Geister, Hexen, Menschenfresser 3805352999, 9783805352994

Nicht nur in der heutigen Zeit sind Monster und Ungeheuer ein Bestandteil unserer Kultur. Bereits in der Antike erzählte

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German Pages 112 [115] Year 2021

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Impressum
INHALT
EINFÜHRUNG
GEISTER IM ALTEN ROM
HEXEN IM ALTEN ROM
UNTOTE, BLUTSAUGER UND MENSCHENFRESSER – UNHEIMLICHE NACHTGESTALTEN IM ALTEN ROM
RIESEN UND MONSTER IM ALTEN ROM
SCHLUSSWORT
Wortregister
Vita Autor
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Geister, Hexen, Menschenfresser
 3805352999, 9783805352994

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GEISTER, HEXEN, MENSCHENFRESSER

Gruselgestalten im alten Rom Rudolph Kremer

Rudolph Kremer

GEISTER, HEXEN, MENSCHENFRESSER Gruselgestalten im alten Rom



112 Seiten mit 58 Farb- und 13 s/w-Abbildungen

Titelbilder: Buchhandelsausgabe: Der Kopf der Medusa von Caravaggio, um 1598/99 (Foto: akg-images / MPortfolio / Electa). Detail aus einem Mosaik mit einer Nereide und einem Hippokamp, 3. Jh. n. Chr. (Foto: akg-images / Gilles Mermet). ANTIKE WELT-Sonderheft: Chimära, etruskisch (Foto: akg-images / Orsi Battaglini). Umschlag Rückseite: Buchhandelsausgabe: Vgl. Abb. 55 auf S. 96 (Foto: Jonas Fischer). ANTIKE WELT-Sonderheft: Oben: Vgl. Abb. 46 auf S. 89 (Foto: Heritage-Images / CM Dixon / akg-images). Mitte: Vgl. Abb. 55 auf S. 96 (Foto: Jonas Fischer). Unten: Vgl. Abb. 60 auf S. 102 (Foto: akg-images / Erich Lessing). Frontispiz: Vgl. Abb. 63 auf S. 105 (Foto: akg-images /  Album / Oronoz). Kapitelaufmacher: Kapitel I: Beobachtung einer Nekromantie und Angriff einer Empuse (Foto: Ertugrul Edirne). Kapitel II: Reisender und Wasserverkäufer (manchmal als Hexe beschrieben). Pompeji (Foto: HeritageImages / CM Dixon / akg-images). Kapitel III: Äneas und seine Gefährten kämpfen gegen die Harpien, François Perrier. Paris, Musée du Louvre (Foto: akg-images). Kapitel IV: Detail aus einer Gigantomachie, 2. Jh. n. Chr. Instanbul, Archäologisches Museum (Foto: akgimages / De Agostini Picture Lib. / C. Sappa).

Weitere Publikationen finden Sie unter: www.wbg-wissenverbindet.de Gestaltung: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt, Nierstein Herstellungsbetreuung: Anja Bäumel, wbg, Darmstadt Redaktion: Anna Ockert, Holger Kieburg, wbg, Darmstadt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliogra­fische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der wbg. © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Buchhandelsausgabe: 978-3-8053-5299-4 ANTIKE WELT-Sonderheft: 978-3-8053-5300-7 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Der Aboauflage liegt eine Beilage der wbg bei.

Repros: Helmut Ludwig, Layout l Satz l Bild, Gensingen

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

INHALT 7

EINFÜHRUNG

64

UNTOTE, BLUTSAUGER UND MENSCHENFRESSER – UNHEIM­L ICHE NACHTGESTALTEN IM ALTEN ROM

10

GEISTER IM ALTEN ROM

64

Wiedergänger

10

Naturgeister

67

Kinderschrecke und Vampire

16

Totengeister

75

Werwölfe

16

Römische Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod

79

Fazit

21

Unheimliche Geistererscheinungen

24

Verschiedene Arten von Totengeistern

27

Die religiöse Kontrolle der Totengeister

82 R I E S E N U N D M O N S T E R IM ALTEN ROM

31

Das Totengeisterorakel

83

Riesen

33

Fazit

88

Mischwesen

88

Riesenhafte Mischwesen

90

Menschenartige Mischwesen

36

HEXEN IM ALTEN ROM

36

Die magische Weltsicht der Römer

102

Menschliche Drachen

41

Verschiedene Arten der Magie

104

Tierische Drachen

41

Weissagungsmagie

108 Fazit

42

Liebesmagie

46

Schadensmagie

49

Heilungsmagie

50

Kosmische Magie

51

Die Magieexperten

51

Magier

53 54 54 55 58

Hexen Gewöhnliche Matronen Seherinnen Heilerinnen Prostituierte

61

Fazit

102 Drachen

109 SCHLUSSWORT

110 ANHANG 110 Wortregister 111 Bibliografie 112 Bildnachweis 112 Vita Autor

Ach, guter Freund, nur allzu oft verwirft unser verkehrter Sinn dasjenige als Lüge, was ihm doch nur unerhört, unersehen ist oder was über den Horizont seiner Gedanken hinausgeht und er nicht fassen kann. Prüfte er es nur genauer, so würde er so manches Mal finden, dass es nicht nur ganz begreiflich, sondern auch wohl sehr wahrscheinlich ist. Apuleius, Metamorphosen (in der Übersetzung von August Rode)

EINFÜHRUNG

N

icht erst heutige Leser, Theaterbesucher oder Filmfreunde haben Spaß an gruseligem Entertainment, schon die alten Römer lassen sich gern von unheimlichen Stoffen unterhalten. Horrorfiguren aus der griechischen Mythologie wie Hexen, Untote und dämonische Mischwesen treiben auf den römischen Bühnen und in den Gesängen der Dichter ihr Unwesen, angeblich wahre Erlebnisse mit paranormalen Schreckgestalten in dunkler Nacht, in einsamer Natur oder an verfluchten Orten gehören zu den beliebtesten Themen auf abendlichen Festgelagen. Natürlich stehen beim Erzählen von unheimlichen Geschichten der schaudervolle Unterhaltungseffekt und das gemeinschaftsstiftende Band geselligen Gruselns im Vordergrund, aber auch eine gewisse Unsicherheit und die Neugierde der Zuhörer, ob die vermeintlich realen Erlebnisse möglicherweise einen wahren Kern haben könnten, spielen mit tief in den Menschen schlummernden Ängsten und der Befürchtung, dass auf dem Heimweg in dunkler Nacht vielleicht doch eine Begegnung mit einer der schaurigen Gestalten möglich wäre. So beschreibt Petron in seiner satirisch überspitzten Darstellung eines Gastmahls der dekadenten römischen Oberschicht einen Ritus des all-

gemeinen Tischküssens, der nach der Erzählung einer Gruselgeschichte dafür sorgen soll, dass die Gäste auf dem Heimweg nicht von einer der im Dunkel lauernden Schreckgestalten angefallen werden. Wie bei anderen abergläubischen Bräuchen, die Petron beschreibt – z. B. einen Raum zuerst mit dem rechten Fuß zu betreten, weil der linke Unglück bringe – ist ebenfalls bei diesem abwehrenden Ritus davon auszugehen, dass er seinen Sitz im echten Leben hat. Auch schon im damaligen Rom gibt es Stimmen der kritischen Vernunft, die eine reale Existenz von paranormalen Schreckgestalten wie Gespenstern kategorisch ausschließen, weil keine objektiven Beweise für sie existieren. Doch wie es auch heute freiere Denker gibt, für die es das Übernatürliche gibt, das vielleicht nur ein höherer Teil der Natur ist, so lassen sich diese Leute im alten Rom in noch größerer Anzahl finden. Daher sind die Grenzen zwischen den Schreckfiguren der Unterhaltungsmedien, die meist natürlich auf übertriebene und reißerische Weise inszeniert werden, und entsprechenden übersinnlichen Glaubensvorstellungen im realen Leben oft fließend. Dieses Buch will aufzeigen, vor welchen Gestalten die alten Römer sich in der Literatur und im echten Leben gruseln.

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GEISTER IM ALTEN ROM

D

ie Vorstellung, dass sich hinter der materiellen, sichtbaren Welt ein geistiges, unsichtbares Reich verbirgt, das einen starken heimlichen Einfluss auf das Leben der Menschen hat, ist, wie in sämtlichen Kulturen der Menschheit, auch im alten Rom verbreitet. Philosophische Strömungen wie die Stoa, die eine allumfassende und alldurchwirkende Urvernunft des Universums lehren, was sogar so weit gehen kann, dass der Planet Erde selbst

als göttliches, vernunftbegabtes Wesen verstanden wird, unterstützen die Vorstellung unsichtbarer Wesenheiten, die entweder die Personifikation eines beseelt gedachten Naturdinges oder der von seinem materiellen Körper gelöste geistig-seelische Kern eines menschlichen Individuums sein können, kurz: Naturgeister und Totengeister sind den alten Römern vertraute Vorstellungen, die allerdings mit ambivalenten Gefühlen verbunden sind.

Naturgeister

D

er Mensch, als rational begabtes Wesen auch in allen anderen Formen der Schöpfung einen lenkenden Geist annehmend, kennt die Urerfahrung, in seiner urtümlichen bäuerlichen Existenz der scheinbaren Willkür der Naturkräfte auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Dadurch entsteht in ihm ein persönliches, emotionales Verhältnis zur ihn umgebenden Natur, die er als beseelt und ihm freundlich oder feindlich gesinnt em­ pfindet, weshalb sie in seiner Vorstellung verschiedene gottgleiche Wesen gebiert. Die Grenzen zwischen Göttern und Geistern sind dabei fließend. Tatsächlich ist die Anzahl der Gottheiten, die im alten Rom verehrt werden, fast unendlich groß, weil die Römer davon ausgehen, dass sich hinter sämtlichen Naturerscheinungen, einschließlich menschlichen Charaktereigenschaften, Gefühlen und Handlungen, unsichtbar wirkende Gottheiten verbergen. Im Grunde werden alle Bereiche der Natur, die sich der Verfügbarkeit des Menschen entziehen, mit höheren Mächten gleichgesetzt und personifiziert. Der Mensch stellt immer wieder fest, dass er weder über seine Umwelt noch über seine eigene Natur voll verfügen kann: Angefangen bei seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit muss der Mensch erfahren, dass er oft nicht Herr seiner Lage ist. Wird er krank, so steckt womöglich eine Gottheit 10

dahinter. Leidet er an zwanghaften Gedanken, so flüstert ihm diese ein Geistwesen zu. Fühlt er sich aus heiterem Himmel von einem Liebespfeil getroffen, so ist ein unsichtbarer Gott dafür verantwortlich. Da die Liebe gern dazu neigt, jeder vernünftigen Grundlage zu entbehren und ihr Spiel mit den Menschen zu treiben, hat dieser Gott natürlich die Gestalt eines flatterhaften, zu neckischen ­Scherzen aufgelegten Kindes namens Amor. Wer an cholerischen Wutausbrüchen leidet und Dinge zerschlägt, ist von Ira, der Göttin des Zorns, geleitet, und wer ganz von einer heiteren Stimmung erfüllt ist, verdankt dies Hilaritas, der Göttin der Fröhlichkeit. Vielleicht beschleicht den heutigen Leser der leise Verdacht, dieser ausgeprägte römische Polytheismus habe den praktischen Vorteil, den Menschen bis zu einem gewissen Grad aus der Verantwortung für das eigene Handeln zu nehmen. Dies mag zwar für manchen Römer durchaus ein willkommener Nebeneffekt sein, doch in erster Linie verweist der römische Glaube an die göttliche Beseeltheit der Natur auf ein tiefes, ernstes Empfinden und Reflektieren der Bedingtheit und der komplexen Verbundenheit aller Teile der Natur. Natürlich ist der einzelne Mensch, der in dieses System eingebunden ist, verantwortlich für das, was er aus seinem Dasein macht, ganz unabhängig davon, wie viele beeinflus-

Geister im alten Rom

Abb. 1 Furor in Fesseln. Acryl auf Leinwand, Eva Walther 2020.

sende Faktoren es gibt. Der Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) preist in seiner Aeneis, dem römischen Nationalepos, den Friedensbringer Augustus dafür, den frevelhaften Furor des Krieges, eine Personifikation des Wahnsinns und der Raserei, hinter den verschlossenen Toren des Kriegstempels in eiserne Ketten gelegt zu haben, wo der wehrlose Dämon deshalb mit blutverschmiertem Gesicht und auf den Rücken gebundenen Klauen vor sich hin schnaube (Abb. 1). Die Fama ist laut Vergil ein gefiedertes Ungeheuer mit tausend Ohren, Augen und Zungen, das schneller als jedes andere Wesen ist und niemals schläft; es sitzt an erhöhten Orten und ernährt sich von dem, was die Leute reden, und vom Tratsch der Menschen wächst es ins Riesenhafte, um das Gehörte immer weiter in der Welt zu verbreiten und den Klatsch zu vermehren. Dieses Monstrum verkörpert die schlechte Nachrede und das Gerücht. Es besteht kein Zweifel daran, dass es seine Macht von den Handlungen und Worten der Menschen bezieht. Niemand kann sich also von der Verantwortung für das Wirken dieses Unwesens freisprechen. Auch wenn es sich bei diesen zwei Ungeheuern um literarische Allegorien handelt, basiert ihre Schilderung zweifellos auf volkstümlichen ­Vorstellungen.

Eine praktische Folge dieses empfindlichen römischen Bewusstseins der Beseeltheit oder gar Göttlichkeit aller natürlichen Kräfte, Dinge und Orte ist eine grundlegende Vorsicht oder sogar Ehrfurcht im Umgang mit der Natur, die sich im Glauben an bestimmte Naturgeister äußert, die bereits von den Griechen verehrt wurden. Einen Großteil dieser Geister bilden die Nymphen, die in der Gestalt bildhübscher feingliedriger Mädchen erscheinen. Die Wassernymphen bevölkern und bewachen als Najaden die Quellen und Brunnen, als Potameiden hüten sie die Flüsse und als Nereiden oder Okeaniden, liebreizende Nixen mit menschlichem Oberkörper und fischartigem Unterleib, bewohnen sie die Meere (Abb. 2). Als Dryaden beschützen die Nymphen Bäume und Wälder – ein möglicher Grund, weshalb das grammatisch eigentlich männlich aussehende Wort für Baum, arbor, im Lateinischen ein weibliches Geschlecht hat, ist die Vorstellung, dass der Baum von den Dryaden bewohnt wird. Als Oreaden leben die Nymphen in Bergen, Grotten und Höhlen, und unter einigen weiteren Namen gelten sie als Hüterinnen von Wiesen, Fluren, Tälern und sonstigen Orten der freien Natur. Dass auch Nymphen sterblich sind, sieht man beispielsweise da11

Naturgeister

Abb. 2 Darstellung einer Nereide auf einem Seetiger. Wandmalerei aus Stabiae. Neapel, Archäologisches Nationalmuseum. Abb. 3 Hylas und die Nymphen. Detail eines Mosaiks. Frankreich, Saint-Romain-en-Gal.

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GEISTER IM ALTEN ROM

ran, dass ein Fluss austrocknen und ein Baum sterben kann. Die Naturgeister sind meist unsichtbar, können jedoch körperlich erscheinen. Wie real der Glaube an Nymphen ist, wird z. B. daran deutlich, dass Augustus von einem Gesandten über ein Massensterben von Nereiden informiert wird, das sich an einem gallischen Strand ereignet haben soll. Die Nymphen wirken überhaupt nicht wie Gestalten, vor denen man sich gruseln müsste – im Gegenteil: Sie sind grundsätzlich positive, hilfreiche Geister, die sich ganz der Sorge um den ihnen anvertrauten Teil der Natur widmen. Sie laden den Menschen gleichsam freundlich dazu ein, dem Wald oder dem Fluss in Ehrfurcht und Demut zu begegnen, und geben den Besuchern gute Gedanken ein – ein Grund, weshalb man sich nach einem Spaziergang durch einen heiligen Hain so gut von den Alltagssorgen erholen kann. Der vorbildhafte zweite König von Rom, Numa Pompilius, ist der Sage nach ein stiller, äußert umsichtiger und bedachter Mann, der immer wieder eine einsam gelegene Quelle aufsucht, an der er den Kontakt zu einer Nymphe namens Egeria pflegt. Diese gibt ihm wertvolle Ratschläge für eine gute Regierung. Allerdings können auch diese angenehmen Geister gefährlich werden, wenn sie z. B. Gefallen an einem Sterblichen finden, der sich an ihre Quelle verirrt, so dass sie ihn zu sich hinabziehen. So geschieht es Hylas, dem jungen Begleiter des Hercules, in der griechischen Argonautensage (Abb. 3). Von so manchem Römer gefürchtet ist jedoch eine andere Art von Naturgeistern, die sich häufig in der Nähe der Nymphen aufhält, weil sie diesen mit eher niederen Motiven nachstellt. In der bildenden Kunst sieht man oft betörend schöne, sehr freizügig dargestellte Nymphen, die auf der Flucht vor einem unheimlich aussehenden männlichen Verfolger mit zwei Hörnern, Ziegenbart und Bocksfüßen sind. Dies ist die zweite große Art von Naturgeistern, die als Faune bezeichnet werden und geistige Verwandte in den griechischen Satyrn haben, männlichen Dämonen im Gefolge des Dionysos, des griechischen Gottes für Rausch und Ekstase, der bei den Römern seine Entsprechung im weinseligen Bacchus findet (Abb. 4). In diesem Sinne

werden oft auch die römischen Faune als Begleiter des Bacchus inszeniert. Als Personifikationen der männlichen Fruchtbarkeit und Triebhaftigkeit werden sie in der Kunst häufig mit einem übergroßen erigierten oder auch schlauchartig zusammengerollten Phallus dargestellt und nicht von den Satyrn unterschieden. Im römischen Volksglauben bevölkern die Faune seit Urzeiten die Wälder; sie gelten als urtümliche, den indigenen Bewohnern Itali-

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Abb. 4 Statue eines Fauns aus der gleichnamigen Casa del Fauno in Pompeji.

Naturgeister

ens seit frühester Zeit beigesellte Götter, die schon immer die Wälder bewohnt haben, als seien sie irgendwann vom Himmel herabgestiegen, um unter den Menschen zu leben und ihnen die eine oder andere unheimliche Naturerscheinung zu bescheren. Der Dichter Gaius Lucilius (ca.  180–103 v.  Chr.) äußert, einige abergläubische Vorstellungen seien den Menschen durch die Faune vermittelt worden, es hat also den Anschein, als seien zumindest einige von ihnen als eine Art Lehrer oder Weisheitsvermittler aufgetreten. Die Bezeichnung Fauni lässt sich immerhin mit dem Verb favere – «Gunst erweisen» in Verbindung bringen; die Faune wären also Wesen, die den Menschen ihre Gunst erwiesen, bis der große mythische König Numa ein Wesen namens Faunus gefangen nahm, um von diesem das Geheimnis der Blitzsühnung zu erfahren, und den Römern die Grundlagen ihrer traditionellen Religion schenkte. Möglicherweise ist der Glaube an die Faune als weise Gottheiten in dieser Zeit zurückgegangen und die einstigen Lehrer aus den Wäldern haben sich ganz in die unzivilisierte Natur zurückgezogen, wo sie vollends zu unheimlichen, schwer fassbaren Phantomen geworden sind. Man kann die Faune in der Regel nicht sehen, aber nicht selten lassen sie sich hören. Als mysteriöse weissagende Stimmen machen sie sich oft während Schlachten in Wäldern bemerkbar. Der Dichter Ennius (239–169 v. Chr.) bezeichnet die Faune daher als Wahrsagegeister, deren Name sich von dem Verb fari – «sprechen» herleiten lasse. Wenn sie sichtbar werden, verheißt dies jedoch weniger Gutes: Als ignis fatuus können sie sich in der Gestalt von Irrlichtern materialisieren, die verirrte Wanderer ins Verderben locken. Plinius der Ältere (ca. 23–79 n. Chr.) setzt sie mit Alb­dämonen gleich, die vorzugsweise Frauen im Schlaf heimsuchen, um sie zu quälen und ihnen schlechte Träume zu verursachen. Ihr Beiname Fatui mit der Bedeutung «die Albernen» weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sie bei ihren weiblichen Opfern wahnsinnsartige, hysterische Zustände auslösen können. Die Faune dringen also nachts mit ausgesprochen unlauteren Absichten in die Wohnhäuser der Römer ein. Könnte dies 14

darin begründet sein, dass sie den Menschen nicht mehr wohlgesonnen sind, weil diese ihnen, den einstigen göttlichen Weisheitsbringern aus der Natur, die Anerkennung versagt haben? Ein Grund für das schädliche Handeln der Faune dürfte auf jeden Fall in ihrer starken Triebhaftigkeit liegen. Natürlich werden die betörend schönen Nymphen ständig von diesen männlichen Naturgeistern belästigt, oft vergewaltigt. Neben der Vielzahl an Faunen, die mit der Anzahl der Nymphen zu korrelieren scheint, tritt in Rom die Gestalt eines männlichen Wald- und Naturgottes mit dem Oberkörper eines Menschen und dem Unterleib eines Ziegenbocks in Erscheinung, der Faunus genannt wird und eine Sammelverkörperung der Faune zu sein scheint (Abb. 5). Die Vielzahl wilder Faune könnte also als Manifestation der unerschöpflichen Kräfte und Ausdrucksformen dieses einen großen Naturgottes verstanden werden. Seit dem 1. Jh. v. Chr. wird Faunus in der römischen Dichtung mit dem griechischen Weide- und Waldgott Pan gleichgesetzt. Traditionelle Feste zu Ehren des Faunus sind die Lupercalia am 15. Februar und die Faunalia am 5. Dezember. Der Gott Faunus ist nicht auf die Verkörperung des männlichen Triebes reduziert, auch wenn der animalische Anteil des Menschen ein Element ist, das in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Er ist der Gott des Waldes und der Tiere und als Garant von Fruchtbarkeit besonderer Ansprechpartner für die Bauern und die Hirten. Die Kirche hat sein Bild mit der Figur des Teufels, des Widersachers Gottes, verbunden, was mit dem fehlenden Verständnis und der – bewussten oder unbewussten – Missdeutung antiker Darstellungen zu tun hat. Eigentlich ist dieser Naturgott nicht böse. Er löst allerdings schon bei den Römern ambivalente Gefühle aus: Einerseits hält er seine schützende Hand über die Hirten mit ihren Herden, die den ganzen Tag allein in wilden, einsamen Naturlandschaften verbringen und sich zum Zeitvertreib am Spiel des Hirteninstrumentes, der Panflöte, versuchen. Andererseits weiß man nie so genau, woran man bei diesem Gott ist, weil er als Hüter der wilden Natur und der Mittags-

Geister im alten Rom

Abb. 5 Pan lehrt Daphnis das Flötenspiel (Ausschnitt). Römische Kopie nach griechischem Original, 2. Jh. v. Chr. Neapel, Archäolo­ gisches Nationalmuseum.

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Totengeister

ruhe, die deshalb auch als panische Stunde bezeichnet wird, äußerst empfindlich und launisch auf Störungen reagieren kann, so dass die gerade noch ruhende Schafherde beispielsweise im nächsten Moment aufspringt und in panischem Schrecken auseinanderläuft, weshalb sich das Wort «Panik» direkt vom Gott Pan, dem griechischen Pendant zu Faunus, herleiten lässt. Faunus sorgt also für impulshafte, unkontrollierte Regungen bei Mensch und Tier und rein triebgesteuertes Verhalten. Damit hat er eine bisweilen unheimliche Wirkmacht. Sogar für unkontrolliertes, nervöses Muskelzucken ist

er verantwortlich. Ebenso Angst erregende Geräusche, die der Mensch aus den Tiefen des Waldes zu hören bekommt und nicht einordnen kann, werden der Stimme des Faunus zugeschrieben. Überhaupt gehören Waldspaziergänge nicht zu den erbaulichen Freizeitaktivitäten eines echten Römers, der den Wald für den Holzabbau nutzt, aber als Privatperson grundsätzlich lieber meidet, um das unheimliche Reich der Naturgeister nicht unnötig zu provozieren. Im häuslichen oder städtischen Bereich gibt es schließlich genug Geister, mit denen man zu rechnen hat.

Totengeister

D

ie Gruselgestalt des spukenden Geistes ist letztlich nichts anderes als die Vorstellung eines geistig-seelischen Prinzips, das nach dem Tode eines Menschen von diesem übrig bleibt. Natürlich muss man für die Annahme von Geistern den Glauben voraussetzen, dass jedem Menschen schon zu Lebzeiten eine Geistseele innewohnt und unabhängig vom materiellen Körper existieren kann, weshalb sie nach dessen Vergehen bestehen bleibt. Wie die heutigen Menschen haben auch die alten Römer an der Frage nach einem postmortalen Fortleben der eigenen Person oder nahestehender Menschen ein vitales, existenzielles Interesse, dessen Befriedigung allerdings nicht von allen in paranormalen Antworten gesucht wird – ebenfalls eine Parallele zu heute.

Römische Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod

Für die Römer, deren Namen und Lebensläufe uns heute bekannt sind, ist das Weiterleben nach dem Tode faktisch Wirklichkeit geworden: Noch nach über 2000 Jahren lesen Menschen in der ganzen Welt von den Kriegstaten eines Caesar (100–44 v.  Chr.) und den philosophischen Gedanken eines Seneca (1 v. Chr.– 65 n. Chr.), noch dazu in einer Form, in der sich diese historischen Personen höchstpersönlich an den Leser wen16

den. Diesen großen Römern ist es geglückt, ihre irdische Existenz durch dauerhaften Nachruhm in Richtung Unendlichkeit zu verlängern. Tatsächlich ist dies für viele Römer, die als öffentliche Personen auftreten, ein Herzensanliegen: Sie wollen sich selbst ein bleibendes Denkmal setzen. Auf diese Weise kann der Tod sie nicht vernichten. Ein Paradebeispiel für diese Lebenshaltung ist Plinius der Jüngere (ca. 61–115 n. Chr.), den die Furcht vor dem langfristigen Vergessenwerden zu Höchstleistungen im politischen und im literarischen Bereich antreibt, zumal ihm, dem – trotz dreier Ehen – Kinderlosen, ein weiterer wichtiger Weg, auf dem die Römer ihr Fortleben nach dem Tode suchen, versperrt bleibt: Nach antiker Auffassung lebt jeder Mensch in seinen Nachkommen fort. Den gewöhnlichen Leuten des Volkes, denen keine öffentlichkeitswirksame Selbstprofilierung möglich ist – oder nötig erscheint, bleibt nur dieser Weg für eine Selbstverewigung. Nicht grundlos ist die Bezeichnung für das einfache Volk, das Proletariat, mit der Bedeutung des Reichtums an Nachkommen, der proles, verbunden. Doch welche Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tode, die über dieses pragmatische römische Denken hinausgehen, gibt es im alten Rom noch? Auf der Seite der Gebildeten sind zwei Lager auszumachen: Zum einen das kleinere

Geister im alten Rom

derjenigen, die den Gedanken an eine jenseitige Existenz von Grund auf verwerfen. Eine Reihe von Grabinschriften bezeugt diese nüchterne Haltung im gehobenen Bildungsbürgertum. Plinius der Ältere beispielsweise fasst Körper und Seele als eine Einheit auf, die auch im Tode nicht aufzuspalten sei, weshalb die Seele mit dem Körper sterbe. Der Dichter Lukrez (ca. 99–53 v. Chr.) mit seiner geradezu polemischen Abneigung gegen jegliche Formen des Jenseitigen ist hier als besonders kritische Stimme zu nennen. Er verfasst mit seinem aufklärerischen und religionskritischen Lehrgedicht De rerum natura (Über die Natur der Dinge) ein Werk mit resolutem materialistischen Anspruch, durch das er seine Leser von jeglicher Angst vor jenseitigen Wesenheiten befreien will. Diese klaren diesseitsorientierten Ansichten stützen sich auf den griechischen Philosophen Epikur (ca. 341–270 v. Chr.), nach dem die Menschen durch rein zufällige Atomkollisionen und -verbindungen entstanden sind. Es gibt laut Epikur auch Gottheiten, aber diese sind ebenso durch Zufall entstanden und sie leben, getrennt von den Menschen, in ihrer eigenen Sphäre, einem Hort der Glückseligkeit, in dem es keine Probleme gibt, so dass sie ein selbstgefälliges und tatenloses Dasein im vollen Genuss der eigenen Göttlichkeit führen. Folglich ist das Universum von keinem göttlichen Plan durchwaltet und die Götter sind nicht im Geringsten am Leben der Menschen interessiert. Daher sind natürlich keine Strafen von ihnen zu fürchten und jede Religion ist eigentlich obsolet. Auch der eigene Tod ist für den Menschen laut Epikur kein Grund zur Sorge, weil er niemals erlebt wird und kein wie auch immer geartetes Jenseits für den Verstorbenen existiert: Die zufällig verbundenen Atome lösen sich wieder voneinander und das Individuum zerfällt. Damit gibt es auch keine Geister, vor denen man Angst haben könnte. Das starke Engagement, mit dem Lukrez sich für diesen modern anmutenden Materialismus einsetzt, weist indirekt darauf hin, dass die Furcht vor dem Übersinnlichen, seien es nun Götter und die möglichen Strafen in einem Leben nach dem Tode oder eben die Geister der Verstorbenen, bei seinen römischen Zeitgenossen virulent zu

sein scheint. Tatsächlich sind die überlieferten römischen Grabinschriften, die von einer nüchtern-materialistischen Haltung zeugen, gegenüber denjenigen, die einen Jenseitsglauben belegen, in der Minderheit. Eine breitere Schicht der Gebildeten steht dem Geisterglauben grundsätzlich offen gegenüber. Sie ist von der Seelenlehre des griechischen Philosophen Plato (ca.  428– 348 v.  Chr.) beeinflusst, nach welcher jeder Mensch einen unsterblichen geistigen Wesenskern besitzt, der sich beim Tode vom Körper löst und in die Geisterwelt aufsteigt, von wo aus er dann wieder in einen neuen, gerade geborenen Menschenkörper hinabsteigen kann, so dass er von Leben zu Leben wandert – das Prinzip der Reinkarnation, der Wiederverkörperung. Die stoische Philosophie, benannt nach der griechischen Säulenhalle, in der die philosophischen Gedanken gesponnen wurden, ist vielleicht die beliebteste Denkerschule im alten Rom. Nach ihr trägt jeder Mensch einen unsterblichen Seelenfunken in sich, ein Licht, das ein Teil der großen Weltvernunft, der göttlichen, feurigen Urkraft des Universums ist, die ratio. Diese hat das Weltall nach klaren und guten Gesetzen geordnet, und da der Mensch selbst mit der ratio begabt ist, kann er die Welt und sein Leben nach vernünftigen Prinzipien ordnen, ja, es ist seine Aufgabe, die Vernunft in sich selbst zu entdecken und zur vollen Entfaltung zu bringen, so dass sein gesamtes Dasein zum Ausdruck der göttlichen ratio wird. Nur persönliche Begierden und Affekte verstellen ihm die Sicht auf die eigene Göttlichkeit und den Sinn des großen Ganzen  – sie überlagern die Vernunft und müssen deshalb beseitigt werden. Bildlich gesprochen geht es also darum, durch disziplinierte Arbeit an der eigenen Persönlichkeit den Gottesfunken in sich freizulegen und zur stärksten Leuchtkraft anzuregen. Dann erfüllt den Weisen absolute Seelenruhe, die ataraxia oder tranquillitas animi (Ruhe des Geistes) – ein Bild, das den Meeresspiegel bei völliger Windstille beschreibt. Erst in diesem, für die meisten nie ganz zu erreichenden, aber immer wieder anzustrebenden, Zustand ist der Weise fähig zu erkennen, dass er seinem eigentlichen Wesen nach göttlich und 17

Totengeister

damit Teil einer höheren Ordnung ist, was ihn im Grunde mit der gesamten Menschheit verbindet. Für einen vir vere Romanus, einen «wahrhaftig römischen Mann», heißt dies konkret, dass er sich aufgrund dieses Wissens ganz dem Gemeinwohl, dem selbstlosen Einsatz für das Vaterland, verschreibt und durch politisches Handeln an der großen Weltordnung mitwirkt. Diese Philosophie lässt sich gut mit dem geradezu missionarischen Eifer Roms, die ganze Welt zu ordnen und zu «befrieden», vereinen. Auch für einzelne Politiker, die sich wie ein Rädchen ins politische Getriebe einzuordnen haben, ist diese Lehre ausgesprochen alltagstauglich. Ihnen wird eine jenseitige Belohnung für ihren Dienst in Aussicht gestellt. In seinem Somnium Scipionis (Scipios Traum), der literarischen Darstellung eines Wahrtraumes, den der berühmte Afrika-Eroberer Scipio (235–183 v. Chr.) gehabt haben soll, entfaltet Cicero die von der stoischen Philosophie getragene Ansicht, dass alle Bürger, die sich in besonderem Maße für den Staat und für das Gemeinwohl engagieren, nach ihrem Erdenleben ein lichtvolles jenseitiges Paradies mit Sitz in der Milchstraße erwarte. Der Tod ist in diesem Konzept also nichts weiter als eine Rückkehr der Seele zu ihrer lichten jenseitigen Heimat, dem Ort der Glückseligkeit – zur vollkommenen, reinen ratio, in der sie dann voll und ganz aufgehen kann. Der politische Appellcharakter und der elitäre Anspruch dieser Jenseitsvision sind nicht zu übersehen. Nur wer Großes für Rom leistet oder sich wenigstens für die Republik einsetzt, zieht nach seinem Tod – zusätzlich zum Fortleben in der Erinnerung der Nachfahren – ins ewige Paradies ein. So sei nach dem Dichter Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.) die Seele des ermordeten Caesar, bevor sie habe zerfallen können, von Venus persönlich dem Leibe entnommen und zu den Sternen getragen worden. Der Dichter scheint hier von der epikureischen Auffassung, die Geistseele eines Menschen löse sich mit dem Tode des Leibes auf, beeinflusst zu sein; nur der Geistseele Caesars gesteht er aufgrund der gleichsam göttlichen Taten des Feldherrn ein Weiterleben in den Sternen zu, womit er Ciceros elitärem Jenseitsbild entspricht. Diese selek18

tive Wahrnehmung jenseitiger Möglichkeiten erinnert an die allgemeine materialistische Sicht römischer Denker, von einem verstorbenen Menschen bleibe nur das zurück, was er als Persönlichkeit in seinem Leben geleistet hat und woran sich die Nachkommen voller Stolz erinnern können. Tatsächlich sind das Andenken und der Nachruhm in Rom politisch gesehen die entscheidende Form des Weiterlebens einer Person. In diesem Sinne errichtet Cicero seiner Tochter nach ihrem frühen Tod eine altargleiche Grabstätte, um auf diese Weise ihre Fortexistenz in ihrem Andenken zu sichern. Hinter dieser materialistisch erscheinenden Begründung könnte sich jedoch auch der heimliche Wunsch des Vaters verbergen, der Seelengeist seiner Tochter möchte durch die Ehrung mit einem Altar unter die Götter erhoben werden und ein entsprechendes jenseitiges Fortleben gewinnen. Natürlich ist eine echte, persönliche Einschätzung des Menschen Cicero in Bezug auf die Jenseitsfrage schwierig, zumal er als bekennender akademischer Skeptiker grundsätzlich zu keiner endgültig Partei ergreifenden Antwort fähig ist. Die philosophische Schule der akademischen Skepsis wägt stets das Für und Wider jeder möglichen inhaltlichen Positionierung ab, um sich der wahrscheinlichen Wahrheit so weit wie möglich anzunähern, ohne sich letztlich klar für eine Seite zu entscheiden. Die moderne akademische Welt gründet sich auf diese wissenschaftlich kritische Haltung, die jedes Denkergebnis, sofern es sich nicht um ein mathematisches Faktum handelt, immer wieder neu hinterfragt. Die Annahme einer geistig-seelischen Fortexistenz nach dem irdischen Leben lässt sich ebenso wenig belegen wie abstreiten. Daher scheinen sich auch andere große Geister ähnlich wie Cicero zu keiner klaren Meinung über die jenseitige Existenz durchringen zu können. Doch ohne Frage spielt in der Praxis für einen Großteil der Gebildeten die persönliche Fortexistenz der eigenen Seele, gekleidet in philosophische Ansichten, die Rolle einer hoffnungsvollen Aussicht. Die Vorstellung, die Seele stamme ursprünglich von den Sternen und könne den Weg dorthin zurückfinden, ist in der römischen Gesellschaft ausgespro-

GEISTER IM ALTEN ROM

chen populär und wird gern mit konkreten astronomischen und astrologischen Erkenntnissen verbunden. Deshalb kann auch Cicero, gleichsam als Anreiz für ein engagiertes politisches Leben, die Milchstraße als paradiesischen Hort der Glückseligen zeichnen. Und Ciceros ehrliche Bewunderung des menschlichen Geistes aufgrund seines quasi göttlichen Leistungspotentials legt nahe, dass er diesem auch eine unvergängliche Natur zuschreibt, wie es dem stoischen Gedanken des ewigen göttlichen Seelenfunkens entspricht. Ein weiterer Faktor, der viele gebildete Römer in ihrem Glauben an jenseitige Lebensperspektiven fördert, sind die Mysterienreligionen, die im 1. Jh. v. Chr. in Rom einen enormen Zulauf aus den höheren Gesellschaftsschichten erfahren, wie beispielsweise der Kult der Isis, der göttlichen Allmutter aus Ägypten, oder der Soldatenkult des Mithras, des Sonnengottes, die beide mit komplexen Jenseitsvorstellungen aufwarten, die nur den Eingeweihten nach und nach enthüllt werden (Abb. 6). Die Mysterienkulte geben den Menschen nicht nur Trost und Hoffnung, sondern auch praktisches Geheimwissen mit auf den Weg, das ihnen eine konkrete Orientierung, also das Begehen des rechten Pfades, und damit das Heil in der jenseitigen Welt ermöglichen soll. Dem hohen geistigen Ideal des stoischen Seelenglaubens stehen die Jenseitsvorstellungen der breiten Volksmasse gegenüber, die naturgemäß einen viel bodenständigeren Charakter haben und den «Lügengeschichten» der griechischen Dichter näher sind, die mit ihren literarischen Darstellungen eines Tartarus, einer unterweltlichen Hölle, einen wohlberechneten Schrecken bei ihren Lesern auslösen. Am Beispiel des römischen Nationalepos, der Aeneis, wird deutlich, dass die von den griechischen Mythen inspirierten Bilder einer Unterwelt, eines Orcus mit verschiedenen Abteilungen für die Seelen Verstorbener, zur Zeitenwende in Rom gut bekannt sind. Aeneas, der Stammvater Roms, der auf seiner Reise von Troja nach Italien eine wahre Odyssee erlebt hat, steigt am Averner See in Begleitung der Sibylle hinab in die Unterwelt. Der unheimliche Fährmann Charon setzt ihn wie die Totenseelen über den Fluss Acheron,

Abb. 6 Statuette der Isis, 1.–2. Jh. n. Chr. Bronze, Augen mit weißem Emaille und braunem Glas eingelegt. Paris, Musée du Louvre.

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so dass er zum Tor der Unterwelt gelangt, welches von Zerberus, einem monströsen dreiköpfigen Hund, bewacht wird. Die Einteilung des Orcus in einen Aufenthaltsort unglücklicher Seelen von Kindern und Mordopfern – aufgrund ihres frühzeitigen Todes müssen diese Seelen unglücklich sein –, einen Heldenbereich, der nur für besondere Leistungsträger der Geschichte reserviert ist, einen Tartarus mit höllischen Strafen auf der linken Seite und ein paradiesisches Elysium auf der rechten Seite, die Vergil in dieser topographischen Reihenfolge arrangiert, mag, bei aller griechischen Inspiration, auch römisches Nachdenken darüber spiegeln, was mit den Seelen der Menschen nach dem Erdenleben geschehen könnte. Bemerkenswerterweise stehen viele Seelen vor dem Lethestrom an, um daraus das Wasser des Vergessens zu trinken und sich dadurch auf eine neue Verkörperung vorzubereiten. Aus diesen zukünftigen Wiedergeburten werden schließlich die größten Helden der römischen Geschichte rekrutiert. Die mythologische Jenseitsdarstellung bezieht also die platonische Reinkarnationslehre mit ein. Ohne Zweifel üben die populären Unterweltsbilder des römischen Nationalepos aufgrund ihrer plakativen Darstellung einen besonderen Reiz auf das Publikum aus. Für die Gebildeten steht sicherlich außer Frage, dass es sich um rein poetische, literarische Motive handelt. Vergils eigene rationale Distanzierung von seiner Unterweltsdarstellung mag in der Aeneis an dem viel hinterfragten und mehrdeutigen Abschluss des Unterweltganges aufscheinen, nach welchem Aeneas den Orcus durch das elfenbeinerne Tor der falschen Träume verlässt. Soll der Hinweis auf die falschen Träume andeuten, dass alles, was der Held in der Unterwelt erlebt, in Wahrheit nichts als Einbildung und Fiktion ist? Der beständige Protest der Gelehrten, v. a. des ­Lukrez, gegen die erschreckenden Glaubensbilder einer Unterwelt mit Folterhölle spricht dafür, dass die Jenseitsvorstellungen der breiten Masse tatsächlich von den berühmten, poetisch verdichteten und griechisch inspirierten Bildern des Orcus geprägt sind. Auch alte etruskische Jenseitsvorstellungen dürften den römischen Unterweltsglauben mitgestaltet haben. 20

Tatsächlich können sowohl Vergils Tartarus-Darstellung als auch Ciceros Milchstraßenjenseits zu der im römischen Volk verbreiteten orphischen Mystik in Beziehung gesetzt werden. Die Orphiker, ursprünglich eine neoreligiöse Bewegung aus Griechenland, die sich vom traditionellen Volksglauben abheben will und mindestens seit dem 5. Jh. v. Chr. nachgewiesen ist, beruft sich auf den mythologischen Helden Orpheus. Dieser erhält von den Göttern die Erlaubnis, in die Unterwelt hinabzusteigen, um seine verstorbene Gattin Eurydike in die Welt der Lebenden zurückzuholen. Das Verweilen der Toten in der Unterwelt ist nach römischer Vorstellung offenbar mit der Annahme eines neuen grobstofflichen Körpers verbunden, der ein Abbild der vorangegangenen Inkarnation ist und der, wie es sich Orpheus erhofft, auch den Orcus verlassen kann, um auf die Erde zurückzukehren. Tatsächlich führt Orpheus seine Frau herauf, allerdings mit der Auflage, ihr voranzugehen und sich nicht zu ihr umzublicken, bevor beide den Orcus verlassen haben. Kurz vor dem Eintritt in die Oberwelt dreht er sich jedoch zu ihr um, um sich zu vergewissern, dass sie ihm auch wirklich folgt – ein fataler Fehler: Eurydike wird in die Unterwelt zurückgezogen und er muss allein in die Welt der Lebenden zurückkehren. Orpheus ist also ein tragischer, weil scheiternder Held – aber er gilt den Menschen als göttlicher Experte und Ansprechpartner für Jenseitsfragen, weil es ihm gelungen ist, als lebender Mensch den Orcus zu betreten und auch wieder zu verlassen. Für die Orphiker existiert die Seele, eine unabhängige göttliche Instanz, schon vor ihrem Eintritt in einen menschlichen Körper. Sie kennt kein Leid und keine Schuld. Erst wenn sie in einen Körper eingeschlossen wird, um diesen zu beleben, macht sie entsprechende negative Erfahrungen und wandert daraufhin von Leben zu Leben, von Verkörperung zu Verkörperung, um die Schuld und das Leid, in das sie durch ihre Inkarnationen eingebunden wird, allmählich zu verarbeiten und abzutragen. Die stete Fortbildung und Weiterentwicklung der Seele in Richtung Licht und Erkenntnis, göttlich oder gottähnlich zu sein, führt schließlich zur Er-

Geister im alten Rom

lösung von der Reinkarnation, so dass die Seele auf ewig an den freien, lichten Ort ihrer Herkunft, ihre göttliche Heimat und Bestimmung, zurückkehren kann. Die Seele ist demnach für die Orphiker ein an sich körperloses Gut, das nur vorübergehend, und gemessen an ihrem unendlichen Sein in einer im Grunde bedeutungslosen Zeitspanne, in materiellen Körpern gefangen ist. Auch das Verweilen in der Unterwelt ist für die Geistseele nur eine Zwischenstation, die mit einer neuen Verkörperung in der Welt vergeht. Am Ende der ständigen Wiederverkörperung steht die Erlösung, das Eingehen der Seele in ein ewiges geistiges Reich. Die Orphik verortet das Paradies der verdienstvollen Seelen teils unter der Erde, teils in den Sternen. Statius deutet an, dass beide Orte – spätestens nach der Zeitenwende  – für mögliche Seelensitze gehalten werden. Auch klassische Orakelstätten, also heilige Orte, an denen die Menschen den Rat der Gottheiten suchen, sind an mutmaßlichen Eingängen zur Unterwelt errichtet. In jedem Fall unterscheidet sich die orphische Sichtweise auf die Seele, die eine klare Erlösungsperspektive aufzeigt, durch ihre positive Zielrichtung deutlich von der alten griechischen Vorstellung einer Unterwelt, in der die körperlosen Seelen als Schattendasein ihrer irdischen Existenz halbbewusst und fast mechanisch vor sich hindämmern oder sogar gequält werden. Im Großen und Ganzen scheint das Bild, das man im römischen Volk von einer jenseitigen Existenz hat, aber vielmehr einem Ausschnitt aus dieser literarischen Jenseitswelt zu gleichen. Der dunkle, nicht näher erkennbare Ort, an dem die schattenhaften Totenseelen vor sich hindämmern, wird ganz pragmatisch mit dem Grab des Toten assoziiert, das im Grunde als Wohnstätte des Verstorbenen gesehen wird. Diesem Gedanken entsprechend haben die Gräber, soweit es sich die Familien leisten können, tatsächlich die Form von Häusern. Die an bestimmten Festtagen regelmäßig durchgeführten Familienmahlzeiten an bzw. auf den Grabstätten, die das Gefühl der Verbundenheit mit den Vorfahren stärken sollen, unterstützen diese einfache, aber pragmatische Vorstellung. Wenn die Toten also als Geister in ih-

ren Grabhäusern wohnen, die außerhalb der Stadt an Straßen wie der Via Appia errichtet werden, liegt der Gedanke nahe, das irdische Leben setze sich als ein schattenhaftes Abbild des Vergangenen nach dem Tode fort. Diese Auffassung, die im Volk verbreitet zu sein scheint, wird von Cicero als von den Dichtern und vom Theater vermehrter Irrtum getadelt. Der Vergleich zwischen den Ansichten der Gebildeten und den Vorstellungen der breiten Masse zeigt also, dass die ersteren, sofern sie nicht einem radikalen Materialismus anhängen, v. a. einen elitären, ideologisch affizierten Jenseitsglauben vertreten, der das Fortleben großer, strahlender Geister fokussiert, was sicherlich mit vorrangigem Interesse an den Heilsperspektiven des eigenen Standes zusammenhängt. Das Volk scheint mehr von den mythologischen Darstellungen eines Orcus und der Religionsausübung an den Grabstätten beeinflusst zu sein. Die Annahme, dass die Totenseele in einem eigenen, nicht eindeutig definierten Bereich weiterlebt, ist allgemein im römischen Volksglauben verankert. Aber auch die orphische Mystik mit der Heilsperspektive einer endgültigen Erlösung der menschlichen Seele als einem Ausstieg aus der ständigen Wiedergeburt scheint schichtenübergreifend großen Erfolg in Rom zu haben.

Unheimliche Geistererscheinungen

Neben den mehr oder weniger lokalen Vorstellungen zu einem Aufenthaltsort der Totenseelen bewegt die meisten Menschen die Frage, ob und in welcher Form die Geister im realen Leben Einfluss auf die Welt der Lebenden nehmen können. Einige Erfahrungen und Begegnungen mit Spukgeistern sind in der Literatur belegt und besitzen nicht nur Unterhaltungscharakter. In seinem berühmten Gespensterbrief gibt Plinius der Jüngere als Gelehrter einige Beispiele unheimlicher Geschichten wieder, um diese als Belege dafür anzuführen, dass der Glaube an Geister nicht von der Hand zu weisen sei. So habe der Philosoph Athenodorus in Athen in einem allseits gefürchteten und seit längerem verlassenen Spukhaus übernachtet. Als ihm dann der Geist eines alten, mit Eisenketten ras21

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selnden Mannes erschienen sei, habe er sich von diesem zu einer bestimmten Stelle auf dem Hof führen lassen; dort sei der Geist verschwunden. Am nächsten Tag habe der Philosoph an diesem Punkt graben lassen und die Gebeine eines ermordeten Mannes seien zum Vorschein gekommen. Nach einer ordnungsgemäßen Bestattung des Toten sei der Spuk verschwunden. Pliniusʼ Freund Sueton (ca. 70–130 n. Chr.) berichtet von furchterregendem Spuk rund um das Grab Caligulas, eines der grausamsten Kaiser des 1. Jh. n. Chr., der ermordet und, nur halb verbrannt, hastig verscharrt worden sei. Die Geistererscheinungen hätten erst aufgehört, als der Leichnam des Kaisers vollständig verbrannt und seine Asche ordentlich bestattet worden sei. Das Haus, in dem der Mord passiert ist, sei so lange von Spuk heimgesucht worden, bis es abgebrannt sei. Die Mostellaria (Gespenstergeschichte) des Komödienschriftstellers Plautus (ca. 254–184 v. Chr.) hätte wohl kaum einen solchen Erfolg beim römischen Publikum besessen, wenn der Gedanke von Spukgeistern der breiten Masse nicht vertraut gewesen wäre: Der junge Philolaches hat unter dem schlechten Einfluss des Sklaven Tranio das Vermögen seines Vaters verprasst, der auf eine mehrjährige Handelsreise gegangen ist. Als der Hausherr nach drei Jahren zurückkehrt, hält der listige Sklave ihn davon ab, das Haus zu betreten, indem er ihm erzählt, dass dort seit über einem halben Jahr niemand mehr wohne, da sich das Haus als verflucht erwiesen habe: Dem Sohn sei nachts im Traum der Geist eines Mannes erschienen, der in dem Haus umgehe, weil er vom Vorbesitzer aus Geldgier getötet und unter dem Haus verscharrt worden sei. Natürlich dürften in der Bemerkung, der Geist habe sich lediglich im Traum des jungen Philolaches gezeigt, der Schalk des Sklaven und das Augenzwinkern des Komödienautors zum Ausdruck kommen. Denn dieses doch recht harmlose Auftreten des Geistes sollte eigentlich nahelegen, dass es sich bei dem Spuk eher um ein Traum- und Truggebilde als um eine reale Erscheinung handelt. Dennoch verwirkt die Erzählung des Sklaven in der Komödie ihre Wirkung nicht: Der Kaufmann verzichtet darauf, sein Haus zu betre22

ten. Plinius der Jüngere wiederum berichtet mit aller Ernsthaftigkeit von zwei nächtlichen Gespensterbegegnungen aus seinem persönlichen Umfeld, welche zunächst für Traumgebilde gehalten werden könnten, sich bei Tagesanbruch jedoch als reale Ereignisse herausstellen: Das erste Erlebnis widerfährt dem jüngeren Bruder eines Freigelassenen des Plinius, das zweite einem jungen Sklaven, der noch im Dienste des Autors steht. Dem einen habe sich in der Nacht in seinem Schlafzimmer eine Gestalt genähert, die ihm den Scheitel geschoren habe; bei dem andern seien zwei weiß gekleidete Gestalten durchs Fenster eingestiegen und hätten ihm ebenfalls den Kopf rasiert. Am nächsten Morgen hätten die Haare in beiden Fällen um das Bett herum verstreut gelegen. Wenn man diese Geschichten hört, ist man geneigt, an einen Scherz unter Sklaven oder Ähnliches zu denken. Plinius nimmt diese Vorfälle allerdings sehr ernst und ordnet sie der Kategorie des Paranormalen zu. Das weist darauf hin, dass in Rom die Möglichkeit von Geistererscheinungen und Spukphänomenen mit realen Auswirkungen ebenso wenig wie der Geisterglaube selbst als irrige Vorstellung gesehen wird – das gilt auch für Gelehrtenkreise, wie der Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) in seinen Episteln bemerkt. Vielmehr gehören gerade in Krisenzeiten der Republik Geistererscheinungen und andere paranormale Phänomene zu den Prodigien, den warnenden Vorzeichen, die von entscheidender Bedeutung für das Wohl des Staates sein können. Daher ist jeder römische Bürger verpflichtet, eine Geistersichtung, die das Schicksal Roms betreffen könnte, unverzüglich einem höheren römischen Beamten zu melden, damit das Ereignis als mögliches Prodigium offiziell geprüft werden kann. So sollen beispielsweise vor der Ermordung Caesars oder vor dem großen Italikeraufstand im Jahr 90 v. Chr. verschiedene Geister gesichtet worden sein. Natürlich wird das Sehen eines Geistes, wie alle Prodigien, als ein grundsätzlich negatives Zeichen verstanden, das in zweifacher Hinsicht erschreckend sein kann: Einmal aufgrund der drohenden Gefahr, die durch das Zeichen (lateinisch auch monst­ rum!) angekündigt wird, andererseits durch

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die Erscheinung des Geistes an sich. Nur Plinius der Jüngere deutet die abgeschnittenen Haare seines Sklaven als ein positives Zeichen für seine eigene Person, da unmittelbar nach dem Spukereignis ein Prozess, der ihm durch eine Anklage gedroht habe, von ihm abgewendet worden sei; die langen Haare interpretiert er dabei als Symbol für die übliche Frisur eines Angeklagten. In den meisten Fällen von Geistererscheinungen handelt es sich natürlich nicht um Vorzeichen von persönlicher oder gar staatstragender Bedeutung, sondern schlicht um ruhelose Seelen, die keinen Frieden finden und zwischen Diesseits und Jenseits festsitzen, weil sie durch starke Gefühle oder ungesühnte Schuld an der Welt der Lebenden hängen, weshalb sich an den Grabstätten manchmal Begegnungen mit schattenhaften Wesen ereignen. Diese in Rom verbreitete Vorstellung geht auf Platons Dämonenlehre zurück, nach welcher schwere, dunkle Seelen nicht in die leichte, helle Geisterwelt aufsteigen können und daher an Denkmälern und Gräbern herumirren. Oft haben sie dabei nichts Besseres zu tun, als Leute zu erschrecken, und sofern

sie einen entsprechenden Charakter und die nötige Energie besitzen, können sie Menschen auch über den Bereich ihres Grabes hinaus verfolgen und ängstigen. Zu dieser Vorstellung passt die volkstümliche Überlieferung, nach der im 5. Jh. v. Chr. eine ganze Region in Süditalien von einem Gespenst namens Lybas, dem Geist eines hingerichteten Verbrechers, heimgesucht worden sei. Es gibt verschiedene Gründe für die Ruhelosigkeit einer römischen Seele: Der erste ist ein unerfüllter Lebensplan bzw. eine unerledigte Aufgabe durch vorzeitigen Tod wegen Krankheit, Unfall oder Mord, oft in Verbindung mit Ehe- oder Kinderlosigkeit – ein wenig lapidar ließe sich sagen: Wer sich das ideale römische Nachleben im Diesseits, das durch Kinder oder Ruhm erlangt wird, nicht sichern kann, der ist gezwungen, sich ein Nachleben als Gespenst zu erarbeiten. Der zweite Grund ist eine schlechte Lebensführung; wer große Schuld auf sich lädt, kommt nicht zur Ruhe bzw. bleibt als Geist ans Diesseits gebunden – und fährt womöglich fort, die Menschen zu plagen, wie dies bei dem Gespenst Lybas der Fall zu sein scheint. Der

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Abb. 7 Grabstein des Zosimus (2. Hälfte des Jahres 83 n. Chr.). Mainz, Landesmuseum.

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dritte Grund für eine ruhelose Seele sind das Fehlen einer ordentlichen Bestattung – wie es bei Caligula anfangs der Fall war – ebenso wie ein mangelhafter Totenkult oder aber auch das Begräbnis in nicht-römischer Erde. All diese Faktoren erlauben dem Geist eines Römers nicht, dem Diesseits den Rücken zu kehren.

Verschiedene Arten von Totengeistern

Wenn die Römer von Geistern oder Spukphänomenen reden, verwenden sie entweder Umschreibungen wie effigies, was übersetzt so viel wie «Bild», «Erscheinung» bedeutet, oder aber die Namensbezeichnungen ma­ nes, lemures, larvae. Diese Begriffe scheinen zwar willkürlich gebraucht und miteinander vertauscht zu werden, aber der Charakter des mit dem jeweiligen Begriff benannten Phänomens ist doch grob zu umreißen: Während effigies die eher neutrale, unpersönliche Bezeichnung eines Geistes darstellt, ist das Wort manes auf den Grabsteinen in der Form dis manibus «den göttlichen Manen», «den Manengöttern» zu lesen (Abb.  7). Der Grabstein bzw. das Grab ist also göttlichen Wesenheiten dieses Namens geweiht, denen natürlich Ehrfurcht bezeugt wird. Zur Zeitenwende scheinen sie als eine Art Seelengeister der Verstorbenen betrachtet zu werden. Es ist viel über die Identität dieser Manengötter nachgedacht worden. Vielleicht sind damit ursprünglich Götter, die über die Toten wachen (di inferi – Unterweltsgötter), angesprochen, die möglicherweise mit den Ahnen des Toten (di parentes – Elterngötter) gleichgesetzt werden können, vielleicht werden aber auch die Totengeister der Verstorbenen selbst als Schutzgottheiten ihrer Gräber gedacht. Bei Cicero lässt sich ein entsprechender Hinweis finden. Wenn also die Manen so etwas wie die Seelengeister der Verstorbenen sind, dann bilden sie ein Gegenstück zum schützenden und inspirierenden Genius, einer Art höheren Ichs eines Lebenden, welches sich, nach dem Tode des Menschen, in die Manen verwandelt, wobei der Plural des Wortes rätselhaft bleibt. Inter­ essant ist die Feststellung, dass der Genius als eine geistig-seelische Größe verstanden wird, die zwar ein Teil der Person ist, aber 24

gesondert von dieser angesprochen werden kann, vergleichbar mit einer parallelen Manifestation derselben Person auf einer höheren, geistigen Ebene. Wenn der Geburtstag eines Menschen gefeiert wird, dann wird seinem Genius ein Kuchen geweiht. Als geistigseelisches Prinzip eines Individuums scheint er einerseits dessen Körper zu beleben und andererseits auch über diesem zu schweben und ihn von einer höheren Warte aus betrachten und beschützen zu können. Geradezu organisch erscheint hier der Übergang zu der Vorstellung, dass diese geistig-seelische Instanz nach dem biologischen Ableben der Person immer noch gesondert von dieser gedacht wird, so wie es in der Bitte an die Manen, die verstorbene Person in Frieden ruhen zu lassen, anklingt, als wären sie die individuellen Energien eines Menschen, die in der Lage seien, das Kraftfeld eines geistigseelischen Unfriedens zu generieren, der die persönliche Geistseele eines Menschen über den Tod hinaus umtreiben und ihn so zu einem vaganten Gespenst werden lassen kann. Wenn die Manen die Götter oder zu Götter gewordenen Vorfahren des Toten sind, wird ihnen ebenfalls die Macht zugesprochen, ihren Schützling nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Insgesamt ist festzustellen: Die Manen bleiben ihrer Bedeutung nach vielseitig und mehrdeutig. Auf jeden Fall scheint man die Manen praktisch mit dem Geist des Toten gleichzusetzen und es für wichtig zu halten, die Erscheinung, die hinter diesem Namen steht, zu besänftigen. Denn der Name manes kann als ein Euphemismus verstanden werden, der übersetzt so viel wie «die Guten» bedeutet. Der Grund für diese euphemistische Bezeichnung einer Totenseele bzw. der seelisch-geistigen Kraft, die mit dem Grab verbunden wird, dürfte sich auch in dem – bis in unsere heutige Kultur bekannten – Sprichwort de mortuis nihil nisi bene («Über die Toten nichts außer Gutes!») widerspiegeln: Hierbei geht es möglicherweise weniger darum, aus Anstand nicht etwas Ungerechtes über eine Person zu sagen, die sich nicht mehr wehren kann, als vielmehr darum, nichts Schlechtes über eine verstorbene Person zu sagen, eben weil sie sich, nämlich in Form eines Geistes, in gefürchteter Weise rä-

Geister im alten Rom

Abb. 8 Lemuren, ruhelos umherschweifende Totengeister.

chen könnte. Dahinter steht auch die antike Auffassung, dass ausgesprochene Worte eine geistige Wirkmacht darstellen; ist der Name einer verstorbenen Person ausgesprochen, so sind sozusagen die geistigen Energien, die zu dieser Person gehören, das heißt die Manen, als Macht im Raume gegenwärtig. Und die Art und Weise, in der man über die tote Person spricht, bestimmt mit, wie die heraufbeschworene geistig-seelische Energie in Erscheinung tritt. Redet man schlecht über sie, wird sie als schlechter Geist erscheinen. Aus diesem Grunde nennt man die Toten, wenn man von ihnen spricht, «die Guten». Das zeigt ganz deutlich, dass mehr als

nur Ehrfurcht, nämlich eine konkrete Furcht, mit den Toten verbunden ist, weil man sie als eine potenzielle Bedrohung einstuft. Eine Bedrohung sind sie deshalb, weil sie offenbar jederzeit unsichtbar gegenwärtig sein und in das Leben der Menschen eingreifen können, v. a. wenn man von ihnen spricht; man muss daher auf der Hut sein, wie man von ihnen redet. Die oben angeführte Grabinschrift mit der Bitte, die Manen als seelisch-geistige Kräfte des Verstorbenen möchten den Toten in Frieden ruhen lassen, also nicht aus seinem Grab aufscheuchen, verweist darauf, dass es eine virulente Angst vor verärgerten Geistern gibt. 25

Totengeister

Abb. 9 Die dämonischen Larven, Quälgeister der Lebenden und der Toten.

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Die vaganten Gespenster, die keine Ruhe finden und ihren Leiden entsprechend schauerlich anzusehen sind, werden auch als Lemuren bezeichnet (Abb.  8). Sie zeigen sich immer wieder an bestimmten Orten, um auf ihre Lage oder auf ein bestimmtes ihnen angetanes Unrecht aufmerksam zu machen  – so z. B. der Greis in Pliniusʼ Gespensterbrief. Manchmal zeigen sich die umherschweifenden Geister regelrecht aggressiv und bösartig – dann spricht man von den Larven (Abb. 9). Dies sind im Grunde Dämonen, die mit den niederträchtigsten Absichten umgehen und sogar die anderen Geister quälen. Wie Furien plagen sie die Toten und die Lebenden, von denen sie auch Besitz ergreifen können. Wer von ihnen besessen ist, wird zu einem larvatus, einem Wahnsinnigen. Die Larven rufen also Raserei hervor, und haben sie ihr Opfer erst einmal gepackt, lassen sie es nicht mehr los. Ihr Ziel ist, ihren Wirtskörper zugrunde zurichten, um sich danach wieder neue Beute zu suchen. Die Geister von Mördern und generell böswilligen Menschen kann sich der Volksglaube nicht anders als in dieser furchterregenden Form vorstellen. Man denkt sogleich an die Berichte über das Gespenst Lybas, das im 5. Jh. v. Chr. eine ganze süditalische Region terrorisiert haben soll. Horaz lässt einen Jungen, an dem ein grausamer Ritualmord verübt werden soll, seinen Peinigerinnen damit drohen, dass er sie nachts als Geist heimsuchen werde, um sie mit Krallen zu malträtieren, die es nur in der Geisterwelt gebe. Passend zu ihrem Charakter haben die Larven ein furchterregendes, grässliches Aussehen, weshalb larva umgangssprachlich als Beleidigung mit der Bedeutung «Fratze» verwendet wird. Die Larven können auch die Erscheinung von grünlich schimmernden Skeletten annehmen. Es handelt sich also um echte Horrorgestalten. Die insgesamt eher negative Sicht auf sämtliche sich bemerkbar machenden Totenseelen, die ein typisch römisches Phänomen zu sein scheint, wird daran deutlich, dass im Volk die Bezeichnungen für die Geister nahezu beliebig vertauscht zu werden scheinen. Aus dem 1.  Jh. n.  Chr. ist der Versuch eines künstlichen, gelehrten Schemas des Geis-

terglaubens erhalten. Das zeigt, dass die Gebildeten auf diesem Themengebiet offenbar Ordnung schaffen wollen, weil unterschiedliche Auffassungen von den Geisterarten für Furcht und Verwirrung sorgen. Nach dieser schematischen Übersicht ist der genius der Geist eines Lebenden; bei einem Verstorbenen ist dann von den lemures (wieder eine Pluralform!) zu sprechen, die sich, dank eines guten Lebens und Sterbens und eines ordnungsgemäß durchgeführten Totenkultes (die Bedeutsamkeit dieser religiösen Pflicht wird hier als absolute Bedingung betont!) zu den gütigen lares, den Schutzgeistern des Hauses, entwickeln, unter gegenteiligen Bedingungen jedoch zu den bösartigen larvae mutieren (Abb.  10. 11). Die manes bezeichnen in diesem System die neutralen, sozusagen mittelmäßigen Geister. Möglicherweise hängt dieser Versuch einer Systematisierung der Geisterarten mit dem restaurativen Religionsprogramm des Augustus zusammen. Zweifelsohne soll die oft übermäßige Angst, die mit dem Volksglauben an Geister einhergehen kann, durch den religiösen Kult bewältigt werden. So wird der Geisterglaube von der traditionellen Religion in zwei ganz zen­ tralen Punkten gestützt, indirekt in der Tradition des Larenkultes und direkt in den religiösen Totenfesten.

Die religiöse Kontrolle der Totengeister

Der lar familiaris ist der Haus- und Familiengeist, der als Beschützer und Sachwalter des gesamten Haushaltes traditionell neben der Göttin Vesta und den Penaten, den Schutzgottheiten der häuslichen Vorratskammer und damit der nötigen Grundversorgung, am Herd verehrt wird; er kann sogar zum Synonym für das ganze Haus werden (vgl. Abb. 11). Daneben gibt es an den Grundstücksgrenzen und Wegkreuzungen noch jeweils zwei CompitalLaren, die als Hofgeister und Beschützer des gesamten Gutes verehrt werden. Diesen Kult unterstreicht Augustus, indem er den zwei Compital-Laren seinen persönlichen Genius hinzufügt, also den Schutzgeist des lebenden Ersten im Staate, dem gemeinsam mit den Schutzgeistern der Familien gehuldigt werden soll. Die Grenzen zwischen Göttern und Geistern verschwimmen hier; die verstorbenen 27

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Abb. 10 Photochrom der Gräberstraße in Pompeji (Ende 19. Jh.).

Vorfahren können durch die Verehrung ihrer Nachkommen leicht zu Gottheiten avancieren. Selbst einem Gelehrten wie Varro (116–27 v. Chr.) ist es nicht möglich, zu seiner Zeit eine eindeutige Definition der Laren zu geben. Die Wegkreuzungen, an denen die Laren verehrt werden, unterstehen der Unterweltsgöttin Hekate, die aufgrund dieser Funktion den Beinamen Trivia («Dreiweg») trägt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die an den Kreuzungen verehrten Laren etwas mit den Totenseelen der Ahnen zu tun haben. Spätestens im 1. Jh. n. Chr. finden sich die Laren als Ahnengeister in der Geisterlehre wieder. Um die Geister ruhig zu halten, ist ein ordentlicher Kultus notwendig, der traditionell Teil der religiösen Pflichterfüllung ist. Der religiöse Festkalender schreibt mehrere Tage im Jahr vor, die dem Umgang mit den Totengeistern, also dem Ahnenkult, gewidmet sind und ein tatsächliches Wirken der Geister vo-

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raussetzen. In diesen Festkreis gehören die Lemuria (9., 11., 13. Mai). Ovid, der in seinen Fasten der Herkunft und Bedeutung römischer Feiertage nachgeht, leitet die Bezeichnung dieser Festtage etymologisch von «Remuria» ab, da dieses Fest sich ursprünglich auf die Besänftigung der Totenseele des erschlagenen Remus bezogen habe. Der Gründer Roms, Romulus, hat im Affekt seinen Bruder Remus erschlagen, was er im Nachhinein bereut, weshalb er seinem Bruder posthum göttliche Ehren zuteil werden lässt. Diese Herleitung der Lemuria ist zwar sprachwissenschaftlich nicht haltbar, verweist aber auf den Charakter dieses Festes, das auf eine Beruhigung und Beschwichtigung der Geister zielt. Die Tempel bleiben an den Lemuria geschlossen. Man glaubt, dass die Totenseelen an den Festtagen an ihre alten Wirk- und Wohnstätten zurückkehren, wo sie von ihren Angehörigen bewirtet und bei Laune ge-

Geister im alten Rom

halten werden müssen. Zum Abschluss des Festes hat der Hausherr eine rituelle Geisteraustreibung durchzuführen, damit die Totenseelen auch tatsächlich wieder zu ihren Gräbern zurückkehren. Ovid beschreibt dieses Ritual in seinen Fasten: Kurz vor Mitternacht erhebt sich der Hausherr, barfüßig und durch eine apotropäische Fingerhaltung vor dem Zugriff der Geister geschützt, und wirft nach dem rituellen Waschen der Hände neunmal schwarze Bohnen hinter sich, um ebenso oft eine religiöse Bannformel aufzusagen (haec ego mitto, his … redimo meque meosque fabis – «Dieses werfe ich von mir … mit diesen Bohnen kaufe ich mich und die Meinen frei»). Danach folgen eine zweite rituelle Händewaschung und das Lärmen mit Metallgegenständen, da dies die bösen Geister vertreibt – ein Gedanke, der auch heute noch in der Silvesternacht nachwirkt. Zum Abschluss erfolgt die neunmalige Aufforderung an die Geister, das Haus zu verlassen. Die Ordnung dieses Austreibungsrituals ist, ganz auf einer Linie mit anderen religiösen Gebräuchen, streng einzuhalten (Abb.  12). Eine Vernachlässigung der Vorschriften ist mit der konkreten Angst verbunden, dass die Austreibung der Geister nicht erfolgreich sein könnte. Ferner gibt es die Larentalia (23. Dezem­ ber), ein heimisches Fest zu Ehren der Hausund Hofgeister, der Laren. Zu diesem Anlass werden die Bäume und Sträucher an den Grundstücksgrenzen mit Puppen und Kugeln geschmückt, je nach Anzahl der engeren Familienmitglieder und der Sklaven, die ja im weitesten Sinne zur Familie gehören. Der Zweck dieses Festes ist, dass alle im Hausstand lebenden Personen den Laren als Schutzgeistern geweiht und für ein neues Jahr unter deren Segen gestellt werden. Es folgen die Compitalia, ein Fest, das zu Ehren der Laren an den Wegkreuzungen, den com­ pita, gefeiert (1. Januar) und unter Augustus auf drei Tage ausgedehnt wird; zu diesem Fest bleibt der Schmuck an den Grundstücksgrenzen noch hängen. Dann kommen die ebenfalls mehrtägigen Parentalia (13.–20. Feb­ ruar), die mit den Feralia abgeschlossen werden (21. Februar), einem Festtag, der vergleichbar mit dem christlichen Allersee-

len ist. An den Parentalia wird an den Gräbern in Gemeinschaft gegessen, um die Verbundenheit der lebenden Familienmitglieder mit den Ahnen aufrechtzuerhalten. Die Toten werden also nach wie vor als Anteil nehmende Mitglieder der Familie verstanden; das ist grundlegend für das römische Gefühl von familiärer Zusammengehörigkeit. In den Feralia als feierlichem Abschluss der Parentalia gipfelt das Familienfest mit ei29

Abb. 11 Puppen, die zu den Larentalia an Bäume und Sträucher gehängt werden.

Totengeister

nem großen Liebesmahl auf den Gräbern, bei dem, den Manen zu Ehren, alle Zwistigkeiten der lebenden Familienmitglieder symbolisch begraben werden. Die Vernachlässigung der Grabpflege und der Versorgung der Totenseelen an den Feralia soll in der Geschichte einmal schlimme Folgen, nämlich ein Massen­sterben in Rom, gezeitigt haben. Ovid berichtet in seinen Fasten, die Totenseelen seien nachts ihren Gräbern entstiegen und hätten ein klägliches Jammergeheul angestimmt. Der Dichter betont an dieser Stelle seinen eigenen Unglauben bezüglich dieses Ereignisses, als wolle er sich nicht dem Spott oder dem Vorwurf der gebildeten Leser aussetzen. Doch im Volksglauben hat die Anekdote der unruhig gewordenen Geister ihren festen Platz gefunden. Neben diesen wichtigen Festen für die Totenseelen fallen im römischen Festkalender noch drei als unheilvoll markierte Tage auf, an denen mundus patet, was übersetzt so viel bedeutet wie «Die Erde steht offen» (24. August, 5. Oktober, 8. November). Worum es sich bei diesem mundus im engeren und konkreten Sinn handelt und weshalb er eigentlich offen steht, ist unklar. Mögli-

Abb. 12 Apotropäische Darstel­ lung mit bösem Blick. Römisches Mosaik. Antakya, Archäologisches Museum.

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cherweise verbirgt sich hinter dem mundus ursprünglich eine Getreidegrube, so dass eine Beziehung zu einem alten Fruchtbarkeitsritus für die Göttin Ceres herzustellen ist, bei dem der Erdboden zur Entlassung der Saatgötter rituell geöffnet wurde. Die unterirdischen, chtonischen Gottheiten, die für eine gute Saat zuständig sind, werden immer auch mit der negativen, bedrohlichen Macht der Unterwelt in Verbindung gebracht. Mythologisch gesehen wird Proserpina, die Tochter der Ceres, als Gattin des Pluto für die eine Hälfte des Jahres in der Unterwelt gefangen gehalten; in dieser Zeit erstirbt das Leben in der Natur. Für die andere Hälfte ist sie frei und kann ihrer Funktion als Vegetationsgöttin nachgehen, weshalb das Grün wieder erblüht. In der ausgehenden Republik ist die Beziehung des mundus zu den Geistern und Göttern der Unterwelt offenkundig. Varro bezeichnet den mundus als das Tor zur Unterwelt. Daher handelt es sich im religiösen Kalender bei diesen Tagen um N-Tage, also Tage, an denen wichtige Geschäfte ein nefas, ein No-Go sind, da die Geister der Unterwelt umgehen und Unheil stiften.

Geister im alten Rom

Die Religion hat also die Aufgabe, das ambivalente Verhältnis der Römer zu den Geistern in kontrollierte Bahnen zu lenken. Auf der einen Seite begegnet man ihnen mit Zuneigung, man unterstellt sich ihrem Schutz und räumt ihnen bestimmte Zeiten im Jahr ein, in denen sie im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stehen; auf der anderen Seite fürchtet man jedoch auch, ihren Zorn zu erregen oder sie nach den Festtagen nicht mehr loszuwerden. Der religiöse Kult soll dazu dienen, die Geister zeitlich und räumlich vom Alltag der Menschen abzugrenzen. Diesseits und Jenseits sollen grundsätzlich zwei verschiedene Bereiche sein, die nur kontrollierte gegenseitige Besuche erlauben.

Das Totengeisterorakel

Auch die häufig besuchten klassischen Orakelstätten, die als Zugänge zur Unterwelt gelten, stehen mit dem Bereich der Geister in Verbindung. So gilt das griechische Ephyra explizit als Totenorakel. Das Prinzip der mantischen Befragung von Toten, die sog. Nekromantie, beruht auf der Vorstellung, dass die jenseitigen Seelen in der Lage sind, nicht nur alles gegenwärtige Geschehen auf der Welt, sondern auch das zukünftige zu sehen, weshalb die Menschen Totengeister schon früh als Quellen für entsprechende Weissagungen und Zukunftserforschungen betrachtet haben. Vielleicht lässt sich auch der von der cumäischen Sibylle angeleitete Unterweltsgang des Trojaners Aeneas, dem im Orcus von seinem verstorbenen Vater die zukünftigen Helden Roms präsentiert werden, als poetisch verdichtete Totenbefragung interpretieren, die dem von seiner Mission ermüdeten, vorbildhaft dem Willen der Götter folgenden Aeneas eine Antwort auf die Frage gibt, welchen Lohn die Mühe der Übersiedlung nach Italien mit sich bringt: Die Gründung einer Stadt, die eine lange Reihe großer Helden mit Weltruhm hervorbringt. Die römischen Dichter bieten ihren Lesern eine große Vielfalt an nekromantischen Darstellungen, die sich in ein literarisches Muster fügen, das von den griechischen Autoren vorgegeben wird: Entweder werden mit Hilfe bestimmter Rituale körperlose Geister

aus ihren Gräbern gezogen, damit sie in ein menschliches Medium, am besten ein unschuldiges Kind, fahren, um festgehalten und befragt werden zu können, oder Leichname werden wieder zum Leben erweckt. Da die Nähe zur Unterwelt für die Totenbefragung eine Grundvoraussetzung ist, finden die Rituale oft an Gräbern statt, bisweilen sind es auch Flussquellen oder Seen, die für Eingänge zur Unterwelt gehalten werden. Nacht und Vollmond sind von Bedeutung – die Nacht zum einen, weil sie den Unterweltsgöttern, also den Adressaten des Rituals, gehört, zum andern, weil in ihrem Dunkel und in ihrer Einsamkeit die befremdlichen Riten ungestört durchgeführt werden können. Bemerkenswerterweise ist aber auch die Anrufung des Sonnengottes möglich, da dieser nach orientalischer Vorstellung allnächtlich eine Wanderung durch die Unterwelt unternimmt (Abb. 13). Ein Totenopfer ist elementarer Bestandteil der Beschwörung. Es handelt sich um ein schwarzes Tier, meist ein Schaf, mitunter auch eine schwarze Kuh, dessen Blut als Opfergabe in eine Grube gegossen wird. Die Farbe Schwarz ist den Göttern der Unterwelt geweiht und passt hervorragend zur Finsternis der Nacht. Eine Verwechslung mit Gaben für die oberen Götter ist damit ausgeschlossen. Effekthascherisch wird bei vielen Dichtern beschrieben, wie sich bei erfolgreicher Durchführung des Rituals die Erde auftut und die geisterhaften Bewohner der Unterwelt ausspeit. In anderen Fällen erwacht ein Leichnam wieder zum Leben, um wahrsagen zu können. So z. B. bei Apuleius (ca. 123–170 n. Chr.), wo der wiedererweckte Verstorbene sich aufrichtet, um seine Frau des Giftmordes zu überführen, und bei Lukan (39–65 n. Chr.), wo ein gefallener Soldat zeitweise ins Leben zurückgerufen wird. Die Vorstellung, die mantische Kraft der Totenseelen sei dann besonders stark und leicht zugänglich, wenn den Geistern noch eine besondere Erdnähe und Bindung an ihre Gräber oder Gebeine eigne, führt zu dem Schluss, dass die ruhelosen Totenseelen, die man im Alltag fürchtet, sich hervorragend zur Nekromantie eignen. Natürlich ist es nicht ungefährlich, sich mit diesen Geis31

Totengeister

Abb. 13 Der Sonnengott Sol in seinem Wagen. Mosaik, römisch, Ende 2. Jh. / erstes Viertel des 3. Jhs. n. Chr., in situ. Villa von Boscéaz.

tern einzulassen  – und die Wahrhaftigkeit der Aussagen solcher Wesenheiten ist ebenfalls anzuzweifeln. Ein probates Mittel zur garantierten Ergreifung der Macht über eine Toten­seele ist der Besitz eines Gegenstandes oder eines Körperteils des Toten, denn an dies wird die Wirkmacht des Geistes gebunden gedacht. Wer diese besitzt, beherrscht den Geist. Mit dieser Logik verbindet sich der naheliegende Gedanke der Grabschändung oder sogar der gezielten Ermordung von Menschen, um auf diesem Wege willfährige Totendämonen zu mantischen Zwecken zu erschaffen. Gerade der Kindermord ist in diesem Zusammenhang ein beliebter Topos. Im Großen und Ganzen sind diese Informationen, die den Werken der Dichter zu entnehmen sind, natürlich vor dem Hintergrund einer auf schaurig-grausame Effekte bedachten Unterhaltungsabsicht zu verstehen. Die selbst im ansonsten eher heiteren Erzählstil des Horaz aufscheinende düstere und grauenvolle Atmosphäre der literarischen Nekromantie, die bei Lukan ihre dramatische und völlig humorlose Zuspitzung erfährt, dient aber vielleicht auch einer abwertenden Verzeichnung derjenigen Personen, die sich im 32

realen Leben mit nekromantischen Praktiken befassen. Denn viele Elemente des von den Dichtern mit der Nekromantie verbundenen Ritualhandelns scheinen durchaus in einer Beziehung zu realen Praktiken der römischen Gesellschaft zu stehen. So beschuldigt Cicero einen gewissen Vatinius, zum Zwecke von Totenbeschwörungen Kinderopfer darzubringen. Ob an den Vorwürfen gegen Vatinius etwas Wahres ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt, weil Cicero den Kindermord des Vatinius mit dessen Schein-Pythagoreismus in Zusammenhang bringt, den er, nach typisch ciceronischer Flexibilität, zwei Jahre später, in einer Rede für denselben Vatinius, als echten und zu lobenden Pythagoreismus darstellt. Aber wenn Cicero offen eine solche Anklage ausspricht, weist dies immerhin darauf hin, dass ein entsprechendes nekromantisches Vorgehen in der Realität durchaus vorstellbar ist. Ein mit Vatinius vergleichbarer Fall, Sextus Pompeius, Sohn des Pompeius Magnus, wird von Lukan mit der Nekromantie in Verbindung gebracht. Der Dichter soll zur Darstellung seiner literarischen Totenbefragung in einem einschlägigen Handbuch recherchiert haben. Dem Au-

Geister im alten Rom

gur Claudius Pulcher, einem Amtskollegen Ciceros, wird nachgesagt, spiritistische Séancen abzuhalten. Es hat also den Anschein, als sei die Totenbefragung als private Form der Mantik zur Zeitenwende gerade in höheren Kreisen der Gesellschaft beliebt und als traue man Männern der gehobenen Schicht in diesem Kontext sogar verbrecherische Praktiken zu  – zumindest, wenn man sie vor der Öffentlichkeit verunglimpfen will. Die Vorliebe einzelner Kaiser für die vermeintliche Kunst der Totenbefragung spricht auch dafür, dass diese in der gehobenen Gesellschaft ein Thema ist. Vor allem Nero und Caracalla werden in diesem Zusammenhang genannt. Überdies sind jüngere Papyri aus dem 3. und 4. Jh. n. Chr. erhalten, die den tatsächlichen Wirkanspruch nekromantischer Praktiken belegen. Sie weisen beispielsweise auf tierartige Lautausstoßungen des Nekromanten und Drohformeln gegen die beschworenen Gottheiten hin, die auch in Lukans Darstellung ei-

ner mantischen Totenerweckung vorkommen. Die Papyri bezeugen ebenfalls Mittel zur Kontaktaufnahme mit totendämonischen Wesen: Hierzu gehören menschliche Medien, zumeist Knaben, die von dem Geistwesen in Besitz genommen werden, Träume, Gegenstandsorakel wie Wasserschalen oder Ähnliches und sog. direkte Visionen, also Erscheinungen eines Totengeistes – schließlich auch der Besitz von Leichenteilen, durch welchen der Nekromant die Macht über den entsprechenden Geist erhalten soll. Die Wiederbelebung eines Leichnams zu nekromantischen Zwecken scheinen die Papyri allerdings nicht zu kennen. Die Totenbeschwörungen, die Claudius Pulcher durchführt, sind vergleichbar mit spiritistischen Séancen der Moderne. Die Geister werden in der Realität also auf eine weit unspektakulärere Weise als in der Literatur beschrieben zum Sprechen gebracht. Auf jeden Fall scheinen die Römer von der Sache gleichartig fasziniert wie abgestoßen zu sein.

Fazit

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ie Römer glauben an Geister. In der Natur regieren die Nymphen, hübsche unsichtbare Mädchengestalten, die für den Schutz von Bäumen, Flüssen, Bergen und Tälern zuständig sind, und die Faune, weniger hübsche männliche Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock, die Wald und Weiden bewachen und sich durch starke Triebhaftigkeit und ein launisches, zu Schabernack aufgelegtes Wesen auszeichnen. Die meisten Römer glauben auch an ein Fortleben der menschlichen Seele nach dem Tod. Die Vorstellungen reichen vom mythischen Bild einer Unterwelt mit verschiedenen Abteilungen über den Glauben eines schattenhaften Daseins in den Gräbern bis hin zu der philosophisch geprägten Idee eines elitären Heldenhimmels in der Milchstraße. Der rituelle Umgang mit den Totengeistern an bestimmten Feiertagen im Jahr ist ein fester Bestandteil der Religion und soll der angst-

vollen Grundstimmung gegenüber den Geistern entgegensteuern. Es wird begrifflich zwischen Manen, Lemuren und Larven unterschieden; die Manen sind möglicherweise Ahnengeister mit einer Art Wächterfunktion zum Schutz der Toten, die Lemuren werden meist als umherirrende Spukgeister gesehen, die aus verschiedenen Gründen keine Ruhe finden, und die Larven sind ausgesprochen bösartig eingestellte und schauerlich anzusehende Schreckgespenster, leibhaftige Dämonen, die ständig auf der Suche nach neuen Opfern sind, um sie besessen zu machen und in einen tödlich endenden Wahnsinn zu treiben. Manche Leute in Rom glauben, man könne sich Geister zum Zwecke der Wahrsagung dienstbar machen, indem man mit Hilfe toter Körperteile und bestimmter Rituale Macht über sie gewinnt und sie in unschuldige menschliche Medien, in der Regel Kinder, fahren lässt.

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HEXEN IM ALTEN ROM

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rundsätzlich scheint sich jeder römische Bürger mit den richtigen Hilfsmitteln als Geisterbeschwörer betätigen zu können. Wie bei heutigem Gläserrücken ist die Motivation dahinter oft nur Neugierde und Sensationslust. Wer tatsächlich Geister beschwört, erscheint dem guten Römer allerdings rasch als zwielichtige Person. Umso klarer ist die gesellschaftliche Abwertung derjenigen Personen, die grundsätzlich eine Beziehung zwischen der Geisterwelt und der Menschenwelt herstellen können, der sog. Hexen. Das deutsche Wort «Hexe» wird traditionell mit der «Heckensitzerin» in Verbindung gebracht, soll also eine Person bezeichnen, die auf einer natürlichen Umzäunung sitzt. Dabei steht die Umhegung bildlich für die Grenze zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt. Die Hexe ist folglich in der Lage, über den Tellerrand des irdischen Daseins zu schauen, weshalb ihr eine höhere Erkenntnis zugesprochen wird, ein Wissen, durch das sie andere Menschen geistig überragt. Nach dieser volksetymologi-

schen Ableitung verweist das Wort «Hexe» ­somit grundsätzlich auf keine negative Eigenschaft, sondern vielmehr auf einen offenen Sinn für das Überirdische, für die geistigen Prinzipien des Universums, die nach alter Anschauung stets die sichtbare Welt durchweben und durchwirken. Aufgrund dieser Veranlagung vermag die Hexe bewusst und aktiv mit den unsichtbaren Kräften des Kosmos zu arbeiten und die Welt zu verändern. Es weist viel darauf hin, dass es auch aus römischer Sicht Frauen und Männer mit einer entsprechenden natürlichen Begabung gibt, die sie als Hexen oder Hexer, lateinisch saga oder magus, qualifiziert (Abb.  14). Wie bei der Hexe hat auch die Bezeichnung saga ursprünglich eine positive Bedeutung, wenn man sie mit dem Adjektiv sagax – «scharfsinnig» in Zusammenhang bringt: Die weiblichen und männlichen Hexen sind also Personen, die geschärfte Sinne für das Überirdische haben und diese Eigenschaft in Verbindung mit zauberischen Künsten produktiv nutzen können.

Die magische Weltsicht der Römer

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ass die Wirkung magischer Praktiken von der Allgemeinheit nicht bezweifelt wird, zeigt beispielsweise die Selbstverständlichkeit von Schutzamuletten, die mit der ständigen Angst römischer Bürger, vom bösen Blick behext zu werden, einhergeht (Abb.  15). Bereits Kleinkinder tragen eine Miniaturbulle um den Hals, in das ein Phallusmodell eingekapselt ist, dem die Kraft zugeschrieben wird, Flüche abzuwehren. Schon das Zwölftafelgesetz, die offizielle römische Gesetzgebung von 450 v.  Chr., verbietet das Herabsingen fremder Feldfrüchte auf den eigenen Acker und stellt dieses eigennützige, gemeinschaftsschädigende Verhalten unter Todesstrafe. Es gibt in Rom also die Vorstellung, dass ein Bauer seine Ernte durch den 36

Zaubergesang eines feindlichen Nachbarn verlieren kann, weil dieser die Fruchtbarkeit des Bodens auf sein eigenes Land zieht. In Griechenland ist nur das rituelle Heraussingen einer Krankheit aus dem Körper bekannt. Ebenso verboten wie der Raubgesang werden um 450 v. Chr. die Anwendung anderer venena, die als Gift- und Zaubermittel verstanden werden können und gleichfalls zum Stehlen fremder Früchte dienen, und allgemein carmina mala, böse Gesänge, die außer als Schmählieder auch immer als Zaubergesänge ausgelegt werden können. Plinius der Ältere, wie einige andere Zeitgenossen und Vertreter späterer Generationen, sieht diese alten Gesetzesartikel als Beleg dafür, dass Zauberei in Rom schon immer strafrechtlich

Hexen im alten Rom

Abb. 14 Die Saga in Form einer Kräuterhexe (vgl. S. 58).

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Die magische Weltsicht der Römer

verfolgt worden sei. Allerdings scheint es im 5. Jh. v. Chr. noch an einem Konzept für Zauberei zu fehlen, da magische Handlungen allzu selbstverständlich in den Alltag und in den privaten religiösen Kult eingebunden sind. So werden für entsprechende Aktivitäten diverse Ausdrücke, die aus dem profanen oder religiösen Gebrauch entlehnt sind, verwendet, z. B. ars (nefanda), (efficax) scien­ tia, cantio, carmen, incantatio, incantamen­ tum ([schändliche] Kunst, wirksames Wissen, Gesang, Lied, Besingen) usw. Rechtlich gesehen bildet Zauberei daher keine eigene Kategorie, sondern ist ein mögliches Mittel des Diebstahls bzw. der Schädigung anderer. Die Strafgründe sind wirtschaftlicher und gemeinschaftsschädigender Natur. Im Jahre 81 v. Chr. erlässt Sulla eine lex Cornelia de sica­ riis et veneficiis, also ein Gesetz gegen Meuchelmord und veneficium, wobei veneficium doppeldeutig ist und entweder Gift oder Zauber meinen kann. Die grundsätzliche juristische Gleichbehandlung von Gift und Zauberei kann damit erklärt werden, dass ein Tod durch Gift in der Antike aufgrund der fehlenden Möglichkeit, chemische Analysen zu erstellen, oft ebenso wenig nachvollziehbar ist

Abb. 15 Bulla, römisch, 1. Jh. v. Chr. aus Herculaneum. Neapel, Archäologisches Museum.

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wie ein Tod durch Zauberwirkung. Im 1. Jh. n. Chr. ist Zauberei als Schädigung des Allgemeinwohls definitiv ein rechtlich und gesellschaftlich relevantes Thema: Die Inhalte der Artikel aus dem Zwölftafelgesetz werden um 17 n. Chr. dem veneficium des Sullanischen Gesetzes de sicariis et veneficiis angegliedert und als Zauberei zum Kapitalverbrechen gemacht, weshalb zauberische Delikte in Rom mit der höchsten Strafe belegt werden. Der eindeutig negativ konnotierte Begriff magia als allgemeine Bezeichnung für Zauberei begegnet zum ersten Mal um die Zeitenwende, also mit dem Karrierebeginn des Augustus. Cicero setzt das Wort magia bei seinen Lesern noch als unbekannt voraus, er hält es für erklärungsbedürftig; zudem steht es bei ihm explizit in Beziehung zur persischen Priesterkaste der magoi. Anscheinend wird die Regierung um die Zeitenwende aufmerksam auf eine neue Zauberwelle, die durch die orientalische Färbung der Zauberriten in Anlehnung an die Vertreter der östlichen Kunst, die sog. magoi, Magie genannt wird. Es geht also um eine von orientalischen Strömungen beeinflusste Zauberei, die vom allgemeinen Hellenismus nach

Hexen im alten Rom

Rom getragen wird. Die explizite Verbindung der Magie mit den persischen Priestern geht dabei bald verloren. Die römischen Bürger zeigen offenbar ein großes Interesse an magischer Fachliteratur aus dem Orient, die reichlich importiert wird, bis Augustus dieser Modewelle im Jahre 13 v. Chr. mit der Verbrennung sämtlicher magischen Schriften einen Riegel vorschiebt. Nichtsdestoweniger beginnen viele römische Bürger im 1. Jh.

v. Chr. nach allen Mitteln der orientalischen Kunst zu zaubern. Selbst ein kritisch-rationaler Geist wie der große Gelehrte Plinius der Ältere erlaubt sich kein grundsätzlich ablehnendes Urteil über die Wirksamkeit der Magie. Für ihn gibt es magische Mittel, die funktionieren, und solche, die es nicht tun, was damit zusammenhängt, dass für ihn Magie, Astrologie und Medizin in nicht klar trennbarer Weise zusammenwirken. 39

Abb. 16 Jason raubt mit Hilfe von Medea das Goldene Vlies. Wandmalerei, 4. Jh. n. Chr. Trier, Rheinisches Landesmuseum.

Die magische Weltsicht der Römer

Abb. 17 Fluchtafel, vermutlich von einer Sklavin, 1.−3. Jh. n. Chr. Bath, Roman Bath Museum.

Es ist nicht immer leicht, bei der literarischen Darstellung von Magie zwischen Fiktion, also grausiger Unterhaltung, und Hinweisen zur realen magischen Praxis zu unterscheiden. Die Dichter Horaz und Ovid gebrauchen das Adjektiv magicus und das Substantiv magus bereits wie selbstverständlich: Mit magicus werden in ihren Gedichten Rituale, Kräuter und Gesänge beschrieben, die einen Wechsel der natürlichen Verhältnisse bewirken und insbesondere mit mythologischen Hexen wie Medea in Zusammenhang stehen – wie die persischen Priester auch Gestalten aus dem östlichen Kulturraum (Abb.  16). Von Horaz wird aufgrund seines auffälligen magischen Fachwissens vermutet, er habe im realen Leben von einer neapolitanischen Salbenhändlerin namens Gratidia, die er in seinen Gedichten als 40

Canidia verspotte, Einblicke in die geheimen Künste der Magie erhalten. Neben den Literaten und Wissenschaftlern, die magisches Wissen recherchieren und wenigstens zum Teil nicht nur literarisch bzw. theoretisch an ihrem Thema interessiert sind, zeugen epigraphische Quellen, vorrangig Weih- und Grabinschriften, von praktischer Alltagsmagie. Ein hervorragender Teilbereich sind die tabulae defixionum, die sog. Fluchtäfelchen (Abb. 17. vgl. Abb. 23). Aus dem 4. bzw. 5. Jh. n. Chr. sind verschiedene Zauberpapyri erhalten, die zu den literarischen Zeugnissen der Zeitenwende und des 1. Jhs. n. Chr. in Beziehung gesetzt werden können. Im Folgenden soll eine kurze Übersicht über die verschiedenen Formen von Magie gegeben werden, die sowohl in der Dichtung als auch in der Realität vorzufinden sind.

HEXEN IM ALTEN ROM

Verschiedene Arten der Magie

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ie Inszenierung von Magie in der Dichtung ist stark von literarischen Vorbildern aus Griechenland bestimmt und hat Parallelen zur realen Alltagszauberei in Rom, die zur Zeitenwende ebenfalls von griechischen Einflüssen geprägt ist. Die verschiedenen Fachgebiete der praktischen Magie überschneiden oder vermischen sich zum Teil und verweisen mitunter auf alte volkstümliche Gebräuche, die schon weit vor dem Einfluss der griechischen Magie in Rom existieren.

Weissagungsmagie

Die mantische, also weissagerische Zauberei scheint eine lange Tradition in Rom zu haben, die sich diverser einfacher Mittel bedient: So ist schon Jahrhunderte vor dem Einfluss der griechischen Magie das Pendel im Hausgebrauch, zudem werden künstliche Lichtquellen, Spiegel, Tische und Wasserschalen mit Nüssen zum Erkennen der Zukunft genutzt (Abb. 18). Unter anderem sind auch das Deuten von aufgeworfenem Staub oder Mehl, von Rauch oder das Lesen in einem erhitzten, zerlaufenden Ei herkömmliche Methoden der Weissagung, die von jedem Bürger ohne großen Aufwand genutzt werden können. In Absetzung von diesen volkstümlichen Formen der Wahrsagerei hat die magische Beschwörung und Befragung von Geistern eine andere, grundsätzlich eher negative, zumindest anrüchige Qualität, da sie – wenigstens in der Unterhaltungsliteratur – mit dem Verbrechen an Kindern als Mordopfern und unfreiwilligen Geistermedien oder mit dem Stören der Totenruhe und dem mutmaßlichen Begehen von Leichenfledderei in Verbindung gebracht wird. Apuleius greift dieses Motiv ironisch in seinen Metamorphosen auf, in denen er eine Totenwache schildert, die Hexen davon abhalten soll, dem Leichnam Körperteile zu entwenden. Da der Wächter seine Aufgabe so erfolgreich durchführt, muss er schließlich selbst als Spender von Ohren und Nase herhalten, die ihm die Hexen mit Hilfe eines Schlafzaubers unbemerkt entfernen und durch Wachsteile ersetzen.

Nach einer Satire des Horaz gibt es auf einem alten Friedhof für Sklaven und arme Leute auf dem Esquilin eine regelrechte Plage von Frauen, die sich mit Nekromantie befassen, sog. Hexen – als Ausführende der Totenbefragung werden in der Dichtung grundsätzlich keine gewöhnlichen Bürger, sondern Hexen oder fremdländische Priester, also geheimnisvolle Exoten mit Spezialwissen, geschildert, die zu verbrecherischen Praktiken in Beziehung gesetzt werden. In der Realität scheint die Nekromantie allerdings einen wesentlich unspektakuläreren Charakter zu

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Abb. 18 Römischer Bronzespiegel mit figürlicher Darstellung, 2.−3. Jh. n. Chr.

Verschiedene Arten der Magie

besitzen und eher heutigen Séancen zu gleichen. Sie wird offenbar in höchsten gesellschaftlichen Kreisen durchgeführt.

Liebesmagie

Gleichermaßen populär in Dichtung und Realität scheint hingegen die Liebesmagie zu sein, bei der es darum geht, Liebe künstlich hervorzurufen  – in der Umkehr gegebenenfalls auch darum, ungewünschte Liebe bzw. fremde Magie zu unterdrücken. Für den Liebeszauber scheint eine alte römische Traditionslinie zu bestehen, die selbstverständlich in das alltägliche Liebesleben integriert ist und sowohl den privaten Bereich, in dem es um außereheliche Affären oder sonstige amouröse Verhältnisse geht, als auch das Gewerbe der Prostitution durchzieht. Die damit verbundenen Mittel sind in Rom allgemein bekannt: Es handelt sich erstens um ein Gerät namens Rhombus, eine Zauberspindel oder einen Kreisel an einem Band, durch dessen Drehen der ersehnte Mensch von der liebenden Person herbeigezogen wird, zweitens um Kräuter und Tiere bzw. Tierteile, die als Zutaten für Zaubertränke, sog. potiones,

Abb. 19 Fingerhüte und Spinnwirtel, römisch, 1./3. Jh. n. Chr. Saint-Germain-en-Laye, Musée des Antiquités nationales.

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verwendet werden, drittens um Zauberformeln und Gebete (Abb.  19). Die Frauen, die Männer auf magische Weise an sich binden wollen, wenden sich an die weiblichen Gottheiten Nox und Diana (Abb. 20. 21). Nox, die personifizierte Nacht, verkörpert die Dunkelheit, die das schändliche Treiben verbirgt, Diana den Mond, aber auch die Wildheit der Jagd, womit sie für die Triebhaftigkeit der magisch agierenden Frauen steht. Auch die drei griechisch-römischen Rachegöttinnen, die schlangenhaarigen und grausig anzusehenden Erinnyen bzw. Furien, Alekto, Megaira und Tisiphone, Personifikationen der weiblichen Raserei, werden häufig angerufen (Abb. 22). Augustus, der in der zweiten  Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. mit seiner umfassenden Re­ staurationspolitik die gesellschaftlichen Verhältnisse des Reiches ordnen und stabilisieren will, erlässt ein Ehegesetz, mit dem er strenge moralische Richtlinien für das römische Liebesleben zu etablieren versucht. Es wird eine Ehepflicht eingeführt, die für ordentliche Verhältnisse und intakte Familien sorgen soll. Kinderreichtum wird belohnt,

Hexen im alten Rom

Abb. 20 Nyx (lat. Nox), hellenistisch, 164–156 v. Chr. Zeus-Altar von Pergamon. Berlin, Pergamon-Museum.

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Verschiedene Arten der Magie

Abb. 21 Statue der Diana-Selene, römische Kopie aus dem 2./3. Jh. n. Chr. nach einem griechischen Original. Rom, Kapitolinische Museen.

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Hexen im alten Rom

doch nur die aus legalen Ehen hervorgehenden Kinder gelten als römische Bürger und dürfen zum Kriegsdienst herangezogen werden. Chaos auf dem amourösen Gebiet soll daher natürlich vermieden werden. Liebesmagie, die sich nicht an Sitte und Moral orientiert und die gesellschaftliche Ordnung gefährdet, wird deshalb von den augusteischen Dichtern in ein sehr negatives Licht gestellt: Horaz schildert in seiner fünften Epode eine zaubernde alte Frau namens Canidia, die aufgrund ihrer Liebeswut nicht vor der rituellen Ermordung eines Knaben zurückschreckt. Dieser soll, bis zum Hals im Erdboden eingegraben, in einem grausamen Ritual qualvoll sterben, damit sich die Energie seiner Not auf einen Liebestrank überträgt, der dann dem Opfer des Trankes, einem gewissen Varus, eine ebensolche Pein in Form starken Liebes­

kummers verursachen soll. Der Satiriker Juvenal (1./2. Jh. n. Chr.) gibt einen Hinweis auf den realen Verkauf solcher Zaubertränke. Der große Aufklärer Lukrez wird angeblich durch die Einnahme eines Liebestrankes am Ende seines Lebens wahnsinnig – ein Vorbild der Vernunft verliert also seinen Verstand. Das Gleiche wird über den berühmten Feinschmecker Lucius Licinius Lucullus gesagt. Juvenal und Sueton führen Caligulas Wahnsinn auf die Einnahme eines entsprechenden Mittels zurück. Der Liebesmagie, speziell im Hinblick auf die Liebestränke, wird also eine höchst schädliche Wirkung zugeschrieben. Sogar der humorvolle Dichter Ovid, der das Genre der Liebeselegie auf seine spielerisch-parodistische Weise aufgreift und zu einer neuen Qualität führt, warnt seine Leser eindrücklich vor jeglicher Liebeszaube45

Abb. 22 Erinnyen mit Schlangen im Arm. Sarkophagrelief, Marmor, 3. Jh. n. Chr. Vati­kan, Vatikanische Museen.

Verschiedene Arten der Magie

rei. Damit steht der Sänger leichter Liebe, der später aus vorgeblich moralischen Gründen in die Verbannung geschickt wird, in geradezu paradoxer Weise für Moral und öffentliche Ordnung ein. So richtet sich spätestens im 1. Jh. v. Chr. Sullas Gesetz gegen veneficia, womit sowohl Gift- als auch Zaubermittel bezeichnet werden, gegen das Herstellen und Vertreiben von Zaubertränken. Am Beispiel des Prozesses gegen den Dichter Apuleius im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. wird deutlich, welche Auswirkungen der Verdacht eines zu kriminellen Zwecken eingesetzten Liebeszaubers grundsätzlich haben kann: Apuleius wird von den Verwandten seiner neuen Frau, die um ihr Erbe fürchten, vor Gericht angeklagt, sich die Ehe mit Hilfe von Liebesmagie erschlichen zu haben. Es geht beim magischen Herbeiführen der sog. Liebe weniger um das Wecken romantischer Regungen als vielmehr darum, einen anderen Menschen dem eigenen Machtwillen unterzuordnen und zu einem Sklaven der Leidenschaft werden zu lassen. Deshalb ist der Liebeszauber ein Thema, das für die Liebeselegie wie geschaffen scheint. In diesem beliebten Literaturgenre des 1. Jhs. v. Chr., das maßgeblich von den jungen Dichtern Tibull (ca.  55–19 v.  Chr.) und Properz (ca. 48–15 v. Chr.) getragen wird, geht es um die Liebesleiden eines Mannes, des amator, der im servitium amoris, einem sklavischen Liebesdienst, einer bestimmten Frau, der domina, voll und ganz ausgeliefert ist und an der Sprödigkeit, Launenhaftigkeit oder Hartherzigkeit seiner Geliebten leidet. Denn diese gehört in der Regel schon einem vir, einem reichen Nebenbuhler, oder schenkt, angestachelt von einer alten Kupplerin, dem wohlhabenden Freier eher ihr Herz, da dieser ihr mit seinem finanziellen Reichtum bessere Argumente als der arme Poet bietet. Die Kupplerin bedient sich auch magischer Mittel, um das Mädchen an den reicheren Verehrer zu binden. Da der elegische Liebhaber jedoch von der Treue seines Herzens gebunden ist, kommt er trotz aller schlechten Behandlung und Erniedrigung, die er erfährt, einfach nicht von seiner domina los und diese kann ihn nach Herzenslust quälen. Ein häufig vorkommendes Motiv des leidenden Lie46

benden ist das unerhörte nächtliche Klagen vor der verschlossenen Tür seiner Geliebten. Das Ganze hat also ein Gutteil von einer sadomasochistischen Beziehung. Literarisch gesehen handelt es sich bei der Liebeselegie um eine Gattung, die ein Stück weit als Protest der jungen Wilden gegen die traditionellen Werte Roms gesehen werden kann: Statt dem Staate treu zu sein, legt das lyrische Ich der puella gegenüber einen regelrechten Kadavergehorsam an den Tag; statt für den Staat in den Krieg zu ziehen, leistet das lyrische Ich seinen Kriegsdienst in der Liebe und nimmt freiwillig entsprechende Verletzungen auf sich. Der vermeintliche Liebeszustand, an den der Liebende in der Elegie gebunden ist, entspricht eher einem seelischen Gefängnis als irgendeinem romantischen Empfinden. In der Realität lässt sich solch eine krankhafte seelische Fixierung auf eine Frau leicht mit der Behauptung, man sei von dieser verhext worden, erklären. Tatsächlich spielen magische Mittel in der Liebeselegie oft eine Rolle. Offenbar lieben die anarchistisch eingestellten Liebeselegiker es, Motive aus der realen Halbwelt des römischen Sexuallebens zu verwenden. Dennoch werden ihre Werke von Augustus nicht verboten. Sie entsprechen mit ihren Gedichten der augusteischen Moral immerhin insofern, als ihr lyrisches Ich an dem Liebeszauber anderer leidet und ihm die eigene Anwendung der Liebesmagie ebenso wenig Glück bringt.

Schadensmagie

Gleich nach der Liebesmagie ist der Schaden- oder Fluchzauber das beliebteste literarische Motiv, sicherlich aus Gründen der Unterhaltung, aber gewiss auch wegen seiner starken Beziehung zur realen Welt. Der Schadenzauber entspricht dem, was schon im Zwölftafelgesetz verboten wird. Oft tritt er in Verbindung oder Vermischung mit dem Liebeszauber auf, indem Nebenbuhler ausgestochen oder undankbare Liebhaber bestraft werden sollen; Hass und Liebe sind hier zwei Seiten einer Medaille. In der Regel geht es um die magische Ahndung einer subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit, die auf andere Weise nicht auszugleichen ist. Natürlich spielt auch das Bedürfnis nach Macht eine Rolle.

Hexen im alten Rom

Die Besessenheit von dem Gedanken, eine bestimmte Person aus erotischen, geschäftlichen oder sonstigen Gründen unter die eigene Herrschaft zwingen zu wollen, äußert sich häufig in der Verwendung von Sympathiepuppen, einem magischen Element orientalischer Herkunft, das in seiner Funktion mit den modernen Voodoopuppen verglichen werden kann. Eine Wollpuppe steht dabei für den Dämon, der zur Dienstbarmachung gebunden werden soll, denn der Wolle wird eine bindende Kraft zugeschrieben  – ein Geistwesen oder eine Gottheit wird also dem Willen des Zaubernden gefügig gemacht. Eine Wachspuppe wiederum, die im Feuer zu schmelzen hat, steht für das Opfer, das sich dem Zauber ergeben muss und bildwörtlich zu Wachs in den Händen des Magietreibenden werden soll. Die Zauberpapyri geben konkrete Anweisungen zum Herstellen entsprechender Puppen. Die Praxis der gezielten magischen Bearbeitung von Puppen bzw. Abbildungen eines Opfers durch Nadelstiche, die seit dem griechischen Dichter Homer (8. Jh. v. Chr.) bekannt ist, wird im Umfeld der Zeitenwende auch in Rom popu-

lär. Der Stich entspricht dabei einem Zauber, der dem Opfer eine körperliche oder seelische Verletzung zufügen soll, um es zu behindern oder zu quälen, es gefügig zu machen oder zu vernichten. Die defixiones bzw. tabulae defixionum, sog. Fluchtäfelchen, sind die nachweislich am meisten verbreiteten volkstümlichen Mittel zur Durchführung des Schadenzaubers (Abb. 23. vgl. Abb.  17). Über 1600 erhaltene Defixionstexte sind derzeit bekannt. Nur drei bis vier Millimeter starke Bleitäfelchen, manchmal aber auch Scherben, Kalkstein, Wachs oder Papyrus, dienen als Medium, das mit einem Fluch beschrieben wird. Die Sprache der Täfelchen ist in der Regel Griechisch. Für den Fluch, der in seiner ursprünglichen, einfachen Form aus einem einzigen Satz wie «Ich binde …» mit individueller Namenseinfügung bestehen kann, gibt es zur Zeitenwende komplexere magische Formulierungen, in die der Name der Zielperson ebenfalls nur eingesetzt zu werden braucht. Auch Zeichnungen, also Abbilder der zu verfluchenden Person, werden manchmal angefertigt, mitunter auf der sonst leeren Rückseite des Blei­ 47

Abb. 23 Fluchtafel aus Silber, späthellenistisch. Münchner Privatsammlung vor 1975.

Verschiedene Arten der Magie

plättchens. Neben dem Namen des zu Verfluchenden und dem eigentlichen Fluchspruch werden Unterweltsgottheiten wie Demeter, Persephone, Gaia oder Hermes, oder aber auch fremdländische Dämonen, darunter sogar der jüdische Gott Zebaoth, denen der Fluchauftrag anbefohlen wird, aufgelistet. Je mehr Gottheiten hier aufgezählt werden, desto wirkungsvoller soll der böse Zauber sein. Es fällt auf, dass in der Regel weibliche oder ambivalente Gottheiten wie Hermes, der Gott der Reisenden und der Diebe, dem nie ganz zu trauen ist, und grundsätzlich verdächtige nicht-römische Götter exotischen Zuschnitts in Anspruch genommen

Abb. 24 Magische Figurine: Die weibliche Figurine ist mit Nadeln durchbohrt, römisch. Paris, Musée du Louvre.

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werden. Sie alle werden zu Verbündeten des Fluchenden gemacht. Auf eine Nennung des Absenders wird in der Regel aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet: Natürlich will jemand, der sich auf eine so selbstgerechte und gemeinschaftsschädigende Weise betätigt, nicht ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Vielleicht soll auch aus einer übersinnlichen Furcht heraus vermieden werden, den eigenen Namen mit dem Fluch und der Namensliste der Unterweltgötter in Verbindung zu bringen. Nach der Fertigstellung werden die Täfelchen an Gräbern von unzeitig Verstorbenen oder an anderen Orten mit Beziehung zur

HEXEN IM ALTEN ROM

Unterwelt, z. B. Brunnen oder Quellen, vergraben. Oft handelt es sich auch um die Türschwelle des Opfers. Neben einer zusätzlichen magischen Besprechung der tabulae ist eine symbolmagische Begleithandlung üblich: Die Täfelchen werden aufgerollt und durch Nägel fixiert – hier wird, wie bei den Zauberpuppen, auf die Unterdrückung bzw. Bindung des Opfers angespielt. Bei der Deponierung der Fluchtäfelchen ist auch eine Addition von Sympathiepuppen möglich, um den gewünschten Zaubereffekt noch zu verstärken. Eine Mischung aus Fluchtäfelchen und Defixionsfiguren scheinen menschenähnliche, manchmal gefesselte Ton- oder Bleifigurinen zu sein, die in antiken Grabanlagen gefunden worden sind und teilweise Namensinschriften und Spuren von gezielten Misshandlungen, z. B. perforierte Körperteile, aufweisen (Abb. 24). Wer sich mit einem Fluch belegt fühlt, weil er das Gefühl hat, seine Begabungen ließen ihn im Stich, er habe keinen Erfolg mehr und sein Leben entgleite ihm, lässt sein Grundstück systematisch nach versteckten Fluchtäfelchen absuchen. Laut Cicero habe ein Anwalt, dem vor Gericht plötzlich das Wissen über seinen Fall abhanden gekommen sei, weshalb er den Prozess verloren habe, später einen Schadenzauber dafür verantwortlich gemacht. Der Historiker Tacitus (58–120 n. Chr.) berichtet, dass im Zimmer des Germanicus, des jung verstorbenen Neffen und Adoptivsohns des Kaisers Tiberius, Leichenteile und Bleitäfelchen mit Fluchinschriften gefunden worden seien; der Thronerbe sei also einer politischen Intrige und Schadensmagie zum Opfer gefallen. Manchmal werden noch heute Fluchtäfelchen unter alten Stadien ausgegraben; im Sport spielt die magische Bekämpfung gegnerischer Mannschaften eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wo auch immer die Fluchtäfelchen vergraben werden, entfalten sie ihre unsichtbare Wirkung. Daher boomt im alten Rom das Geschäft mit der Verfluchung, auch wenn es illegal ist. Es scheint trotzdem etliche Leute zu geben, die mit ihrem magischen Wissen, das sie aus Formelbüchern und anderer einschlägiger Literatur beziehen, Geld verdienen können, indem sie sich als professionelle Verfasser von Fluch-

Abb. 25 Relief mit dem Modell eines Beines als Votivgabe an Asklepios und Hygieia zum Dank für eine Heilung, griechisch, 100–200 n. Chr., Marmor. London, British Museum.

täfelchen verdingen. Auch das vermeintliche Opfer von Schadenzauber kann jederzeit Zuflucht zu den Künsten eines kommerziellen Magieexperten nehmen.

Heilungsmagie

Im Gegensatz zur Schadensmagie ist der Heilungszauber für die Dichter weniger interessant. Tibull thematisiert ihn beiläufig; er habe seine Geliebte mit Unterstützung einer Hexe und ihrer heilkräftigen Verse von einer Krankheit befreit. Aber dies wird nur kurz angedeutet. Auch in der realen Welt wird dem Heilungszauber viel weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht, wohl deshalb, weil er sich gut in die offizielle Religion einfügt, da hier im Grunde die Grenzen zwischen Zauberei und Frömmigkeit fließend ineinander übergehen, denn die römische Religion ist ihrem Wesenskern nach die regelkonforme Beschwörung bestimmter Gottheiten, die durch das Darreichen eines Gebetsopfers zu einem entsprechend wohlgesinnten Antworthandeln verpflichtet werden sollen. Der Glaube des Römers stützt sich dabei auf das 49

Verschiedene Arten der Magie

sog. do ut des-Prinzip, das die korrekte Haltung des Beters gegenüber der Gottheit als eine geschäftliche Beziehung beschreibt: Ich gebe, damit du gibst. Auf diese Weise betrachtet hat das Gebet einen geradezu technischen Charakter, so dass auch von weißer Magie die Rede sein könnte. Der Zauberspruch im «Sprechgesang», das carmen magicum, das den Wunsch nach einer Heilung an eine entsprechende Gottheit richtet, bewegt sich daher völlig im Rahmen der überkommenen Religion, die den Gott Aesculapius auf der Tiberinsel und  – speziell für die Frauen – die Göttinnen Diana und Juno zu den entscheidenden göttlichen Handelspartnern macht. Sog. Votivfiguren zeugen noch heute von dieser religiösen Heilmagie: Es handelt sich um kleine Ton- und Terrakottafiguren, die den menschlichen Körper abbilden und an den Kultstätten der Heilgottheiten massenweise produziert und vertrieben werden. Sie stellen das positive Gegenstück zu den Defixionsfiguren des Schadenzaubers dar. Noch heute lassen sich auf den Statuetten Reste von Farbmarkierungen einzelner Körperstellen nachweisen. Vermutlich dienen diese Kennzeichnungen dazu, kranke Teile des Körpers zu markieren, um deren Heilung gebeten wird oder die, versteht man die Figurinen als Dankopfer, nach erfolgreicher Bitte geheilt worden sind. Oft werden auch nur bestimmte Körperteile wie Füße, Arme, Augen oder innere Organe abgebildet (Abb. 25). Die Verwendung von Kräutern, die unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei Vollmond, gesammelt und gegebenenfalls mit Zauberformeln besprochen werden, gehört in den Bereich der volkstümlichen Hausmedizin, für die es auch selbsternannte Experten beiderlei Geschlechts gibt, die aber als durchaus ambivalent oder gar zwielichtig angesehen werden und leicht in den Bereich des Schadenzaubers abrutschen können. Es wird ihnen unterstellt, denjenigen Klienten, die nicht wie vereinbart bezahlen, nachträglich durch Magie zu schaden.

Kosmische Magie

Nicht zuletzt erfreut sich kosmischer Zauber, die magische Veränderung der Natur, in der Dichtung einer großen Beliebtheit – da50

bei werden Flüsse in ihrem Lauf umgekehrt, Berge und Städte versetzt, Gestirne vom Himmel gezogen, kurz: Die Naturgesetze folgen der Magie und die ganze Welt, der Kosmos, einschließlich aller darin enthaltenen Lebewesen und Dinge, wird nach Belieben durch Zauberei verwandelt. So berichtet der Satiriker Lukian (ca.  120–180 n.  Chr.) von einem Magier namens Pankrates, der in der Lage ist, Türriegel, Stößel oder Besen durch magische Worte zu lebendigen Dienern zu machen, die er wie kleine Menschen bekleidet und Arbeiten für sich erledigen lässt; z. B. schickt er sie zum Wasserholen – hier hat Goethes Gedicht vom Zauberlehrling seine Wurzeln. Natürlich spricht an dieser Stelle der Satiriker, der sich über entsprechende Vorstellungen von Magie lustig macht. Ohne Frage lassen auch die Dichter bei diesem Thema ihrer Phantasie die Zügel schießen. Die mythologische Hexe Circe verwandelt die Gefährten des Odysseus in leibhaftige Schweine. Apuleius berichtet in den Metamorphosen, in denen sein Held in einen Esel verwandelt wird, um tierisch-menschliche Abenteuer zu erleben, auch von einer Hexe namens Pamphile, die durch einen fehlgeschlagenen Zauber nicht ihren Liebsten anzieht, sondern Schläuche in lebendige Wesen verwandelt, die mit Gewalt in ihr Haus eindringen wollen. Ihren eigenen Körper schmiert sie zur Abendstunde mit einer Zaubersalbe ein, um zu einem Nachtvogel zu mutieren und unheilvolle Ausflüge zu unternehmen. An anderer Stelle bei Apuleius erzählt ein Bettler, was ihn zugrunde gerichtet hat: Eine Affäre mit einer Wirtin namens Meroe, die sich als mächtige und gefürchtete Hexe entpuppt hat, die kraft ihrer Magie Leute in Tiere verwandelt und auch sonst schalten und walten kann, wie sie will; die Einwohner einer ganzen Stadt sperrt sie in ihre Häuser ein und einen ihr feindlich gesinnten Mann versetzt sie samt seinem ganzen Hause auf die Spitze eines Berges. Ein solcher kosmischer Zauber ist in der Realität für die Magiegläubigen sicherlich kein Thema, und niemand, der ernsthaft Magie praktiziert, dürfte eine entsprechende kosmische Wirkung seines Handelns erwarten, auch wenn das magiegläubige Volk vielerlei magische Erscheinungen in der Natur

Hexen im alten Rom

für möglich hält. Ohne Frage ist angesichts gewisser Naturphänomene bei breiten Teilen des Volkes tatsächlich ein Glaube an menschliche Verursacher, weibliche oder männliche

Hexen, zu finden, man denke z. B. an Sonnenfinsternisse, ungewöhnliche Lichterscheinungen am Himmel oder außerordentliche Unwetter.

Die Magieexperten

E

in wesentlicher inhaltlicher Unterschied zwischen den literarischen und den epigraphischen Zeugnissen besteht darin, dass in der Literatur Frauen als Magietreibende dargestellt werden, während in der Epigraphie, speziell auf den Fluchtäfelchen und in den Zauberpapyri, Magie als Männerdomäne erscheint. Es ist natürlich denkbar, dass ein Gutteil der in männlicher Nutzungsform überlieferten Zauberpapyri und Fluchtäfelchen ursprünglich von und für Frauen gefertigt worden sein könnte. Aber das ist nicht nachzuweisen, und ein Grund für das bevorzugte Auftreten von weiblichen Hexen in der Unterhaltungsliteratur dürfte schlicht darin liegen, dass Frauen eher mit dem furor, dem emotionalen Wahnsinn, in Verbindung gebracht werden und eine bessere Publikumswirkung haben – nicht zuletzt deshalb, weil sowohl die Verfasser als auch die Leser der Gedichte zum überwiegenden Teil männlichen Geschlechts sein dürften. Im realen Leben sind wohl Männer und Frauen gleichermaßen an der Magie in Rom beteiligt, auch wenn sich ihre Zauberei dahingehend zu unterscheiden scheint, dass sie auf der Männerseite oft einen stärkeren Showcharakter aufweist und eher der Scharlatanerie zugeordnet wird, während sie auf der Frauenseite eine andere, tiefere Bedeutung besitzt.

Magier

Der Begriff magus, ursprünglich eine Bezeichnung für persische Priester, entwickelt sich um die Zeitenwende, wie das Wort ma­ gia selbst, zu einem Mittel der Ausgrenzung. Priester verschiedener anderer Religionen, z. B. die Druiden oder auch der jüdische Prophet Moses, werden im Zuge dieser politischen Diskriminierung zu Magiern degradiert. Es werden keine klaren Grenzen

zwischen den Magiern und den superstitiosi prophetae bzw. harioli, also den betrügerischen, profitorientierten Volkswahrsagern, den falschen Propheten, gezogen, von denen schon Ennius, der Vater der römischen Dichtung, spricht. Diese Wahrsager gehören bildlich gesprochen zum Bodensatz völkischer Experten für das Übersinnliche wie die coniectores, sortilegi, sacrificuli vates und die vicani haruspices, also die Traumdeuter, Weissager, Seher und die provinziellen Opferschauer, die Cicero verächtlich von den offiziellen Haruspizen, den religiös legitimierten Zeichendeutern, abgrenzt. Natürlich stehen die gemeinen Magier, welche an einschlägigen Orten, z. B. hinter dem Zirkus, das Inter­ esse der breiten Volksmasse nach persönlichen und konkreten Zukunftsvorhersagen oder nach indiskreten Informationen über die Mitglieder der High Society zu befriedigen suchen, mit den Chaldäern der gehobenen Klasse, die Persönlichkeiten wie Caesar oder Sulla beraten, nicht auf einer Stufe. Das wird auch an folgendem Beispiel zweier berühmter männlicher Magieexperten deutlich: Als Hauptverantwortliche für die Verbreitung magischen Gedankengutes in Rom gelten einerseits der Grieche Anaxilaus von Larissa, welcher 28 v. Chr. als Pythagoreer und Magier aus Rom ausgewiesen wird, und andererseits ein gewisser Nigidius Figulus, Prätor von 58 v. Chr., der von Cicero für seine Leistungen im pythagoreischen Bereich gelobt wird. Es kann sein, dass das Wort magus in der Anaxilaus-Affäre zum ersten Mal in der ausgrenzenden Bedeutung «Magier» oder «Zauberer» verwendet wird. Die praktizierte Magie, welche von Letzterem überliefert worden ist, wirkt allerdings recht bodenständig und als Grund für diese Ausweisung zu harmlos: Er gibt eine Sammlung von Zauberstücken 51

Die Magieexperten

zur Partyunterhaltung heraus, die ein paar magische Tricks enthält, z. B. Feuer über einem Wasserbecher tanzen zu lassen. Seine Traktate über Magie sind in Griechisch verfasst, so dass nur die höhere Bildungsschicht Roms zu diesen Inhalten Zugang hat. Hat man von diesen Leuten einen politischen Umsturz mit Hilfe magischen Wissens zu erwarten, das der leichten Unterhaltung dienen soll? Der eigentliche Grund der Ausweisung des Anaxilaus bleibt rätselhaft, wobei der Vorwurf schlechten, griechischen Einflusses durch orientalische Zauberspiele in Zeiten des Aufbruchs in eine neue römische Ära nicht abwegig erscheint. Der Römer Nigidius Figulus hingegen überträgt die magische Sammlung des Bolus von Mendes, eines griechischen Okkultisten aus dem 3.  Jh. v.  Chr., ins Lateinische und macht sie somit allen lesefähigen Bürgern Roms zugänglich. Er hat damit ohne Frage eine größere Breitenwirkung als Anaxilaus. Da er als der gelehrteste Mann nach Varro gilt und mit dem Staatsmann Cicero in einem engen freundschaftlichen Verhältnis steht, wird er von diesem jedoch nicht etwa als Magier angegriffen, sondern für seine Wiederbelebung des Pythagoreismus, einer Lehre, die den platonischen Reinkarnationsgedanken mit einer magischen Zahlenmystik verbindet, ausdrücklich gelobt. Es gehört gleichsam zu den Verdiensten des Nigidius, parallel zur philosophischen Leistung Ciceros, magisches Fachwissen mit dem Anspruch der Philosophie zu lesen, zu rezipieren und zu kommentieren. Nigidius Figulus ist also eher ein Philosoph mit magischem Interesse als ein Magier. Sein Fall zeigt, dass Magie als Wissenschaft in Rom durchaus ernst genommen werden kann – wenn sich ein angesehener Römer mit ihr beschäftigt. Diese Sicht auf die Magie hat nichts zu tun mit den irreführenden Künsten – man könnte vielleicht auch sagen, mit dem «populistischen» Treiben – eines Gauklers fremdländischer Herkunft, wie er in Anaxilaus greifbar wird. Der Hexer, der in der zweiten  Hälfte des 1.  Jhs. v.  Chr. zum Feindbild des römischen Staates stilisiert wird, ist also jemand, der sich der Magie mit niederen Absichten widmet und möglicherweise nur ein Scharlatan 52

ist, der die Leichtgläubigkeit des römischen Volkes ausnutzt und es mit orientalischen Zaubertricks verwirrt, es schlimmstenfalls gegen die Obrigkeit aufbringt, der aber vielleicht auch tatsächlich wirksame Zauberpraktiken kennt, wodurch er in jedem Fall zu einer echten Gefahr für die öffentliche Ordnung wird. Die Machenschaften des Magiers können sogar in direkte Opposition zu den bestehenden Machtverhältnissen geraten. Die erste überlieferte explizite Massenausweisung von Magiern durch Agrippa, die rechte Hand Octavians, im Jahre 33 v. Chr. beruft sich in diesem Sinne auf die Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung zu bewahren, und ist in den Rahmen eines allgemeinen politischen Vorgehens gegen «unrömische», potenziell betrügerische und umstürzlerische Formen privater Wahrsagerei einzuordnen. Furor, der Wahnsinn, als fremdes, orien­ talisches Element wird gegen die Magier besonders überzeugend ins Feld geführt. Der Dichter Catull (1. Jh. v. Chr.) stellt den Magier als Inzestprodukt dar; schon seine biologische Herkunft wird also einer sexuellen Verirrung zugeschrieben, womit auf das Klischee der unkontrollierten orientalischen Triebhaftigkeit angespielt wird, schließlich hat die Magie ja östliche Wurzeln. Das Ekstatisch-Orgiastische wird in Rom als echte Bedrohung von Recht und Ordnung empfunden. Das Handeln des Magus wird mit Menschenopfern und Kannibalismus, allgemein mit Mordlust und wilder Grausamkeit in Verbindung gebracht. Der Wahnsinn des Magiers kommt nicht von ungefähr: Er hat einen Pakt mit finsteren Mächten geschlossen, er ist ein larvatus, ein Mensch, der mit bösen Geistern im Bunde ist, die er auch gezielt gegen seine Mitmenschen loslassen kann. Da er selbst von diesen Dämonen besessen ist, gebärdet er sich bei seinen magischen Handlungen wie ein Wahnsinniger und wird vom furor kontrolliert. Religiöse Normen und moralische Grenzen kennt der magus nicht. Diesem Charakter entsprechend meidet er das Betreten von Tempeln. So wird der ma­ gus schließlich in juristischer Terminologie zum absoluten maleficus, zum allgemeinen Übeltäter erklärt. Plinius der Ältere sagt, der Magier handle aus Menschen- und Götter-

Hexen im alten Rom

hass, da er die Gottheiten in seinem persönlichen Machtinteresse missbrauche und gegen seine Mitmenschen funktionalisiere. Zudem äußert Plinius seine Skepsis gegen den Magier als Betrüger. Die wirtschaftliche Ausbeutung leichtgläubiger römischer Bürger ist in Bezug auf sämtliche Vertreter der privaten Wahrsagerei ein Thema. Das prominenteste Beispiel für eine wegen persönlicher Bereicherung durch magische Künste angeklagte Persönlichkeit ist wohl Apuleius von Madaura, der sich selbst jedoch erfolgreich gegen diesen Vorwurf verteidigt. Der aus Nordafrika stammende Anwalt, Schriftsteller und Philosoph, der ein breites Interesse an magischem und esoterischem Wissen hat – er lässt sich beispielsweise in die Mysterien der Isis einweihen –, wird als Prototyp einer Generation junger Männer im 2.  Jh. n.  Chr. aufgefasst, die der Magie nicht nur aufgeschlossen gegenüberstehen, sondern sich ihr ausgesprochen zugetan zeigen; ihr magisches Interesse und Fachwissen ist beträchtlich. Für die Mehrheit der Römer scheint in der Tat nicht das betrügerische Potential der Magier, sondern die tatsächlich geglaubte Wirkmacht ihrer Künste das entscheidende Kriterium dafür zu sein, dass Hexer als grundgefährliche Personen eingestuft werden müssen, sofern sie keine lauteren Absichten hegen.

Abb. 26 Das Gegenteil einer Saga: die, meist wohlhabende, römische Frau. Faustina die Ältere; Gemahlin des röm. Kaisers Antoninus Pius; 104–141 n. Chr. Kopf einer Statue oder Büste aus Kyrene (Schahhat, Cyrenaika, Libyen), Haus des Apollonpriesters Jason Magnus. Kyrene, Museum.

Hexen

Von Hexen, sog. sagae, ist im alten Rom v. a. in der an griechischen Vorbildern orientierten Dichtung die Rede. Sie spielen besonders im Rahmen des von den Liebeselegikern geschilderten Weissagungs-, Liebes- und Schadenzaubers eine entscheidende Rolle. Zum Typus der Hexe gehören ein hohes Alter und ein hässliches, mitunter groteskes Aussehen, das sich mit Triebhaftigkeit, Egoismus, Grausamkeit und Trunksucht paart (Abb. 26). Petron parodiert das Hexenwesen mit seiner Oenothea, die schon durch ihren griechischen Namen als «Weingöttin» auf ihre Vorliebe für Alkohol festgelegt wird. Schon zu Plautusʼ Repertoire gehört die komische Figur der alten, trunksüchtigen, mit speziellem Zauberwissen begabten Kupplerin. Horaz behandelt den Gegenstand auch mit einem

Gutteil Ironie. Spätestens der Alterszauber, den er seinem lyrischen Ich von der rachsüchtigen Canidia in der 17. Epode anhängen lässt, weist darauf hin, dass er nicht im Ernst von der Magie redet. Darüber hinaus ist die Hexe nicht nur bei Horaz, sondern auch bei den Satirikern Petron (ca.  14–66 n.  Chr.), Martial (ca.  40–104 n.  Chr.) und Juvenal (1./2.  Jh. n.  Chr.) ein beliebtes Spottobjekt. Bei Lukan hingegen wächst die Hexe mit der Totenbeschwörerin Erichtho zu einer grausigen und tragischen Gestalt, welcher die komischen Elemente der Hexendarstellungen von Komödie, Satire und Liebeselegie fehlen – was der generellen düsteren Stimmung lukanischer Dichtung entspricht. Erichtho 53

Die Magieexperten

haust auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges und missbraucht Körperteile gefallener, nicht bestatteter Soldaten für furchterregende Beschwörungsriten, durch welche sie sich dienstbare Geister beschafft. Möglicherweise wird in der Unterhaltungsliteratur mit allzu naiven Vorstellungen des einfachen Volkes gespielt. So machen sich Hexen nach dem Glauben der Menschen beispielsweise in nächtlichen Naturgeräuschen, v. a. im Wispern des Weidenbaumes, bemerkbar. Hinter all diesen literarischen Zeichnungen von magiekundigen Frauen steht zweifelsohne eine gesellschaftliche Realität. Gerade die Spottgedichte der Satiriker legen nahe, dass es für ihre Gedichte konkrete Vorbilder gibt. Es ist anzunehmen, dass das relativ klar umrissene, einheitliche Hexenbild der Literatur eine künstliche Verschmelzung unterschiedlicher realer Existenzformen sog. Hexen darstellt. In der Epigraphie ist ein vereinzelter Hinweis darauf zu finden, dass ein Kind durch eine Hexe getötet worden sei. Nach der Übersetzung von Graf lautet es: «In mein viertes Jahr heranwachsend, wurde ich gepackt und getötet, wo ich doch der Liebling von Mutter und Vater hätte sein können. Es holte mich einer Hexe Hand, überall grausam, solange sie auf Erden weilt und durch ihre Tätigkeit schadet.» Über die Hintergründe und das eigentliche Wesen der damit bezichtigten Frau ist nichts zu erfahren. Die folgenden Ausführungen bieten einige Möglichkeiten der Interpretation an.

Gewöhnliche Matronen Ganz gewöhnliche römische Ehefrauen und Mütter können unter Umständen als Hexe bezichtigt werden: Im Jahre 23/24 n. Chr. wird auf Grundlage der Lex Cornelia ein Prozess gegen die Römerin Numantina geführt, die ihren ExMann Silvanus, der sich von ihr getrennt hat, durch venenum, was sowohl Giftmischerei als auch Hexerei bedeuten kann – möglicherweise in einer Kombination von beidem  – zunächst in den Wahnsinn und dann in den Selbstmord getrieben haben soll. Horaz lässt sein lyrisches Ich in der dritten Epode behaupten, von Canidia bei einem Gastmahl vergiftet worden zu sein. Der gemeinschaftsschädigende Aspekt 54

der Hexen tritt hier deutlich zutage. Handlungsmotive der Frauen, die ihre eigenen Männer bzw. Liebhaber zugrunde richten, sind natürlich unkontrollierte Gefühle wie Neid und Rachsucht; letztlich handelt im Grunde der fu­ ror, der emotionale Wahnsinn, von dem sich die Frauen aus römischer Sicht allzu leichtfertig lenken lassen. Besonders Kneipenwirtinnen werden aufgrund ihrer Beziehung zum Alkohol mit Raserei und unbeherrschter Begierde, aber auch mit Magie in Verbindung gebracht. Apuleius schildert mit den Hexen Meroe und Pamphile Wirtsfrauen, die gewohnt sind, sich ihre Hausgäste oder andere Männer mit Hilfe magischer Tränke oder sonstiger Zaubermittel gefügig zu machen, um sie sexuell und finanziell ausbeuten zu können. Wenn die Frauen genug von ihrem Verhältnis haben, schrecken sie auch nicht vor Mord zurück, um die Liebesgespielen wieder loszuwerden.

Seherinnen Die Historiker berichten von berühmten Prophetinnen, die Begleiter großer Staatsmänner waren: Eine wandernde syrische Seherin namens Marta soll Marius auf seinen Kriegszügen begleitet haben, die von Horaz erwähnte Sagana soll angeblich eine Hexe im Besitz des Sextus Pompeius gewesen sein – in diesem Falle verweist der Name Sagana schon auf das vorgebliche Wesen dieser Frau als saga. Inspirierte Prophetinnen bzw. Seherinnen, hariolae, die zum Teil von politischen Persönlichkeiten konsultiert werden, scheinen also für die Römer eine Art von sagae zu sein. Wenn das Wort saga zu dem lateinischen Adjektiv sagax – «scharfsinnig» in Beziehung zu setzen ist, bringt dies die grundlegende Eigenschaft der Seherin, überdurchschnittlich geschärfte Sinne zu haben, treffend zum Ausdruck. Ein Negativbeispiel dieser Hexenart ist die als inspirierte Prophetin geschilderte Begleiterin des Spartacus, der eine maßgebliche Rolle im Sklavenaufstand zuteil wird. Hier lehnt sich eine Hexe gegen die öffentliche Ordnung auf. Zur Untermauerung der negativen Einordnung dieser Hexe passt deren angebliches Selbstbekenntnis als Anhängerin der Dionysos-Mysterien, also eines Kultes, der den Inbegriff von Rausch und verzückter Raserei darstellt und im Jahr 186

Hexen im alten Rom

v.  Chr. wegen maßloser orgiastischer Ausschweifungen staatlich reglementiert wird. Im 1. Jh. n. Chr. warnt der Bauernschriftsteller Columella (ca. 4–70 n. Chr.), in Anlehnung an Cato, in seiner Lehrschrift über die Landwirtschaft vor einer Konsultation von sagae, die von manchen Landwirten offenbar zu Rate gezogen werden, um Prognosen über die Wetterentwicklung und die Erntebedingungen zu erstellen. Anscheinend gibt es zu sämtlichen männlichen Mantikexperten östlicher Prägung, die dem römischen Volk ihre zweifelhaften wahrsagerischen Dienste gegen gutes Geld anbieten und von der Regierung immer kritisch im Auge behalten werden, weibliche Entsprechungen wie die coniectrix, die Traumauslegerin, die haruspica, die Eingeweideschauerin, und die Himmelsbeobachterin. Ein Arbeitsfeld, auf dem die saga sich – als Gegenstück zu sagus bzw. vates, Wahrsager oder Seher – in unterschiedlichen Formen betätigt, ist also die private Mantik, die man auch als Jahrmarktswahrsagerei bezeichnen könnte. Dieser Lebensbereich bietet wahrscheinlich die realen weiblichen Vorbilder für die literarischen Seherinnen, die als grausame und verbrecherische, gegen die Religion und die öffentliche Ordnung stehende Totenbefragerinnen inszeniert werden. Neben den auf Topoi der griechischen Literatur zurückgehenden fiktiven Elementen bestimmen die großen mythologischen Hexenfiguren Griechenlands, Circe und Medea, die literarische Zeichnung der Seherinnen, die dem Klischee des orientalischen bzw. weiblichen Wahnsinns voll entsprechen (Abb.  27). Auch die Unterweltsgöttinnen östlicher Herkunft, die von den Frauen in ihren Ritualen beschworen werden, sind im Grunde Personifikationen der weiblichen Raserei. Das negative Frauenbild der anus delirans, der spinnenden Alten, prägt das seltsame und schändliche Treiben, das den Wahrsagerinnen unterstellt wird. Martial «trauert» auf seine Weise über den Tod der Hexe Philacnis, der er wünscht, die Erde möge leicht auf ihr liegen, damit die Hunde ihre Gebeine ausbuddeln könnten als «Belohnung» für das, was sie zu ihren Lebzeiten mit den Leichnamen

anderer Leute getan habe. Hier wird auf die gezielte Suche nach Leichenteilen angespielt, die als Mittel zur Geisterbeherrschung gesehen werden. Das erwähnte Grabepigramm, in welchem der durch eine Hexe verschuldete Tod eines Kindes beklagt wird, lässt Raum für Spekulationen darüber, ob auch im echten Leben Frauen als Hexen zu wahrsagerischen Zwecken Kinder rituell getötet haben könnten – zu mehr als solchen Spekulationen reicht die Quellenlage jedoch nicht.

Heilerinnen Varro erwähnt in seinem Werk über die Kindererziehung eine praecantrix, eine Vorsängerin, die von den Müttern zur vorbeugenden und akuten Heilbehandlung ihrer Kinder hinzugezogen wird. Plautus gibt den Hinweis, dass diese Heilfrau am 19. jedes Monats bezahlt werde; sie ist also schon zu Be-

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Abb. 27 Kirke verwandelt die Gefährten des Odysseus in Schweine, Detail. Beldam-Maler, 1. Viertel 5. Jh. v. Chr. Athen, Archäologisches Nationalmuseum.

Die Magieexperten

ginn des 2.  Jhs. v.  Chr. eine Institution. Die Arbeit der praecantrix besteht in erster Linie im Singen von Schutz- und Heilformeln für das Kind, durch die drohende Krankheiten gebannt und akute Leiden aus dem Kind herausgezogen werden sollen. Vermutlich ist gegebenenfalls eine Heilbehandlung durch bestimmte Kräutermixturen eingeschlossen. Die Heilfrauen scheinen nicht vereinzelt, sondern in kleinen Gruppen zu arbeiten; über hierarchische Strukturen ist nichts bekannt. Bemerkenswert an den praecantrices ist das Faktum, dass sie nur von Frauen konsultiert zu werden scheinen und sowohl der männlichen Hausmedizin als auch den klassischen Ärzten vorgezogen werden. Die Neigung der Frauen, ihre Kinder in Gesundheitsfragen nicht den Vertretern des medizinischen Mainstreams, sondern den traditionellen römischen praecantrices anzuvertrauen, verweist auf einen gesellschaftlichen Bruch, der sich zwischen der Hausvätermedizin und der griechischen Gelehrtenmedizin auf der einen Seite und dem volkstümlichen Erfahrungswissen kräuterkundiger Frauen auf der anderen Seite abzeichnet und zugleich einen Genderkonflikt beinhaltet. Die römische Ärztemedizin ist, nach ihrem griechischen Vorbild und genauso wie die traditionelle medicina domestica, die vom Familienoberhaupt verwaltete Hausapotheke, klar vom männlichen Geschlecht bestimmt. Sie enthält jedoch weit weniger magische Anteile als die volkstümliche römische Heiltradition, sondern hat vielmehr einen rationalistischen Anspruch, weshalb sie sowohl der traditionellen Hausvätermedizin als auch der Heilfrauenkunst mit einer gewissen Herablassung gegenübertritt. Während die häusliche Medizin allmählich von der griechischen Ärztekunst abgelöst wird, scheint die Beliebtheit der heilenden sagae bei den Frauen ungebrochen. Diesen Umstand dürften die Ärzte als störende Behinderung des Siegeszuges ihrer Heilwissenschaft empfinden. So wird teilweise eine rationalistische Argumentation gegen die Heilfrauen vorgebracht, in deren Kontext diese mit irrigen, überholten Ansichten und wahnsinnigen Vorstellungen in Beziehung gesetzt werden. Zu verwei56

sen ist in diesem Kontext auf den Arzt Galen (ca.  130–200 n.  Chr.), der die Heilkunst der Frauen abschätzig als «Altweibermärchen» tituliert. Tatsächlich dürften der Neid und die begründete Angst der Ärzte, durch die Heilfrauen eine echte Konkurrenz auf ihrem Gebiet zu erfahren, eine wichtige Rolle bei der Verunglimpfung der Kräuterfrauen spielen. So werden diese als sagae superstitiosae, «abergläubische Kräuterhexen», sogar als ve­ neficae, «Giftmischerinnen», diskreditiert. Es kann gut sein, dass sogar der oben erwähnte epigraphische Vorwurf der Tötung eines Kindes durch eine Hexe mit einer praecantrix in Verbindung zu bringen ist. Das esoterische Wesen ihrer Heilkunst regt letztlich zur Unterstellung krimineller und magischer Handlungen an. Der fragwürdige bis abstoßendnegative Charakter der Zutaten, welche die Heilfrau für ihre Künste benötigt, z. B. Teile toter Lebewesen, trägt dazu bei, das Bild der wahnsinnigen und gefährlichen Hexe zu komplettieren. Tatsächlich ist das Motiv der ekelerregenden Zutaten aus einer verschlüsselten Fachsprache der Heilfrauen erwachsen, die völlig harmlose Gegenstände mit abstoßenden Bezeichnungen belegt. So steht z. B. Schlangenblut für Hämatitstein, Krokodilskot für äthiopisches Gras. Die anscheinend als notwendig erachtete Maßnahme einer nur Eingeweihten verständlichen Sprache verweist möglicherweise auf die von den Frauen empfundene Bedrohung ihres traditionellen Status durch die offizielle Ärztemedizin, gegen deren wachsende Macht sie sich schützen wollen, offenbart auf jeden Fall den esoterischen Charakter ihrer Kunst. Der Einfluss der römischen Heilfrauen ist groß; nicht nur Kinder scheinen zu ihren Patienten zu gehören. Tibull berichtet über die Konsultation einer Gesundbeterin zur Heilung seiner erkrankten Freundin und die Anwendung von carmina magica. Magische Gesänge werden bei Bedarf von den Heilfrauen selbst komponiert. Die männlichen Anhänger der traditionel­ len Hausvätermedizin nehmen letztlich, trotz ihrer größeren Nähe zu magisch-medizinischem Denken, keine positivere Haltung zu den Heilfrauen ein als die Vertreter der modernen Heilwissenschaft. Die skeptische Ein-

Hexen im alten Rom

stellung des römischen Mannes zu den prae­ cantrices ist wohl schlicht darauf zurückzuführen, dass ihm alles, was mit einer zu großen Eigenständigkeit der Frau zu tun hat und ein Gebiet eröffnet, auf dem die Frauen den Männern ihre Herrschaft streitig machen könnten, verdächtig erscheint. In puncto Ansehen ist deshalb mit der praecantrix die Hebamme vergleichbar, die in den Bereichen Abtreibung und Geburt Expertin für ein Gebiet ist, von dem sich der Mann aus natürlichen Gründen weitgehend ausgeschlossen sieht, weshalb es denkbar ist, dass die männlich dominierte Medizin in diesem Bereich gewisse Minderwertigkeitsempfindungen zu kompensieren haben könnte. Wenn das Wort saga ursprünglich mit dem Adjektiv sagax – «scharfsinnig» verbunden ist, dürfte die Bezeichnung saga für die Heil-

frauen zunächst eine positive, ihre Klugheit anerkennende Bedeutung besessen haben. Die Weisheit der Heilfrauen dürfte von ihrem Alter und ihrem Erfahrungsschatz herrühren, auch von dem Wissen, das ihnen von älteren sagae weitergegeben wird, und sicherlich nicht zuletzt von einer besonders wachen und aufmerksamen Wahrnehmung der Natur als einer besonderen Gabe und Lebenseinstellung, die mit einem tieferen Verstehen natürlicher Prozesse und Zusammenhänge einhergeht. Sogar die mythologische Hexe Circe, welche die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt, könnte in einer ursprünglichen Fassung der Sage eine kräuterkundige Frau gewesen sein, die nicht das menschliche Erscheinungsbild der Männer verändert, sondern von einer halluzinogenen Droge wie dem Stechapfel oder

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Abb. 28 Hekate und Klytios, helle­ nistisch, um 180 v. Chr. Zeus-Altar von Pergamon. Berlin, Pergamon-Museum.

Die Magieexperten

der Tollkirsche Gebrauch macht, um Orientierungslosigkeit, Erinnerungsverlust und Wahnvorstellungen bei ihren Opfern auszulösen, weshalb diese sich, eingesperrt in einen Stall, einbilden, Schweine zu sein. Das Wissen um geheime Heilkräfte der Natur und das damit verbundene Sammeln bestimmter Kräuter zu besonderen Zeiten dürfte tatsächlich die harmlose Grundlage für den Topos der alten Hexe sein, die sich nachts in Wäldern und auf Friedhöfen herumtreibt, um magische Zutaten zu sammeln. Zur Zeitenwende aber erfährt das Wort saga für die Heilfrauen eine negative Aufladung, eben im Sinne einer «Kräuterhexe», die in ihrer eigenen kleinen Welt lebt und eigenartige Vorstellungen hat, ja sogar Sakrilege begeht, um ihre Magie betreiben zu können. Diese Herabsetzung der Kräuterfrauen hat eine interessante Entsprechung in der Geschichte der Göttin Hekate, die ursprünglich die Männer ernährt und den Ärzten das Heilwissen überbringt, zur Zeitenwende aber zur Männer fressenden Hexe mutiert (Abb. 28).

Prostituierte Die Verbindung des weiblichen Geschlechtes mit dem Vorwurf der Hexerei von männlicher Seite führt auf ein Hauptfeld der magischen Betätigung von sagae, das in zahlreichen von den Liebesdichtern beschriebenen Affären, aber auch in den Skandalen und Verwicklungen von Satire und Komödie zu Buche schlägt: das Geschäft mit dem Eros bzw. mit der Sexualität. Im Bereich des Liebeszaubers ist die saga Mitglied der Halbwelt von lenae, Kupplerinnen, und meretrices, Freudenmädchen. In Anlehnung an das griechische Hetärenwesen stellt die lena, im Gegensatz zu einfachen Bordellbesitzern, die für den Vertrieb billiger Straßen- und Winkelprostituierten zur sexuellen Befriedigung der breiten Masse zuständig sind, einen weiblichen Escortservice zur Verfügung. Ihre Mädchen verfügen über eine gewisse Grundbildung, die nötig ist, um sich angemessen in der höheren Gesellschaft zu bewegen. Bei den dominae, denen die Elegiker verfallen sind, dürfte es sich um eigenständige Kurtisanen mit besonderem Anspruch handeln. Der vornehme Schein dieser 58

Halbwelt trügt aber, insofern das reale Leben der oberflächlich gebildeten Hetären alles andere als leicht und abgesichert ist. Auch wenn es in der – wohlgemerkt männlichen – höheren Gesellschaft nicht als Schande gilt, die Dienste von Hetären gelegentlich in Anspruch zu nehmen, so ist der soziale Stand dieser Berufsgruppe, ähnlich dem der Schauspieler und Wagenlenker, aus gesellschaftlicher Sicht als sehr niedrig einzustufen. Daher leben die meretrices und ihre lenae als Agentinnen bzw. Zuhälterinnen stets an der Armutsgrenze und sind existentiell auf das Geld ihrer männlichen Klienten angewiesen. Die Trinkfestigkeit ist ein Merkmal des «horizontalen Gewerbes», weil der Alkohol im Leben einer Prostituierten aus zwei Gründen eine wichtige Rolle spielt: Zum einen soll er den harten Alltag erträglicher erscheinen lassen. Zum andern ist der Alkohol als enthemmendes Mittel für die Beschäftigungsart der Prostituierten dienlich. Gezielt werden die meretrices schon in früher Jugend – sie beginnen ihren Dienst mit etwa dreizehn Jahren  – an den Alkohol herangeführt, weil es ihren lenae dadurch leichter fällt, sie im Sinne ihres Gewerbes gefügig zu machen. Der gezielte Alkoholkonsum gehört also, auf makabre Weise, wie Singen und Tanzen zur Grundausbildung einer Hetäre. Ordentliche römische Frauen halten sich vom Wein fern. Aus dieser geradezu professionellen Verknüpfung von Alkoholrausch und Erotik in der Prostitution ist der Figur der Hexe das triebhafte, geschlechtliche Element, das sich hervorragend mit dem zügellosen orientalischen furor griechischer Hexenfiguren verbinden lässt, als ein Grundzug ihrer polemisierenden Darstellung zugewachsen. Hier hat die alte und trunksüchtige Kupplerin der Komödie ebenso wie die erschreckend grausame und doch auch lächerliche Hexe der Satire und der Liebeselegie ihre Ursprünge. Auch das zentrale Element der Zauberfähigkeit von lenae und meretrices hat seinen Sitz im realen Leben. Freilich ist es zunächst kein seltenes Vorkommen, dass Männer sich von dem erotischen Zauber bestimmter Frauen in einem übertragenen Sinne «behext» fühlen. Natürlich ist der populäre Topos des weiblichen Liebeszaubers

Hexen im alten Rom

auch damit zu erklären, dass sich der männliche Teil der Gesellschaft auf diese Weise ein Stück weit von der Verantwortung für erotische Neigungen, die nicht den Konventionen entsprechen, befreien kann. Tatsächlich aber ist die venefica sowohl als Magierin ebenso wie als Giftmischerin ein realer Bestandteil des römischen Prostitutionsgewerbes. Sogar das ganze Leben einer Prostituierten kann als veneficium, Giftmischerei oder Zauberei, bezeichnet werden, was sowohl eine übertragene Bedeutung hat, insofern die Frauen die Männer bezaubern oder mit dem «Gift» ihrer weiblichen Natur affizieren, als auch ganz wörtlich zu verstehen ist. Zwar ist nicht jede Dirne eine praktizierende Hexe, aber zumindest theoretisch kennt sie sich mit der Liebesmagie aus, weil dieser Bereich zu ihrem Geschäft gehört und es immer notwendig ist, sich gegen die zaubernde Konkurrenz behaupten zu können. In diesem Rahmen wenden Kupplerinnen bzw. Prostituierte mitunter auch Bindezauber gegeneinander an. Weil der Konkurrenzdruck hoch ist und die Gegnerin einem stets durch magische Praktiken voraus sein kann, muss die Prostituierte sämtlicher Kampfmittel kundig sein, und wenn veneficia, die als Salben, Duftöle usw. der Körperpflege und der Kosmetik dienen, in Verbindung mit natürlichen Reizen und erlernten Verführungskünsten nicht ausreichen, um den Kundenstamm zu erhalten, sind eben magische Mittel als ve­ neficia zu gebrauchen. Die permanente Existenz an der Armutsgrenze zwingt zum magischen Handeln. Die lena als Ex-Prostituierte, die zu alt dafür geworden ist, ihren eigenen Körper zu verkaufen, ist auf die Einnahmen ihrer me­ retrices angewiesen. Horazens Sagana und ihr derbes Ritual, das sie mit zwei Helferinnen durchführt, sind ein literarischer Ausdruck dieser verarmten alten Ex-Hetäre und ihrer Not: Die Frau ist so verzweifelt darum bemüht, einen alten Liebhaber, der sie aufgrund ihrer vergangenen Reize verlassen hat, wieder an sich zu binden, dass sie sogar vor Kindesentführung und grausamem Mord als magischem Hilfsmittel nicht zurückschreckt: Blut und Knochenmark eines freigeborenen Jungen, der bis zum Kinn in den

Erdboden eingegraben wird, sollen in Kombination mit der besonderen Qual des Opfers einen Zaubertrank zustande bringen, der stärker als das Mittel der Konkurrentin ist. In einem anderen Gedicht schildert Horaz, wie Sagana gemeinsam mit ihrer Kollegin Canidia ein Ritual zur Beschwörung von Geistern durchführt. Ein hölzerner Priapus, der das Treiben der Hexen beobachtet und als Ich-Erzähler beschreibt, lässt vor Grauen einen so heftig krachenden Wind fahren, dass es ihn in der Mitte zerreißt und die Hexen erschrocken das Weite suchen. Damit erfüllt der Priapus seinen eigentlichen Zweck: Die Abwehr des Bösen. Die komikhafte Darstellung der Hexenflucht deutet einen durch Alter und Armut beeinträchtigten körperlichen Zustand der zaubernden Frauen an: Sagana verliert ihre Perücke, Canidia ihr Gebiss. Der Grausamkeit der Hexe Sagana liegen also letztlich existentielle Not und tiefe Verzweiflung zugrunde. Damit verweist die fiktive saga auf reale Lebensbilder aus der Prostitution. In der ständigen finanziellen Abhängigkeit von der Gunst eines Freiers sind die erotischen Verführungskünste und damit verbunden die Magie die einzigen Mittel, welche die mere­ trices vor einem Dasein in Armut, Kälte und Hunger bewahren können. Deshalb sind Lesen und Schreiben wichtige Grundkompetenzen einer Hetäre. Es geht nicht nur darum, in der gehobenen Gesellschaft Konversation betreiben zu können, sondern ganz konkret auch darum, in der Lage zu sein, magische Rezepte und Flüche zu lesen und zu kopieren. Die Zauberformeln, verfasst in einer magischen Sprache, die möglicherweise aus fremdländischen, vorrömischen oder gar der Phantasie entsprungenen Worten besteht, erscheinen schon den Gelehrten im Umfeld der Zeitenwende als unlösbares Rätsel. Sie könnten aufgrund ihrer Unverständlichkeit als Ausdruck des Wahnsinns gedeutet werden. Vor allem grenzen sie aber durch ihre fehlende Allgemeinverständlichkeit NichtEingeweihte von dem esoterischen Wissen, das hier faktisch Macht bedeutet, aus. Die rituelle Wiederholung der Zaubersprüche in mantrischer Form besitzt möglicherweise eine Trance-Funktion, soll also die saga in einen ekstatischen Zustand versetzen. 59

Die Magieexperten

Das magische Treiben der Prostituierten dreht sich in erster Linie darum, Männer als Freier anzuziehen, sie gleichsam in den Bann zu schlagen, und sie den Ehefrauen und anderen Prostituierten abzuziehen. Es sind Fluchtäfelchen erhalten, die diesen Zweck bezeugen. Mit ihrer Hilfe kann eine Frau die Sexualität ihres Geliebten bei dessen Kontakt zu anderen Frauen lahmlegen, damit er seine «Männlichkeit» allein in ihrer Gesellschaft auslebt und letztlich bei ihr bleibt. Properzens Cynthia klagt darüber, dass ihr Liebhaber fremdgegangen ist, und schreibt dies nicht dem Wesen der anderen Frau, sondern deren Zauberkünsten zu. Properz schildert auch eine Szene, die Cynthia ihrem Liebhaber macht, als sie diesen beim Fremdgehen mit zwei anderen Prostituierten ertappt. Bevor sie den reuigen Properz zu sich zurückkehren lässt, räuchert sie alles, was die anderen Mädchen berührt haben, aus und berührt den Kopf des Liebhabers dreimal mit Schwefel; sie reinigt Properz und das Liebeslager also rituell, um die magischen Einflüsse der Konkurrentinnen zu unterbinden. Zum subjektiv von den Männern empfundenen Eindruck, dass sie von ihren amicae, ihren «Freundinnen», auf magische Weise beherrscht werden, passt der elegische Begriff der domina, der die «liebenden» Männer geradezu willenlos ausgeliefert sind. Properz rechtfertigt sich in diesem Sinne für die Liebe zu seiner domina, gegen die er sich nicht wehren könne, und vergleicht seine Herrin mit der mythologischen Hexe Medea. An anderer Stelle klagt er darüber, dass der Rhombus verstummt sei und Luna, der Mond, nicht mehr vom Himmel gezogen werde, kurz, dass die Magie brach liege, weil Cynthia erkrankt sei und ihm, dem Liebhaber, infolgedessen die «Liebe» fehle, von der er – wie von einer Droge – abhängig sei. Bei den magischen Operationen der Prosti­ tuierten geht es auch um die Erstellung von Mitteln zur Kräftigung oder zur Abschwächung der männlichen Potenz. So lässt Ovid in seinen Amores das lyrische Ich über Impotenz klagen, die durch thessalische Gifte bzw. Sprüche bewirkt worden sein könne. Petron beschreibt im Satyricon mit seiner Oenothea eine alte Vettel, die dem jungen Encol60

pius seine Manneskraft zurückbringen soll. Auf zeitlos komische Weise wird erzählt, wie ungeschickt die Alte zunächst das magische Ritual vorbereitet und dabei fast ihre Behausung verwüstet und wie Encolpius aufgrund der drastischen Zauberbehandlung, zu der auch die Verwendung eines ledernen Priap – einer Nachbildung des männlichen Geschlechtsteils – gehört, aus dem Haus flieht, woraufhin ihn die lüsterne Alte mit einer Brennnesselrute durch die Stadt jagt. Gelegentlich geht es beim Liebeszauber auch um die Bereitstellung von Mitteln, mit deren Hilfe Untreue vor dem Partner zu verbergen ist. So versucht Tibull die Furcht seiner Geliebten, von ihrem Mann des Fremdgehens überführt zu werden, mit einem in Auftrag gegebenen Blendezauber zu beschwichtigen. Im Großen und Ganzen stehen beim Liebeszauber also immer wieder magische Kämpfe um amouröse Beziehungen im Vordergrund. All die hier beschriebenen Vorgänge sind grundsätzlich auch im realen Leben anzunehmen. Dabei dürfte die Magie den Prostituierten letztlich nicht nur als Mittel zum Zweck der eigenen Existenzsicherung dienen, sondern als eine Art Nebenzweig des Gewerbes fungieren, insofern die meretrices bzw. lenae als Expertinnen für Zauberei auf dem Liebesgebiet auch gegen Bezahlung magische Dienstleistungen anbieten. Es ist gut vorstellbar, dass so manche eifersüchtige oder betrogene Privatperson bei diesen Hexen einen Trennungszauber in Auftrag gibt. Der Dichter Properz lässt sein lyrisches Ich ob der Sprödigkeit der Geliebten darüber klagen, dass ein Zauber, der wohl von einem Nebenbuhler bei einer anderen Hexe eingekauft worden sein dürfte, ihm seine Geliebte entfremdet habe. In ein Grenzgebiet der Medizin bzw. in eine Grauzone der anerkannten Heilwissenschaft kann das kommerzielle Handeln der Prostituierten ebenfalls hineinragen: Geschlechtskrankheiten, die landläufig, wie Potenzprobleme, weniger als Erkrankung denn als Fluch gesehen werden, obliegen ihrer Behandlung, und auch die Abtreibung ungewollter Schwangerschaften gehört zu ihrem Metier – sogar das Töten Neugeborener wird im Rahmen einer Beseitigung unerwünsch-

Hexen im alten Rom

ten Nachwuchses dem Zuständigkeitsbereich von Prostituierten zugeordnet. Es geht sogar das Gerücht, die sagae hätten die Kinder in

ihrem Gewand erstickt. An dieser Stelle erscheint das Bild der Kinder mordenden Hexe in einem ganz anderen Licht.

Fazit

Z

auberei hat in Rom eine lange Tradition, v. a. in den Bereichen Weissagung, Liebe und Verfluchung. Da, wo Zauberei zum Schaden Dritter verwendet wird, wird sie schon im Zwölftafelgesetz um 450 v.  Chr. unter Strafe gestellt. Im 1. Jh. v. Chr. beginnt sich die volkstümliche Zauberei mit der magischen Wissenschaft aus dem Orient zu vermischen und es entsteht eine neue große Zauberwelle, die den Magiebegriff hervorbringt. Die Dichtung greift das Thema dankbar auf. Wie wohl auch in der Realität sind neben der Wahrsagung die Liebes- und die Schadensmagie am populärsten; letztere ist durch eine große Anzahl von Fluchtäfelchen belegt. Der Heilungszauber hebt sich nicht sehr von den religiösen Gebräuchen ab. Die kosmische Magie, die Veränderung der Naturgesetze wie das Herabziehen von Sternen und die Verwandlung von Menschen oder Gegenständen, sind vorrangig ein Produkt der Literatur. Real ist allerdings der Glaube an männliche und weibliche Hexen. Die Magier gelten oft als

Scharlatane, die durch ihre Tricks das Volk verführen. Sie können allerdings auch echte magische, oft hellseherische Fähigkeiten haben. Sie gelten als Besessene, die mit bösen Geistern paktieren und der öffentlichen Ordnung schaden. Daher werden sie immer wieder zusammen mit anderen Zukunftsdeutern aus Rom ausgewiesen. Die Hexe ist ein beliebtes Spottmotiv in Dichtung, Satire und Komödie. Sie wird als alte, törichte und grausame Kupplerin oder Wahrsagerin mit ausgeprägtem Hang zur Trunksucht inszeniert. In der Realität gibt es verschiedene Vorbilder für diese literarische Figur: gewöhnliche Frauen, die ihre Männer durch Hexerei und Gift zugrunde richten, weissagende Frauen, die als Jahrmarktsgauklerinnen das Volksinteresse an persönlicher Zukunftserkundung befriedigen, Heilfrauen, die über ein geheimes Kräuterwissen verfügen, und Prostituierte, die durch magische Mittel vermögende Männer an sich binden wollen, um persönlicher Altersarmut vorzubeugen.

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UNTOTE, BLUTSAUGER UND MENSCHENFRESSER – UNHEIM­L ICHE NACHTGESTALTEN IM ALTEN ROM

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er hat Angst vorm Schwarzen Mann? Nicht zu unterschätzende Träger und Verbreiter der Vorstellung diverser Schreckfiguren sind die römischen Nährmütter, die im Rahmen ihres Erziehungsauftrages den Kindern sog.  Ammenmärchen erzählen und ihnen einen Glauben an bedrohliche Wesen vermitteln, der sie vor Orten und Situationen mit realem Gefahrenpotential abschrecken und schützen oder aber auch einfach nur einen aus Angst motivierten Gehorsam bewirken soll – die Ungeheuer der kindlichen Albträume werden also als Erziehungshilfen missbraucht. Dabei spielen oft bekannte Horrorfiguren aus der griechischen Mythologie eine Rolle. Dieser ursprüngliche, schwarzpädagogische Zweck der Erzählung von schaurigen Gestalten lässt sich wohl in allen Zeiten und Kulturen wiederfinden, weshalb es auch bei uns eine Vielzahl an Kinderschreckfiguren gibt wie beispielsweise den Stoßbuben aus dem süddeutschen Raum, der Kinder von Abhängen stößt, wenn sie diesen zu nahe kommen, oder die dämonische Roggenmuhme, die Kindern im Kornfeld auflauert, um sie zu quälen und sie aufzufressen. Auch der böse Wassermann wartet nur darauf, unvorsichtige Kinder in sein Element zu ziehen. Zum Teil scheinen die Erzählungen über sol-

che Kinderschrecke mit einer Prise sadistischer Freude daran, die Kinder Bange zu machen, gewürzt zu sein. Das ist auch im alten Rom der Fall. Anscheinend sind aber sogar erwachsene Römer vor der Furcht, den Schreckfiguren der Ammenmärchen und den phantastischen, unheimlichen Wesen der griechischen Mythen doch einmal in der Realität zu begegnen, nicht gefeit. So droht man beispielsweise unartigen Kindern gern mit den Larven, den schrecklich aussehenden bösen Nachtgespenstern, damit sie im Dunkeln nicht das Haus verlassen – und der Glaube an diese Geisterart ist so tief in der römischen Vorstellungswelt verankert, dass sie selbst bei einem Großteil der Erwachsenen noch Furcht erregt. Wenn Petron in seiner Cena Trimalchionis auf einen Ritus des Tischküssens hinweist, der die Heimkehrer vor unheimlichen Überfällen aus dem Dunkel der Nacht bewahren soll, so weist die Darstellung wohl auf einen üblichen volkstümlichen Brauch hin. Die paranormalen Wesen, vor denen man sich im alten Rom fürchtet, wenn man nachts allein nach Hause gehen muss, sind nicht nur Geister und Hexen, sondern auch die von Ammenmärchen und griechischen Mythen ständig neu beschworenen Untoten, Blutsauger und Menschenfresser.

Wiedergänger

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ls Wiedergänger oder Untote sollen hier Gestalten bezeichnet werden, die mit toten Menschen gleichzusetzen sind, die nach ihrer Bestattung wieder unter den Lebenden auftauchen, allerdings nicht in unsichtbarer oder geisterhafter Form, sondern mit ihren 64

Körpern, sprich, als leibhaftig umgehende Leichname, die sich von den Zombies der aktuellen Populärkultur dadurch unterscheiden, dass sie eben nicht sofort als wandelnde Tote erkennbar sind, da sie keinerlei Anzeichen von Verwesung aufweisen. Die emo-

UNTOTE, BLUTSAUGER UND MENSCHENFRESSER – UNHEIM­L ICHE NACHTGESTALTEN IM ALTEN ROM

Abb. 29 Die Auferstehung, Albrecht Dürer (1471–1528), 1510, Holzschnitt, 39,1 × 27,7 cm.

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Wiedergänger

tionale Verbundenheit von Geistseele und Körper, die Platon als Begründung für das Erscheinen von Schattengestalten an Grabstätten anführt, scheint hier so intensiv zu sein, dass der Geist in der Lage ist, sich seine Körperlichkeit nach dem Tod wieder anzueignen. Der Gedanke eines Orcus, in dem die Toten mit einem neuen grobstofflichen Körper ausgestattet werden, der die Unterwelt grundsätzlich auch verlassen kann, könnte ebenso als Begründung für die greifbare Erscheinung erwogen werden. Der Historiker Phlegon von Tralleis (2. Jh. n.  Chr.) erzählt in seinem Buch der Wunder, einer Zusammenstellung angeblich histori­ scher wundersamer Ereignisse, eine Geschichte, die sich im alten Griechenland zugetragen haben soll: Ein junger Mann namens Machates ist für einige Zeit Gast bei einem gewissen Demostratos und dessen Ehefrau. Bald bekommt Machates in seinem Schlafzimmer unerwartet Besuch von einem ihm unbekannten jungen Mädchen. Die zwei verlieben sich sofort ineinander. Das heimliche Stelldichein zur nächtlichen Stunde wird zur Gewohnheit der beiden. Als die Dienerin das Treffen im Gästezimmer beobachtet, erschrickt sie zutiefst und meldet das Gesehene dem Hausherrn. Es stellt sich heraus, dass die Geliebte des Gastes keine andere als die vor einem halben Jahr verstorbene Tochter des Demostratos und seiner Frau ist, die leibhaftig aus ihrem Grab auferstanden ist, um den jungen Mann zu treffen. Als die bestürzten Eltern ihre pünktlich zur gewohnten Stunde bei Machates erscheinende Tochter zur Rede stellen wollen, fällt diese tot um und stirbt zum zweiten Mal. Sie wird nicht mehr in ihr Grab gelegt, das tatsächlich leer ist, sondern rituell verbrannt. Machates aber verfällt dem Wahnsinn und stirbt, weil er nicht damit zurechtkommt, ein Liebesverhältnis zu einer Untoten gepflegt zu haben. Verschiedene Dichter der Nachwelt haben diese seltsame Geschichte von einer liebenden Toten aufgegriffen und modifiziert, wobei die Untote schließlich zu einem Vampir geworden ist, der seinem Opfer mit jedem neuen Besuch ein wenig mehr an Blut und Lebenskraft raubt. Dabei liegt der Originalgeschichte lediglich die Vorstellung eines 66

weiblichen Geistes zugrunde, der mit seinem materiellen Körper, welcher nichts von seiner einstigen Schönheit und Attraktivität verloren hat, aufersteht. Auch von einem bösen oder zwielichtigen Charakter der Untoten ist in der ursprünglichen Version der Story nichts festzustellen. In einer anderen von Phlegon überlieferten Erzählung, die in Ätolien spielt, berät eine aufgebrachte Volksversammlung über den Umgang mit einer Zwittergeburt. Ein Mensch mit zwei Geschlechtern wird schon in Griechenland für ein warnendes Zeichen der Götter gehalten, das in der Regel ein Sühneritual von den Menschen verlangt, weshalb – ebenso in Rom – der Zwitter nicht selten getötet wird. Diese Maßnahme wird auch in der ätolischen Versammlung erörtert. Plötzlich erscheint jedoch der unlängst verstorbene Vater des Kindes unter den Leuten. Er mahnt sie, das Kind nicht zu opfern. Da aber die Mehrheit der Versammelten nicht auf ihn hören will, greift er sich sein Kind, um es in aller Öffentlichkeit zu zerreißen und zu verschlingen; nur den Kopf des Knaben lässt er zurück, als er genauso abrupt verschwindet, wie er aufgetaucht ist. Eine skurrile Geschichte, die zeigt, dass der Wiedergänger sich einerseits nach Belieben manifestieren und wieder auflösen kann, wie man es von einem Geist erwartet, andererseits aber über die Eigenschaften eines materiellen Körpers verfügt, mit dem er alles machen kann, wozu ein Lebender in der Lage ist. Beide von Phlegon erzählten Geschichten haben auch die Gemeinsamkeit, dass die materielle Erscheinung des Untoten ausdrücklich auf den Willen der Götter erfolgt. Diese Darstellungen erinnern an die Erscheinungen des wohl berühmtesten Auferstandenen der Antike, Jesus von Nazareth, der ebenfalls durch göttliches Wirken aufersteht und einerseits in der Lage ist, durch Wände zu gehen oder unvermittelt in einem verschlossenen Raum zu erscheinen, andererseits wie ein gewöhnlicher Mensch mit seinen Anhängern isst und trinkt und seinen zweifelnden Jünger auffordert, ihn mit der Hand zu berühren (Abb. 29). Ein mögliches Negativbeispiel dieser Art von Auferstehung könnte ein Wiedergänger sein, der nach volkstümlicher Ansicht im 5. Jh.

Untote, Blutsauger und Menschenfresser – Unheim­liche Nachtgestalten im alten Rom

v.  Chr. eine süditalische Region heimsucht: ein Gespenst namens Lybas, das in den verschiedensten Gestalten die schlimmsten Verbrechen begeht und die Einwohner in Angst und Schrecken versetzt. Das klingt so, als sei dieser Geist zu ausgesprochen handgreiflichen Taten fähig, und man vermutet unwillkürlich, hier könnten einige sehr menschliche Verbrechen als Geistererscheinungen getarnt worden sein. Den Hintergrund zu dieser spektakulären Geschichte bietet der Mythos: Ein Gefährte des Odysseus namens Polites soll an der Küste von Bruttium eine Jungfrau vergewaltigt haben und dafür gesteinigt worden sein. Odysseus habe dem ehemaligen Kameraden aus Verachtung kein ordentliches Begräbnis gewährt. Infolgedessen sei dieser als marodierendes Gespenst in Erscheinung getreten. Der Terror habe so lange angedauert, bis dem Untoten ein Tempel geweiht worden sei, in dem man ihm regelmäßig eine Jungfrau zum Opfer gebracht habe. Außer dem Umstand, dass die fehlende Bestattung und der mangelnde Totenkult den Hingerichteten zu einem Wiedergänger werden lassen, scheint auch die verbrecherische Energie des Polites diesen als Untoten anzutreiben. Denn offenbar tritt er nach der Einführung des grausamen Kultes, möglicherweise zur Annahme der Opfer, noch immer als Lybas in Erscheinung – ein Untoter, der sich immer wieder an den Leibern junger Mädchen vergeht. Von einem olym-

pischen Sportler namens Euthymus, der auf der Durchreise mit dem barbarischen Kult in Berührung kommt, wird Lybas schließlich in einem Zweikampf besiegt, worauf sich der Untote ins Meer stürzt. Der Sieger bekommt dann das Mädchen, das dem Dämon geopfert werden sollte. Die Darstellungen des Untoten Lybas klingen insgesamt nach einem echten Wiedergänger aus Fleisch und Blut, der sich letztlich nicht einmal in Luft auflösen kann, sondern sein Ende durch eine dramatische Selbsttötung besiegeln muss. Eine weibliche Wiedergängerin der finstersten Art beschreibt Apuleius in seinen Me­ tamorphosen. Als ein Bäcker seine Frau beim Ehebruch ertappt, misshandelt er den Liebhaber arg und setzt seine Gattin vor die Tür. Um sich zu rächen, gibt die Frau bei einer Hexe die Ermordung ihres Mannes in Auftrag. Zu diesem Zweck beschwört die Zauberin den Geist einer gewaltsam getöteten Frau herauf, die aufgrund ihres eigenen Schicksals die Lebenden hasst. Sie sucht den Bäcker in der Gestalt eines alten Weibleins auf und bittet ihn, sich für ein vertrauliches Gespräch mit ihr in einem Zimmer einzuschließen. Der Bäcker folgt. Als die Knechte ihn vermissen, klopfen sie an der Tür und rufen nach dem Herrn. Als sich jedoch nichts im Zimmer rührt, ahnen sie Unheil, brechen die Tür auf und finden den Bäcker an der Zimmerdecke aufgehängt. Die Wiedergängerin, die ihn auf so handfeste Weise getötet hat, hat sich in Luft aufgelöst.

Kinderschrecke und Vampire

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in bekannter Kinderschreck soll römische Jungen davon abhalten, in den Getreidefeldern herumzutoben. Denn dort lauert in der Gestalt einer alten weißhaarigen Frau die Dämonin Alphito, die eigentlich auf eine griechische Korngottheit zurückgeht, der die Gerste, griechisch alphiton, geweiht ist. Ursprünglich hat sie wahrscheinlich die Funktion, als Kornmutter beim Durchstreifen der Felder für deren Fruchtbarkeit zu sorgen. Wie alle chtonischen Gottheiten, also denjenigen, die mit der Erde und der Unter-

welt in Kontakt stehen, hat sie grundsätzlich einen ambivalenten Charakter: Einerseits hat sie die Macht, Fruchtbarkeit zu bewirken, andererseits steht sie mit den finsteren Gefilden des Orcus in Verbindung (Abb. 30). Vergleichbar mit der Roggenmuhme, wartet sie zwischen den Ähren auf kleine Kinder, vornehmlich Jungen, um diese in ihr Reich zu entführen. Besonders bedrohliche Schreckfiguren für römische Kinder und deren Eltern sind die Strigen (Abb.  31. 32). Nach Plinius dem Äl67

Kinderschrecke und Vampire

Abb. 30 Demeter/Ceres, römisch, 1. Jh. n. Chr., Marmor. Karthago, Musée National de Carthage.

teren handelt es sich dabei um eine nicht näher bestimmbare Art von Nachtvögeln. Sie nähern sich im Glauben des Volkes Kleinkindern, um diese mit ihrer Milch zu säugen und dabei zu vergiften – eine Vorstellung, die Plinius ganz rational als Märchen bezeichnet. Der Sage nach sind Strigen in den Königspalast von Alba Longa, der Mutterstadt Roms, eingedrungen, um den kleinen Thronfolger auszusaugen; die Ammen hätten sie jedoch erfolgreich vertrieben. Das Neugeborene sei mit Kratzern im Gesicht und Verfärbungen an der berührten Haut davongekommen – es bleibt offen, ob es sich hierbei schlicht um blaue Flecken oder um die Spuren einer eigenartigen chemischen Wechselwirkung zwischen den Krallen der Untiere und 68

der Haut des Kindes handelt. Nach Ovid sind die striges mit großen Greifvögeln vergleichbar, die Kinder rauben und töten, vermutlich in der Absicht, ihre Eingeweide aufzufressen oder sie ganz zu verzehren. Interessante Details in diesem Zusammenhang sind die Hinweise, dass die blutdürstigen Strigen nie durch Türen, sondern durch Fenster, Ritzen und sonstige ungewöhnliche Wege in ein Haus eindringen. Als wirksame Mittel gegen die unerwünschten Besucher gelten Weißdorn und  – zumindest in der Spätantike  – Knoblauch. Diese Punkte weisen eine beeindruckende Ähnlichkeit mit dem modernen Vampirmythos auf. Vielleicht ist die vogelartige Erscheinung der Strigen sogar in eine Beziehung zur Fledermaus zu setzen. Denn einerseits werden den Strigen große Köpfe, starre, durchdringende Augen, scharfe Schnäbel, dunkles Gefieder und gekrümmte Klauen zugeschrieben, andererseits sollen sie gern kopfunter von der Decke hängen. Nach Ovid spielt das Fleisch des Vampirvogels auch als Zutat in Medeas Hexenkessel eine Rolle: Die Zauberin nutzt es als Wirkstoff für einen Verjüngungstrank. Kann man dies als Hinweis darauf deuten, dass die Strigen etwas mit körperlicher Verwandlung zu tun haben? Das menschliche Element der Vampirvögel tritt besonders bei Petron zutage: Er stellt die Strigen als Frauen mit Verwandlungsfähigkeit, also als Hexen dar. Das italienische Wort für Hexe, «strega», ist eine direkte Ableitung von der lateinischen strix, die darauf aus ist, den Menschen Schaden zuzufügen. Petron lässt den römischen Gastgeber Trimalchio auf seinem Gelage davon erzählen, wie mehrere Strigen in unsichtbarer Form über den Leichnam eines Knaben hergefallen seien. Ein beherzter Sklave habe die Angreifer mit einem Schwert attackiert, sei jedoch grün und blau geschlagen aus diesem Kampf hervorgegangen, dem Wahnsinn verfallen und nach einigen Tagen verstorben, weil ihn mala manus, die böse Hand, berührt habe. Statt des Leichnams habe die trauernde Mutter nur noch ein Bündel Stroh vorgefunden. Der Körper ihres Kindes sei also von den Strigen gegen eine Attrappe ausgetauscht worden. Bereits Plautus spricht in seinen Komödien von der bösen Hand an der Wiege,

Untote, Blutsauger und Menschenfresser – Unheim­liche Nachtgestalten im alten Rom

Abb. 31 Interpretation einer Striga.

Abb. 32 Der Ammenschreck von Alba Longa. Acryl und Collage auf Leinwand, Eva Walther 2020.

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Kinderschrecke und Vampire

Abb. 33 Harpyie, römisches Mosaik aus Pompeji (vor 79 n. Chr.). Neapel, Archäologisches Museum.

was auf die Gewohnheit der Strigen verweist, auf trickreiche Weise Kleinkinder zu rauben und gegen Wechselbälger aus Stroh einzutauschen. Überdies stehlen sie schlafenden Ammen die Milch. Mit der strix hat die böse Hexe aufgrund ihres gemeinschaftsschädigenden Wahnsinns endgültig die Gestalt eines wilden Tieres angenommen, das in seinem Aussehen an Bilder der Harpyien, der halbmenschlichen weiblichen Rachevögel aus der griechischen

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Mythologie, erinnert (Abb.  33). Diese scheinen in der Realität mit der Vorstellung der Strigen zu verschmelzen, die, als eine Mischung aus verwandelter Hexe und Vampirvogel, zweifelsohne ein Bestandteil des einfachen Volksglaubens sind und nicht nur Kindern, sondern auch deren Eltern Angst einjagen. Neben diesen Vampirgestalten eher römischer Färbung sind noch Figuren zu nennen, die aus der griechischen Mythologie in

Untote, Blutsauger und Menschenfresser – Unheim­liche Nachtgestalten im alten Rom

Abb. 34 Die Lamia in Gestalt einer verführerischen jungen Frau.

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die Vorstellungswelt der Römer übernommen worden sind. Regelrecht gefürchtet von den Eltern ist die Lamia, die «Verschlingerin» (Abb.  34). Der Sage nach ist sie ursprünglich eine libysche Prinzessin und Geliebte des Zeus, wird aber von der Göttermutter Hera aus Eifersucht mit dem Tod ihres Nachwuchses und ewiger Schlaflosigkeit bestraft, wodurch sie zu einem hasserfüllten, ruhelos umherschweifenden Gespenst mutiert, das aus Neid und Rachsucht kleinen Kindern nach dem Leben trachtet. Laut Horaz verschlucke sie die Kinder mit einem Mal, weshalb man diese lebendig aus dem Bauch der Bestie herausschneiden könne. Das Gesicht der Lamia sei nach dem Komödienschriftsteller Aristophanes (ca. 450–380 v. Chr.) von Hass entstellt. Zudem verströme die Lamia einen fauligen Geruch und sei generell ungepflegt, was auf ihre große Trauer über den Verlust des eigenen Nachwuchses verweisen könnte. Außerdem sei die Lamia in der Lage, ihre Augäpfel aus den Höhlen zu nehmen. Dabei soll es sich um eine Gnade des Zeus handeln, der seiner schlaflosen Geliebten durch diese Gabe ein wenig Erholung verschaffen wollte. Der griechische Historiker Diodorus (1. Jh. v. Chr.) versucht das Bild einer wahlweise blinden Lamia mit einem Alkoholproblem der libyschen Prinzessin zu erklären, das dieser regelmäßig eine Wahrnehmungsstörung verursacht habe, weshalb auch das Schreckgespenst in späteren Rezeptionen gern als trunksüchtig und desorientiert dargestellt wird. Trotz der tragikomischen Elemente der dichterischen Lamia-Figur ist die Furcht vor dem gleichnamigen Gespenst in Rom eine sehr reale. So werden Kindstode mit dem dämonischen Wirken der Lamia begründet. Eine andere Schreckgestalt, die im Alltagsglauben mit der Lamia verschmilzt, ist die aus Griechenland eingewanderte und gut in Rom integrierte Dämonin Gello, der Geist eines unverheirateten, jungfräulich verstorbenen und deshalb hasserfüllten Mädchens, das sich für sein eigenes Unglück an lebenden Mädchen, Schwangeren und Kleinkindern zu rächen sucht. Die Mormo bzw. Mormolyke, eine weitere Kinderfresserin, wird von Eltern gern als Droh72

mittel gegen ungehorsame Kinder eingesetzt. Ihr Name steht für das personifizierte Grauen, den nackten Schrecken; ihr Gesicht ist eine abgrundtief hässliche Fratze. Nach einer Sage war sie einst Königin der Laistrygonen. Nach dem Verlust ihres Nachwuchses sei sie so sehr in Zorn geraten, dass sie zu einer furchtbaren Dämonin mutiert sei, die durch die Lande ziehe, um sich an fremden Kindern zu vergehen. Die Ähnlichkeit der Pseudobiographien von Lamia, Gello und Mormo ist frappierend. Tatsächlich gelten diese Ungeheuer, die in einer Reihe mit weiteren, gleichartigen Horrorfiguren wie Akko, Karko und Sybaris stehen, als individuelle Erscheinungsformen einer spezifischen Gattung, die nach dem libyschen Dämon benannt ist: der Lamia. Von dieser Kinder fressenden Lamia abgeleitet bzw. abstammend sind ferner zahllose Lamien, bei denen es sich um weibliche Gespenster oder Ungeheuer handelt, die sich auf Männer spezialisiert haben und über schlangenhafte Eigenschaften verfügen, möglicherweise sogar Mischwesen aus Mensch und Schlange sind; oft wird ihnen auch eine andersartige monströse, zwei- oder vielbeinige, stets jedoch weibliche Form zugeschrieben. Dank ihrer Fähigkeit, durch Verwandlung ihr wahres Aussehen zu verbergen, treten sie gern als hübsche junge Mädchen in Erscheinung, die auch am helllichten Tag erscheinen und nichtsahnenden Männern das Blut aussaugen. Hier ist also ein fließender Übergang zwischen einer Kinderschreckfigur und einer Männer mordenden Unholdin zu beobachten, man möchte beinahe meinen, in einer auf die Erziehung jugendlicher Männer bezogenen Fortsetzung des pädagogisch motivierten Ammenmärchens für Kinder: Junge Männer, seid vorsichtig im Umgang mit hübschen jungen Frauen, die listig und falsch wie die Schlangen sein können; sie zeigen nicht ihr wahres Gesicht, rauben euch die Lebensenergie und verschlingen euch schließlich mit Haut und Haar. In seinen Metamorphosen schildert Apuleius das Treiben zweier Lamien, die zwei männliche Reisende bei Nacht in ihrer Unterkunft überfallen und einem der beiden das Blut stehlen, allerdings mit Hilfe eines Dolches und eines Wasserschlauches,

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in dem sie das Blut auffangen. Von Vampirzähnen ist hier noch nicht die Rede. Die Vorstellung des Blutraubs scheint aber schon sehr verbreitet zu sein. Die gleiche Gefahr geht für junge Männer von den Empusen aus (Abb.  35). Deren Namensbezeichnung wird nach unterschiedlichen Interpretationen mit den Verben «ausschlürfen» oder «packen» bzw. mit dem Adjektiv «einbeinig» in Verbindung gebracht. Die Empusen werden von Hekate, der finsteren Göttin der Wegkreuzungen, entsandt, um Wanderer zu erschrecken. Zur Mittagszeit, also zur panischen Stunde, überfallen sie erschöpft am Wegesrand ausruhende junge Männer, indem sie diese zunächst verführen, ihnen dann das Blut aussaugen und sie schließlich aufessen. Die erotische Anziehungskraft der Empusen ist gleichsam ihr Lockmittel, durch das sie ihre Opfer für sich vereinnahmen, um sie sich letztlich mit Haut und Haaren einzuverleiben. Das muss keine Spontanaktion sein, sondern kann auch einem ausgeklügelten Plan folgen. Die Empusen sind nämlich in der Lage, ganze Phantomwelten um sich herum aufzubauen. Der Philosoph Philostrat (ca.  165–249 n.  Chr.) schildert in seiner Biografie des berühmten neopythagoreischen Philosophen Apollonios von Tyana, wie dieser einen jungen Mann namens Menippos davor bewahrt, eine reich begüterte Dame zu heiraten, hinter der sich eine Empuse verbirgt, deren Besitz und Dienerschaft sich nach der Entlarvung durch den Philosophen augenblicklich in Luft auflösen. Die besiegte Empuse gesteht, dass sie nach dem frischen Blut junger Männer lechzt und die Wollust ihrer Opfer stimuliert, um sie zu mästen und schließlich zu verspeisen. Mitunter wird den Empusen nicht nur ein flammendes Antlitz nachgesagt  – was auch immer darunter zu verstehen sein mag  –, sondern ein Bein aus Erz oder das Hinterteil eines Esels angedichtet, manchmal sogar ein Bein aus Eselsmist, folgt man dem griechischen Komödienschriftsteller Aristophanes. So verweist zumindest ein kleines Detail ihrer ansonsten makellosen, betörenden Erscheinung auf ihr eigentliches, dämonisches Wesen. Derselbe Autor lässt die Empuse auch wahlweise in einer Art Blutblase erscheinen.

Grundsätzlich scheint die Empuse jedoch beliebig ihre Gestalt verändern zu können; so lässt Aristophanes sie auch als Esel oder als Hund auftreten. Wird die Empuse aber erkannt, kann man sie durch laute Beschimpfungen vertreiben, wobei sie unter Ausstoßung eines schrillen Tones verschwindet. Die Grenzen zwischen Empusen und Lamien verschwimmen im Alltagsglauben der Römer, so dass die Bezeichnungen im Grunde austauschbar sind: Es handelt sich in der Regel um das Trugbild einer schönen Frau, die in der Lage ist, durch List und Verführungskunst das Zutrauen ihrer Opfer zu gewinnen, um sie in einem unerwarteten Moment zu verspeisen. Es fällt auf, dass sämtliche der unheimlichen und bösartigen Vampirmonster in Rom weiblich sind und dass sie es, zumindest was den Kreis ihrer erwachsenen Opfer betrifft, in erster Linie auf Männer abgesehen haben. Schließt man von diesem Befund auf psychosoziale Faktoren im gesellschaftlichen Leben, so scheint der Hauptanteil der Angst vor halbmythologischen, volkstümlichen Schreckgestalten nicht auf der Seite der Frauen, sondern aufseiten der römischen Männer zu liegen. Vielleicht spiegelt sich darin die unterschwellige Angst einer männlichen Gesellschaft, in ihren Grundfesten vom weiblichen Geschlecht in Frage gestellt und bedroht zu werden. Der Versuch, die Heil73

Abb. 35 Gestörte Mittagsruhe. Acryl auf Leinwand, Eva Walther 2020.

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Abb. 36 Darstellung der mythologischen Kerkopen. Umzeichnung einer Metope am Tempel C aus Selinunt.

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frauen als törichte alte Hexen zu diskreditieren und damit als Gefährdung des männlichen Machtmonopols auf dem Gebiet der Medizin zu bekämpfen, erweckt z. B. den Eindruck einer solchen, vielleicht ganz unbewussten, Angst der durchgängig männlichen römischen Führungsschicht. Fürchten die Männer in Rom insgeheim die potenzielle Macht und Überlegenheit der Frauen? Und ist dies nicht letztlich auch außerhalb der römischen Geschichte ein wesentlicher Grund für das stete Bestreben des Mannes, die Frau gesellschaftlich zu unterdrücken? Die Betrachtung des schon in Griechenland im Zusammenhang mit der erstarkenden patriarchalen Gesellschaft verdrängten und schließlich verbotenen Kultes der ursprünglich gar nicht so negativ besetzten Göttin Hekate macht in der Tat auf die geschichtlichen Bestrebungen einer männlich dominierten Religion, das Weibliche im Kult zu unterdrücken, aufmerksam und deutet damit einen Genderkonflikt an, der auch in der römischen Religion vorzufinden ist. In einer patriarchal bestimmten Gesellschaft wie der römischen, in der weibliche Religiosität als anarchistische Gefahr empfunden wird, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die einstige Göttermutter Hekate nun als Dämonin «verteufelt» wird und ihre Send­botinnen, die Lamien, als personifizierte Rache der «abgeschobenen» und damit im religiösen Kult vernachlässigten Göttin gefürchtet werden. Aus psychologischer Sicht scheint sich überhaupt das Böse besonders gut in der weiblichen Gestalt potenzieren zu lassen, da auf diese Weise der Archetyp des Mütterlichen, der seiner Natur nach generell positiver und vertrauenerweckender als der des Väterli-

chen angelegt ist, in sein Gegenteil pervertiert wird – etwas Bedrohlicheres als die Umkehrung des bedingungslos liebenden und grundlegend ernährenden Muttertypus ist eigentlich nicht denkbar. Die Weiblichkeit der bösen Gespenster ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass aus römischer Sicht ja gerade das weibliche Geschlecht mit einer übersteigerten Emotionalität und einem allgemeinen Hang zum Wahnsinn verbunden wird. Das wilde, triebhafte Wesen der Schreckfiguren aus dem östlichen Kulturraum, das auch eine Verkörperung der orientalischen Raserei ist, wird daher in den weiblichen Monstern besonders glaubhaft verbildlicht und durch den zunehmenden Einfluss verschiedener Dämonologien aus dem Orient unterstützt. Natürlich wird der populäre Glaube an weibliche Vampirwesen nicht zuletzt auch schlicht auf erotische, mit unterhaltendem Gruseleffekt verquickte Phantasien der römischen Männerwelt zurückzuführen sein. Da die Erotik neben dem Grusel die beliebteste Form der Unterhaltung auf abendlichen Banketten ist, findet man in den Männer mordenden Frauengestalten eine naheliegende Verquickung beider Themen. Vielleicht kann man eine entsprechende männliche Spukgestalt in den Faunen sehen, den nächtlichen Dämonen, die Frauen in ihren Betten überfallen, um den Beischlaf mit ihnen zu vollziehen und bei ­ihnen hysterische Anfälle zu verursachen. Eine geschlechtsneutrale Personifikation der Albträume, die sowohl Männer als auch Frauen heimsuchen, sind Plagegeister, die als Cercopen bezeichnet werden (Abb. 36). Man kann sie durch Anrufung des göttlichen Hercules vertreiben.

Werwölfe

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in weiterer Volksglaube, der ausnahmsweise nicht an schrecklichen Frauengestalten orientiert ist, bezieht sich auf eine besondere Gefahr der nächtlichen Wanderung: Die Vorstellung, von einem Wolfsmenschen angefallen zu werden, einem Werwolf

(Abb. 37); die Vorsilbe Wer- kann auf das lateinische Wort für Mann, vir, zurückgeführt werden. Petron beschreibt in seinem Satyri­ con eine klassische Werwolfgeschichte: Auf einer nächtlichen, nur vom Vollmond erhellten Wanderung an alten Grabstätten vor der 75

Werwölfe

 Abb. 37 Innenbild einer Schale des TityosMalers mit Darstellung eines vermeintlichen Werwolfs, 6. Jh. v. Chr. Rom, Villa Giulia.

  Abb. 38 Lycaon verwandelt sich in einen Wolf, Hendrik Goltzius (1558−1617), Holland, 1589, Stich. Los Angeles, County Museum of Art.

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Stadt erlebt der Erzähler etwas Unglaubliches: Als sein Begleiter, ein Soldat, den Weg verlässt, um seine Notdurft zu verrichten, entledigt er sich plötzlich all seiner Gewänder und uriniert in Kreisform um diese herum. Dann verwandelt er sich in einen Wolf und flieht heulend in die Wälder. Die abgelegte Kleidung verwandelt sich in Stein. Als der schockierte Zeuge dieses seltsamen Ereignisses in Panik zum Haus seiner Freundin läuft, berichtet ihm diese, ein Wolf sei in das Haus gekommen und habe alle Tiere abgeschlachtet. Der Großvater habe ihm eine Lanze in den Hals gestoßen und der Wolf sei geflohen. Als der Erzähler nach Hause kommt, findet er dort seinen kranken Kameraden mit einer Halsverletzung vor. Der Glaube an den Wolfsmenschen ist schon im griechischen Kulturraum heimisch. Bereits der griechische Fabeldichter Äsop (ca. 620– 564 v. Chr.) nutzt das Motiv des Werwolfs in einer Geschichte, in der ein Dieb einem Wirt vortäuscht, sich nach dreimaligem Gähnen in einen Wolfsmenschen zu verwandeln, weshalb der aus Angst fliehende Wirt dem listigen Gast sein neues Gewand überlässt. Ovid erzählt von dem arkadischen König Lycaon, dem «Wolfsmann», er sei aufgrund der frevelhaften Opferung einer Geisel, deren Fleisch er Zeus vorgesetzt habe, vom Göttervater mit der Verwandlung in einen Werwolf bestraft worden (Abb. 38). Plinius der Ältere berichtet von einem Arkadier, der im Rahmen eines Menschenopfers die Eingeweide eines getöteten Jungen verspeist habe und darauf zu einem Wolf geworden sei. Ferner schreibt er von einem arkadischen See, nach dessen Durchquerung Menschen zu Werwölfen mutieren, um in dieser Gestalt unter anderen Wölfen zu leben und dann nach neun Jahren des Verzichts auf Menschenfleisch den See erneut zu durchschwimmen und in menschlicher Gestalt in ihr altes Leben zurückzukehren. Plinius der Ältere lässt keinen Zweifel daran, dass er diese Geschichten für ausgemachte Lügen hält. Doch tatsächlich scheint es in Arkadien, einer Landschaft auf der Peloponnes, in der sich lange eine vorgriechische Bevölkerungsgruppe hält, ausgehend vom Lykaion, dem Wolfsberg, archaische Kulte zu geben, in denen das rituelle Verspei-

sen von Menschenfleisch und die damit einhergehende Verwandlung in einen Werwolf eine Rolle spielt (Abb. 39). Von der Archäologie werden Menschenopfer für Griechenland allerdings nicht bestätigt. Es wird daher vermutet, es handle sich bei den WerwolfKulten möglicherweise um Riten mit einer soziohygienischen Funktion: Personen, die sozial unverträgliche Eigenschaften an den Tag legten, könnten durch den puren Glauben, sie verwandelten sich durch das Essen von  – vermeintlichem  – Menschenfleisch in einen Werwolf, ihre Aggressionen in einem kontrollierten Rahmen ausleben und danach als geläuterte Charaktere ins gesellschaftliche Leben zurückkehren. Es gibt in diesen alten Riten also möglicherweise eine kultisch gestützte Autosuggestion, durch die ein junger Mann in den Wahnglauben verfällt, ein echter Werwolf zu sein. Natürlich könnten solche Zustände auch durch Drogenkonsum künstlich herbeigeführt werden. Die Wolfsnatur scheint für die menschliche, und offenbar vornehmlich für die männliche, Psyche eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu haben: Es gibt Momente, in denen sich die tierische Natur des Menschen Bahn bricht. Der Werwolf ist der Inbegriff des Mannes, der dem Tierisch-Triebhaften seiner Natur wehrlos ausgeliefert ist. Dieser psychologischen Interpretation der Werwolfsvorstellung entsprechend kennt die griechische Mythologie immerhin eine Frauengestalt, der zwar nicht die Verwandlung in eine Werwölfin, wohl aber in eine Art Werhündin zugeschrieben wird: Hecuba, die zweite Frau des trojanischen Königs Priamus, kratzt dem thrakischen König Polymestor, dem Mörder ihres jüngsten Sohnes, die Augen aus und verwandelt sich in einen Hund – so schildert es Ovid in seinen Meta­ morphosen. Nachdem Odysseus sie als Sklavin verschleppt hat, wird sie aufgrund ihrer Verachtung der Griechen gesteinigt. Als der Leib der Getöteten begutachtet werden soll, ist jedoch nur ein toter Hund vorzufinden. Griechische Ärzte haben die Wurzeln des Werwolfglaubens in objektiv feststellbaren körperlichen Symptomen gesucht, und zwar in einer Stoffwechselkrankheit, der Porphyrie, die mit besonderer Lichtempfindlichkeit, 77

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Wahnsinn und Anheulen des Mondes bei verstärkter Körperbehaarung, eitrigen Wunden und fluoreszierenden Zähnen verbunden sein soll – so schildert es Plinius der Ältere, der eine wissenschaftliche Erklärung für das Werwolfsphänomen finden will. Ohne Frage sind die Idee von der Verwandlung in einen Werwolf und entsprechende Geschichten in Griechenland auch jenseits der literarischen Unterhaltungswelt weit verbreitet, was sich direkt auf die volkstümlichen Vorstellungen der Römer auswirkt. Der italische Werwolfglaube dürfte außerdem durch den etruskischen Wolfsdämon Aita beeinflusst sein: Dieser unterweltliche Herrscher spielt in der Menschenwelt die Rolle eines gefürchteten Rächers in 78

Wolfsgestalt. Ovid deutet in seinen Metamor­ phosen an, dass es sich beim Werwolf, dessen Eingeweide für einen Verjüngungstrank der Zauberin Medea verwendet werden, auch um ein spezielles Tier handeln könnte, das zu bestimmten Zeiten eine menschliche Gestalt annehme – eine umgekehrte Sicht auf den Verwandlungsprozess. Ebenso bei den Skythen oder bei den Germanen sind zahlreiche Geschichten über Wolfsmenschen zu finden. Die Vorstellung der Mutation eines Menschen zu einer wilden Bestie, sei es in einer außergewöhnlichen eigenen Körpererfahrung oder in einer Begegnung mit einem vermeintlichen Formwandler, scheint jedenfalls fest mit der menschlichen Natur verwachsen zu sein – bis auf den heutigen Tag.

Abb. 39 Der Berg Lykaion in Arkadien.

Fazit

A

uch in Rom gibt es Ammenmärchen von Schreckfiguren, die Kinder vor echten Gefahren schützen sollen; doch der Großteil dieser Gestalten, die einen in dunkler Nacht oder in freier Natur überfallen können, macht auch den Erwachsenen Angst. Viele römische Eltern fürchten sich vor den Strigen, einer Art Vampirvögeln, möglicherweise verwandelten Hexen, die nachts durch Ritzen in Wohnhäuser eindringen, um kleine Kinder zu vergiften oder gegen Wechselbälger aus Stroh auszutauschen. Zum Teil entstammen diese Schreckfiguren der griechischen My-

thologie. Neben der Kinder fressenden Lamia gibt es Lamien bzw. Empusen, die von jungen Männern zu fürchten sind, da es sich um weibliche Dämonen handelt, die in attraktiver Scheingestalt Kontakte zum anderen Geschlecht knüpfen, um menschliche Beute zu machen; sie lauern gern einsamen Wanderern auf, um diese zu verführen, auszusaugen und zu verzehren. Allgemein ist auch die Furcht vor Werwölfen verbreitet, vornehmlich Männern, die bei Vollmond ihre Gestalt verändern und zur wilden Bestie mutieren. 79

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Abb. 40 Die hundsköpfigen Einwohner (Kynokephalen) der Insel Angamanam (Andamanen) beim Gewürzhandel / Beschreibung der Insel Seilan (Ceylon). Buchmalerei, Paris, Atelier des Boucicaut-Meisters, um 1412. Paris, Bibliothèque Natio­ nale.

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it diesem Kapitel scheinen wir endgültig das Reich der Mythen und der Fabeln zu betreten, das einige Gestalten aufweist, die schon die alten Griechen das Gruseln gelehrt haben und die auch heute noch auf der ganzen Welt populär sind, wobei sich ihr Erscheinungsbild kaum oder nur minimal verändert hat: menschenähnliche Ungeheuer von riesenhafter Größe auf der einen Seite, tierhafte Monstren auf der anderen Seite, dazwischen Mischwesen, teils Mensch, teils Tier. Mit ihnen lenken die Römer den Blick auch über die Grenzen Itali-

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ens hinaus. In erster Linie scheinen die fantastischen Gestalten dieses Kapitels für die Römer nichts anderes als für uns zu sein: Unterhaltsame Phantasiefiguren, die den Hörern schon in den Epen Homers begegnen. Als solche bezeichnet sie auch der Satiriker Lukian, und er spottet über Leute, die an die reale Existenz dieser Wesen glauben. Das lässt allerdings schlussfolgern, dass es tatsächlich einige Menschen mit entsprechenden Vorstellungen gibt – und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich mit dem oft gesponnenen Seemannsgarn von giganti-

Riesen und Monster im alten Rom

schen Meeresungeheuern, die ganze Schiffe verschlingen, oder mit den Erzählungen von fremdartigen Völkern an den Rändern der zivilisierten Welt wie den hundsköpfigen Kynokephalen ein tatsächlicher Glaube oder zumindest die Annahme einer möglichen Existenz derartiger Kreaturen verbindet (Abb. 40). Sogar die geographisch nicht allzu weit entfernten, aber für die Römer dunklen und unheimlichen Wälder Germaniens bergen laut Caesar wundersame Tiere wie die knielosen Elche, die sich zum Schla-

fen an Bäume lehnen, welche von den Jägern nur angesägt zu werden brauchen; und wenn ein angesehener Feldherr wie Caesar diese Vorstellungen ernsthaft in seine Kriegsberichte einbaut, dürften solche exotischen Schilderungen eine hohe Glaubwürdigkeit in Rom besitzen. Stellvertretend für die große Fülle monströser Lebewesen in der Welt werden hier nur die bedeutendsten der Riesen, Mischwesen und sonstigen Ungeheuer der Mythologie und des römischen Volksglaubens vorgestellt.

Riesen

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s gibt im alten Rom zahlreiche Berichte über die Funde von monströsen Knochen, die im Glauben vieler Menschen nur von echten Riesen stammen können. Als sich unter der Regierung des Tiberius, also zu Beginn des 1. Jhs. n. Chr., ein großes Erdbeben ereignet, werden in der aufgebrochenen Erde Siziliens, Kalabriens und der Schwarzmeerküste mehrere riesenhafte Skelette gefunden. Natürlich wird der Kaiser über diese Entdeckung informiert. Aus Ehrfurcht vor den Toten werden die Skelette jedoch nicht aus ihren Gräbern gehoben, sondern nur ein über 30 cm langer Zahn wird – stellvertretend für den ganzen Fund  – nach Rom geschickt. Der Kaiser lässt einen Modellkopf anfertigen, der zu der Größe des Zahnes passt, um einen Eindruck von der dazugehörigen Person zu bekommen, und lässt den Zahn wieder an seinen Ursprungsort zurückbringen. So berichtet es jedenfalls Phlegon von Tralleis in seinem Buch der Wun­ der; mehr erfährt man über diesen Fund und seine Folgen nicht, auch wenn gerade das interessant wäre. Wahrscheinlich werden die entdeckten Gebeine wieder verschüttet, um nicht weiter in ihrer Ruhe gestört zu werden. Dafür verweist Phlegon auf eine Ausstellung besonderer Gerippe in Ägypten, wo sich jeder von der Existenz menschenähnlicher Riesenknochen überzeugen könne. Er führt auch Theopompos von Sinope als Gewährsmann für den Fund eines 11 m großen Riesenske-

letts nach einem Erdbeben am Bosporus an, Eumachos nennt er als Zeugen für die Entdeckung eines 11 m großen Gerippes in Karthago; in Dalmatien habe man 5 m große Rippenknochen gefunden. Nach Apollonios sei in Messene in einem alten zerbrochenen Vorratsgefäß ein riesenhafter dreifacher Schädel aufgetaucht – also eigentlich drei miteinander verwachsene Köpfe – samt einer Inschrift, die das Fundstück als das Haupt des homerischen Heros Idas ausweise. Auf einer Insel bei Athen habe man einen 45 m langen Sarg mit entsprechend großem Leichnam entdeckt, bei dem es sich laut Inschrift um die Überreste eines Riesen namens Makroseiris handle, welcher 5000 Jahre lang auf der Erde gelebt habe. Damit steht auch für jeden römischen Leser fest, dass er endgültig im Reich der Mythen angekommen ist. Das schließt für den Römer jedoch nicht aus, dass zumindest einige der gefundenen Skelette tatsächlich die sterblichen Überreste echter Riesen sein könnten, zumal die Mythologie ja mehr als bloße Unterhaltung ist – Mythen deuten die Welt vor dem Hintergrund des Glaubens an höhere Mächte und Wesenheiten und verweisen auf tiefere, grundlegende Wahrheiten der menschlichen Existenz. Der Glaube an ein heroisches Zeitalter, in dem die Menschen noch nicht so weit von den Göttern und von den Ursprüngen der Weltent­stehung entfernt waren, schließt die Möglichkeit einer andersartigen, durch besondere körper83

Riesen

Abb. 41 Einer der hunderthändigen Centimanen, Kind von Uranus und Gaea.

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liche Größe und Langlebigkeit ausgezeichneten Menschenrasse mit ein. Deshalb können die Funde von Knochen vermeintlicher Riesen ja auch als große Sensation verkauft werden – sie haben eine gewisse Glaubwürdigkeit. Und wenn es den Römern schon nicht möglich ist, lebenden Exemplaren der Riesenrasse zu begegnen, zumindest nicht innerhalb des Imperiums – wer weiß schon, welche ungewöhnlichen Lebewesen sich in den entlegeneren Winkeln der Erde verbergen? –, so könnten sie doch immerhin auf Überreste der einst weit verbreiteten Menschenart stoßen, von der die Mythologie auf so vielfältige Weise erzählt. Die ersten Riesen sind laut dem griechischen Dichter Hesiod (7. Jh. v. Chr.) die hunderthändigen Centimanen namens Briareus, Gyges und Cottus und drei Zyklopen namens Arges, Steropes und Brontes, allesamt der erste Nachwuchs von Uranus und Gaea, also des Vaters Himmel und der Mutter Erde (Abb. 41. 42). Die Centimanen haben zu viele Gliedmaßen, die Zyklopen haben nur ein Auge auf der Stirn, und zu groß geraten sind diese Kinder ohnehin – kurz, Vater Uranus findet seine Nachkommen so hässlich und abstoßend, dass er sie verstößt und in den Tartarus wirft. Mit seinen jüngsten Sprösslingen, den Titanen, ist er weitaus zufriedener. Der Mutter, Gaea, gefällt die Herzlosigkeit ihres Gatten nicht. Sie stachelt ihren nachgeborenen Sohn Saturn gegen den eigenen Ehemann auf. Saturn befreit seine Brüder und entmannt seinen Vater. Bei der Verstümmelung des Uranus wird die Erde von dessen Blutstropfen befruchtet und gebiert neue hässliche Kinder: die Giganten – langhaarige, bärtige Riesen mit grässlichen Gesichtern und schuppigen Drachenschwänzen statt Füßen – so beschreibt sie der Dichter Ovid (Abb. 43). Saturn nimmt selbst Platz auf dem Thron des Uranus – und sperrt seine hässlichen Geschwister wieder in den Tartarus. Er ist also nicht besser als sein Vater. Deshalb erfährt er von seinem Sohn Jupiter genau die gleiche Behandlung, die er dessen Großvater angedeihen ließ. Alsdann befreit Jupiter die Centimanen und die Zyklopen und sperrt die Titanen ein, nachdem er sich mit diesen wegen seiner Herrschaftsambitionen

Abb. 42 Kopf des Polyphem, zweite Hälfte 2. Jh. n. Chr., Marmor. Torino, Museo di Antichità.

Abb. 43 Gigantomachie: Herakles und Athena im Kampf mit einem Giganten, 2. Jh. n. Chr., Marmor, aus der Reihe der würfelförmigen Säulenbasen vom Tempel der Gens Septimia auf dem Severischen Forum von Leptis Magna. Tripolis, Archäologisches Museum.

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Riesen und Monster im alten Rom

Abb. 44 Laistrygonen greifen die Schiffe des Odysseus an, Wandmalerei. Vatikan, Biblioteca Apostolica.

einen heftigen Kampf geliefert hat. Die Centimanen ordnet er zur ewigen Bewachung der eingesperrten Titanen ab. Die Zyklopen können sich – wie die jüngst geborenen Giganten mit den Drachenschwanzfüßen – frei in der Welt bewegen. Ein sehr alter und für heutige Leser nicht leicht fassbarer Mythos, in dem es um nichts Geringeres als die Entstehung der Welt geht und der Kampf der Titanen für die unfassbare Größe und Gewalt der miteinander ringenden kosmischen Kräfte und Urelemente steht. Ganz nebenbei wird erklärt, welche Arten von Riesen sich in der Welt durchgesetzt und verbreitet haben: das sind v. a. die Zyklopen, die Einäugigen. Die Giganten mit den Drachenschwanzfüßen existieren immerhin, bis ihr ganzer Bestand laut Mythos von Hercules vernichtet wird. Offenbar kann sich ihre Population nicht so erfolgreich in

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der Welt ausbreiten – was angesichts ihrer vermutlichen Gehbehinderung verständlich erscheint. Die Zyklopen hingegen werden in Homers Odyssee als ein Volk von einäugigen, sich durch übermenschliche Körpergröße auszeichnenden Viehzüchtern und Menschen­fressern charakterisiert. Die gleiche Lebensweise wird in der Odyssee übrigens noch einem anderen, bei der Entstehung der Welt nicht genannten Riesenstamm zugeschrieben: den Laistrygonen (Abb.  44). Sie sind die ersten Riesen, mit denen es Odysseus auf seinen Irrfahrten zu tun bekommt. Als er mit seiner Flotte in ihrem Land anlangt, wird die Besatzung aller Schiffe, die im Hafen angelegt haben, von den Laistrygonen verschlungen. Nur Odysseus selbst kann mit seiner Mannschaft entkommen, weil sein Schiff noch nicht im Hafen liegt. Es gibt bereits in der Antike verschiedene Spekulatio-

Riesen und Monster im alten Rom

Abb. 45 Illustration eines Zentauren.

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Mischwesen

nen über das Land der Laistrygonen. Möglicherweise ist es das Küstengebiet an der Einfahrt zum Schwarzen Meer; die jüngeren Griechen gehen von Sizilien aus, die Römer von der Südküste Latiums. Auf einer Insel vor der Küste des Ätna auf Sizilien begegnet Odysseus dann dem Zyklopen Polyphem, der, wie seine Stammesgenossen, als vereinzelter Schafhirt in einer Höhle lebt, wo er Odysseus und seine Leute einsperrt, um sie aufzufressen. Odysseus und der Großteil seiner Männer entkommen dem Riesen, indem sie ihn betrunken machen und ihm sein einziges Auge ausbrennen. Diese Riesen sind es, von denen nach römischer Auffassung im 1. Jh. n. Chr. noch Knochen gefunden werden können. Das Wort Zyklop ist für die Römer zu einem regelrechten Synonym für den wilden, Menschen fressenden Riesen geworden. Manche Forscher meinen, der Schädel einer bestimmten Klein­ elefantenart, die in Griechenland verbreitet gewesen sei, habe aufgrund seiner ungewöhnlichen Augenhöhlungen Anlass zu der Auffassung gegeben, das dazugehörige Lebewesen habe nur ein großes Auge beses-

sen, müsse also ein Zyklop gewesen sein. Der Aufklärer Lukrez betont in seinem Lehrgedicht über die Welt, dass es niemals eine Zeit gegeben habe, in der Riesen wie die Zyklopen existiert hätten. Natürlich kann er nicht alle Römer von seiner Ansicht überzeugen. Welche vorsintflutlichen Lebewesen auch immer bei den vermeintlichen Riesenfunden ans Licht befördert werden, für viele Römer bedeuten diese Relikte einer alten, längst vergangenen Zeit eine Bestätigung der väterlichen Mythen, die so auf gewisse Weise greifbar und lebendig werden. Nicht ohne Grund hat das lateinische Wort mon­ strum, von dem sich das Monster herleitet, ursprünglich die Bedeutung «Wunderzeichen». Darin dürfte der tiefere Grund der römischen Begeisterung für das Auffinden von Riesen­skeletten bestehen. Eine weitere ursprüngliche Riesenart, ein wildes, am ganzen Körper behaartes Urvolk aus den Bergen Thessaliens, die Zentauren, hat sich um die Zeitenwende so weiterentwickelt, dass sie zu einer neuen Gattung gehört, den sog. Mischwesen oder Chimären (Abb. 45).

Mischwesen Riesenhafte Mischwesen Auch weibliche Riesen, deren Erscheinungsform nicht ganz klar konturiert ist und einen breiten Deutungsspielraum besitzt, haben in der Mythologie und im Aberglauben der Seeleute einen festen Platz: Zwei gefräßige Riesinnen namens Scylla und Charybdis sitzen in der sizilischen Meerenge einander gegenüber, bewachen also sozusagen die Durchfahrt zwischen der italischen Halbinsel und Sizilien, und bilden eine Art Symbiose: Die Scylla ist ein monströses Weib, das in einer Höhle haust, die das Meer in den Berg gegraben hat. Ihr Leib endet in zwei Delphinschwänzen, hat aber  – neben sechs Hundeköpfen, die ihr aus dem Unterleib wachsen  – zwölf Hundefüße, die an den Felsen gekettet sind (Abb.  46). Sie besitzt also nicht viel Bewegungsfreiheit. Da88

für verfügt sie über sechs lange Hälse und sechs grausige Köpfe mit aufgesperrtem Rachen, die ständig vor Hunger brüllen und drei Reihen scharfer Zähne zeigen. Damit schnappt sie nach allem, was in ihrer Nähe vorbeischwimmt; das sind Delphine oder Seehunde, oft aber auch Seeleute. Odysseus verliert an dieses Monster sechs seiner Männer. Gern wird die Scylla mit erhobenem Ruder in den Händen abgebildet, als wolle sie die Seeleute damit erschlagen. Wer versucht, die Scylla zu umfahren, gerät automatisch in den Sog der Charybdis, die auf einem gegenüber liegenden Felsen an der Küste Siziliens sitzt (Abb.  47). Sie schlürft dreimal am Tag das Meerwasser ein und speit es wieder aus; dabei verschluckt sie ganze Schiffe, und beim Ausspucken schleudert sie diese – oder das, was noch von ihnen übrig ist – der Scylla zu.

RIESEN UND MONSTER IM ALTEN ROM

 Abb. 46 Bronze mit der Darstellung von Scylla, griechisch. Athen, Nationalmuseum.

 Abb. 47 Charybdis, Statue am Neptunbrunnen in Florenz von Giovanni Angelo Montorsoli (1506− ca. 1563), 1557.

Daher sagt man in der Antike, dass es unmöglich sei, an Scylla und Charybdis vorbeizukommen, ohne wenigstens einem der Ungeheuer in die Fänge zu geraten. Den Ursprung dieser Vorstellung von zwei Monstern wird man wohl in der von Griechen und Römern als äußerst gefährlich eingeschätzten Durchquerung der sizilischen Meerenge zu suchen haben, wobei Scylla als Allegorie für die tückischen Klippen, an denen mit ohrenbetäubendem Donnern die Brandung bricht, Charybdis als Allegorie für die starken Strudel und die Strömung dieser Passage stehen dürfte – auch wenn es aus heutiger Sicht ein wenig verwundern kann, dass die Verhältnisse der sizilischen Meerenge auf eine so dramatische Weise inszeniert werden (Abb. 48). Ein weiteres, ebenfalls weibliches, Meeresungeheuer namens Keto verwüstet auf Poseidons Befehl Äthiopien, da Kassiopeia, die Königin dieses Landes, hoffärtig gegenüber den Nereiden, den Meeresnymphen, gewesen ist. Ihre Tochter Andromeda wird als Opfer für das Ungeheuer an einen Meeresfelsen gefesselt (Abb. 49). Das Monstrum selbst kann man sich als ein riesenhaftes fisch- oder schlangenartiges Mischwesen vorstellen. Auf eine ganz ähnliche Weise wie in dieser Geschichte bestraft Poseidon ei89

Mischwesen

Abb. 48 Blick auf die Straße von Messina, in der antiken Quellen zufolge Scylla und Charybdis saßen.

nen undankbaren König namens Laomedon, der den Gott für die Errichtung der Mauern Trojas nicht entlohnen will, so dass die Stadt durch ein gigantisches Seeungeheuer zerstört wird. Bei einem Meeresungeheuer, das ein Land oder eine Stadt zerstört, ist man aus heutiger Sicht natürlich geneigt, an die Personifikation einer verheerenden Flutwelle zu denken. Allerdings behauptet ein römischer Beamter namens Aemilius Scaurus im 1.  Jh. v.  Chr., das 12  m lange Gerippe des mythischen Monsters Keto in Judäa erstanden zu haben, und bringt es nach Rom. Der aus Spanien stammende Ritter Turranius, der um die Zeitenwende lebt und wichtige Ämter in Rom bekleidet, berichtet von einem nicht näher definierten Meeresungeheuer, das am Strand von Gades angespült worden sei; der Abstand zwischen den zwei Flossen am Ende des Schwanzes habe über 7 m betragen. Das Untier habe 120 Zähne besessen, von denen der kleinste 15,7 cm, der größte 23 cm gemessen habe.

Menschenartige Mischwesen

Um bei den weiblichen Horrorgestalten der maritimen Art zu bleiben, seien hier als die nächsten populären Mischwesen die Sirenen genannt (Abb.  50). Sie haben den Oberkörper einer jungen Frau und den Unterleib eines Fisches. Manchmal werden ihnen auch 90

Flügel angedichtet. Die Sirenen treten in der Regel in Gemeinschaft mit ihren Artgenossen auf. Sie sitzen oder räkeln sich zu zweit oder zu dritt auf Meeresfelsen und singen betörende Lieder, durch die sie vorbeifahrende Seeleute so sehr in ihren Bann ziehen, dass diese ihr Schiff in Richtung Sireneninsel steuern und untergehen. Daher gilt als verloren, wer die Stimmen der Sirenen hört, die mitten in den Knochen der bereits von ihnen angelockten Männer sitzen. Dem listenreichen Odysseus gelingt es, in den Hörgenuss des hypnotischen Sirenengesangs zu kommen, ohne Schiff und Leben zu verlieren, indem er seine Leute Wachs in ihre Ohren stopfen und sich selbst an den Mastbaum binden lässt, damit er seine Mannschaft trotz der empfundenen Wirkung des Gesangs nicht ins Unglück stürzen kann. Nach Homer liegt der Wohnsitz der Sirenen in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Meerenge von Scylla und Charybdis. Nach anderer Ansicht könnte es sich auch um das Thyrrenische Meer oder um die Insel Capri handeln. Die Harpyien sind als Rachevögel der griechischen Mythologie die weiblichen Mischwesen der Lüfte (vgl. Abb.  33). In der Gestalt von Raubvögeln mit Mädchengesichtern und manchmal auch menschlichen Armen und Schenkeln tauchen sie an Orten auf, wo eine Untat gerächt und Menschen bestraft werden sollen. In der Argonautensage quälen

Riesen und Monster im alten Rom

Abb. 49 Perseus und Andromeda. In der linken unteren Ecke befindet sich Keto, Wandmalerei aus der Villa Imperiale von Boscotrecase, ca. 10–1 v. Chr. New York, Metropolitan Museum of Art.

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Mischwesen

Abb. 50 Trauernde Sirene, griechisch, attisch, 4. Jh. v. Chr., Marmor, gefunden im Kerameikos in Athen. Athen, Archäo­ logisches Nationalmuseum.

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Riesen und Monster im alten Rom

sie den alten, schon mit Blindheit geschlagenen Seher Phineus für die Misshandlung seiner Söhne, indem sie ihm regelmäßig das Essen wegfressen und das Übriggelassene mit ihrem Kot besudeln. Nach der griechischen Mythologie leben sie in einer Höhle auf Kreta und vollziehen für den Göttervater die Todesstrafe an frevelhaften Menschen. Laut Vergil haben die Harpyien einen festen Wohnsitz in der Unterwelt, wo sie neben den schrecklichen Gorgonen hausen. Die Gorgonen sind drei Schwestern namens Stheno, Euryale und Medusa, die als schlangenhaarige Ungeheuer mit Drachenschuppen, Hauzähnen, Eisenhänden und Flügeln in Erscheinung treten und Menschen, die ihnen in die Augen sehen, in Stein verwandeln (Abb. 51). Die einzige sterbliche und zugleich hässlichste der Schwestern ist Medusa. Der große Held Perseus besiegt sie, indem er ihr den Kopf abschlägt, dessen versteinernde Wirkung er danach als Waffe gegen Feinde einsetzt: Jeder, dem er das Haupt enthüllt, erstarrt augenblicklich zu Stein. Auch im römischen Alltagsleben wird Amuletten mit den Abbildungen des schlangenhaarigen Medusenhauptes eine schützende Wirkung für ihren Träger zugeschrieben. Als Enkelin der Medusa gilt oft die schreck­ liche Schlangenfrau Echidna, nach einer anderen Version ist sie Medusas Halbschwester,

die gemeinsame Mutter der beiden ist das Meeresungeheuer Keto (Abb.  52). Echidna ist zur einen  Hälfte ein Mädchen mit schönen Augen, zur anderen Hälfte eine bunt gescheckte Riesenschlange mit ungeheurem Appetit. Ihre enorme Fruchtbarkeit macht sie zur Mutter zahlreicher anderer bekannter Monster, z. B. des Höllenhundes Zerberus, der Scylla und der Chimaira bzw. Chimäre, einer Feuer speienden Kreatur, die aus Löwe, Ziege und Schlange zusammengesetzt und deren Name zum allgemeinen Synonym für Mischwesen geworden ist (Abb. 53); weitere Abkömmlinge Echidnas sind die griechische Sphinx, ein geflügelter Löwenmensch, der vor Theben Reisenden auflauert, um diesen eine Rätselaufgabe zu stellen und sie bei falscher Antwort zu töten, und verschiedene Drachen (Abb. 54). Der Schriftsteller Dion Chrysostomos (1. Jh. n. Chr.) beschreibt ebenfalls die Lamia als ein menschenartiges Mischwesen, das Kopf, Hals und Brüste einer Frau besitze, mit dem restlichen Körper aber einer riesigen Schlange entspreche und in der Wüste Libyens beheimatet sei (vgl. Abb. 34). Es handelt sich also im Grunde um ein Raubtier, das sich auch von anderen Wildtieren wie Löwen ernährt, aber v. a. männliche Menschen wie schiffbrüchige Seeleute auf seinen Speiseplan gesetzt hat. Es lockt die Männer dadurch an, dass es

Abb. 51 Zwei Gorgonenköpfe, etruskisch, 6./5. Jh. v. Chr., Terrakotta, Fundort: Caere (Cerveteri). Berlin, Pergamon-Museum.

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Mischwesen

Abb. 52 Hercules und Echidna (links) und Hercules und Cerberus (rechts), Baldassare Peruzzi (1481−1536), Fresco. Villa Farnesina.

Abb. 53 Chimära, Teilansicht, etruskisch, Ende 5. / Anfang 4. Jh. v. Chr., Bronze (Hohlguß), Schwanz möglicherweise von Benvenuto Cellini restauriert. Florenz, Museo Archeologico.

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Riesen und Monster im alten Rom

sein tierisches Wesen im Sand vergräbt, um nur seinen betörenden weiblichen Oberleib herausragen zu lassen. Nähert sich dann ein Opfer der vermeintlich im Sand gefangenen Frau, um dieser zu helfen, schnappt die Falle zu und der verhinderte Wohltäter wird verschlungen. Die männlichen Mischwesen aus Mensch und Schlange scheinen sich weniger gut zum Bösen zu eignen. Dem zweiten mythischen König von Attika, Cecrops, wird die Gestalt einer Halbschlange zugeschrieben; damit zählt er allerdings nicht zu den Schreckfiguren. Solche Exemplare könnte man jedoch in der Argonautensage angedeutet sehen: Dem jungen Jason wird vom kolchischen König Aietes, der dem Helden nach dem Leben trach-

tet, aufgetragen, den Acker des Kriegsgottes Ares zu pflügen und Drachenzähne einzusäen. Als Jason diesen Befehl befolgt, entwachsen der Erde Krieger mit einer äußerst aggressiven, drachenhaften Natur, die jedoch leicht zu überlisten sind: Durch einen Stein, der in ihre Mitte geworfen wird, beginnen sie aufeinander loszugehen und sich gegenseitig umzubringen. Es gibt allerdings eine Reihe weiterer männlicher Mischwesen, die nicht so ungefährlich sind. Plinius der Ältere glaubt an die Existenz eines sog. Manticorus, was so viel wie «Menschenfresser» bedeutet (Abb. 55). Dieses aus dem persischen Kulturraum stammende blutrot gefärbte Mischwesen besitzt den Körper eines Löwen, Gesicht und Ohren eines Man-

Abb. 54 Satyr und Sphinx, kampanisch, Python-Maler, um 360/350 v. Chr., rotfiguriger Glockenkrater. Neapel, Archäologisches Museum.

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Mischwesen

Abb. 55 Interpretation eines Mantikors.

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nes, wohl an die Proportionen des Raubtieres angepasst, und einen riesenhaften Skorpionschwanz mit Stachel, an dessen Spitze 45  cm lange Haare wachsen, die der Manticorus wie Pfeile auf seine Gegner abschießen kann. Ober- und Unterkiefer verfügen über jeweils drei Reihen von scharfen Raubtierzähnen, die beim Zubeißen wie zwei Kämme ineinandergreifen. Die Stimme des Untieres wird mit einer Mischung aus dem Klang von Flöte und Trompete verglichen. Der Manticorus gilt als ausgesprochen schnell und es heißt, er lechze ständig nach Menschenblut. Der Reiseschriftsteller Pausanias (ca. 115–180 n. Chr.) steht dieser Beschreibung sehr nüchtern gegenüber. Er meint, es handle sich bei dem vermeintlichen Ungeheuer um nichts anderes als einen Tiger, der durch Furcht und Phantasie der Menschen zu einem Monster herangewachsen sei. Ein weiteres abenteuerliches Mischwesen, das der Naturforscher Plinius beschreibt, ist ein wildes Tier namens Leucrocotta (Abb. 56). Es hat die Größe eines Esels, die Beine eines Hirsches, Hals, Brust und Schwanz eines Löwen und den Kopf eines Dachses. Man ist geneigt, bei diesem Tier an den bayerischen Wolpertinger zu denken. Das eigentlich Unheimliche an dieser Kreatur, ihr sublimer Horrorfaktor, erschließt sich erst bei der Betrachtung folgender Eigenschaften: Das Wesen verfügt nicht über gewöhnliche Zahnreihen, sondern besitzt stattdessen einen durchgehenden Beißknochen in Ober- und Unterkiefer. Überdies ist es fähig, die Stimme des Menschen zu imitieren, also wie Mann, Frau oder Kind zu sprechen; das ist der vermeintlich menschliche Teil dieser Kreatur, welcher letztlich nur einem Zweck dienen kann: dem Anlocken von Beute. Daraus ist zu schließen, dass dieses so harmlos wirkende Mischwesen ein tückischer Menschenfresser ist, der das herkömmliche Verhältnis von Jäger und Beute auf perfide Weise umkehrt und damit gewissermaßen die Rache des Rotwilds verkörpert. Der Reiseschriftsteller Pausanias berichtet von einem Triton, einem Mischwesen aus Mann und Fisch, dessen kopfloser Körper im Dionysos-Tempel von Tanagra in Böotien ausgestellt wird und dem Gott des Weines

als Opfergabe zugeeignet ist (Abb.  57). Dieses Geschöpf habe im Küstengebiet von Tanagra Vieh gestohlen und Boote attackiert, bis für ihn Wein an den Strand gestellt worden sei; der Triton habe alles ausgetrunken, sei eingeschlafen und, wehrlos auf dem Boden liegend, von einem Mann enthauptet worden. Auf diese Weise habe der Gott des Weines das Monster besiegt und die Bevölkerung Tanagras von einer Plage befreit. Nach einer religiösen Version der Geschichte sei der Triton in einem Kampf von Dionysos persönlich erlegt worden, nachdem die weiblichen Kultanhänger dieses Gottes beim rituellen Bad im Meer von der Kreatur belästigt worden seien und ihren Gott zu Hilfe gerufen hätten. Diese Fassung der Geschichte bezeichnet Pausanias aufgrund ihrer religiösen Natur allerdings als wenig glaubhaft. Die

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Abb. 56 Ein Leucrocotta.

Mischwesen

Existenz des enthaupteten Körpers jedoch lässt Pausanias nicht daran zweifeln, dass die weltliche Version der Geschichte sich durchaus so zugetragen haben könnte. Ein anderer, etwas kleinerer, aber ansonsten gleichartig aussehender Kiemenmann mit Kopf ist laut Pausanias in konservierter Form im römischen Kuriositätenkabinett zu bewundern. Das Aussehen des Tritons beschreibt

Abb. 57 Hercules kämpft mit Triton, schwarzfigurig, archaisch, um 520/500 v. Chr., aus Selinunt (Sizilien). Palermo, Museo Nazionale Archeologico.

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der Schriftsteller wie folgt: Er hat verfilztes, seegrasgrünes Kopfhaar, unter den Ohren wachsen Kiemen, seine Augen schimmern blau; die Nase wirkt menschlich, aber statt eines Mundes hat er ein übermäßig breites Maul mit scharfen Raubtierzähnen. Der ganze Körper ist von Fischschuppen bedeckt, die Hände mit Fingern und Nägeln wie Muscheln gleichen denen von Menschen, unter

Riesen und Monster im alten Rom

Abb. 58 Römisches Mosaik mit der Darstellung von Venus und einem Ichthyocentauren, 3. Jh. n. Chr., aus dem Haus der Amphitrite. Tunesien, Bulla Regia.

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Mischwesen

dem Bauch mündet der Leib in einen zweiendigen Delphinschwanz. Auch der Naturforscher Plinius der Ältere ist von der Existenz echter Wassermänner oder Meerjungfrauen überzeugt. Er beruft sich auf die Zeugenaussagen angesehener Ritter, die bei Gades an der spanischen Westküste einen Meermann beobachtet haben wollen: Dieser pflege nachts auf Schiffe zu klettern, die er auf derjenigen Seite, wo er sich niederlasse, so sehr herabdrücke, dass er sie bei längerem Verharren ganz versenke. Auch an der portugiesischen Küste, in der Nähe von Olisipo, dem heutigen Lissabon, sei ein Fischmann gesehen worden, und als er gestorben sei, habe man sein Wehklagen noch über eine große Entfernung hören können. Außerdem habe eine Delegation aus Olisipo dem Kaiser Tiberius berichtet, dass in einer bestimmten Höhle ein Triton gehört und gesehen worden sei. Wie im Mythos habe er laut in seine Schneckenmuschel geblasen. Dem mythischen Urvater der Tritonen, einem Sohn des Meeresgottes Neptun und einer Nereide namens Amphitrite, wird die Fähigkeit zugeschrieben, durch das Blasen seiner Muschel das Meer zu beeinflussen. Oft erscheint der Meermann auch in der Form eines Ichthyocentauren (Abb. 58). Diese Gestalt besitzt im Übergangsbereich vom menschlichen Oberkörper zum delphinartigen Unterleib zwei Pferdebeine mit Hufen, es handelt sich also um einen Fischpferdemann. Die prominentesten männlichen Misch­ wesen zu Land sind die Zentauren; sie haben einen menschlichen Oberkörper und einen pferdeartigen Hinterleib. Meist erscheinen sie in männlicher Form, es gibt jedoch auch weibliche Exemplare, die sog. Centauriden, von denen die bekannteste Hylonome ist, eine tragische Frauengestalt, die sich aus Kummer über den Verlust ihres Ehemannes das Leben nimmt (Abb.  59). Die Zentauren gelten gemeinhin als wilde und triebgesteuerte Ungeheuer. Nach der Mythologie entstammen sie einer schändlichen Verbindung: Ein thessalischer König namens Ixion – vielleicht auch ein Sturmdämon – habe eine Wolke begattet, in der sich die Göttermutter Hera vor ihm zu verstecken gesucht habe, und dadurch einen Sohn namens Centaurus gezeugt, der 100

sich dann mit wilden Stuten gepaart habe und zum Urvater sämtlicher Zentauren geworden sei. Eine Ausnahme ist Chiron, der kultivierte und hochgebildete Erzieher vieler griechischer Helden. Er hat einen ganz eigenen Ursprung: Kronos soll ihn in Gestalt eines Pferdes gezeugt haben. Allen anderen Zentauren möchte man jedoch lieber nicht begegnen. Auch Hercules führt einen heftigen Kampf gegen sie. Ein Exemplar namens Nessus führt schließlich durch List und Tücke Herculesʼ Untergang herbei: Weil Nessus Deïaneira, der Frau des Helden, nachstellt, tötet Hercules ihn mit einem Giftpfeil. Der sterbende Nessus verleitet Deïaneira jedoch dazu, etwas von seinem vergifteten Blut aufzufangen; wenn Hercules je eine andere Frau begehre, solle sie sein Gewand damit tränken, um die fremde Beziehung zu unterbinden. Als Hercules tatsächlich in Liebe zu einer anderen entbrennt, folgt Deïaneira dem fatalen Rat des Zentauren und tötet Hercules mit dem Nessushemd. Die tatsächliche Herkunft der Vorstellung von diesen Mischwesen liegt im Dunkeln. Oft wird angenommen, der Glaube an Pferde­ menschen sei durch die Furcht vor einem wilden Reitervolk entstanden, das bei seinen Feinden den Eindruck hinterlassen habe, die Kriegsmänner und ihre Pferde seien fest miteinander verwachsen. Angesichts der Tatsache, dass den Griechen Pferde und Reiter seit jeher bestens vertraut sind, scheint dies für den griechischen Kulturkreis allerdings eine fragwürdige Erklärung zu sein. Noch zu römischer Zeit berichtet Phlegon von Tralleis, in einer arabischen Stadt sei auf einem hohen, von giftigen Pflanzen bewachsenen Berg ein lebender, Fleisch fressender Zentaur gefangen worden, der als Geschenk für den Kaiser nach Ägypten geschickt worden und dort aufgrund der Luftveränderung gestorben sei. Daraufhin sei er, nach ägyptischer Tradition, konserviert und nach Rom geschickt worden, wo er zunächst im Palast ausgestellt worden sei und noch immer im Kuriositätenkabinett des Kaisers bewundert werden könne: Er habe ein menschenartiges, aber sehr wildes Gesicht, behaarte Arme und Finger, Pferdehufe und eine helle blonde Mähne. Er sei ungefähr so groß wie ein Mensch. Auch wenn es

Riesen und Monster im alten Rom

sich bei diesem Mumienexponat um ein, mit welchen Mitteln auch immer, kunstvoll gefertigtes Modell handeln sollte, so spricht seine Geschichte doch dafür, dass die Römer die reale Existenz eines solchen exotischen Wesens für möglich halten. Die grundsätzliche Bereitschaft der Römer, an Mensch-Tier-Hybride zu glauben, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass eine genetische Vermischung unterschiedlicher Lebensformen durch geschlechtliche Paarung aus römischer Sicht nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn beispielsweise von menschlichen oder tierischen Missgeburten berichtet wird, die Körperteile der jeweils anderen Art aufweisen, so liegt der Gedanke einer sexuellen Verbindung als Ursache nahe. Das mythologische Paradebeispiel für einen solchen Fall ist der Minotaurus, ein Mischwesen aus Mann und Stier, das aus der krankhaften Leidenschaft einer Frau namens Pasiphaë, der Gattin des Königs Minos von Kreta, für einen heiligen Stier hervorgeht (Abb.  60). Der berühmte Handwerker Dae-

dalus, Gefangener des Minos, konstruiert sowohl die Vorrichtung, die der Frau den Verkehr mit dem Tier ermöglicht, als auch das bekannte Labyrinth, in dem das deformierte Kind des frevelhaften Paares vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen wird. Der Philosoph Aristokles (1. Jh. v. Chr. –1. Jh. n. Chr.) erzählt von einer Lamia namens Onoskelia, die als Mischwesen aus Mensch und Esel auf die Welt gekommen sei, da ihr Vater, der die Frauen verachtete, mit einer Eselin verkehrt habe. Die griechische Sage kennt ein Mädchen namens Polyphonte, das seine Jungfräulichkeit nicht verlieren will und daher in die Wildnis flüchtet, um eine Gefährtin der unbemannten Göttin Artemis (im römischen Kulturkreis Diana) zu werden. Da die Liebesgöttin Aphrodite (Venus) sich durch diesen Akt persönlich beleidigt fühlt, straft sie Polyphonte mit der Liebe zu einem Bären. Von der durch dieses Verhältnis angewiderten Artemis vertrieben, kehrt Polyphonte in ihr Vaterhaus zurück und gebiert zwei bärenhafte Jungen namens Agrius und 101

Abb. 59 Mit einem Mädchen musizierende Centauride, Fresko aus Pompeji. Neapel, Archäologisches Natio­nalmuseum.

Drachen

Abb. 60 Theseus und Minotaurus, attisch-schwarzfigurig, 540–530 v. Chr. Paris, Musée du Louvre.

Oreius, die als ausgewachsene Mannbären zu riesenhaften, schrecklichen Kannibalen werden, die Leuten am Wegesrand auflau-

ern, um über sie herzufallen. Die Vorstellung, auf natürlichem Wege Hybridwesen erzeugen zu können, ist also verbreitet. Auch in Bezug auf die Zentauren liegt es nahe, einen geschlechtlichen Akt zwischen Mensch und Tier als Ursprung dieser Gattung zu vermuten. Daher ist der Aufklärer Lukrez bemüht, seinen Lesern zu verdeutlichen, dass eine Paarung zweier so verschiedener Spezies  – selbst wenn sie praktisch durchführbar wäre – kein lebensfähiges Wesen hervorbringen könne. Dieses vernichtende Urteil fällt Lukrez übrigens über sämtliche Mischwesen, die man im alten Rom für möglich hält: Die Lebensweisen der Spezies seien zu verschieden, und die Lebenszeiten seien nach Dauer und Entwicklungsstadien so unterschiedlich, dass es für die Natur unmöglich sei, solche Orga­nismen, die sich völlig unabhängig voneinander entwickelt hätten, miteinander zu kombinieren.

Drachen

A

us dem Orient über griechische Kunst nach Rom importiert wurde die Vorstellung vom Greifen, einem geflügelten Mischwesen mit löwenartigem Körper, riesigen Krallen an Vorder- und Hinterbeinen und Raubvogelkopf mit mächtigem Schnabel (Abb.  61). Auf ähnliche Weise zusammengesetzt wird häufig der König aller ­Monster beschrieben: der Drache, ein gewaltiges, oft mehrköpfiges Ungeheuer, das einen hohen Schlangen- oder Reptilienanteil hat, Feuer speien und fliegen kann. Die ­Grenzen zwischen Drachen und Riesenschlangen verschwimmen dabei. Der griechische Völkerkundler Herodot ist der erste, der um 450 v.  Chr. von aggressiven, mit fledermausartigen Flügeln ausgestatteten Schlangen spricht, die regelmäßig von Arabien nach Ägypten fliegen, dort aber von den einheimischen Ibisvögeln aufgehalten werden. Herodot bezeugt, er habe die Gerippe der Flugschlangen selbst in Augenschein genommen. Diese Tiere seien von normaler, eher kleiner 102

Größe gewesen. Damit haben sie noch wenig mit den großen, furchterregenden Drachen der griechisch-römischen Mythologie zu tun. Aber bemerkenswerterweise scheint es unter den römischen Drachen außer den mon­ strösen Mischwesen auch menschliche oder menschenähnliche Gestaltwandler zu geben.

Menschliche Drachen

Apuleius erzählt in seinen Metamorphosen von einer unheimlichen Begegnung: Als sein in einen Esel verwandelter Protagonist Lucius mit einer Reisegruppe in einer fremden Wald- und Wiesenlandschaft Rast macht, warnt ein Hirte davor, in dieser Gegend zu bleiben, und sucht rasch selbst das Weite. Als die Gruppe noch darüber berät, was es mit diesem Rat auf sich haben mag, erscheint auf einmal ein alter gebeugter Mann am Wegesrand. Er weint und fleht die Reisenden an, sie möchten ihm helfen, sein Enkelkind aus einer Grube zu retten. Ein junger kräftiger Bursche begleitet den Bittsteller und ver-

Riesen und Monster im alten Rom

schwindet mit ihm im Buschwerk. Als die Reisegruppe nach einer ganzen Weile weiterziehen will, ist der junge Mann noch nicht zurück und meldet sich auch nicht nach lautem Rufen. Die Sache erscheint den Reisenden seltsam und sie schicken einen weiteren Mann los, der den ersten suchen soll. Als der Ausgesandte zurückkehrt, steht er unter Schock und berichtet, er habe gesehen, wie ein grässlicher Drache gerade damit beschäftigt sei, den jungen Mann, der dem Alten helfen wollte, zu zerfleischen. Der Bittsteller sei jedoch spurlos verschwunden. Die Reisegruppe ergreift in Panik die Flucht. Diese schaurige Geschichte deutet an, dass es sich bei dem alten Mann am Wegesrand um den Drachen selbst handelt, der, ähnlich den Lamien oder Empusen, in der Lage ist, seine Gestalt zu verwandeln, um durch List und emotionale Manipulation das Vertrauen, ja, sogar die Zuneigung seiner Opfer zu gewinnen. Das gleiche Motiv klingt im Märchen von Amor und Psyche an, das Apuleius in seine

Metamorphosen eingeflochten hat: Die Königstochter Psyche ist so schön, dass sie eine geradezu religiöse Verehrung durch die Menschen und einen tiefen Hass der Göttin Venus auf sich zieht. Da sie aus diesen Gründen keinen Bräutigam findet, sucht ihr Vater Rat beim Orakel des Apoll. Dieses sagt, dass Psyche mit einem drachenhaften Dämon, der die ganze Welt bedrohe, verheiratet werden solle. Zu diesem Zweck wird Psyche auf einem Felsen ausgesetzt, wo sie ihren Bräutigam erwartet. Doch Amor, der Gott der Liebe, lässt Psyche vom Westwind in sein Reich tragen, wo sie, wie im Traum, sein prächtiges Wolkenschloss bezieht und zu seiner Geliebten wird. Ihr gemeinsames Glück hat nur eine Einschränkung: Psyche kann ihren zärtlichen Liebhaber nicht sehen, er ist unsichtbar; sie weiß auch nicht, wer er in Wahrheit ist. Da ihr nach einer Weile der Kontakt zu anderen Menschen fehlt, erlaubt Amor seiner Geliebten, die Schwestern in den Palast einzuladen. Diese kommen prompt, und als sie sehen, in welchen Verhältnissen die verloren ge-

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Abb. 61 Greif und Arimaspus, römische Wandmalerei, 2. pompejanischer Stil, um 80–20 v. Chr. aus Pompeji, Villa dei Misteri. Neapel, Archäologisches Nationalmuseum.

Drachen

glaubte Psyche nun lebt, werden sie neidisch auf sie und erzählen ihr, die Leute hätten ihren geheimnisvollen unsichtbaren Liebhaber dabei beobachtet, wie er in der Gestalt einer schrecklichen giftigen Riesenschlange mit blutbespritztem Maul vom Fressen heimgekehrt sei und im Fluss gebadet habe. Sein Plan sei es, Psyche zu mästen, um sie schließlich mitsamt ihrem ungeborenen Kind zu verschlingen. Psyche ist erschüttert, weil sie ihren Schwestern glaubt, obwohl sie ihren unsichtbaren Geliebten doch durch die regelmäßigen zärtlichen Umarmungen gut kennt. Das heißt, dass die Frauen sich hier einen männlichen drachenhaften Gestaltwandler vorstellen, der seine wahre Natur, das blutrünstige Monster, verbirgt, um sein Opfer in Sicherheit zu wiegen.

Abb. 62 Zeus schleudert einen Blitz auf Typhon, attische Vasenmalerei, ca. 490 v. Chr.

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Tierische Drachen Es gibt zahlreiche große Drachen in der Mythologie. So ist beispielsweise als Gatte der Echidna, der Mutter vieler Ungeheuer, der Flammen speiende Erdriese Typhon mit 100 Drachenköpfen zu nennen (Abb. 62). Er gilt als Erzeuger aller schädlichen Winde und ist von Jupiter unter den Ätna verbannt worden, wo er sich hin und wieder heftig regt. Im Grunde ist er also die Personifikation des brodelnden sizilianischen Vulkans. Vergil beschreibt in der Aeneis, wie Laokoon, der trojanische Priester, der die Bürger Trojas durch eine flammende Rede davon abbringen will, das hölzerne Pferd als vermeintliches Geschenk der feindlichen Griechen in die Stadt zu ziehen, von zwei furchtbaren, monströsen Meeresschlangen

Riesen und Monster im alten Rom

mit blutunterlaufenen rot glühenden Augen und purpurfarbenen Drachenkämmen erwürgt wird (Abb. 63). Hercules kämpft gegen den neunköpfigen lernäischen Drachen, die Hydra aus dem Sumpf von Lerna, die immer wieder die Herden überfällt (Abb.  64). Wenn er dem Untier einen Kopf abschlägt, wachsen zwei neue Häupter nach. Erst das Ausbrennen der Hälse hilft Hercules, die Riesenschlange zu besiegen. Oft haben Drachen die Funktion von Wächtern. Cadmus, der Gründer von Theben, kämpft gegen einen blauen, dem Mars ge-

weihten Drachen, der eine Wasserquelle hütet und viele Phönizier durch Biss, Erwürgung oder Pestatem tötet. Der Held bringt das Untier mit seiner Lanze zu Fall und wird damit zur ikonographischen Vorlage für den katholischen Heiligen Georg. In der Argonautensage wird das Goldene Vlies von einem Drachen bewacht, den die zauberkundige Königstochter Medea durch ihren Gesang in einen Bannschlaf versetzt, damit ihr Geliebter Jason das Vlies von einem Baum holen kann. Delphyne oder auch Python, ein Drache, der aus dem Schlamm einer von Zeus über die Erde geschickten Sintflut entsteht, haust 105

Abb. 63 Laokoon-Gruppe, zweite Hälfte 1. Jh. v. Chr. / Anfang 1. Jh. n. Chr., Marmor. Vatikan, Vatikanische Museen.

Drachen

Abb. 64 Die Hydra von Lerna im Kampf mit Hercules, griechisch, ca. 525 v. Chr.

beim Orakel von Delphi und wird von Apollo mit Pfeilen besiegt. Der hundertköpfige Drache Ladon hat die Aufgabe, den Apfelgarten der Hesperiden, also der Abendnymphen, zu bewachen, und spricht aufgrund seiner vielen Köpfe mit ebenso vielen Stimmen. Seine Figur avanciert schließlich zum Sternbild des Drachen. Die Schilderung all dieser fantastischen Drachengestalten aus der griechisch-römischen Mythologie zeigt ohne Frage, dass die menschliche Phantasie vor über 2500 Jahren nicht weniger lebhaft und produktiv ist als heute  – mit dem einzigen Unterschied, dass ein Großteil der Menschen damals eine tatsächliche Existenz solcher oder ähnlicher Kreaturen irgendwo in der Welt noch für möglich hält. Viele römische Historiker und Schriftsteller wie Titus Livius (ca. 59 v. Chr. –17 n. Chr.), Seneca, Plinius der Ältere oder Cassius Dio (2./3. Jh. n. Chr.) berichten von einem Kommando, das der römische General Regulus im 3.  Jh. v.  Chr. in Nordafrika führt. Dort werden seine Soldaten, die am Fluss Bagrada ihr Lager aufschlagen, von einem Drachen attackiert. Der Heldendichter Silius 106

Italicus (ca.  25–100 n.  Chr.) beschreibt das Ungeheuer eindringlich: Es haucht, in seiner Höhle in einem Wäldchen liegend, einen giftigen Atem aus, der das Lager der Römer erreicht und die Männer dazu bringt, das Versteck des Drachen aufzustöbern, worauf dieser die Soldaten durch Feuer versengt und mit seinem gewaltigen Schwanz durch die Luft wirbelt. Nachdem die Haut des Ungeheuers zu dick für Speere, Pfeile oder Schleudern ist, wird das Monster schließlich mit schwerer Belagerungs- und Katapulttechnik unter Zuhilfenahme von riesigen Felsbrocken, so groß wie Mühlsteinen, besiegt. Hier entfaltet natürlich der Heldendichter seine Begabung. Die ältesten Quellen belegen immerhin einen heftigen Kampf der römischen Soldaten mit einer riesenhaften Schlange, mit der sie am Fluss zusammengestoßen und der einige Männer zum Opfer gefallen seien. Nach der Erlegung der Bestie hätten die Römer aufgrund der giftigen Ausdünstungen des toten Tieres ihr Lager räumen müssen. Die Historiker behaupten weiter, die siegreichen Römer hätten dem Drachen die Haut abgezogen und diese an den Senat in Rom gesendet. Sie habe eine Länge von 36,50  m

Riesen und Monster im alten Rom

und eine nicht minder eindrucksvolle Breite besessen und sei für 100 Jahre, bis zum Numantischen Krieg, auf dem Kapitol zur Schau gestellt worden. Heutige Forscher vermuten, dass es sich bei dem Ausstellungsstück tatsächlich um die Haut einer afrikanischen Riesenschlange handeln könnte. Es gibt verschiedene Spekulationen darüber, welche möglichen politstrategischen Hintergründe oder auch ganz persönlichen Motivationen diese Drachengeschichte um den Feldherrn Regulus haben könnte. Ist das vermeintliche Ereignis der Monsterschlacht absichtlich aufgebauscht oder gar erfunden worden, um Rom die Botschaft zu vermitteln, dass der afrikanische Auftrag des Regulus nicht nur mit Gefahren von karthagischer Seite verbunden sei, sondern auch von einer außerordentlich wilden und unzivilisierten Natur bedroht werde? Will der Feldherr beim Senat um Ablösung ersuchen oder Entschuldigungen für militärische Schwächen vorbereiten? Vielleicht hat der Kampf mit der Riesenschlange aber auch ganz einfach stattgefunden, und die Verbreitung der Geschichte, die mit jeder neuen Erzählversion ins Fantastischere wächst, soll den Ruhm des Feldherrn in der Heimat bekräftigen (Abb. 65). Einen letzten Drachen, der im Hinblick auf Aussehen und Größe weitaus unspektakulärer als die obigen Figuren ist, dessen reale Existenz aber, wie im Fall Regulus, nicht bezweifelt wird, beschreiben sowohl Bolus von Mendes als auch Plinius der Ältere: Den sog. König der Schlangen, den Basilisken (Abb. 66). Obwohl der Basilisk in mittelalterlichen Zeiten zu einem großen Ungeheuer heranwächst, ist er aus altrömischer Sicht ganz einfach eine afrikanische oder orientalische Schlange von etwa 24 cm Körperlänge, die aufrecht geht und einen weißen Fleck am Kopf besitzt. Dieses Merkmal, das an eine Krone erinnert, aber auch ihr stolzer Gang tragen dem Tier den Beinamen «König der Schlangen» ein. Der Basilisk hat zwei tödliche Waffen: erstens seinen Blick, der den Betrachter versteinern lässt, und zweitens seinen giftigen Atem, der alles Lebendige um ihn herum abtötet – Gräser und Sträucher verdorren, sogar Steine brechen in seiner Gegenwart. Den Eingang zur Wohn-

höhle eines Basilisken erkennt man daran, dass in diesem Bereich der Erdboden tot und ausgetrocknet ist. Der Giftatem verrät also den Aufenthaltsort des Basilisken – was von Nutzen ist, da es laut Plinius dem Älteren ein einfaches und wirksames Gegenmittel gegen die tödlichen Ausdünstungen des kleinen Drachen gibt: Man braucht nur ein totes Wiesel im Eingangsbereich der Basiliskenhöhle zu platzieren, und das Ungeheuer ist besiegt.

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Abb. 65 Beispiel einer Riesenschlange: Anakonda aus Lateinamerika. Abb. 66 Bezeichnungen mythologi­ scher Wesen sind auch in der Zoologie zu finden: Bei «modernen» Basilisken handelt sich um eine Leguanart aus Latein­ amerika.

Fazit zu Kapitel IV

Fazit

A

Abb. 67 Verwandlung des Orion, Mosaik aus Pompeji, Regio V, in situ.

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uch die Römer gruseln sich gern über fantastische Phantasiekreaturen, für die, was Zusammensetzung und Größe ihrer Körper angeht, der natürliche Bauplan der Natur keine Rolle spielt: Von menschenähnlichen Riesen, die so groß sind wie die fünf- oder sechsstöckigen Mietskasernen im alten Rom und die in Grausamkeit und Wildheit ihrer Körpergröße in nichts nachstehen, über unheimliche, geradezu skurrile Mischwesen aus Mensch und Raubtier, die gleichermaßen fremdartig wie böswillig sind, bis hin zu Drachen, tierischen Riesenmonstern, die fliegen und Feuer speien und damit zu einer Bedrohung kosmischen Ausmaßes werden können, oder eben auch solchen Exemplaren, die in menschlicher Gestalt erscheinen, um das Vertrauen oder sogar die Zuneigung ihrer Opfer zu gewinnen und dann in einem völlig unerwarteten Moment über diese herzufallen – alles, was auch heute noch eine faszinierende wie abstoßende Wirkung auf den Menschen hat, ist in den alten Erzählungen bereits enthalten. Auch im alten Rom werden Geschichten von solchen Kreaturen zur Unterhaltung konsumiert. Das einzige, was den Schauder römischer Leser von dem heutiger Gruselkonsumenten unterscheidet, ist die leise Ungewissheit, ob all die beschriebenen Kreaturen nicht vielleicht doch in irgendwelchen entlegenen Winkeln der Welt – oder sogar ganz in der Nähe – existieren könnten.

SCHLUSSWORT

D

ie vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass die Vorstellung von paranormalen Gruselgestalten auf eine Kontinuität des menschlichen Bewusstseins verweist: Der Mensch ist dazu angelegt, über das Sichtbare und Stoffliche hinaus zu denken und die bekannte Natur um außergewöhnliche Erscheinungen und fantastische Schöpfungen zu bereichern, die seinem kreativen Geist und seiner lebendigen Vorstellung entströmen, aber genauso von seinen tiefsten Ängsten genährt werden; denn auch in sog. aufgeklärten Zeiten ist der Mensch weitaus weniger rational, als er es gern wäre. Natürlich ist die ratio, die Fähigkeit, einsichtig und vernünftig zu sein, das, was den Menschen vor den anderen Lebewesen auszeichnet. Obwohl er biologisch gesehen zum Tierreich gehört, ragt er mit seinem Bewusstsein über die Grenzen der materiellen und animalischen Welt hinaus, um sich als Teil einer geistigen Wirklichkeit zu erleben. Diese grundlegende Erfahrung weckt in ihm eine tiefe menschliche Sehnsucht und die Hoffnung auf ein höheres Sein, das den Bedingungen der Existenz nicht unterliegt oder diese durch seine fundamentale Andersartigkeit zumindest relativiert. In dieser grundsätzlichen Disposition des Menschen liegt der Ursprung seiner religiösen Vorstellungen und seiner schöpferischen Mythen, durch die er die Welt zu erklären und sinnstiftend zu deuten sucht. So können in der griechisch-römischen Mythologie mit der Entstehung des Kosmos auch Gottheiten und Riesen zum Leben erwachen. Die besondere Fähigkeit des Menschen, sich geistig von seiner materiellen Umgebung zu distanzieren und kraft seines Vorstellungsvermögens und seiner Phantasie sogar an Dinge zu denken, die gar nicht oder noch nicht existieren, verursacht aber auch außergewöhnliche Ängste, die das Tier nicht hat, z. B. die Furcht vor der Endlichkeit und der Sinnlosigkeit oder vor höheren Mächten und paranormalen Bedrohungen. Die Figuren, die der Mensch dabei vor seinem geistigen Auge erstehen lässt, sind Gruselgestalten, die mit

den Erfahrungen des Bösen, des Schadhaften in der realen Welt und in der eigenen Seele zu tun haben. Daher verwundert es nicht, dass sich die Erscheinung dieser Gestalten, die immer wieder aus dem Halbdunkel des menschlichen Bewusstseins hervorlugen, von der Antike bis heute nicht wesentlich verändert hat: Es sind Geister, die sich der Begrenztheit der irdischen Existenz widersetzen und über den Tod hinaus nach Rache für ihnen zugefügtes Unrecht dürsten, womit sie für das Furchtbare stehen, das Menschen in dieser Welt einander antun können, Hexen und Magier als Personifikationen skrupelloser übersinnlicher Mächte, die andere auf brutale Weise dem eigenen Willen unterwerfen, und dämonische Ungeheuer als Verkörperung fremdartiger und unmenschlicher Bedrohungen, die den Opfern ihre Lebenskraft rauben oder sie gleich ganz verschlingen. So alt wie die Urängste des Menschen vor der irdischen Existenz ist sein Gefallen an gepflegter Gruselunterhaltung, in der das Bedrohliche ein Gesicht bekommt, in der die Nachtseiten der eigenen Seele personifiziert werden, so dass man den persönlichen Ängsten gegenübertreten und sie verarbeiten kann, was im Idealfall eine Katharsis, eine Reinigung der Seele bewirkt. Das Gruseln in Gemeinschaft, wie es auch beim Erzählen von Schauermärchen auf einem römischen Gelage üblich ist, sorgt überdies für das Wohlgefühl sozialer Geborgenheit, und das kultivierte Vortragen selbst erdachter Horrorgeschichten stärkt die vermeintliche Gewissheit über die faktische Fiktion der gefürchteten Figuren. Trotzdem können diese aufgrund ihrer engen Verwobenheit mit der menschlichen Psyche in der Wahrnehmung des Einzelnen dann doch eine erschreckend reale Wirkung entfalten, spätestens auf dem einsamen Heimweg in dunkler Nacht. Und das ist gewiss ein Grund, weshalb Gespenster, Hexen, Vampire und Co. den Menschen schon in der griechisch-römischen Antike verfolgen und sicher auch in Zukunft nicht von ihm ablassen werden. 109

Wortregister A

Aeneas 20 Aeneis 11, 19, 20, 104, 111 Aesculapius 50 Agrippa 52 Alkohol 53, 58 Alphito 67 Amor 10, 103 Anaxilaus von Larissa 51 Angst 27, 36, 56, 64, 70, 73 Apollonios von Tyna 73 Apuleius 31, 46, 53, 72, 111 Argonautensage 90, 95, 105 Aristophanes 73 Ärztemedizin 56 Äsop 77 Astrologie 39 Augustus 27, 39

B

Basilisk 107 Bolus von Mendes 52

C

Caesar 51 Caligula 22 Canidia 40, 45, 53, 54 carmen magicum 50 carmina mala 36 Cena Trimalchionis 64 Centimanen 85 Cercopen 75 Charon 19 Charybdis 88, 89, 90 Chimaira 93 Chiron 100 Cicero 18, 19, 32, 38, 51, 52, 111 Claudius Pulcher 33 Columella 55 Compitalia 29 Compital-Laren 27 coniectores 51

Faune 13, 33 fauni 75 Feralia 29, 30 Fluchtäfelchen 40, 47, 51 Frauen 41, 50, 51, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 68, 73 Frömmigkeit 49 Führungsschicht 75 Furcht 25, 60, 64 furor 51, 52, 54, 58

G

Gaea 85 Galen 56 Gefühl 29 Geheimlehren 112 Gehorsam 64 Geistererscheinungen 21, 22 Gello 72 Genius 24, 27 Germanicus 49 Gespenster 27, 72, 75 Gespensterbrief 21, 27 Giganten 85, 86 Glaube 51, 75 Gorgonen 93 Gottheit 47, 50 Göttin 58, 75 Greifen 102

H

Diana 42, 50 Dionysos 54 domina 60

hariolae 54 Harpyien 70, 90 Haruspizen 51 Hausvätermedizin 56 Hecuba 77 Heilungszauber 49 Hekate 28, 58, 73, 75 Hercules 75, 86, 100, 105 Herodot 102 Hetäre 58, 59 Hexe 36, 49, 50, 51, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 61, 68, 111 Hexen 40, 41, 51, 54, 55, 68, 111, 112 Homer 47, 111 Horaz 22, 40, 53, 54, 111 Hydra 105

E

J

D

Echidna 93, 104 effigies 24 Ehrfurcht 24, 25 Elysium 20 Empusen 73 Ennius 51 Epikur 17 Erichtho 53 Erinnyen 42 Erotik 58, 75

F

Fasten 29, 30

Laokoon 104 Laren 28, 29 Larentalia 29 lar familiaris 27 Larven 27, 64 Lemuria 28 lena 58, 59 Leucrocotta 97 lex Cornelia 38 Liebeselegie 45, 46, 53, 58 Liebeszauber 42, 58 L. Licinius Lucullus 45 Lukan 31, 32, 53 Lukian 50, 82 Lukrez 17, 20, 45 Lycaon 77

M

magia 38, 51, 111 magicus 40 Magie 38, 39, 40, 50, 51, 53, 58, 59, 60, 111, 112 magisch 42, 56 magus 36, 40, 51, 52, 54 Makroseiris 83 Manen 24, 25, 30 Manticorus 95 Marius 54 Martial 55 materialistisch 18 Medea 40, 60 medicina domestica 56 Medusa 93 Metamorphosen 41, 50, 67, 72 Minotaurus 101 Moral 46 Mormo 72 Moses 51 mundus 30 Mythen 19 Mythologie 70

N

Jenseitsvorstellungen 20 Juvenal 45

Natur 57, 77 Naturgeister 10, 11, 16 Nekromantie 31, 32, 41 Nessus 100 Nigidius Figulus 51, 52 Nox 42 Numantina 54 Numa Pompilius 13 Nymphen 11, 13, 33

K

O

Kindermord 32, 59 Kräuterfrauen 56, 58 Kupplerin 53, 58 Kynokephalen 83

Opfer 47, 49, 73 Orcus 20 Ordnung 29, 46, 52, 55 Orpheus 20 Ovid 29, 30, 45, 60, 68

L

P

Ladon 106 Laistrygonen 86 Lamien 72, 75, 79

Parentalia 29 Pausanias 97

110

ANHANG

Penaten 27 Petron 53, 68, 75 Pflichterfüllung 28 Philosophie 18, 52 Phlegon von Tralleis 66, 83, 100, 111 Plato 17 Plautus 22, 53, 55 Plinius der Ältere 14 Polyphem 88 Polyphonte 101 Priester 41, 51 Properz 46, 60 Prophetinnen 54 Prostituierte 58, 59 Prostitution 59 Psyche 77, 103, 109 Pythagoreismus 32, 52 Python 105

R

Regulus 106, 107 Religiosität 75 Remus 28 Republik 30, 32 Rhombus 42, 60 Riesen 82, 83, 85, 86, 88, 108 Ritual 29

S

saga 36, 54, 55, 57, 58, 59 Sagana 54, 59

sagax 57 Saturn 85 Schadenzauber 46, 49 Schreckfiguren 64, 67 Scipios Traum 18 Scylla 88, 89, 90, 93 Seherinnen 54, 55 Sextus Pompeius 32, 54 Sexualität 58 Silvanus 54 Sirenen 90 Skepsis 53 Spartacus 54 Sphinx 93 Stoa 10 Strigen 67, 79 Sueton 22, 45 Sulla 38, 51 Sympathiepuppen 47

T

Triton 97, 100 Typhon 104

U

Unterwelt 19, 20, 30, 31 Untote 7, 64, 66 Uranus 85

V

Varro 28, 30, 52, 55 vates 51, 55 Vatinius 32 venefica 59 Vergil 11, 20, 111 Vesta 27

W

Wechselbälger 70 Werwolf 75, 78, 79 Wiedergänger 64

tabulae defixionum 40, 47 Tacitus 49 Tartarus 19, 20, 85 Tempel 28, 52 Theopompos von Sinope 83 Tibull 46, 49, 56, 60 Titanen 85, 86 Totenseelen 21, 27, 28, 30, 31 Tradition 27 Träume 20, 33

Z

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Zauberei 36, 38, 49, 60, 111 Zauberpapyri 40, 47, 51 Zebaoth 48 Zeichen 22 Zeitenwende 47, 51 Zentauren 88, 100 Zwölftafelgesetz 36, 38, 46

Bibliografie Übersetzungen und Kommentare

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20. 25. 27. 28. 51. 60: akg-images / Erich Lessing  | Abb. 21. 52: Eric Vandeville / akg-images | Abb. 22: akg-images / Erich Lessing; Vatikanische Museen  | Abb. 24: bpk / Musée du Louvre, Dist. RMN – Grand Palais / Georges Poncet | Abb. 26. 43: akg-images / Gilles Mermet | Abb. 30: akg-images / Jean-Louis Nou | Abb. 36: akg-images / De Agostini / Biblioteca Ambrosiana  | Abb. 37: akg-images / De Agostini Picture Lib. / G. Nimatallah | Abb. 39: Westend61 GmbH / Alamy Stock Photo | Abb. 44. 63: akgimages / Album / Oronoz  | Abb. 46: Heritage-

Images / CM Dixon / akg-images | Abb. 47: akgimages / De Agostini / V. Giannella  | Abb. 48: Roberto La Rosa / Alamy Stock Photo | Abb. 50: Hervé Champollion / akg-images  | Abb. 53: akg-images / Rabatti & Domingie  | Abb. 57: akg-images / Nimatallah  | Abb. 58: akg-images / Science Photo Library / MARCO ANSALONI / SCIENCE PHOTO LIBRARY  | Abb. 59: Azoor Photo / Alamy Stock Photo | Abb. 62. 64: akg-images / Pictures From History | Abb. 65: wayak  | Abb. 66: DestinoSalvaje  | Abb. 67: Foto: PARCO ARCHEOLOGICO di POMPEI.

Bildnachweis Abb. 1. 32. 35: Eva Walther  | Abb. 2. 7: akgimages / Bildarchiv Steffens  | Abb. 3: akg-images / De Agostini Picture Lib. / C. Sappa | Abb. 4: akg-images / Album / Prisma  | Abb. 5. 54. 61: akg-images / MPortfolio / Electa  | Abb. 6. 13. 33: akg-images / André Held | Abb. 8. 9. 11. 14. 31. 34. 41. 45. 55. 56: © Jonas Fischer | Abb. 10. 15. 16. 29. 38. 40. 42. 49: akg-images | Abb. 12: Roland and Sabrina Michaud / akg-images  | Abb. 17: akg-images / WHA / World History Archive  | Abb. 18. 23: akg-images / INTERFOTO / HERMANN HISTORICA GmbH | Abb. 19.

Vita Autor Rudolph Kremer (Jahrgang 1978) hat in Biele­ feld Latein und Evangelische Theologie studiert. Als freier Mitarbeiter der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld gibt er Seminare im Fach

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Latein. Seit 2006 ist er Lehrer an einem Gymnasium im Landkreis Osnabrück. 2015 hat er über die Ursprünge des Gegensatzes von Religion und Superstition im alten Rom promoviert.

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