im Unterschied zum Protestantismus solchen Formen menschlicher Subjektivität ansatzweise mit weniger Distanz begegnet wird. Hierin würde auch eine Erklärung zu finden sein, warum Berlin eben gerade nicht zu einem Zentrum feministischer Spiritualität wurde: Von einer gleichsam protestantischen Ethik geprägt war die Stadt »zu nüchtern«39, um hier als ein wichtiges Zentrum zu fungieren, und zugleich war sie geografisch von den wichtigen Orten feministischer Spiritualität abgeschnitten, wodurch deren Einfluss vorerst gering blieb. Was die Entwicklung und Ausformulierung in katholischen Gegenden und Ballungszentren zudem begünstigte, war sicherlich die hier verbreitete Verehrung Marias als Himmelsgöttin. Wie die Künstlerin Margarete Petersen, eine damalige Protagonistin aus Süddeutschland, meint, »schimmerte hier das alte Matriarchat noch durch« (Interview, 10.09.2013). Mit dem Glauben an die große Göttin, der für die feministische Spiritualität konstitutiv ist, wurde an eine allgegenwärtige Vorstellung und Praxis angeschlossen und sie gleichzeitig radikal frauenemanzipatorisch umgedeutet. Zentrale Personen dieser religiösen Neuinterpretationen waren in erster Linie Luisa Francia (*1949, aus München) und die Frauen des sogenannten Schiran-Clans (die Hauptprotagonistin, Ute Schiran, 1946-2013, kam ebenfalls aus München). Francia entwickelte Mitte der 1980er Jahre aus Mythen über den Mond, überlieferten Bräuchen aus dem Alpenraum und auf Grundlage von Märchen und Sagen ein Set von Tänzen und Ritualen, die die verschiedenen »Aspekte einer ganzen Frauenpersönlichkeit« (Francia 1991⁴, 13) hervorbringen und erlebbar machen sollten. Die Aspekte waren symbolhaft verschiedenen Göttinnen zugeordnet, die wiederum Verkörperungen der einen großen Göttin waren. Francia sah 39 | Ich greife mit dieser Idee auf Max Webers These von der protestantischen Ethik zurück, die wesentlich auf einer innerweltlichen Askese beruht – der Pflicht zur Genügsamkeit, Mäßigung und Selbstbeherrschung, auch als »Nüchternheit« zusammengefasst, um bereits auf Erden, durch Arbeitsamkeit und ein auskömmliches, »sittsames Leben« (kein Reichtum), Gottes Gnade zu erfahren und Gott zu rühmen. Mit dem Aufstieg des Kapitalismus und im Zuge der Säkularisierung (eng an die protestantische Ethik gekoppelt) entfernte sich diese Form der Ethik im Protestantismus von religiösen Inhalten, blieb aber als »rationale«, »nüchterne« Lebensführung erhalten. Siehe Weber 1988 [1920¹], Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1-206, insb. 30-62, 163-206.

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

dies als Teil eines alten Wissens an, das zu Tage gefördert wurde und das die früheren Hexen – »unsere Mütter und Vormütter« – besaßen (Francia 1990: 40-47, hier: 47). Mit ihren Ideen und Praxisanleitungen wollte Francia keine starren Regeln aufstellen, sondern ein »Modell einer Wirklichkeit […] von vielen« beschreiben (Francia 1991⁴, 13). Ähnlich fluide sind die formulierten Ideen des Schiran-Clans. Zugleich vertraten sie dabei einen radikaleren Ansatz: Wie Francia wollten die Frauen zwar mittels ihrer feministisch inspirierten religiösen Praxis vor allem eine bessere Welt ermöglichen, eine »Erdheilung«, wie sie es nannten, bei der es um ein Leben frei von Ungerechtigkeiten und in Balance mit der Natur ging. Diese »lebensbejahende Veränderung« war jedoch, stärker als bei Francia, mit der konsequenten Abkehr von Männern verbunden, die für die Schiran-Frauen ausschließlich destruktiv und egoistisch agierten.40 Nur in einer Gemeinschaft von Frauen und dabei Lesben konnte die Vorstellung einer besseren Welt verwirklicht werden. Man sah sich hier als visionäre Vorhut. So kehrten die Frauen 1984 dem Leben in der Stadt den Rücken, gaben sich den gemeinschaftlichen Namen Schiran und bauten in der schwäbischen Alb eine spirituelle lesbische Gemeinschaft auf.41 Die Außenwirkung dieses Schrittes war enorm. So stiegen die Frauen – neben Luisa Francia – zu Leitfiguren für die sich entwickelnde spirituelle Frauenbewegung bundesweit auf, was nicht zuletzt an der regen Publikationstätigkeit insbesondere von Ute Schiran lag (Schröter 1999: 267-281). Auch in Westberlin begann man nun diese Veröffentlichungen zu rezipieren. Neben Starhawks Schriften und den Büchern von Z Budapest begriff man sie als wichtige Inspirationsquellen. Wie sich eine der zwei Inhaberinnen des Adhara-Büchertempels erinnert: »Wir gründeten Zirkel, Kreise […] und entdeckten Macherinnen, z.B. Starhawk, Z. Budapest, Inanna, Luisa Francia, Margarete Petersen, Ute Schiran […] und diese Weiber luden wir nach Berlin ein, nahmen Inspirationen mit und festigten unsere weiblichen Wurzeln« (Email an die Autorin, 15.10.2013).42 Die Gruppe der Anhän40 | Interview mit den Frauen des Schiran-Clans in: Graichen 1999: 232-240, hier 239. Den Namen »Schiran« haben die Frauen »über trommeln, tanzen, singen entwickelt«. Rückwärts gelesen ergibt der Name »narisch«, was die Frauen als bedeutungsvoll ansehen, aber nicht weiter darauf eingehen. 41 | Einen Einblick darin, wie die Gemeinschaft zustande kam, was für gemeinsame Rituale sie entwickelten und wie sie von der Umgebung in der Schwäbischen Alb wahrgenommen wurden bietet das Buch: Schiran 1988. Die Vision einer neuen Gemeinschaft war radikal. So gingen einige Schiran-Frauen davon aus, dass Männer evolutionsbedingt einstmals verschwinden werden und wieder ein »weiblicher Urzustand« erreicht wird. Siehe Langen/Kress/Schiran 1985. 42 | Starhawk und auch Z Budapest weilten allerdings nicht auf Einladung der Geschäftsinhaberinnen in Westberlin, sondern kamen auf Initiative des »Zeitlos-Zentrums« in die Stadt (siehe auch das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit).

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gerinnen einer feministischen Spiritualität, insbesondere der Hexenreligion, blieb jedoch klein und mit Blick auf die gesamte Bundesrepublik unbedeutend. Das änderte sich erst nach dem Mauerfall. Schließt man sich gegenwärtig kursierenden Überzeugungen an und tut sie nicht als Berlins notorischen Hang zur Selbstüberschätzung ab, so ist die Hauptstadt gar der Ort mit der aktuell größten Hexendichte in ganz Mitteleuropa. Wie es sich als neuheidnische Hexe im neuen, wiedervereinten Berlin lebt, davon handeln die folgenden Kapitel.

Z usammenfassung Für die neuheidnische Hexenreligion in Deutschland sind die 1980er Jahre konstituierend. Gleichwohl Einflüsse aus dem angelsächsischen Raum wichtig sind, gibt es eine eigenständige Entwicklung mit spezifischen Bezügen und Auseinandersetzungen. Im Berliner Kontext wurde zwei historischen Strängen gefolgt, die exemplarisch für die Entwicklung im gesamtdeutschen Kontext gelten können: zum einen das Aufkommen eines (Neu-)Heidentums und die kreierte Praxis einer »europäischen Urreligion«, bei der die Hexe als »freie germanische Frau« imaginiert wurde und zum anderen das Erstarken des Feminismus mit seinen Forderungen nach geschlechtlicher Gleichstellung und Vielfalt weiblicher Sexualität, wobei die Hexe zur Verkörperung weiblicher Rebellion und radikaler Abkehr von der »Männerwelt« aufstieg. Die Hexenreligion kann als eine komplexe Synthese aus diesen Entwicklungen interpretiert werden. Die Berliner Spezifik zeigt sich dabei in mehreren Aspekten und hat sich als eine Art urban-kulturelle Patina auf die religiöse Praxis neuheidnischer Hexen heute gelegt. Ihre Charakteristika lassen sich wie folgt einfangen: So ist ein wichtiges Moment der besondere Umgang und die Imagination des Stadtraums durch die neuheidnischen Gruppierungen der 1980er Jahre und die dabei entwickelte heidnisch-religiöse Topografie Berlins. Sie ergab sich aus vorchristlichen Heiligtümern in der Stadt, die man für Rituale nutzte. Mit der Rückbesinnung auf solche Plätze schrieb man sich und die religiöse Praxis gleichsam in die Berliner Stadtgeschichte ein und wurde Teil dessen. Dabei sind der Entwurf und die »Aktivierung« solch einer Topografie von der politischen Spezifik Westberlins und seine Inselsituation geprägt. (Neu-)Heidinnen waren in der Ausübung ihrer (Ur-)Religion stärker als anderswo an das urbane Territorium gebunden und zu einem produktiven Umgang damit herausgefordert. Ungeachtet der großen historischen Zäsur, die Berlin mit der Wiedervereinigung erlebte, bleiben einige Orte der heidnisch-religiösen Topografie für heutige Protagonisten des (Neu-)Heidentums und der Hexenreligion relevant, wie dies am Beispiel der Blanken Helle gezeigt wurde. Zugleich sind, wie die Arbeit noch beschreiben wird, neue Orte dazugekommen, worin sich die Kreativität

Die urban-kulturelle Patina der neuheidnischen Hexenreligion in Berlin

im Umgang mit dem Stadtraum spiegelt und zugleich die veränderten sozialen wie kulturellen Bedingungen des urbanen Kontextes kundtun. Die konfliktreiche urbane Öffentlichkeit, die die neuheidnische Praxis in den 1980er Jahren generierte, katalysierte Problematiken, mit denen heutige neuheidnische Hexen nach wie vor konfrontiert sind und sich auseinandersetzen. Ausgelöst durch die kollektive Erinnerung an das NS-Regime und dessen Anleihen aus einem vermeintlichen Germanentum, ist die Gleichsetzung von neuheidnisch-religiösen Vorstellungen und deren Bezüge auf »germanische Wurzeln« mit nationalistischen/nationalsozialistischen Ideologien immer noch virulent. Zwar war und ist dies in der gesamten Bundesrepublik anzutreffen. Doch in Berlin als früherem Machtzentrum des NS und als (ehemalige) unter den Siegermächten aufgeteilte Stadt verstärkten sich die Erinnerung und damit auch die Zuschreibungen. Heute führt dies zu einer gesteigerten Sensibilität und auch Mut seitens neuheidnischer Hexen, sich auf das germanische Pantheon und Runen zu berufen und damit in Berlin öffentlich zu werden. Die Auseinandersetzungen der 1980er Jahre werden als Erinnerung bewusst weitergetragen und kontrovers betrachtet. Geza von Nemenyi und Matthias Wenger sind dabei zu historischen Lokalgrößen der Stadt geworden, an deren Einstellungen und Handlungen sich nach wie vor gerieben wird. Der moderne Feminismus der 1970er und 1980er Jahre schließlich hat dazu beigetragen, dass neuheidnische Hexen ihre religiöse Praxis als Weg zu weiblicher Autonomie und zu einer fairen Gesellschaft frei von patriarchalen Strukturen betrachten. Die im (Neu-)Heidentum propagierte Vorstellung von der Hexe als »freie germanische Frau« ist unter dem frauenemanzipatorischen Einfluss sozusagen radikalisiert und diskursiv mit dem Moment der Rebellion verbunden worden. Im damaligen Westberlin wurde der Bezug auf die Hexe vor allem von jenen entwickelt, gesetzt und in der Stadt publik gemacht, die ihre feministische Ausrichtung auf das Engste mit ihrem Lesbischsein verbanden. Er war politisch intendiert und kaum mit spirituellen Bedeutsamkeiten angefüllt. Dabei thematisierte die Hexe nachdrücklich, dass Rebellion nicht einfach eine Abkehr von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und Rechtsprechung bedeutete, sondern dass dieses politische Anliegen bis ins Private hineinreichte, den Umgang mit dem eigenen Körper betraf und den Mut zur sexuellen Vielfalt und zu neuen individuellen Beziehungsmustern und Lebensformen beinhaltete. So sehr Westberlin einen Knotenpunkt des politischen Feminismus darstellte, so wenig Freiraum bot es dem spirituellen Feminismus, der nur sehr zeitverzögert, Ende der 1980er Jahre, Einzug in die Stadt hielt und allmählich eine Anhängerschaft generierte. Neben der Dominanz des politischen Feminismus, der religiöse Ansätze im Feminismus verdrängte, mag dies in Teilen mit der protestantischen Prägung Berlins und seiner »Nüchternheit« zusam-

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menhängen, wodurch es für die Formen von Sinnlichkeit, wie sie der spirituelle Feminismus propagierte, wenig offen war. Heute wird Berlin als ein vermeintliches Zentrum neuheidnischer Hexen gehandelt und medial verstärkt als solches inszeniert. In der Vielfalt von Lebensstilen, die neuheidnische Hexen pflegen und sich darin dem Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie verweigern, wie auch in ihrem gesellschaftsverändernden Engagement, das sie als Ausdruck ihrer Religion begreifen, klingen die politischen Hexen Westberlins durch.

3. Kapitel: Unsichtbar bleiben. Die privatisierte religiöse Praxis  der Berliner neuheidnischen Hexen

Mehr als acht Monate habe ich gesucht. Internetforen, einschlägige Webseiten, Esoterikzeitschriften und die Zitty habe ich nach neuheidnischen Hexen durchforscht. Einige konnte ich finden und treffen – doch weder bin ich auf einen coven noch eine etwas offener gestaltete Gruppe von Hexen gestoßen, in der ich hätte forschen und Rituale, Gruppendynamiken und die Aushandlung von religiösen Vorstellungen teilnehmend beobachten können. Einzelne Hexen wollten das nicht. Aber mehr noch als fehlende Bereitschaft zeigte sich, dass entweder die Gruppen ausgesprochen klein waren – zwei, maximal drei Personen: Ich versprach mir hiervon wenig ethnografisches Material, das über individuelle Porträts hinausging. Mitunter gab es die Gruppen, die ich ausfindig machte, schon gar nicht mehr. Man traf sich mir zuliebe ein letztes Mal und berichtete lebhaft von den opulenten Jahresfeiern, die man gemeinsam begangen hatte und die mir leider entgangen waren. Am Berliner Institut hatte ich die kleine Datenmenge, die ich so zusammensammeln konnte, vor einem  – gefühlt – noch kleineren Publikum vorgestellt. Doch so klein die Zuhörerschaft war, so entscheidend sollte sie sein: Eine Studentin kam nach dem Vortrag auf mich zu und meinte, dass ich doch mal zu einem Hexenstammtisch gehen solle, wobei sie mir eine Webseite nannte, auf der es Kontaktdaten gäbe. Zudem, fuhr sie fort, gehöre sie selbst zu einer Gruppe von Hexen: den Mondfrauen. Eine Frau namens Xenia würde die Gruppe organisieren: »Sie veranstaltet mit uns zusammen wirklich viele Sachen. Schreib ihr einfach. Sie wird garantiert antworten«. Sie drückte mir einen Zettel mit einer E-mailadresse in die Hand. Ich war vorsichtig zuversichtlich und schrieb Xenia. Sie antwortete prompt und schlug ein Telefonat vor. Bei diesem hörte sie mir sehr genau zu, war offen und lud mich zu einem Ritual ein. […] Heißt das, dass ich in meiner langen Suche nach »dem Feld« vielleicht endlich angekommen bin? […] Jetzt stehe ich vor der Wohnungstür in Berlin-Steglitz, hinter der das Ritual zur Herbsttagundnachtgleiche, oder Mabon, wie die Hexen sagen, stattfinden soll. Eine lange Linie von Straßenschuhen steht hübsch geordnet vor der Tür. Ich klingle und eine hochgewachsene Frau öffnet mir: »Ciao Bella!« begrüßt sie mich.

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Hexen der Großstadt Ich bin beeindruckt. Alles an der Frau ist groß: ihre Arme, ihre Beine, ihre Augen, die Hände, der lachende Mund. Eine Umarmung folgt: Ich verschwinde darin. Die Frau heißt Ingelore und bittet mich herein. Sie zwinkert mir zu: »Aber hübsch die Schuhe ausziehen!« […] Es riecht nach Räucherwerk, ganz leicht vanillig, und ich höre Stimmen aus einem Zimmer. »Der Tee kommt gleich«, meint Ingelore geschäftig und weil ich das erste Mal da bin, gibt sie mir eine kleine Tour durch die Wohnung. Es ist eine sanierte Altbauwohnung mit schönem Stuck und knarrenden Dielen. Xenia, so zeigt sich, nutzt diese Wohnung ausschließlich für Rituale. Das Haus ist im Besitz ihrer angeheirateten Familie und sie selbst lebt mit ihrem Mann im obersten Stockwerk. Ingelore ist so etwas wie Xenias Assistentin, sorgt dafür, dass die Leute gut ankommen, Tee bereitsteht, Neulinge sich willkommen fühlen. Sie zeigt mir das Zimmer, in dem die Rituale stattfinden. »Wir sitzen auf dem Boden. Das ist doch für dich in Ordnung? In der Mitte sitzt niemand«, erklärt sie, »damit der Fluss der Energien nicht unterbrochen wird«. Der Raum ist in ein bläulich schimmerndes Licht getaucht. Es liegen Felle auf dem Boden. Ein Altar ist in der Mitte aufgebaut. Steine und Ketten, Federn sind ausgebreitet. Die Venus von Willendorf steht als Verkörperung der großen Göttin in der Mitte. Rasseln liegen für den Abend bereit. Tamburine, Trommeln und Klangschalen stehen in der Ecke. Durch eine Verbindungstür gelangen wir in einen weiteren Raum. Er fungiert als Vorzimmer, dort wo man sich vor und nach dem Ritual um einen alten großen Holztisch einfindet, redet, gemeinsam isst und trinkt. Alles hat hier bereits Patina angelegt. Was wohl auch gewollt ist: Selbst die Zeitschriften, die ausliegen, sind Jahrzehnte alt: sie stammen aus den 1960er Jahren. Die versammelten Leute begrüßen mich herzlich und jemand schenkt mir eine Tasse »Glückstee« ein. Es sind 11 Frauen im Alter von Ende 20 bis Ende 60. Mich versetzen die Wohnung und die vielen Anwesenden in Erstaunen. Warum, obwohl ich unermüdlich gesucht hatte, finde ich diese Gruppe und Xenia erst jetzt? Wie konnte ich so lange nicht darauf stoßen, wo doch Xenia, wie ich feststellte, sogar eine Internetseite mit Ritualterminen besitzt. Und wie sind die Frauen zusammengekommen, wie haben sie voneinander erfahren, von der Wohnung, den Ritualen? […] Schließlich betritt Xenia die Szenerie. Sie ist Anfang 50 und eine zarte Erscheinung. Sie geht auf jede einzeln zu, begrüßt und umarmt sie. Sie ist ganz in braun gekleidet, mit einem kunstvoll gewickelten Rock und einer langen Stola um die Schultern. Die Präsenz, die sie entwickelt, die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich von einer Frau zur anderen bewegt, zeigt, dass sie – in deren Wohnung wir schließlich auch sitzen – beständig die Führungsposition innehat. »Kommt, wir wechseln den Raum«, sagt sie schließlich, »Lasst uns beginnen«. (Feldnotizen, 21.09.2010)

Die Hexenreligion stellt ein altes und im selben Moment neues Phänomen dar. Sie ist, wie die vorangegangenen Kapitel zeigen, tief in den Traditionslinien der westlichen Esoterik verankert und zugleich ein Produkt neureligiöser und allgemein gegenkultureller Bewegungen der 1960er bis 1980er Jahre. Dieses Motiv des »Sowohl-als-Auch« – die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen – prägt

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die Hexenreligion allumfassend1: So ist sie nicht allein alt und dabei neu, sondern auch hochgradig individualisiert und zugleich auf Gemeinschaft und die Verwirklichung kollektiver Vorstellungen orientiert. Die Großstadt bildet ihre Existenzgrundlage, denn so differenziert die Lebensentwürfe und Weltsichten der einzelnen Protagonist*innen sind, das urbane Setting – dieses ausgemachte Terrain von Individualist*innen und zugleich ein Ort der Vermassung  – bietet die Chance, einer ausreichenden Zahl von Menschen zu begegnen, die ähnlich denken und empfinden. Wie der Stadtethnologe Ulf Hannerz das städtische Potential so treffend beschrieb: »It is in the bigger city, usually, that one finds not just one pianist but a musician’s occupational culture, not one quiet political dissident but a sect or a movement organized around an ideology, not a lone homosexual but gay culture« (Hannerz 1980: 115) und eben nicht nur eine moderne Hexe, sondern die vielfältige Praxis einer Hexenreligion. Der Zugang zu dieser Praxis ist jedoch äußerst reguliert. Faye, wie bereits erwähnt eine der Aktivist*innen unter den Berliner Hexen, bringt das Wirkprinzip auf folgende Formel: »Hexen missionieren nicht. Sie wollen gefunden werden!« (Interview, 07.06.2014). Sie praktizieren in Gruppen und an Orten, die für Außenstehende bewusst im Verborgenen gehalten werden. Dabei klingt das historisch vermittelte geheimgesellschaftliche Credo der Hexenreligion durch. Zugleich aber und verstärkt transportiert sich damit ihr – im Luckmann’schen Sinne – unsichtbarer, also stark privatisierter Charakter. Luckmann spricht damit den Umstand an, dass Formen von Religion ihre »Basis mehr und mehr in der Privatsphäre« fänden, in den engeren sozialen Beziehungsgeflechten (Familie, Freundschaft). Sie sind auf die eigenen unmittelbaren Bedürfnisse fokussiert (Knoblauch 1991: 19; siehe auch Berger/ Luckmann 1966: 81). Mit Blick auf die Hexenreligion erklärt auch Faye, dass es nicht so sehr darum ginge, dass man »geheim bleiben« und sich »verstecken will«, sondern, »dass ich mich nicht mit Hinz und Kunz über meine innersten Gedanken und Gefühle austauschen möchte« (Interview, 07.06.2014). Auf jenem Charakter der Hexenreligion als privatisiert bzw. unsichtbar liegt in diesem Kapitel das Hauptaugenmerk. Im ersten Abschnitt interessiert mich, wie bei einer Praxis, in der die eigenen »innersten Gedanken und Gefühle« im Mittelpunkt stehen und die geheim bleiben soll, Gruppen überhaupt entstehen können. Kurzum: Wie finden sich Hexen in der Stadt? Wie werden sie in diesem urbanen Meer von Individualist*innen füreinander (konkret) sichtbar und bleiben für Außenstehende (konkret) unsichtbar? Wie setzen 1 | Sie trägt damit die Kennzeichen dessen, was u.a. Ulrich Beck als reflexive Modernisierung/reflexive Moderne bezeichnet: Das Denken in Dualitäten/Binaritäten weicht einem »Sowohl-als-Auch«-Denken, was Beck auch als Ausdruck eines Kosmopolitismus versteht, siehe hierzu ausführlicher: Beck 2004; Beck/Bonß/Lau 2001. Eine kurze, knappe Zusammenfassung dieses Konzepts bietet: Kon 2009: 117, 118.

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sich dabei Gruppen soziokulturell zusammen und welcher neuheidnischen Ausrichtung folgen sie? Aus der Beschreibung tritt hervor, dass das Berliner Hexen­t um überaus divers ist und in der gesamten Stadt existiert. Dabei verändern sich seine Strukturen beständig, sind wenig stabil und nie fixiert. In der Wissenschaft beschreibt man dieses Charakteristikum seit kurzem mit dem Begriff »Assemblage«, »open-ended collective« oder den »sich ereignenden Formen« (Rabinow 2004; Bennett 2010; Hess/Schwertl 2013: 13-38). Anja Hoffmann fängt diese Fluidität von Strukturen mit folgender Metapher ein und meint, dass »das neuheidnische Hexentum wie ein Hefeteig ist, der aufgeht, sich in alle möglichen Richtungen entwickelt, manchmal an etwas festklebt, wieder loslässt und immer weiter aufgeht […]« (Interview, 05.02.2010). Meine Ausführungen und Analysen können mithin nur Momentaufnahmen liefern und müssen bereits jetzt als ein historisches Dokument verstanden werden. Trotz der strukturellen Unbeständigkeit bieten die Beschreibung und Konturierung der Berliner Zirkel und Kreise eine Orientierung und Grundlage, von der aus im zweiten Kapitelabschnitt ausführlicher darauf eingegangen werden soll, was eigentlich diese privatisierte – unsichtbare – religiöse Praxis ausmacht. Welche individuellen Wünsche, Hoffnungen und Bedürfnisse werden damit an- und ausgesprochen? Wie erfolgt dabei die Zuordnung als Anhängerin der Hexenreligion? Und wie wird das Selbstverständnis als neuheidnische Hexe nicht allein Ausdruck religiöser Weltsichten, sondern zu einer Frage des individuellen Lebensstils, wobei Herkunft und biografische Prägungen eine wichtige Rolle spielen? Um all diese Aspekte anschaulich werden zu lassen, begebe ich mich an den paradigmatischen Ort des Privaten: in die Wohnungen der Hexen. Die eigenen vier Wände sind bedeutungsgeladene, lebensweltliche Refugien und für Hexen auch ein entscheidendes Terrain religiöser Praxis und Gemeinschaftsbildung im urbanen Kontext. Stadthexen, so brachte es ein Berliner Protagonist auf den Punkt, sind nämlich vor allem eines: »Stubenhexen« (Interview mit Bernhard, ein Berliner Wicca, 05.12.2010). Was aber passiert in diesen Stuben? Wie sehr sind sie durch die religiösen Vorstellungen und Handlungen in ihrer Ästhetik und den Dingen, die hier versammelt sind, durchdrungen? Und wie wird dabei die Wohnung, die doch wie kaum ein anderer Ort für das alltägliche, eher »profane« – oftmals auch langweilige – Einerlei steht, ein dem Alltag enthobener, besonderer (Ritual-)Ort, der das Eintauchen in die spirituelle Welt – das Erlebnis von einer großen Transzendenz und dem Göttlichen – ermöglicht? Wenn ich von Dingen spreche, so meine ich zwar konkrete materielle Objekte bzw. tatsächliche Gegenstände, doch zugleich geht es mir um mehr. »[T]​hings are more than things«, wie es der Religionswissenschaftler David Morgan in seinem Plädoyer für mehr Studien zur Bedeutsamkeit materieller Dinge und damit der materiellen Kultur von Religionen so einfach auf den Punkt bringt und weiter meint:  

Unsichtbar bleiben »Things are powerful, compelling, living agents that touch us, scare us, calm us, protect us. Moving throughout our engagement with them is a complex array of embodied worlds, which are the stage on which a social actor, a person, a human being takes her place.« (Morgan 2010: 73)

Diese Vitalität von Dingen und die Komplexität, die sich in der Interaktion mit ihnen ergibt, möchte ich beleuchten.2 In meinen Betrachtungen gehe ich also von dem theoretischen Gedanken aus, dass materielle Objekte nicht nur durch Menschen gestaltet und mit Werten und Bedeutungen ausgestattet werden, sondern dass materielle Objekte – die Sachwelt3, mit der sich Individuen umgeben und von der sie umgeben sind, auch das menschliche Leben determinieren und formen können. Arjun Appadurai spricht in diesem Zusammenhang griffig vom sozialen Leben der Dinge (Appadurai 1986). Menschliche und nichtmenschliche Entitäten verfügen gleichermaßen über ein Handlungspotential, spitzen Vertreter*innen der Akteur-Netzwerk-Theorie diese Überlegung zu (Latour 2007).4 Für sie verschmelzen Mensch und Ding in ihrer Akteur-Funktion: Die duale Scheidung in ein erkennendes Subjekt und erkanntes Objekt ist aufgehoben (König/Papierz 2013: 292). Wenn ich mit diesen analytischen Perspektivierungen die Wohnungen der Hexen betrete, so habe ich mich methodisch für den Weg der Dinganalyse entschieden und greife damit einen im Fach tradierten Zugang auf, der 2 | Siehe zur »Vitalität« der Dinge, auch als »thingpower« gefasst, beispielhaft die philosophisch-ethnografischen Analysen von Jane Bennett, die zugleich als politisches Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit der uns umgebenden und durchdringenden Welt zu lesen sind: Bennett 2010. 3 | Die Sachwelt verstehe ich als die Gesamtheit der Objekte/Dinge, mit denen man sich umgibt, von denen man umgeben ist und mit denen man interagiert. Es reflektiert sich dabei das kollektive wie individuelle Selbstverständnis von Menschen und zugleich wird es hierdurch ausgehandelt. Gottfried Korff schlägt eine definitorische Unterscheidung zwischen »Sachen« und »Dingen« vor, wobei mit »Sachen« eher der Gebrauchswert und mit »Dingen« eher der symbolische Mehrwert angesprochen ist. Da die analytische Scheidung hier allerdings kaum möglich ist – Gebrauch und ausgehandelter symbolischer Wert sind auf das Engste verwoben – verwende ich »Dinge«/»Sachen«/»Gegenstände« synonym. Siehe Korff 2005: 35. 4 | Im deutschsprachigen Kontext der urban-ethnologischen Forschung hat die Akteur-Netzwerk-Theorie als Analyseausrichtung zentrale Bedeutsamkeit erlangt: siehe auch die kontroverse Debatte hierzu in der Zeitschrift: sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 2014, 2:1. Insbesondere die Beiträge hierin von Färber 2014a: 95103; Belina 2014: 104-109; Niewöhner 2014: 126-129. Weitere Veröffentlichungen in diesem Kontext sind z.B. Färber 2014b; Beck/Niewöhner/Sørensen 2012; Farías 2011; Farías/Bender 2009.

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insbesondere von den Kulturanthropolog*innen Gudrun König und Gottfried Korff stark gemacht wird (König 2005, 2009; König/Papierz 2013; Korff 1999, 2005, 2011a). Damit soll zugleich darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Betrachtungsweise, wie sie momentan so diskurssetzend durch die Akteur-Netzwerk-Theorien in die Diskussion gebracht wird, im Fach – wenngleich mit anderer Bezeichnung – schon länger vorhanden und für dessen Forschung zur materiellen Kultur konstitutiv ist.5 So geht es in der Dinganalyse darum, »die den Eigenschaften der Dinge, ihren ›Materialqualitäten, Gestalteigentümlichkeiten, Gebrauchs- und Nutzungsformen‹ immanenten Bedeutsamkeiten zu verfolgen […] und kontextabhängig zu untersuchen«. (König/Papierz 2013: 293). Die Individualität und zugleich übergreifende Ordnung der (religiösen) Sachwelt der Hexen, in der sich stets auch die urbane Gebundenheit spiegelt, tritt in dem dynamischen Verhältnis von Menschen und Dingen anschaulich hervor.6 Hexen – so zeigt sich dabei im Besonderen und so soll das Kapitel insgesamt offenlegen – sind Virtuos*innen eines Spiels mit der Unsichtbarkeit des eigenen Selbstverständnisses im Stadtraum.7 Es bleibt privat und unent5 | Siehe den prägnanten fachgeschichtlichen Rückblick in König/Papierz 2013: 285294, zur Besonderheit der DDR-Volkskunde in diesem Zusammenhang siehe Korff 2011b. 6 | Auf den Aspekt, dass gerade die Wohnungen von Städter*innen das Zusammenspiel von Individualität und übergreifende soziale und dabei stets ästhetische Ordnungen paradigmatisch hervortreten lassen, weist bereits der Anthropologe Daniel Miller in seinem Buch »The Comfort of Things« hin. Dabei handelt es um eine der wenigen – wenn nicht einzigen Studie – in denen ebenfalls Wohnungen von Städter*innen in ihrer materiellen Kultur systematisch untersucht wurden. Millers Zugang erweist sich als äußerst originell und auf Städte passgenau zugeschnitten. Er wählte eine »ordinary looking street« (Miller 2008: 3) in London aus und begann ihre Bewohner*innen zu besuchen. Indem er diesen Zugriff wählte und nicht von einer bestimmten sozialen Gruppe in seiner Untersuchung ausging, versuchte er die Spezifik der Diversität urbanen Lebens einzufangen. Er konzentrierte sich auf Dinge, die die Menschen in ihren Wohnungen beherbergten und mit denen sie zusammenlebten. Was konnten sie über die Menschen berichten? Wie war ihr Verhältnis zueinander, welche Dynamiken zeigten sich hier und was sagte dies über die Bedeutsamkeiten des urbanen Alltagslebens aus? Seine Annäherung an die hervorgebrachte materielle Kultur brachte er knapp so auf den Punkt: »[…] material culture matters because objects create subjects much more than the other way around« (Miller 2008: 287). In seinen theoretischen Überlegungen stützte er sich vor allem auf Bourdieu, der schon in seiner Studie zur algerischen Gesellschaft auf das Handlungspotential der Dinge verwiesen hatte. 7 | Spiel ist hier weniger – wie im Bourdieu’schen Sinne – als ein strategisches Spiel mit den eigenen sozialen, ökonomischen, kulturellen und symbolischen Kapitalien zu

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deckt von Außenstehenden, die sich jenseits neuheidnischer Vorstellungen bewegen, und wird öffentlich im Sinne von erkennbar für einen kleinen Kreis von Gleichgesinnten. Die Menschen, mit denen sie sich umgeben, die Art und Weise, wie sie sich geben und welcher Ästhetik sie folgen – dies alles sind Zeichen, an denen sich Hexen in der Stadt erkennen und durch welche sie zusammenkommen. Um diese Zeichen zu geben und zu entziffern, bedarf es nicht allein eines abstrakt-begrifflichen Wissens, wie es sich in Büchern über die Hexenreligion findet, sondern auch einer gewissen sinnlich-körperlichen Kompetenz – einer Kenntnis, die weit über das Auge hinausreicht (Bendix 2006). Darin mag auch eine Antwort liegen, warum ich neuheidnische Hexen so lange nicht finden konnte, sie für mich weitestgehend unsichtbar blieben und sich nicht zeigten: Ich musste mir die Fähigkeit und Durchlässigkeit meiner eigenen Sinne für diese Form von Religion erst erarbeiten8, um genau zu erkennen und um in der Ernsthaftigkeit meines Unterfangens erkannt zu werden, dass ich eben nicht »Hinz und Kunz« war. Gewiss sind meine Beschreibungen eine Gratwanderung: Einiges soll privat bleiben und einzelne Geheimnisse sollen nicht gelüftet werden – so werde ich Dinge und Praxen benennen und manche davon im Ungefähren belassen.

B erlin – S tadt der H e xen Berlin hat die Tendenz zur Selbstüberschätzung: Der ungeprüfte Superlativ ist hier wohlfeil zu haben. In diesem Kontext ist wohl auch die 2010 in der Februar-Ausgabe von »Körper Geist Seele« – eines der zwei bekanntesten Berliner Esoterikjournale – formulierte Überzeugung zu verstehen, wonach »wir in Berlin die größte Hexendichte Mitteleuropas haben« (Schäfer 2010: 32). Statistisch ist dies nicht nachzuweisen. Die Religionswissenschaftlerin Reena Perschke hat anhand eigener Hochrechnungen ermittelt, dass es in der deutschen Hauptstadt wahrscheinlich 300 bis 400 neuheidnische Hexen (freifliegend und Wicca) bzw. Personen gibt, die sich der neuheidnischen Hexenverstehen, die man bestmöglich – als Trümpfe – einsetzt, um sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Feld erfolgreich zu bewegen (Fuchs-Heinritz/König 2005: 143). Vielmehr wird im Verständnis, was ein Spiel ausmacht, Johan Huizinga gefolgt, der meinte: »Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ›Andersseins‹ als das ›gewöhnliche Leben‹« (Huizinga 1987: 37). 8 | Wacquant spricht in diesem Zusammenhang auch von »leiblicher Ethnografie« (carnal ethnography). Siehe Wacquant 2005.

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religion nahe bzw. zugehörig fühlen (Perschke 2003: 528). Bundesweit soll es überschaubare 2.000 bis 8.000 neuheidnische Hexen bzw. Vertreter*innen der Hexenreligion geben (Rensing 2007: 99).9 Eingegrenzt auf Deutschland kann die Berliner Anhängerschaft zumindest als beachtlich gelten. Was den statistischen Überblick unter anderem so schwierig macht, ist der spezifische Umstand, dass neuheidnische Hexen über keine ausgewiesenen und konkret geschaffenen sakralen Räume verfügen, gleich dem Kirchengebäude im Christentum oder auch dem Tempel freimaurerischer Logen, in dem man sich gemeinschaftlich zusammenfinden kann und die ein guter Anlaufbzw. Ausgangspunkt für Zählungen wären. Exklusive Ritualwohnungen wie jene von Xenia, denen man eventuell eine ähnliche Charakteristik zuschreiben könnte, bleiben ein einzigartiges Phänomen, das zudem flüchtig ist – Xenia hat diese Wohnung seit längerem aufgegeben. Das Fehlen von fest definierten und exklusiven Orten religiöser und dabei auch sozialer Praxis – eine Form der Entinstitutionalisierung, die bewusst gewollt ist und den privatisierten und auch geheimgesellschaftlichen Charakters nochmals spiegelt und reproduziert (stärker noch als bei den Freimaurer*innen) – hat Auswirkungen darauf, wie Hexen Mitstreiterinnen ausmachen und kennenlernen. Bis weit in die 1990er Jahre hinein galt die Annonce in Stadtjournalen, in Berlin vor allem im Magazin »Zitty«, als der Königsweg, um auf Gleichgesinnte zu stoßen: Man suchte und wurde gesucht. Viele Inserate wurden interessanterweise auch im Gothic- bzw. Wave-Musikmagazin »Zillo« aufgegeben, was die soziale Nähe zu oder auch

9 | Es ist kaum möglich, eine verlässliche statistische Aussage über die tatsächliche Anzahl neuheidnischer Hexen in Deutschland zu treffen, da letztlich auch das Verständnis davon, inwiefern man sich zur Hexenreligion zugehörig fühlt und sich selbst als Hexe versteht, sehr fluide gesetzt ist. Initiierte Wiccas soll es laut Remid – Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V. – nur 400 in Deutschland geben. Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen fasst den Begriff der Hexe weiter und geht wiederum davon aus, dass zirka 20.000 bis 30.000 praktizierende Hexen bundesweit zu finden sind. Mitunter wird auch von 50.000 ausgegangen (inklusive Heid*innen). »Dies erscheint allerdings viel zu hochgegriffen und würde letztlich alle ›heidnisch interessierten‹ Mittelaltermarktbesucher, jeden Pagan-Metal-Fan und jeden Neofolk-Hörer [mitzählen, V.H.], also Anhänger von (Jugend-)Subkulturen, die sich zu sehr unterschiedlichem Grade heidnisch religiös/spirituell verstehen«. Siehe den auf das Neuheidentum in Deutschland spezialisierten Religionswissenschaftler René Gründer im Kommentar zum Artikel im Tagesspiegel vom 27.08.2015 »Stammtisch der Hexen. Barden, Druiden, Heiden – was machen die eigentlich? Am Wochenende kann man sie live erleben« von Claudia Keller. www.tagesspiegel.de/berlin/nacht-der-reli​ gionen-stamm​t isch-fuer-hexen/12238378.html; letzter Zugriff: 01.08.2017.

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direkte Verortung in subkulturellen, künstlerischen Milieus verdeutlicht.10 So liest man beispielsweise im März 1995 im »Zillo« folgende leicht rätselhafte Anzeige: »Eine Wicca verliert sich […]. Eingebunden in dem Gefühl zur Göttin, erstarrt in der Kälte des Patriarchats, entwickelt sich mein Zwiespalt und wird zur Eismondin. Matriarchat, keltische Mythologie, Naturreligionen, Hexenkult. Wicca sucht Gleichgesinnte in Berlin. Chiffre 77/4« (Zillo. Das MusikMagazin, März 1995: 92) Daneben existierten sogenannte »Friendship-Books« als Möglichkeit der Kontaktaufnahme und Vernetzung bundesweit (Interview mit Curtis, 07.03.2012). Sie funktionierten entsprechend des Schneeballprinzips: Kannte man eine Person, die neuheidnisch-religiöse Vorstellungen vertrat und/oder sich selbst als Hexe titulierte und/oder sich in okkulten Praktiken wie dem Kartenlegen übte, schickte oder gab man ihr ein kleines Heftchen, worin man die eigenen Interessen und die Postanschrift vermerkte. Die Adressatin schrieb nun eine weitere Hexe an und vermerkte ebenfalls die eigene Adresse und die Interessen in dem Heft. So füllten sich dessen Seiten. War das Heft voll, wurde es an die Erstellerin der ersten Seite zurückgeschickt, die so zu einem fertigen Hexen-Adressbuch kam. Mehrere solcher Heftchen kursierten gleichzeitig. Auf dieser Grundlage fanden und vernetzten sich Hexen bzw. neuheidnisch und/oder okkult Interessierte über ganz Westdeutschland und Berlin hinweg. Hilfreich waren diese Hefte vor allem auf regionaler Ebene: Wie Curtis, die sich ab den 1990er Jahren aktiv auf Kontaktsuche zu anderen Hexen begab, meint, wurde man anhand der Anschriften endlich auch in der direkten Umgebung fündig, erkannte hier Mitstreiter*innen und blieb doch vor der Kenntnis Außenstehender und so vor möglichen unmittelbaren Diskriminierungen geschützt (Interview, 07.03.2012). Man freute sich schlicht: »Die also auch!«, schrieb und traf sich. Es fanden sich regionale Gruppierungen zusammen, die über Jahre hinweg miteinander in (Brief-)Kontakt standen und sporadisch Rituale, insbesondere die Jahreskreisfeste feierten. Konkret für Berlin ist es unbedingt notwendig, auf die legendäre SchikowskiBuchhandlung in Schöneberg, Motz- Ecke Kalkreutherstraße, hinzuweisen, die, wenn sich Berliner Hexen an ihre Anfangsjahre im Neuheidentum erinnern, immer einen herausgehobenen Platz einnimmt. Der Ladeninhaber Richard Schikowski – »Schiko«, wie ihn Insider*innen auch liebevoll nennen – war auf Bücher zu Astrologie, Okkultismus und Yoga spezialisiert.11 Das Geschäft hatte, wie Matthias Wenger es beschreibt, etwas »sympathisch Verruchtes […]. Es war so, dass man immer darauf achtete, schnell hineinzu10 | Die besondere Affinität zwischen Gothic Subkultur und Neuheiden-/Hexentum wird von der Kulturwissenschaftlerin Dunja Brill beleuchtet in: Brill 2007. 11 | Ein Kurzporträt der Buchhandlung findet sich in: o.V. (1985), Europas bekannteste Buchhandlung: Richard Schikowski. In: Scharna/Flamm/Lux 1985, 76-79.

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gehen, so dass niemand einen sah«. Lachend fügt er an: »Etwa so, als wenn man einen Sexshop besucht, da möchte man ja auch nicht gesehen werden« (Interview, 16.03.2010). Besonders interessant war nicht nur das ausgesuchte Bücherangebot, sondern auch das Hinterzimmer des Geschäfts. Hier wurde Platz für Vorträge und erste ritualmagische Zirkel geboten – das zog neuheidnische Hexen an und so erfuhren sie bei Schikowski voneinander (Interview mit Anna, 13.07.2014, Feldnotizen vom 02.06.2012). Der Laden wurde vor einigen Jahren aufgegeben: »Schiko« ist gestorben, sein Sohn und potentieller Nachfolger nach Brasilien ausgewandert.12 Auch die kleinen, analogen »FBs« (Friendship-Books) sind längst verschwunden und durch das große, digitale »FB« (Facebook) abgelöst worden. Überhaupt stellt heute Facebook mit die wichtigste Möglichkeit dar, auf neuheidnische Mitstreiterinnen, weitere Hexen und Wiccas zu stoßen. Hinzu kommen einschlägige Internetblogs, Foren und Webseiten. Niemand setzt heute noch eine papierne Zeitungsannonce auf, um eine neuheidnische Hexe kennenzulernen. Doch bei aller digitalen Präsenz und Aktivität, die Hexen mittlerweile entwickelt haben und deren Potential für die globale Verbreitung des neuheidnischen Hexentums vor allem durch die Religionswissenschaft herausgestellt wurde (Berger/Ezzy 2004; Cowan 2005; Futterlieb 2009), bleiben Hexen Expertinnen darin, den Zugang und den Kontakt zu ihnen digital genau zu kanalisieren und für jene, die sich jenseits ihrer religiösen Vorstellungen bewegen und sich eher oberflächlich und allgemein für Fragen von Spiritualität/Religiosität interessieren, weitestgehend unentdeckt zu bleiben. Bis man durch die digitale Suche tatsächlich auf eine »leibhaftige Hexe« trifft und ihr gegenüberstehen, sie kennenlernen kann, greifen verschiedene Regulierungsmechanismen.

Regulierung und Ausdifferenzierung – Vom Internet zum Stammtisch zum Inner Circle Allein für die Internetrecherche nach Hexen und Kontaktmöglichkeiten bedarf es grundlegender religiöser, historischer und vor allem lokaler Kenntnisse zur neuheidnischen Hexenreligion. Man muss sich also offline bereits in das Thema hineinbegeben haben und (zumindest) Augen und Ohren offen halten dafür. So wird man Curtis, eine Berliner Lokalgröße, wenn es um Fragen zu Magie in der neuheidnischen Hexenreligion geht, mit ihrem Blog und Facebook-Profil erst entdecken, wenn man ihren vollständigen Künstlernamen kennt und selbst dann erschließt sich nicht sogleich die Bandbreite ihrer Aktivitäten sowie Curtis’ lokale Signifikanz und zentrale Ansprechfunktion. Die 12 | Die beschriebene Atmosphäre des »Verruchten« scheint sich an dem Ort ein Stück weit fortzuschreiben bzw. als Motiv weitergetragen zu werden: Heute befindet sich hier die bekannte »Reizbar«, die mit »Crusing Area« und »Darkroom« wirbt.

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bis vor einiger Zeit aktiven Mondfrauen fand man mit ihren Treffs und Aktivitäten via Internet wiederum nur, wenn man wusste – also letztlich einen Tipp bekam – unter welcher weiteren Bezeichnung sie in Xenias Ritualwohnung praktizierten. Und dass es die US-amerikanische Traditionslinie Reclaiming auch in Berlin gibt, dass sie einen zentralen Bestandteil des Berliner Hexentums ausmacht, wird digital lediglich dann ersichtlich, wenn man um Reclaiming, um seine Geschichte und deren historische Protagonist*innen weiß. Aus diesem sehr spezifischen historischen wie lokalgebundenen Wissen formt sich ein Spektrum passgenauer Codewörter, die – einmal benutzt – immer wieder Türen aufstoßen und Einblick in erstaunlich engagierte Gruppierungen und Persönlichkeiten geben. Einfach nach Hexen/Neuheid*innen/ Wiccas in Berlin via Internet zu suchen, lässt allerdings daran vorbeisehen und in der Vielzahl erzeugter Informationen kaum lohnenswerte Kontakte generieren: Die Fülle von Hinweisen, die man auf diese Weise erhält, verwischt wirkungsvoll die Konturen des aktuellen Berliner Hexentums und lässt es so digital einmal mehr (nahezu) unsichtbar werden. Dabei sind neuheidnische Hexen mehrheitlich äußerst verlässliche Online-Kommunikationspartnerinnen. Ist es gelungen, nach langer, punktgenauer Recherche Berliner neuheidnische Hexen ausfindig zu machen, aktive Gruppen zu lokalisieren und sie via E-Mail oder Facebook anzuschreiben, wird schnell geantwortet. Die Offenheit, sich in der physischen Realität13 kennenzulernen, ist an diesem Punkt – nach der Hürde des ersten Kontaktes – durchaus groß. Für solche Treffen haben sich seit zirka 20 Jahren14 sogenannte Hexenund Heidenstammtische etabliert: Es sind die zentralen Orte erster gemeinschaftlicher Offline-Begegnungen.15 Zugleich fungieren sie als kontinuierliche Treffs, bei denen das soziale Miteinander gefestigt wird: Man tauscht sich über seine spirituellen Erfahrungen aus, lässt sich von anderen die Karten legen, debattiert die heilende Wirkung von Runen und Steinen und hört vielleicht von günstigen Angeboten im Kreuzberger Chapati-Laden – einem Kleidungsgeschäft, das sich mit seinen samtigen »Elfenkleidern« auf ein neuheidnisches Publikum spezialisiert hat (und das derart beliebt ist, dass ein Teil der Berliner Hexen auch schon als »Chapati-Hexen« reüssierten, Interview mit Curtis vom 28.11.2012). Mitunter sinniert man schlicht über die politische Großwetterlage. 13 | Mit dem Begriff soll vermieden werden, zwischen »Virtualität« (meist für Online-Kommunikation verwendet) und »Realität« (meist für Offline-Kommunikation verwendet) zu unterscheiden, da hier impliziert wird, dass virtuelle Kommunikation weniger real wäre. Futterlieb spricht in ihrer Arbeit meist vom physischen Raum bei Offline-Kommunikation/Zusammentreffen (Futterlieb 2009). 14 | Siehe hierzu Perschke 2003. 15 | Die folgenden Ausführungen beruhen, wenn nicht anders ausgeführt, auf Feldnotizen zu Hexenstammtisch-Besuchen, die im Laufe von 2010-2014/15 angefertigt wurden.

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Durch solche regelmäßig stattfindenden Zusammenkünfte wird eine Vertrauensbasis gestiftet, auf deren Grundlage man über gemeinschaftliche Rituale nachdenken kann. Es wird in den Gesprächen genau überprüft: Passen wir zusammen? Welche Idee vom neuheidnischen Hexentum wird vertreten? Ist dies mit den eigenen Vorstellungen kompatibel, könnten wir also über das soziale Zusammensein hinaus auch gemeinschaftlich religiös praktizieren? In Berlin hat man die Möglichkeit, verschiedene Stammtische auszuprobieren, wodurch es zu einem gewissen »Stammtisch-Hopping« kommt, bis man den für sich passenden Stammtisch gefunden hat. So sind in Berlin beständig drei bis vier Hexen- und Heidenstammtische aktiv. Sie finden in Kneipen, Cafés und Restaurants statt – an öffentlichen Orten also, wobei bereits hier die Fähigkeit und die Lust zum Spiel mit der Unsichtbarkeit paradigmatisch hervortreten und sich in der Maßgabe des »Gesehen-aber-nicht-erkannt-Werdens« übersetzten. So sind diese Stammtische zwar im öffentlichen Raum verankert, aber in der Vielzahl von Lokal-Besucher*innen und der allgemeinen Lautstärke schwer auszumachen. Sie werden vielmehr Teil der allabendlichen Szenerie der Großstadt und verschwinden förmlich darin.16 Für »Neulinge« werden dementsprechend hin und wieder dezente Erkennungszeichen ausgemacht: beispielsweise eine Muschel, eine kleine Götterstatue oder eine Tarotkarte auf dem Tisch.17 Online bleiben die Termine solcher Treffs für Nicht-Geladene unentdeckt – via Facebook sind sie meist über »geheime Gruppen« annonciert: Nur wer hier Mitglied wird, der findet die Gruppe online und kann das Datum einsehen.18 Die Lokale, in denen solche Stammtische stattfinden, stellen mit 16 | Als ich Hexenstammtische ausfindig gemacht hatte (via Internet) und schließlich zu einem eingeladen wurde, passierte es, dass ich zirka eine halbe Stunde lang allein an einem Tisch saß, da es mir nicht möglich war, zu erkennen, welcher der vollbesetzten Tische ein Hexenstammtisch war. In meiner Not griff ich auf Klischeevorstellungen von Hexen zurück: insbesondere auf die gerade durch Märchenbuchillustrationen tradierte Vorstellung von dem langen, roten Hexenhaar. Mutig sprach ich eine Frau an, die diesem Bild entsprach, ob der Tisch, an dem sie saß, der Hexenstammtisch wäre. Eine peinliche Situation, weil ich ihr erklären sollte, wie ich auf die Idee kam, dass sie eine Hexe sein könnte (was sie und die anderen Personen am Tisch als Beschimpfung begriffen). Man unterstellte mir allerdings eine gewisse Verwirrtheit und begegnete mir dementsprechend nachsichtig. In meiner Hilflosigkeit wurde ich schließlich von den »richtigen« Hexen an einem anderen Tisch erkannt und sie holten mich zu sich. (Feldnotizen 27.10.2010). Dabei ist anzumerken, dass neuheidnische Hexen in ihrem äußerlichen Erscheinungsbild zwar weit von den Klischeevorstellungen über Hexen entfernt sind, aber teilweise auch damit spielen: Haare werden überdurchschnittlich lang getragen und gern rot gefärbt. 17 | Feldnotizen, 10.12.2010. 18 | Dass man Mitglied dieser Gruppe ist, bleibt auch den jeweiligen Facebook-Freund*innen, sofern sie nicht selbst darin Mitglied sind, verborgen.

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ihrem inszenierten Flair und gebotenen kulinarischen Genüssen – ob alternativ/studentisch, rustikal-traditionell oder eher italienisch/mediterran – sowie der Gegend, in der sie sich befinden, oft erstaunlich verlässliche Indikatoren für die soziokulturelle Zusammensetzung der Stammtische sowie deren neuheidnisch-religiöse Richtung dar, weshalb sie einzeln kurz porträtiert werden sollen: So lädt die Heidnische Gemeinschaft19 (HG) zum Treff in den Weddinger Deichgrafen ein – ein Biergartenlokal mit »gepflegter Gastlichkeit« und »gutbürgerlicher deutscher Küche«, die von fleischhaltig bis vegetarisch längst internationalisiert – insbesondere mediteran – ist.20 Die Heidnische Gemeinschaft pflegt eher einen rekonstruktivistischen Ansatz, mit dem nicht der Versuch angesprochen ist, eine Form historischer Kontinuität in der religiösen Praxis herzustellen. Vielmehr geht es darum, wie von den heutigen Mitgliedern betont wird, eine »gebrochene Tradition« in neuer Weise wiederzubeleben (E-Mail an die Autorin vom 26.10.2018). Kulinarisch und atmosphärisch ist man offen und der Deichgraf scheint hier passend. Vor allem ist es auch die Lage, weshalb man sich für dieses Restaurant entschied: Es stellt einen topografischen Kompromiss dar und die Wahl ist unter anderem der leichten Erreichbarkeit geschuldet. Ihre Besucher*innen, im Schnitt zirka zehn Personen, männlich wie weiblich, kommen aus allen Ecken Berlins und entstammen der gutverdienenden, höheren bis mittleren Sozial- bzw. Bildungsschicht: Sie sind Lehrer*innen, Diplom-Ingenieur*innen und IT-Expert*innen.21 Im Vis-à-Vis hingegen, einem studentischen Café in Schöneberg mit karger, aber farbenfroher Einrichtung, trifft man in erster Linie mit den Kreativen unter den Hexen zusammen. Sie besetzen eine besondere soziale Nische: So gehören sie mit Blick auf ihre Bildungsabschlüsse der höheren Sozialschicht an, 19 | Zur Geschichte der Heidnischen Gemeinschaft siehe das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit. 20 | Siehe Selbstdarstellung: www.gaststaette-deichgraf.de; letzter Zugriff: 28.10.​ 2018. 21 | In der Benennung von sozialen Schichten halte ich mich an die detaillierte Studie zur Sozialstruktur Deutschlands von Rainer Geißler. Geißler referiert einerseits repräsentative Umfragen, in denen es darum ging, dass Befragte ihre Stellung in der sozialen Struktur selbst beschreiben und benennen. Andererseits stellt er mehrere wissenschaftlich formulierte Möglichkeiten der sozialen »Klassifizierung« vor. Unter anderem führt er prominent die »Milieu-Einteilung« ein, wie sie das Wiener Sinus-Institut aufgestellt hat, ein unabhängiges Institut für psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung. Demnach könnten die HG-Mitglieder auch zum Milieu der »Bürgerlichen Mitte« gehören. Wie Geißler mit Bezug auf Quellen des Sinus-Instituts ausführt: »Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream: generelle Bejahung der gesellschaftlichen Ordnung; Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen« (Geißler 2014: 116).

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ihr ökonomischer Status ist allerdings nicht immer kongruent – hier zählen sie eher zur unteren sozialen Schicht.22 Es sind Künstler*innen, Fotograf*innen, Schriftsteller*innen, Psycholog*innen und professionelle Übersetzer*innen. Sie arbeiten beruflich selbstständig oder stehen in eher unsicheren Arbeitsverhältnissen (befristet, projektbezogen, gemeinnützig). Besonders stark sind auch die heilenden bzw. sozialen Berufe vertreten: Apotheker*innen, Heilpraktiker*innen und Betreuer*innen von Menschen mit Behinderung. Lediglich eine verbeamtete Lehrerin gesellt sich zu der Runde. Meist kommen 10 bis 14 Personen, manchmal weniger, aber oft auch mehr zusammen (die höchste Zahl war bisher 25)23, überwiegend handelt es sich um Frauen. Sie fühlen sich der Reclaiming-Tradition verpflichtet bzw. nahe, einige folgen allgemeiner gefasst einer feministischen Spiritualität.24 Vereinzelt ist es die »diffuse Sehnsucht nach Selbsterkenntnis« (Interview mit Sophia, 30.01.2015), warum Leute hierherkommen und den Austausch suchen. Sie gelten beim Stammtisch als die »abstrakten Denkerinnen« (Interview mit Sophia, einer der »abstrakten Denkerinnen« in der Runde, 30.01.2015) und sind in ihrer religiösen Ausrichtung kaum festgelegt. Hermetisch-neuplatonisch inspiriert gehen sie von einem kosmischen Schöpfungsprinzip aus, wonach »sich nicht das Bewusstsein aus der Materie entwickelt hat, […] sondern, dass irgendeine Form von Bewusstsein […] im Sinne von einem schöpferischen Impuls dem Kosmos zunächst innegewohnt hat und dadurch die Materie entstanden ist« (Interview mit Sophia, 30.01.2015). Stärker als die Leute beim HG-Treff verortet sich 22 | Entsprechend der von Geißler eingeführten Milieu-Einteilung des Sinus-Instituts können sie ebenfalls dem Milieu der Mitte zugeordnet werden, hier dem »Sozialökologischen«. Wie das Sinus-Institut teilweise leicht wertend erklärt: »Idealistisches, konsumkritisches/-bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom ›richtigen‹ Leben: ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen; Globalisierungsskeptiker, Bannerträger von Political Correctness und Diversity« (Geißler 2014: 116). Die Künstler*innen, Fotograf*innen und Schriftsteller*innen weisen in Teilen Charakteristika auf, die vom Sinus-Institut (zitiert nach Geißler) dem »sozial gehobenen Milieu« gleichkommen, obwohl sich dies ökonomisch nicht in ein höheres Haushaltseinkommen gegenüber dem Milieu der Mitte übersetzt. Im sozial gehobenen Milieu wäre diese Gruppe von Hexen der Untergruppe der »Expetitiven« ansatzweise zuzuordnen: »Die unkonventionelle kreative Avantgarde: hyperindividualistisch, mental und geografisch mobil, digital vernetzt, und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und Veränderung« (ebenda). 23 | Zeitweise erfuhr der Stammtisch derart viel Zulauf, dass das gesamte Restaurant, wie eine Reclaimerin meinte, drohte »auseinanderzuplatzen«. Gespräch vom 06.10.2015. 24 | Zur Geschichte von Reclaiming, den Grundannahmen in der religiösen Praxis und der Rezeption von Reclaiming in Deutschland siehe das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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die Mehrzahl der Anwesenden (Reclaimer*innen und feministisch-spirituell Interessierte) dezidiert als Hexe. Ihr Hexentum spiegelt nicht allein ihre (radikal-)feministische Einstellung wider, sondern stellt für sie eine links-politische Handlungsstrategie dar, die zugleich ökologisch vertretbare Alternativen formuliert. Die Idee historischer Rekonstruktion ist ihnen in ihrer religiösen Praxis fremd und wird als Dogmatismus abgelehnt. Hier isst man nicht traditionsreiche, meist fleischhaltige, deutsche Kost, sondern bevorzugt vegetarische und vegane Speisen – was als ein kulinarisches Bekenntnis zum »Umund Neudenken« interpretiert werden kann, wovon ihr Selbstverständnis als Hexe allumfassend geprägt ist. Es gibt noch den Treff in der Bar Schraders im Wedding, die mit »Multikulti für Gaumen und Augen« wirbt. Man kann italienisch, fernöstlich und gutbürgerlich essen.25 Diese Form der Offenheit für Vielfalt, die letztlich auch die Lage im migrant*innenreichsten Stadtteil Berlins26 als Topos aufgreift und sich auch im Interieur wiederfindet – neben afrikanischen Masken hängen riesige Berlin-Gemälde und Buddha-Köpfe an den Wänden; goldene Engel sind zu Leuchten umfunktioniert –, zieht sozial ein ähnliches Publikum von Hexen an wie im Vis-a-Vis. Dabei wird hier nicht die Reclaiming-Tradition vertreten – vielmehr ist dies der Treff der (vergleichsweise kleinen) Wicca-Szene der Stadt (Gardnerische Linie via Initiationen durch Vivianne Crowley in Berlin etabliert). Dabei leben einige von ihnen ihr Hexe- bzw. Wiccasein im Re-enactment aus und treten auf Mittelaltermärkten als »weise Frauen«, als Märchenerzählerinnen und Kartenlegerinnen auf. Schließlich muss noch der Hellersdorfer Hexenstammtisch im Nordosten von Berlin erwähnt werden, der im mexikanischen Restaurant La Paz in der Shopping-Mall Helle Mitte stattfindet. Der Treffpunkt resultiert aus dem Wohnort der Hauptorganisatorin Stefanie, wobei die Ausrichtung der gebotenen Küche auf mexikanische Spezialitäten vor allem der geringen kulinarischen Wahlmöglichkeit in dieser Gegend geschuldet ist als auch dem günstigen Preisgefüge. Wenngleich der Treff in Hellersdorf der wohl kleinste unter den Stammtischen ist (mit höchstens sieben bis acht Besucher*innen), kann er soziokulturell als der außergewöhnlichste gelten. So finden sich hier nicht allein Musiker*innen, Grafikdesigner*innen neben Altenpfleger*innen und Gärtner*innen ein – die mit der kreativen bzw. sozialen und naturverbunde25 | Siehe auch http://schraders-berlin.de/pages/presse.php; letzter Zugriff: 01.08.​ 2017. 26 | Siehe Statistischer Bericht. Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 31. Dezember 2016. Alter, Geschlecht, Familienstand, Migrationshintergrund, Religionsgemeinschaftszugehörigkeit, Wohnlage. Bezirk, Ortsteil, LOR-Bezirksregion, 30. https:// www.statistik-berlin-brandenburg.de/Statistiken/statistik_SB.asp?Ptyp=700&Sa​g eb​ =12041&creg=BBB&anzwer=11; letzter Zugriff: 20.11.2017.

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nen Ausrichtung ihres Berufes und Lebensstiles einmal mehr charakteristisch für das neuheidnische Hexentum sind. Es gibt unter ihnen auch Bauklempner und Maurer. Habituell sehr verschieden, eint sie die Vorstellung von der Natur als immanent göttliche Kraft – sowie die Überzeugung, dass es »noch mehr als nur eine Realität zwischen Himmel und Erde geben muss« (Gespräch beim Stammtisch am 04.12.2012). Nicht zu unterschätzen ist die soziale Bindekraft der mehrheitlich ostberlinischen Herkunft. Die Sozialisation in der Deutschen Demokratischen Republik, so kurz sie auch gewesen sein mag und so lang sie auch her ist, stiftet Nähe über Distinktionen hinweg. Anspielungen, der Gebrauch bestimmter Wörter, familiäre und biografische Brüche müssen nicht weiter erklärt werden: Sie verstehen sich von selbst. Neuheidnisch-religiös fühlt man sich den Ideen von Wicca nahe und sieht sich von der feministischen Spiritualität inspiriert. Insbesondere die Männer definieren sich sehr offen und schlicht als »naturreligiös« (Gespräch beim Stammtisch vom 10.01.2013). Gewiss gibt es noch weitere Hexen- und Heidenstammtische: Stetig entstehen neue, manche werden eingestellt und leben vielleicht irgendwann wieder auf. Und sicherlich sind Stammtische nicht die einzigen Mechanismen des Kennenlernens von Angesicht zu Angesicht. Viele derjenigen, die beispielsweise zur Gruppe der Mondfrauen stoßen, sind auf der Esoterikmesse »Spiritualität und Heilen« von Xenia, die dort das Kartenlegen als Mittel der Weissagung anbietet, darauf aufmerksam gemacht worden (Interview mit Magdalena von den Mondfrauen vom 16.11.2011; Interview mit Melany von den Mondfrauen vom 20.08.2013). Andere haben sich bei dem unter neuheidnischen Hexen beliebten Vollmondtrommeln in den Kreuzberger Mehringdamm Höfen kennengelernt oder in der dortigen sogenannten Lebenstanzgruppe (Interview mit Katja von den Mondfrauen, 21.02.2011).27 Überhaupt hält Berlin eine große Vielfalt an neureligiösen Strukturen bereit, in denen sich neuheidnische Hexen bewegen und dabei Gelegenheit haben, aufeinanderzutreffen. Doch diese Vielfalt ist auch problematisch, denn sie bewirkt, dass sie selbst »für Insider nicht mehr detailliert überschaubar [ist]«, wie die Religionswissenschaftler Nils Grübel und Stefan Rademacher herausgearbeitet 27 | Der Lebenstanz ist ein Ritual und weitläufig an die Native-American-Tradition (vor allem im Gebiet der Great Plains) des Sonnentanzes (Sundance) angelehnt. Bei einem Ritual wird zirka drei Tage durchgetanzt. Es gibt verschiedene Rollen: Tänzer*innen, Sänger*innen, Trommler*innen, Helfer*innen. Wie es in einer Einladung zum Lebenstanz heißt: »Gemeinsam zelebrieren wir unseren Dank für die Gesamte [sic!] Schöpfung und für alle Wesen, die auf Mutter Erde leben und bitten für unsere persönlichen Anliegen. Das Lebenstanzritual ist eine Folge von Kreisformations- und Trancetanz-Sets mit Ruhephasen und öffnet die Verbindung zum ›großen Geheimnis‹, mit der göttlichen Quelle«. www.creationxp.de/ressurces/pdf/2009_Lebenstanzeinladung.pdf; letzter Zugriff: 01.08.2017.

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haben (Grübel/Rademacher 2003: 600). In dieser Unübersichtlichkeit bieten Hexenstammtische so etwas wie Orientierungspunkte und zielgenaue Anlaufmöglichkeiten für Hexen. Die vier genannten Stammtische können dabei als exemplarisch für die religiös-neuheidnischen Traditionslinien gelten, denen Hexen in Berlin folgen: Es gibt die streng rekonstruktivistische Ausrichtung, in der ein nordisch-germanisches Pantheon verehrt wird. Gleichwohl sie heute eine randseitige Position innerhalb des Berliner neuheidnischen Hexentums einnimmt, ist sie wichtig, weil man sich an ihrer Dogmatik und ihrer europäisch-nationalen Ausrichtung reiben kann.28 Viele neuheidnische Hexen fühlen sich herausgefordert über ihre eigenen historischen Bezüge und ihr Verständnis von Tradition nachzudenken (Interview mit Curtis, 20.05.2014). Die Reclaimer*innen und diejenigen, die allgemeiner gefasst einer feministischen Spiritualität folgen, sind in der deutschen Hauptstadt am stärksten vertreten. Die Gruppen sind, bundesweit betrachtet, sehr aktiv. Wicca, inklusive der sogenannten »Priester*innenschaft von Avalon«29 ist vorhanden und auch aktiv, wobei die Zahl der tatsächlich praktizierenden Gruppen ausgesprochen klein bleibt (jeweils zwei bis drei Personen). Anschaulich zeigen die Stammtische außerdem, dass es sich beim neuheidnischen Hexentum vornehmlich um eine Bewegung der Mittelschicht handelt, was für Formen neuer Religionen allgemein gilt und schon häufig konstatiert wurde. Dabei muss der Mittelschichtsbegriff mit Blick auf die Hexen differenziert werden, denn die anzutreffende intellektuelle und künst28 | Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, wenn der Stammtisch im Vis-à-Vis sich Heidenspaß nennt und so in einer geheimen Gruppe in Facebook seine Termine annonciert. »Heidenspaß« war eine Zeitschrift, die kurzzeitig in den 1980er Jahren erschien. Ihr Herausgeber Harry Radegeis war politisch rechts eingestellt und wurde durch den Verfassungsschutz beobachtet. Faye, die den Stammtisch maßgeblich mitorganisiert, weiß davon, wobei sie den »Heidenspaß« eher mit Geza von Nemenyi in Verbindung bringt. Wie sie meinte, wählten sie die Bezeichnung Heidenspaß, um neben der Betonung des Spaßes, den man im Hexen-/Heidentum haben solle, den Namen, der im Berliner Kontext durch die Zeitschrift eher negativ konnotiert ist, »tatsächlich positiv wieder zu besetzen« (Interview, 15.03.2014). 29 | Es gibt in Glastonbury ein Trainingsprogramm, durch das man zur Priesterin/zum Priester von Avalon geweiht werden kann. Es geht darum, sich die »alte Göttin Britanniens« zu vergegenwärtigen, selbst zu erfahren und sie in den Mittelpunkt religiöser Verehrung zu stellen. Für die Gründung und das Verständnis dieser Priester*innenschaft ist die Wirkmächtigkeit des Romans von Marion Zimmer Bradley »Die Nebel von Avalon« (erstmals 1982 auf Englisch erschienen) nicht zu unterschätzen, in dem die Artussage feministisch gewendet, vor allem als ein Untergang der heidnischen, auf die Verehrung der großen Göttin gerichteten Tradition erzählt wird. Die Priesterinnen (nur Frauen) der geheimnisvollen Insel von Avalon spielen hier die zentrale Rolle.

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lerische Reflektiertheit und Bildung der Protagonist*innen übersetzt sich nicht notwendig, wie gezeigt, in einen höheren ökonomischen Status. Dies jedoch darauf zurückführen, dass es sich bei Hochgebildeten, die sich verstärkt Religionsformen und Religiositäten jenseits der dominanten Glaubenssysteme zuwenden, um jene handle, »die aufgrund ihrer Arbeitssituation von der Produktion legitimen Wissens ausgeschlossen sind«, mithin »Abstiegsbedrohte« und »Depravierte« (Pollack 2000: 34) seien, stellt eher eine sozialstrukturelle Wertung denn Analyse dar. Vielmehr erklärt sich diese Inkongruenz aus dem gegenkulturellen Impetus der Hexenreligion: der Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem, einem System, dem man sich verweigert, aber nicht vollständig entfliehen kann (Magliocco 2004: 62). Neuheidnische Inhalte und Elemente der Hexenreligion scheinen zudem, allmählich in weitere soziale Kontexte zu diffundieren und auch von der Schicht der Facharbeiter*innen aufgegriffen zu werden.30 Die Religionswissenschaftler*innen Dorothee Lüddeckens und Rafael Walthert definieren die soziale Öffnung von neuen Religionen als deren wachsende »Fluidität« (Lüddeckens/Walthert 2010: 19-53), die eben auch für das Hexentum zu konstatieren wäre, gleichwohl es historisch besonders fest im akademisch-hochgebildeten Milieu verankert ist.31 Ein Hexenstammtisch kann als Vorstufe zu einer Ritualgruppe angesehen werden – die Gründung einer solchen ist das vorgegebene Ziel. Wenn sie zustande kommt, fungiert sie als eine Art inner circle der Treffs: Personen, die sich durch die gemeinschaftlichen Rituale und dabei gemachten Erfahrungen besonders vertraut geworden sind. Man kann Teil davon werden, muss es aber nicht. Einerseits nehmen einige Stammtischbesucher*innen selbst Abstand davon, weil Rituale, dadurch dass in ihnen Gottheiten angerufen werden und es bestimmte, festgelegte Abläufe gibt, religiöse Vorstellungen für sie zu konkret werden lassen. Andererseits gibt es – bei allen Versuchen, durch Rituale letztlich auch einen machtfreien Raum zu verwirklichen – aktive Ausschlüsse von Interessierten. Dabei gilt die Maßgabe, dass Rituale kein Ersatz für eine therapeutisch-psychologische Behandlung sein können. Zum Schutz des (Ritual-)Kreises werden Personen, die in der Hinsicht beim Stammtisch auffällig erscheinen und beispielsweise zu stark akute eigene Probleme thematisieren, nicht zu Ritualen eingeladen, wobei die Einschätzung darüber meist von einer Person innerhalb des inner circle via E-Mail formuliert wird und sie somit eine 30 | »Facharbeiter*innen« wird von Geißler als eine Kategorie innerhalb der Sozialstruktur Deutschlands angegeben, wobei Facharbeiter*innen für ihn zur »mittleren Mittelschicht« gezählt werden. Hier lehnt sich Geißler stark an das Klassenmodell des schweizerischen Sozialwissenschaftlers Daniel Oesch an. Geißler 2014: 101-102. 31 | Wie stark die neuheidnische Hexenreligion durch akademische Theorien geprägt ist: siehe das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit sowie von Stuckrad 2014: 139-158.

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Diskussion anstößt. Die Norm einer psychischen Stabilität oder, wie Hexen auch sagen, einer Erdhaftung oder geerdeten Persönlichkeit32 wird dabei ausgehandelt und ist für Ritualteilnahme vorausgesetzt. Alle der hier genannten Stammtische verfügen mittlerweile über einen inner circle. Sie sind mehr oder weniger rege. Besonders stabil und aktiv war über mehrere Jahre jener vom Vis-à-Vis. Er bestand aus zirka 10 Frauen, wobei im weiteren Kreis – von denjenigen, die manchmal zu einem Ritual kamen und die sich hin und wieder auch an anderen sozialen Zusammenkünften beteiligten, z.B. einem Kinobesuch, – eine Zeit lang bis zu 25 Frauen zu finden waren.33 Nach einem längeren Treffen wurde auch ich zu ihren Ritualen eingeladen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren konnte ich die einzelnen Protagonist*innen intensiv kennenlernen. Frauen wie Faye, Anna, Curtis, Thanis und Angela wurden dabei wichtige Bezugspersonen. Deshalb möchte ich sie im Folgenden als Ausgangspunkt nehmen, um die Hexenreligion als eine unsichtbare, also privatisierte Praxis im Stadtraum genauer zu kennzeichnen. Orte, denen hierin große Bedeutsamkeit zukommt, sind, wie eingangs bereits dargestellt, die Wohnungen der Hexen, weshalb sie im Zentrum der Betrachtung stehen werden und es insbesondere um ihre spezifisch hervorgebrachte und genutzte Materialität und Ästhetik geht. Von den Reclaimer*innen ausgehend werde ich meinen Blick auf die anderen Hexengruppen mit ihren einzelnen Protagonist*innen erweitern und schließlich darauf eingehen, wie mit der (Un-)Sichtbarkeit des eigenen religiösen Selbstverständnisses auch gespielt wird, um für Gleichgesinnte in der Stadt erkennbar zu werden.

D as R efugium des P rivaten : D ie H e xen -W ohnungen und die unsichtbare P r a xis einer R eligion im S tadtkonte x t In der Forschung zum Wechselverhältnis von religiöser Praxis und urbanem Kontext wird immer wieder der Frage nachgegangen, wie sich religiöse Gemeinschaften im städtischen Raum Orte ihrer Praxis – »sakrale Orte« – schaffen (Pinxten/Dikomitis 2012; metroZones 2011, 2014; Desplat/Schulz 2012; Becci/Burchardt/Casanova 2013; Day 2014). Zumeist interessiert, wie hierdurch 32 | Die Bezeichnung »geerdete Persönlichkeit« entspringt wahrscheinlich der antiken Vier-Elemente-Lehre, die für Hexen in ihrer Weltsicht bedeutend ist und im späteren Teil des Kapitels ausführlicher vorgestellt wird. Das Element Erde versinnbildlicht und verkörpert für Hexen Stabilität und Wohlstand (nicht nur in finanzieller Sicht, sondern auch im Sinne von »sozialem Wohlstand«: sozial befriedigender Eingebundenheit). 33 | Mitte 2017 wurde der Treffpunkt vom Vis-à-Vis verlagert, weil das Café schloss. Dies ist zugleich auch ein weiterer Beweis dafür, wie sehr das Hexentum in seinen Strukturen entsprechend auch der urbanen Gegebenheiten fluide gehalten wird.

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Öffentlichkeit für sich in der Stadt deklariert wird. Die Rolle urbaner Kultur, Politik, Ökonomie und Sozialstruktur in ihren materiellen wie immateriellen Dimensionen tritt dabei anschaulich hervor. Diese Studien sind wegweisend. Doch in gewisser Hinsicht sind sie auch problematisch, denn durch den dominanten Blick auf die Herstellung von Öffentlichkeit werden neureligiöse Gruppierungen außerhalb dominanter Glaubenssysteme, wie eben die neuheidnischen Hexen, zumeist ausgeblendet, da sie nur zaghaft – mit vielen internen Debatten verbunden – Öffentlichkeit bzw. Sichtbarkeit für sich generieren (wie noch zu zeigen sein wird) und mit ihren religiösen Vorstellungen und Praxen häufig unsichtbar bzw. privat bleiben (wollen).34 Dies analytisch an die kulturellen und topografischen Manifestationen des Urbanen zurückzubinden, ist schwierig. Von Forscher*innen und teilweise von den Protagonist*innen selbst wird denn auch jenes, woran man privat glaubt und welchen religiösen Vorstellungen man anhängt, als losgelöst von der Stadt betrachtet. Auch methodisch verweigern sich diese Gruppierungen den bisherigen Ansätzen der Stadt- und dabei Religionsforschung, weil sie die für die Untersuchungen vorausgesetzten festen sakralen Orte der Vergemeinschaftung nicht vorweisen – wie eben Tempel, Moscheen, Synagogen, Kirchen. Oftmals ist ihnen die Idee eines herausgehobenen sakralen Ortes in Unterscheidung zu einem profanen vollkommen fremd. Für Hexen ist jeder Flecken Erde sakral bzw. heilig. Diese spezifischen, konzeptionellen wie methodischen Hürden einer Forschung, die sich dem Wechselspiel von (neuer) Religion und Stadt zuwendet, sind sporadisch bereits thematisiert worden. Sie zu nehmen, fiel mir anfänglich schwer. So erkannte ich erst allmählich die Bedeutsamkeit, die Hexen der eigenen Wohnung in der Praxis ihrer Religion und ihrem gelebten Selbstverständnis als Hexe zuschrieben. Geprägt durch die fachlichen Diskurse kamen mir Wohnungen anfänglich als zu alltäglich und kaum sakral vor. Vor allem aber hoffte ich auf Situationen von Öffentlichkeit, in denen Hexen über den eigenen kleinen Kreis hinaustraten und die Möglichkeit boten, von Außenstehenden registriert zu werden. Hierin sah ich Ansätze, um Urbanität auszumachen, doch diese Situationen schien mir das beforschte Feld nicht so schnell geben zu wollen.

34 | Die Forschung der Wissenschaftler*innengruppe metroZones wendet sich zwar in ihrem Buch »Urban Prayers« dezidiert neuen religiösen Bewegungen zu und definiert diese als »Gruppen […], die als Abspaltung innerhalb und von bestehenden Religionen ebenso wie als komplette religiöse Neugründungen entstehen und früher undifferenziert als Sekten abgehandelt wurden« (metroZones 2011: 11). In den Veröffentlichungen werden »komplette religiöse Neugründungen« – also religiöse Ausrichtungen, die vermehrt ab den 1960er Jahren jenseits der dominanten, großen Religionen entstanden – von der empirisch-analytischen Betrachtung ausgeschlossen.

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Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Wohnungen von Hexen und dabei der Akt des Wohnens an sich zutiefst urban geprägt sind. Die Kulturanthropologin Elisabeth Katschnig-Fasch meinte vor nunmehr 20 Jahren: »Für Großstadtmenschen ist Wohnen – im Vergleich zum Wohnen in ländlichen, überschaubaren und nicht so hektischen, weniger industrialisierten Gebieten und Regionen – eine Art Gegenwelt zur Außenwelt, zur Arbeits- und Berufssphäre und als solche Ausgangspunkt erlebter Aktivität und kultureller Produktion von Identität schlechthin«. (Katschnig-Fasch 1998: 19)

Diese Gegen-, oder abgeschwächter formuliert, Alternativwelten werden in den Wohnungen der Hexen paradigmatisch hervorgebracht. Sie avancieren zu beeindruckenden Beispielen für den Charakter der Stadt als ein soziokulturelles Laboratorium, in dem dicht gedrängt verschiedenste und neuartige Ausdrucksweisen modelliert und ausprobiert werden.

Das materialisierte Ensemble der Selbstpräsentation Angefüllt von materiellen Zeichen und Dingen ihrer Weltsicht, ihres Verständnisses von Religion und von sich selbst, entwickeln die Wohnungen von Hexen eine spezifische Ästhetik. Ihr Kernelement bilden Hausaltäre, sie zeigt sich aber auch in der Fülle von versammelten Heilsteinen und Kerzen und den auf Wänden mitunter kunstvoll gezeichneten Spiralen. Hinzu kommen Ahnengalerien, die nicht zuletzt den immerwährenden Zirkel des Lebens – Geburt, Reife, Tod, Wiedergeburt –, von dem die Hexen ausgehen, zum Ausdruck bringen sollen. Diese Galerien sind immer wieder durchsetzt mit religiös wie magisch bedeutsamen Symbolen. Es gibt auch die Wandtattoos in der Küche, die mit dem Klischee des »alten hakennasigen Weibes mit Spitzhut« spielen, das in seinem Kessel zauberwirkende Dinge zusammenbraut (vgl. Abb. 1). Alles dies ergibt ein bestimmtes Ensemble der Selbstpräsentation. Es beschreibt ein System von materiellen Symbolen, an dem sich Hexen gegenseitig gut erkennen können: Sie wissen genau, wenn sie die Wohnung von Gleichgesinnten betreten. Außenstehende mögen die vielen Dinge in der Wohnung wahrnehmen und als besonders, mitunter als witzig, vielleicht als faszinierend oder befremdlich empfinden, doch die komplexe Bedeutsamkeit erschließt sich ihnen kaum. Es ist wie ein Code, von dem man weiß, dass es ihn gibt, den man aber nicht auflösen kann, der Schutz bietet vor möglichem Spott und Herablassungen: Als neuheidnische Hexe bleibt die Bewohnerin für Außenstehende unsichtbar (vgl. Abb. 2).

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Abbildung 1: Curtis’ Ahnenwand im Wohnzimmer

Curtis’ Ahnenwand im Wohnzimmer: Auf der rechten Seite befinden sich Bilder ihrer Familie. Auf der linken Seite sind Fotos von für Curtis wichtigen Kraftorten in Irland. Durchdrungen ist alles von einem göttlichen Geist: dem »Spirit«.

Abbildung 2: Kerzen auf der Schrankwand bei Curtis

Curtis: »Sie erscheinen wenig bedeutsam und werden so weit oben wahrscheinlich übersehen. Aber Hexen wissen, wenn sie das Arrangement erblicken, dass man in eine bestimmte magisch-religiöse Richtung initiiert ist«. Anna: »Und dass man sehr tief drinsteckt.« (Interview, 16.09.2015)

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Ich möchte nun näher an dieses besondere materialisierte Ensemble heranrücken. Da es mir dabei um die privatisierte Praxis der Hexenreligion geht, richte ich meinen Fokus auf folgende Fragen: Wie wird dieses Ensemble aus materiellen Dingen geformt bzw. wie formt es sich? Und wie nutzt man es? Wie wird es mit allen Sinnen wahrgenommen? Wie durchwirken die eigene Lebensgeschichte und individuelle Wünsche das Arrangement und wie gerinnt dieses schließlich zur Versicherung des eigenen Hexeseins? Um die Betrachtungen und Analysen übersichtlich zu halten, werde ich mich in einem ersten Teil auf ein einzelnes Symbol und Ding innerhalb dieses Ensembles konzentrieren: den Hausaltar. Altäre können in der Praxis der Hexenreligion als eine der wenigen relativ stabilen und stetig wiederkehrenden Elemente gelten. Sie kommen dem nahe, was die Religionswissenschaftlerin Birgit Meyer als »sensational forms« für Religionen definiert hat: »authorized modes for invoking and organizing access to the transcendental that shape both religious content (beliefs, doctrines, sets of symbols) and norms. Involving religious practitioners in particular practices of worship and patterns of feeling, these forms play a central role in modulating practitioners as religious subjects«. (Meyer 2010: 751)

Anhand der Beschreibung des basalen Auf baus und der allgemeinen Bedeutsamkeit von Altären innerhalb der Hexenreligion sollen diese modes und dabei Objektifikationen kenntlich gemacht werden. Wie sie individuell verschieden ausgeformt sind, wird sich zeigen. In einem zweiten Abschnitt geht es darum, wo und wie sich dieses Ensemble in der Wohnung »ausbreitet« – und genutzt wird – und schließlich in einigen Fällen aus der Wohnung herauszudiffundieren scheint.

Sinnlich, performativ, herausgehoben: der Altar Altäre waren seit Jahrtausenden Bestandteil von Religionen – ein Ort »where humans and deities established, negotiated and maintained their relationship« (Beezley 1997: 91; zit. in: Magliocco 2001: 8). Gleichwohl ein Altar für Hexen in ihrer religiösen Praxis nicht notwendig, sondern immer optional ist, ist er in nahezu jeder Wohnung einer Berliner neuheidnischen Hexe vorhanden. Häufig wird ein Altar für bestimmte, sehr verschiedene Gottheiten errichtet. Hierbei dient der Altar nicht allein göttlicher Verehrung, sondern für neuheidnische Hexen auch zur magischen Arbeit – also dazu, die allseits existente göttliche Kraft zu beeinflussen: intensive Gefühle und Gedanken zu stimulieren oder allgemeiner formuliert »Energien« zu erzeugen und auf die Erfüllung eines bestimmten Wunsches zu fokussieren. (Materielle) Symbole sind in diesem Prozess wichtige Werkzeuge. Sie treten in Kommunikation mit den hervorgebrachten Emotionen und Vorstellungen und werden auf dem Al-

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tar versammelt. Dabei erweist sich der Altar als ein hochgradig performativer Ort: Es wird davor getrommelt, getanzt, gesungen und geräuchert und sich in Trance versetzt, also in eine Form religiöser Ekstase, bei der ein veränderter und dem Alltag entrückter Bewusstseinszustand erreicht wird.35 Bewegungen, Wörter, Düfte und Objekte – so lässt es sich fassen – sind dabei im beständigen Dialog.36 Doch der Ort ist vergänglich: Ein Altar wird gar nur für die Zeit eines Rituals errichtet. Selbst dauerhafte, feste Altäre verändern sich in der Weise, wie sich das Leben derjenigen ändert, die ihn kreiert hat. Neue Dinge werden hinzugestellt, die neue Absichten symbolisieren, andere werden entfernt, weil es »nicht mehr passt« oder sich nicht mehr »richtig anfühlt« (Magliocco 2001). Da die göttliche Kraft als immanent gedacht wird, kann ein Altar sich überall in der Wohnung befinden: Einige bauen ihn im Wohnzimmer auf, andere im Flur, manch eine in der Küche, gar im Bad, wieder andere bevorzugen den abgeschiedenen Erker oder das Schlafzimmer. In der Gestaltung gibt es wiederkehrende Grundelemente. Als herausgehobener Ort kann der Altar mit einer bestickten Tischdecke oder mit Blütenblättern geschmückt sein. Mitunter wird er durch prominente Platzierung markiert: in der beleuchteten Nische der Wohnzimmer-Schrankwand, die vom Hersteller eigentlich als Standort eines großen Fernsehers gedacht war. Der Altar wird hier gleichsam zur Kulturkritik und zu einem Statement gegen die Massenmedien. Stets sind die für Hexen magisch bedeutsamen Elemente auf einem Altar versinnbildlicht: Luft, Feuer, Wasser, Erde, die vom Geist, der göttlichen Kraft, durchwirkt sind – eine Vorstellung, die sich im Pentagramm mit seinen fünf Spitzen versinnbildlicht. Es können auch Altäre für je ein Element errichtet werden. In gewisser Weise wird dann das jeweilige Zimmer zu einem großen, ausgedehnten Altar, man lebt in ihm, umgeben von den Symbolen der Elemente und dabei den Elementen selbst und in andauernder Verbindung mit ihnen. Die Qualitäten, die den letzteren zugeordnet werden, sind dabei der antiken Vier-Elemente-Lehre entlehnt. Die jeweiligen Zuschreibungen sind lustvoll erweitert worden. Dabei existiert keine verbindliche Vorschrift, wie die Elemente symbolisiert werden, gleichwohl die Analogien, wie sie einstmals vom Golden Dawn entwickelt und von dort weiter tradiert wurden, durchschimmern (siehe das erste Kapitel). So wird Luft (und damit der Osten), häufig durch einen Dolch angedeutet. Das Element steht für das Denken bzw. die Gedanken, wodurch Menschen Realitäten schaffen. Luft versinnbildlicht zudem Neubeginn 35 | Zum Verständnis von Trance bzw. Ekstase siehe die Einleitung. 36 | Eine reichbebilderte Studie zu Hausaltären von Frauen unterschiedlichster religiöser Traditionen (z.B. hinduistisch, christlich, neuheidnisch, Voudou) bietet Turner (1999). Turner beschreibt den performativen Charakter von Altären auch als eine Form der Selbstermächtigung von Frauen in männerdominierten Gesellschaften.

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und für neuheidnische Hexen konkret den Frühling. Feuer (oder Süden) wird mittels (Zauber-)Stab repräsentiert. Das Element symbolisiert Mut, Willen, Kreativität und Liebe. Jahreszeitlich gleicht es dem Sommer. Für das Element Wasser (bzw. für den Westen) wird oft ein Kelch genutzt. Es hilft, tiefe Gefühle zu entwickeln, der Intuition zu vertrauen und ein Wagnis einzugehen. Meist wird es mit dem Herbst assoziiert. Erde (der Himmelsrichtung Norden zugeordnet) schließlich wird durch das Pentakel symbolisiert und steht für Stabilität, Wohlstand und erinnert an die Fülle des Lebens. Ihr gehört der Winter (vgl. Abb. 3). Wie nun die Symbole gefertigt sind, aus welchen konkreten Materialien – das ist individuell verschieden: Der Stab (Feuer/Süden) muss keineswegs ein tatsächlicher Stab (meist aus Holz) sein. Ähnliches gilt für den Kelch (Wasser/ Westen), den Dolch (Luft/Osten) und das Pentakel (Erde/Norden): Sie alle können beispielsweise auch durch Tarotkarten repräsentiert werden (Siehe Tab.1). Zudem werden ständig neue Symbole kreiert. So kann Wasser (Westen) spontan durch eine Muschel aus dem letzten Urlaub dargestellt sein, einige stellen auch ihre selbstgemachten Kräutertinkturen und -liköre und Aromaöle dazu, womit die Identifikation als »Kräuterhexe« anklingt – eine der wenigen heute gesellschaftlich positiv besetzten Hexen-Vorstellungen. Häufig diffundiert die Stadt in ihrer Materialität auf den Altar: eine Feder aus der Spree oder dem Landwehrkanal kann so zum Luftsymbol werden (vgl. Abb. 4) und ein besonders geformtes Stück Holz vom Baum aus einem nahegelegenen Park fungiert als Erd-Zeichen. Feuer wird am häufigsten durch das tatsächliche Feuer repräsentiert, farblich sind die Symbole dominant in Rot gehalten. Ist der Altar für bestimmte Gottheiten errichtet worden – in Wohnungen gelten sie oftmals als Hausgötter und werden als persönliche Begleiter und Beschützer gesehen – werden (Sinn-) Bilder von ihnen präsentiert. Sie helfen Hexen, sich zu konzentrieren, und sind Impulsgeber, um sich vom alltäglichen Bewusstsein in einen liminalen Zustand, einen Zustand des »Dazwischen« – zwischen der materiellen und spirituellen Welt – zu versetzen, um Kontakt zu den Gottheiten und persönlichen Wandel zu erfahren.

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Abbildung 3: Altarbild

Ein Beispiel für die sehr enge Anlehnung an die dargelegte Symbolik ist der Altar einer Reclaiming-Hexe, der der keltischen Göttin der Fruchtbarkeit, des Krieges und Kampfes Morrígan gewidmet ist. Man sieht für Osten (rechts) den Dolch, für Süden (vorne, mittig) den Stab (als Ast), für Westen (links unten) den Kelch und für Norden (links oben) in der Schale ein wenig versteckt das Pentakel. Die drei Kerzen im Hintergrund geben Auskunft darüber, dass man sich der Göttinnenspiritualität zuordnet, also die Göttin als die Kraft, die alles Leben hervorbringt, begreift. Es gilt die Trinität der Göttin, die den Kreislauf des Lebens darstellt. Die Farbe Weiß versinnbildlicht die Göttin als junges Mädchen, Rot als die Mutter, Schwarz als die weise Alte, die das Versprechen der Wiedergeburt gibt.

Abbildung 4: Annas Altar auf dem Wohnzimmertisch

Annas Altar auf dem Wohnzimmertisch, mit dem sie die Elemente und ihre zugeschriebene Wirkung in ihre »Wohnung holt«. Die Federn sind unter anderem aus dem Landwehrkanal. »Diese Dinge laufen mir im Alltag über den Weg. Ich sehe sie und weiß, dass sie auf den Altar gehören«. (Interview, 13.07.2014)

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Für die Altargestaltung von grundlegender Bedeutung ist schließlich die sogenannte Altarkerze. Erst wenn sie entzündet wird, wird der Altar aktiviert. Das Feuer ist das »Symbol des Gedenkens an die Kräfte, die mich umgeben, die mich stärken, die für mich wichtig sind und denen ich wichtig bin«, wie Curtis es beschreibt. Man sendet damit »die Wünsche zu den Göttern« oder brennt die »Probleme des Alltages ab« (Blogeintrag, 01.03.2014). Abgesehen von diesen grundlegenden Gestaltungselementen gibt es keine Kriterien, was einen Altar zu einem Altar macht: Verschiedenste Dinge können versammelt werden. Entscheidend ist nicht, dass sie einheitlichen Kriterien im Erscheinungsbild folgen, sondern die Gefühle und Gedanken, die durch materielle Symbole hervorgerufen werden. Nichts muss, alles kann auf den Altar und magisch wie religiös bedeutsam sein. Gerade die historische wie kulturelle Diversität der Dinge, die auf dem Altar präsentiert wird, scheint für Hexen die Kraft des Altars auszumachen und in der Wohnung zu entfalten, da auf diese Weise beständig neue Orientierungen und Assoziationsräume für Praktizierende und außenstehende Betrachter*innen gleichermaßen hervorgebracht sowie konventionierte Vorstellungen und Ästhetiken unterlaufen werden. So kann denn zum Beispiel bei Curtis die Lego-Figur »Thor« von einem Massenspielzeug zum individuellen Sinnbild vom nordischen Donnergott Thor auf dem Hausaltar im Wohnzimmer avancieren und dabei neben einer Replik einer zirka 1.000 Jahre alten Abbildung desselben Gottes platziert werden. Gerahmt wird das ungleiche Thor-Paar von einer selbstgeschaffenen, einzigartigen Maske, die mit den aufwendigen symbolischen Verzierungen kaum zu entschlüsseln ist, so wie Loki, den sie repräsentieren soll: eine der zentralen Figuren der nordischen Mythologie. Mit Blick darauf, dass diese Maske zugleich der Abdruck von Curtis’ Gesicht ist, tauchen unaufhörlich weitere Schichten von möglichen Bedeutsamkeiten auf. Durch sie wird nochmals offenbar, wie sehr sich in den religiösen Praktiken von Hexen – und so direkt am Hausaltar – mit sich selbst und der Frage, was und wer prägt mich und wie finde ich einen Ausdruck dafür, auseinandergesetzt wird (vgl. Abb. 5). In diesem Zusammenhang muss der Altar auch als ein Ort in der Wohnung verstanden werden, an dem immanent die Lebensgeschichte(n) und -erfahrungen seiner Nutzer*in zur Aufführung gelangen. Besonders anschaulich tritt dies wohl bei einer der dienstältesten Reclaiming-Hexen in Berlin, Anna, hervor. Seit Ende der 1990er Jahre hat sie sich dieser Traditionslinie innerhalb der Hexenreligion verschrieben. In ihrer geräumigen Kreuzberger Drei-Zimmer-Wohnung in der Nähe vom Landwehrkanal hat sie nicht nur einen Altar aufgebaut, sondern gleich mehrere: Sie lebt inmitten von Altären. Von ihrem Hauptaltar, der immer dorthin wandert, »wo ich ihn am meisten brauchen

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Abbildung 5: Bei Curtis im Wohnzimmer

»Einer meiner Hausgötter ist Thor. Ich habe von ihm eine Replik auf dem Altar. Zu Weihnachten hat mein Neffe mir einen Lego-Thor geschenkt. Nun stehen Gegenwart und Vergangenheit in Form der beiden Thor-Figuren zusammen«. (E-Mail vom 20.07.2015)

kann«37 – diesmal im Schlafzimmer – bin ich anfänglich sehr irritiert, weil sich hier explizite christliche Symbole wiederfinden: ein Moment, der dem Neuheidentum mit seinem historisch fest sedimentierten antiklerikalen Impetus entgegensteht (vgl. Abb. 6). Spontan und etwas unüberlegt sage ich denn auch bei meinem Besuch: »Mutter Maria steht bei dir auf dem Altar? Neben der weißen Tara und neben Freya? Wie geht das denn zusammen?«. Anna überlegt, lässt den Blick über den Altar schweifen und gibt nach einer Weile zurück: »Warum denn nicht? Freya ist mir als Erste erschienen, die große Göttin der Liebe und des Glücks […], noch bevor ich zu Reclaiming kam. Ich habe sie ganz nah bei mir gespürt, wie einen Hauch und doch sehr stark. Maria wiederum trägt so viele Aspekte in sich. Das Christentum hat sie zur ›bloßen Mutter‹, zur ›Mutter des Erlösers‹ degradiert, dabei ist auch sie eine große Göttin und deshalb gehört sie für mich auch auf den Altar. […] Und die weiße Tara? Sie steht für Heilung. Sie ist weich, sie ist so umfassend und mitfühlend wie Mutter Maria«.

37 | Wenn nicht anders vermerkt, beruhen die folgenden Zitate auf den Feldnotizen/ dem Interview, 15.11.2013.

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Abbildung 6: Annas Altar mit der Statue von Mutter Maria und der grünen Tara

Sie hält kurz inne: »Wenn man so will, sind alle drei eine Verkörperung der großen Göttin. Das geht sehr gut zusammen«. Die Perspektive »Das geht sehr gut zusammen« hat sich Anna lange und sehr hart erarbeitet und so berichtet der Altar in der Integration christlicher Symbole zugleich von der Überwindung großer – auch familiärer – Konflikte. Anna kommt aus Bayern und ist streng katholisch aufgewachsen. Als Kind empfand sie eine große Liebe zu Jesus (Interview, 13.07.2014). Als sie dann jedoch mit 14, 15 Jahren von den Hexenverbrennungen durch die Kirche hörte, war sie derart »geschockt«, wie sie erzählt, dass sie noch als Jugendliche aus der Kirche austrat. Für die Eltern war und ist das immer noch unverständlich und kommt einer familiären »Katastrophe« gleich, vor allem, weil sie auch ihre beiden Söhne nicht taufen ließ – sie also aus christlicher Sicht »Heidenkinder« sind, denen das wichtige »Siegel der Bekehrung« fehlt (Interview, 13.07.2014). Als Anna zum Studium nach Berlin kam – später machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitet seither als solche – wandte sie sich dem Buddhismus und Hinduismus zu und besuchte auch ein nationales Hexencamp, was »für das Hexentum bei mir die Initialzündung darstellte […], was mich da fasziniert hat, war, mitgeteilt zu bekommen, dass jede befähigt ist, alles zu tun und Expertin ihrer religiösen Praxis und Überzeugungen zu sein« (Interview, 13.07.2014). Allmählich gelangte sie dabei zur Erkenntnis, dass die verschiedenen Religionen sich kaum voneinander unterschieden, vielmehr beruhe alles, was uns umgibt, wie Anna meint, auf »universellen Energien«, die nur von den Religionen unterschiedlich benannt wurden. »Insofern kann ich Jesus gut finden – das ist ein christlicher Name für eine Superenergie. Maria ist auch eine Superenergie« (Interview, 13.07.2014). Und diese »Energien« bündeln sich in Annas Wohnung in verschiedenen Symbolen und Materialien auf

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ihrem Hauptaltar und lassen ihn dabei nicht nur zum Ort religiöser Praxis, sondern zu einem wichtigen Platz und Ausdruck der Aussöhnung mit ihrer katholischen Sozialisation und ihrer Familie überhaupt werden. Diese »Energien« scheinen sich vom Altar aus gleichsam zu verstreuen und finden sich in Form von Dingen in der gesamten Wohnung wieder: ob es ein Postkarten-Om-Zeichen an der Tür ist, ein Buddha-Bildnis auf der Flurgarderobe, ein Herz-Jesu-Bildchen im Bücherregal, ein Zeichen für das Element Erde am Fernseher, ein Tara-Bildnis auf dem Sofabeistelltisch (vgl. Abb.7) oder ein Prisma im Bad, das, wie Anna erklärt, unter anderem durch die Brechung des Lichtes einen Regenbogen wirft, der nach buddhistischer Vorstellung die Elemente unseres physischen Seins in Farben wiedergibt. Auch Duftsäckchen – gefüllt mit wohlriechenden Kräutern und Blüten – werden zu Trägern von diesen am Altar präsentierten und dabei erzeugten guten »Energien« und sind hier und dort ausgelegt. Abbildung 7: Ein Tara-Bildnis auf dem Sofabeistelltisch

Anders als der Altar, der in einer Weise genutzt wird, bei der man sich vom Alltag heraushebt und in die spirituelle Welt eintaucht – Anna führt hier die buddhistische Selbsterzeugungspraxis durch (eine Form der Meditation, um sein »wahres Selbst« zu erkennen) –, sind diese ausgebreiteten Dinge, Gegenstände ins alltägliche Geschehen integriert – ob beim wiederkehrenden Gang zum Bad, dem Empfang von Besuch im Flur oder beim Fernsehen: Man kann sich den materiellen Symbolen und ihren spezifischen »Energien«, die sie symbolisieren und tragen, nicht entziehen. Annas kleiner Sohn beispielsweise, dem sie die eigene religiöse Praxis nicht zur Vorschrift machen will, macht es sich nur allzu gern auf dem Sofa gemütlich und legt behaglich seine Füße auf den Beistelltisch. »Na«, meint Anna, »da kriegt er eben auf diese Weise spirituelle Energien ab« (Feldnotizen/Interview, 15.11.2013).

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Bei einem meiner Besuche sinniert Anna zum Abschied noch lange über unser Gespräch und meint schließlich: »Wahrscheinlich bin ich eine Hexe, weil ich mache, was ich will. Ich lass mir von niemanden sagen: Das und das geht nicht oder die und die Götter kann man nicht zusammenbringen. Ich kombiniere alles, so wie ich will […]. Die Hexe ist für mich die ›Zwischen-den-Religionen-Wandelnde‹ […], es verbindet sich alles«. Und im Rückgriff auf das historisch-feministische Narrativ der Burning Times38 schloss sie: »Früher wurden Frauen verbrannt und gefoltert, die das getan haben, was ich jetzt mache und sie haben sogar weitaus mehr getan: Sie waren Geburtshelferinnen und waren Heilerinnen, haben geräuchert, haben Tränke gemacht aus Kräutern, haben Gebete gesprochen […]. Das alles beinhaltet das Wort Hexe und deshalb nenne ich mich so.« (Interview, 13.07.2014)

Ihr Kreuzberger Zuhause mit den vielen, auf so vielfältige und sinnlich-performative Weise genutzten und gestalteten Dingen ist von diesem Selbstverständnis als Hexe tief durchdrungen – die gesamte Wohnung gerinnt zum Ausdruck genau dessen.

Bündeln und Verstreuen Das Prinzip des Bündelns und Verstreuens findet sich nicht allein bei Anna, sondern in allen Wohnungen von Berliner Hexen, die ich kennenlernte, wieder. Materielle Symbole, die religiös und magisch für Hexen bedeutsam sind, versammeln und konzentrieren sich auf dem Altar und verbreiten und vereinzeln sich in der Wohnung. Sie versinnbildlichen, tragen und verstärken dabei bestimmte »Energien« – also Kräfte, die nach Ansicht der Hexen die materielle Welt durchziehen und zugleich über sie hinausweisen. Bei einigen Hexen sind diese Symbole sehr präsent – noch stärker als bei Anna. Wenn bei Curtis beispielsweise die Wohnungstür aufgeht, empfängt die Besucherin nicht nur sofort die Sicht auf ihren Altar im Flur, sondern es »begrüßen« sie auch Gargoyles – kleine drachenähnliche Holzfiguren, die von den Seiten hinunterblicken. Diese Wesen sind vornehmlich durch ihre Verwendung an Kirchen und Kathedralen bekannt, wo sie die Funktion der (Regen-)Wasserableitung hatten und wohl zugleich der magischen Abwehr von Luft- und Wetterdämonen dienten. Es galt das Prinzip »Gleiches wird durch Gleiches geheilt«: Demnach ging man davon aus, dass Dämonen am wirksamsten durch ihr Spiegelbild zur Umkehr gezwungen würden (Schymiczek 2010: 6; Elias 2009: 12/13).

38 | Siehe das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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Für Curtis verkörpern die Gargoyles die »Schutzgeister« der Wohnung, wobei »Geister« wiederum für sie ein weiteres Wort für »Energie« ist und »eine Sache des Erfahrungswertes, des Daran-Glaubens und der Vorstellungskraft« darstellt. Sie sind mythologisch-imaginierte Begleiter*innen der Menschen. Bei Curtis sitzen sie im Flur an der Wand, »damit niemand mit unguter Absicht in die Wohnung kommt« (E-Mail vom 20.07.2015). Unter den Gargoyles sind auf Regalen Kerzen und weitere Symbole von Curtis’ Selbstverständnis als Hexe aufgestellt, die dann mit dem Gang zum Wohnzimmer mehr werden und an Größe gewinnen. Auf dem Weg dorthin wird man von angenehmen, mal mehr, mal weniger intensiven Düften begleitet, die von aufgestellten Räucherwerken ausgehen und die ebenfalls bestimmte Kräfte haben und wecken sollen. Von Anbeginn des Besuches an taucht man also (syn-)ästhetisch in Curtis’ Weltsichten ein, wird, wie in die Wohnung selbst, »hineingebeten« und kann sich damit auseinandersetzen. Dabei berichten die versammelten Dinge und Symbole mehr als nur von Curtis’ religiösen wie magischen Vorstellungen, sondern zeigen einmal mehr die Verwobenheit mit sozialer Herkunft und biografischen Prägungen auf. Konflikte und Momente der Aussöhnung spielen für das hier gebotene Ensemble von Dingen allerdings keine Rolle, sondern es sind vielmehr Curtis’ Erfahrungen familiärer Akzeptanz und Förderung, die entscheidend hierfür sind. So kommt Curtis aus einer gutsituierten Mittelschichtsfamilie im protestantisch geprägten Ruhrgebiet, einem »liberal-freiheitlichen Haushalt«, wie sie erzählt, in dem viel Wert auf Selbstbestimmtheit und Kreativität gelegt wurde und wird (Interview, 07.03.2012). Gerade Curtis’ frühes Interesse an Mythologien förderten die Eltern intensiv: »Als Kind, als ich 12, 13 Jahre alt war, habe ich so bereits den Gustav Schwab verschlungen, und zwar mehrfach verschlungen.39 Ich habe auch sehr früh die Edda gelesen. All diese Mythen habe ich quasi inhaliert« (Interview, 07.03.2012). Für Curtis stellte dies die ersten Kontakte zur Welt der römisch-griechischen und nordischen Götter und Göttinnen dar, wobei Kontakte für Curtis seither eine enge Verflechtung von sinnlich-körperlichen Erlebnissen einer göttlichen Kraft mit der begierigen intellektuell-abstrakten Aneignung mythologischen/religiösen Wissens anspricht – und darin mündete, dass Curtis erfolgreich Religionswissenschaften studierte. Die Reaktion der Eltern darauf, dass Curtis’ Interesse in diesem Bereich stetig wuchs und sie immer mehr eintauchte, war: »Gut, mach mal« – und es ist genau jene früh geprägte Maßgabe und Wertschätzung, sich 39 | Gustav Schwab (1792-1850) war ein schwäbischer Pfarrer und Lehrer, der gerade der Jugend die antiken Mythen näherbringen wollte. Er trug »Die schönsten Sagen des klassischen Altertums« in drei Bänden zusammen, wobei er die Übersetzung von Originaltexten selbst vorgenommen hatte. Bis heute prägt Schwab die deutschsprachige Rezeption der griechischen und römischen Mythologie. Auch 2016 erschien wieder eine Neuauflage der »Schönsten Sagen des klassischen Altertums«.

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ungehindert und ohne Scheu auszuprobieren und Individualität zu modellieren, die sich in der Wohnung wiedergibt und in der Vielfalt der Symbole reflektiert, die der Besucherin offen angeboten wird. Doch so aufgeschlossen und freimütig Curtis ist, zeigt sich, stellt man den Fokus schärfer, dass dieses Angebot letztlich nur für einen bestimmten sozialen Kreis zur Verfügung steht. Mit Blick auf ihre und auch auf andere Hexenwohnungen in Berlin kann man nämlich folgende Faustregel ableiten: Neuheidnische Hexen, deren Wohnungen in so präsenter Weise vom eigenen Hexesein durchdrungen sind, umgeben sich auch in ihren engeren Freundschaften und in ihren Liebesbeziehungen mehrheitlich mit Personen, für die magische (okkulte) wie neuheidnische Ideen und Praktiken ähnlich bedeutsam sind wie für sie selbst. Diesen Menschen öffnen Hexen sich mit ihren privaten – eben auch religiösen – Vorstellungen und Empfindungen; und so konkret die eigene Wohnungstür. Dies erfolgt weniger aus einer bewussten Abgrenzung von denjenigen, die anders denken. Vielmehr ergeben sich hier schlicht die Kontakte nicht: Lebensweltlich scheinen sie kaum Relevanz zu besitzen. Interessanterweise trifft diese soziale Ausschließlichkeit häufig auf jene Hexen zu, die das, woran sie glauben und praktizieren, zugleich zu ihrem Beruf gemacht haben: Sie sind – so auch Curtis40 – professionelle Kartenlegerinnen und spirituelle Lebensberaterinnen, führen einen Esoterik-Hexenladen oder bieten stadtweit Einführungskurse zur Wirkung und zur Geschichte der Magie an. Ihre Wohnungen mögen also – um auf das Vokabular von Elisabeth Katschnig-Fasch zurückzugreifen – eine »Gegenwelt zur Außenwelt« (Katschnig-Fasch 1998: 19) repräsentieren, aber diese Gegenwelt macht vor der Arbeits- und Berufssphäre nicht Halt. Gerade eine Stadt wie Berlin mit ihrer ausgeprägten Struktur von neureligiösen Angeboten und der Vielzahl von Interessierten und Aufgeschlossenen bietet hier die notwendige ökonomisch-soziale Existenzgrundlage. Die größere Zahl neuheidnischer Hexen in Berlin geht jedoch, wie Hexen sie selbst nennen, »bürgerlichen Berufen«, fern von Religion und Magie nach. Zudem haben sie Freund*innen und Lebenspartner*innen, Nachbar*innen und Bekannte, die mit den Vorstellungen der Hexen womöglich sympathisieren bzw. sie respektieren, aber oftmals wenig oder gar nichts damit anfangen kön40 | Curtis hat sich nach ihrem Studium und dem Angebot, eine universitäre Laufbahn einzuschlagen, entschieden, auf die Praktikerinnenseite zu wechseln. Dabei spielt ihre Desillusionierung vom universitären Betrieb und der wissenschaftlichen Arbeitsweise eine Rolle. Dies klingt an, wenn sie sagt: »Forschung ist wunderbar. Aber diese Wortklauberei, der Streit um jeden Begriff, das Hinterfragen bis ins Kleinste. Das ist für mich nicht zu ertragen. Es geht die Schönheit der Dinge verloren und die wollte ich mir nicht nehmen lassen«. Feldnotizen, 21.12.2012.

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nen. Mitunter ist es ein »Clash der Welten«, wie Sandra, die den Reclaimer*innen nahesteht, ihre Beziehung zu ihrem Mann Yuval beschreibt, »wo man schaut, eigene Interessen parallel unterzubringen, die gemeinsam nicht erlebt werden können oder wollen« (Interview, 18.09.2014). Lebt man gemeinsam in einer Wohnung, ist die Präsenz von Dingen und Symbolen, die für neuheidnische Hexen bedeutungsvoll sind, immer Verhandlungsfrage und selbstredend dezenter. Meist ist es ein bestimmtes Zimmer, wo sich Altäre befinden und sich andere magisch wie religiös bzw. spirituell wichtige Werkzeuge verstreuen. So beschreibt beispielsweise Thanis, die auch lange den Reclaiming-Kreis besuchte, ihr eigenes Zimmer als den Raum in der Wohnung, »wo ich versuche, das Spirituelle in mein Leben zu tragen« (Interview, 15.10.2015). Ihre Frau Sophia, mit der sie im Bezirk Prenzlauer Berg lebt, ist Thanis’ neuheidnischen Überzeugungen gegenüber aufgeschlossen, aber der ganze dazugehörige »Krimskrams« stört sie dann doch (Interview mit Thanis, 17.12.2012 und 15.10.2015; Interview mit Sophia, 30.01.2015). Und Thanis hat wirklich viel »Krimskrams«, was – ähnlich wie bei Annas Altar – ihre katholische Sozialisation in Bayern und die Auseinandersetzung damit reflektiert. Thanis musste lange Zeit eine Nonnenschule besuchen. Doch so streng man sich hier an die christliche Lehre hielt, so früh begann sie daran zu zweifeln. Vor allem eine Frage trieb sie um: »Warum kann Gott nicht auch eine Frau sein?«41 Auf der Suche nach Antworten entdeckte sie Starhawk und so die Hexenreligion. Für ihre Eltern war dies ein Drama, wie Thanis es beschreibt, weshalb sie – um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen – Bücher darüber nur im Verborgenen las und ohne Symbole und andere Hilfsmittel begann, Rituale zu feiern. »Und weil ich am Anfang an der ›normalen‹ Ausübung derart gehindert wurde, habe ich jetzt einen Hang dazu, ganz, ganz viel Kram und ganz, ganz viele verschiedene Symbole, Kelche, Pentakel um mich herum zu versammeln«. Auch eine Vielzahl von Bildnissen der keltischen Göttin Brigid findet sich in ihrem Zimmer. Sie ist seit längerem Thanis »Hauptgöttin« und wird mit der Heil-, Schmiede- und Dichtkunst identifiziert. Für Thanis symbolisiert sie allgemein Kreativität: etwas, was ihr als Grafikdesignerin sehr wichtig ist. Unter all den vielen Dingen in ihrem Zimmer mischt sich auch eine männliche Gottheit, was im ersten Moment verwundert, steht doch Thanis – radikalfeministisch inspiriert – Formen und Verkörperungen des Männlichen sehr kritisch gegenüber. Es ist Loki, der als Statue, Zeichnungen und in selbstgeschriebenen Gedichten im gesamten Zimmer Präsenz entfaltet und gepriesen wird. An ihm zeigt sich die enge Verbindung zwischen göttlicher Verehrung und eigener Biografie besonders deutlich. So wird Loki zur Allegorie von Thanis’ Herkunft und reflektiert diese, denn

41 | Wenn nicht anders vermerkt, beruhen die folgenden Zitate und biografischen Ausführungen von Thanis auf dem Interview, 15.10.2015.

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Thanis ist nicht allein aus Bayern, sondern durch die Mutter »Halbthailänderin, was man mir irgendwo auch ansieht«, wie Thanis meint und ausführt: »Sehr lange hatte ich eine Phase, wo ich eigentlich am liebsten, naja, richtig deutsch gewesen wäre. Und hier kommt Loki ins Spiel. Loki ist kein Ase. Er ist ein Halbriese unter den Asen. Er steht quasi mit einem Bein in der einen Welt und mit dem anderen Bein in der anderen. Das hat mich an ihm angezogen, dass er wie ich nirgendwo richtig dazugehört. Damit kann ich mich identifizieren.«

Dieses gelebte Selbstverständnis – die beständige Vermittlung zwischen ihrer thailändischen und deutschen Herkunft – teilt sich bei längerer und genauerer Betrachtung auch in Thanis’ Verehrung Brigids, in deren materialisierter Symbolik auf dem Altar, mit. So integriert Thanis ein thailändisches traditionelles Geisterhaus42 darauf und verehrt damit zugleich die »europäischen Geister«, wie sie meint, ihre eigenen schamanischen »Krafttiere« sowie die »Hausgeister«, die für sie – ähnlich wie bei Curtis – »Energien« darstellen, die in der Wohnung erzeugt und hier zu Hause sind. Schließlich verehrt sie damit auch die Götter und Göttinnen des Landes (vgl. Abb. 8 und 9). Von der überbordenden Symbolik, die sich von den Altären ausgehend im ganzen Zimmer verteilt, ist in den anderen Bereichen der Wohnung wenig zu spüren. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein Phänomen, das auch für die anderen Hexen-Wohnungen gilt: Aus Rücksichtnahme gegenüber denjenigen, mit denen man sein Leben teilt, scheinen sich zwar die für Hexen religiös bzw. spirituell oder magisch bedeutungsvollen Dinge und Symbole in der Wohnung kaum zu verstreuen – aber ganz unterbinden kann man die Ausbreitung – diese Vitalität der Dinge – nie. Hexen haben stets eine Form von Lieblingsmaterialität: Dinge, Gegenstände, zu denen sie eine besondere Beziehung entwickeln und diese bahnen sich über Widerstände und Verhandlungsfragen hinweg immer wieder den Weg durch die Wohnung. An ihnen nimmt man dann doch den neuheidnischen »Hexen-Haushalt« wahr: Dies können Kräuter sein, Kerzen, Duftöle, Räucherungen. Es zählen dazu auch Pflanzen und Steine, denen bestimmte Heilkräfte und ein Bewusstsein von sich selbst und für andere zugeschrieben werden, was in der westlichen Esoterik auf eine lange Tradition 42 | Geister werden in diesem Zusammenhang nicht allein als mythologische Begleiter*innen der Menschen imaginiert. Sie sind zudem territorial an jeweilige Orte gebunden gedacht, wobei sie die vorgestellte Vergangenheit der Orte repräsentieren und dabei objektivieren. Es werden ihnen Häuser erbaut, in denen sie gleichsam residieren und ihren Schutz für die Menschen entfalten können. Zugleich ist die Idee der Geisterhäuser mit der Vorstellung unterlegt, damit bestimmte Geister anzuziehen, im Sinne auch von »anzulocken«, damit sie ihren Schutz an einem jeweiligen Ort entfalten. Siehe hierzu die instruktive Studie zu Geisterhäusern im urbanen Thailand: Pearce 2011.

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verweisen kann.43 Bei Thanis beispielsweise sind es die Steine. Ob im eigenen Zimmer (auf dem Altar), in der Küche oder Arbeitszimmer (vgl. Abb. 10), im Bücherregal, auf der Badewanne oder neben dem Telefon: Sie finden sich überall. Es sind Amethyste, Lapislazulis, Karneole und Turmaline. Sie sollen eine friedvolle Atmosphäre in der Wohnung verbreiten, für die Fähigkeit sich zu konzentrieren sorgen oder »negative Energien« aufnehmen. Abbildung 8: Thanis’ Elemente-Altar

Links mittig befindet sich das thailändische Geisterhaus, mit dem Thanis auch die »europäischen Geister« verehrt. Die darunter befindlichen vier Kästen sind jeweils zur Symbolisierung eines der vier Elemente angelegt: Luft (links oben), Wasser (rechts oben, Symbol für Wasser u.a. irisches Bier), Erde (links unten) und Feuer (rechts unten).

43 | Hierzu und zur gegenwärtigen Fortschreibung von esoterischen, meist als alternativ bezeichneten Behandlungs-/Heilungsmethoden siehe ausführlich die ethnografisch gehaltenen Studien von Ross 2012 sowie McClean 2006; Moore/McClean 2010 (Letztere stark auf den irländischen Kontext konzentriert).

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Abbildung 9: Thanis’ Loki-Altar

Thanis’ Loki-Altar mit verschiedenen, teilweise selbstgemalten Bildnissen von Loki, die sich über die gesamte Zimmerwand verteilen und seine unterschiedlichen Aspekte versinnbildlichen: als Riese, Gestaltenwandler, Magier und Trickser.

Mitunter legt sich Thanis Steine mit ins Wannenbad und macht ein »Baderitual«, wie sie sagt, denn die Energie der Steine – so die Vorstellung – wird über das Wasser zu ihr geleitet. Als Thanis mir davon berichtet und wir weiter die Steine betrachten, muss sie schmunzeln und meint kurz und knapp: »Ich bin eben eine Edelsteinhexe«. Hier wird deutlich: Das materialisierte Ensemble der Selbstpräsentation mag in Wohnungen, wie der von Thanis, dezent sein: Man wird als Besucher*in nicht unmittelbar in die magischen und religiösen Weltvorstellungen der Bewohnerin »hineingezogen«, doch sind die Wohnungen davon durchwoben und stellen ebenfalls ein synästhetisches Refugium des eigenen Hexeseins dar.

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Abbildung 10: Steine im Büro von Thanis und ihrer Ehefrau Sophia

»Die Steine im Büro: Hämatit (grau) ist gegen Stress. Karneol (orange) für die nötige Feuer-Energie, um Projekte in Angriff zu nehmen, für Kreativität und gegen Unkonzentriertheit. Lapislazuli (blau) unterstützt die schnelle und gute Kommunikation, Disziplin und Pünktlichkeit. Charoit (violett) hilft bei Überforderung, Schritt für Schritt Ordnung zu schaffen. Labradorit (blau-grün-gold-violett) dient der Ausbalancierung von Denken und Fantasie«. (E-Mail vom 18.10.2015)

Diffundieren – Vom Unsichtbaren zum Sichtbaren zum Liminoiden Für Hexen ist es von zentraler Bedeutung, dass von dieser religiösen wie magischen Praxis in den eigenen vier Wänden möglichst nichts nach außen dringt und Außenstehende davon Notiz nehmen könnten. Dies hat nicht nur mit der Prämisse zu tun, dass man nicht jedem die »innersten Gedanken und Gefühle« offenbaren möchte, wie es Faye eingangs postulierte (Interview, 07.06.2014). Bei Thanis beispielsweise spielt vor allem die Befürchtung möglicher Negativreaktionen hinein, wie sie sie schon von Seiten ihrer Eltern und Verwandten erfahren hat. Andere Hexen argumentieren in erster Linie politisch, insofern, als dass für sie in einem modernen Staat, Religion und Glaube überwiegend »Privatsache« sein sollten und in der politisch-öffentlichen Arena wenig verloren hätten (Interview mit Curtis, 20.05.2014; Interview mit Angela, 23.08.2012 und 02.12.2014).44 So unterschiedlich die Argumentation ist, für alle gilt: Die 44 | Hierüber entfaltet sich eine große Kontroverse, wie in den folgenden Kapiteln noch hervortreten wird. Xenia beispielsweise nennt sich offensiv eine »öffentliche Person« und damit auch öffentliche Hexe. Sie tritt dafür ein, Ritualplätze der Hexen kommunal als solche anerkennen zu lassen, ist bereit, in TV-Talkshows (2011 bei »Unter Uns«) die

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Demarkationslinien nach außen sind scharf gezogen. Zugleich aber werden virtuos Momente der Durchlässigkeit geschaffen und ein Spiel mit der Unsichtbarkeit der eigenen religiösen Praxis setzt ein. Dies zeigt sich nicht zuletzt, wenn die materiellen bzw. materialisierten Symbole religiöser bzw. magischer Handlungen der Hexen von der Wohnung doch in den Stadtraum transferiert werden bzw. dorthin diffundieren. Ein Schwellenzustand tritt ein: Sie kommen ins Sichtbare, aber in ihrer Bedeutsamkeit werden sie von jenen, die sich jenseits der Hexenreligion befinden, nicht erkannt und bleiben unsichtbar. Weder ganz das eine, noch das andere –betwixt and between – werden sie liminoid. Der Ethnologe Victor Turner hat diesen Begriff in die Debatte gebracht, um die Idee der Liminalität, die vornehmlich (Übergangs-)Rituale konzeptionalisiert, auch für alltägliche Handlungen – ohne rituelle Rahmung – fruchtbar zu machen. Damit meint er, dass die im Alltag hergestellten liminoiden Situationen und Zeichen noch experimenteller und spielerischer seien als liminale Momente im Ritual, weil die gestalterischen Normen geringer seien (Turner 1977). Mit Blick auf die Hexen ist die Experimentierfreude, mit der Zeichen ihrer religiösen Überzeugungen in den Stadtraum transferiert werden, unbestritten. So finden sich bei Faye, die im Berliner Speckgürtel wohnt, im Haus – und bei näherer Betrachtung – auch an dessen Außenwänden magische bzw. kosmologisch bedeutsame Zeichen, zum Beispiel das Pentagramm oder die Spirale sowie Runen, wodurch das Böse abgewehrt, vor Feuer geschützt und für göttliche Inspiration gebeten wird. Spaziergänger*innen, Nachbar*innen erschließt sich diese Bedeutung wohl kaum. Die Zeichen werden wahrscheinlich als (historisches) Zierwerk wahrgenommen. Auch Katja, die zum Kreis der Mondfrauen zählt und in Neukölln lebt, hat Runen an die Außenwand des eigenen Einfamilienhauses gezeichnet, die Freude, Schutz und Abwehr evozieren sollen. Im privaten Vorgarten hat sie einen Steinkreis errichtet, in dem sie Rituale abhält und so in die spirituelle Welt eintaucht (vgl. Abb. 11). Britta schließlich, eine enge Freundin von Curtis, transferierte gar einen ganzen Altar an ihren Arbeitsplatz. Umringt von Stiften und Bürobedarf ist er zwar zu sehen, bleibt aber als Altar für Kolleg*innen und Kund*innen im Jobcenter im Verborgenen (vgl. Abb. 12).

neuheidnische Hexenreligion zu erklären, für Radiofeature (2011 für Deutschland Radio Kultur) und Dokumentarfilme (2014 für den RBB) zur Verfügung zu stehen. Auch andere Hexen und Heid*innen treten bewusst als Hexen und Heid*innen in die städtische Öffentlichkeit, beispielsweise bei der Langen Nacht der Religionen 2015 bis 2017. Hierzu ausführlich im fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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Abbildung 11: Runen an Katjas Haus

Runen an Katjas Haus: »Da steckt Schutz und Abwehr drin«. (Interview, 04.09.2013)

Abbildung 12: Arbeitsaltar mit Dienstschlüssel im Jobcenter

Arbeitsaltar mit Dienstschlüssel im Jobcenter: »[…] mein kleiner Kraftort auf dem Tisch.« (Interview, 26.08.2013, Zusatz per E-Mail von Britta vom 10.11.2013)

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Die Spiritualisierung der Großstadt In der Weise, wie materielle Dinge religiöser und magischer Überzeugungen nach außen diffundieren und getragen werden, gibt es auch den umgekehrten Weg: Die Materialität der Stadt wird in die individuellen religiösen und magischen Deutungen und zugleich in alltägliche Handlungen integriert. Materialität meint hier in erster Linie die Stadtnatur: die Bäume und Pflanzen, die hier gewachsen sind. Was von der eigenen Praxis von Religion und Magie unsichtbar bleibt und dann doch sichtbar wird, ist bedeutsam. Die Komplexität mit der die Stadt und ihre spezifische Kultur dabei Bestandteil der neuheidnischen Kosmologie und des westlich-esoterischen Weltbildes werden (insbesondere das Denken in Entsprechungen: wie unten so auch oben, wie außen so auch innen), lässt sich kaum vollständig durchdringen. Eine Ahnung von der Vielschichtigkeit vermittelt Sandra, wenn sie in prosaischer Qualität ihr religiös aufgeladenes Verhältnis zur Natur in der Stadt beschreibt: »Ich achte auf die Natur bei jeder kleinen Erledigung, die ich draußen mache. Ich grüße die Pflanzen, an denen ich vorbeiziehe, um den Müll wegzubringen oder zu dm zu laufen. Ich schaue, wie es ihnen geht und vor allem, was gut gedeiht. Hier im kinderreichen Prenzlberg, gerade neben Grundschulen, wächst viel Hundskamille, eine Kinderenergie. Vorm Holunder verneige ich mich achtsam, leicht sichtbar, mehr innerlich, schließe kurz die Augen. Es ist der Lebensbaum der Germanen, der Baum der Holle – ich stehe nicht in diesen Traditionen, aber jene sind nur Ausdruck seiner Energie und Kraft, die ich ehre und anerkenne. 45 Er hat weiches Holz (Element Wasser), das vielen Tieren und Insekten ein Zuhause gibt (Urmutter), er trägt alle Farben der Göttin (weiße Blüten, schwarze Beeren, roter Beerensaft) 46 und ist damit Ausdruck des Jahres- und Lebensrades und er ist eng mit Wasseradern verbunden, die hohe Energie (für spirituelle Zwecke) mit sich bringen und Wünsche (Eichung von Schicksalslinien als symbolischer Akt für das Unterbewusstsein; Verstärkung dieser mit Energie) in die Welt trägt oder auch Dinge loslassen lässt […]. Ich schaue mir auch Baumwuchs an, um etwas über die ›unsichtbare‹ energetische Welt durch geomantische Deutung zu erfahren. Auch verrät mir ein gehäufter Wuchs bestimmter Pflanzen vor Hauseingängen, wer darin wohnt. Ja und dann bin ich schon bei dm, kaufe meine Hafermilch und wandle zurück durch diese reiche 45 | Holle ist ein weiterer Name für die nordische Göttin der Unterwelt/des Totenreichs Hel. 46 | Hier wird auf die gedachte, im oberen Abschnitt des Kapitels bereits beschriebene Trinität der Göttin abgehoben, die den immerwährenden Zyklus des Lebens versinnbildlichen soll: weiß: junges Mädchen (nahende Reife, »Unschuld«, keine Menstruation), rot: Mutter (Geschlechtsreife, Menstruation, Gebärfähigkeit), schwarz: die weise Alte, die den Tod und die Wiedergeburt andeutet (Aussetzen der Menstruation, Sorge um die kommenden Generationen).

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Hexen der Großstadt Welt, in der ich abermals Interessantes entdecke.« (Zusatz zum Interview, 18.09.2014 von Sandra per E-Mail vom 18.09.2014)

Die umfassende Integration des urbanen Kontextes in religiöse/esoterische Deutungssysteme kann begrifflich als eine Form der Spiritualisierung der Großstadt gefasst werden. Sie ist hochgradig individualisiert und stark privatisiert, so wie die gesamten in der Hexenreligion hervorgebrachten Vorstellungswelten. Wie dennoch aus dieser Diversität eine gemeinschaftliche Ritualpraxis in der Stadt geschaffen wird, wie genau sie aussieht, wo sie stattfindet und wie dann gemeinschaftlich die Stadt spiritualisiert wird, davon berichten die nächsten Kapitel.

Z usammenfassung Neuheidnische Hexen sind Individualist*innen. Sie verstehen sich zwar als eine religiöse Gemeinschaft, doch die Praktiken, Überzeugungen und Selbstverständnisse als Hexe sind divers und oft singulär. Sie sind privatisiert und dabei im Luckmann’schen Sinne – salopp formuliert – in der Versenkung privater Räume verschwunden. Im vorliegenden Kapitel ergaben sich daraus zwei Fragen. Zum einen interessierte, wie es Hexen gelingt, bei aller Privatheit bzw. Unsichtbarkeit der eigenen religiösen Praxis auf Gleichgesinnte zu treffen, für diese im Stadtraum sichtbar zu werden und dabei für Außenstehende unsichtbar zu bleiben. Zum anderen wurde fokussiert, was diese privatisierte religiöse Praxis genau ausmacht und wie sie sich in der von den Hexen geschaffenen und genutzten materiellen Kultur bzw. Materialität modelliert. Folgendes lässt sich hierzu festhalten: Sich in der Stadt zusammenzufinden, beruht im entscheidenden Maße auf einem Spiel mit der eigenen Unsichtbarkeit als Hexe im Stadtraum. So sind beispielsweise die zentralen »Erstkontakt-Möglichkeiten« (offline) sogenannte Hexenstammtische, die grundsätzlich an öffentlichen Orten (Restaurants, Cafés, Kneipen) stattfinden, also ins Sichtbare treten, doch in der Vielzahl von Lokal-Besucher*innen gleichsam unsichtbar werden und in der allabendlichen Szenerie der Großstadt aufgehen und darin verschwinden. Stammtische stellen Ausgangspunkte für die Gründung von Ritualgruppen dar. Es entsteht dabei eine flexible, untergründige Struktur von Gemeinschaften – eine Assemblage, die den urbanen Kontext als Ganzes durchzieht und doch den anderen Stadtbewohner*innen verborgen bleibt. Bei aller Flexibilität und Instabilität geben diese Treffpunkte und Ritualgruppen einen guten Einblick, welche neuheidnischen Traditionslinien in der Hauptstadt vertreten sind und welche sich als dominant oder eher randseitig erweisen. So zeigt sich, dass die streng rekonstruktivistische Ausrichtung, in der ein nordisch-germanisches Pantheon verehrt wird, nach wie vor in Berlin vertreten ist. Doch hat

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sich eine klare Verschiebung mit Blick auf die debattenreichen 1980er Jahren ergeben: Heute sind die strengen Rekonstruktivist*innen in der Minderheit. Mit ihren Vorstellungen wird sich unter Berliner Hexen und Heid*innen auseinandergesetzt und ihnen eine marginale Position zugewiesen. Zusammen erweist sich Berlin heutzutage als ein Zentrum feministischer Spiritualität, hier vor allem in ihrer politisierten Variante der Traditionslinie Reclaiming. Wicca wiederum ist zwar vorhanden, aber die praktizierenden Gruppen bleiben klein. Vorsichtig kann die starke Präsenz der Reclaimer*innen bzw. der »freifliegenden« feministischen Hexen gegenüber den Rekonstruktivist*innen wie auch den Wicca-Vertreter*innen – unter anderem – auf die forcierte Enttraditionalisierung aller, nicht allein religiös oder spirituell konnotierter Lebensbereiche zurückgeführt werden: ein Prozess, wie er gerade dem gegenwärtigen Berlin paradigmatisch zugeschrieben wird. Die nicht nur bei den Rekonstruktivist*innen, sondern auch im Wicca propagierten Initiationen, religiösen Autoritäten und Sukzessionsfolgen scheinen schlicht nicht zum heutigen Lebensgefühl der Stadt zu passen. Die neuheidnische Hexenreligion, dies trat anhand der Stammtische ebenfalls deutlich hervor, ist in erster Linie ein Mittelschichtsphänomen (mit den jeweiligen ökonomischen Differenzierungen und Nischen). Dabei ist zu beobachten, dass Elemente der Hexenreligion, insbesondere die Vorstellung von der Immanenz des Göttlichen in der Natur, allmählich Einzug in weitere soziale Kontexte halten und gerade auch von der Schicht der Facharbeiter*innen (vornehmlich männlich) aufgegriffen werden. Die Hexenreligion wird kurzum fluider. So sehr sich hier eine generelle Entwicklung neureligiöser Ausrichtungen wiedergibt, muss dies für die Hexenreligion als ein außerordentlicher Umstand gewertet werden, da sie historisch überaus stark im akademisch-hochgebildeten Milieu verankert ist.47 Um die verschiedenen Aspekte der konkreten privatisierten religiösen Praxen von Hexen anhand der von ihnen geschaffenen materiellen Kultur hervortreten zu lassen, begab ich mich an den paradigmatischen Ort des Privaten: in die Wohnungen der Hexen. Damit sollte nicht nur dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die eigenen vier Wände für Hexen ein entscheidendes Terrain religiöser Handlungen und Überzeugungen darstellen. Es ging zudem darum, Wohnungen in der Stadt als Ausdruck und Ort urbaner Kultur zu verstehen. Mit dieser Perspektivnahme schließt sich eine Lücke in der Stadt- und Religionsforschung, in der Stadtwohnungen als bedeutsame Orte für Religionen bisher vollkommen außer Acht gelassen wurden und man auf

47 | Leger wurde sie auch schon als »Religion der Intellektuellen« benannt. Gedächtnisprotokoll zu einem Vortrag von Kocku von Stuckrad beim 1. Internationalen Kongress der Studien zur westlichen Esoterik, 28.08.2012.

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öffentlich-städtische und dabei sakrale Räume und deren Herstellung fokussiert war. Die versammelten Symbole und Dinge in den Wohnungen der Hexen beschreiben ein materielles Ensemble der Selbstrepräsentation und zugleich ein komplexes Zeichensystem, woran sich Hexen gegenseitig erkennen. Das meisterliche Spiel mit der Unsichtbarkeit der eigenen religiösen Praxis und Verortung tritt erneut hervor: Außenstehenden erschließt sich die vielschichtige Bedeutsamkeit kaum – für sie bleibt die Bewohnerin als Hexe einmal mehr verborgen. Zentrales Element des Ensembles der Selbstrepräsentation sind Hausaltäre. Sie stellen hochgradig performative Orte dar, an dem Hexen ihre Beziehung zum Göttlichen/Transzendenten herstellen und erfahren. Dabei ist der Altar auch der Platz in der Wohnung, an dem das eigene Selbst im Mittelpunkt der Reflexion steht und wovon die materielle Erscheinung zutiefst geprägt ist. Vorsichtig kann man dabei folgende Tendenz ausmachen, die mit den dargestellten Beispielen Illustration findet. Da die neuheidnische Hexenreligion bisher kaum eine Form von Religion darstellt, in die man hineingeboren wird, ist das Hexesein und die neuheidnisch geprägte Praxis stets eine bewusste Entscheidung und mit einer Loslösung von bisherigen (religiösen) Prägungen verbunden. Hexen, die dabei aus protestantischen Familien und Regionen kommen, haben dies kaum als konfliktbelastet erlebt. Hexesein gerinnt dabei zu einem (materialisierten) Ausdruck von kultureller wie sozialer Offenheit und von Kreativität – Werte, die familiär vorgeprägt sind. Für jene Protagonist*innen, die katholisch sozialisiert wurden, stellt das Hexesein hingegen wesentlich stärker eine Form der Rebellion gegenüber dem einstigen sozialen Umfeld und vor allem der Elterngeneration dar. Der Altar und das gesamte materielle Ensemble gerinnen hier zum Ausdruck familiärer Aussöhnung. Die Vielzahl von dargebotenen Dingen und Symbolen kann aber auch die verstärkte Abgrenzung von früheren Prägungen und damit eine Versicherung seiner Selbst bedeuten. Insgesamt zeigt sich, dass jede Wohnung mit den vielen, auf so vielfältige Weise genutzten und gestalteten Dingen vom Selbstverständnis der Bewohnerin als Hexe durchdrungen ist. Dabei zeigt sich, dass die materialisierten Zeichen und Symbole ein Stück weit auch nach außen in den Stadtraum diffundieren als auch – in umgekehrter Weise – die Materialität der Großstadt in die privatisierte religiöse Praxis integriert wird. Liminoide Orte der neuheidnischen Hexenreligion in der Großstadt entstehen. Die Stadt an sich wird spiritualisiert.

4. Kapitel: Liminal sein – Die Rituale der neuheidnischen Hexen in der großen Stadt

Melany, Ingelore, Ela und Xenia sowie fünf weitere Mondfrauen und ich stehen auf einer Verkehrsinsel, mitten auf dem dicht befahrenen Hindenburgdamm, unweit vom Steglitzer Kreisel. Xenia hatte in einer ihrer üblichen Rundmails eine Baum-Puja vorgeschlagen: »Wir werden den Baum auf der Verkehrsinsel vor dem Arbeitsamt schmücken und mit unseren Wünschen für Heilung und Wiederherstellung zum Wohle aller Wesen aufladen […]. Es ist ein wundervolles, lustiges und tief heilendes Ritual«. Nun stehen wir hier und, obwohl es für Ende Dezember mild ist, frieren alle. Es ist nach 22 Uhr und Melany und ich ergreifen die Initiative und klettern den Baum hinauf, schnüren eine Kette mit kleinen Herzen aus Holz fest und drapieren eine Schnur aus Muscheln und Federn. Zwei Frauen bauen unten einen kleinen Altar auf und Ingelore befestigt am Stamm einen Tannenzweig. Zum Spaß hängt sie ein wenig Lametta daran. Allerdings wird sie von Xenia belehrt, das Lametta später wieder abzunehmen, weil es ökologisch nicht abbaubar ist. Ingelore kehrt sofort in sich, ist befangen, wirkt verunsichert. So autoritätsfrei diese Rituale auch gestaltet werden wollen, sie sind es nicht – Ingelore fühlt sich an den Rand verwiesen. Xenia versucht sich zwar in einem Kompromiss: Man könne es einige Tage hängen lassen, aber sie würde es dann abnehmen […], aber Ingelores Stimmung bleibt gedrückt und Xenia in einer Führungsposition […]. In eine Astmulde gibt Xenia Hirsemehl hinein und schließlich kommen wir um den Baum herum zusammen und haken uns fest unter. »Auch wenn einige Leute komisch gucken werden. Autos stoppen. Haltet die Konzentration und seid bei euch«, beschwört uns Xenia. Das Ritual beginnt und das, was folgt, wer welche Rolle übernimmt, ist vorher unter den Frauen beredet worden. Doch so klar der Ablauf ist, verzagt sind anfangs alle: Gewöhnlich hat man sich am See getroffen, wo sonst kein Mensch war. Um uns Mut zu machen, stimmt Melany ein Dianisches Wiccalied an: »We all come from the goddess, and to her we shall return, like a drop of rain, flowing to the ocean«, schallt es immer lauter über den Hindenburgdamm und einige Passanten bleiben stehen, schauen etwas verdutzt auf das Schauspiel, das sich ihnen bietet, hasten aber nur Sekunden später weiter. Das Lied scheint die Wirkung nicht zu verfehlen und gera-

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dezu routiniert wird nun der besprochene Ablauf umgesetzt: Die Elemente werden herbeigerufen, die Evokation der großen Göttin erfolgt und der magische Kreis wird gezogen. Schließlich leitet Xenia eine meditative Reise zu den Baumwurzeln an, wodurch der Baum, wie sie meint, mit unseren guten Wünschen aufgeladen und ihm gedankt werden soll, dass er hier die Luft säubert, wie dies alle Stadtbäume so emsig tun. »Schließt die Geräusche, die Stadt, den Geruch mit in eure Gedanken ein und versucht dabei immer bei euch zu bleiben […]«, höre ich Xenia sagen und auch, wie sie nach geraumer Zeit eine Rune intoniert. Minuten vergehen, ich merke, wie die Kälte in mir aufsteigt. Ich kann mich nur schwer konzentrieren. Obwohl ich den Hexen gegenüber aufgeschlossen sein möchte, ist für mich die Annäherung und die Überwindung, Dinge zu tun, die mir doch merkwürdig erscheinen, immer wieder schwierig. Es ist eine Frage der Übung, Grenzen zu überschreiten und für solche Praxen und Sichtweisen durchlässig zu werden – ich war zwei Wochen nicht bei einem Ritual und jede Woche entfernt mich von den Hexen […]. Allmählich kommen die Frauen aus der Meditation »heraus« und nach einer Weile scheinen alle, auch ich, die Rune zu tönen. Monika beginnt schließlich, um den Baum herumzulaufen, und die anderen sollen es ihr nachtun: »Wer möchte, kann in die Hirse [in der Astmulde] Wünsche für die Zukunft hineingeben«, ruft sie. »Gelassenheit«, »Erfolg«, »Freiheit« sagen einige. Ein paar Frauen fangen an zu lachen, was vielleicht der Euphorie geschuldet ist, aber auch befreiend wirkt, denn die Überwindung, sich in dieser Weise – rennend, rufend, beschwörend – auf der Verkehrsinsel zu zeigen, ist auch für »routinierte« Hexen, die jahrelang dabei sind, schwierig; und so müssen wir jetzt alle lachen, was auch anhält, nachdem der Kreis wieder geöffnet ist. (Feldnotizen, 23.12.2011) Wurde im letzten Kapitel der Fokus vor allem auf die individuellen Welt- und Transzendenzvorstellungen von neuheidnischen Hexen gelegt und das Wechselverhältnis mit den sozialen wie kulturellen Ausprägungen des urbanen Kontextes dargestellt, so soll es in diesem Kapitel um die kollektiven religiösen Praktiken und Vorstellungen gehen, die Hexen in der Stadt pflegen. Hierfür rücke ich die verschiedenen Rituale, die Hexen miteinander feiern und durchleben, in den Mittelpunkt. Gleichwohl ich an Ritualen unterschiedlichster Gruppen teilgenommen habe, werde ich mich dabei vor allem auf die Reclaimer*innen und Mondfrauen konzentrieren. In der Zeit der Forschung stellten sie zwei der aktivsten (wenn nicht die aktivsten) Zirkel in Berlin dar. In ihrer feministischen Ausrichtung sind sie für die Hexenszene in der Stadt spezifisch. Mit der Länge und Kontinuität der Forschung öffneten sie sich der Studie und dabei mir als Forscherin, Teilnehmerin und mehr und mehr als nahestehende Person. In den Kultur- und Sozialwissenschaften sind Studien zu Ritualen religiöser Gemeinschaften fester Bestandteil der empirischen wie theoretischen Forschungsagenda. In der deutschsprachigen Kulturanthropologie/Volkskunde

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wurden Rituale und Formen rituellen Handelns vor allem unter dem Begriff »Brauchforschung« empirisch wie theoretisch betrachtet. Wie der Volkskundler Andreas Bimmer ausführt, zählten hierzu »Volksfeste, Familienbräuche, Arbeitsbräuche, die festlich-feierliche Begehung von Anlässen und Gedenktagen im Kirchen- wie Kalenderjahr, aber auch Gruppen- und Vereinsbräuche« (Bimmer 2001: 375). Die Forschung konzentrierte sich zumeist in historischer Perspektive vor allem auf den alltagskulturellen Bereich und mit Blick auf religiös motivierte Rituale bzw. »Bräuche« einmal mehr auf das Christentum. Erst sehr allmählich haben Kulturanthropolog*innen den Fokus von der Vergangenheit hin auf die Gegenwart gelenkt und sich nicht allein den Fragen der historischen Konstituierung und dem Wandel von »Bräuchen« zugawendt, sondern auch neuere Fragegestellungen wie den Zusammenhang von rasanter Urbanisierung und rituellem Verhalten aufgegriffen.1 Rituelle Praktiken, die sich dezidiert jenseits christlich geprägter Handlungkontexte befinden, sind dabei nach wie vor wenig betrachtet worden. Dementsprechend gibt es bisher auch kaum Studien, die einen detaillierten Einblick in die rituelle Praxis von neuheidnischen Hexen vermitteln – die Kenntnis darüber ist immer noch gering.2 Gerade auch die ausführliche und genaue Darstellung der von ihnen entworfenen religiösen Zeremonien lässt das Zusammenspiel von Stadt und Ritualpraxis in seiner Komplexität erkennen. Es ist dabei gerade der dicht beschreibende Duktus, der den Weg zur wissenschaftlichen Durchdringung liefert. Wie bereits Richard Bauman in seinen Beiträgen zu Performanzanalyse argumentiert hat, ist die sorgfältige Beschreibung bereits der Hauptteil einer Analyse. Diesen Zugang aufgreifend, werde ich in einem ersten Abschnitt zentral klären, was Hexen eigentlich unter einem Ritual verstehen; wie sie es planen, formal gestalten und welche maßgeblichen Formen von Ritualen in der Hexenreligion und von den Hexen in Berlin entwickelt wurden. Die Urbanität 1 | Bimmer bietet in seinem grundlegenden Artikel zur »Brauchforschung« im Fach einen instruktiven fachgeschichtlichen Rückblick, in dem die Vielseitigkeit der Forschung im deutschsprachigen Kontext aufgezeigt wird (wobei er für die Zeit der Teilung dezidiert auf die Volkskunde in der Bundesrepublik wie der DDR gleichermaßen eingeht). Die Bandbreite reicht von Untersuchungen zu Familienfeiern über rituelle Besuche bei McDonalds hin zu Forschungen zur Instrumentalisierung von politischen Feiertagen, wie den 1. Mai, und deren Subversion, zum Beispiel: Korff 1984; Burckhardt-Seebass 1989. Allerdings hat sich der Begriff »Brauch« seit den 2000er Jahren überlebt, was in Teilen an seiner unscharfen theoretischen Grundierung liegen mag, als auch am Umstand, dass er eine Art »kulturelle Rückwärtsgewandheit« – den Wunsch und die Pflege historischer Kontinuität – impliziert, die in Zeiten rasanter Mobilisierung/Globalisierung unpassend erscheint. 2 | Zum Forschungsstand siehe ausführlich die Einleitung.

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der rituellen Praxis zeigt sich an bestimmten Stellen dieser Arbeit bereits trotzdem schärfe ich meinen analytischen Fokus für den zweiten Abschnitt des Kapitels entscheidend. Dabei gehe ich von einem einfachen und doch analytisch wertvollen Gedanken aus, nämlich dem, dass Rituale, neben vielen anderen Dingen, insbesondere eine Frage des Ortes sind. Mithin interessiert mich vor allem, wie sich Hexen diese in Berlin erschaffen und sie auf diese Weise die Stadt kollektiv spiritualisieren, also sich einen für ihre Religion bedeutungsvollen Raum aneignen. Sicherlich sind Stadthexen, wie ausführlich beschrieben, überzeugte »Stubenhexen«. Der Ort vieler Rituale ist also das eigene Zuhause. Dennoch findet sich eine große Zahl von Ritualen, die nach »draußen« in die Stadt hineinverlagert sind. Wo aber finden sie genau statt? Wie werden die jeweiligen Orte ausgewählt, wie konstruiert? Welche religiösen Vorstellungen kommen dabei zum Ausdruck und wie wird die Stadt Berlin mit ihren soziokulturellen, politischen wie historischen Merkmalen imaginiert und in die Kosmologie der Hexen integriert? Darauf fokussiere ich. Dabei behalte ich das Spiel mit der Unsichtbarkeit der Hexenreligion im Auge. Diesmal jedoch verschiebe ich meine Perspektive leicht. So geht es mir zwar einerseits immer noch darum, wie es Berliner Hexen gelingt, mit ihren religiösen Ansichten und Weltvorstellungen unsichtbar bzw. privat zu bleiben. Andererseits aber trage ich dem Umstand Rechnung, dass Hexen in der Gemeinschaft, beim Ritual »draußen« in der Stadt eben nicht einfach unsichtbar sind. Vielmehr erzeugen sie hin und wieder Situationen des »Sowohl-als-Auch«: Sie sind unsichtbar und werden zugleich sichtbar. Sie lassen, so möchte ich es analytisch fassen, mit den gewählten Ritualorten eine vorerst versteckte religiöse Topografie der Stadt entstehen, die an bestimmten Stellen und zu gewissen Zeiten liminal wird, betwixt and between: verborgen und doch sichtbar. Mit der Idee von Liminalität greife ich einmal mehr auf Victor Turner zurück, der damit einen rituell herbeigeführten Zustand des Dazwischen beschreibt, der mehrdeutig ist, in dem Gruppen oder Individuen einen bestimmten Status weder ganz verlassen noch einen anderen erlangen (Turner 1977). Ich erweitere Turners Idee und beziehe diese nicht allein auf Menschen, sondern zugleich auf Orte. Die Orte werden dabei zu einem Experimentierfeld für neue soziale wie religiöse Formen.3 Was genau aber das »Dazwischensein« eines Ortes kennzeichnet, wird zu zeigen sein. 3 | Einige Kultursoziolog*innen haben Liminalität bereits auf Räume bezogen, so die Kultursoziologin Regina Bormann und der Soziologe Peter Noller. Sie sehen darin Orte, die in der Gesellschaft verankert sind und dabei – in ihrer ästhetischen Gestaltung und in ihrer Nutzung – einen Gegenentwurf dazu repräsentieren. Hier sind sie stark von Foucaults Idee der Heterotopie inspiriert (Bormann 2001; Noller 1999). Der Geograf Justin Beaumont und der Theologe Christopher Baker sprechen davon, dass mit dem (Zurück-) Drängen von Religionen in die öffentliche Sphäre der Stadtgesellschaft die Stadt an

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Mit der so vorgenommenen Annäherung an Fragen der Sichtbarkeit und damit an Formen hergestellter Öffentlichkeit religiöser Praktiken folge ich jüngsten religionswissenschaftlichen Überlegungen und möchte diese zugleich mit der Kategorie der Liminalität nuancieren. So haben einzelne Forscher*innen seit zirka 2010 darauf aufmerksam gemacht, dass sich neue Religionen bzw. Religiositäten nicht mehr nur auf die Privatsphäre und auf individuelle Bedürfnisse beschränken, sondern zunehmend in den öffentlichen Raum drängen und dabei gesellschaftliche Legitimität erhalten (Lüddeckens/Walthert 2010; Schlehe/Sandkühler 2014; Knoblauch 2010b). Sie zeigen mit ihren Welt- und Transzendenzvorstellungen Präsenz und offerieren soziokulturelle Alternativen über den Kreis der eigenen Mitstreiterschaft hinaus. Ihre Unsichtbarkeit ist einer neuen Sichtbarkeit gewichen.4 Als zentrale topografisch-kulturelle Arena für diesen Vorgang wird immer wieder die moderne Stadt angegeben (Knoblauch 2009; Knoblauch 2014: 29-50). Durch die Vielzahl von Menschen, die konzentrierte Präsenz der Medien (TV, Radio, digitale »Startups«) sowie durch die ihr zugeschriebene soziale und kulturelle Liberalität ermöglicht die Stadt Sichtbarkeit bzw. Öffentlichkeit in besonderem Maße. Hexen allerdings – wie schon an früherer Stelle vermerkt – gehen mit dieser gebotenen Chance äußerst behutsam um, was einerseits mit ihrem

sich zu einem liminalen Ort würde. Einstmalige sichere Demarkationslinien zwischen Säkularem und Religiösem lösen sich auf, dabei entstehe eine Übergangssituation und es sei noch unklar, worin diese münde (Beaumont/Baker 2011: 254-256). In der Kunst wurde die Idee eines liminalen Ortes – sichtbar und unsichtbar zugleich – ebenfalls aufgegriffen. Hier ist Ort/Raum allerdings nicht konkret-topografisch gedacht. Vielmehr geht es um das »Raumschaffen« für Gedanken, Gefühle, Überzeugungen, die dann konkret – durch materialisierte Kunst – sicht- und hörbar werden, ein Teil bleibt aber unsichtbar (Eaton/Smelt 2007). 4 | In gewissen Teilen ist diese Perspektivierung durch José Casanovas so griffig formulierte Idee der public religions inspiriert, eine Idee, die er Mitte der 1990er Jahre in die Debatte um die Entwicklung von Religionen in der westlichen Moderne einbrachte. Anhand des Katholizismus und Protestantismus zeigt er auf, wie sehr (die etablierten) Religionen wieder zu gesellschaftlichen Akteurinnen avancierten und eben nicht im Zuge der Säkularisierung verschwunden seien. Einerseits begannen Massenmedien, Sozialforscher*innen, Politiker*innen und – wie er es nennte – die »Öffentlichkeit im Großen und Ganzen« Religionen in Fragen von Moral und politisch-staatlichen Entscheidungen wieder Beachtung zu schenken. Andererseits drängten Religionen – nach jahrzehntelanger Abstinenz – selbst in die öffentliche Arena zurück. Casanovas Idee formt den Blick auch auf die sogenannten neuen Religionen und es zeigt sich, dass auch sie eine bestimmte Form von Öffentlichkeit generierten.

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geheimgesellschaftlichen Grundverständnis5 zusammenhängt, andererseits dem Umstand geschuldet ist, dass Diffamierungen als »esoterische Spinnerinnen« oder – ob ihres häufigen Bezuges auf nordische und germanische Symbole oder Mythologien – als politisch rechts berechtigt befürchtet werden. Wenn Hexen sich vor diesem Hintergrund mit ihren rituellen Zeremonien für das »Dazwischen« – zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Stadt – entscheiden, so kommt – wie bereits in der Einleitung vermerkt – ein wichtiges Motiv ihrer religiösen Identität zum Tragen: nämlich eine Grenzgängerin zu sein, zwischen der Realität, die uns im Alltag umgibt, und jener, die darüber hinausweist und meist nur in anderen Bewusstseinszuständen zugänglich wird. Diese Grenzerfahrung findet in den Ritualen und ihren geschaffenen Austragungsorten – diesem Zustand des Dazwischen: sichtbar und unsichtbar zugleich – Repräsentation. Wenn ich die Aushandlungen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit beschreibe und hier vom allgemeinen Ritualverständnis der Hexen ausgehend an das intensive Zusammenspiel der rituellen Praxis und Urbanität heranrücke, so begleite ich die Hexen im wahrsten Sinne des Wortes durch Zeit und Raum. So folge ich ihnen von der Nacht in den Tag hinein und dabei von »draußen« nach »drinnen«: von den in der ganzen Stadt verstreuten Ritualorten hinein und zurück in die Wohnungen der Hexen. Gleichwohl die gemeinschaftlichen Rituale in den eigenen vier Wänden in besonderem Maße privatisiert und abgeschirmt von Außenstehenden sind und Formen von Sichtbarkeit im Stadtkontext – einem Zustand des Dazwischen – keine bzw. eine äußerst untergeordnete Rolle spielen, gehören sie in dieses Kapitel. Hexen tragen ihr urbanes Leben in die Wohnungen und setzen sich damit in intensiver Weise auseinander. Die Rituale sind dabei besonders elaboriert. Es ist die Stadt, die das kreative und intellektuelle Potential dafür bereithält, dass sie erdacht werden können und von einer kritischen Masse praktiziert werden. Wie sie sich in ihrer Komplexität und Ästhetik gestalten, welche sinnlichen Praktiken entwickelt werden und sich die Wohnungen von einem Ort alltäglichen Lebens in einen Ritualort, gar mythologischen Ort wandeln können, möchte ich aufzeigen. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel ist es eine feine Linie, die ich in meiner Darstellung ziehe. Ich werde eine Vielzahl von Praktiken und Vorstellungen wie auch Orte konkret benennen. An manchen Stellen jedoch verwische ich die genauen Konturen. Auf diese Weise versuche ich den Zustand der Un5 | Zu einer umfassenden Analyse, was das Grundverständnis von geheimen Gesellschaften ausmacht und inwiefern das geteilte Geheimnis zum Ausdruck einer individuellen und kollektiven sozialen wie politischen Freiheit gerinnt, siehe Simmel 1908: 256-304, insb. 292-295.

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sichtbarkeit und des Dazwischen detailreich abzubilden, ohne ihn zu untergraben.

D ie N acht in der S tadt und die (U n -)S ichtbarkeit der  H e xen Dass es bisher so wenige Untersuchungen gibt, die einen Einblick in die Ritualpraxis von neuheidnischen Hexen und Neuheid*innen gewähren, mag an der schwierigen Zugänglichkeit liegen; daran, dass Rituale geheim und geheimnisvoll bleiben sollen und vor allem als geschützter Raum dienen, in dem Hexen ihre innersten Gefühle nach außen tragen können. Doch ein Stück weit schimmert in der geringen Zahl an Untersuchungen auch der Tageszentrismus (Bretthauer 1999: 27) der gegenwartsorientierten Sozial- und vor allem Religionswissenschaften durch. So finden die Rituale der Hexen fast ausschließlich nachts statt, einer Zeit, die in der (Religions-)Forschung bisher selten gesondert konzeptualisiert wird.6 Überwiegend und selbstredend wird davon ausgegangen, dass bedeutungsvolle Praktiken und Vorstellungen vor allem tagsüber formuliert werden: Das ist die (moralisch) repräsentative Zeit – nachts scheint das beforschte »Feld« zumeist zu ruhen, und Forscher*innen lassen ihr Tagwerk eher am Schreibtisch Revue passieren; sie haben entweder frei oder bereiten sich auf den morgigen Tag vor. Urbane Hexen verkehren diesen Rhythmus grundlegend. Wenn die andere Hälfte des Tageslaufs beginnt und die Dunkelheit hereinbricht, wird die Stadt zu ihrem Aktionsraum. In Berlin wandeln sich dann die Badestellen an der Krummen Lanke, am Schlachten- und Lietzensee ebenso wie der Schöneber6 | Es gibt nur selten gegenwartsorientierte sozial- bzw. kulturwissenschaftliche und ethnologische Untersuchungen zur Nacht (in der Stadt). Wenn die »dunkle« Tageshälfte in der Stadt thematisiert wird, dann meist in Bezug auf das »Nachtleben« – Tanz, Entertainment, Sexualität, Jugendkultur (vgl. Chatterton/Hollands 2003). Mitunter werden hier auch bestimmte Wochenabschnitte in den Fokus genommen, zum Beispiel die berühmte »Saturday Night« (Plageman 2013). In der deutschsprachigen Kulturanthropologie ist auf zwei Studien zur Nacht zu verweisen: Bretthauer 1999 sowie Bendix/ Schwibbe 2004. Anja Schwanhäußers dichte Ethnografie zu den temporären Orten der Technoszene in Berlin spielt ebenfalls in erster Linie nachts, doch wird dies in der Studie nicht gesondert betrachtet (Schwanhäußer 2010). Historische Studien zur Nacht gibt es weit mehr, gleichwohl die Zahl von Forschungen auch hier eher gering bleibt (vgl. Koslofsky 2011; Palmer 2000). In der deutschsprachigen Kulturanthropologie ist vor allem auf die Studie von Joachim Schlör zu verweisen (Schlör 1994) sowie auf einen längeren Artikel von Korff (1989).

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ger Alboinplatz, das Lichtenberger Brachland, der Tegeler Forst und der Teufelsberg, der Hindenburgdamm und mancher Berliner Hinterhof zu Ritualorten der Hexen. Dabei ist allein die gewählte Zeit ein Hinweis auf das Spiel mit der eigenen Unsichtbarkeit und eine erste Annäherung an das »Dazwischen«. So betreten Hexen mutig Orte, die öffentlich und allen Stadtbewohner*innen zugänglich sind oder, wie im Fall von Stadtbrachen, sich zwar weniger offen gestalten, aber dennoch rege genutzt werden. Zu später Stunde jedoch sind diese Orte meist vereinsamt, Straßen und Parks liegen ruhig und leergefegt da: Berlin ist weit davon entfernt, eine Stadt zu sein, die »niemals schläft«. So kann man Hexen zu dieser Zeit konkret sehen, doch tatsächlich sieht sie kaum jemand. Sie sind zwar sichtbar – und dies überaus ausdrucksstark – und bleiben unsichtbar zugleich. Die Rituale avancieren zu beeindruckenden religiös-sozialen Ereignissen. Die Dunkelheit macht ihren Reiz und ihre Sinnlichkeit aus. Das Dunkel korrespondiert als Metapher mit der Unergründbarkeit und dem Mysteriösen, was die religiöse Erfahrung entscheidend ausmacht.7 Schließlich ist die gewählte Zeit der Rituale immer auch ein Statement gegen die konventionierte und (insbesondere für Frauen, was die Hexen mehrheitlich sind) angstbesetzte Nachtrhythmik der Stadt.8 Die Prägekraft der Frauenbewegung der 1980er Jahre und deren ausgegebenes Motto: »Wir erobern uns die Nacht zurück.« zeigt sich deutlich.9 Hexen machen die Nacht zum rituell wesentlichen Teil des 24-Stunden-Tages. Warum einige Hexen sich dabei beispielsweise Ritualorte bevorzugt im Tegeler Forst schaffen, einige in der Brache in Lichtenberg ritualisieren, andere hingegen die Krumme Lanke präferieren und manch eine doch direkt am Hindenburgdamm bleibt, hat spezifische Gründe und immer mit dem Verhältnis zur Stadt und mit dem Religionsverständnis der Hexen zu tun. Bevor ich diesen Gründen nachgehe, möchte ich die Hexen auf ihrem Weg zum Ritual und bei ihren Vorbereitungen dafür begleiten. Die Zeit »davor« näher zu beleuchten, macht die religiös-soziale Komplexität von Hexenritualen im urbanen Kontext besonders deutlich und schafft ein gutes Fundament, von dem aus näher an die Ritualorte herangerückt werden kann. Es geht mir weniger um ethnografische Details, vielmehr werde ich Grundsätzliches klären: 1. Was sehen Hexen als Ritual an, 2. Wie kreieren sie Rituale und inwiefern 7 | Zur Dunkelheit der Stadt als Metapher für das Unergründliche und Mysteriöse siehe Korff 1989: 73. 8 | Die Nacht in der Stadt, so kann man es zugespitzt formulieren, ist männlich dominiert, siehe hierzu auch Schlör 1994. Wie Deborah Parsons in ihrer Studie zu weiblichen Flaneuren zeigt, waren Frauen, die nachts allein durch die Straßen der Stadt spazierten, bis Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert per se amoralisch konnotiert (Parsons 2000, hier 78). 9 | Siehe hierzu das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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gerinnt das Ritual dabei zu einer performativen Fertigkeit, die frei und doch formal gestaltet ist, und bei der gerade der Ritualkleidung Bedeutsamkeit zukommt. Mit der Frage nach dem »Was« und dem »Wie« greife ich Ansätze der Ritualforschung auf, wonach ein Ritual einerseits ein eingrenzbares Phänomen darstellt, durch das mittels eines formalisierten Verhaltens ein bestimmtes vorgegebenes Konzept oder eine bestimmte Sicht auf die Welt zur Aufführung gelangt. Glaubensvorstellung, Deutungshoheiten und so Verhältnisse von Macht werden dabei reproduziert. Ein Ritual ist andererseits und zugleich ein »Wie«, was meint, dass im Moment des rituellen Geschehens Erkenntnisse über sich und die Welt erst generiert werden – verkörperte Vorstellungen also, die einzig durch den performativen Akt, durch die Ritualisierung entstehen (Rappaport 1979; Tambiah 1979: 113-169, bes. 120; Salomonsen 2002: 160-165; Bell 1993: 3-12; 67-107; Bell 2009: viiii-xii; 1-22). Geltende Weltsichten und Konventionen schreiben sich in den Körper zwar ein (Bourdieu 1976: 116), dabei werden sie aber nicht nur bestätigt, sondern Gegenmodelle soziokultureller Erneuerung scheinen auf bzw. werden dargestellt und formuliert (Magliocco 2014). Mit dieser Perspektive auf die Bedeutung von Ritualen werden letztlich auch die Ansätze von Arnold van Gennep und Emile Durkheim kritisch hinterfragt, die der Frage, inwiefern erst durch das Ritualisieren Erkenntnisse und Konzepte von der Welt generiert werden, kaum nachgehen. Abschließend möchte ich eine Orientierung bieten, welche Inhalte mit den Ritualen, die man »drinnen« und »draußen« feiert, verhandelt werden. Was also wird damit religiös und allgemein lebensweltlich markiert und soll ermöglicht werden?

Die Kunst des Ritual(-isieren)s in der großen Stadt Die Bedeutsamkeit von Ritualen ist in der Hexenreligion kaum zu überschätzen. In ihnen findet die religiöse Vorstellung von einem in sich verwobenen Universum, das sich durch Entsprechungen ordnet (»wie innen so auch außen, wie oben so auch unten«) und von einem göttlichen Atem durchzogen wird, seinen umfassendsten und konzentriertesten Ausdruck (Magliocco 2004: 126). Rituale zählen zu den stärksten magischen Momenten in der Hexenreligion, in denen man gemeinschaftlich auf die göttliche Kraft einwirkt, um Veränderungen in »sich selbst« und so in der Welt zu bewirken. Zugleich ist es »mit den Ritualen auch einfach so, dass man damit das Wunder des Lebens feiert«, wie es Faye erklärt: »Es geht überhaupt nicht immer um etwas Übermenschliches, um Geister und Übersinnliches, Mystisches. Es geht darum, sich ins Gedächtnis zu rufen, von wieviel Schönheit wir umgeben sind. Es gibt Leute, die das Leben an sich vorüberziehen lassen und nichts bringt sie mehr in Erstaunen. Wenn ein Kind zur Welt kommt, da sagen sie vielleicht

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Hexen der Großstadt noch: ›Ja, das ist ein Wunder.‹ Aber die vielen ›Kleinigkeiten‹, die die Natur, die das Leben hervorbringt: Das sind auch Wunder. Deshalb sind Rituale so wichtig, um bewusster zu leben, zu sehen, von wieviel Schönheit wir umgeben sind und wieviel Schönheit wir in uns tragen«. (Feldnotizen, 16.03.2014)

Dass Rituale als große soziale Ereignisse konzipiert und erfahren werden, wurde theoretisch schon mehrfach herausgearbeitet und kündigt sich bei Hexen bereits auf dem Weg zum Ritual an (vgl. van Gennep 1909/1999; Durkheim 1912/1981; Turner 1969/2000; Douglas 1970/1974; Rappaport 1979; Salomonsen 2002: 163; Bell 2009).10 In Berlin erfordert das gemeinsame Begehen von Ritualen eine spezifische geografische Mobilität quer durch den Stadtraum: Die Anfahrten sind oft lang und werden gleichsam zur topografischen Teststrecke des Zugehörigkeitsgefühls. Man er-fährt es sich durch das verschlungene Netz der Berliner Verkehrsverbindungen. Es gibt zudem ein von Hexen geschaffenes Geflecht aus Ritual-Mitfahrgelegenheiten – kümmert man sich frühzeitig, kann man einen Sitz im Auto einer Hexe erhaschen, den »Witch-Mobilen«, wie sie unter einigen Berliner Hexen genannt werden. Das Witch-Mobil bringt Hexen im direkten wie übertragenen Sinne einander näher und ist ein bewegter Ort der Sozialität. Man berichtet sich gegenseitig über das Erlebte der letzten Wochen, redet über das anstehende Ritual, tauscht sich über den jüngsten Klatsch und Tratsch aus der Hexenszene aus und führt Grundsatzdebatten zu Spiritualität, Feminismus und Einwanderungspolitik. Freundschaften sind dabei im Entstehen. Im Ritual vertiefen sich diese Freundschaften, Bekanntschaften werden erneuert und gemeinsame Wünsche, Hoffnungen und Pläne für die Zukunft entstehen. Es werden kraftvolle emotionale Erfahrungen kreiert, die die Bindung aneinander stärken: Es wird gesungen, getanzt, in Trance und Ekstase gegangen, es wird gemeinsam getrommelt und gespeist, rezitiert und frei geredet. Jede und jeder ist in der Hexenreligion aufgefordert, seine oder ihre Kreativität und Fantasie in die symbolische Gestaltung der Zeremonie einzubringen. Es geht in den Hexenritualen also nicht vornehmlich darum, vorgegebene zeremonielle Ordnungen bzw. Liturgien einzuüben und zu »verinnerlichen«, wodurch dann religiöse Erlebnisse erzeugt werden und ihren Ausdruck finden können, wie dies beispielsweise in den religiösen Großorganisationen zu beobachten ist (Scheer 2014: 120-125).11 Vielmehr soll man zur »Kunst des 10 | Die Literaturangabe kann um ein Vielfaches erweitert werden. Einen grundlegenden Überblick über Ritualtheorien bietet: Kreinath/Snoek/Strausberg 2007. 11 | Monique Scheer untersucht »emotionale Praktiken« – also die Performanz von Emotionen – während des Gottesdienstes in einer evangelischen Gemeinde »konventionellen Zuschnitts«, wie sie schreibt, und in einer christlich-charismatischen Gemeinschaft. Sie blickt auf das »Zustandebringen des Innerlichen«. Folgt man den Beschrei-

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Ritualisierens« befähigt werden, wie ich es benennen möchte. Dies meint, sich immer wieder und ohne Scheu in der Vielfalt religiöser Ausdrucksmöglichkeiten, Performanzen und Erfahrungen zu erproben, sie zu pflegen und beständig zu erweitern. Es gilt dabei, überkommene gesellschaftliche Konditionierungen von sich zu streifen und sich in erster Linie von seinen unmittelbaren Gefühlen und diffusen Wahrnehmungen leiten zu lassen bzw. diesen Raum zu verschaffen. Reclaimer*innen sprechen vom »kindlichen Selbst«, das hierdurch freigelegt wird und uns vom »rationalen sprechenden Selbst« – das wir im Alltag sind und verkörpern – befreit und schließlich zum »heiligen inneren Selbst« führt: »die höchste und ursprüngliche Wesenheit, der Geist, der jenseits von Zeit, Raum und Materie existiert« (Starhawk 1985: 39).12 Feministisch radikalisierter heißt die Maßgabe bei den Mondfrauen knapp: »Seien wir wild! Erobern wir die weibliche Eigenmacht zurück und bringen die große Göttin zum Vorschein« (Feldnotizen/Rundmail, 25.05.2013). Doch so offen, gleichberechtigt und jenseits kultureller Normierungen diese Kunst des Ritualisierens auch sein sollte – sie bleibt ein kreativer Akt, der sich gewiss nicht konfliktfrei realisiert. Es gibt stets jemanden besonders »Talentierten« in dieser Kunst, jemanden, der oder die besondere Präsenz entfalten kann, der oder die bestimmend wirkt und dabei auf ihre oder seine gesammelten Erfahrungen verweist, wodurch er oder sie anderen »spirituell voraus« ist, oder jemanden, der oder die – anders als geboten – still und zurückgezogen bleibt. Diese Momente sorgen für Spannungen. Zudem ist es schwierig, in einer Situation, in der sich (eigentlich) alle hierarchiefrei begegnen wollen, Verantwortlichkeiten zu verteilen, zu definieren, wo eventuell doch Grenzen religiöser Interpretationen liegen. Die Kreativität der Einzelnen – die die Kunst des Ritualisierens so vehement einfordert – ist ein Gemeinschaftsprojekt, das allgemeingültige Konventionen einfordert.13 Doch wenn alle Expert*innen ihrer Religion sind, ist es beispielsweise kaum entscheidbar, wem das Recht zukommt, Grenzen bzw. Konventionen religiöser Interpretationen festzubungen und Analysen, zeigt sich, wie sehr dieses »Zustandebringen« an Formen der Liturgie hängt. 12 | Die Unterteilung in drei Formen des »Selbst« ist stark durch die Psychologie inspiriert. Das »kindliche Selbst« (englisch: Younger Self) wird mit dem Freud’schen »Es« verglichen, des Weiteren mit dem bei C.G. Jung beschriebenen persönlichen wie kollektiven Unbewussten und mit dem »Kindheits-Ich-Zustand« in der Transaktionsanalyse (Die Transaktionsanalyse definiert grob drei »Erlebnis-Zustände« – ein wiederkehrendes Muster von Fühl- und Verhaltensweisen eines Menschen. Es gibt noch den »Erwachsenen-Ich-Zustand« und den »Eltern-Ich-Zustand«). 13 | Zur individuellen Kreativität, die sich letztlich nur durch Gemeinschaftlichkeit realisiert, also ein kollektives und dabei konventioniertes Handeln einfordert, siehe Becker 1974.

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legen – sich dieses Recht zu nehmen, kann als ein Regelbruch wahrgenommen werden, gleichwohl dieses Recht notwendig ist, um überhaupt eine Form der Gemeinschaft und gemeinschaftlichen Performanz herzustellen. Hexen sind sich dieser Problematiken bewusst und zugleich scheitern viele Gruppen genau daran. Auch die Mondfrauen und die Reclaimer*innen gibt es in der Konstellation, wie ich sie zur Feldforschung vorfand, nicht mehr. Es waren genau die Konflikte um Verantwortlichkeit, also Fragen von Autorität und Definitionsmacht, die die Gruppen auseinandergehen ließen.14 Zugleich aber macht die probierte Vielfalt ritueller Ausdrucksmöglichkeiten – diese Kunst und Fertigkeit – trotz des sozialen Risikos die Attraktivität der Ritualteilnahme zentral aus. Wie Curtis meint: »Das ist es, was ich unheimlich reizvoll finde, dass jeder Mensch sich einbringen kann; auch wenn jemand zum Beispiel neu dazukommt und sagt: ›Ich habe so etwas noch nie gemacht, ich möchte gerne einmal bei euch zugucken‹. Wenn dieser Mensch dann sagt: ›Mir kommt gerade eine Idee‹, dass man darauf antwortet: ›Mensch, äußere deine Idee. Wir können damit vielleicht was anfangen‹.« (Interview, 07.03.2012)

Diese Möglichkeit intensiver Mitgestaltung erklärt, warum im Hexentum das urbane Milieu der »Kreativen« anzutreffen ist15: nach neuen, ungewohnten 14 | Die Reclaiming-Gruppe bestand als feste Gruppe mit sehr geringer Fluktuation von 2011 bis 2014. Die Mondfrauen von zirka 2009 bis 2013/14 – wobei die Fluktuation stets groß war. Der harte Kern bestand aus zirka acht Frauen. Eine detaillierte ethnografische Beschreibung und Analyse der Aushandlung von Autorität und Macht innerhalb der Mondfrauen und zum Auseinanderbrechen siehe Hegner 2013. 15 | Mit dem urbanen Milieu der Kreativen sind in diesem Fall nicht allein spezifische Berufsgruppen angesprochen, die in der städtischen »Kreativwirtschaft« arbeiten: im Bereich der Mode, des Designs, der Werbung und der Kunst; gleichwohl die Überschneidungen groß sind: die Betonung einer expressiven, einzigartigen Individualität und Innovationsfreudigkeit und die existentielle Bedeutsamkeit der selbstbestimmten (Erwerbs-)Arbeit. Das Milieu der Kreativen ist mit Blick auf die Hexen allerdings weiter zu verstehen und inkludiert auch jene, die sich losgelöst von ihrer Erwerbstätigkeit, künstlerisch und dabei auch performativ in unterschiedlichsten Ausdrucksweisen ausprobieren, dies als einen wesentlichen Bestandteil ihrer Lebenswelt und ihres Selbstverständnisses betrachten, aber vordergründig keine ökonomische Absicherung ihrer Existenz damit zu erzielen versuchen. Hier schwingt das Bild der/des Künstlers/Künstlerin hinein – genauer der/des Lebenskünstlers/-künstlerin: stets experimentell, materiell interessenlos, sich ganz für die eigenen Ideale aufopfernd. Ausführlich zu den verschiedenen urbanen Kreativszenen insbesondere in Berlin siehe Lange 2007. Siehe auch das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit und die hier vorgenommene Kennzeichnung der verschiedenen Milieus, die im Hexen- und Neuheidentum zu finden sind.

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und exzentrischen Ausdruckformen zu suchen, sie zu erproben und selbstbewusst darzubieten, ist für sie lebensweltlich bestimmend und macht ihre Identität aus. Es muss sich in diesem Zusammenhang vor Augen geführt werden, dass Rituale zwar Raum für unmittelbare Empfindungen und Eingebungen bieten, doch die Schaffung dieser Möglichkeit bedarf einer groben Vorstrukturierung und damit Orientierung: Es muss geklärt werden, wann genau dies im Ritual realisierbar wird, wie diese Zeit markiert ist. Ein Ritual muss also geplant werden. Xenia beispielsweise schickt den Mondfrauen meist einen Ideenvorschlag und einen möglichen Ablaufplan mit Ausführungen zur spirituellen Bedeutsamkeit des Rituals per Email zu, ihre »Mondbriefe«. Kommen die Frauen zusammen, berät man den Ablauf kurz, setzt ihn im Ritual teilweise um und baut zugleich stark auf die gegenseitige Inspiration während der Zeremonie. In anderen Gruppen ist der Vorentwurf wesentlich stärker als Gemeinschaftsprojekt angelegt. Einerseits versucht man damit, die Idee einer enthierarchisierten religiösen Praxis wesentlich konsequenter umzusetzen als dies die Mondfrauen tun (bei denen einzig Xenia »vorstrukturiert«), andererseits ist man in der Planung auch detailreicher, wodurch ein Stück weit die Spontanität während des Ritualisierens verloren geht. So werden mögliche Inhalte der Zeremonie von vielen Hexenzirkeln in Vorbereitung auf das Ritual via Email bzw. Facebook-Unterhaltungen verhandelt, Rollen werden geschaffen und verteilt, über mögliche symbolische Gegenstände und Handlungen für bestimmte Anliegen, um die es gehen wird, nachgedacht. Verschiedenste Utensilien müssen besorgt werden. Mitunter kommt man nochmals in den Cafés der Stadt zusammen und beratschlagt sich. Stadtethnologisch ist es dabei aufschlussreich, dass sich unter Berliner Hexen vor allem ein Café besonderer Beliebtheit erfreut und in gewisser Weise zum »Hexen-Café« der Stadt aufgestiegen ist. Es handelt sich um das Schöneberger »BilderBuch« – ein Café, das mit seinen Ohrensesseln, Sofas und Bücherwänden so gemütlich wirkt, dass es auch als »Berlins größtes Wohnzimmer« gehandelt wird (Tagesspiegel, 25.05.2012). Doch es ist nicht die Gemütlichkeit allein, die die Hexen hierherführt. Die Popularität des Cafés hängt auch stark mit seiner kulturell-topografischen Lage zusammen. In unmittelbarer Umgebung konzentrieren sich bereits seit den 1980er Jahren Esoterikläden und Treffs spiritueller Gruppen.16 In Teilen gibt Spiritualität bzw. Religiosität den Straßen ihr ästhetisches Motiv: Michelangelos »Erschaffung Adams« zieht sich als Fassadenmalerei über Häuser hinweg. Im Erdgeschoss wiederum haben sich Geschäfte angesiedelt, die fernöstlichen Räucherbedarf oder Bücher über alternative Weltsichten und bunte, hippie-eske Kleidung feilbieten, 16 | Siehe hierzu auch den Stadtführer durch das okkulte/esoterische Berlin: Scharna/ Flamm/Lux 1985.

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Heilsteine gibt es zu erwerben. Zugleich finden sich eine Vielzahl von Läden und Anwohner*innen, die damit kaum Berührungspunkte zu haben scheinen. Dieser Mix von Gruppen, Menschen und Selbstverständnissen ist es, der wie »ein besonderer Geist durch das CaBiBu zieht«, wie es die Cafébesitzerin Adelheid Gehringer in einem Interview beschreibt, »Die spirituelle Gemeinde mischt sich hier gerne unter die ›Normalbürger‹. Es ist faszinierend, dass sich hier keiner am anderen stört. Jeder ist einfach da!« (Interview, 23.01.2009)17. Und so sind es sicherlich die bequemen Ohrensessel, die Sofas, Bücher und wahrscheinlich auch die guten Torten, warum Hexen, die dem Genuss nicht abgeneigt sind, hierhergehen, aber vor allem genießen sie es, inmitten der »spirituellen Gemeinde« zu sitzen und dabei auf die Offenheit und Blasiertheit der anderen zu treffen – und so kommen sie immer wieder hierher. Die Ritualvorbereitung ist also zumeist eine Gemeinschaftsangelegenheit. Doch es gibt Bestandteile und Momente, die grundsätzlich für sich allein und zu Hause entschieden werden. Dies trifft in herausgehobener Weise auf das Anlegen besonderer Kleidung, der sogenannten Ritualkleidung zu: ein physischer Akt, durch den die Teilnehmer*innen Aspekte des Rituals intensivieren wollen, mitunter eine neue Identität – ihre Ritualrolle – annehmen und erleben. So wie man die Kleidung anlegt, so streift man den Alltag ab. »Mit dem Ritualgewand ist es wie mit dem Baden«, wie Curtis einmal zu mir meinte, als wir vor ihrem offenen Kleiderschrank standen und sie mir all ihre Ritualgewänder zeigte. Ich verstand nicht gleich und schaute sie irritiert an. Sie erklärte: »Es ist so, als würde man vorher [vor dem Ritual, V.H.] baden oder sich die Hände waschen, um den Alltag abzulegen und um in eine heilige Haut zu schlüpfen« (Interview, 28.11.2012). Gewandung und Körper fallen in eins und es entfaltet sich eine Art somatische Stofflichkeit.18 Die Kleidung bzw. »heilige Haut« ist dabei hochgradig individualisiert und kommuniziert im selben Moment – wie Jegliches, was man am Körper trägt – soziale Verortung und Zugehörigkeit. Sie erzeugt ein Gruppengefühl und trägt zur gemeinschaftlichen religiösen Erfahrung bei. Die Kleidung ist mitunter selbst angefertigt worden, manchmal lässt man sie auch nähen. Sie wird aber auch in einschlägigen Läden gekauft, wobei die Marke und Berliner Firma Chapati hier die wohl nachgefragteste unter Hexen, nicht 17 | Das CaBiBu ist zudem ein beliebter Ort für Hexenstammtische. Ebenso fanden meine ersten Treffs mit einzelnen Hexen genau hier – auf Vorschlag der Hexen – statt: 27.10.2010; 24.02.1010. Faye berichtete mir, dass auch sie sich über einige Jahre hinweg hier zum Hexenstammtisch getroffen hat, bevor sie im Café Vis-à-Vis einen neuen Hexenstammtisch mitorganisierte (Interview, 06.02.2016). 18 | Zum Konzept der somatischen Stofflichkeit siehe ausführlicher Wagener-Böck 2015: 15, 16; wie auch Gaugele 2002.

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nur der Hauptstadt, sondern deutschlandweit ist. »Ich glaube ja, die haben sich heimlich auf uns spezialisiert«, wie Thanis die Beliebtheit mir gegenüber herzhaft lachend auf den Punkt brachte (Feldnotiz, 30.11.2012).19 Tatsächlich folgt Chapati in erstaunlicher Kongruenz den ästhetischen wie symbolischen Regeln der Ritualkleidung der Hexen, zugleich hat die Firma diese Regeln und damit eine spezifische Ausdrucksform – die (Berliner) »Chapati-Hexe« – mit erzeugt. Es zeigt sich hier eine Bricolage aus verschiedenen urban-subkulturellen Bezügen an. So bevorzugen Hexen, sich in samtige oder in Leinen gehaltene Kleider, Umhänge und Röcke in sogenannter präraffaelitischer Ästhetik zu gewanden (idealtypischer Ausdruck hierfür sind die »Elfenkleider« von Chapati, vgl. Abb. 13/14). Geprägt wurde diese Ästhetik bereits Mitte des 19. Jahrhunderts durch Londoner Maler wie John Everett Millais, die Brüder Dante Gabriel und William Rossetti sowie durch William Holman Hunt, die sich in ihrem künstlerischen Schaffen weitläufig vom Mittelalter (bzw. daran, was man sich unter Mittelalter vorstellte) inspiriert fühlten und dabei gerade auch Frauen porträtierten, die zumeist in weite, »natürlich fallende«, farbige Gewändern gekleidet waren. Diese Form der Kleidung, die sich insbesondere in der intellektuellen Elite popularisierte und so tradiert wurde, soll vor allem auch die Botschaft der »natürlichen Schönheit« vermitteln, die im modernen Industriezeitalter als nahezu verlorengegangen geglaubt wird (Cunningham 2003: 103-134).20

19 | Kommen Hexen »vom Land« (durchweg ehemalige Stadtbewohner*innen) und allgemein aus der »Republik« nach Berlin, steht ein kollektiver Hexen-Besuch im Kreuzberger Chapati-Laden obligatorisch auf dem Programm. Die Popularität fasst eine Landhexe so gegenüber Curtis zusammen: »Ich bin sehr glücklich auf dem Land. Aber um Chapati beneide ich euch« (Feldnotiz vom 01.03.2013). 20 | Wie die Anglistin Emily J. Orlando anschaulich zeigt, wurde die in Szene gesetzte »natürliche Schönheit« malerisch und dabei atmosphärisch mit der Idee von Vergänglichkeit und der Unausweichlichkeit des Todes verbunden. Die Frauen wurden meist als ungewöhnlich schlank, dabei bleich, erschöpft (»languid queens«) und passiv hingebungsvoll porträtiert. Die Botschaft der dargestellten Kleidung war entsprechend ambivalent: Zwar wurde die »natürliche Schönheit« maßgeblich dadurch hergestellt, dass man bei den Kleidern, die man darstellte, z.B. Korsetts wegließ, dem Körper damit mehr Freiraum gewährte, was als gesünder und dem Leben zugewandt gedacht wurde. Zugleich aber vermittelt sich die Idee menschlicher Sterblichkeit. Die tatsächlichen Frauen auf den Porträts, wie die Ehefrau von Dante Gabriel Rossetti, Elizabeth Eleanor Siddal, waren häufig wichtige Akteurinnen unter den Präraffaelit*innen, die sich als Künstlerinnen – aufgrund der Ungleichheit der Geschlechter – allerdings nie so weit wie ihre männlichen Compagnon entfalten konnten. Sie blieben Objekt des männlichen Blicks (Orlando 2009).

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Abbildung 13 + 14: Berliner »Chapati-Hexen«

Hexen greifen neben dieser Ästhetik zugleich Elemente der Gothic-Subkultur auf: Kleider im Viktorianischen Stil mit angedeuteter Korsage oder Korsett, ganz in schwarz (was den präraffaelitischen Formen leicht entgegensteht). In der Subkulturforschung ist die hier inszenierte »Hyperfeminität« bereits thematisiert worden (Brill 2006: 109-112; Brill 2008: 59-74). Sie wirkt selbstversichernd und -bestärkend und damit auch schützend für die Identität als Frau. Im Ritual wird mit dem Bild der Hexe gespielt, die eben nicht das »hässliche Weib«, sondern die (angsteinflößende und gefahrvolle) Schöne darstellt, die reizt und doch unzugänglich und geheimnisvoll bleibt. Mitunter sind die Ritualkleidung und Accessoires eher im Hippiestil gehalten: Blumen im Haar, weite, fließende Kleidung mit Batikmustern, mitunter bunte Pluderhosen.21 21 | Beim »Hippie-Stil« kommt es stark auf die Tradition an, der man sich innerhalb der Hexenreligion zuordnet. Er trifft fast ausschließlich auf die Reclaimer*innen bzw. jene zu, die sich dem Reclaiming nahe fühlen. Wie Angela bei der von der Stadt organisiert-­ en »Langen Nacht der Religionen« (siehe nächstes Kapitel der vorliegenden Arbeit), an der 2015 erstmalig auch Heid*innen und neuheidnische Hexen teilnahmen, in einem Gespräch mit anderen Hexen meinte: »Also eines habe ich gemerkt: Wir sind die Hippies unter den Heiden«, wobei sie vor allem auf den Kleidungsstil und insbesondere den angelegten Blumen-Haarschmuck verwies. Die Zuhörer*innen stimmten spontan ein Lied an »If you’re going to San Francisco…« – womit singender Weise darauf verwiesen wurde,

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Schließlich werden auch Symbole der eher dominanten Kultur aufgegriffen. Sie verlieren dabei nicht ihre Bedeutung. Es ist vielmehr so, dass dieser Bedeutung neue Assoziationen gegenübergestellt werden. Anna beispielsweise zieht zu Ritualen gern ein Dirndl an. Sie unterstreicht damit den festlichen Charakter, wie dies durch das Tragen von (urbaner) Trachtenmode allgemein erfolgt (Schneider 2015), zugleich bringt sie das Kleidungstück in einen dafür ungewöhnlichen Kontext ein und synthetisiert einmal mehr ihre katholischbayerische Herkunft mit ihrem Berliner Hexesein. Insbesondere ihre Gewandung verweist darauf, dass die Ritualkleidung der Hexen zwar Symbol der Stärke religiöser Identifikation und Zugehörigkeit ist (und diese evozieren soll). Doch im Unterschied zur religiösen Kleidung in den dominanten Religionen zeigt sich dies nicht daran, wie strikt und kontinuierlich man bestimmten ästhetischen Regeln folgt (Grigo 2015; Hegner 2009; Hüwelmeier 2004: 163-176; Arthur 1999), sondern, wie sehr man es versteht, mit diesen Regeln zu spielen, und die – im Bourdieu’schen Sinne – geschmackliche Kompetenz bzw. Beweglichkeit zu erwerben, um einen je eigenen Stil daraus hervorzubringen, mit dem man seine Persönlichkeit und individuelle Lebensgeschichte ins Ritual trägt und darbietet (vgl. Abb. 15). Abbildung 15: Zu Beginn des Rituals: Ein Dirndl als zeremonielle Gewandung

dass sich dies maßgeblich aus der Geschichte von Reclaiming, dessen Geburtsort San Francisco ist, ergibt (Feldnotizen, 29.08.2015).

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In dieser komplexen Vorbereitung und späteren Durchführung avancieren Hexenrituale zu einer Darstellungsform, die der des Theaterstücks sehr nahekommt.22 Dabei ist es das Schauspiel selbst und vor allem die Lust daran, durch die sich die Überzeugungskraft – für Hexen: die Magie – des Rituals überhaupt erst entfaltet. Gleichwohl die Zeremonien einzigartig bleiben und unwiederholbar in ihrem Auf bau und der Vermittlung religiöser Erfahrung sind, unterliegen sie doch einer formalen, symbolischen Rahmung, wodurch sie letztlich erst zum Ritual werden und als solches eine Markierung bekommen.

Die Form(-alisierung) des Rituals Die Rituale der Hexen gestalten sich entlang bestimmter Formalisierungen, wenngleich diese gering sind. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner – Elemente, die in allen Hexengruppen, freifliegend und Wicca, anzutreffen sind – ist die Errichtung eines Altars und des magischen bzw. heiligen Kreises am Anfang jedes Rituals. Das Ziehen des Kreises ist einer der grundlegenden Momente von Ortsherstellung – eine Form des religiösen place-making, die temporär bleibt:23 Er wird am Ende jedes Rituals wieder aufgehoben, so wie auch der Altar abgebaut wird. Sie markieren den Übergang vom Alltag in die besondere Ritualzeit. Der Kreis mag zumeist als heilig bezeichnet werden, doch dies impliziert keine Unterscheidung zu profan. Wie bereits im letzten Kapitel beschrieben, ist für Hexen jeder Flecken Erde heilig und von einer göttlichen Kraft geprägt. Profanes gibt es schlicht nicht (Rensing 2006: 168-170). Das unterlegte Konzept des heiligen Kreises ist vielmehr jenes eines Kosmos en miniature – und dabei eines herausgehobenen Treffpunktes zwischen Menschen, Gött*innen, Wesen und Energien, die uns im Alltag zwar begleiten und 22 | Zur Ähnlichkeit von Theater und Ritual siehe Turner 1982. 23 | Zum religiösen place-making existiert mittlerweile eine umfängliche Literatur. Die Studien fokussieren überwiegend auf urbane Settings und dabei auf migrantische religiöse Gemeinschaften, siehe Knott/Vasquez 2014; Becci/Burchardt/Casanova 2013; Hüwelmeier/Krause 2010; Johnson 2007; Peña 2011; Phillips 2009. Formen des place-making in neuen Religionen werden auch im folgenden Artikel thematisiert: Becci/ Burchardt/Giorda 2017 – wobei hier place-making als place-seeking konzeptioniert wird, um auf den temporären Charakter der Ortsherstellung – Orte, die in ihren Grenzen in besonderem Maße immer auch porös bleiben – in neuen Religionen zu verweisen. Der Artikel von Knott/Vasquez 2014 stellt eine der wenigen Studien dar, die über das sichtbare place-making – also die Schaffung und Gestaltung von öffentlichen sakralen Gebäuden und Architekturen – hinausgehen und auch Formen wie das Beten als place-making untersuchen, die mit keinem unmittelbar erkennbaren materiell-gestalterischen Eingriff in die Umgebung verbunden ist: das Kreisziehen ist eine ebensolche Praxis, bei der nicht notwendig die materielle Umgebung sichtbar verändert wird.

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von denen wir durchdrungen sind, aber mit denen wir im täglichen Einerlei nicht die Ruhe finden, ausführlicher und konzentrierter zu kommunizieren (Rensing 2006: 168-170; Salomonsen 2002: 171). Im Hexenkreis wird dies ermöglicht. Um ihn zu errichten, erfolgt in einem ersten Akt die sogenannte Erdung aller Anwesenden. Diese Erdung wird erreicht durch eine angeleitete Art von Meditation. Meist visualisiert man sich dabei selbst als einen Baum, mit tiefreichenden Wurzeln und ausgreifender Blätterkrone. Zugleich »reist« man meditativ durch den eigenen Körper (in »Energieknoten« bzw. dem tantrischhinduistischen System der Chakren gedacht) und soll sich durch die vorgestellten Wurzeln mit der Erde und damit letztlich mit der großen Göttin »wiederverbinden«, wie es Hexen nennen. Es wird ein Zustand erreicht, in dem man »ruhig, entspannt und doch aufmerksam [ist]«, wie Starhawk die Wirkung des »Sich-Erdens« beschreibt, »bewußt sowohl der eigenen Energie als auch der Energie der Gruppe« (Starhawk 1991: 133). Darauf folgen Formen ritueller Reinigungen – traditionell durch das Abräuchern der anwesenden Hexen mit bestimmten Kräutern24 – wobei es die schnelle, urbanisierte Variante der selbst24 | Kräuter und allgemein Pflanzen, die man für das Abräuchern verwendet, werden häufig in der Stadt gesammelt oder auch selbst angebaut. Den Kräutern werden bestimmte Kräfte zugeschrieben: z.B. gilt Salbei als reinigend und soll helfen, das »Ursprüngliche« in einer Person zu erwecken, Weihrauch soll grundsätzlich helfen, sich für die Erfahrung von Transzendenz und des Göttlichen zu öffnen. Teilweise werden Pflanzen auch mit bestimmten Göttern und Göttinnen in Verbindung gebracht, z.B. gilt Beifuß als das Kraut der Göttin Artemis. Mit Blick auf die Wirkung von Kräutern und Pflanzen beim Räuchern sowie in der Aromatherapie werden unter Hexen unter anderem die Bücher von dem Pflanzenspezialisten Thomas Kinkele rezipiert (Kinkele 2000, 2004, 2013, 2016). Bisher liegen wenig Studien im Bereich der qualitativen, gegenwartsorientierten Religionsforschung vor, die sich auf die Praxis des Räucherns fokussieren. Meist konzentrieren sich dann die Untersuchungen auf Religionen in Südostasien: siehe z.B. den ethnografisch dichten Artikel von Jellema (2007). Das Räuchern findet beispielhaft Erwähnung (ohne in seiner vielschichtigen religiösen wie alltagskulturellen Bedeutung weiter durchdrungen zu werden) in methodischer Auseinandersetzung mit einer Ethnografie der Sinne, z.B. Atkinson/Delamont/Housley 2008: 179-204; Die Ethnolog*innen/ Kulturanthropolog*innen und selbst Praktizierenden Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch und Wolf Dieter Storl haben sich zwar mit der Erforschung von Heilpflanzen und -kräutern und ihrer Bedeutsamkeit in der Hexenreligion beschäftigt – dabei auch mit der Praxis des Räucherns –, allerdings handelt es sich bei ihren Veröffentlichungen eher um eine beschreibende Bestandsaufnahme denn um eine qualitative Analyse (Müller-Ebeling/Rätsch/Storl 1998). Geräuchert wird, indem man in einem sogenannten Räucherschälchen/-topf Räucherkohle entzündet und diese zum Glimmen bringt. Hierauf werden dann die getrockneten Pflanzen/Kräuter gelegt. Der sich entwickelnde Rauch wird durch einen Wedel (dieser kann aus Holz sein, auch eine Feder kann dafür genutzt

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hergestellten Aromasprays gibt, mit denen man sich gegenseitig absprüht. Wie eine Hexe, die seit mehreren Jahren auf dem Land lebt, die Nutzung solcher Sprays durch Berliner Hexen kommentierte: »Das sind die Stadthexen: immer ganz modern, immer der letzte Schrei, immer effizient« (Feldnotizen, 01.03.2013). Die rituelle Reinigung soll bewirken, dass die Teilnehmer*innen Ärger, Sorgen und Ängste ablegen, die ihre Konzentration stören könnten. Daran schließen sich die Anrufungen der verschiedenen Götter und Göttinnen sowie weiterer Energien/Kräfte an, die sich vor allem in den Elementen Luft, Feuer, Wasser und Erde symbolisieren. Wie genau diese Anrufungen auszuführen sind, ist kaum geregelt. Es gibt Grundelemente (an die Praxis des Golden Dawn angelehnt, siehe hierzu das erste Kapitel). Hierzu gehört das Zeichnen imaginärer Pentagramme, den Himmelsrichtungen und damit den Elementen zugewandt. Damit wird im Osten begonnen und im Uhrzeigersinn fortgefahren: Man sollte das so tun, aber eine Unterlassung oder Abweichung davon lässt die Errichtung des Kreises und damit das Ritual nicht notwendig scheitern. »Wenn er [der Kreis, V.H.] gegen den Uhrzeigersinn gezogen wird: Dann sollte es eben einfach so sein; wenn er im Norden angefangen hat: auch gut«, meinte Anna einmal in einer Runde von Hexen, in der einige überlegten, ob ein Kreis überhaupt falsch gezogen werden könnte, »und wenn er fluffig und viereckig gerät«, gab sie lachend hinterher: »auch gut«. Wichtiger als Regeln wird der Umstand erachtet, dass jede, die anwesend ist, sich zutraut, den Kreis zu ziehen. Das Motto lautet einmal mehr: »Jede kann es und jedes Mal wird es gut und immer besser« (Feldnotizen, 21.05.2014). Bei der Anrufung von Gottheiten existieren tradierte rituelle Worte, die untereinander und durch Publikationen weitergetragen werden. Aber auch hier gilt: Man kann sie rezitieren, aber man ist keinesfalls daran gebunden. Einige Hexengruppen sind hier strenger als andere. Für Xenia sind beispielsweise die traditionellen Anrufungen sehr wichtig, was frauenbewegte Gründe hat, denn »je mehr Frauen die Götter mit den gleichen Worten rufen, umso kraftvoller sind die gerufenen Götter und damit die Frauen selbst. Die Kreise der Frauenmacht werden erweitert« (Feldnotizen, 21.11.2011). Anderen Gruppen sind die Worte schlicht egal. Und so spielen manche Hexen gern ihr Lieblingsinstrument, um Gottheiten herbeizurufen, andere tanzen oder singen und wieder andere erdenken sich eigene Worte. Sie wechseln dabei mitunter interessanterweise in eine andere Sprache. Der Sprachwechsel ist eine bekannte Komponente religiöser Praxis, in erster Linie bei christlich-charismatischen

werden) verteilt. Bei dem Abräuchern einer Person wird der Rauch meist vom Kopf ausgehend bis hinunter an die Füße in einem Kreisgang um die Person herum verteilt.

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Gemeinschaften.25 Doch Hexen reden kaum in Zungen, also in einer für die Sprecher*innen wie die Versammelten unbekannten Sprache. Stattdessen wechseln sie ins Englische, worin sich zwei Momente reflektieren und zusammentreten, nämlich die historische Verwurzelung der Hexenreligion im angloamerikanischen Raum und der Umstand, dass – wie Sandra es auf den Punkt bringt – »in dem Augenblick, wo ich nicht meine Muttersprache nehme, sondern eine andere Sprache, ich mich auch aus der Alltagswelt heraus[-ziehe] und in die Ritualzeit eintrete« (Interview, 08.03.2013). Stellt man die analytische Linse etwas schärfer, zeigt sich, dass der auf diese Weise formal und doch so unterschiedlich errichtete Kreis nie eine radikale Trennung von der unmittelbaren Umgebung darstellt. Stattdessen kündigt sich der wichtige Zustand des Dazwischen, der Liminalität an, zwischen der materiellen und spirituellen Grundlage allen Daseins. Wie schon im Kapitel zur Geschichte der Hexenreligion ausgeführt, sagen Hexen selbst, dass sie sich im Kreis, »zwischen den Welten«, genauer »zwischen der Welt der Menschen und den Sphären der Mächtigen [den Gött*innen, V.H.]« befinden (Cunningham 1988: 99). Und diejenigen, die sich »zwischen den Welten befinden«, so lautet das provokante Motto, »können die Welt, in der wir leben, verändern«. Und es gibt eine Menge zu verändern.

Anlässe und Inhalte von Hexenritualen Die Bandbreite von Anlässen, um den Kreis zu ziehen und ein Ritual abzuhalten, ist groß. Wie schon mehrfach angedeutet, ist die religiöse wie magische Praxis von Hexen einerseits stark auf persönliche Bedürfnisse ausgerichtet – auf Liebe, Arbeit und Gesundheit –, andererseits und zugleich auf das Engste mit der Idee verbunden, soziale und ökologische Alternativen zu erdenken und zu kreieren. Rituale und hier insbesondere Magie sind auch politisch zu verstehen. Man kann dabei eine einfache und doch wichtige Regel mit Blick auf die Nutzung des Stadtraums ableiten: Rituale, in denen stärker auf sich selbst fokussiert wird, auf Fragen und Umstände des persönlichen Lebens, finden »drinnen«, in den eigenen vier Wänden statt – eine Allegorie auf das eigene »Innere«, das im Vordergrund steht. Sie mit einem gängigen Ritualbegriff zu belegen, ist nicht leicht. Es sind Rituale, wie Anna meint: »wo wirklich was passiert, wo du dich innerlich wandelst. Ich nenne sie auch Ermächtigungsrituale« (Interview, 13.07.2014). Diesen emischen Begriff des Ermächtigungsrituals lasse ich vorerst stehen und werde im letzten Abschnitt dieses Kapitels, wenn ich nochmals die Wohnungen als Ritualorte betrete, darauf zurückkom25 | Siehe hierzu eine erst kürzlich erschiene Ethnografie, die sich mit pentekostalen Bewegungen in der Stadt beschäftigt und dabei auch auf die Besonderheit des »Zungenredens« als eine urbane Praxis eingeht: Marina 2013.

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men und detailliert aufzeigen, was damit gemeint ist und wie sich dies analytisch weiter durchdringen lässt. Rituale, die »draußen« stattfinden, sind in ihrem Charakter wesentlich politischer zu verstehen und stellen eine Intervention im öffentlichen Raum dar. Auch sie zielen auf einen inneren Wandel, durch den ein äußerer ermöglicht wird, und doch scheint es das Ziel zu sein, gesellschaftliche Veränderungen durch die eigene religiöse Praxis in den Vordergrund zu rücken. Im Mittelpunkt steht die Rückverbindung zur Natur, von der sich der Mensch in der westlich-modernen Gesellschaft, wie Hexen sagen, immer mehr entfernt hat. Damit habe er gleichsam seine Beziehung zum Göttlichen gekappt und viele Krisen in der Welt ausgelöst. Indem man sich der Natur wieder zuwendet, nähert man sich dem Göttlichen wieder an: Ein erster Schritt aus der krisenhaften Situation in der Welt ist getan. Für die Rückverbindung greifen Hexen auf sogenannte kalendarische Riten zurück, in die unterschiedlichste Anliegen hineinverlagert werden. Es handelt sich dabei um die acht Jahreskreisfeiern sowie Rituale zu Neu- und Vollmond. Sie verleihen dem Vergehen von Zeit eine bedeutungsvolle, religiös geprägte und dabei der Natur folgende Ordnung. Die Jahreskreisfeste erinnern Hexen an den für sie heiligen Kreislauf allen Daseins: Geburt, Reife, Tod, Wiedergeburt.26 Das Rad dreht und dreht sich und mit den Feiern, davon gehen Hexen aus, halten sie es immer weiter am Laufen. Der Kreislauf gibt sich in den Jahreszeiten der Natur wider, wie die nachstehende Übersicht zeigt. Die Anmerkungen zur rituellen Ausgestaltung stellen hier lediglich eine Orientierung dar und beruhen zum einen auf ethnografischen Daten, die ich durch die Teilnahme an über 30 Jahreskreisritualen und zirka 15 Mondzeremonien gewinnen konnte, und zum anderen auf einzelnen wissenschaftlichen Studien sowie auf einer Reihe von Veröffentlichungen von Neuheid*innen und Hexen weltweit, konzentriert und ausdifferenziert in den USA und Großbritannien (Magliocco 2004; Zell-Ravenheart 2006; Rensing 2006: 221-229; Farrar/Bone 2005; Monson 2015). Letztere porträtieren die Jahreskreisfeste meist im Genre des Nachschlagewerkes. Mit Blick auf die Rituale ergibt sich bei aller Kreativität auch eine gewisse Monochromie (Schmidt-Lauber 2003: 16), insofern, als dass sich Zeremonien stark ähneln, oft auch dasselbe gemacht wird. In der Wiederholung gibt sich letztlich der Prozess einer Traditionalisierung preis. Dabei ist anzumerken, dass die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Schwerpunkte bei den Feiern setzen: Die Mondfrauen feiern Jahreskreisfeste kaum, dafür aber die Mondfeiern und Rituale zu anderweitigen Anliegen. Den Reclaimer*innen wie auch

26 | Siehe ausführlich zur historischen Festschreibung durch Gardner und die Weiterentwicklung das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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der Ritualgruppe rund um den Hellersdorfer Stammtisch sind die Jahreskreisfeste sehr wichtig. Hinsichtlich der Publikationen zum Jahreskreis sind die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Forschung und beforschtem Feld fluide und der Wissenstransfer intensiv. Mitunter sind die/der schreibende Wissenschaftler*in und der/die Praktizierende in einer Person vereint.27 Die historischen Wurzeln werden in den Veröffentlichungen teilweise sehr verschieden lokalisiert, je nachdem, wie sehr die Verfasser*innen der Idee einer Kontinuität bis in die Steinzeit hinein anhängen oder diese verneinen. Zur Herkunft der Namen für die Feste ist schließlich zu betonen, dass sie strittig bleibt. Teilweise, wie bei Litha und Mabon, gehen die Begriffskreationen auf einzelne neuheidnische Protagonist*innen zurück, hier auf Aidan Kelly.28

Jahreskreisfeste im Hexenkalender Im Winter wird die Sonnenwende bzw. das Yule-Fest (21. Dezember) sowie Imbolc (2. Februar) begangen. Man feiert die Rückkehr der Sonne. Die Tage werden länger und der Frühling naht. Hexen sehen dies als die günstige Zeit, neue Projekte, individuell oder gemeinschaftlich, in Angriff zu nehmen bzw. Wünsche für die Zukunft noch stärker zu benennen und auf ihre Erfüllung hinzuarbeiten. Im Yule-Ritual stehen Divinationen im Vordergrund: Orakel werden befragt (Runen, Karten) oder Horoskope erstellt, über die dann meditiert wird. Letzteres meint beispielsweise, eine bestimmte astrologische Planetenkonstellation zu visualisieren und sich zu fragen, welche Bedeutung diese für eine(n) selbst tragen könnte. Zudem beschenkt man sich gegenseitig zu Yule. Zu Imbolc, dem ersten Fest im Kalenderjahr, werden beispielsweise Altarkerzen geweiht, die für eine bestimmte Kraft, die man das Jahr über besonders braucht, stehen. Jede Jahresfeier ist mit einer Vielzahl von Mythologien unterlegt. Eine der grundlegenden Mythen ist, dass zu Yule die große Göttin einen Sohn, den jungen Gott, gebärt, der alles Heranwachsende mit neuer Energie versorgt. Imbolc ist besonders eng mit der irisch-keltischen Göttin Brigid (christianisiert: Sankt Brigid) verbunden. Sie ist die Göttin der Schmiedekunst, der Poesie, der Heilung und der Kreativität. Einige Gruppen flechten im Ritual das sogenannte Brigid-Kreuz, das in seiner Form wahrscheinlich an das keltische Sonnenrad erinnern soll. Im Frühling stehen die Tagundnachtgleiche bzw. Ostara (21. März) und das Beltane-Fest (30. April/1. Mai) im Hexenkalender. Es sind Feiern der Fruchtbarkeit und der Freude über das Erblühen der Natur. Als Zeichen der Fortpflanzung werden zu Ostara unter anderem rituell Eier bemalt. Einige Gruppen 27 | Zur fluiden Grenzziehung zwischen Forscher*in und Praktizierende*r insbesondere in der Hexenreligion siehe ausführlich Hegner 2013. Dass die Grenzziehungen zwischen Wissenschaft und beforschtem Feld allenthalben durchlässiger werden, siehe Bendix/ Kessler/Kraul/Nietert 2010 sowie Lindner 2003. 28 | Zu der Strittigkeit der Bedeutung der Namen für die Feste siehe die erhellende Diskussion von Hutton 2009; Kelly 2012.

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Hexen der Großstadt versammeln sich ums Feuer, um ihm Altlasten symbolisch zu überantworten. Das Verbrennen von beschriebenen Zetteln, in jenen Altlasten vermerkt sind, oder auch von Liebesbriefen aus einer gescheiterten und betrauerten Beziehungen erfolgt, wodurch man erhofft, sich davon zu lösen, um Neues gedeihen zu lassen. Manche sähen gemeinschaftlich Samen aus und meditieren in den Samen hinein, um dessen Kraft zu spüren. Beltane ist ein großes Freudenfest, meist mit rituellen Sprüngen über das Feuer verbunden, unter anderem, um den Zauber der Liebe zu entfachen. Mythologisch erscheint die große Göttin als junge Frau, die sich mit dem jungen Gott vereint, um neues Leben hervorzubringen. Bezogen auf das eigene Dasein deuten Hexen die Schwangerschaft der Göttin häufig als einen Ansporn, sich schwierigen Aufgaben zu stellen und Dinge, an denen man einzeln oder in Gemeinschaft bereits länger arbeitet, zu Ende zu bringen. Zudem gilt es, die menschliche Sexualität in diesen Tagen intensiv zu pflegen. Die sommerlichen Feiertage der Hexen stellen die Sommersonnenwende alias Litha (21. Juni) sowie Lughnasad (1. August) dar. Es ist die Zeit der vollen Blüte, der Opulenz und der ersten Ernte. Mythologisch stehen Gott und Göttin zwar ganz in ihrer Kraft, doch beginnt diese zu schwinden. Diese Feiern sind der Dankbarkeit für das Leben gewidmet. Rituell ist Litha von herausgehobener Bedeutsamkeit. Oftmals wird hier der Mythos vom Eichenkönig aufgegriffen – der »grüne Gott«, der an der Seite der Göttin ist. Er ist auf der Höhe seiner Macht. Doch ein neuer (Stechpalmen-) König erscheint bereits, der den »reifen Gott« repräsentiert, er kämpft und wird schließlich siegen. Symbolisch verbrennen an diesem Tag einige Hexen mit Jubel und zugleich Trauer einen aus Blättern gefertigten grünen Mann – symbolisch wird dabei die Transformation von Bestrebungen und Projekten in Erfolge und Resultate (die Ernte) wiedergegeben. Die Herbstmonate und ihre Feste – die Tagundnachtgleiche bzw. Mabon (21. September) sowie Samhain (31. Oktober) – sind der inneren Einkehr und der Hoffnung auf Wiedergeburt gewidmet. Im Rhythmus der Natur wird nun die letzte Ernte eingebracht, mythologisch stirbt ein Teil des Götterpaares, hier der Gott, der damit das Vergehen der Natur versinnbildlicht. Die große Göttin erscheint nun als die weise Alte. Sie verkörpert nicht zuletzt die Furcht der Menschen vor dem Tod: Sie werden unausweichlich zugrunde gehen und doch auch (entsprechend des ewigen Kreislaufes der Natur) wiedergeboren. Hexen ziehen Bilanz: Wo stehe ich in meinem Leben und was ist in der Welt passiert? Welche Ziele wurden erreicht und welche erwiesen sich als unerreichbar? Rituell wird beispielsweise gemeinschaftlich eine Girlande geflochten, sinnbildlich knüpft man dabei Dinge ein, die man erreicht hat. Eine Holunderbeere kann Erfolg in einem Projekt symbolisieren, eine Rose die gefundene Liebe. Zu Samhain wird häufig meditativ gereist, um in Kontakt mit den Ahnen zu kommen.

Mit den Neu- und Vollmondfeiern vergegenwärtigen sich Hexen ein Zeitmuster, das für sie mit Weiblichkeit verbunden ist. Religionsgeschichtlich ist die Verbindung des Mondes mit Weiblichkeit, vor allem mit der weiblichen wachsenden und abnehmenden Fruchtbarkeit fest sedimentiert und mit dem Göttlichen schon »in allen möglichen Gestalten« zusammengebracht worden

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(Goldammer 1960: 84/85). Für Hexen gilt der Mond mit seinen Zyklen als ein Symbol der großen Göttin. Der Neumond steht sinnbildlich für den Neubeginn und die Fähigkeit, Dinge und Vorkommnisse, die einen mit Kummer, Trauer oder Ärger erfüllen, hinter sich zu lassen, »loslassen zu können«, wie Hexen auch sagen (Gespräch mit Magdalena, 15.06.2016). Es ist Zeit, Veränderungen – für sich oder gesellschaftlich – anzugehen. Mit dem Vollmond wird man gemahnt, Dinge zur Vollendung zu bringen und sich an Erreichtem zu erfreuen. Mit Blick auf den Ritualkalender zeigt sich, dass die Nacht draußen in der Stadt über das Jahr und die Monate hinweg voller Hexenrituale ist. Sie sollen helfen, den gefühlten Riss zwischen den Menschen und dem Göttlichen zu kitten. Ausdrucksmächtig tut sich nicht allein Kritik an den Entwicklungen in der Welt kund, sondern vor allem auch an der Stadt: Indem man die Natur in ihren verschiedenen Zyklen feiert und ihren Rhythmus als heilig verehrt, macht man nämlich einmal mehr eine Erfahrung stark, die im urbanen Kontext als häufig verlorengegangen geglaubt wird. Man holt diese Erfahrung – das Erleben der Natur und ihrer Veränderungen – als gelebte Alternative und Ethik gleichsam in die Stadt zurück. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es aber letztlich unerheblich ist, wo die Rituale stattfinden und der heilige Kreis entsteht. Da die Welt überall als göttlich betrachtet wird, kann der Kreis auch überall errichtet werden. Ein Treffpunkt zwischen Menschen, Göttern und Göttinnen kommt irgendwie immer zustande (Rensing 2006: 269, 127). »Rein theoretisch kannst du ein Ritual auch am Potsdamer Platz oben im Bürogebäude machen«, wie Britta zu mir meinte, »Die Voraussetzung ist, dass diejenigen, die anwesend sind, in der Lage sind, einen heiligen Kreis zu ziehen und einen heiligen Raum zu schaffen. […] Die Frage ist nur: Wie gemütlich ist das?« (Interview, 20.03.2013). Gemütlichkeit mag ein Kriterium bei der Ortswahl für ein Ritual sein, vor allem dann, wenn man zu Hause ritualisiert, möchte man es möglichst bequem haben. »Draußen« werden andere Entscheidungsparameter herangezogen. Was die Auswahl von Ritualorten bestimmt und wie dabei die Stadt imaginiert und die religiöse Kosmologie der Hexen integriert wird, soll im Folgenden dargestellt werden. Im ersten Abschnitt wird geklärt, wie Hexen sich eine versteckte religiöse Topografie schaffen, die die gesamte Stadt durchzieht, um dann im zweiten Teil darauf zu schauen, wie in bestimmten Momenten ihre Demarkationslinien aufweichen und liminale Orte – sichtbar und unsichtbar zugleich – entstehen.

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Von gefühlten Gegensätzen, lebendigen Orten und »Companion Species« – Die versteckte religiöse Topografie der Hexen Wenn neuheidnische Hexen nachts, gewandet und gut vorbereitet, heraus aus ihren Wohnungen kommen, um in der Stadt Rituale zu feiern, dann ziehen sie sich – bei genauerer Betrachtung – eigentlich von ihr zurück. Wie schon bei den Berliner (neu-)heidnischen Gruppen der 1980er Jahren wollen Hexen dem städtischen Übermaß an »Energie« und Hektik entfliehen und die Natur schlicht dort als heilig verehren, wo es sie in Restbeständen noch zu geben scheint. In den städtischen Parks, Seen und Brachen fühlen Hexen sich der göttlichen Kraft besonders nahe. Hier können sie sich dem Gefühl wieder öffnen, dass alles mit allem zusammenhängt und auf Gegenseitigkeit beruht – ein Gefühl, das in der urbanen Schnelllebigkeit, wie Hexen es empfinden, allzu schnell abhandenkommt.29 Um passende Ritualplätze in der Stadt zu finden, streifen manche Hexen wochenlang durch die Stadt30, was, bei aller traditionsreicher Skepsis gegenüber dem Urbanen, dann doch ein Stück weit ihren Enthusiasmus eben genau dafür verrät: Hexen finden sich gut in der Stadt zurecht, gehen dabei auf Expedition in unbekannte Viertel und kennen Berlin oftmals »wie ihre Westentasche«. Bei der Auswahl von Orten ziehen sie zunächst klare Grenzen, was die Idee von Sichtbarkeit versus Unsichtbarkeit ihrer rituellen Praxis anbelangt. So sollen die übrigen Stadtbewohner*innen möglichst nichts, zumindest kaum etwas von dem nächtlichen Treiben der Hexen wahrnehmen. Hexen haben dabei im Laufe der Zeit eine versteckte religiöse Topografie entstehen lassen, 29 | Dieser Umstand führt allerdings nicht dazu, dass Hexen der Stadt dauerhaft den Rücken kehren wollen. Dabei spielt einerseits eine Rolle, dass sie die Stadt für den Zugang zu kultureller Vielfalt und so zu einer Vielzahl von Hexenzirkeln schätzen. Andererseits argumentieren sie, dass die Stadt, in dem Fall Berlin, ihre Heimat ist: Wobei Heimat als territorialer Ort verstanden wird, an dem man sozial und verwandtschaftlich eng vernetzt ist, und der mit Erinnerungen angefüllt ist, also eine biografische Vergangenheit und Kontinuität birgt und repräsentiert. Als während eines eigenen Vortrages über die Forschung zu den Hexen in der Großstadt am Institut für Europäische Ethnologie in Berlin die Frage unter dem wissenschaftlichen Personal aufkam, warum Hexen, wenn sie der Stadt und den Formen von Urbanität so derart kritisch gegenüberstünden, nicht aus der Stadt ziehen würden, war der spontane Zwischenruf einer der anwesenden Hexen: »Warum? Weil das hier meine Heimat ist. Hier arbeite ich, hier habe ich meine Freunde, meine Familie, hier bin ich zur Schule gegangen, hier ist meine Vergangenheit. Was soll ich da auf dem Land? Berlin ist meine Heimat« (Feldnotizen, 13.11.2013). 30 | Manche Gruppen, wie der 2014 gegründete Kreis Wardarad, waren sogar mehrere Monate auf der Suche nach einem angestammten Außenritualplatz; Email von einer der Gründerinnen, Mara alias Gudrun Pannier, 10.01.2016.

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die sich über die Stadt erstreckt und von der nur sie allein wissen. Wenn ich im Folgenden auf einige Orte explizit deuten werde, so muss nochmals die methodische wie darstellende Gratwanderung betont werden, hole ich sie doch damit aus dem Verborgenen, was die Logik der Topografie auf den ersten Blick unterminiert. Doch zum einen wissen die Hexen davon und zum anderen ist diese Topografie derart fluide gestaltet, dass stetig neue Orte entstehen, alte aufgegeben und manche nach langer Ruhe wieder aktiviert werden. So sehr ich also einige Orte hervortreten lasse, so versteckt bleiben andere. Die Topografie wird sichtbar und bleibt zugleich in weiten Teilen unsichtbar. In gewisser Weise ist die Darstellung selbst bereits eine Annäherung an den Zustand des Dazwischen. Rückt man also an einige Orte näher heran, an die Gründe, warum sie ausgewählt wurden, was ihre Charakteristika ausmachen und wie hier die Vorstellungen des Städtischen verhandelt werden und sich gleichsam in die Religion der Hexen einschreiben, so lassen sich grob drei Merkmale herausdestillieren: die Möglichkeit einer kontrastreichen Erfahrung im urbanen Kontext, des Weiteren die Vorstellung von Orten als lebende Organismen sowie die herausgehobene Bedeutsamkeit von Stadt-Bäumen als companion species der Menschen. Dies möchte ich im Folgenden detailliert klären. Freilich, so muss vorausgeschickt werden, gibt es die Kontinuität einiger Kultstätten seit den 1980er Jahren an. So wird der Schöneberger Alboinplatz wegen seiner »Blanken Helle« aufgesucht, die einstmals die Heidnische Gemeinschaft als zeremoniellen Ort gesetzt hatte. Die enge mythologische Bindung des Helpfuhls an die nordische Göttin der Unterwelt, die Vorstellung, dass dieser Ort in Berlin den Zugang zum Totenreich symbolisiert, macht nach wie vor seinen Reiz aus. Doch er ist einer der seltenen Orte, die noch aufgrund von vorchristlichen Sagen, Mythologien und früher Stadthistorie von Hexen zu Ritualen aufgesucht werden. Die Dimension Geschichte wird unter den Stadthexen zwar noch reflektiert, hat aber an Bedeutsamkeit stark eingebüßt. An ihre Stelle ist grundlegend die persönliche Erfahrung und Intuition getreten: Wenn Hexen heute einen Ritualort auswählen, dann geht es vornehmlich darum, wie der Ort sich im Moment des Betretens anfühlt, ob man sich willkommen geheißen fühlt, ob er mit seiner Lage und materiellen wie sinnlichen Ausprägung kraftvoll wirkt und man sich davon kraftvolle Rituale verspricht. Was also hört man? Wie riecht es? Was sieht man und wie wild ist etwa die Natur? Hier nun wird das Erlebnis des Gegensatzes bedeutsam. Wie das genau gemeint ist, tritt aus Franzis Statement hervor. Franzi hat über zirka drei Jahre hinweg in einem exklusiven Zirkel von Frauen Rituale gefeiert und dafür nach langer, geduldiger Suche den geeigneten Platz in einer Lichtenberger Brache gefunden:

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An diesem Ort kann man also der Stadt entfliehen und doch bleibt man ganz nah bei ihr. Er verspricht dabei eine sinnlich kontrastreiche Erfahrung und genau das macht seine Attraktivität für Hexen und ihre rituelle Praxis hier aus. Als Franzi, Lucia (eine weitere Frau aus dem Zirkel) und ich durch die Brache staksen, legen wir eine Pause ein. Während Lucia genießerisch den Blick schweifen lässt, meint sie auch zu mir: »Und wenn wir abends hier sitzen, alles ist dunkel, dann sieht man die S-Bahn, mit den erleuchteten Waggons. Das hat was! Wir sitzen im Wald und blicken auf den Stadtverkehr« (Interview, 15.09.2010). »Das hat was!«: Dieses Erlebnis eines Gegensatzes im Setting der Großstadt – hier die Natur (Wald), Abgeschiedenheit, Stille und Dunkelheit, dort die Technik, die Hektik, der Schmutz und das Licht – kehrt als Motiv für die Auswahl von Ritualorten stetig zurück. Viele Hexen erzählen genau davon, wobei man es hier auf die griffige Formel bringen kann: je kontrastreicher die Erfahrung, umso kraftvoller das religiöse Erlebnis.31 So erklärt mir auch Anja Hoffmann auf einem Spaziergang durch den Tegeler Forst den Grund, warum Hexen und Heid*innen gerade hier Rituale feiern: »Der Tegeler Forst ist sehr, sehr wild. Du findest hier die wildeste Natur in Berlin. Hier gibt es einfach schöne Stellen zum Feiern für Neuheiden und Hexen«. Und während dicht über uns ein Flugzeug vorbeirauscht und ich etwas erschrocken zum Himmel schaue, schreit sie mir noch entgegen: »Und gleichzeitig ist der Flughafen mit seinem Lärm, mit seinen Anlagen und seinem Schmutz nebenan. Natur und Technik prallen aufeinander. Kontrastreicher geht es nicht. Die Rituale können super intensiv sein« (Feldnotizen, 12.02.2011). Nun scheint sich auf den ersten Blick in der Suche nach der Erfahrung des Gegensatzes, die Ritualorte ermöglichen sollen, das schlichte Muster von Stadtkritik – der altbekannte Topos »Stadt versus Natur« – zu erkennen geben: Die naturverehrenden religiösen Zeremonien sind ja gerade deshalb so kraftvoll – »super intensiv« –, weil sie als alternative Weltsichten vor der Kontrastfolie der unmittelbar umgebenden Urbanität an Konturschärfe zu gewinnen scheinen. 31 | Religiöse Erfahrung ist hier im Sinne der Erfahrung einer großen Transzendenz zu verstehen. Siehe zur Definition einer großen Transzendenz, so wie sie von Alfred Schütz konzeptioniert und von Thomas Luckmann in späteren Schriften aufgegriffen wurde, die Einleitung zu dieser Arbeit.

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Aber gerade Lucias Satz: »Das hat was!« deutet auf mehr. Es klingt auch die Lust am Experimentieren, mit all dem, was das urbane Setting bereithält, an. Hiermit wird in entscheidender Weise der Blick geöffnet, was Stadt für Hexen ausmachen kann. So mag Natur für Hexen im Gegensatz zu dem stehen, was das urbane Leben überwiegend prägt. Aber in den Parks, Brachen und Erholungsgebieten erfahren sie sie auch als einen Teil davon. So meint auch Lucia, als wir in der Brache sitzen: »Wo bitte schön sieht man Füchse, Hasen, Wildvögel, Wildschweine so dicht vor der eigenen Nase. Nicht auf dem Land. Aber hier in der Brache! Hier in Berlin« (Gespräch, 15.09.2010). So sehr Hexen also klassische Stadtkritik mit ihren Ritualen an den zurückgezogenen Orten in Berlin bestätigen und üben, so sehr setzen sie ihr mit ihrer religiösen Praxis auch etwas entgegen – nämlich, dass Stadt und Natur sich eben nicht notwendig ausschließen: diskursiv treten sie gar enger zueinander (Feldnotizen, 12.02.2011). Solche Orte auszumachen, die nah am städtischen Leben sind, »und trotzdem alles Gewünschte (Natur mit hohen Bäumen, Wasser, Abgeschiedenheit) zu bieten haben«, bleibt ein schwieriges Unterfangen (Interview mit Faye, 22.12.2015). Dabei spielt ein Stück weit hinein, dass Hexen, selbst wenn sie so einen Ort finden, sich zudem, wie eingangs bemerkt, »willkommen geheißen« fühlen möchten, spüren wollen, ob sie »eintreten dürfen«, wie Franzi sagt. Die Entscheidung, an einem Ort Rituale zu feiern, treffen sie also nie nur allein, sondern es ist – hört man genau hin – in gewisser Weise der Ort selbst, der zu einem Akteur avanciert und der, salopp formuliert, »immer ein Wörtchen mitzureden hat«. Dabei spiegelt sich das neuheidnische, religiöse Grundverständnis, wonach alles um uns herum, jedes Ding für sich, belebt ist und über ein Bewusstsein von sich selbst und anderen verfügt: Der Ritualort wird in diese religiöse Weltsicht aufgenommen und als ein herausgehobener Organismus in der Stadt verstanden. Besonders anschaulich tritt dieses Verständnis bei der Krummen Lanke hervor – dem Ritualort der Mondfrauen. Sicherlich war für seine Wahl entscheidend, dass er Abgeschiedenheit bietet und doch mitten in der Stadt ist. Maßgeblich war allerdings auch, dass Xenia – womit sich gleichsam ihre führende Rolle unter den Mondfrauen bestätigt – diesen Ort schon seit ihrer Kindheit kennt und sich im Laufe der Jahre, wie sie beschreibt, so etwas wie eine »gegenseitige Anziehungskraft« zwischen ihr und dem See entwickelt habe. Die gewohnten Akteursrollen haben sich dabei sogar verkehrt, denn es war gar nicht so sehr sie, wie Xenia erzählt, die die Idee formulierte, hier mit den Mondfrauen Rituale abzuhalten, sondern »der Ort ist eigentlich auf mich gekommen« (Interview, 30.09.2011). Seither sei es manchmal so, dass er sie rufe und sage: »Jetzt müsst ihr mal wieder hin, jetzt liegen mal wieder zu viele Kippen rum, die man einsammeln sollte und jetzt wollen, sollten wieder ein paar Rituale abgehalten werden‹« (Interview, 30.09.2011). Dann kommen nachts die Hexen und reinigen den Ort von dem Abfall der anderen Stadtbewohner*innen und halten ihre Zeremonien ab (vgl. Abb. 16).

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Abbildung 16: Nachts zu Vollmond an der Krummen Lanke

Die Überzeugung von einem Ritualort als einem in sich belebten Organismus, mit dem man interagiert, den man schützt und dem man in gleichberechtigter Weise begegnet, kann als eine religiös intendierte Form von Biophilie gedeutet werden, wie sie gerade auch in der ökologischen Bewegung seit den 1980er Jahren immer stärker propagiert wurde und wird. Die Idee der Biophilie wurde maßgeblich durch den Biologen Edward O. Wilson popularisiert, der damit den (aus seiner Sicht) angeborenen Drang des Menschen beschrieb »to affiliate with other forms of life« (Wilson 1984: 85).32 Für ihn lag hierin die Hoffnung, dass die Menschheit es schaffen würde, die Umweltkrisen, die sich durch die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung zuspitzten, doch noch zu lösen. Die Ritualorte der Hexen geben dieser Hoffnung religiösen Ausdruck und sind dabei immer Orte ökologischen Engagements »im Kleinen«: nicht nur die Mondfrauen, alle Ritualgruppen kümmern sich um das Wohlergehen »ihrer« Ritualorte in der Stadt – was letztlich vor allem konzentrierte Entmüllungen meint. Ein wichtiger Punkt in der Frage nach der Auswahl von Ritualorten in der Stadt, welche Rolle religiöse Weltsichten und dabei soziokulturelle Erfahrungen spielen, fehlt jedoch noch. Hier kommen nun die Riesen unter den Berliner Pflanzen ins Spiel: die Bäume. Zu ihnen pflegen Hexen ein besonderes Verhältnis. Hexen erleben dabei etwas, was über biophile Zugewandtheit hin32 | Inwiefern Edward Wilsons These von der Biophilie vor allem durch die amerikanische ökologische Bewegung beeinflusst ist, diskutiert sehr detailliert Krčmárová (2009). Der Begriff von der Biophilie wurde bereits 1964 von Erich Fromm geprägt, womit er die »Liebe zum Leben« bzw. »Liebe zum Lebendigen« beschrieb (Fromm 1964 [E-Book], Position 455). Wilson verweist nicht auf Fromm und kannte seine Schrift wahrscheinlich nicht.

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ausgeht und was die amerikanische Biologin Donna Haraway (2008) in ihrer Forschung zum Tier-Mensch-Verhältnis als Beziehung von companion species beschrieben hat: Sie empfinden eine äußerst enge, untrennbare persönliche wie kollektive Verbundenheit mit Bäumen. Für diese herausgehobene Stellung spielt sicher eine Rolle, dass Bäume per se stark mythologisierte Lebewesen darstellen und als bedeutungsschwangere Symbole für das Leben, die Welt und das Universum über verschiedenste Religionen und Pantheons hinweg figurieren.33 Hierin mischt sich bei Hexen das Wissen um die naturwissenschaftlich begründete Signifikanz von Bäumen und ihre Notwendigkeit, gerade auch das Ökosystem im Stadtkontext in Balance zu halten. Stadtbäume werden für Hexen gleichsam zu lebendigen Vorbildern, mit den Unwirtlichkeiten urbaner Existenz – dem Schmutz, Lärm, der Hektik – umzugehen und für Ausgleich zu sorgen. Sie sind, wie Melany von den Mondfrauen allegorisch meint, große Lehrmeister, »fest verwurzelt und vielverzweigt zu sein. Im Rhythmus der Jahreszeiten zu blühen, Früchte hervorzubringen und zu ruhen« (Rundmail an die Mondfrauen, 03.09.2014). In Berlin haben Hexen besondere Bäume entdeckt, um die sie sich in intensiver Weise kümmern, die sie mit Ritualen »stärken« wollen und ihre Verbundenheit dokumentieren möchten. Es sind dabei weniger die Bäume, die man in gepflegten Parks und an Seen findet, obwohl sie mitbedacht werden, wie die Zwillingserle am Schlachtensee, die bis vor kurzem bei nächtlichen Zeremonien der Reclaimer*innen besonders geschmückt wurde, oder die Weide am Ritualplatz der Mondfrauen, von der »eine besondere Kraft« auszugehen scheint. Vielmehr jedoch werden zum Mittelpunkt eines Rituals Bäume, die an den motorisierten Schlagadern der Stadt ausharren und dem Schmutz und Lärm der Stadt in besonderer Weise »die Stirn bieten«. Hexen ziehen sich diesmal also nicht zurück, sondern setzen sich hier der Stadt, ihrem »Zuviel« an Energie und ihrer Umweltschädigung direkt aus, ritualisiert in Solidarität mit den Bäumen. Die Mondfrauen sind dabei sehr aktiv. Sie ehren beispielsweise die einbetonierte Platane am Schöneberger Kaiser-Wilhelm-Platz direkt an der B1. Zudem haben sie einen Baum entdeckt, der an einem so ungastlichen Ort wie dem Hindenburgdamm Ecke Gardeschützenweg steht. Es ist, wie sie sagen, ein Götterbaum (vgl. Abb. 17). Er hat es mittlerweile auch zu einer gewissen Prominenz gebracht: Viele Berliner Hexen auch außerhalb der Mondfrauen

33 | Beispielhaft sei hier auf die Weltenesche Yggdrasil in der nordischen Mythologie verwiesen, siehe auch das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit. In der Kabbala werden die göttlichen Wirkungskräfte – die zehn Sephirot – in Form des Weltenbaumes dargestellt, siehe hierzu ausführlich das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit. Ein jüngeres, popkulturelles Beispiel, wie Bäume zu mythologischen Wesen und Symbolen für die Welt und das Leben gerinnen, ist der »Baum der Seelen« im Film Avatar.

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kennen ihn.34 Er steht auf einem Platz, wo sich die Energien der Stadt, wie Xenia sagt, zu einer »energetischen Schadenslinie«35 zusammendrängen. In diesem Zusammenhang setzt sie sich mit den soziokulturellen Entwicklungen sowie den von ihr beklagten städtebaulichen Fehlern des Steglitzer Kreisels auseinander und übersetzt diese in ihre spirituelle Kosmologie. Während eines Spazierganges zu diesem Baum erzählt sie mir: »Das ist der Götterbaum, der im Herbst, so zur Erntedankzeit, zum Neumond, geschmückt wird und der steht da in der Schadenslinie, die von diesem schrecklichen Kreisel ausgeht und wendet das Schlimmste ab […]. [D]as ist einer der Gründe, warum wir Hexen ihn schmücken und umtanzen, weil er hier diesen miesen Job macht, auf dieser Verkehrsinsel.« (Interview mit Xenia am 22.03.2011)

Bei solchen nächtlichen Tänzen auf der Verkehrsinsel wie auch bei den magischen und spirituellen Handlungen in Parks und an Badeseen wird, wie eingangs vermerkt, immer darauf geachtet, dass die übrigen Stadtbewohner*innen wenig davon erfahren, dass man also weiterhin unsichtbar bleibt. 34 | Wann immer ich zusammen mit Hexen in einem Witch-Mobil unterwegs war und am besagten Götterbaum vorbeigefahren wurde, wies eine der anwesenden Hexe standardmäßig auf den Baum hin, was teilweise auch eine humoristische Note trug (weil es alle wussten, aber es immer jemanden gab, der/die den Wunsch, diesen Baum hervorzuheben, nicht »unterdrücken« konnte). 35 | In dem Begriff und Konzept der »energetischen Schadenslinie« spiegelt sich die Idee der sogenannten ley lines. Der Begriff wurde von dem britischen Hobbyarchäologen Alfred Watkins in den 1920er Jahren für die Wegverbindungen zwischen Megalith-Steinen, Festungen und Kirchen entwickelt. »Ley« bzw. »lay« war als Wort häufig in den Landschaftsbezeichnungen oder der Bezeichnung von Farmen enthalten, wo sich die Wegverbindungen, die Watkins untersuchte, befanden. Daran orientierte er sich bei der Wortschöpfung (z.B.: Ley Farms, Tumpey Ley und Red Lay, in der Gegend um Letton, siehe Watkins 1925: 12). In den 1960er Jahren wurden ley lines von der New-Age-Bewegung als Wege mit besonderer Intensität von Strahlung bzw. besonderer Energie umgedeutet. Diese Energie, so die entwickelte Überzeugung, kann man unter anderem mit okkulten Methoden wie dem Wünschelrutengehen ausfindig machen. Solche Energien, davon wird ausgegangen, haben immer Auswirkungen auf die Menschen, die an solchen Orten leben. Entsprechend der Umwelt können diese Energien »schädlich« oder auch beispielsweise »heilend« wirken. Meist wird das Konzept der ley lines oder »Energielinien« vor allem für Wege zwischen megalithischen Monumenten, außerhalb der Stadt angewendet. Indem Xenia die Idee von Energielinien auf eine dichtbefahrene Kreuzung bezieht, urbanisiert sie dieses Konzept. Siehe zum Konzept der ley lines bzw. der Energielinien, wie es in (neu-)heidnischen Gruppierungen gepflegt wird, auch den Artikel von Lucas (2007).

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Spätestens wenn der Morgen graut, sind die Hexen weg und das Ritual vorbei. Doch bei aller Verstecktheit, die die Hexen in ihrer religiösen Praxis nachts in Parks und auch an Kreuzungen suchen und herstellen, sind die Grenzen des Verborgenen mitunter doch nicht so stark gezogen. Immer wieder entstehen Formen der Durchlässigkeit und versuchter Sichtbarkeit. Momente und Orte der Liminalität werden geschaffen.

Die »Superzeichen« der Hexen – Liminale Orte in der Stadt Es sind die materiellen beziehungsweise materialisierten Hinterlassenschaften der rituellen Handlungen der Hexen, die hier bedeutsam werden: aus Mehl, Korn und/oder Blumen gestreute Spiralen, gelegte Steinkreise, mit Federn und Muscheln behangene Bäume oder an Badestellen gelegte Runen (vgl. Abb. 18). Diese tauchen im Stadtkontext immer wieder auf. Selbst Rituale, die in den Wohnungen stattfinden, werden »nach außen« transportiert: in die Hinterhöfe und Vorgärten, wenn sie während und nach einer Feier dort errichtet, gezeichnet und kurz festgehalten werden. Abbildung 17: Der geschmückte Götterbaum am Hindenburgdamm

»[…] ein Zeichen für das Tiefenbewusstsein aller Menschen, die auf dem Weg zum Einkaufen sind, zum nächsten Termin vorbeihasten: Bäume sind verehrungswürdige Wesen, ohne die wir nicht leben könnten.« (Melany von den Mondfrauen, Rundmail vom 03.09.2014)

Die komplexe Kosmologie, die diesen Zeichen unterlegt ist, ist denjenigen außerhalb der neuheidnischen Hexenreligion unbekannt. Dabei werden Spiralen – die den endlosen Lebenskreislauf von Geburt, Reife und Wiedergeburt

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versinnbildlichen sollen – meist von außen als wunderschönes Kunstwerk wahrgenommen. Tauchen sie an öffentlichen Badestellen auf, schreiten einige Neugierige sie ab. Pentagramme hingegen gelten eher als jugendlicher Unfug. Abbildung 18: Aus Mehl und Blumen gestreute Spirale an der Krummen Lanke tagsüber

Die Präsenz von Hexen und ihr spirituelles Weltbild treten also wenig klar hervor. Sie sind aber auch nicht vollkommen unsichtbar. Diejenigen, die nicht in die Hexenreligion eingeweiht sind, fragen sich: Woher kommen die Spiralen? Was sollen sie bedeutet? Wer hat den Baum geschmückt und warum? Ist der Steinkreis Kunst, vielleicht ein archäologischer Fund? Mit diesem liminalen Zustand, der nicht eindeutig Auskunft gibt und zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verharrt, wird ein wichtiges Merkmal der Hexenreligion und der Hexen vermittelt: Einmal mehr ist es die Positionierung auf der Grenze zwischen den Welten, wo andersgeartete Wirklichkeiten aufeinandertreffen und wo – nach Auffassung der Hexen – Veränderungen in der Welt, in der wir leben, ermöglicht werden. Xenia sieht denn auch in solchen Orten im Stadtkontext »Superzeichen« und führt dazu aus: »Alles, was wir da [an der Krummen Lanke, am Hindenburgdamm, V.H.] machen, hat auch einen Bezug zur Stadt. Es sind sogenannte Superzeichen, die wir machen [Spira-

Liminal sein le streuen, Ritual performieren, Baum schmücken, V.H.], auch, um im Bewusstsein, im archaischen Bewusstsein von den Menschen eine Art, ja, eine Art Rückverbindung zu der Erde herzustellen. Also, wir wollen so eine Art Achtsamkeit evozieren. Das machen wir […] für das Bewusstsein der Städter im Grunde.« (Interview, 30.09.2011)

Wie identitätsstiftend die Liminalität dieser Ritualorte für Hexen ist – verborgen in ihrer komplexen Bedeutung und doch markiert für Stadtbewohner*innen – wird deutlich, als die Mondfrauen darüber anfingen nachzudenken, ihren Ritualplatz offiziell von der Stadt Berlin als solchen anerkennen zu lassen. Die Überlegung resultierte aus dem Wunsch, ihren religiösen Vorstellungen größere gesellschaftliche Legitimität und damit wiederum auch Sichtbarkeit im Stadtkontext zu verschaffen. So erzählte mir Xenia schon im ersten gemeinsamen Interview, dass sie und die Gruppe gern möchten »[…] dass wir Hexen […] einen heiligen Ort haben […]. Dass wir da das Recht haben, unser heiliges Feuer zu entzünden, unser Ritual zu machen, weil die Hexenreligion eben eine Religion ist und bei uns die Religionsfreiheit gilt, auch wenn wir ganz Wenige sind. […] Ich weiß nicht, ob dann beispielsweise an der Krummen Lanke ein Schild angebracht wird: Hier ist ein heiliger Hexenplatz.« (Interview, 30.09.2011)

Sie lachte und überlegte kurz, wiegte ihren Kopf hin und her und fuhr dann fort: »Das kann halt sein, dass dann zu Vollmond […] Schaulustige kommen und dass das dann ausufert«. Sie hielt kurz inne und fügte hinzu: »Ich würde diesen heiligen Hexenplatz dann doch nicht öffentlich machen […]« (Interview, 30.09.2011). So wird er in einem Schwellenzustand gehalten zwischen Präsenz – die Zeichen, die bewusst kreiert und nicht verwischt werden – und doch Unsichtbarkeit – durch die Schwierigkeit derjenigen außerhalb der Hexenreligion, diese Hinterlassenschaften zu »lesen«: Er bleibt ein rätselhafte »Superzeichen« in der Stadt.

D er Tag in der S tadt und die (U n -)S ichtbarkeit der  H e xen Es ist die nächtliche Stadt, die für die Hexen in der Regel zum Aktionsraum ihrer Religion wird. Es gibt aber auch die Ausnahme dazu. So passiert es, dass Hexen – wenn auch äußerst selten – bei Tageslicht Rituale in der Stadt durchführen. Dabei nutzen sie stets Orte, die als öffentlich im Stadtkontext gelten. Sie treten damit bewusst ins Sichtbare, doch zugleich liegt ihnen daran, die Situation des Verborgenen ihres Hexeseins nicht ganz zu verlassen. Dabei stellt sich die Frage, wie es Hexen gelingt, in einem Moment erhöhter Aufmerksam-

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keit bei Tage diesen spezifischen Zustand des Dazwischen und der Liminalität zu erzeugen. So hatte Xenia beispielsweise die Idee, ein Ritual direkt am Denkmal für die ermordeten Juden Europas – am Stelenfeld – durchzuführen. Für einige Frauen innerhalb ihrer Gruppe repräsentiert dieses Denkmal in besonderer Weise einen magischen Ort. Magisch ist er, weil er in seiner kreierten physischen Beschaffenheit und mit der Vielzahl von Menschen, die sich dort versammeln, die Gegend, die kollektiv auch als ehemalige Zentrale nationalsozialistischer Macht erinnert wird, mit neuen Bedeutsamkeiten ausstattet und damit also Veränderungen hervorbringt: ein zentraler Bestandteil von Magie. Entsprechend meinte Melany auf meine Frage, warum das Stelenfeld magisch sei: »[D]u siehst Menschen dort lesen, die sitzen auf diesen Steinen, und du vergegenwärtigst dir diesen schlechten historischen Hintergrund, warum das gebaut wurde […]. Ich denke einfach, dass so etwas Schreckliches wie das, was passiert ist, dadurch […] gewandelt wird, durch […] die Menschen, die da einfach ganz locker sitzen in der heutigen Zeit. […] Das ist magisch. Es hat eine Magie, weil es sich wandelt. Das Negative wird durch das Positive ersetzt.« (Interview 20.08.2013)

Will man hier ein Ritual durchführen, setzt man sich dem diskursiv schwierigen Feld deutscher Erinnerungskultur aus. Für selbsternannte Hexen ist es in diesem Zusammenhang kaum möglich, zugleich religiös, öffentlich und sichtbar zu agieren. Hierfür fehlt ihnen die notwendige gesellschaftliche Legitimität. Hinzu kommt, dass selbst unter Hexen keineswegs Einigkeit über den magischen Charakter des Stelenfeldes und sein Potential als Ritualort herrscht. Die rhetorische Härte, mit der man diesen Gedanken teilweise diskutiert und ihm begegnet, offenbart nicht zuletzt die allgemeine Intensität historischer Auseinandersetzung, die die modellierte Gedenklandschaft Berlins hervorbringt und reproduziert.36 So entgegnete Britta, als sie von der Idee erfuhr, dass das Stelenfeld einen magischen Ort oder Ritualplatz darstellen könnte, unumwunden: »Das Stelenfeld finde ich absolut abstoßend. Energetisch ist es die absolute Hölle. Kann ich nicht ertragen. Ich bin einmal daran vorbeigegangen. Ich bin noch nicht einmal reingegangen. Nein, auch schon vorher von den Bildern her, als die ganze Diskussion um die Bebauung war, habe ich das immer als negativ empfunden. […] Da ist doch nichts,

36 | Ausführlicher zur modellierten Gedenklandschaft Berlins und die Auseinandersetzung um Geschichte und Erinnerung, die damit seit der Wiedervereinigung ausgelöst wurde, siehe Till 2005.

Liminal sein das ist nur Beton. […] Das ist für mich ein so unheidnischer Ort, unmagischer Ort, weil da keine Natur ist, gar nichts […].« (Interview, 26.08.2013)

Doch gerade die Umstrittenheit in den eigenen Reihen und die Schwierigkeit, einen solchen Platz als neuheidnischen Ritualort zu nutzen, aktiviert bei manchen der Hexen wiederum einen zentralen Aspekt des Selbstverständnisses als Hexe: »Hexe zu sein«, so meinte Xenia zu mir am Telefon, als wir uns über das Ritual unterhalten und ich nochmals sagte, wie schwierig ich mir dessen Durchführung vorstellte (»Warum dort, ausgerechnet?«), »hat auch immer etwas Anarchisches und gerade deshalb sollten wir solche Plätze auch besetzen. Wir stellen uns gegen die Regel« (Telefonat, 23.02.2012). Xenia hatte dieses Ritual am Stelenfeld übrigens schon lange realisiert, wobei sie sich einen gesellschaftlich äußerst legitimen religiösen Partner zur Seite stellte – den bekannten buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh. Mit ihm und einigen seiner Weggefährten durchwanderte sie das Stelenfeld. Für Xenia avancierte diese Unternehmung zu einem »Hexenspaziergang« und wurde damit zu einem Ritual, in dem der Trauer um die ermordeten Juden nachgespürt und dem Ort die eigene »Energie« von Leichtigkeit gebracht wurde (Telefonat, 23.02.2012). Quasi in der Gruppe von Buddhisten und damit im Schutz einer anerkannten und in der westlichen Hemisphäre geradezu begehrten Form religiöser Identifizierung wurde sie mit ihren religiösen Handlungen sichtbar. Zugleich blieb sie als Hexe unsichtbar. Sie befand sich in einem liminalen Zustand, weder das eine noch das andere zu sein, wie der Ort des Rituals, den sie erschuf. In Kreuzberg am Landwehrkanal fand vor einiger Zeit ebenfalls ein spontanes, eher klein gehaltenes Ritual mitten am Tag statt. In einem Wochenend-Workshop, der im letzten Abschnitt dieses Kapitels noch genauer beleuchtet werden soll, hatten sich einige Reclaimerinnen zusammengefunden. Sie wollten sich mit Loki auseinandersetzen. Es ging ihnen darum, ihre eigene, persönliche Beziehung zu Loki zu erkunden. Curtis, die Workshopleiterin, schlüpfte hierfür in die Rolle der Mutter von Loki und verwandelte sich gleichsam in sie – in Bewegung, Gewandung und Sprechweise (Feldnotizen 01.03. bis 03.03.2013). Als solche entschloss sie sich einige Tage nach der Zusammenkunft mit einer Kursteilnehmerin, einen Spaziergang zur Weltenesche zu unternehmen, einem Baum, der in der germanischen Mythologie den gesamten Kosmos umspannt und verkörpert. Auf diese Weise sollte ein ritueller Schlusspunkt für den Workshop gesetzt werden. Die Weltenesche in Kreuzberg ist ein Baum am Landwehrkanal, der in diesem Ritual als Weltenbaum imaginiert wurde. In Ritualkleidern begab man sich zu ihm, kletterte hinauf und laut wurde sich für die Kraft, die er gibt, bedankt. So sehr Curtis und ihre Mitstreiterin hier in die Öffentlichkeit traten und mit ihrer spezifischen neuheidnisch-hexischen Weltsicht sichtbar wurden, blieben sie doch ein Stück weit unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit resultierte aus der Spezifik des

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Stadtbezirkes: Laut einer Hertie Berlin Studie von 2008 gehört Kreuzberg zu den sogenannten »Kreativbezirken«. Damit bezeichnen die Verfasser*innen der Studie – wie schon im zweiten Kapitel vermerkt – Gegenden in Berlin, wo »Künstler und Kulturleute, Kreative, Aufsteiger, Studenten und Einwanderer […] mit einer innovativen und risikofreudigen Mentalität« leben.37 Hexen, so exzentrisch diese Selbstbezeichnung auch erscheinen mag, können genau an einem solchen Ort sichtbar werden, ohne soziale Marginalisierung zu befürchten, denn in ihrer vermeintlichen Exzentrik entsprechen sie den kulturellen Zuschreibungen Kreuzbergs, ja, sie verkörpern sie geradezu. Öffentlichkeit im Sinne von Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit können sie dabei kaum generieren. »Das hat wirklich niemanden interessiert«, wie Curtis zu mir sagte, als ich sie nach den Reaktionen fragte, »nicht mal umgedreht haben sie sich« (Feldnotizen, 16.05.2013). Mit großstädtischer Blasiertheit – um Georg Simmels Vokabular aufzugreifen – wurde über das Ritual hinweggesehen. Laut Georg Simmel bedeutet Blasiertheit die Unfähigkeit, auf neue Reize angemessen zu reagieren, was er als Folge einer Art Reizüberflutung in großstädtischen Zusammenhängen interpretiert. Dinge werden zwar noch registriert, aber die Unterschiede der Dinge und damit die Dinge selbst werden als nichtig empfunden. Alles erscheint in gleichmäßig matter und grauer Tönung (Simmel 1903). Hexen konstituieren an diesem Ort, um bei Simmels Metapher zu bleiben, eben keine Farbigkeit, also Besonderheit, die es wert wäre, dem anderen vorgezogen und damit beachtet zu werden. Sie werden sichtbar und bleiben doch unsichtbar. Sie im Turner’schen Sinne als liminal zu bezeichnen, wäre jedoch in diesem Fall etwas voreilig – eine analytisch wertvolle Kategorie, die bei näherer Betrachtung hier nicht so ganz passen will. Denn der liminale Zustand ist auf eine Wahrnehmung von außen als eine irgendwie abweichende, andere Situation angewiesen, so minimal und nur für den Moment dies auch sei. Diese Wahrnehmung ist konstitutiv, wie auch die Intention, in der Weise registriert zu werden, zentral ist. Doch so wie für die Kreuzberger Passant*innen das Ereignis keine Relevanz generierte, so unwichtig schien es für Curtis und ihre Mitstreiterin, dass Außenstehende in irgendeiner Form Notiz nehmen. Statt Liminalität zeigt sich hier eher ein weiteres Beispiel für die Virtuosität, mit der Hexen sich auf die Spezifik des urbanen Kontextes einlassen: Sie sind kompetente Großstädterinnen, die es verstehen, auch am »helllichten Tag« als Hexen ausdrucksstark aufzutreten und dabei im soziokulturellen Ensemble der Stadt (unerkannt) aufzugehen.

37 | Hertie Berlin Studie 2008, Online-Ressource: Die Berliner Lebenswelten im Überblick. www.hertieberlinstudie.de/presse/pressematerial/texte/Lebenswelten_Ueberb​ lick.pdf, letzter Zugriff: 28.02.2017.

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W ieder unsichtbar – W ieder zu H ause Während meiner Forschung und durch die Teilnahme an der Vielzahl von Ritualen musste ich immer wieder feststellen, wie wenig ich die Stadt, in der ich doch geboren wurde und aufgewachsen bin, kannte: Ich drang in Gegenden vor, die ich nie zuvor gesehen hatte. Dies lag allerdings nicht nur daran, dass mich Hexen zu ihren Orten gefühlter Gegensätze führten, zu den Ritualplätzen, die sie als lebende Organismen verstanden, oder weil sie mich mit Götterbäumen bekannt machten. Ein Grund war auch, dass etliche Rituale bei Hexen zu Hause stattfanden. Einige Hexengruppen haben dabei ein rotierendes System entwickelt. Jede, die dazugehört, ist in regelmäßigen Abständen an der Reihe, ihre Wohnung zur Verfügung zu stellen, wobei es Hexen gibt, bei denen häufiger Rituale stattfinden – eine Art »Stammwohnung« der jeweiligen Gruppe – und andere, deren Zuhause eher seltener als Ritualort dient. Hierbei wirkt allgemeine Erreichbarkeit entscheidend, wie auch die Möglichkeit, in einem Mietshaus von den Nachbarn während des Rituals gehört zu werden, was man vermeiden möchte, aber in der städtischen Dichtgedrängtheit schwer vermeiden kann. Da Hexen sehr verstreut in der Stadt leben, führten mich viele (Stuben-)Rituale in ein anderes Viertel, dabei immer hinein in eine individuelle Lebenswelt und zu einem einzigartigen zeremoniellen Ort im urbanen Kontext. Wie eingangs bemerkt, sind die Rituale, die in den einzelnen Wohnungen stattfinden, besonders elaboriert: Sie sind zeitlich länger als draußen und mythologisch oft sehr komplex grundiert. In den Zeremonien geht es vor allem um eines: das ganz persönliche Leben, um die individuellen Glücks- und Erfolgserlebnisse, um die eigenen Wünsche, Geheimnisse und Lebensgeschichten, Unsicherheiten und Krisen. Folgt man religionswissenschaftlichen Begrifflichkeiten, so kann man in den Ritualen zu Hause eine Sakralisierung des Selbst par excellence erkennen (Heelas 1996; Aupers/Houtman 2008). Doch sind sie wirklich derart und ausschließlich auf sich selbst fixiert? Wie beschreiben die Hexen solche Zeremonien? Worum geht es ihnen dabei genau und welche rituellen Ausdrucksformen finden sie dafür? Dem werde ich detailliert nachgehen. Dabei soll der konkrete Ort des Rituals nicht vergessen werden. Wie die eigenen vier Wände zu einem Ritualplatz verändert werden, spricht für die Kreativität der Hexen und zeigt nochmals, dass Wohnungen in der Stadt entscheidende soziokulturelle Laboratorien darstellen – einen zutiefst alltäglichen und zugleich dem Alltag entrückten urbanen Ort lebensweltlicher Innovationen.

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Wandel und Selbstermächtigung Als Anna und ich bei ihr zu Hause einen Tee tranken, sinnierten wir ein wenig über die zurückliegenden Rituale und darüber, welche demnächst anstanden. Dabei bemerkte Anna, dass sie die Jahreskreisfeste »draußen«, in der Stadt, in der Natur zwar mochte, »aber sie sind nicht so tiefgreifend. Man erinnert sich, wie der Gang der Welt und der Dinge ist, wie unsere Nahrung entsteht und geerntet wird. Es ist schon ein festlicher Akt, aber eben ein Fest«. Sie überlegte, suchte nach Worten und nach einer langen Pause meinte sie: »Ich unterscheide da zu den Ritualen, die mit einer bestimmten Intention getätigt werden, […] nämlich, dass wir uns auf den Weg machen, uns selbst besser zu erkennen: Das geht in die Tiefe. Da gibt es die Trance […], wo Fragen auftauchen oder sich eröffnen, oder Fragen den Weg weisen. Es geht um die eigene Arbeit in einem selbst. Da passiert etwas. […] Keine Ahnung, ich habe auch schon Rituale gemacht, da hat es richtig gescheppert.« (Interview, 13.07.2014)

Im Verlauf des Gesprächs fand Anna den bereits erwähnten Begriff dafür: Ermächtigungsrituale.38 Sie betonte damit, wie sehr es bei der angestrebten Selbsterkenntnis, die auch schmerzlich sein kann (»richtig scheppern kann«), um die Stärkung der eigenen Persönlichkeit geht, wobei »Ermächtigung« im Sinne des politischen Konzepts des »Empowerment« gemeint ist und hier den feministischen Gedanken signalisiert, dass es gerade um die Stärkung von Frauen geht. Es ist interessant, dass Anna in diesem Zusammenhang von der »Arbeit in sich selbst« spricht, weil es die self-work ethic pointiert in Worte fasst: eine Arbeitsethik und -definition, wie sie der Religionswissenschaftler Paul Heelas für die spätkapitalistische Ära ausmacht und gerade den Protagonist*innen neureligiöser Gruppierungen zuschreibt. Arbeit, so führt er aus, wird mehr und mehr von der Idee der Erwerbstätigkeit entkoppelt und stellt zunehmend eine Frage der Selbstreflektion und -optimierung dar. Er beschreibt die Logik so: »The self as a self […] has to work on itself to enrich and explore itself, in the process of dealing with its problems.« (Heelas 2002: 80). Die Zeremonien, die Anna beschreibt, sind in gewisser Weise ritualisierter Ausdruck dieser Arbeitsethik, wobei sie zugleich über Heelas Idee hinausreichen, da die Arbeit an sich selbst letztlich Veränderungen hervorbringen soll, die über das Selbst hinausgehen und in die Gesellschaft hineinwirken. Manche Hexen sprechen in diesem Zusammenhang auch von Arbeitsritualen. Einige jedoch reden eher von Themenritualen. Sie stellen damit heraus, dass die Unterscheidung zu den Jahreskreisfeiern nicht darin liegt, dass man hier 38 | Siehe weiter oben des vorliegenden Kapitels »Anlässe und Inhalte von Hexenritualen«.

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mehr »in die Tiefe gehen« würde und man mehr an und »in sich arbeitet«, wie es Anna beschrieben hat. Dies passiere auch bei den Festen im Jahreslauf und wäre zentraler Bestandteil davon – innerlicher und äußerlicher Wandel treten hier auf das Engste zusammen. Themenrituale lägen einfach nur jenseits des Jahreslaufs (und auch der Mondphasen). Es gehe nicht so sehr um die Rückverbindung mit der Natur, sondern untereinander, in der Gruppe und mit Blick auf ein bestimmtes Thema, seine Verletzbarkeit rituell zu zeigen und die Ruhe zum gegenseitigen Austausch zu finden, was auch als Akt der Heilung begriffen wird.39 Die Wohnung als der zentrale Austragungsort wird dabei zum schützenden Privatraum. Die Maßgabe ist: »Alles, was hier gesagt wird, bleibt hier. Hier sind wir sicher« (Feldnotizen, 16.10.2011). Die Ruhe, der Schutz und die Abgeschirmtheit eröffnen die Möglichkeit für besondere zeremonielle Umsetzungen. Blickt man auf die Reclaimer*innen und die Mondfrauen, deren Rituale ich hauptsächlich besucht habe, kann man dabei Folgendes festhalten: So wird für die symbolische Gestaltung solcher Rituale in den Wohnungen vor allem auf Mythen bzw. Göttersagen, Balladen und Legenden zurückgegriffen.40 Man bringt sie gemeinschaftlich zur Aufführung und durchlebt sie auf diese Weise. Wie die jeweiligen Texte ausgewählt und performativ umgesetzt werden, gleicht dabei dem, was als »textual poaching« bezeichnet werden kann – ein Begriff, der auf Michel de Certeau zurückgeht. Er beschreibt damit Formen »aktiven Lesens«, bei dem der/die Leser*in aus literarischen Schriften nur jenes für sich anerkennt und herausgreift, was für sie oder ihn von Nutzen erscheint und Vergnügen bereitet. De Certeau merkt an: »Far from being writers […] readers are travellers; they move across lands belonging to someone else, like nomads poaching their way across fields they did not write, despoiling the wealth of Egypt to enjoy it themselves« (De Certeau 1984: 174). Wenn Hexen in den Texten, die sie selbst nicht geschrieben haben, »wildern«, dann geht es ihnen um gelungene Rekombinationen, mit denen sie sich selbst und damit die Welt besser erkennen können. Bei den Mondfrauen entsteht dabei eine Synthese aus unterschiedlichsten mythologischen Erzählungen und Ausdrucksformen. Man nimmt nordisch-keltische, östlich-asiatische wie indianische Pantheone auf und inkorporiert Krafttiere und Geister – imaginierte mythisch-symbolische Begleiter*innen des Menschen. Sie kommen im Ritual zur Geltung. Dabei gestalten sich die Ritu39 | Zu Formen und dem Konzept von Heilung in neureligiösen Gruppierungen gibt es eine Vielzahl historisch wie gegenwärtig ethnografisch gelagerter Literatur. Beispielhaft sei hier verwiesen auf: Simon/Lefeldt/Uhlig 2014; Ross 2012; Goldman 2012; Voss 2011; Badone 2008; Lindquist 2005; Csordas 2002; Brady 2001; Sheikh/Sheikh 1989. 40 | Wie sehr der Umgang mit solchen Texten bzw. Mythen und ihre rituelle Um- und Neuinterpretation die Historie der Hexenreligion und dabei der westlichen Esoterik per se prägt, siehe das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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ale hochgradig performativ, lassen Raum für Improvisationen und enthalten wenige verbale Elemente – die Frauen, wie sie es beschreiben, »ertanzen« sich Gött*innen und »ziehen« sie so in sich »hinein«, werden gleichsam zu ihnen. Sie »rufen« Geister herbei. Sie verkörpern Krafttiere, wodurch sie sie im Kreis präsent machen. Bei den Reclaimer*innen greift man im Gegensatz dazu dezidiert einzelne Legenden und Gött*innen heraus. Sie stellen oft Ausgangspunkt eines ganzen Zyklus von Ritualen dar, die man zusammen feiert: Gesprochenes Wort und Verkörperungen halten sich die Waage. Die Reclaimer*innen haben in der Kreation solcher Zeremonien eine erstaunliche Perfektion entwickelt, was an der Tradition liegt, der sie sich zuordnen. Im Reclaiming gehört der Rückgriff auf Mythen, Legenden und Märchen zur grundständigen Ritualpraxis. Dies liegt weniger darin begründet, dass die jeweiligen Erzählungen als moralische Lehrstücke betrachtet werden, die zeigen, wie man sein sollte und wie es sich zu leben lohnt. Vielmehr begibt man sich als Person im Ritual auf eine transformative journey, eine Reise, die als magisch erlebt wird. Dabei verändert man nicht nur sich allein, sondern auch die Geschichten werden bewusst umgestaltet. Wie Starhawk und Hilary Valentine schreiben: »Wenn wir auf einen Aspekt der Geschichte stoßen, der uns problematisch erscheint, begrüßen wir ihn als willkommene Gelegenheit, mit dem Material, das er uns liefert, durch Meditieren, Reflektieren und Rituale umfassend zu arbeiten. Dabei entwickelt sich die Geschichte weiter und verwandelt sich. Vielleicht erfahren wir nie, welche Absicht die ersten Erzähler und Erzählerinnen damit verfolgt haben, aber wir können ergründen, was unsere eigenen Absichten sind und inwiefern die Geschichte für uns von Bedeutung ist.« (Starhawk/Valentine 2001: 29)

So haben im Laufe meiner Feldforschung die Berliner Reclaimer*innen einen Großteil der nordischen Mythologie in einem zweijährigen Zyklus von Zeremonien gemeinschaftlich »durch-«ritualisiert. Der Zyklus war durch ein Buch der amerikanischen Fantasy-Schriftstellerin und bekennenden Neuheidin Diana L. Paxson inspiriert, ein Buch, in dem sie Rituale entlang der Runenreihe, dem sogenannten älteren Futhark, entwirft (Paxson 2005). In jeder Zeremonie steht jeweils eine Rune im Mittelpunkt und man widmet sich den Göttersagen, die sich um diese ranken und führt sie auf. Ritualzyklen werden von Reclaimer*innen allerdings auch losgelöst von bestimmten Vorlagen und -bildern entwickelt – wie beispielsweise der bereits erwähnte Loki-Workshop, den Curtis entwarf und in der Gemeinschaft anbot. Gerade weil er derart frei gestaltet wurde und damit zugleich das von Hexen gepflegte Grundverständnis vom Ritual als Ausdruck der eigenen Kreativität und als Kunstform an sich emblematisch macht, möchte ich ihn beispielhaft näher betrachten. Wie genau werden solche Mythen und Legenden, Götter-

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sagen und Märchen in die urbane Wohnung geholt? Wie funktioniert hier die Ortsherstellung auch in ihrer sinnlichen Komplexität? Wie also riechen ein Mythos und ein Gott in der Wohnung, wie bewegen sich Körper und wie fühlt sich das an? Curtis hatte die Rituale für die Dauer von drei Tagen konzeptualisiert. Sie lud die Reclaimer*innen und interessierte Hexen zu sich nach Hause in ihre kleine Kreuzberger Wohnung ein, um sich von dort aus, wie es in einer Online-Ankündigung hieß, »auf eine ungewöhnliche Reise [zu] begeben, die uns von Midgard weg in die Regionen Asgards und auch Jötunheims und darüber hinaus führt«. Auffordernd lautete der letzte Satz: »Habe den Mut altes [sic!] hinter Dir zu lassen, neues [sic!] zu erfahren und für Dich selbst einzustehen!«41 Eine kleinere Gruppe von sechs Reclaimer*innen und ich fanden sich schließlich in Curtis’ Stube ein. Die Wohnungsklingel wurde abgestellt, Curtis’ Partner Matti in seine eigenen vier Wände geschickt, Iggy, der Kater, in eine andere Wohnung verfrachtet. Dies war nun ganz ein Ort der Hexen. Curtis entzündete die Kerzen auf dem errichteten Loki-Altar. »Loki-Duft« lag in der Luft: die Wohnung war ausgeräuchert42 mit einer Mischung aus Lavendel, Minze und ein wenig Zitrone: erfrischend und doch im Mix ungewöhnlich und zugleich markant, wie wohl Loki selbst. In den Ritualen, die folgten, trat Curtis, in ein grünes Chapatikleid gewandet, als Lokis Mutter auf, berichtete von dem Dasein ihres Sohnes, was von uns, den anwesenden Frauen, mal mit Klatschen, dann wieder mit bewundernden Zurufen und angespanntem Schweigen begleitet wurde. Sie schritt bedächtig, dann wieder schneller durch die Wohnstube, lachte, wurde ernsthaft, senkte und hob ihre Stimme. Mit ihren Erzählungen, die durchsetzt waren von intellektuellen Ausführungen zur Mythenforschung, entfaltete sie ein geradezu religionswissenschaftliches Schauspiel, mit dem sie uns durch die Rituale geleitete und das hierbei Erlebte performativ und zugleich in ihrer Rolle abstrakt-reflexiv immer wieder kommentierte.43 Das Ineinandergreifen rituellen Handelns und wissenschaftlicher 41 | https://curtisnike.wordpress.com/tag/midgard/, letzter Zugriff: 01.09.2017. 42 | Bei der Technik des Ausräucherns einer Wohnung wird mit einer Räucherschale und den darin enthaltenen Kräutern die gesamte Wohnung rituell abgeschritten. Mit dem Ausräuchern von Wohnungen sollen sie von, wie Hexen es in Worte fassen, störenden Energien gereinigt werden. Man tritt vom Alltag in die Ritualzeit ein – dies auch durch den Duft, der sich verbreitet. 43 | Wenn ich hier zwischen Ritual und Schauspiel eine leichte analytische Unterscheidung setze, so lasse ich mich von Victor Turners Ausarbeitungen leiten. In seinem Buch »Vom Ritual zum Theater« entwickelt er den Gedanken, dass das Schauspiel/Theaterstück eine Kunstform ist, die aus dem Ritual und dem Sozialdrama – mit dem Begriff fasst Turner Situationen, in denen es zu einer Erschütterung der Regeln des Zusammenlebens kommt und Wege aus dieser Erschütterung gesucht werden – hervorgegangen

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Ausführung machte den religiösen Genuss entscheidend aus.44 Curtis wurde dabei zur Mediatorin zwischen der mythischen Welt der Gött*innen und Riesen und der Welt der Menschen und zog jede Einzelne in diese Welten mit hinein. Es war die Wohnung selbst, die in ihrem ganz besonderen Duft, dem Klang und ihrer Ausgestaltung zum Ort Midgard, dann wieder Asgard und Jötunheim avancierte – fernab vom Kreuzberger Kiez und zugleich mittendrin. Im Laufe der Rituale wurde die Legende Lokis in wechselnden Performanzformen umgesetzt. So forderte Curtis uns beispielsweise auf, uns gegenseitig zu lebenden »Loki-Skulpturen« zu formen. Das Modellieren menschlicher Figuren, die sodann miteinander interagieren, ist eine aus der Psychologie bekannte therapeutische Methode, wobei die Inspiration hierzu wiederum vor allem aus der Schauspiel- bzw. Theaterkunst stammt: Im Rollenspiel soll die Erkenntnis über sich selbst und andere befördert und so psychische Problematiken überwunden werden.45 Hier nun, in Curtis Wohnung, wurde diese Methode in eine ist. Im Schauspiel werden Möglichkeiten, aus der Erschütterung/Krise herauszufinden, aufgezeigt und Momente der Reflexion geboten. Turner schreibt: »By means of such genres as theatre, including puppetry and shadow theatre, dance drama, and professional story-telling, performances are presented which probe a community’s weaknesses, call its leaders to account, […] portray its characteristic conflicts and suggest remedies for them, and generally take stock of its current situation in the known ›world‹« (Turner 1982: 11). 44 | In diesem Umstand dokumentiert sich der Unterschied zu den etablierten monotheistischen Religionen nochmals maßgeblich, dienen doch die Zeremonien/performierten Liturgien der etablierten monotheistischen Religionen vor allem dazu, Formen abstrakt-wissenschaftlichen Denkens zumindest für die Dauer der Zeremonie außen vorzulassen und die proklamierten Weltdeutungen anzuerkennen – zu »glauben«. 45 | Historisch lässt sich dies insbesondere für die psychotherapeutische Ausrichtung des »therapeutischen Theaters« und für die Gestalttherapie aufzeigen (Bocian 2007: 75-81). Die Methode der »lebenden Statuen« kommt vor allem auch in der sogenannten familienpsychologischen Diagnostik zum Einsatz, hier als »Skulpturtechnik« benannt: Die Familienmitglieder stellen sich als lebende Statuen im Raum auf, wobei der Abstand, die Mimik, Gestik, Körperhaltung und Blickrichtung die Familienbeziehungen veranschaulichen und vergegenwärtigen sollen (Amelang/Schmidt-Atzert 2012: 349-352, bes. 351). Ein ganz ähnliches Funktionsprinzip ist der Methode der (Familien-)Aufstellungen unterlegt, wobei hier das Rollenspiel hinzukommt. Die Methode der (Familien-) Aufstellung (dabei auch der Familienskulpturen) wurde maßgeblich durch die Psychologin Virginia Satir entwickelt (Satir 1964, 1972, 1988). Gerade bei Reclaiming sind die Anleihen bei psychologischen bzw. psychotherapeutischen Zugängen ausgeprägt, was auf den Entstehungskontext zurückzuführen ist: die New-Age-Bewegung im Kalifornien der 1960er/1970er Jahre, aber auch in Teilen die neureligiösen Bewegungen, die bereits in den 1930er Jahren in Westeuropa und den USA zu finden waren. Hier wurden

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rituell-religiöse/magische umfunktioniert, worin sich nicht allein die lebhafte Zirkulation von Wissensbeständen und dabei Performanzmöglichkeiten anzeigt, sondern zudem eine Form des »practice poaching«, die nicht nur unter Hexen, sondern in verschiedensten religiösen Settings anzutreffen ist. Eine Person wandelte sich dabei zum Clown, der lachend durch den Raum lief, ich selbst wurde zum zähnebleckenden Mann, der provozierend umherstolzierte. Wieder eine andere Person schlenderte als Verführer umher, der die Frauen umschmeichelte und ihnen auffordernd zublinzelte. Lokis Legende und zugeschriebener Charakter konnten gleichsam körperlich erfahren werden. Die einzelnen Figuren traten auch in Kommunikation miteinander. Obwohl dies mit versuchter Offenheit jeder Einzelnen geschah und man sich darauf einlassen wollte, gerannen gerade solche Momente zu Konflikten, an denen Zeremonien zu scheitern drohten. So veränderte sich beispielsweise der Verführer im Ritual durch Mimik und Gestik und fuhr wütend herum. Mit versteinerter Miene trat er auf die versammelten Figuren zu und atmete schwer. Er blickte jeder Einzelnen fest in die Augen: »Loki ist nicht harmlos«, hallte es durch die Wohnung. »Mädels, ich bin keine Schießbudenfigur. Mit mir geht es ans Eingemachte. Ich kann vernichten und Neues formen«. Schließlich versetzte er allen – ohne sie zu berühren – einen Fußtritt in den Magen. Der Clown wich erschrocken zurück, ich selbst trat schutzsuchend an Curtis heran, alle waren verunsichert und unfähig, sich weiter zu bewegen. Einerseits widersprach der – obschon nur angedeutete – physische Angriff Grundvorstellungen rituellen Verhaltens, andererseits war es gerade das Ritual, in seiner Nichtalltäglichkeit und mit den alltäglichem Gebaren entrückten Rollen, die die Teilnehmerinnen übernehmen konnten, das diesen Angriff ermöglicht hatte. Ganz allmählich wurden die Gesichtszüge des Verführers jedoch wieder weicher. Er schien »Herr der Lage« und doch von dem Wunsch angetrieben, diese Lage wieder zu verlassen: »Loki ist der Zerstörer und in seiner Wahrhaftigkeit auch Außenseiter, das musste ich euch zeigen. Das war mir wichtig,« setzte er und damit Britta, die hinter der Rolle stand und aus dieser in Teilen heraustrat, an, was tatsächlich einen Weg aus der Situation bahnte: Die versammelten Frauen kamen langsam im Kreis zusammen. Bei solchen Dynamiken galt es zu erkunden, ob sich Aspekte von Loki in einer selbst zeigen könnten. Wie fühlte es sich an? Womit war man einverstanden, was erzeugte Widerwillen? Und was ließ sich von Loki, einer der ambivalentesten Figuren der nordischen Mythologie, lernen? Darüber wurde reflektiert. intensiv Ansätze aus der Psychologie – insbesondere C.G. Jungs wie Freuds Schriften – rezipiert, wobei verstärkend wirkte, dass innovative Psycholog*innen wie Virginia Satir sie in Kalifornien praktizierten (siehe auch Pike 2004: 79-88; Jenkins 2000). Starhawk selbst hat Psychologie studiert, ihre Mutter war Psychoanalytikerin. Auf ihre therapeutischen Einsichten bezieht sich Starhawk in ihren Veröffentlichungen mehrfach.

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Je mehr Rituale alle gemeinsam durchlebten, gemeinschaftlich auch auf Trancereisen gingen, umso mehr gab es gegenseitig an Erfahrungen zu berichten, Lieder entstanden in den Pausen. Sie wurden gesungen, gesummt und getanzt und erfüllten die gesamte Wohnung. Mit all diesen Handlungen und geteilten Erfahrungen verstärkte sich schließlich die Botschaft des Ritualzyklus: dass die Wandlung und die Arbeit an sich selbst und so auch der Welt ein schwieriges Unterfangen bleibt. Sie beinhaltet die Bereitschaft, zu seinen Idealen und Hoffnungen zu stehen, auch schwierige Rollen anzunehmen und wie Loki womöglich ein Gehasster und Außenseiter zu sein. Hier in der Kreuzberger Wohnung nahm Loki für die Dauer der Rituale für die Hexen Gestalt an und gab das Versprechen auf eine bessere Welt, aber auch auf eine Zeit schmerzlicher Entscheidungen. Als ich mich einige Tage später mit Britta über das Ritual unterhielt, fragte ich sie direkt, ob für sie Loki wirklich da war. Insbesondere sie hatte im Ritual von ihren Begegnungen mit Loki berichtet. »Aber Victoria, was ist wirklich?«, gab Britta etwas streng zurück und setzte sogleich hinzu: »Es ist ein bestimmter Aspekt der universellen göttlichen Kraft. Ich merke die Wirkmächtigkeit und je nachdem nenne ich sie Loki, Freya oder Odin – eben, wie ich es fühle. Im Ritual spürte ich deutlich Loki. Da muss man den göttlichen Kräften, die in einem sind, vertrauen«. Am Ende solcher Rituale, so intensiv sie von den Teilnehmer*innen auch erlebt wurden, während sie sich zwischen die Welten begaben, ist die Rückkehr in die Welt des Alltags dank formalisierter Handlungen schnell getan: Der Kreis wird aufgehoben, die Kerzen ausgelöscht, die Klingel angestellt und der Kater Iggy hereingeholt. Man ist zurück in Berlin-Kreuzberg. An dem Abschlusstag des Loki-Workshops unternahmen wir alle noch einen Spaziergang und kehrten schließlich in einer Pizzeria ein. Während wir am Tisch saßen und auf unser Essen warteten, blickte Curtis lachend in die Runde: »Wenn man uns fragt, was wir am Wochenende gemacht haben: Also ich war eine Riesin in Jötunheim«. Cassandra: »Ich war mit Loki im Kurzurlaub«. Britta: »Ich hatte ein aufschlussreiches Date mit einem Riesen und einem Gott«. An dieser Stelle mussten alle lachen. Curtis: »Und das mitten in Kreuzberg. Das ist total verrückt!« Dabei zeigt sich einmal mehr, wie sehr sich Hexen der gesellschaftlichen Außenwahrnehmung ihrer Religion und Praxis bewusst sind. Sie tragen sie mit einer spezifischen Art von Humor und bewegen sich so behände zwischen den Welten und durch die ganze Stadt.46

46 | Ausführlich zum Humor bzw. zur Selbstironie in der Hexenreligion als grundständige, reflexive Praxis siehe Magliocco 2004: 84-91.

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Z usammenfassung Hexen haben eine Bandbreite von religiösen Ritualen in der Großstadt entwickelt und sich auf diese Weise die Stadt gemeinschaftlich angeeignet und sie spiritualisiert. Zugleich hat sich die Erfahrung des Urbanen in die rituelle Praxis der Hexen eingeschrieben. Um dieses Wechselverhältnis offenzulegen wurde eingangs (und dabei grundsätzlich) geklärt, was Hexen unter Ritualen verstehen, was diese beinhalten, was sie markieren und ermöglichen sollen. Der zweite Abschnitt – das »ethnografische Herz« des Kapitels – beschäftigte sich mit dem Zusammenspiel von Stadt und ritueller Praxis anhand der Schaffung von zeremoniellen Orten in Berlin. Mit Blick auf die von Hexen entwickelten Rituale zeigte sich, dass diese mehr sind als performative Akte, in denen ein vorgegebenes (religiöses) Konzept von der Welt formalisiert wiedergegeben und reproduziert wird. Viel eher stellen sie geschaffene Möglichkeiten dar, bei denen im Moment des rituellen Geschehens Erkenntnisse über die Welt und sich selbst erst generiert werden. Hexen folgen dabei weniger einer fest tradierten Liturgie, durch die religiöse Erfahrungen evoziert werden und sich Geltung verschaffen. Vielmehr wird die Kunst des Ritualisierens entwickelt und gepflegt. Dies meint, sich in Ritualen der Vielfalt religiöser Ausdrucksmöglichkeiten, sinnlicher Praktiken und Erfahrungen zu bemächtigen und diese beständig zu erweitern. Weltsichten, Konventionen und Verhältnisse von Macht bestätigen sich nicht nur, sondern sie werden auf diese Weise auch offensiv hinterfragt, wodurch sich Alternativen soziokultureller Erneuerung formulieren. Gleichwohl Hexen in den entworfenen Zeremonien stets das eigene private Leben reflektieren, sind sie nie unpolitisch – ein Merkmal, das neuen Formen von Religion wegen ihrer Konzentration auf das Selbst häufig zugeschrieben wird. Stattdessen geht es Hexen – wie es sich allgemein bei den Protagonist*innen feministischer Spiritualität beobachten lässt47 – in ihrer rituellen Praxis immer auch um gesellschaftliche Veränderung: Innerer Wandel, so die Idee, bewirkt äußeren Wandel. Die Rituale sind mithin zutiefst politisch. Dabei erscheinen sie aufgrund ihrer geringen Formalisierung und der Maßgabe, individuellen Gestaltungswünschen zu folgen, als stark enttraditionalisiert und damit paradigmatisch für den urbanen Kontext. Zugleich erweisen sich Hexen mit ihren Ritualen als überzeugte Traditionalist*innen, die eine Kontinuität mit der Vergangenheit herstellen wollen; und auch hier gibt sich die Erfahrung des Städtischen wieder. So reklamieren Hexen mit ihren Zeremonien eine Ausdrucksmöglichkeit für sich, die im urbanen Kontext und aufgrund der fortschreitenden Säkularisierung als verloren bzw. sinnentleert geglaubt wird. Die moderne Welt, so 47 | Siehe auch das Journal of Ritual Studies (2014) 28:2, special issue: Ritual Creativity, Emotions and the Body, guest edited issue by Anna Fedele and Sabina Magliocco.

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empfinden es Hexen, ist zunehmend entritualisiert und die Menschen haben dabei verlernt, die Schönheit des Lebens und der Welt zu würdigen: Man holt das Bewusstsein dafür mit den Zeremonien in das moderne urbane Dasein zurück. Zudem verschaffen Hexen insbesondere mit ihren kalendarischen Riten einer lang tradierten Vorstellung von Zeit erneut Geltung in der Stadt: eine religiöse, von Mythen durchdrungenen Vorstellung, die man durch die Industrialisierung und auf die Effizienz und Rationalität individueller Lebensgestaltung ausgerichtete Ordnung als nahezu zerstört sieht. Damit entwerfen sie letztlich eine urban-ethische Daseinsführung, die sich als ökologisch-spirituell beschreiben lässt. Wie Hexen die in dieser Weise konzeptualisierten Rituale in der Stadt konkret umsetzen, dies bildete den Schwerpunkt des zweiten Abschnittes. Der Blick richtete sich hier auf die Schaffung von Ritualorten, wobei – wie im vorangegangenen Kapitel – interessierte, wie mit der (Un-)Sichtbarkeit der neuheidnischen Hexenreligion im urbanen Kontext umgegangen und experimentiert wird. Dabei zeigte sich klar, dass die bisher gängige, binäre Konzeptualisierung, wonach Religionen sich entweder als unsichtbar/privatisiert oder sichtbar/öffentlich generieren, nuanciert und eine dritte analytische Ebene – die der Liminalität – eingezogen werden muss. So versehen Hexen durch ihre geschaffenen Ritualorte die Stadt mit einer versteckten religiösen Topografie, worin sich der privatisierte/unsichtbare Charakter ihrer Religion spiegelt. Zugleich aber wird die Verborgenheit dieser Topografie, demzufolge die klare Grenzziehung gegenüber Außenstehenden, zu bestimmten Zeiten porös: Hexen und ihre Ritualorte treten ins Sichtbare und so ins Öffentliche. Es sind die Hinterlassenschaften ihrer rituellen Handlungen, die hier bedeutsam werden. Sie sind im Stadtkontext immer wieder zu entdecken. Gleichwohl sie jenen außerhalb der Hexenreligion in ihrer komplexen religiösen Symbolik verborgen bleiben, sollen sie in ihrer Rätselhaftigkeit – so die Hexen – ein Bewusstsein der Städter*innen für die Schönheit der Umwelt und ihren notwendigen Schutz evozieren – eine wichtige Botschaft der Hexenreligion teilt sich mit und wird verbreitet. Zugleich verwirklicht sich in diesem Zustand des Dazwischen – sichtbar und doch unsichtbar – ein entscheidendes Motiv hexischen Selbstverständnisses – das der Zaunreiterin, die im Dazwischen verbleibt und dadurch, wie es heißt, »die Welten verändern kann«. Hexen spielen dabei in entscheidender Weise mit den sozialen, politischen, historischen wie rhythmischen Grenzziehungen und Gegebenheiten der Stadt. Sie machen die Nacht zum Tageund werden genau dann aktiv, wenn sich die Mehrheit der Menschen zurückzieht. Sie hinterlassen verstörende, geheimnisvolle Zeichen. Sie interpretieren die Umwelt neu und entdecken Plätze der Gegensätze und betrachten Orte als lebende Organismen. Sie erfahren Stadtbäume als companion species und integrieren sie in überkommene Mythologien. Kurzum, die Stadt wird zu einem Experimentierfeld ihrer reli-

Liminal sein

giösen Kosmologie und die Bedeutung des Urbanen wird ummodelliert, wie auch die religiösen Vorstellungen und Erfahrungen neu interpretiert werden. Dies zeigte sich auch in den Wohnungen der Hexen. Auch sie gehören zum urbanen Raum. Sie sind Laboratorien ritueller Praxis und wandeln sich im Zuge dessen zu sagenhaften Orten fernab und doch mitten in der Stadt. In den urbanen Stuben der Hexen steht das eigene Innere in nochmals intensivierter Weise zur Debatte. Mit den Ritualen arbeitet man an und in sich selbst und stärkt und ermächtigt sich. Dabei kommt durch den Wechsel nach »drinnen«, in die Wohnungen hinein, eine sehr viel stärkere Auseinandersetzung mit verschiedenen spirituellen Ressourcen, wie sie z.B. mythologische Zyklen mit ihren Figuren anbieten und in denen man »wildert« und die man rekombiniert, zum Vorschein. Hexen und damit vor allem Frauen, finden genau hier ein rituelles Setting, in dem sie sich in ihrer Verletzbarkeit und ihren persönlichen Nöten facettenreich – mehr noch als »draußen« – zeigen können. So sehr es als eine Sakralisierung des Selbst par excellence bezeichnet werden kann, was hier in den Wohnungen stattfindet, so sehr muss dieses religionswissenschaftliche Konzept nachhaltig differenziert werden. Die Hexen bleiben nicht auf das Selbst fixiert. Mit den gemachten Erfahrungen gehen sie zurück auf die Straßen der Stadt, in die Familie und an den Arbeitsplatz und tragen diese Erfahrungen in die Welt hinaus, die man damit zu wandeln hofft. Mitunter schaffen Hexen dabei auch städtische Öffentlichkeiten für sich. Selten sicherlich, aber doch immer öfter. Wie genau sie dies tun und wie gerade auch Berlin und seine spezifische Urbanität ihnen dies ermöglicht, dies steht im nächsten Kapitel im Fokus.

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5. Kapitel: Öffentlich werden

»Hexen wollen einen Frauenanker in den Hexenkessel Berlin wachsen lassen. Treffpunkt Teufelsberg. Datum: Walpurgisnacht. Feuer, Trommeln, festliche Kleidung« stand auf dem Flyer, den mir Katja in die Hand gedrückt hatte. Und da stand ich, auf dem Teufelsberg. Langsam ging die Sonne unter. Herrliche Aussicht: der Funkturm, dahinter der Fernsehturm, […] die Lichter der Autos. Zirka 40 Frauen finden sich schließlich ein. Ich bin froh, als ich einige bekannte Gesichter sehe. »Ciao Bella« ruft mir Ingelore entgegen und umarmt mich enthusiastisch […]. Irgendwann meint Katja, dass wir einen Kreis bilden sollen. »Bitte, jede soll sich vorstellen und sagen, was sie in den Kreis mit hineinbringen möchte«, meint Katja. Eine nach der anderen ruft ihren Namen und sagt, was sie mitgebracht hat. »Lebensfreude« bemerkt eine. »Unverschämtheit!« eine andere. »Vertrauen und Lebenslust« verkündet Ingelore und setzt ein kräftiges »Chakka« hinterher. […] Schließlich werden die Elemente und Gött*innen herbeigerufen. Zu den einzelnen Himmelsrichtungen gewandt, bittet uns Katja, nun Runen zu tönen und darzustellen – das bringe besondere Kräfte hervor. »Uruz«, »Tiwaz«, »Laguz« singen wir laut und bewegen uns dabei. Nacheinander werden alle Runen intoniert und ein mächtiger Tanz beginnt sich auf dem Berg zu erheben. Ich versuche, mich an den Bewegungen der anderen zu orientieren, und verliere allmählich das Gefühl für die Zeit, tanze im Pulk mit. Von weitem höre ich Jugendliche. Einige begeben sich bereits zu uns, lassen die Bierflasche kreisen und den Runengesang an sich vorbeiziehen. […] Trotz der durchdringenden Kälte hat Katja ihre Brust entblößt. […] auf den Bauch hat sie eine Spirale gemalt. […] Irgendwann werden die Bewegungen langsamer, klingen aus. Wir versammeln uns wieder und das Feuer wird entzündet. »Lasst uns über die Flammen springen. Wir rufen, was wir uns wünschen, für was und für wen wir springen«, schlägt Katja vor. […] Frau um Frau springt. »Für Freiheit!« »Für alle Mütter und ihre Kinder«. Ich springe für meinen verstorbenen Vater, einfach, weil er das ziemlich verrückt gefunden hätte […]. Inzwischen scheinen sich fast alle, die auf dem Berg sind, zu unserem Feuer zu gesellen. Sie wollen auch springen. »Aber keine Männer«, entrüstet sich Monika. »Aber warum das denn? Setzt euch, springt«, meint Ingelore bestimmt. »Hey, das ist krass«, meint einer der Jungs mit Blick auf das Feuer. Er wendet sich zu Ingelore und reicht ihr die Zigarette rüber. Ingelore lehnt ab und sagt: »Ich

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Hexen der Großstadt bin Hexe. Einen Rausch hole ich mir nicht mit der Zigarette, sondern in der Natur. »Krass«, gibt der Junge zurück, und dann beginnen sie sich darüber zu unterhalten, wie sie das jetzt wohl gemeint habe […]. (Feldnotizen, 30.04.2012)

Seit einiger Zeit – etwa ab Ende der 2000er Jahre – ist zu beobachten, dass Hexen bei aller Zögerlichkeit und gefühlten Ambivalenz doch Ideen und Wege entwickeln, durch die sie und Aspekte ihrer religiösen Weltsichten in Berlin öffentlich sichtbar werden, sie sich also gegenüber Außenstehenden als Hexen zu erkennen geben, Akzeptanz einfordern und Menschen über soziale und kulturelle Grenzen hinweg anhalten, bei ihren Ritualen dabei zu sein. Umgekehrt und in einer Art Wechselwirkung scheint man in der Stadt – hier vor allem der Lokaljournalismus – die Hexen verstärkt als ein interessantes und dabei ernstzunehmendes Thema zu entdecken und sie auf diese Weise wiederum öffentlich sichtbar zu machen. Die noch aus den 1980er und 1990er Jahren bekannte Rhetorik der Sensation, Kuriosität und/oder Sektengefahr ist verschwunden und an ihre Stelle das exemplarische Porträt »religiöser Vielfalt« getreten, die, so der Tenor, die deutsche Hauptstadt in ihrer Liberalität und Kreativität verstärkt ermögliche. Hexen dienen quasi als Paradebeispiel dafür. Hexen bleiben freilich vorsichtig, was die Möglichkeit von Öffentlichkeit bzw. öffentlicher Sichtbarkeit angeht. So diskutieren und streiten sie oft lang, was diese für sie eigentlich bedeutet, wie sie genau aussehen muss, worin ihre Potentiale und Möglichkeiten liegen und wo die Grenzen zum Privaten/ Unsichtbaren zu setzen sind. Einig sind sich Hexen darüber selten. Doch ihr wachsendes Bedürfnis nach Anerkennung über die eigenen Reihen hinweg bringt sie immer wieder zusammen. Zudem teilen sie das Gefühl, das Berliner (Neu-)Heiden bereits in den 1980er Jahren umtrieb, nämlich, dass ihre Religion zwar nicht die, aber eine der dringenden Alternativen im Umgang mit der Natur und sozialer wie geschlechtlicher Ungleichheit bietet. Es ist Zeit – so empfinden sie es – diese Alternative gesellschaftlich sichtbarer zu machen. Welche Möglichkeiten und Formen Hexen hier gegenwärtig aushandeln, etablieren und erdenken, mitunter fallenlassen und dann erneut aufgreifen, darum soll es in diesem Kapitel gehen. Wie wird die Stadt in ihren sozialen, kulturellen, politischen und materiellen Ausprägungen zu einem Ort, der Hexen nicht nur erlaubt, den schützenden Zustand der Unsichtbarkeit und Liminalität zu erzeugen, sondern der sie im selben Moment darin bestärkt, herauszukommen?1 Wie ermöglicht er Öffentlichkeit für Hexen und ihre religiösen, sozialen wie politischen Anliegen und wie wird die Spiritualisierung der Stadt durch Hexen sichtbar? Welche Veränderungen zeigen sich hier 1 | Hexen sprechen auch vom kollektiven »Coming out of the broom closet« in Anlehnung an die Metapher des »Coming out (of the closet)« für das persönliche wie öffentliche »Bekenntnis« zu Formen von Sexualität jenseits der Heterosexualität.

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gegenüber den Westberliner Zeiten an, insbesondere, wenn es um die im deutschen Kontext nach wie vor schwierigen Bezüge auf eine germanisch-nordische Gött*innenwelt und Symbolik geht? Und inwiefern spiegelt sich darin die historisch-kulturelle Zäsur, die die Stadt mit dem Fall der Mauer erlebt hat? Diese Fragen werden meine Darstellungen und Analysen leiten. Dabei arbeite ich zwar konzeptionell (weiterhin) mit der gängigen Unterscheidung Privatheit versus Öffentlichkeit. Doch möchte ich hier neben dem Gedanken, dass diese zwei Kategorien sich gegenseitig konstituieren und herausfordern, ihren kulturell-performativen Aspekt in der Analyse besonders stark machen. Privatheit und Öffentlichkeit sind nicht zuletzt immer auch Resultate körperlicher Handlungen bzw. Akte. Die Bedeutungen der jeweiligen Ausdrucksformen und verkörperten Symbole ergeben sich einerseits im und durch den Moment ihrer Ausführung. Andererseits sind sie soziokulturell und kontextspezifisch determiniert: Die Möglichkeiten, wie verkörpert wird und was dies meint und symbolisiert, können zwar stetig – gerade in der Wiederholung, die gleich und doch stets anders ist – erweitert werden, aber sie sind nie völlig frei wählbar. Bei der Schaffung von Öffentlichkeit kommt hinzu, dass es einer »leiblichen Ko-Präsenz« von Akteur*innen und Zuschauer*innen bedarf. Es wird – um Goffmans Idee der Selbstrepräsentation einzuweben – eine Bühne kreiert, bei der die gebotene Aufführung zu einem »Spiel aller für alle« wird (Goffman 1956; Herrmann 1981: 19; Fischer-Lichte 2004: 46-47). Zuschauer*innen sind hier nie bloße Beobachter*innen, sondern durch ihre physische Präsenz, ihre Wahrnehmungen und Reaktionen an dieser Aufführung aktiv beteiligt und produzieren sie mit (Goffman 1956: 3; Fischer-Lichte 2004: 47). Diese performanztheoretische Überlegung aufgreifend, ist es mir für die Hexenreligion wichtig, herauszuarbeiten, dass sie nicht schlicht öffentlich sichtbarer wird, sondern die geschaffenen Formen und Symbole von Öffentlichkeit in den jeweiligen Zusammenhängen, wo sie erscheinen und aufgeführt werden, notwendig variieren. Was dabei in der einen Situation von der Hexenreligion in Berlin öffentlich sichtbar wird und auf die Bühne gelangt, kann in einer anderen privat und unsichtbar bzw. außen vor gehalten werden.2 2 | Goffman unterscheidet drei Regionen der Bühne der Selbstrepräsentation: die Vorderbühne (front region), die Hinterbühne (back region oder back stage), die Außenregion (outside region). Auf der Vorderbühne wird bestimmten (sozialen) Erwartungen/ Standards der Präsentation genüge geleistet (z.B. Wahrung der Höflichkeit in der direkten Interaktion mit dem Gegenüber/Publikum, aber auch Wahrung von sozialen Standards, wenn man lediglich unter Beobachtung steht und nicht direkt mit dem Gegenüber/dem Publikum kommuniziert) Auf der Hinterbühne wiederum wird der Eindruck bzw. die Illusion von sich, die man auf der Vorderbühne erzeugen will, ausgehandelt und konstruiert, ihr teilweise dabei auch widersprochen – man lässt seine sozialen Masken fallen und kreiert das Dekorum – die Formen der Erscheinung bzw. des Auftretens –

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Zweitens und zugleich geht es mir darum, zu zeigen, dass in den Momenten, in denen Hexen herauskommen, sie zwar bestimmte Zeichen ihrer Anwesenheit und Botschaften geben, doch es ist eben ein »Spiel aller für alle«. Außenstehende nehmen diese Zeichen wahr und reagieren darauf, doch um sie zu verstehen, muss oftmals erst ein gemeinsamer Code ausgehandelt werden. Dabei verhält es sich so, dass jenes, was Hexen im Stadtkontext sichtbar machen (wollen), mitunter und vorerst von dem differiert, was für jene jenseits ihrer Reihen sichtbar wird, – und doch beginnt man einander zu erkennen. Man nähert sich in der Interaktion an, handelt ein Verständnis aus und stellt so gemeinsam und erfolgreich eine bestimmte Form von Öffentlichkeit – die urbane Bühne der Hexen – her. Um diese Dynamik deutlich und verständlich werden zu lassen, wende ich mich im ersten Abschnitt einmal mehr der Kategorie »Raum« zu und betrachte die Plätze, an denen Hexen mit ihren Ritualen für Außenstehende nicht länger verborgen bleiben, sondern sich selbstbewusst zu erkennen zu geben. Hexen haben, so zeigt sich, im Laufe der Jahre ihrer versteckten religiösen Topografie eine öffentliche religiöse Topografie zur Seite gestellt und nutzen sie simultan für ihre Rituale. Wie aber modelliert sich diese öffentliche religiöse Topografie? Welche religiösen Weltsichten und sozialen und politischen Alternativentwürfe der Hexen werden an den jeweiligen Orten ins Sichtbare geholt und was wird dabei für Außenstehende tatsächlich sichtbar, was bleibt ungesehen und warum passiert all dies genau dort? Wie spiegelt sich das Wechselspiel von Urbanität und neuer Religiosität im Allgemeinen und wie erfolgt die Integration der Stadt Berlin in die Kosmologie der Hexen im Speziellen, wird die Stadt öffentlich spiritualisiert? Im zweiten Abschnitt wechsle ich die Perspektive vom Raum auf städtische Großereignisse, konkret auf die »Lange Nacht der Religionen«. Religion – genauer die Vielfalt von Religion –, so macht das Fest deutlich, ist längst als wichtiger und attraktiver Standortfaktor entdeckt worden, den es zu inszenieren und stadtpolitisch zu stärken gilt. Es ist bezeichnend, dass für das Ereignis – wie für eine Vielzahl von Großevents – die Nacht und Dunkelheit als Animationsfläche dient. Es ist eine Zeit, die in besonderer Weise für Urbanität steht: Die Stadt als Ort, der niemals schläft, und Gefahr und Verheißung verspricht, wird einmal mehr in Szene gesetzt.3 für die Vorderbühne. Die Außenregion schließlich ist ein Bereich von Aktivitäten bzw. Selbstverständnissen, die nicht zur Aufführung gelangen sollen und auch nicht zur Verhandlung auf der Hinterbühne gebracht werden, sie sind vollkommen privatisiert (Goffman 1956: 66-86). 3 | Neben der »Langen Nacht der Religionen« gibt es in Berlin wie auch in kleinerer Auswahl in anderen deutschen Großstädten die »Lange Nacht der Wissenschaften«, die »Lange Nacht der Museen«, die »Lange Nacht der Opern«, die »Lange Nacht der Subkul-

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In Berlin findet die Lange Nacht der Religionen seit 2012 jährlich zumeist im September statt und ist von der Berliner Regierung initiiert worden. Die »Nacht« sollte einen Beitrag zum »sozialen Zusammenhalt in der Stadt« leisten, wie es in einer ersten schriftlichen Überlegung hieß.4 »Abseits des Berufs- und Geschäftslebens«, so wurde erklärt, könnten Besucher*innen dabei »vermeintlich vertraute Orte neu bzw. anders erleben, schlendernd in entspannter Atmosphäre in offene Angebote schnuppern […]«. Gegenwärtig wird die »Lange Nacht« vom »Berliner Forum der Religionen« koordiniert, das aus einem Zusammenschluss von Menschen aus über 100 Religionsgemeinschaften hervorgegangen ist. Die Hauptverantwortung für die Organisation tragen momentan Vertreter*innen der katholischen Kirche ehrenamtlich. Der Religionsbegriff ist in der »Nacht« weit gesetzt und spricht die etablierten Großorganisationen ebenso an wie kleinste randseitige Gruppierungen, die sich, wie beispielsweise die »Schwestern der perpetuellen Indulgenz« lediglich religiöser Symbole bedienen, von diesen Symbolen ausgehend sich aber als säkular betrachten.5 Sie alle präsentieren sich der Hauptstadt, ihren Einwohner*innen und Tourist*innen. Zugleich suchen Religionen und die eher religionsähnlichen Organisationen Austausch untereinander. Dieses Ereignis gibt es zwar auch in anderen deutschen wie europäischen Städten, aber nirgendwo zeigt sich eine derartige Vielgestaltigkeit religiösen Selbstverständnisses und nirtur« und die »Lange Nacht der Bilder« (hier werden nächtliche Kunsttouren zu Präsentationen, Künstler*innen und Aktionen geboten). Auch bei stärker privatgeschäftlich gelagerten Events haben sich die »Langen Nächte« etabliert: Es gibt in Berlin beispielsweise die »Lange Nacht der Ohren – die musikalische Reise durch Berlins HiFi-Geschäfte«, die »Lange Nacht der Start Ups«, die »Lange Nacht der Hotelbars« und die »Lange Nacht der Fahrradläden«. 4 | Unveröffentlichtes Ergebnisprotokoll vom 18.11.2011 zu der Arbeit der sogenannten Initiativgruppen, die sich 2011 im Rahmen der 1. Konferenz des Berliner Dialogs der Religionen gegründet haben und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit über Religionsgrenzen hinweg ausloten sollen. Das Ergebnisprotokoll ist einsehbar bei der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Dienststelle: Beauftragter für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Bereich Religionsübergreifende Zusammenarbeit. 5 | Der Orden der »Schwestern der perpetuellen Indulgenz« ist eine lockere Gruppe von selbsterklärten queeren Menschen, homosexuellen Männern (»schwule Nonnen«), die die »Verkündung universeller Freude und der Tilgung verinnerlichter Schuldgefühle« als vordergründige Aufgabe sieht. Sich auf religiöse, christlich konnotierte Symbole (»Orden«, »Nonnen«) zu beziehen und diese zu inszenieren, erfolgt hier in weiten Teilen im Modus der ironischen Brechung und ist dabei eine Form der Solidarisierung unter Menschen, die dem Christentum kritisch gegenüberstehen und hier aufgrund ihrer Sexualität Ausgrenzung erfahren haben oder würden (siehe www.indulgenz.de/wp-content/ uploads/2014/07/Schwesterngrunds %C3 %A4tze_.pdf, letzter Zugriff: 02.04.2017).

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gendwo fordern gerade neuheidnische Hexen und insgesamt Neuheid*innen so vehement und wirksam die Teilnahme ein wie in Berlin. Sie stiften damit ordentlich Unruhe im bereits dynamischen religiösen Feld Berlins. Wie sie das tun, was Hexen in dieser Nacht, zu dieser besonderen urbanen Zeit von sich auf welche Weise öffentlich machen und zur Aufführung bringen, darum wird es in diesem Abschnitt gehen. Beleuchtet wird zentral, wie sich die eigene Sichtbarwerdung gerade aus der Interaktion mit den verantwortlichen Kirchenvertreter*innen und anderen beteiligten religiösen Gruppierungen ergibt. Das »Spiel aller für alle«, das Hexen hier eingehen, kann genauer als ein – im Bourdieu’schen Sinne – strategisches Spiel beschrieben werden: Hexen halten sich an Regeln, die das Handeln im Berliner Feld der Religionen rahmen, aber lassen sich davon nicht in ihren Spielzügen determinieren, was meint, dass sie gekonnt und mitunter unerwartet eigene soziale, kulturelle und symbolische Trümpfe, die sich aus der Herkunft und aus spezifischen religiösen Wissensbeständen ergeben, einbringen (Bourdieu/Wacquant 1996: 128; Bourdieu/Passeron 1971: 61). Damit fordern sie zur Auseinandersetzung auf und lassen die Grenzen des religiösen Feldes erfolgreich aufweichen. Die »Nacht« muss als ein wesentlicher Ausgangspunkt für eine Reihe von Ereignissen und Anlässen verstanden werden, an dem ein historisch bedeutsamer Prozess religiöser Pluralisierung emblematisch wird: Ein Prozess, in dem Berlin – der vermeintlichen »Welthauptstadt des Atheismus« (Berger 2001: 195) – deutschlandweit eine diskurssetzende Rolle zukommt. Mit den Betrachtungen der Wege, auf denen die Hexen in der Stadt herauskommen und Präsenz zeigen, befinde ich mich im Einklang mit der religions- wie sozialwissenschaftlichen Feststellung, dass neue Religionen, Religiositäten bzw. Spiritualitäten in den westlichen Gesellschaften verstärkt von der (unsichtbaren) Privatsphäre in den (sichtbaren) öffentlichen Raum drängen. Doch ich möchte hier notwendig neue Perspektiven einziehen: So wird in bisherigen Studien hauptsächlich die marktförmige Verbreitung neureligiöser Vorstellungen thematisiert. Versatzstücke von Kosmologien und Praktiken dringen vor allem über die Heilungs-, Medizin- und Wellnessbereiche in unterschiedlichste (soziale, politische, geschichtliche) Weltbilder vor (Ross 2012; Lüddeckens/ Walthert 2010; Knoblauch 2010a/b; Rademacher 2010; Meintel 2007; Heelas/ Woodhead 2005; Lau 2000). Sie popularisieren sich, wie dies der Soziologe Hubert Knoblauch beschreibt.6 Ob neoschamanistische Traumreisen oder 6 | Knoblauch spricht gerade in diesen Zusammenhang davon, dass die »alternative Spiritualität« – also religiöse/spirituelle Praktiken jenseits etablierter (zumeist monotheistischer) Glaubenssysteme, die als ekklektisch bezeichnet werden und bei denen die eigene Erfahrung zentral ist – sich zunehmend zu einer »populären Spiritualität« wandelt (Knoblauch 2010a: 163-171).

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westlich-buddhistische Weisheiten, ob Encounter Movement, Bestandteile der Ayurvedischen Lehre oder yogische Übungen: Sie werden mehr und mehr zu Dienstleistungen, derer sich die modernen – vornehmlich aus der urbanen Mittelschicht stammenden – Menschen gern bedienen und die sie in ihre Lebenswelt inkorporieren. Diese Dienstleistungen sind stark subjektiviert und werden zum Ausdruck bzw. zur Repräsentation von Individualität. Mit der folgenden Darstellung soll hervortreten, dass Hexen – und sie übernehmen unter neureligiösen Ausrichtungen eine Sonder- und dabei Vorreiterposition – längst andere, politisiertere Formen der Sichtbarkeit hervorvorgebracht haben. Hexen wollen sich, so wird gezeigt, mit ihren religiösen Weltsichten und Praktiken in die Gestaltung der Stadtgesellschaft aktiv als Hexen einmischen – in deren soziokulturelle, ökologische wie religiöse Entwicklung. In dieser Maßgabe ist eine Annäherung an die etablierten Religionen zu erkennen. Wie bereits José Casanova Mitte der 1990er Jahre mit seinem programmatischen Konzept der public religions konstatiert, drängen gerade die etablierten Religionen darauf – er konzentriert sich auf das Christentum, – gesellschaftlich (wieder) mehr mitgestalten zu können. Nachdem sie durch den Prozess der Säkularisierung an Macht und Bedeutung in den westlichen Gesellschaften eingebüßt haben, scheinen sie wieder mehr Beachtung in Fragen von Moral und Bildung, von Zukunfts- und Umweltproblematiken einzufordern und auch zu finden. In seinen Beobachtungen und Überlegungen zieht Casanova eine deutliche Trennlinie zu den neuen religiösen Bewegungen. Er sieht sie als durchaus »signifikante Phänomene« an, fügt jedoch hinzu: »such phenomena per se do not challenge either the dominant structures or the dominant paradigms« (Casanova 1994: 5). Sie fallen damit aus seinem analytischen Fokus. In der Fortschreibung des Konzepts der public religions, unter anderem durch die Idee der Postsäkularität, wird die Rolle neureligiöser Gruppen und Bewegungen durchaus differenzierter gesehen. Postsäkularität ist dabei eine Begrifflichkeit, die um die Jahrtausendwende insbesondere von dem Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas in die Debatte eingebracht wurde. Er beschreibt damit einen besonderen Reflexionsschub unter Religionsanhänger*innen, wie er sich vor allem in den westlichen Gesellschaften, insbesondere in Europa, abzeichne. Dieser beschreibt sich darin, so Habermas, dass erstens, Gläubige sich ihrer Stellung in einer pluralistischen Gesellschaft bewusst sind bzw. werden und lernen, kognitiv dissonante Begegnungen mit anderen Konfessionen und Religionen auszuhalten; zweitens, dass die Autorität der Wissenschaften – die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben – anerkannt wird, und drittens, dass die Gläubigen sich den Prämissen des Verfassungsstaates, die sich auf einer profanen Moral gründen, unterordnen. Vor allem der Soziologe Klaus Eder verweist bei der weiteren Ausformulierung dieser Überlegungen auf die steigende Zahl neuer religiöser Ausrichtungen, wie er sie sowohl innerhalb der etablierten Religionen erkennt

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– beispielsweise in den pentakostalen Bewegungen – als auch jenseits davon: Er spricht hier das New Age an. Gerade weil diese neuen religiösen Bewegungen wenig institutionalisiert seien, eröffnen sie Räume kollektiver Sinnsuche, die sich staatlich-säkularer Kontrolle entziehen, wodurch sie bisherige Strukturen und Paradigmen entscheidend herausfordern. Jenseits dieser grundsätzlichen Ausführungen gewinnen jedoch neureligiöse Gruppierungen im Rahmen der Idee von Postsäkularität kaum analytisch-empirische Konturen und sind letztlich doch weitestgehend uninteressant, zumindest jedoch randseitig (Habermas/Reemtsma 2001; Habermas 2002; Eder 2002; Beaumont/Baker 2011; zur Kritik an der Idee von der Postsäkularität: Lanz 2014: 24; Bischoff/ Oehme-Jüngling 2016). Gewiss, so ist festzuhalten, sind die neuheidnische Hexenreligion und ihre Protagonist*innen von der erlangten Sichtbarkeit und gesellschaftlichen Signifikanz, wie sie für die etablierten bzw. dominanten Religionen konstatiert wird, weit entfernt, wie auch von den teilweise existenziellen Konflikten, die daraus momentan erwachsen. Doch indem sie als Graswurzelbewegung zunehmend gesellschaftliche Aufmerksamkeit einklagen, fordern sie dominante Strukturen und Paradigmen sehr wohl und wirksam heraus. Wie dabei die Stadt zu ihrem Terrain wird, gilt es im Folgenden zu klären.

Passende O rte zur passenden Z eit – D ie öffentliche religiöse Topogr afie der H e xen Wenn Hexen herauskommen und im urbanen Kontext sichtbar werden, gar öffentliche Rituale abhalten, so mag dies immer noch selten sein. Es sind auch stets nur bestimmte Gruppen von ihnen, die das tun. Einige Reclaimer*innen nehmen davon beispielsweise dezidiert Abstand mit dem Verweis darauf, dass für sie Rituale besonders intime, mit Geheimnissen angefüllte Momente sind, die unsichtbar für Außenstehende bleiben sollen. Nur so entfalten sie ihre transformierende Wirkung: durch die »Arbeit in sich selbst«.7 Die Mondfrauen und damit lose verbundene Mitstreiter*innen und Zusammenschlüsse von Hexen sehen das anders. Sie begreifen öffentliche Rituale als eine Form der Selbstermächtigung und sind, was die Formen der Sichtwerbung anbelangt, rigoros: Entweder machen jene, die nicht aus ihren Reihen kommen – die »anderen«, die das Publikum bilden – an Ort und Stelle mit oder die »anderen« sollen ihrer Wege gehen. Schlichte Beobachter*innen oder »Gaffer«, wie Hexen direkter sagen, will man nicht. Hexen haben in diesem Zusammenhang ein feines Gespür für den passenden Ort zur passenden Zeit erworben – eine urbane Kompetenz, für die sie nicht nur Wochen und Monate die Stadt 7 | Zur »Arbeit in sich selbst« siehe das vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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erkundet haben, wie es bei ihrer Suche nach den geheimen Ritualplätzen zu beobachten ist, sondern wofür sie mitunter über Jahre hinweg die Gegenden von Berlin durchstreift und auf den geeigneten Moment gewartet haben. Sie haben dabei Berlin mit einer öffentlichen religiösen Topografie ihres Hexentums ausgestattet, die immer in Bewegung und zugleich sehr fest ist. Dies meint, dass es eine Anzahl von Plätzen gibt, die nur einmalig besetzt werden und dabei  – so kann es beschrieben werden – flüchtig sind: Kaum, dass sie genutzt und Hexen über die eigenen Reihen hinaus wahrgenommen wurden, verschwinden diese Orte von der urbanen Landkarte wieder; neue Plätze scheinen auf, die sich dann ebenso schnell verflüchtigen. Daneben gibt es Gegenden in der Stadt, die Hexen im Jahresverlauf immer wieder aufsuchen, um sich öffentlich und ritualisierend zu zeigen: etablierte Treffpunkte, die sich auch unter Berliner*innen jenseits der Hexenreligion als Orte der Hexen herumgesprochen haben. Einer dieser Plätze ist der Teufelsberg, der schon in den 1980er Jahren von den (neu-)heidnischen Gruppierungen für Rituale genutzt wurde.8 Nicht zuletzt, weil die Aktivitäten der damaligen (Neu-)Heidinnen ein sehr kurzes, wenngleich konfliktreiches Intermezzo darstellten, wurde unter heutigen neuheidnischen Hexen die Erinnerung daran allerdings kaum tradiert. Für sie ist der Berg zumeist ein vollkommen neues Terrain, das sie mutig in Besitz nahmen und das dabei zum öffentlichen Zeremonienort der Berliner Hexen aufgestiegen ist. Ob seiner Bedeutsamkeit im Stadtkontext möchte ich meine Betrachtungen genau hier beginnen lassen und mit beispielgebender Ausführlichkeit ausstatten, bevor ich von dort aus überblicksartig die Topografie der »festen« und »flüchtigen« Ritualorte weiter konturiere. Insgesamt ist festzuhalten, dass sich kaum verallgemeinerbare Charakteristika für die öffentlichen Orte der Hexenreligion in Berlin herausstellen lassen. Die Gründe, warum sie gewählt wurden, wie Hexen hier jeweils die Vorstellung des Städtischen verhandeln und auf welche Weise sie was von 8 | Siehe zu den (neu-)heidnischen Aktivitäten auf dem Teufelsberg in den 1980er Jahren das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit. Dass Ritualplätze wie der Teufelsberg inzwischen von außenstehenden Berliner*innen gekannt werden, zeigte sich beispielsweise, als ein Berliner Taxifahrer im Gestus der Selbstverständlichkeit und zugleich neugierig zu mir meinte, nachdem ich seinen Wagen nach einem Ritual am Fuße des Teufelsbergs stoppte: »Waren die Hexen wieder oben? Haben sie wieder gefeiert?«. Als ich zögerlich bejahte, setzte er interessanterweise hinzu: »Das bringt doch alles nichts. Ändern wird sich dadurch gar kein bisschen!« (Feldnotizen, 30.04.2013). Interessant ist die Bemerkung deshalb, weil sich hierin klar die Botschaft des Hexentums spiegelt, einen gesellschaftlichen Wandel bewirken zu wollen. Hexen werden hier nicht länger mit dem Image der »Märchenhexe« gleichgesetzt, das Spott auf sich zieht. Sicherlich ist diese Bemerkung nicht repräsentativ, aber doch bedeutsam, und spricht einmal mehr für das Öffentlichwerden der Hexenreligion.

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ihrer religiösen Praxis sichtbar machen: Dies alles bleibt hochgradig divers. Verschiedenste, auf den ersten Blick mitunter geradezu ungleiche Dinge, Imaginationen, Geschichten und Menschen kommen an den jeweiligen Orten zusammen und werden in Beziehung zueinander gesetzt. Gerade dies macht die Orte für die Sichtbarwerdung der Hexen so produktiv, sind doch die Aushandlungsprozesse hierfür besonders intensiv und führen so zu neuartigen soziokulturellen Arrangements.9 Der Teufelsberg kann hierfür als exemplarisch gelten. Um seine Bedeutsamkeit für die Hexen und die Herstellung von Öffentlichkeit im urbanen Kontext offenzulegen, werde ich in einem ersten Schritt einen Einblick in die soziokulturellen wie religiösen Zuschreibungen geben, die der Teufelsberg durch die Hexen erhalten hat und wodurch er diskursiv für ihr Herauskommen prädestiniert wird und ist. Ich werde dabei auf die von Hexen erinnerte Historie des Teufelsberges eingehen und wie sich diese insbesondere durch seine geografische Lage wie materielle Beschaffenheit transportiert. Zudem diskutiere ich die Signifikanz des Zeitpunkts: Wann Hexen auf dem Teufelsberg öffentlich werden bzw. sich ihnen hierzu die Chance bietet. Von diesen Betrachtungen ausgehend, wende ich in einem zweiten Schritt den Blick auf den rituellen und performativen Akt auf dem Berggipfel und gehe der Frage nach, wie durch Bewegung, Körper, genutzte Materialien und erzeugte Klänge, Hexen in Berlin sich als solche zu erkennen geben und sich eine Bühne erschaffen.

Geschichten, Legenden, Stadtkultur Der Teufelsberg ist ein urbaner Raum, der landschaftlich zwei signifikante Aspekte Berliner Städtischkeit zusammenführt: Er ist Teil eines der größten Erholungsgebiete im westlichen Berlin, dem Forst Grunewald, und zugleich eine gewaltige Manifestation der deutschen Geschichte von Krieg und Teilung. So ist der Teufelsberg ein Trümmerberg, der auf den Ruinen der Wehrtechnischen Fakultät steht, die Teil des nationalsozialistischen Projektes »Welthauptstadt Germania« werden sollte. Aufgrund seiner – zumindest für Berliner Tiefland-Verhältnisse – enormen Höhe (er hat es immerhin auf 120 Meter über Normal-Null gebracht und ist damit die zweithöchste Erhebung der Stadt) wurde er schon früh von den amerikanischen Alliierten, genauer dem Geheimdienst US National Security Agency (NSA) als Ort für Abhörzwecke entdeckt. Man ließ einen großen Spionage-Komplex auf den Gipfeln des Berges 9 | Hier wende ich eine Einsicht, die die Kulturanthropologin Ana Tsing in ihrer Analyse globaler Netzwerke formuliert hat, auf Orte und dabei auch auf die Herstellung von Lokalität und lokalen Identifikationen an. Sie schreibt: »encounters across difference should inform our models of cultural production […], heterogeneous and unequal encounters can lead to new arrangements of culture and power.« (Tsing 2005: 3,5).

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errichten und überwachte damit die militärische, geschäftliche wie auch private Kommunikation der DDR und weiterer Länder des »Warschauer Vertrages« (Fahey 2015: 150-158).10 Gleichwohl es nach der Wiedervereinigung verschiedene Pläne zur Weiternutzung der Gebäude gab, ist die Anlage nunmehr ihrem Verfall überlassen. Ihr Reiz liegt gerade auch in ihrer urbanen Morbidität, von der sie mehr und mehr durchdrungen wird. Berliner Hexen zieht dieses Flair des Vergänglichen an. Sie sind sich dabei bewusst, dass sie auf dem Schutt des Zweiten Weltkrieges stehen. Sie wissen um die Geschichte, die der Berg damit unter sich begräbt, so wie sie sich durch die hinterlassenen Ruinen der Geheimdienst-Anlage stetig an die Nutzung seitens der Alliierten erinnert fühlen. Der Berg, seine Vergangen- und Beschaffenheit gerinnen dabei für Hexen zu einem herausfordernden Symbol für die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen und Gegenmodelle, die sie hoffen mit ihrer religiösen Praxis, genau an diesem Ort, mit zu initiieren und zumindest für den Moment Raum greifen zu lassen. Eine der Mondfrauen brachte dies programmatisch auf den Punkt, als sie in einer Runde mehrerer Hexen hoch oben auf dem Berg meinte: »Ich wohne so lange in der Stadt und ich liebe sie so sehr. Und ich merke, wie immer mehr zerstört wird: die Natur, unsere Liebe und Freundschaft. Ich möchte, dass aus dieser Ritualgemeinschaft hier eine Alternative erwächst. Wir stehen auf den Trümmern des Krieges und der Teilung und daraus soll etwas Neues, Wunderbares erwachsen. Wir wandeln es.« (Feldnotizen, 27.06.2014)

Es war um das Jahr 2011 herum, als neuheidnische Hexen erneut begannen, sich zum Teufelsberg aufzumachen, um hier Rituale zu feiern. Allmählich reifte dabei der Gedanke, dass man sich als neuheidnische Hexen in der Stadt nicht länger verbergen wollte. Die eigenen inneren Widerstände, die es dabei zu überwinden galt, brachte Katja, eine der Hauptorganisatorinnen der Rituale auf dem Teufelsberg, anschaulich während eines Telefonats zum Ausdruck. Ich fragte sie, wie sie eigentlich auf diesen Ort gekommen sei. »Du musst dir vorstellen, dass ich dieses Ritual auch schon vor drei Jahren machen wollte«, gab sie zurück, »da reifte die Idee und ich habe nach einem Ritualplatz gesucht«. Und sie fuhr fort: »Ganz blöd. Ich habe immer irgendwie gedacht, wir müssen uns verstecken. Warum eigentlich? Ich war dann auch am Teufelsberg. Überleg mal, ich habe immer in den Senkungen gesucht, immer gedacht, uns darf keiner sehen, wenn wir Freya anrufen oder gar 10 | Ausführlich zur Geschichte während des Kalten Krieges und zur materiellen Beschaffenheit des Berges siehe Cocroft/Schofield 2016. Es gibt schriftliche Darstellungen, die den Berg mit seiner Geschichte gleichsam zur Metapher für die gesamte Stadt Berlin werden lassen, siehe Hoyne/Wunsch 2016.

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Hexen der Großstadt Runen tönen, geschweige denn [Runen, V.H.] tanzen. So ein Film lief da ab. Und? Dann bin ich hoch auf den Berg und dachte: ›Nein, wonach hast du gesucht? Das hier ist der richtige Ort! Dieser freie Blick auf Berlin. Du spürst die Stadt. Berlin ist ein Hexenkessel. Wir sollen uns nicht verstecken‹.« (Telefonat, 11.05.2012)

Wenn Katja über ihre gefühlte Ambivalenz, gesehen zu werden, reflektiert, so fungiert als Subtext einmal mehr die kollektive Erinnerung an das NS-Regime und dessen Anleihen an ein angebliches Germanentum inklusive der Runenreihe sowie nordischer bzw. keltischer Symbolik. Ein nordisches Pantheon öffentlich zu verehren, alte – vermeintlich ans Territorium gebundene – Riten zu pflegen und sich auf germanische Zeichen zu beziehen, insbesondere Runen, die zu den zentralen Signifika(n)ten für Faschismus und Nationalsozialismus gehören, bleibt politisch problematisch. Praktizierenden wird schnell eine Form nationalistischer und dabei rassistischer Ideologie nachgesagt als auch fehlende Sensibilität für die Kompliziertheit deutscher Geschichte. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Hexen nicht irgendwann und zu beliebigen Zeiten öffentliche Rituale auf dem Teufelsberg abhalten und sich ihnen hierzu die Möglichkeit hierzu bietet, sondern dass es Daten und Anlässe im urbanen Kontext gibt, die dies begünstigen und herausfordern. Hierzu zählt der 30. April, die Walpurgisnacht. Die Nacht ist nach der englischen Heiligen Walburga (717-779/80) benannt. Als ihr Gedenktag galt der 1. Mai (wahrscheinlich der Tag ihrer Heiligsprechung), wobei Walburga allmählich auch mit dem Vorabend in Verbindung gebracht wurde.11 In diese Bedeutung mischt sich die vor allem durch deutsche Überlieferungen und Literatur tradierte Vorstellung vom 30. April als der »Hexennacht«. Entsprechend der Legende ist dies die Zeit, wenn Hexen zum wilden Tanz mit dem Teufel auf den Brocken ausfahren (Grimm 1854: 1.003/1.004).12 Berliner Hexen machen genau das: Sie fahren aus zum ausgelassenen Beisammensein. Der Teufelsberg – verstärkt durch seinen Namen – gerinnt zur Allegorie auf 11 | Walburga wurde höchstwahrscheinlich von Papst Hadrian II im Jahre 870 heiliggesprochen (siehe Casanova 1912: 527); für eine genaue Diskussion, wie die Nacht vom 30. April zum 1. Mai den Namen »Walpurgisnacht« erhielt, siehe Cooper 2007: 10-12. Cooper zeigt auf, dass zwar die heilige Walburga die entscheidende Person ist, wenn es um die Namensgebung der Nacht geht, zugleich aber synthetisieren sich in dem Namen verschiedene historische Figuren, Ereignisse und Daten, die sich lose aufeinander beziehen. 12 | Der Legende nach suchen Hexen jeweils den höchsten Berg einer bestimmten Region auf. Dementsprechend erwähnt Grimm nicht allein den Brocken, sondern verweist auch auf andere Berge, wo sich vermeintlich Hexen versammelt haben sollen bzw. versammeln. Zur Verbreitung der Idee der »Hexennacht« auf dem Brocken zu Walpurgis trug insbesondere Goethes Schrift »Faust I« bei.

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die Legende: Hexen wandeln ihn in den Brocken von Berlin. Immer wieder höre ich in diesem Zusammenhang von Hexen, dass »sein Name einfach zu uns passt« (z.B. Feldnotizen, 11.05.2011; 30.04.2012; 21.06.2014), wobei er eine derartige diskursive Mächtigkeit entfaltet, dass, obwohl Hexen mittlerweile auf dem danebengelegenen Drachenberg feiern, auch dieser Treffpunkt von Anbeginn an schlicht Teufelsberg lautete – geografisch-formal ein Irrtum, (alltags-) kulturell wahr.13 Die Legende von der »Hexennacht« ist eingelagert in die feministische Deutung des 30. Aprils als Datum des lauten Protests gegen männliche Gewalt gegenüber Frauen und des Aufrufs zur weiblichen Emanzipation vom Patriarchat.14 »Es geht auch um Machtzurücknahme,« meinte Katja während eines Interviews mit Blick auf die Rituale am Teufelsberg zu Walpurgis, »dass die Frauen ihren eigenen, vollen weiblichen Machtanspruch wieder zu sich nehmen« und dafür mutig Öffentlichkeit kreieren (Interview von Margarete Steinhausen mit Katja vom 30.04.2014). Männern ist die Teilnahme an den Ritualen auf dem Teufelsberg nicht grundsätzlich verwehrt, aber sie ist auch nicht selbstverständlich. Sie muss besprochen und ausgehandelt werden: ein Moment, der auf die frauenbewegte Bedeutung des Datums der 1970er und 1980er Jahre zurückgeht. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Walpurgis inzwischen zu einem festen urbanen Event geworden ist – nicht nur Hexen und feministisch orientierte Menschen, sondern eine Vielzahl Berliner*innen mit unterschiedlichsten Existenz- und Weltvorstellungen sind an diesem Abend auf den Beinen. Es ist allgemein die Nacht der lustbetonten Gegenwehr, die Vorbotin des 1. Mais als »internationalem Kampftag«, der in Westberlin der 1980er Jahre in besonderer Weise wiederbelebt und radikalisiert wurde.15 Man protestiert auf 13 | Wie stark der Name Teufelsberg für den Drachenberg alltagskulturell und allgemein im Stadtkontext verankert ist, zeigt eine kurze Filmdokumentation zu den neuheidnischen Hexen. Hier wurden Rituale auf dem Drachenberg gefilmt und stets unter Teufelsberg gelabelt. Der formale Fehler ist nie beanstandet worden, noch gab es je Nachfragen. Anders gesagt: Die Benennung wurde nicht als möglicher Fehler erkannt. Wenn ich von »wahr« spreche, greife ich eine Idee und begriffliche Fassung auf, die Foucault in seiner »Ordnung des Diskurses« entwickelt. Er führt aus, dass Gegenstände und Begriffe Regeln des Diskurses folgen müssen, um wahrgenommen zu werden und um »im Wahren« zu sein. Der Drachenberg ist aus dieser Perspektive nicht »im Wahren« – der Teufelsberg schon. Dementsprechend war es auch so, dass bei der Rede vom Drachenberg, Hexen anfänglich nicht wussten, wo der Treffpunkt lag, sagte man Teufelsberg, war ihnen klar, wo sie hinzukommen hatten. 14 | Siehe hierzu ausführlich das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit. 15 | Hier ist vor allem auf den 1. Mai 1987 zu verweisen, wo die Auseinandersetzungen zwischen der Berliner Polizei und Demonstrant*innen in vorher nicht gekannter Härte

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abendlichen Demonstrationen und Straßenfesten gegen Rassismus, Kapitalismus und Diskriminierung, tritt für Gemeingut, Umweltschutz und gleiches Geld für alle ein. Es wird in den Mai hineingetanzt und hineindiskutiert, gestritten und getrunken.16 Anders gesagt, in der gesamten Stadt werden in dieser Nacht Möglichkeiten des Zusammenlebens und des Umgangs mit der Gesellschaft und der Erde erdacht und propagiert, die als notwendig, aber immer noch randständig gesehen werden. Mit dem von den Hexen gewählten Ort und bestimmten Zeitpunkt, so zeigt sich also, bringen sie ihre mythologischen wie (politisch-)feministischen Vorstellungen mit urbaner (Protest-)Kultur und Imagination auf das Engste zusammen und schreiben sie spezifisch fort. Hexe zu sein, überkommene Riten zu pflegen und nordische Symbole aufzugreifen, mag ungewöhnlich erscheinen, und – insbesondere bei Bezügen auf ein Germanentum – als politisch illegitim deklariert werden. Doch für diese streitbare alternative Weltvorstellung, die sich dabei kundtut, bietet gerade die Nacht der Walburga die Bühne und man kann auf Offenheit und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung hoffen. Es ist signifikant, dass die Walpurgisnacht auf dem Teufelsberg zu einem Ereignis geworden ist, das sich unter neuheidnischen Hexen nicht nur in Berlin, sondern weit darüber hinaus großer Beliebtheit erfreut: Über 40 Frauen aus der gesamten Bundesrepublik finden sich zu den Ritualen ein. Dies spricht für die diskursive Überzeugungskraft von Ort und Zeit. Führt man sich nun jedoch den Ritualkalender neuheidnischer Hexen mit den darin verzeichneten Jahreskreisfesten vor Augen, so wird offenbar, dass eine Nacht bzw. ein Fest mit diesem Namen darin nicht verzeichnet ist. So muss Walpurgis bei genauerer Betrachtung als eine historisch-(urban-) kulturelle Camouflage der Hexen verstanden werden, die sie nutzen, um damit ihr Fest des »vollen Erblühens der Natur und der Freude am Leben« zu begehen und jenen, die sich jenseits der Hexenreligion befinden, dieses Fest nahezubringen: Hexen holen Außenstehende in dieser Nacht gewissermaßen von bestimmten Erwartungen und standardisierten Bildern von der Nacht ab und machen sie mit neuen Bedeutungen und Vorstellungen darüber vertraut. Sie selbst feiern dabei das Beltanefest, das auf den Vorabend des 1. Mais ausgetragen wurden. Medial wurde der 1. Mai dabei zu einem der entscheidenden Bilder für Kreuzberg und in der Fortschreibung für Westberlin als eine Enklave von radikalen Außenseiter*innen, siehe hierzu ausführlich Lang 1998: 148-152. 16 | Siehe beispielsweise Veranstaltungshinweise für 2016 unter www.xhain.info/ termine/erstermai.htm; letzter Zugriff: 01.11.2017. Weitere Standorte, wo in den Mai hineingetanzt wird und man gemeinschaftlich diskutiert: der Mauerpark und die Kulturbrauerei. Dabei »strahlt« das City-Event in die Umgebung von Berlin aus, in Potsdam beispielsweise mit dem »Rhythm against Racism Festival«.

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fallen kann, aber nicht muss.17 Auf der Ebene des neuheidnischen Gött*innenmythos nimmt sich zu diesem Zeitpunkt die große Göttin den zu einem jungen Mann herangewachsenen Gott zum Geliebten und wird schwanger. Der Name Beltane geht auf Bel, den keltischen Gott des Feuers zurück.18 Dementsprechend wird in dieser Nacht das Feuer entfacht, wobei der Sprung darüber häufig als Liebeszauber galt und gilt. Die zukünftige Mutterschaft der Göttin sehen neuheidnische Hexen vor allem als Metapher für Ideen, Projekte und Wünsche. Mit diesen gehen sie sozusagen schwanger. Beltane lässt eine Zeit beginnen, in der sie reifen.19 Im Ritual beginnen sich dabei gleichsam die Feier und die Walpurgisnacht in ihren religiösen, feministischen und stadtkulturellen Bedeutungen zu durchdringen. Der Ort, wo all dies passiert, ist für neuheidnische Hexen symbolhaft der Kessel, genauer der Hexenkessel – für Katja und die Mitorganisatorinnen des Rituals also konkret Berlin. Wenn sie die Stadt als Hexenkessel beschreiben, so wird sie klar in die neuheidnische Kosmologie integriert, denn der Hexenkessel ist nichts anderes als das Sinnbild für den »Mutterschoß der großen Göttin« und damit zugleich für die »Urkraft«, aus der alles Leben geschöpft wird. Die Frauen, die auf dem Teufelsberg feiern, verankern sich darin, was meint, dass sie sich, feministisch inspiriert, die Macht der großen Göttin, die »Urkraft« (in Berlin), zurückholen wollen. Wie aber tun sie das genau? Und wie kommen sie an diesen für sie bedeutsamen, mit historischen und mythologischen Imaginationen angefüllten und so passenden und passend gemachten urbanen Ort wie den Teufelsberg? Wie feiern sie ihre Rituale konkret und entwickelt sich ihre Performanz? Und wie werden Außenstehende involviert? Was wird für sie sichtbar? Kurzum: Wie entwickelt sich das »Spiel aller für alle«? In meinen folgenden Betrachtungen geht es mir um den Verlauf von Ritualen und auch um eine Art Chronologie der Sichtbarwerdung der Hexen. Doch statt schlicht die Aufeinanderfolge von rituellen Handlungen zu beschreiben, konzentriere ich mich auf zwei rituelle Elemente, die die Zeremonien der Hexen prägen: zum einen auf Tänze, wobei mich vor allem interessiert, wie Runen hier zum Mittel der Bewegung werden können; zum anderen auf das offene Feuer im Ritualkreis. Die Bedeutsamkeit dieser zwei rituellen Bestandteile und die zeremonielle Vitalität, die sie entfalten, wird die Blick- und Analyserichtung bestimmen. Dabei ist herauszustellen, dass die mit den Tänzen 17 | Hierüber besteht unter Hexen Uneinigkeit. Mit dem Verweis darauf, dass es in vorchristlichen Zeiten keinen gregorianischen Kalender gegeben hat, orientieren sich einige an den Mondphasen – hier kann, muss aber Beltane nicht auf den 30. April/1. Mai fallen. Im angloamerikanischen Kontext wird nur der 1. Mai gefeiert. 18 | Rensing 2006: 224; Zell-Ravenheart 2006: 193/203. 19 | Zur komplexen theologischen Bedeutung von Beltane siehe Rensing 2006: 223226.

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genutzten Runen und das entfachte Feuer historische Deutungen und die Regulierungen des öffentlichen urbanen Raums in herausgehobener und höchst unterschiedlicher Weise herausfordern. Sie verfügen über geschichtlich-grundierte, feste referentielle Bedeutungen, zugleich wird um diese Bedeutungen kontextbedingt immer neu gerungen und diese im rituell-körperlichen Akt erst kreiert und synthetisiert. Runen und Feuer verdichten in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten und Grenzen des Öffentlichwerdens neuheidnischer Vorstellungen und des Hexentums im heutigen Berlin. Zudem tritt mit Runen und Feuer besonders anschaulich hervor, wie sehr die Herstellung von Öffentlichkeit alle sinnlichen Erfahrungen umfasst. Klang, Bewegung, Helligkeit und Hitze – dies alles wird im Zusammenspiel zu einem bedeutungsgeladenen und öffentlich gemachten Zeichen des Berliner Hexentums.

Der Tanz der Hexen zu Walpurgis und die öffentliche Herstellung urbaner Zugehörigkeit Zu Walpurgis ist der Teufelsberg sehr gut besucht. Gleichwohl der Winter mit seinen unangenehm geringen Temperaturen abends noch präsent ist, sind viele Menschen bis nach Sonnenuntergang im Grunewald unterwegs: Junge Erwachsene haben ihre Grillvorrichtungen auf den Berg gebracht und machen sich bei lauter Musik für die Mai-Party bereit; Punks kommen zusammen und feiern in den Kampftag hinein. Ältere – Mitte 40 und aufwärts – tragen ihre Campingstühle nach oben und genießen bei ein paar Gläsern Wein das gebotene Stadtpanorama. Hier und dort kann man Leute entdecken, die Thai Chi oder Yoga praktizieren. Manche schlagen die Trommel, während die Sonne untergeht. In dieser Szenerie sind neuheidnische Hexen als eine weitere Gruppe, die sich hier versammelt, leicht auszumachen. Einige haben ihre samtene oder in Leinen gehaltene Gewandung angelegt. Andere Hexen sind in weite, hippie-eske Kleider mit Batikmustern und Wickeloptik gekleidet. Einzelne »Chapati-Hexen« gesellen sich dazu.20 Manch eine schließlich kommt in ihrem alltäglichen Outfit (Jeans, T-Shirt, Mantel). Diese semantische Mischung des Sich-Kleidens generiert – gerade auch wegen der Vielzahl der versammelten Hexen – einen beeindruckenden visuellen Marker, den die anderen Besucher*innen des Berges zwar nicht entziffern können, aber wahrnehmen, und in Gesprächen vorerst als »irgendwie alternativ und öko« kommentieren (Feldnotizen/Gespräch mit den anderen Besucher*innen, 30.04.2014). Für Hexen untereinander wird lesbar, auf welche historischen Ressourcen die Ein-

20 | Zur Bedeutsamkeit der Ritualkleidung und der »Chapati-Hexe« siehe das vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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zelne in ihren neuheidnischen Ideen zugreift und wie hoch individualisiert man dabei bleibt. Wie in der Ritualpraxis neuheidnischer Hexen üblich, beginnen auch die Zeremonien auf dem Teufelsberg mit dem Ziehen des magischen Kreises; und wie stets ist jede, die zum Ritual gekommen ist, aufgefordert, etwas in den Kreis »zu bringen«. Ein besonderer Raum »zwischen den Welten« soll entstehen: durch das gesprochene Wort, die Rezitation eines Gedichts, einen kurzen Tanz oder Gesang. Davon ausgehend sind die Rituale zu Walpurgis in jedem Jahr anders gestaltet und sehr frei bzw. wenig strukturiert, was die für Hexen so wichtige Kunst des Ritualisierens anschaulich spiegelt. Und doch: Betrachtet man die Rituale etwas länger, so treten einige wenige Darstellungsweisen, Dinge und Abläufe hervor, die eine gewisse Persistenz aufweisen. Hierzu zählen sowohl die rituellen Tänze, in denen auch die Darstellung von Runen erprobt wird, als auch der zeremonielle Umgang mit Feuer. Entsprechend der Abfolge ihres Aufscheinens im Ritual wende ich mich in meinen Betrachtungen zuerst dem Tanz – dem Tanz der Runen – zu, um sodann auf das Feuer zu schauen, das erst zur späten Nacht entzündet wird. Es ist vorauszuschicken, dass Hexen Runen zumeist eher »ziehen«, »legen« oder »werfen«. Sie nutzen hierfür sogenannte Runen-Karten oder holzgeschnitzte Buchstaben, die die jeweiligen Runen darstellen. Jeder Rune werden ein Laut und eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben. Es werden – zumeist auf das persönliche Leben fokussierte – Fragen formuliert (z.B. die eher als undifferenziert geltende Frage: Was bringt die Zukunft oder – als wesentlich genauer und damit produktiver eingeordnet – was kann ich tun, damit sich ein bestimmter Wunsch erfüllt, beispielsweise eine Schwangerschaft, Erfolg im Erwerbsleben oder die Verarbeitung einer aufgelösten Beziehung) und je nachdem, welche Runen gezogen, gelegt oder in welcher Konstellation sie nach dem Werfen liegen, versuchen Hexen eine Möglichkeit der Weissagung zu gewinnen. Wenn Hexen auf dem Teufelsberg Runen tanzen und intonieren, werden sie in Bewegung und Klang gleichsam selbst zur Rune. Für sie stellt dies nicht mehr allein einen Weg der Weissagung dar, sondern es geht darum, in einen besonderen leiblichen Zustand zu geraten und vom Erlebnis der großen Transzendenz und des Göttlichen absorbiert zu werden.21 In mehrfacher Hinsicht ist dies für Hexen ein mutiges Unterfangen, was in seinen Vor- und Nachteilen vorher intensiv abgewogen wird: Nicht allein weicht dieser leibliche Zustand stark vom im Alltag konventionierten Körpergebaren ab und stellt einen sozial und emotional verletzlichen Moment dar, der häufig auf die Privatsphäre als Schutzraum begrenzt wird, um sich nicht möglichem Spott preiszugeben. 21 | Zur Definition der »großen Transzendenz« als einer Erfahrung des Religiösen, mithin auch Göttlichen, siehe die Einleitung der vorliegenden Arbeit.

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Diese Erfahrung in den öffentlichen Raum zu transferieren und dabei Runen zu nutzen, trägt zudem das Risiko des politischen Missverständnisses in sich. In Teilen ist die öffentliche Nutzung der Runensymbolik ob ihrer NS-Vergangenheit gar verfassungswidrig und kann strafrechtlich verfolgt werden. Sicherlich, dies trifft nur vereinzelt auf das Intonieren und körperliche Darstellen von Runen zu 22, aber der Aspekt der Kriminalisierung von Runenzeichen im Zusammenspiel mit der erhofften außeralltäglichen Transzendenzerfahrung lässt die Performanz zu einem sozialen wie politischen Wagnis für Hexen werden. Genau dieses Wagnis – der Akt, sich gegen geltende Ansichten zu stellen – birgt für Hexen sehr viel Reiz.23 Zudem gelten Runen unter einer Vielzahl neuheidnischer Hexen als derart kraftvolle magisch-religiöse Zeichen, die bereits im vorchristlichen Nordeuropa als solche in Gebrauch waren, dass man sie ungern aus Rücksicht auf politische wie soziale Umstände ungenutzt lassen möchte. Es ist gerade die begehrte Ressource geschichtlicher Authentizität, die Runen mit religiöser Überzeugungsfähigkeit versorgt. Runen mit Ton und Bewegung auszustatten, erfolgt nach strikten Regeln und wird von Hexen gern als Tanz beschrieben, historisch als Runengesang bzw. Runengymnastik/-stellen bezeichnet. Um nachzuvollziehen, welch ein (sinnliches) Schauspiel sich bei dieser spezifischen Praxis und Performanz auf dem Berg entwickelt bzw. sichtbar und so öffentlich wird, soll genauer geschaut werden, wie die Darstellung der Runen konkret erfolgt. Deren Bedeutsamkeit erschließt sich nur, wenn man versteht, welche geschichtlichen »Ursprünge« hierbei imaginiert und verhandelt werden. Um eine Rune zum Erklingen zu bringen, sollte sie vorab visualisiert werden: Die Rune wird sich vorgestellt, wobei sie bestimmten (göttlichen) Kräften zugeordnet ist. Diese Kräfte können nun aktiviert und auf ein bestimmtes Ziel, das man erreichen möchte, gelenkt werden. Sodann atmet man tief ein und trägt mit der Luft, die ausgeatmet wird, den Klang und damit zugleich die Kräfte der Rune weiter »in die Welt«. Mehrere sinnliche Erfahrungen sind dabei im Spiel: Man kreiert und hört den Klang der Rune nicht nur, man soll die Rune zudem durch die Vibration der Stimme spüren und mit der Zunge

22 | Der ideologische Missbrauch der Runen in der NS-Zeit bezieht sich bei genauer Betrachtung auf zirka 10 Runen: darunter die Thyr-Rune als Symbol für »Kampf«, die Sowilo-Rune als Symbol für »Sieg«, die Othala-Rune als Symbol für Erbschaft und die Os-Rune für »Treue«. Die Thyr- und Sowilo-Rune sind in jeder Variation in Deutschland verboten, die Othala- oder Odal-Rune ist als Zeichen in rechtsextremen Zusammenhängen verboten. 23 | Zu dem Reiz, sich als Hexe gegen Konventionen/allgemein anerkannte Regeln zu stellen, siehe auch das vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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schmecken (Paxson 2005: 23; Fries 1997: 183-188).24 Es gibt kaum tradierte Vorstellungen darüber, wie genau Runen intoniert werden. »Aber es gibt Hinweise«, erklärt Faye: »wie es sich anfühlt, wenn du einen Vokal [aus denen die Runen bestehen, V.H.] richtig singst. I vibriert hinter deiner Stirn, E vibriert im Kehlbereich, A im Herzbereich, O im oberen Bauchbereich, U im unteren Bauchbereich. Wenn du die Vokale sicher singen kannst, dann geht es auch leicht, sie in einem ganzen Wort zu intonieren.« (Interview, 07.06.2014) 25

Die Runengymnastik bzw. das Runenstellen lässt die sinnliche Erfahrung umfassend werden. Dabei gelangt ein klar umrissenes Set physischer Stellungen zur Aufführung. Gleichwohl einige neuheidnische Hexen diese als von den Ahnen und Ahninnen geerbte Erinnerung definieren, die sie reaktivieren und so dem Vergessen entreißen wollen, haben sie ihre Wurzeln in der völkischen bzw. ariosophischen Bewegung und wurden Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre von den Okkultisten Friedrich Bernhard Marby (1882-1966) und Siegfried Adolf Kummer (1899-1977) entwickelt. Insbesondere Marby sah das Stellen von Runen durch den eigenen Körper als einen kollektiven »Aufrassungsweg« (Marby 1935), dessen Resultat ein »starke[r], kraftvolle[r], allen Unbilden des Lebens gewachsene[r] Körper« sein sollte: »[…] der saftreiche, muskelbewehrte, in allen Proportionen harmonisch gebaute Nordling« (Marby 1935: 65,66). Dies, so Marby, würde letztlich die Basis einer 24 | Zu Diana L. Paxson siehe auch das vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit. Sie folgt einem germanisch-nordischen Pantheon und veröffentlichte ab den 2000er Jahren Bücher zur religiösen Praxis des Asatru – einer Form des germanisch orientierten Neuheidentums. Ihr Buch »Taking up the Runes« erfreut sich unter Reclaiming-Hexen zunehmender Popularität. 2014/2015 würde ihr Buch von Berliner Reclaiming-Hexen (wie im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit kurz erwähnt) gelesen, die dortigen gebotenen Rituale nachvollzogen und in der Wiederholung auch verändert. Zu Jan Fries etwas ausführlicher im späteren Teil des Kapitels. Er ist ein aktiver Neuheide und wird unter Hexen und Neuheiden rezipiert. 25 | Faye ist stark von Jan Fries inspiriert. In seinem Buch »Helrunar« verbindet er die Intonierung von Runen mit der Vier-Elemente-Lehre: »Der Kopf ist mit dem Element des Geistes und dem Laut ›I‹ verbunden. Hals und Rachen korrespondieren mit dem Atem, der dem Element Luft und dem Laut ›E‹ entspricht. Der Solarplexus, der mit Herz, Leber und Magen die ›Zentralheizung‹ des Körpers kontrolliert, ist mit Feuer und dem warmen Laut ›A‹ verbunden. Im unteren Bauch ist die Region des Wassers – korrespondierend mit Darm, Nieren, Blase und der Klangschwingung des Lautes ›O‹. Zuletzt gibt es das Ende der Wirbelsäule mit Genitalien, Damm, After und den Beinen – dies ist der Bereich der Erde, der Tiefen darunter und des tief klingenden ›U‹[…]« (Fries 1997: 183).

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»arischen Kultur« bilden, die allen anderen Kulturen überlegen sein sollte. Teile neuheidnischer Hexen sind sich des äußerst schwierigen historischen Hintergrunds deshalb nicht bewusst, weil sie unter anderem – und dies mag im ersten Moment paradox klingen – darauf bedacht sind, beim Erwerb von Kenntnissen über Runen Literatur zu verwenden, die nach 1945 erschienen ist. Indem sie Publikationen aus der Zeit nach dem NS-Regime nutzen, hoffen sie, ein Wissen über Runen zu erlangen, das frei von nationalsozialistischer und völkischer Ideologie ist. Allerdings haben die Buchautor*innen selbst sehr wohl und in starken Maßen auf Quellen aus der NS-Zeit und der völkischen Bewegungen zurückgegriffen (inklusive Marby und Kummer) und die Mehrheit von ihnen versucht, die Hinweise darauf galant zu verwischen.26 Beispielsweise wird in der Schrift »Helrunar« des deutschen Okkultisten Jan Fries, die unter Neuheid*innen und Hexen verbreitet ist, zwar auf die »heidnisch-nationalistische« Geschichte des Runenstellens verwiesen und Marby und Keller sind kurz erwähnt (ohne sie in die Bibliografie aufzunehmen), aber die Ursprünge dieser Praxis werden letztlich ins »Unbekannte« datiert (Fries 1997: 178). Der US-Amerikaner Edred Thorsson alias Stephen Edred Flowers wiederum, der ebenfalls intensiv rezeptiert wird und seines Zeichens Altgermanist und in verschiedensten neuheidnischen Gruppen aktiv ist, formulierte in seinen Publikationen die ariosophische Bezeichnung »Runengymnastik« kurzerhand altnordisch um. Aus »Runengymnastik« wurde so »Stadà« (Plural: Stödhùr): der Begriff für »Stellung«. Für das Intonieren der Runen schuf er den Begriff »Galdr«, was »Gesang« bedeutet (Thorsson 1987). Diese sprachliche »Skandinavisierung« ehemals ariosophisch geprägter Konzepte erleichtert deren Wahrnehmung unter Neuheid*innen und Hexen als »authentische« nordisch-germanische Tradition.27 Für Hexen stellt in diesem Zusammenhang der Umgang mit Runen auch einen politischen wie religiösen Akt des Entwindens der Zeichen von einer Vereinnahmung durch die NS-Geschichte dar. Durch die eigene Nutzung gibt man ihnen gleichsam ihre »ursprüngliche« Bedeutung zurück. Man »reinigt« sie von Falschinterpretationen. Wie Melany mir gegenüber einmal energisch anmerkte, als wir uns über die beständige Assoziation des Runengebrauchs mit dem Nationalsozialismus und »rechter Ideologie« unterhielten:

26 | Eine Ausnahme bildet hier beispielsweise der Schriftsteller Karl Spiesberger, der sich eingehend mit Runenmagie beschäftigt und ab den 1950er Jahren Bücher hierzu veröffentlicht und dabei kritisch auf Marby und Kummer als seine Quellen verweist. 27 | Für eine detaillierte Analyse der deutschsprachigen sogenannten Runen-Esoterik zwischen 1900 und 1945 und der Rezeptionswege nach 1945 in den neuen religiösen Bewegungen, insbesondere dem Neuheidentum, siehe Gründer 2009.

Öffentlich werden »Ich lasse mir doch von den Nazis und durch die Geschichte das Runenalphabet und das -stellen nicht nehmen. Das ist doch alles viel älter. Ich benutze Runen so, wie sie unsere Vorfahren benutzt haben und was ihre ursprüngliche Bedeutung ist, das hat mit den Nazis wenig zu tun.« (Gespräch, 28.11.2011)

Es gibt schließlich eine Vielzahl von Hexen, die sich der historischen Wurzeln gerade des Runenstellens in der völkischen/ariosophischen Ideologie sehr bewusst sind, aber sie definieren diese als bedeutungslos für ihre Praxis. Faye beschreibt es so: »Ich habe das [Runen-Stellen wie auch Runen-Intonieren, V.H.] immer völlig frei von irgendwelchen ideologischen Hintergründen gesehen. Ich habe nicht gedacht: ›Oh, Göttin, hat der das gesagt? Dann kann ich das nicht machen!‹ So etwas interessiert mich nicht. Weißt du, wenn man sich immer nur von solchen Glaubenssätzen und von irgendwelchen Leuten, die einen geringeren Horizont haben als man selber […] einschränken lässt, dann kann ich irgendwann das Haus nicht mehr verlassen. Das geht einfach nicht, deshalb habe ich das [Runen-Stellen, V.H.] ausprobiert. Ich bin da sehr experimentell und ich habe gespürt, was mir guttut. Für die Runenarbeit habe ich es so gesehen, dass, wenn wir die Runen stellen, wir uns auf einer anderen Ebene der Rune annähern. Wir haben hier verschiedene Ebenen: Wir können sie lesen, wir können sie vibrieren, wir können sie stellen und […] wir haben sie sogar gebacken und verzehrt. Man nähert sich auf unterschiedliche Art und Weise der Bedeutung von Runen an […], denn die Rune ist ein Symbol. Es geht dann darum, ein größeres Verständnis für dieses Symbol zu bekommen.« (Interview mit Faye, 07.06.2014)

All diese verschiedenen Deutungen von und Empfindungen gegenüber der Geschichte, den »Ursprüngen«, der Wirkung und Bedeutsamkeit des Runenstellens und -gesangs sind der Performanz auf dem Teufelsberg eingelagert und werden zur Aufführung gebracht. Einige neuheidnische Hexen kennen die Runenstellungen nur ungenau und doch vollziehen auch sie die Bewegungen und den Gesang und besinnen sich in ihrer Unsicherheit auf eine Art Mimikry.28 Aus der Disparität von Auffassungen und Kenntnissen erwächst eine erstaunliche Synchronie von Ton und Bewegung, die Hexen bei aller Unterschiedlichkeit und Individualität zu einer Gemeinschaft formt. Der Runentanz der Hexen vereint gleichsam unterschiedlichste historische wie politische Zu-

28 | Wie im jüdischen Lubavitch-Chassidischen Kontext die körperliche Praxis der Mimikry zur Anwendung kommt und entscheidend zum religiösen Community Building beiträgt, siehe Hegner 2009.

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schreibungen zu einem Ganzen.29 Er wird dabei zum Ausgangspunkt von Bewegungen, die in ihrer Simultanität immer auch schwanken und schließlich in eine große tanzende Menge aufgehen. Der Tanz wird so zu einem lauten und ausdruckstarken Zeichen des geteilten Erlebens von Transzendenz. Niemand auf dem Berg kann das ignorieren. Doch was nehmen die anderen jenseits der Reihen der neuheidnischen Hexen vom Ritual wahr? Was wird für sie in der Performanz sichtbar und von den Hexen und der Hexenreligion für sie öffentlich? Welches »Spiel aller für alle« wird also gespielt? Wenn sich der Gesang erhebt, sind Außenstehende stets erstaunt. Sie halten in ihrer Routine inne und beginnen, aus der Distanz den Fortgang der Zeremonie genau zu beobachten. Doch schon bald gehen sie wieder ihren eigenen Angelegenheiten nach.30 Sie wenden sich ihren Freund*innen und Bekannten zu und zeigen sich gleichgültig. Anders gesagt: Man findet schnell zum Kodex der Simmelʼschen städtischen Blasiertheit zurück. Dabei mag eine Rolle spielen, dass, so sehr die Rituale der Hexen zu Walpurgis auch Präsenz entwickeln, sich diese Rituale jenseits ihrer Anhängerschaft schwer als das dekodieren lassen, was sie sind: Runentänze. Hexen tragen mutig ihre Bezüge auf eine nordisch-germanische Symbolik in den öffentlichen Raum. Doch die potentielle politisch-historische Problematik, die sie kritisch reflektieren und die dauerhaft Aufmerksamkeit erregen könnte, wird nicht erkannt bzw. gesehen. Die Rituale erscheinen lediglich ungewöhnlich und anders. Weil sie damit zu Walpurgis letztlich doch nichts Besonderes darstellen, was der längeren Beachtung wert wäre, gehen sie vielmehr in der Menge von ungewöhnlichen Ereignissen der Nacht als eines von vielen auf. Zugleich reproduzieren sie jenes allgegenwärtige, gelebte und inszenierte Image Berlins, ein Reservoir für alternative, exzentrische Lebensstile zu sein: ein Image, das durch Stadt-Slogans wie »arm aber sexy« oder »be crazy, be curious, be Berlin« längst in eine symbolisch-ökonomische Ressource urbaner Kultur gewandt wurde.31 Das ge29 | Goffman führt den besonders integrativen Charakter von gemeinschaftlichen Performanzen auf die gegenseitige Abhängigkeit im »Performanz-Team« zurück, um die Performanz zu einem Erfolg zu bringen (Goffman 1956: 50). 30 | Während des Rituals gibt es einige Frauen, die teilweise darauf achten, dass der magische Kreis als Schutzraum erhalten bleibt. Blicken Außenstehende zu lange auf das Ritual – gaffen – und scheinen darüber zu lachen, wird auf sie zugegangen und sie werden aufgefordert, entweder mitzumachen oder ihr Verhalten zu unterlassen. 31 | Der City-Slogan »arm aber sexy« war vor allem in den 2000er Jahren virulent und wurde schnell von der (internationalen) Tourismusindustrie aufgegriffen. Er geht zurück auf ein Interview, das zwei Journalistinnen des Journals Focus Money 2003 mit dem damals regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit führten. Unter der Rubrik »Money Talk« wurde er unter anderem gefragt, ob Geld sexy mache. Er gab zurück:

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botene Berlin-Panorama von den Berggipfeln verstärkt dieses kulturelle Motiv visuell. Die Stadt dehnt sich in der Ferne scheinbar endlos aus, und dieser weite Blick über die Lichter der Großstadt hinweg füllt sie an mit Imaginationen davon, wieviele Millionen verschiedener Lebenswege, -welten und -träume hier ermöglicht, erprobt, realisiert oder vielleicht doch scheitern werden.32 Hexen werden also mit ihrer rituellen Performanz und ihren Runentänzen auf dem Teufelsberg insoweit öffentlich, als dass sie als Gruppe und als Teil und Repräsentation der gelebten und imaginierten Stadtkultur wahrgenommen werden. Ihre konkreten religiösen und mythologisch-historischen Vorstellungen, die im Ritual zum Tragen kommen, bleiben jedoch für Außenstehende vorerst unsichtbar – zumindest sind sie rätselhaft, worin sich zwar ein Spezifikum des Selbstverständnisses als Hexe andeutet, aber als solches nicht (an-)erkannt wird. Es ist bei eingehender Betrachtung das Feuer und seine rituelle Aneignung, womit über die Symbolik urbaner Zugehörigkeit und Rätselhaftigkeit hinaus die religiös-magische Weltsicht der Hexen und die Identifikation als Hexe für die anderen Besucher*innen des Berges genauer hervortritt, erkennbar und vermittelt wird. »Das Spiel aller für alle« umfasst dabei mehr als blasierte Zustimmung. Es wird intensiviert.

Die Öffentlichwerdung des religiös-magischen Weltbildes der Hexen Jedes Jahr entzünden neuheidnische Hexen zu Walpurgis nach ihren rituellen Tänzen feierlich ein Feuer auf dem Berg. Schließlich ist es die Nacht von Bel, dem Feuergott. Der Sprung über die Flammen gehört zum erinnerten Repertoire vorchristlicher europäischer Bräuche und wird als Moment von be»Nein. Das sieht man an Berlin. Wir sind arm, aber trotzdem sexy« (Frey/Zwittlinger-Fritz 2003: 90). Der Slogan »Be Berlin« oder »Sei Berlin« entstand 2008 durch die Hauptstadtkampagne, die der Berliner Senat ins Leben rief, um Berlin als Reiseziel international bekannter zu machen. »Be crazy, be curious, be Berlin« wurde für das städtische »Festival of Lights« verwendet. Für eine detaillierte Diskussion, wie insbesondere Stadtplaner*innen ab den 1990er Jahren begannen, das vereinte (neue) Berlin als Zentrum alternativer Kulturen und kosmopolitischen Lebensstils zu inszenieren, siehe Till 2005, vor allem das Kapitel: »The New Berlin: From Kiez to Kosmos«, 31-58. 32 | Der Blick von oben, über die Stadt, ist für die urbane Erfahrung konstitutiv und ein wiederkehrendes Erzählmotiv (siehe auch das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit). Dies trifft besonders auf Berlin zu. In der Zeit der Teilung wurden das abendliche Dunkel (Ost) und das abendliche Hell (West, durch die Reklame und die intakte Straßenbeleuchtung) beim Anflug auf Berlin zu einer politischen Metapher (siehe Lindner 1993: 104).

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sonderer Magie interpretiert. Für neuheidnische Hexen ist der Sprung mehr als ein – wie bereits im vierten Kapitel angemerkt – überkommener Liebeszauber. So formulieren Hexen in ihren rituellen Ausrufen, die den Sprung begleiten, unterschiedlichste, über persönliche (Beziehungs-)Wünsche hinausgehende Hoffnungen und dabei vor allem auch gesellschaftliche Ziele: Über das Feuer zu springen, ist für sie immer auch ein zutiefst politischer Akt. Das Wort repräsentiert eine erste – akustische – Manifestation der Intention und der Sprung fungiert als Symbol wie auch konkrete Verkörperung der Transformation hin zur Verwirklichung. »Für Freiheit«, »für eine selbstbestimmte weibliche Sexualität«, »für Umweltschutz«, »wider das Patriarchat«, »dass das Flüchtlingscamp in der Ohlauer Straße erhalten bleibt«, »wider Krieg und Zerstörung« schallt es über den Berg, durchsetzt von Statements, die die »große Göttin in uns allen« hervorrufen sollen. Das Feuer und die Art und Weise, wie Hexen es laut über- und umspringen wirkt mehr als nur ungewöhnlich auf Außenstehende. Da ein Feuer zu entfachen und brennen zu lassen – auf dem Berg, inmitten eines Waldgebietes – durch die städtische Brandschutzverordnung strikt verboten ist und als eine besondere Gefahrenquelle deklariert wird, gerinnen die Flammen und das Ritual vielmehr noch zu einem riskanten Zeichen des Ungehorsams. Genau dies kreiert nach anfänglichem Desinteresse dem Tanz gegenüber dann doch Aufmerksamkeit. Denn hier bestätigt sich nicht schlicht ein Moment gelebter Stadtkultur – die zugeschriebene Alternativität Berlins –, sondern in dieser Situation wird darüber hinausgegangen und an die herausgehobene und exklusive Idee der lustvollen Gegenwehr zu Walpurgis angeschlossen. Jedes Jahr beginnt sich denn auch eine Vielzahl der anderen Besucher*innen des Berges – wenngleich nicht alle – in Richtung des Feuers in Bewegung zu setzen; und wie jedes Jahr werden sie von Hexen darin ermutigt, nicht nur zu »gaffen«, sondern, wenn sie das Feuer und seine Wärme genießen wollen, es ihnen gleichzutun und zu springen. Näherkommende jugendliche Frauen finden es dann beispielsweise »krass, was hier passiert«, während das Ritual unter den Trommelschlägen der Hexen seinem Höhepunkt entgegengeht und sie sich selbst immer stärker im Takt der Trommeln hin und her wiegen. Junge Männer kommen heran, möchten wissen, »was das alles hier bedeutet«, und wollen »erst einmal doch nur sitzen und gucken« (Feldnotizen, 30.04.2013 und 30.04.2014). Es sind zumeist Eltern mit ihren Kindern, und hier vor allem Mütter mit ihren Töchtern, die mit als Erste den Mut fassen und über das Feuer springen, worin sich die Wirkmächtigkeit der obschon nicht ausgesprochenen, so doch weitestgehend praktizierten Women-only-Politik sowie der »Frauen-Selbstermächtigungscharakter« des Rituals wiedergibt (Feldnotizen, 30.04.2012 und 30.04.2014, Telefonat mit Katja, 11.05.2012). Immer mehr Außenstehende gesellen sich über die Zeit dazu, springen und/oder setzen sich vor das Feuer. Man isst, redet, teilt Getränke. Sogar die patrouillierende

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Polizei wird zur Komplizin der Nacht: »Das Feuer nicht größer werden lassen. Wisst Ihr doch, dass das streng verboten ist. Bei der nächsten Kontrolle muss es aus sein«, meinen die Ordnungshüter*innen bei ihrem Kontrollgang in Berlinisch gefärbter Direktheit, die zugleich die Botschaft des Laissez-faire in sich trägt: Sie sagen es, entschwinden in die Dunkelheit und tauchen nicht mehr auf (Feldnotizen, 30.04.2014). Das Feuer kreiert einen inklusiven Raum von diversen Sets von Ideen, rituellen Praxen und Selbstverständnissen. Gleichwohl jene, die sich jenseits des Hexentums verorten, die neuheidnischen Weltvorstellungen und Ideen des Hexeseins in ihrer Komplexität nie vollständig durchdringen und in der Performanz verstehen und erkennen können, haben und gewinnen sie doch eine Idee davon, dass dieses Ritual einen »irgendwie alten Brauch« repräsentieren soll, der – mit all den Hoffnungen, Wünschen und Zielsetzungen, die hier formuliert werden – »linksliberal« wie feministisch intendiert ist. Sinnlich  – durch den Klang der Ausrufe, den eigenen Mut zum Sprung, die gefühlte Hitze, die Art und Weise, wie sich die Frauen ums Feuer bewegen und wie der Schlag der Trommeln im eigenen Körper nachvibriert – erhalten sie einen Einblick darin, wovon die rituellen Erlebnisse der Hexen geprägt sind. Es sind öffentlich gemachte Zeichen der Hexen, an denen Außenstehende teilhaben, diese nachvollziehen, dabei mitkreieren, mit Bedeutungen füllen und anerkennen. Durch das gesprochene Wort am Feuer erfahren sie konkret von den religiösen wie politischen Grundlagen der Zeremonie, hören von den Hexen und warum sie sich so nennen. Keineswegs entsteht dabei ein (heterotopischer) Ort der ausschließlichen Toleranz und Harmonie. Performativ wird hier auch die Kontroverse öffentlich. Wie in jener Walpurgisnacht, als eine Hexe für »unsere deutschen Ahninnen« sprang. Einige, die sich mittlerweile am Feuer versammelt hatten, protestierten. Darunter auch Frauen, die sich dezidiert als Migrant*innen der zweiten und dritten Generation verorteten. Jemand meinte, sie hätte aber türkische Vorfahren, erhob sich, nahm Anlauf und sprang »für unsere nichtdeutschen Ahninnen«. Damit wurden die im Neuheidentum schwierigen Bezüge auf eine nationale Zugehörigkeit und Identifikation in der Religionsausübung rituell und öffentlich zur Disposition gestellt und ein Stück weit – durch die bestärkenden Zurufe und den Fortgang des Rituals – mit aufgeweicht. Zugleich zeigt sich dabei die Urbanität des Berliner Hexentums an, das diese Formen der Auseinandersetzungen mit der Vielfalt der Menschen in dieser Stadt auszuhalten vermag und sich diesen jedes Jahr aufs Neue aussetzt. Für Hexen stellt dies einen besonders effektiven Weg dar, in der religiösen Praxis auch gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Mittlerweile hat sich – gleichsam mit den zu Walpurgis abgehaltenen Zeremonien – eine diskursiv-performative Zugänglichkeit des Ortes für Hexen ergeben, die sich stetig ausdehnt. So haben Hexen ab 2014 damit begonnen, auch

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Litha – die Sommersonnenwende am 21. Juni – auf dem Teufelsberg zu feiern. Einmal mehr beweisen sie dabei Gespür für passende stadtkulturelle Momente am geeigneten Platz – wird doch die Sommersonnenwende zunehmend zu einer urbanen Zeit, die stadtweit inszeniert und gefeiert wird und zu der sich der Berg erneut mit vielen Menschen füllt, die eine der längsten und wärmsten Nächte der Stadt genießen wollen. Und einmal mehr offerieren Hexen dabei ihre Vorstellungen von der Existenz auf der Erde und ihre religiösen, politischintendierten Gegenmodelle.

Von den Gipfeln in den Untergrund der Stadt Vom Teufelsberg aus kann man die weiteren Plätze, an denen Hexen auftauchen und mutig Sichtbarkeit kreieren, schnell überblicken. Mit jedem dieser Orte kommen stetig neue Facetten der Wechselbeziehung von religiöser Praxis und stadtkulturellen Zuschreibungen und Imaginationen ins Spiel: vom den Gipfel des Berges aus gerät zum Osten hin der Tiergarten in den Blick. Hexen nutzen ihn von den Frühlings- bis Sommermonaten als zeremoniellen Ort und verschafften sich so Öffentlichkeit.33 An diesem konkreten Ort ist der Umstand entscheidend, dass Berlins historische grüne Mitte – vor allem rund um das Kunstwerk der Global Stones – in den warmen Monaten zu einem Treffpunkt spirituell bzw. religiös ausgerichteter Gruppen avanciert. An den Wochenenden wird an den Steinen meditiert und Menschen finden sich zum gemeinsamen schamanischen Trommeln ein. Mantren werden gesungen und die hauptstädtische Dependance der World-Light-Association hielt hier Zeremonien ab, um »die hochschwingenden Energien galaktischen Lichts […] in der Erde Berlins [zu] verankern«.34 Werden neuheidnische Hexen mit ihren Ritualen auf dem Teufelsberg als eher ungewöhnlich und anders wahrgenommen und kreieren so Sichtbarkeit für sich, gehen sie hier – singend, trommelnd und mit den »Steinwesen« tanzend – in einer heterogenen Mischung neureligiös bzw. spirituell intendierter Weltsichten auf und werden auf diese Weise öffentlicher Teil der gelebten und inszenierten Stadtkultur Berlins, die auch bereits Eingang in touristische Touren durch die Stadt gefunden hat.35 33 | Feldnotizen zwischen 2013 und 2015. Einige Hexen feiern hier den 2014 ausgerufenen World Goddess Day, der auf den 4. September fällt – damit wird gleichsam ein Schlusspunkt der jährlichen Ritualfeiern im Tiergarten gesetzt. Im Mai versammelt man sich wieder – allerdings sind es keine festen Daten, an denen man sich einfindet: Die Rituale werden in unregelmäßigen Abständen abgehalten. 34 | www.wordlightassociation.com; letzter Zugriff: 05.05.2013: Seite ist nicht mehr online. 35 | So wird beispielsweise der Sightseeing-Stop »Global Stones« auch als »Mystische Steine« deklariert und gern darauf verwiesen, wie sehr diese auch schon von neureli-

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Noch einmal gilt es den Blick auf die Stadt in Richtung Süden zu wenden. Dabei tritt – allerdings erst zum Neujahr – eine weitere wichtige Bühne der Hexen hervor. Hier wird der sonst unsichtbare Ritualort der Mondfrauen an der Krummen Lanke aus dem Verborgenen geholt, wobei es vor allem die Vertrautheit des Ortes zu sein scheint, die Hexen hierzu die Möglichkeit gibt: eine Vertrautheit, die sich durch die regelmäßigen Rituale, die dort im Verborgenen stattfinden (siehe hierzu das vierte Kapitel »Liminal sein«), ergibt. Der Platz, der für die Hexen eine lebende Entität ist, gerinnt gleichsam zum städtischen »Verbündeten« im Akt der Sichtbarwerdung. Unter Anleitung von Xenia kommen Rituale zur Aufführung, in denen das beginnende Jahr begrüßt wird. Hier – ganz ähnlich wie auf dem Teufelsberg – handelt es sich um eine Art kulturell-religiöse Camouflage, feiern Hexen damit doch nicht so sehr den Jahresbeginn, als vielmehr die für sie so wichtigen 12 Rauhnächte: eine Zeit zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, in der es um die Rückschau auf das vergangene Jahr geht, in der Orakel befragt werden, man die Wohnung mit Salbei ausräuchert und sich von, wie Hexen sagen, Altlasten in einem wilden Tanz oder auch durch innere Einkehr frei machen möchte.36 Neujahrsspaziergänger*innen kennen die Gruppe bereits und einige stimmen zögerlich in die zeremoniellen Handlungen ein: Spirale abschreiten, Blumen in der Mitte des Kreises hinterlassen, den sogenannten Geldzauber akzeptieren, indem sie Geld in die Spirale legen.37 Schließlich haben sich Hexen mit ihren Zeremonien auch in den Untergrund der Stadt hinabbegeben: in die U-Bahnhöfe und an die Untergrundstationen aller Himmelsrichtungen. Gleich den Begegnungen, die dieses Adernetz der Stadt ermöglicht, sind auch die dortigen Zeremonien flüchtig und tragen einmaligen Charakter wie dies am 22.09.2011 der Fall war.38 Hier progiösen Gruppen in Anspruch genommen werden. Der Künstler, der die Idee der Global Stones entwickelt und realisiert hat, feiert hier die Sommersonnenwende. 36 | Hexen beziehen sich hier auf ein »altes Brauchtum«. Als »abergläubige Vorstellungen« werden die Rauhnächte im »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens« ausführlich beschrieben. Die Praktiken der Hexen, Räuchern, Orakeln, die Arbeit ruhen lassen, sind hierin vermerkt (Hoffmann-Krayer/Bächtold-Stäubli 1935/36: Spalte 529-532). 37 | »Das Spiel aller für alle« kann dabei kuriose Züge annehmen: So gibt es Außenstehende, die aus sicherer Entfernung das jährliche Schauspiel beobachten. Sobald das Ritual vorbei ist, nähern sie sich dem Ort. Nun schlüpfen die Hexen in die Beobachterrollen und betrachten aus der Ferne das Geschehen. Sie greifen ein, falls sich jemand an den hinterlassenen Münzen bedient, die den »Geldzauber«, den gewünschten Wohlstand für die kommende Zeit, repräsentieren. 38 | Zu den flüchtigen Begegnungen, wie sie gerade in der Untergrundbahn stattfinden, sowie zur U-Bahn als paradigmatischer Ort für die fluidité urbaine siehe Lang 1994;

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testierten Hexen mittels einer polizeilich angemeldeten Hexendemonstration gegen den Besuch von Papst Benedikt XVI. am Kreuzberger U-Bahnhof Südstern in unmittelbarer Nähe des päpstlichen Übernachtungsortes und hielten medienwirksam ihr Ritual ab, indem sie die Rehabilitierung der von der Inquisition verbrannten Hexen forderten. Ob feste oder flüchtige Orte: Wenn Hexen rituell Öffentlichkeit für sich im urbanen Kontext herstellen, so kreieren sie eine Goffman’sche Bühne, auf der die Stadt und ihre Menschen wichtige Mitspieler*innen werden. Hexen – so zeigt sich – wechseln dabei beständig die Orte, Formen und Inhalte des Sichtbarwerdens. Sie durchschreiten gleichsam im Jahresverlauf topografisch die Stadt. Sie passen sich dabei dem Takt des urbanen Lebens an und verleihen ihm zugleich öffentlich den Rhythmus ihres religiösen Weltbildes. Hexen formulieren damit letztlich den Anspruch auf Legitimität ihrer religiösen Überzeugungen und Symboliken und damit die Forderung, Teil des religiösen Feldes der Stadt zu sein. Wie sie dessen Pluralität jenseits der räumlichen Aneignung und in unmittelbarer Interaktion und Konkurrenz mit den etablierten Religionen der Stadt modellieren und verhandeln, das soll im folgenden Abschnitt hervortreten. Die Lange Nacht der Religionen, an der Hexen und Neuheid*innen 2015 erstmalig teilnahmen, bildet dabei den Fokus meiner Betrachtungen. Das Ereignis, seine Gestaltung und Durchführung verdeutlichen in besonderer Weise, dass – anders als in den 1980er Jahren – die zentralen religiösen wie politischen Autoritäten der Stadt den Hexen, Neuheid*innen und neuen religiösen Ausrichtungen lebensweltliche Deutungskompetenz und Gültigkeit nicht länger versagen können. Sicherlich spiegelt sich hierin einmal mehr der massive Bedeutungs- und Machtverlust der dominanten, vornehmlich christlich geprägten Daseins- und Moralverständnisse.39 Mit der Wiedervereinigung Lindner 1997a. Die U-Bahn kann sogar zur Parabel für die ganze Stadt avancieren (siehe beispielhaft Auge 1988). 39 | 1999 betrug der Anteil der Kirchenmitglieder (evangelisch und katholisch zusammengerechnet) an der Gesamtbevölkerung 34,2 Prozent, 2015 sind es nur noch 27 Prozent (Statistisches Jahrbuch Berlin 1999: 30, 190; Statistisches Jahrbuch Berlin 2015: Coverseite, 168). Als Stadt in Deutschland kann Berlin als am stärksten säkularisiert gelten, wenn man einzig die offizielle Zugehörigkeit zu den zwei Kirchen als Grundlage nimmt. Für Hamburg (zweitgrößte Stadt Deutschlands) beläuft sich die Zahl auf 44,3 Prozent (für 2011, aktuellere Zahlen liegen nicht vor) »Zensus 2011: Bevölkerung Land Hamburg«, 6, siehe https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Tabel​ len%2C_Tabellenb%C3%A4nde%2C_Brosch%C3%BCren/Zensus2011/Einwohner/ HH/02_Bev_Land_Hamburg_Zensus.pdf, letzter Zugriff: 30.11.2017. Für München (drittgrößte Stadt Deutschlands) beläuft sich die Zahl auf 45 Prozent, siehe Die Bevölkerung in den Stadtbezirken nach ausgewählten Konfessionen am 31.12.2016, https://

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und durch den historisch tradierten Atheismus im Ostteil der Stadt hat das Schwinden christlicher Autorität nochmals zugenommen.40 Zugleich muss gesehen werden, dass Hexen und Neuheid*innen sich weit weniger als eine Form der Opposition gegen etablierte, religiöse Vorstellungen präsentieren als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Vielmehr lassen sie sich auf bestimmte an sie herangetragene Standards ein und spielen – wie in der Einleitung bereits angedeutet – ein Bourdieu’sches strategisches Spiel: Sie erkennen die geltenden »Spielregeln« im sozialen/religiösen Feld an. Jedoch verstehen sie es meisterlich, sie im selben Augenblick auch herauszufordern. Dieser Dynamik des »Entsprechens und Herausforderns« möchte ich nachgehen und damit einen der entscheidenden Mechanismen dafür herausarbeiten, dass Hexen an religiöser Legitimität in der Stadt gewinnen. Die Bühne, die sich Hexen bei diesem Großevent schaffen, ist vielgestaltig. Gewiss werden auch hier niemals alle Hexen der Hauptstadt hinaufgeholt. Zum Teil scheinen völlig neue Protagonist*innen auf, und andere, bisher vertraute und zentrale Personen wie Xenia und Katja treten zurück oder gar ab. Bei den öffentlichen Ritualen mögen sie noch führend gewesen sein: Die Form von Sichtbarkeit, wie sie die »Lange Nacht« ermöglicht, und die damit verbundene und notwendige Unbefangenheit im Umgang mit den etablierten Institutionen des religiösen und politischen Lebens der Stadt liegt ihrem Selbstverständnis als Hexe dann doch zu fern. Was diese neuen Protagonist*innen auszeichnet und motiviert, wie genau Exklusion und Inklusion (untereinander) erfolgt und bereits back stage – also ohne Publikum und in Auseinandersetzung miteinander – eine bestimmte Version des urbanen Hexentums kre-

www.muenchen.de/rathaus/Stadtinfos/Statistik/Bev-lkerung/Bev-lkerungsbestand. html, letzter Zugriff: 30.11.2017. 40 | Wie der Historiker Hugh McLeod detailreich ausführt, kann Berlin als ein idealtypisches Beispiel für die »mentale Revolution« gelten, die sich in den Großstädten ab dem 19. Jahrhundert abzeichnete und bei der der Glaube an übermenschliche Kräfte schnell an Legitimität verlor und ein rationalistisch-mechanistisches Weltbild, wie McLeod es nennt, dominant wurde. Gerade die Arbeiterschaft zeichnete sich (neben der kleineren Berufsgruppe der Journalist*innen und Künstler*innen) durch eine antiklerikale Einstellung aus (McLeod 1994: 1-38; McLeod 1996: 3-28). Mit Blick auf den Stadtkontext kommt hinzu, dass in den meisten westeuropäischen Großstädten, meteorologisch bedingt, ein sozialer Ost-West-Gegensatz existierte. Im Westen lagen die »feinen« Wohnviertel, im Osten die Quartiere der Arbeiter und der Pauperschichten. Man kann von einer »räumlichen Konfiguration von Gesellschaft« sprechen (Pfeil 1972), demzufolge die antiklerikale/atheistische Einstellung mit der Himmelsrichtung Osten gleichgesetzt werden konnte. An den Atheismus als Ausdruck eines Klassenbewusstseins schloss schließlich die DDR in ihrer ideologischen Verfasstheit diskursiv an.

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iert wird und welche Gemeinschaft man dabei öffentlich inszeniert: Das soll näher beleuchtet werden.

E ntsprechen und H er ausfordern – D as B ourdieu ’sche S piel der H e xen im B erliner religiösen F eld Manche neue Idee, die so ungewohnt ist, dass man sie anfänglich für vollkommen verrückt hält, und die dann doch erfolgreich in die Tat umgesetzt wird, fußt nicht auf langwierigen Vorüberlegungen: Manchmal steckt der glückliche Zufall dahinter. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch spricht man vom Serendipity-Phänomen: ein ungeplantes Erlebnis, das sich im Verlauf weiterer Begebenheiten als wegweisend herausstellt.41 Um dieses Erlebnis allerdings »beim Schopfe« zu packen und daraus etwas »zu machen«, ist die Offenheit für besondere, geradezu abenteuerliche Erfahrungen Grundvoraussetzungen. »Menschen, die nach Schablonen leben«, wie der amerikanische Physiologe Walter Bradford Cannon einmal schrieb, werden solche glücklichen Unwägbarkeiten wohl nicht erleben (Cannon 1945: 81). Zugleich aber, so argumentieren andere Forscher*innen, gestalten sich manche unerwarteten Begebenheiten nur deshalb so glücklich, weil damit bereits angelegte Einsichten und Möglichkeiten in die Realität geholt werden: Die Zeit war schlicht reif dafür. Dieses Muster von Serendipity lässt sich auch bei der Teilnahme der Hexen zur »Langen Nacht der Religionen« erkennen. So beginnt Mara, als ich sie frage, wie es passierte, dass Hexen an diesem Event teilnehmen, mir von einer »irren« Begebenheit zu berichten. Sie engagiert sich verstärkt seit 2013 als Hexe in Berlin und gehört zu den Hauptorganisator*innen der »Langen Nacht«: »Es war wirklich völlig irre«, eröffnet sie ihre Erzählung:

41 | Das Wort »Serendipity« ist ein Neolinguismus und wurde von dem britischen Schriftsteller und Politiker Horace Walpole geprägt. Er führt dieses Wort in einem Brief an seinen Freund (ebenfalls Politiker) Horace Mann aus dem Jahr 1754 ein, womit er »discoveries […] by accidents and sagacity« bzw. »accidental sagacity« tituliert: eine Suche nach und die Erwartung von etwas, wodurch etwas anderes, Unerwartetes zum Vorschein kommt. Serendipity ist in Anlehnung an das Märchen »The Three Princes of Serendip« geprägt: In dem Märchen entdecken drei Prinzen durch glückliche Zufälle Zusammenhänge und Dinge, die andernfalls verborgen geblieben wären. Für die Verbreitung des Begriffs in den Sozial- und Kulturwissenschaften hat wesentlich die Veröffentlichung von Elinor Barber und Robert King Merton beigetragen: »The Travels and Adventures of Serendipity. A Study in Historical Semantics and Sociology of Science« (1958). Merton erwähnt Serendipity als wichtige Komponente der Forschung bereits 1945.

Öffentlich werden »Ich fuhr mit der U-Bahn zum Hexenstammtisch und habe auf meiner Fahrt ein Plakat mit einem Mond drauf gesehen. Ich denke sofort an die große Göttin, und beim Aussteigen registriere ich noch für einen winzigen Moment, dass das ein Plakat ist, das für die Lange Nacht der Religionen wirbt. ›Ach Mist‹, denke ich plötzlich, ›das ist ja heute‹. Und wie ich beim Stammtisch ankomme, sage ich […]: ›Das ist völlig blöd. Heute ist Lange Nacht der Religionen, das hätte mich interessiert‹ […] Und daraufhin meinte Moira [eine weitere engagierte Hexe in Berlin, V.H.]: ›Ja, eigentlich müsste man da mitmachen!‹ Da entspann sich am Stammtisch die völlig verrückte Idee, daran teilzunehmen.« (Interview, 08.02.2016)

Aus der Idee, die sich maßgeblich der Zufälligkeit von Maras nächtlicher Entdeckung in der U-Bahn verdankt, wurde schnell eine offizielle Anmeldung. Mara und Moira und weitere Mitstreiter*innen waren euphorisiert und gespannt: Wie würden die Organisator*innen der »Nacht« und damit die Stadt Berlin darauf reagieren? Wieviel »religiöse Vielfalt« waren sie tatsächlich bereit zu ertragen? Dabei verständigte man sich am Stammtisch auf die Strategie, sich zwar als Hexen und Neuheid*innen zu erkennen zu geben, aber vorerst die Problematiken, die sich allein aus dem Begriff »Hexe« und aus neuheidnischen Bezügen auf ein nordisches Pantheon ergeben könnten, aus dem Wege zu gehen. Hier mischte sich die – wenngleich sehr vage – Erinnerung an die Ereignisse 30 Jahre zuvor und die stadtweiten Auseinandersetzungen mit der Gruppe rund um Geza von Nemenyi mit ein: Man war sich einig, dass man einen anderen, entgegengesetzten Weg als damals gehen wollte. Statt zu konfrontieren und zu provozieren, sollten die Verantwortlichen der »Langen Nacht« nicht überfordert werden. So kam man zu dem Schluss, sich als Wicca vorzustellen: Dies erschien vielen als geeignete »Eintrittskarte« zur »Langen Nacht« – ein (symbolischer) Trumpf im Spiel um die Teilnahme. Wie Mara erzählt: »Wir haben ein Schreiben aufgesetzt und mit dem katholischen Vertreter der Langen Nacht der Religionen, Doktor Thomas Schimmel, gesprochen. Moira sagte, dass das Wicca sei, was einige von uns betreiben. Und er hat einfach gemeint: ›Wird Zeit, dass ihr endlich mal auftaucht‹. Wir haben also vor allem Wicca ins Spiel gebracht. Der Begriff sagte ihm etwas. Also wenn wir wahrscheinlich gleich mit germanischem Heidentum gekommen wären, hätte es vielleicht Schwierigkeiten gegeben, aber Wicca war einfach ein Türöffner: Es ist nicht ›Hexe‹, es ist nicht germanisch, nicht keltisch: eben ein guter Türöffner.« (Ebenda)

Später erdachte man sich den Slogan »Pagane Wege und Gemeinschaften«, unter dem man sich zur »Langen Nacht« zusammentun wollte: eine sehr offene Formulierung, mit der deutlich über das Hexentum hinausgegangen und die Vielgestaltigkeit von neuheidnisch-religiösen Vorstellungen und Praktiken

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angesprochen und inkludiert werden sollte.42 Gekonnt vermied man auch hier den deutschen Begriff des Heidentums und umging so die gesellschaftlich eingeübte Assoziationskette heidnisch-germanisch-rechts. Sensibilisiert für die richtige Sprache, um ein Verständnis für ihre Religiosität über die eigenen Reihen hinaus zu erzeugen, entwickelten Hexen zudem die Strategie, im Austausch mit den Repräsentant*innen der »Langen Nacht« als auch anderen religiösen Vertreter*innen der Stadt ihre Vorstellungen von sich und der Welt in die Worte und Konzepte der jeweiligen Gesprächspartner*innen zu kleiden. Beispielsweise stellte man sich, wie Mara es beschreibt, »in kirchlichen Kreisen oder bei den etablierten Religionen […] auch als ›Priesterin‹ vor. […] ›Achso‹, heißt es dann«, wie Mara erklärt, »›ihr macht das wie die Protestanten. Alles klar‹. […] Das ist einfach die Sprache, die die sprechen. Denn, wenn ich da anfange mit ›Hexe‹, dann ist das Gespräch gleich weg. Ich muss natürlich auf Fragen antworten, wenn ich mich als ›Priesterin‹ bezeichne: Was macht ihr da? Und manche kommen dann darauf: ›Aja, aber ist nicht das, was ihr da macht, das, was eine Hexe macht‹? ›Ja‹, sage ich dann, ›und manche von uns nennen sich auch so‹.« (Ebenda) 43

Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass sich Mara im Umgang mit den religiösen Hauptverantwortlichen des Großevents als besonders behände zeigte. Auch gegenüber anderen teilnehmenden – protestantischen wie muslimischen – Gruppen etablierte sie sich schnell als ernstzunehmende und kenntnisreiche Gesprächspartnerin. Sie wusste, wie man aufeinander zugehen sollte, welche Personen und Institutionen für die Anerkennung der Hexen und Neuheid*innen bei der »Langen Nacht« und im religiösen Leben der Stadt von Bedeutung waren; was man einfordern konnte und wie man Vorbehalten effektiv entgegentrat. Sie wollte Öffentlichkeit für die Hexen und für sie war 42 | Siehe hierzu die öffentliche Facebook-Seite: https://www.facebook.com/ev​ e​ nts/463771257080448/; letzter Zugriff: 02.04.2017 sowie die Webseite: http://pa​ ganes-leben-berlin.de/?page_id=2022, letzter Zugriff: 02.04.2017. 43 | Man kann den Sprachwechsel als eine Form des gekonnten Code Switching interpretieren. Die Soziolinguisten Blom und Gumperz waren eine der ersten, die darauf aufmerksam machten, wie in Interaktionen die jeweils Beteiligten ihr verbales Repertoire – Sprache, Dialekt, Jargon – entsprechend sozialer Anforderungen verändern und situativ anpassen, um verstanden und anerkannt zu werden. Gleichwohl das Konzept des Code Switching häufig auf die Untersuchung bi- bzw. multilingualer Kontexte (inklusive Dialekte) beschränkt ist, zeigt sich gerade an Hexen, dass es sich leicht auf vermeintlich monolinguale Zusammenhänge erweitern ließe – wo ebenfalls ein beständiger Wechsel des verbalen Repertoires entsprechend bestimmter soziokultureller Situationen anzutreffen ist (Blom/Gumperz 1972).

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klar, dass man sich dafür über die »Lange Nacht« hinaus in den »interreligiösen Dialog« einbringen sollte. In besonderem Maße entspricht er nämlich durch sein Ziel, via Religion auch die soziale Verständigung in der Stadt zu forcieren, dem politischen Verständnis, das Hexen mit ihrer religiösen Praxis verbinden.44 Sich in diesen Dialog einzubringen, so empfand und empfindet Mara entsprechend, darin liegt das Potential der Hexen für Anerkennung. Zusammen mit Mitstreiterinnen und initiiert von ihrer Bekannten Moira traf sie sich so im Vorfeld der »Langen Nacht« auch mit dem Imam des House of One – eines Hauses, das noch nicht steht und als interreligiöser Sakralbau in Berlins historischer Mitte geplant ist. Es soll die drei großen monotheistischen Religionen – Christentum, Judentum, Islam – unter einem Dach vereinen und anderen religiösen Ausrichtung ebenfalls Raum für Veranstaltungen und Austausch bieten.45 Das House of One verfügt bereits über religiöses und politisches Prestige, wird aus Länder- und Bundesmitteln mitgefördert und hat Bekanntheit über lokale und nationale Grenzen hinaus erreicht. Ohne dass es überhaupt materielle Existenz im Stadtraum angenommen hat, avanciert es zu einem zentralen urbanen Ort der Aushandlung religiöser Vielfalt in der Stadt. Mara und einige Mitstreiter*innen wollten treffsicher hier ihren Anspruch auf Partizipation geltend machen. Als man zusammentraf, bat Mara sehr direkt: »›Sagt mal, wie sieht es denn aus: Könnten wir da auch was machen‹?«, und der Imam meinte, so berichtet Mara: »›Warum eigentlich nicht? Wir haben hier so ein Papier, wo alle Religionen unterschreiben müssen, dass sie tole44 | Wie die Politikwissenschaftler Cloke und Beaumont herausarbeiten, gehören »interreligiöse Aktivitäten« angesichts religiöser Pluralisierung vor allem im Zuge der internationalen Migration mittlerweile zum festen Bestandteil des städtischen Governmentsystems: Sie manifestieren sich, wie es Cloke und Beaumont ausdrücken, in »urban geographies of postsecular activities« (Cloke/Beaumont 2013: 32). Dick und Nagel formulieren es pointiert so: »We may […] understand interfaith activities and networks as new forms of ›embodiment‹ of the religious/spiritual in today’s postmodern cityscapes shaped by migration and multicultural encounter.« (Dick/Nagel 2017: 28). 45 | Das House of One zeichnet sich durch eine besondere, gleichsam pop-/jugendkulturell ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit aus, wodurch es seine Popularität und seinen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren gut steigern konnte: Neben einer beständig aktualisierten Webseite, einem gepflegten Twitter- und Instagram-Account und regelmäßigen Schülerworkshops wirken die Vertreter*innen in kleineren Filmen mit, die – gegenwärtigem Medienkonsum entsprechend – auf Vice Media und YouTube-Seiten veröffentlicht werden, z.B. https://www.vice.com/de/article/treffen-sich-ein-rab​ bi-ein-priester-und-ein-imam-881; letzter Zugriff: 02.04.2017. Sie arbeiten zudem mit HipHop-Künstler*innen der Stadt zusammen: z.B. Seeed/Dellé: https://www.youtube. com/watch?v=5CXQbZbX_3Q, letzter Zugriff: 02.04.2017; https://house-of-one.org/ de; letzter Zugriff: 02.04.2017.

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rant sind und dass sie miteinander klarkommen. Warum also nicht, wenn ihr unterschreibt‹«. Mara begann zu verhandeln: »›Ich könnte mir vorstellen, dass ein paar von uns einen Stein für das House spenden46, wir brauchen keinen Raum, aber wir würden gerne einen Baum vor das Gebäude pflanzen. Kann man sich darauf einigen?‹« Wie mir Mara erläutert, hat sie nämlich einen Plan: »[…] wenn das Ding endlich einmal errichtet ist, kommen wir darauf zurück. […] Wir setzen ein Zeichen davor: eine Eiche als Symbol des Friedens und des friedlichen religiösen Neben- und Miteinanders« (Interview, 08.02.2016). Die Eiche ist symbolisch signifikant: Für Mara stellt sie »die Klammer zur Donar­ eiche in Fritzlar« dar, die dem Gott Thor geweiht war und – entsprechend der Legende – vom Missionar Bonifacius im 8. Jahrhundert gefällt wurde. Er hoffte so auf eine endgültige Bekehrung zum Christentum der wenigen verbliebenen Heid*innen im Land, die nach wie vor die nordische Gött*innenwelt verehrten. Die Eiche vor dem House of One würde gleichsam als eine Erinnerung an dieses Ereignis figurieren und den damaligen Baum sinnbildlich wiedererstehen lassen – eine spezifische Form der Präsenz und Sichtbarkeit neuheidnischer Vorstellungen wäre damit geschaffen: ein öffentlicher Erinnerungsort der Hexen im Stadtraum, der zugleich von der Kontinuität ihrer religiösen neuheidnischen Vorstellungen – quasi trotz christlicher Intervention – kündet.47 Mit diesen Aktivitäten, die Mara mit Blick auf die »Lange Nacht« entfaltete und zusammen mit anderen Hexen stetig erweitert, hat sie sich zu einer der wichtigsten verhandelnden Personen zwischen dem Hexentum und anderen Religionen entwickelt. In ihrer Vermittlungsarbeit ist sie gleichsam zu einem religious broker avanciert, ohne den die Sichtbarwerdung der Hexen auf dem nächtlichen Großevent nie so erfolgreich gewesen wäre. Den religious broker verstehe ich dabei ganz im Sinne eines cultural brokering – ein Modell, dass maßgeblich von dem amerikanischen Kulturanthropologen Richard Kurin entwickelt wurde und mit dem er die Vermittlungsarbeit von Personen im Bereich der Museumsarbeit, der Performanzkunst und allgemein auf dem Gebiet öffentlicher Repräsentationen von Kultur beschrieb. Cultural brokers respektive 46 | Der Bau des House of One finanziert sich in Anteilen über Spenden. Man spendet, indem man Steine à 10 Euro bezahlt. 47  |  Sebastian Krebel zeigt in seiner Dissertation zum modernen Heidentum in Deutschland auf, wie sehr Fritzlar aufgrund der Legende rund um die Donareiche zu einem wichtigen, identitätsstiftenden Ort neuheidnischer Gruppen geworden ist. Dabei bleibt der Ort politisch umstritten und wurde bereits von völkisch-orientierten Neuheid*innen vereinnahmt. Dabei wird die Fällung der Eiche als ein Akt der Vertreter der »fremden Wüstenreligion« (Christentum) gegenüber den »deutschen Stämmen« mit ihrem »heimischen Glauben« kolportiert. Gegen diese Interpretation stellen sich wiederum andere neuheidnische Gruppierungen und halten in Fritzlar Veranstaltungen ab, die als Beitrag zum interreligiösen Dialog verstanden werden sollen: siehe Krebel 2014: 65-78.

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religious brokers zeichnen sich durch Folgendes aus: »[They], study, understand, and represent someone’s culture (even sometimes their own) to nonspecialized others through various means and media« (Kurin 1997: 19). Genau dieses versteht Mara als ihre Aufgabe mit Blick auf das Hexentum und das Berliner religiöse Feld. So eine Person wie Mara – eine religious broker – kann wohl fast nur in einer Stadt wie Berlin hervorgebracht werden. Am Anfang aller Aktivitäten zur »Langen Nacht« mag also der Zufall gestanden haben, doch dass sich diese Aktivitäten ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt entfalteten und sich ihr Gelingen so eng an Maras Person band – das kam dann doch nicht von ungefähr. Dies ist ein urban-ethnologischer Befund, der näher erläutert werden muss.

E xkurs – die urbane Sozialfigur des Religious Broker Die Person des religious broker soll als eine Sozialfigur verstanden werden. Unter Sozialfiguren verstehen die Soziologen Stephan Moebius und Markus Schroer »zeitgebundene historische Gestalten, anhand derer ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann« (Moebius/Schroer 2010: 8). In der Benennung einer Figur bzw. in der Figurierung liegt sicherlich die Problematik, wie der europäische Ethnologe Moritz Ege dicht herausgearbeitet hat, dass die »tendenzielle Typizität des Sozialen« Voraussetzung und Resultat gleichermaßen ist. Solche Typisierungen sind zudem beobachterabhängig, »sie beruhen auf kontingenten Relevanz-Setzungen. Erst dieses Interesse ermöglicht eine spezifischere Figurierung, und schon die erste Typisierung ›verdinglicht‹ graduelle Differenzen zu einem verhältnismäßig starren Schema« (Ege 2013: 50/51). Dies gilt es selbstreflexiv zu beachten. Zugleich darf das Potential der stereotypen Klassifizierung nicht aus den Augen verloren werden. Denn gerade durch die hier vorgenommene soziokulturelle Verknappung – in dieser Arbeit modelliert zu einer Figur – werden in der Vielzahl von soziokulturellen Praktiken, Ansichten und Biografien, wie sie in der Stadt vorhanden sind, Orientierungspunkte geschaffen und entscheidende Dynamiken bildlich greif bar gemacht. In gewisser Weise spiegelt die Analyse, was im städtischen Kontext fortwährend passiert: in der Masse von unterschiedlichsten Menschen – dieser Gemeinschaft von Fremden – eine wenngleich verkürzte, so doch pointierte Einschätzung derjenigen zu geben, auf die wir treffen. Um sie in ihrer Spezifik zu verstehen und um zu sehen, wie sie sich an den urbanen Kontext zurückkoppelt, soll beispielhaft an Mara und ihre Lebensgeschichte herangerückt werden. Ich gehe von dem Gedanken aus, dass, um vermittelnd bzw. »makelnd« und mit Leichtigkeit zwischen der Vielfalt von religiösen Referenzrahmen und Weltsichten hin und her zu pendeln, man diese Referenzrahmen bzw. Weltsichten in sich selbst vereinen muss und sich zugleich nicht zu stark an sie binden darf. Hierzu sind unterschiedliche, auf

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den ersten Blick geradezu desperate biografische Ressourcen nötig, und es ist der urbane Kontext durch seine zugängliche Vielgestaltigkeit (Hannerz 1980: 99), der diese biografische Disparität in besonderer Weise ermöglicht, schafft und toleriert. Blickt man von diesem Gedanken ausgehend auf Mara, so fällt als Erstes ins Auge, dass sie zwar engagierte Neuheidin und Hexe ist, doch zugleich hat sie – was dem antiklerikalen Grundverständnis von Hexen diametral entgegensteht – sehr erfolgreich Theologie in Berlin studiert. Allerdings, so schränkt sie im Interview gleich wieder ein: »aus politischen Gründen«. Erklärend fügt sie hinzu: »Ich komme aus dem Osten und bin als Jugendliche in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv gewesen […]. Mit 16 habe ich mich taufen lassen, denn in der evangelischen Kirche waren die einzigen Leute mit ein wenig Hirn im Kopf zu finden, die anderen waren für mich alle Mitläufer oder sie haben diesen politischen Mist aktiv mitgemacht […].«

Mit Blick auf die Gemeinschaft, die sie in der Kirche gefunden hatte, lag das Theologiestudium für sie nahe. »Es ist echt cool, habe ich mir gedacht. Da kannst du Sprachen lernen und Geschichte ist dabei […]. Ich habe mich in Berlin beim Sprachenkonvikt beworben. Das ist eine kircheneigene Institution […]. Viele, die eigentlich eher im politischen Sektor unterwegs waren, haben dort Theologie studiert. 48 Bei den Studienkollegen fand sich alles: Das ging von Evangelikal bis Oppositionell. In den 1980ern wurde der oppositionelle Charakter des Konvikts aber immer mehr befeuert. Hinzu kam, dass ich in dieser Zeit mein Coming-Out hatte; in einer Stadt wie Berlin, war man, der Göttin sei Dank, nicht die einzige Lesbe, das hat mich aufgefangen. 49 Zudem waren wir im Konvikt bereits drei, die das gleiche Geschlecht präferierten: ich und zwei schwule Mitstudierende […]. Wir wussten allerdings, wenn wir ins Pfarramt gehen, kriegen wir Probleme […]. Ich habe 48 | Es gab drei kirchliche Hochschulen (die sich allerdings nicht so nennen durften) für die Theologieausbildung in der DDR: das Theologische Seminar in Leipzig, das Katechetische Oberseminar Naumburg und das Sprachenkonvikt Berlin. Sie stellten wichtige personelle Ressourcen für die Opposition in der DDR dar (siehe auch Neubert 1998: 467). In den Erinnerungen an die Zeiten im Sprachenkonvikt in Berlin wird betont, dass es keine »theologische Ideologie [gab], auf die Lehrende und Lernende verpflichtet werden sollten« (Krötke 2009: 10). 49 | Dass Ostberlin sich zum Zentrum schwul-lesbischen Lebens in der DDR entwickelte, zeigt bereits die Studie von Kurt Starke (1994), wo es zwar um den gesamten »schwulen Osten« ging, aber letztlich stark auf Berlin fokussiert wurde. Neben Berlin war auch Leipzig eine Stadt in der DDR, wo sich eine vergleichsweise aktive schwul-lesbische Szene etablierte. Siehe auch den genau recherchierten Film: »Out in Ost-Berlin. Lesben und Schwule in der DDR« (2013, Regisseure: Jochen Hick, Andreas Strohfeldt).

Öffentlich werden mein Studium noch abgeschlossen und dann vor allem mit der feministischen Theologie geliebäugelt. Von der feministischen Spiritualität ging es dann zur Göttinnenspiritualität. In dieser Zeit lief da auch viel in der Theologie. Ich dachte: ›Hey, die Sache ist viel größer als anfänglich gedacht, du bleibst irgendwie dabei, aber Kirche ist gar nicht so dein Ding, schon gar nicht, wenn ich nicht mit der Person zusammenleben darf, die ich liebe‹.« (Interview, 08.02.2016)

Es ist genau jene ungewöhnliche lebensgeschichtliche Mischung – eine ostdeutsche lesbische Theologin zu sein, die sich religiös, politisch und sexuell ausprobierte, dabei Stellung bezog und dann ihren Weg als Hexe fand – die zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt so (fast) nur im geteilten Berlin modelliert werden konnte. Diese Mischung verschafft Mara die soziale und kulturelle Kompetenz der Vermittlung und prädestiniert sie zur zentralen Rolle des religious broker. Sie hat eine intellektuelle Nähe zum Christentum und zur monotheistischen Religiosität allgemein: Sie kennt deren Denksysteme und spricht deren Sprache; und doch hält sie – gerade auch durch ihr Lesbischsein – eine klare lebensweltliche Distanz dazu. Sie ist Hexe – »Kirche ist gar nicht so ihr Ding« – aber sie bleibt, indem sie Religiosität bzw. Spiritualität für ihr Leben nach wie vor wichtig findet und praktiziert, »irgendwie dabei«. Dabei weiß sie durch ihre Sozialisation in der DDR und das tiefgreifende Erlebnis des politischen Wechsels in besonderem Maße um die Fallstricke von Ideologien und die Problematik, Standpunkte und Vorstellungen als unhinterfragt hinzunehmen. Durch diese Erfahrung kann sie auch gegenüber dem neuheidnischen Hexentum, so sehr sie sich damit identifiziert und sich zu dessen Fürsprecherin macht, immer wieder reflektierten Abstand nehmen, was sich vor allem dann zeigt, wenn es um die von vielen so vehement vertretenen »historischen Wurzeln« in vorchristlichen Zeiten geht: »Da sage ich: ›Nenne mir bitte mal Quellen!‹ Es kommt dann der Verweis auf die Edda. Die Edda ist aber im zwölften Jahrhundert aufgeschrieben worden und zwar von einem Christen […]« (Interview, 08.02.2016). Mittlerweile ist Mara zu einer Art interreligiöser Lokalgröße aufgestiegen. Es gibt kaum ein Event, in dem es um den Dialog zwischen den Religionen in der Stadt geht, von dem Mara nicht weiß und wichtige Ansprechpersonen persönlich kennt. Nicht zu jedem, doch zu vielen der Ereignisse geht sie hin.50 Sie und inzwischen auch andere Hexen – wie beispielsweise Faye von den Reclaimerinnen – vertreten die Standpunkte der sehr diversen Gemeinschaften von Hexen und Neuheid*innen im Zusammenhang mit der »Langen Nacht« und vor den verschiedensten religiösen und politischen Autoritäten in Berlin. 50 | Diese interreligiösen Ereignisse in der Stadt werden auch auf der von ihr gestalteten und administrierten Webseite für die Hexen und Neuheid*innen in Berlin angegeben: siehe http://paganes-leben-berlin.de/; letzter Zugriff: 02.04.2017.

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Gleichwohl sie die Spielregeln, die es bei der Selbstrepräsentation zu beachten gilt, sehr genau kennen, unterlaufen sie diese auch immer wieder gern, und so ist die Kommunikation über die eigenen religiösen Überzeugungen hinweg keineswegs konfliktfrei. Es entstehen dabei soziokulturelle Dynamiken, die Berlin und das gebotene Feld der Religionen zu einer Ausnahmeerscheinung im bundesdeutschen Kontext werden lassen, die in ihrer Singularität diskurssetzende Kraft entwickelt.

Berlin als diskurssetzende Ausnahmeerscheinung Während meiner Feldforschung höre ich öfter, wie sich Repräsentant*innen der evangelischen wie katholischen Kirche zwar anerkennend gegenüber Hexen und Neuheid*innen, insbesondere über deren Wertschätzung der Natur, äußern, aber auch erstaunt und mit einem Schmunzeln auf ihr Verhalten und Auftreten reagieren. Einige finden, dass Hexen in ihrer Gewandung wirken würden, als seien sie gerade aus einem »mittelalterlichen Rollenspiel gehopst« und die Blumenkränze im Haar erinnern an »Hippiezeiten«.51 Seriös sei das nicht. Vor allem aber beklagen die christlichen Vertreter*innen das ausgeprägte Selbstbewusstsein und die Bestimmtheit, mit denen die Hexen und Neuheid*innen gegenüber ihnen und anderen religiösen Autoritäten auftreten würden. Dabei muss die Selbstsicherheit, mit der Hexen (und damit vor allem Frauen) gegenüber anderen religiösen Vertreter*innen auftreten, nicht zuletzt im engen Zusammenhang mit ihrer enorm individualisierten religiösen Praxis gesehen werden. Sie ordnen sich hier nicht unter bzw. folgen minutiös einer vorgegebenen Liturgie, sondern, wie ausführlich im dritten und vierten Kapitel beschrieben, sind angehalten, in individueller, kreativer Weise zum Gelingen eines Rituals beizutragen, Konventionen von sich zu streifen, Neues zu entwickeln und Überkommenes »über Bord« zu werfen. Dies übt sie letztlich, darin auch sozial und unabhängig von religiösen Handlungen, für sich einzustehen, Vertrauen in eigene Kompetenzen zu entwickeln und die Umsetzung von Ideen voranzutreiben. Thomas Schimmel – katholisch und hauptverantwortlicher Organisator der »Langen Nacht« – sieht in der Selbstsicherheit, mit der sich Hexen und Neuheidinnen geben, allerdings eine mögliche Gefahr für die Ausgewogenheit der religiösen Vielfalt bzw. Pluralität in der Stadt. Wie er in einem längeren Gespräch zu bedenken gibt:

51 | Gespräch und Interview mit Matthias Pöhlmann von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen am 23.03.2011; Interview mit dem hauptverantwortlichen Organisator/Ansprechpartner der »Langen Nacht der Religionen« Thomas Schimmel am 04.05.2016.

Öffentlich werden »Ich finde es schwierig, dass mitunter so eine Dominanz [von Hexen und Neuheid*innen, V.H.] entsteht, die der Größe der Gruppe nicht angemessen ist […]. Da sehe ich eine Gefahr. Sie sind auch immer gleich da […]. Also beispielsweise hatte ich irgendwann einmal herumgemailt: ›Wer möchte noch Mitglied unseres Vereins werden?‘‘52 […] und die Ersten, die sich meldeten, waren die Paganen und zwar nicht einer, sondern mehrere. Das finde ich einfach problematisch […]. Wir haben viele kleine Gruppen, die im Verein und der Organisation der Langen Nacht mitarbeiten, aber die diese Dominanz nicht entwickeln […]. Wenn sie [Hexen und Neuheid*innen: »die Paganen«, V.H.] so weitermachen, kann […] es irgendwann Konflikte geben. Irgendwann könnten Gruppen sagen: ›Hört mal: wäre schön, wenn ihr euch mal zurückhaltet‹.« (Interview, 04.05.2016)

Sicherlich schwingt in seiner Äußerung zur Dominanz »der Paganen« nicht allein die Sorge um den Stimmverlust der »vielen kleinen Gruppen« sondern auch der eigenen – christlichen – Organisation mit. In diesem Zusammenhang zeigt allein die schnelle Übernahme des von Hexen und Neuheid*innen eingeführten Sprachgebrauchs »pagan«, wie durchsetzungsfähig sie in diesem Kreis sind. Doch Schimmel und auch ein Teil der beiden großen Kirchen sind sich klar darüber, dass sie in einem so stark entkirchlichten Kontext wie Berlin, wo sie nur eines von sehr unterschiedlichen religiösen Angeboten stellen, kaum eine andere Chance haben, als das Wagnis der Zusammenarbeit mit anderen Religionen bzw. religiösen Ausrichtungen und eben auch und gerade mit den »Paganen« einzugehen, egal wie dominant sie auftreten. Sie auszugrenzen und dabei des Feldes der Religionen zu verweisen – wie dies noch in den 1980er Jahren passierte – ist nicht mehr möglich und auch nicht gewollt. Schimmel sieht in dem Austausch mit ihnen denn auch ein zentrales Mittel der Selbstreflexion: »[...] nämlich zu überlegen, wie stellen wir uns, die katholische Kirche, eigentlich dar und was ist uns eigentlich wichtig in der Außendarstellung, wenn Menschen kommen, die eine andere oder gar keine Religion haben« (ebenda). Die auf diese Weise modellierte und gelebte, in Teilen ertragene religiöse Pluralität der »Langen Nacht« und dabei der Stadt, ist, blickt man über Berlin hinaus, nach wie vor einmalig. So werden beispielsweise auch in Fürth und Hamburg »Lange Nächte der (Welt-)Religionen« durchgeführt, die die religiöse Vielfalt der Stadt spiegeln sollen. Doch hier umfasst das offerierte Spektrum von Religionen wenig mehr als den Monotheismus und bleibt quantitativ weit hinter Berlin zurück: Wo Fürth 15 Gemeinschaften vorstellt und Hamburg 52 | Es handelt sich dabei um den Förderverein »Freundinnen und Freunde des Berliner Forums der Religionen e.V.« – eine interreligiöse Austauschplattform, die den Dialog zwischen den Religionen aktiv – durch Veranstaltungsorganisation und Geldspenden – unterstützt.

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vor allem Vertreter*innen der vier »Weltreligionen« – Christentum, Islam, Judentum und Buddhismus – auftreten lässt 53, sind es in Berlin zirka 70 bis 80 Gruppierungen, die sich an der Langen Nacht der Religionen beteiligen. Auch in anderen Städten reichen ähnliche institutionalisierte Dialogveranstaltungen kaum an die Berliner Bandbreite heran.54 Insbesondere christliche Vertreter*innen außerhalb der Hauptstadt reagieren bisweilen mit Irritation und gar Unverständnis auf diese Berliner Form von akzeptierter religiöser Pluralität, was deren singulären, ungewohnten Charakter nochmals bestätigt. Deutlich wird dies beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEK) – eine evangelische Laienbewegung, die alle zwei Jahre mehrtätige Großveranstaltungen durchführt und hierfür stets einen neuen Tagungsort wählt. In Vorbereitung auf das Ereignis, das 2017 in Berlin stattgefunden hat, waren Vertreter*innen des DEK sehr daran interessiert, die Lange Nacht der Religionen mit ihrer Veranstaltung zeitlich zu synchronisieren und sie dabei durch geldliche Unterstützung in Teilen als eines »ihrer« Events zu deklarieren. »Uns hätte das die Finanzierung gerettet«, kommentiert Thomas Schimmel. »Aber davon sind sie sofort abgekommen,« fügt er hinzu, »als sie gesehen haben, welche Gruppen bei der Nacht sind, und die Paganen waren die Gruppe, wo sie sehr große Vorbehalte hatten« (Interview, 04.05.2016). Die Möglichkeit, die »Paganen« auszuladen, um so doch noch Zahlungen seitens des Kirchentages zu akquirieren, kam für Schimmel zu keinem Zeitpunkt während der Organisation in Frage: Der pluralen Logik des Berliner religiösen 53 | In Hamburg wird die »Lange Nacht der Weltreligionen« (so der offizielle Titel) seit 2010 durchgeführt. Schirmherrin ist die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg – eine Institution, die auf den »interreligiösen Dialog in Forschung und Lehre« zielt. Sie kooperiert für die »Lange Nacht« mit dem Thalia Theater. Statt, dass Religionen dort aufgesucht werden, wo sie sich ihre jeweiligen Räume in der Stadt geschaffen haben, versammelt man sich im Theater und setzt sich jährlich mit bestimmten religionsübergreifenden Themen auseinander (auf die sogenannten Weltreligionen beschränkt), z.B. 2015 mit der Frage des Wechselverhältnisses von Religion und Gewalt, 2016 mit der Idee von Prophetie und Gerechtigkeit. 2017 griff die Lange Nacht der Weltreligionen Problematiken des Reformationsjahres auf. https://www.awr.uni-hamburg.de/ dialog-in-hamburg/lange-nacht-der-weltreligionen.html; letzter Zugriff: 02.04.2017; zu Fürth siehe http://fuerth.bahai.de/sonstiges/fotogalerien/die-lange-nacht-der-re ligionen.html; letzter Zugriff: 02.04.2017. 54 | Besonders aktiv in der Gestaltung des interreligiösen Dialogs sind in diesem Zusammenhang die »Räte der Religionen«, die es in verschiedenen bundesdeutschen Regionen und Städten mittlerweile gibt. Daneben existieren verschiedene religionsübergreifende Foren und Arbeitsgemeinschaften. Eine bundesweite Übersicht hierzu findet sich auf: http://rat-der-religionen.de/links/uebersicht-raete-der-religionen; letzter Zugriff: 02.04.2017.

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Feldes hätte dies zutiefst widersprochen. Zudem, wie Thomas Schimmel in einem späteren Gespräch anmerkt, hätte man sich mit dieser Finanzierungsform letztlich zu sehr an eine bestimmte religiöse Ausrichtung gebunden: »Hätten wir das gemacht, hätten sie uns gesagt, wer mitmachen darf und wer nicht und das hätte eben gerade auch die Paganen getroffen« (Telefonat, 15.03.2017). Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist letztlich eine kostenfreie Kooperation mit der »Langen Nacht« eingegangen. Er und damit die evangelische Kirche, die er repräsentiert, wurden Teil der (inszenierten) Vielfalt, ohne sie entscheidend mitmodellieren zu können. Und so mag Berlin mit seiner spezifisch verhandelten religiösen Pluralität eine Ausnahmeerscheinung sein, doch sie gewinnt an diskursiver Durchsetzungsfähigkeit. Statt sie zu ignorieren, sichert man sich die eigene Bedeutsamkeit, indem man – auch als überregionale religiöse Großorganisation – in ihr aufgeht und Hexen und Neuheid*innen als selbstverständlichen Teil davon akzeptiert. Abbildung 19: Gruppenfoto von einigen Teilnehmer*innen der Langen Nacht der Religionen 2015

Mara ist in der ersten Reihe als Dritte von links postiert. Rechts außen steht Thomas Schimmel. Neben ihm findet sich Bianca, eine in der »Langen Nacht« ebenfalls engagierte Hexe und Druidin. Die Frau mit der Trommel in der Hand (Vierte von rechts) ist Faye.

Wie aber stellen sich Hexen und Neuheid*innen als selbstverständlicher Teil der Berliner religiösen Vielfalt konkret in dieser Nacht dar? Und wie wird diese Darstellung untereinander ver- und ausgehandelt? Welche Bühne der Selbstrepräsentation entsteht? Dies lege ich im Folgenden dar. Entsprechend dem Ziels, in der »Langen Nacht« weit mehr als ausschließlich das neuheidnische

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Hexentum zu präsentieren, sondern allgemein »pagane Wege und Gemeinschaften« vorzustellen, kommt im nächsten und zugleich letzten Abschnitt dieser Arbeit stärker als bisher das Berliner Neuheidentum insgesamt in den Blick.

»S o bunt wie das L eben selbst !« – I nszenierte  G emeinschaf t (en) Eines der einschneidenden Erlebnisse bei den Vorbereitungen der Hexen auf die Lange Nacht der Religionen war für mich als Forscherin, dass ich hier – gleichwohl ich mich bereits mehr als zwei Jahre im Feld bewegte – auf Personen und Gruppen traf, denen ich nie zuvor über den Weg gelaufen war. Sie aber schienen »alte Hasen« im Berliner Hexen- und Neuheidentum zu sein. Wie, so fragte ich mich beunruhigt, konnte ich sie bisher übersehen und nicht getroffen haben? Was sagte dies über meinen Zugang zum Feld aus? Wo lagen hier die methodischen Lücken? In Gesprächen mit mir vertrauten Hexen über meine Verunsicherung trat allerdings schnell hervor, dass sie ganz ähnliche Erfahrungen wie ich machten. Sie trafen bei der »Langen Nacht« auf Einzelpersonen, auf Hexen, auf neuheidnische Vereine und Kreise, von deren Existenz sie keine Ahnung gehabt hatten. Faye beispielsweise war erstaunt, als sie vom »Tempel der Sophia« hörte. Er vereint seit einigen Jahren eine Gruppe junger Frauen und Hexen, die sich der feministisch-neuheidnischen Spiritualität verschrieben haben. Faye kannte keine einzige Person davon. Anja Hoffmann, die sich mit ihrem guten Bekannten Matthias ebenfalls in die »Lange Nacht« einbrachte, war sich nicht bewusst, dass es Reclaimer*innen in Berlin gab; und Matthew, einer der wenigen Männer in der Reclaiming-Gruppe, traf auf den »Orden der Barden, Ovaten und Druiden« (OBOD): eine neuheidnischneudruidische Vereinigung, die die Kunst des Erzählens und Singens von (keltischen) Mythen pflegt und hierdurch in eine spirituelle Welt einzutauchen hofft. Matthew war daran sehr interessiert. Er hatte Druiden und druidische Hexen in Berlin jahrelang gesucht und nicht gefunden, weshalb er als Alternative auf die Reclaimer*innen auswich. Mit dem Orden schien er spirituell endlich anzukommen.

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Abbildung 20: Das Cover des Programmheftes zu den Veranstaltungen der Hexen und Neuheid*innen 2015, das von letzteren selbst erstellt und unter den Mitwirkenden, Referent*innen und Gestalter*innen der »Langen Nacht« verteilt wurde

Meine eigenen unverhofften Entdeckungen spiegelten also weniger die (problematische) Selektivität meines ethnografischen Zugangs, vielmehr verhielt es sich so, dass hier eine soziokulturelle Spezifik des Feldes aufschien. Hexen und Neuheid*innen wissen selbst nur ausschnittweise von den eigenen religiösen und dabei sozialen Strukturen, wie sie den gesamten Stadtkontext durchziehen. Dies unterscheidet sie von den religiösen Großorganisationen, in denen die Struktur und so auch das Personal ob ihrer Institutionalisierung zumindest im (hierarchisch gegliederten) Grundschema bekannt sind. Bei den Hexen ist das nicht der Fall. Dies ist allerdings nicht allein ihrer geringen Institutionalisierung geschuldet, sondern auch der Virtuosität, mit der sie sich – wie im dritten Kapitel beschrieben – »ungesehen« durch den Stadtraum bewegen. Diese Virtuosität ist derart ausgeprägt, dass man über einen bestimmten Ritualkreis und Stammtisch hinaus auch untereinander – und nicht nur für Außenstehende – unsichtbar bleibt bzw. einander nur sehr vage kennt. Eine

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Art Übersicht über die eigene Szene haben Hexen und Neuheid*innen nie. Öffentliche Rituale schaffen hier nur in Teilen Abhilfe, weil man letztlich doch unter sich – innerhalb einer bestimmten Interpretation des neuheidnischen Hexen-/Neuheidentums – bleibt. Für die »Lange Nacht« ist dies ein zentraler Befund. Er verweist darauf, dass ihre Funktion zwar darin besteht, Öffentlichkeit gegenüber Außenstehenden herzustellen, doch ähnlich wichtig und grundlegend ist ihre Funktion, Öffentlichkeit innerhalb der eigenen Reihen zu erzeugen. Die Konturen eines Berliner Hexen- und Neuheidentums – und dabei einer Gemeinschaft, wie sie auch Teil des religiösen Feldes wird – treten nicht einfach nur hervor und werden sichtbar. Sie werden genau hier produziert. »Wir müssen uns einfach erst formieren, nicht vereinheitlichen, aber wir müssen uns kennenlernen«, beschreibt denn auch Mara einen wesentlichen Aspekt der »Langen Nacht« (Interview, 08.02.2016). Für Hexen und Neuheid*innen, die an dem Großevent teilnehmen, sind dabei drei Prämissen entscheidend: Erstens möchte man als eine Gemeinschaft zusammenfinden und wahrgenommen werden, die sich durch die (kontroverse) Vielfalt von neuheidnischen Selbstverortungen und Verständnissen kennzeichnet: Gemeinschaft ist stets im Plural – als Gemeinschaften – zu verstehen. Sie ist in sich nicht hierarchisiert, noch fest institutionalisiert. Sie soll fluide gehalten und in ihrer beständigen Veränderung praktiziert und kenntlich gemacht werden. Zweitens soll der gesellschaftsverändernde Impetus der gepflegten religiösen Vorstellungen und Praktiken hervortreten. Zugleich versucht man nachdrücklich der Politisierung zu entkommen, wobei Politisierung als exklusives Codewort für politisch »rechte« Überzeugungen und Zuschreibungen fungiert, von denen Hexen und Neuheid*innen sich immer abgrenzen (müssen). Drittens schließlich versucht man bei aller Schaffung von Öffentlichkeit, den geheimgesellschaftlichen Charakter und die Exklusivität von religiösen wie magischen Wissensbeständen und Praktiken nicht außer Acht zu lassen. Öffentlichkeit wird bewusst als eine Gratwanderung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verstanden und inszeniert. Außenstehenden wird kenntlich gemacht, dass sie nicht alles zu sehen bekommen: Trancen und Ekstasen werden nicht geboten – Rituale stellen hierbei eher eine Art Lehrstück dar, denn einer Form geteilter Erfahrung. Tarot wird nicht gelegt, womit nicht einzig sein exklusiver Charakter betont wird, sondern man diesen angesichts medialer und kommerzieller Verbreitung zurückfordert. Varianten von Divinationen/Weissagungen fehlen in der »Langen Nacht« – womit man dem Image der Hexe, wie es vor allem auf Mittelaltermärkten inszeniert wird, entgegentritt.

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Back Stage und Front Stage Es bedarf einer komplexen und sensiblen Organisation, um die Prämissen der Herstellung von Öffentlichkeit umzusetzen. Besondere strukturelle Komponenten sind hierfür von Hexen und Neuheid*innen einbezogen worden: So bildet sich vor der »Langen Nacht« ein Organisationsteam. Mara war hier anfänglich und einmal mehr treibende Kraft. Sie aktivierte jegliche ihrer vielfältigen Kontakte (wobei sie beispielsweise alle ihr bekannten Hexenstammtische besuchte) und führte sie durch eine eigens erstellte Web- und Facebook-Seite digital zusammen. Durch ein Schneeballprinzip werden die Seiten stetig erweitert. Mitglied des Teams kann jeder/jede werden, der/die sich engagieren möchte. Nach jeder »Langen Nacht« wird es allerdings aufgelöst. Es ist genau dieser Mechanismus, nach erfüllter Aufgabe wieder auseinanderzugehen, womit man versucht, der Etablierung von Führungsansprüchen und gefestigten (und demokratisch nicht legitimierten) Strukturen zu entgehen, die man an den etablierten Religionen so stark kritisiert. Alle, die sich zur »Langen Nacht« präsentieren möchten, können via Facebook und Webseite Angebote machen. Die offerierten Themen und Aktionen werden bei einem gemeinsamen Treffen diskutiert. Dabei steht der Topos der »Politisierung« im Mittelpunkt: Ideen, bei denen man ansatzweise die Gefahr sieht, sie könnten als »rechts« interpretiert werden, schließt man rigoros aus. Als beispielsweise jemand die »Arierhypothese« auf der ersten »Langen Nacht«, an der Hexen und Neuheid*innen teilnahmen, öffentlich vorstellen wollte – eine in den Wissenschaften bis ins frühe 20. Jahrhundert vertretene Überzeugung, wonach die Basis der westlichen Kultur durch »arisch-stämmige« Menschen aus Asien (Indien) gelegt worden sei55 – wurde dies von allen Anwesenden abgelehnt: »Das geht in Deutschland nicht. Das Wort »arisch« ist tabu. Wir haben die nationalsozialistische Geschichte im Rücken«, meinte Mara darauf sehr bestimmt. »Wir wollen keineswegs irgendwie ins Politische kommen«, setzte jemand anderes hinterher (Feldnotizen, 24.05.2015). Wichtiges Auswahlkriterium ist ebenfalls, dass man nicht allzu »esoterisch« erscheinen möchte, weil es Spott hervorrufen könnte. Vorträge, die Vorstellungen aufgreifen, die gesellschaftlich wenig Legitimität besitzen, wenngleich viele Hexen und Neuheid*innen sie persönlich vertreten, wie zum Beispiel, Atlantis habe tatsächlich existiert, werden gestrichen oder in ihren Grundannahmen relativiert (Feldnotizen, 24.05.2015). Für einige Gruppierungen, wie beispielsweise den Eldaring, eine Vereinigung, die sich der Verehrung eines nordischen Pantheons verschrieben hat, sind solche Maßstäbe der Auswahl letztlich noch zu weit gefasst, weshalb man einer Zusammenarbeit mit derart vielen neuheidnischen Ausrichtungen an55 | Siehe hierzu auch das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit.

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fänglich ambivalent gegenüberstand. Hierin spiegelt sich vor allem das Bestreben, sich von jeglichem womöglich falsch verstandenen Germanentum klar abzugrenzen. So kam es denn auch, dass sich gerade der Eldaring von einer gemeinschaftlichen Veranstaltung mit anderen neuheidnischen Gruppen zur »Langen Nacht« 2015 sehr bewusst verabschiedet hatte.56 Durch die Debatten zur Gestaltung der »Langen Nacht« und der dabei erfolgten In- und Exklusion von Vorschlägen entsteht für das Großevent ein erster Ablaufplan. Es wird eine Inszenierung festgeschrieben, die aus einer Mischung von intellektuellen Unterweisungen, erfahrungsbasierten Workshops und – dem Herzstück – verschiedensten (Lehr-)Ritualen besteht. Sie ist genauestens durchchoreografiert. In diesem Zusammenhang wird der konkrete Ort der Veranstaltung entscheidend: ein Ort, der einerseits einen gedanklichen wie auch sinnlichen und performativen Nachvollzug der religiösen Vorstellungen und Praktiken der Hexen und Neuheid*innen erlaubt, und der andererseits nicht zuviel von diesen Praktiken und Vorstellungen preisgibt und Geheimnisse bewahrt. Keine bestimmte (neuheidnische) Ausrichtung darf dominieren und keine soll zurückstecken. Der Ort soll die neuheidnische Idee der Naturverehrung vermitteln und Rückzugsmöglichkeiten von der Hektik und dem Lärm der Stadt bieten, aber auch die Wertschätzung der Stadt als Reservoir für Toleranz und Liberalität transportieren. Schließlich muss er schlicht leicht erreichbar sein. Ein Platz, der dies alles realisiert und darstellt, wurde lange gesucht. Mara hatte bereits, wie sie sagt, ihre »Fühler ausgestreckt nach irgendwelchen Kirchgemeinden«, obwohl ihr auch nicht »ganz wohl dabei war«, weil damit eine Nähe zu christlichen Vertreter*innen und deren Votum evoziert wurde, die man vermeiden mochte (Interview, 08.02.2016). Schließlich machten Hexen und Neuheid*innen ein kleines, gemeinnütziges Familienzentrum unweit des Alexanderplatzes ausfindig, dessen Leitung den neuheidnischen Ideen gegenüber aufgeschlossen ist. Eine der teilnehmenden Hexen ist dort tätig und lässt ihr religiöses wie magisches »Wissen auch in die tägliche Arbeit einfließen. Ich mache mit den Familien hin und wieder ein Feuer und bei Schwierigkeiten räuchere ich auch. Ich finde das zeigt, wie offen man inzwischen den verschiedenen religiösen Sachen begegnet«, kommentiert sie die Wahl des Ortes (Feldnotizen, 24.05.2015).

56 | Der Eldaring stellte sich bei der »Langen Nacht« 2015 separat vor. Da in der Vereinigung das Hexentum nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, wird die Veranstaltung zum nächtlichen Großevent nicht näher betrachtet. Sie bleibt in der Fähigkeit, Öffentlichkeit für das Neuheidentum herzustellen, deutlich hinter den »Paganen Wegen und Gemeinschaften« zurück. Seit 2016 beteiligt man sich an einer gemeinschaftlichen Veranstaltung, wobei man vor allem die integrative Kompetenz und Zugänglichkeit von Mara sehr schätzt.

Öffentlich werden

Am Tag der »Langen Nacht« wird im Garten des Zentrums ein Feuer entzündet. Hexen und Neuheid*innen stellen sich in ihren Gewandungen ein. Mara wandelt in ihrer weißen Ritualgarderobe umher, hilft beim Auf bau, sorgt sich um die Technik und das Licht: Sie ist die Frau »hinter den Kulissen«, die kaum die »Vorderbühne« betritt, aber doch garantiert, dass die Inszenierung klappt. Es wird getrommelt und einige ziehen Spiralen aus Mehl und Hirse und schmücken sie. Kulinarisch ist für Suppe gesorgt, die man über den offenen Flammen zubereitet. Es wird Wasser mit energieausgleichenden Steinen und frischen Pfefferminzblättern gereicht. Es duftet nach Räucherwerk. Mit dem, was man sieht, hört, riecht und schmeckt, wird man in die religiösen Weltvorstellungen der Hexen und Neuheid*innen hineingebeten: Ein synästhetisches Refugium ihrer sehr diversen Gemeinschaft entsteht dabei (Feldnotizen, 29.08.2015). In der ersten »Langen Nacht« besuchten mehr als 200 Außenstehende den neuheidnischen Standort. Letztlich schaute man dann doch und vor allem aus »politischer Besorgnis und Verwunderung« vorbei, wie es eine Besucherin zusammenfasste. Die Frage, auf welche Weise man sich von den »Neonazis« abgrenze, wo man doch ein germanisches Pantheon verehre, war eine der zentralsten in der »Langen Nacht«. Insgesamt wird die Teilnahme an der »Langen Nacht« seitens der Hexen und Neuheid*innen als historisch einschneidend gewertet: Es stellt eine Form öffentlicher Anerkennung dar, die es so vorher an keinem anderen Ort im deutschsprachigen Kontext gegeben hat. Hexen und Neuheid*innen werden sich hier der vielfältigen Ausprägungen der eigenen Gemeinschaft erst gewahr  – einer Gemeinschaft mit Unterschieden, die es auszuhalten gilt. Das urbane Hexentum generiert sich als eine von vielen möglichen Interpretationen neuheidnischer Vorstellungen in der Stadt und dabei selbstbewusst und öffentlich als legitime Ausdrucksform und Identifikation im urbanen Setting – als ein urban way of life schlechthin.

Z usammenfassung Hexen haben in den letzten Jahren – wenngleich zögerlich, so doch verstärkt – den schützenden Zustand der Unsichtbarkeit und Liminalität ihrer religiösen Praxis verlassen. Sie sind in der Stadt »herausgekommen« und legitimer Bestandteil des Berliner religiösen Feldes geworden. Sie haben Berlin mit einer öffentlichen religiösen Topografie des Hexentums versehen und sich in die inszenierte religiöse Vielfalt der Stadt eingeschrieben. Mit Blick auf die öffentliche religiöse Topografie der Hexen in Berlin – die von den höchsten Erhebungen bis in den urbanen Untergrund reicht – zeigte

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sich, wie sehr Hexen hier eine Goffman’sche Bühne der Selbstrepräsentation kreieren, bei der »Außenstehende« nicht bloße Zuschauer*innen sind, sondern zu aktiven Mitwirkenden werden. Ein spezifisches »Spiel aller für alle« setzt ein, das alle Sinne erfasst. Anhand des Teufelsbergs, des zentralen öffentlichen Zeremonienortes der Berliner Hexen, wurde exemplarisch, wie sehr Hexen es verstehen, eigene religiöse und mythologische Vorstellungen auf das Engste mit urbaner Kultur, Rhythmik und Historie zu synchronisieren. Die Walpurgisnacht wird so zu einer stadtkulturell-religiösen Camouflage, bei der sich Hexen der urbanen Tradition dieser Nacht als einer lustvollen politischen wie feministischen Feier anpassen, dabei das überlieferte Motiv der Hexennacht aufgreifen – der Teufelsberg avanciert gleichsam zum urbanen Brocken – und hier gekonnt die neuheidnische Bedeutsamkeit von Beltane einweben. Dabei gerinnt die spezifische Geschichte von Krieg und Teilung, die der Berg versinnbildlicht und materiell transportiert, zu einem wichtigen Symbol der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen und Gegenmodelle, die Hexen mit ihrer religiösen Praxis hoffen voranzubringen. Bei aller Möglichkeit, öffentlich zu werden, sind Bezüge auf ein nordisches Pantheon und keltische wie germanische Symbolik nach wie vor politisch kompliziert. Neuheidnische Vorstellungen werden auch heute noch mit national(sozial-)istisch-rassistischen Konstrukten eines überlegenen Germanentums in eins gesetzt und mit dem allgemeinen Label der »rechten« Ideologie versehen. Hexen sind sich dessen bewusst. Statt den Weg einer konfrontativen Richtigstellung zu gehen, wie dies noch in den 1980er Jahren geschah, lassen sich Hexen im Zuge ihrer Sichtbarwerdung im Stadtkontext vermehrt auf ein strategisches Spiel mit den politischen wie religiösen Autoritäten ein, um so gesellschaftliche Legitimität und schließlich Zugang zum Feld der Religionen Berlins zu erhalten. Das urbane Großevent, die Lange Nacht der Religionen, an dem neuheidnische Hexen seit 2015 teilnehmen, verdeutlicht dies. Dabei meint das strategische Spiel im Bourdieu’schen Sinne, dass Hexen die Vorstellungen und Verhaltensregeln, die im religiösen Feld gelten, anerkennen und ihnen entsprechen, sie aber im selben Moment auch herausfordern. Dieses Vorgehen avancierte zum Trumpf bei dem Spiel um die Teilnahme an der »Langen Nacht«. In diesem Zusammenhang wurde zugleich eine neuartige urbane Sozialfigur hervorgebracht: nämlich die des religious broker. Wie am Beispiel von Mara gezeigt, handelt es sich um eine Person, die zwischen verschiedenen religiösen Referenzrahmen und Weltsichten vermittelnd hin und her pendelt. Aufgrund ihrer unterschiedlichsten biografischen Ressourcen, die so auch nur im urbanen Setting modelliert werden können, vereint sie diese Referenzrahmen bzw. Weltsichten in sich selbst und zugleich bindet sie sich nicht zu stark daran. Sie ist eine entscheidende Figur in der Etablierung religiöser Pluralität: einer Pluralität, bei der die dominanten monotheistischen Religionen ihre Führungsansprüche deutlich zurücksetzen, wenngleich nicht

Öffentlich werden

aufgeben. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Berlin mit der hervorgebrachten religiösen Vielfalt einen Ausnahmefall deutschlandweit darstellt, der zugleich, wie das Beispiel des Deutschen Evangelischen Kirchentages zeigte, durchaus diskurssetzende Kraft besitzt. Dabei mag es ein Stück weit die begehrliche Ressource urbaner Kulturalität sein, die inzwischen mit der religiösen Pluralität transportiert wird, wodurch sich die Überzeugungskraft letzterer entscheidend verstärkt. Insgesamt zeigte sich, dass neuheidnische Hexen und dabei das Neuheidentum sich als plurale, beständig verändernde Gemeinschaft im urbanen Kontext konstituieren. Als neue religiöse Bewegung ist es ihnen gelungen, die geltenden Strukturen und Paradigmen effektiv mitzumodellieren. Insofern nehmen sie Merkmale einer öffentlichen Religion im Sinne von Casanovas Konzept der public religion an und widersprechen diesen im selben Moment. So sind Hexen und Neuheid*innen nach wie vor wenig institutionalisiert und haben dabei Mechanismen eingezogen, Strukturen fluide zu halten. Wenn der Tag nach einer »Langen Nacht« und nach Walpurgis anbricht, verstreuen sich die Hexen wieder in der Stadt und pflegen virtuos ihr Spiel mit der (Un-)Sichtbarkeit. Sie halten dabei die Dissonanzen mit anderen Konfessionen und Religionen nicht allein aus, diese Dissonanzen formen in entscheidender Weise ihr eigenes Selbstverständnis als Hexe wie auch Städterin, deren Kompetenz ja gerade darin besteht, sich lustvoll der dichtgedrängten Heterogenität von Existenzformen auszusetzen.

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Resümee und Ausblicke: Ethnografie, Religion und Urbanität

Ziel der vorliegenden Studie war es, das wechselvolle Zusammenspiel von Urbanität und religiöser Praxis beispielhaft anhand des neuheidnischen Hexen­tums offenzulegen, das, als eine Ausrichtung innerhalb religiöser Innovation, mit den stärksten Zuwachs in den westlichen Gesellschaften vorweisen kann. Ich habe gezeigt, wie Hexen in ihren religiösen Handlungen und Vorstellungen verschiedenste Imaginationen des Städtischen verhandeln und wie die Praxis ihrer Religion durch die je spezifischen kulturellen, materiellen und historischen Ausprägungen des urbanen Kontextes modelliert wird. Damit sollte nicht allein aufgezeigt werden, wie sehr Städte auch in der Spät- bzw. Postmoderne diskurssetzende Zentren und Laboratorien religiöser Entwicklung sind, sondern dass neue Religionen an sich einen Ausdruck städtischen Lebensstils darstellen: Manifestationen seines transitorischen und fragmentierten Charakters, seiner spezifischen Sensualität und Fluidität, seiner heterogenen Ästhetik sowie des Zugangs zu Vielfalt und der Vielfalt von Zugängen. Die Annäherung an das Wechselverhältnis zwischen Stadt und Religion ist von dem Anliegen getragen, die analytische Fassung von Religion und die Blickrichtungen darauf für das eigene Fach – die Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie/Volkskunde – aber auch darüber hinaus, wirkungsvoll zu weiten und fluider zu gestalten. Nicht nur, um sie anschlussfähiger für die diversen Bereiche der Kultur- und Sozialforschung werden zu lassen, sondern, um den religiösen Bewegungen, den Praktiken und Vorstellungen, wie sie in der Gegenwart zu finden sind, analytisch gerecht zu werden. Die fachgeschichtlich vor allem im deutschsprachigen Raum bedingte Verengung auf das Christentum bzw. auf Monotheismen, die implizit die analytische Norm für den Ausdruck des Religiösen bilden, ist angesichts der rasanten religiösen Pluralisierung obsolet. Das Religionsverständnis, das anhand der Studie konzeptionell gestärkt wird, stellt demgegenüber eine unorthodoxe Melange dar, womit gleichsam an eine Praxis wissenschaftlicher Offenheit angeschlossen werden soll, wie sie in der kultur-

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anthropologischen bzw. volkskundlichen Forschung zu religiösen Vorstellungen durch Personen wie Will-Erich Peuckert einstmals propagiert wurde, aber – wie Peuckert selbst – im disziplinären Gedächtnis zur Religionsforschung selten aufscheint. Diese Melange schließt kulturanthropologische, religionssoziologische wie -wissenschaftliche Konzepte gleichzeitig ein: So begreife ich Religion sowohl funktional als ein, wie es Clifford Geertz so entscheidend formulierte, Symbolsystem, das dazu dient, eine Vorstellung von einer allgemeingültigen Seinsordnung zu formen (Geertz 1987), als auch  – bei aller analytischen Vorsicht – substantiell als eine Erfahrung des Nominosen, ein Gedanke der letztlich auch in der Luckmann’schen Idee von der Erfahrung der großen Transzendenz anklingt (Luckmann 1991). Übergreifend gesetzt ist der diskursive Religionsbegriff. Demnach ist Religion ein Denksystem, das erst durch bestimmte Praktiken hervorgebracht und stabilisiert wird: ein leerer Signifikant, wie es Kocku von Stuckrad ausdrückt (2013: 17), der abhängig von gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten mit verschiedenen Bedeutungen gefüllt werden kann. Damit wird zugleich eine reflexive Ebene eingezogen, bedeutet dies doch, dass die Forscher*innen selbst das, was sie als religiös betrachten, immer auch ein Stück weit mit hervorbringen und formen (von Stuckrad 2013). Diese konzeptionelle Mischung erlaubt es, den Blick auf Religionen analytisch flexibel zu halten und den Entwicklungen im 21. Jahrhundert theoretisch gleichzukommen. Diese Beweglichkeit bildet ein zentrales Charakteristikum neuer Religionen und allgemein gegenwärtiger religiöser Dynamiken mit ab: die Zurückweisung exklusiver Standards und die Bereitschaft, disparate Welterklärungen und Symboliken miteinander zu kombinieren, sich unterschiedlichste Überzeugungen anzueignen, sie mitunter – wenn es geboten ist – zurückzustellen, um sie in geeigneten Momenten wieder heranzuholen. Wenn es mir mit diesem offenen Verständnis des Religiösen darum geht, die Prägung der jeweiligen Praktiken und Vorstellungen durch die urbane Lokalkultur hervorzuheben, so birgt dies sicherlich das analytische Risiko, die Stadt als eine fixierte und klar abgrenzbare Entität wahrzunehmen, wo doch in Zeiten von Globalisierung und kultureller Verflüssigung »the city […] everywhere and in everything« zu sein scheint (Amin/Thrift 2002: 1). Ich verstehe demgegenüber die »Stadt« als eine überaus dynamische, heterogene soziokulturelle, ökonomische und geografische Formation, als einen Konzentrationspunkt, wo, wie es der Politikwissenschaftler Michael Peter Smith schreibt »global and transnational networks of meanings, power, and social practice come together with more purely locally configured networks, practices, meanings and identities« (Smith 2002: 109). Von der Stadt aus verbreiten sich diese Netzwerke global. Territorialität lokaler Kultur kommt dabei zusammen mit einer urbankulturellen Fluidität, womit der beständige, jedoch spezifische Wandel von Beziehungen, Geflechten der Kooperation und von sozialen Rollen angesprochen ist (Lindner 1997a: 323; Hannerz 1980: 276).

Resümee und Ausblicke

Die Studie verortet sich zwar an der Schnittstelle von Stadt- und Religionsforschung, ist aber zugleich als Beitrag zu den Ritual- und Performanzstudien, der Materialitäts- und Genderforschung sowie dem Paradigma der Re- und Enttraditionalisierung in postmodernen Zeiten zu verstehen. Sie stellt ein Plädoyer für die sinnliche Ethnografie dar, mit der die verbal-visuelle Zentriertheit der Forschung aufgelöst wird und jegliche Sinne und Sinnlichkeit als empirisch-analytisch relevantes Datum begriffen werden und bei der der Körper der Forschenden selbst zum Instrument der Erkenntnis avanciert. Dieser Zugang wurde mit der historischen Anthropologie verwoben. Erst in der sinnverstehenden und zugleich geschichtlich grundierten Annäherung lässt sich ein zu untersuchendes Phänomen in seinen diskursiven Verschachtelungen erkennen. Die geschichtliche Vertiefung ist dabei nicht allein als ein interpretatorischer Vorschlag zu verstehen, bei dem es darum geht, aufzuzeigen, was war bzw. was bisher geschehen ist. Es ist damit auch der Versuch angesprochen, wie es Jan Assmann metaphorisch beschrieb, Gedächtnisspuren offenzulegen und so die identitätsstiftende Rezeption von Vergangenem aufzuzeigen und Geschichte als diskursive Praxis der Gegenwart zu kennzeichnen (Assmann 1998). In dieser Arbeit habe ich für die Hexenreligion als geschichtliches Gebilde die Metapher des Palimpsests genutzt, hierdurch sollte die Komplexität der Quellen, aus denen sich die Hexenreligion speist, und die schwierig zu überschauende Vielfalt von Bezügen ausgedrückt werden. Hierin liegt gewissermaßen die Schönheit und spezifische Ästhetik der Hexenreligion und damit, so mein Argument, neuer Religionen allgemein. Sie sind letztlich nicht »neu«, sondern in der westlichen Religions- bzw. Esoterikgeschichte zutiefst verwurzelt. Diese Geschichte wird in der eigenen Praxis bewusst reflektiert. Einer der zentralen Befunde, der sich durch diesen Zugang anhand der neuheidnischen Hexen gewinnen ließ und der sich im strukturellen Auf bau der Arbeit verdeutlicht, ist die Beobachtung, dass neureligiöse Vorstellungen und Handlungen sich in entscheidender Weise durch ihre Privatisierung und Individualisierung kennzeichnen: Das einzelne Individuum mit seinen je eigenen Bedürfnissen steht im Mittelpunkt religiöser Praxis. Luckmann hatte hierfür die eingängige Metapher der Unsichtbarkeit entwickelt: Religion verschwindet in der Versenkung privater Räume. Doch im selben Moment deprivatisiert sie sich, wird sichtbar und es kommt zur zunehmenden Reklamierung gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Bisher ist der Prozess, dass neureligiöse Weltvorstellungen sichtbar bzw. öffentlich hervortreten und in weitere soziale Bereiche dringen, vor allem unter dem Stichwort der Popularisierung zusammengefasst worden: Versatzstücke dieser Weltvorstellungen werden von den modernen, urbanisierten Menschen als Dienstleistung gern aufgegriffen und als Ausdruck und zur Repräsentation von Individualität genutzt. Doch wie sich gerade in der Hexenreligion zeigt, gehen die Formen der Öffentlichwerdung

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mittlerweile darüber hinaus und beginnen sich zu politisieren, was gleichsam die Stadt als eine zentrale Arena gesellschaftspolitischer Aushandlungen spiegelt. In den Momenten, in denen Hexen »herauskommen«, sich den anderen Stadtbewohner*innen als Hexen zeigen und sich mit kommunalen und religiösen Autoritäten der Stadt auseinandersetzen und in städtische Großereignisse einbringen, geht es ihnen darum, Vorstellungen von Gemeinschaft und Sakralität, von Moral und dem Umgang mit dem, was uns umgibt, wirksam mitzudefinieren. Wenn sie dabei vor allem auf das Mittel des Rituals zurückgreifen, so ist dies eng mit dem Gedanken verbunden, die Handlungsfähigkeit und Ausdrucksmöglichkeiten insbesondere von Frauen (was Hexen in überwältigender Mehrheit sind) zu erweitern und in der gegenwärtigen Gesellschaft dafür Raum zu schaffen. Hier zeigt sich für die Formierung neuer Religionen ein Punkt, der in der bisherigen Forschung zum Wechselverhältnis von Stadt und Religion kaum Beachtung fand und der doch entscheidend ist: Es tritt nämlich hervor, dass die im urbanen Kontext anzutreffende intensive Vervielfältigung und Innnovation von Religionen (inklusive jener innerhalb religiöser Großorganisationen, den etablierten Religionen) ein zutiefst gegenderter Prozess ist, der neue Geschlechterordnungen erprobt, formuliert und so hervorbringt. Dies erweist sich als derart grundlegend auch mit Blick darauf, wie dies momentan von den säkularen Sektoren der Stadt – der Verwaltung, dem kommunalen Bildungs- und Kulturbereich – aufgegriffen und entsprechend darauf reagiert und eingeordnet wird, dass eine Forschung zur gegenwärtigen religiösen Entwicklung ohne den Fokus auf Gender kaum noch auskommen kann und dieser an Zentralität gewinnen muss. Von diesen maßgeblichen Einsichten ausgehend möchte ich im Folgenden die Ergebnisse der Studie genauer herausstellen und damit einen programmatischen Ausblick für die Erforschung des Religiösen und Urbanen im 21. Jahrhundert skizzieren. Ich werde dabei zwei zentrale Konzepte, die die Arbeit prägen, herausgreifen, und daran meine Überlegungen entwickeln: die Herstellung von Raum und die Rolle von religiösen Ritualen im urbanen Kontext.

V om privaten zum liminalen zum öffentlichen urbanen  R aum Hexen handeln im Ritual und allgemein in ihren religiösen wie lebensweltlichen Praktiken nicht allein geschlechtliche Identitäten aus und erweitern damit nicht nur feministisch inspiriert die Handlungsoptionen von Frauen, sie eignen sich dabei auch die Stadt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen an. Deswegen habe ich die Kategorie »Raum« zentral fokussiert, ohne eine analytische Unterscheidung zu Ort vorzunehmen. »Raum« bzw. »Ort « gelten

Resümee und Ausblicke

in der Studie gleichermaßen als dynamische, zeitlich gebundene Gebilde, die kontinuierlich durch das Zusammenwirken von Handlungen, kognitiven Vorstellungen und materiellen Manifestationen hergestellt werden und um deren symbolische wie konkrete Grenzziehungen und Öffnungen stetig gerungen wird (Massey 2013: 5; Gieryn 2000: 468). Bislang ist mit dieser Definition von Raum in erster Linie die Schaffung öffentlichen Raums – public space making – wissenschaftlich in den Blick gekommen. Dies gilt in besonderem Maße für stadtethnologische wie -soziologische Forschungen: Urbanität und Öffentlichkeit bilden hier ein untrennbares Analysepaar: Das eine, so der Grundgedanke, bedingt das andere. Auch in dieser Studie liegt ein wesentliches Augenmerk auf dem öffentlichen Raum. Doch zugleich konnte ich diese räumliche Perspektivierung erweitern und aufzeigen, wie die Wohnungen in der Stadt – als emblematische Orte des Privaten – zu einem entscheidenden Terrain religiöser Praxis und ritueller Gemeinschaftsbildung modelliert werden. So privat der Raum und die sich hier entfaltende religiöse Praxis sind, sie sind zutiefst urbanisiert. Die eigenen vier Wände stellen zentrale Bestandteile der modellierten städtischen Landschaft wie auch der religiösen Topografie dar, mit denen verschiedenste Gruppierungen und Einzelprotagonist*innen urbane Kontexte ausstatten. Die Urbanität von Wohnungen und der Akt des Wohnens – und damit auch der hier zu findenden religiösen Praxis – kennzeichnen sich dadurch, wie es die Volkskundlerin Elisabeth Katschnig-Fasch so treffsicher formulierte, dass stärker noch als in »ländlichen überschaubaren und nicht so hektischen […] Gebieten und Regionen – eine Art Gegenwelt zur Außenwelt, zur Arbeitsund Berufssphäre« hergestellt wird (Katschnig-Fasch 1998: 19). Zudem zeigt sich am Beispiel der Hexen, wie sehr Wohnungen in der Stadt soziokulturelle und dabei religiöse Laboratorien darstellen: ein alltäglicher und zugleich dem Alltag entrückter urbaner Ort lebensweltlicher Innovationen. Hexen schaffen sich hier Platz für sinnstiftende Rituale im städtischen Setting: Zeremonien, die in besonderer Weise elaboriert sind. In Form umfassender mythologischer Schauspiele können sich Frauen mutig zeremoniell in ihren individuellen und intimen Verletzbarkeiten zeigen. Die Wohnung avanciert zu einem religiösen Schutzraum. Um Charakteristika des sich hier entfaltenden Wechselspiels von Placemaking und religiösen Praxen genauer herauszuarbeiten, habe ich meine Betrachtungen auf das Engste mit Blick auf die materielle Kultur – auf die Dinge, mit denen Hexen zusammenleben – verschränkt. Dieser Zugang erwies sich als ausgesprochen produktiv. Er berücksichtigte, dass die privaten Wohnungen Refugien besonders dichtgedrängter, bedeutungsgeladener Materialität konstituieren. Die sinngebenden Verflechtungen zwischen den Dingen, die sich hier versammeln, bündeln und verstreuen, und den einzelnen Menschen, die hier wohnen und zusammenleben, sind besonders eng, vielfältig und dynamisch (Löfgren 2014: bes. 82). Die Verräumlichung privatisierter religiöser Praxis

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tritt dabei gerade in ihrer spezifischen Synästhetik anschaulich hervor – metaphorisch gesprochen zeigt sich, dass die »(Un-)Sichtbarkeit« weit »über das Auge hinausgeht« (Bendix 2006). Allerdings geht es mit dieser Fokussierung nicht um bloße Verdeutlichung. So eröffnet die analytische Kombination von Materialität und (privatisierter) religiöser Praxis die Chance, die sinnliche Erfahrung der Einzelnen und ihre Signifikanz in der räumlichen Konstituierung des Religiösen zu kontextualisieren, statt diese Erfahrung als frei flottierendes und ahistorisches Phänomen konzeptionell und dabei empirisch außen vorzulassen. Ich konnte dementsprechend zeigen, wie sehr die Symbole und Dinge in den Wohnungen der Hexen als ein komplexes sinnliches Zeichensystem zu verstehen sind, das durchwoben ist von biografischen Bezügen (z.B. familiärer Anerkennung oder Ablehnung). Diese werden mit okkulten Vorstellungen (z.B. der Vier-Elemente-Lehre) und Performanzformen (z.B. Tanz und Gesang) zusammengebracht und zugleich und entscheidend als Erfahrung des Urbanen repräsentiert und reflektiert (Materialien der Umgebung werden zu okkulten Gegenständen modelliert). Anhand dieses Zeichensystems können sich Hexen gegenseitig gut erkennen. So privatisiert, einzigartig und auch vergänglich es ist: Es stellt einen materiell-sinnlichen Code der religiösen wie sozialen Zugehörigkeit dar. Dies ist ein entscheidender Befund, es offenbart sich bereits hier, wie sehr Formen religiöser Privatisierung immer im Spannungsverhältnis zu Momenten der De-Privatisierung zu betrachten sind: das Öffentlich- und Sichtbarwerden für Gleichgesinnte, so klein der Kreis auch sein mag. Die Grenzziehungen privater Räume sind immer auch porös, wobei materielle Zeichen über private Räume hinaus diffundieren. In diesem Zusammenhang habe ich für das Verständnis der räumlichen Konstituierung religiöser Praxis im urbanen Kontext eine weitere Differenzierung und Perspektivierung vorgenommen und das Konzept der Liminalität analytisch gestärkt. Die Liminalität von Räumen ist in der Stadtforschung insbesondere auch an der Schnittstelle zur Religionswissenschaft/Theologie bereits prominent eingeführt worden. So sprechen der Urbangeograf Justin Beaumont und der Theologe Christopher Baker davon, dass, mit dem (Zurück-)Drängen von Religionen in die öffentliche Sphäre der Stadtgesellschaft, die Stadt an sich zu einem liminalen Ort werde. Einstmalige sichere Demarkationslinien zwischen Säkularem und Religiösem lösen sich auf, dabei entsteht eine Übergangssituation und es ist noch unklar, worin diese mündet (Beaumont/Baker 2011: 256). Diese makroskopische Analyse und These sind instruktiv, legen sie doch historische Verschiebungen von Machtverhältnissen innerhalb des städtischen Kontextes offen. Mit dem Konzept von Liminalität, so wie in vorliegender Studie vorgeschlagen, soll jedoch viel stärker darauf fokussiert werden, wie durch religiöse Praktiken und dabei im Umgang mit der Stadt in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen, konkrete topografische Orte

Resümee und Ausblicke

geschaffen werden, die durch ihre ästhetische Gestaltung, Nutzung und Sinnlichkeit einerseits Gegenentwürfe zur städtischen Lebensführung und zum Urbanen propagieren, andererseits aber auch die Lust am Städtischen zum Ausdruck bringen. Es sind Experimentierfelder eines urbanen Lebensgefühls, in denen mit all dem, was das urbane Setting bereithält, in neuer Weise umgegangen wird. Ihre Liminalität kennzeichnet sich dadurch, dass die Grenzziehungen zwischen privat und öffentlich in entscheidender Weise uneindeutig bleiben. Sie sind konkret wie sinnbildblich weder sichtbar noch unsichtbar. Für die Hexen wurde dies vor allem an den materiellen Hinterlassenschaften ihrer Rituale aufgezeigt. So finden die Rituale in der Dunkel- und Abgeschiedenheit der Nacht statt und es werden für den Tag in der Stadt rätselhafte Zeichen zurückgelassen. Hexen benennen diese Hinterlassenschaften auch als »Superzeichen«: Städter*innen erfassen diese Zeichen in ihrer Rätselhaftigkeit, womit gleichsam »eine Art Achtsamkeit evoziert« werden soll. Damit wird eine städtische Lebensführung angesprochen, bei welcher der Mensch sich als Teil eines (städtischen) Biotops begreift, das es zu erhalten gilt und das auf das »Wohl aller Lebewesen«, wie es Hexen ausdrücken, ausgerichtet ist. Es zeigt sich gerade an dieser Stelle, wie sehr neureligiöse Gruppierungen am Entwurf urbaner Ethiken beteiligt sind – und wie sich der Zustand zwischen gesellschaftlicher Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit als besonders produktiv erweist – ein Moment, auf den gerade in der Forschung noch stärker fokussiert werden sollte.1 Das Konzept der Liminalität von urbanen Orten religiöser Praxis lässt sich allerdings nicht allein für die analytische Durchdringung des Spannungsverhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit im urbanen Kontext fruchtbar machen. Es können damit jegliche konkret-topografisch geschaffene Räume in den Blick kommen, in denen konzentriert kulturelle, soziale und dabei religiöse Grenzziehungen zur Debatte gestellt werden, Weltbilder und Anschauungsweisen aufeinandertreffen und dabei (in Affekten und Emotionen) katalysieren. Insbesondere die für das Verständnis von Religion momentan in Städten so zentralen Orte des interreligiösen Dialogs werden damit analytisch greif barer und können als konfliktreiche und dabei produktive Orte der Uneindeutigkeit gefasst und beschrieben werden: ein Zustand, den die Protagonist*innen auszuhalten haben und bei dem beständig neue (ästhetisch-sinnliche) Formen religiöser Repräsentationen erprobt werden, die sich mitunter materiell nur langsam manifestieren. Anders gesagt: Der Zustand der Liminalität wird kaum verlassen, in gewisser Weise ist er für solche Orte genuin (wie dies beispielhaft am House of One in Berlin hervortritt). 1 | Siehe hierzu auch das Forschungsdesign der DFG-Forschergruppe »Urbane Ethiken«: www.urbane-ethiken.uni-muenchen.de/urbane-ethiken/index.html, letzter Zugriff: 30.09.2017.

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Schließlich habe ich mich in der Studie von den privaten und liminalen Orten bzw. Räumen, die sich Hexen für ihre religiöse Praxis in der Stadt schaffen, hin zu den Orten begeben, an denen und durch die Hexen als Hexen öffentlich werden. Dabei wurde die These generiert, dass in dem Maße, wie Hexen Sichtbarkeit herstellen, um mit ihrer religiösen Praxis zugleich ökologisch-feministische Alternativen wirkungsvoll in die Stadtgesellschaft zu tragen, sie sich auch den dominanten monotheistischen Religionen annähern und die Hexenreligion als öffentliche Religion zu etablieren beginnen. Hexen übernehmen hier innerhalb neureligiöser Ausrichtungen insbesondere im deutschsprachigen Raum eine Vorreiterrolle und sind auch als Ausnahmefall zu werten. In gewisser Weise klingt hier das Motiv der städtischen Kultur Berlins durch, nämlich jenes, dass Berlin (und so die Hexen) in spezifischer Weise einen »unrepresentative case of representation« (Lindner 1990: 104-105) im deutschen Kontext darstellt: Berlin ist in besonderer Weise singulär in seinen soziokulturellen und historischen Ausprägungen und dennoch diskurssetzend. Mit der These der Annäherung an dominante Religionen ist analytisch und empirisch behutsam umzugehen, was meint, dass sie immer auch in ihrer Verneinung zu denken ist. Zwar gewinnen neureligiöse Gruppierungen wie die Hexen an gesellschaftlicher Legitimität, wodurch sie sich überhaupt erst als Gemeinschaft erfolgreich öffentlich formieren können, sich ins städtische religiöse Feld einschreiben und Merkmale einer öffentlichen Religion annehmen, doch sie bleiben im Vergleich zu den dominanten Religionen in besonderer Weise im Fluss und in hervorgebrachten Strukturen instabil und individualisiert. So sehr Gemeinschaft gewünscht ist, sie ist nicht verpflichtend und in dem Augenblick, in dem sie hierarchisierte Organisationsformen annimmt (um so wirkungsvoll öffentlich sichtbar zu werden), beginnt sie stets auch auseinanderzufallen. So mag es sich beispielsweise etabliert haben, dass Hexen an der Langen der Nacht der Religionen mitwirken, doch zentrale Protagonist*innen ändern sich beständig, neue Gruppierungen tauchen auf, die im kommenden Jahr schon nicht mehr auffindbar sind. Der Teufelsberg in Berlin ist nach wie vor ein fester öffentlicher Ritualplatz der Hexen, doch in dem Moment, in dem ich dies schreibe, scheint sich zugleich alles geändert zu haben: neue federführende Organisator*innen sind zu finden und die Zeiten und Anlässe, an denen Hexen sich dort zusammenfinden, haben sich verschoben. Zwar gilt nach wie vor die Grundregel: »der passende Ort zur passenden Zeit« in der Stadt, doch die Walpurgisnacht ist dies momentan nicht mehr. Neue Feste und damit Zeiten im Jahreskreis werden wichtig und in ein Zusammenspiel mit städtischen Imaginationen, individuellen biografischen Entwicklungen und religiösen Daseinsvorstellungen gebracht. Diese fortwährenden Verschiebungen und Verflüssigungen von Strukturen bilden geradezu idealtypisch die momentan so diskursdominante theoretische Idee der Assemblage bzw. der »sich ereignenden Formen« empirisch

Resümee und Ausblicke

ab: Formen, die »sich permanent neu fügen und Neues generieren. Entweder verdichten sie sich zu einer festen Form, einem Dispositiv, oder verschwinden wieder. Ihre Temporalität ist das ›nicht mehr und noch nicht‹« (Rabinow 2004, zit.n. Welz 2009: 206). Dabei gibt sich letztlich die für die urbane Kultur spezifische Komponente der Flüchtigkeit wieder: Die Hexenreligion und damit neureligiöse Bewegungen an sich bleiben auch im Prozess des Öffentlichwerdens – so lässt es sich analytisch geschärft fassen – spezifischer Ausdruck der fluidité urbaine (Lindner 1997a).

R ituale als urban - ästhe tische P r a xis und als S piel mit symbolischen wie konkre ten G renzziehungen der S tadt Die Studie hat sich zentral auf die Beschreibung und Analyse von Ritualen konzentriert, womit ihrer Bedeutsamkeit, die ihnen in der Hexenreligion zukommt und die sie im Stadtkontext spezifisch entfalten, Rechnung getragen wird. Ich legte ein konzeptionelles Verständnis von Ritual zugrunde, das sich in entscheidender Weise aus den empirischen Daten heraus generierte. Danach zeigte sich, dass Rituale einerseits – wie es bereits Arnold van Gennep und Emile Durkheim herausgestellt hatten – als komplexe sozioreligiöse Ereignisse zu fassen sind, mittels derer in formalisierter Weise eine bestimmte Sicht auf die Welt zur Aufführung gelangt. Glaubensvorstellungen, Deutungshoheiten, kurzum Machtverhältnisse werden bestätigt, schreiben sich in den Körper ein und werden in dramatischer Weise einverleibt. Jedoch müssen Rituale – dies führten Hexen in ihrer religiösen Praxis in Berlin eindringlich vor Augen – auch in ihrer Innovationskraft und möglichen Subversion gedacht und betrachtet werden: Akte, in denen Erkenntnisse über sich und die Welt erst erzeugt werden – verkörperte Vorstellungen also, die einzig durch die Performanz entstehen. (Religiöse) Rituale sind insofern verstärkt auch aus ihrer Bewegung heraus – als Ritualisierungen – zu begreifen. Weltsichten und Konventionen werden nicht nur reproduziert: Gegenmodelle soziokultureller Erneuerung scheinen auf (Rappaport 1979; Tambiah 1979: 113-169, bes. 120; Salomonsen 2002: 160-165; Bell 1993: 3-12, 67-107; Bell 2009: viiiixii, 1-22). Neuheidnische Hexen folgen in ihrer rituellen Praxis nicht der Idee der Umsetzung einer vorgegebenen Liturgie; vielmehr ist es Maßgabe, dass mit dem Ritual ein Ort geschaffen wird, an dem sich jede einzelne Person in unterschiedlichsten religiösen Ausdrucksformen und sinnlichen Praktiken erproben kann und sollte, um diese damit gleichsam fortzuschreiben. Die vorliegende Studie bezeichnete dies als praktizierte Kunst des Ritualisierens. Dieser Begriff und der damit erforderte Blickwinkel erlauben eine tiefere Thematisierung des Wechselverhältnisses von ritueller Gemeinschaftsbildung bei gleichzeitiger (normativ geforderter) Individualisierung. Die Kunst des Ritua-

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lisierens umfasst den kreativen Akt, der die Vorstellungskraft und den Mut des einzelnen Individuums herausfordert, eingeübte Konventionen hinter sich zu lassen. Dieser Akt kann sich letztlich aber nur realisieren, weil gemeinschaftlich hierfür der Ort und Freiraum geschaffen wird, wobei Konventionen nicht nur über Bord geworfen, sondern eben auch befolgt werden. Nur so kann die jeweilige Performanz glücken. Das Wechselverhältnis von Individualisierung und Kollektivität tritt anschaulich hervor (siehe hierzu auch Becker 1974). Dabei ist es die Stadt, die das kreative und intellektuelle Potential dafür bereithält, dass solch eine Performanz – die Kunst des Ritualisierens – überhaupt erdacht werden kann und von einer kritischen Masse praktiziert wird. Gewiss, so ist an dieser Stelle anzumerken, wurden Rituale im urbanen Kontext schon mehrfach thematisiert – hier vor allem als Momente, in denen sich die Möglichkeit bietet, politisch-öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren (Orsi 1999; Livezey 2000; Becci/Burchardt/Casanova 2013). In meiner Fokussierung auf rituelle Handlungen ging es mir analytisch jedoch um weitaus mehr und dabei um eine bisher völlig vernachlässigte Komponente von Ritualen, nämlich, wie sehr diese zu einer spezifisch urbanen ästhetischen Praxis avancieren, bei der sich die Stadt leiblich einschreibt, und gleichsam urbane Körper produziert werden. Bei den Hexen konnte ich dies unter anderem anhand ihrer Ritualkleidung zeigen. Diese ist stets hochgradig personalisiert, thematisiert biografische Bezüge und bringt sie zur Aufführung, zugleich ist sie als Bezugnahme auf urbane Kunstszenen (Präraffaeliten) und Subkulturen (Gothic-Szene) zu verstehen. Sie hat dabei urban charakteristische Erscheinungsformen produziert, wie die »Chapati-Hexe«, und macht insgesamt eine Form von Hyperfeminität haptisch und zeremoniell erlebbar. Über dieses konkrete Beispiel hinaus sind auch die rituellen Bewegungen und genutzten Materialien in der Auseinandersetzung mit dem urbanen Kontext und dem Urbanen zu verstehen – als körperlich-intellektuelle Aneignung der Stadt (Hegner/Margry 2017). Insgesamt gilt es, bei der Frage nach der Urbanität von religiösen Ritualen bzw. religiöser Praxis noch stärker darauf zu schauen, wie hierdurch die Stadt in die jeweiligen vertretenen Theologien und Kosmologien Einzug hält und inkorporiert wird. Hexen, so zeigte sich, spielen in ihrer rituellen Praxis in entscheidender Weise mit den sozialen, politischen, historischen wie rhythmischen Gegebenheiten des urbanen Kontextes. Sie machen die Nacht zum Tag und werden dann aktiv, wenn sich die Mehrheit der Menschen zurückzieht. Sie interpretieren die Umwelt neu, indem sie Stadtbäume als companion species erfahren oder mythologisch imaginieren. Für die Forschung zum Wechselverhältnis von Stadt und Religion offenbarte sich, dass diese zeitlich und räumlich noch flexibler zu werden hat – gleichsam diesem Spiel, wie ich

Resümee und Ausblicke

es nannte, folgen muss, wobei hier Spiel in erster Linie im Sinne Huizingas als eine freiwillige Handlung zu fassen ist, die zwar Regeln hat, aber deren Ziel in ihr selbst liegt und von »einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ›Andersseins‹« begleitet wird (Huizinga 1987: 37). Es gilt in diesem Zusammenhang, den Tageszentrismus der Forschung weiter aufzulösen und sich aus den angestammten Untersuchungsfeldern des Religiösen in der Stadt – aus den Tempeln, Kirchen, Moscheen und Synagogen  – hinauszubegeben und jegliche Orte der urbanen Lebenswelt aufzusuchen, um die Konstituierung religiöser Vorstellungen in der Stadt in ihrer Umfasstheit und Charakteristik zu untersuchen. Sicherlich müssen religiöse Rituale und Ritualisierungen in der Stadt auch jenseits ihrer Innovationskraft gedacht und betrachtet werden: Der urbane Kontext ist eben nicht nur Terrain der Subversion und Enttraditionalisierung, sondern er ist auch zutiefst konservativ und Hort von Retraditionalisierungen. Für die dominanten monotheistischen Religionen ist dies bereits aufgezeigt worden, wobei die durchaus umstrittene Typologie der fundamentalist city entwickelt wurde (Al Sayyad/Massoumi 2010). Doch auch neue Religionen untergraben Traditionen nicht nur, sondern festigen sie. So zeigte sich beispielsweise, dass Hexen, so frei und jenseits geltender Konventionen sie sich bewegen wollen, ausgemachte Traditionalist*innen sind, die eine Kontinuität mit der Vergangenheit herstellen wollen, die in der Stadt verloren scheint; dies macht sich gerade in ihren kalendarischen Riten deutlich, womit sie einer lang tradierten Vorstellung von Zeit erneut Geltung in der Stadt verschaffen. Auf dieses Spannungsverhältnis von Ent- und Retraditionalisierungsprozessen in urbanen Religionen gilt es sich noch stärker zu konzentrieren. Religiöse Entwicklungen und Urbanität, so zeigte sich, sind in ihrem Wechselverhältnis grundsätzlich im Modus des »Sowohl-als-Auch« zu denken, folglich als Ausdruck reflexiver Modernisierung/reflexiver Moderne zu untersuchen, wo das Denken in Dualitäten aufgeweicht ist (Beck 2004; Beck/Bonß/Lau 2001). Letztlich, so zeigte sich, kann Urbanität und Stadt nur in der relationalen Perspektive konzeptionell konturiert werden: Was als urban gilt, ergibt sich ausschließlich, wie bereits Ulf Hannerz betonte, aus »social situations, […] people’s shares in these, and […] the way a complex social life can be assembled from them« (Hannerz 1980: 10). Trauen wir uns, uns auf die sozialen und kulturellen Verschachtelungen, die sich daraus ergeben, in noch umfassenderer Weise und mit allen Sinnen empirisch wie analytisch einzulassen, um so das »Gegenüber« in unserer komplexer gewordenen Welt in noch komplexerer Weise zu verstehen und uns der dichtgedrängten Heterogenität von Existenzformen auszusetzen.

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Danksagung

Dieses Buch ist das Werk von vielen. Ohne die Offenheit und das Engagement der neuheidnischen Hexen und der Heid*innen in Berlin und in der ganzen Bundesrepublik wäre es nie zustande gekommen. Ihr seid einfach großartig! Besonderer Dank geht an die Mondfrauen und an den Kreis von Hexen, die der Tradition des Reclaiming nahestehen: Ich habe sehr viel von Euch gelernt und nehme die Welt nunmehr mit veränderten Sinnen wahr. Mit Xenia, Melany, Katja, Ingelore, Monika und Magdalena habe ich viele gemeinsame Rituale an der Krummen Lanke durchlebt. Alle haben sich immer wieder Zeit genommen, mir Dinge, Ansichten, Gefühle und die Idee von Magie in der Hexenreligion zu erklären. Die Gruppe, die der Tradition des Reclaiming nahesteht, hat mich offen empfangen. Curtis verlor nie die Geduld, mir mythische Vorstellungen und die Besonderheit der Ritualmagie zu erklären. Ihr Humor ist dabei unschlagbar. Anna hat mich mit Bedachtsamkeit an die Kosmologie der Hexenreligion herangeführt und mir gezeigt, dass es nie nur eine Interpretation gibt und alles in komplexen Verschachtelungen zu begreifen ist. Faye danke ich dafür, dass ich jederzeit nachfragen und an ihre Tür klopfen konnte. In ihrem wunderschönen Haus war man immer willkommen. Thanis und Sophia haben mir an langen Abenden genau auseinandergesetzt, wie bedeutsam die Dinge – die materielle Kultur – in der Spiritualität sind. Nicht zu vergessen ist ihre Sammlung an interessanter Musik: Sie ist beeindruckend. Das Zusammensein war immer herzlich und wir haben viel gelacht. Britta wiederum hat mir mit der ihr spezifischen Klarheit nahegebracht, wie sehr Spiritualität in das alltägliche Leben hineinragt und dass man Mut haben sollte, auch die verrücktesten Sachen einfach zu tun, weil sie gut und wichtig sind. Sandra hat schließlich ein unglaublich komplexes Wissen von der Pflanzenwelt und sie weiß in ihrer Sensibilität, die Menschen gut darin einzuführen. Sie kann hervorragend vegan kochen: Die Forschung war auch kulinarisch durchweg köstlich. Last but not least: Vielen Dank Angela! Du hast ein großes Herz und bist eine tolle Berliner Hexe. In einer geteilten Stadt groß geworden zu sein, hat uns aneinander

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angenähert – jeweils auf der anderen Seite, haben wir doch eine prägende gemeinsame Erfahrung. Mein herzlicher Dank geht auch an Cassandra und an Donate Pahnke, die meinen Blick für den bundesdeutschen Kontext von neuheidnischen Hexen nachhaltig geöffnet haben. Die Woche im Phönix-Hexencamp werde ich nie vergessen. Die Hexen, Heid*innen und die lesbische Community der 1980er Jahre haben sich für meine Fragen und Anliegen ebenfalls Zeit genommen. Michael Pflanz, Matthias Wenger und Geza von Nemenyi erklärten mir offen und sehr genau die Details der damaligen Dynamiken unter Neuheid*innen. Sabine Zurmühl und die Frauen vom Frauengesundheitszentrum: Joan McMurphy, Uta und Dagmar Schultz sowie die Besetzerin des Hexenhauses Ursula Munker sind die Protagonist*innen der Westberliner frauenbewegten Szene. Sie haben mich zu sich nach Hause eingeladen und frei von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichtet. Danken möchte ich auch Mara und Moira. Ihr seid beeindruckend in all dem, was ihr auf die Beine gestellt habt, um die Hexenreligion öffentlich zu machen. Mara hat sich sehr viel Zeit genommen, mir die Zusammenhänge und Problematiken hierbei auseinanderzusetzen. Ihre klare analytische Sichtweise habe ich sehr zu schätzen gelernt. Lucia Schwarzgruber hat mir vor allem schamanische Vorstellungen näher gebracht. Meine Kolleg*innen und langjährigen Freund*innen haben an der Arbeit großen Anteil genommen. Sabina Magliocco, mit der ich das Interesse an der neuheidnischen Hexenreligion teile, hat mich spontan und noch ganz am Anfang der Forschung zu einem Vortrag nach Kalifornien eingeladen und mich dann auf die große Heid*innen- und Hexenconvention – zum »Pantheacon« – mitgenommen: Was für ein Erlebnis! Ich bin dafür sehr dankbar. Peter Jan Margry lenkte meine Aufmerksamkeit früh darauf, dass nicht alle Zeremonien beständig einen Zustand der Liminalität verursachen: Er hat Recht. Das musste ich allmählich erkennen. Peter Jan und ich haben zusammen die Konferenz »Religion in Urban Spaces« 2014 in Göttingen organisiert. Mit ihm zusammen zu arbeiten, ist nicht allein wegen seiner akademischen Offenheit ein Vergnügen, sondern auch, weil er selbst in hektischsten Situationen entspannt bleibt und ruhig Lösungen sucht und findet. Mit Michaela Fenske habe ich lange über die Rolle der Forscherin im Feld gesprochen; und Sandra Eckardt hat mich in ihrer sensiblen und so herzlichen Art von allzu großen Thesen ferngehalten und mir die Feinheiten der behutsamen Analyse nahegebracht. Ich muss mich vor allem bei Regina Bendix bedanken. Regina ist eine Naturgewalt: Ich kenne kaum jemanden, der so engagiert Menschen auf ihrem Qualifikationsweg begleitet und Anteil an den Themen anderer und deren persönlichem Lebensweg nimmt. Regina ist eine große Denkerin, die Wissenschaft immer auch als eine

Danksagung

soziale Praxis versteht: sich gegenseitig an langen Abenden Geschichten zu erzählen, sich daran zu erfreuen und daraus zu lernen, gehört dazu. Danke Regina, ohne Dich hätte ich das nicht geschafft! Ich möchte mich auch bei den Gutachter*innen der Habilitationsschrift bedanken, aus der das vorliegende Buch hervorgegangen ist. Neben Regina Bendix waren dies Andreas Grünschloß, Rebekka Habermas, Alexander Kenneth Nagel und Johannes Moser. Ihre Einschätzungen und Anmerkungen haben mir bei der Überarbeitung des Manuskripts sehr geholfen. Ich schätze an den Gutachter*innen, wie sie Analysen und Beschreibungen kritisch weiterdachten und differenzierten und dabei disziplinäre Eigenheiten und Verständnisse gelten ließen, diese als Bereicherung denn als Hindernis reflektierten. In der fächerübergreifenden Kommunikation ist diese Lesart nie leicht zu bewerkstelligen. Meine langjährigen Freunde und Freundinnen in Berlin haben auch ihren Anteil an dieser Arbeit. Mit Cornelia Kühn teile ich die Leidenschaft für die (historische) Ethnografie und die Überzeugung, dass in der dichten Beschreibung und einer breiten, geduldig erhobenen Empirie bereits die Analyse liegt: ein Gedanke, der heute vor dem Effizienzstreben und der Norm des schnellen wissenschaftlichen Voranschreitens mitunter zurücksteht. Dominik Kleinen, der leider der Universität den Rücken kehrte, hat mir in seiner klaren, performativen Art die Indexikalität von Symbolen genau auseinandergesetzt und mich so vor analytischen Widersprüchlichkeiten bewahrt. In meinen Perspektiven auf die Stadt, auf Menschen und deren Lebenswelt steckt schließlich das prägende Denken, wie es Rolf Lindner mit in die Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie gebracht hat. Die Hinwendung zum Detail, die Ernsthaftigkeit der Analyse von Dingen, die andere als banal ansehen und das Interesse am Randseitigen: Das habe ich gerade durch ihn schätzen gelernt und das macht für mich die Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie entscheidend aus. Katharina Stößlein, mit der mich seit der Kindheit eine enge Freundschaft verbindet, hat mich immer wieder auf die verschiedenen Medien, in denen Hexen auftauchen und eine Rolle spielen, aufmerksam gemacht. Ohne sie hätte ich die Bandbreite dessen nicht erkannt. Grit Jahn-Jokschies, mit der ich seit frühester Jugend ein Interesse an anderen Menschen teile, hat mit mir ihre reiche psychoanalytische Kenntnis und Erfahrung diskutiert und mir die vielen Querverbindungen, die es hier zum Wissen und Handeln der Hexen durchaus gibt, offengelegt: Querverbindungen, durch die Hexen zu verstehen sind. Magdalena Gromada danke ich mit Nachdrücklichkeit für ihr umsichtiges Lektorat. Sie beherrscht die Kunst, einen Text zu korrigieren und doch den Stil des Autors bzw. der Autorin beizubehalten. Hierfür braucht es größte sprachliche Sensibilität, die sie als jemand, die zwei Sprachen ihre Muttersprache nennt, besitzt.

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Schließlich geht mein Dank hinaus an meine Familie. Schreiben und Empirie brauchen Zeit – meine Kinder Luzie, Julian und Leo und mein lieber Lebenspartner, Axel, haben sie mir immer gegeben. Sie haben daraus ein »Event« gemacht und Hexen und Freund*innen gerne zu Gartenparties eingeladen. Es war eine tolle und auch manchmal verrückte Zeit. Ihr seid das größte Glück! Meine lieben Eltern Karin und Bernd Hegner erleben die Veröffentlichung dieses Buches nicht mehr. Mein Vater war ein wahrer Menschenfreund und hat mich gelehrt, nie zu schnell ein Urteil zu fällen. Er hat mit viel Humor auf das Leben geschaut. Meine Mutter war eine echte Berliner Pflanze: das Herz auf der Zunge, bedingungslos in ihrer Liebe, mutig, klug und mit wenig Respekt vor Autoritäten. Dieses Buch ist in Erinnerung an sie beide und an meinen lieben Neffen Felix geschrieben. Kerstin, meine Schwester, und ich vermissen Euch jeden Tag!

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W eitere selbsterstellte Q uellen Feldtagebücher für die Zeit von Oktober 2009 bis Juli 2015

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Abbildungs- und Interviewnachweise A bbildungen Abb. 1:

Curtis’ Ahnenwand im Wohnzimmer, Foto von Victoria Hegner (V.H.)

Abb. 2:

Kerzen auf der Schrankwand bei Curtis, Foto von V.H.

Abb. 3:

Altarbild, Foto von V.H.

Abb. 5:

Bei Curtis im Wohnzimmer, Foto von V.H.

Abb. 4:

Annas Altar auf dem Wohnzimmertisch, Foto von V.H.

Abb. 6:

Annas Altar mit der Statue von Mutter Maria und der weißen Tara, Foto

Abb. 7:

Ein Tara-Bildnis auf dem Sofabeistelltisch, Foto von V.H.

Abb. 8:

Thanis’ Elemente-Altar, Foto von V.H.

Abb. 9:

Thanis’ Loki-Altar, Foto von V.H.

Abb. 10:

Steine im Büro von Thanis und ihrer Ehefrau Sophia, Foto von V.H.

Abb. 11:

Runen an Katjas Haus, Foto von V.H.

Abb. 12:

Arbeitsaltar mit Dienstschlüssel im Jobcenter, mit freundlicher Genehmi-

von V.H.

gung veröffentlicht, von Britta Abb. 13/14: Die Berliner »Chapati-Hexen«, Fotos von V.H. Zu Beginn des Rituals: Ein Dirndl als zeremonielle Gewandung, Foto von Abb. 15: V.H. Abb. 16:

Nachts zu Vollmond an der Krummen Lanke, mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht, von Manuela Schneider

Abb. 17:

Der geschmückte Götterbaum am Hindenburgdamm, mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht, von Manuela Schneider

Abb. 18:

Aus Mehl und Blumen gestreute Spirale an der Krummen Lanke tagsüber, mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht, von Manuela Schneider

Abb. 19:

Gruppenfoto von einigen Teilnehmer*innen der Langen Nacht der Religionen 2015, mit freundicher Genehmigung veröffentlicht, Foto im Auftrag des Forums Religion angefertigt

Abb. 20:

Das Cover des Programmheftes zu den Veranstaltungen der Hexen und Neuheid*innen 2015, mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht, von »Heiden-TV«, dem youtube-Kanal und Voenix

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Hexen der Großstadt

I ntervie ws Der Kreis der Reclaimer*innen Donate Pahnke (lebt in Bremen), am 27.06.2012 Britta, am 20.03.2013, 26.08.2013 Frater V.·.A.·., am 29.09.2014 Angela Rosensky, am 23.08.2012, 02.12.2014 Sophia (Thanis’ Frau), am 30.01.2015 Anna, am 15.11.2013, 13.07.2014, 16.09.2015 Curtis Nike, am 07.03.2012, 28.11.2012, 20.05.2014, 04.09.2014, 16.09.2015 Thanis, am 17.12.2012, 15.10.2015 Faye/Tessa Hannemann, am 15.03.2014, 07.06.2014, 22.12.2015, 06.02.2016 Sandra Ananda, am 08.03.2013, 18.09.2014

Der Kreis der Mondfrauen Xenia Fitzner, am 22.03.2011, 30.09.2011 Magdalena, am 16.11.2011 Melany Matzky, am 20.08.2013 Katja Kahlenberg, am 21.02.2011, 04.09.2013, Interview von Margarete Steinhausen mit Katja am 30.04.2014

Weitere Protagonistinnen und Aktive unter den heutigen Berliner Hexen Franzi und Lucia Schwarzgruber, am 27.03.2010, 15.09.2010 Bernhard, ein Berliner Wicca, am 05.12.2010 Mara/Gudrun Pannier, am 08.02.2016

(Neu-)heidnische Protagonisten Westberlins und der 1990er Jahre, die bis heute aktiv sind Anja Hoffmann, am 05.02.2009 Geza von Nemenyi, am 22.10.2012 Matthias Wenger, am 16.03.2010, 20.11.2012 Michael Pflanz, am 18.01.2015

Abbildungs- und Inter viewnachweise

Protagonistinnen der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung in Westberlin der 1980er Jahre Sabine Zurmühl, am 14.11.2013 Joan Murphy und Ute, am 07.02.2015 Dagmar Schultz und Joan Murphy, am 13.03.2015 Ursula Munker, am 22.03.2015

Vertreterin des spirituellen Feminismus in den 1980er Jahren in Berlin (später München, heute Norddeutschland) Margarete Petersen, am 10.09.2013

Hexen, die in Ostberlin, Hauptstadt der DDR, bereits neuheidnische Praktiken pflegten Mareike Seadini, am 10.10.2011 Stefanie, am 12.06.2012

Religiöse E xperten außerhalb der Hexenreligion Dr. Matthias Pöhlmann ehemals von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, am 23.03.2011 Dr. Thomas Schimmel, Geschäftsführer der Franziskanische Initiative 1219, Religions- und Kulturdialog, am 04.05.2016

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Ethnologie und Kulturanthropologie Stefan Wellgraf

Schule der Gefühle Zur emotionalen Erfahrung von Minderwertigkeit in neoliberalen Zeiten 2018, 446 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4039-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4039-1 EPUB: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4039-7

Nikola Langreiter, Klara Löffler (Hg.)

Selber machen Diskurse und Praktiken des »Do it yourself« 2017, 352 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3350-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3350-8

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Deformationen der Ordnung Bausteine einer kulturwissenschaftlichen Katastrophologie 2018, 354 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4313-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4313-2

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Ethnologie und Kulturanthropologie Martin Heidelberger

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Daniel Kofahl, Sebastian Schellhaas (Hg.)

Kulinarische Ethnologie Beiträge zur Wissenschaft von eigenen, fremden und globalisierten Ernährungskulturen 2018, 320 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3539-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3539-7

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