Die Entwicklung der SED-Diktatur auf dem Lande: Die Landkreise Liebenwerda und Schweinitz in der Sowjetischen Besatzungszone 1945-1949 9783666369704, 9783647369709, 9783525369708


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Die Entwicklung der SED-Diktatur auf dem Lande: Die Landkreise Liebenwerda und Schweinitz in der Sowjetischen Besatzungszone 1945-1949
 9783666369704, 9783647369709, 9783525369708

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Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Günther Heydemann Band 58

Vandenhoeck & Ruprecht

Sebastian Rick

Die Entwicklung der ­SED-Diktatur auf dem Lande Die Landkreise Liebenwerda und ­Schweinitz in der Sowjetischen Besatzungszone 1945–1949

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197–0971 ISBN 978–3-647–36970–9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter www.v-r.de. Mit 14 Tabellen. Umschlagabbildung: Das Titelbild zeigt den Liebenwerdaer Landrat Paul Paulick (KPD) zusammen mit Offizieren der Roten Armee während der 1. Bürgermeisterkonferenz im Kreis Liebenwerda am 3. Juli 1945. Quelle: © Kreismuseum Bad Liebenwerda © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de ­ Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden

In dankbarer Erinnerung an Werner und Wally Bartzsch Für meine Familie

Inhalt I.

Einleitung

11

1. 2.

Forschungsstand Quellenlage

13 21

II.

Das Untersuchungsgebiet

23

1. 2.

Der Landkreis Liebenwerda Der Landkreis Schweinitz

23 32

III.

Das Kriegsende 1945

41

1. 2. 3. 3.1

Die militärische Lage im April/Mai 1945 Alliierte Luftangriffe in den letzten Kriegswochen Die Verbrechen der SS und Wehrmacht am Ende des Kriegs Die Todesmärsche durch die Kreise Liebenwerda und Schweinitz Das KZ-Außenlager Schlieben Der „Durchhalteterror“ gegen die deutsche Bevölkerung Die Verbrechen der Roten Armee am Ende des Kriegs Die „Partisanenbekämpfung“ Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde Der Abzug der befreiten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter Selbstmorde

41 47 50

3.2 3.3 4. 4.1 4.2 5. 6. IV.

Der Verwaltungsaufbau nach dem Einmarsch der Roten Armee

1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.4

Die „Aktivisten der ersten Stunde“ Der Aufbau der Verwaltung Der Aufbau der Verwaltungen in den Städten und Gemeinden Der Aufbau der Kreisverwaltungen Die Entnazifizierung der Verwaltungen 1945/46 Der Aufbau der Polizei

50 54 61 66 66 78 89 96

107 107 113 113 122 131 142

8

Inhalt

V.

Der Neuaufbau der Parteien

149

1. 2. 3.

KPD SPD Die bürgerlichen Parteien

149 160 168

VI.

Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

183

1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Die Befehlsgrundlage der sowjetischen Geheimdienste in Deutschland Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste im Untersuchungsgebiet Die Ankunft der sowjetischen Geheimdienste Die Zusammenarbeit mit den Deutschen Die Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste auf der Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 00315 Die SMT-Verurteilten Die Transporte in die NKWD/MWD-Speziallager

VII.

Die Vereinigung der KPD und SPD

231

1. 2. 3. 4.

Die Zusammenarbeit von KPD und SPD in den Kommunalverwaltungen 1945/46 Die „Aktionseinheit“ bis zum November 1945 Die „Vereinigungskampagne“ Der Zusammenschluss der beiden Parteien

231 237 243 261

VIII.

Die Bodenreform

267

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Vorbereitung der Bodenreform Die Bodenkommissionen Die Enteignung der Grundbesitzer über 100 Hektar Besitz Die Enteignung der „aktiven Nationalsozialisten“ Die Aufteilung des enteigneten Bodens Die Lage der Neubauern

267 274 281 293 303 312

183 188 188 190 197 211 219

Inhalt

9

IX.

Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

319

1. 2. 3. 3.1 3.2 3.3 3.4

Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und die Wiederingangsetzung der Wirtschaft nach dem Kriegsende Die sowjetischen Demontagen Die Enteignung und Entnazifizierung der Wirtschaft Die erste Phase der Enteignungen nach dem Kriegsende Die Entnazifizierung der Wirtschaft nach der Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 13. September 1945 Die Sequestrierung der Unternehmen und Betriebe nach dem SMAD-­Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 Die Enteignung der sequestrierten Unternehmen und Betriebe

X.

Die Kommunal- und Landtagswahlen 1946

393

1. 2. 3. 4. 4.1 4.2

Die Wahlvorbereitungen und Wahlrechtsbestimmungen Die Behinderung der bürgerlichen Parteien Wahlanalyse Die Neukonstituierung der kommunalen Parlamente Stadt- und Gemeindeparlamente Kreistage

393 399 410 426 426 438

XI.

Die Festigung der Macht der SED

445

1. 1.1 1.2 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3. 3.1 3.2 4.

Die politischen Säuberungen 1947/48 Die Weiterführung der politischen Säuberungen durch die Kontrollratsdirektive Nr. 24 Der Abschluss der Entnazifizierung nach SMAD-Befehl Nr. 201 Die Stalinisierung der SED Die Listenaufstellung während der Kommunalwahlen 1946 Innerparteiliche Konflikte 1947 Die Kreisparteitage und Kreisvorstandswahlen im Vorfeld des II. SED-Parteitags Die Entstehung der „Partei neuen Typus“ Die politischen Säuberungen in der SED 1948/49 Die Ausschaltung kritischer bürgerlicher Kommunalpolitiker in den Kreisverwaltungen Kreis Liebenwerda Kreis Schweinitz Die Volkskongressbewegung und Gründung der DDR

445

319 324 340 340 353 365 376

445 456 464 464 469 476 482 488 501 501 514 528

10

Inhalt

XII.

Zusammenfassung

543

XIII.

Anhang

559

1. 2. 3. 4. 5.

Abkürzungsverzeichnis Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Personenverzeichnis Danksagung

559 562 570 580 586

I.

Einleitung

Nachdem am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa endete, wurde die deutsche Gesellschaft besonders im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einem enormen politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess unterworfen. Am Beispiel der zwei ostdeutschen Landkreise Liebenwerda und Schweinitz wird im Folgenden dieser Transformationsprozess zwischen den Jahren 1945 und 1949 analysiert. In dieser Studie wird dabei vorausgesetzt, dass es sich in der SBZ um eine politische und gesellschaftliche Transformation handelte, die in der Gründung der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) mündete. Aus diesem Grund widmet sich die Untersuchung vor allem der Frage, wie sich diese „Diktaturdurchsetzung“ im Untersuchungsgebiet vollzog.1 Man kann an dieser Stelle trefflich darüber streiten, ob nicht der Begriff „Diktaturdurchsetzung“ das Blickfeld des Forschers von vornherein zu sehr einengt, da die Ergebnisse des damaligen Handelns mit dieser Begriffsbestimmung vermeintlich bereits vorweggenommen werden. Da das Ergebnis dieses Prozesses, die SED-Diktatur, jedoch bekannt ist und in der Forschung nicht ernsthaft bestritten wird, beschreibt dieser Begriff, nach Ansicht des Verfassers, die geschichtliche Entwicklung in der SBZ am treffendsten. Der Begriff gewährleistet zudem einen konzentrierten Blick auf die Transformationsmaßnahmen, die die Bedingungen für die neue Diktatur schufen, und bewahrt vor der Abschweifung in unpolitische Themenkomplexe. Der Terminus „Diktaturdurchsetzung“ darf allerdings nicht von vornhe­ rein dazu verleiten, einen geradlinigen Prozess in die Diktatur zu zeichnen. So gab es für die Besatzungsmacht und für die von ihr protegierte Kommunistische Partei Deutschland (KPD)/SED immer wieder Rückschläge bzw. andere Schwerpunktbildungen auf ihrem Kurs zur Diktatur. Die Hauptkritik gegen den Begriff der Diktaturdurchsetzung richtet sich aber gegen den darin verborgenen handlungstheoretischen Ansatz, der von dem intentionalen Handeln der geschichtlichen Akteure ausgeht. Die Befürworter des Begriffs „Diktaturdurchsetzung“ setzen voraus, dass die Akteure der sowjetischen Besatzungsmacht und der KPD/SED während ihres Handelns zielgerichtet den Aufbau einer Diktatur seit Beginn der Besatzungszeit anstrebten. Systemische Zufälligkeiten im Handeln der Akteure wurden konsequent ausgeschlossen.2 Detlev Brunner erwiderte den Befürwortern des Begriffs ­„Diktaturdurchsetzung“ ­kritisch,

1

2

In Bezug auf die Entwicklung in der SBZ wurde der Begriff „Diktaturdurchsetzung“ erstmals von Klaus-Dietmar Henke in die Forschungsdiskussion eingebracht. Vgl. Klaus-Dietmar Henke, Deutschland – Zweierlei Kriegsende. In: Ulrich Herbert/Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1944–1948, Essen 1998, S. 353. Vgl. Rainer Behring/Mike Schmeitzner, Einleitung. In: dies. (Hg.), Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, Köln 2003, S. 15.

12

Einleitung

dass dieser Begriff „die Abhängigkeiten und Interdependenzen zwischen strukturellen Prozessen und politisch Handelnden weitgehend“ ausblendete. Brunner vermisste den systemtheoretischen Zugang, z. B. indem er davor warnt, dass das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen deutscher Kommunalverwaltung, sow­jetischer Besatzungsmacht und deutscher Bezirks- bzw. Provinzialverwaltung und die daraus resultierenden systemischen Zwänge auf die einzelnen Akteure nicht genug berücksichtigt wurden.3 Dem kann allerdings erwidert werden, dass es zwar zweifellos richtig ist, dass diese systemischen Zwänge auf die Handelnden wirkten und gleichfalls berücksichtigt werden müssen, doch bildeten diese nur einen Teil der Handlungsmotive der Akteure. Die folgende Studie basiert also auf einem Handlungsmodell, in welchem die geschichtlichen Akteure in jeder Lage für ihr eigenes Handeln voll und ganz verantwortlich sind. Die Arbeit folgt nicht nur einem reinen struktur- bzw. politikgeschichtlichen Ansatz, der sich lediglich mit dem Wirkungsgefüge und den Entscheidungsspielräumen der deutschen sowie sowjetischen Institutionen beschäftigt. Die Studie versucht vielmehr darüber hinaus, die Wirkungen auf die deutsche Gesellschaft zu erfassen und zu beschreiben. So ist der Nachweis für die Diktaturdurchsetzung nicht nur dadurch zu erbringen, indem man das Handeln der Verwaltungen darstellt, sondern nur indem man zusätzlich dazu die Wirkungen dieses Handelns vor Ort in der Gesellschaft untersucht. Für diese sozialgeschichtlichen Untersuchungen wurde nicht nur statistisches Material aus den Verwaltungen ausgewertet, sondern es wurden immer wieder einzelne lokale Fallbeispiele dargestellt, die für das Verständnis des gesamten beschriebenen gesellschaftlichen Wirkungsprozesses exemplarisch waren. Letztlich werden in dieser Arbeit schwerpunktmäßig die Umstände des Kriegsendes, der Neuaufbau der kommunalen Verwaltungen und Parteien, die Entnazifizierungsmaßnahmen, die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste, die Bodenreform, die Vereinigung von KPD und SPD, die Umgestaltung der Wirtschaft, die Kommunal- und Landtagswahlen 1946 und die spätere politische Entwicklung bis in das Jahr 1949 innerhalb und außerhalb der SED behandelt. Dabei konnten einige Themenbereiche nicht analysiert oder nur gestreift werden, wie z. B. die Bildungs- bzw. Jugendpolitik, die Flüchtlings- bzw. Vertriebenenproblematik oder auch die materiellen Wiederaufbaubemühungen der deutschen Verwaltungen. Die Schwerpunktbildung orientierte sich vor allem an der politischen und gesellschaftlichen Erforschung der Diktaturdurchsetzung in der ländlichen Gesellschaft.

3

Vgl. Detlev Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern 1945–1949, Köln 2006, S. 7.

Forschungsstand

13

1. Forschungsstand Eine in diesem Rahmen umfassende politik- bzw. gesellschaftsgeschichtliche Untersuchung im Zeitraum zwischen 1945 und 1949 existierte bisher für die beiden Landkreise Liebenwerda und Schweinitz nicht. Lediglich die Magisterarbeit von Torsten Lehmann, die sich im Jahr 1999 mit der Analyse der Bodenreform im Kreis Liebenwerda befasste, stellt die einzige bisher wissenschaftliche Studie zu einem der behandelten Themenkomplexe dar.4 Zwar wurden auch vor 1990 mehrere regionale Arbeiten zu einzelnen Themenfeldern, u. a. von Fritz Wilhelm und Kurt Porrmann, veröffentlicht, doch konnten bzw. wollten sich diese nicht von der durch die SED vorgegebenen ideologischen Geschichts­ interpretation lösen.5 Wie sehr sich die SED und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) in die Erarbeitung der regionalen Geschichte einmischten, zeigt folgendes Beispiel: Nachdem Fritz Wilhelm im Jahr 1969 sein Manuskript zur „Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949“ fertigstellte, wurde dieses vom FDGB-Vorstand des Kreises Bad Liebenwerda in 19 Punkten beanstandet. Dabei wurde u. a. bemängelt, dass Wilhelm bei der Darstellung der Vereinigung der KPD mit der SPD „zu stark die negativen Äußerungen“ zum Vereinigungsprozess gezeigt hätte.6 Eine politisch unabhängige Forschungsleistung war unter diesen Umständen ausgeschlossen. Trotz aller vorgegebenen Interpretationen durch die SED, dienten diese Schriften aber durchaus als wichtige Grundlage zur Erstellung dieser Arbeit, da hierin bereits wichtige Quellenmaterialien, welche heute teilweise nicht mehr vorhanden waren, aufgearbeitet bzw. aufgelistet wurden. Auch für den gesamten Raum der SBZ existieren bisher kaum vergleichbare Regionalstudien. Wenn überhaupt, dann konzentrierten sich diese Studien fast ausschließlich auf den Raum der Großstädte. Die Hauptgründe dafür waren zum einen die bessere Quellengrundlage in den Städten und zum anderen die 4 5

6

Vgl. Torsten Lehmann, Die Bodenreform im Kreis Liebenwerda, Bad Liebenwerda 1999 (Magisterarbeit). Vgl. z. B. Fritz Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland. Aufzeichnungen über den antifaschistischen Widerstandskampf im Kreis Liebenwerda, Bad Liebenwerda 1966; ders., Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851); Kurt Porrmann, Die Durchführung der demokratischen Bodenreform im Kreis Schweinitz. Ein Beitrag zum 50. Jahrestag der KPD, Herzberg 1968; ders., Lebensbilder verdienter Parteiveteranen, Herzberg 1988; Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung Herzberg (Hg.), … und der Zukunft zugewandt. Zur Geschichte des Kreises Herzberg/Schweinitz (1945 und 1946), Jessen 1959. Vgl. Bad Liebenwerdaer Kreisvorstand des FDGB mit Änderungsvorschlägen zum Manuskript von Fritz Wilhelm an die Bad Liebenwerdaer Kreisverwaltung vom 4.7.1969 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851). Das 137-seitige Manuskript von Fritz Wilhelm wurde schließlich nicht gedruckt. Ob dabei allein politische Gründe eine Rolle spielten, konnte nicht geklärt werden. Da aber Wilhelm auch dieses Manuskript im Interpretationsrahmen der SED verfasste und auch später noch regionale Geschichtsarbeiten veröffentlichen durfte, können auch andere Gründe für das Ausbleiben der Veröffentlichung nicht ausgeschlossen werden.

14

Einleitung

größere Verflechtung der großstädtischen Kommunalpolitik mit den politischen Prozessen innerhalb des entsprechenden Landes bzw. der gesamten SBZ. Vor allem ist hierbei die Studie von Thomas Widera über Dresden in der Zeit zwischen 1945 bis 1948 zu nennen.7 Eine umfassende Analyse über den ländlichen Raum in der Zeit zwischen 1945 bis 1949 lag für die SBZ-Geschichte bisher nur von Matthias Helle vor. Helle untersuchte in seiner Dissertation den brandenburgischen Kreis Zauch-Belzig. Im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit wurden darin aber einzelne Themenkomplexe, wie z. B. sowjetische Kriegsverbrechen, die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste, die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien sowie die Umgestaltung und Entnazifizierung der Wirtschaftsordnung, nicht oder nur am Rande behandelt. Da sich das Untersuchungsgebiet Helles zudem im Land Brandenburg befand, unterschied sich die Initiierung und Umsetzung der politischen und gesellschaftlichen Transformationsmaßnahmen zum in dieser Studie untersuchten Gebiet im Land Sachsen-Anhalt teils erheblich.8 Weitere Studien über ländliche Regionen in der SBZ in der Zeit zwischen 1945 bis 1949 konzentrierten sich dagegen ausschließlich auf einzelne spezielle Themenkomplexe. Dabei spielte, wie kaum verwunderlich war, die Erforschung der Bodenreform die größte Rolle.9 Zu erwähnen wären aber auch die Studien von Alexander Sperk zur Entnazifizierung und Personalpolitik in der Stadt Köthen/Anhalt und von Heiko Tammena über die sozialistische Arbeiterbewegung in Luckenwalde.10 Wesentlich mehr Interesse schenkte hingegen die Forschung bisher der Aufarbeitung der SBZ-Geschichte in der Provinz Sachsen/Sachsen-Anhalt.11 Da das Gebiet der beiden Landkreise Liebenwerda und Schweinitz bis in das Jahr 1952 zur Provinz Sachsen bzw. zum Land

 7 Vgl. Thomas Widera, Dresden 1945–1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft, Göttingen 2004. In weitaus kleinerem Rahmen war hier noch die Studie von Rainer Behring über Chemnitz zu nennen. Vgl. Rainer Behring, Die Zukunft war nicht offen. Instrumente und Methoden der Diktaturdurchsetzung in der Stadt: Das Beispiel Chemnitz. In: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hg.), Diktaturdurchsetzung. Instrumente und Methoden der kommunistischen Machtsicherung in der SBZ/DDR 1945–1955, Dresden 2001, S. 155–168.  8 Vgl. Matthias Helle, Nachkriegsjahre in der Provinz. Der brandenburgische Landkreis Zauch-Belzig 1945–1952, Berlin 2011.  9 Vgl. z. B. Peter Boigk, Die Bodenreform im brandenburgischen Kreis Ostprignitz, Berlin 1996 (Magisterarbeit); Boris Spix, Die Bodenreform in Brandenburg 1945–1947. Konstruktion einer Gesellschaft am Beispiel der Kreise West- und Ostprignitz, Münster 1997. 10 Vgl. Alexander Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik in der Sowjetischen Besatzungszone Köthen/Anhalt. Eine Vergleichsstudie (1945–1948), Dössel 2003; Heiko Tammena, „Unser schönes rotes Luckenwalde“. Lager, Milieu und Solidargemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung zwischen Ausgrenzung und Verstaatlichung, Münster 2000. 11 Die preußische Provinz Sachsen wurde nach dem Wiener Kongress im Jahr 1816 gebildet. Am 1.7.1944 wurde die Provinz Sachsen infolge der Anpassung der Territorien an die neu entstandenen Reichsverteidigungsbezirke aufgelöst und in die Provinzen Halle-Merseburg und Magdeburg aufgeteilt. Unter der sowjetischen Besatzungsherrschaft entstand die Provinz Sachsen im Juli 1945 erneut. Das Land Anhalt wurde dabei der Provinz Sachsen, der ehemals zur Provinz Sachsen gehörende Regierungsbezirk Erfurt

Forschungsstand

15

Sachsen-Anhalt gehörte, konnte diese Arbeit an die in der Provinz bzw. im Land gewonnenen Forschungsergebnisse anknüpfen. Zwar liegt bisher keine zusammenfassende Studie über die SBZ-Geschichte für die Provinz Sachsen bzw. das Land Sachsen-Anhalt vor, aber z. B. die Arbeiten von Andreas Schmidt zur Vereinigung der KPD und SPD in der Provinz Sachsen, von Manfred Wille u. a. zur Bodenreform und zur Wirtschaftspolitik, von Rainer Karlsch zur Demontage- und Reparationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht und von Mathias Tullner zur Analyse der Wahlergebnisse im Jahr 1946 bildeten wichtige Voraussetzungen für das Verständnis der übergeordneten Prozesse innerhalb der Provinz bzw. des Landes Sachsen-Anhalt.12 Insgesamt unterschied sich nochmals der Aufarbeitungsgrad einzelner in der folgenden Arbeit analysierter Themenfelder sehr. Während zu einzelnen Themen, wie z. B. über den Aufbau der Parteien, die Bodenreform und die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien, umfassende Forschungsergebnisse vorlagen, wurden andere Themen bisher in der Forschung so gut wie nicht behandelt.13

dagegen dem Land Thüringen angegliedert. Nach der Landtagswahl im Oktober 1946 bezeichnete man die Provinz kurze Zeit als Provinz Sachsen-Anhalt, um dann schließlich im Juli 1947 den Begriff Land Sachsen-Anhalt einzuführen. Vgl. Gerlinde Schlenker, Geschichte Sachsen-Anhalts. Bismarckreich bis Gründung der Bezirke 1952, Band III, München 1994, S. 9. 12 Vgl. Andreas Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“ Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Provinz Sachsen/im Land Sachsen-Anhalt 1945–1949, Münster 2004; Manfred Wille, Die Verabschiedung der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen. In: Arnd Bauerkämper (Hg.), „Junkerland in Bauernhand?“ Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996, S. 87–102; Manfred Wille, Die Industrie Sachsen-Anhalts im Spannungsfeld zwischen Neuaufbau, Besatzungsregime und gesellschaftlichen Umbrüchen 1945–1947. In: Christoph Buchheim (Hg.), Wirtschaftliche Folgelasten des Kriegs in der SBZ/DDR, Baden-Baden 1995, S. 141–168; Manfred Wille, Entstehung und Liquidation eines selbständigen Landes Sachsen-Anhalt (1945–1952). In: Gerlinde Schlenker, Geschichte Sachsen-Anhalts. Bismarckreich bis Gründung der Bezirke 1952, Band III, München 1994, S. 194–224; Manfred Wille, Die Tätigkeit der Provinzialverwaltung/Landesregierung Sachsen-Anhalt im Spannungsfeld zwischen sowjetischer Besatzungsherrschaft, SED-Machtstreben und Eigenverantwortung (1945–1949). In: Detlev Brunner/Werner Müller/Andreas Röpcke (Hg.), Land – Zentrale – Besatzungsmacht. Landesverwaltung und Landesregierung in der Sowjetischen Besatzungszone, Frankfurt a. M. 2003, S. 107–134; Rainer Karlsch, „Rüstungsprovinz“ und Reparationsressource – Die Demontagen in Sachsen-Anhalt. In: Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hg.), Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen, Berlin 2002, S. 227–273; Mathias Tullner, Zwischen Demokratie und Diktatur. Die Kommunalwahlen und die Wahlen zum Provinziallandtag in Sachsen-Anhalt im Jahre 1946, Magdeburg 1996. 13 Vgl. zum Aufbau der Parteien z. B. Jürgen Frölich (Hg.), „Bürgerliche“ Parteien in der SBZ/DDR. Zur Geschichte der CDU, LDP(D), DBD und NDPD 1945 bis 1953, Köln 1994; Harold Hurwitz, Die Anfänge des Widerstands. Teil 1: Führungsanspruch und Isolation der Sozialdemokraten, Köln 1990. Vgl. zur Bodenreform z. B. Arnd Bauerkämper (Hg.), „Junkerland in Bauernhand?“ Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996. Vgl. zur Vereinigung von KPD und SPD z. B.: Harold Hurwitz, Die Anfänge des Widerstands.

16

Einleitung

Nahezu neu war z. B. eine wissenschaftliche Analyse der Umstände des Einmarsches der Roten Armee. In der DDR-Literatur aus politischen Gründen konsequent verschwiegen, traute sich die Forschung bis heute nicht, die zahlreichen während des Einmarsches verübten Verbrechen der Soldaten der Roten Armee umfassend zu analysieren. Zum einen konnte dafür der Mangel an geeigneten Quellen, zum anderen aber auch politische Intentionen verantwortlich gemacht werden. Wenn überhaupt, dann wurde bisher lediglich im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Flucht und Vertreibung über Verbrechen der Roten Armee im Gebiet jenseits der Oder und Neiße ausführlich geschrieben.14 So nahm die Forschung bisher allgemein an, dass die Intensität der Verbrechen der Roten Armee nach der Überquerung der Oder und Neiße in der letzten Phase des Kriegs wieder abnahm.15 Eine dezidierte Forschung, z. B. mit den seit dem Jahr 2009 zugänglichen Standesamtsakten, wurde dazu bisher aber nicht durchgeführt. Dagegen war interessanterweise die Heimatgeschichtsschreibung im Untersuchungsgebiet viel weiter. In zahlreichen, meist von Zeitzeugen verfassten Artikeln in den Heimatkalendern der Region arbeiteten diese ihre oftmals traumatischen Erlebnisse während dieser Zeit auf und bildeten damit eine wichtige Literatur- sowie Quellengrundlage zum Thema.16 In einem ähnlichen Zusammenhang stand auch die Auseinandersetzung mit den zahlreichen am Kriegsende verübten Selbstmorden. Die Zurückhaltung der Forschung basiert in diesem Fall zudem wohl auch auf der bis heute andauernden gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas Selbstmord. So war es kaum verwunderlich, dass die einzige bisher veröffentlichte Arbeit über Selbstmorde im Dritten Reich im englischsprachigen Raum erschien. Diese von Christian Goeschel erarbeitete Studie befasste sich allerdings nur in einem gesonderten Kapitel mit den Selbstmorden während des Kriegsendes 1945. Er verschwieg dabei nicht den Wirkungszusammenhang zwischen ­nationalsozialistischer

Teil 2: Zwischen Selbsttäuschung und Zivilcourage: Der Fusionskampf, Köln 1990; Friederike Sattler, Bündnispolitik als politisch-organisatorisches Problem des zentralen Parteiapparates der KPD 1945/46. In: Manfred Wilke (Hg.), Die Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998, S. 119–212. 14 Vgl. z. B. Theodor Schieder, Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, 3. Band, Bonn 1960. 15 Vgl. Horst Boog/Richard Lakowski, Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945. Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht, München 2008, S. 740; Hubertus Knabe, Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland, Berlin 2008, S. 78. Ebenso schrieb Jürgen Thorwald direkt in Bezug auf die Truppen der 1. Ukrainischen Front, dass deren Gardetruppen, die das Untersuchungsgebiet besetzten, nach dem Angriff am 16.4.1945 „stärkere Zuhaltung und Disziplin“ als zuvor zeigten. Vgl. Jürgen Thorwald, Die große Flucht. Niederlage, Flucht und Vertreibung, München 2005, S. 545. 16 Vgl. z. B. Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994; Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006.

Forschungsstand

17

Propa­ganda und tatsächlich erlebter Gewalt von Rotarmisten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung auf die hohe Selbstmordrate am Ende des Kriegs.17 Somit widersprach er der Deutung, dass es sich bei den zahlreichen Selbstmord­ opfern in erster Linie um überzeugte Nationalsozialisten oder von der goebbelsschen Propaganda beeinflusste Personen handelte, die angesichts der unabwendbaren Niederlage ihrem Leben ein Ende setzten. Der Mangel an Regionalstudien war ebenso vor allem dafür verantwortlich, dass dem Wiederaufbau der Verwaltungen unmittelbar nach Kriegsende bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. Besonders die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht wurde dabei bisher nur ungenügend erforscht. Obwohl dieser Punkt von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Diktaturdurchsetzungsprozesses ist, wurden in der Wissenschaft bisher oftmals nur das Verhalten der Antifa-Komitees sowie der nach Deutschland zurückgekommenen KPD-Initiativ­gruppen ausführlicher untersucht.18 Insbesondere die Arbeit der Besatzungsoffiziere in der 1. Weißrussischen bzw. 1. Ukrainischen Front, die unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee die wesentlichen personellen und strukturellen Weichen für den Verwaltungsaufbau stellten, bedarf jedoch einer weiteren ausführlichen Analyse, die allerdings nur mit intensiver Recherche in russischen Archiven geleistet werden könnte. So wurde beispielsweise, wie Jan Foitzik zu Recht bemängelte, die Wirkung der am 13. Mai 1945 vom Kriegsrat der 1. Ukrainischen Front erlassenen Richtlinien zum Verwaltungsaufbau auf die Wiedereinrichtung der deutschen Verwaltungen bisher nicht näher erforscht.19 Erstaunlicherweise weist die Untersuchung der Umgestaltung der Wirtschaftsordnung in der SBZ ebenso mehrere Forschungslücken auf. Während die Erforschung der sowjetischen Demontage- und Reparationspolitik für den Bereich der SBZ bereits weit fortgeschritten ist, wurde besonders der rigorose Enteignungsprozess in den Jahren 1945/46 in vielen Fällen nur sehr oberflächlich behandelt.20 Auch wenn z. B. Winfrid Halder bzw. Friederike Sattler für die Länder Sachsen oder Brandenburg die Wirtschaftspolitik in den ersten Nachkriegsjahren ausführlich untersuchten, so kam doch auch bei ihren Analysen die Untersuchung der ersten „wilden Enteignungen“ sowie der

17 Vgl. Christian Goeschel: Suicide in Nazi Germany, Oxford 2009, S. 149–166. 18 Vgl. z. B. Jeannette Michelmann, Aktivisten der ersten Stunde. Die Antifa in der Sow­ jetischen Besatzungszone, Weimar 2002; Gerhard Keiderling, „Gruppe Ulbricht“ in Berlin. Von April bis Juni 1945, Berlin 1993. 19 Vgl. Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945–1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999, S. 331 f. 20 Vgl. zur sowjetischen Demontage- und Reparationspolitik: Rainer Karlsch, Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945–1953, Berlin 1993; Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hg.), Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen, Berlin 2002; Bogdan Musial, Stalins Beutezug. Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht, Berlin 2010.

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Einleitung

­ equestrierungsprozess nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 viel zu kurz.21 InsbeS sondere eine umfassende Untersuchung zur Entstehung und Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 124, der bisher immer noch allgemein als Ausgangspunkt der späteren Enteignung angesehen wird, ist sprichwörtlich überfällig. Eine weitere auffallende Forschungslücke zeigte sich bei der Analyse der Kommunal- und Landtagswahlergebnisse im Jahr 1946. Während die Vorbereitungen zu den Wahlen und die bewusste Behinderung der bürgerlichen Parteien vor allem von Stefan Creuzberger und Karl-Heinz Hajna ausgiebig erforscht wurden, fehlt bis heute eine komplexe vergleichende Untersuchung der Wahlergebnisse im ländlichen Raum.22 Dies überraschte umso mehr, da die Wahlergebnisse 1946 die einzige freie Willensäußerung der gesamten Bevölkerung in der SBZ/DDR bis 1989 darstellten. Auf die gesamte SBZ bezogen, legte bisher nur Günter Braun bereits im Jahr 1986 eine Wahlanalyse vor. Trotz der damaligen eingeschränkten Quellenbasis konnte er in dieser Studie viele Kontinuitäten zum Wahlverhalten vor 1933 aufzeigen.23 Auch wenn Braun keine regionale Forschungsperspektive anwendete, konnten aber seine bereits damals getroffenen Erkenntnisse in dieser Arbeit weitestgehend bestätigt werden. Wie hier exemplarisch gezeigt wurde, existieren immer noch zahlreiche einzelne Forschungslücken zur SBZ-Geschichte, die mit dieser regionalgeschichtlichen Untersuchung zu großen Teilen geschlossen werden sollen. Die zentrale und gleichfalls umstrittenste Forschungsfrage zur SBZ-Geschichte war jedoch, ob die sowjetische Führung seit Beginn der Besatzung einen Plan zur Diktaturdurchsetzung verfolgte oder erst später angesichts der internationalen Entwicklung dazu überging. Insbesondere Manfred Wilke und Mike Schmeitzner sprachen sich klar für das Vorhandensein eines detaillierten sowjetischen Plans zur Etablierung eines sozialistischen Systems seit dem Kriegsende aus. Manfred Wilke sprach z. B. von der „KPD als Instrument der sowjetischen Deutschlandpolitik“ und versuchte dies mit den Planungen der Exil-KPD vor dem Kriegsende in der Sowjetunion zu belegen.24 Mike Schmeitzner ging als Beleg dafür ebenso auf die Planungen der KPD vor Kriegsende ein. Nach Schmeitzner

21 Vgl. Winfrid Halder, Modell für Deutschland. Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung in Sachsen 1945–1948. Ein Beitrag zur Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland, Dresden 1999; Friederike Sattler, Wirtschaftsordnung im Übergang. Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–1952, Teilband I und II, Münster 2002. 22 Vgl. Stefan Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ, Weimar 1996, S. 44–110; Karl-Heinz Hajna, Die Landtagswahlen 1946 in der SBZ. Eine Untersuchung der Begleitumstände der Wahl, Frankfurt a. M. 2000. 23 Vgl. Günter Braun, Determinanten der Wahlentscheidungen in der sowjetischen Besatzungszone 1946. In: Deutsche Studien, XXIV (1986), S. 341–357. 24 Vgl. Manfred Wilke, Kommunismus in Deutschland und Rahmenbedingungen politischen Handels nach 1945. Zur Einführung. In: ders. (Hg.), Die Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998, S. 36–40.

Forschungsstand

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versuchte die KPD in Abstimmung mit der sowjetischen Besatzungsmacht mit einem „flexiblen Volksfrontkonzept“ jedoch nicht nur in der SBZ ihre Machtgrundlage aufzubauen, sondern in ganz Deutschland.25 Auch Gerhard Wettig legt sich in seinem erst kürzlich erschienen Kommentar zum veröffentlichten „Tulpanov-Bericht“ eindeutig fest. Er schrieb: „Der Besatzungspolitik in der SBZ lag das gleiche, auf Einführung des Sozialismus und Eingliederung in das äußere Imperium der UdSSR abzielende Konzepts Stalins zugrunde wie dem Vorgehen in den anderen von der Roten Armee eroberten Ländern. Lediglich Zeitfolge und Ausführungsmodus variierten entsprechend den unterschiedlichen Umständen. Die Absicht betraf ganz Deutschland, konnte aber nur in der SBZ verwirklicht werden, weil die USA nicht abzogen, sondern die Funktion der Gegenmacht übernahmen. Der Sowjetisierungskurs in Deutschland war kein Ergebnis der Konfrontation mit den Westmächten, sondern diese ging umgekehrt auf die Politik der Systemtransformation in der SBZ zurück […].“26 Detlev Brunner konstatierte dagegen bei seiner Untersuchung zur Landesregierung und Besatzungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern von 1945 bis 1947 zwei parallele Entwicklungen. Zum einen beobachtete er eine „kommunistische Machterringung nach dem Orientierungsrahmen der Moskauer Nachkriegsplanungen“, zum anderen aber auch das „Anknüpfen an traditionelles Verwaltungshandeln und entsprechende Kompetenzen sowie das Entstehen von Strukturansätzen demokratischer nichtkommunistischer Provenienz“.27 Daraus schlussfolgerte er, dass es seit Beginn der Besatzungszeit keine „gesteuerte Politik der Diktaturerrichtung und -durchsetzung mit Hilfe des Instrumentes KPD/SED“ gab.28 Brunner schrieb über die Ziele der Besatzungsmacht: „Im Vordergrund standen die Interessen der Besatzungsmacht, die in erster Linie wirtschaftlich und sicherheitspolitisch definiert waren. Die Strukturen des besetzten deutschen Gebietes scheinen demgegenüber zunächst sekundär gewesen zu sein. Wesentlich war die Frage der Kontrollierbarkeit.“29 Auch Stefan Creuzberger formulierte die These, dass die sowjetische Führung bei Kriegsende über noch kein „umfassendes, bis ins letzte Detail ausformuliertes Gesamtkonzept zur politischen Umgestaltung der sowjetischen Besatzungszone verfügte“.30 Mit der Einrichtung und Organisation der SMAD

25 Vgl. Mike Schmeitzner, „Die Kommunistische Partei will nicht Oppositionspartei sein, sondern will Staatspartei sein.“ Die KPD/SED und das politische System der SBZ/ DDR (1944–1950). In: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Clemens Vollnhals (Hg.), Sow­jetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945–1955, Göttingen 2006, S. 310. 26 Gerhard Wettig (Hg.), Der Tjul’panov-Bericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2012, S. 138. 27 Brunner, Der Schein der Souveränität, S. 393. 28 Ebd., S. 394. 29 Ebd., S. 394 f. 30 Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 177.

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ab dem 9. Juni 1945 sowie mit der Einsetzung des überzeugten Stalinisten Sergej Tulpanow als Chef der Propagandaverwaltung der SMAD änderte sich dies nach der Darstellung von Creuzberger jedoch sehr schnell.31 Creuzberger fokussierte sich aber bei seiner Untersuchung sehr stark auf die sowjetische Besatzungsmacht und gestand den deutschen Kommunisten bzw. Verwaltungen nur sehr geringen Handlungsspielraum zu. Norman M. Naimark nahm eine ähnliche Position wie Creuzberger ein. Er schrieb: „Sowjetische Offiziere bolschewisierten die Besatzungszone nicht, weil es einen Plan dazu gab, sondern weil es die einzige ihnen bekannte Möglichkeit war, eine Gesellschaft zu organisieren.“32 Naimark stieg in seiner Untersuchung jedoch nicht tiefer in einzelne Transformationsprozesse in der SBZ ein und begründete die festen Ergebnisse der Diktaturdurchsetzung nicht mit dem intentionalen Handeln der Besatzungsmacht, sondern lediglich mit „systemischen Zufälligkeiten“ wie den sozialen Prägungen der Rotarmisten. Am deutlichsten positionierte sich bisher Wilfried Loth gegen einen von der sowjetischen Besatzungsmacht systematisch durchgesetzten Stalinisierungsplan in der SBZ. Er formulierte die provokante These, dass Stalin bis zu seinem Tod 1953 höchstpersönlich ein nach westlichen Maßstäben demokratisches Deutschland anstrebte. Hauptsächlich aus Angst vor einer Teilung Deutschlands und den daraus resultierenden Kriegsrisiken soll Stalin lediglich an der Umsetzung des „Potsdamer Demokratisierungsprogramms“ interessiert gewesen sein.33 „Als Hauptverantwortlichen“ für die Entstehung des „real existierenden Sozialismus der DDR“ machte Loth dagegen Walter Ulbricht aus, der zusammen mit einflussreichen sowjetischen Besatzungsoffizieren gegen den Willen Stalins im Jahr 1948 die kommunistische „Machtergreifung“ durchsetzte.34 Die folgende Arbeit wird aufgrund ihres regionalgeschichtlichen Bezugs nicht die große Forschungsfrage zu den Plänen der sowjetischen Besatzungsmacht endgültig klären können, doch kann sie mit der Beschreibung der Umsetzung der Transformationsmaßnahmen vor Ort zumindest einen Beitrag zur Lösung dieser zentralen Frage anbieten. So war es bei mehreren Autoren auffällig, dass sie die konkrete Umsetzung der einzelnen politischen und gesellschaftlichen Transformationsmaßnahmen vor Ort bei der Bearbeitung dieser Frage zum Teil kaum berücksichtigten.

31 Vgl. ebd., S. 178. 32 Norman M. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die Sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997, S. 586. 33 Vgl. Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 223. 34 Vgl. ebd., S. 226.

Quellenlage

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2. Quellenlage Die Quellenlage war bei der Bearbeitung der einzelnen in der Arbeit behandelten Themenkomplexe sehr unterschiedlich. Besonders zum ersten großen Themenschwerpunkt „Kriegsende“ waren nur sehr wenige schriftliche Quellen vorhanden. Mit den Beständen des deutschen Militärarchivs in Freiburg ließ sich die militärische Lage aus deutscher Sicht am Ende des Kriegs recht gut nachvollziehen. Ohne Zugriff auf große russische Quellenbestände war es allerdings sehr schwierig, die Intentionen und das Verhalten der sowjetischen Militärs bei der Besetzung des Untersuchungsgebiets zu analysieren. So stellte der Mangel an zugänglichen russischen Quellen für die Untersuchung der beiden Landkreise ein großes Problem dar. Meist konnte nur aus deutschen Quellen das Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht nachvollzogen werden. Besonders wichtig war zum Verständnis des Verhaltens der sowjetischen Soldaten unmittelbar nach dem Einmarsch sowie zur Untersuchung der zahlreichen Selbstmorde die Auswertung der lokalen standesamtlichen und kirchlichen Sterbebücher. Die Einsicht in die standesamtlichen Sterbebücher wurde erst im Jahr 2009 für die Forschung freigegeben. Wie bereits angedeutet, spielten bei der Untersuchung der Umstände des Einmarsches der Roten Armee auch die bereits in den regionalen Heimatkalendern veröffentlichten Erinnerungsberichte zum Kriegsende eine wichtige Rolle. Ebenso waren die erst seit 2007 gänzlich für die Öffentlichkeit zugänglichen Bestände des Internationalen Suchzentrums des Roten Kreuzes in Bad Arolsen ein unverzichtbarer Bestandteil zur Erforschung der Geschichte des KZ-Außenlagers Schlieben, der Todesmärsche durch das Untersuchungsgebiet sowie zum Zwangsarbeitereinsatz im Dritten Reich. Für den Verwaltungsaufbau in den einzelnen Städten und Gemeinden war vor allem in den Stadtarchiven in Bad Liebenwerda, Herzberg, Mühlberg, Ort­ rand und Elsterwerda Quellenmaterial vorhanden. Besonders das Stadtarchiv Bad Liebenwerda war davon mit seinen gut sortierten und umfassenden Beständen auch für weitere Themenkomplexe von großer Wichtigkeit für die Erstellung dieser Arbeit. Der größte Teil der schriftlichen Quellen für diese Studie befand sich jedoch im sachsen-anhaltinischen Hauptstaatsarchiv in Merseburg und Magdeburg. In Merseburg lagern die Aktenbestände der beiden Kreisverwaltungen Liebenwerda und Schweinitz, der Bezirksverwaltung Merseburg sowie der KPD-, SPD- und SED-Bezirks- bzw. Provinzialparteiorganisationen. In Magdeburg werden die Akten der Provinzial- bzw. der späteren Landesverwaltung aufbewahrt. Besonders für die Themenkomplexe zum Aufbau der Verwaltungen, der Entnazifizierung, der Bodenreform, zur Verstaatlichung der Wirtschaft und zu den Wahlen 1946 waren die umfangreichen Aktenmaterialien des sachsen-anhaltinischen Hauptstaatsarchivs unverzichtbar. Dennoch gab es in diesen Beständen auch mehrere Lücken. Insbesondere zur Entnazifizierung und teilweise auch zur Verstaatlichung der Wirtschaft waren die wichtigen Protokolle der Kreissäuberungsausschüsse bzw. der Kreissequesterkommissionen

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Einleitung

nur unvollständig erhalten. Ebenso fehlten für beide Kreise die Protokolle der Kreisbodenkommissionen. Während besonders für die Arbeit der beiden Kreisverwaltungen umfassende Aktenbestände vorhanden waren, behinderte dieser Quellenmangel teilweise die Erforschung der Arbeit der außerhalb der Verwaltungen angesiedelten Ausschüsse und Kommissionen zur Transformation der Gesellschaft. Besonders hinderlich bei der Untersuchung waren zudem die rigiden Datenschutzbestimmungen im sachsen-anhaltinischen Hauptstaatsarchiv in Magdeburg, die den Zugriff auf Akten zu wichtigen einzelnen Enteignungsfällen versperrten. Nur mit der Hilfe der direkten Nachkommen, wie u. a. von Dr. Camillo Freiherr von Palombini und Werner Kirsche, war es möglich, einige Enteignungsfälle näher zu erforschen. Im heutigen Kreisarchiv des Landkreises Elbe-Elster in Herzberg existierten nur noch wenige Quellen über die Arbeit der beiden Kreisverwaltungen in den Jahren 1945 bis 1952. Größtenteils wurden diese Bestände in das Hauptstaatsarchiv Sachsen-Anhalt überführt. Der große hiesige Bestand der regionalen und lokalen Zeitungen sowie der Heimatkalender ermöglichte aber in Herzberg die Erforschung der regionalen Presselandschaft. Außerdem wurden in Herzberg mehrere unveröffentlichte Zeitzeugenberichte sowie regionalgeschichtliche Schriften aufbewahrt. Unter anderen fand sich hier die unveröffentlichte Arbeit von Fritz Wilhelm zur „Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949“. Zur Erforschung der Arbeit der sowjetischen Geheimdienste sowie zur Geschichte des Speziallagers Mühlberg bediente sich der Autor vor allem der Datenbanken der Dokumentationsstelle Dresden, des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden e.V. sowie der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V. In den Datenbanken der Dokumentationsstelle Dresden waren alle Deutschen, die nach dem Befehl Nr. 00315 des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) verhaftet wurden, aufgelistet. Die Datenbank des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung beinhaltete eine Auflistung aller deutschen SMT-Verurteilten. Die Namenslisten in diesen Datenbanken entstammen den Verhaftungslisten des NKWD/MWD und wurden nach der Öffnung der russischen Archive 1990 erstmals veröffentlicht.

II. Das Untersuchungsgebiet 1.

Der Landkreis Liebenwerda

Das Gebiet des späteren Kreises Liebenwerda wurde erst mit der Festlegung der neuen Grenzen im Friedenstraktat vom 18. Mai 1815 von Sachsen an Preußen übergeben.1 Die preußische Verwaltung ordnete den neu entstandenen Landkreis Liebenwerda, der im Wesentlichen aus den nördlichen Teilen des sächsischen Amtes Hain (Großenhain) sowie aus den sächsischen Ämtern Liebenwerda und Mühlberg gebildet wurde, dem Regierungsbezirk Merseburg in der neu entstandenen preußischen Provinz Sachsen zu.2 Der Landkreis Liebenwerda bildete den östlichsten Teil des Regierungsbezirks Merseburg sowie der Provinz Sachsen. Insgesamt umfasste der Landkreis Liebenwerda im Jahr 1939 eine Fläche von 794,36 Quadratkilometern.3 Die Einwohnerzahl betrug im Jahr 1939 insgesamt 88 018 Personen.4 Stadtrecht besaßen die Ortschaften Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Mühlberg, Ortrand, Uebigau und Wahrenbrück. Die Stadt Elsterwerda (zusammen mit der eingemeindeten Ortschaft Biehla) im südlichen Kreisgebiet war mit 8 970 Einwohnern die größte Stadt im Kreis.5 Aufgrund der rasanten industriellen Entwicklung und der günstigen Lage der Ortschaft an einem Eisenbahnkreuzungspunkt folgte als zweitgrößter Ort Falkenberg mit 6 660 Einwohnern. Falkenberg bekam erst in den 1960er-Jahren das Stadtrecht zugesprochen.6 Im Osten des Kreises, im sogenannten Mückenberger Ländchen, welches das industrielle Herz des Kreises bildete, lagen die Ortschaften Bockwitz, Lauchhammer, Mückenberg, Dolsthaida, Kleinleipisch und Grünewalde. Diese Ortschaften, die zum großen Teil durch den Braunkohleabbau sowie durch die Eisenverhüttungsindustrie geprägt waren, wurden im Jahr 1950 zur Stadt Lauchhammer zusammengefasst. Im Jahr 1940 lebten insgesamt 21 465 Einwohner im Mückenberger Ländchen.7 Die zentral gelegene Kreisstadt Bad Liebenwerda, die weniger industriell geprägt war, nahm mit 5 026 Einwohnern nur den sechsten Platz unter den größten Ortschaften des Kreises ein.8

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Vgl. Das Friedens-Tractat vom 18.5.1815 (Auszüge). In: Rudolf Jenak, Die Teilung Sachsens. Zur Geschichte der Teilung des Königreiches Sachsens auf der Grundlage der Entscheidungen des Wiener Kongresses 1814–1815, Dresden 2007, S. 102. Die Stadt Liebenwerda erhielt im Jahr 1925 den Kurortstatus zugesprochen. Dennoch blieb bis zur Verwaltungsreform im Jahr 1952 die Bezeichnung Kreis Liebenwerda üblich. Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich auf Grund der Volkszählung 1939, Berlin 1941, S. 12. Ebd., S. 102. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1942, Bad Liebenwerda 1941, S. 32. Vgl. ebd., S. 32. Ebd., S. 32 f. Ebd., S. 32.

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Das Untersuchungsgebiet

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Bevölkerungszahl im Kreis Liebenwerda wesentlich. Die enormen Flüchtlingsströme, die den Kreis bereits Anfang 1945 erreichten, und die große Zahl der späteren Vertriebenen aus dem ehemaligen Osten Deutschlands sowie dem Sudetenland ließen die Einwohnerzahl des Kreises rasant in die Höhe steigen. Bis zum 29. Oktober 1946 stieg die Einwohnerzahl auf 111 583 Einwohner an.9 Dies entsprach einer Steigerung zur Vorkriegszahl von etwa 23 Prozent. Die größte Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen bildeten zu diesem Zeitpunkt im Kreis Liebenwerda die Sudetendeutschen mit 12 608 zugezogenen Personen, gefolgt von den geflüchteten und vertriebenen Schlesiern, von denen 9 221 Personen im Jahr 1946 im Kreis lebten.10 Um die gestiegene Bevölkerung nach dem Krieg ernähren zu können, bedurfte es besonders in dieser Situation einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Im Jahr 1935 betrug die landwirtschaftliche Nutzfläche im Kreis Liebenwerda 49 913 Hektar, wovon 36 789 Hektar als Ackerland genutzt wurden.11 Auf den im Kreis meist vorhandenen mittleren bis mäßigen Ackerböden (meist rostfarbene Waldböden) wurden vor allem Roggen und Kartoffeln angebaut.12 Die verschlechterten Bedingungen in der Landwirtschaft, die ebenso wie andere Wirtschaftszweige erheblich unter dem Krieg zu leiden hatte, machten sich besonders im Jahr 1945 bemerkbar. Im Sommer 1945 betrug die Anbaufläche für Roggen nur noch 13 700 Hektar, für Kartoffeln 5 118 Hektar und für Hafer 3 499 Hektar.13 Vergleicht man die Anbaufläche der drei Hauptanbauprodukte vor und nach dem Krieg, so entspricht dies einer Verminderung von ca. 20 Prozent. Zudem wurde durch den Kriegsverlauf im Kreis nach einer Schätzung 4 702 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche ganz oder teilweise vernichtet.14 Ebenso blieben durch die Flucht vieler Bauern vor der heranrückenden Roten Armee viele Felder brach liegen. Beispielsweise betrug im Juli 1945 der Umfang der herrenlosen Flächen im Kreis Liebenwerda immer noch 5 269 Hektar.15 Zu allen ungünstigen Umständen kam hinzu, dass sich kurz nach Kriegsende die Anzahl des Spannviehs deutlich verringerte. Wurden 1944 noch 3 740 Pferde im Kreis gezählt, so waren Ende Oktober 1945 nur noch 1 800 Pferde vorhanden.16 Bereits während des Kriegs war die Anzahl des Spannviehs, vor allem durch die

 9 Endgültige Ergebnisse der Volks- und Berufszählung vom 29.10.1946. In: Beilage zu „Statistische Praxis“, Heft 7, Juli 1948, S. 3. 10 Ebd. 11 Statistisches Reichsamt (Hg.), Bodenbenutzungserhebung 1935, Berlin 1936, S. 78–85. 12 Vgl. ebd. 13 Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 3.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, S. 8). 14 Bericht der Kommission zur Überprüfung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Kreise Liebenwerda vom 27.1.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 93). 15 Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 3.7.1945 (LHASA, MER, K13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, S. 15). 16 Vgl. Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 29.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, S. 8).

Der Landkreis Liebenwerda

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Abgabe an die Wehrmacht, verringert worden. Dies verschlechterte sich jedoch nochmals erheblich durch die sowjetischen Viehrequisitionen, mit denen kurz nach Kriegsende die besten Tiere in die Sowjetunion transportiert wurden. Die Kleinbauern mit einem Besitz von 0,5 bis 5 Hektar besaßen im Jahr 1939 mit 2 293 Betrieben etwa die Hälfte aller Betriebe über 0,5 Hektar im Landkreis. Sie verfügten aber lediglich über 9,7 Prozent der Gesamtbetriebsfläche. Die wenigen Großgrundbesitzer mit über 100 Hektar Besitz, die neben der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LNF) meist große Waldbestände besaßen, konnten dagegen im Jahr 1939 etwa ein Viertel (26,8 Prozent) der gesamten Betriebsfläche im Kreis nutzen. Diese sehr ungleiche Verteilung des landwirtschaftlichen Besitzes, die im deutschen Osten noch gravierender als im Kreis Liebenwerda war, sollte später, neben dem politischen Säuberungsgedanken, die Hauptbegründung der Bodenreform darstellen. Der Großgrundbesitz war meist im wenig industrialisierten Westen und Süden des Kreises anzutreffen. Das größte private Gut im Kreis bewirtschaftete Ernst Brendel in Martins­ kirchen mit einer Größe von 694 Hektar.17 Trotz des großen Anteils der Großgrundbesitzer an der Gesamtbetriebsfläche wurde die Landwirtschaft im Kreis aber zum großen Teil von Mittel- und Großbauern getragen. Die Mittelbauern besaßen 32,9 Prozent, die Großbauern 28,7 Prozent der gesamten Betriebsfläche. Dies entsprach ca. zwei Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Betriebsfläche im Kreis Liebenwerda.18 Die industrielle Entwicklung im Kreisgebiet begann bereits im 18. Jahrhundert. Ausgangspunkt der industriellen Entwicklung im Kreis Liebenwerda war die Gründung des Eisenwerkes Lauchhammer durch Freifrau von Löwendahl im Jahr 1725.19 Mit der Einführung des Kunstgusses in Lauchhammer erlangte das Werk im 19. Jahrhundert einen deutschlandweiten Ruf.20 Allerdings steckte, von Lauchhammer abgesehen, die Industrie im restlichen Kreisgebiet Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch in den Kinderschuhen. Laut einer Statistik aus dem Jahr 1867 arbeiteten im Kreisgebiet zu diesem Zeitpunkt lediglich zehn Dampfmaschinen, wovon sechs allein im Eisenwerk Lauchhammer betrieben wurden.21

17 Auflistung aller Treuhänder für die Güter im Kreise Bad Liebenwerda vom 1.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 52–65). Neben dem Gut von Ernst Brendel besaß die Mittelstahl AG Lauchhammer, die zum Flick-Konzern gehörte, eine Fläche von 1 255 Hektar, die allerdings weitestgehend zum Braunkohleabbau vorgesehen war. 18 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Landwirtschaftliche Betriebszählung. Volks-, Berufsund Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 250 f. 19 Vgl. Betriebsparteiorganisation der SED des VEB Schwermaschinenbau Lauchhammerwerk (Hg.), 200 Jahre Kunstgießerei Lauchhammer 1784–1984, Lauchhammer 1984, S. 9. 20 Vgl. ebd., S. 10–15; Linke-Hofmann-Lauchhammer AG (Hg.), 200 Jahre Lauchhammer 1725–1925, Lauchhammer 1925, S. 17–25. 21 Heinrich Nebesieck, Geschichte des Kreises Liebenwerda, Halle (Saale) 1912, S. 115.

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Das Untersuchungsgebiet

Erst der Ausbau der Eisenbahnstrecken schuf die Voraussetzungen für einen vergrößerten industriellen Sektor im Kreis Liebenwerda. Die Falkenberg–Kohlfurter Bahnstrecke, die das Kreisgebiet von West nach Ost in seiner ganzen Länge durchschnitt, wurde im Jahr 1874 fertiggestellt. Diese entwickelte sich für die Industrie rund um Lauchhammer zur nicht wegdenkbaren Lebensader. Die Falkenberg–Kohlfurter Bahn wurde bei Elsterwerda wiederum von der 1875 errichteten Direktverbindung Berlin–Dresden gekreuzt, womit auch für die Stadt Elsterwerda günstige Entwicklungsbedingungen u. a. für die Industrie vorhanden waren. Außerdem entwickelte sich Falkenberg zu einem der wichtigsten Eisenbahnkreuzungspunkte der Region.22 Die rasante Entwicklung der Bevölkerungszahlen betraf Ende des 19. Jahrhunderts alle eisenbahnnahen Industrie- bzw. Bergbaugemeinden des Kreises Liebenwerda. Die Einwohnerzahlen der ländlichen Gemeinden stagnierten dagegen in vielen Fällen. Besonders der Abbau der Braunkohle in den nordöstlich der Schwarzen Elster gelegenen Ortschaften, der ab den 1890er-Jahren intensiv einsetzte, forcierte diese Entwicklung. Mit dem intensiven Abbau von Kohle entstanden z. B. in Domsdorf, Plessa und vor allem im Mückenberger Ländchen mehrere Brikettfabriken.23 Im Ländchen gründete sich im Jahr 1900 die Braunkohlen- und Brikettindustrie AG (Bubiag), die den gesamten Abbau und die Veredelung der Braunkohle rund um Lauchhammer bis zum Kriegsbeginn immer weiter ausbaute. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs arbeiteten ca. 3 000 Personen in den Werken der Bubiag. Des Weiteren entwickelte sich das einst kleine von der Freifrau von Löwendahl gegründete Eisenwerk im 19. Jahrhundert zu einer Aktiengesellschaft. Es entstand in Lauchhammer neben der Eisen-, Bronze- und Glockengießerei eine Eisen- und Brückenbauwerkstatt.24 In den 1920er-Jahren erwarb Friedrich Flick schrittweise die Aktienmehrheit des Lauchhammerwerks. Er gründete im Dezember 1926 die „Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer AG“, zu denen neben Lauchhammer die großen Stahlwerke im sächsischen Riesa und Gröditz gehörten. Flick ließ daraufhin die Mitteldeutschen Stahlwerke, auch aufgrund des Aufrüstungsprogramms der Nationalsozialisten, in den 1930er-Jahren weiter ausbauen. Im Jahr 1939 waren bereits ca. 13 000 Personen bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Lauchhammer, Riesa und Gröditz beschäftigt.25

22 Vgl. Klaus Wackernagel, Eine Stadt und ihre Eisenbahn. 150 Jahre Eisenbahnstandort Falkenberg, 1848–1998, Herzberg 1999; Peter Bley, 125 Jahre Berlin–Dresdener Eisenbahn. Berlin–Zossen–Elsterwerda–Dresden, Düsseldorf 1999. 23 Vgl. ebd., S. 116 f. 24 Vgl. Linke-Hofmann-Lauchhammer AG (Hg.), 200 Jahre Lauchhammer 1725–1925, Lauchhammer 1925, S. 55, 74 f. (Organisation des Werkes Lauchhammer 1925); Mitteldeutsche Stahlwerke AG (Hg.), Lauchhammer Maschinen- und Eisenbau 1935, Lauchhammer 1935, S. 5–12. 25 Vgl. Johannes Bähr, Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008, S. 84 f.

Der Landkreis Liebenwerda

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Insgesamt arbeiteten im Jahr 1939 im Kreis Liebenwerda 20 069 Erwerbspersonen in der Industrie. Dies entsprach 45,8 Prozent der Gesamtbeschäftigten. In der Landwirtschaft betätigten sich 13 447 Personen (30,7 Prozent). In Dienstleistungsunternehmen bzw. in der öffentlichen Verwaltung waren 10 246 Personen (23,5 Prozent) beschäftigt.26 Deutschlandweit verdienten im Jahr 1939 insgesamt 42 Prozent der Beschäftigten ihren Unterhalt in der Industrie oder dem Bergbau, 32 Prozent im Dienstleistungsbereich und 26 Prozent in der Landwirtschaft.27 Der industrielle Sektor spielte somit im Kreis, auch im reichsweiten Vergleich, eine überragende Rolle. Die Landwirtschaft nahm, im Gegensatz zum unterentwickelten Dienstleistungsbereich, im Kreis Liebenwerda aber immer noch eine vergleichsweise hohe Stellung ein. Dies war vor allem auf den stark ländlich geprägten Westen und Süden des Landkreises zurückzuführen. Man konnte zu diesem Zeitpunkt also durchaus von einem Landkreis sprechen, der in einen modernen industriellen und einen vormodernen ländlich geprägten Bereich geteilt war. Die eben dargestellte Sozialstruktur des Kreises Liebenwerda hatte ebenso einen entscheidenden Einfluss auf die regionalen politischen Verhältnisse. Die KPD konnte beispielsweise im Kreisgebiet bis zur letzten Reichstagswahl 1933 immer wieder Ergebnisse über dem Reichsdurchschnitt erzielen. Selbst bei der letzten, nur bedingt frei zu nennenden Wahl am 5. März 1933 gewann die KPD im Kreisgebiet noch 16,1 Prozent der Stimmen (12,3 Prozent im Reich). Die SPD kam hingegen bei dieser Wahl nur noch auf 15,2 Prozent und lag damit unter dem reichsweiten Ergebnis von 18,3 Prozent.28 Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) errang jedoch in dieser Wahl einen überwältigenden Sieg.29 Die Nationalsozialisten erzielten erstmals die absolute Mehrheit im Kreis mit 55,5 Prozent der Stimmen.30 Nur wenige Tage später erhielten die Nationalsozialisten am 12. März 1933 während der neu angeordneten Kommunalwahl auch die Chance, die alten kommunalen Vertreter auszuwechseln. Die nun im Gegensatz zum Jahr 1929 überall kandidierende NSDAP gewann 15 von 27 Kreistagssitzen und stellte damit die absolute Mehrheit im Liebenwerdaer Kreistag.31 Die Kommunisten, die zu der ersten Kreistagssitzung, die bezeichnenderweise zu Adolf Hitlers Geburtstag am 20. April 1933 stattfand, nicht mehr eingeladen wurden, und die Sozialdemokraten kamen zusammen nur noch auf 8 Kreistagssitze.32 26 Statistisches Reichsamt (Hg.), Die Berufstätigkeit der Bevölkerung in den Reichsteilen. Provinz Sachsen. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 64. 27 Vgl. Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Bilanz zur Vereinigung, Wiesbaden 2006, S. 26. 28 Neue Kreiszeitung vom 6.3.1933, Nr. 55. 29 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. 30 Neue Kreiszeitung vom 6.3.1933, Nr. 55; Liebenwerdaer Kreisblatt, 2. Blatt, Heimatnachrichten aus Falkenberg, Uebigau und Umgebung vom 20.4.1933, Nr. 92. 31 Neue Kreiszeitung vom 13.3.1933, Nr. 61. 32 Ebd.

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Das Untersuchungsgebiet

Trotz dieser Erfolge der NSDAP gelang es der Partei aber nicht, in allen Kreisgebieten solch gute Ergebnisse bei den Wahlen 1933 einzufahren. Besonders Orte mit hohem Arbeiteranteil blieben zum Teil resistent gegen diese Entwicklung. Im gesamten Mückenberger Ländchen (Bockwitz, Mückenberg, Lauchhammer, Grünewalde, Kleinleipisch, Dolsthaida) erzielte die NSDAP bei der Kreistagswahl am 12. März 1933 nur 41,5 Prozent. Im Gegensatz zu vorherigen Wahlen war dieses Ergebnis zwar hoch, bedachte man aber die Schikanen gegen die beiden Arbeiterparteien und den enormen Propagandaaufwand der Nationalsozialisten, so war dieses Wahlresultat für die Nationalsozialisten enttäuschend. Die SPD erzielte bei dieser Wahl im Ländchen immerhin 27,1 Prozent, wobei sie in Grünewalde sogar besser als die NSDAP abschnitt. Die KPD erreichte im Ländchen 14,5 Prozent und kam damit zusammen mit den Sozialdemokraten etwa auf das gleiche Ergebnis wie die NSDAP.33 Auch wenn in einigen Orten die Resistenz gegen den Nationalsozialismus etwas größer war, bleibt aber festzuhalten, dass bei der großen Mehrheit die Parolen der sogenannten Nationalen Revolution, die die Nationalsozialisten zusammen mit den Konservativen ausgaben, bei der großen Mehrheit der Bevölkerung des Kreises auf Resonanz stießen. Auch der Landrat Georg Röhrig, der seit 1925 im Amt war, ließ sich angesichts eines solchen Wahlergebnisses und wohl auch, um seine eigene Zukunft zu sichern, in der ersten Kreistagssitzung nach der Wahl zu blumigen Lobeshymnen auf den neuen „Kanzler der Nationalen Erhebung“ hinreißen.34 Um seine Nähe zum Regime zu belegen, trat er zwar nie der NSDAP bei, wurde aber im Mai 1933 Mitglied der SA. Zwar versuchten ihn einige regionale Parteimitglieder im Jahr 1935 aus seinem Amt zu drängen, doch konnte er sich mit seiner loyalen Haltung gegenüber der Partei, aber auch aufgrund seines von vielen geschätzten Sachverstandes bis zum Jahr 1945 im Amt halten. Nur mit einer kurzen Unterbrechung, in der er zur Wehrmacht eingezogen wurde, füllte er das Amt bis 1945 aus.35 Der Vorsitzende der KPD in Mückenberg und Mitglied des Provinziallandtags, Paul Paulick, war hingegen eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Machtübernahme im Kreis Liebenwerda. Am 23. März 1933 wurde er zusammen mit mehreren anderen Kommunisten aus dem Kreisgebiet verhaftet.36 Nachdem er kurze Zeit später freigelassen wurde, verhaftete man ihn im November 1933 erneut. Paulick wurde in das KZ Lichtenburg eingewiesen,

33 Ebd. 34 Vgl. zur Eröffnung der ersten Kreistagssitzung nach der Kommunalwahl 1933. In: Liebenwerdaer Kreisblatt, 2. Blatt, Heimatnachrichten aus Falkenberg, Uebigau und Umgebung vom 20.4.1933, Nr. 92; Neue Kreiszeitung vom 21.4.1933, Nr. 93. 35 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 2.11.1942, Nr. 257. Hier wurde berichtet, dass der Landrat Georg Röhrig von der Ostfront zurückkehrte und das Amt des Landrats von seinem vorübergehenden Stellvertreter Freiherr von Mirbach wieder übernahm. 36 Vgl. Der Werksverein. Nachrichtenblatt für die Mitglieder der vaterländischen Arbeitnehmervereine bei den Werken im „Bubiag-Konzern“, 24.3.1933, Nr. 448.

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wo man ihn körperlich schwer misshandelte.37 In der Lichtenburg forderten die Maßnahmen der Nationalsozialisten auch das erste Todesopfer unter den Kommunisten aus dem Kreisgebiet. Der Bockwitzer Kommunist Otto Hurraß wurde hier in der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1934 zu Tode geprügelt.38 Trotz aller Einschüchterungen setzten aber die Kommunisten ihre Arbeit im Untergrund fort. Während im Mückenberger Ländchen bereits zum Anfang der Nazi-Herrschaft viele KPD-Mitglieder verhaftet und stark überwacht wurden, konnten die Kommunisten in Elsterwerda zunächst unentdeckt eine illegale Parteiorganisation aufbauen. Die Elsterwerdaer Polizei glaubte hier zunächst nicht, dass die lokalen kommunistischen Funktionäre dazu in der Lage wären, eine solche Organisation zu gründen.39 Unter diesem Umstand entwickelte sich Elsterwerda, wie Fritz Wilhelm schrieb, zur Zentrale der illegalen kommunistischen Bewegung im Kreis Liebenwerda.40 Im Jahr 1935 gehörten insgesamt 113 Personen der KPD-Unterbezirksleitung Elsterwerda an, die z. B. Druckschriften aus Berlin bezog und im Kreis verteilte. Von großem Vorteil war dabei, dass in den einzelnen Orten des Kreises nur sehr wenige Personen, z. B. in Hohenleipisch zwölf, in Prösen zehn und in Bad Liebenwerda fünf, im Untergrund wirkten.41 So wurde diese Organisation erst entdeckt, als sie Kontakt zur Untergrund-KPD in Chemnitz aufnahm, die dort von Spitzeln durchsetzt war. Am 7. September 1935 beendete schließlich die Geheime Staatspolizei (Gestapo) mit einer großen Verhaftungsaktion die Arbeit des KPD-Untergrundbezirks Elsterwerda.42 Im darauffolgenden Prozess wurden im März 1936 insgesamt 53 Kommunisten aus Elsterwerda und Umgebung angeklagt und mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft. Mit dieser Verhaftungswelle endete der organisierte Widerstand der Kommunisten im Kreis Liebenwerda.43 Nicht nur Kommunisten, sondern auch viele einflussreiche Sozialdemokraten wurden im Kreis Liebenwerda nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt und verhaftet. Walter Grober aus Lauchhammer, der für die Sozialdemokraten im sächsischen Provinziallandtag saß, unterstellte man z. B. unmittelbar nach der Machtergreifung sexuellen Missbrauch eines Schülers. Bei der Durchsuchung seines Hauses nahm er sich am 17. März 1933 das Leben.44 Ob der

37 Vgl. Kommission zur Erforschung der örtlichen Arbeiterbewegung des VEB Braunkohlekombinat Lauchhammer bei der Kreisleitung Senftenberg der SED (Hg.), Unser Rotes Ländchen. Aus dem Kampf der Arbeiterklasse im Lauchhammer Gebiet, Cottbus 1960, S. 20 f. 38 Vgl. ebd., S. 11–14. 39 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 57. 40 Vgl. ebd., S. 60. 41 Ebd., S. 56. 42 Vgl. ebd., S. 64. 43 Vgl. ebd., S. 66. 44 Vgl. Der Werksverein. Nachrichtenblatt für die Mitglieder der vaterländischen Arbeitnehmervereine bei den Werken im „Bubiag-Konzern“, 24.3.1933, Nr. 448.

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Das Untersuchungsgebiet

Vorwurf berechtigt war, ließ sich heute nicht mehr klären, doch lässt der Zeitpunkt kurz nach dem Regierungsantritt der NSDAP darauf schließen, dass die Vorwürfe gegen Grober bewusst konstruiert wurden, da zum selben Zeitpunkt auch der kommunistische Provinziallandtagsabgeordnete Paul Paulick verhaftet wurde. Die Macht der Nationalsozialisten wurde durch die einzelnen politischen Aktionen von NS-Gegnern bis 1945 im Kreisgebiet aber nie ernsthaft gefährdet. Allerdings konnten sich vor allem die Kommunisten nach dem Krieg mit den geleisteten Aktionen besser legitimieren. Es verwunderte nicht, dass nach dem Krieg viele dieser verurteilten Kommunisten, die teilweise lange in Haft waren, politische Verantwortung im Kreis übernahmen.45 Dennoch bleibt festzuhalten, dass der organisierte kommunistische Widerstand bereits 1935 im Kreis endete. Für die Zeit danach fiel es selbst der späteren DDR-Literatur schwer, geeignete Beispiele für Widerstandsaktionen zu finden. Verständlicherweise waren viele Kommunisten und auch Sozialdemokraten durch ihre Zeit im KZ oder Zuchthaus eingeschüchtert. Zudem mussten sie unter ständiger Beobachtung leben. Unter diesen Umständen bauschte die DDR-Literatur das Hören von Feindsendern und die Unterstützung von Zwangsarbeitern zu großen Widerstandshandlungen auf, die aber letztlich nur noch Einzelaktionen darstellten. Spätestens nach der Niederlage von Stalingrad 1943 setzte wohl auch in der übrigen Bevölkerung eine langsame politische Abkehr vom NS-System ein. Auch wenn die regionale Presse mithilfe der verschiedensten Propagandamittel bis zum Kriegsende versuchte, der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung entgegenzutreten, so wurde auch in den regionalen Zeitungen deutlich, dass die Kriegsbegeisterung der Bevölkerung in den Jahren 1944/45 merklich abnahm.46 Besonders offensichtlich wurde dies bei einem Vergleich der Berichterstattungen über die Siegesfeiern über Frankreich 1940, bei denen der Gauleiter Eggeling und die regionale Parteiprominenz in Elsterwerda sprach, mit den Kundgebungen anlässlich des ersten Aufmarsches des Volkssturms im Oktober 1944. Während der Gauleiter Eggeling 1940 unter starkem Beifall der Kreisbevölkerung für ihren Kriegseinsatz dankte und die Zuhörer spontan das „England-Lied“ anstimmten, bestand die Berichterstattung über den Aufmarsch des Volkssturms nur noch im Verbreiten von Durchhalteparolen.47 Weder der letzte NSDAP-Kreisleiter Otto Schreiber, der seit 1942 amtierte, noch andere höhere Parteifunktionäre traten am Ende des Kriegs noch öffentlich in den Zeitungen in Erscheinung. Es blieb dem Elsterwerdaer Ortsgruppenleiter vorbehalten, die zentrale Kundgebung im Kreis Liebenwerda zur Aufstellung des Volkssturms abzunehmen. Aus einer Mischung aus Verzweiflung und starrem

45 Beispielsweise wurde Paul Paulick nach dem Krieg von der Roten Armee als Landrat eingesetzt. 46 Nicht alle Liebenwerdaer Kreisblätter sind aus dieser Zeit erhalten. Es fehlen vor allem die Januar-Ausgaben sowie die Ausgaben von Ende März und Anfang April 1945. 47 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 18.9.1940, Nr. 219.

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Durchhaltewillen rief er drohend während dieser Kundgebung in das Publikum: „Ein Hundsfott, wer feige dem Feinde dient – verflucht, wer um seines eigenen kleinen Lebens willen Deutschland verrät.“48 Wie die drohend formulierten Durchhalteparolen der regionalen Parteifunktionäre verdeutlichten, hielt zu großen Teilen am Kriegsende nur noch die Androhung von Gewalt das NS-Regime am Leben. Im Gegensatz zu den Jahren zuvor begeisterte sich auch am 20. April 1945 kaum mehr jemand für den Geburtstag von Adolf Hitler. In der letzten Ausgabe des Kreisanzeigers vor dem Einmarsch der Roten Armee wurde kein Wort im Regionalteil über den Geburtstag verloren. Abgesehen von der NSDAP-Ortsgruppe Bad Liebenwerda, die nochmals die Hitlerjugend (HJ) und den Bund Deutscher Mädel (BDM) auf dem Sportplatz antreten ließ, veranstalteten auch die Ortsgruppen und die Gliederungen der NSDAP keine Veranstaltungen mehr zu diesem Ereignis.49 Vielmehr erwarteten zu diesem Zeitpunkt viele Bad Liebenwerdaer Bürger voller gespannter Sorge den Einmarsch der Roten Armee in die Kreisstadt. In der Angst, die Stadt Bad Liebenwerda würde bis zum sprichwörtlich letzten Mann verteidigt, entwickelte der ehemalige Bad Liebenwerdaer Sozialdemokrat Otto Philipp, den Plan, den Kreisleiter, den Ortsgruppenleiter, den Bürgermeister und den Kreisamtsleiter mit der Hilfe des Landrats Georg Röhrig verhaften zu lassen. In dieser Absicht ging er am Morgen des 18. April 1945 zum Landratsamt, um den Landrat Röhrig und den Polizeioberleutnant Abraham für seine Pläne zu gewinnen. Über die Ausführung seines Planes führte Otto Philipp am 21. Juli 1945 in einer Einwohnerversammlung Folgendes aus: „Ich ging am Donnerstag früh zum Landratsamt mit der Absicht, beim Landrat die Verhaftung des Kreisleiters, des Ortsgruppenleiters, des Bürgermeisters und des Kreisamtsleiters zu veranlassen, erkundigte mich jedoch vorher bei Herrn Vater, ob dieses Verlangen beim Landrat auf Widerstand stoßen würde. Herr Vater riet mir ganz energisch ab und brachte zum Ausdruck, dass ich damit mein Leben verwirkt hätte; denn er selbst glaubte noch immer, dass die Gefahr nicht zu groß und noch zu bannen sei … Ich ließ mich dann von den weiteren Ausführungen des Herrn Vater überzeugen, dass es tatsächlich lebensgefährlich sei, dem Landrat, der vollständig unter dem Druck des Kreisleiters stand, solche Dinge, die ich wünschte, vorzutragen.“50 Unter diesen Umständen, in denen das NS-Regime jede kleine oppositionelle Geste scharf bestrafte, wäre die Anfrage beim Landrat in der Tat für Otto Philipp lebensgefährlich gewesen. Obwohl insbesondere der Kreisleiter Schreiber und der Chef des Wehrmeldeamts in Bad Liebenwerda kurz zuvor noch auf

48 Liebenwerdaer Kreisblatt vom 26.10.1944, Nr. 253. 49 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 20.4.1945, Nr. 92. 50 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 2 f. (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100). Otto Philipp arbeitete vor Kriegsende als Verwaltungsangestellter im Wehrmeldeamt in Bad Liebenwerda.

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Das Untersuchungsgebiet

einer Verteidigung der Stadt bestanden, rückte kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee am 23. April 1945 die Wehrmacht kampflos aus Bad Liebenwerda ab und bezog über der Elbe neue Stellungen.51 Zusammen mit der Wehrmacht flüchtete, trotz aller Durchhalteparolen, schließlich auch nahezu die gesamte NSDAP-Kreisleitung. Nachdem bis zuletzt Unterlagen in den Kreisbehörden vernichtet wurden und bereits die ersten Granaten in der Nähe des Kreishauses einschlugen, verließ auch der Landrat Georg Röhrig am 22. April 1945 gegen 14 Uhr als einer der letzten Verwaltungsbeamten die Stadt.52

2.

Der Landkreis Schweinitz

Das Gebiet des Landkreises Schweinitz wurde, wie das Gebiet des Landkreises Liebenwerda, im Jahr 1815 nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses von Sachsen an Preußen übergeben. Der neugebildete Kreis Schweinitz setzte sich vor allem aus den alten sächsischen Ämtern Schlieben, Seyda und Schweinitz zusammen.53 Damit erhielt der neue Kreis Schweinitz sein auf der Karte unverkennbares Aussehen in Form eines Schmetterlings. Im Norden grenzten die Südausläufer des Flämings den Schweinitzer Kreis, der zur preußischen Provinz Sachsen und dem Regierungsbezirk Merseburg gehörte, gegen die preußische Provinz Brandenburg und den Regierungsbezirk Potsdam ab. Im Osten berührte der brandenburgische Regierungsbezirk Frankfurt (Oder) die Grenzen des Kreises. Im Süden und Westen des Kreises erstreckten sich die Kreise Liebenwerda, Torgau und Wittenberg. Naturräumlich geteilt wurde der Kreis durch die aus dem Kreis Liebenwerda fließende Schwarze Elster, die von Süden nach Westen den gesamten Schweinitzer Kreis durchfloss.54 Nach der Volkszählung vom 17. Mai 1939 lebten im Schweinitzer Kreis 40 418 Personen. Die Bevölkerungszahl des Kreises Schweinitz war somit nur etwa halb so groß wie die des Kreises Liebenwerda, obwohl der Kreis mit 1 013,53 Quadratkilometern etwa ein Viertel größer war als der Kreis Liebenwerda.55 Als Kreisstadt wurde bereits im Jahr 1815 nicht etwa die kleine Stadt Schweinitz, sondern die größere und zentral gelegenere Ortschaft Herzberg (Elster) benannt. Warum der Kreis mit der Auswahl der Kreisstadt nicht in Kreis Herzberg umbenannte wurde, ist nicht eindeutig zu beantworten. Vermutlich wollte man

51 Vgl. ebd. 52 Vgl. Schreiben des Landrats Georg Röhrig zur Beschäftigung bei der Regierung Merseburg vom 28.5.1945 (LHASA, MER, C 48 Ia II, Nr. 39, unpag.). 53 Vgl. Albert Voegler, Das Heimatbuch des Kreises Schweinitz. Die Geschichte der Heimat, Teil II, Herzberg 1934, S. 198 f. 54 Vgl. Julius August Richter, Eine kleine Heimatkunde für die Schulen des Kreises Schweinitz, Schönewalde 1912, S. 6–9. 55 Statistisches Reichsamt (Hg.), Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich auf Grund der Volkszählung 1939, Berlin 1941, S. 12.

Der Landkreis Schweinitz

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den Namen des einst bedeutenden sächsischen Amts und der Stadt Schweinitz, in der lange Zeit sächsische Kurfürsten residierten, nicht aufgeben. In der Kreisstadt Herzberg lebten im Jahr 1941 insgesamt 5 321 Personen. Zweitgrößte Stadt war Jessen mit 4 174 Einwohnern. Des Weiteren besaßen Schlieben mit 1 664 Einwohnern, Seyda mit 1 450 Einwohnern, Schweinitz mit 1 364 Einwohnern und Schönewalde mit 867 Einwohnern das Stadtrecht. Im Jahr 1941 existierten insgesamt 113 Gemeinden im Kreis Schweinitz.56 Der Kreis besaß mit lediglich 39,9 Einwohnern pro Quadratkilometer die niedrigste Bevölkerungsdichte in der gesamten Provinz Sachsen.57 Nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichneten die Kreisbehörden ebenso wie der Kreis Liebenwerda einen enormen Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen. Die Einwohnerzahl des Kreises stieg bis zum 29. Oktober 1946 um etwa 40 Prozent auf 56 723 an.58 Auch für den bevölkerungsarmen und stark durch die Landwirtschaft geprägten Schweinitzer Kreis stellte dies eine starke Belastung dar. Im Jahr 1939 arbeiteten 14 521 Personen im Kreis Schweinitz im Gegensatz zu 13 447 Personen im Kreis Liebenwerda in der Landwirtschaft.59 So verdienten im Jahr 1939 noch insgesamt 61,8 Prozent der Gesamtbeschäftigten im Kreis Schweinitz ihren Unterhalt in der Landwirtschaft. Im gesamten Deutschen Reich arbeiteten hingegen zu diesem Zeitpunkt lediglich 26 Prozent der Beschäftigten in diesem Wirtschaftsbereich. Die Landwirtschaftsstruktur des Kreises Schweinitz war vor dem Zweiten Weltkrieg großflächiger strukturiert als die des Kreises Liebenwerda. Zwar bildeten auch hier immer noch die Kleinst- oder Kleinbauernbetriebe mit bis zu 5  Hektar LNF mit 57,3 Prozent aller Betriebe die große Mehrheit, doch lag dieser Wert im Kreis Liebenwerda mit 80,6 Prozent bedeutend höher. Zudem besaßen diese kleinen Betriebe im Schweinitzer Kreis lediglich 5,1 Prozent der Gesamtbetriebsfläche, während diese im benachbarten Kreis Liebenwerda 11,5 Prozent der Gesamtbetriebsfläche bewirtschaften. Der bedeutendste Unterschied zwischen den beiden Kreisen lag bei dem Gewicht der Großbauern mit 20 bis 100 Hektar Besitz. Den Großbauern gehörte im Kreis Schweinitz 41,6 Prozent der Gesamtbetriebsfläche, während diese im Kreis Liebenwerda nur 28,7 Prozent bewirtschafteten. Insgesamt betrug der Anteil der 56 Heimatkalender für den Kreis Schweinitz für das Jahr 1942, Herzberg 1941, S. 77–81. 57 Statistisches Reichsamt (Hg.), Stand, Entwicklung und Siedlungsweise der Bevölkerung des Deutschen Reiches. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 211. 58 Endgültige Ergebnisse der Volks- und Berufszählung vom 29.10.1946. In: Beilage zu „Statistische Praxis“, Heft 7, Juli 1948, S. 3. Insgesamt lebten zu dieser Zeit nur 36 922 Personen im Landkreis, die bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ihren Wohnsitz im Kreis Schweinitz hatten. Geflüchtete bzw. vertriebene Schlesier und Sudetendeutsche bildeten mit 5 789 bzw. mit 5 306 Personen die stärkste Gruppe der Zugezogenen. 59 Statistisches Reichsamt (Hg.), Die Berufstätigkeit der Bevölkerung in den Reichsteilen. Provinz Sachsen. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 68.

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­ roßbauernwirtschaften im Kreis Schweinitz 12,5 Prozent. Die GroßgrundbeG sitzer bewirtschafteten ähnlich wie im Kreis Liebenwerda etwa ein Viertel der Gesamtbetriebsfläche (27,4 Prozent), obwohl im Jahr 1939 nur 79 Betriebe mit über 100 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im gesamten Kreis existierten. Der Großgrundbesitz war aber keineswegs dominierend.60 Wie an dem starken landwirtschaftlichen Sektor erkennbar war, machte die industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert einen weiten Bogen um den Kreis Schweinitz. Der Hauptgrund dafür lag vor allem darin, dass der Kreis durch den Ausbau der Eisenbahn in einen toten Winkel geriet. Zwar führte die Berlin–Jüterbog–Riesaer Strecke, die seit 1836 geplant und 1848 eingeweiht wurde, über Herzberg mitten durch den Kreis, doch abgesehen von der Kreisstadt, konnte kein weiterer Ort im Kreis von dieser Strecke profitieren. Erst nachdem die Verbindung von Falkenberg nach Wittenberg im Jahr 1875 gebaut wurde, die im Westen des Kreises die Stadt Jessen an die Bahn anschloss, waren die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung Jessens zur zweitgrößten Stadt des Kreises gegeben. Eine Ost-West-Verbindung im Kreis wurde hingegen nie gebaut, sodass viele Orte, darunter z. B. Seyda, Schweinitz und Schönewalde, in ihrer Entwicklung stagnierten. Erst die 1897 eröffnete Niederlausitzer Eisenbahn von Falkenberg nach Luckau, die östliche Teile des Kreises an das Netz anschloss, änderte dies.61 Dennoch bleibt festzuhalten, dass mehrere Orte des Kreises vom Eisenbahnnetz abgetrennt waren bzw. wie Schlieben und Hohenbucko erst spät mit der Niederlausitzer Eisenbahn 1897 erschlossen wurden, sodass der industrielle Entwicklungsschub des 19. Jahrhunderts an weiten Teilen des Kreises vorbeiging. Ungünstigerweise kam hinzu, dass im Kreis Schweinitz keine nennenswerten Bodenschätze vorhanden waren. Kohle, die für die schnelle industrielle Entwicklung im Kreis Liebenwerda verantwortlich war, existierte hier nur vereinzelt. Lediglich Lehm- und Tonablagerungen konnten im Kreis im größeren Stil als Bodenschätze ausgebeutet werden.62 Im gesamten Wirtschaftsbereich, der sich mit der Ausbeutung und Verarbeitung von Steinen und Erden befasste, waren im Jahr 1939 im Kreis Schweinitz nur 196 Personen beschäftigt.63 Im Holz- und Schnitzstoffgewerbe waren dagegen 621 Personen im Kreis tätig.64 Der größte Holzverarbeitungsbetrieb im Kreis war die Herzberger Möbelfabrik „Paul Schlieben“. Ein weiterer großer Sektor war das eng mit der Landwirt-

60 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Landwirtschaftliche Betriebszählung. Volks-, Berufsund Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 252 f. 61 Vgl. Das Eisenbahnwesen im Kreise Schweinitz. In: 100 Jahre Schweinitzer Kreisblatt 1831–1931. Jubiläumsausgabe, Herzberg 1931. 62 Vgl. Alfred Meißner, Übersicht über die geologischen Verhältnisse des Landkreises Herzberg. In: Heimatkalender des Kreises Herzberg 1956, Herzberg 1955, S. 45–50. 63 Statistisches Reichsamt (Hg.), Die nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstätten in den Reichs­ teilen und Verwaltungsbezirken, Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1944, S. 59. 64 Ebd.

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schaft verbundene Nahrungs- und Genussmittelgewerbe, in dem 684 Personen arbeiteten. Darunter fielen z. B. Dampfmolkereien, die auch in vielen kleineren Dörfern betrieben wurden.65 Die größte industrielle Rolle spielte aber im Kreis Schweinitz die Metallverarbeitungsindustrie. In Jessen entstand beispielsweise im Jahr 1874 die Maschinenfabrik und Eisengießerei „G. Fuhrmanns Sohn“, die verzinkte Bleche exportierte und etwa 250–300 Arbeiter beschäftigte.66 Ein weiterer großer industrieller Arbeitgeber im Kreis war vor dem Zweiten Weltkrieg der Herzberger Armaturenhersteller „Marx & Moschütz“. Am 18. April 1900 gründeten der Kupferschmied Karl Marx und der Klempnermeister Otto Moschütz in einer kleinen Gießerei die Fabrik. Zunächst wurden hier nur Wasserarmaturen gefertigt. Später vergrößerte sich das Sortiment auf Dampf-, Gas- und sanitäre Armaturen, die man auch ins Ausland exportierte. Im Jahr 1940 arbeiteten 285 Personen im Betrieb.67 Weitaus kriegswichtiger war jedoch das Werk der Hugo und Alfred Schneider AG (HASAG) in Schlieben. Im Jahr 1940 erwarb das Leipziger Unternehmen, welches sich seit 1933 zu einem führenden Munitionshersteller der Wehrmacht entwickelte, einen werkseigenen Schießplatz in Schlieben.68 Im September 1944, als die HASAG den Auftrag zur Herstellung für „Panzerfäuste“ zugesprochen bekam, wurde das HASAG-Gelände in Schlieben schlagartig zum größten Industriebetrieb des Kreises ausgebaut. Mithilfe von zahlreichen KZ-Häftlingen wurde das Werk eingerichtet und später auch ausschließlich durch diese betrieben. Dafür errichtete die HASAG in Schlieben ein Außenlager des KZ Buchenwald, in dem am 15. Dezember 1944 insgesamt 2 521 Häftlinge untergebracht waren.69 Die Industriestruktur des Kreises Schweinitz unterschied sich grundlegend von der des Kreises Liebenwerda. Gab es im Kreis Liebenwerda viele große Unternehmen mit über 500 Beschäftigten, die oft auf der Grundlage der dort vorhandenen Braunkohle produzierten, so existierten im Kreis Schweinitz lediglich kleinere Industrieunternehmen, die sich auf die Verarbeitung von Metall, Holz oder Nahrungsmitteln konzentrierten. Nur das Werk der HASAG in Schlieben bildete eine Ausnahme. Da dieser Betrieb aber nur kurze Zeit am Kriegsende produzierte und fast ausschließlich von KZ-Häftlingen betrieben wurde, war er 65 Vgl. ebd. 66 Vgl. Die industriewirtschaftliche Struktur des Kreises Schweinitz. In: 100 Jahre Schweinitzer Kreisblatt 1831–1931. Jubiläumsausgabe, Herzberg 1931. 67 Paul Gensichen, VEB Armaturenwerk Herzberg (Elster). Ein Ausschnitt aus der Chronik dieses Betriebes. In: Heimatkalender für den Kreis Herzberg 1955, Herzberg 1954, S. 64–66; Beiträge zur Heimatgeschichte und Genealogie von Albert Voegler (KA Herzberg, Historischer Sammlungsbestand Kreis Schweinitz/Herzberg, Nr. 34, unpag.). 68 Vgl. Martin Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“. Häftlinge in den Außenlagern des KZ Buchenwald bei der Leipziger Rüstungsfirma HASAG. In: Wolfgang Benz/ Barbara Distel (Hg.), Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 21 (2005), S. 245. 69 Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 15.12.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78687101#1).

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jedoch für die industrielle Entwicklung des Kreises nur von untergeordneter Bedeutung. Lediglich im Westen des Kreise, wo die stark industrialisierte Stadt Wittenberg an den Kreis grenzte, bestand für viele Kreisbewohner eine Gelegenheit, in größeren Industrieunternehmen zu arbeiten. Insgesamt arbeiteten aber im Jahr 1939 nur 5 300 Beschäftigte (22,5 Prozent) im Kreis Schweinitz in der Industrie.70 Die Nähe zu Wittenberg, der geistigen Heimat Martin Luthers, hatte auch zur Folge, dass die Bevölkerung im Kreis Schweinitz fast ausschließlich vor dem Zweiten Weltkrieg protestantisch geprägt war. Das Gebiet des Kreises Schweinitz gehörte zu einem der ersten, in dem der Protestantismus eingeführt wurde. Im Jahr 1939 bekannten sich im Kreis immer noch 96,2 Prozent der Einwohner zur evangelischen Kirche. Nur 2,3 Prozent waren katholisch. 0,5 Prozent gehörten einer anderen christlichen Glaubensgemeinschaft an. Etwa ein Prozent gab an, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören.71 Mit dem Zuzug vieler Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem katholischen Sudetenland und Oberschlesien änderte sich dieses Bild nach dem Krieg aber schlagartig. Beispielsweise bekannten sich am 29. Oktober 1946 bereits 8824 Personen im Kreis Schweinitz zum Katholizismus. Dies entsprach 15,8 Prozent der gestiegenen Kreisbevölkerung. Dagegen ließen sich nur noch 82,7 Prozent als protestantisch registrieren.72 Eine bedeutende jüdische Minderheit existierte hingegen auch im Kreis Schweinitz zu keinem Zeitpunkt. Im Jahr 1939 lebten hier nur noch vier Juden.73 Bei den nur noch halbfreien Wahlen am 5. März 1933 erzielte die NSDAP im Kreis Schweinitz 69,9 Prozent der Stimmen. Die mit der NSDAP koalierende Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die unter dem Namen „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ antrat, gewann 14,1 Prozent. Die beiden linken Parteien SPD und KPD waren dagegen weit abgeschlagen und konnten nur noch 9,5 Prozent bzw. 4,4 Prozent der Stimmen erringen.74 Wenige Tage später bei den Kommunalwahlen zeichnete sich dasselbe Bild ab. Mit dieser Wahl endete nun auch die Vorherrschaft der bürgerlich-konservativen Vertreter im Kreistag sowie in den Stadt- und Gemeindeparlamenten. Die lokale NSDAP, geführt vom seit Mitte 1932 neu eingesetzten Kreisleiter Fritz Kellner aus Jessen, stellte nach dieser Wahl 14 von 22 Kreistagsmandaten, womit sie die absolute Mehrheit erzielte. Die Deutsch-Nationalen bzw. die Nationale Mittelstandsliste waren nur 70 Statistisches Reichsamt (Hg.), Die Berufstätigkeit der Bevölkerung in den Reichsteilen. Provinz Sachsen. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1943, S. 68. 71 Vgl. Statistisches Reichsamt (Hg.), Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach der Religionszugehörigkeit. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17.5.1939, Berlin 1942, S. 27. 72 Auflistung der Wirtschaftsabteilung des Kreises Schweinitz über die ständige Bevölkerung vom 29.10.1946 (KA Herzberg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 474, unpag.). 73 Statistisches Reichsamt (Hg.), Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich, Berlin 1944, S. 17. Als sogenannte Glaubensjuden wurden im Kreis Schweinitz nur zwei Personen in dieser Auflistung verzeichnet. 74 Stadt- und Landbote. Lokaler Anzeiger für Schlieben, Herzberg, Schönewalde, Schweinitz, Seyda und Umgegend vom 5.3.1933, 2. Extrablatt.

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noch mit vier bzw. einem Abgeordneten vertreten. Die SPD und die KPD konnten nur zwei bzw. einen Vertreter in den Kreistag entsenden.75 Im gesamten Kreis Schweinitz gab es während der Wahlen 1933 keinen größeren Ort, in dem die Nationalsozialisten keine Mehrheit erzielten. Nachdem man die wenigen Vertreter der SPD und KPD aus den Kommunalparlamenten gedrängt hatte, ging man auch im Kreis Schweinitz dazu über, diese zu verhaften. Obwohl zu keinem Zeitpunkt von linker Seite ein nennenswerter Widerstand gegen die NS-Herrschaft im Kreis Schweinitz geleistet wurde – was selbst in der DDR-Literatur zugegeben wurde – wurden mehrere Mitglieder der SPD und KPD in Schutzhaft genommen. Sechs Kommunisten und ein Sozialdemokrat aus dem Kreis transportierte man in das KZ Lichtenburg, wo sie eine längere Haftstrafe verbüßen mussten.76 Darunter befand sich u. a. der langjährige Kreistagsabgeordnete und Vorsitzende der KPD in Herzberg, Richard König, der bis Ende 1933 in der Lichtenburg inhaftiert war. Im Juli 1944 wurde er, nachdem er zuvor nach Berlin verzog, erneut verhaftet. Vier Tage vor dem Ende des Kriegs verstarb er.77 Aber auch sozialdemokratische und bürgerliche Kommunalpolitiker wurden für ihre politische Gesinnung verfolgt. Exemplarisch stand dafür der Seydaer Bürgermeister Walter Wieneke, der bis 1931 der SPD angehörte und sich danach vergeblich um die Mitgliedschaft in der DNVP bewarb. Ihm wurde im April 1933 Unterschlagung von Geldern der Stadt vorgeworfen, wofür er zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.78 Ebenso wurden Konservative, die sich nicht mit der nationalsozialistischen Herrschaft arrangierten, im Landkreis Schweinitz verfolgt. Der Gutsbesitzer von Rahnisdorf, Kraft Freiherr von Palombini, organisierte z. B. auf seinem Gut Treffen zur Vorbereitung eines Staatsstreichs. Er beherbergte am 20. Juli 1944 den vom Widerstand vorgesehenen neuen Reichskanzler, Karl Goerdeler, auf seinem Gut. Palombini wurde nach dem Scheitern des Attentats am 21. Juli 1944 verhaftet.79 Erst am 23. April 1945 kam er nach der Auflösung der Berliner Haftanstalt in der Lehrter Straße wieder frei.80

75 Sonderausgabe der im Schweinitzer Kreisblatt im Jahre 1933 veröffentlichten amtlichen Bekanntmachungen der Kreisbehörden, Herzberg 1934, S. 18. 76 Vgl. Günther Mehl, Im 30. Jahr der DDR dem 60. Jahrestag der Novemberrevolution und der Gründung der KPD gewidmet, Herzberg 1979, S. 25–27. 77 Vgl. ebd., S. 32 f. 78 Walter Wieneke wurde bereits Anfang März 1933 in Schutzhaft genommen. Erst im April 1933 wurde ihm die Unterschlagung von Geldern vorgeworfen. Vgl. Stadt- und Landbote. Lokaler Anzeiger für Schlieben, Herzberg, Schönewalde, Schweinitz, Seyda und Umgegend vom 2.3.1933, Nr. 26; Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 8.9.1933, Nr. 210; Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 9.9.1933, Nr. 211; Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 11.9.1933, Nr. 212. 79 Vgl. Rechtsanwalt Dr. Flächsner an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 10.4.1945 (LHASA, MER, Domänenregistratur, C 48 IIIa, Nr. 484, Bl. 87). Aus dem Schreiben ging hervor, dass Kraft Freiherr von Palombini am 27.3.1945 vom Volksgerichtshof zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. 80 Vgl. Joachim Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1994, S. 319.

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Das Untersuchungsgebiet

Insgesamt fiel auf, dass mehrere bürgerlich-konservative Gegner der Natio­ nalsozialisten aus der Region stammten. So fand z. B. Karl Goerdeler, nachdem er auf dem Gut in Rahnisdorf vom Scheitern des Attentats erfuhr, bei dem Gerbisbacher Gutsbesitzer Johann Eckardt Unterschlupf. Eckardt konnte später jegliches Wissen vom Staatsstreich abstreiten und kam nach sechs Wochen im Gestapo-Gefängnis wieder frei.81 Ebenso besaß wohl der Gutsbesitzer in Großrössen, Friedrich Freiherr von Wilmowsky, durch seinen Vater Tilo, der nach dem versuchten Staatsstreich 1944 verhaftet wurde, Kontakte zum Widerstand.82 Trotz aller Ressentiments der alten konservativen Elite gegen den Nationalsozialismus wurde die Vorherrschaft der NSDAP auch im Kreis Schweinitz zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Bestätigt durch die hohen Wahlergebnisse 1933, besetzte die NSDAP langsam alle wichtigen Ämter im Kreis. Zwar blieb der konservative Landrat Dr. Niese zunächst noch im Amt, doch wurde er im Jahr 1935 u. a. wegen „finanzieller Verfehlungen“ entlassen. Auf ihn folgte der Natio­ nalsozialist Herbert Dengler, der bis 1941 im Amt blieb.83 Nachdem der Landrat Dengler in die besetzten Ostgebiete versetzt wurde, sollte Nobert Hering das Landratsamt übernehmen. Dieser trat seinen Dienst in Herzberg aufgrund seiner Verwendung in der Wehrmacht allerdings nie an, sodass der Landrat a. D. Otto Böhme aus Berlin, der im Jahr 1939 als Verwaltungsreserve aus dem Ruhestand in den Kreis Schweinitz versetzt wurde, die Kreisverwaltung bis Kriegsende führte.84 Zur wichtigsten Person innerhalb der Schweinitzer NSDAP stieg 1934 Reinhold Fritsch auf. Fritsch kam nach dem plötzlichen Tod des deutsch-nationalen Bürgermeisters Walter Sourell nach Herzberg, wo er das Bürgermeisteramt und gleichzeitig auch den Posten des NSDAP-Kreisleiters von Fritz Kellner übernahm. Reinhold Fritsch, der bei seiner Amtsübernahme im Jahr 1934 erst 30 Jahre alt war, blieb schließlich bis zum Kriegsende Kreisleiter und übte zeitwei81 Vgl. Johann Eckardt an die KBK Schweinitz vom 9.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 337, Bl. 43). 82 Vgl. Tilo Freiherr von Wilmowsky, Erinnerungen, Berlin 1951, S. 225–233. Friedrich Freiherr von Wilmowsky wurde jedoch im Gegensatz zu seinem Vater nicht verhaftet. Er übte bis Kriegsende seinen Kriegsdienst bei der Heeresgruppe Mitte aus. Seine Ehefrau flüchtete mit den Kindern bereits im März 1945 von Großrössen auf das schwiegerväterliche Gut in Marienthal (Kreis Eckartsberga). Vgl. ebd., S. 237. 83 Vgl. Thomas Klein, Zur Verwaltungsgeschichte der Provinz Sachsen. Preußische Landräte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Oswald Hauser (Hg.), Vorträge und Studien zur preußisch-deutschen Geschichte, Köln 1983, S. 320. 84 Vgl. Minister des Inneren über die vertretungsweise Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Landrats in Herzberg an Otto Böhme vom 13.12.1939 (LHASA, MER, C 48 Ia II, Nr. 84, unpag.); Norbert Hering über eine eventuelle Wiederverwendung im Verwaltungsdienst an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 1.11.1945 (LHASA, MER, C 48 Ia II, Nr. 66, unpag.). Norbert Hering befand sich am 1.11.1945 aufgrund einer am 10.4.1945 an der Westfront erlittenen Verwundung immer noch im Reservelazarett in Westerstede. Der Bitte um Wiederaufnahme in den Verwaltungsdienst wurde nicht entsprochen.

Der Landkreis Schweinitz

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se auch den Posten des stellvertretenden Landrats neben seinem Bürgermeistertätigkeit in Herzberg aus.85 Fritsch gelang es, in der Folgezeit alle wichtigen Bürgermeisterposten in den Städten des Kreises mit Nationalsozialisten zu besetzen. Doch auch Reinhold Fritsch, dessen Machtposition in Herzberg nie angetastet wurde, konnte es nicht verhindern, dass kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee die Herzberger gegen die Verteidigung der Stadt lautstark protestierten. Eine Delegation der Herzberger Bürgerschaft – darunter der evangelische Superintendent und der katholische Pfarrer – beschwor am 21. April 1945 den Stadtkommandanten Oberst Windheim, den Kreisleiter Fritsch und den Ortsgruppenleiter Strothbäumer, die Stadt kampflos zu übergeben. Der Stadtkommandant beharrte zunächst auf seinen Befehlen, die die Verteidigung der Stadt vorsahen.86 Da die junge zur Delegation gehörende Ärztin Frau Dr. Strickstrock wohl am lautstärksten protestierte, da sie den Evakuierungsbefehl für ihre Patienten nicht verantworten konnte, wurde sie kurzerhand vorübergehend festgesetzt.87 Nachdem die Herzberger Bürger enttäuscht und durch die Verhaftung eingeschüchtert abzogen, plädierte der Ortsgruppenleiter Strothbäumer, der kurz zuvor mit einigen Hitlerjungen von einer Fahrt aus dem östlichen Schweinitzer Kreis zurückgekehrt war, wo sich diese bereits den ersten Panzerspitzen der Roten Armee entgegenstellten, für die unbedingte Verteidigung der Stadt. Er forderte nicht nur die Sprengung der Brücken, sondern auch die Sprengung der Dämme der Schwarzen Elster, womit die gesamte Stadt unter Wasser gesetzt worden wäre.88 Wie der Kreisleiter Fritsch auf diesen Vorschlag reagierte, ist nicht bekannt. Kurze Zeit später erhielt allerdings der sich stets auf seine Befehle berufende Oberst Windheim die Anordnung, mit seinen wenigen Truppen nach der Sprengung der Elster-Brücken über die Elbe abzurücken.89 Nachdem Strothbäumer und Fritsch erkannten, dass auch der Herzberger Volkssturm nicht mehr gewillt war weiterzukämpfen, ergaben sie sich ihrem Schicksal. Strothbäumer verübte am Morgen des 23. April 1945 mit seiner Familie Selbstmord.90 Reinhold Fritsch entschied sich hingegen für eine letzte

85 Vgl. Horst Diere, Walter Sourell. Herzbergs Bürgermeister in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik. In: Heimatkalender für die Region Herzberg 2007, Herzberg 2006, S. 141. 86 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 2. Elisabeth Moschütz besaß in Herzberg eine Kurzwarenhandlung und stand in engem Kontakt zu der Herzberger Fabrikantenfamilie Marx. 87 Vgl. Rolf Lehmann, Herzberg (Elster) in Geschichte und Gegenwart 1184–1984, Torgau 1983, S. 18. Nach dem Abzug der Wehrmacht wurde die Ärztin wieder freigelassen. 88 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 4; Bericht des Gemeindevorstehers von Hohenbucko an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Ereignisse am Kriegsende vom 31.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 116, Bl. 212). 89 Vgl. Freiherr M. v. Edelsheim, Tätigkeit des deutschen XXXXVIII. Panzer-Korps beim amerikanischen Feldzug im Mitteldeutschland (11.4.–3.5.1945), Allendorf 1946, S. 15–17 (BArch-MA, ZA 1/569, unpag.). 90 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Herzberg 1945.

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Das Untersuchungsgebiet

„große Geste“. Er legte seine Parteiuniform mit allen Auszeichnungen an und erwartete das Eintreffen der ersten Rotarmisten. Vielleicht in der Hoffnung, mit dieser „Geste“ den Willen der kriegsmüden Herzberger ein letztes Mal zu erfüllen, übergab er am 23. April 1945 auf den Stufen des Rathauses den ersten ankommenden Rotarmisten die Stadt. Viele Herzberger, die ängstlich in den Kellern ihrer Wohnungen ausharrten, nahmen diese letzte Amtshandlung des Nationalsozialisten Fritsch wohl kaum mehr wahr. Genauso wie die Herzberger, die nur noch das Ende des Kriegs herbeisehnten, ignorierten auch die Rotarmisten diese letzte „Geste“ und verhafteten Fritsch umgehend, womit der Autoritätswechsel im Kreis Schweinitz sichtbar vollzogen wurde.91

91 Vgl. Chronik der Ereignisse der Stadt Herzberg 1939/45 vom 22.4.1985 (KA Herzberg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 406, unpag.).

III. Das Kriegsende 1945 1.

Die militärische Lage im April/Mai 1945

Anfang April 1945 bereitete sich die Wehrmachtsführung auf die letzte entscheidende Offensive der Roten Armee in Richtung Berlin vor. Jedem in der Führung des untergehenden Reichs musste klar gewesen sein, dass nur noch ein wahres Wunder den totalen militärischen Zusammenbruch stoppen konnte. Dennoch versuchten die Militärs verzweifelt, an der Oder und Neiße eine letzte ausgebaute Abwehrfront gegen die Rote Armee zu errichten. Obwohl der Angriffstermin der Roten Armee bereits für den 16. April 1945 vorausgesagt wurde, konnten die deutschen Stäbe nichts gegen die gewaltige Wucht des sowjetischen Angriffs unternehmen. Mit einer in ihrer Heftigkeit bis dahin noch nicht gekannten Artillerievorbereitung begann der Angriff auf Berlin.1 Die 1. Weißrussische Front unter dem Oberbefehl von Marschall Shukow hatte dabei den Auftrag, direkt über die Seelower Höhen aus dem bereits gebildeten Brückenkopf bei Küstrin auf Berlin vorzustoßen. Die südlich anschließende 1. Ukrainische Front unter der Führung des Marschalls Konjew sollte zunächst die deutsche Front zwischen Forst und Bad Muskau sowie zwischen Penzig und Rothenburg durchbrechen, dabei die linke Flanke des Angriffs der 1. Weißrussischen Front decken und schließlich bis zur Elbe und nach Dresden vorstoßen.2 Der 1. Ukrainischen Front stand in diesem Zeitpunkt die deutsche 4. Panzerarmee gegenüber, welche der Heeresgruppe Mitte unterstellt war. Bereits am ersten Tag der Offensive gelang es der Roten Armee, die Neiße zu überschreiten und einige Kilometer vorzurücken. Auf deutscher Seite erwies es sich als Nachteil, dass die Stellungen an der Neiße sowie an der Spree nur ungenügend ausgebaut werden konnten.3 Somit konnten die Truppen der 1. Ukrainischen Front, im Gegensatz zur 1. Weißrussischen Front bei Seelow, sehr schnell ins Landesinnere vorrücken. Zwar setzten die deutschen Stäbe sofort nach dem Beginn des Angriffs alle Reserven ein, darunter die 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“ und die Führerbegleitdivision, doch zeigte sich sehr schnell, dass ein Durchbruch der enormen Truppenmassen der Roten Armee nicht zu verhindern sein würde. Aufgrund der immer stärker werdenden Panzerangriffe der Roten Armee zerschlugen sich bereits am Morgen des 17. April 1945 die deutschen Hoffnungen, den Brückenkopf nördlich von Sagan wieder einzu­drücken.4 Einen weiteren Tag später stellte man in der Tagesmeldung der Heeresgruppe

1 2 3 4

Vgl. Boog/Lakowski, Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945, S. 633. Vgl. Wilhelm Tieke, Das Ende zwischen Oder und Elbe – Der Kampf um Berlin 1945, Stuttgart 1994, S. 92; Tagesmeldung der HG Mitte vom 16.4.1945 (BArch-MA, RH 2/501, Nr. 109, unpag.). Vgl. Fernspruch zur Lage des OB HG Mitte an OB der Wehrmacht Adolf Hitler vom 20.4.1945 (BArch-MA, RH 2/337, Bl. 60 f.). Vgl. Morgenmeldung der HG Mitte vom 17.4.1945 (BArch-MA, RH 2/501, Bl. 34 f.).

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Kriegsende 1945

Mitte vom 18. April 1945 bereits fest, dass es „dem Feind gelungen sei, mit zwei schnellen Korps im Südosten von Spremberg und Osten von Bautzen die Spree zu überschreiten“. Auch zwischen Cottbus und Spremberg war die Rote Armee daraufhin in der Lage, entlang der Reichsautobahn in Richtung Berlin die Spree zu überqueren und die deutschen Linien zu durchbrechen. Zwar hatte der Stab der Heeresgruppe Mitte unter dem Generalfeldmarschall Schörner immer noch die Hoffnung, diese Durchbruchstellen mit Gegenangriffen abzuriegeln und Jagdkommandos auf die durchgebrochenen Truppen anzusetzen, doch erwies sich diese Hoffnung fernab jeglicher Realität. Ein weiterer Nachteil bestand für die Wehrmacht darin, dass sie unter erheblichem Betriebsstoff- und Munitionsmangel litt.5 In dieser Lage gerieten große Teile der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“, der Führerbegleitdivision und der 388. Infanteriedivision bei Spremberg in einen Kessel.6 Dennoch gab die deutsche Führung immer noch direkt aus dem Führerbunker in Berlin bis zum 20. April 1945 Befehle für die im Kessel um Spremberg festsitzenden Truppen, die entstandene Frontlücke zwischen Spremberg und Cottbus zu schließen. Für die Ausführung dieses Befehls sollte der Divisionskommandeur der 10. SS-Panzerdivision, Brigadeführer Heinz Harmel, zuständig sein.7 Zwar war es durchaus verständlich, dass die deutschen Stäbe versuchten die sowjetischen Truppen, die durch die entstandene Frontlücke in Richtung Berlin einschwenkten und die nach Norden gedrängten Teile der deutschen 4. Panzerarmee sowie die 9. Armee langsam einkesselten, zu stoppen, doch entbehrten diese Befehle jeglicher realistischer Kräfteeinschätzung. Auch der Versuch, den Spremberger Kessel aus der Luft zu versorgen, ging an jeglicher Realität vorbei.8 Die Rote Armee strömte zu diesem Zeitpunkt nahezu ungehindert mit der 3. und 4. Gardepanzerarmee durch die Lücke zwischen Cottbus und Spremberg, sodass sie bereits in den Morgenstunden des 20. April 1945 Luckau erreichte.9 Mit der Umfassung und Einnahme Luckaus wurde erstmals auch der östlichste Teil des Kreises Schweinitz von Rotarmisten betreten. Langengrassau und Wüstermarke nahe Luckau waren die beiden ersten Orte im Untersuchungsgebiet, die von Truppen der Roten Armee besetzt wurden.10

 5 Vgl. Tagesmeldung der HG Mitte vom 18.4.1945 (BArch-MA, RH 2/501, Bl. 71–75).  6 Vgl. Tagesmeldung Ost vom 20.4.1945 (BArch-MA, RH 2/501, Bl. 123).  7 Vgl. Wilhelm Tieke, Im Feuersturm letzter Kriegsjahre. II. SS-Panzerkorps mit 9. und 10. SS-Panzerdivision „Hohenstaufen“ und „Frundsberg“, Osnabrück 1975, S. 532. Diesen Befehl bestätigte auch der ebenso im Kessel festsitzende Divisionskommandeur der 344. ID, Generalleutnant Erwin Jolasse. Vgl. Einsatz der 344. ID im schlesischen Raum von Februar bis April 1945 (BArch-MA, MSG 2/16657, Bl. 8).  8 Vgl. Tagebuchaufzeichnungen von General d. Fl. Karl Koller, Chef des Generalstabs der Luftwaffe. In: Percy E. Schramm (Hg.), Kriegstagebuch des OKW 1944–1945, Band 4, Zweiter Halbband, Augsburg 2002, S. 1688 f.  9 Vgl. BArch-MA, RH 2/337, Nr. 32. 10 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Wüstermarke 1945.

Militärische Lage

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Mit dem Zusammenbruch der Verteidigung an der Neiße drohte nun das XXXXVIII. Panzerkorps, welches zur neu aufgestellten 12. Armee gehörte und sich gegen die vorrückenden Amerikaner an der Mulde verteidigte, von den sowjetischen Truppen von hinten überrollt zu werden. Das XXXXVIII. Panzerkorps, welches am 10. April 1945 aus der Ostfront bei Görlitz herausgelöst und in den Raum um Torgau und Riesa verlegt wurde, baute ab dem 18. April 1945 entlang der Schwarzen Elster, mitten in den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz, eine Abwehrfront gegen die durchgebrochene Rote Armee auf. Damit drohte das Untersuchungsgebiet zum Kampfplatz zu werden. Als Kräfte sollten den Verteidigern der Schwarzen Elster die wenigen eigenen Verbände und die zurückflutenden Truppen der 4. Panzerarmee zur Verfügung stehen.11 Dazu wurden hinter der Schwarzen Elster in Zeithain, Riesa und Torgau drei Auffangstäbe gebildet.12 Zudem wurden vom Liebenwerdaer Landrat Georg Röhrig noch am 20. April 1945 in einem seiner letzten Erlasse alle männlichen Jugendlichen des Jahrgangs 1929 im Kreisgebiet aufgefordert, sich zum Reichsarbeitsdienst einzufinden. Wer diesem Befehl nicht Folge leiste, so die verzweifelte Androhung, der werde als fahnenflüchtig verfolgt.13 Allerdings waren die Behörden zu diesem Zeitpunkt kaum noch in der Lage, diesen Erlass umzusetzen. So geriet das am 21. April 1945 vom Landratsamt ausgeschickte Rekrutierungskommando in Hirschfeld fast in sowjetische Kriegsgefangenschaft, als es am 22. April 1945 versuchte, den Jahrgang 1929 zum Reichsarbeitsdienst (RAD) zu rekrutieren.14 Dass eine Verteidigung an der Schwarzen Elster kaum durchführbar war, stellte sich jedoch für die deutschen Stäbe wohl bereits vor dem Erlass des Landrats heraus. Im Süden Sprembergs brach das 1. sowjetische Gardekavalleriekorps über Königsbrück durch die deutsche Front und drohte damit, die Schwarze-Elster-Verteidigungslinie südlich zu umgehen. Ebenso gelang es starken polnischen Truppenteilen, unterstützt von sowjetischen Truppen, am 21. April 1945 über Bautzen bis nach Radeberg vorzudringen. Zwar waren die deutschen Truppen mit der Rückeroberung Bautzens und Weißenbergs nochmals in der Lage, den Durchbruch der polnischen Truppen und damit den direkten Marsch auf Dresden zu unterbinden, der geplante deutsche Vorstoß bis Hoyerswerda, wo man Anschluss an die Verteidigung der Schwarzen Elster gefunden hätte, war den geschwächten deutschen Truppen aber nicht mehr möglich.15 Somit entschloss sich der Stab des XXXXVIII. Panzerkorps unter der

11 Vgl. Freiherr M. v. Edelsheim, Tätigkeit des deutschen XXXXVIII. Panzer-Korps beim amerikanischen Feldzug im Mitteldeutschland (11.4.–3.5.1945), Allendorf 1946, S. 5–16 (BArch-MA, ZA 1/569, unpag.). 12 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 20.4.1945, Nr. 92. 13 Vgl. ebd. 14 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Richard Krause vom 15.1.2010. Richard Krause (geb. 1929) erlebte das Kriegsende in Hirschfeld und bestätigte, dass der Einberufungsbefehl noch am 21.4.1945 zugeschickt wurde. 15 Vgl. Tagesmeldung der HG Mitte vom 21.4.1945 (BArch-MA, RH 2/501, Bl. 145).

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Kriegsende 1945

Führung von General Freiherr von Edelsheim, laut eigenen Angaben, bereits am 20. April 1945 für den Rückzug über die Elbe.16 Der Rückzug bewahrte besonders die Orte an der Schwarzen Elster vor größeren direkten Kriegsschäden. Am 21. April 1945 besetzte das 27. Schützenkorps der sowjetischen 13. Armee die Hälfte des Schweinitzer Kreisgebiets bis etwa auf die Linie Schönewalde-Kolochau.17 Ebenso drangen im Süden Einheiten des 1. Gardekavalleriekorps in den Kreis Liebenwerda ein. Dieses Korps drang bis zum Abend des 21. Aprils 1945 bis zur Linie Plessa-Hirschfeld vor.18 Einen Tag später rückten sowjetische Truppen in die Städte Schweinitz und Jessen im Norden des Untersuchungsgebiets ein.19 Im Süden besetzten Truppen der 5. Gardearmee an diesem Tag Elsterwerda.20 Nur die vielen kurz vor dem Rückzug der deutschen Truppen gesprengten Brücken über die Schwarze Elster und Pulsnitz verhinderten ein schnelleres Vorankommen der Roten Armee. Zwar wurden die Brückensprengungen besonders in der regionalen DDR-Literatur als überflüssige und zugleich verbrecherische Aktion beschrieben, doch ermöglichte dies den deutschen Truppen immerhin einen gefahrfreien Abzug über die Elbe, womit dem Untersuchungsgebiet mögliche weitere Kämpfe erspart blieben.21 Schließlich überschritten am 23. April 1945 die Truppen der 5. Gardearmee die Schwarze Elster und besetzten Herzberg, Bad Liebenwerda sowie die restlichen westlichen Teile der beiden Kreisgebiete bis zur Elbe.22 Die sowjetischen Einheiten der 5. Gardearmee, die kurz zuvor das Liebenwerdaer Kreisgebiet durchquerten, trafen sich nur wenige Tage später am 25. April 1945 mit ersten amerikanischen Einheiten an der Elbe bei Torgau. Dennoch drohte das südliche Gebiet des Kreises Liebenwerda Ende April/ Anfang Mai 1945 nochmals, in das Kriegsgeschehen hineingezogen zu werden. Am 30. April 1945 versuchten Truppen der 4. Panzerarmee, u. a. die 2. Fallschirmjägerpanzerdivision „Hermann Göring“ und die 20. Panzerdivision, aus Richtung Dresden entlang der Reichsautobahn in Richtung Norden vorzudringen. Der Angriff der deutschen Truppen, die in die Flanke der zur Elbe vorrückenden Roten Armee stoßen wollten, kam in Weißig und Linz kurz vor Ortrand zum Stehen.23 Da die Stäbe der Roten Armee sehr schnell die Flankenbedrohung erkannten, verlegten sie bereits am 24. April 1945 die 97. Gardeschützendivision in den südlichen Teil des Kreises Liebenwerda, welche den

16 Vgl. Freiherr M. v. Edelsheim, Tätigkeit, S. 19–21 (BArch-MA, ZA 1/569, unpag.). 17 Vgl. Max Pilop, Die Befreiung der Lausitz. Militärhistorischer Abriss der Kämpfe im Jahr 1945, Bautzen 1986, S. 116 f. 18 Vgl. ebd., S. 128. 19 Vgl. ebd., S. 117. 20 Vgl. ebd., S. 129. 21 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 35. 22 Vgl. Pilop, Die Befreiung, S. 130. 23 Vgl. Lagekarte der HG Mitte vom 30.4.1945 (BArch-MA, RH 2 Ost/6596); Heinrich Stöcker, Krieg, Pest und Brand im Großenhainer Land, Großenhain 2005, S. 153–166.

Militärische Lage

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Vormarsch der Wehrmacht stoppen konnte.24 Schließlich begann die Rote Armee am 6. Mai 1945 mit frisch zugeführten Truppen und mit einer breiten Artillerievorbereitung, die schwache deutsche Front am Rande des südlichen Kreisgebiets zu zerschlagen und über Dresden nach Prag vorzurücken. Nur das schnelle Absetzen der deutschen Truppen über das Erzgebirge verhinderte nochmals größere Kämpfe.25 Grundsätzlich ließ sich feststellen, dass im Untersuchungsgebiet nur sehr wenige Kampfhandlungen zu verzeichnen waren. Eine zusammenhängende Front existierte seit dem Zusammenbruch der Verteidigung an der Neiße und Spree nicht mehr, sodass die Rote Armee fast in alle Gemeinden des Untersuchungsgebiets kampflos einmarschierte. Nur sich nicht rechtzeitig abgesetzte deutsche Truppen oder beim Rückzug überrollte Truppen leisteten vereinzelt Widerstand. In Ortrand kam es z. B. am 21. April 1945 zu einem kurzen Gefecht mit zurückgehenden Truppen der Waffen-SS und Angehörigen der 600. russischen Infanteriedivision, der sogenannten Wlassow-Armee.26 Ebenso stießen die über Ortrand vorrückenden Truppen des 1. Gardekavalleriekorps in Hirschfeld am Abend des 21. April 1945 auf kurzen Widerstand.27 Vereinzelt kam es zu Gefechten in Dolsthaida, Mückenberg und Kleinleipisch mit Teilen der vorgehenden sowjetischen 5. Gardearmee. Versprengte Reste der Waffen-SS und Polizeikräfte leisteten dabei in Kleinleipisch am heftigsten Widerstand.28 Einen zusammenhängenden, koordinierten Widerstand gab es in der Region aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. In Elsterwerda wurde nur kurz am Ortseingang gekämpft. Die beiden Kreisstädte Bad Liebenwerda und Herzberg fielen nahezu kampflos der Roten Armee in die Hände. Auch der örtliche deutsche Volkssturm löste sich in fast allen Fällen von selbst auf. Die meist älteren, teils fronterfahrenen Männer sahen schnell ein, dass ein erfolgreicher Widerstand gegen die Masse der Roten Armee, abgeschnitten von anderen deutschen Truppenteilen, keinen militärischen Sinn ergab. Die in allen Orten des Untersuchungsgebiets gebauten Panzersperren wurden nur in den seltensten Fällen geschlossen. Kaum ein Soldat des Volkssturms war noch bereit, sein Leben für eine offenkundig verlorene Sache zu geben. Nur vereinzelt gab es Berichte über Widerstand des Volkssturms. In Wüstermarke, wo die Rote Armee erstmals das Schweinitzer Kreisgebiet erreichte, versuchten die wenigen Volkssturmmänner, diese daran zu hindern, Luckau zu umgehen. Ein Volkssturmmann kam dabei ums Leben.29 Auch in Stiesa starb ein Mann, laut

24 Vgl. Pilop, Die Befreiung, S. 131. 25 Vgl. Stöcker, Krieg, S. 166–170. 26 Vgl. Heinz Lehmann, Das Jahr 1945. In: Rat der Stadt Ortrand (Hg.), 750 Jahre Ort­ rand 1238–1988, Ruhland 1987, S. 73 f. 27 Vgl. Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Hirschfeld 1945. 28 Vgl. Kommission für Betriebsgeschichte des VEB Braunkohlenkombinats Lauchhammer (Hg.), Bergarbeiterland in Volkeshand. Geschichte des VEB Braunkohlenkombinat Lauchhammer, Band II, Berlin (Ost) 1970, S. 10. 29 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Wüstermarke 1945.

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Kriegsende 1945

standesamtlichen Sterbebuch, an einer Panzersperre, die vermutlich verteidigt wurde.30 Ein weiterer Kampf mit Angehörigen des Volkssturms ereignete sich in Prieschka an der Elsterbrücke.31 Hier wurde der Volkssturm wahrscheinlich nicht rechtzeitig von dem Rückzug über die Elbe informiert, sodass sich die Rote Armee den Flussübergang erkämpfen musste. Auffällig war, dass – so weit es Berichte über Widerstand im Untersuchungsgebiet gab – sehr häufig jugendliche Gruppen beteiligt waren. Der HJ-Bannführer des Kreises Liebenwerda, Werner Wind, versuchte z. B. mit einer kleinen Gruppe Hitlerjungen bei Hohenleipisch, den Vormarsch der Roten Armee zu stoppen. Werner Wind richtete im Hohenleipischer Jagdhaus ein „Hauptquartier“ ein und befahl einer Gruppe Hitlerjungen, die Straße zwischen Oppelhain und Hohenleipisch entlang der Eisenbahnstrecke zu verteidigen. Nachdem die Verteidigung fehlschlug, setzten sich das Kommando um Werner Wind über die Elbe nach Belgern ab, wo sie mit der geflüchteten Liebenwerdaer NSDAP-Kreisleitung zusammentrafen.32 Eine ähnliche Verzweiflungstat wie der Liebenwerdaer HJ-Bannführer unternahm der Herzberger Ortsgruppenleiter Strothbäumer, der eine Gruppe Hitlerjungen um sich versammelte und der aus Richtung Luckau kommenden Roten Armee entgegenfuhr. In Hohenbucko trafen diese erstmals auf die sowjetischen Panzerspitzen. Der spätere Gemeindevorsteher von Hohenbucko berichtete darüber: „Beim Einrücken bekamen die Russen Feuer und Bewurf durch Panzerfäuste. Diese wurden von HJ-Jungen geworfen, die nicht ortsansässig waren, sondern aus Herzberg kamen und von einem gewissen Strothbäumer geführt wurden. Sie flüchteten nach ihrer Heldentat aus dem Grundstück nach hinten heraus. Die Russen in ihrer Erregung zündeten das Gebäude an.“33 Auch in Lüttchenseyda stellte sich eine HJ-Formation den ersten ankommenden Rotarmisten in den Weg.34 Weitere Berichte von Jugendlichen, welche der vorrückenden Roten Armee Widerstand leisteten, gab es aus Bad Liebenwerda und Gröden.35 Der jugendliche Leichtsinn, aber vor allem die nationalsozialistische Erziehung in der HJ, die einer vormilitärischen Ausbildung gleichkam, bewirkten wohl bei einigen Jugendlichen – ganz im Gegensatz zu den älteren Männern im Volkssturm –, dass sie sich teils auf eigene Verantwortung der Roten Armee 30 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Lebusa 1945. 31 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Saathain 1945. 32 Vgl. Politische Stellungnahmen zu Rückkehrern Nr. 66 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 33 Bericht des Gemeindevorstehers von Hohenbucko an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Ereignisse am Kriegsende vom 31.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 116, Bl. 212). 34 Vgl. Bärbel Schiepel, Seyda und Umgebung. Heimatgeschichte(n), Potsdam 2001, S. 40. 35 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Werner Bartzsch vom 10.1.2008. Werner Bartzsch (geb. 1930) erlebte den Einmarsch der Roten Armee in Gröden mit. Er wurde Augenzeuge des Beschusses der ersten sowjetischen Panzer durch zwei Jugendliche. Irrtümlicherweise wurde daraufhin das Haus der Familie Bartzsch von den sowjetischen Panzerspitzen beschossen.

Alliierte Luftangriffe

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entgegenstellten. Letztlich waren dies aber alles nur Einzelaktionen, die den weiteren Vormarsch der Roten Armee zur Elbe nur noch unwesentlich verzögerten. Somit mussten auch die durchaus zum Kampf entschlossenen Jugendlichen, nachdem sie erstmals harte Gefechtserfahrung sammelten, einsehen, dass ein weiterer Widerstand gegen die Übermacht der Roten Armee vergebens war. Da sich zudem die Wehrmacht und auch große Teile der regionalen Parteiführer zumindest vorläufig über die Elbe absetzten, waren diese Jugendlichen ohne militärische Führung kaum mehr in der Lage, weiterhin Widerstand zu leisten. Aus diesem Grund ist es kaum verwunderlich, dass sich nach dem Kriegsende im gesamten Untersuchungsgebiet kein einziger Fall von militärischem Widerstand gegen die sowjetische Besatzungsmacht nachweisen ließ.

2.

Alliierte Luftangriffe in den letzten Kriegswochen

Das Untersuchungsgebiet blieb bis Mitte April 1945 weitestgehend von großen Luftangriffen verschont. Während die Treibstofffabriken im benachbarten Kreis in Schwarzheide bereits seit 1940 bombardiert wurden, blieb selbst das Gebiet um Lauchhammer, wo sich u. a. die Mitteldeutschen Stahlwerke befanden, bis zum Kriegsende fast gänzlich unversehrt.36 Erstmals griff die alliierte Luftwaffe das Untersuchungsgebiet am 21. Mai 1944 mit Tieffliegern an.37 An diesem Tag starben fünf Personen in Schlieben, Klöden und Seyda.38 Strategisch wichtig wurde das Untersuchungsgebiet für die Alliierten erst, als die Frontlinien von Westen und Osten immer näher rückten. Für kurze Zeit verliefen durch die beiden Kreise Schweinitz und Liebenwerda die letzten intakten Eisenbahnlinien zwischen dem noch unbesetzten Norden und Süden des Reichs. Dieser Umstand wurde den Bahnhofsknotenpunkten Falkenberg und Elsterwerda kurz vor der Besetzung der Orte durch die Rote Armee zum Verhängnis. Circa 300 amerikanische Bomber flogen am 18. bzw. 19. April 1945 mehrere Großangriffe auf die Bahnanlagen in den beiden Orten. Wie die Elsterwerdaer Einwohner diesen Angriff erlebten, gibt folgender Bericht wieder: „Der 19. April 1945, ein strahlend blauer Sonntag, so gegen 10 Uhr – wieder Fliegeralarm. Aus den Militär-Flüchtlingszügen strömten Menschen in die nahe gelegenen Häuser, um Schutz zu suchen, so auch in das Haus, in dem wir wohnten. Leider war dieser Keller mit 3 × 2 m viel zu klein, um allen Platz zu bieten, zumal schon zehn Hausbewohner darin hockten. In der Hauseinfahrt und im Hausflur fanden noch weitere 50 Menschen Schutz […]. Es dauerte nicht lange und die Erde bebte, der Keller schaukelte, die Mütter weinten […]. Endlich

36 Vgl. Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte, Zerstörung, Folgen, Würzburg 1998, S. 403–408. 37 Vgl. ebd., S. 405. 38 Sterbebücher der Standesämter Klöden, Seyda und Schlieben 1944.

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Entwarnung, wir verließen zaghaft den Keller. Der einst blaue Himmel war jetzt mit schwarzen Rauchschwaden bedeckt, der Hof bot einen Blick des Grauens. Auf den Bäumen, im Hof und Garten lagen verstreut Menschenteile und vieles mehr […].“39 Während des Angriffs in Falkenberg und Elsterwerda wurden zwar die Bahnanlagen weitestgehend zerstört, aber auch ganze Stadtteile stark getroffen. In Falkenberg kamen, laut standesamtlichem Sterberegister, an diesen beiden Tagen mindestens 74 Personen ums Leben.40 In Elsterwerda starben mindestens 30 Menschen bei diesem Angriff.41 In der Einsatzauswertung der 8. amerikanischen Luftflotte wurde für beide Einsätze die Noten „gut“ vergeben.42 Aufgrund dieser Benotung kann man darauf schließen, dass die Alliierten ihre Ziele erreichten und mit diesen Angriffen für die restliche Zeit des Kriegs jegliche Zugverbindungen zwischen dem Norden und dem Süden des Reiches unterbanden. Nach dem Krieg wurden beide Angriffe von der regionalen Geschichtsschreibung als Beweis für die „brutale“ Luftkriegsführung der westlichen Alliierten beschrieben. So versuchte die lokale SED aus diesen beiden schwersten Luftangriffen auf den Kreis Liebenwerda später Kapital zu schlagen, indem man diese amerikanischen Luftangriffe explizit herausstellte, auf der anderen Seite aber zivile Opfer der Roten Armee kategorisch verschwieg.43 Zwar kamen bei den beiden Angriffen auch viele Zivilisten ums Leben, der Angriff beschränkte sich aber lediglich auf das taktische Ziel der Bahnanlagen und konnte keinesfalls mit der Art und Weise des Luftangriffs auf Dresden verglichen werden, wie es später die SED-Geschichtsschreibung unterschwellig versuchte. Mit dem Näherrücken der Fronten stieg ebenso die Zahl der Tieffliegerangriffe. Nach dem Beginn der sowjetischen Offensive am 16. April 1945 wurden mehrere Tieffliegeropfer in den standesamtlichen Sterbebüchern des Untersuchungsgebiets verzeichnet. Hauptsächlich wurden von den Tieffliegern die Eisenbahnlinien angegriffen, wobei mehrere Personen starben. In Jessen kamen beispielsweise vier Personen am 16. April 1945 bei einem solchen Angriff auf die dortige Bahnstrecke ums Leben.44 Auch in Ortrand starben am 17. April 1945 zwei Kinder und ein französischer Kriegsgefangener durch einen Tieffliegerangriff auf den dortigen Bahnhof.45 Die Zahl der Tieffliegerangriffe stieg schließlich in den letzten Tages des Kriegs in diesem engem Raum enorm an, sodass kaum ein Verkehrsweg tags-

39 Werner Horn, Vor 60 Jahren – meine Gedanken schweifen zurück. Das Kriegsende in und um Elsterwerda. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 45 f. 40 Sterbebuch des Standesamtes Falkenberg (Elster) 1945. 41 Sterbebuch des Standesamtes Elsterwerda 1945. 42 Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 270. 43 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 101. 44 Sterbebuch des Standesamtes Jessen 1945. 45 Sterbebuch des Standesamtes Ortrand 1945.

Alliierte Luftangriffe

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über mehr sicher war. Karl Fitzkow aus Bad Liebenwerda schrieb dazu: „Am Nachmittag dieses frühlingsschönen Sonntags (15. April 1945) erschienen in fast pausenloser Folge doppelschwänzige Jagdbomber über den Straßen und Bahnhöfen und feuerten auf alles, was sich dort bewegte […]. Fliehende Wehrmachtswagen und Kolonnen jagten unter dem dauernden Beschuss durch die Stadt und über die Straßen; überall in den Wäldern, den Landwegen und besonders auf der Berlin-Dresdener Chaussee brannten getroffene Fahrzeuge unter schwarzen Qualmwolken.“46 Unter diesen Umständen blieb es nicht aus, dass auch zahlreiche Zivilisten von Tieffliegern getroffen wurden. Johannes Manig aus Gröden berichtet beispielsweise: „Auch auf öffentlichen Straßen waren selbst Radfahrer und Fußgänger vor diesen Tieffliegern nicht mehr sicher, sie schossen buchstäblich auf alles, was sich bewegte.“47 Insgesamt verloren laut Standesamtsunterlagen im Kreis Schweinitz 33 Personen und im Kreis Liebenwerda 23 Personen durch Tieffliegerbeschuss ihr Leben.48 Zum Teil befanden sich unter den Opfern Soldaten, aber auch viele Zivilisten, die sich auf den Straßen bzw. in Zügen befanden.49 Grundsätzlich kann man aber annehmen, dass die Opferzahlen vor allem unter den Soldaten und Flüchtlingen weit höher lagen, da in den Sterbebüchern meist nur einheimische Personen erfasst wurden. Ob letztlich während der Tieffliegerangriffe von Piloten mutwillig Jagd auf Zivilisten gemacht wurde, wie es teils immer wieder behauptet wurde, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Offensichtlich kam es aber aufgrund der enormen Dichte der Angriffe und den hoffnungslos verstopften Straßen immer wieder auch zu zivilen Opfern. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Alliierten versuchten, die Verkehrswege mit Tieffliegern so zu stören, dass ein geregelter Nachschub für die deutschen Truppen unmöglich wurde. Willkürliche Tieffliegerangriffe auf Städte oder Dörfer kamen dagegen nur selten vor.50 Die Mehrzahl der Piloten hielt sich wohl korrekt an die Befehle, möglichst nur militärische Ziele zu beschießen.

46 Renate Sachse, Auskünfte V. M. Karl Fitzkow und das Kriegsende 1945 in Bad Liebenwerda. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 92. 47 Johannes Manig, Erinnerungen eines 14-jährigen an den März/April 1945 im Schraden. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 61. 48 Sterbebücher der Standesämter Seyda, Klöden, Jessen, Herzberg, Arnsnesta, Holzdorf, Schlieben, Falkenberg, Mühlberg, Elsterwerda, Ortrand und Lauchhammer 1944–1945. 49 Unter den 14 im Sterbebuch des Standesamtes Elsterwerda verzeichneten Tieffliegeropfern befanden sich fünf deutsche Soldaten. 50 Eine Ausnahme bildete der Tieffliegerbeschuss von Buschkuhnsdorf am 16.4.1945, bei dem eine weibliche Person ums Leben kam. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Holzdorf 1945.

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Kriegsende 1945

3.

Die Verbrechen der SS und Wehrmacht am Ende des Kriegs

3.1

Die Todesmärsche durch die Kreise Liebenwerda und Schweinitz

Mit dem Näherrücken der Fronten waren die Verantwortlichen der KZ oder Gefangenenlager gezwungen, diese in das Reichsinnere zu verlegen. Meist unter unmenschlichen Bedingungen setzten sich Gefangenenkolonnen oft zu Fuß in Marsch, um im immer kleiner werdenden Einflussbereich der Nationalsozialisten teils ziellos umherzuirren. Diese Entwicklung machte auch vor den beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz nicht Halt. Da die Kreise Liebenwerda und Schweinitz, aufgrund der letzten hier bestehenden Verbindung zwischen unbesetzten Norden und Süden des Reichs, verkehrstechnisch immer wichtiger wurden, gingen neben zahlreichen Truppenverschiebungen auch viele Todesmärsche durch dieses Gebiet. Ein Beispiel, wie diese Todesmärsche enden konnten, ereignete sich an der Liebenwerdaer Kreisgrenze bei Beutersitz und Tröbitz. Hier blieb am 20. bzw. 21. April 1945 vor der gesprengten Elsterbrücke in Richtung Falkenberg ein mit jüdischen KZ-Häftlingen aus Bergen-Belsen vollgestopfter Zug liegen. Bereits während der Fahrt, die seit dem 10. April 1945 andauerte, verstarben einige der Insassen des Zugs. Festgefahren zwischen der gesprengten Brücke und den schnell heranrollenden sowjetischen Truppen, überließ das deutsche Begleitpersonal die eingepferchten Häftlinge sich selbst. Erst am 23. April 1945 öffneten sowjetische Soldaten die Waggons, in denen sich ein Bild des Schreckens auftat. Vor allem durch den mittlerweile ausgebrochenen Flecktyphus, welcher sich durch die unzureichende Nahrung und die katastrophalen sanitären Bedingungen ungehindert verbreiten konnte, waren viele Häftlinge in den Viehwaggons bereits verstorben.51 Nachdem die sowjetischen Soldaten die Überlebenden in Tröbitz einquartierten, brach auch hier eine Flecktyphusepidemie aus, der insgesamt 320 Personen zum Opfer fielen. Unter diesen Opfern befanden sich u. a. auch 26 Tröbitzer Einwohner.52 Aber auch andere Beispiele von Todesmärschen belegen, wie rücksichtslos das deutsche Begleitpersonal mit den Häftlingen umging. Als am 9. April 1945 das KZ-Außenlager Zwieberge evakuiert wurde, gingen ca. 3 000 Häftlinge auf einen ungewissen Marsch in Richtung Osten. Nachdem sich der Zug am 15. April 1945 in Bitterfeld trennte, vereinigte sich dieser am 19. April 1945 wieder

51 Vgl. Erika Arlt, „Der verlorene Transport“ aus dem KZ Bergen-Belsen. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 89–94; Dorothea Heizmann, Schatten der Erinnerung. Eine Dokumentation über die Ereignisse in der Zeit des Umbruchs 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Pfarrer und des kirchlichen Lebens im Bereich des Altkirchenkreises Bad Liebenwerda (undatiert), S. 66 f. 52 Arlt, „Der verlorene Transport“, S. 91 f.

Verbrechen der SS und Wehrmacht

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in Jessen.53 Der KZ-Häftling Josef Traxler beschrieb einen Marschtag, den 16. April 1945, wie folgt: „Marsch von 6.00 Uhr. Wir sollen schnell das andere Ufer der Elbe erreichen. Wer zurückbleibt – tot. Bis 1.00 Uhr zähle ich 31 Leute. Meine Füße sind ganz vernichtet, gehe barfuß. Wir überschreiten die Elbe über eine Pontonbrücke und marschieren bis 4.00 Uhr. Diesen Tag über 50 Tote. Heißer Tag ohne Wasser, Staub, Schläge von der SS. Tiefflieger-Bordkanonen. Bad im Teiche. Wir haben Läuse […].“54 Von Jessen aus marschierten die Häftlinge dieses Todesmarsches weiter nach Osten in Richtung Annaburg, wo die deutschen Begleiter wohl feststellten, dass sie, wenn sie sich weiter in Richtung Osten bewegen, früher oder später der Roten Armee in die Hände fallen würden. Hier entschieden sich die SS-Bewacher, den Marsch in Richtung Norden fortzusetzen.55 Allerdings löste sich die Marschgruppe immer weiter auf.56 In Seyda wurde z. B. dem Häftling Dr. Joachim Weidauer, der sich später längere Zeit als Arzt in Seyda niederließ und 1946 Schweinitzer Kreisvorsitzender der Liberaldemokratischen Partei (LDP) wurde, von einem SS-Mann mitgeteilt, dass er sich tot stellen solle, damit er entkommen kann.57 Andere Flüchtende wurden jedoch bis zuletzt von SS-Männern erschossen. Nach langem Irrweg wurden schließlich am 23. April 1945 ca. 1 500 Häftlinge dieses Marsches in Wittenberg von der Roten Armee befreit.58 Wie viele Häftlinge im Schweinitzer Kreisgebiet ihr Leben ließen, bleibt jedoch ungewiss, da in keinem standesamtlichen Sterbebuch der Region tote KZ-Häftlinge verzeichnet wurden. Nur im kirchlichen Sterbebuch von Seyda wurde ein toter KZ-Häftling erwähnt, jedoch muss die Zahl weit höher gelegen haben.59 Allein in Jessen sollen, laut ITS Bad Arolsen, ca. 40 Häftlinge umgekommen sein.60 Man kann durchaus davon ausgehen, dass ca. 100 Häftlinge allein bei diesem Marsch im Schweinitzer Kreisgebiet ihr Leben ließen.

53 Vgl. Bericht über den Todesmarsch vom KZ Zwieberge nach Wittenberg, Anlage 9 mit Stationen des Marsches, Stärkemeldung und Opferzahlen (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78705437#1). 54 Erinnerungsbericht von Josef Traxler (Archiv der Mahn- und Gedenkstädte Langenstein-Zwieberge, unpag.). 55 Vgl. Bericht über den Todesmarsch vom KZ Zwieberge nach Wittenberg, Anlage 9 mit Stationen des Marsches, Stärkemeldung und Opferzahlen (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78705438#1). 56 Vgl. Erinnerungsbericht von Vaclav Chosensky (Archiv der Mahn- und Gedenkstädte Langenstein-Zwieberge, unpag.). 57 Vgl. Schiepel, Seyda, S. 50 f. 58 Vgl. Bericht über den Todesmarsch vom KZ Zwieberge nach Wittenberg, Anlage 9 mit Stationen des Marsches, Stärkemeldung und Opferzahlen (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78705438#1). 59 Vgl. Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Seyda 1945. 60 Bericht über den Todesmarsch vom KZ Zwieberge nach Wittenberg, Anlage 9 mit Stationen des Marsches, Stärkemeldung und Opferzahlen (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78705437#1).

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Kriegsende 1945

Ein weiterer großer Häftlingstransport durchzog bereits Anfang Februar 1945 die Region. Etwa 400 bis 500 Häftlinge dieses Transports, der aus Richtung Dahme kam, übernachteten in Knippelsdorf. Am darauffolgenden Tag stellte das deutsche Begleitpersonal fest, dass sich neun Gefangene vom übrigen Transport abgesetzt hatten. Da der Gefangenentransport weiterziehen musste und das Begleitpersonal nicht zur Suche ausreichte, wurde die örtliche Knippelsdorfer Landwacht beauftragt, die Gefangenen wiederzufinden. In dem später zu diesem Fall ergangenen Urteil hieß es dazu: „Gemeinsam wurde die Scheune und besonders das darin befindliche Stroh durchsucht. Es wurde festgestellt, dass hinter der Scheune ein toter Gefangener lag, der offenbar frühmorgens von einem Begleitposten erschossen worden war. Nach und nach wurden 7 Gefangene entdeckt […].“61 Nachdem die Landwehr die Gefangenen fand, folgte sie mit diesen der bereits vorausgeeilten Marschgruppe. Etwa einen Kilometer hinter dem Ort trafen sie einen Wachposten der Kolonne an, dem sie die sieben Gefangenen übergaben. „Die Angeklagten Hertel, Sch., Lie. und Ter. übergaben die 7 Gefangenen an den Posten und gingen in Richtung Knippelsdorf zurück. Nach etwa 200 Metern hörten sie Schüsse fallen, und sie begaben sich angeblich auf Zuruf des Postens an die Stelle der Übergabe der Gefangenen zurück. Hier lagen bereits 2 der Gefangenen erschossen auf der Straße, daneben ein angeschossener Gefangener […]. Der Posten befand sich bereits ein Stück im Wald, in welche die übrigen Gefangenen gelaufen waren.“62 Die Landwachtmänner begannen, nach der erneuten Flucht, wieder mit der Suche nach den geflüchteten Gefangenen. Nach kurzer Zeit gelang es diesen, erneut einen Gefangenen zu finden. Den weiteren Ablauf beschrieb der Urteilsspruch wie folgt: „Der Angeklagte Hertel legte aus 10 Metern Entfernung sein Gewehr an und erschoss den Gefangenen […]. Die Angeklagten begaben sich daraufhin wieder an die Straße. Der hier liegende angeschossene Gefangene richtete sich etwas auf und bat, man möge ihn am Leben lassen. Er äußerte noch sinngemäß, dass er eine Familie habe. Hierauf wurde dieser verwundete Gefangene von Hertel ebenfalls erschossen.“63 Das Beispiel der Knippelsdorfer Landwacht macht nochmals deutlich, dass am Ende des Kriegs die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgrund der vielen Todesmärsche für weite Teile der Bevölkerung nun offen sichtbar wurden. Zudem belegt das Knippelsdorfer Beispiel, wie schnell sich die örtlichen Sicherheitskräfte in diese Verbrechen verstricken konnten. Es mochte in gewisser Hinsicht noch verständlich gewesen sein, dass sich die Landwacht an der Suche nach den entlaufenen Häftlingen beteiligte, aber dass zumindest ein Landwacht-

61 C. F. Rüter, DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band IV, Amsterdam 2004, S. 279. 62 Ebd. 63 Ebd., S. 279 f. Am 22.2.1953 wurden die sechs Landwachtmänner vor dem Bezirksgericht Cottbus verurteilt. Zwei Angeklagte mussten daraufhin eine lebenslängliche Zuchthausstrafe verbüßen.

Verbrechen der SS und Wehrmacht

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mann später zwei Gefangene erschoss, gab dem Verbrechen eine besondere Qualität. Da die Stärke der deutschen Begleitmannschaften oftmals kaum ausreichte, um Fluchten zu unterbinden, wurde z. B. bei kurzen Überführungen in andere Städte oftmals örtliches Sicherheitspersonal hinzugezogen und damit unmittelbar in die Verbrechen verstrickte. Auch ein Beispiel aus Jessen macht dies deutlich. So gestand ein junger ehemaliger Flakhelfer im Jahr 1948 Folgendes: „Nach seinem unwiderlegbaren Geständnis hat sich der Fall so zugetragen, dass er bei dem seinerzeitigen Transport von KZ-Häftlingen durch Jessen von dem damaligen Polizeihauptwachtmeister Vogel mit dazu bestimmt worden sei, mit vier anderen Wachmännern eine Reihe von KZ-Häftlingen in das Gefangenenlager Annaburg zu bringen.“64 Nachdem diese Häftlingsgruppe jedoch in Annaburg nicht übernommen wurde, wurden diese wieder nach Jessen zurückgeschickt. Auf dem Rückmarsch blieben daraufhin vier geschwächte Häftlinge zusammen mit dem jungen Flakhelfer Hans Klo. zurück. Das später ergangene Urteil gegen Hans Klo. gab Folgendes wieder: „Einer der Häftlinge war besonders schwach gewesen und habe sich wiederholt hingelegt, da er nicht weiterlaufen konnte […]. Als der Gefangene sich einmal wieder in den Straßengraben gesetzt hatte, sei der oben erwähnte Flakfeldwebel gekommen und habe ihn aufgefordert, den Gefangenen zu erschießen. Auf seine Weigerung, er sei noch zu jung dazu, habe ihn der Feldwebel dadurch eingeschüchtert, dass er ihn darauf aufmerksam gemacht hätte, dass seine Weigerung als Nichtbefolgung eines Befehls aufzufassen sei, worauf er dann den Häftling durch einen Schuss in die Schläfe niedergestreckt habe.“65 Wie oft sich örtliches Sicherheitspersonal am Ende des Kriegs während der Todesmärsche an den Verbrechen beteiligte, muss aufgrund der Quellenlage offenbleiben. Dass es aber in einzelnen Fällen Verstrickungen gab, beweisen die Fälle in Knippelsdorf und Jessen. Da fast alle Opfer notdürftig am Straßenrand verscharrt wurden und fast keine schriftlichen Eintragungen über deren Tod existieren, wird wohl die genaue Zahl der Toten während dieser Todesmärsche wohl nie geklärt werden können. Die Beispiele beweisen aber, dass die Todesrate sehr hoch gewesen sein muss. Macht man sich zudem bewusst, dass sich das große KZ-Außenlager Schlieben im Untersuchungsgebiet befand, so bekommt man auch in den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz einen Eindruck von dem Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen, die spätestens mit den Todesmärschen am Kriegsende für die breite deutsche Öffentlichkeit sichtbarer den je wurden.

64 C. F. Rüter, DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band X, Amsterdam 2007, S. 329. 65 Ebd., S. 329 f. Hans Klo. (geb. 1928) wurde am 21.8.1948 nach Jugendstrafrecht zu zwei Jahren Haft verurteilt.

54 3.2

Kriegsende 1945

Das KZ-Außenlager Schlieben

Wie bereits im erläuternden Teil zu dem Untersuchungsgebiet erwähnt wurde, begann die Hugo und Alfred Schneider AG (HASAG) seit dem Jahr 1940 im Schliebener Stadtteil Berga ein Munitionswerk aufzubauen. Der einstige Leipziger Lampenhersteller, der sich seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der damit verbundenen Aufrüstung zu einem der größten Munitionshersteller Deutschlands entwickelte, begann bereits kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs mit der Einstellung von ausländischen Arbeitskräften, um die Produktion so günstig wie möglich gestalten zu können. So wurden auch in Schlieben bereits kurz nach dem Kriegsbeginn bis 1944 vor allem jugoslawische und italienische Zivilarbeiter eingesetzt, die hier Munition herstellten.66 Während im Deutschen Reich zunächst nur ausländische Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene zur Arbeit herangezogenen wurden, nahm die Form der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft vor allem im polnischen Generalgouvernement noch größere Züge an. Hier erwarb die eigens im besetzten Polen gegründete „HASAG Eisen- und Metallwerke GmbH Krakau“ im Januar 1943 die Gießerei Rakow, die Granatenfabrik Kielce und den großen Munitionsbetrieb in Skarżysko-Kamienna, in denen in der Folgezeit ca. 15 000 KZ-Häftlinge, vor allem polnische Juden, arbeiten mussten. Für diesen Arbeitseinsatz wurden direkt neben den Produktionsstätten Betriebslager eingerichtet, in denen die KZ-Häftlinge untergebracht waren.67 Die Firmenleitung der HASAG unter der Führung des Generaldirektors Paul Budin, die die Entwicklung der „Panzerfaust“ während des Kriegs immer stärker forcierte und im Laufe des Jahres 1944 dafür vom Rüstungsminister Albert Speer den Monopolauftrag erhielt, versuchte das im Generalgouvernement angewandte Arbeitskräftemodell auch auf das Deutsche Reich auszudehnen.68 Da der Zustrom neuer ausländischer Arbeiter in das Deutsche Reich im Jahr 1944 immer weiter nachließ, verhandelte die Firmenleitung ab Mai 1944 mit dem Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) der SS in Oranienburg, welche den Arbeitseinsatz aller KZ-Häftlinge koordinierte. Von der SS erhielt die Firmenleitung zunächst die Zusage für den Einsatz weiblicher KZ-Häftlinge in den HASAG-Werken im Reich.69 Während dieser Verhandlungen geriet die Firmenleitung mit der erfolgreichen sowjetischen Offensive im Sommer 1944 immer stärker unter Druck, da sie fürchten musste, dass ihre Werke im Generalgouvernement in kurzer Zeit 66 Vgl. Unvollständiges Verzeichnis der ausländischen Arbeiter im Kreis Schweinitz (undatiert; ITS Bad Arolsen, Ordner 109, Bl. 76–84). 67 Vgl. Felicja Karay, Wir lebten zwischen Granaten und Gedichten. Das Frauenlager der Rüstungsfabrik HASAG im Dritten Reich, Köln 2001, S. 18, 26. 68 Vgl. ebd., S. 26 f.; Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 242. 69 Vgl. Karay, Wir lebten zwischen Granaten und Gedichten, S. 18, 26–29; Bert Markiewicz, Oma, was war die HASAG? Ein Kapitel Altenburger Stadtgeschichte der Neuzeit, Altenburg 2005, S. 29.

Verbrechen der SS und Wehrmacht

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von der Roten Armee erreicht werden könnten. Aus diesem Grund entschloss sich die Leitung der HASAG im Jahr 1944, das noch kleine Werk in Schlieben weiter auszubauen, wozu quasi in letzter Minute vor dem Anrücken der Roten Armee zahlreiche Maschinen aus dem Munitionswerk Skarżysko-Kamienna nach Schlieben transportiert wurden.70 Im ausgebauten Schliebener Werk sollte nun nach den Plänen der Firmenleitung ausschließlich „Panzerfäuste“ produziert werden.71 Eine erste Begehung des Schliebener Werks zur Vorbereitung des Häftlingseinsatzes, an der u. a. der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald Pister und der Generaldirektor der HASAG Budin teilnahmen, fand am 21. Juni 1944 statt. In einer Aktennotiz hieß es dazu: „Es sollen insgesamt 2 000 weibliche Häftlinge zum Einsatz kommen. Von diesen sollen die ersten tausend in der Zeit vom 15. bis 20.7. in Schlieben eintreffen, die nächsten 500 nach 2 bis 3 Wochen und weitere 500 wiederum 2 bis 3 Wochen später.“72 Das KZ-Außenlager Schlieben war also, wie mit dem WVHA abgesprochen, zunächst nur als Frauenlager konzipiert worden. Zu diesem Zweck wurden am 9. Juli 1944 insgesamt 81 jugoslawische Zivilarbeiter im Werk Schlieben entlassen bzw. in das Werk nach Leipzig versetzt.73 Sie machten Platz für die ersten weiblichen KZ-Häftlingen. Am 19. Juli 1944 traf der erste Transport mit ca. 750 weiblichen Häftlingen, die fast ausschließlich zur Volksgruppe der Sinti und Roma gehörten, aus dem KZ Ravensbrück in Schlieben ein. Ein zweiter großer Transport mit ca. 250 weiblichen Häftlingen kam am 31. Juli 1944 in Schlieben an. Damit stieg die Häftlingszahl bis zum 15. August 1944 auf 998 Personen an.74 Mit dem schnellen Vorrücken der Roten Armee im Sommer 1944 änderten sich allerdings die Pläne der Firmenleitung für das Schliebener Werk. Da vor allem aus dem Munitionswerk in Skarżysko-Kamienna zahlreiche Häftlinge vor der herannahenden Roten Armee in das Reich transportiert wurden, konnte die HASAG-Leitung nun auf diese bereits qualifizierten Arbeiter zurückgreifen, von denen sie sich eine noch größere Produktivität als von den weiblichen Häftlingen erhoffte. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um polnische Juden. Laut Statistik des KZ Buchenwald, zu dem das Außenlager Schlieben seit dem 1. September 1944 gehörte, stieg die Anzahl der Häftlinge bis zum 1. September 1944 auf 1381 Personen (Frauen und Männer).75 Dabei verringerte sich

70 Vgl. Hans Frey, Die Hölle von Kamienna, Potsdam 1949, S. 12. 71 Vgl. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 242 f. 72 Aktennotiz des Standortarztes der Waffen-SS Weimar vom 22.6.1944 (ThHStA Weimar, KZ und Haftanstalten Buchenwald, Nr. 10, Bl. 13). 73 Unvollständiges Verzeichnis der ausländischen Arbeiter im Kreis Schweinitz (undatiert; ITS Bad Arolsen, Ordner 109, Bl. 76–84). 74 Irmgard Seidel, Schlieben (Frauen). In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 3, Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 560. 75 Vgl. Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 1.9.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78686545#1).

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die Anzahl der weiblichen Häftlinge in der zweiten Augusthälfte 1944 deutlich. Viele Frauen wurden am 17. und am 21. August 1944 zum HASAG-Zweigwerk nach Altenburg überführt.76 Am 29. September 1944 waren schließlich nur noch 146 Frauen im Schliebener Lager untergebracht.77 Im Wesentlichen blieb daraufhin die Anzahl der weiblichen Häftlinge in Schlieben konstant, während der männliche Anteil immer weiter anstieg. Kurz vor der Auflösung des Außenlagers waren am 1. April 1945 insgesamt 1 460 männliche und 238 weibliche Häftlinge in Schlieben registriert.78 Ebenso stieg die Anzahl der Gesamthäftlinge in Schlieben im Laufe des Jahres 1944 immer weiter an. Waren im Lager am 15. September 1944 noch 1 375 Häftlinge registriert, so steigerte sich die Anzahl dieser bis zum 1. Oktober 1944 auf 1823, um schließlich am 15. Oktober 1944 mit 2012 Häftlingen erstmals die 2000-Grenze zu überschreiten.79 Ihren Höchststand erreichte die Häftlingsanzahl im Dezember 1944. Am 15. Dezember 1944 waren 2 521 Häftlinge im Lager registriert.80 Schlieben entwickelte sich damit ab Dezember 1944 zu dem drittgrößten Arbeitskommando des KZ Buchenwald. Die Arbeits- und Lebensbedingungen im Werk sowie im Lager waren für alle Häftlinge miserabel. Arbeitsbeginn war täglich 6.30 Uhr. Nur unterbrochen von einer Mittagspause von 12 bis 13 Uhr mussten die Häftlinge bis 18 Uhr durcharbeiten. Die Nachtschicht verlief von 18 bis 6 Uhr.81 Bedenkt man, dass die schweren Arbeiten u. a. in der Sprengstoffverfüllung ohne Arbeitsschutzmaßnahmen und unter dem ständigen Antreiben der Wachen und Vorarbeiter vonstatten gingen, so wurde diese Arbeitszeit zur Qual für die Häftlinge. Zudem erhielten diese nur einmal am Tag eine Mahlzeit. Der ehemalige Häftling Peter Schwarz berichtete, dass es für 15 bis 20 Häftlinge täglich lediglich eine Wassersuppe, ein Brot und einen Würfel Margarine gab.82 Nur durch den Schmuggel von Nahrungsmitteln, die durch andere Arbeiter ins Werk gelangten, war es vielen Häftlingen überhaupt möglich zu überleben. Der Kontakt, z. B. mit ausländischen Zivilarbeitern oder zu den deutschen Vorarbeitern, war allerdings bei

76 Vgl. Seidel, Schlieben (Frauen), S. 562. 77 Vgl. Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald (weibliche Häftlinge) vom 29.9.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78691557#1). 78 Vgl. Stärkemeldung des Außenkommando Schlieben vom 1.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328786#1). 79 Vgl. Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 15.9.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78686602#1); Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 1.10.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78686673#1); Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 15.10.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78686746#1). 80 Stärkemeldung der Außenkommandos des KZ Buchenwald vom 15.12.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78687101#1). 81 Stärkemeldung des Außenkommando Schlieben vom 7.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328810#1). 82 Vgl. Walter Strnad, Das KZ-Außenlager Schlieben. Das Verhängnis tausender Frauen und Männer vor ihrer Befreiung, Herzberg 2005, S. 27.

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der HASAG unter strenge Strafe gestellt. Man hatte sich nur auf den nötigsten Kontakt mit Häftlingen zu beschränken.83 Nach der Stärkemeldung vom 7. April 1945 waren in Schlieben insgesamt 113 Männer und 12 Frauen als Wachmannschaft eingesetzt.84 Das Kommando hatte der Untersturmführer (ab 30. Januar 1945 Obersturmführer) Kurt Kempe inne.85 Kurt Kempe wurde im Jahr 1913 in Lößnitz geboren. Nach einer dreijährigen Lehre als Schlosser wurde er Anfang der 1930er-Jahre arbeitslos. Nicht zuletzt dieser Umstand veranlasste ihn wohl am 1. November 1933, SS-Mitglied zu werden. Mit der Unterstützung der SS wurde er zunächst als Schreiber beim Amtsgericht in Mühlberg (Kreis Liebenwerda) eingestellt. Nachdem mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft das System der Konzentrationslager immer weiter ausgebaut wurde und man immer mehr Wachpersonal benötigte, wechselte Kurt Kempe am 3. Januar 1935 zur SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Lichtenburg. Im Mai 1938 wurde er nach Buchenwald versetzt, wo er schließlich bis zu seinem Amtsantritt in Schlieben verblieb.86 Was aus Kempe nach dem Krieg geworden ist, konnte bisher nicht geklärt werden.87 Zahlreiche Häftlinge berichteten, dass es den Wachmannschaften, für die es extra errichtete Unterkünfte gab, völlig gleichgültig war, unter welchen hygie­ nischen Bedingungen die Häftlinge in Schlieben lebten. So wurden z. B. am 6. April 1945 insgesamt 66 männliche und 9 weibliche Häftlinge als krank gemeldet. Damit waren nahezu fünf Prozent der Häftlinge, selbst bei Berücksichtigung der damaligen Diagnosen der Lagerärzte, dauerhaft nicht zur Arbeit einsetzbar.88 In einem Bericht an den SS-Standortarzt im KZ Buchenwald wurde zudem festgestellt, dass im März 1945 der Tagesdurchschnitt der ambulanten bei 99 und der stationären Behandlungen bei 42 lag. In dem Bericht hieß es außerdem, dass „zahlreiche Fälle von allgemeiner Körperschwäche nebst Schwellungen (Ödeme) kompliziert mit Durchfall“ aufgetreten seien. Einen Zusammenhang zur schlechten Verpflegung stellte dieser Bericht nicht her. Zur Verpflegung wurde nur gemeldet, dass darüber nichts Besonderes zu bemerken sei.89 Allerdings 83 Vgl. Bericht über eine Dienstreise in ein Kommando der HASAG Leipzig vom 14.6.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78681203#1). 84 Stärkemeldung des Außenkommando Schlieben vom 7.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328810#1). 85 Vgl. Aufstellung über die Kommandoführer der Außenkommandos des KZ Buchenwald (undatiert; ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78679950#1). 86 Vgl. Strnad, Das KZ-Außenlager, S. 64. Die Angaben zu Kurt Kempe wurden aus einer hier abgedruckten Beurteilung der SS-Junkerschule Braunschweig entnommen. Eine Quellenangabe der Beurteilung war hier nicht vorhanden. 87 Die erste Ehefrau von Kurt Kempe verstarb am 7.5.2008 im Pflegeheim Ettersberg bei Weimar. Die Ehe wurde bereits im Jahr 1951 geschieden. Die zwei Söhne von Kurt Kempe aus erster Ehe, die nach Anschrift jegliche Aussage über ihren Vater ablehnten, leben in Weimar. Vgl. Auskunft des Standesamtes Berlstedt vom 5.8.2010. 88 Stärkemeldung des Außenkommandos Schlieben vom 6.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328809#1). 89 Vgl. Monatsbericht über Stärkemeldung und Impfung der Häftlinge vom 21.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Hist./Mappe Buchenwald-Schlieben, Doku. Nr. 9).

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stellte der SS-Standortarzt in Buchenwald immer wieder fest, dass der Zustand der aus Schlieben zurück nach Buchenwald kommenden Häftlinge „schlecht und verlaust“ war.90 Unter diesen Umständen blieben Todesfälle unter den Häftlingen nicht aus. Der 12. Oktober 1944 wurde zum verlustreichsten Tag für das Außenlager Schlieben. An diesem Tag zerstörte eine gewaltige Explosion große Teile des Werks. Auch wenn den alliierten Luftflotten die Lage des Werks spätestens seit 21. Mai 1944 bekannt gewesen sein dürfte, konnte ein Luftangriff als Ursache dafür ausgeschlossen werden.91 Die Hauptursache war hingegen vor allem in den schlechten Arbeitsbedingungen bzw. in den unzureichenden Schutzmaßnahmen gegenüber den Häftlingen zu suchen. Bedachte man, dass die ausgezehrten Häftlinge zwölf Stunden am Tag mit hochexplosiven Stoffen hantierten, so erhöhte dies das Unfallrisiko enorm. Durch die Explosion kamen am 12. Oktober 1944, laut Sterbebuch des Standesamtes Schlieben, 96 Häftlinge im Werk ums Leben.92 Trotz der gewaltigen Explosion, die den Betrieb im Werk vorübergehend stilllegte, war die HASAG-Leitung entschlossen, die kriegswichtige Produktionsstätte in Schlieben zu erhalten. Als Reaktion darauf wurden bereits am 14. Oktober 1944 sofort 226 Häftlinge aus Bauberufen zum Wiederaufbau der Produktion von Buchenwald nach Schlieben transportiert.93 Der Generaldirektor Paul Budin erwähnte diese Hilfe ausdrücklich in einem Schreiben an den Reichsführer SS Heinrich Himmler am 17. Oktober 1944. Er schrieb: „Die HASAG arbeitet heute bereits mit über 10 000 K.L.-Häftlingen und ist mehr als zufrieden in Bezug auf Leistung und Haltung […]. Eine besondere Soforthilfe wurde mir zuteil bei einer Explosion im Werke HASAG-Schlieben. Sie wurde mir buchstäblich von einer Stunde auf die andere weitgehendst gewährt.“94 Mit dieser Unterstützung gelang es der Firmenleitung, in kürzester Zeit die Produktion wieder anlaufen zu lassen. Dennoch blieben die Sicherheits- und Arbeitsschutzmaßnahmen sowie die hygienischen Bedingungen im Werk und dem Lager schlecht. Laut standesamtlichem Sterbebuch fanden am 2. November 1944 erneut drei weitere Häftlinge den Tod durch ein Explosionsunglück.95 Die anderen im standes-

90 Vgl. Martin Schellenberg, Schlieben (Männer). In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 3, Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 565. 91 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Schlieben 1944. Laut Sterbebuch starben am 21.5.1944 drei italienische Zivilarbeiter bei einem Tieffliegerangriff auf das Werk. Es gab allerdings weder von deutscher noch von alliierter Seite Berichte über einen Luftangriff auf das Schliebener Werk am 12.10.1944. 92 Sterbebuch des Standesamtes Schlieben 1944. 93 Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 250. 94 Generaldirektor Paul Budin an den SS-Reichsführer Heinrich Himmler vom 17.10.1944 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 78707474#1). 95 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Schlieben 1944.

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amtlichen Sterbebuch eingetragenen Häftlinge starben, laut Todesmeldung, an Herzschwäche, Körperschwäche, Blutvergiftung und Hirnschlag. Für den November 1944 wurden zehn tote Häftlinge für das Werk gemeldet, während im Oktober und September 1944, abgesehen von den Toten des Explosionsunglücks, zwei Häftlinge an Krankheiten starben.96 Dies verdeutlichte, dass sich die Lebensbedingungen im Lager ab November 1944, auch aufgrund des einsetzenden nasskalten Klimas, deutlich verschlechterten. Vor allem im Winter starben die durch Unterernährung geschwächten und in ungeheizten Baracken untergebrachten Häftlinge. Die genaue Zahl der umgekommenen Häftlinge war nicht mehr feststellbar. Laut Veränderungsmeldungen des KZ Buchenwald, die bis zum 30. März 1944 fast lückenlos erhalten waren, starben von Dezember 1944 bis März 1945 insgesamt 90 Personen in Schlieben. Macht man sich bewusst, dass viele nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge von Schlieben in das KZ Buchenwald zurück überführt und für neue Häftlinge ausgetauscht wurden, so starben höchstwahrscheinlich noch zahlreiche weitere an den Folgen der Arbeit und Haft in Schlieben. Zudem gab es keinerlei Aufzeichnungen über die Anzahl der Toten bis zur Auflösung des Lagers im April 1945. Man kann aber durchaus davon ausgehen, dass weit über 200 Häftlinge in Schlieben starben. Walter Strnad gab in seiner Studie lediglich 113 gesicherte Tote an.97 Martin Schellenberg hingegen erweiterte diese Zahl auf 183 Tote.98 Laut Schliebener Standesamt und der erhaltenen Veränderungsmeldungen des KZ Buchenwald konnten allerdings mit Sicherheit bereits 198 Tote bis Ende März 1945 nachgewiesen werden.99 Dies überstieg beide Zahlen nochmals deutlich. Geht man davon aus, dass etwa 5 000 Häftlinge insgesamt in Schlieben eingesetzt wurden, so verstarben ca. vier Prozent der hier eingesetzten Häftlinge direkt im Außenlager. Die Auflösung des Außenlagers Schlieben begann bereits Anfang April 1945. Im Lager waren zu diesem Zeitpunkt noch 1 698 Häftlinge registriert.100 Nachdem die Roten Armee im Frühjahr 1945 die Oder und Neiße erreichte, entschloss sich die HASAG-Leitung Anfang April 1945 das Werk nach Flößberg bei Bad Lausick zu verlegen. Am 7. April 1945 wurden dazu 700 Häftlinge zunächst in das Konzentrationslager Flossenbürg überstellt, um später in Flößberg zum Einsatz zu kommen.101 Seit dem 7. April 1945 befanden sich daraufhin

 96  97  98  99

Ebd. Strnad, Das KZ-Außenlager, S. 35. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 251. Sterbebuch des Standesamtes Schlieben 1944; Veränderungsmeldungen des KZ Buchenwald von Dezember bis März 1944/45 (ITS Bad Arolsen, 1.1.5.1/0001– 0182/0134 bis 0139). 100 Stärkemeldung des Außenkommandos Schlieben vom 1.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328786#1). 101 Vgl. Obersturmführer Kurt Kempe an die Kommandantur des KZ Buchenwald vom 7.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5288018#1).

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nur noch 550 männliche und 238 weibliche Häftlinge in Schlieben.102 Allerdings verhinderte das schnelle amerikanische Vorrücken im Westen die Verlegung des Schliebener Werks. Bereits am 14. April 1945 wurde Flößberg von amerikanischen Truppen besetzt. Somit mussten die übrigen Häftlinge zunächst in Schlieben verbleiben. Über die folgenden Abläufe liegen keine offiziellen Quellen mehr vor. Ein Zeitzeuge sprach davon, dass am 14. April 1945 ein weiterer Transport Schlieben verließ.103 Allerdings könnte es sich dabei auch um den bereits am 7. April 1945 offiziell bestätigten Abtransport gehandelt haben, da der Zeitzeuge von etwa 700 Häftlingen sprach, die allerdings bereits am 7. April 1945 in Richtung Flossenbürg aufbrachen. Außer Frage stand, dass zunächst die Evakuierung nach Flossenbürg geplant war, jedoch aufgrund des schnellen amerikanischen Vormarsches nicht durchgeführt werden konnte. Unter diesen Umständen entschloss sich wohl die SS, die verbliebenen Häftlinge des Außenlagers Schlieben in das KZ Theresienstadt zu transportieren. Da der Schliebener Bahnhof noch unzerstört war, brachte man Mitte April 1945 weitere Häftlinge vorerst mit der Bahn in Richtung Süden.104 Für viele Häftlinge begann nun eine regelrechte Irrfahrt durch das noch unbesetzte Deutsche Reich. Mehrere Gefangene wurden zunächst nach Bautzen transportiert und von dort zu Fuß in das böhmische Theresienstadt verlegt.105 Laut einem Zeitzeugen ließ der Schliebener Rapportführer während dieses Marsches etwa 100 Häftlinge entfliehen.106 Am 3. Mai 1945 erreichten schließlich viele Schliebener Häftlinge das Lager Theresienstadt, wo sie am 8. Mai 1945 befreit wurden. Wie viele bei diesem Todesmarsch durch das noch unbesetzte Reich ums Leben kamen, ist nicht dokumentiert. Ein Zeitzeuge sprach aber von „vielen Toten“, die auf dem Fußmarsch nach Theresienstadt ums Leben kamen.107 In Schlieben dagegen verblieben nur wenige Häftlinge. Nachdem einige SS-Wachen wohl noch vergebens versuchten, die verbliebenen meist transport­ unfähigen Häftlinge mit den hier produzierten „Panzerfäusten“ zum Widerstand gegen die Rote Armee aufzufordern, setzten sich diese kurz vor der Ankunft der Roten Armee in Richtung Westen ab.108 Da sich bereits kurz zuvor bei

102 Stärkemeldung des Außenkommandos Schlieben vom 7.4.1945 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 5328810#1). Die Meldung vom 7.4.1945 war die letzte erhaltene Stärkemeldung für das Außenlager Schlieben. 103 Vgl. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 251. 104 Vgl. Kathrin Greiser, Die Auflösung des Lagerkomplexes Buchenwald und die Todesmärsche im Rheinland und in Westfalen im März und April 1945. In: Jan Erik Schulte (Hg.), Konzentrationslager im Rheinland und Westfalen 1933–1945, Paderborn 2005, S. 284, 297. 105 Vgl. Marian Filiar/Charles Peterson, From Buchenwald to Carnegie Hall, Mississippi 2002, S. 112. 106 Vgl. Greiser, Die Auflösung, S. 297. 107 Vgl. Filiar/Peterson, From Buchenwald, S. 112. 108 Vgl. Strnad, Das KZ-Außenlager, S. 18.

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der Besetzung Leipzigs durch die Amerikaner der Generaldirektor Paul Budin mit samt der HASAG-Firmenzentrale in die Luft sprengte, sah wohl auch der Schliebener Werksdirektor keinen Sinn mehr in der Fortführung der Produktion. Nach dem Abrücken der SS bot er den Häftlingen an, das Lager zu verlassen.109 Viele weibliche französische Häftlinge schlossen sich nach der Freilassung französischen Kriegsgefangenen an, deren kleines Lager in unmittelbarer Nähe des Schliebener Außenlagers lag.110 Die übrigen Häftlinge verblieben im Lager, welches die Rote Armee am 21. April 1945 erreichte. Diese Häftlinge gingen in der Folgezeit dazu über, aus den Restbeständen im Werk „Panzerfäuste“ für die Rote Armee zu produzieren. Noch etwa sechs Wochen produzierte das Werk, bis es schließlich demontiert und in die Sowjetunion abtransportiert wurde.111 3.3

Der „Durchhalteterror“ gegen die deutsche Bevölkerung

Am Ende des Kriegs steigerte sich nochmals die Willkür der NS-Justiz um ein Vielfaches. In der verzweifelten Hoffnung, die sich abzeichnende Niederlage noch stoppen zu können, versuchte die NS-Führung durch schärfstes Vorgehen gegen kleinste Vergehen, die bei vielen längst verflogene Kampfbereitschaft nochmals zu erzwingen. Beispielsweise erließ Heinrich Himmler in seiner Funktion als Befehlshaber des Ersatzheeres am 26. Februar 1945 den Befehl zur Errichtung von „Sonderstandgerichten für die Bekämpfung von Auflösungserscheinungen“ in frontnahen Gebieten. Diese Anordnung wurde am 9. März 1945 durch die Einrichtung „fliegender Standgerichte“ nochmals verschärft. Diese waren direkt Adolf Hitler unterstellt.112 Jedem deutschem Soldaten sollte damit klargemacht werden, dass auch nur die kleinsten Pflichtüberschreitungen mit drakonischen Strafen geahndet werden konnte. Besonders im Bereich der Heeresgruppe Mitte, die unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls Schörner stand und deren Truppen in den Untersuchungsbereich zurückfluteten, wurde mit schärfsten Mitteln gegen jede Undiszipliniertheit vorgegangen. So erließ auch der kommandierende General des XXXXVIII. Panzerkorps Freiherr von Edelsheim am 20. April 1945 folgenden Befehl, um die zurückflutenden Truppen der 4. Panzerarmee hinter der Schwarzen Elster neu zu sammeln. „Alle einzelnen Soldaten aller Wehrmachtsteile und aller Dienstgrade, die von ihrer Truppe abgesprengt sind und irgendwo Quartier bezogen haben, melden sich sofort bei Auffangstab Heiße, Zeithain bei Großenhain, Auffangstab Behnke, Riesa, oder Auffangstab ­Helmke, Torgau. Einzelne Soldaten, die nach dem 22. April aufgegriffen werden, werden als Deserteure

109 110 111 112

Vgl. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 238. Vgl. Seidel, Schlieben (Frauen), S. 562. Vgl. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 251. Vgl. Franz W. Seidler, Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht 1939– 1945. Rechtssprechung und Strafvollzug, Berlin 1991, S. 188–191.

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erschossen […]. Die Bevölkerung wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Beherbergung oder Unterstützung einzelner Soldaten als ,Beihilfe zur Fahnenflucht‘ betrachtet wird […].“113 Um diesen Befehl durchzusetzen, wurde dem für die Schwarze-Elster-Verteidigung vorgesehenen General Theodor Scherer die gesamte Feldgendarmerie des Korps direkt unterstellt.114 Ebenso befahl der General Freiherr von Edelsheim, dass sich alle geschlossenen Einheiten bis zum 22. April 1945 beim Korpsgefechtstand in Torgau fernmündlich zu melden hatten. Weiter führte er aus: „Einheitsführer, die diesem Befehl nicht nachkommen und nach dem 22. April angetroffen werden, werden durch Korps-Standgericht abgeurteilt.“115 Ob letztlich bei der Sammlung der zurückflutenden Truppen hinter die Schwarze Elster Standgerichte zum Einsatz kamen, konnte nicht belegt werden. Da sich der größte Teil der Truppen aber spätestens bis zum 22. April 1945 über die Elbe zurückgezogen hatte, blieb die Anwendung von Standgerichten in Bezug auf die Befehle des Generals Freiherr von Edelsheim sehr fraglich. Zudem konnte wohl auch, trotz aller militärischen Niederlagen an der Ostfront, die militärische Disziplin während des Rückzugs weitestgehend gewahrt bleiben, sodass Standgerichte kaum benötigt wurden. General Freiherr von Edelsheim beschrieb in seinen Erinnerungen die gesamten Rückzugsbewegungen des XXXXVIII. Panzerkorps als disziplinierte militärische Aktionen.116 Dass aber Standgerichte auch im Untersuchungsgebiet operierten, zeigte ein anderes Beispiel in Brottewitz. Wenige Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee wurde das Torgauer Wehrmachtsgefängnis evakuiert und ein Teil der Gefangenen in Richtung Süden in Marsch gesetzt. Dabei versuchten fünf junge inhaftierte Wehrmachtssoldaten, die zwischen 19 und 22 Jahre alt waren, bei Brottewitz zu fliehen. Die Flucht der Soldaten misslang allerdings. Die darauffolgenden Ereignisse wurden in einem nach dem Krieg aufgezeichneten Bericht wie folgt wiedergegeben: „Nach furchtbaren Misshandlungen schloss man sie 3 Tage an ein Scheunentor, zwang sie dann mit zusammengebundenen Füßen einen 4 Kilometer weiten Weg zum Nachbarort zu laufen, wo ein Standgericht sie alle fünf zum Tode verurteilte […]. Am Morgen des 20. April 1945 zwang die SS diese Todgeweihten […], ihr Grab selbst zu schaufeln, und am Nachmittag

113 114 115 116

Liebenwerdaer Kreisblatt vom 20.4.1945, Nr. 92. Vgl. Freiherr M. v. Edelsheim, Tätigkeit, S. 17 (BArch-MA, ZA 1/569, unpag.). Liebenwerdaer Kreisblatt vom 20.4.1945, Nr. 92. Vgl. Freiherr M. v. Edelsheim, Tätigkeit, S. 18–24 (BArch-MA, ZA 1/569, unpag.). Ähnlich äußerte sich auch der Generalleutnant Oldwig von Natzmer (Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Mitte) in seinem Erinnerungsbericht über die letzten Tage der Heeresgruppe Mitte. Er schrieb: „Fälle von Überlaufen von kleinen Einheiten und von Drückebergerei vermehrten sich zwar täglich, bildeten aber, im Großen gesehen, keine ernsthafte Gefahr für die Kampfkraft. Befehle wurden nach wie vor ausgeführt, die Truppe war in der Hand ihrer Kommandeure.“ Vgl. Oldwig von Natzmer, Kurzer Bericht über die letzten Tage der Heeresgruppe Mitte vom 14.2.1947, S. 2 (BArch-MA, N 60/55, unpag.).

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führte man sie hinter den Friedhof […]. Der Jüngste unter ihnen hatte wohl in dieser grausigen Stunde den Verstand verloren und schrie, bis ihn die Kugeln stumm machten, nach seiner Mutter […].“117 Nicht zuletzt durch die zahlreichen Evakuierungs- und Todesmärsche von Häftlingen sowie durch die neuen Erlasse des Regimes am Kriegsende, die den Durchhaltewillen festigen sollten, musste jedem Bürger des Reichs klar gewesen sein, zu welcher Härte das NS-Regime fähig war. So musste kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee auch die einfache Bevölkerung bis zuletzt in der Angst leben, dass sie sprichwörtlich in der letzten Minute des Kriegs dem Durchhaltewillen der Nationalsozialisten zum Opfer fallen konnte, wenn sie nicht bereit war weiterzukämpfen. Trotz dieser bewusst vom Regime geschürten Atmosphäre, wagten es viele mutige Bürger im Untersuchungsgebiet, den Truppen der Roten Armee entgegenzugehen und ihren Ort nach dem Abzug der Wehrmacht kampflos zu übergeben. Mit welcher Gefahr ein solcher Einsatz allerdings verbunden war, verdeutlichte ein Beispiel in Ortrand. In Ortrand versuchte der Uhrmacher der kleinen Stadt, Max Hirsch, im Glauben, dass bereits sowjetische Truppen in den Ort eingedrungen seien, die erste weiße Fahne auf dem Marktplatz zu hissen. Nicht wissend, dass es sich bei den ankommenden Soldaten um zurückflutende deutsche Truppen handelte, unter denen sich auch zwei Feldgendarme befanden, wurde er von diesen sofort festgenommen. Der Ortrander Stadtkommandant schrieb später an die Witwe von Max Hirsch: „Als ich am 21.04. d. Jh., kurze Zeit, bevor die Russen in Ortrand waren, auf den Markt kam, sah ich einen Mann blutend an der Rathauswand stehen. Wie mir berichtet wurde, war er von 2 Feldgendarmen des Generalfeldmarschalls Schörner in dem Augenblick gefasst worden, als er auf dem Markt eine weiße Fahne hochzog. Er war dabei von den Feldgendarmen und einigen Leuten aus den vorüberziehenden Trecks blutig geschlagen worden.“118 Der Stadtkommandant, der Max Hirsch während seiner Zeit in Ortrand kennengelernt hatte, versuchte in der darauffolgenden Diskussion die Feldgendarme von ihrer Absicht abzubringen, Max Hirsch sofort standrechtlich zu erschießen. Er schrieb dazu weiter: „Ich verhandelte jedoch weiter, und es gelang mir, den einen der Gendarmen wenigstens zur Einsicht zu bringen. Ich betonte immer wieder, dass es sich doch um einen alten Mann handele, dem die Nerven durchgegangen seien, ich würde ihn festhalten und vor Gericht stellen lassen […]. Inzwischen kam ein Oberstleutnant des Stabes Scherer, dem ich den Vorgang meldete. Er sagte sinngemäß: Wenn Sie sich den Anordnungen des

117 Sterbebuch des Standesamtes Brottewitz 1945; Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 99. Fritz Wilhelm zitierte hierbei Karl Fitzkow, der sich u. a. auf die Angaben des Pfarrers Schwan berief, der dieser Hinrichtung beiwohnen musste. 118 Sterbebuch des Standesamtes Ortrand 1945; Brief des ehemaligen Ortrander Ortskommandanten Georg Rahn an Frau Hirsch mit der detaillierten Beschreibung der Todesumstände von Max Hirsch vom 7.5.1946 (StA Ortrand, unpag.).

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Generalfeldmarschalls Schörner widersetzen, so verwirken Sie ihr Leben. Nach alledem war Ihr Gemahl trotz meiner Bemühungen nicht mehr zu retten […].“119 Heinrich Himmler gab Ende März 1945 einen Befehl heraus, der besagte, dass alle männlichen Angehörigen in einem Haus zu erschießen seien, wenn daraus eine weiße Fahne hänge.120 Dass ein ähnlicher Befehl auch im Bereich der Heeresgruppe Mitte galt, bestätigte der damalige Ortrander Stadtkommandant Georg Rahn. Er schrieb in Bezug auf den Fall in Ortrand: „Die beiden Feldgendarme wiesen sich aus, verwiesen mich auf ihre Vollmachten und ihren Befehl, darin stand, dass Generalfeldmarschall Schörner die Ausführung seines Befehls hinsichtlich der Leute, die weiße Flaggen hissten, durch Feldgendarme überwachen ließe und Nichtbefolgen mit dem Tode enden würde, und verlangten von mir die sofortige Erschießung ihres Gemahls.“121 Jeder, der zu diesem Zeitpunkt eine weiße Fahne hisste und damit wohl zuallererst versuchte, seine Habe sowie die des gesamten Orts vor der Zerstörung zu retten, musste in dieser Zeit auch im Untersuchungsgebiet mit den schlimmsten Konsequenzen rechnen. Dennoch wagten es viele mutige Einwohner in den meist bereits von deutschen Truppen geräumten Orten der Region, weiße Fahnen zu hissen bzw. sogar den ersten eintreffenden Rotarmisten entgegenzugehen, um ihnen zu signalisieren, dass sich keine Truppen mehr in dem Ort befanden. Beispielsweise zog in Bockwitz der örtliche Pfarrer zusammen mit dem Kommunisten Max Baer in seltener Eintracht auf dem Kirchturm eine weiße Fahne auf.122 Auch in Schlieben wurde auf dem Kirchturm eine weiße Fahne gehisst, welche die letzten verbliebenen SS-Einheiten vergeblich versuchten, wieder zu entfernen.123 In Herzberg, Falkenberg, Bockwitz und Hohenleipisch gingen ebenso mutige Bürger den ersten sowjetischen Truppen mit weißen Fahnen entgegen.124 In Herzberg forderten sogar große Teile des Bürgertums den Stadtkommandanten der Wehrmacht und den NSDAP-Kreisleiter auf, die Stadt nicht zu verteidigen. In einer Tagebuchnotiz wurde Folgendes darüber berichtet: „In Herz-

119 Ebd. 120 Vgl. Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, Paderborn 2005, S. 407. 121 Brief des ehemaligen Ortrander Ortskommandanten Georg Rahn an Frau Hirsch mit der detaillierten Beschreibung der Todesumstände von Max Hirsch vom 7.5.1946 (StA Ortrand, unpag.). 122 Vgl. Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 29. 123 Vgl. Sylke Maune, Befreiung des Kreises Herzberg (früher Schweinitz). Belegarbeit zum 40. Jahrestag der Befreiung, S. 19 (KA Herzberg, Historischer Sammlungsbestand Kreis Schweinitz/Herzberg, Nr. 19, unpag.). 124 Vgl. Rolf Lehmann, Herzberg (Elster) in Geschichte und Gegenwart 1184–1984, Torgau 1983, S. 18; Heinz Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster. Vom Straßendorf zur Eisenbahnstadt. Erster Teil, Neuburxdorf 2007, S. 105 f.; Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 29; Helmut Engelskirchen, Über die Ereignisse im April 1945 in Hohenleipisch. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 69.

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berg war angeschlagen, dass die Stadt bis zum letzten Mann verteidigt wird […]. Hunderte von Frauen und Kindern sind zum Ortskommandanten gegangen und haben ihn gebeten, die Stadt zu übergeben. Auf den Knien haben sie gelegen vor ihm. Der Superintendant und der katholische Pfarrer haben geredet, es hat alles nichts genützt. Der Kommandant hatte den Befehl von Torgau, und es hätte ihm den Kopf gekostet, wenn er dagegen gehandelt hätte.“125 Dieses Beispiel belegt, unter welchem Druck die örtlichen Wehrmachtsoffiziere standen, die wohl oft einsahen, dass eine Verteidigung gegen die Übermacht der Roten Armee kaum möglich war. Um den Rückzug der Wehrmacht über die Elbe zu decken, wurde schließlich die Zerstörung aller Elsterbrücken angeordnet. Auch dagegen erhob sich in der Bevölkerung in mehreren Fällen sofort Widerstand. Aus Plessa berichtete z. B. Max Herrmann: „Nachdem ich bisher vom Volkssturm verschont wurde, weil ich im Werksluftschutz tätig war, wurde ich am 21.4.45 im Volkssturm eingesetzt […]. Um zwei sollte ich in der Gruppe Häußler die Panzersperre an der Elsterbrücke verteidigen […]. Auf der Brücke standen die Pioniere und warteten auf den Befehl zur Sprengung. Die Volkssturmmänner waren dabei, die Pioniere davon zu überzeugen, dass eine Sprengung ein Wahnsinn sei […]. Alle Überredungskünste, bis zur Bestechung, wendeten wir schließlich gemeinsam an, um die Brücke zu retten.“126 Ebenso gelang es dem Bauer Otto Nicklisch aus Neudeck, die dortige Elsterbrücke zu retten, indem er die Zündkabel der Sprengladungen an der Brücke zerschnitt.127 Nicht so viel Glück hatte hingegen der Schweinitzer Gutsbesitzer Friedrich von Maree. Er versuchte kurz vor Einmarsch der Roten Armee die in Schweinitz stationierten deutschen Einheiten von der Sprengung der wichtigen Elsterbrücke abzubringen. Obwohl am 22. April 1945 bereits der Rückzugs­ befehl über die Elbe bekannt gewesen sein musste, wurde der Gutsbesitzer unverzüglich von deutschen Soldaten erschossen.128 Dies bewies erneut, dass in dieser letzten Phase des Kriegs jedes couragierte Eingreifen von Bürgern nochmals zu einem letzten großen Wagnis wurde. Wäre vermutlich das Untersuchungsgebiet stärker in die Kampfhandlungen einbezogen worden und der deutsche Rückzug nicht so schnell erfolgt, hätte es wahrscheinlich noch mehr Opfer unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung gegeben. Wer in die Hände durchhaltewilliger deutscher Truppen fiel, die, jegliche Realitäten verkennend, immer noch glaubten, den Vormarsch der Roten Armee mit verzweifelten Disziplinarmaßnahmen stoppen zu können, der ­konnte

125 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 2. 126 Max Herrmann, „Doch bald verdunkelte sich der Himmel.“ Der 21. bis 27.4.1945 in Plessa. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 75 f. 127 Vgl. … und der Zukunft zugewandt, S. 9. 128 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Schweinitz 1945.

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kaum auf Mitleid hoffen. Die von den deutschen Truppen erhoffte Wirkung auf den Durchhaltewillen blieb hingegen aus. Die große Mehrzahl der Zivilisten im Untersuchungsgebiet versuchte sich nur noch selbst zu retten. Wie die vielen Beispiele von kampflos übergebenen Orten bewiesen, dachte kaum jemand mehr an Widerstand. Wie vollkommen sinnfrei z. B. die Erschießungen von Max Hirsch und Friedrich von Maree letztlich waren, zeigte sich allein darin, dass in Ortrand und Schweinitz alle deutschen Einheiten, aus denen die Erschießungen angeordnet wurden, nahezu kampflos die Orte verließen. Der Einmarsch der Roten Armee wurde damit in keiner Weise verzögert oder sogar aufgehalten.

4.

Die Verbrechen der Roten Armee am Ende des Kriegs

4.1

Die „Partisanenbekämpfung“

Als die Rote Armee spätestens im Januar 1945 flächendeckend die deutschen Grenzen im Osten des Reichs überschritt, änderten sich plötzlich die Bedingungen der Kriegsführung für die sowjetischen Truppen grundlegend. So wandelte sich die Rote Armee spätestens jetzt endgültig zur angreifenden Armee, die auf feindlichem Boden kämpfen musste. Konnte sie sich vor allem in Weißrussland noch auf den Rückhalt innerhalb der Bevölkerung verlassen, so musste die sowjetische Führung mit dem Vormarsch in das Innere des Deutschen Reichs annehmen, dass ihre Truppen nicht nur auf Ablehnung, sondern vielmehr auf erbitterten Widerstand der deutschen Bevölkerung stoßen würden. Unter anderem aus diesem Grund gab die sowjetische Führung unter Stalin am 11. Januar 1945 den NKWD-Befehl Nr. 0016 heraus, in dem erstmals festgelegt wurde, dass von den „Mitgliedern der faschistischen Organisationen“ aufwärts nahezu jedes deutsche Führungspersonal verhaftet werden sollte.129 Bereits dieser rigorose Befehl, der nicht nur nationalsozialistische Amtsträger umfasste, sondern auch Militärs, Staatsanwälte, Kommunalpolitiker und Zeitungsredakteure, zeigte sehr deutlich, mit welchem Misstrauen die sowjetischen Truppen die Grenzlinie überschritten. So deutete nicht zuletzt aufgrund dieses Befehls alles darauf hin, dass die sowjetischen Truppen fest mit Widerstand der einfachen Bevölkerung rechneten. Ferner wurden die Rotarmisten, die die Zerstörung ihres eigenen Landes auf dem Vormarsch in Richtung Deutschland mit eigenen Augen gesehen hatten und dabei auch zweifellos Zeugen der zahlreichen deutscher Verbrechen geworden waren, seit Beginn des Kriegs mit einer maßlosen antideutschen Propa-

129 Vgl. Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 0016 „Über Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der Fronten der kämpfenden Roten Armee von feindlichen Elementen“ vom 11.1.1945. In: Sergej Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950. Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Band 2, Berlin 1998, S. 94– 98.

Verbrechen der Roten Armee

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ganda bearbeitet. Besonders die Artikel des Schriftstellers Ilja Ehrenburg traten durch eine starke antideutsche Sprache hervor. Er schrieb z. B. am 20. Januar 1945: „Wir werden niemanden fragen, ob er Preuße oder Sachse, SS oder SA ist, ob er Sturmführer ist oder Sonderführer. Wir werden keine Fragen stellen […]. Weil das Herz eines jeden von uns voll ist von Schmerz, sind wir fest entschlossen, mit den Deutschen ein für allemal abzurechnen, und niemand soll sich wundern, wenn wir damit bereits begonnen haben.“130 Wie dieses Beispiel zeigt, machte die Propaganda kaum einen Unterschied zwischen dem deutschen Volk und den nationalsozialistischen Machthabern. Die Deutschen wurden in ihrer Gesamtheit immer wieder als „Gauner“ oder „Verbrecher“ dargestellt, die nur darauf warteten, die Rotarmisten in ihrem eigenen Land anzugreifen. Diese Art der Propaganda schürte nicht nur Hass, sondern auch Angst, was mitunter dazu führen musste, dass die Rotarmisten sprichwörtlich hinter jeder Hausecke einen deutschen Widerstandskämpfer erwarteten, der sich gegen sie auflehnen wollte. Erst Mitte April 1945 erkannte Stalin, dass diese rachsüchtige Propaganda kontraproduktiv auf die Zeit nach der Besetzung wirken musste und leitete eine Änderung ein, worauf u. a. auch Ilja Ehrenburg abgesetzt wurde. Am 20. April 1945 verlangte Stalin in einer Direktive ausdrücklich von den Rotarmisten ein besseres „humanitäres Verhalten zu den Deutschen“, da er sich dadurch erhoffte, den immer noch hartnäckigen Widerstand der Wehrmacht schneller brechen zu können.131 Die Direktive vom 20. April 1945 war gleichfalls das Eingeständnis, dass u. a. die übersteigerte Propaganda zu erheblichen Übergriffen gegen die deutsche Bevölkerung führte. Ebenso gestand Stalin damit ein, dass die Übergriffe im bereits besetzten Deutschland den Kampfeswillen der Deutschen enorm steigerten. Dieses Umdenken Stalins konnte aber für die restliche Zeit des Kriegs, wie noch innerhalb des Untersuchungsgebiets nachgewiesen wird, keine entscheidende Wirkung mehr in den Truppenteilen der Roten Armee erzielen. Ein weiterer Grund, der die sowjetische Angst vor Partisanenübergriffen erklärte, war wohl in der deutschen Propaganda selbst zu finden. So wurde die Bildung des deutschen Volkssturms ab dem 25. September 1944, welche von deutscher Seite nochmals erheblich propagandistisch aufgebauscht wurde, von sowjetischer Seite enorm überschätzt. Ebenso bewerteten die Verantwortlichen in der SU die deutschen Bemühungen zur Gründung von sogenannten Werwolf-Verbänden, die hinter den feindlichen Linien operieren sollten, wohl vollkommenen falsch.132 Allein die Androhung, dass z. B. in Deutschland alle

130 Boog/Lakowski, Der Zusammenbruch, S. 693. 131 Vgl. ebd., S. 738. 132 Den Auftrag zum Aufbau einer „Werwolf“-Organisation, die hinter den feindlichen Fronten operieren sollte, übergab Heinrich Himmler am 19.9.1944 den Oberstgruppenführer Hans-Adolf Prützmann. Jedoch kam es bis zum Kriegsende aufgrund von Kompetenzgerangel zwischen SS, Wehrmacht und NSDAP immer wieder zu Verzögerungen. Dennoch ließen sich Bemühungen zum Aufbau des „Werwolfs“ im Bereich

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Männer zwischen 16 und 60 Jahren im Volkssturm organisiert werden sollten und damit unter Waffen standen, erzeugte wohl bei vielen Rotarmisten zwangsläufig eine Angst, in Deutschland auf erheblichen Widerstand zu treffen. Zudem kam hinzu, dass die sowjetischen Soldaten auf ihrem Vormarsch, in diesem Fall zu ihren Gunsten, miterleben konnten, wie sehr Partisanenverbände hinter der Front den deutschen Truppen enorme militärische Probleme bereiteten.133 Ob es innerhalb der Roten Armee bestimmte Anweisungen gab, wie bei vermeintlichen Partisanenüberfällen vorgegangen werden sollte, musste aufgrund der Quellenlage offenbleiben. Das Verhalten vieler einzelner Rotarmisten sowie ganzer Einheiten im Untersuchungsgebiet, welches hier allerdings nur aus deutschen Quellen rekonstruiert werden konnte, deutet jedoch stark darauf hin, dass bei den Rotarmisten zumindest ein tief internalisiertes einheitliches Handlungsmuster existierte, wenn diese glaubten, auf vermeintliche deutsche Partisanen getroffen zu sein. Eines der wohl grausamsten Beispiele für sowjetische Partisanenbekämpfung in Deutschland ereignete sich rund um Plessa im Kreis Liebenwerda. Um die gesamte Tragik der Vorkommnisse verstehen zu können, muss man sich zunächst die militärische Lage vom 20. April 1945 vor Augen führen. Zu diesem Zeitpunkt waren große Teile der 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“, der Führerbegleitdivision und der 344. Infanteriedivision bei Spremberg eingekesselt worden. Obwohl diese ausdrücklich keinen Befehl zum Ausbruch aus dem Kessel erhielten, versuchten im Folgenden mehrere Ausbruchsgruppen, den Kessel bei Spremberg zu sprengen und sich zu den verbliebenen deutschen Linien durchzuschlagen.134 Einzelnen Gruppen gelang es am 22. April 1945 unter sehr großen Verlusten, zwischen Kauche und Neu-Petershain aus dem Kessel auszubrechen. Der größten Gruppe gehörten vor allem Angehörige der 10. SSPanzerdivision „Frundsberg“ an, darunter auch der SS-Brigadeführer Heinz Harmel. Diese etwa 1 000 Mann starke Truppe, die zum Teil noch schweres Kriegsgerät mit sich führte, überschritt am 23. April 1945 die Reichsautobahn bei Freienhufen und bewegte sich von dort weiter in Richtung Süden, um hier Anschluss an die Linien der 4. Panzerarmee zu finden, die sich in das noch zum großen Teil unbesetzte Sachsen zurückgezogen hatte.135 Als natürliche Hinderder Heeresgruppe Mitte nachweisen. Ob von diesen Bemühungen auch das Untersuchungsgebiet betroffen war, konnte allerdings nicht belegt werden. Neben dem Aufbau der „Werwolf“-Organisation, die im Bereich der Heeresgruppe Mitte viel zu spät und kaum mehr zum Einsatz kam, ordnete Joseph Goebbels (unabhängig vom Aufbau der Organisation) die Einrichtung eines „Werwolf“-Senders an. Am 1.4.1945 ging dieser über den Langwellensender in Herzberg auf Sendung. Der Sender vermittelte den Alliierten das Gefühl, dass es sich hierbei um einen unabhängigen Sender deutscher „Werwolf“-Gruppen handelte, die hinter der Front operierten. Vgl. Volker Koop, Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“, Köln 2008. 133 Vgl. Bogdan Musial, Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit, Paderborn 2009. 134 Vgl. Tieke, Im Feuersturm letzter Kriegsjahre, S. 532. 135 Vgl. ebd., S. 533–541.

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nisse standen der Ausbruchsgruppe auf dem Weg dahin die Schwarze Elster sowie die Pulsnitz im Wege, deren Brücken bis auf wenige Ausnahmen von den zurückgegangenen deutschen Truppen bereits gesprengt worden waren. Vermutlich von zurückflutenden Flüchtlingen erfuhr die Ausbruchsgruppe, dass der einzige noch intakte Übergang der Schwarzen Elster über Plessa führte. Bereits wenige Tage zuvor wurde Plessa in den ersten Morgenstunden des 22. April 1945 erstmals von sowjetischen Soldaten besetzt. In der folgenden Zeit kam es hier bereits zu zahlreichen Übergriffen an der deutschen Zivilbevölkerung. So wurden auch in Plessa unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee mehrere Frauen vergewaltigt.136 Zudem verzeichnete der Plessaer Standesbeamte in den standesamtlichen Sterbebüchern mehrere Zivilpersonen vor dem 24. April 1945 mit dem Vermerk „von Russen erschossen“.137 Dies bestätigten auch mehrere Zeitzeugen.138 Nachdem die Region um Plessa am 22. April 1945 erstmals von zur Elbe vorstoßenden Einheiten der Roten Armee erreicht wurde, stieß die deutsche Ausbruchsgruppe am 24. April 1945 in Hohenleipisch etwa fünf Kilometer nördlich von Plessa erstmals auf Widerstand der rückwärtigen Truppen der Roten Armee. Ein Bericht aus Hohenleipisch gab dazu Folgendes wieder: „Als die sowjetischen Soldaten vom Anmarsch der Waffen-SS erfuhren, brachten sie im Dorf, besonders auf der Trift, ihre leichten Geschütze in Stellung […]. Die schwerbewaffneten deutschen Soldaten bildeten einen Ring um Hohenleipisch und zogen von mehreren Seiten in unser Dorf ein […]. Es kam zu heftigen Kampfhandlungen, wobei mehrere sowjetische und etliche deutsche Soldaten den Tod fanden.“139 Nach kurzem und wie es schien immer noch organisiertem Kampf gelang es der Ausbruchsgruppe, ihren Marsch in Richtung Plessa fortzusetzen, wo sie wiederum auf rückwärtige völlig überraschte sowjetische Truppen stieß, die sich verzweifelt gegen die deutsche Truppe zu wehren versuchten. Max Herrmann schrieb darüber: „Am Nachmittag (24. April 1945) war mit einem Schlag der Teufel los. Während vordem nur vereinzelt Schüsse zu hören waren, schien plötzlich ein Gefecht im Gange zu sein. Als wir von der Vorschnittböschung mit dem Glas den Ort absuchten, konnten wir zunächst nichts ausmachen. Nach einer knappen Stunde sah ich eine Abteilung mit einigen Panzern auf der Ortrander Chaussee in Richtung Schraden ziehen […]. Der Weg durch Plessa war gekennzeichnet durch viele Tote, teils durch Erschießen, teils durch

136 Vgl. Peter Woitera, Die Russen kommen. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 112. 137 Vgl. Sterbebücher der Standesämter Plessa und Hohenleipisch 1945–1955. Noch bis 1955 wurden mehrere Verstorbene mit dem Datum 22. oder 25.4.1945 in das Plessaer Sterbebuch eingetragen. 138 Vgl. Woitera, Die Russen kommen, S. 112–115; Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 48. 139 Engelskirchen, Über die Ereignisse im April 1945, S. 71.

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kalte Waffen. Davon waren die aus dem Lager Mühlberg zurückflutenden russischen Kriegsgefangenen nicht ausgenommen. Die Härte des Kampfes beweisen die 55 auf unserem Friedhof beerdigten deutschen Soldaten.“140 Auch andere Zeitzeugen bestätigten, mit welcher Härte von beiden Seiten dieser Kampf in Plessa geführt wurde. „Wir haben uns im Stall versteckt, weil es so geknallt hat, und die Russen vorn aus dem Wohnhaus kamen alle mit zu uns […]. Mein Vater hat dann aus dem Fenster geschaut und gesagt: Das sind ja Deutsche! […]. Sie kamen auch hinter in den Stall zu uns. Da haben sie die Russen rausgeholt und alle erschossen. Die haben regelrecht die Häuser durchsucht.“141 Aber auch die verbliebenen Rotarmisten machten wohl in diesem Gefecht keine Unterschiede zwischen Zivilisten und deutschen Soldaten. Nachdem einige Soldaten der Ausbruchsgruppe die verbliebenen Einwohner zur Flucht aufforderten, griffen die aus ihren Verstecken gekommenen Rotarmisten den schnell entstandenen deutschen Flüchtlingstreck an. „Mein Vater hatte mich ja aus dem Versteck rausgerufen, weil doch die Deutschen wieder da waren. Ich war 22 Jahre und musste mich vor den Russen in Acht nehmen. Als die Deutschen weiterzogen, sind wir hinterher und mit ihnen mit. Wir hätten sie fast noch verpasst. Als sie über die Brücke marschierten, kamen die Russen schon aus dem Dorf hinterher und haben die Leute erschossen, die sich links und rechts in den Gräben versteckt hatten. Da ist die SS nochmals zurück über die Brücke und hat die Russen zurück ins Dorf gedrängt. Das haben wir genutzt. Wir lagen nämlich auch im Graben.“142 Der „wilde Heerhaufen“, wie er später von einem ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS beschrieben wurde, setzte sich von Plessa mit einer „fast unübersehbaren Schar von Zivilisten, Männern, Frauen und Kindern“ in Richtung Schraden in Bewegung.143 Hier stieß die Ausbruchsgruppe erneut auf Widerstand, den sie allerdings sehr schnell brechen konnte. Ein Zeitzeuge erinnerte sich, dass die Ausbruchsgruppe am Ortseingang auf eine kleine Versorgungseinheit der Roten Armee stieß, von der sie genügend Treibstoff für ihre noch vorhandenen Fahrzeuge erbeuten konnte. So war sie in der Lage, ihren Marsch ungehindert über eine noch intakte Pulsnitzbrücke in Richtung Hirschfeld fortzusetzen.144 Der Hirschfelder Pfarrer Karl Regensburger, der selbst noch bis Ende März 1945 als sogenannter Halbjude inhaftiert war, schrieb dazu: „In der Nacht zum Mittwoch, 25. April, drangen dann wieder deutsche Truppen in unser Dorf ein. Sie waren versprengt und führten nur einige Panzer mit sich. Es waren meist

140 141 142 143

Herrmann, „Doch bald verdunkelte sich der Himmel.“, S. 81 f. Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 49. Ebd., S. 50. Vgl. Die Hellebarde. Nachrichten der kameradschaftlichen Vereinigung Suchdienst „Frundsberg“, Nr. 20, 1999, S. 65 (BArch-MA, MSG 3/3991, unpag.). 144 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Rudolf Voigt vom 18.1.2010. Rudolf Voigt (geb. 1934) erlebte das Kriegsende in Schraden mit.

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SS-Leute, die sich recht rücksichtslos in unseren Häusern aufführten und manches noch zerstörten. Auch haben sie dann beim Abzug alle Ostarbeiter, derer sie habhaft werden konnten und die zum Teil jahrelang schon treu unseren Leuten geholfen hatten, oben am Waldrand erschossen.“145 Ob die deutsche Ausbruchsgruppe, wie Hirschfelder Zeitzeugen berichteten, von ausländischen Zwangsarbeitern am Ortseingang beschossen wurde, wird heute nicht mehr restlos geklärt werden können. Die Erschießungen am Waldrand belegten aber, dass die deutschen Truppen mit äußerster Härte gegen jeglichen Widerstand vorgingen.146 Gefangene machte die Gruppe um Brigadeführer Heinz Harmel, wie die Beispiele aus Plessa und Hirschfeld belegen, nicht mehr. Auch ein ehemaliger Waffen-SS-Soldat bestätigte diese Vorgehensweise beim Ausbruch aus dem Spremberger Kessel: „Die meisten Dörfer waren nur mit etwa 10 Iwans besetzt, welche volltrunken die wenigen verbliebenen Bewohner auf sowjetische Art und Weise drangsalierten […]. In einem der von uns befreiten Dörfer konnten uns zunächst zwei dieser sowjetischen Verbrecher entkommen. Sie flüchteten sich auf den Kirchturm […]. Wir schossen von unten in die Kirchturmspitze hinauf und tödlich getroffen klatschten sie uns vor die Füße. Nach dem, was wir in diesen Dörfern mit eigenen Augen gesehen hatten, gaben wir erst recht kein Pardon mehr!“147 Nach den ersten Übergriffen der Rotarmisten betrachteten wohl viele Einwohner der Dörfer die deutschen Soldaten als „Befreier“. Allein der große Flüchtlingszug, der sich der Ausbruchsgruppe anschloss, belegte dies. Unter diesen Umständen nahmen es wohl viele mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis, dass die Rotarmisten in die Flucht geschlagen wurden. Gleichfalls schien es aufgrund der Vorkommnisse beim Einmarsch der Roten Armee nicht ausgeschlossen zu sein, dass Einwohner die durchziehenden deutschen Truppen zu konkreten Rachemaßnahmen aufforderten.148 Den ausbrechenden deutschen Soldaten unter Heinz Harmel letztlich nur Vergeltung als Motiv für ihr rücksichtsloses Vorgehen zu unterstellen, greift allerdings zu kurz. Der Hauptintention der deutschen Soldaten war zweifellos, die deutschen Linien zu erreichen. Dem musste sich alles andere unterordnen. So war sich der Stab um Heinz Harmel im Klaren darüber, dass den Soldaten der Waffen-SS in russischer Kriegsgefangenschaft zweifellos nichts Gutes erwartete. Diese Angst ließ Harmel sogar den direkten „Führer-Befehl“ missachten, der

145 Karl Regensburger, „Aus dem Tagebuch eines Dorfpfarrers“. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 116 f.; Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Hirschfeld 1945. 146 Vgl. Erinnerungsprotokolle von Heinz Glasewald und Richard Krause vom 15.1.2010. Heinz Glasewald (geb. 1933) und Richard Krause (geb. 1929) erlebten den Einmarsch der Roten Armee in Hirschfeld mit. 147 Die Hellebarde. Nachrichten der kameradschaftlichen Vereinigung Suchdienst „Frundsberg“, Nr. 17, 1995, S. 115 (BArch-MA, MSG 3/3990, unpag.). 148 Vgl. Woitera, Die Russen kommen, S. 115.

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den Ausbruch aus dem Kessel strikt untersagte. In dieser scheinbar ausweglosen Situation waren die deutschen Soldaten nahezu zu allem bereit, um sich den Weg durch das feindliche Hinterland zu bahnen. Dennoch konnten, auch wenn sich einige bereits befreite ausländische Zivilarbeiter bewaffneten und gegen die Ausbruchsgruppe kämpften, die vielen Morde an ehemaligen ausländischen Arbeitern nicht allein auf den verzweifelten Versuch, nicht der Roten Armee in die Hände zu fallen, zurückgeführt werden. Die weltanschauliche Schulung des Nationalsozialismus, die besonders der Mehrzahl der mitmarschierenden Soldaten der Waffen-SS zuteil kam, spielte wohl bei diesen Morden zumindest im Hinterkopf der Soldaten eine Rolle. Die Ausbruchsgruppe marschierte schließlich von Hirschfeld in das benachbarte sächsische Oelsnitz. Auf größeren Widerstand schien sie hier nicht mehr gestoßen zu sein. Die Mehrzahl der Soldaten, von denen sich allerdings immer wieder einige absetzten, wie sich ehemalige Soldaten der Waffen-SS im Nachhinein beklagten, erreichte bei Bärwalde/Moritzburg die deutschen Linien. Daraufhin beteiligten sich die Reste der Truppe im Mai 1945 an den letzten Kämpfen in Sachsen.149 Die Gruppe um Heinz Harmel hinterließ, wie bereits dargestellt, bei jedem Durchbruch durch eine Ortschaft eine Spur der Verwüstung. Die zahlreichen toten sowjetischen Soldaten und ausländischen Zwangsarbeiter sowie die vielen toten Soldaten der bei der Roten Armee verhassten Waffen-SS ließ die sowjetischen Stäbe, die wohl kein genaues Lagebild über den Verbleib der ausgebrochenen Truppen aus dem Spremberger Kessel besaßen, wahrscheinlich vermuten, dass sie hier von Partisanentruppen angegriffen wurden. Auf diese vermeintlichen Partisanenangriffe rund um Plessa reagierte die Rote Armee nun mit enormer Härte. Bereits am Abend des 24. April 1945, am Tag des Durchmarschs der Ausbruchsgruppe, begannen sowjetische Truppen in Hohenleipisch, wo die deutsche Truppe erstmals auf Widerstand stieß, mit der wahllosen Erschießung von Personen sowie mit dem Anzünden des Dorfs. Dies setzte sich am Morgen des 25. April 1945 fort. Eine Frau aus Hohenleipisch schrieb dazu: „Doch bald wurden wir wieder geweckt. Aber noch schlaftrunken und ungewaschen bemerkte wieder Helmut zuerst, weil er gerade am Fenster stand, wie ein Russe auf dem Heubodentreppe brennende Streichhölzer ins Heu legt und dann in die Scheune. Was blieb uns weiter übrig, als unsere Wohnung zu verlassen. Doch wo war Großvater? Den hatte man schon vor 7 Uhr abgeholt […]. Was sollte aus uns werden? Und wohin? Helmut, Vater und Adolf wurden festgenommen und an Wunderlichs Zaun aufgestellt, wo schon etliche Männer standen.“150 In 149 Vgl. Tieke, Im Feuersturm letzter Kriegsjahre, S. 541; Die Hellebarde. Nachrichten der kameradschaftlichen Vereinigung Suchdienst „Frundsberg“, Nr. 20, 1999, S. 70 (BArch-MA, MSG 3/3991, unpag.). 150 Erna Hengster, „Ob wir verschont bleiben?“ Ein Erlebnisbericht zum Kriegsende in Hohenleipisch. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 65 f.

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Hohenleipisch wurden alle Männer, denen nicht die Flucht gelang, von den wieder ins Dorf einrückenden Rotarmisten systematisch verhaftet und viele davon erschossen. Laut standesamtlichem Sterbebuch erschossen Rotarmisten am 24. und 25. April 1945 in Hohenleipisch 23 Männer und 6 Frauen.151 Dem Brand fielen im Ort 56 Wohnhäuser und Nebengebäude zum Opfer.152 Am 25. April 1945 zog die Einheit der Roten Armee, die in Hohenleipisch Feuer gelegt und viele Männer des Dorfs umgebracht hatte, weiter nach Plessa. Das Kommando knüpfte in Plessa daran an, wo es in Hohenleipisch aufgehört hatte. Das Dorf, welches im Jahr 1941 insgesamt 2 980 Einwohner zählte und nach dem Durchmarsch der deutschen Truppe fast völlig verlassen war, wurde wie Hohenleipisch systematisch angezündet. Max Herrmann, der sich im Wald versteckt hielt und das Geschehen beobachtete, schrieb später dazu: „Ein klarer Morgen brach an. Gegen 9.00 Uhr berichteten aus dem Ort kommende Frauen, dass sich Schlimmes verbreitete. Wir erklommen den Südhang des Kohleberges und suchten mit dem Glas das Dorf ab. Einzelne Rauchschwaden stiegen hoch. Bald standen Rauchfahnen über allen Straßen.“153 Als die noch im Dorf verbliebenen Einwohner bemerkten, dass das Dorf von den Rotarmisten abgebrannt wurde, versuchte sich diese in die umliegenden Wälder und Felder in Sicherheit zu bringen. „Und dann brannte es schon rundherum. Manche wollten aber nicht weg. Aber meine Mutter sagte: Ich will doch hier nicht verbrennen. Da sind wir runter, haben uns in einer Wanne mit Wasser die Decken nassgemacht und sind dann über die Zäune. Da hat uns noch ein Russe hinterhergeschossen.“154 Jeder, der beim Löschen seines Hauses „erwischt wurde, wurde erschossen“, wie ein Zeitzeuge berichtete.155 Ebenso schrieb ein weiterer Zeitzeuge: „Aber die Männer, die ins Dorf reingegangen sind, um zu gucken, ob das Gehöft noch steht oder ob noch was zu retten ist, sind alle nicht wiedergekommen. Der Opa ist ja gleich früh rein […]. Er hat Betten aus dem Fenster geworfen, die wollte er uns wohl rausbringen. Da haben sie ihn erschossen. Und dann die Betten auf ihn draufgeworfen und angezündet.“156 Laut standesamtlichen Sterbebuch wurden am 25. April 1945 in Plessa 17 Personen erschossen bzw. verbrannten in ihren Häusern. Insgesamt wurden nur für Plessa nach dem 22. April 1945 im Sterbebuch des Standesamtes 64 Tote mit den Vermerken „von der Roten Armee erschossen“, „verbrannt“ oder

151 Sterbebuch des Standesamtes Hohenleipisch 1945; Engelskirchen, Über die Ereignisse im April 1945, S. 68–74. Helmut Engelskirchen gab in seiner Darstellung 26 von Rotarmisten getötete Hohenleipischer Bürger, ein Ehepaar aus Berlin und einen deutschen Soldaten an. 152 Ebd., S. 72. 153 Herrmann, „Doch bald verdunkelte sich der Himmel.“, S. 81. 154 Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 53. 155 Ebd., S. 51. 156 Ebd., S. 52 f.

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„erschossen“ aufgeführt.157 Der Zeitzeuge Max Herrmann gab allerdings an, dass noch Wochen später unkenntliche Leichen rund um Plessa gefunden wurden, deren Identität nie geklärt werden konnten. Er sprach von insgesamt 155 Opfern in diesen Tagen.158 Wie viele davon am 25. April 1945 bei der Sühne­ maßnahme der Roten Armee umkamen, wird wohl nie geklärt werden. Die standesamtlichen Aufzeichnungen, in denen zum Teil die Toten erst Jahre später aufgelistet wurden, sind wohl ungenau, da die Standesbeamten Jahre später wohl keinen Unterschied mehr zwischen dem 22. und 25. April 1945 machten. Am verheerendsten war aber für den Ort der Brand. Insgesamt fielen 724 Objekte dem Feuer zum Opfer. Darunter befanden sich 53 zwei- und mehrstöckige und 185 einstöckige Wohnhäuser.159 Der größte Teil des Dorfs wurde vollständig zerstört. Mit der Brandkatastrophe von Plessa war der Rachefeldzug der Roten Armee aber noch nicht beendet. Auch in Schraden, welches von der Ausbruchsgruppe ebenso durchquert wurde, wurden zwei Straßenzüge angezündet. Hier wurden wie in Plessa und in Hohenleipisch die von dem sowjetischen Kommando auffindbaren Männer erschossen. Insgesamt starben dabei in Schraden zwei Männer.160 Erst französische Arbeiter sollen, laut Zeitzeugen, dem Anzünden weiterer Häuser ein Ende gemacht haben, als sie dem sowjetischen Kommando erklärten, dass die Einwohner nichts mit der durchziehenden Truppe zu tun hatten.161 Dies könnte auch erklären, warum es in Hirschfeld, die nächste Station des sowjetischen Kommandos, keine größeren Zerstörungen gab. Dennoch schrieb der Hirschfelder Pfarrer Regensburger: „Nun kamen schreckliche Tage für unsere Heimat. Überall stiegen die Rauchwolken brennender Gehöfte und Dörfer am Horizont empor. In unser Dorf rückten wieder russische Truppen ein, und einige Gehöfte gingen in Flamen auf. Dass nicht das ganze Dorf niederbrannte, ist ein Wunder und gnädige Bewahrung Gottes.“162 Laut dem Bericht des Hirschfelder Pfarrers versuchte das sowjetische Kommando auch in Hirschfeld, Brände zu legen, die sich hier wahrscheinlich nur durch einen Glücksfall nicht zu einer großen Brandkatastrophe ausweitete. Ebenso berichteten Zeitzeugen,

157 Sterbebuch des Standesamtes Plessa 1945 bis 1955. Insgesamt wurde im Plessaer Sterbebuch bei 48 Personen die Todesursache „von der Roten Armee erschossen“ vermerkt. 158 Vgl. Herrmann, „Doch bald verdunkelte sich der Himmel.“, S. 81 f. In dem Bericht wurden wohl auch alle gefallenen Soldaten und unbekannten Flüchtlinge zu den Toten mit hinzugezählt. 159 Ebd., S. 82. 160 Sterbebuch des Standesamtes Kmehlen 1945; Erinnerungsprotokoll von Elfriede Schönbrunn vom 7.1.2010. Elfriede Schönbrunn (geb. 1929) flüchtete mit ihrer Familie vor dem anrückenden sowjetischen Kommando am 25.4.1945. Das Haus der Familie wurde dabei abgebrannt. 161 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Heini Grafe vom 7.4.2010. 162 Regensburger, „Aus dem Tagebuch eines Dorfpfarrers“, S. 117.

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dass in Hirschfeld die noch im Dorf verbliebenen Einwohner einen Tag später am 26. April 1945 zusammengetrieben wurden. Diese mussten in Richtung Osten nach Großthiemig marschieren. „Wir mussten uns in der Dorfmitte sammeln und marschierten Richtung Großthiemig. Kurz vor dem Steinbruch erschossen sie F. K. Der hatte, während die SS im Dorf war, einen Polen verprügelt, der ihm zuvor ein Pferd stehlen wollte. Nach diesem Vorfall versuchten mehrere über die Felder zu entkommen. Erst in Großthiemig konnte unsere Ärztin, die Russisch sprach, mit russischen Offizieren ein Gespräch führen. Sie machte ihnen wohl deutlich, dass wir mit der SS nichts zu tun hatten. Danach konnten wir alle wieder nach Hirschfeld zurück.“163 Erst am 26. April 1945 erkannten wohl die sowjetischen Stäbe langsam die Lage und machten sich klar, dass es sich hier nicht um einen Partisanenangriff handelte, sondern um den Durchzug einer Ausbruchsgruppe aus dem Spremberger Kessel. Insgesamt fielen der Sühnemaßnahme der Roten Armee, laut der standesamtlichen Sterbebücher, am 24. und 25. April 1945 rund um Plessa mindestens 57 deutsche Zivilisten zum Opfer.164 Zudem wurden zahlreiche Gebäude abgebrannt. Bei den Tätern handelte es sich wahrscheinlich nicht nur um einzelne rachsüchtige sowjetische Soldaten, die den Tod ihrer Kameraden nicht verwinden konnten, sondern (wie die Systematik der Strafaktion zeigte) wohl um eine von höherer Stelle angeordnete Aktion. Zielgerichtet wurden die Dörfer angezündet, in denen zuvor die deutsche Ausbruchsgruppe viele Gefallene hinterlassen hatte. Andere Dörfer, die zuvor auf dem Weg der deutschen Gruppe lagen, blieben verschont. Ob es sich bei den Kriegsverbrechen um die Taten einzelner Soldaten handelte oder ob dies auf Anweisung übergeordneter Stellen geschah, lässt sich ohne Einblick in die russischen Quellen nicht definieren. Zweifellos musste aber das Schicksal der Dörfer rund um Plessa die Aufmerksamkeit der höheren Armeestäbe der Roten Armee geweckt haben, da dieses Vorgehen im krassen Widerspruch zur Direktive Stalins vom 20. April 1945 stand. Ohne nähere Quellen musste jedoch z. B. die Reaktion des Stabs der 5. Gardearmee bzw. der 97. Gardeschützendivision auf dieses Verbrechen offenbleiben. Weitere deutsche Quellen aus dem gesamten Untersuchungsgebiet deuteten allerdings darauf hin, dass sich die Reaktion der Rotarmisten, wenn sie glaubten, auf deutsche Partisanen gestoßen zu seien, meist ähnelte. So ereignete sich in Oehna am 22. April 1945 ein ähnlicher Fall wie in der Region um Plessa. Das kleine Dorf Oehna wurde erstmals am 21. April 1945 von sowjetischen Truppen besetzt. Einen Tag später kam es jedoch zu einem Zwischenfall am Bahnhof, der in einer Tagebuchaufzeichnung vom 13. Mai 1945 wie folgt beschrieben wurde: „Der erste Sonntag brachte dem Bahnhof das meiste Leid. Bei B. wohnte ein

163 Erinnerungsprotokoll von Richard Krause vom 15.1.2010; Sterbebuch des Standesamtes Großthiemig 1945. Der Tod von F. K. wurde im Großthiemiger Sterbebuch verzeichnet. 164 Sterbebücher der Standesämter Hohenleipisch, Plessa, Kmehlen und Großthiemig 1945 bis 1955.

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Ehepaar mit zwei Töchtern, hinter denen zwei Russen her waren. Sie hatten viel getrunken und schossen wild in die Fenster und in den Keller des B. Hauses. Bei H. war ein Russe untergebracht, der gut Deutsch sprach und der H., die durch die Schießerei ängstlich wurden, beruhigte. Er ging dann hinaus, um mit den betrunkenen Russen zu reden. Die ließen sich aber nichts sagen und schossen weiter, und eine Kugel traf ihren Kameraden. Da holten sie B. aus dem Hause, zeigten auf den Toten und schrien: Volkssturm, Volkssturm. Sie erschossen B.“165 Nachdem weitere Rotarmisten zum Tatort kamen, begannen weitere Erschießungen. „Dann holten die Russen H. raus, stießen und schlugen ihn bis zur Russenleiche, schrien auch Volkssturmmann und erschossen ihn ebenfalls […]. Nun suchten die Russen alle Häuser am Bahnhof nach Männern ab und erschossen N., Sch., D. und den neuen Bahnhofsvorsteher, der erst kurze Zeit in Oehna Dienst tut. Als B. die Schießerei hörte, ging er mit Frau, Tochter und Enkel in die Waschküche und erschoss dort die Familie und sich selber. Die Russen steckten nach ihren Morden noch alle Häuser in Brand.“166 Auch wenn es sich im Oehnaer Fall offensichtlich um eine spontane Aktion handelte, so gibt es doch große Parallelen zu den Ereignissen rund um Plessa. Am Oehnaer Bahnhof wurden am 22. April 1945 zehn Personen erschossen und nahezu alle Häuser abgebrannt.167 Ein anderes Beispiel ereignete sich in Mügeln. Am 3. Mai 1945 durchquerte eine große Marschkolonne von befreiten Zwangsarbeitern, die von Posten der Roten Armee eskortiert wurde, den Ort. Wilhelm S. aus Mügeln schrieb dazu Folgendes: „Zwischen dem staatlichen Forst und unserem Dorf fielen einige Schüsse. Dadurch wurde ein russischer Posten tödlich getroffen […]. Mit den Rufen ,Partisanen, Partisanen‘ stürmte der ganze Haufen durcheinander. Die am Eingang des Dorfes stehende Feldscheune ging sofort in Flammen auf. 20 Meter davon entfernt wurde der zufällig des Weges kommende 62 Jahre alte Mauerpolier F. totgeschlagen. Im ersten Hause tranken 3 entlassene deutsche Soldaten einen Kaffee, dieselben wurden ebenfalls mit dem 69 (Jahre) alten Besitzer des Hauses totgeschlagen. Vor dem Hause wurde ein Auto, mit einem russischen Offizier besetzt, angehalten, und ich sah und hörte, wie auf denselben eifrig eingesprochen wurde. Daraufhin wurden etwa 50 Meter von meinem Hause entfernt 2 Mann erschossen, weil es verkleidete deutsche Soldaten sein sollten.“168 Wie der Zeitzeuge in seinem bereits am 21. Oktober 1946 verfassten Bericht erwähnte, geschah die Vergeltung der befreiten Zwangsarbeiter im

165 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 13.5.1945. Helene Parpart (1888 bis 1965) war die Ehefrau des Rektors Parpart. Die Familie lebte am Kriegsende im Oehnaer Pfarrhaus. 166 Ebd. 167 Sterbebuch des Standesamtes Oehna 1945. Die Familie des Reichsbahnsekretärs B. umfasste sechs Personen. 168 Tatsachenbericht von Wilhelm S. vom 21.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 17, Bl. 314 f.).

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Einverständnis mit den Rotarmisten. Gleichzeitig wurden nun weitere Gebäude genauso wie rund um Plessa und Oehna im Dorf von Rotarmisten angezündet. Wilhelm S. berichtete weiter: „Meine Haustür wurde darauf eingetreten und die Fenster mit Steinen eingeworfen. Auf meinem Hofe wurde ich dann derart geohrfeigt, dass mein Gesicht eine ganze Woche geschwollen war. Mein Haus und Gehöft wurde gründlich durchsucht, immer wieder war das Wort Partisanen zu hören […]. Auf einmal hörte ich von meiner Nachbarin den Ruf: Unsere Scheune brennt. Im selben Augenblick betraten 2 russische Soldaten meinen Hof. Der eine ging zur Scheune und meine Frau konnte sehen, wie er etwas hineinschleuderte.“169 Daraufhin brannte die Scheune von Wilhelm S. sowie mehrere andere Gebäude am östlichen Ortseingang von Mügeln ab. Am 3. Mai 1945 kamen in Mügeln drei Mügelner Männer und vier zufällig durchziehende deutsche Soldaten ums Leben.170 Die Einheitlichkeit des Vorgehens, wenn Rotarmisten im Untersuchungsgebiet glaubten, Opfer einer Partisanenangriffs geworden zu sein, belegt, dass diese Methoden zur Partisanenbekämpfung, die sich meist im willkürlichen Erschießen der deutschen Männer, im Anzünden der Gebäude und in manchen Fällen im Deportieren der zurückgebliebenen deutschen Bevölkerung äußerten, in den meisten Einheiten der Roten Armee fest internalisiert waren. Dabei spielte zweifellos die durch die Propaganda noch verstärkte Angst der Rotarmisten vor solchen Übergriffen eine große Rolle. Die sowjetischen Soldaten waren mitten in Deutschland, zumal der Krieg noch nicht beendet war, einem unermesslichen Stress ausgesetzt. Wichtig zu erwähnen bleibt aber, dass es sich bei allen erwähnten Beispielen nicht um Taten einzelner Soldaten handelte, sondern ganze Gruppen bzw. sogar ganze Einheiten der Roten Armee dafür verantwortlich waren. Dies beweist, dass es nicht nur Einzelübergriffe von sowjetischen Soldaten gegenüber der deutschen Bevölkerung am Kriegsende gab, sondern dass ganze Einheiten (wie z. B. rund um Plessa) systematisch Dörfer zerstörten. Fest steht damit nur, dass die Direktive Stalins vom 20. April 1945 in der breiten Masse der Roten Armee bis Kriegsende kaum Widerhall fand. Dies kann nur als ein Anzeichen für die darniederliegende militärische Disziplin innerhalb der Roten Armee oder für die bewusste Nichtbefolgung der Direktive durch die verantwortlichen Offiziere in den Stäben der im Untersuchungsgebiet kämpfenden Armeen gewertet werden. Für die Rote Armee bedeutete dies aber vollkommen unabhängig davon, dass sie bereits mit Beginn der Besatzungszeit einen enormen Kredit bei der deutschen Bevölkerung dieser betroffenen Orte verspielte.

169 Ebd. 170 Sterbebuch des Standesamtes Mügeln 1945; Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Mügeln 1945.

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Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde

Neben diesen beschriebenen gruppenspezifischen Übergriffen gegen die deutsche Zivilbevölkerung, die zur Bekämpfung vermeintlicher Partisanen dienten, setzten sofort mit dem Einmarsch der Roten Armee Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde ein, die meist nur einzelnen sowjetischen Soldaten zugeschrieben werden konnten. So machten bereits diejenigen Personen, die ihren Ort kampflos an die Rote Armee übergeben wollten, erste negative Erfahrungen mit dieser. Aus Hohenleipisch wurde z. B. berichtet: „In der Nacht zum 22. April schlief wohl niemand in Hohenleipisch. In der Frühe des Tages, es war an einem Sonntag, drangen die ersten feindlichen Soldaten in Hohenleipisch ein. Es waren drei berittene Kosaken, sie kamen von Döllingen her. Der hiesige Bürger Ernst Thiemig, ein älterer Herr, mag der Erste gewesen sein, der mit diesen feindlichen Kriegern seine Bekanntschaft gemacht hat. Er empfing sie mit einem weißen Fähnlein auf der Döllinger Brücke. Die Soldaten verlangten von ihm Schnaps und Uhr. Da Thiemig beides nicht bei sich hatte, musste er seine fast neuen Lederstiefel gegen abgetragene Kosakenstiefel tauschen.“171 Nahezu jeder befragte Zeitzeuge, jeder veröffentlichte Zeitzeugenbericht sowie jede Tagebuchaufzeichnung beschrieb die erste Begegnung mit Rotarmisten ähnlich. Helene Parpart aus Oehna schrieb z. B. in ihrem Tagebuch über die erste Begegnung mit sowjetischen Soldaten: „Nachts um 3 Uhr starkes Rütteln an der Haustür. Vater öffnet, 4 Russen mit Gewehr in der Hand treten ein, verlangen Uhr. Vater wird gleich seine beiden Uhren los, da er abgetastet wird. Mir nehmen sie die elektrische Taschenlampe aus der Hand. Vaters wird auch weggenommen. Dann verlangen sie Schnaps, gehen in die Weckkammer und probieren gleich mehrere Tomatenbreiflaschen. Ursel wird eine Armbanduhr los. Dann gehen sie ab.“172 Aus Mühlberg wurde ebenso berichtet: „Während des Durchmarsches plünderten einzelne Russen die Wohnungen, wobei sie es besonders auf Taschenuhren und Wecker abgesehen hatten. Den Männern, die dem Einmarsch zusahen, wurden sofort die Taschenuhren abgenommen und den Frauen und Mädchen die Armbanduhren […]. Würdelos betrug sich unser Nachbar, der verkündete: „Die Russen sind friedliche Leute.“ Doch als er an der Ecke Hohe Straße/Herrenstraße dem Durchmarsch zusah, war er bald seine Taschenuhr los. Beim Fleischer und Gastwirt Dietrich brachten die Frauen und Mädchen Schnaps vor die Tür und zum Dank dafür verschwanden ihre Armbanduhren.“173 Verlangten die ersten durchmarschierenden Truppen, die es meist eilig hatten, zumeist nur Schmuck, vor allem Uhren, so wurde die Lage später, als sich

171 Engelskirchen, Über die Ereignisse im April 1945, S. 69. 172 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 21.4.1945. 173 Anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1945 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.).

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die rückwärtigen Verbände einquartierten, viel schlechter. Ohne jegliche Rücksicht auf fremdes Eigentum entwendeten viele sowjetische Soldaten alles, was ihnen brauchbar erschien. Lebensmittel, Kleidung und Schuhe wurden, ohne auf die Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung zu achten, entwendet. Wie sehr die Plünderungen immer weiter zunahmen, beschrieb z. B. ein Bericht aus der Stadt Schweinitz: „Wir gehen nach vorn in die Stube […]. Ein Russe mit einer dicken Frau tritt ein. Ich erhebe mich nicht aus meinem Sessel, frage nach seinem Begehr. Er reißt mir die goldene Uhr mit Kette weg. Maschinenpistole vor der Brust […]. Nun kommen alle 5 Minuten ein Trupp oder Soldaten allein zur Plünderung. Ob deutsche Soldaten versteckt, ob Schnaps oder Wein, ob Zigarren, Zigaretten vorhanden, war immer der Vorwand. Der Grund war Plünderung. Da wurde alles in Stuben umhergeworfen, und man tat gut, alles so wüst liegen zu lassen, dann sah der nächste Trupp, dass schon geplündert war.“174 Meist unter der Androhung von Gewalt musste die deutsche Zivilbevölkerung den Plünderungen ohnmächtig zusehen: „Alle Kästen wurden herausgerissen, was ihnen nicht passte auf die Erde geworfen und zertreten […]. Bei der Kommode war der oberste Schub verschlossen und ich hatte doch keinen Schlüssel, weil dieser bei dem anderen Schub abgebrochen war. Sie hielten mir das Gewehr vor, dass ich den Schlüssel geben sollte […]. Da habe ich ihnen den Hammer gegeben, und sie haben die Platte abgeschlagen. Natürlich war nichts für sie Brauchbares drin.“175 Weiter wurde im Tagebuch von Elisabeth Moschütz bereits am 25. April 1945 über das Ausmaß der Plünderungen berichtet: „F. ist auch ganz und gar ausgeplündert worden […]. Sein Auto, seine beiden Pferde, Wagen, alles ist weg. Ungefähr 6 Paar Schuhe, seine Frau hat kaum noch welche anzuziehen. H. sind vom Boden bis zum Keller ausgeplündert worden. Herrn H. haben sie die Stiefel von den Füßen gezogen. Bei F. ist alles weg, ebenso bei B. Die Kreisleitung, NSV, viele Privatwohnungen, Frau Sch., Baumgartens Frau K., St., L. und viele, die man noch nicht weiß.“176 Auch das Verstecken von wertvollen Stücken oder aber auch von Lebensmitteln half oft nicht, wie viele Zeitzeugen feststellten. Aus der Stadt Schweinitz wurde z. B. in einem Tagebuch am 16. Juni 1945 beschrieben, wie die Rotarmisten „sämtliche im Garten vergrabene Wäsche und Anzüge mit einem metallenen Suchgerät“ aufspürten und mitnahmen.177 Dass sich die zweite Welle der Rotarmisten weitaus aggressiver benahm, wurde auch in Gröden offensichtlich unterschieden. Ottokar Jakob schrieb: „Dann kam die 2. und 3. Staffel, die Beutejäger und Gewalttätigen, die es auf Frauen, Uhren, Fahrräder abgesehen 174 Gottfried Herrmann, „… Wittenberg brennt …“: 1945 – das Kriegsende in der Lutherstadt Wittenberg, den Städten und Dörfern des Flämings und der Elbaue, Wittenberg 1999, S. 75. 175 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 3. 176 Ebd., S. 4. 177 Gottfried Herrmann, Zusammenbruch 1945 – der Jahr zwischen Krieg und Frieden. Der Zusammenbruch und Neuanfang in der Lutherstadt und im Landkreis Wittenberg im Jahr 1945, Wittenberg 2002, S. 118.

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hatten, die mit Eisenstangen die Gärten durchstocherten, um vergrabene Bodenschätze aufzuspüren, die den Kartoffelkeller umschaufelten, um (wie in ­unserem Fall) einen Holzkoffer mit Uhren, Ringen und bescheidenen Schmuck freizulegen […].“178 Viele Häuser wurden, wie Zeitzeugen aussagten, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen in einem chaotischen Zustand hinterlassen. Die Inneneinrichtungen wurden teilweise völlig zerstört bzw. entwendet. Besonders die Häuser der geflüchteten bzw. von Rotarmisten ausgewiesenen Besitzer wurden ohne Rücksicht ausgeplündert. Der Hirschfelder Pfarrer Regensburger berichtete, als er nach der Ausweisung aus dem Dorf das Pfarrhaus wieder betreten durfte. „Im Pfarrhaus dagegen herrschte ein wüstes Durcheinander. Vieles war einfach aus dem Fenster hinausgeworfen. Die Akten waren zerstreut und zerrissen, und der schwere Geldschrank war vom oberen Stockwerk auf die untere Diele hinausgeworfen worden. Dort hatte man versucht, den Schrank mit Handgranaten zu sprengen […]. Das Pfarrhaus war offensichtlich als Kasino benutzt worden, worauf noch die vielen Stühle und Tische in den Zimmern deuteten. Im Keller war ein wüstes Durcheinander, und alle Flaschen (waren) zerschlagen. Im Garten lagen Tierleichen und waren die Beete zertrampelt und die Zäune niedergebrochen.“179 Was insgesamt in den ersten Tagen des Einmarsches den Menschen der beiden Landkreise an Vermögenswerten verloren ging, war nicht zu beziffern. Viele Personen, so viel lässt sich aber ohne Übertreibung sagen, verloren einen erheblichen Anteil ihrer gesamten beweglichen Habe. Begünstigt wurden die Plünderungen der Rotarmisten zudem durch die ihnen gewährten günstigen Versendungsmöglichkeiten in die Sowjetunion. So konnte jeder einfache Soldat bzw. Unteroffizier der Roten Armee ohne Postgebühren Pakete mit bis zu fünf Kilogramm in die Heimat senden. Den Offizieren war sogar eine Paketsendung von bis zu zehn Kilogramm gewährt. Da sich die Anzahl der Paketverschickungen der Rotarmisten seit dem Einmarsch in Deutschland immer weiter vergrößerte, erweiterte der Beschluss Nr. 7 777 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR (GKO) vom 10. März 1945 nochmals die Postkapazitäten. Bei den einzelnen Fronten der Roten Armee wurden sogar zusätzliche Autokompanien sowie weitere Paketzüge zur schnellen Verschickung der Pakete bereitgestellt.180 Zweifellos spielte bei vielen Rotarmisten der Rachegedanken, der, wie bereits erwähnt, durch die sowjetische Propaganda nochmals beflügelt wurde, wohl auch bei den zahlreichen Plünderungen eine große Rolle. Auch die ungenügende Nachschubsituation weit im feindlichen Deutschland war wohl ein Grund für die zahllosen Plünderungen. Des Weiteren erlebten sehr viele Rotarmisten,

178 Ottokar Jakob, Gnade uns Gott … In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 71. 179 Regensburger, „Aus dem Tagebuch eines Dorfpfarrers“, S. 118. 180 Vgl. Musial, Stalins Beutezug, S. 325–327.

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als sie die deutsche Grenze überschritten, geradezu einen „Kulturschock“, wie es Bogdan Musial wohl treffend beschrieb.181 Dies würde erklären, warum viele Zeitzeugen berichteten, wie verwundert sich Rotarmisten über den Reichtum Deutschlands zeigten.182 Dieser ungewohnte Reichtum, der wohl großen Neid bei vielen sowjetischen Soldaten aufkommen ließ, verführte verständlicherweise viele Rotarmisten zusätzlich zu den maßlosen Plünderungen am Kriegsende. Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen setzten neben den Plünderungen zeitgleich zahllose Vergewaltigungen deutscher Frauen ein. Auch hier bestätigten alle Quellen übereinstimmend, dass dieses Phänomen in allen Teilen des Untersuchungsgebiets vorkam. Rotarmisten begaben sich seit den ersten Tagen der Besatzung sofort auf die Suche nach Frauen. In einer Tagebuchaufzeichnung aus Rothstein vom 24. April 1945 wurde dazu Folgendes erwähnt: „Und dann sahen wir die ersten Russen […]. Nun kamen einige zu uns in die Schenke und verlangten Schnaps. Wir sagten, es sei keiner da. Aber damit gaben sie sich nicht zufrieden […]. Dann hörte ich neue Soldaten kommen. Die kamen herein und kaum, als sie die Mädchen gesehen hatten, gingen sie auf dieselben zu und zerrten sie nach draußen. Einem Mädel, was sich mit Leibeskräften wehrte, hielten sie das Gewehr vor und drohten es zu (er)schießen. Sie musste sich fügen.“183 Wie enorm das Ausmaß der Vergewaltigungen war, zeigte auch ein Tagebuchbericht aus Herzberg vom 25. April 1945, in dem Elisabeth Moschütz mehrere Namen aus ihrem Bekanntenkreis aufzählte, die von Rotarmisten vergewaltigt wurden. Sie schrieb: „Auch an Frauen und Mädchen haben sie sich viel vergriffen. Frau Ch., die Schwägerin von Frau B., die bei Else wohnt, war wohl das erste Opfer. Frau M., R. L., Frau F., ein Mädchen gleich vor allen Leuten bei Klauses im Laden […]. Frl. G. und Frau R. Schwester war(en) auch geschändet worden.“184 Dabei spielte es für viele Rotarmisten oft keine Rolle, wie alt die Frauen waren, wie z. B. der Erinnerungsbericht von Peter Woitera aus Plessa zeigte, in dem die Vergewaltigung seiner Großmutter dargestellt wurde.185 Ebenso erwähnten mehrere Zeitzeugen und Berichte Massenvergewaltigungen, wobei mehreren Soldaten eine Frau missbrauchten.186 Aus Mühlberg wurde in einem Erinnerungsbericht berichtet: „Eine junge Frau wurde von 12 Männern hintereinander vergewaltigt […]. Die Nacht vom 23. zum 24. April 1945 war für die Bewohner

181 Vgl. ebd., S. 325. 182 Vgl. Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 2.5.1945. 183 Maria Muttschal, „Aus dem Tagebuch einer Evakuierten“. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 102. 184 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 4. 185 Vgl. Woitera, Die Russen kommen, S. 112. 186 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Gerhard Schulze vom 12.4.2006; Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14.1.2010. Irmgard Breunig (geb. 1924) erlebte den Einmarsch der Roten Armee in Kosilenzien.

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der Neustadt furchtbar. Dort waren starke russische Truppenteile, und jedes Mädchen und jede Frau, welche in ihre Hände kam, wurde vergewaltigt.“187 Zwar versuchten sich viele Frauen und Mädchen zu verstecken oder verkleideten sich als unattraktive, alte Frauen, doch waren dies meist nur verzweifelte Maßnahmen, um einer Vergewaltigung zu entgehen. In einem Bericht über die ersten Wochen der Besatzung in Gerbisbach wurde z. B. Folgendes beschrieben: „Als die Belästigung des weiblichen Geschlechts durch die Russen überhand nahm und sie nicht mehr sicher vor Gewalttaten und Notzucht waren, hatte ich meine Schwiegertochter und Tochter versteckt. Mehrere Tage und Nächte verbrachten sie in J. Koppelstall, im Garten auf dem Schober und in der Scheune über dem Flur, in der Gesellschaft von A. K., der auch seines Lebens nicht mehr sicher war, weil in seinem Saal, wo der Stoßtrupp gelegen hatte, Infanteriewaffen gefunden worden waren […]. Als sie sich nach einer Woche sicherer fühlten und das Haus betraten, aber keine Gefahr war, suchten sie Schutz beim Nachbarn H. S. Dort wurden sie von einem Russen überrascht, der die Frau des H. S. griff und zur Notzucht zwang. Der Frau K. wurden die Kleider ebenfalls vom Leib gerissen und danach vergewaltigt. Viel, sehr viel ist in dieser Zeit passiert.“188 So versteckten sich die Frauen und Mädchen teils wochenlang vor den Rotarmisten auf Dachböden, in Kellern und Gärten. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass Frauen von einer großen Zahl der sowjetischen Soldaten am Anfang der Besatzungszeit sprichwörtlich als Freiwild betrachtet wurden. Selbst vor den Augen der Kinder wurden deren Mütter vergewaltigt.189 Ebenso groß musste die Verzweiflung der Ehemänner oder Väter gewesen sein, die ihre Frauen oder Töchter nicht vor dem Missbrauch schützen konnten. Noch lange bis in den Sommer 1945 hielten die wahllosen Vergewaltigungen an, bis wieder etwas Ruhe für die Frauen und Mädchen einzog. Eine genaue Statistik über die verübten Vergewaltigungen wird man wohl nie aufstellen können, aufgrund der überall übereinstimmenden Zeitzeugenaussagen bzw. erhaltenen Berichte ist aber davon auszugehen, dass eine sehr große Zahl von Frauen missbraucht wurde. Eine Zeitzeugin bestätigte dies, indem sie sagte, dass es für die Frauen und Mädchen eher die Regel gewesen war, vergewaltigt zu werden, als unbehelligt davongekommen zu sein.190 Ebenso gab der enorme Anstieg der Zahl der Geschlechtskrankheiten eine ungefähre Vorstellung vom Ausmaß der Vergewaltigungen. Im April 1946 wurden z. B. allein im kleinen Städtchen Ortrand insgesamt 65 Personen mit Geschlechtskrankheiten registriert.191 187 Anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1945 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). 188 Herrmann, Zusammenbruch 1945, S. 113. 189 Vgl. Woitera, Die Russen kommen, S. 112; Erinnerungsprotokoll von Richard Krause vom 15.1.2010. 190 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14.1.2010. 191 Bekanntmachung über Geschlechtskranke vom 6.4.1946 (StA Ortrand, Nr. 3120, unpag.).

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Macht man sich den Umfang dieses Phänomens bewusst, so kann man als mögliche Erklärung dafür nicht die lange sexuelle Enthaltsamkeit der Rotarmisten anführen. Anscheinend war es, seitdem die Rote Armee die deutschen Grenzen überschritt, bei einer großen Zahl der sowjetischen Soldaten mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden, deutsche Frauen zu missbrauchen. Diese betrachteten offensichtlich die deutschen Frauen genauso wie die vielen gestohlenen Uhren und Fahrräder als legitime Kriegsbeute der Roten Armee. Letztlich fällt es sehr schwer, die zahlreichen Vergewaltigung rational zu deuten. Ebenso taugt der übermäßige Alkoholkonsum vieler Rotarmisten nicht als alleinige Erklärung für diese Verbrechen.192 Ohne den umfassenden Einblick in russische Quellen, wie z. B. Tagebuchaufzeichnungen oder Briefe von Frontsoldaten, muss eine weitere Deutung einstweilig offenbleiben. Fest steht nur, dass zahllose deutsche Frauen und Mädchen durch die Erlebnisse am Kriegsende ihr Leben lang traumatisiert blieben. Zudem wurden viele Frauen und Mädchen aufgrund der Vergewaltigungen schwanger, sodass viele deutsche Ärzte in der Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee über das Abtreibungsverbot hinwegsahen. Allerdings brachten wohl auch viele Frauen in der Folgezeit ein Kind mit einem biologischen russischen Vater zur Welt. Schätzungen zufolge wurden in Deutschland nach dem Krieg ca. 290 000 Kinder mit russischem Vater geboren.193 Wie viele dies im Untersuchungsgebiet waren, wird wohl nie geklärt werden können. Vergewaltigungen standen auch oftmals im Zusammenhang mit zahlreichen einzelnen Morden, die von Soldaten der Roten Armee verübt wurden. Versuchten z. B. einzelne Personen, Frauen oder Mädchen vor der Vergewaltigung zu schützen, so begaben sich diese in Lebensgefahr. In Maasdorf versuchte beispielsweise der Lehrer Karl Drechsler, zwei Mädchen beizustehen. Ein Augenzeuge berichtete darüber: „Wir spielten im Hof und eilten auf den Lärm hin in den Garten. Dort bot sich uns Kindern eine bedrohliche Situation. Zwei Uniformierte der sowjetischen Armee hielten schussbereit Waffen in der Hand, ihnen gegenüber die beiden Mädels, vor die sich zwei ältere Frauen gestellt hatten […]. Ich vermag nicht zu sagen, wie lang dieser Zustand andauerte, als der Lehrer Karl Drechsler, er hatte trotz aller Aufregung ein Mittagsschläfchen gehalten, im Garten erschien. Die beiden Soldaten nahmen sich des neuen Gegners an, klopften ihm auf die Schulter, redeten auf ihn ein, aber genau wie wir verstand auch Lehrer Drechsler kein Wort Russisch […]. Plötzlich zielte einer der beiden mit der MPi, Schüsse knatterten und der Lehrer fiel nach hinten um. Ich stand entfernt hinter ihm, dachte zunächst, es sei alles ein Spaß, aber Herr Drechsler war tot.“194 Dieser 192 Vgl. ausführlicher zu den Gründen der Vergewaltigungen am Kriegsende: Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 136–148. 193 Knabe, Tag der Befreiung?, S. 56. 194 Jürgen Bartholomäus, Der Tod des Lehrers Karl D. und andere Begebenheiten am Ende des 2. Weltkrieges in Maasdorf. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 100.

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Vorfall ereignete sich erst am 11. Mai 1945, also nach dem offiziellen Kriegsende, was wiederum ein Indiz dafür ist, dass noch Tage und Wochen nach der Ankunft der Roten Armee immer noch Rotarmisten auf der Suche nach Frauen waren.195 Viele weitere Quellen bestätigen dieses Motiv. Im kirchlichen Sterbebuch von Stolzenhain bei Linda wurde z. B. ein Sterbefall mit dem Vermerk „wollte seiner Frau beistehen“ eingetragen.196 Aus der Stadt Schweinitz schrieb ein Lehrer, der viele Morde und Selbstmorde aufzählte, Folgendes: „Frau D. stellte sich vor ihre Tochter Ruth und wurde erschossen.“197 Und auch aus Mühlberg hieß es in einem Erinnerungsbericht: „In den Durchmarschstraßen spielten sich die ersten Schreckensszenen ab. Einwohner wurden erschossen, Frauen und Mädchen vergewaltigt […]. In der Hospitalstraße wurde der alte Fleischer Friedrich Eichhorn erschossen, der Korbmacher Hermann Öhmig durch Bauchschuss verletzt, sodass er am nächsten Tag starb […]. In der Herrenstraße wurde Frau M. und ihre Tochter erschossen, da sie den Russen Widerstand entgegensetzten.“198 Bedenkt man, dass nach dem Kriegsende kaum über Vergewaltigungen gesprochen und geschrieben wurde, so deuteten die erhaltenen Berichte darauf hin, dass Rotarmisten in mehreren Fällen Personen erschossen, die Frauen oder Mädchen vor Vergewaltigungen schützen wollten. Des Weiteren wurden von Zeitzeugen verschiedene andere Motive für die vielen einzelnen Morde an deutschen Zivilisten beschrieben. Am 6. Mai 1945 entdeckten z. B. einige Rotarmisten in dem Haus der Familie G. in Seyda mehrere deutsche Soldaten, die auf ihren Heimweg hier rasteten. Nachdem sie diese entdeckten, wurde die gesamte Familie aus dem Haus gezerrt und jeder einzelne erschossen. Dabei machten die sowjetischen Soldaten keinen Unterschied zwischen dem über 70-jährigen Karl G. und der siebenjährigen Lisa G. Vier Familienmitglieder kamen dabei ums Leben, nur ein Familienmitglied überlebte diese Hinrichtung, da es sich totstellte.199 Nicht nur das Entdecken versprengter deutscher Soldaten konnte lebensgefährlich für deutsche Zivilisten sein, sondern auch das Auffinden von Waffen und Munition. Elisabeth Moschütz schrieb beispielsweise: „Dr. K. ist erschossen worden, weil er sich geweigert hat, die Munition herauszugeben.“200 Ebenso berichtete ein Zeitzeuge, dass in Kosilenzien ein Mann umgebracht wurde, der leichtsinnigerweise seine Jagdwaffe im Wohnzimmer hängen ließ.201 195 196 197 198

Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Bad Liebenwerda 1945. Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Stolzenhain 1945. Herrmann, „… Wittenberg brennt …“, S. 76. Anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1945 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.); Sterbebuch des Standesamtes Mühlberg 1945. 199 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Seyda 1945. Der nachträgliche Eintrag im Kirchenbuch bezog sich auf die Aussage des überlebenden Familienmitglieds. 200 Sterbebuch des Standesamtes Herzberg 1945; Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 4. 201 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Möglenz 1945; Aufzeichnungen von Paul Helemann (1897–1988) in Besitz von Hartmut Peschel aus Kosilenzien.

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Aber auch wenn andere vermeintliche „Nazidevotionalien“ in den Häusern gefunden wurden, hatten die Betroffenen meist arge Probleme, sich zu retten. In Gröden fand z. B. ein Rotarmist den HJ-Dolch von Werner Bartzsch und drohte ihn zu erschießen. „Einer der bei uns einquartierten Russen fand beim Durchwühlen der Schränke meinen HJ-Dolch. Wild schreiend zeigte er auf das eingestanzte Hakenkreuz und beschimpfte mich als Faschisten. Er zog eine Pistole und hielt sie mir an den Kopf. Als dies meine Mutter sah, fiel sie dem Russen zu Füßen und bat um mein Leben. Der Russe stieß mich dann kräftig weg und verließ schreiend den Raum.“202 Zahllose dieser Tragödien spielten sich überall im Untersuchungsgebiet zum Kriegsende ab. So wurden insgesamt bis zum 1. September 1945 in den standesamtlichen und kirchlichen Sterbebüchern 207 deutsche Zivilisten mit der Todesursache „von Russen erschossen“ bzw. „von der Roten Armee erschossen“ registriert.203 In den standesamtlichen Sterbebüchern Falkenberg und Grassau wurden die Vermerke zur Todesursache „von Russen erschossen“ später geschwärzt, da diese wohl die propagierte deutsch-sowjetische Freundschaft gestört hätten.204 Des Weiteren gaben viele Standesbeamte die Todesursache „erschossen“ bzw. in selteneren Fällen „erschlagen“ an. Unter dieser Ursache wurden in den beiden Landkreisen nochmals 249 Zivilpersonen aufgelistet.205 Da die Standesbeamten immer Selbstmorde vermerkten, ist unter der Angabe „erschossen“ ebenso oftmals ein gewaltsamer Tod durch Soldaten der Roten Armee zu vermuten. Für die Standesbeamten war es zu diesem Zeitpunkt wohl oft eine Selbstverständlichkeit, wer geschossen hatte. Befragt man Zeitzeugen, so bestätigen sie in vielen Fällen, dass es sich hierbei um Opfer der Roten Armee handelte. Keine Todesursache wurde bei 42 Personen angegeben.206 Hierbei handelte es sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso um unnatürliche Todesfälle, da diese Personen in den ersten Tagen des Einmarsches starben. Ob es sich dabei um Opfer der Roten Armee handelte oder um Selbstmordopfer, konnte aber nicht sicher geklärt werden. Zu erwähnen bleibt, dass es sich zum großen Teil bei den in den Sterbebüchern eingetragen Personen meist nur um einheimische Personen handelte, die den Standesbeamten bekannt waren. Tote Flüchtlinge oder Vertriebene wurden unmittelbar nach Kriegsende kaum in die Sterbebücher aufgenommen. Berücksichtigt man dies, so wird die Zahl der

202 Erinnerungsprotokoll von Werner Bartzsch vom 10.1.2008. 203 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. In den kirchlichen Sterbebüchern von Bockwitz, Elsterwerda, Hirschfeld, Hohenbucko, Kosilenzien, Lebusa, Mückenberg, Mügeln, Schlieben, Schweinitz und Seyda fanden sich ergänzende Informationen zu den in den standesamtlichen Sterbebüchern aufgeführten Todesursachen. Bei dieser Auflistung wurden die Toten aus Plessa sowie aus Oehna mitgezählt. 204 Vgl. Sterbebücher der Standesämter Falkenberg/Elster und Grassau 1945. 205 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. Bei dieser Auflistung wurden die Toten aus Hohenleipisch mitgezählt. 206 Ebd.

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durch Soldaten der Roten Armee getöteten Zivilisten im Untersuchungsgebiet wohl nochmals größer. Bei den in den Sterbebüchern eingetragenen Toten, die die Todesursache „von Russen erschossen“ oder „erschossen“ aufwiesen, handelte es sich nur in den wenigsten Fällen um Kriegsopfer, die in Kampfhandlungen zwischen deutschen und sowjetischen Truppen umkamen. Da durch den schnellen Rückzug der deutschen Truppen über die Elbe nur vereinzelt im Untersuchungsgebiet gekämpft wurde, war dies weitestgehend auszuschließen. Von den 456 verzeichneten Opfern kamen zudem nur ca. 39 Prozent am ersten Tag des Einmarsches der Roten Armee ums Leben.207 Ebenso konnte man an der örtlichen Verteilung der Opfer keine Kampfschwerpunkte erkennen, in denen mehrere Zivilisten starben. Klammert man die Region rund um Plessa aus, wo sehr viele Zivilisten der sowjetischen Partisanenbekämpfung zum Opfer fielen, so verteilen sich die anderen Toten recht gleichmäßig über das Untersuchungsgebiet. In nahezu jedem Standesamtsbezirk gab es Eintragungen mit den Bemerkungen „von Russen erschossen“ bzw. „erschossen.“208 Vieles spricht dafür, dass es sich bei nahezu allen aufgelisteten Sterbefällen mit diesen Vermerken um willkürliche Übergriffe von Soldaten der Roten Armee handelte. Schaut man sich zudem die soziale Zugehörigkeit aller getöteten Personen im Untersuchungsgebiet etwas näher an, so stellte man fest, dass es sich hierbei um Personen aus allen Schichten der Gesellschaft handelte. So befanden sich unter den Opfern z. B. nur zwei Bürgermeister und zwei NSDAP-Ortsgruppenleiter.209 Nur unter den großen Gutsbesitzern gab es auffällig mehr Todesopfer in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In Lebusa wurde beispielsweise, wie im kirchlichen Sterbebuch erwähnt, der Rittergutsbesitzer Dr. William Brettschneider am 28. April 1945 „auf Anordnung des russischen Kommandanten erschossen“.210 Da sich Dr. Brettschneider, der das größte Gut im Kreis Schweinitz bewirtschaftete, während des Einmarsches der Roten Armee lange Zeit in der gutseigenen Schäferei versteckte, schien er keinen Widerstand geleistet zu

207 Ebd. 208 Vgl. ebd. Nur in den kleinen Standesamtsbezirken Grünewalde, Gorden, Gadegast, Klöden, Waltersdorf, Kolochau, Stechau, Hemsendorf und Rade wurden keine dieser Todesursachen verzeichnet. 209 Am 23.4.1945, als erste sowjetische Soldaten Mühlberg erreichten, wurde die beiden Brüder Hermann und Willy Friese, die das Amt des Mühlberger Bürgermeisters und des NSDAP-Ortsgruppenleiters bekleideten, in den Nachmittagsstunden gemeinsam erschossen. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Mühlberg 1945; anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1947 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). Gleichfalls wurde der Ortsgruppenleiter von Großthiemig, Richard Behnisch, der allerdings nur die Vertretung für den zur Front eingezogenen Ortsgruppenleiter Wilhelm Kirsche ausübte, von Rotarmisten ermordet. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Großthiemig 1945. Im Weiteren konnte nur in dem kleinen Dorf, Großkorga bei Schweinitz, ein weiterer Mord an einem Bürgermeister nachgewiesen werden. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Schweinitz 1945. 210 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Lebusa 1945.

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haben.211 Scheinbar wollte sich der örtliche Kommandant, nachdem man Dr. Brettschneider aufspürte, einer lokalen Führungsfigur entledigen. Etwas anders geartet waren hingegen die Todesumstände anderer großer Gutsbesitzer. Der ehemalige Reichstagsabgeordnete Emil Hemeter in Gentha wurde am 22. April 1945 ebenso auf seinem Gut von Rotarmisten erschossen.212 Ausschlaggebend waren dabei wohl die Aussagen mehrerer auf seinem Gut beschäftigter Kriegsgefangener gegen ihn.213 Ein ähnlicher Grund lag wohl auch bei der Ermordung des Gutsverwalters Paul Weidenbach in Naundorf bei Zahna vor. Weidenbach, der für den im Dezember 1944 verstorbenen Baron von Helldorf das Gut bewirtschaftete, wurde am 22. April 1945 von Rot­ armisten durchs Dorf getrieben und ermordet.214 Auch der Gutspächter des staatlichen Domäne Borschütz im Kreis Liebenwerda, Heinrich Lücke, fiel den ersten sowjetischen Übergriffen zum Opfer. Wie in einem Erinnerungsbericht festgehalten, wurde Lücke vom Gut „weggeschleppt und in Neu-Burxdorf erschossen“.215 Besonders die großen Gutsbesitzer, die ohnehin nicht in das kommunistische Weltbild vieler Rotarmisten passten, waren am Kriegsende besonders den willkürlichen Übergriffen ausgesetzt.216 In mehreren Fällen genügte es wohl, dass befreite ausländische Zwangsarbeiter, die auf den Gütern arbeiteten, gegen ihre ehemaligen Arbeitgeber aussagten, damit diese um ihr Leben fürchten mussten. Da es sich bei allen in den Sterbebüchern aufgelisteten Fällen um Personen aus der gesamten Gesellschaft handelte, war eine klassenspezifische Tötungsabsicht durch die sowjetischen Soldaten unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee aber nicht zu erkennen. Eine systematische Ermordung, z. B. von Bürgermeistern, Gutsherren oder einflussreichen NSDAP-Mitgliedern, konnte im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Dies ließ erneut den Schluss zu, dass es sich bei nahezu allen diesen Taten um spontane, willkürliche Maßnahmen handelte. Auf Befehl wurde dabei wohl nur in den seltensten Fällen gehandelt. Dennoch ordnete der NKWD-Befehl Nr. 00315 vom 18. April 1945 u. a. an, dass „Personen, die nachweislich terroristische und Diversionshandlungen begangen haben“ von den NKWD-Truppen „an Ort und Stelle zu liquidieren“ 211 Vgl. Aussage von Donata Brettschneider vom 12.3.2011. Donata Brettschneider (geb. 1946) ist die Enkelin von Dr. William Brettschneider. Frau Brettschneider bezog sich auf die Aussagen des damaligen Lebusaer Pfarrers Johannes Ans. 212 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Gentha 1945. 213 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Erich Letz vom 10.1.2010. 214 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Seehausen 1945; Erinnerungsprotokoll von Erhard Schlütter vom 3.9.2009. 215 Anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1947 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). 216 Des Weiteren wurden neben den aufgelisteten Fällen auch die Gutsbesitzer Theodor Apel in Koßdorf und Alfred Henny aus Dixförda erschossen. Über die Umstände deren Erschießung ist allerdings nichts bekannt. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Koßdorf 1945; Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Schweinitz 1945.

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seien.217 Inwieweit dieser Befehl im Untersuchungsgebiet vollzogen wurde, konnte aber ohne Quellenmaterial der NKWD-Truppen nicht restlos geklärt werden. Es deutete aber einiges darauf hin, dass Truppen des sowjetischen Geheimdienstes auch im Untersuchungsgebiet schnelle Todesurteile vollstreckten. Der Herzberger Druckereibesitzer Günther Schirrmeister, der bereits am 2. Mai 1945 in Haft genommen und von „Smersch“-Truppen in Richtung Prag mitgeführt wurde, schrieb in seinem Tagebuch am 6. Mai 1945 aus einem Stall in Wainsdorf (Kreis Liebenwerda): „Im anderen Stall sind nachts noch andere eingeliefert. Erzählen, dass nachts zwei Ukrainer aus ihrem Stall geholt worden seien und wahrscheinlich erschossen wurden.“218 Die im 5. Abschnitt dieser Arbeit noch folgende Analyse über die Arbeit der sowjetischen Geheimdienstarbeit im Untersuchungsgebiet konnte allerdings nicht nachweisen, dass kurz nach Kriegsende verhaftete Deutsche aus den beiden Landkreises Liebenwerda und Schweinitz unmittelbar auf der Grundlage dieses Befehls getötet wurden. Diese wurden hingegen nach der Errichtung der NKWD-Speziallager in diese eingewiesen. Ob letztlich der NKWD-Befehl Nr. 00315 bei der vermeintlichen Partisanenbekämpfung rund um Plessa eine Rolle spielte, war ebenso nicht zu klären. Dass für die große Mehrzahl der Übergriffe an der deutschen Zivilbevölkerung keine Befehlsgrundlage vorhanden war, verdeutlicht auch das Verhalten vieler sowjetischer Offiziere. Wenn in einem Haus Offiziere untergebracht waren, nahmen meist die Übergriffe sofort ab. Helene Papart schrieb z. B. am 26. April 1945: „Wir erleben die erste ganz ruhige Nacht. Die im Hause vorhandenen Offiziere sind wohl die Ursache. Man hört sonst im Dorfe von Plünderungen und Vergewaltigungen.“219 In der Tat bemühten sich, wie es schien, große Teile der höheren Offiziere um eine gewisse militärische Ordnung und griffen sogar vereinzelt hart durch. Angesichts des Umfangs der Übergriffe war ein Eingreifen der Offiziere allerdings nicht die Regel. Da sich viele Soldaten der Roten Armee seit der Überquerung der deutschen Grenze an die zweifellos geduldeten Übergriffe gegen die deutschen Bevölkerung gewöhnten, war es für die Offiziere schwer, die militärische Ordnung herzustellen. Letztlich kann man aufgrund der beschriebenen Übergriffe feststellen, dass die Direktive Stalins vom 20. April 1945 in Bezug auf die Schonung der Zivilbevölkerung bis zum Kriegsende keine große Wirkung mehr entfaltete. Macht man sich bewusst, dass viele sowjetischen Soldaten nahezu ein halbes Jahr plündernd, vergewaltigend und auch mordend durch Deutschland zogen,

217 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Sergej Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950. Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Band 2, Berlin 1998, S. 178–180. 218 Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 in Besitz von Dr. Karl Günther Schirrmeister, Bonn. 219 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 26.4.1945.

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so ist klar, dass eine derartig abgestumpfte Truppe mit einem einfachen Befehl nicht zur gemäßigten Besatzungsarmee umgebaut werden konnte. Doch änderte auch das Bemühen der späteren Kommandanturen, die militärische Disziplin wiederherzustellen, nichts daran, dass weite Teile der Bevölkerung, aufgrund einer tiefen Traumatisierung in den ersten Tagen und Wochen des Einmarsches, die sowjetische Besatzungsmacht nie akzeptierte.

5.

Der Abzug der befreiten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter

Um die Übergriffe der ehemaligen Zwangsarbeiter an der deutschen Zivilbevölkerung nach ihrer Befreiung nachvollziehen zu können, muss man zunächst auf die rechtlichen Hintergründe des Einsatzes von ausländischen Arbeitskräften während des Kriegs in Deutschland eingehen. Die sogenannten fremdvölkischen Zivilarbeiter, die zum Teil freiwillig nach Deutschland kamen, zum großen Teil aber dienstverpflichtet wurden, standen in einem Arbeitsverhältnis, welches dem der deutschen Arbeitnehmer im Prinzip sehr ähnlich war. Allerdings wichen die Arbeitsverhältnisse, je nach Volkszugehörigkeit der ausländischen Arbeitnehmer, zu Ungunsten für diese von den Arbeitsverhältnissen der deutschen Arbeitnehmer ab. Bis 1942 bildeten sich sechs Gruppen von ausländischen Zivilarbeitern heraus. Rechtlich am besten gestellt waren die Zivilarbeiter aus den verbündeten oder neutralen Staaten. Eine weitere Gruppe bildeten die Ausländer aus den besetzten westlichen und nördlichen Staaten, die rechtlich nahezu der ersten Gruppe gleichgestellt waren. Diese beiden Gruppen bekamen z. B. zumindest auf dem Papier die gleichen Lebensmittelrationen wie die Deutschen. An dritter Stelle stand die Gruppe der Balten sowie der „Nichtpolen“ aus dem Generalgouvernement und dem Bezirk Białystok. Die Polen und die sogenannten Ostarbeiter aus der Sowjetunion bildeten die vierte und fünfte Gruppe. An letzter Stelle dieser menschenverachtenden Hierarchie standen schließlich die Juden, Sinti und Roma, die allerdings spätestens seit 1941 nahezu ausschließlich der geplanten Vernichtung unterworfen waren.220 Auch die Kriegsgefangenen wurden in Deutschland unterschiedlich behandelt. Genossen die amerikanischen und britischen Gefangenen weitestgehend den Schutz der Genfer Konvention, so galt dieser für die französischen Gefangenen nur noch eingeschränkt. Den sowjetischen Kriegsgefangenen, die zum Teil bereits nach ihrer Gefangennahme am Anfang des Ostfeldzugs dem ­Hungertod überlassen wurden, den polnischen, jugoslawischen, darunter besonders den serbischen sowie den italienischen Kriegsgefangenen wurde dagegen fast gar kein Schutz gewährt.

220 Vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939– 1945, Stuttgart 2001, S. 90–92.

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Sehr harte Einschränkungen trafen die Ostarbeiter.221 Vor allem diese Gruppe bekam nur ein Mindestmaß der Lebensmittel zugeteilt, von denen deutsche Arbeitskräfte leben mussten. Besonders in der Industrie litten viele Ostarbeiter großen Hunger. In der Braunkohleindustrie, in der im Kreis Liebenwerda viele Kriegsgefangene und Zivilarbeiter eingesetzt waren, erhielten beispielsweise sowjetische Kriegsgefangene nur 250 bis 400 Gramm Fleisch und 2 100 bis 2 700 Gramm Brot in der Woche. Im Gegensatz versorgte man die besser gestellten französischen Kriegsgefangenen wöchentlich mit 800 Gramm Fleisch und 5 900 Gramm Brot.222 Bei Verstößen ausländischer Arbeitskräfte gegen die rechtlichen Bestimmungen waren die Treuhändler der Arbeit durch den Reichsarbeitsminister angewiesen, keine Strafanträge zu stellen, sondern das Eingreifen der Staatspolizei zu erbitten. Handelte es sich nur um einen leichten Verstoß, so wurden die Betroffen oft an ihren Arbeitsplatz zurückgebracht. Handelte es sich aber um schwere Fälle, z. B. „Bummelei“, wurden die Betroffenen unter Umgehung der normalen Justiz in Arbeitserziehungslager zu schwerer Arbeit bzw. unter Umständen in Konzentrationslager eingewiesen.223 Auch im Untersuchungsgebiet konnten mehrere Fälle nachgewiesen werden, in denen die Gestapo Verhaftungen unter ausländischen Arbeitern vornahm. Laut einer nach dem Krieg angefertigten Statistik über den Verbleib der ausländischen Arbeitskräfte im größten Unternehmen des Kreises Liebenwerda, der Bubiag in Mückenberg, wurden z. B. insgesamt 32 Arbeiter, vor allem Polen und Ukrainer, von der Gestapo in Torgau bzw. in Halle (Saale) verhaftet.224 Über deren weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Ebenso ging die Gestapo im größten Unternehmen des Kreises Schweinitz vor. In der Herzberger Armaturenfabrik Marx & Moschütz wurden Anfang 1944 insgesamt 13 russische bzw. ukrainische Arbeiter von der Gestapo verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Revolte geplant zu haben. Der Betriebsführer Wilhelm Marx schrieb über deren Verbleib später: „Die Aburteilung derselben fand in Halle statt und endete

221 Vgl. ebd., S. 38. 222 Thomas Urban, Zwangsarbeit im Tagebau. Der Einsatz von Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern im mitteldeutschen Braunkohletagebau 1939–1945, Essen 2006, S. 299. 223 Vgl. Diemunt Majer, „Fremdvölkische“ im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard am Rhein 1981, S. 206, 261. 224 Nachweisungen über die bei der Bubiag beschäftigten Belgier, Dänen, Franzosen, Litauer, Polen, Russen (UdSSR) und Ukrainer in der Zeit von 1939 bis 1945 vom 17.1.1946 (ITS Bad Arolsen, Doku. Nr. 70979513#1 bis 70979558#1). Während des Kriegs waren aus diesen Nationen insgesamt 1 276 Personen bei der Bubiag in Mückenberg beschäftigt. Die größte Gruppe bildeten die Polen mit 496 Beschäftigten. Verhaftet wurden in dieser Zeit 13 Polen, 13 Ukrainer, 5 Franzosen und 1 Däne.

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damit, dass zehn oder elf dieser Verschwörer durch den Strang hingerichtet worden sind.“225 Die genaue Zahl der während des Kriegs im Untersuchungsgebiet eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte ist nicht mehr rekonstruierbar. Die eingesetzten ausländischen Arbeiter bildeten aber nur einen Bruchteil derjenigen, die die Region später auf deren Heimreise durchquerten. Eine Kommission zur Prüfung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreises Liebenwerda stellte z. B. am 27. Januar 1946 fest, dass „annähernd 200 000 Ostarbeiter und Kriegsgefangene“ durch den Kreis zurückbefördert wurden.226 Grundsätzlich war von der sowjetischen Führung vorgesehen, dass alle ausländischen Zwangsarbeiter nach ihrer Befreiung in sogenannten Sammel- und Weiterleitungslager, die u. a. auch in Mühlberg und Elsterwerda entstanden, überprüft werden sollten. Den sowjetischen Truppen war es allerdings nach ihrem Einmarsch allein aufgrund der enormen Anzahl der ausländischen Arbeitskräfte kaum möglich alle, diese zu erfassen und schließlich geordnet in ihre Heimat zurückzuführen. So verließen viele Ausländer in der Anfangszeit der Besatzung sofort ihren Aufenthaltsort und versuchten sich auf eigene Verantwortung in Richtung Heimat durchzuschlagen. Dabei bewegten sich die ausländischen Arbeitskräfte besonders in den ersten Tagen und Wochen der Besetzung, losgelöst von aller deutschen Bevormundung, in einem rechtsfreien Raum. Die Rote Armee zeigte, besonders in den ersten Tagen des Einmarsches bis zum offiziellen Kriegsende, wenig Interesse daran, den befreiten Ausländern Einschränkungen aufzuerlegen. Erst ab Mitte Mai 1945, als die Sammel- und Weiterführungslager in Mühlberg und Elsterwerda entstanden und man langsam begann die Ausländer zurückzuführen, ordneten sich die Verhältnisse allmählich. Dennoch ergab sich für die zahlreichen befreiten, ausländischen Arbeiter am Kriegsende genügend Raum, um sich z. B. an den Deutschen zu rächen oder an den ehemaligen Arbeitgebern zu bereichern. Mehrere Berichte, aber auch Zeitzeugenaussagen bestätigen, dass es auch in Ortschaften des Untersuchungsgebiets nach der Befreiung der Zwangsarbeiter zu Übergriffen an der deutschen Zivilbevölkerung kam. Das wohl größte Verbrechen an dem sich eine ausländische Arbeitskraft im Untersuchungsgebiet beteiligte, ereignete sich im kleinen, damals etwa 100 Einwohner großen Freywalde im nördlichen Kreis Schweinitz. Die Rote Armee erreichte das Dorf am 21. April 1945 ohne auf Widerstand zu treffen. Liesbeth Poser aus ­Freywalde ­beschrieb die damaligen Ereignisse wie folgt: „Alle im Ort verbliebenen Einwohner versammelten sich im Keller des Gutshauses, als die Russen kamen. Die Russen taten uns in der ersten Nacht nichts.“227 225 Wilhelm Marx an die Provinzialverwaltung vom 14.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 92). 226 Bericht der Kommission zur Prüfung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Kreise Liebenwerda vom 27.11946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 100). 227 Erinnerungsprotokoll von Liesbeth Poser vom 4.1.2010. Liesbeth Poser (geb. 1916) befand sich im Keller des Gutshauses und wurden darin Zeugin des folgenden Verbrechens. Der Schwiegervater von Liesbeth Poser wurde dabei ermordet.

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Einen Tag später beschaffte sich jedoch ein serbischer Kriegsgefangener, wahrscheinlich von den durchmarschierenden Truppen der Roten Armee, eine Waffe und ging in den Keller des Gutshauses. „Dann kam der Serbe in den Keller und führte die Männer einer nach dem anderen heraus. Ich höre meinen Schwiegervater noch sagen – bleibt ruhig, Ordnung muss eben sein. Nachdem der Serbe die Männer einen nach dem anderen herausführte, hat er sie dann alle einzeln erschossen. Vermutlich sind noch welche weggelaufen, weil sie lagen nicht alle an der gleichen Stelle.“228 Eine andere Zeitzeugin bestätigte dies: „Johann, so glaube ich, war sein Name. Er führte alle Männer im Keller raus und erschoss sie. Die anderen Ausländer sagten uns danach, dass sie noch versucht haben, ihn abzuhalten, doch er hatte doch die Waffe.“229 Der serbische Zwangsarbeiter erschoss an diesem Tag insgesamt sieben Männer aus Freywalde, die daraufhin am Kriegerdenkmal des Dorfs bestattet wurden.230 Ebenso rächten sich in Bockwitz und Mückenberg mehrere ehemalige Zwangsarbeiter für ihre schlechte Behandlung in der örtlichen Industrie. Kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee machten sie mehrere deutsche Lageraufseher, darunter auch den Lagerführer, ausfindig und ermordeten sie. Wie im standesamtlichen bzw. kirchlichen Sterbebuch der beiden Orte festgehalten wurde, wurden vier Aufseher von Polen und Italienern ermordet.231 Da die ausländischen Zwangsarbeiter aber kaum Waffen besaßen, schwärzten sie oftmals ihre deutschen Arbeitgeber, die sie schlecht behandelt hatten, bei den Soldaten der eintreffenden Roten Armee an, die diese dann in mehreren Fällen kurzerhand umbrachten. Aus Kosilenzien berichteten Zeitzeugen beispielsweise, dass ausländische Arbeiter mit Rotarmisten durch das Dorf fuhren und auf die Häuser der Bauern zeigten, die die Ausländer schlecht behandelt hatten. Die Rotarmisten drangen daraufhin in die Häuser der genannten Bauern ein, schleppte diese auf die Straße und erschossen sie an Ort und Stelle. Im standesamtlichen Sterbebuch wurden in diesem Bezug in Kosilenzien fünf Personen mit dem Vermerk „von Russen erschossen“ aufgeführt.232 Eine Aussage vor der Gemeindebodenkommission in Großkmehlen scheint ebenso einen solchen Zusammenhang zu Verbrechen von Soldaten der Roten Armee zu bestätigen: „Ich war Schwester des Roten Kreuzes. In der Nacht vom 7. auf den 8. März 1945 kam ungefähr um 1 Uhr nachts die polnische Arbeiterin

228 Ebd. 229 Erinnerungsprotokoll von Helga Wachsmann vom 4.1.2010. Helga Wachsmann (geb. 1932) befand sich ebenfalls im Keller des Gutshauses und wurden darin Zeugin des Verbrechens. Der Vater von Helga Wachsmann kam dabei ums Leben. 230 Sterbebuch des Standesamtes Schönewalde 1945. 231 Sterbebücher der Standesämter Bockwitz und Mückenberg 1945; Sterbebücher der evangelischen Kirchengemeinde Bockwitz und Mückenberg 1945. 232 Sterbebuch des Standesamtes Möglenz 1945; Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Kosilenzien 1945; Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14.1.2010; Aufzeichnungen von Paul Helemann (1897–1988) in Besitz von Hartmut Peschel aus Kosilenzien.

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G. P. zu mir in die Wohnung. Ich wusste, dass das Mädchen bei dem Landwirt R. R. in Großkmehlen beschäftigt war. Die P. stand vor der Entbindung. Sie war, als die Wehen einsetzten, von Bäuerin F. R. aus dem Hause gewiesen worden mit den Worten: Gehe nur und hocke bei deinem Franzosen. Der Franzose war der Vater des Kindes und wohnte bei mir […]. Der Landwirt R. R. wurde dann, als die Rote Armee kam, auf die Anzeige des Franzosen Francis Poree erschossen.“233 Wie bereits erwähnt, wurden wohl auch mehrere Guts-, aber auch Betriebsbesitzer aufgrund von Aussagen der befreiten Zwangsarbeiter umgebracht. In Ortrand stellte die Stadtverwaltung z. B. fest, dass der Eigentümer des Säge- und Hobelwerks, Karl Schrödter, von Soldaten der Roten Armee erschossen wurde. „Es ist hier bekannt, dass er seine Kriegsgefangenen nicht gut behandelt hat, ein rigoroser Betriebsführer war und aus diesem Grund von Soldaten der Roten Armee auf Anlass von Aussagen der Kriegsgefangenen erschossen wurde.“234 Neben dem Rachemotiv lassen mehrere Quellen auch darauf schließen, dass befreite Zwangsarbeiter bei Diebstählen und Plünderungen einzelne Gewaltverbrechen verübten. So zogen in der Anfangszeit ganze Gruppen von befreiten Zwangsarbeitern durch das Untersuchungsgebiet in Richtung Osten, wobei sie kaum Rücksicht auf das Eigentum der deutschen Zivilbevölkerung nahmen. Im Kreis Liebenwerda machte eine Kommission zur Überprüfung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse den Durchzug der vielen rückwandernden ehemaligen Ostarbeiter sogar für die enormen Ernteausfälle verantwortlich.235 Dabei war offensichtlich, dass die rückwandernden ehemaligen Zwangsarbeiter aufgrund der nur schleppend in Gang kommenden Rückführungsbemühungen der sowjetischen Besatzungsmacht nahezu zwangsläufig auf Felddiebstähle angewiesen waren. Dennoch gibt es auch viele Berichte, wonach ganze Gruppen von Zwangsarbeitern sich an der deutschen Bevölkerung rücksichtslos bereicherten. In nahezu allen Erlebnisberichten und Tagebuchauszeichnungen wurden Plünderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern beschrieben. Aus Herzberg wurde z. B. am 21. Mai 1945 berichtet: „Gestern Nachmittag von 2 bis 9 Uhr sind in ununterbrochener Reihenfolge Polen und Russen mit allen möglichen Fahrzeugen, Handwagen, Schubkarren hochbepackt vorbeigekommen. Heute Morgen, von 6 Uhr an ging es weiter. Was mag da wieder auf den Dörfern geplündert worden sein! Femerswalde ist gestern ganz ­ausgeplündert worden.“236 Auch Helene Parpart schrieb in ihrem Tagebuch

233 Aussage von G. Sch. über F. R. vor der Gemeindebodenkommission Großkmehlen vom 23.6.1946 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I Großkmehlen, unpag.); Sterbebuch des Standesamtes Kmehlen 1945. 234 Schreiben an die Kreisverwaltung zur Beschlagnahme und Enteignung von industriellen und handwerklichen Betrieben vom 7.9.1945 (StA Ortrand, Nr. 708, unpag.). 235 Vgl. Bericht der Kommission zur Prüfung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Kreise Liebenwerda vom 27.1.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 100). 236 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 11.

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am 26. April 1945: „Neundorf (bei Seyda) ist von polnischen Zivilarbeitern, denen man einige Dörfer freigegeben hat, vollständig geplündert.“237 Die befreiten Zwangsarbeiter versorgten sich vor allem mit Transportmitteln, um das erbeutete Gut in ihre Heimat zu transportieren. Aus Schweinitz wurde in einem Tagebuch am 5. Juni 1945 Folgendes dazu ausgesagt: „Viele polnische Zivilisten kommen auf den Wegen nach ihrer Heimat durch Schweinitz. Es sind ehemalige Zwangsarbeiter, die mit Sack und Pack daherkommen. Den Leuten nehmen sie die Wagen und vor allem die Handwagen ab, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Selbst Kinderwagen werden Müttern weggenommen.“238 Ähnliches wurde auch aus Gerbisbach berichtet: „Am 28. April kamen große Kolonnen ehemaliger Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener aus den westlichen Ländern, die Hausgerät und Fahrräder mit sich führten sowie große und kleine Handwagen, Kutschwagen und Traktoren organisiert hatten. Bei den Traktoren waren zwei bis drei Hänger angehängt, die alle voll beladen waren […].“239 Die deutsche Bevölkerung war also nicht nur sehr stark von den Plünderungen der sowjetischen Soldaten betroffen, sondern eben auch von durchziehenden befreiten Zwangsarbeitern. Wie der Hirschfelder Pfarrer Regensburger feststellte, nahmen die Plünderungen und Diebstähle erst wesentlich ab, „nachdem der größte Teil der Fremdarbeiter in ihre Heimat transportiert war“.240 In einzelnen Fällen gingen die plündernden Gruppen der befreiten Zwangsarbeiter dabei äußerst brutal vor. In Gröden wurde beispielsweise der Landjäger i. R. Richard Zinsow, der mehrere Polen von den Plünderungen abbringen wollte, am 30. Juni 1945 erschossen.241 In den Sterbebüchern der Region gab es noch mehrere andere Eintragungen, aus denen auf Morde, die in Zusammenhang mit Plünderungen verübt wurden, geschlossen werden kann. Im Buckauer Kirchenbuch wurde z. B. über einen Tod eines jungen Rahnisdorfer Bauern am 21. Mai 1945 vermerkt, „von Polen erschossen, wollte sein Pferd nicht geben“.242 Und auch im Elsterwerdaer kirchlichen Sterbebuch wurde noch am 21. August 1945 ein Todesfall mit dem Vermerk eingetragen „von Polen erschlagen und ausgeraubt“.243 Insgesamt wurden, nach den Sterbebüchern der Standesämter und evangelischen Kirchgemeinden, 27 Personen im Untersuchungsgebiet von ehemaligen Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen getötet.244 Dabei fällt auf, dass vor al-

237 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 26.4.1945; Erinnerungsprotokoll von Erhard Schlütter vom 3.9.2009. 238 Herrmann, Zusammenbruch 1945, S. 117. 239 Ebd., S. 114. 240 Regensburger, „Aus dem Tagebuch eines Dorfpfarrers“, S. 118. 241 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Gröden 1945. 242 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Burkau 1945. 243 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Elsterwerda 1945. 244 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. In den kirchlichen Sterbebüchern von Buckau, Bockwitz, Elsterwerda, Gröden, Mügeln und Mückenberg

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lem die Ausländer, die am meisten unter dem nationalsozialistischen Arbeitszwang zu leiden hatten, Polen, Russen, Serben und Italiener, diese Taten verübten. Französischen, englischen oder gar amerikanischen Kriegsgefangenen konnte man hingegen im Untersuchungsgebiet keine direkten Morde nachweisen. So scheint es durchaus einen Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Ausländergruppen und den Übergriffen nach dem Krieg gegeben zu haben. Eine Tagebuchaufzeichnung aus Jessen scheint das zu belegen: „Während der gesamten Zeit fanden immer wieder Plünderungen statt, an denen sich auch die freigekommenen Ostarbeiter, es handelte sich um Ukrainer und Polen, beteiligten. Auch Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Es wird berichtet, dass die freigekommenen holländischen und französischen Kriegsgefangenen sich anständig und höflich benahmen.“245 Vergegenwärtigt man sich allerdings die enorme Anzahl der durch das Untersuchungsgebiet geschleusten ehemaligen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, so wird dadurch auch deutlich, dass nur ein Bruchteil davon mit großem kriminellen Ehrgeiz die deutsche Bevölkerung verunsicherte. Auf der anderen Seite existierten aber auch mehrere Berichte, dass Zwangsarbeiter einzelne Deutsche oder sogar ganze Ortschaften vor der Willkür der Roten Armee schützten. Im Tagebuch der Helene Parpart aus Oehna wurde z. B. erwähnt, wie ihr Ehemann „durch die Fürsprache des Polen“ freigelassen wurde.246 Ähnliches schrieb Elisabeth Moschütz am 8. Mai 1945: „E. L. war auf einen Sprung hier. In Friedersdorf ist auch mächtig geplündert worden. L. ist auch schon gegen die Wand gestellt worden, aber durch die Aussage der Polen, dass er gut gewesen ist, nicht erschossen worden.“247 Ein gleichartiges gewaltsames Verhalten der befreiten ausländischen Arbeitskräfte ließ sich also am Ende des Kriegs nicht feststellen. Hauptsächlich waren wohl immer die individuellen Erfahrungen der Zwangsarbeiter während ihres Arbeitseinsatzes ausschlaggebend dafür, wie sie sich nach ihrer Befreiung verhielten. Der aufgestaute Frust über die ungleiche, teils menschenunwürdige Behandlung an den deutschen Arbeitsstellen, aber auch der nachlässige Umgang der sowjetischen Besatzungsmacht mit den befreiten Zwangsarbeitern in der ersten Zeit der Besatzung waren wohl die Hauptursache für die vielen Übergriffe. Trotz allem Verständnis, was man im Nachhinein für die ausgebeuteten ausländischen Arbeitskräfte aufbringen kann, muss man aber feststellen, dass die deutsche Zivilbevölkerung erheblich unter den plündernden ehemaligen Zwangsarbeitern zu leiden hatte. Dadurch verstärkte sich bei der deutschen Bevölkerung das Gefühl der Rechtlosigkeit. Angelastet wurde dies letztlich der

fanden sich ergänzende Informationen zu den in den standesamtlichen Sterbebüchern aufgeführten Todesursachen. 245 Herrmann, „… Wittenberg brennt …“, S. 160. 246 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 22.4.1945. 247 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 9.

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sowjetischen Besatzungsmacht, die als einzige die Übergriffe hätte verhindern können. Da aber zumindest in der Anfangszeit der Besatzung kaum etwas dagegen unternommen wurde, verspielte die Rote Armee erneut eine Möglichkeit, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Die Rückführung des größten Teils der ehemaligen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen dauerte schließlich bis Anfang September 1945, als die beiden großen Sammel- und Weiterführungslager in Mühlberg und Elsterwerda aufgelöst wurden.

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Die vielen Selbstmorde am Kriegende im Kreis Liebenwerda und Schweinitz wurden bisher in der regionalen Geschichtsliteratur weitestgehend verschwiegen. Dies verwundert um so mehr, wenn man bedenkt, dass die Anzahl der Selbstmordopfer in den beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz bedeutend höher lag als die Anzahl der Zivilpersonen, die im Untersuchungsgebiet von Soldaten der Roten Armee umgebracht wurden. Wenn in regionalen Darstellungen überhaupt darüber berichtet wurde, so wurde diese Opfergruppe meist nur beiläufig erwähnt, ohne Gründe für ihr Handeln anzugeben.248 Aber nicht nur die regionale Literatur tat sich bisher schwer, diese Thematik zu behandeln. Abgesehen von Christian Goeschel, der in seiner Gesamtdarstellung über Suizide in Deutschland zwischen 1933 und 1945 in seinem 5. Kapitel auch für die enorm gestiegene Selbstmordrate am Ende des Kriegs nach Ursachen suchte, gibt es bis heute keine Arbeit, die sich allein mit den vielen Selbstmorden am Ende des Kriegs beschäftigt.249 Das mangelnde Interesse an dieser Thematik lässt sich wohl vor allem mit der bis heute anhaltenden gesellschaftlichen Ächtung des Selbstmords erklären. So sind Selbstmörder bis heute in der breiten Gesellschaft mit einem negativen Stigma versehen. Sie werden vielmehr als psychisch Kranke wahrgenommen, deren Handeln rational nicht nachvollziehbar scheint. Das Mitgefühl für Selbstmörder hält sich nicht zuletzt aus diesem Grund oft in Grenzen, und vielen scheint es nicht die Mühe wert, nach den komplexen Lebensumständen, die zu einem Selbstmord führten, zu fragen. Versucht man, sich von dieser allgemeinen Deutung zu lösen, bedeutete dies, dass man die vielen Selbstmordopfer am Ende des Kriegs nicht in ein einfaches schwarz-weißes Schema nach dem Muster Opfer und Täter einordnen kann. Den Selbstmordopfern z. B. pauschal zu unterstellen, sie seien zum größten Teil überzeugte Nationalsozialisten gewesen, die sich ihrer verdienten Strafe entzogen hätten, würde somit viel zu kurz greifen. Da diese einfache Einordnung schwerfällt, sieht auch Christian Goeschel darin eine Erklärung für die ungenü-

248 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 100. 249 Vgl. Goeschel, Suicide, S. 149–166.

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gende Beschäftigung mit dieser Thematik.250 Letztlich muss jeder einzelne Fall differenziert betrachtet werden, da überall unterschiedliche psychische und soziale Umstände den Ausschlag für den Selbstmord gaben. Dennoch kann man gewisse, durch äußere Umstände erzeugte einheitliche Verhaltensmuster, die am Kriegsende zum Selbstmord führten, nachweisen und daraus Schlüsse ziehen. Die wohl bekannteste Analyse zu Selbstmorden verfasste der Soziologe Emile Durkheim. Durkheim definierte darin den Selbstmord als „jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im Voraus kannte“.251 Des Weiteren arbeitete er in seiner Analyse vier Selbstmordtypen heraus. Er unterscheidet dabei den egoistischen, den altruistischen, den fatalistischen und anomischen Selbstmord. Ohne hier weiter in die Theorie Durkheims einsteigen zu wollen, handelt es sich in Bezug auf Durkheims Theorie wohl bei nahezu allen Selbstmorden am Ende des Kriegs um anomische Selbstmorde, die durch den Zerfall gesellschaftlicher Regeln und Kontrollen ausgelöst wurden. Wie Durkheim schrieb, waren diese Selbstmorde durch das verlorene Gleichgewicht zwischen individuellen Lebensplänen und Bedürfnissen sowie der Möglichkeit der Gesellschaft, die individuellen Bestrebungen zu verwirklichen, gekennzeichnet.252 Auf das Untersuchungsgebiet bezogen, bedeutet dies, dass die hohe Selbstmordrate durch den totalen Zusammenbruch der bisher gekannten gesellschaftlichen Bedingungen aufgrund des Einmarsches der Roten Armee erklärt werden kann. Auf der individuellen Ebene lassen sich zwar unterschiedliche Selbstmordmotive erkennen, die man nach näherer Betrachtung aber nahezu alle auf die durch das Kriegsende bedingte soziale Anomie der Gesellschaft zurückführen kann. Die entscheidende Frage ist dabei, welche Bedingungen der sozialen Anomie (hier in Gestalt des Einmarsches der Roten Armee) motivierten die Menschen zum Selbstmord. Zunächst muss dazu das Verhalten der nationalsozialistischen Parteifunktionäre und das der verantwortlichen Kommunalpolitiker untersucht werden. Es ist stark zu vermuten, dass diese Gruppe besonders von dem nationalsozialistischen Gedankengut geprägt war und aufgrund des drohenden Machtverlustes in der Nachkriegszeit am meisten zu verlieren hatte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Selbstmordrate in dieser Gruppe relativ gering war. Von den im Jahr 1942 insgesamt 73 NSDAP-Ortsgruppenleitern begingen am Kriegsende lediglich drei Selbstmord. Darunter befanden sich die Ortsgruppenleiter von Jessen, Martin Biehl,253 von Osteroda, Richard 250 Vgl. ebd., S. 149. 251 Emile Durkheim, Der Selbstmord, Berlin 1983, S. 27. 252 Vgl. ebd., S. 295 f. Durkheim versuchte in seiner Analyse, den anomischen Selbstmord anhand von ökonomischen Krisen bzw. in Bezug auf Ehescheidungen zu erklären. Er ging dabei nicht direkt auf Kriegssituationen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Zerfall ein. 253 Sterbebuch des Standesamtes Jessen 1945. Martin Biehl war Druckereibesitzer und gab die Jessener Zeitung heraus.

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Röthling254 und von Herzberg, Karl Strothbäumer.255 Der Ortsgruppenleiter von Herzberg, Karl Strothbäumer, der noch am 21. April 1945 mit einigen Hitlerjungen den sowjetischen Vormarsch bei Hohenbucko aufzuhalten versuchte, bemühte sich, als er wieder zurück in Herzberg war, bis zum Abzug der Wehrmacht die kriegsmüde Bevölkerung für den Widerstand zu organisieren. Er plädierte sogar dafür, wie in einem Tagebuch beschrieben wurde, nicht nur die Brücken, sondern den gesamten Elsterdamm zu sprengen und damit die gesamte Stadt unter Wasser zu setzen.256 Nachdem er allerdings erkannte, dass die Herzberger nicht gewillt waren weiterzukämpfen, fügte er sich in sein Schicksal und brachte sich und seine Familie beim Einmarsch der Roten Armee um. Der spätere Herzberger Bürgermeister Otto Eger beschrieb den Selbstmord Strothbäumers wie folgt: „Wir sind ins E-Werk hineingegangen, da wohnte der Ortsgruppenleiter Strothbäumer, der hatte eine Panzerfaust an die Türklinke gemacht und hatte sie abgezogen. Die ganze Wohnung war in Trümmern. Strothbäumer, die Frau und zwei Kinder waren alle ein Klumpen.“257 Ebenso wie bei den Ortsgruppenleitern hielten sich Selbstmorde auch unter den Amtsleitern der NSDAP-Kreisleitung zumindest im Untersuchungsgebiet in Grenzen. Neben den beiden bereits erwähnten Amtsleitern Karl Strothbäumer und Richard Röthling, die auch gleichzeitig das Amt eines Ortsgruppenleiters bekleideten, erschoss sich am 24. April 1945 lediglich Johannes Kunze, Kreisstellenleiter der Schweinitzer NS-Volkswohlfahrt, zusammen mit seiner Frau in Herzberg.258 Im Kreis Liebenwerda konnte man hingegen keinen einzigen Selbstmord unter den Ortsgruppenleitern sowie den Amtsleitern der ­NSDAP-Kreisleitung feststellen. Auch Selbstmorde von Bürgermeistern und Beigeordneten blieben eine Seltenheit. In Mückenberg erschoss sich beispielsweise der Amtsvorsteher Zimmermann gemeinsam mit seiner Familie.259 Als einziger Bürgermeister nahm sich der Amtsträger im kleinen Dorf Brottewitz das Leben.260 Eine Ausnahme bildete nur die Stadt Schweinitz. Hier brachten sich die Familie des Bürgermeisters Behrens und die beiden Beigeordneten der Stadt mit deren Familien um. Der Schweinitzer Bürgermeister Kurt Behrens befand sich zu dieser Zeit an der Front.261 Letztlich stellte das Schweinitzer Beispiel aber nur eine Ausnahme im

254 Sterbebuch des Standesamtes Herzberg 1945. Der Ortsgruppenleiter Richard Röthling war ebenfalls Amtsleiter des Kreisschulamtes im Kreis Schweinitz. 255 Ebd. Der Herzberger Ortsgruppenleiter Karl Strothbäumer war gleichzeitig als Kreisobmann der Deutschen Arbeiterfront (DAF) tätig. 256 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 4. 257 Handschriftlicher Lebenslauf von Otto Eger (undatiert; BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4668, unpag.). 258 Sterbebuch des Standesamtes Herzberg 1945. 259 Sterbebuch des Standesamtes Mückenberg 1945. 260 Sterbebuch des Standesamtes Brottewitz 1945. 261 Sterbebuch des Standesamtes Schweinitz 1945.

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Untersuchungsgebiet dar und war wahrscheinlich nur mit dem harten Vorgehen der Soldaten der Roten Armee gegenüber diesen drei Familien zu erklären. So berichtete z. B. ein Schweinitzer Lehrer, dass der Schweinitzer Beigeordnete und stellvertretende Bürgermeister Paul Bernharend vor seinem Selbstmord von Rotarmisten „grün und blau geschlagen“ wurde, sodass er nur noch diesen Ausweg für sich und seine Familie sah.262 Im Großen und Ganzen unterschied sich im Gegensatz zu allen Erwartungen die Selbstmordrate bei den Amtsträgern der NSDAP sowie bei den Kommunalpolitikern in keiner Weise von der Selbstmordrate anderer Gruppen. Zweifellos kann dies auch an dem begrenzten Untersuchungsgebiet liegen, da mehrere NSDAP-Amtsträger besonders im Kreis Liebenwerda zunächst flüchteten und auch in anderen Gebieten Selbstmord begangen haben könnten. Die geringe Selbstmordrate unter den Amtsträgern im Kreis Schweinitz, wo nahezu die gesamte NSDAP-Kreisleitung in Herzberg blieb, scheint jedoch zu belegen, dass ein Zusammenhang von erhöhter Selbstmordrate und NS-Verstrickung im Untersuchungsgebiet nur sehr schwer nachweisbar ist. Die Angst vor dem Machtverlust, vor der Strafe durch die Besatzungsmacht oder aber auch das nationalsozialistische Gedankengut trieb also nur die wenigsten in den Selbstmord. Viele Amtsträger hatten sich wohl innerlich bereits lange zuvor mit der absehbaren Kriegsniederlage abgefunden und hofften nun nur noch, dass es sprichwörtlich schon nicht so schlimm werden würde, wie es die goebbelssche Propaganda den Bürgern immer wieder darlegte. Dies wirft die Frage nach dem allgemeinen Gefühlszustand in der Bevölkerung vor dem Einmarsch der Roten Armee auf. Auch die regionale Presse berichtete ausführlich über Übergriffe an der deutschen Zivilbevölkerung im Osten des Reichs. Nahezu täglich wurden Berichte abgedruckt, in denen (wie z. B. am 8. Februar 1945) von „überrollten Trecks“, „ermordeten Ordensschwestern“ und „vergewaltigten Frauen im Beisein ihrer Kinder“ die Rede war.263 Diese Ausführungen wurden allerdings immer wieder von Flüchtlingen und Soldaten, die bereits mit der Roten Armee Kontakt hatten, zumindest teilweise bestätigt. In ihrem Tagebuch schrieb z. B. Maria Muttschal am 9. April 1945: „Alles ist voll von Leben. Das ganze Haus wimmelt von Flüchtlingen und Soldaten […]. Und dabei rückt die Front immer näher und näher. Ich darf nicht daran denken, dass auch hier die Russen kommen könnten. Wenn nur ein Teil davon wahr ist, was diese bedauernswerten Flüchtlinge erzählen, dann muss es furchtbar sein. Diesen Menschen ist ja nichts heilig […]. Unsere Soldaten beruhigen uns zwar immer, aber man sieht ihnen an, dass sie selbst keine Hoffnung mehr haben.“264 Die authentischen Berichte von Flüchtlingen und Soldaten über die

262 Herrmann, „… Wittenberg brennt …“, S. 75 f. 263 Liebenwerdaer Kreisblatt vom 8.2.1945, Nr. 33. 264 Muttschal, „Aus dem Tagebuch einer Evakuierten“, S. 102.

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Übergriffe im Osten waren wohl viel wirkungsvoller als die plumpe Propaganda des Dritten Reichs. Zweifellos herrschte in der breiten Bevölkerung ein Gefühl von Angst und Unsicherheit. Viele wussten lange nicht, ob sie von den deutschen Behörden evakuiert werden, ob der Ort verteidigt werden sollte oder wie sich letztlich die Rote Armee beim Einmarsch verhalten würde. Das ständige bange Warten auf das scheinbar Unvermeidliche raubte dabei vielen wohl die letzten Nerven, wie z. B. Elisabeth Moschütz in ihrem Tagebuch bestätigte. „So verging der Sonntag unter banger Erwartung des kommenden Schrecklichen. Wir waren schließlich so zermürbt, dass wir uns sagten: Wenn es denn einmal sein muss, dann mag es doch bald sein, dass die Qual ein Ende hat.“265 Ähnliches berichtete der spätere stellvertretende Bürgermeister von Bad Liebenwerda, Otto Philipp. Er sagte zurückblickend während einer Einwohnerversammlung am 21. Juli 1945: „Es kam der 19., der 20. und endlich der 21. April 1945. Die Stimmung in Bad Liebenwerda war zu Siedehitze gestiegen. Man fühlte es in der Luft, dass es nur noch Stunden, vielleicht gar nur Minuten fehlten am völligen Zusammenbruch […]. Es kam der Sonntag, der 22. April 1945. Der Tag verging in derselben Spannung, bis dann gegen Mittag von allen Seiten Gerüchte auftauchten, die Rote Armee sei bereits in Hohenleipisch, sie sei bereits in Gorden gesehen worden, sie sei bei Falkenberg, in Lönnewitz, sie hätte schon den Flugplatz in Lönnewitz besetzt usw.“266 Die quälende Ungewissheit erzeugte zudem die wildesten Gerüchte, die z. B. auch von ersten Übergriffen der Roten Armee in den unmittelbaren Nachbarorten berichteten und diese somit im Gegensatz zur Propaganda und zu den zahlreichen Berichten der Flüchtlinge und Soldaten viel bedrohlicher machten.267 Diese Unsicherheit und Angst innerhalb der Bevölkerung bewirkte aber letztlich nicht die von der NS-Führung erhoffte Widerstandsbereitschaft des Volkssturms und der übrigen Bevölkerung, sondern lähmte diese wahrscheinlich nur noch zusätzlich. Da ein Widerstand ohne Unterstützung der Wehrmacht ohnehin aussichtslos erschien, wollten viele der Roten Armee nicht noch zusätzlich mit der Verteidigung des Ortes einen Vorwand für Übergriffe geben. Insgesamt muss festgestellt werden, dass in allen Orten des Untersuchungsgebiets unmittelbar vor dem Tag des Einmarsches der Roten Armee kein einziger Selbstmord begangen wurde.268 Obwohl vielen spätestens durch die zurückflutenden Soldaten der Wehrmacht klar gewesen sein musste, dass die Ankunft der Rote Armee nur noch eine Frage der Zeit sein würde, ließ sich niemand allein von der Propaganda, den Berichten der Flüchtlinge und den zahlreichen entstandenen

265 Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 2. 266 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 3 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 267 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 2. 268 Vgl. Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945.

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Gerüchten zum Selbstmord hinreißen. Es konnte zwar nachgewiesen werden, dass die Bevölkerung in einer enormen Weise verängstigt war, aber die enorm hohe Selbstmordrate war allein dadurch nicht zu erklären. Die große Mehrheit der Selbstmordopfer erlebte also den Einmarsch der Roten Armee und deren Begleitumstände noch mit. Dies wirft nun die Frage auf, wie sehr sich das Verhalten der sowjetischen Soldaten beim Einmarsch auf die Selbstmordrate auswirkte. In mehreren Fällen wurden z. B. Vergewaltigungen als Motiv zum Selbstmord angegeben. Im kirchlichen Sterbebuch von Lebusa versuchte der örtliche Pfarrer, Gründe für die hiesigen Selbstmorde zu finden. Er schrieb „Selbstmord nach Vergewaltigung“ unter zwei eingetragenen Selbstmorden.269 Ebenso wurde aus Schweinitz berichtet: „Die Bilanz dieser Tage in Schweinitz: Frau H. G. hat eine Pistole. Nach Vergewaltigung erschießt sie ihren Sohn E., ihre Haushaltshilfe aus Jessen, ihre Freundin W. B. geb. H. und deren achtjährige Tochter Bärbel, die nicht erschossen werden wollte. Bärbel liegt noch einige Tage bei den Großeltern H. und stirbt dann auch […].“270 Auch in Mühlberg wurde in einem anonymen Erlebnisbericht erwähnt, dass sich zwei Mädchen und eine Frau aufgrund von Vergewaltigungen erhängten.271 Wie es auf Frauen wirkte, wenn sie miterleben mussten, wie z. B. Familienangehörige vergewaltigt wurden, kann man in einem Erinnerungsbericht aus Plessa nachlesen. So fragte die Mutter von Peter Woitera ihren Sohn, als sie mitanhören mussten, wie die Großmutter vergewaltigt wurde, ob sie sich das Leben nehmen sollten. Er schrieb später dazu: „Oft wurde in letzter Zeit davon gesprochen, sich den Strick zu nehmen, wenn die Russen kommen. Jetzt stellt meine Mutter die Frage, ob wir es tun wollen. Meine Antwort mit leiser Stimme ist schlicht: ,Wenn du meinst.‘ Wir taten es nicht. Dieser kleine Dialog aber blieb unvergessen und belastete meine Mutter wohl ihr Leben lang.“272 Viele Frauen und Mädchen gerieten in Panik, wenn sie erfuhren, dass in ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis Vergewaltigung stattfanden. Elisabeth Moschütz schrieb z. B. am 26. April 1945: „Gott sei Dank […], dass Anneli und Hanna verschont geblieben sind. Hanna war ganz fertig und ich hatte die größte Sorge um sie, dass sie eine Dummheit begehen könnte. Wie sie mir jetzt gestanden hat, hat sie am Montagabend 6 Ampullen Morphium getrunken und auch eine Rasierklinge gehabt, um sich eventuell die Pulsadern aufzuschneiden. Der Morphium war aber ganz schwach und hat Gott lob nicht die beabsichtigte Wirkung gehabt.“273

269 Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Lebusa 1945. 270 Herrmann, „… Wittenberg brennt …“, S. 75 f. 271 Vgl. anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1947 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). 272 Vgl. Woitera, Die Russen kommen, S. 112 f. 273 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 4.

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Dass der Selbstmord seinen Tabucharakter am Kriegsende nahezu völlig verlor, bestätigten auch andere Zeitzeugen. So wurde in dieser Zeit bei vielen offen über dieses Thema geredet und der Selbstmord als eine ernsthafte Option betrachtet. Zwei Frauen bezeichneten es unabhängig voneinander sogar wie einen ansteckenden Virus.274 „Wenn hier jemand angefangen hätte, wer weiß wie viele mitgemacht hätten.“275 Es bedurfte also bei vielen in dieser Zeit nur noch eines kleinen „ermutigenden Beispiels“, um die letzte Konsequenz zu ziehen. Dies zeigt, wie groß die Verzweiflung bei vielen gewesen sein muss. Neben der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, des Selbstwertgefühls, aber auch des eigenen Körpers, kam für viele Frauen hinzu, dass sie aufgrund der Vergewaltigung durch einen feindlichen Soldaten auch mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung rechnen mussten. Dass letztlich so viele Frauen vergewaltigt wurden, änderte dabei nichts an der Unsicherheit, wieder in der Gesellschaft anerkannt zu werden. So konnten sich die Frauen nicht von vornherein sicher sein, ob ihre Männer, ihre Familie oder der Bekanntenkreis die Vergewaltigung als erzwungene sexuelle Handlung anerkennen würden. Wie viele Frauen bzw. ganze Familien sich das Leben aufgrund von Vergewaltigungen nahmen, wird wohl nie festgestellt werden können, aber allein die große Zahl der durch Selbstmord umgekommenen Frauen und Kinder lässt eine hohe Zahl vermuten.276 Andere Begleitumstände des Einmarsches der Roten Armee spielten ebenso als Selbstmordgründe eine entscheidende Rolle. Es gab z. B. einzelne Berichte über Selbstmorde nach Plünderungen. In den Kirchenbüchern von Stolzenhain und Lebusa wurden drei Selbstmordfälle mit dem Vermerk „nach Ausplünderung“ bzw. „nach Plünderungen“ vermerkt.277 Aus Schweinitz wurde berichtet: „R. S. ein Kriegsinvalide des Ersten Weltkriegs, er hatte einen Arm verloren und hatte Angst, dass er jetzt verhungern würde. Er erhängte sich.“278 Viele Personen im Untersuchungsgebiet mussten mit ansehen, wie ihr mühsam über Jahre erarbeitetes Vermögen mit einem Schlag gestohlen bzw. mutwillig zerstört wurde. Zweifellos begünstigte dies den Hang zum Selbstmord. Allgemein fiel auf, dass sich die meisten Selbstmordopfer erst einen Tag nach der Besetzung des Ortes bzw. später das Leben nahmen. Dies lässt vermuten,

274 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14.1.2010; Erinnerungsprotokoll von Ruth Zicke vom 12.1.2010. 275 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14.1.2010. 276 Insgesamt nahmen sich 382 Frauen und 208 Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren im Untersuchungsgebiet nach dem Einmarsch der Roten Armee bis zum 1.9.1945 das Leben. Rechnete man den Anteil der Kinder und Jugendlichen heraus, die oftmals von ihren Eltern oder Verwandten umgebracht wurden, unter denen sich aber auch Vergewaltigungsopfer befunden haben können, dann betrug der Frauenanteil an den Selbstmordopfern 57,9 %. Vgl. alle Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. 277 Sterbebücher der evangelischen Kirchengemeinden Stolzenhain und Lebusa 1945. 278 Herrmann, „… Wittenberg brennt …“, S. 75 f.

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dass sehr viele nicht von Anfang an bereit waren, Selbstmord zu begehen, sondern eine große Zahl durch die Willkür der Rotarmisten erst dazu gebracht wurde. Lediglich 369 Personen nahmen sich in den beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz am Tag der Besetzung ihres Ortes das Leben, 491 Personen allerdings erst in den folgenden Tagen.279 Nicht die Propaganda und auch nicht die zahlreichen Berichte der Flüchtlinge waren also allein der ausschlaggebende Grund für die sehr hohe Selbstmordrate, sondern erst die scheinbare Bestätigung der Propaganda durch die vielen Übergriffe der Roten Armee. In der von Angst geladenen Atmosphäre des Kriegsendes genügte bereits ein kleiner Funke, eine Plünderung, eine Vergewaltigung oder ein Mord in der Nachbarschaft, um die Selbstmordwelle in Gang zu setzen. Ohne die Propaganda und zahllosen Gerüchte war zwar die hohe Selbstmordrate nicht zu erklären, da sie die Bevölkerung schon von vornherein stark verängstigte, aber eine solche Selbstmordintensität wäre wohl kaum vorgekommen, wenn nicht die zahllosen Übergriffe diese bedrohliche Situation nachhaltig bestätigt hätten. Im kleinen Städtchen Schlieben im Kreis Schweinitz konnte man sehr gut erkennen, wie die übersteigerte Propaganda des NS-Regimes und der Einmarsch der Roten Armee zusammen auf die Bevölkerung wirkte. In Schlieben gab es prozentual zur Bevölkerungszahl die meisten Selbstmorde im Untersuchungsgebiet. Hier nahmen sich bis zum 8. Mai 1945 insgesamt 72 Personen das Leben.280 Der Pfarrer Ulrich Krückeberg aus Schlabendorf schrieb dazu am 2. Mai 1945 in sein Tagebuch: „Am gleichen Tag erschien die Vikarin aus Schlieben, die dort den ganzen Pfarrdienst versieht, um eine Abendandacht zu halten […]. Nach ihrer Mitteilung hat der russische Kommandant in Schlieben selbst gewünscht, dass Gottesdienst gehalten würde, um die Bevölkerung zu beruhigen. Sie hat in einer Woche 70–80 Selbstmörder beerdigen müssen. In Schlieben bestand ein Lager, das natürlich bei Besetzung durch die Russen sofort aufgelöst wurde, und aus Angst vor den losgelassenen Juden haben sich viele Nationalsozialisten das Leben genommen.“281 Ob es sich bei den Schliebener Opfern nur um NSDAP-Mitglieder handelte, konnte nicht bestätigt werden. Dies war aber aufgrund der vielen Selbstmorde eher unwahrscheinlich. Da die Selbstmordwelle in Schlieben erst am 22. April 1945 begann, bildete neben dem Einmarsch der Roten Armee einen Tag zuvor wohl in der Tat die Öffnung des KZ-Außenlagers den ausschlaggebenden Grund für die Selbstmorde. Die Schliebener Selbstmordopfer erlebten die Öffnung des Lagers noch mit. Zudem sahen sie wohl auch, wie die im Lager verbliebenen Häftlinge in die Stadt strömten. Ob sich einzelne Häftlinge dabei Übergriffe gegen die deutsche

279 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. Acht Selbstmorde wurden im Sterbebuch des Standesamts Falkenberg für den 23. bzw. 24.4.1945 angegeben und in dieser Aufzählung nicht mitverwendet. 280 Sterbebuch des Standesamtes Schlieben 1945. Ein weiterer Selbstmord wurde hier noch am 18.7.1945 verzeichnet. 281 Tagebuch des Pfarrers Ulrich Krückeberg in Schlabendorf 1945.

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Bevölkerung erlaubten, konnte nicht nachgewiesen werden. Aber allein die Tatsache der Öffnung des KZ und der Gedanke, dass sich diese bitterlich rächen würden, genügte wohl bereits für die beginnende Selbstmordwelle. Dass es sich dabei zum großen Teil um Juden handelte, die in der nationalsozialistischen Presse mit den niedersten Eigenschaften beschrieben wurden, verstärkte diese Angst umso mehr. Zudem erkannten wohl viele Schliebener trotz der abgeschotteten Produktionsanlage der HASAG, wie schlecht die Häftlinge behandelt wurden. So versorgte der Schliebener Arzt Dr. Papies, der als Vertragsarzt im Außenlager mit dem Leid der Häftlinge unmittelbar konfrontiert war, weite Teile der Schliebener Einwohnerschaft am 22. April 1945 mit Gift, mit dem sich daraufhin viele umbrachten.282 Dr. Papies vergiftete seine Frau und seine fünf Kinder. Er selbst überlebte zunächst, da er wohl nicht genügend Gift für sich selbst übrig ließ. Erst nachdem er wieder gesund gepflegt worden war, gelang ihm der zweite Selbstmordversuch.283 Gleichfalls kam es aber auch in Schlieben bereits in den ersten Tagen des Einmarsches der Roten Armee zu mehreren Übergriffen von sowjetischen Soldaten. Im standesamtlichen Sterbebuch wurden z. B. für den 21. bzw. 22. April 1945 insgesamt fünf Personen mit dem Zusatz „von Roter Armee erschossen“ oder „erschossen“ aufgeführt.284 Vergewaltigungen und Plünderungen kamen auch hier wie überall im Untersuchungsgebiet vor. Die Mischung von unheilsamer Vorahnung und der erlebten Bestätigung waren somit auch in Schlieben der Grund für die hohe Selbstmordrate. Hier kam nur hinzu, dass viele Schliebener nicht nur von der Roten Armee grausame Verbrechen erwarteten, sondern auch von den unter unmenschlichsten Bedingungen gefangenen jüdischen Häftlingen, die aus dem KZ-Außenlager befreit wurden. Insgesamt nahmen sich 573 Personen im Kreis Liebenwerda und 295 Personen im Kreis Schweinitz, laut standesamtlichen Sterbebüchern, zwischen dem ersten Tag des Einmarsches der Roten Armee und dem 1. September 1945 das Leben.285 Dies entsprach etwa 0,5 Prozent der Vorkriegsbevölkerung. Unter den Selbstmordopfern befanden sich 278 Männer, 382 Frauen und 208 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.286 Die Kinder wurden meist von ihren

282 Vgl. Bericht über die Dienstbesprechung mit den leitenden Polizeibeamten des Bezirks Halle-Merseburg vom 31.8.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 18, Bl. 3). 283 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Schlieben; Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Schlieben. 284 Ebd. Unter den Opfern befand sich auch der Rittergutsbesitzer aus Fürstlich Drehna, Robert Gideon von Wallenberg Pachalz, der zusammen mit seinem Kutscher auf der Flucht aus Fürstlich Drehna in der Heide von Naundorf bei Schlieben erschossen wurde. 285 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945. 286 Ebd. Die Selbstmordopfer des Jahrgangs 1927 wurden alle zu den Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren mitgezählt. Wie viele Jugendliche und Kinder als Selbstmörder im Sinne der von Durkheim aufgestellten Definition betrachtet werden können, ist nicht herauszufinden. Zweifellos kann aber davon ausgegangen werden, dass wahrscheinlich nahezu alle Kinder den Selbstmord nicht freiwillig verübten, sondern von ihren Eltern oder Verwandten zur Selbsttötung gezwungen bzw. getötet wurden.

Selbstmorde

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Eltern oder Verwandten umgebracht. Alles in allem wurden 213 Familienselbstmorde verzeichnet.287 In der großen Mehrzahl der Fälle wurde der Selbstmord also nicht allein, sondern zusammen in der Familie begangen. In der deutschen Geschichte existiert wohl kein Beispiel, in dem der Selbstmord derartig seinen Tabucharakter einbüßte. Allein in der Kreisstadt Bad Liebenwerda brachten sich z. B. im Jahr 1944 lediglich 4 Personen um. Von 1946 bis 1949 konnte man ebenso nur 13 Suizide in der Stadt feststellen. Nur im gesamten Jahr 1945 wurden aber im standesamtlichen Sterbebuch der Kreisstadt 48 Selbstmorde verzeichnet, die nahezu alle unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee verübt wurden.288 Bei der Zusammensetzung der Opfer ist sehr auffällig, dass vor allem in den Städten des Untersuchungsgebiets sehr oft Selbstmorde durchgeführt wurde, dagegen in ländlichen Gebieten nahezu gar nicht. Während z. B. im ländlichen Schradenland, mit den großen Dörfern Merzdorf, Gröden, Hirschfeld und Großthiemig, nur 6 Selbstmorde unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee verübt wurden, brachten sich im angrenzenden Elsterwerda 81 Personen um.289 Ein Grund dafür war wohl die größere Anonymität in den städtischen Siedlungsräumen im Gegensatz zum engen sozialen Geflecht der kleinen Dörfer, in denen potenzielle Selbstmörder mit größeren Sanktionen der Dorfgemeinschaft rechnen mussten. Zudem spielte in den Dörfern wohl auch der größere Einfluss der Kirche, die Selbstmord konsequent ablehnte, eine Rolle. Über die soziale Zusammensetzung der Selbstmordopfer lässt sich nur schwer etwas sagen, da man in den Sterbebucheintragungen der vielen Frauen nicht immer die soziale Stellung ablesen kann. Auch wenn Selbstmordopfer aus allen sozialen Schichten nachgewiesen werden konnten, bleibt dennoch zu vermuten, dass die Selbstmordrate in den sozial besser gestellten Schichten etwas höher lag. Dafür spricht z. B., dass sich insgesamt 10 Ärzte, 16 Lehrer und 11 Ingenieure kurz nach Kriegsende im Untersuchungsgebiet meist mit ihren Familien das Leben nahmen.290 Da die höheren sozialen Schichten durch den Zusammenbruch der gekannten Gesellschaftsordnung glaubten, viel mehr verlieren zu können als die unteren sozialen Schichten, war wohl in diesen Gruppen die Neigung zum Selbstmord höher ausgeprägt. Viele rechneten wohl fest mit dem sozialen Abstieg und dem damit verbundenen Verlust ihres sozialen Prestiges. Auf der anderen Seite muss hierbei auch die Frage gestellt werden, inwieweit die höheren sozialen Schichten in das NS-System verstrickt waren. Wie viele Selbstmordopfer im Untersuchungsgebiet NSDAP-Mitglieder waren, ließ

287 Ebd. 288 Sterbebuch des Standesamts Bad Liebenwerda 1939–1950. 289 Sterbebücher der Standesämter Gröden, Hirschfeld, Großthiemig und Elsterwerda; Sterbebücher der evangelischen Kirchengemeinden Gröden, Hirschfeld, Großthiemig und Elsterwerda. In Hirschfeld brachte sich eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie um, die allerdings nicht aus dem Ort stammte. 290 Sterbebücher der Standesämter des Untersuchungsgebiets 1945.

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Kriegsende 1945

sich jedoch nicht mehr feststellen. Es bleibt aber zu bezweifeln, ob unter den Ärzten, Lehrern und Ingenieuren usw. weitaus mehr bedingungslos überzeugte Nationalsozialisten zu finden waren, die sich allein aufgrund ihrer national­ sozialistischen Überzeugung das Leben nahmen, als unter den regionalen ­NSDAP-Funktionären, die kaum Selbstmord begingen. Eine genaue Analyse zur Klärung dieser Frage konnte aber, ohne die genaue Anzahl der NSDAP-Mitglieder unter den Selbstmordopfer ermitteln zu können, nicht vorgenommen werden.

IV. Der Verwaltungsaufbau nach dem Einmarsch der Roten Armee 1.

Die „Aktivisten der ersten Stunde“

Unter den „Aktivisten der ersten Stunde“ verstand man in der Regel diejenigen Personen, die sich unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee uneigennützig in den Dienst der Gesellschaft stellten und die Probleme der Nachkriegszeit unbürokratisch und unkonventionell zu lösen versuchten.1 Da die „Aktivisten der ersten Stunde“ oftmals als zunächst unabhängig von der Besatzungsmacht entstandene und agierende Gruppe beschrieben wurden, war im Folgenden zu klären, inwieweit solche Personen bzw. Personengruppen auch im Untersuchungsgebiet agierten. Zunächst musste aber dafür das Verhalten der alten nationalsozialistisch geprägten Verwaltung am Kriegsende untersucht werden. Grundsätzlich lässt sich darüber keine einheitliche Aussage treffen. Vereinzelt begangen Verantwortliche, wie im vorangegangenen Kapitel festgestellt wurde, Selbstmord. Eine weitaus größere Anzahl floh hingegen vor der anrückenden Roten Armee. Karl Fitzkow berichtete z. B. aus Bad Liebenwerda Folgendes: „Bereits in der Nacht zum Sonntag und am Sonntagvormittag waren Bürgermeister (Gustav) Müller und Landrat (Georg) Röhrig, sämtliche Führer der Nationalsozialistischen Partei und die meisten Beamten der Kreisverwaltung, der Post, des Finanzamtes, des Forstamtes und des Gerichtes aus der Stadt geflohen. Die Beamten der Polizeieinheiten erhielten am Mittag den Befehl, sich über die Elbe abzusetzen.“2 Ebenso flüchteten aus Elsterwerda große Teile der Verwaltung, u. a. der Bürgermeister Wilhelm Borchers, der später in Pretzsch von einem ehemaligen Nachbarn zufällig identifiziert und von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet wurde.3 Auch der Schliebener Bürgermeister Knoche, der Falkenberger Bürgermeister Brandt, der Jessener Bürgermeister Fehringer und der Seydaer Bürgermeister Ohls setzten sich mit den abziehenden deutschen Truppen in Richtung Westen ab.4 Zusammenfassend lässt sich dazu sagen, dass die Bürgermeister der Städte mit Teilen der Verwaltung nahezu alle flüchteten. Hingegen blieben viele Bürgermeister der Dörfer zunächst im Ort bzw. kamen 1 2

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Vgl. Michelmann, Aktivisten der ersten Stunde, S. 9. Sachse, Auskünfte V, S. 93; Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). Unter den Flüchtenden befanden sich neben dem Landrat und dem Bürgermeister auch der NSDAP-Kreisleiter Otto Schreiber und der Bad Liebenwerdaer ­NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Buschendorf. Vgl. StA Elsterwerda, Ausarbeitung über die NS-Zeit, 2. Weltkrieg und den Neuaufbau 1933 bis 1946 von Erhard Galle, Teil A1. Vgl. Sterbebücher der Standesämter Schlieben und Falkenberg/Elster 1945. Hierin befanden sich Eintragungen, dass die beiden Bürgermeister die Standesamtsakten auf der Flucht mit sich führten.

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

nach kurzer Flucht wieder zurück.5 Eine Übergabe der Stadt fand lediglich in Herzberg statt, wo der Bürgermeister und Kreisleiter der ­NSDAP, Reinhold Fritsch, die ersten Soldaten der Roten Armee in Parteiuniform vor dem Rathaus erwartete. Fritsch wurde jedoch sofort verhaftet und Anfang Mai 1945 in das NKWD-Speziallager Nr. 6 in Ketschendorf eingewiesen.6 Herzberg stellte aber eine Ausnahme im Untersuchungsgebiet dar. Nirgends sonst in beiden Landkreisen konnte man von einer planmäßigen Übergabe der Verwaltung an die Rote Armee sprechen. Zwar wurde Fritsch sofort verhaftet, aber u. a. der stellvertretende Bürgermeister Heinrich Wilkniß und der Herzber­ ger Steuerreferent Richard Oecknigk, beides NSDAP-Mitglieder, wurden in ihren Positionen bestätigt. Heinrich Wilkniß wurde zunächst sogar von der Roten Armee zum kommissarischen Bürgermeister ernannt.7 Ähnlich verlief die Einsetzung des ersten Bürgermeisters in Jessen. Nachdem der Bürgermeister Fehringer vor der Roten Armee geflüchtet war, setzten die ersten ankommenden Rotarmisten ebenso wie in Herzberg den stellvertretenden Bürgermeister Richard Schönduve ein, der neben seiner Tätigkeit als stellvertretender Jessener Bürgermeister Kreisbeauftragter für Kriegsopfer innerhalb der Schweinitzer NSDAP-Kreisleitung war.8 In den beiden größten Städten des Kreises Schweinitz konnte man also in keiner Weise davon sprechen, dass sich hier sofort antifaschistische Gruppen bildeten und die Geschicke der Stadt in die Hand nahmen. Vielmehr waren es in diesen beiden Städten große Teile der alten Verwaltungsspitze, die sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung bemühen wollten und zunächst sogar von der Roten Armee unterstützt wurden. Von Kommunisten oder Sozialdemokraten, die unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee den Anspruch erhoben, in den beiden größten Städten des Kreises Schweinitz die politische Führung zu übernehmen, war am Anfang der Besatzungszeit noch nichts zu sehen. Dafür war vor 1933 die KPD, aber auch die SPD im Kreis Schweinitz viel zu schwach organisiert.

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Dafür sprach vor allem die Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste, die in mehreren Fällen nur Bürgermeister aus den Städten und Dörfern des Untersuchungsgebiets verhafteten, die gleichzeitig NSDAP-Ortsgruppenleiter waren. Für diese These sprach ebenso, dass noch Ende Oktober 1945 im Kreis Schweinitz in kleineren Orten 14 Bürgermeister im Amt waren, die das Amt bereits vor Kriegsende innehatten und NSDAP-Mitglieder waren. Vgl. Aufstellung der Personalien der ehrenamtlichen Bürgermeister der Landgemeinden des Kreises Schweinitz (November 1945; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 11 f.). Vgl. Chronik der Ereignisse der Stadt Herzberg 1939/45 vom 22.4.1985, S. 5 (KA Herz­berg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 406, unpag.); Stefanie Kammer, „Meine liebe Käthe.“ Gedanken über Fragmente eines Zeitzeugenberichtes über das Kriegsende in Herzberg. In: Heimatkalender für die Region Herzberg 2006, Herzberg 2005, S. 218; Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 5. Vgl. Abschrift des Aufrufs des Stadtführers der russischen Besatzungstruppen an die Bevölkerung von Jessen vom 23.4.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 8).

„Aktivisten der ersten Stunde“

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Eine andere Situation ergab sich in der Kreisstadt Bad Liebenwerda. Hier waren, wie bereits erwähnt, viele Verantwortlichen der Stadt- und Kreisverwaltung geflohen.9 Eine ordentliche Übergabe der Stadtverwaltung kam aus diesem Grund nicht infrage. Die Rote Armee zeigte zudem in den ersten Tagen der Besetzung in Bad Liebenwerda keinerlei Initiative, die verwaisten Posten innerhalb der Stadtverwaltung neu zu besetzen. Dagegen wurde das Rathaus von Rotarmisten geplündert.10 Es dauerte schließlich bis zum 3. Mai 1945, als der neu eingesetzte Kommandant der Stadt den Bad Liebenwerdaer Mühlenbesitzer Erich Knopf zum neuen provisorischen Bürgermeister der Kreisstadt ernannte.11 So verging in Bad Liebenwerda über eine Woche, bis eine neue Verwaltungsspitze von der Roten Armee bestimmt wurde. Jedoch konnte sich der neue Bürgermeister Erich Knopf selbst kaum erklären, wie er zu dieser neuer Tätigkeit kam. Der Sozialdemokrat und spätere stellvertretende Bürgermeister von Bad Liebenwerda, Otto Philipp, berichtete über seine erste Begegnung mit dem neuen Bürgermeister Erich Knopf: „Am Freitag und Sonnabend in derselben Woche setzte das Plündern der Geschäftshäuser der Stadt durch Ortseingesessene ein […]. Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, ging ich dann zu Herrn Knopf, der, soweit bekannt geworden war, von dem inzwischen erschienenen Ortskommandanten, der im Hause des Landwirtes Heinrich in der Bormannstr. Quartier genommen hatte, zum komm. Bürgermeister bestimmt worden war und sagte zu ihm: Soweit ich gehört habe, sind sie zum komm. Bürgermeister ernannt worden. Er sagte: Ich weiß nicht, wieso ich dazu gekommen bin. Darauf sagte ich: Herr Knopf, wenn sie Bürgermeister sind, dann ist es ihre größte Aufgabe, für Ordnung zu sorgen und diesen Hyänen in der Stadt Einhalt zu gebieten.“12 Da sich Erich Knopf selbst kaum erklären konnte, wie er zu dem Posten des Bürgermeisters kam, konnte auch in diesem Fall kaum die Rede von einer Initiative in der sprichwörtlichen „ersten Stunde der Befreiung“ sein. Erst nachdem sich der parteilose Erich Knopf und der Sozialdemokrat Otto Philipp einen Überblick über die Verhältnisse in der Stadt verschafft hatten, ernannten diese beiden vier provisorische Beigeordnete zur Bewältigung der anstehenden Verwaltungsaufgaben in der Stadt. Darunter befanden sich neben Otto Philipp der evangelische Pfarrer der Stadt Gustav Adolf Schulze und die

 9 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 10 Vgl. Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 5 f. (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 11 Vgl. Bekanntmachung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 12 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 5 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). Erich Knopf bestätigte in dieser Einwohnerversammlung die Ausführungen von Otto Philipp. Vgl. Rede von Erich Knopf zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 1 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

beiden Kommunisten Arthur Bluhm und Josef Nunnemann.13 Somit existierte erst ab dem 3. Mai 1945 eine neue Verwaltungsspitze für die Stadt Bad Liebenwerda. Auch wenn dieser nicht nur Kommunisten angehörten, stellte sich diese aber voll und ganz der Roten Armee zur Verfügung. Allein die Teilnahme von Offizieren der Roten Armee an den ersten Sitzungen der neuen Verwaltungsspitze bewies die Abhängigkeit gegenüber der Roten Armee.14 Da die Beigeordneten zudem von der Kommandantur bestätigt wurden und, wie die Protokolle der ersten Sitzungen wiedergaben, nahezu immer auf Anordnung der Roten Armee handelten, konnte man auch in der Stadt Bad Liebenwerda nicht von eigenständig handelnden „Aktivisten der ersten Stunde“ sprechen. Zweifellos war es für verantwortungsbewusste Bürger, auch wenn diese Kommunisten oder Sozialdemokraten waren, sehr schwierig, sich unabhängig von der Besatzungsmacht sofort als neue Ordnungsmacht zu etablieren. Dafür hätte es detaillierter Planungen und Absprachen vor dem Eintreffen der Besatzungsmacht bedurft. Jedoch existierte im gesamten Untersuchungsgebiet in keinem Ort eine organisierte Widerstandszelle, die dazu fähig gewesen wäre, sofort mit dem Einmarsch der Roten Armee das entstandene Machtvakuum auszufüllen. Zwar gab es immer noch lockere Verbindungen zwischen ehemaligen kommunistischen oder sozialdemokratischen Parteimitgliedern, aber diese reichten kaum aus, um unabhängig von der Roten Armee zu handeln. Selbst in den Orten, in denen bereits vor 1933 viele ehemalige Mitglieder der beiden Arbeiterparteien lebten, kam ein sofortiges selbstständiges Handeln von diesen kaum zustande. Dieses Bild bestätigte sich auch im Mückenberger Ländchen, der „Hochburg“ der Arbeiterparteien im Kreis Liebenwerda. Viele „Aktivisten der ersten Stunde“ im Mückenberger Ländchen gaben später selbst an, erst durch Aufforderung der Roten Armee die Verwaltung der Gemeinden in die Hand genommen zu haben. Max Mittig, einer der ersten neuen Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung Lauchhammer, berichtete z. B. Folgendes: „Am 21. April 1945 war der Faschismus auch in Lauchhammer durch die Rote Armee zerschlagen. Tage der regierungslosen Zeit waren da […]. Einige Tage nach dem Einmarsch der Roten Armee wurden einige KPD-Genossen von einem Offizier der Roten Armee zu einer Besprechung eingeladen. Diese Besprechung fand in der Wohnung des Genossen Bruno Thiessler statt, mit dem Auftrag eine arbeitsfähige Gemeindeverwaltung aufzubauen. Genosse Thiessler wurde als Bürgermeister eingesetzt.“15 Auch in dieser Aussage wurde nichts über eine eigenständige Ini­ tiative der Lauchhammeraner Kommunisten erwähnt. Mittig sprach vielmehr

13 Vgl. Bekanntmachung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 14 Vgl. Niederschrift der Magistratssitzung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). An dieser ersten Sitzung der Beigeordneten nahm z. B. der stellvertretende Kommandant der Stadt teil. 15 Unser Rotes Ländchen, S. 40.

„Aktivisten der ersten Stunde“

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von „Tagen einer regierungslosen Zeit“ vor der Berufung der neuen Gemeindeverwaltung. Ebenso lief der Verwaltungsneuaufbau in Bockwitz ab, wo am 30. April 1945 der Kommunist Max Baer zum Bürgermeister ernannt wurde. Wie Bruno Thiessler in Lauchhammer erhielt auch er von der Roten Armee den Befehl, Verbindung zu der Besatzungsmacht herzustellen und geordnete Verhältnisse in der Gemeinde zu schaffen. Auch in diesem Fall deutete in einem veröffentlichten Erinnerungsbericht von Max Baer nichts auf ein eigenständiges Handeln hin. Vielmehr betonte er darin: „Die Anweisungen der Kommandanturen wurden strikt durchgeführt.“16 Lediglich in Mückenberg, wo der ehemalige Provinziallandtagsabgeordnete und Kreistagsabgeordnete der KPD, Paul Paulick, beheimatet war, zeigte sich ein geringfügig anderes Bild. Hier versammelten sich einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee, am 22. April 1945, in der Wohnung von Paulick sieben ehemalige KPD bzw. SPD-Mitglieder, um mit dem Neuaufbau der Verwaltung zu beginnen.17 Darunter befand sich u. a. Paul Gasche, der während des Kriegs aus Breslau in das Mückenberger Ländchen kam. Er kandidierte in Breslau unter anderen als Provinziallandtagsabgeordneter.18 Neben den bereits erfahrenen Parteiführern Paulick und Gasche nahm Paul Mittig an dieser ersten Besprechung teil. Paul Mittig war bis 1925 Kreisvorsitzender des Kommunistischen Jugendverbandes sowie ab 1931 kurze Zeit Kreisvorsitzender der KPD. Von November 1933 bis 1936 befand er sich in Haft.19 In Mückenberg kamen am ersten Tag der Besetzung mehrere engagierte und ehrgeizige ehemalige KPD- bzw. SPD-Mitglieder zusammen, welche die Gunst der Stunde sofort nutzen wollten. Sie versuchten allerdings zunächst nicht, politisch zu wirken, sondern beschränkten sich nur auf die Verwaltungsübernahme, wie Paul Gasche im Rückblick bestätigte. So standen vor allem die Sicherung der Ernährung und die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung für diese Gruppe im Vordergrund. Da sich diese Absichten mit denen der örtlichen Kommandantur der Roten Armee deckten, wurde Paul Paulick am 30. April 1945 als Mückenberger Bürgermeister bestätigt.20 Somit konnte man auch hier wiederum feststellen, dass sich die hiesigen „Aktivisten der ersten Stunde“ spätestens Ende April 1945 in den Dienst der Roten Armee stellten. Abschließend lässt sich zu diesem Abschnitt festhalten, dass alle „Aktivisten der ersten Stunde“, mit Ausnahme der Gruppe um Paul Paulick in ­Mückenberg,

16 Max Baer, Die Befreiung Lauchhammers vom Faschismus (Erinnerungsbericht). In: Geschichte und Gegenwart des Bezirkes Cottbus, Cottbus 1985, S. 68. 17 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 49 f. 18 Vgl. Lebenslauf von Paul Gasche im Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). 19 Vgl. Charakteristik über den Genossen Paul Mittig vom 23.1.1950 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4948, unpag.). 20 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 50 f.

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

erst Tage nach dem Einmarsch entweder eigenständig Kontakt mit der Roten Armee aufnahmen oder von dieser berufen wurden. Alle unterstellten sich aber freiwillig der Roten Armee. Dafür gab es letztlich mehrere Gründe. Wie bereits erwähnt, existierten im gesamten Untersuchungsgebiet keine funktionierenden Widerstandszellen, die mit dem Einmarsch der Roten Armee sofort hätten handeln können. Selbst die regionale DDR-Geschichtsliteratur versuchte zwar, auch im Untersuchungsgebiet eine Legende über die Widerstandstätigkeit der ehemaligen KPD-Mitglieder in der Kriegszeit zu spinnen, doch kam selbst darin der Widerstand nicht über die Unterstützung für Zwangsarbeiter oder das Hören von feindlichen Rundfunkprogrammen hinaus.21 Eine im Untergrund tätige Arbeiterbewegung gab es im Untersuchungsgebiet zum Zeitpunkt des Einmarsches der Roten Armee nicht mehr. Es dauerte vielmehr Tage und Wochen, bis Vertreter der Arbeiterparteien nach dem Einmarsch der Roten Armee erste Initiativen unternahmen, um die Verwaltung zu übernehmen. Oftmals suchte dabei die Rote Armee, wie z. B. in Lauchhammer und Bockwitz, die örtlichen Kommunisten auf und übertrug ihnen die Verwaltungsgeschäfte. Ein Grund für diese Passivität lag zweifellos auch in der Ungewissheit, wie der Einmarsch der Roten Armee vonstatten gehen würde. Trotz aller Beteuerungen im Nachhinein waren wohl auch die Kommunisten und Sozialdemokraten genauso wie die übrige Bevölkerung geprägt von der Propaganda sowie den zahllosen Berichten der Flüchtlinge über die Grausamkeiten der Roten Armee. Auch wenn sie diese nicht glauben mochten, so blieb doch auch bei ihnen eine gewisse Unsicherheit. Ebenso mussten auch diese, trotz aller späteren öffentlichen Erklärungen, die zahlreichen Übergriffe der sowjetischen Soldaten wahrgenommen haben, was sicher auch einen Einfluss auf das Verhalten der Kommunisten und Sozialdemokraten in den ersten Tagen der Besatzung hatte. Auf der anderen Seite konnte sich jeder, der vor dem offiziellen Kriegsende öffentliche Posten übernahm, nicht sicher sein, ob es der deutschen Wehrmacht unter Umständen doch noch einmal gelänge, Gebiete zurückzuerobern. Wenn man bedenkt, dass deutsche Truppen bis zum 6. Mai 1945 noch immer direkt an der südlichen Grenze des Kreises Liebenwerda kurz vor Ortrand standen, so war dieser Gedanke nachvollziehbar. Letztlich konnte nur die Rote Armee die Sicherheit der neuen kommunalen Verantwortungsträger gewährleisten. Zum einen schützte das Wohlwollen der Roten Armee vor Übergriffen von Nationalsozialisten, zum anderen aber auch gegen Übergriffe von sowjetischen Soldaten. Unter diesen Bedingungen waren alle neuen deutschen Verwaltungen zwangsläufig auf die Rote Armee angewiesen. Die Voraussetzungen für die Initiative von eigenständigen „antifaschistischen Gruppen“ waren allerdings im Untersuchungsgebiet aufgrund der kaum vorhandenen Widerstandstätigkeit, der Angst vor einer Rückkehr der deutschen Wehrmacht, aber auch aufgrund der Furcht vor der Roten Armee

21 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 92–96.

Aufbau der Verwaltung

113

sehr ungünstig. Somit muss man der später erschienenen regionalen Literatur deutlich widersprechen, welche die Eigenständigkeit der „Aktivisten der erste Stunden“ hervorhob.22

2.

Der Aufbau der Verwaltung

2.1

Der Aufbau der Verwaltungen in den Städten und Gemeinden

Nachdem im letzten Gliederungspunkt festgestellt wurde, dass es im Untersuchungsgebiet keine von der Roten Armee unabhängigen Bemühungen gab, neue Kommunalverwaltungen aufzubauen, soll nun die von der Besatzungsmacht eingeleitete Umstrukturierung der kommunalen Verwaltungen im Untersuchungsgebiet näher betrachtet werden. Obwohl die Rote Armee bereits seit Ende Januar 1945 große Teile des Deutschen Reichs besetzt hielt, erließ die sowjetische Führung erst nach dem Angriff auf Berlin in der Spezialdirektive vom 20. April 1945 erste Anweisungen über den Neuaufbau der deutschen Verwaltung. In der Direktive vom 20. April 1945 wurden die in Deutschland kämpfenden Truppenteile der Roten Armee – neben der Schonung der deutschen Zivilbevölkerung – jedoch nur mit der Einsetzung von Bürgermeistern beauftragt.23 Wie der neue Verwaltungsaufbau konkret aussehen sollte, darüber sagte die Direktive noch nichts aus. Wie bereits im Abschnitt zum Kriegsende deutlich wurde, dauerte es wohl einige Tage, bis die unteren Truppenteile von den Bestimmungen der Direktive Kenntnis erhielten. Es verging in der Regel etwa eine Woche, bis der örtliche Kommandant einen kommissarischen deutschen Bürgermeister bestimmte. Wurde z. B. der Mühlberger Bürgermeister bereits am 27. April 1945 eingesetzt, so bestätigte der Kommandant den Bad Liebenwerdaer Bürgermeister erst am 3. Mai 1945.24 Da die Direktive vom 20. April 1945 den örtlichen Kommandanten keine konkreten Vorgaben über die Besetzung der Stellen machte, unterschieden sich auch die Personen und ihre politischen Voraussetzungen von Ort zu Ort sehr deutlich. In den beiden größten Städten des Kreises Schweinitz, Herzberg und Jessen, wurden zunächst die bisher amtierenden stellvertretenden Bürgermeister übergangsweise als Bürgermeister von der Roten Armee bestätigt. Erst nachdem in Herzberg am 28. April 1945 ein neuer Stadtkommandant eintraf, setzte dieser den Bürgermeister Heinrich Wilkniß ab und ernannte wenige Tage

22 Vgl. ebd., S. 102–104. 23 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 331. 24 Vgl. Beantworteter Fragebogen des Kriegskommandanten der Roten Armee vom 8.6.1945, S. 8 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.); Bekanntmachung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.).

114

Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

später den parteilosen Mechaniker Leo Gawlik zum neuen Bürgermeister.25 Dennoch wurde Heinrich Wilkniß von der Kommandantur noch nicht ganz aus allen Ämtern entfernt. Er gehörte zunächst noch dem von Leo Gawlik am 5. Mai 1945 verpflichteten provisorischen Stadtrat an.26 Auch in Jessen wurde das ­NSDAP-Mitglied Richard Schönduve noch bis zum 7. Mai 1945 als Bürgermeister geduldet, bis der Kommunist Richard Nobest von der örtlichen Kommandantur eingesetzt wurde.27 Auch mehrere Beispiele aus kleineren Orten belegen den anfänglichen toleranten Umgang mit Bürgermeistern, die vor dem Einmarsch der Roten Armee der NSDAP angehörten. Ende Oktober 1945 übten beispielsweise in 14 kleinen Orten des Kreises Schweinitz immer noch Bürgermeister ihr Amt aus, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren.28 Im Kreis Liebenwerda waren zum gleichen Zeitpunkt immerhin noch drei Bürgermeister im Amt, die vor dem Einmarsch der Roten Armee der NSDAP angehörten.29 Oftmals fehlten wohl in den kaum etwa 200 Einwohner großen Dörfern, wie z. B. Altsorgefeld, Borken oder Frankenhain, geeignete Personen, die diese Stellen übernehmen konnten. Kommunisten oder Sozialdemokraten gab es in diesen kleinen Dörfern nur selten. Aus diesem Grund griff die Rote Armee oftmals auf die alten Amtsträger zurück, wenn sie sich der Besatzungsmacht anboten und deren Befehle bedingungslos ausführten. Aus Mangel an Alternativen setzten die ersten Stadtkommandanten auch mehrere Bürgermeister ein, die vor 1933 keiner Partei angehörten. Erich Knopf in Bad Liebenwerda und Leo Gawlik in Herzberg waren dafür zwei Beispiele. In der Regel bemühten sich aber meistens auch die ersten örtlichen Kommandanten, Kommunisten oder Sozialdemokraten zu finden, um diese als Bürgermeister einzusetzen. Wie mühsam die Suche nach geeigneten Kommunisten war, belegte die Einsetzung des Bürgermeisters in der Gemeinde Langengras-

25 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 6. 26 Vgl. Auflistung der am 5.5.1945 durch Handschlag von Leo Gawlik vereidigten Stadträte und Ratsherren vom 15.5.1945 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.). 27 Vgl. Lebenslauf von Richard Nobest vom 28.5.1946 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1013a, Bl. 137–139). Richard Nobest (geb. 1893 in Holzweißig) trat 1911 in die SPD ein. Während des Ersten Weltkriegs wurde er 1917 wegen Wehrzersetzung zu drei Jahren Haft verurteilt. In den Wirren der Revolution kam er frei und arbeitete in Holzweißig im Spartakus-Bund mit. Er gehörte später der Kommunistische Arbeiterpartei (KAPD) an, die sich allerdings 1925 auflöste. 1928 zog er nach Jessen, wo er als Außenbeamter der „Schweizerischen Unfallversicherungsgesellschaft Winterthur“ tätig war. Zwischen 1933 und 1945 wurde er nicht verhaftet. 28 Vgl. Aufstellung der Personalien der ehrenamtlichen Bürgermeister der Landgemeinden des Kreises Schweinitz (November 1945; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 11 f.). 29 Vgl. Stellungnahme des Antifa-Ausschusses zum Prestewitzer Bürgermeister vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 124); Stellungnahme des Antifa-Ausschusses zum Dobraer Bürgermeister vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 123); Koßdorfer Amtsvorsteher an die Liebenwerdaer Kreisverwaltung über die politische Säuberung der Verwaltung vom 4.12.1945 (­LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 82).

Aufbau der Verwaltung

115

sau im östlichen Kreis Schweinitz. Da die Rote Armee innerhalb der Gemeinde nicht fündig wurde, besetzte sie das Amt mit dem aus dem Luckauer Gefängnis befreiten Schriftsteller Günther Weisenborn, der zur Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen (Rote Kapelle) gehörte und im nahen Luckau eine dreijährige Haftstrafe verbüßte.30 Auch wenn Weisenborn in Langengrassau nur kurze Zeit Bürgermeister blieb, verdeutlichte dieses Beispiel, wie schwierig es für die Besatzungsmacht in den kleinen ländlichen Gemeinden war, geeignete Bürgermeister zu finden. Dennoch konnten z. B. in den Orten des Mückenberger Ländchens überall sofort Kommunisten eingesetzt werden. Dabei nahm man, wie z. B. in Grünewalde, auch keine Rücksicht auf eine starke sozialdemokratische Tradition im Ort. So wurde in Grünewalde nicht etwa der Sozialdemokrat Otto Dietrich, der selbst nach der nur noch bedingt freien Kommunalwahl 1933 als Ortsvorsteher bestätigt wurde, wieder in sein Amt eingesetzt, sondern der Kommunist Paul Ruthenberg erhielt das Amt von der Besatzungsmacht zugesprochen.31 Dieses Beispiel unterstreicht, dass Sozialdemokraten meist nur für Ämter ausgewählt wurden, wenn für diese keine Kommunisten zur Verfügung standen. Lediglich in Falkenberg und in kleineren Dörfern wie z. B. Oehna und Schraden setzten die örtlichen Kommandanten Sozialdemokraten als Bürgermeister ein.32 Wie bereits erwähnt, waren die ersten Entscheidungen zur Besetzung der Bürgermeisterposten alles andere als homogen. Zwar wurden bevorzugt Kommunisten und Sozialdemokraten in die Bürgermeisterämter gehoben, doch auch aufgrund des Fehlens geeigneter kommunistischer und sozialdemokratischer Kandidaten vor allem in den Dörfern setzte die Besatzungsmacht zunächst parteiunabhängige Bürgermeister ein bzw. beließ sogar einige ehemalige NSDAP-Mitglieder in ihren Ämtern. Dies wirft nun die Frage auf, wie die neuen Bürgermeister von den sowjetischen Besatzern ausgewählt wurden. Zunächst lässt sich festhalten, dass die von der Roten Armee eingesetzten örtlichen Kommandanten kaum etwas über ihren Einsatzort wussten. Dies bewies nicht zuletzt das Verhalten des Ortskommandanten von Mühlberg, welcher der neu eingesetzten Stadtverwaltung immer wieder große Fragebogen über die sozialen Verhältnisse in der Stadt vorlegte.33 Aufgrund ihrer Unkenntnis über die örtlichen Gegebenheiten versuchten die einmarschierten Rotarmisten zunächst, sich einen allgemeinen Überblick über das besetzte Gebiet zu verschaffen. So begann die Rote Armee sofort mit dem

30 Vgl. Günther Weisenborn an Johannes R. Becher vom 22.6.1945. In: Rolf Harder (Hg.), Briefe an Johannes R. Becher 1910–1958, Berlin 1993, S. 161–163. 31 Vgl. Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 11.9.1945, in Besitz von Helfried Dietrich, Koynestraße 15, 01979 Grünewalde. Helfried Dietrich ist der Enkel des ehemaligen Liebenwerdaer SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich. 32 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 110. 33 Vgl. Beantworteter Fragebogen des Kriegskommandanten der Roten Armee vom 8.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

Verhör einzelner Einwohner, um auch von diesen zu erfahren, wer als geeigneter Bürgermeisterkandidat infrage kommen würde. Der Pfarrer Schulze aus Bad Liebenwerda berichtete beispielsweise, wie in seinem Haus ein solches Verhörzimmer eingerichtet wurde und wie sich hier die ersten sowjetischen Truppen einen Überblick über die örtlichen Gegebenheiten verschafften.34 Auch Willy Thiele, der in Gröden zum neuen Bürgermeister bestimmt wurde, berichtete Ähnliches. Er schrieb später dazu: „Am 9. Mai 1945 kamen 4 Offiziere der Roten Armee und forderten einige ehemalige Nazi-Gemeindevertreter auf, einen Bürgermeister zu beschaffen. Vorgeschlagen wurde Willy Thiele, Neue Str. 5. Durch eine Dolmetscherin und einen Soldaten der Roten Armee wurde W. Thiele in das Haus Dorfstraße 80 geholt und den Offizieren vorgestellt. Es wurden Fragen gestellt über Parteizugehörigkeit vor und während der Nazizeit. Thiele gab den Offizieren zu verstehen, dass er selbst Soldat war und bei den Kämpfen in der Sowjetunion den linken Unterschenkel verloren hat. Die Antwort des leitenden Offiziers war, Soldat ist Soldat. Thiele wurde aufgefordert, vorläufige Beauftragte des Dorfrates zu bilden, eine Poststelle einzurichten und die Versorgung zu sichern.“35 Bei der Besetzung der Bürgermeisterstellen schreckten die sowjetischen Besatzungsoffiziere also auch nicht davor zurück, ehemalige Amtsträger in Verhören über mögliche Nachfolger zu befragen. Auf der anderen Seite spielte auch der Zufall eine gewisse Rolle bei der Neubesetzung der Stellen. Der neue Bürgermeister von Herzberg, Leo Gawlik, war z. B. nach dem Abzug der Wehrmacht einer der ersten, der die ankommende Rote Armee begrüßte und durch die Stadt führte.36 Wer als Erster Kontakt zur Roten Armee aufbaute und das erste Vertrauen erwarb, hatte durchaus große Chancen, zum ersten kommissarischen Bürgermeister ernannt zu werden. Dies bewies das Verhalten des neuen Mühlberger Bürgermeisters Alfred Kümmel, der nach dem Einmarsch der Roten Armee sofort Kontakt mit der Roten Armee aufnahm und prompt als Bürgermeister eingesetzt wurde.37 Ausgeschlossen werden kann hingegen, dass aus dem Moskauer Exil kommende Kommunisten an der Seite der Roten Armee in die Besetzung der ersten Bürgermeisterstellen eingegriffen. Die Entscheidung über die Einsetzung der ersten Bürgermeister lag im Gegensatz zu mehreren Großstädten in der SBZ hier allein bei der Roten Armee. Ein großes Problem der neu eingesetzten Bürgermeister war allerdings deren Unerfahrenheit in der Verwaltungsarbeit. Aus diesem Grund gaben mehrere Bürgermeister ihre Ämter nach kurzer Zeit freiwillig wieder auf bzw. wurden

34 Vgl. Rede des ehemaligen Bürgermeisters Pfarrer Gustav Adolf Schulze zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 1 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 35 Willy Thiele, Chronik der Gemeinde Gröden, Gröden 1988, S. 26. Willy Thiele wurde am 9.5.1945 zum Grödener Bürgermeister ernannt. 36 Vgl. Chronik der Ereignisse der Stadt Herzberg 1939/45 vom 22.4.1985, S. 5 (KA Herzberg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 406, unpag.). 37 Vgl. Der Aufbau. Stimme der Stadt Mühlberg (Elbe) und Umgebung vom 25.5.1945, Nr. 1.

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von der Besatzungsmacht ausgetauscht. Der Bad Liebenwerdaer Bürgermeister, Erich Knopf, war einer der Ersten, der sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlte. Otto Philipp berichtete später dazu: „All diese Arbeit spannte die Einzelnen bis zum Äußersten an. Der Geist musste fieberhaft arbeiten, um all diese Probleme, um all diese Gedanken in die Tat umzusetzen. Es war daher kein Wunder, dass unser bisheriger Bürgermeister, Herr Knopf, nach einigen Wochen aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegte und es mir übergeben wollte […]. Ich lehnte dieses Ersuchen trotz Bitten ab, weil ich mich durch das Amt des Bürgermeisters nicht in meiner aufbauenden Tätigkeit, in der Arbeit für die Festigung der Verwaltung unterbrechen lassen wollte, und schlug daher den Pfarrer Schulze als komm. Bürgermeister vor. Er nahm dann auch dieses Amt nach langem Sträuben an.“38 Nachdem Erich Knopf am 18. Mai 1945 seinen Verzicht auf das Amt erklärte, wurde der evangelische Pfarrer Gustav Adolf Schulze zum kommissarischen Bürgermeister ernannt, was ebenso nicht in das ideologische Bild der Besatzungsmacht zu passen schien. Doch wurde er zunächst überraschenderweise von der Besatzungsmacht geduldet. Auch in Elsterwerda waren die ersten Bürgermeister nicht in der Lage, ihr Amt zur Zufriedenheit der Besatzungsmacht auszufüllen. Hier erkannte die örtliche Kommandantur, dass die ersten eingesetzten Bürgermeister mit ihren Aufgaben vollkommen überfordert waren. Obwohl die ersten beiden Elsterwerdaer Bürgermeister Eduard Hillmann und Arno Beeger vor 1933 der KPD angehörten, wurden diese Mitte Mai 1945 ausgetauscht. Der sowjetische Kommandant suchte daraufhin eine pragmatische Lösung und setzte den Direktor des Gaswerks, Willy Rose, als Bürgermeister ein, der nach der Zulassung der Parteien Mitglied der Christlich-Demokratischen Union (CDU) in Elsterwerda wurde.39 Rose, der in der neuen Stadtverwaltung hauptsächlich mit Kommunisten zusammenarbeiten musste, gelang es, Ordnung in den Verwaltungsaufbau zu bringen. Auch die Personalbesetzung des Elsterwerdaer Bürgermeisters zeigte, dass die Besatzungsmacht zumindest in der ersten Zeit der Besatzung einen gewissen Pragmatismus bei der Besetzung der Verwaltungsposten an den Tag legte. Willy Rose blieb schließlich bis zum 31. Juli 1945 im Amt, bis das ehemalige SPD-Mitglied Karl Böhme, der später zur KPD wechselte, das Amt vom Kreiskommandanten sowie vom inzwischen eingesetzten neuen kommunistischen Landrat Paul Paulick übertragen bekam.40 Die erste einheitliche Überprüfung des bisher meist nach den Willen der örtlichen Kommandanten recht planlos vonstatten gehenden Verwaltungsaufbaus

38 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 6 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 39 Vgl. StA Elsterwerda, Ausarbeitung über die NS-Zeit, 2. Weltkrieg und den Neuaufbau 1933 bis 1946 von Erhard Galle, Teil A1. 40 Vgl. Handschriftlicher Lebenslauf von Karl Böhme vom 12.6.1950 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4778, unpag.).

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wurde erst nach dem 13. Mai 1945 durchgeführt. An diesem Tag erließ der Kriegsrat der 1. Ukrainischen Front zum ersten Mal detaillierte Richtlinien über den Aufbau der deutschen Kommunalverwaltung. Die kommissarisch eingesetzten deutschen Bürgermeister mussten nach den neuen Richtlinien persönlich vom Stellvertreter des Kommandeurs der 1. Ukrainischen Front für Zivilangelegenheiten bestätigt werden.41 Dies bedeutete, dass alle von den örtlichen Kommandanten getroffenen Entscheidungen über die Besetzung der Bürgermeisterstellen nun nochmals überprüft werden mussten. Die Überprüfung begann im Kreis Liebenwerda in der Kreisstadt am 18. Mai 1945. An diesem Tag stellte ein sowjetischer Offizier dem neuen Magistrat die Richtlinien zum Verwaltungsaufbau vor. Am Ende der Sitzung verlangte er vom Bürgermeister und allen Beigeordneten einen handschriftlichen Lebenslauf, den diese innerhalb einer Stunde fertigstellen sollten.42 Infolgedessen bat der örtliche Kommandant den erst kürzlich zum Bürgermeister ernannten Pfarrer Gustav Adolf Schulze am 19. Mai 1945 zu einem Gespräch, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er entlassen sei. Als sein Nachfolger wurde Arthur Bluhm bestimmt, der vor 1933 als einziger Kommunist der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnetenversammlung angehörte.43 Die Kommandantur in Herzberg ging in gleicher Weise vor. Auch hier teilte man dem parteilosen Bürgermeister Leo Gawlik mit, dass er und sein gesamter Stadtrat entlassen seien. Am 22. Mai 1945 wurde daraufhin der Kommunist Otto Eger von der Kommandantur als Herzberger Bürgermeister eingesetzt.44 Nachdem nun in beiden Kreisstädten Kommunisten zum Bürgermeister ernannt worden waren, wurden auch in den anderen großen Orten des Untersuchungsgebiets nahezu überall kommunistische Bürgermeister eingesetzt. Lediglich in Falkenberg, dem zweitgrößten Ort des Kreises Liebenwerda, blieb der anfänglich eingesetzte SPD-Bürgermeister, August Wilhelm Küver, in seinem Amt, da sich der ehemalige KPD-Vorsitzende in Falkenberg, Edmund Herold, zu diesem Zeitpunkt noch in Kriegsgefangenschaft befand und erst 1946 entlassen wurde.45 Von den in 78 Orten des Kreises Liebenwerda eingesetzten Bür-

41 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 332. 42 Vgl. Niederschrift der Magistratssitzung vom 18.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 43 Vgl. Bekanntmachung vom 21.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 44 Vgl. Lebenslauf von Otto Eger (undatiert; StA Herzberg, Nr. 43, unpag.). Otto Eger (geb. 1892 in Herzberg) schloss sich nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst im Jahr 1919 der Herzberger USPD an, aus der er im Jahr 1921 mit zehn weiteren Mitgliedern zur KPD übertrat. Innerhalb der KPD war er von 1921 bis 1933 Kassierer. Ein kommunalpolitisches Amt bekleidete er vor 1933 nicht. Beruflich betätigte er sich von 1924 bis 1931 bei der Fa. Taut & Milsch in Herzberg als Langholzfahrer. Von 1931 bis 1932 war er arbeitslos. Danach arbeitete er als Gelegenheitsarbeiter. Erst im Jahr 1934 fand er wieder eine Festanstellung als Hofarbeiter bei der Fa. Marx & Moschütz in Herzberg. Zur Wehrmacht wurde er im Januar 1945 eingezogen, kam aber bereits im März 1945 krank nach Herzberg zurück. 45 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 110.

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germeistern gehörten bereits Ende 1945 insgesamt 57 der KPD bzw. der SPD und nur einer der CDU an. Die restlichen 20 Bürgermeister waren parteilos.46 Da die beiden Arbeiterparteien im ländlichen Kreis Schweinitz vor 1933 keine große Mitgliederbasis besaßen, sah hier dass Bild etwas anders aus. Dennoch gelang es der KPD bis zum 27. Oktober 1945, insgesamt 22 Bürgermeister im Kreis zu stellen. Der SPD gehörten bis zu diesem Zeitpunkt nur 8 Bürgermeister an. Die restlichen 85 Bürgermeister waren parteilos.47 Trotz der Schwäche der KPD im Kreis Schweinitz war sie allerdings mit der Hilfe der Besatzungsmacht in der Lage, in allen sechs Städten des Kreises den Bürgermeisterposten zu besetzen.48 Die Bürgermeisterstellen in den Städten wurden also spätestens seit Mitte Mai 1945 nach dem Erlass der Richtlinien zum Aufbau der Kommunalverwaltung konsequent mit ehemaligen KPD-Mitgliedern besetzt. Gab es vor dem 13. Mai 1945 noch keine klare einheitliche Linie bei der Besetzung der Bürgermeisterstellen, so setzte nun die Besatzungsmacht ihren gesamten Einfluss ein und drängte parteilose oder bürgerliche Verantwortungsträger vor allem zugunsten der Kommunisten systematisch zurück. Dies zeigte sich auch ganz deutlich in der Besetzung der Abteilungsleiterposten in den örtlichen Verwaltungen. Auch die wichtigsten deutschen Verwaltungsposten sollten, laut den sowjetischen Richtlinien zum Verwaltungsaufbau vom 13. Mai 1945, durch den Ortskommandanten sowie durch einen Bevollmächtigten des Stellvertreters des Oberbefehlshabers der 1. Ukrainischen Front für Zivilangelegenheiten bestimmt werden. Im Weiteren wurden in der Richtlinie folgende Abteilungen in den deutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen geschaffen: Industrie und Handwerk, Handel und Versorgung, Kommunalbetrieb, Finanzen und Steuern, Gesundheitswesen, Aufklärung (Bildung), Soziale Sicherheit, Schutz der öffentlichen Ordnung und Personalwesen.49 Dies hatte zur Folge, dass die bisher bestehende Struktur der Verwaltung, die entweder aus der Zeit vor der Besetzung übernommen wurde oder in der kurzen Zeit selbst aufgebaut wurde, nun wieder abgeschafft werden musste. In jedem größeren Ort des Untersuchungsgebiets entstanden in der Folgezeit die oben beschriebenen Abteilungen, womit auch die von Jan Foitzik aufgeworfene Frage nach der Umsetzung der Richtlinien vom 13. Mai 1945 beantwortet werden konnte.50 Nachdem festgelegt wurde, wie die Verwaltung strukturiert sein sollte, nutzten nun die sowjetischen Kommandanten ihre Möglichkeiten, neben den Bürgermeisterposten auch die Abteilungsleiter zu überprüfen und

46 Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 105. 47 Situationsbericht aus dem Kreise Schweinitz vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 40 f.). 48 Vgl. Aufstellung der Personalien des Landrats und der hauptamtlichen Bürgermeister der Städte des Kreises Schweinitz vom 25.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 10). 49 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 331 f. 50 Vgl. ebd.

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g­ egebenenfalls auszuwechseln. Dafür wurden zunächst die bisher z. B. in Herzberg oder in Bad Liebenwerda eingesetzten Stadträte bzw. Beigeordneten abgelöst, die laut den Richtlinien vom 13. Mai 1945 im neuen Verwaltungsaufbau nicht mehr vorkommen sollten. Die Herzberger Kommandantur entledigte sich z. B. bei dieser Gelegenheit, in Absprache mit dem neuem Bürgermeister Otto Eger, aller bürgerlichen Stadträte. Beispielsweise wurden dadurch der kurzzeitige Bürgermeister Heinrich Wilkniß und der spätere CDU-Kreisvorsitzende Hermann Schlieben aus der kommunalen Politik gedrängt. Eger besetzte nun zusammen mit den Offizieren der Roten Armee u. a. den Posten des Sekretärs des Bürgermeisters und das Amt für Gesundheitswesen mit KPD-Mitgliedern. Die Leiter des Amts für Kommunalverwaltung, der Leiter des Amts für Handel und Belieferung sowie der Leiter des Amts für Handel und Gewerbe traten später der Herzberger SPD bei. Lediglich der Leiter des Amts für Finanzen und Steuerverwaltung, ein ehemaliger Sparkassenangestellter, blieb parteilos.51 Ein ähnliches Bild ergab sich in Bad Liebenwerda. Nachdem Gustav Adolf Schulze des Bürgermeisteramts enthoben wurde, wurden auch hier unter dem neuen kommunistischen Bürgermeister Arthur Bluhm die neu entstandenen Abteilungen vollkommen neu besetzt. Otto Philipp beschrieb später, wie schwierig diese Aufgabe war. „Es musste binnen weniger Stunden das Gerippe der Verwaltung fertiggestellt werden. Alles dies musste in kürzester Frist geschehen. Die Verwaltung musste in einzelne Abteilungen zerlegt und mit Männern besetzt werden, die nach unserer Ansicht fähig waren, die Abteilungen zu leiten […]. Diese schwere Aufgabe wurde gelöst. Ich weiß heute nicht mehr, wie dies in dieser kurzen Zeit fertiggebracht wurde.“52 Obwohl der stellvertretende Bad Liebenwerdaer Bürgermeister Otto Philipp im Nachhinein nichts von einer Stellenbesetzung anhand parteipolitischer Kriterien erwähnte, konnte man bei einer genaueren Betrachtung der neuen Abteilungsleiter feststellen, dass diese nahezu alle der KPD oder SPD angehörten. Laut einer Aufstellung vom 23. Mai 1946 über die Gründung der SED-Betriebsgruppe waren sechs der ersten neun Abteilungsleiter spätere SED-Mitglieder. Lediglich der Bad Liebenwerdaer Leiter der Abteilung Finanzen, Walter Foth, gehörte später der LDP an.53 Besonders deutlich wurde die Einsetzung von Kommunisten in die örtliche Verwaltung in den Orten, in denen bereits vor 1933 eine starke KPD existierte. Im gesamten Mückenberger Ländchen, in Mückenberg, Lauchhammer, Bock-

51 Vgl. Personalbestandsnachweisung der Bürgermeisterei Herzberg (Elster) vom 1.6.1945 (StA Herzberg, Nr. 192, unpag.); Personalübersicht zwischen 1.1. und 30.5.1946 (StA Herzberg, Nr. 29, unpag.). 52 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 7 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 53 Vgl. ebd., S. 7; Protokoll der Gründungsversammlung der SED-Betriebsgruppe in der Stadtverwaltung vom 23.5.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 147, unpag.). Eine ältere Aufschlüsselung der Parteizugehörigkeit der Bad Liebenwerdaer Abteilungsleiter war nicht auffindbar.

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witz, Dolsthaida, Kleinleipisch und Grünewalde, wurden bis zum 31. Oktober 1945 insgesamt 85 Personen seit dem Einmarsch der Roten Armee in den Gemeindeverwaltungen neu angestellt. Darunter befanden sich 49 KPD-Mitglieder, 5 SPD-Mitglieder und 31 Parteilose. Insgesamt waren also 57,6 Prozent des neuen Personals der Gemeindeverwaltungen im Mückenberger Ländchen KPD-Mitglieder.54 Im gesamten Kreis Liebenwerda wurden bis zum 31. Oktober 1945 insgesamt 427 Personen in die neuen Stadt- und Gemeindeverwaltungen neu eingestellt. Von diesen gehörten wiederum 163 der KPD und 46 der SPD an. Die restlichen 218 Personen waren parteilos.55 Im gesamten Kreis Liebenwerda lag damit zwar der Durchschnittswert etwas unter dem Mückenberger Ländchen, es gehörten aber immer noch 38,2 Prozent der neueingestellten Verwaltungsmitarbeiter der KPD an. Da zudem vor allem die Schlüsselpositionen in den Verwaltungen mit KPD-Mitgliedern besetzt wurden, gelang es der Besatzungsmacht und der KPD nahezu in jedem Ort des Kreises, ihre Mitglieder in entscheidende Positionen zu platzieren. Abschließend lässt sich zur Besetzung der wichtigsten Verwaltungsposten sagen, dass nicht nur möglichst alle Bürgermeisterposten, sondern auch möglichst viele Abteilungsleiterposten von der Besatzungsmacht mit Kommunisten besetzt wurden. In den Städten und Dörfern, in denen man nicht genügend geeignetes Personal aus der kommunistischen Partei fand, griffen die örtlichen Kommandanten und KPD-Bürgermeister, wie z. B. in Herzberg und Bad Liebenwerda, auch auf ehemalige Sozialdemokraten zurück. So stellten diese z. B. im Kreis Liebenwerda bis zum 31. Oktober 1945 insgesamt 10,7 Prozent der neu eingestellten Mitarbeiter in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen.56 Nur in wenigen Fällen und insbesondere bei Posten, die eine hohe Qualifikation erforderten, wie z. B. Leiter des Amts für Finanzen bzw. Leiter der Bildungsabteilung, griff man bei der Besetzung von Abteilungsleiterposten auf parteilose Personen zurück. In allen wichtigen Städten des Untersuchungsgebiets besetzten aber vor allem KPD- und vereinzelt SPD-Mitglieder von Beginn des Neuaufbaus der Stadtverwaltungen die einflussreichsten Posten. Dass diese enorme kommunale Machtkonzentration der KPD, die nur auf den direkten Einfluss der Besatzungsmacht zurückzuführen war, später nach den offiziellen Gründungen der Parteien sehr viel Unmut bei den benachteiligten Parteien hervorrufen musste, lag auf der Hand. Nachdem der Verwaltungsaufbau im Bereich der 1. Ukrainischen Front mit den Richtlinien vom 13. Mai 1945 vereinheitlicht wurde, begann unmittelbar die systematische Übernahme der örtlichen Verwaltungen durch ehemalige KPD-Mitglieder. Somit wurden von der sowjetischen Besatzungsmacht zusammen mit den KPD-Mitgliedern spätestens seit Mitte

54 Zusammenstellung der Neueinstellungen in der Kreis- sowie den Stadt- und Gemeindeverwaltungen des Kreises Liebenwerda vom 31.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 343 f.). 55 Ebd. 56 Vgl. ebd.

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Mai 1945 die Weichen für die Durchsetzung aller weiteren Ziele der KPD gestellt. Das Fundament für die spätere SED-Diktatur wurde damit bereits unmittelbar nach dem offiziellen Kriegsende gesetzt. Auch wenn kurze Zeit später, am 11. Juni 1945, bereits die Gründung von Parteien in der SBZ erlaubt wurde, die Verteilung der wichtigsten Verwaltungsposten war zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen bereits abgeschlossen. 2.2 Der Aufbau der Kreisverwaltungen Nach dem Einmarsch der Roten Armee fehlten den sowjetischen Ortskommandanten zunächst die Weisungen in Bezug auf die Wiedereinrichtung der Kreisverwaltungen. Die Direktive vom 20. April 1945 ordnete lediglich die Einsetzung von neuen Bürgermeistern an. Über die Einsetzung von neuen Landräten wurde darin nichts erwähnt.57 Aus diesem Grund unterschied sich der Umgang der Besatzungsmacht mit den beiden Kreisverwaltungen in Herzberg und Bad Liebenwerda in der ersten Phase der sowjetischen Besetzung deutlich. Da im Kreis Schweinitz weite Teile der Kreisverwaltung zurückgeblieben waren, griff die Besatzungsmacht sehr schnell auf dieses Potenzial zurück und setzte bereits am 5. Mai 1945 den Herzberger Lehrer Willi Lüderitz als neuen Landrat ein.58 Im Kreis Liebenwerda fand die Ortskommandantur hingegen keine funktionierende Kreisverwaltung vor, da sich deren Verwaltungsspitzen unter der Führung des Landrats Georg Röhrig mit nahezu allen Mitarbeitern am 22. April 1945 zusammen mit den deutschen Truppen planmäßig über die Elbe absetzten.59 Die Besatzungsmacht ließ sich im Kreis Liebenwerda bis zum 1. Juni 1945 Zeit, bis wieder ein Landrat eingesetzt wurde. Erst nach dem Erlass der Richtlinien zum Wiederaufbau der deutschen Kommunalverwaltungen im Bereich der 1. Ukrainischen Front am 13. Mai 1945 wurden die örtlichen Kommandanten angewiesen, sogenannte Kreisvorsitzende mit einem Beraterstab zu benennen. Die Mitarbeiter des Beraterstabs waren gleichzeitig die verantwortlichen Leiter der neuen Abteilungen, deren Struktur dem Abteilungsaufbau in den Städten und Gemeinden ähnelte.60 Da 57 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 331. 58 Vgl. Lebenslauf von Willi Lüderitz (undatiert; StA Herzberg, Nr. 68, unpag.). 59 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). Der Landrat Georg Röhrig wurde am 4.5.1945 in Görschlitz bei Bad Düben für einen Tag von sowjetischen Soldaten verhaftet. Nach seiner Freilassung einen Tag später überquerte er die Mulde, um in den amerikanisch besetzten Teil Deutschlands zu gelangen. Am 17.5.1945 meldete er sich bei der von den Amerikanern eingesetzten Bezirksverwaltung in Merseburg. Nachdem er hier einen Fragebogen ausfüllen musste, wurde er erneut verhaftet, jedoch am 25.5.1945 wieder entlassen. Sein Antrag auf eine Beschäftigung in der Bezirksverwaltung wurde später abgelehnt. Vgl. Landrat Georg Röhrig zur Beschäftigung bei der Regierung Merseburg vom 28.5.1945 (LHASA, MER, C 48 Ia II, Nr. 39, unpag.). 60 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 331 f.

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vor dem 13. Mai 1945 noch keine verbindlichen Richtlinien festgelegt waren, wurden diese nun überall dort, wo die Kreisverwaltungen bereits neu besetzt waren, genauso wie die örtlichen Verwaltungen nochmals kontrolliert und nach den Richtlinien vom 13. Mai 1945 umgestaltet. Da im Kreis Schweinitz Willi Lüderitz bereits als Landrat eingesetzt wurde, überprüfte ihn die Besatzungsmacht genauso wie den Herzberger Bürgermeister Leo Gawlik. Willi Lüderitz entsprach aber genauso wie der parteilose Leo Gawlik nicht den neuen Vorstellungen der übergeordneten Kommandantur. Trotz Lüderitz’ entschiedener Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und trotz seiner Haft in Torgau, aus der er erst am 26. April 1945 von Amerikanern und Russen befreit worden war, wurde er vom Posten des Landrats abberufen. Wahrscheinlich aufgrund seines Offiziersrangs im Ersten Weltkrieg und seiner langjährigen Mitgliedschaft im Herzberger Stahlhelm erschien er der sowjetischen Kommandantur für nicht geeignet, den Landratsposten weiter zu bekleiden.61 Als Nachfolger von Willi Lüderitz setzte der Kommandant am 1. Juni 1945 den Herzberger Paul Jeß ein, der, im Gegensatz zu Willi Lüderitz, vor 1933 der KPD angehörte. Jeß war allerdings vor der nationalsozialistischen Machtergreifung nie in einem politischen Amt tätig. Er arbeitete von 1920 bis 1930 bei der Firma Marx & Moschütz in Herzberg als angelernter Former und trat 1927 der KPD bei. Aufgrund seiner KPD-Mitgliedschaft wurde er als einer der ersten in der Firma im Jahr 1930 entlassen. Erst als es dem Herzberger Armaturenhersteller wirtschaftlich wieder besser ging und nachdem sich Paul Jeß lange Zeit mit Gelegenheitsbeschäftigungen durchschlug, wurde er im Jahr 1934 wieder eingestellt. Von politischer Verfolgung in der Zeit nach der nationalsozialistischen Machtergreifung erwähnte Paul Jeß in seinem Lebenslauf nichts. Am 9. Juni 1940 wurde er dienstverpflichtet und arbeitete bis zum 17. Mai 1945 in der Sprengstofffabrik (Wassag) in Elsnig als Pförtner. Am 18. Mai 1945 kehrte er nach Herzberg zurück und wurde hier kurze Zeit später zum Landrat berufen.62 Im Vergleich zu dem Lehrer Willi Lüderitz brachte Paul Jeß kaum die fachlichen Voraussetzungen für den Landratsposten mit. Dass die fachlichen Voraussetzungen für den Posten bei der Stellenbesetzung nicht die entscheidende Rolle spielte, sondern politische Interessen den Ausschlag dazu gaben, wurde hierbei erneut sehr deutlich. Letztlich zeigte die Einsetzung von Paul Jeß,

61 Vgl. Lebenslauf von Willi Lüderitz (undatiert; StA Herzberg, Nr. 68, unpag.). Willi Lüderitz (geb. 1893 in Falkenberg [Elster] absolvierte im Jahr 1913 seine erste Lehrerprüfung in Elsterwerda. Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Lehrerprüfung wurde er zum Militär eingezogen. Er nahm daraufhin als Leutnant am Ersten Weltkrieg teil und wurde im Januar 1920 aus dem Militär entlassen. Von März 1920 bis Dezember 1925 unterrichtete er in Gieckau-Pohlitz (Kreis Naumburg). Am 1.1.1926 versetzte ihn das Schulamt nach Herzberg, wo er bis zu seiner Verhaftung kurz vor Kriegsende 1945 lehrte. Nachdem er am 26.4.1945 aus dem Torgauer Untersuchungsgefängnis befreit wurde, kehrte er am 28.4.1945 nach Herzberg zurück. 62 Vgl. Lebenslauf von Paul Jeß vom 29.9.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 287/6, Bl. 3).

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der im Mai 1946 u. a. wegen „Überforderung“ wieder abgesetzt wurde, dass die sowjetische Besatzungsmacht im Kreis Schweinitz sehr große Schwierigkeiten bei der Suche nach ehemaligen KPD-Mitgliedern hatte.63 Im Gegensatz dazu konnte die Besatzungsmacht im Kreis Liebenwerda auf mehrere durchaus für diesen Posten geeignete ehemalige KPD-Mitglieder zurückgreifen. So war es nicht überraschend, dass der Liebenwerdaer Kreiskommandant ein KPD-Parteimitglied aus dem Mückenberger Ländchen, dem industriellen Herzen des Landkreises, zum neuen Landrat bestimmte. Die Wahl fiel in diesem Fall auf den neuen Mückenberger Bürgermeister Paul Paulick, der als einer der ersten Kommunisten im Landkreis nach Kriegsende eine Initiative zur Übernahme der kommunalen Verantwortung startete. Paulick gehörte bereits seit 1912 der SPD an und trat über die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) im Jahr 1920 der KPD bei. Vor 1933 war er lange Zeit Mückenberger Gemeindevertreter, gehörte dem Kreistag an und bekleidete das Amt eines Provinziallandtagsabgeordneten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er bereits am 13. März 1933 als einer der ersten Kommunisten im Kreis Liebenwerda verhaftet und zunächst bis Ende Juli 1933 im Konzentrationslager Sonnenburg festgehalten. Am 14. Oktober 1933 verhaftete man ihn erneut. Die Haft verbrachte er im Konzentrationslager Lichtenburg, wo er von den Aufsehern schwer misshandelt wurde.64 Im Juni 1935 wurde er aus Gesundheitsgründen aus dem Konzentrationslager entlassen. Er verbrachte die restliche NS-Zeit unter ständiger Gestapo-Überwachung in Mückenberg. Paul Paulicks beruflicher Werdegang entsprach neben seiner politischen Erfahrung durchaus dem Anforderungsprofil für den Posten eines Landrats. Nachdem er vor dem Ersten Weltkrieg Zimmermann lernte, musste er aufgrund einer Kriegsverwundung seine berufliche Tätigkeit ändern. Zunächst als Kanzleigehilfe beim Magistrat in Schweinitz tätig, kam er 1917 nach Mückenberg, wo er bis Ende August 1918 als Lohnbuchhalter bei der Bubiag arbeitete. Daraufhin machte er sich selbstständig und führte bis 1930 ein Bekleidungsgeschäft sowie von 1930 bis zu seiner Verhaftung 1933 das Mückenberger Kino. Nachdem er aus der Haft entlassen wurde, war er als Buchhalter für kleinere Gewerbetreibende tätig.65 Paul Paulick gehörte unter den Kommunisten aus dem Untersuchungsgebiet zu einem der wenigen, der zu einem großen Teil verwaltungstechnische Erfahrungen besaß und nicht unmittelbar als Vertreter der Arbeiterklasse eingestuft werden konnte. Somit war er wohl von allen überlebenden Kommunisten im Kreis Liebenwerda am besten für dieses Amt geeignet, auch wenn ihn seine durch die Haft verursachte körperliche Behinderung schwer beeinträchtigte.

63 Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über den Landrat in Herzberg vom 25.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 288, Bl. 34). 64 Vgl. Lebenslauf von Paul Paulick vom 1.11.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 287/7, Bl. 7–9). 65 Vgl. ebd.

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Obwohl nach dem 1. Juni 1945 beide Kreisverwaltungen von ehemaligen KPD-Mitgliedern geführt wurden, entwickelte sich die kommunale Verwaltungsstruktur der beiden Kreise zunächst auseinander. Dies lag vor allem an den unterschiedlichen sozialen und politischen Verhältnissen. Da im Kreis Liebenwerda eine starke Arbeiterbewegung existierte, sah hier der Kreiskommandant keine Notwendigkeit zur Veränderung der Verwaltungsstruktur. Im Kreis Schweinitz wirbelte der Kreiskommandant hingegen die gesamte Verwaltungsstruktur mit einem Schlag durcheinander. Er ordnete an, dass alle Amtsbezirke abgeschafft werden sollten. An deren Stelle entstanden sechs Bezirksbürgermeistereien, in den Quellen auch als Rayons bezeichnet, die in den sechs Städten des Kreises, Herzberg, Jessen, Seyda, Schweinitz, Schönewalde und Schlieben, eingerichtet wurden.66 Der Aufgabenbereich der Bezirksbürgermeister wurde zunächst von der Besatzungsmacht nicht konkret festgelegt. So erfolgte die Anordnung vom Schweinitzer Kreiskommandanten zur Einrichtung der Bezirksbürgermeistereien lediglich mündlich.67 Die Bezirksbürgermeister definierten aufgrund der ungenauen Anordnung ihr Amt in der Folgezeit meist vollkommen unterschiedlich. Das Landratsamt in Herzberg schrieb dazu an den Regierungspräsidenten in Merseburg: „Aus dieser Unterstellung der Landgemeindebürgermeister unter die Bezirksbürgermeister ergibt sich nun die Tatsache, dass der Amtsvorsteher zurzeit eine überflüssige Einrichtung geworden ist, denn die Befugnisse dieser Ehrenbeamten sind nach Ansicht einiger Bezirksbürgermeister jetzt auf sie übergegangen. Die Zuständigkeit dieser Bezirksbürgermeister ist verwaltungsmäßig in keiner Weise abgegrenzt, sie stützen sich bei Ausübung ihres Amts lediglich auf die Anordnungen ihres Stadtkommandanten.“68 Da die alten Amtsbezirke laut diesem Schreiben wegfielen, übernahmen die Bezirksbürgermeister u. a. die wichtige Aufgabe der Polizeigewalt in den umliegenden Dörfern. Gleichzeitig überschnitten sich die Aufgaben der Bezirksbürgermeiste­ reien mit denen der Kreisverwaltung, was zu einem verwaltungstechnischen Durcheinander führte, über das sich der Landrat bei der Bezirksverwaltung beschwerte.69 Paul Jeß schrieb dazu: „Diese Zerstörung des bisherigen Verwaltungsapparats führte zu immer unerträglicheren Verhältnissen, indem jeder Bezirksbürgermeister unter Berufung auf Anordnung seines zuständigen Ortskommandanten in die Verwaltung der ihm unterstellten Verwaltungen eingriff,

66 Vgl. Schweinitzer Landrat über die kommunalen Verhältnisse im Kreis Schweinitz an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 11.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Herz­ berg, Nr. 355, Bl. 1). 67 Vgl. Präsident der Provinz Sachsen über die Umwandlung der kommunalen Verwaltungsstruktur im Kreis Schweinitz an den Generalmajor Kotikow in Halle vom 17.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 355, Bl. 2). 68 Schweinitzer Landrat über die kommunalen Verhältnisse im Kreis Schweinitz an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 11.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 355, Bl. 1). 69 Vgl. ebd.

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z. B. Bürgermeister absetzte und einsetzte, ohne mich zu befragen, eigenmächtige Beschlagnahmungen durchführte, statistische Erhebungen seiner Kommandantur erstattete und dergl. mehr.“70 Der sowjetischen Kreiskommandantur ging es bei der Einrichtung der Bezirksbürgermeistereien vor allem um die Erhöhung der Effizienz der Verwaltungsstruktur. Berücksichtigte man die Struktur des Kreises Schweinitz mit den zahlreichen sehr kleinen Dörfern und Amtsbezirken, so konnte die Besatzungsmacht nicht in jedem Dorf die gleiche Präsenz zeigen. Um die kleinen Dörfer ohne die Hilfe der unterschiedlichen Dorfbürgermeister schnell und effizient kontrollieren zu können, wurde in jedem Ort mit einer Kommandantur ein Bezirksbürgermeister eingesetzt. Der nun entstandene Ansprechpartner für die Besatzungsmacht war damit für den gesamten Bereich der örtlichen Kommandantur zuständig. Die Kreiskommandantur handelte somit in Bezug auf die ländlichen Verhältnisse im Kreis Schweinitz durchaus pragmatisch. Dennoch spielten bei dieser Entscheidung auch die politischen Verhältnisse im Kreisgebiet eine wesentliche Rolle. Die Besatzungsmacht musste schnell erkennen, dass sich in den kleinen Orten des Kreises Schweinitz keine kommunistischen oder sozialdemokratischen Bürgermeisterkandidaten finden ließen. Mit der Einrichtung des Amts des Bezirksbürgermeisters, von denen vier bereits vor 1933 der KPD angehörten und zwei später nach der Parteineugründung in die KPD eintraten, dehnte die Besatzungsmacht den Einfluss der kommunistischen Bürgermeister weit über ihre Städte hinaus aus.71 Dies war in der Folgezeit die Grundlage für die KPD, bis in das kleinste Dorf des Kreises Schweinitz zu wirken. Wie bereits bei den Stadt- und Gemeindeverwaltungen festgestellt wurde, kümmerten sich die sowjetischen Kommandanturen in vielen Fällen kaum um die festgeschriebenen Befugnisse der deutschen Verwaltungsorgane. Viele Kommandanten betrachteten die Landräte lediglich als Befehlsempfänger. Beispielsweise schrieb der Herzberger Bürgermeister Karl Rietz (SPD), der am 30. Dezember 1945 für Otto Eger (KPD) eingesetzt wurde, an die Bezirksverwaltung: „Im Allgemeinen ist es so, dass der Herr Kommandant durch den Landrat Befehle erteilt, die dieser ohne Prüfung der Möglichkeiten oder Unmöglichkeit der Ausführung einfach an die Herren Bürgermeister weitergibt.“72 Besonders deutlich wurden die Eingriffe in die Befugnisse der deutschen Verwaltungen bei der Stellenbesetzung der Landräte und Bürgermeister. Grundsätzlich wurde zur Stellenbesetzung von der Anfang August 1945 neu eingesetzten sächsischen Provinzialverwaltung am 24. August 1945 Folgendes festgelegt: 70 Landrat Jeß an den Präsidenten des Verwaltungsbezirks zu den Geschäften des Bezirksbürgermeisters in Herzberg vom 14.5.1946 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, Bl. 42). 71 Vgl. Aufstellung der Personalien des Landrats und der hauptamtlichen Bürgermeister der Städte des Kreises Schweinitz vom 25.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 10). 72 Herzberger Bürgermeister Karl Rietz an den Herrn Bezirkspräsidenten vom 10.5.1946 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, Bl. 35).

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„Landräte und Oberbürgermeister werden künftig ausschließlich auf Vorschlag der Bezirksverwaltungen von dem Präsidenten der Provinz ein- oder abgesetzt werden. Die Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden werden auf Vorschlag der Landräte von den Bezirkspräsidenten ein- oder abgesetzt. Bürgermeister, Landräte und Bezirksverwaltungen sollen die Ernennung der leitenden Personen in engster Zusammenarbeit mit den örtlichen Ausschüssen des Blocks der vier demokratischen Parteien und den örtlichen Kommandanturen vornehmen.“73 In der Praxis sah es hingegen oft so aus, dass die örtlichen Kommandanturen Bürgermeister oder sogar Landräte nach ihrem Willen eigenmächtig ab- bzw. einsetzten. So verlangte im Mai 1946 z. B. der Schweinitzer Kreiskommandant von dem Bezirkspräsidenten die Entlassung des Landrats Paul Jeß, die unverzüglich am 20. Mai 1946 ausgesprochen wurde.74 Zwar erfüllte Jeß weitestgehend die Wünsche der Besatzungsmacht, doch auch die sowjetische Kommandantur musste erkennen, dass Jeß fachlich für diese Arbeit in keiner Weise geeignet war. Am 25. Mai 1946 schrieb der Bezirkspräsident dazu an den Präsidenten der Provinz: „Die Entlassung des bisherigen Landrats Jeß, Herzberg, hat sich als notwendig erwiesen. Herr Jeß war fachlich seiner Aufgabe nicht gewachsen. Das Landratsamt Herzberg hat in vieler Hinsicht Mängel aufzuweisen, die nur durch die Umbesetzung des leitenden Beamten behoben werden können. Bei der Durchführung der Bodenreform gab es im Kreise Schweinitz erhebliche Schwierigkeiten, die oft zum direkten Eingreifen der Kreiskommandantur führten.“75 Schließlich führte dies zur eigenmächtigen Abberufung des Landrats, von der nicht einmal die SMA in Halle informiert wurde.76 Nachdem die übergeordnete Besatzungsbehörde in Halle direkt mit der Kreiskommandantur im Kreis Schweinitz in Kontakt trat, wurde die Abberufung des Landrats Jeß schließlich bestätigt und das SED-Mitglied Rudi Richter als Nachfolger eingesetzt.77 Rudi Richter, der vor 1933 der SPD angehörte und erst am 3. März 1946 aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft nach ­Herzberg zurückkehrte, brachte für die Ausübung des Landratspostens wesentlich bessere Voraussetzungen als Paul Jeß mit. Ausgebildet wurde Richter bei der Kreisund Forstkasse in Herzberg, bei der er bis 1933 als Angestellter ­arbeitete.

73 Verordnung über die Ausübung der öffentlichen Gewalt im Gebiet der Provinz Sachsen vom 24.8.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 23. 74 Vgl. Entlassungsschreiben des Bezirkspräsidenten an den Landrat Paul Jeß vom 20.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 287/6, Bl. 17). Darin wurde ausgeführt, dass die Entlassung getätigt wurde, „damit die unbedingt erforderliche gute Zusammenarbeit mit der russischen Besatzungsbehörde erhalten bleibt“. 75 Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über den Landrat in Herzberg vom 25.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 288, Bl. 34). 76 Vgl. Präsident der Provinz Sachsen an den Bezirkspräsidenten über den Landrat in Herzberg vom 21.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 288, Bl. 33). 77 Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über den Landrat in Herzberg vom 25.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 288, Bl. 34).

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­ achdem er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten entlassen wurN de, wandte er sich im Jahr 1935 der Versicherungsbranche zu. Zunächst fand er eine Stellung bei der Berlinischen Lebensversicherungs-Gesellschaft, bei der er nach eigenen Angaben wegen guter Leistungen 1937 ein Oberinspektorat mit mehreren Landkreisen übertragen bekam. Im Jahr 1938 wechselte Richter als leitender Außenbeamter zur Iduna-Germania-Versicherung. Bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht am 15. November 1940 blieb er in dieser Stellung. Politisch betätigte sich Richter seit 1923 bei der Sozialistischen Arbeiterjugend in Herzberg, deren Leitung er 1924 übernahm. Seit 1927 gehörte er der SPD an und stieg im Ortsverein Herzberg bis zum Vorsitzenden auf. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit verhaftete man ihn 1933 für kurze Zeit. In seinem Lebenslauf machte er allerdings nach 1933 keine weiteren Aussagen über eine politische Verfolgung.78 Nachdem Rudi Richter kaum zwei Monate wieder in Herzberg war, ernannte ihn die Kommandantur zum neuen Landrat. Die großen Personalprobleme der Arbeiterparteien im Kreis Schweinitz wurden dadurch erneut sichtbar. So waren die Besatzungsmacht und der Landrat Jeß seit Wiedereinrichtung der Kreisverwaltung immer wieder darauf angewiesen, geeignetes Personal der beiden Arbeiterparteien von außerhalb in den Kreis zu holen. Aus diesem Grund kehrte z. B. Fritz Graßmann, der in Herzberg aufwuchs und dort von 1928 bis 1933 Magistratsmitglied für die SPD war, im August 1945 in seine Heimat zurück. Der Landrat Jeß und die Kommandantur ernannten Graßmann, der 1940 aus Herzberg wegging und im Buna-Werk Schkopau als Dreher Arbeit fand, am 9. August 1945 zum „Kreissekretär“ und im Oktober 1945 zum stellvertretenden Landrat.79 Ebenso nahm der Landrat Jeß Kontakt zum ehemaligen Bürgermeister der Stadt Schweinitz, Hans Bleek, auf, der vor 1933 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) war, nach der Wiederzulassung der Parteien 1945 aber SPD-Mitglied wurde. Hans Bleek, der nach eigenen Angaben auf Betreiben des NSDAP-Kreisleiters Fritsch im Jahr 1937 zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden war, erlebte den Einmarsch der Roten Armee in Parchen bei Genthin mit, wo er zunächst in der Gemeindeverwaltung tätig wurde. Nachdem er erfuhr, dass im Kreis Schweinitz dringend geeignetes Verwaltungspersonal gesucht wurde, ging er nach Herzberg, wo er am 1. November 1945 zum Kreisbürodirektor ernannt wurde.80 So war die Schweinitzer

78 Vgl. Lebenslauf von Rudi Richter (undatiert; LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 288, unpag.). 79 Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über die Bestätigung des stellvertretenden Landrats in Herzberg Fritz Graßmann vom 9.1.1946 (LHASA, MER, C 48 Ib, Nr. 1100, Bl. 113); Porrmann, Lebensbilder, S. 15. 80 Vgl. Lebenslauf von Hans Bleek (undatiert; LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 287, Bl. 5). Hans Bleek wurde aufgrund seiner verwaltungstechnischen Erfahrung zur großen Stütze für den Landrat Jeß. Als Anerkennung für seine Dienste wurde er nach der Abberufung des Landrats Jeß zum stellvertretenden Landrat berufen. Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über die Ab- und Neu-

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Kreisverwaltung im ersten Jahr nach dem Einmarsch der Roten Armee einem ständigen personellen Wandel unterworfen. Ganz im Gegensatz zum Kreis Liebenwerda griff der Landrat Jeß bei der Suche nach geeigneten Abteilungsleitern auch auf ehemalige Angestellte in der Kreisverwaltung zurück, die nicht in der NSDAP organisiert waren. Oskar Rollnik und Willy Mathing, die bereits seit 1914 bzw. seit 1939 in der Kreisverwaltung beschäftigt waren, wurden z. B. vom Landrat Jeß als Leiter der Abteilungen Finanzen bzw. Sozialfürsorge bestätigt.81 Aufgrund der politischen und sozialen Umstände im Landkreis Schweinitz gelang es dem Landrat und der Besatzungsmacht zunächst also nicht, alle wesentlichen Abteilungsleiterposten mit KPD- oder SPD-Mitgliedern zu besetzen. Erst nachdem im Laufe der Jahre 1945 und 1946 etliche Abteilungsleiterposten neu besetzt wurden, war der Landrat im Kreis Schweinitz in der Lage, nahezu ausschließlich KPD- oder SPD-Mitglieder in die wichtigen Posten einzusetzen. Laut einer Statistik gehörten Anfang 1948 alle Abteilungsleiter außer Oskar Rollnik (Finanzen), der seine parteipolitische Unabhängigkeit auch unter der sowjetischen Besatzung bewahren konnte, der SED an.82 Die gezielte parteipolitische Durchdringung der Kreisverwaltung wurde auch an den Gesamtzahlen deutlich. So gehörten Mitte 1948 von den 333 Kreisangestellten 67 der SED, 7 der CDU und 13 der LDP an. Die übrigen 246 Beschäftigten waren parteilos.83 Insgesamt 20,1 Prozent der Schweinitzer Kreisangestellten traten also nach dem Kriegsende der KPD, SPD oder SED bei. Im Gegensatz zum Kreis Schweinitz vollzog sich die parteipolitische Besetzung der wichtigen Posten in der Kreisverwaltung Liebenwerda sehr viel schneller. Der neue Landrat Paulick brachte sofort zwei Vertraute aus dem Mückenberger Ländchen mit in die Kreisverwaltung, um diese mit den wichtigen Posten des Hauptabteilungsleiters (Administration) und dem Posten des neuen Polizeichefs zu betrauen. Das KPD-Mitglied Alfred Sandner aus Bockwitz, der genauso wie Paul Paulick einige Zeit im KZ inhaftiert war, wurde zum Polizeichef ernannt.84 Friedrich Bothe, der zum Abteilungsleiter der Hauptverwaltung und später zum stellvertretenden Landrat berufen wurde, war hingegen vor 1933 parteilos. Er arbeitete bis Kriegsende als Prokurist bei der Bubiag in ­Mückenberg und unterstützte Paul Paulick bereits seit dem Einmarsch der

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berufung des stellvertretenden Landrats im Kreis Schweinitz vom 20.5.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 287, Bl. 8). Vgl. Mitarbeiterverzeichnis der Kreisverwaltung des Kreises Schweinitz (Ende 1946; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 2–8). Ein früher datiertes Verzeichnis war im Bestand der Schweinitzer Kreisverwaltung nicht zu finden. Vgl. Verzeichnis der Abteilungsleiter und Hauptsacharbeiter der Kreisverwaltung Schweinitz (Anfang 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 10 f.). Gesamtüberblick über den Kreis Schweinitz (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, ­Herzberg, Nr. 285, Bl. 1). Vgl. Organisationsplan der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 22.8.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 51); Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 120.

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Roten Armee beim Verwaltungsaufbau. Da er durch sein verwaltungstechnisches Geschick von Paulick geschätzt wurde und nach der Parteineugründung sofort in die KPD eintrat, ernannte ihn Paulick zu seiner „rechten Hand“ in der Kreisverwaltung.85 Neben diesen beiden versuchte Paulick, aus den übrigen Städten des Landkreises Kommunisten in die Kreisverwaltung zu integrieren. Er ernannte z. B. die beiden Kommunisten Herbert Kießling aus Elsterwerda und Otto Heinze aus Mühlberg zu Abteilungsleiter für die Kommunalwirtschaft bzw. für die Sozialfürsorge.86 Des Weiteren berief der neue Landrat unmittelbar nach seiner Einsetzung Paul Sattler und Franz Neumeyer zu Leitern der Abteilungen Industrie und Handwerk bzw. Handel und Versorgung.87 Beide arbeiteten seit dem Einmarsch der Roten Armee in den neuen Verwaltungen aktiv mit und traten nach der KPD-Gründung der Partei bei.88 Die einzigen Abteilungsleiterposten, die zunächst nicht mit Kommunisten besetzt wurden, bedurften einer speziellen Qualifikation. Aus diesem Grund setzte Paulick den Arzt Dr. Max Becker, der während des Kriegs stellvertretender Leiter des Berliner Gesundheitsamts und NSDAP-Mitglied war, als Abteilungsleiter für das Gesundheitswesen ein.89 Da Dr. Becker seit dem Einmarsch der Roten Armee als einer der wenigen Ärzte versuchte, die medizinische Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, konnte auch Paul Paulick nicht so einfach über sein Fachwissen im sensiblen Gesundheitsbereich hinweggehen. Neben Dr. Becker ernannte er den Bad Liebenwerdaer Steuerberater Carl Schulze zum Abteilungsleiter für Finanzen. Schulze, der vor 1933 parteilos war und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten mehrere Schwierigkeiten mit den NS-Behörden hatte, gründete im September 1945 in der Stadt Bad Liebenwerda die CDU. Später wurde er zum Kreisvorsitzenden der CDU gewählt.90 Gleichfalls ernannte der Landrat den Tierarzt Dr. Walter von

85 Vgl. ebd.; Personalblatt über Friedrich Bothe vom 24.11.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 253, Bl. 24). 86 Vgl. Organisationsplan der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 22.8.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 51); Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 121. 87 Vgl. Organisationsplan der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 22.8.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 51). 88 Vgl. Kreisverwaltung Liebenwerda an den Herrn Bezirkspräsidenten über Beamte und Angestellte des höheren Dienstes in der Kreisverwaltung vom 18.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 210 f.). 89 Vgl. Organisationsbericht über die Kreisverwaltung Liebenwerda vom 25.8.1945 (­LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 52 f.). 90 Vgl. Lebenslauf von Carl Schulze (undatiert; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 1752, unpag.). Carl Schulze beteiligte sich z. B. als einziger Bürger Bad Liebenwerdas nicht an der „Wahl“ am 10.4.1938. Aus diesem Grund wurde er drei Tage in Schutzhaft genommen und von einem Aufgebot der NSDAP öffentlich durch die Stadt geführt. Vgl. Charakteristik des CDU-Kreisverbandes Liebenwerda über Carl Schulze vom 27.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 1752, unpag.).

Aufbau der Verwaltung

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­ arnowsky, der vor 1933 im Stahlhelm organisiert war, zum Abteilungsleiter S für das Veterinärwesen.91 Betrachtete man aber die Zusammensetzung der gesamten Liebenwerdaer Kreisverwaltung, so ergab sich ein eindeutiges Bild zugunsten der KPD bzw. späteren SED. Der Liebenwerdaer Kreisverwaltung gehörten bereits am 31. Oktober 1945 insgesamt 29 KPD-Mitglieder, 3 SPD-Mitglieder und 81 Parteilose an.92 Somit waren bereits zu diesem Zeitpunkt etwa ein Viertel aller Kreisbeschäftigten KPD-Mitglieder. Auch in der folgenden Zeit wurden bevorzugt KPD-Mitglieder eingestellt. Laut einer Statistik vom 23. Februar 1946 gehörten der Kreisverwaltung einschließlich des Personals der Sparkasse und der Berufsschulen 41 KPD-Mitglieder, 9 SPD-Mitglieder, 2 CDU-Mitglieder, 1 LDP-Mitglied und 168 Parteilose an.93 Schließlich steigerte sich der Anteil der SED-Mitglieder bis zum 12. November 1948 nochmals enorm. Unter den 265 Mitarbeitern der Kreisverwaltung befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits 168 SED-Mitglieder, 15 LDP-Mitglieder und 12 CDU-Mitglieder.94 Daran war klar zu erkennen, dass die KPD bzw. später die SED die wichtigen Posten in der Kreisverwaltung bevorzugt mit ihren Mitgliedern besetzte. Vor allem im Kreis Liebenwerda sowie später auch im Kreis Schweinitz gelang es der Partei mit­hilfe der Besatzungsmacht, unmittelbar nach der Wiedereinrichtung der Kreisverwaltungen die Schlüsselpositionen in der Verwaltung einzunehmen. Damit waren zum großen Teil die später entstandenen bürgerlichen Parteien, aber auch zu einem gewissen Teil die Sozialdemokraten von den Entscheidungsprozessen innerhalb der Kreisverwaltungen ausgeschlossen. 2.3

Die Entnazifizierung der Verwaltungen 1945/46

Der Entnazifizierungsprozess in den einzelnen Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen gliederte sich im Untersuchungsgebiet in mehrere Phasen. Da mit Beginn der Besatzung keine einheitlichen Richtlinien vonseiten der Besatzungsmacht zur Entlassung von NSDAP-Mitgliedern vorgegeben wurden, unterschied sich

91 Vgl. Organisationsplan der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 22.8.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 51); Beurteilung der Abteilungsleiter der Kreisverwaltung Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 265 f.). 92 Zusammenstellung der Neueinstellungen in der Kreis- sowie den Stadt- und Gemeindeverwaltungen des Kreises Liebenwerda vom 31.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 343). Da zu diesem Zeitpunkt ein Kreisverband der CDU oder LDP noch nicht gegründet war, wurden deren Mitglieder in der Kreisverwaltung hier nicht erwähnt. 93 Statistik der Dienstkräfte einschl. Sparkasse und gewerblicher Berufsschulen vom 23.2.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 405). 94 Meldung der Liebenwerdaer Kreisverwaltung an die Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Personal in der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 12.11.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 264).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

der Prozess der Entnazifizierung der Verwaltung in den einzelnen Kreis-, Stadtund Gemeindeverwaltungen des gesamten Untersuchungsgebiets in der ersten unkoordinierten Phase zunächst erheblich. Einige Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen nahmen zunächst mehrere Verwaltungsmitarbeiter, die NSDAP-Mitglieder waren, wieder in den Dienst auf. Besonders deutlich wurde dies z. B. in der Stadt Bad Liebenwerda. Hier wurden vom Bürgermeister Knopf sowie vom späteren stellvertretenden Bürgermeister Philipp ab dem 3. Mai 1945 ehemalige Verwaltungsbeamte sowie -angestellte mit ehemaligem NSDAP-Parteiausweis, die beim Verwaltungsaufbau helfen wollten, wieder in den Dienst eingesetzt. Diesen wurden in Bad Liebenwerda sogar wichtige Aufgaben in der Verwaltung übertragen. Beispielsweise gehörten der Leiter des Standesamts, der für die wichtige Personenstandsaufnahme zuständig war, und der Sparkassenleiter der NSDAP an.95 Auch in der Schweinitzer Kreisstadt Herzberg wurde zunächst ähnlich verfahren. In Herzberg, wo man regelrecht von einer geordneten Übergabe der Stadtverwaltung sprechen konnte, wurde zunächst lediglich der Bürgermeister und Kreisleiter der NSDAP, Reinhold Fritsch, von der Roten Armee verhaftet.96 Vor allem der damalige Steuerreferent und stellvertretende Standesbeamte Richard Oecknigk gestaltete im Folgenden den Prozess der Übergabe der Stadtverwaltung. Er schrieb in einem späteren Lebenslauf: „Beim Einmarsch der Roten Armee bin ich als einziger Beamter mit dem damaligen Bürgermeisterstellvertreter im Rathaus verblieben. Schon am nächsten Tage habe ich die Verhandlungen aufgenommen und unter Mithilfe anderer Einwohner dafür gesorgt, dass Ruhe und Ordnung hergestellt und die sofortige Versorgung der Bevölkerung mit den nötigsten Lebensmitteln sichergestellt war.“97 So stützte sich auch der von der Roten Armee eingesetzte Herzberger Bürgermeister Leo Gawlik, ähnlich wie in Bad Liebenwerda, zunächst auf die alten Verwaltungsmitarbeiter. Einige neue deutsche Verwaltungsspitzen, die jede helfende Hand beim Neuaufbau brauchten, machten also in diesen Notsituation zumindest vorerst keine Unterschiede, ob jemand in der Verwaltung der NSDAP angehört hatte. Zudem waren die unerfahrenen neuen Bürgermeister wohl froh, dass ihnen verwaltungserfahrenes Personal zur Verfügung stand. Zwar begann man vonseiten der Stadtverwaltung Bad Liebenwerda gleichzeitig, wie in den Protokollen überliefert war, mit der Suche nach „aktiven Nazis“, um diese zur Rechenschaft zu ziehen, doch belangte man die einfachen NSDAP-Mitglieder in der Stadtverwaltung zunächst nicht.98

95 Bekanntmachung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 96 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 97 Vgl. Lebenslauf von Richard Oecknigk vom 29.4.1950 (StA Herzberg, Nr. 43, unpag.). 98 Vgl. Niederschrift der Magistratssitzung vom 5.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.).

Aufbau der Verwaltung

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In anderen Fällen – meist in kleineren Dörfern – blieben sogar die Bürgermeister mit NSDAP-Mitgliedsausweis zunächst ohne Unterbrechung im Amt. Im Schweinitzer Kreis waren noch bis November 1945 insgesamt 14 Bürgermeister aktiv, die zuvor NSDAP-Mitglieder waren.99 Auch im Kreis Liebenwerda blieben bis November 1945 insgesamt drei Bürgermeister in den Gemeinden Prestewitz, Neuburxdorf und Dobra im Amt, die bereits vor dem Einmarsch der Roten Armee NSDAP-Mitglied waren.100 Zwar kam dies nur in kleinen ländlichen Gemeinden mit kaum mehr als 200 Einwohnern vor, doch bewies dies, dass die Entnazifizierung der Verwaltungen zunächst in keiner Weise gradlinig verlief. In anderen Städten und Gemeinden des Untersuchungsgebiets, vor allem dort, wo bereits vor 1933 eine starke kommunistische Bewegung bestand, begannen hingegen die neuen deutschen Verwaltungen meist sofort mit der Entnazifizierung der Verwaltung. Der Lauchhammer Bürgermeister Bruno Thiessler (KPD) berichtete z. B.: „Bei Neubildung der Verwaltung und der Zusammensetzung der Bürokräfte am 25.4.45 habe ich NSDAP-Mitglieder nicht mehr hineingenommen, da mir die Parteizugehörigkeit der Bürokräfte bekannt war.“101 Ebenso verfuhr der neue Mühlberger Bürgermeister Alfred Kümmel (KPD), der mit seinem Amtsantritt keine ehemaligen NSDAP-Mitglieder in der Stadtverwaltung mehr beschäftigte und diese am 24. Juli 1945 mit Wirkung vom 23. April 1945 auch offiziell entließ.102 Besonders in den ehemaligen Hochburgen der KPD funktionierte also die Entnazifizierung der Verwaltung relativ reibungslos. Wie aber reagierte die Besatzungsmacht auf das Vorgehen der neuen deutschen Verwaltungen? Die am 13. Mai 1945 beschlossenen Richtlinien über den Aufbau der deutschen Selbstverwaltung im Bereich der 1. Ukrainischen Front brachten nicht, wie zu vermuten war, einheitliche Regeln zur Frage der Entnazifizierung hervor, sondern verstärkten eher das uneinheitliche Vorgehen der Besatzungsmacht sowie der deutschen Verwaltungen. Die Richtlinien stärkten vielmehr die Position der örtlichen Kommandanten. Hierin wurde nur festgehalten, dass zum einen jede Personalentscheidung mit der Kommandantur abgestimmt werden musste und zum anderen, dass keine „aktiven Nazis“ in

 99 Aufstellung der Personalien der ehrenamtlichen Bürgermeister der Landgemeinden des Kreises Schweinitz (November 1945; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 11 f.). 100 Stellungnahme des Antifa-Ausschusses zum Prestewitzer Bürgermeister vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 124); Stellungnahme des Antifa-Ausschusses zum Dobraer Bürgermeister vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 123); Koßdorfer Amtsvorsteher an die Liebenwerdaer Kreisverwaltung über die politische Säuberung der Verwaltung vom 4.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 82). 101 Meldung der Gemeindeverwaltung Lauchhammer über den Stand der Säuberung der Verwaltungen vom 4.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 89). 102 Vgl. Herbert Müller, Die Entnazifizierung 1945–1948 in Mühlberg. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 132.

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

f­ ührende Positionen der einzelnen Verwaltungen verbleiben dürfen.103 Da der Begriff „aktive Nazis“ aber nicht näher definiert war, kam es allein auf den örtlichen Kommandanten an, wie dieser die Entnazifizierung vorantrieb. Ein uneinheitliches Vorgehen in den Städten und Gemeinden war damit fast zwangsläufig vorprogrammiert. In der Magistratssitzung der Stadt Bad Liebenwerda vom 18. Mai 1945 stellte ein Oberleutnant der Roten Armee, der in Bad Liebenwerda für die Zivilverwaltung zuständig war, der erstaunten neuen Verwaltungsspitze die neuen Richtlinien vor. Obwohl es nicht ausdrücklich in den Richtlinien ausformuliert war, verlangte der Oberleutnant von der Verwaltungsspitze, dass sofort alle Angestellten und Beamten, soweit sie der NSDAP angehört hatten, zu entlassen seien. Ohne Widerrede veranlassten die Anwesenden der deutschen Stadtverwaltung sofort die Entlassung von acht deutschen Verwaltungsangestellten.104 Darunter befanden sich auch langjährige in der Stadtverwaltung beschäftigte Mitarbeiter, wie der Stadtsekretär Paul Borchert, der vor 1933 SPD-Mitglied war und seit 1937 der NSDAP angehörte.105 Mit dieser Säuberungsaktion stand allerdings die gerade notdürftig wiederaufgebaute Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung erneut vor einem Neuanfang. Der stellvertretende Bürgermeister Otto Philipp beschrieb diese Lage später wie folgt: „Wir waren noch nicht fertig, wir waren noch im Aufbau begriffen, wir hatten kaum die Grundlinien des Arbeitseinsatzes geschaffen, da wurden die Beamten und Angestellten aus der Verwaltung entlassen, weil es nicht angängig war, mit Nazianhängern den Wiederaufbau vorzunehmen.“106 Diese Aussage verdeutlicht, wie sehr die neue Verwaltungsspitze auf jede helfende und vor allem fähige Hand angewiesen war. In Herzberg blieben allerdings, im Gegensatz zu Bad Liebenwerda, auch nach der Herausgabe der Richtlinien vom 13. Mai 1945 zunächst einige Mitarbeiter, die NSDAP-Mitglied gewesen waren, in der Stadtverwaltung beschäftigt. Selbst nachdem die Besatzungsmacht den von Leo Gawlik ernannten Stadtrat entließ und den Kommunisten Otto Eger als Bürgermeister einsetzte, baute auch Otto Eger weiterhin auf die Erfahrung von Richard Oecknigk. Zwar verlor Oecknigk seinen leitenden Posten und wurde nur noch als Hilfskraft geführt, er blieb aber zumindest weiterhin Angestellter der Stadtverwal-

103 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 333. 104 Vgl. Niederschrift der Magistratssitzung vom 18.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 105 Vgl. Stadtverwaltung Bad Liebenwerda an den Landrat Paul Paulick vom 21.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 92). In diesem Schreiben wurde von der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung die Bitte geäußert, Paul Borchert wieder einstellen zu dürfen. Mit Genehmigung des Kreiskommandanten wurde Borchert wieder in sein Amt eingesetzt. 106 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 6 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.).

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tung.107 Neben ihm waren am 27. Juli 1945 noch sieben weitere Angestellte, die NSDAP-Mitglied gewesen waren, bei der Stadtverwaltung Herzberg beschäftigt. Dabei handelte es sich um zwei Angestellte, um einen Betriebsleiter und um vier städtische Arbeiter.108 Zwar hatte in Herzberg keiner der ehemaligen NSDAP-Mitglieder Führungspositionen in der Stadtverwaltung inne, doch verdeutlichte deren bloße Weiterbeschäftigung im Gegensatz zur Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung, dass die Richtlinien vom 13. Mai 1945 von den örtlichen Kommandanturen sehr unterschiedlich ausgelegt wurden. Gemeinsame Regeln zur Entnazifizierung der Verwaltungen stellten die Siegermächte erst mit der Verabschiedung des Potsdamer Abkommens auf. Hierin wurde festgelegt, dass alle NSDAP-Mitglieder, die nicht nur nominelle Parteimitglieder waren, aus ihren Posten in der Verwaltung sowie in der Wirtschaft entfernt werden mussten. Die Potsdamer Erklärung der vier Siegermächte lehnte sich nahezu wörtlich an die amerikanische Direktive JCS 1067 an.109 Nachdem die sowjetische Führung den Säuberungsbeschlüssen von Potsdam zustimmte, übertrug sie der neu gegründeten deutschen Provinzial- bzw. Bezirksverwaltung die Aufgabe zur Entnazifizierung der Verwaltungen. Die erste für alle untergeordnete Verwaltungen bindende deutsche Weisung zur Entnazifizierung erließ daraufhin der Merseburger Bezirkspräsident Dr. Siegfried Berger (LDP) am 11. August 1945. Hierin wurde generell festgelegt, dass „alle Angestellten der Staats- und Kommunalen-Verwaltungen aller Rangstufen, welche bis zur Russenbesetzung Mitglieder der früheren NSDAP waren, sofort zu entlassen“ seien.110 Obwohl diese Anweisung noch nicht weiter konkretisiert war, begann damit die geordnete Phase der Entnazifizierung im Untersuchungsgebiet. Am 6. September 1945 stellte der Präsident der Provinz Sachsen mit der „Verordnung über die Säuberung der Verwaltung“ auch provinzweit einheitliche Regeln zur Entnazifizierung der Verwaltungen auf. Diese Verordnung löste nun die pauschale Anordnung der Merseburger Bezirksverwaltung ab.

107 Vgl. Personalbestandsnachweisung der Bürgermeisterei Herzberg (Elster) vom 1.6.1945 (StA Herzberg, Nr. 192, unpag.). 108 Nachweisung über die Parteienzugehörigkeit bei der Stadtverwaltung Herzberg vom 27.7.1945 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.). 109 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 42. Vgl. zur Direktive JCS 1067: Clemens Vollnhals (Hg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitation in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991, S. 98–100. 110 Verfügung des Landrats Paulick an die Herren Bürgermeister im Kreise Liebenwerda über die Anordnung des Bezirkspräsidenten zur Entlassung von NSDAP-Mitgliedern aus den Staats- und Kommunalverwaltungen vom 11.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 23). Die Bezirksregierung schwächte am 22.8.1945 diese Anordnung nochmals ab. Nach den neuen Bestimmungen sollten nun nur noch ehemalige NSDAP-Mitglieder entlassen werden, die bis zum 31.12.1936 und während des Kriegs der Partei beitraten. Dieser Schritt wurde mit dem starken Druck begründet, der zwischen 1937 und 1939 auf Verwaltungsangestellte zum Eintritt in die Partei ausgeübt wurde. Vgl. Landrat Paulick an die Stadtverwaltung Bad Liebenwerda vom 23.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65, Bl. 93).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

In dieser Verordnung wurde in der Einleitung festgehalten, dass „alle Behörden und Körperschaften restlos von nazistischen Elementen gesäubert werden müssen“.111 Besonders die leitenden Funktionen dürften laut dieser Verordnung unter keinen Umständen mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt werden. Im Absatz III der Verordnung wurde schließlich angeordnet: „Grundsätzlich sind alle Mitglieder der NSDAP aus dem Beamten- und Verwaltungskörper zu entfernen, Ausnahmen davon bleiben einer Nachprüfung und besonderen Anordnungen vorbehalten.“112 Die Ausnahmen wurden in Abschnitt V näher erläutert. Ehemalige NSDAP-Mitglieder, die wegen ihres politischen Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen bzw. verfolgt wurden, fielen unter diese Ausnahmen. Aber auch anderen ehemaligen Parteimitgliedern wurde die Möglichkeit zur Rehabilitation gegeben. „Sie haben sich durch Leistung und Haltung zu bewähren, sie sollen innerhalb und außerhalb ihres Dienstes ihre Verbundenheit mit der antifaschistischen Demokratie beweisen.“113 Dieser Abschnitt der Verordnung öffnete einen gewissen Spielraum für die Weiterbeschäftigung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Für die Überprüfung des Verwaltungspersonals sollten laut Verordnung Kommissionen aus Antifaschisten, die sogenannten Antifa-Ausschüsse, gebildet werden, die aus je einem Vertreter der Blockparteien bestanden.114 Mit der Verordnung vom 6. September 1945 verschärfte sich im Folgenden der Entnazifizierungsprozess im Untersuchungsgebiet enorm. Bereits mit der Anordnung vom 11. August 1945 wurden die Verwaltungen im Untersuchungsgebiet grundlegend durchleuchtet, um noch beschäftigte ehemalige NSDAP-Mitglieder zu finden. Diese Überprüfung ergab, dass z. B. in der Abteilung Finanzen der Kreisverwaltung Liebenwerda noch zehn ehemalige NSDAP-Mitglieder angestellt waren.115 Im Wesentlichen handelte es sich also bei den Mitarbeitern, die NSDAP-Mitglied gewesen waren, um Fachkräfte, die nicht einfach ausgetauscht werden konnten. Aus diesem Grund stellten die Abteilungsleiter der Kreisverwaltung sehr schnell fest, dass eine plötzliche Entlassung aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder zu großen Störungen im Verwaltungsbetrieb führen würde. Besonders die Abteilung Finanzen der Kreisverwaltung Liebenwerda war davon betroffen. Der Abteilungsleiter Carl Schulze protestierte beispielsweise am 11. August 1945 sehr scharf beim Landrat über den Beschluss zur Entlassung aller NSDAP-Mitglieder aus seiner Abteilung. Er schrieb: „Die Entlassung der Genannten würde für den ungestörten Ablauf der Geschäfte größte Schwierigkeiten mit sich bringen, zumal bei einer Entlassung erst geeignete Kräfte vor111 Verordnung über die Säuberung der Verwaltung vom 6.9.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 38. 112 Ebd., S. 39. 113 Ebd. 114 Vgl. ebd. 115 Abteilungsleiter Steuer- und Finanzverwaltung Carl Schulze an den Landrat Paul Paulick über die Entlassung aller Angestellten, die Mitglied der NSDAP waren, vom 11.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 24).

Aufbau der Verwaltung

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handen sein müssten […].“116 Des Weiteren meldete er am 18. August 1945 dem Landrat, dass die Aufstellung des Haushaltsplans ohne geeignetes Personal nicht rechtzeitig gewährleistet werden könnte.117 Aus diesem Grund ließ der Landrat Paulick am 24. August 1945 die Weiterbeschäftigung mit der ausdrücklichen Anweisung zu, dass sich diese Mitarbeiter „in erster Linie (nur) mit der Aufstellung des Haushaltsplans und des Stellenplans zu beschäftigen“ haben.118 Nach dem Erlass der Verordnung über die Säuberung der Verwaltung vom 6.  September 1945 verschärfte sich jedoch der Druck auf die untere Verwaltungsebene nochmals erheblich. Von nun an war es nicht mehr so leicht möglich, ehemalige NSDAP-Mitglieder weiter zu beschäftigten. Besonders die SMA in Halle drängte den Präsidenten der Provinz zur schnellen Umsetzung der neuen Verordnung. Nachdem in einer erste Bestandsaufnahme über die Umsetzung der Verordnung für die gesamte Provinz Sachsen festgestellt wurde, dass am 1. Oktober 1945 immer noch 37 219 ehemalige NSDAP-Mitglieder (29,5 Prozent) in den Verwaltungen der Provinz beschäftigt waren, beauftragte der Generalmajor Kotikow den 1. Vizepräsidenten der Provinz, Robert Siewert, damit, eine Überarbeitung der Verordnung herauszugeben.119 Siewert richtete sich daraufhin am 15. Oktober 1945 an alle Verwaltungen und verlangte die unverzügliche Einrichtungen von Säuberungskommissionen, die paritätisch aus Mitgliedern der Blockparteien zusammengesetzt werden sollten.120 Da im Kreis Liebenwerda vor allem aufgrund der fehlenden Fachkräfte die Umsetzung der Verordnung vom 6. September 1945 nur schleppend voranging, griff auch hier die Kreiskommandantur ein. Bereits am 6. Oktober 1945 wurde dem Abteilungsleiter der kreislichen Hauptverwaltung, Friedrich Bothe, und dem Kreisvorsitzenden der KPD, Paul Mittig, in einer Besprechung in der Kreiskommandantur Folgendes mitgeteilt: „Zur Säuberung der Behörden und Verwaltungen von Nazisten sind auf Anordnung der Kreiskommandantur Kommissionen zu bilden, deren Mitglieder sich aus den Reihen der genehmigten antifaschistischen Parteien zusammensetzten müssen […]. Die Kommissionen müssen heute gebildet und auch noch heute dem Herrn Kreiskommandanten gemeldet ­werden

116 Ebd. 117 Vgl. Abteilungsleiters Steuer- und Finanzverwaltung Carl Schulze an die Abteilung Administration über das Personal für die Aufstellung des Haushaltsplans vom 18.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 35). 118 Landrat Paul Paulick an den Abteilungsleiter Carl Schulze vom 24.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 21). 119 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 89. 120 Vgl. ebd., S. 89 f. In einer weiteren Verordnung vom 17.10.1945 wies die Provinzial­ verwaltung ausdrücklich darauf hin, dass den Anordnungen der Besatzungsmacht bei der Entnazifizierung dringend Folge geleistet werden sollten. Hierin hieß es: „Die Auslegung der Richtlinien über die Säuberung der Verwaltung vom 6. September 1945 hat in der Form zu geschehen, dass wir zugleich den Anordnungen der Russischen Administration nachkommen.“ Landrat an alle Bürgermeister und Amtsvorsteher über die Säuberung der Verwaltung von Nazisten vom 6.11.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

[…]. Aufgabe der Kommissionen ist es festzustellen, ob in den Verwaltungen ehemalige Mitglieder der NSDAP und solche Leute beschäftigt werden, die faschistisch eingestellt sind und die Aufbauarbeit sabotieren.“121 Erst diese direkte Intervention der Kreiskommandantur sollte nun den nötigen Druck zur entschiedenen Umsetzung der Verordnung vom 6. September 1945 erzeugen. Die Antifa-Kommissionen hatten in der Folgezeit den Auftrag, alle Verwaltungsbeschäftigten mithilfe von Fragebogen zu überprüfen. Diese Fragebogen, die von der Provinzverwaltung herausgeben wurden, umfassten 43 Fragen, in denen die Befragten auf ihre politische Betätigung vor Kriegsende, aber auch z. B. auf die politischen Einstellungen der Eltern eingehen mussten.122 Die paritätisch mit Mitgliedern der zugelassenen Parteien besetzten Antifa-Ausschüsse besaßen allerdings nicht das Recht, Personen direkt zu entlassen, sondern konnten lediglich Empfehlungen an die Landräte bzw. Bürgermeister aussprechen.123 Im Kreis Liebenwerda stand dem Antifa-Kreisausschuss das KPD-Mitglied Alfred Schubert vor. Des Weiteren setzte sich der Ausschuss aus jeweils zwei Vertretern der vier zugelassenen Parteien zusammen.124 Die erste Sitzung des Liebenwerdaer Antifa-Kreisausschusses fand am 16. Oktober 1945 statt. Der Ausschuss verhandelte an diesem Tag zehn Fälle aus dem Bad Liebenwerdaer Finanzamt. Die Mitglieder des Ausschusses befürworteten in neun Fällen die Weiterbeschäftigung der Betroffenen, da diese für den geordneten weiteren Betrieb der Verwaltung unentbehrlich waren. Die Verhandlung eines Falls wurde wohl aufgrund von Mangel an Beweisen zunächst zurückgestellt.125 Im gesamten Oktober 1945 entließ der Antifa-Kreisausschuss nur vier Personen aus der Liebenwerdaer Kreisverwaltung.126 Dabei wurde erneut deutlich, dass der Ausschuss bemüht war, die Fachkräfte zu halten. So wurden zunächst nur eine Mitarbeiterin aus der landwirtschaftlichen Abteilung und drei Kraftfahrer aufgrund ihrer ehemaligen Mitgliedschaft in der NSDAP entlassen. Im Gegensatz dazu blieben beispielsweise zunächst 28 ehemalige ­NSDAP-Mitglieder in der Finanzabteilung bzw. der Sparkasse beschäftigt.127

121 Niederschrift über die Besprechung bei Herrn Kapitän Fedotow vom 6.10.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 122 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 96. 123 Vgl. Landrat an alle Bürgermeister und Amtsvorsteher über die Säuberung der Verwaltung von Nazisten vom 6.11.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 124 Vgl. Protokoll der Antifa-Kreisausschusssitzung vom 23.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Ein früher datiertes Protokoll einer Antifa-Kreisausschusssitzung lag leider nicht vor. 125 Vgl. Übersicht über alle noch beschäftigten NSDAP-Mitglieder in den Verwaltungen des Kreises Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 349 f.). Hierin wurde festgehalten, dass der Antifa-Kreisausschuss am 16.10.1945 insgesamt zehn Fälle behandelte. Ein Protokoll der ersten Antifa-Kreisausschusssitzung war nicht vorhanden. 126 Ebd. 127 Ebd.

Aufbau der Verwaltung

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Insgesamt arbeiteten am 5. November 1945 noch 49 ehemalige NSDAP-Mitglieder in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung, 22 in den Verwaltungen der kreis­angehörigen Städten und 93 in den Verwaltungen der kreisangehörigen Gemeinden.128 Laut dieser Meldung waren damit insgesamt noch 164 ehemalige NSDAP-Mitglieder in den öffentlichen Verwaltungen des Kreises Liebenwerda beschäftigt. Dabei handelte es sich aber nahezu ausschließlich nicht um ehemalige NSDAP-Funktionäre, sondern um sogenannte nominelle NSDAP-Mitglieder, die kein Amt in der Partei bekleideten. Auch die Zusammensetzung der in den Städten und Gemeinden beschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitglieder ließ erkennen, dass in den meisten Fällen nur Fachkräfte übernommen worden. Ende November 1945 waren z. B. in 19 Gemeinden des Kreises Liebenwerda immer noch die alten Steuererheber bzw. Sparkassenangestellten im Amt, die vor Kriegsende NSDAP-Mitglieder gewesen waren.129 Des Weiteren wurden zunächst unmittelbar nach Kriegsende sehr junge ehemalige NSDAP-Mitglieder bedenkenlos in die Verwaltungen übernommen. Allein in der Kreisverwaltung waren von den 49 beschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zwölf bei Kriegsende unter 25 Jahre alt. Ihnen wurde z. B. von der Kreisverwaltung zunächst bescheinigt, dass sie „als Jugendliche aus dem BDM und aus HJ zwangsweise in die NSDAP überführt“ wurden.130 Die Zahl der weiterbeschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitglieder erscheint zwar auf den ersten Blick sehr hoch gewesen zu sein, doch betrachtet man diese etwas genauer, so wird deutlich, dass der Entnazifizierungsprozess bereits vor dem Erlass der Verordnung vom 6. September 1945 große Fortschritte im Kreis Liebenwerda gemacht hatte. Laut einer Statistik vom 31. Oktober 1945 wurden bis zu diesem Zeitpunkt seit Kriegsende bereits 233 Personen aus der Kreisverwaltung (mit Sparkasse), 166 Personen aus den Verwaltungen der Städte und 234 Personen aus den Verwaltungen der Gemeinden aufgrund ihrer NSDAP-Mitgliedschaft entlassen bzw. nicht wieder eingestellt.131 Berücksichtigt man dabei die Tatsache, dass die Antifa-Kommissionen erst Mitte Oktober 1945 richtig zu arbeiten begannen, so stellt man fest, dass ein Großteil der hier aufgeführten Personen bereits vor dem Erlass der Verordnung vom 6. September 1945 entlassen wurde.

128 Meldung an den Bezirkspräsidenten über die noch beschäftigten ehemaligen NSDAP-­ Mitglieder vom 5.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 355). 129 Vgl. Meldungen aller Städte- und Gemeindeverwaltungen des Kreises Liebenwerda über die noch beschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitglieder (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 65). 130 Übersicht über alle noch beschäftigten NSDAP-Mitglieder in den Verwaltungen des Kreises Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 349 f.). 131 Vgl. Zusammenstellung der Neueinstellungen in der Kreis- sowie den Stadt- und Gemeindeverwaltungen des Kreises Liebenwerda vom 31.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 343).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

Dennoch forderte die Besatzungsmacht und die Provinz- bzw. Bezirksverwaltung eine noch größere Intensität bei der Säuberung der Verwaltungen ein. Der gesamte November 1945 war daraufhin von immer neuen Rundschreiben der übergeordneten deutschen Behörden geprägt, die die Entlassung aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder einforderten. Dabei sollte generell keine Rücksicht mehr auf Fachkräfte genommen werden. Am 9. November 1945 erschien z. B. ein Runderlass für die gesamte Provinz, in dem nicht nur die Entlassung aller ­NSDAP-Mitglieder, sondern auch die Entlassung aller Mitglieder der ­NSDAP-Gliederungen verlangt wurde.132 Gleichfalls wurde die Genehmigung von Ausnahmefällen erschwert. Laut der Anordnung vom 17. Oktober 1945 konnte nur noch der Präsident der Provinz über Ausnahmefälle entscheiden.133 Ebenso griff die Besatzungsmacht immer wieder direkt in die Säuberungen ein. Im Kreis Schweinitz veranlasste z. B. der Kreiskommandant am 19. November 1945 die Entlassung aller jugendlichen NSDAP-Mitglieder aus der Kreisverwaltung.134 Durch den verstärkten Druck stiegen im November 1945 die Entlassungen von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern enorm an. Vom 5. November 1945 bis zum 1. Dezember 1945 sank die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung von 49 auf nur noch 15 Mitarbeiter. In den sechs kreisangehörigen Städten nahm die Zahl im gleichen Zeitraum sogar von 22 auf nur noch fünf Beschäftigte ab.135 Dies hatte zur Folge, dass in der Kreisverwaltung nur noch ca. 9 Prozent bzw. in den kreisangehörigen Städten nur noch 2,5 Prozent der Beschäftigen ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Bis zum 7. März 1946 fiel der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in den Verwaltungen des Kreises Liebenwerda nochmals. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Kreisverwaltung (ohne Sparkasse) nur noch fünf ehemalige NSDAP-Mitglieder (2,7 Prozent der Gesamtbeschäftigten) beschäftigt.136 In den Städten blieb die Anzahl gleich.137 Bei den in der Kreisverwaltung noch immer beschäftigten Personen handelte es sich um zwei „männliche finanztechnisch geschulte Kräfte 132 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 90. 133 Vgl. Schreiben des Landrats an alle Bürgermeister und Amtsvorsteher über die Säuberung der Verwaltung von Nazisten vom 6.11.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 134 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Betriebsrats der Schweinitzer Kreisverwaltung vom 19.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 234, Bl. 437). Alle Personen, die nach dem 1.1.1920 geboren und automatisch in die NSDAP überführt wurden, wurden allerdings auf Anordnung des Präsidenten der Provinz Sachsen vom 4.12.1945 von den Entnazifizierungsmaßnahmen ausgenommen. Dies bedeutete aber nicht, dass die bereits entlassenen Mitarbeiter wieder eingestellt werden mussten. Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 91. 135 Meldung des Landrats Paul Paulick an den Herrn Bezirkspräsidenten über den Stand der Säuberung der Verwaltung vom 1.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 380). 136 Meldung der Kreisverwaltung Liebenwerda an die Kreisleitung der KPD über den Stand der Säuberung der Verwaltung vom 7.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 407). 137 Vgl. ebd.

Aufbau der Verwaltung

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in der Finanzabteilung, zwei weibliche auf dem Gebiet des Gesundheitswesens vorgebildete Kräfte im Gesundheitsamt“ und eine „männliche Kraft in der Veterinärabteilung“.138 Diese Mitarbeiter wurden vom Landrat Paul Paulick als unentbehrliche Fachkräfte beschrieben. Er stellte fest: „Es handelt sich durchweg um nominelle Mitglieder der NSDAP, die eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Antifa-Ausschusses besitzen und den Antrag auf Weiterbeschäftigung bei dem Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen gestellt haben.“139 Paul Paulick konstatierte schließlich am 7. März 1946 gegenüber der Kreisleitung der KPD: „Die Säuberung kann aufgrund der Richtlinien über die Säuberung der Verwaltung vom 6.9.1945 und der später ergangenen Bestimmungen in meinem Kreis als abgeschlossen betrachtet werden.“140 Berücksichtigt man, dass bereits bis zum 9. November 1945 in den gesamten Verwaltungen des Kreises 670 ehemalige NSDAP-Mitglieder entlassen wurden, so konnte man unter diesen Umständen von einem nahezu kompletten Austausch des Verwaltungspersonals bis Anfang 1946 sprechen.141 Zwar versuchten die Verantwortlichen vor Ort vor allem, einige Fachkräfte zu halten, doch mussten sich jene den Anordnungen der Besatzungsmacht sowie den übergeordneten Behörden letztlich beugen. Die nahezu vollständige Säuberung der Verwaltungen wäre also bis Anfang des Jahres 1946 ohne die ständigen Interventionen nicht in dieser Form zustande gekommen. Auch im Kreis Schweinitz, für den es allerdings kaum Dokumente über die Entnazifizierungspraxis im Jahr 1945 gab, sah das Vorgehen gegen die noch in den Verwaltungen beschäftigten NSDAP-Mitglieder wohl nicht viel anders aus. Hier entließen die Behörden bis zum 31. Dezember 1945 insgesamt 235 Personen aus der Kreisverwaltung und 201 Personen aus Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen aufgrund ihrer ehemaligen Mitgliedschaft in der NSDAP.142 Dies wirft nun die Frage auf, wie die durch den Wegfall zahlreicher ­NSDAP-Mitglieder entstandenen Lücken in der Verwaltung gefüllt wurden. Schaut man sich die Stellenpläne aus dem Jahr 1945 an, so fällt auf, dass neben zahlreichen KPD- und SPD-Mitgliedern sehr viel junges Personal in die Stadtverwaltung aufgenommen wurde. Am 27. Juli 1945 waren z. B. in der Herzber­ ger Stadtverwaltung zwölf Beschäftigte unter 30 Jahre alt. Dies entsprach etwa einem Viertel der Angestellten.143 Gleiches lässt sich auch für die Stadt Bad Liebenwerda feststellen. Es fehlten zwar für Bad Liebenwerda Stellenpläne für das

138 139 140 141

Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Bericht über den Stand der Säuberung der Verwaltung vom 9.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 76, Bl. 359). In dieser Zahl sind die Entlassungen aus dem Finanzamt und dem Postdienst mit enthalten. 142 Runddurchsage des Landratsamts Herzberg vom 20.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 83, Bl. 371). 143 Vgl. Nachweisung über die Parteienzugehörigkeit bei der Stadtverwaltung Herzberg vom 27.7.1945 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

Jahr 1945, doch waren in der SED-Betriebsgruppe im Mai 1946 etwa ein Drittel aller Mitglieder unter 30 Jahre alt.144 Des Weiteren waren Ende des Jahres 1946 insgesamt 66 der 177 aufgeführten Beschäftigten der Schweinitzer Kreisverwaltung (37,3 Prozent) bei Kriegsende unter 25 Jahre alt gewesen.145 Die Neueinstellung von jungem Personal hatte den Vorteil, dass es meist politisch unbelastet war. Auch unter pädagogischen Aspekten war diese Maßnahme vor allem für die KPD sinnvoll. So konnten die Jugendlichen besonders während ihrer Ausbildung in den von KPD- bzw. später SED-Mitgliedern durchsetzten Verwaltungen politisch beeinflusst werden. Im Weiteren wurden engste Verwandte der ersten kommunistischen Bürgermeister bzw. Abteilungsleiter in der Verwaltung etabliert. Dies konnte z. B. in Herzberg und in Mühlberg nachgewiesen werden.146 Auf diese Weise stellten die neuen Führungspersonen nicht nur sicher, dass sie keine NSDAP-Mitglieder einstellten, sondern sie sicherten sich zudem die größtmögliche Loyalität. Ebenso waren die Angehörigen in der ersten Phase der Besatzung die ersten verfügbaren Ansprechpartner für die neuen kommunalen Verantwortlichen. Insgesamt spielte aber bei der Neubesetzung, wie oben bereits beschrieben wurde, die parteipolitische Zugehörigkeit der neuen Beschäftigten eine entscheidende Rolle. KPD-Mitglieder und vereinzelt auch SPD-Mitglieder wurden von den neuen Landräten bzw. Bürgermeistern und der Besatzungsmacht ganz klar bevorzugt eingestellt. So handelte es sich bei der Entnazifizierung der Verwaltungen nicht nur um eine Entlassungsaktion gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder, sondern gleichfalls um eine Maßnahme zur Machtsicherung der KPD. Die Entnazifizierung der Verwaltungen konnte also in der SBZ nur im Zusammenhang mit der Neubesetzung der Posten mit KPD-Mitgliedern gesehen werden. Von einer gleichberechtigten Besetzung der freigewordenen Posten mit Vertretern aus den anderen zugelassenen Parteien konnte im Untersuchungsgebiet zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. 2.4

Der Aufbau der Polizei

Entscheidend für die Akzeptanz einer Besatzungsmacht in der Bevölkerung ist deren Fähigkeit, Sicherheit in den besetzten Gebieten herzustellen. Dies lag zum einen am Sicherheitsbedürfnis der Besatzungsmacht. Zum anderen war

144 Vgl. SED-Mitgliederverzeichnis der Stadtverwaltung Bad Liebenwerda vom 23.5.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 147, unpag.). 145 Vgl. Mitarbeiterverzeichnis der Kreisverwaltung des Kreises Schweinitz (Ende 1946; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 2–8). 146 Vgl. Nachweisung über die Parteienzugehörigkeit bei der Stadtverwaltung Herzberg vom 27.7.1945 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.); Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 22.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 0131, unpag.). In Herzberg arbeiteten von den fünf aufgelisteten Lehrlingen vier Väter in der Stadtverwaltung; auch der Sohn des Bürgermeisters Otto Eger wurde in der Stadtverwaltung beschäftigt.

Aufbau der Verwaltung

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die Herstellung von Sicherheit eine wichtige Voraussetzung für die Gewinnung der Loyalität der deutschen Bevölkerung. Durch die zahlreichen willkürlichen Übergriffe von Rotarmisten war dieses Ziel in der unmittelbaren Nachkriegszeit allerdings kaum mehr erreichbar. Es kam hinzu, dass die Offiziere der Roten Armee zunächst keine Anweisungen besaßen, wie sie mit der deutschen Polizei verfahren sollten. So unterschied sich das Vorgehen der sowjetischen Besatzungsmacht von Ort zu Ort. In Jessen kümmerte sich beispielsweise der örtliche Kommandant sofort um die hier bestehende Polizei und ordnete deren weiteren Bestand unter der Führung des neuen Bürgermeisters Richard Schönduve an.147 Dieses Vorgehen blieb aber im Untersuchungsgebiet eine Ausnahme. Da die Besatzungsmacht in den ersten Tagen nach dem Einmarsch kaum Interesse zeigte, die eigene Truppe, aber auch die deutsche Bevölkerung zu disziplinieren, nahmen die Plünderungen auch innerhalb der deutschen Bevölkerung aufgrund der schlechten Versorgungsbedingungen bei Kriegsende erheblich zu. Otto Philipp berichtete z. B. aus Bad Liebenwerda: „Am Freitag und Sonnabend in derselben Woche (27. und 28. April 1945) setzte das Plündern der Geschäftshäuser der Stadt durch Ortseingessene ein. Es war ein Jammer, dies mit ansehen zu müssen. Ortseingesessene, nicht nur der unteren Bevölkerung, nein, Ortseingessene mit Namen, denen man so etwas nicht zugetraut hätte, vergriffen sich an dem Eigentum der Geflüchteten.“148 Aus dem gesamten Untersuchungsgebiet gab es Berichte, die die Ausführungen von Otto Philipp bestätigten. Aus Mühlberg wurde z. B. berichtet: „Am 24.4. fingen die aus dem Kriegsgefangenenlager in Wendisch-Borschütz freigelassenen Kriegsgefangenen an, die Geschäfte zu plündern, woran sich freilich auch Mühlberger Einwohner beteiligten. Daraus war auch zu ersehen, dass wir viel Gesindel als Einwohner im Ort haben.“149 Dies entwickelte sich zu einem solch großen Problem für die örtlichen Kommandanten, dass sie, obwohl sie noch keine direkte Anweisung dazu hatten, mehreren neu eingesetzten Bürgermeistern den Aufbau einer kleinen Hilfspolizeitruppe gestatteten. Die neue Stadtverwaltung Bad Liebenwerda befasste sich z. B. in ihrer ersten Sitzung nach dem Einmarsch der Roten Armee sofort mit diesem Thema und stellte fest, dass „unbedingt auch das Plündern der eigenen Volksgenossen“ unterbleiben müsse.150 Dafür wurde in Bad Liebenwerda im Einvernehmen mit dem Ortskommandanten ein Beigeordneter für die Herstellung der öffentlichen

147 Vgl. Abschrift des Aufrufes des Stadtführers der russischen Besatzungstruppen an die Bevölkerung von Jessen vom 23.4.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 8). 148 Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 5 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 149 Vgl. anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1947 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). 150 Vgl. Magistratssitzung vom 3.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

Sicherheit und Ordnung benannt. Der Gärtner Josef Nunnemann (KPD), der als Beigeordneter für Sicherheit und Ordnung eingesetzt wurde, ging daraufhin sofort dazu über, eine kleine Polizeitruppe aufzubauen, die am 21. Juli 1945 bereits aus 15 Personen bestand.151 Eine erste offizielle Anweisung der sowjetischen Führung zum Aufbau deutscher Polizeikräfte erging erst mit den Richtlinien zum Verwaltungsaufbau vom 13. Mai 1945. Laut diesen Richtlinien sollte in jeder Stadt- und Gemeindeverwaltung eine Abteilung für den Schutz der öffentlichen Ordnung und das Personalwesen aufgebaut und in der Kreisverwaltung ein Kreispolizeichef eingesetzt werden. Der Kreispolizeichef wurde mit dem Aufbau einer kreislichen Gendarmerie und einer Feuerpolizei beauftragt. In den Städten und der Gemeinde waren, laut der Richtlinie vom 13. Mai 1945, eine Kriminal-, Ordnungs- und Feuerpolizei zu bilden. Personell sollte aber die neue deutsche Polizei nur minimal ausgestattet werden.152 Die Richtlinie unterschied somit zwischen einer kreislichen Gendarmerie, die dem Kreispolizeichef unterstand, und einer lokalen Polizei, die dem Bürgermeister bzw. dem örtlichen Abteilungsleiter untergeordnet war. Damit besaß jede deutsche Verwaltungsebene eine eigene Polizeitruppe, womit sie u. a. auch ihre eigenen Beschlüsse durchsetzen konnte. Die aufgeführte Richtlinie wurde nach ihrem Erlass schrittweise im Untersuchungsgebiet umgesetzt. Für die örtliche Polizei übertrug die neu eingerichtete Liebenwerdaer Kreisverwaltung am 1. Juni 1945 den Bürgermeistern das Verfügungsrecht.153 Jedoch ordnete der Landrat Paulick an, dass die Besoldung aller Polizisten ab dem 6. Juni 1945 der Kreis Liebenwerda übernimmt. Den Bürgermeistern wurde allerdings erlaubt, als Schutz vor ehemaligen Zwangsarbeitern, eine zusätzliche Hilfspolizei auf eigene Kosten einzurichten.154 Am 18. Juni 1945 ordnete der Liebenwerdaer Kreiskommandant schließlich die Umsetzung der gesamten Richtlinie für alle Stadt- und Gemeindeverwaltungen an. Die örtliche Polizei sollte nach dieser Anordnung in die drei Bereiche Ordnungs-, Kriminal- und Feuerpolizei untergliedert werden. Die Ordnungspolizei hatte demnach dafür Sorge zu tragen, dass alle Verordnungen der Kreis- sowie Gemeindeverwaltungen befolgt werden, die Kriminalpolizei sollte „alle kriminellen Elemente entfernen“ und die Feuerlöschpolizei Brände bekämpfen und verhüten.155

151 Ebd. Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 18 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 152 Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 331 f. 153 Vgl. Richtlinien für die Gemeindeverwaltungen vom 1.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.). 154 Vgl. Kreispolizeikommandant Sandner zur Einrichtung einer Polizeistation in Hohenleipisch vom 6.6.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 619, unpag.). 155 Abteilung Polizei über Anordnung des Kreiskommandanten über das Polizeiwesen vom 18.6.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 619, unpag.).

Aufbau der Verwaltung

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Erst am 15. September 1945 wurde die Polizei im Kreis Liebenwerda mit der Wiedereinrichtung der neu zugeschnittenen Amtsbezirke den hier tätigen Amtsvorstehern unterstellt, womit die Bürgermeister die direkte Verfügungsgewalt über die örtliche Polizei verloren.156 Damit wurden zumindest im Kreis Liebenwerda die Machtbefugnisse der Bürgermeister erheblich verringert. Im Kreis Schweinitz, wo die Amtsbezirke zunächst nicht wieder eingeführt wurden, blieb allerdings die Gewalt über die örtliche Polizei bei den eingesetzten Bezirksbürgermeistern.157 Auf Provinzialebene dauerte die Reorganisation der deutschen Polizeistrukturen etwas länger. Der Generalmajor Kotikow beauftragte den Vizepräsidenten der Provinz, Robert Siewert (KPD), Ende Juli 1945 mit dieser Aufgabe. Jedoch entstand erst Anfang 1946 eine eigenständige Polizeiabteilung (Abt. III) in der Provinzialverwaltung. Wohl aus Angst, dass die neue Polizei zu zentral gesteuert werden könnte, erlaubte die Besatzungsmacht zunächst lediglich die Einrichtung von Polizeidezernaten in den Bezirksverwaltungen, denen die Kreis­polizeichefs direkt unterstellt waren. Der 1. Vizepräsident Robert Siewert erhielt daraufhin den Auftrag, zusammen mit den Bezirksverwaltungen eine restlose Entnazifizierung des Personals der Polizei durchzuführen.158 Noch bevor die ersten Anweisungen zur Säuberung der Polizei von den übergeordneten Behörden ergingen, waren die Bemühungen zur Entnazifizierung der Polizei im Untersuchungsgebiet bereits sehr weit fortgeschritten. Da teilweise ganze Polizeieinheiten, wie z. B. in Bad Liebenwerda, mit der Wehrmacht über die Elbe abrückten, blieb den neuen Verantwortlichen kaum etwas anderes übrig, als neue Polizeikräfte anzuwerben.159 Zudem misstrauten die neuen Landräte bzw. Bürgermeister, wovon viele selbst unter dem NS-System gelitten hatten, den alten Polizeibeamten. Als Kreispolizeichef setzte der Liebenwerdaer Landrat Paulick den Kommunisten Alfred Sandner ein. Sandner, der sich sofort um die Umsetzung der sowjetischen Richtlinie vom 13. Mai 1945 in den Gemeinden kümmerte, schrieb am 6. Juni 1945 an alle Bürgermeister: „Die eingesetzten Polizisten dürfen nicht Mitglieder der Partei, SA oder der SS gewesen sein.“160 Gleichzeitig verlangte er als Nachweis von allen eingesetzten Polizisten die Ausfüllung eines Fragebogens, in dem diese u. a. nach einer eventuellen

156 Vgl. Rundschreiben des Landrats Paulick über die Wiedereinführung der Amtsbezirke vom 4.9.1945 (StA Ortrand, Nr. 3495, unpag.). 157 Vgl. Schreiben des Schweinitzer Landrats über die kommunalen Verhältnisse im Kreis Schweinitz an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 11.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 355, Bl. 1). 158 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 159–161. 159 Vgl. Bericht des stellvertretenden Bürgermeisters und 1. Stadtrats Otto Philipp in der Einwohnerversammlung am 23.4.1946. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2008/2009, Großenhain 2008, S. 66. 160 Kreispolizeikommandant Sandner zur Einrichtung einer Polizeistation in Hohenleipisch vom 6.6.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 619, unpag.).

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Verwaltungsaufbau nach Einmarsch der Roten Armee

­ itgliedschaft der NSDAP befragt wurden.161 Daraufhin wurden alle noch verM bliebenen ehemaligen NSDAP-Mitglieder sofort aus dem Polizeidienst entfernt. Bereits am 25. August 1945 stellte die Bezirksverwaltung in Merseburg in Bezug auf die Polizei im Kreis Liebenwerda fest: „Alte Polizeibeamte befinden sich nicht mehr im Amt.“162 Kein einziger ehemaliger Polizist konnte also seinen Posten im Kreis Liebenwerda behalten. Im Kreis Schweinitz, wo der Kommunist Hans Szarspa als Kreispolizeichef eingesetzt wurde, vollzog sich die Entnazifizierung der Polizei ähnlich.163 Zwar wurden anfänglich, wie z. B. in Jessen, die Polizeibeamten noch im Amt belassen, doch stellte die Bezirksverwaltung am 25. August 1945 fest, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder „nicht mehr in der Polizei vorhanden waren“.164 Noch bevor die Bezirksverwaltung im August 1945 erste Maßnahmen zur Entnazifizierung der Polizei unternahm und lange vor dem Erlass der „Verordnung über die Säuberung der Verwaltungen“ vom 6. September 1945, die auch auf die Polizei­ organe anzuwenden war, waren alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder im Untersuchungsgebiet aus der Polizei entlassen worden. Der Entnazifizierungsprozess der Polizei vollzog sich im Untersuchungsgebiet damit ohne die Mitwirkung von übergeordneten deutschen Behörden. In derselben Zeit setzten die Bürgermeister zusammen mit der Besatzungsmacht bevorzugt Kommunisten in die freigewordenen Polizeistellen ein. Im gesamten Kreis Liebenwerda waren bis zum 31. Oktober 1945 von den insgesamt 60 tätigen Polizisten der Kreisgendarmerie und der örtlichen Polizei 53 Polizisten Mitglieder der KPD. Lediglich zwei Polizisten gehörten der SPD an. Fünf waren parteilos.165 Somit war die Polizei im Kreis Liebenwerda nahezu ausschließlich (88,3 Prozent) mit KPD-Mitgliedern durchsetzt. Auch im Kreis Schweinitz bestätigte sich dieser Trend. Bis zum 31. August 1945 wurden bei der Gendarmerie im Kreis Schweinitz 17 Neueinstellungen durchgeführt. Von diesen gehörten acht Polizisten der KPD und fünf Polizisten der SPD an. Die restlichen vier neu eingestellten Polizisten waren parteilos.166 Lediglich die personelle Schwäche der KPD im ländlichen Kreis Schweinitz verhinderte eine größere Durchdringung der Polizei mit KPD-Mitgliedern. Die Schlüsselpositionen im Bereich der Polizei besetzten aber auch im Kreis Schweinitz nahezu

161 Vgl. Abteilung Polizei zur Anordnung des Kreiskommandanten über das Polizeiwesen vom 18.6.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 619, unpag.). 162 Vgl. Organisationsbericht über die Kreisverwaltung Liebenwerda vom 25.8.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 54). 163 Vgl. Organisationsbericht über die Kreisverwaltung Schweinitz vom 25.8. 1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, Bl. 21). 164 Ebd. 165 Stärkemeldung der seit 5.5.1945 neu eingesetzten Kreisgendarmerie-Beamten und der kommunalen Polizei vom 31.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 50). 166 Vgl. Bericht über die Dienstbesprechung mit den leitenden Polizeibeamten des Bezirks Halle-Merseburg vom 31.8.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 18, Bl. 3).

Aufbau der Verwaltung

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ausschließlich KPD-Mitglieder. Einzige Ausnahme bildete der Herzberger Polizeihauptmann Paul Hillmann, der nach dem Kriegsende der SPD beitrat.167 Dass mit der schnellen Säuberung der Polizei von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern nicht nur die reine Entnazifizierung im Vordergrund stand, sondern in gleicher Weise die Herrschaftssicherung der KPD eine Rolle spielte, war auch an der von der Provinzialverwaltung vorgegebenen Einstellungspraxis zu erkennen. Die Provinzialverwaltung legte z. B. am 17. September 1945 folgenden Grundsatz zur Einstellung von Polizeibeamten fest: „Für die Einstellung in die neue Polizei ist nicht ausreichend, dass der Bewerber seine politische Neutralität oder seine Nichtmitgliedschaft zur NSDAP und ihrer Gliederungen nachweist. Hauptbedingung für seine Einstellung ist, dass der Bewerber unter dem Faschismus nachweislich eine positive, antifaschistische Haltung gezeigt hat. Bevorzugt sind daher solche Bewerber einzustellen, die während der faschistischen Ära illegal gegen den Faschismus gekämpft haben und deswegen politisch verfolgt worden sind.“168 Da kaum ein Polizeibeamter in der Zeit zwischen 1933 und 1945, auch wenn er nicht Mitglied der NSDAP war, gegen das Regime gekämpft haben dürfte und es für viele parteilose Polizisten wohl sehr schwer war, eine „positive, antifaschistische Haltung“ nachzuweisen, kam diese Anordnung einer totalen Säuberung des Polizeidienstes gleich. Gleichzeitig begünstigte die Anordnung die Einstellung von KPD- bzw. SPD-Mitglieder, da diese oftmals unter die oben genannten Kriterien fielen. Damit wurde auch im gesamten Bezirk Merseburg eine von den beiden Arbeiterparteien dominierte Polizei geschaffen. Im Regierungsbezirk Merseburg gehörten am 10. Oktober 1945 insgesamt 45 Prozent der Polizisten der KPD und 29,5 Prozent der SPD an. Lediglich 4,6 Prozent der Polizisten waren zu diesem Zeitpunkt Mitglieder der CDU bzw. der LDP. Keiner Partei gehörten 20,9 Prozent der Polizisten an.169 In keinem anderen Verwaltungsbereich gab es eine solch große Dichte von Mitgliedern der beiden Arbeiterparteien.

167 Vgl. Nachweisung über die Parteienzugehörigkeit bei der Stadtverwaltung Herzberg vom 27.7.1945 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.). 168 Vorläufige Anordnungen und Richtlinien über die Einstellung, Versorgung und Besoldung der Polizeibeamten vom 17.9.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 18, Bl. 6). 169 Vgl. Bericht über die Säuberung der Polizei in der Provinz Sachsen vom 15.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 18, Bl. 8).

V. Der Neuaufbau der Parteien 1. KPD Am 10. Juni 1945 genehmigte der Oberste Chef des SMAD Marschall Shukow mit dem von ihm unterzeichneten SMAD-Befehl Nr. 2 die Bildung von antifaschistischen Parteien und freien Gewerkschaften auf dem Gebiet der SBZ. Um den Aufbau der kommunistischen Partei nun auch offenzuzulassen, die im Folgenden das entscheidende Instrument zur Diktaturdurchsetzung sein sollte, war die sowjetische Führung mit Rücksicht auf die Westmächte jedoch zur Zulassung weiterer Parteien gezwungen. So versuchte die sowjetische Führung, den westlichen Besatzungsmächten mit diesem vermeintlichen demokratischen Zugeständnis ihre weitere Bereitschaft zur Kooperation zu signalisieren.1 Gleichfalls war die sowjetische Besatzungsmacht mit der schnellen Zulassung der Parteien auch in der Lage, den Aufbau des Parteiensystems in der SBZ weitestgehend zu beeinflussen. Aus diesem Grund wurden von vornherein nur vier Parteien, die KPD, die SPD, die CDU und die LDP, in der SBZ zugelassen. Die sowjetische Besatzungsmacht konnte somit die ohnehin bereits vorhandenen zahlreichen deutschen Initiativen zur Parteiengründung nach ihren Vorstellungen kanalisieren.2 Um den Spielraum der Parteien noch weiter einzuschränken, verfügte die Besatzungsmacht, dass alle zugelassenen Parteien in einem demokratischen Block eingebunden werden sollten. In diesem Gremium sollten nur einstimmige Beschlüsse gefasst werden dürfen. Diese sogenannte Einheitsfront der demokratischen Parteien wurde von Vertretern aller zugelassenen Parteien am 14. Juli 1945 in Berlin gegründet. Angesichts der enormen Herausforderungen beim Wiederaufbau Deutschlands sowie der Parteienzersplitterung vor 1933, die viele für die Entstehung der NS-Diktatur mitverantwortlich machten, waren viele Vertreter der SPD und der bürgerlichen Parteien an einer gleichberechtigten Zusammenarbeit aller demokratischer Parteien interessiert. Dass damit allerdings die Handlungsspielräume der SPD und vor allem der beiden bürgerlichen Parteien von Anfang an enorm eingeengt wurden, erkannten zunächst aber nur sehr wenige.3 Wie bereits mit Stalin lange zuvor abgesprochen war, erließ das Zentralkomitee der KPD bereits einen Tag nach dem Erlass des Befehls Nr. 2 am 11. Juni 1945 einen Gründungsaufruf an das deutsche Volk. Ganz auf der zunächst gemäßigt erscheinenden offiziellen sowjetischen Linie stellte die „neue KPD“ ein in weiten Teilen sozialdemokratisch gemäßigt erscheinendes Programm vor. So

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Vgl. Michelmann, Aktivisten der ersten Stunde, S. 77. Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 123 f. Vgl. Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, München 1987, S. 95 f.

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Der Neuaufbau der Parteien

hieß es im Aufruf: „Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“4 Zwar schloss dies nicht aus, dass diese Bedingungen zu einem späteren Zeitpunkt gegeben sein würden, doch sprach sich die Führung der KPD zumindest vorerst im Gründungsaufruf öffentlich für „den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ aus.5 Diese neue öffentlich propagierte Zielrichtung war keineswegs identisch mit der politischen Ausrichtung der KPD vor 1933 und warf die Frage auf, wie die Mitglieder an der Basis auf diesen Aufruf reagieren würden. Zunächst muss man feststellen, dass die überlebenden Kommunisten im Kreis Liebenwerda sowie im Kreis Schweinitz kurz nach der Besetzung des Gebiets von jeglichen äußeren Entwicklungen abgeschnitten waren. Kein Kommunist hatte in den ersten Tagen und Wochen der Besatzungszeit Kontakt zu den aus Moskau kommenden kommunistischen Initiativgruppen.6 Ebenso bestand zu diesem Zeitpunkt noch kein Kontakt zu der erst nach dem Abzug der westlichen Alliierten Anfang Juli 1945 eingerichteten KPD-Provinzleitung in ­Halle.7 Dennoch versuchten mehrere KPD-Mitglieder unabhängig voneinander, im Untersuchungsgebiet die Strukturen der Partei wieder aufzubauen. Die erste belegte Initiative zum Wiederaufbau der KPD konnte im hoch industrialisierten Mückenberger Ländchen nachgewiesen werden. Bereits Mitte Mai 1945 trafen sich in der Bogjamaschule in Mückenberg 15 Kommunisten aus dem gesamten „Ländchen“, um hier den Wiederaufbau der Partei zu besprechen. Darunter befanden sich auch die erst wenige Tage zuvor von der Roten Armee offiziell ernannten Bürgermeister von Mückenberg, Paul Paulick, von Bockwitz, Max Baer, sowie von Lauchhammer, Bruno Thiessler.8 Diese beschlossen, dass die KPD im gesamten Mückenberger Ländchen wieder aufgebaut werden sollte. Dafür wurde der frühere, kurzzeitige Kreisvorsitzende der KPD, Paul Mittig, beauftragt, alle organisatorischen Maßnahmen zur Wiederbegründung zu treffen.9 Mittig

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Gründungsaufruf der KPD vom 11.6.1945. In: Hermann Weber (Hg.), DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1985, München 1987, S. 34. Ebd. Die Initiativgruppe um Anton Ackermann war für den Aufbau der Partei sowie der Verwaltungen im Bereich der 1. Ukrainischen Front zuständig. Die Gruppe um Anton Ackermann traf am 1.5.1945 bei Sagan in Deutschland ein. Ackermann bereiste auf seiner Fahrt nach Dresden Weißwasser, Görlitz, Bautzen, Luckau, Cottbus und Senftenberg. In dem sowjetisch besetzten Teil der Provinz Sachsen wurden mit Peter Florin und Rudolf Zieler lediglich in Wittenberg Kommunisten, die aus dem Moskauer Exil kamen, zur Verwaltungs- und Parteibildung eingesetzt. Vgl. Michelmann, Aktivisten der ersten Stunde, S. 127. Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 76 f. Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 29 f. Vgl. ebd., S. 30.

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suchte daraufhin im gesamten Ländchen nach weiteren überlebenden Kommunisten, die in der Folgezeit mit neuen Parteiausweisen und Beitragsmarken ausgestattet wurden.10 Auch in Mühlberg organisierte der überzeugte Kommunist und neue Bürgermeister Alfred Kümmel, der mit seinem Amtsantritt bezeichnenderweise „Hammer und Sichel“ als Mühlberger Stadtsiegel einführte, zusammen mit seinen kommunistischen Beigeordneten die Gründung der sogenannten Kommunistischen Partei Mühlbergs. Erstmals wandte sich die Kommunistische Partei Mühlberg am 25. Mai 1945 offiziell an die Bürger der Stadt. An diesem Tag erschien die in Mühlberg herausgegebene kleine Flugschrift „Der Aufbau“. Hierin hieß es, dass das von dem Bürgermeister Alfred Kümmel ernannte und von der Roten Armee bestätigte Stadtkomitee, welches personell identisch mit der Kommunistischen Partei Mühlberg war, „getreu für den Kommunismus seine Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit erfüllt“.11 Personell und ideologisch knüpften also die überlebenden Kommunisten im Untersuchungsgebiet unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee zunächst nahtlos an die Zeit vor 1933 an. Vor allem in den ehemaligen Hochburgen der KPD, wie z. B. im Mückenberger Ländchen und in Mühlberg nachgewiesen werden konnte, zeigten sich bereits vor der offiziellen Zulassung der Parteien erste Versuche, die 1933 aufgelösten KPD-Parteistrukturen neu zu organisieren. Die Gründungsmitglieder der KPD konnten sich dabei vor allem auf eine wohlwollende Duldung durch die sowjetische Besatzungsmacht sowie durch die langsam wieder entstehende und von Kommunisten dominierte deutsche Verwaltung verlassen. So gab der neue Liebenwerdaer Landrat Paulick, der im Mückenberger Ländchen Mitbegründer der neuen KPD war, am 1. Juni 1945 in seiner ersten Verordnung zwar bekannt, dass „jede Organisation im politischen Sinne sofort einzustellen ist“, doch die deutsche Verwaltung sowie die Besatzungsmacht unternahm nichts, um die offensichtlichen Bemühungen zur Neugründung der KPD zu diesem Zeitpunkt zu verhindern.12 Dass diese Verordnung augenscheinlich von einigen Kommunisten nicht auf den Wiederaufbau der KPD bezogen wurde, bewies z. B. der Mühlberger Bürgermeister. Als der Mühlberger Stadtkommandant am 8. Juni 1945 die Frage stellte, welche Parteien in der Stadt noch tätig seien, antwortete Alfred Kümmel, dass in Mühlberg seit der Besetzung durch die Rote Armee noch keine Parteiarbeit festgestellt werden konnte.13 Dass der Bürgermeister die durch mehrere Aufrufe bereits öffentlich in Erscheinung getretene

10 Kommission für Betriebsgeschichte des VEB Braunkohlenkombinats Lauchhammer (Hg.), Bergarbeiterland in Volkeshand. Geschichte des VEB Braunkohlenkombinat Lauchhammer, Band II, Berlin (Ost) 1970, S. 21. 11 Vgl. Der Aufbau. Stimme der Stadt Mühlberg (Elbe) und Umgebung vom 25.5.1945, Nr. 1. 12 Vgl. Richtlinien für die Gemeindeverwaltungen vom 1.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.). 13 Vgl. beantworteter Fragebogen des Kriegskommandanten der Roten Armee vom 8.6.1945, S. 2 f. (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.).

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Der Neuaufbau der Parteien

Kommunistische Partei Mühlbergs davon ausnahm, war offensichtlich. Gestützt auf die Besatzungsmacht sowie auf die von Kommunisten geführten Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen konnte sich die KPD trotz der Verordnung des Landrats als erste neu begründete Partei ohne Konkurrenz behaupten und damit gegenüber den später gegründeten anderen Parteien einen wichtigen organisatorischen Vorsprung erzielen, der insbesondere bei der Neuverteilung der wichtigsten kommunalpolitischen Posten eine wesentliche Rolle bei der Diktaturdurchsetzung spielen sollte. Hätten sich bürgerliche oder gar nationalsozialistische Gruppen vor dem 10. Juni 1945 neu organisiert, wäre vermutlich das Vorgehen der Besatzungsmacht und der neuen deutschen Verwaltungen anders ausgefallen. Nachdem am 10. Juni 1945 der SMAD-Befehl Nr. 2 auch im Untersuchungsgebiet von den Kommandanturen veröffentlicht wurde, forcierten in den einzelnen Orten des Kreises Liebenwerda ehemalige Kommunisten den weiteren Parteiaufbau. Eine wesentliche Rolle spielte dabei im südlichen Gebiet des Kreises Liebenwerda der Merzdorfer Bürgermeister Hans Lauter. Im Zeitzeugeninterview bestätigte er die bei vielen Kommunisten trotz langer Haftzeit ungebrochene Überzeugung an die weltanschaulichen Ziele der Partei, die vielen Kommunisten während der Haftzeit zum einen großen Halt boten und zum anderen eine wesentliche treibende Kraft bei der Parteineugründung nach dem Krieg darstellten.14 Diesen nahezu „religiösen“ Eifer hatten viele KPD-Mitglieder Mitgliedern anderer Parteien zweifellos voraus. Hans Lauter suchte nach dem Einmarsch der Roten Armee, obwohl er nicht im Untersuchungsgebiet beheimatet war, zahlreiche ehemalige KPD-Mitglieder auf, z. B. in Elsterwerda, Prösen und Hohenleipisch, um diese dazu zu bewegen, in ihren Orten eine neue KPD-Organisation aufzubauen. Dabei arbeiteten die Kommunisten auch länderübergreifend zusammen. Im benachbarten sächsischen Stahlwerk Gröditz, wo viele ehemalige KPD-Mitglieder aus dem Kreis Liebenwerda arbeiteten, gründete Hans Lauter z. B. eine erste Betriebsgruppe.15 Ein großes Problem bestand aber für die KPD im Untersuchungsgebiet darin, dass sie kaum auf ein weit verzweigtes illegales Netzwerk zurückgreifen konnte. Hans Lauter, der nach dem 30. Juni 1945 nach Chemnitz zurückkehrte und die dortige KPD mit aufbaute, bestätigte dies. Er sagte dazu: „Im Gegensatz zu Chemnitz war es im Kreis Liebenwerda sehr mühselig, alte Parteigenossen ausfindig zu machen. In Chemnitz gab es eine Untergrund-KPD, im Kreis Lie-

14 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Prof. Dr. Hans Lauter vom 18.8.2010. Prof. Dr. Hans Lauter (geb. 1914) trat im Jahr 1930 dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) in Chemnitz bei. Im Jahr 1934 wurde er inhaftiert. Im Frühjahr 1945 gelang ihm die Flucht aus einem Ausräumkommando bei Dresden, worauf er sich in Merzdorf bei seiner Schwester versteckte. Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee ging er dieser entgegen und führte die ersten ankommenden sowjetischen Truppen durch das Kreisgebiet. Nach dem Kriegsende wurde er von der Roten Armee zum neuen Merzdorfer Bürgermeister ernannt. 15 Vgl. ebd.

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benwerda musste wir hingegen immer erst Überzeugungsarbeit bei den alten Genossen leisten.“16 Neue Mitglieder konnten somit im Kreis Liebenwerda zunächst kaum angesprochen werden, obwohl der neue Parteikurs laut dem Aufruf vom 11. Juni 1945 den Aufbau einer Massenpartei vorsah. So konzentrierten sich die ersten Gründungsinitiativen der KPD zunächst zwangsläufig nur auf die Ortschaften, wo bereits vor 1933 eine KPD-Organisation existierte. Aber auch alte ideologische Vorstellungen der regionalen KPD-Funktionäre verhinderten zunächst einen Ausbau zu einer Massenpartei. Wie der erste Liebenwerdaer KPD-Kreisvorsitzende, Paul Mittig, später selbst bestätigte, versuchte man zunächst, die neue KPD nicht als Massenpartei aufzubauen, sondern „eine kleine, von ergebenen Genossen zusammengesetzte Partei“ zu gründen. „Dabei gingen wir davon aus, dass die Partei der Bolschewiki während der Großen Sozialistischen Oktoberevolution 1917, entsprechend der Einwohner des damaligen zaristischen Russlands, eine zahlenmäßig kleine Partei war“, so Paul Mittig weiter.17 Die Scheu, viele neue Mitglieder in die Partei aufzunehmen, lag wohl aber auch darin begründet, dass viele KPD-Funktionäre während der Nazi-Zeit verfolgt bzw. inhaftiert worden waren. Besonders diesen fiel es wohl zunächst schwer, sich aus der inneren Immigration zu lösen. So war es für die KPD-Funktionäre vor dem Einmarsch der Roten Armee ein großes Wagnis, offen und ehrlich ihre weltanschauliche Meinung auszusprechen. Dies führte nahezu zwangsläufig zu einem natürlichen Misstrauen gegenüber anderen nicht vor 1933 in der KPD organisierten Personen. Zudem betrachtete man wohl „Nicht-KPD-Mitglieder“ generell als Mitläufer während der NS-Zeit, die in einer eingeschworenen neuen Kommunistischen Partei nichts verloren hätten. Erst die KPD-Provinzleitung unter dem Vorsitz von Bernhard Koenen, der kurz vor Kriegsende zusammen mit der Gruppe um Walter Ulbricht aus dem Moskauer Exil zurück nach Deutschland kam und den Parteivorsitz in den ersten Julitagen 1945 in der Provinz Sachsen übernahm, versuchte mit Funktionärskonferenzen die örtlichen KPD-Funktionäre auf eine einheitliche Linie zu bringen und alte Auffassungen zum Parteiaufbau zu korrigieren.18 Die erste Funktionärskonferenz in der Provinz fand am 20. Juli 1945 in Köthen statt, bei der allerdings noch keine Vertreter aus den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz anwesend waren.19 Erst am 5. August 1945 nahmen die bisher von der Parteiführung abgeschnittenen Kommunisten des Untersuchungsgebiets in Torgau an einer ersten Funktionärskonferenz teil.20 Die auf Vorgaben wartenden Genossen bekamen von Bernhard Koenen während dieser Konferenz allerdings genau das Gegenteil von ihrer bisher praktizierten Parteilinie zu hören. Paul Mittig schrieb dazu später: „Wie falsch unsere Auffassung war, wurde uns erst

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Erinnerungsprotokoll von Prof. Dr. Hans Lauter vom 18.8.2010. Unser Rotes Ländchen, S. 30. Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 76 f. Vgl. ebd., S. 78. Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 31.

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nach einer Konferenz bewusst, die im August 1945 in Torgau stattfand […]. Genosse Bernhard Koenen hielt das Referat und wies darauf hin, dass es unser nächsten Ziel sei, eine große und einheitliche Arbeiterpartei zu schaffen. Deswegen mussten die besten Beziehungen zu den Sozialdemokraten hergestellt werden.“21 Die Durchsetzung des Parteiaufbaus nach den Grundsätzen des KPD-Gründungsaufrufs vom 11. Juni 1945 musste von oben durchgesetzt werden. Die vielen praktisch seit 1933 von der Parteiführung abgetrennten und dadurch ideologisch kaum geschulten KPD-Mitglieder des Untersuchungsgebiets setzten den KPD-Gründungsaufruf also nicht von vornherein um. Nach der Torgauer Konferenz änderte sich das Verhalten der KPD-Funktionäre im Kreis Liebenwerda jedoch grundlegend. Dazu wurden am 12. August 1945 in der ersten unmittelbar nach der Torgauer Konferenz einberufenen ersten Kreiskonferenz zunächst die einzelnen KPD-Ortsgruppen im Kreis Liebenwerda zu einem Kreisverband zusammengefasst. Paul Mittig, der bereits im Mückenberger Ländchen die KPD neu aufbaute, wurde zum neuen KPD-Kreisvorsitzenden gewählt. Gleichfalls begann die Liebenwerdaer Kreispartei mit dem Aufbau der Massenpartei. Bestanden Anfang August 1945 im Kreis Liebenwerda nur zehn Ortsgruppen mit etwa 200 Mitgliedern, die zum größten Teil auch vor 1933 bereits KPD-Mitglieder waren, so ging die neue Parteiführung im Kreis Liebenwerda jetzt dazu über, neue Mitglieder zu werben und die Parteistrukturen zu vergrößern.22 Bis zur zweiten Liebenwerdaer KPD-Kreiskonferenz am 21. Oktober 1945 konnte sich die Kreispartei auf 950 Mitglieder vergrößern. Bis zu diesem Zeitpunkt gründeten sich bereits 35 Ortsgruppen.23 Bedenkt man dabei, dass vor 1933 lediglich 464 KPD-Mitglieder im Kreis Liebenwerda organisiert waren, so erreichte der Stand der KPD-Parteiorganisation nur wenige Monate nach dem Kriegsende eine bis dahin für viele Kommunisten nicht vorstellbare Größe.24 Wie aber war diese gewaltige Steigerung möglich? So war die neue KPD in den ersten Nachkriegsmonaten die mit Abstand am besten vernetzte Partei, die aufgrund der Bevorzugung durch die Besatzungsmacht in jedem größeren Ort KPD-Mitglieder in verantwortlichen kommunalpolitischen Positionen stellte. Es kam hinzu, dass die Liebenwerdaer Kreisverwaltung unter der Führung des Kommunisten Paul Paulick stand. Somit war die KPD in der Lage, mit der organisatorischen Hilfe der zahlreichen Bürgermeister, die der KPD angehörten, ohne größeren Aufwand viele neue KPD-Ortsgruppen entstehen zu lassen. Durch diese überlegene Logistik gelang es der KPD vom 12. August bis zum 27. Oktober 1945 im gesamten Kreis Liebenwerda insgesamt 40 Mitglieder-

21 Ebd., S. 30 f. 22 Vgl. Bericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für die KPD-Bezirksleitung vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 182). 23 Vgl. ebd. 24 Beantworteter Fragebogen der KPD-Kreisleitung Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 41).

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versammlungen, 47 öffentliche Versammlungen, 45 Bauernbesprechungen und 9 Thälmann-Kundgebungen abzuhalten.25 Mit diesem nahezu omnipräsenten öffentlichen Auftreten der Partei, welches bei Weitem das vor 1933 überstieg, konnte keine andere Partei im Kreis konkurrieren. Unter diesen Bedingungen war es nicht verwunderlich, dass die Partei, deren Vertreter zudem im Wesentlichen den Wiederaufbau in den deutschen Verwaltungen organisierten, einen großen Mitgliederzuspruch verzeichnete. Vielen Personen blieb außerdem nicht verborgen, dass sich die KPD sofort nach dem Einmarsch der Roten Armee aufgrund der Bevorzugung durch die Besatzungsmacht zur führenden Partei entwickelte. Ein KPD-Parteieintritt versprach in dieser Zeit größtmögliche Aufstiegschancen.26 So traten z. B. eine Reihe ehemaliger SPD-Mitglieder, die neben ihren Karrierechancen wohl auch die Hoffnung hatten, die Trennung der beiden Arbeiterparteien mit diesen Schritt schnell überwinden zu können, in die KPD ein. Die bekanntesten Beispiele im Untersuchungsgebiet waren dafür der Elsterwerdaer Bürgermeister Karl Böhme und der Grünewalder Bürgermeister Paul Ruthenberg sowie der spätere Liebenwerdaer Landrat Paul Gasche.27 Dass sich die KPD im Kreis Liebenwerda von einer reinen Arbeiterpartei zu einer Massenpartei entwickelte, zeigte sich auch in der sozialen Zusammensetzung der Partei. Am 1. November 1945 waren im Kreis Liebenwerda nur noch 30 Prozent der Parteimitglieder Arbeiter. Zu diesem Zeitpunkt gehörten bereits 30 Prozent Handwerker, 12 Prozent Bauern, 8 Prozent Freiberufler und 5 Prozent Ingenieure der Partei an.28 Zum einen förderte die allgemeine soziale Struktur des Kreises Liebenwerda diese Entwicklung, zum anderen zeigte dies jedoch auch deutlich, dass ein KPD-Eintritt nach dem Kriegsende u. a. durch den enorm gewachsenem politischen Einfluss der Partei nun auch für kleinbürgerliche Schichten attraktiv wurde. Bezeichnend für die Entwicklung der KPD war zudem, dass sich bereits am 1. November 1945 insgesamt 15 Prozent der Parteimitglieder im Kreis Liebenwerda zu den Angestellten zählten. Daran war sehr deutlich zu erkennen, dass viele Mitglieder der KPD im öffentlichen Verwaltungsapparat installiert wurden. Die größten Probleme hatte die Partei aber bei der Gewinnung von Jugendlichen und Frauen. So waren am 1. November 1945 lediglich 36 Jugendliche unter 21 Jahren (3,1 Prozent) und 142 Frauen (12,3 Prozent) in der Liebenwerdaer Kreispartei organisiert.29 Grundsätzlich

25 Vgl. Bericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für die KPD-Bezirksleitung vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 182). 26 Vgl. Tammena, „Unser schönes rotes Luckenwalde“, S. 371. 27 Vgl. Beurteilung des Genossen Karl Böhme vom 30.8.1949 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4778, unpag.); Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 11.9.1945 (PA Helfried Dietrich); Lebenslauf von Paul Gasche im Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949 (BLHA Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). 28 Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45). 29 Ebd.

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war aber festzustellen, dass sich das Gesicht der Partei bereits in den ersten Monaten der Besatzungszeit grundlegend änderte und in keiner Weise mehr dem vor 1933 entsprach. Zwar besetzten immer noch die alten Repräsentanten, die bereits vor 1933 die KPD führten, die wesentlichen Schaltstellen in der Partei im Kreis Liebenwerda, doch machte dieser gewaltige Mitgliederzuwachs auch deutlich, dass große Bevölkerungsgruppen zunächst große Hoffnungen auf diese äußerlich scheinbar neu entstandene Partei setzten. Ganz anders als im Kreis Liebenwerda sah die Lage im ländlichen Kreis Schweinitz aus. Selbst in der Kreisstadt Herzberg gab es vor der offiziellen Zulassung der Parteien keine Initiative, die KPD neu zu gründen. Ein großes Problem beim Wiederaufbau der KPD im Kreis Schweinitz bestand darin, dass hier vor 1933 nur sehr wenige KPD-Funktionäre aktiv waren. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung gab es hier laut einer Nachkriegsstatistik lediglich 23 aktive Kommunisten.30 Außerdem verstarb der vor 1933 führende KPD-Funktionär und einzige Schweinitzer KPD-Kreistagsabgeordnete, Richard König, kurz vor Kriegsende.31 Alles in allem waren die Anfangsbedingungen für die KPD im ländlich geprägten Kreis Schweinitz weitaus ungünstiger als z. B. im hoch industrialisierten Mü­ckenberger Ländchen, wo viele KPD-Funktionäre den Krieg überlebten. Die ersten Maßnahmen zum Wiederaufbau der KPD gingen im Kreis Schweinitz vom Bürgermeister Otto Eger in der Schweinitzer Kreisstadt Herzberg aus. Im Juni 1945, ein genauer Termin wurde nicht angegeben, versammelten sich 36 Anhänger der KPD in der Herzberger Mittelschule, um hier den Grundstein für den Aufbau der KPD im Kreis Schweinitz zu legen.32 An diesem Tag wurde Eduard Romanowski zum ersten KPD-Kreisvorsitzenden gewählt. Bezeichnenderweise kam dieser ursprünglich aus Berlin und hatte sich während des Kriegs in Herzberg niedergelassen.33 Die Wahl Romanowskis zeigte sehr deutlich, dass die KPD im Kreis Schweinitz kaum auf eigene Funktionäre zurückgreifen konnte. Zwar besaß auch hier die KPD den Vorteil, dass die wenigen überlebenden Funktionäre, wie Paul Jeß (Landrat), Otto Eger (Herzberger Bürgermeister), Richard Nobest (Jessener Bürgermeister) oder Max Schünke (Seydaer Bürgermeister), von der Besatzungsmacht in verantwortliche Positionen gehoben wurden, von denen sie auch den Aufbau der Partei betreiben konnten, doch die wenigen hiesigen KPD-Funktionäre waren aufgrund ihrer Doppelbelastung in Verwaltung und Partei kaum in der Lage, eine intensive Parteiarbeit zu organisieren.34 30 Beantworteter Fragebogen der KPD-Kreisleitung Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 131). 31 Vgl. Porrmann, Lebensbilder, S. 21–24. 32 Otto Bönisch, Zum 15. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. In: Heimatkalender für den Kreis Herzberg 1960, Herzberg 1959, S. 58. 33 Vgl. Kurt Porrmann, Die Durchführung der demokratischen Bodenreform im Kreis Schweinitz. Ein Beitrag zum 50. Jahrestag der KPD, Herzberg 1968, S. 13. 34 Vgl. Aufstellung der Personalien des Landrats und der hauptamtlichen Bürgermeister der Städte des Kreises Schweinitz vom 25.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 10).

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In einem Situationsbericht vom 1. Oktober 1945 über die KPD des Kreises Schweinitz wurde dies wie folgt bestätigt: „Die Kreisleitung befindet sich in Herzberg und wird vom Genossen Romanowski geführt, der gleichzeitig stellvertretender Landrat (ist), die Bodenreform im Kreis durchführt und außerdem noch Staatsanwalt beim Volksgericht in Herzberg ist.“35 Mit dieser Ämterhäufung und zudem mit nur einem Mitarbeiter ausgestattet, war es nahezu unmöglich, eine funktionierende Kreispartei aufzubauen. Eine starke Öffentlichkeitsarbeit wie im Kreis Liebenwerda konnte unter diesen Umständen im Kreis Schweinitz nicht geleistet werden. Beispielsweise meldete die Kreisleitung der KPD bis zum 27. Oktober 1945 nur vereinzelte Einwohnerversammlungen nach Halle.36 Unter diesen Bedingungen war es nicht verwunderlich, dass bis zum 1. Oktober 1945 im gesamten Kreis Schweinitz lediglich sechs KPD-Ortsgruppen mit nur 208 Mitgliedern entstanden. Ebenso wurde von der Provinzialleitung bemängelt, dass bis zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Mitgliederkartei für das gesamte Kreisgebiet erarbeitete wurde.37 Verglichen mit dem Kreis Liebenwerda, wo bereits zahlreiche Ortsgruppen bestanden und viele neue Mitglieder in die Partei strömten, war die KPD des Kreises Schweinitz organisatorisch zu diesem Zeitpunkt weit zurück. Auch die soziale Struktur der Mitglieder der KPD im Kreis Schweinitz unterschied sich zunächst deutlich vom Kreis Liebenwerda. Am 1. November 1945 setzten sich die insgesamt 360 Mitglieder aus 66 Prozent Arbeitern, 16 Prozent Angestellten und Beamten, 14 Prozent Bauern und Intellektuellen zusammen.38 Trotz des geringen Gesamtarbeiteranteils im ländlichen Kreis Schweinitz waren hier immer noch übermäßig viele Arbeiter in der Partei vertreten. Der Aufbau einer Massenpartei wurde zum einen durch die schlechte Organisation der Kreis-KPD und die wenig erfahrenen KPD-Funktionäre verhindert. Zum anderen spielte dabei zweifellos auch die nahezu rein ländliche Prägung des Kreises Schweinitz eine Rolle. Viele Bauern dachten z. B. trotz der Anfang September 1945 initiierten Bodenreform weiterhin nicht daran, in die KPD einzutreten. Parallel zum Kreis Liebenwerda entwickelte sich hingegen die Anzahl der Angestellten und Beamten in der Partei, die vor allem in den gesäuberten Verwaltungen von der Besatzungsmacht installiert wurden. Dies verdeutlicht nochmals, dass KPD-Mitglieder kurz nach dem Kriegsende auch im Kreis Schweinitz viele kommunale Führungspositionen übernahmen. Der Frauenanteil blieb aber auch in der KPD des Kreises Schweinitz gering. Lediglich 55 Frauen waren

35 Situationsbericht über den Kreis Schweinitz vom 1.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 39). 36 Vgl. Situationsbericht aus dem Kreise Schweinitz vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 40). 37 Vgl. Situationsbericht über den Kreis Schweinitz vom 1.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 39). 38 Bericht der Kreisleitung der KPD Schweinitz für den Monat November 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 133).

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am 1. November 1945 in der Partei registriert. Ebenso klein fiel der Anteil der Jugendlichen aus. Nur 11 Jugendliche unter 21 Jahren gehörten am 1. November 1945 der KPD im Kreis Schweinitz an.39 Der Mangel an Jugendlichen und Frauen stellte allerdings nicht nur im Untersuchungsgebiet, sondern in der gesamten KPD der SBZ in der Anfangsphase der Partei ein Problem dar. Lediglich 20 Prozent Frauenanteil sowie nur knapp 16 Prozent Mitglieder unter 30 Jahren Ende Januar 1946 in der gesamten KPD der SBZ belegten, dass das Untersuchungsgebiet in dieser Hinsicht keine Ausnahme darstellte.40 Die schwache Entwicklung der KPD im Kreis Schweinitz blieb schließlich auch der KPD-Bezirksleitung nicht verborgen. Diese reagierte Mitte November 1945 und setzte den überforderten Eduard Romanowski als Kreisvorsitzenden ab. An seiner Stelle wurde am 15. November 1945 Felix Kolodziej als Kreisvorsitzender in den Kreis Schweinitz geschickt.41 Kolodziej stammte ursprünglich aus Gleiwitz in Oberschlesien und war nach 1933 lange Zeit im KZ inhaftiert. Nach dem Kriegsende baute er im Hydrierwerk in Tröglitz bei Zeitz eine KPD-Betriebsgruppe auf.42 Seine Versetzung in den Kreis Schweinitz bestätigte nochmals, dass die Personaldecke der Kommunisten im Kreis so dünn war, dass die Parteispitze sich gezwungen sah, auswärtige Funktionäre für den schwierigen Parteiaufbau in den ländlichen Kreis zu schicken. Dabei kam wahrscheinlich auch hinzu, dass die Bezirksleitung den örtlichen Kommunisten nicht zutraute, die gewaltigen Anforderungen beim Parteiaufbau mit der von ihr gewünschten ideologischen Festigkeit zu bewältigen. Nach der Einsetzung von Felix Kolodziej wurde nun damit begonnen, die Partei für weitere Mitglieder zu öffnen. Mit der Erfahrung Kolodziejs beim Parteiaufbau im Kreis Zeitz gelang es ihm zunächst bis Dezember 1945, erste Jugend- und Frauenausschüsse in den sechs Städten des Kreises zu gründen.43 Gleichfalls steigerte sich die Öffentlichkeitsarbeit der Partei enorm. So wurden im Januar 1946 bereits 27 öffentliche KPD-Versammlungen im Kreis Schweinitz durchgeführt.44 Auch aufgrund dieser propagandistischen Offensive stieg die Mitgliederzahl von 360 am 1. November 1945 registrierten Mitgliedern auf 793 Mitglieder bis zum 24. Januar 1946 gewaltig an.45 Schließlich konnte die KPD des Schweinitzer Kreises bis zum 22. April 1946 den Stand von 1 090

39 40 41 42

Ebd. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden“, S. 94. Vgl. … und der Zukunft zugewandt, S. 27. Vgl. Lebenslauf von Felix Kolodziej. In: Lausitzer Rundschau, Regionalblatt Herzberg, vom 3.8.1979, S. 8. 43 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 44). 44 Monatsbericht der Unterbezirksleitung der KPD Halle-Merseburg für Januar 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 28). 45 Bericht der Kreisleitung der KPD Schweinitz für den Monat November 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 133); Bericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz vom 24.1.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 135).

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Mitgliedern erreichen, von dem die hiesigen Kommunisten vor 1933 nicht zu träumen gewagt hätten.46 Erst mit der Einsetzung Kolodziejs entwickelte sich die Partei auch im Kreis Schweinitz zu einer Massenpartei. Dies zeigte sich zugleich in der Mitgliederstruktur. Am 22. März 1946 gehörten der Partei im Kreis Schweinitz 39,9 Prozent Arbeiter, 19 Prozent Bauern bzw. Landarbeiter, 16,1 Prozent Angestellte und Beamte, 4,3 Prozent Selbstständige, 1,3 Prozent Intellektuelle und 19,4 Prozent Sonstige (Hausfrauen usw.) an.47 Zwar stellten immer noch Arbeiter den größten Anteil, mittlerweile sank aber deren Anteil im Vergleich zum Oktober 1945 bedeutend. Somit glichen sich die Zahlen im Kreis Schweinitz denen des Kreises Liebenwerda langsam an, wo bereits seit September/Oktober 1945 viele Personen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen außerhalb des Arbeitermilieus in die Partei eintraten. Im Kreis Liebenwerda zählten sich am 4. April 1946 insgesamt 41,6 Prozent der Parteimitglieder zu den Arbeitern, 13,5 Prozent zu den Bauern bzw. Landarbeitern, 19,4 Prozent zu den Angestellten bzw. Beamten, 11,9 Prozent zu den Selbstständigen, 1,4 Prozent zu den Intellektuellen und 12,2 Prozent zu den Sonstigen.48 Insgesamt gehörten dem Liebenwerdaer KPD-Kreisverband am 22. April 1946 2 140 registrierte Mitglieder an.49 Zusammenfassend konnte man zur KPD-Gründung im Untersuchungsgebiet feststellen, dass die ersten führenden Mitglieder der KPD nicht von vornherein von dem neuen Kurs der Parteispitze überzeugt waren. Erst die Bezirksleitung in Halle unter Berhard Koenen brachte die Partei, im Kreis Liebenwerda durch die erste große Funktionärskonferenz in Torgau oder wie im Kreis Schweinitz durch die Absetzung des Kreisvorsitzenden, auf den neuen, im Gründungsaufruf festgelegten politischen Kurs. Mit der Öffnung für diesen neuen Kurs änderte sich das organisatorische Gesicht der KPD im Gegensatz zu dem vor 1933 im Untersuchungsgebiet grundlegend. Trotz des gewaltigen Mitgliederzuwachses wurde die KPD, vor allem im Kreis Liebenwerda, zu großen Teilen aber weiterhin von Parteifunktionären geführt, die bereits vor 1933 in der KPD Kreis im Liebenwerda aktiv waren. Hierin lag der wesentliche Unterschied zum Kreis Schweinitz, wo viele Funktionäre, aufgrund des Mangels an geeignetem Personal, von außen installiert werden mussten, um die Partei aufzubauen. Dennoch gelang es der KPD, im gesamten Untersuchungsgebiet vor allem durch die Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht zur bestorganisierten und gleichfalls durch die Übernahme der wichtigsten kommunalpolitischen Ämter zur mit Abstand einflussreichsten Partei aufzusteigen. 46 Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34). 47 Organisationsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März vom 22.3.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 136). 48 Organisationsbericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für den Monat März vom 4.4.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 50). 49 Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34).

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2. SPD Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 war die SPD im Untersuchungsgebiet weitaus besser organisiert als die KPD. Im Kreis Liebenwerda besaß die Partei vor 1933 immerhin ca. 1 000 bis 1 200 Mitglieder.50 Zudem stellte sie im Kreis Liebenwerda bis 1925 den Landrat und konnte bei den Kommunal- sowie Reichstagswahlen gute Ergebnisse erzielen. Aber auch im ländlich geprägten Kreis Schweinitz gelang es der Partei vor 1933, zumindest in der Stadt Herzberg kleine Erfolge zu verbuchen. Der SPD-Ortsverein besaß hier bereits im Jahr 1929 etwa 100 Mitglieder.51 Im ländlichen Raum des Untersuchungsgebiets fasste die Partei vor ihrem Verbot 1933 allerdings kaum Fuß. Dennoch war sie vor dem Jahr 1933 im Kreis Schweinitz mit einer Gesamtmitgliederzahl von 120 bis 130 Mitgliedern fast fünfmal so stark organisiert wie die hiesige KPD.52 Die Voraussetzungen für den Wiederaufbau der SPD hätten also, wenn man sich nur die Situation vor 1933 vergegenwärtigte, viel besser sein müssen als beim Wiederaufbau der KPD. Dennoch konnte in keinem Ort eine eigenständige Initiative zum Wiederaufbau der SPD vor der offiziellen Zulassung der Parteien am 10. Juni 1945 im Untersuchungsgebiet nachgewiesen werden. So begannen einzelne ehemalige SPD-Mitglieder im Untersuchungsgebiet erst nach dem Gründungsaufruf des Zentralausschusses der SPD am 15. Juni 1945 mit dem offiziellen Parteiaufbau. Dieser Gründungsaufruf, der weitestgehend von Otto Grotewohl ausgearbeitet wurde, orientierte sich sehr stark an dem zuvor veröffentlichten Aufruf der KPD. Allerdings wurde im SPD-Gründungsaufruf im Gegensatz zur KPD ganz klar Stellung zu einer einheitlichen Arbeiterpartei bezogen. Hierin hieß es: „Wir wollen vor allem den Kampf um die Neugestaltung auf dem Boden der organisatorischen Einheit der deutschen Arbeiterklasse führen! Wir sehen darin eine moralische Wiedergutmachung politischer Fehler der Vergangenheit, um der jungen Generation eine einheitliche politische Kampforganisation in die Hand zu geben.“53 Der neu gegründete Zentralausschuss (ZA) der SPD war zunächst durchaus bereit, über die Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei mit der KPD zu verhandeln. Dieses Vorhaben stoppte jedoch Walter Ulbricht während der ersten Besprechung zwischen den Vertretern des Zen­ tralkomitees (ZK) der KPD und des ZA der SPD am 19. Juni 1945. Der Grund für diese ablehnende Haltung lag wohl zuallererst darin, dass die Führung der KPD zunächst eine eigene schlagkräftige Parteiorganisation aufbauen

50 Beantworteter Fragebogen der KPD-Kreisleitung Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 41). 51 Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 26.11.1929, Nr. 278. 52 Vgl. Beantworteter Fragebogen der KPD-Kreisleitung Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 131). 53 An die Arbeit! Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15.6.1945, Berlin 1945, S. 13.

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wollte.54 Zudem erhofften sich wohl viele führende KPD-Mitglieder sowie die sowjetische Besatzungsmacht, dass sich die KPD schnell zur allein führenden Partei entwickeln und die SPD bei der Mitgliedergewinnung weit hinter sich lassen würde. Damit sich die Interessen der beiden Parteien aber nicht allzu sehr auseinander entwickelten, unterbreitete Walter Ulbricht den Vertretern der SPD den Vorschlag zur Bildung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses, in dem wichtige ideologische Fragen bis zur endgültigen Vereinigung geklärt werden sollten. Den lokalen Vertretern der beiden Parteien wurde während dieser gemeinsamen ersten Sitzung empfohlen, eng miteinander zusammenzuarbeiten.55 Dies warf die Frage auf, wie die lokalen Vertreter der SPD im Untersuchungsgebiet auf die zunächst vertagte Vereinigung der beiden Parteien reagierten. Grundsätzlich ließ sich auch hier eine starke Stimmung für die Vereinigung zu einer gemeinsamen Arbeiterpartei nachweisen. Diese drückte sich u. a. darin aus, dass mehrere ehemalige SPD-Mitglieder ihrer alten Partei den Rücken kehrten und in die KPD eintraten. Der Liebenwerdaer KPD-Kreisvorsitzende Paul Mittig äußerte sich in der Rückschau zu diesem Thema folgendermaßen: „Verschiedene Genossen der SPD sprachen sich für die Bildung nur einer Arbeiterpartei – und zwar der KPD – aus.“56 Diese Aussage belegten auch die monatlichen Meldungen der KPD an den Bezirksvorstand in Halle. Auf die Frage, wo die neu hinzugekommenen Mitglieder früher standen, antwortete die Kreisleitung Liebenwerda der Unterbezirksleitung am 1. Dezember 1945 „SPD und parteilos“.57 Im Kreis Schweinitz wurden am 1. November 1945 sogar 30 Prozent der hinzugekommenen Mitglieder als ehemalige SPD-Mitglieder aufgeführt.58 Dies deckte sich auch mit der Entwicklung im KPD-Unterbezirk Halle-Merseburg. Am 19. September 1945 gab die Bezirksleitung an, dass sich die neuen KPD-Mitglieder aus 50 Prozent ehemaligen Sozialdemokraten, 30 Prozent ehemaligen KPD-Mitgliedern sowie 20 Prozent Parteilosen im Unterbezirk Halle-Merseburg zusammensetzten. Zwar scheinen 50 Prozent viel zu hoch gegriffen zu sein, wie Andreas Schmidt glaubwürdig nachwies, aber diese Meldung belegte, dass eine sehr große Zahl von ehemaligen SPD-Mitgliedern kurz nach der Neugründung der Parteien in die neue KPD wechselte.59 Viele ehemalige Sozialdemokraten wechselten die Partei wohl aus tiefer Überzeugung, um eine einheitliche Arbeiterpartei schaffen zu können, wie Paul 54 Vgl. Beatrix Bouvier/Horst-Peter Schulz, „… die SPD aber aufgehört hat zu existieren.“ Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, Bonn 1991, S. 31. Ausführlicher zur Gründungsphase der SPD in der SBZ vgl. Harold Hurwitz, Die Anfänge des Widerstands. Teil 1: Führungsanspruch und Isolation der Sozialdemokraten, Köln 1990, S. 140–168. 55 Vgl. ebd., S. 31. 56 Unser Rotes Ländchen, S. 30. 57 Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45). 58 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Schweinitz für den Monat November 1945 (­LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 133). 59 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 88.

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Mittig in seinem Bericht bestätigte.60 Andere erhofften wohl, wiederum ihre Karrierechancen in der KPD zu steigern. Beispielsweise traten die neuen Bürgermeister von Elsterwerda und Grünewalde, Karl Böhme und Paul Ruthenberg, die vor 1933 SPD-Mitglieder waren, nach der Neugründung der Parteien der KPD bei.61 Ihren Posten hätten sie wohl ohne den Beitritt zur KPD nicht behalten dürfen. Maßgebend war aber vor allem der schleppende Parteiaufbau der SPD dafür verantwortlich, dass viele ehemalige Sozialdemokraten zur KPD wechselten. Selbst auf der Provinzialebene dauerte der Parteiaufbau bis in den August 1945. Zwar konstituierte sich bereits im Juli 1945 der Vorstand des Parteibezirks Halle-Merseburg, in welchem auch der SPD-Unterbezirk Torgau, Bad Liebenwerda, Schweinitz organisiert war, aber erst am 10. August 1945 bildete sich ein Provinzialvorstand der SPD, der für die gesamte Provinz Sachsen zuständig war.62 Ebenso langsam verlief der Aufbau im Untersuchungsgebiet. Im Juni und Juli 1945 gab es lediglich in einigen wenigen Orten des Kreises Liebenwerda, wo die SPD vor 1933 bereits sehr stark vertreten war, erste Initiativen zur Neugründung der Partei. Bis zum 23. August 1945 bestanden z. B. im gesamten Liebenwerdaer Kreisgebiet nur in Grünewalde, Kleinleipisch, Bockwitz, Gorden, Elsterwerda und Bad Liebenwerda neue SPD-Ortsvereine.63 Die Mitglieder dieser Ortsvereine hatten in der ersten Phase der Entstehung kaum Kontakt zu den SPD-Mitgliedern in den benachbarten Gemeinden. Die SPD entstand also genauso wie die KPD zunächst dezentral aufgrund der Initiative einzelner ehemaliger Parteimitglieder, die Kenntnis vom sowjetischen Befehl zur Parteienneugründung erhielten. Erst Ende August 1945 versuchten einzelne Sozialdemokraten, die bisher in ihren Städten oder Gemeinden SPD-Ortsvereine aufbauten, diese zu einem Kreisverband zusammenzufassen. Dabei ergriff Otto Dietrich aus Grünewalde, wo vor 1933 einer der stärksten SPD-Ortsvereine existierte, als Erster die Initiative.64 Dietrich gehörte bereits vor 1933 zu einem der einflussreichsten Sozialdemokraten im Kreis Liebenwerda. Er übte von 1919 bis 1933 das Amt des Grünewalder Ortsvorsteher aus. Die örtlichen Nationalsozialisten ließen ihn 1933 als Ortsvorsteher absetzten und daraufhin von der Polizei beobachten. Nachdem er sich zunächst als Zeitungsausträger betätigen musste, gelang ihm

60 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 30. 61 Vgl. Beurteilung des Genossen Karl Böhme vom 30.8.1949 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4778, unpag.); Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 11.9.1945 (PA Helfried Dietrich). 62 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 89. 63 Vgl. Otto Dietrich (Grünewalde) an Otto Philipp vom 23.8.1945 (PA Helfried Dietrich); Otto Philipp an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 31.8.1945 (PAHelfried Dietrich). In dem Antwortschreiben von Otto Philipp wurde zusätzlich noch die Existenz eines Falkenberger SPD-Ortsvereins an Otto Dietrich gemeldet. 64 Vgl. ebd.; Otto Dietrich (Grünewalde) an Hugo Vogel vom 23.8.1945 (PA Helfried Diet­ rich).

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in Grünewalde im Jahr 1936 der Aufbau einer neuen Existenz als Steuerprüfer. Dieser Beschäftigung ging er bis zum Kriegsende nach.65 Nachdem er in Grünewalde mehrere ehemalige SPD-Mitglieder zum Wiederaufbau der Partei fand, suchte er seit Mitte August 1945 nach weiteren SPD-Mitgliedern in den übrigen Orten des Kreises Liebenwerda.66 Dazu versuchte er, mehrere ehemalige führende SPD-Mitglieder in den größeren Ortschaften des Kreises ausfindig zu machen und diese um Mithilfe beim Aufbau eines neuen Kreisverbandes zu bitten. An den Elsterwerdaer Sozialdemokraten Hugo Vogel schrieb Otto Dietrich beispielsweise am 24. August 1945: „Nachdem im Kreis Liebenwerda eine ganze Anzahl Ortsgruppen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wieder ins Leben gerufen sind, ist es an der Zeit, diese Ortsgruppen in einer Kreisgruppe zusammenzufassen. Zu diesem Zweck ist zunächst eine provisorische Kreisleitung zu bilden. Da die Verkehrsverhältnisse persönliche Besuche bei den Ortsgruppen noch erschweren, bitte ich Dich hiermit, mir freundlichst anzuzeigen, in welchen Orten neben den nachstehend aufgeführten Orten noch Ortsgruppen der SPD bestehen […].“67 Für die provisorische Kreisleitung der SPD schlug Otto Dietrich zunächst sich selbst, den Elsterwerdaer SPD-Vorsitzenden Hugo Vogel und den stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Bad Liebenwerda, Otto Philipp, vor.68 Von Hugo Vogel wurde zudem der Döllinger Bürgermeister Hermann Bieler als weiteres Kreisvorstandsmitglied vorgeschlagen, womit sich die provisorische Kreisleitung komplettierte.69 Aufgabe der provisorischen Kreisleitung war es, zunächst alle Ortsvereine im Kreisgebiet ausfindig zu machen und einen ersten Kreisparteitag zu organisieren, auf dem der neue Kreisvorstand offiziell gewählt werden sollte. Obwohl bereits Ende August 1945 die Zusammensetzung der provisorischen Kreisleitung feststand und man sich brieflich bereits auf weitere Schritte einigte, dauerte es noch bis zum 23. September 1945, bis die provisorische Kreisleitung erstmals zusammenkam.70 Für dieses späte Zusammentreffen der führenden SPD-Mitglieder gab es mehrere Gründe. Zum einen waren, wie Otto Dietrich bereits im Brief an Hugo Vogel erwähnte, die Verkehrsverbindungen zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht gesichert, zum anderen waren die führenden Mitglieder der SPD einer enormen Arbeitsbelastung ausgesetzt.71 Otto Dietrich führte beispielsweise neben seiner Tätigkeit in der örtlichen und kreislichen SPD sein Steuerbüro weiter und ließ sich Anfang September 1945 noch ­zusätzlich zum

65 Vgl. Lebenslauf von Otto Dietrich (Grünewalde) vom 6.2.1947 (PA Helfried Dietrich). Otto Dietrich (geb. 1889) gehörte der SPD seit dem Jahr 1908 an. 66 Vgl. Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 11.9.1945 (PA Helfried Dietrich). 67 Otto Dietrich (Grünewalde) an Hugo Vogel vom 23.8.1945 (PA Helfried Dietrich). 68 Vgl. ebd.; Otto Dietrich (Grünewalde) an Otto Philipp vom 23.8.1945 (PA Helfried Diet­ rich). 69 Vgl. Hugo Vogel an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 28.8.1945 (PA Helfried Dietrich). 70 Vgl. Otto Philipp an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 17.9.1945 (PA Helfried Dietrich). 71 Vgl. Otto Dietrich (Grünewalde) an Hugo Vogel vom 23.8.1945 (PA Helfried Dietrich).

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Vorsitzenden der Grünewalder Gemeindebodenkommission wählen.72 Otto Philipp war z. B. als stellvertretender Bad Liebenwerdaer Bürgermeister und als kreislicher Erntekontrolleur ebenso einer enormen Arbeitsbelastung ausgesetzt.73 Auch Hugo Vogel gehörte als einziger Sozialdemokrat dem Elsterwerdaer Magistrat an.74 Da die SPD wie vor dem Jahr 1933 hauptsächlich auf ehrenamtliche Parteiarbeit angewiesen war, gestaltete sich im Gegensatz zur KPD der Parteiaufbau der SPD bedeutend schwieriger. Innerhalb der KPD konnte sich z. B. der Liebenwerdaer Kreisvorsitzende Paul Mittig ausschließlich der Parteiarbeit widmen, während die führenden SPD-Mitglieder ihrer hauptberuflichen Tätigkeit weiter nachgehen mussten. Erst Anfang September 1945 richtete der Bezirksvorstand Halle-Merseburg die alten SPD-Unterbezirke wieder ein, in denen die Unterbezirkssekretäre hauptamtlich beschäftigt wurden.75 Allerdings umfassten diese Unterbezirke meist drei oder mehr Landkreise, was die Arbeit erheblich erschwerte. Im Unterbezirk Torgau, Bad Liebenwerda, Schweinitz setzte die Bezirksleitung Otto Dietrich aus Falkenberg (nicht zu verwechseln mit dem SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich aus Grünewalde) als neuen Unterbezirkssekretär ein. Dietrich gründete im Jahr 1919 die Falkenberger SPD und bekleidete vor 1933 lange Zeit dort das Amt des Amtsvorstehers.76 Er verzog allerdings während der NS-Zeit von Falkenberg nach Leipzig und kehrte erst Ende August 1945 mit dem Auftrag, die Unterbezirksleitung zu übernehmen, wieder in den Kreis Liebenwerda zurück.77 Der Unterbezirkssekretär Otto Dietrich nahm nach seinem Amtsantritt sofort Kontakt zu der provisorischen Liebenwerdaer Kreisleitung auf und bemühte sich ebenso wie diese um die Gründung des Kreisverbandes sowie weiterer Ortsvereine. Die Hauptaufgabe des Unterbezirkssekretärs war es in der Folgezeit, durch die drei ihm unterstellten Landkreise zu reisen und potenzielle SPD-Mitglieder zu finden und diese zu einer Ortsvereinsgründung zu bewegen. Die provisorische Kreisleitung unter der Führung von Otto Dietrich aus Grünewalde legte daraufhin zusammen mit dem Unterbezirkssekretär Otto Dietrich den 21. Oktober 1945 als Termin für den ersten Liebenwerdaer SPD-Kreisparteitag fest.78 Insgesamt nahmen an diesem ersten Parteitag nach 1933 bereits

72 Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 73 Vgl. Otto Philipp an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 31.8.1945 (PA Helfried Dietrich). 74 Vgl. Protokoll der Magistratssitzung vom 19.6.1945 (StA Elsterwerda, Ordner: Magis­ tratssitzungen 1945–1947, unpag.). In diesem Protokoll wurde Hugo Vogel erstmals als einziges sozialdemokratisches Mitglied des neuen Elsterwerdaer Magistrats erwähnt. 75 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 94. 76 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 88. 77 Vgl. Otto Philipp an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 31.8.1945 (PA Helfried Dietrich); Hugo Vogel an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 28.8.1945 (PA Helfried Dietrich). 78 Otto Dietrich (Grünewalde) an Wilhelm Hecker vom 11.10.1945 (PA Helfried Dietrich). In diesem Schreiben erwähnte Dietrich (Grünewald), dass er sich mit dem Unterbezirkssekretär Otto Dietrich auf eine Tagesordnung zum ersten Kreisparteitag am 21.10.1945 in Elsterwerda einigte.

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Vertreter aus 31 SPD-Ortsvereinen teil.79 Die Mitglieder des Parteitags bestätigten am 21. Oktober 1945 Otto Dietrich aus Grünewalde und Otto Philipp aus Bad Liebenwerda als Kreisvorsitzenden bzw. als stellvertretenden Kreisvorsitzenden. Gleichfalls wurden Vertreter aus allen Regionen des Kreises Liebenwerda gleichberechtigt in den Kreisvorstand gewählt, womit der Aufbau der Kreispartei zunächst abgeschlossen wurde.80 Da sich der Aufbau der SPD im ländlichen Kreis Schweinitz noch schleppender als im Kreis Liebenwerda hinzog, war die Aufgabe des Unterbezirkssekretärs Otto Dietrich, Kreisverbände zu bilden, mit der Bildung des Liebenwerdaer SPD-Kreisverbandes jedoch noch nicht abgeschlossen. Die SPD konnte im Kreis Schweinitz Anfang September 1945 lediglich in Herzberg und Seyda auf erste Ortsvereinsgründungen verweisen.81 Die schwache Mitgliederstruktur vor dem Jahr 1933 wirkte dabei im Kreis Schweinitz genauso wie bei der KPD hemmend auf den Parteiaufbau. Lediglich in Herzberg, wo die SPD vor 1933 bereits ein gewisses Fundament besaß, bemühten sich ehemalige Mitglieder sofort um eine Neugründung der Partei. Unter der Führung des Herzbergers Walter Eulitz, der vor 1933 Schweinitzer SPD-Kreistagsabgeordneter war und dem Zentralverband der Arbeitsinvaliden im Kreis Schweinitz vorstand, wurde hier die SPD am 1. August 1945 offiziell neu gegründet.82 Nachdem Walter Eulitz, der nach dem Einmarsch der Roten Armee den Polizeiaufbau in Herzberg leitete und am 19. Juli 1945 zum Kreisrichter bestellt wurde, die Herzberger SPD gründete, bemühte er sich zusammen mit dem im August 1945 nach Herzberg zurückgekehrten ehemaligen Herzberger SPD-Stadtverordneten Fritz Graßmann und dem ehemaligen Schönewalder SPD-Kreistagsabgeordneten Emil Baguley, die SPD im gesamten Kreisgebiet neu zu gründen. Mit der Hilfe des Unterbezirkssekretärs Otto Dietrich, der ebenso wie im Kreis Liebenwerda auch im Kreis Schweinitz in die einzelnen Orte reiste, um hier alte Mitglieder zu finden und neue zu werben, gelang es der neuen Parteispitze, bis Ende Oktober 1945 die erste Kreiskonferenz der SPD durchzuführen.83 Während dieser Konferenz wurde schließlich Walter Eulitz, obwohl er zu diesem Zeitpunkt erkrankt war und von Fritz Graßmann vertreten wurde, von den Delegierten des Parteitags

79 Einladung vom 12.10.1945 zur SPD-Kreiskonferenz für den Kreis Liebenwerda am 21.10.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Diese Einladung wurde an 31 Ortsvereine verschickt. 80 Die Beschlüsse des Parteitags selbst wurden nicht dokumentiert. Die Zusammensetzung des neuen Vorstands ging aber aus mehreren erhaltenen Vorstandsprotokollen hervor. Vgl. Niederschrift der Kreisvorstandssitzung der SPD vom 27.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 81 Vgl. Volksblatt vom 7.9.1945, Nr. 2. 82 Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 24.10.1929, Nr. 251; Lebenslauf von Karl Rietz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, Bl. 23). In diesem Lebenslauf erwähnte Karl Rietz, dass die SPD in Herzberg am 1.8.1945 neu gegründet wurde. 83 Vgl. Volksblatt vom 1.11.1945, Nr. 49. In dem hier abgedruckten Bericht über die erste Kreiskonferenz wurde leider kein genaues Datum für die Durchführung der Konferenz genannt.

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Der Neuaufbau der Parteien

zum neuen SPD-Kreisvorsitzenden gewählt.84 Das Führungspersonal innerhalb der Schweinitzer SPD blieb also genauso wie im Kreis Liebenwerda nahezu dasselbe wie vor 1933. Obwohl der SPD im Kreis Schweinitz Ende Oktober 1945 die Gründung eines Kreisverbandes gelang, hatte der Schweinitzer SPD-Kreisverband genauso wie die hiesige KPD zunächst große Probleme bei der Mitgliedergewinnung. Bis zum 1. Dezember 1945 traten lediglich ca. 200 Mitglieder in die SPD ein.85 Das große Wachstum der Mitgliederzahlen setzte im Kreis Schweinitz erst im Jahr 1946 ein. Die Zahl der SPD-Mitglieder stieg im Jahr 1946 bis zum 22. April 1946 auf 1 224 Mitglieder, womit die Partei kurz vor dem Zusammenschluss beider Parteien sogar noch die Schweinitzer KPD in der Mitgliederstärke überholte. Die KPD des Kreises Schweinitz besaß zu diesem Zeitpunkt lediglich 1 090 Mitglieder.86 Im weit größer industrialisierten Kreis Liebenwerda setzte das Wachstum der SPD hingegen viel schneller ein. Als am 12. Oktober 1945 mit der ersten SPD-Kreiskonferenz der Aufbau der Partei im Kreis Liebenwerda abgeschlossen wurde, existierten im gesamten Kreis Liebenwerda bereits 31 Ortsvereine.87 Frappierend war dabei, dass diese neuen Ortsvereine nicht nur in den industriellen Gegenden des Kreises entstanden, sondern auch in ländlichen Gebieten, wo man vor 1933 nur sehr vereinzelt auf Sozialdemokraten traf.88 Unter diesen Bedingungen erreichte der Liebenwerdaer SPD-Kreisverband bereits am 1. Dezember 1945 nahezu den Mitgliederstand der KPD. So lag die SPD zu diesem Zeitpunkt mit 1 042 Mitgliedern nur noch knapp hinter der KPD mit 1 153 Mitgliedern.89 Schließlich konnte die SPD im Kreis Liebenwerda bereits im Januar 1946 die KPD in der Mitgliederstärke überholen.90 Bei der Vereinigung beider Parteien war sie weit über 1 000 Mitglieder stärker. Mit 3 481 SPD-Mitgliedern übertraf die SPD die KPD deutlich, die lediglich 2 140 Mitglieder im Kreis Liebenwerda zu diesem Zeitpunkt verzeichnen konnte.91 Mit weitem Abstand bildete die SPD im Kreis Liebenwerda damit die mitgliederstärkste politische Organisation.

84 Vgl. ebd. 85 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Schweinitz für den Monat Dezember 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 134). 86 Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34). 87 Einladung vom 12.10.1945 zur SPD-Kreiskonferenz für den Kreis Liebenwerda am 21.10.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 88 Vgl. ebd. SPD-Ortsvereine entstanden bis zum 21.10.1945 z. B. in ländlichen Gemeinden wie Großkmehlen, Großthiemig, Schraden und Gorden. 89 Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45). 90 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat Januar 1946 vom 30.1.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 47). 91 Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34).

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Worin lagen aber die Gründe für diesen enormen Zulauf zur SPD? Ein Grund für das Wachstum lag zweifellos darin, dass die SPD vor allem im Kreis Liebenwerda bereits vor 1933 über eine starke Basis verfügte. Auch wenn einige SPD-Mitglieder in den ersten Monaten nach dem Kriegsende zur KPD wechselten, blieben, wie eben dargestellt, die Hauptverantwortlichen der Partei im Untersuchungsgebiet nahezu geschlossen in der SPD. So konnten sich die Sozialdemokraten schnell von der anfänglichen Mitgliederwanderung zur KPD erholen. Ein weiterer Grund für den großen Zuwuchs lag darin, dass sich die SPD bewusst darum bemühte, die mitgliederstärkste Arbeiterpartei zu werden. Spätestens als Anfang 1946 festzustehen schien, dass sich die beiden Arbeiterparteien vereinigen würden, ordnete z. B. der Unterbezirkssekretär Otto Diet­ rich an, so viel Mitglieder wie möglich zu werben, damit die Mitgliederzahl der KPD übertroffen werden konnte.92 Trotz aller Maßnahmen, um neue Mitglieder zu gewinnen, war aber festzustellen, dass die SPD eine weitaus größere Anziehungskraft auf die Menschen im Untersuchungsgebiet ausübte als die KPD. Dies bekommt eine besondere Bedeutung, wenn man bedenkt, dass die SPD viel weniger Führungspersonen in den kommunalen Verwaltungen als die KPD stellte. Opportunistische Gründe spielten beim SPD-Parteieintritt aufgrund dieser Tatsache wohl weniger eine Rolle als bei dem Eintritt in die KPD. Die SPD entwickelte sich hingegen schnell zu einer Alternative zur KPD, die von vielen wohl nur als Erfüllungsgehilfin der sowjetischen Besatzungsmacht wahrgenommen wurde. Der Eintritt in die SPD gab die Gewähr, dass ein gewisser Abstand zur ungeliebten Besatzungsmacht gewahrt blieb. Dennoch besaßen die Mitglieder der SPD immer noch die weitaus größere Chance als z. B. die Mitglieder der bürgerlichen Parteien, einen gewissen Gestaltungsspielraum in der Kommunalpolitik wahrnehmen zu können. Angaben zur sozialen Zusammensetzung der Partei im Untersuchungsgebiet lagen leider nur bruchstückhaft vor. Die SPD fand aber wohl im Arbeitermilieu einen größeren Zuspruch als die KPD. So gehörten z. B. am 3. April 1946 in Mückenberg 150 Mitglieder der SPD-Betriebsgruppe der Bubiag an. Die hiesige KPD-Betriebsgruppe zählte zum selben Zeitpunkt nur 120 Mitglieder.93 Bei der Mitgliedergewinnung von Frauen stand die SPD allerdings ebenso schlecht da wie die KPD. Die SPD im Kreis Liebenwerda lag am 22. April 1945 mit 15,8 Prozent Frauenanteil sogar noch unter dem Wert der KPD mit 17,7 Prozent.94 Weitere Angaben ließen sich zur sozialen Zusammensetzung der SPD aber leider nicht machen. Selbst auf der Bezirks- bzw. Provinzialebene fehlten dazu

92 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 115. Fritz Wilhelm nahm in seiner Darstellung irrtümlich an, dass Otto Dietrich aus Falkenberg SPD-Kreisvorsitzender war. 93 Aufstellung der Betriebsgruppen im Kreis Liebenwerda vom 3.4.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 51). 94 Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34).

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Der Neuaufbau der Parteien

die Quellen. Festzuhalten bleibt aber, dass die SPD im Untersuchungsgebiet nach einer schwierigen, langwierigen Gründungsphase schnell einen enormen Mitgliedergewinn zu verzeichnen hatte, der bis zur Vereinigung der beiden Arbeiterparteien anhielt.

3.

Die bürgerlichen Parteien

Die beiden neuen von der sowjetischen Besatzungsmacht zugelassenen bürgerlichen Parteien LDP und CDU existierten in dieser Form vor 1933 in ganz Deutschland nicht. Aber auch die großen bürgerlichen Parteien der Weimarer Zeit, die Deutsche Volkspartei (DVP), DNVP und die Zentrumspartei traten im Untersuchungsgebiet vor 1933 nicht als einheitlicher Kreisverband bei den Kommunalwahlen an. Lediglich die DDP, die sich 1930 in Deutsche Staatspartei umbenannte, ließ in beiden Kreisen bis zur Kreistagswahl 1929 ihre Mitglieder mit einer kleinen Liste kandidieren.95 Meist wurden bei den Kreistagswahlen im Untersuchungsgebiet vor 1933 bürgerliche Gemeinschaftslisten aufgestellt, wie z. B. die Heimatliste, die Landliste oder die Liste der Schradengemeinden, auf denen einzelne Kandidaten auch aus bürgerlichen Parteien kandidierten.96 In den einzelnen Ortschaften sah dies nicht anders aus. Lediglich in Falkenberg und Herzberg konnten bei der letzten freien Kommunalwahl 1929 Kandidaten der DDP gewählt werden.97 Der Umstand, dass ehemalige bürgerliche Kommunalpolitiker, ganz im Gegensatz zur KPD und SPD, kaum alte Parteistrukturen vorfanden, erschwerte den Parteiaufbau im Untersuchungsgebiet erheblich. Nicht nur im Untersuchungsgebiet, sondern in der gesamten SBZ verzögerte u. a. dieser Umstand den Aufbau der beiden bürgerlichen Parteien. So veröffentlichten die beiden neuen bürgerlichen Parteien CDU und LDP ihre Gründungsaufrufe erst am 26. Juni 1945 bzw. am 5. Juli 1945.98 In der Provinz Sachsen waren zwar erste Bemühungen zum Aufbau der LDP besonders in Halle bereits kurz nach Kriegsende 1945 unter der Führung des ehemaligen DDP-Mitglieds Carl Delius zu verzeichnen, doch zog sich der Aufbau der Partei in der gesam-

95 Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 24.10.1929, Nr. 251; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 18.11.1929, Nr. 271. Ob die bürgerlichen Parteien in den beiden Landkreisen als eigenständige Kreisverbände organisiert waren, ließ sich nicht klar feststellen. Zumindest die DNVP besaß im Kreis Schweinitz im Jahr 1931 einen Kreisverband unter der Führung des Ministerialamtmann a. D. Wolkenthin. Vgl. Heimatkalender des Kreises Schweinitz für das Jahr 1931, Herzberg 1930, S. 21. 96 Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 24.10.1929, Nr. 251; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 18.11.1929, Nr. 271. 97 Vgl. ebd. 98 Vgl. Aufruf der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk vom 5.7.1945. In: Karl-Heinz Grundmann, Zwischen Verständigungsbereitschaft, Anpassung und Widerstand: Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands in Berlin und der Sowjetischen Besatzungszone 1945–1949, Bonn 1978, S. 21–23; Manfred Agethen, Die CDU in der SBZ/SSR 1945–1953. In: Frölich (Hg.), „Bürgerliche“ Parteien, S. 48.

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ten Provinz noch bis in die zweite Hälfte des Jahres 1945 hin.99 Die LDP in der Provinz Sachsen, die zwar einflussreiche Posten in der Provinzialverwaltung mit Parteimitgliedern – u. a. den Posten des Präsidenten der Provinz Sachsen – besetzen konnte, brauchte lange Zeit, um die neue Partei zu organisieren. So verabschiedete der aus der Hallenser LDP-Führung hervorgegangene LDP-Provinzialvorstand unter der Leitung von Carl Delius erst am 17. September 1945 einen ersten Organisationsplan für die gesamte Provinz, in dem alle Ortsverbände aufgefordert wurden, sich umgehend bei den vier neu eingerichteten Bezirksleitungen der Partei zu melden.100 Erst mit diesem Beschluss stand der organisatorische Rahmen der LDP in der Provinz Sachsen endgültig fest. Noch schleppender als in der Provinz vollzog sich die LDP-Gründung im Untersuchungsgebiet. Genauso wie bei der Gründung der beiden Arbeiterparteien entstanden auch die ersten wenigen LDP-Gründungsinitiativen in den einzelnen Orten vollkommen unabhängig voneinander. Meist dort, wo bereits vor 1933 einflussreiche DDP- oder auch DVP-Mitglieder lebten, konnten erste Initiativen zur Gründung einer liberalen Partei nachgewiesen werden. In Falkenberg, wo bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung eine starke DDP-Ortsgruppe bestand, bemühte sich z. B. der Lehrer Otto Loeber seit Juli 1945 um die Gründung einer liberalen Parteigruppe.101 Otto Loeber, der bereits vor 1933 in der Falkenberger Gemeindevertretung tätig war, wurde nach der Machtergreifung der NSDAP wegen seiner liberalen Einstellung aus dem Lehrerdienst entfernt.102 Nachdem die Rote Armee in Falkenberg einmarschierte, trat er als Abteilungsleiter für Finanzen in die Falkenberger Gemeindeverwaltung ein und unternahm spätestens im Juli 1945 erste Anstrengungen zur Gründung einer neuen liberalen Partei.103 Allerdings beschränkte sich die Initiative von Otto Loeber zur Gründung einer LDP-Ortsstelle ausschließlich nur auf Falkenberg. Loeber spielte bei der Gründung des Kreisverbandes der LDP keine wesentliche Rolle. Da für die Gründung eines Kreisverbandes der unmittelbare Kontakt zur sowjetischen Kreiskommandantur unabdingbar war, fiel diese Aufgabe nahezu zwangsläufig dem LDP-Gründungszirkel in der Stadt Bad Liebenwerda zu. In

 99 Der LDP-Provinzialvorsitzende Carl Delius sagte während der einjährigen Jubiläumsveranstaltung 1946 Folgendes: „Wir von der demokratischen Partei hatten schon im Mai im kleinen Kreis unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft mit den Vorbereitungen zur Schaffung einer demokratischen Volkspartei begonnen.“ Vgl. LDZ vom 26.6.1946, Nr. 53. 100 Vgl. Rundschreiben des LDP-Landesverbandes Provinz Sachsen vom 17.9.1945 (Archiv des Liberalismus, L5–513, unpag.). 101 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 126. Die Gründung der ersten LDP-Ortsgruppe wurde hierin auf den 5.7.1945 datiert. Da am 5.7.1945 der LDP-Gründungsaufruf veröffentlicht wurde, wurde wohl die offizielle Gründung der LDP-Ortsstelle Falkenberg auf dieses Datum zurückverlegt. Dennoch ließen sich erste Bemühungen von Otto Loeber, eine neue liberale Partei in Falkenberg aufzubauen, spätestens erstmals im Juli 1945 nachweisen. 102 Vgl. ebd., S. 79. 103 Vgl. ebd., S. 110.

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Der Neuaufbau der Parteien

Bad Liebenwerda bemühten sich vor allem Walter Foth und Dr. Albert Jost um die Gründung einer ersten LDP-Ortstelle.104 Walter Foth war vor Kriegsende als Obersteuersekretär im Bad Liebenwerdaer Finanzamt tätig und gehörte seit 1920 der DVP an. Er trat allerdings bereits im Jahr 1926 wieder aus der Partei aus und blieb trotz seines gehobenen Postens im Finanzamt bis zum Jahr 1945 parteilos. Nach dem Einmarsch der Roten Armee übernahm er die Abteilung Finanzen in der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung.105 Ob Dr. Albert Jost vor 1933 einer bürgerlichen Partei angehörte, konnte nicht geklärt werden. Er blieb allerdings nach der Flucht des gesamten medizinischen Personals als einziger Arzt am 23. April 1945 in Bad Liebenwerda und hatte einen wesentlichen Anteil beim Wiederaufbau der Bad Liebenwerdaer Gesundheit-versorgung.106 Beide besaßen also durch ihre Arbeit in der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung gute Kontakte zur Besatzungsmacht. Als sich am 24. Juli 1945 in Bad Liebenwerda der Antifaschistische Block mit Vertretern aller vier Parteien gründete, traten auch Walter Foth und Dr. Jost erstmals offiziell als Vertreter der späteren LDP in Erscheinung. Beide unterzeichneten den Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks als Vertreter der späteren LDP.107 In dem vom stellvertretenden Bürgermeister Otto Philipp verfassten Zusatz zum Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks, in dem die LDP noch als Demokratische Partei Deutschland (DPD) bezeichnet wurde, hieß es: „Wenn ich Ihnen den Aufruf über die Bildung eines Antifaschistischen Blocks bekanntgegeben habe, so will ich daran die Mitteilung knüpfen, dass nunmehr der Weg frei ist zur Gründung von politischen Parteien, die auf dem Boden der Demokratie stehen. Das sind die KPD, die SPD, die DPD und die ZPD. Diese Parteien werden nun von den Volksgenossen, welche den Aufruf unterschrieben haben, gegründet werden.“108 In der Stadt Bad Liebenwerda wurde somit noch vor der offiziellen Gründung der Parteien zunächst der Antifaschistische Block geschaffen, in dem alle Parteien eingebunden waren. Es bleibt dabei stark zu vermuten, dass die Gründung dieses Blocks eine unbedingte Voraussetzung der Kommandantur für die offizielle Zulassung der Parteien im Untersuchungsgebiet war. Die potenziellen Gründer der Parteien mussten erst erklären, dass sie zu einer gemeinsamen Arbeit bereit seien, bevor sie sich 104 Vgl. Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks Bad Liebenwerda vom 24.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 105 Vgl. Personalbogen über Walter Foth (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 409); Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 7 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 106 Vgl. Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 14 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 107 Vgl. Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks Bad Liebenwerda vom 24.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 108 Zusatz zum Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks Bad Liebenwerda vom 24.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

Die bürgerlichen Parteien

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der Parteigründung widmen durften, was von vornherein eine eigenständige Parteiarbeit erheblich einschränkte. Es dauerte aber in der Stadt Bad Liebenwerda noch bis zum 28. November 1945, bis schließlich Walter Foth, Dr. Albert Jost und Willy Ehrentreich, die sich als vorbereitender Ausschuss für die Gründung der LDP bezeichneten, den ersten Antrag an die Kreiskommandantur zur Gründung einer ersten Bad Liebenwerdaer LDP-Orts- und Kreisstelle stellten. Dazu fragte dieser „vorbereitende Ausschuss“ bei der Kreiskommandantur an, ob sie sich in den nächsten Wochen zu einer vorbereitenden Sitzung treffen dürften.109 Hauptproblem für diesen Gründerkreis war vor allem die mangelnde Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung, LDP-Mitglied zu werden. So bestand die Bad Liebenwerdaer LDP-Ortsstelle kurz nach deren Gründungsveranstaltung, die schließlich erst am 5. Januar 1946 stattfand, aus lediglich zwölf Personen. Allein daran war zu erkennen, dass der LDP-Parteiaufbau in keiner Weise mit dem der KPD und SPD vergleichbar war.110 Die Gründung der Ortsstelle Bad Liebenwerda war gleichbedeutend mit der Gründung des Liebenwerdaer Kreisverbandes, dem Walter Foth in der Folgezeit vorstand. Im Wesentlichen bestand der Liebenwerdaer Kreisverband Anfang 1946 aber lediglich aus den Ortsstellen in Falkenberg, Elsterwerda und Bad Liebenwerda.111 In den übrigen Orten des Kreises konnten im Jahr 1945 keine weiteren eigenständigen LDP-Gründungsinitiativen nachgewiesen werden. Das geringe politische Gewicht des LDP-Kreisverbandes im Liebenwerdaer Kreisgebiet wurde daran nochmals besonders deutlich. Im Kreis Schweinitz ergab sich ein ähnliches Bild. Hier dauerte es bis zum 13. Oktober 1945, bis eine erste Ortsstelle der LDP gegründet wurde. Am 13. Oktober 1945 versammelten sich in Herzberg u. a. Felix Dyrda, Heinrich Kuhlmann, Otto Knittel und Johannes Görner, um den Schweinitzer Kreisverband, der gleichzeitig auch die LDP-Ortsstelle Herzberg darstellte, zu gründen.112 Felix Dyrda, der im Ernährungsamt der Kreisverwaltung angestellt war, übernahm den Vorsitz der LDP im Kreis Schweinitz.113 Auch die übrigen sechs

109 Vgl. Antrag an den Kreiskommandanten zur Gründung einer LDP-Orts- und Kreisgruppe Bad Liebenwerda vom 28.11.1945 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31500, unpag.). 110 Vgl. Einladung zur Gründung der Ortsgruppe Bad Liebenwerda am 5.1.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31500, unpag.); Mitgliederstand der LDP-Ortsstelle Bad Liebenwerda vom 30.1. 1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31500, unpag.). 111 Vgl. Antrag an den Kreiskommandanten zur Gründung einer LDP-Orts- und Kreisgruppe Bad Liebenwerda vom 28.11.1945 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31500, unpag.); Mitgliederliste der LDP-Ortsstelle Elsterwerda vom 22.4.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31474, unpag.). Laut Mitgliederliste der LDP-Ortstelle gründete sich in Elsterwerda am 12.8.1945 die erste LDP-Ortsstelle unter dem Vorsitz von Erwin Wenzel. Der LDP-Ortsstelle Elsterwerda gehörten am 12.8.1945 acht Mitglieder an. 112 Vgl. Gründungsprotokoll des LDP-Kreisverbandes Schweinitz vom 13.10.1945 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). 113 Vgl. ebd. Über Felix Dyrda lagen leider keine weiteren biografischen Daten vor.

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­ orstandsmitglieder, außer Dr. Kurt Hohmuth, waren in der Kreis- bzw. StadtV verwaltung Herzberg angestellt.114 Für die Parteigründung der LDP waren wie im Kreis Liebenwerda meist Personen verantwortlich, die in den öffentlichen Verwaltungen arbeiteten und dadurch gute Kontakte zur Besatzungsmacht bzw. zu den meist kommunistischen Verwaltungsspitzen besaßen. Da die Besatzungsmacht die Parteigründung sowie alle später durchgeführten Versammlungen genehmigen musste, waren gute Beziehungen zu den sowjetischen Kommandanturen nahezu unumgänglich. Hinweise dafür, dass die Besatzungsmacht versuchte, die Parteigründung der bürgerlichen Parteien absichtlich zu verschleppen, gab es im Untersuchungsgebiet hingegen nicht. Ganz im Gegenteil dazu veranlasste der sehr schleppend verlaufende Par­ teigründungsprozess der bürgerlichen Parteien die Besatzungsmacht zum entschiedenen Handeln. Der stellvertretende Bürgermeister von Bad Liebenwerda und Vertrauensmann der SMA in Halle für den Kreis Liebenwerda, Otto Philipp, wurde im August 1945 von der Besatzungsmacht aus Halle beauftragt, die Gründungen von Parteigruppen zu beschleunigen. Dazu schrieb er am 16. August 1945 an alle Bürgermeister des Kreises Liebenwerda: „Der Vertreter der russ. Militärbehörde bei der Landesregierung der Provinz Sachsen in Halle (Saale) hat mich mündlich beauftragt, die Gründung von Parteiortsgruppen der Parteien zu veranlassen, die auf dem Boden der Demokratie stehen […]. Sie werden daher ersucht, sofort zu veranlassen, dass die Gründungen der Ortsgruppen in den einzelnen Gemeinden umgehend vorgenommen werden.“115 Gleichzeitig verlangte Otto Philipp von den Bürgermeistern zur Kontrolle der neu entstandenen Parteien Mitgliederlisten und Lebensläufe der Vorstandsmitglieder an ihn zu versenden, die er der Besatzungsmacht übergab.116 Damit griff die Besatzungsmacht aktiv in den schleppenden Gründungsprozess der Parteien im Kreis Liebenwerda ein. Die Bürgermeister wurden mit dieser Anordnung verpflichtet, in ihren Orten Personen zu finden, die eine der vier zugelassenen Parteien gründen sollten. Da sich kaum eigenständige Gründungsinitiativen vor allem zur Gründung von bürgerlichen Parteien entwickelten, wurde dieser Prozess nun von oben verordnet. Leider fehlten wichtige Quellen zur weiteren Gründungsphase der bürgerlichen Parteien, um den Einfluss der Besatzungsmacht bzw. der Verwaltungen auf die Gründung der bürgerlichen Parteien weiter nachvollziehen zu können, doch schien der starke Anteil von Verwaltungsmitarbeitern in den beiden Kreisvorständen der LDP darauf hinzudeuten, dass die Gründung zumindest von der Besatzungsmacht und den deutschen Verwaltungsspitzen forciert wurde. So war die Besatzungsmacht seit der Zulassung der Parteien von Anfang an bemüht, die Kontrolle über den Parteigründungsprozess zu behalten. Die Absicht der SMA bestand also von

114 Vgl. ebd. 115 Otto Philipp an sämtliche Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 16.8.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 116 Vgl. ebd.

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vornherein darin, mit der Schaffung der von ihr weitestgehend kontrollierten bürgerlichen Parteien zum einen ein politisches Sammelbecken für bürgerliche Parteianhänger zu schaffen und zum anderen den Aufbau der bürgerlichen Parteien weitestgehend in ihrem Sinne zu gestalten. Allein die Tatsache, dass die beiden Kreisvorsitzenden der LDP in der Stadtverwaltung Bad Liebenwerda und in der Schweinitzer Kreisverwaltung beschäftigt waren, kam der Besatzungsmacht zweifellos entgegen. Diese Tätigkeit schränkte deren politischen Handlungsspielraum so sehr ein, dass ein abweichendes Verhalten vom Kurs der Besatzungsmacht zunächst nicht wahrscheinlich erschien. Doch wo lagen die Gründe für die schwache Anziehungskraft der LDP im Untersuchungsgebiet? Einen Grund dafür konnte man, wie bereits erwähnt, in der bereits vor 1933 existierenden schlechten Verankerung der liberal-bürgerlichen Parteien im Untersuchungsgebiet ausmachen. Zudem erzielten diese Parteien in beiden Landkreisen bereits vor 1933 nur schlechte Ergebnisse bei den überregionalen Wahlen.117 So fehlten der LDP im Untersuchungsgebiet zunächst die Führungsköpfe, die sofort nach dem Einmarsch der Roten Armee eine neue Parteiorganisation aufbauen konnten. Eine Person wie Otto Loeber, der bewusst die Tradition der DDP in Falkenberg aufgriff, bildete im gesamten Untersuchungsgebiet nur eine Ausnahme. Die beiden ersten Kreisvorsitzenden, Walter Foth und Felix Dydra, waren außerdem als Abteilungsleiter Finanzen in der Stadtverwaltung Bad Liebenwerda sowie als Angestellter in der Kreisverwaltung Schweinitz auch beruflich voll ausgelastet und besaßen wohl kaum die erforderliche Zeit, um sich verstärkt mit dem Parteiaufbau zu befassen. Felix Dyrda musste sich beispielsweise im März 1946 eingestehen, dass er seine Arbeit in der Kreisverwaltung und als Vorsitzender der LDP nicht mehr miteinander vereinbaren konnte. Aufgrund der enormen Arbeitsbelastung trat er am 12. März 1946 von seinem Vorsitzendenposten zurück.118 Dieser Entschluss machte in der Folgezeit die enormen personellen Probleme der Schweinitzer LDP sehr deutlich. Der Kreisvorstand konnte aufgrund der dünnen Personaldecke zunächst keinen Ersatz für Felix Dyrda finden. 117 Im Kreis Liebenwerda erreichte die Deutsche Staatspartei bei den beiden Reichstagswahlen im Juli und November 1932 insgesamt nur noch 1,2 % und 0,99 %. Die Deutsche Volkspartei erzielte während dieser beiden Wahlen im Kreis Liebenwerda nur noch 1,37 % bzw. 2,62 %. Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 1.8.1932, Wahlsonderausgabe; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. Im Kreis Schweinitz entschieden sich im Juli bzw. November 1932 lediglich 1,17 % bzw. 1,22 % der Wähler für die Deutsche Staatspartei. Die Deutsche Volkspartei wurde im Jahr 1932 im Kreis Schweinitz nur noch von 0,92 % bzw. 1,35 % gewählt. Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 1.8.1932, Nr. 178; Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 7.11.1932, Nr. 262. 118 Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des LDP-Kreisverbandes Schweinitz vom 12.3.1946, Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). Felix Dyrda zog im Mai 1946 aus beruflichen Gründen von Herzberg nach Stendal. Mit dem Wegzug gab Felix Dyr­ da auch alle Ehrenämter im Kreis Schweinitz auf. Vgl. Herzberger Bürgermeister zur Ernennung eines Ersatzkandidaten für Felix Dyrda an den Schweinitzer Landrat vom 8.5.1946 (StA Herzberg, Nr. 34, unpag.).

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­ otgedrungen wurde daraufhin der Kreisgeschäftsführer Walter Müller am N 29. März 1946 zum provisorischen Kreisvorsitzenden ernannt.119 Dieses Provisorium währte schließlich noch bis zum 28. September 1946, bis sich die Parteimitglieder auf Dr. Joachim Weidauer aus Seyda als neuen Kreisvorsitzenden festlegten.120 Die großen organisatorischen Defizite der LDP drückten sich schließlich auch in den Mitgliederzahlen aus. Am 1. Januar 1946 hatte die LDP im Kreis Liebenwerda lediglich 30 Mitglieder, wovon allein 21 Mitglieder in der Ortsstelle Elsterwerda organisiert waren.121 Die LDP im Kreis Schweinitz zählte am 29. Dezember 1945 sogar nur 16 Mitglieder, die alle in Herzberg beheimatet waren.122 Allein anhand dieser niedrigen Mitgliederzahlen konnte man erkennen, dass die LDP bis zu diesem Zeitpunkt im Untersuchungsgebiet keinerlei politischen Einfluss besaß. Verglich man den Mitgliederstand der LDP in der gesamten SBZ mit denen der KPD und der SPD, so ergaben sich durchaus Parallelen zur Entwicklung im Untersuchungsgebiet. Besaß die gesamte LDP im März 1946 ca. 110 000 Mitglieder, so übertrafen die KPD mit ca. 620 000 Mitgliedern und die SPD mit ca. 680 000 Mitgliedern diese Zahl um ein Vielfaches.123 Die LDP konnte zwar in der gesamten SBZ prozentual mehr Mitglieder gewinnen als die LDP im Untersuchungsgebiet, die Mitgliederzahl konnte aber auch in der gesamten SBZ in keiner Weise mit den Zahlen der beiden größten Parteien SPD und KPD konkurrieren. Unter diesen Bedingungen musste sich auch die KPD im Kreis Schweinitz keine Sorgen um ihre Vormachtstellung machen. Die KPD-Kreisleitung stellte dazu im Dezember 1945 fest: „Die LDP ist […] im Kreis Schweinitz ohne politischen Einfluss.“124 119 Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des LDP-Kreisverbandes Schweinitz vom 29.3.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). 120 Vgl. Protokoll über die Neuwahl des LDP-Kreisvorstandes Schweinitz vom 28.9.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). Dr. med Joachim Weidauer (geb. 1912 in Dresden) war Sohn eines Dresdener Bankdirektors und einer jüdischen Pianistin. In Dresden betätigte er sich in seiner Jugend als Medizinstudent und Tennisspieler. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten floh er 1934 nach Zürich, wo er sein Medizinstudium abschloss. Ende der 1930er-Jahre kehrte er zu seiner immer noch in Deutschland lebenden Mutter zurück. Im Zuge der Judenverfolgung wurden beide 1942 verhaftet. Dr. med. Weidauer verbrachte daraufhin die Zeit bis 1945 in mehreren Konzentrationslagern. Zuletzt befand er sich im KZ-Außenlager Zwieberge, welches im April 1945 evakuiert wurde. Auf dem Todesmarsch gelang ihm in der Nähe von Seyda die Flucht. Hier wurde er von einer Familie gesund gepflegt, worauf er sich als Arzt in Seyda niederließ. Vgl. Schiepel, Seyda, S. 50. 121 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat Dezember 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 46); Mitgliederliste der LDP-Ortsstelle Elsterwerda vom 22.4.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31474, unpag.). 122 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29. 12.1945 (­LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). 123 Vgl. Gerhard Papke, Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR 1945–1952. In: Frölich (Hg.), „Bürgerliche“ ­Parteien, S. 31. 124 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43).

Die bürgerlichen Parteien

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Erste Erfolge in der Mitgliedergewinnung konnte die LDP erst Anfang 1946 verzeichnen. Im Kreis Schweinitz ging man im Januar 1946 dazu über, erste Werbeversammlungen auch außerhalb von Herzberg, z. B. in Jessen und in Seyda, durchzuführen.125 Dies hatte in einigen Orten Erfolg, und es gelang der Partei neue Ortsstellen zu gründen. Bis zum 28. September 1946 vergrößerte sich der kleine LDP-Kreisverband Schweinitz auf zehn Ortsstellen.126 In einem Kreis mit 113 Gemeinden war dies für die Verantwortlichen allerdings immer noch ein ungenügendes Ergebnis. Im Kreis Liebenwerda sah es ähnlich aus. Nur sehr langsam gründeten sich auch hier im Jahr 1946 Ortsstellen. Die Kreispartei konnte z. B. im April 1946 erst ca. 200 Mitglieder verzeichnen.127 Davon kamen allein aus Elsterwerda und Bad Liebenwerda 69 Mitglieder.128 Im Jahr 1946 erstanden im Wesentlichen nur in den größeren Orten des Kreises Liebenwerda, wie in Bockwitz, Lauchhammer, Mühlberg Ortrand und Uebigau, neue LDP-Ortsstellen.129 Die soziale Zusammensetzung der Mitglieder der LDP sah vor Ort wie folgt aus: Besonders Angestellte bzw. Beamte zog es in die Partei, wie in den beiden Ortsstellen Elsterwerda und Bad Liebenwerda laut Statistik vom 31. März 1946 bzw. 28. Februar 1946 nachgewiesen werden konnte. Dabei handelte es sich aber weniger um Angestellte in den staatlichen Verwaltungen, sondern vor allem um Angestellte in privaten Betrieben. Auch vier Lehrer bzw. Lehreranwärter wurden als Mitglieder geführt. Mit 49 Prozent stellte die Gruppe der Angestellten und Beamten in den beiden Ortsstellen die große Mehrheit. Als nächste Gruppe folgten Kaufleute und Handwerker, die mit 21,6 Prozent vertreten waren. Darunter befanden sich vor allem lokal bekannte Handwerksmeister, die ihre kleinen Betriebe selbstständig führten. Arbeiter und Bauern waren hingegen kaum in der Partei vertreten. Lediglich drei Arbeiter und zwei Bauern (9,8 Prozent) wurden in den Statistiken der beiden Ortsstellen aufgeführt. Auch vier Freiberufler, Ärzte und Rechtsanwälte (7,8 Prozent) waren Mitglied in der Partei. Als Sonstige, darunter auch Hausfrauen, wurden sechs Personen

125 Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des LDP-Kreisverbandes Schweinitz vom 11.1.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). 126 Vgl. Protokoll über die Neuwahl des LDP-Kreisvorstandes Schweinitz vom 28.9.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). 127 Vgl. Organisationsbericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für den Monat März vom 4.4.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 50). Hierin wurde die Stärke der LDP mit 200 Mitgliedern angegeben. 128 Vgl. Mitgliederstatistik der LDP-Ortsstelle Elsterwerda vom 10.4.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31474, unpag.); Mitgliederstand der LDP-Ortsstelle Bad Liebenwerda (April 1946; Archiv des Liberalismus, Nr. 31500, unpag.). 129 Bis zu den Gemeindewahlen am 8.9.1946 wurden im Kreis Liebenwerda lediglich in Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Ortrand, Mühlberg, Falkenberg, Uebigau, Bockwitz, Lauchhammer, Koßdorf, Dolsthaida und Merzdorf LDP-Ortsstellen von der sowjetischen Besatzungsmacht öffentlich registriert. Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7).

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Der Neuaufbau der Parteien

(11,8 Prozent) angegeben.130 Als typisch bürgerliche Partei rekrutierte die LDP vor allem ihre Mitglieder aus der städtischen Mittelschicht. Auf Arbeiter und Bauern erzeugte die Partei hingegen nur eine sehr geringe Anziehungskraft. Im Großen und Ganzen deckte sich die Mitgliederstruktur in Bad Liebenwerda und Elsterwerda mit der Gesamtstruktur in der SBZ.131 Die Mitgliederstruktur der LDP war aber auch für den schleppenden Parteiaufbau verantwortlich. Gerade die bürgerliche Mittelschicht wurde durch die sowjetische Besatzung derart verunsichert, dass viele zunächst kaum den Reiz verspürten, politisch tätig zu werden. Bedenkt man, dass viele bürgerliche Angestellte aus den Verwaltungen herausgedrängt wurden und dass unter den Verhaftungswellen des NKWD auch viele Vertreter der städtischen bürgerlichen Ober- und Mittelschicht zu leiden hatten, so war die Passivität vieler Bürger erklärbar. Konnten sich die Mitglieder der KPD und teilweise auch der SPD als die neuen gestaltenden Kräfte der Gesellschaft fühlen, da sie weitestgehend am Wiederaufbau in den Verwaltungen beteiligt wurden, so stand dagegen für neue Mitglieder der LDP und auch der CDU fest, dass diese Parteien von vornherein kaum größere Mitbestimmungsrechte besaßen. Dieser Umstand musste zwangsläufig einen Parteieintritt erschweren. Ein weiteres Problem bestand darin, dass besonders das Klientel der LDP in der Zeit zwischen 1933 und 1945 anfällig für einen Beitritt zur NSDAP gewesen war. Aus diesem Grund konnte ein gewisser Teil der potenziellen Mitglieder von vornherein nicht Mitglied der LDP werden. Dies warf die Frage auf, wie die Partei mit der Aufnahme von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern umging. In einer ersten vertraulichen Instruktion zur Ortsstellenbildung wurde zunächst von der LDP-Führung festgestellt: „Frühere Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen nehmen wir nicht auf.“ Dieser klare Grundsatz wurde aber bereits in dieser Instruktion wieder wie folgt eingeschränkt. „Da jedoch anzunehmen ist, dass später die Einstellung zu den Pgs. durch einheitliche Richtlinien anders festgelegt wird, muss die endgültige Klärung dieser Frage einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Ehemalige Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen, die um ihren Eintritt bei uns nachsuchen – und deren gibt es sehr viele – sind daher dahin zu bescheiden, dass sie nach einiger Zeit (z. B. nach 6 Monaten) erneut anfragen sollen“, so die Instruktion weiter.132 In der Praxis sah die Ausführung dieser Instruktion wie folgt aus: Im Kreis Schweinitz beschloss der Kreisvorstand, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder auf einer Liste

130 Vgl. ebd. 131 Vgl. Grundmann, Zwischen Verständigungsbereitschaft, S. 41. Im Dezember 1948 waren in der gesamten SBZ 14,1 % Arbeiter, 28,6 % Angestellte, 11,9 % Bauern, 0,9 % Unternehmer, 12,4 % Handwerker, 2,2 % selbstständige Kaufleute, 6,1 % Freiberufler, 13,1 % Hausfrauen und 10,7 % in sonstigen Berufen Beschäftigte Mitglieder der LDP. 132 Vertrauliche Instruktion zur Ortsgruppenbildung (Archiv des Liberalismus, L5–482, unpag.).

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als potenzielle spätere Mitglieder aufgenommen werden sollten.133 Dieses Verfahren wurde schließlich auch vom LDP-Provinzialverband am 11. März 1946 in einem Rundschreiben an alle Bezirks- und Kreisverbände bestätigt.134 Von nun an war es mit der Genehmigung des Provinzialvorstandes möglich, „Hospitanten“, in diesem Fall ehemalige NSDAP-Mitglieder, in die Partei aufzunehmen und auf Zweitlisten zu führen. Gerechtfertigt wurde dieses Verhalten vom Provinzialvorstand damit, dass die KPD, die SPD und die CDU „nominelle PGs. ebenso uneingeschränkt aufnehmen“.135 Der Hauptgrund für die Zulassung solcher Zweitlisten lag aber wohl hauptsächlich an der schleppenden Mitgliedergewinnung. So wurden die Ortsstellen aufgefordert, von den Hospitanten wie von ganz normalen Mitgliedern Beiträge und Spenden einzukassieren, womit letztlich die Parteiorganisation weiter gestärkt wurde.136 Dass der Zulauf von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern groß war, beweisen auch die erhaltenen Mitgliedsmeldungen der LDP-Ortsstelle Elsterwerda. In Elsterwerda wurden beispielsweise am 20. April 1946 insgesamt elf Hospitanten in der Mitgliederliste geführt. Bis zum 20. Januar 1947 steigerte sich diese Zahl auf 33 Hospitanten.137 Schließlich wurden die Hospitanten bis zur offiziellen Entnazifizierung durch den SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 in die Zweitlisten eingetragen. Nach der Herausgabe des SMAD-Befehls Nr. 201 und der damit verbundenen Rehabilitierung ehemaliger nomineller NSDAP-Mitglieder stieg die offizielle Mitgliederzahl der Elsterwerdaer Ortsstelle von zuvor 56 Mitgliedern um 34 Hospitanten auf 90 Mitglieder an.138 Die Partei verzeichnete also mit dem Erlass des Befehls Nr. 201 einen enormen Mitgliederanstieg. Somit waren in Elsterwerda nach dem August 1947 ca. 37 Prozent der Mitglieder ehemalige NSDAP-Mitglieder. Leider ließ es die schlechte Quellenlage nicht zu, auch in anderen Orten des Untersuchungsgebiets festzustellen, wie hoch der Zulauf an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern nach dem Beginn der offiziellen Entnazifizierung war. Auch die allgemeine Literatur über die LDP thematisierte bisher dieses Problem nicht. Karl Heinz Grundmann schrieb z. B. nur allgemein, dass der SMAD-Befehl Nr. 201 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern das Recht auf politische Betätigung zurückgab. Wie viele ehemalige NSDAP-Mitglieder eintraten, erwähnte er nicht.139 Auch die

133 Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des LDP-Kreisverbandes Schweinitz vom 11.1.1946 (Archiv des Liberalismus, Nr. 12890, unpag.). 134 Vgl. Rundschreiben Nr. 24 an alle Bezirks- und Kreisverbände vom 11.3.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–513, unpag.). 135 Ebd. 136 Vgl. ebd. 137 Mitgliederstatistik der LDP-Ortsstelle Elsterwerda vom 20.1.1947 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31474, unpag.). 138 Mitgliederstatistik der LDP-Ortsstelle Elsterwerda vom 20.8.1947 und 20.9.1947 (Archiv des Liberalismus, Nr. 31474, unpag.). 139 Vgl. Grundmann, Zwischen Verständigungsbereitschaft, S. 36.

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Der Neuaufbau der Parteien

offizielle LDP-Parteigeschichte schweigt über die Aufnahme von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern.140 Viele Umstände beim Aufbau der Parteiorganisation der LDP ähnelten sich beim Aufbau der CDU. So gründete sich die CDU, ähnlich wie die LDP, als völlig neue Partei. Anders als in der Weimarer Zeit die katholische Zentrumspartei, sollte die CDU eine überkonfessionelle christliche Sammlungsbewegung darstellen, in der die beiden großen Konfessionen gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten. Diesen Grundsatz formulierten die Berliner Gründungsväter der CDU um Andreas Hermes im Gründungsaufruf am 26. Juni 1945.141 Hauptproblem bei der Untersuchung der Entstehungsgeschichte der CDU im Untersuchungsgebiet war allerdings die schlechte Quellenlage. Nur für die Stadt Bad Liebenwerda existierten vereinzelt Dokumente zur Entstehung der Partei im Jahr 1945. Hier unterschrieben am 24. Juli 1945 noch unter dem Kürzel der Zentrumspartei der Vorsitzende des kleinen katholischen Kirchenbezirks Bad Liebenwerda, Dechant Theodor Schäfer, und Albin Barth den Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks.142 Da zunächst der Gründungsaufruf noch unter dem Kürzel der Zentrumspartei unterzeichnet wurde, deutete zu diesem Zeitpunkt noch nichts auf eine überkonfessionelle Absicht dieser beiden Parteigründer hin. Erst im August 1945 schien der katholische Dechant Schäfer Kontakt zu seinen protestantischen Kollegen aufgenommen zu haben, um diese zu einer gemeinsamen Parteiengründung zu bewegen. Schließlich meldete die Bad Liebenwerdaer CDU am 10. September 1945, und damit bedeutend eher als die örtliche LDP, ihre Gründung bei dem stellvertretenden Bürgermeister Philipp an.143 Im Vorstand der neuen Partei waren nun nicht mehr nur Katholiken vertreten, sondern auch mehrere Protestanten. Beispielsweise übernahm der protestantische Superintendent Dr. Karl Mühlmann den Posten eines Beisitzers im Vorstand. Aber auch der Bad Liebenwerdaer Pfarrer Gustav Adolf Schulze, der bereits nach dem Einmarsch der Roten Armee Verantwortung in der ersten Stadtverwaltung übernahm, brachte sich als neuer Jugendwart in den neuen Vorstand der CDU der Kreisstadt ein.144 Dass Vertreter der beiden christlichen Kirchen und vor allem protestantische Pfarrer mit zu den ersten Gründern der CDU im Untersuchungsgebiet gehörten, bestätigten auch andere Beispiele. Der Elsterwerdaer Pfarrer Ewers, der sich während der NS-Zeit

140 Vgl. Rudolf Agsten, LDPD 1945 bis 1961 im festen Bündnis mit der Arbeiterklasse und ihrer Partei, Berlin (Ost) 1985. 141 Vgl. Manfred Agethen, Die CDU in der SBZ/SSR 1945–1953. In: Frölich (Hg.), „Bürgerliche“ Parteien, S. 48. 142 Vgl. Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blockes Bad Liebenwerda vom 24.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 143 Vgl. Schreiben zur Anmeldung der CDU-Ortgruppe Bad Liebenwerda vom 10.9.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 144 Vgl. ebd.

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zur Bekennenden Kirche bekannte, gründete z. B. in Elsterwerda die CDU mit.145 Aber auch der Herzberger Pfarrer Breuning, der von der örtlichen KPD „als alles andere, aber nicht als Antifaschist“ beschrieben wurde, wurde zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden des CDU-Kreisverbandes Schweinitz gewählt.146 Dabei setzte vor allem der CDU-Provinzialvorstand, der sich unter der Führung von Dr. Leo Herwegen am 22. Juli 1945 in Halle konstituierte, bewusst auf die Mithilfe der Pfarrer in der Provinz bei der Gründung von CDU-Ortsvereinen. Der Provinzialvorstand wandte sich am 11. Oktober 1945 erstmals an alle Pfarrer, um diese für Initiativen zur Gründung von CDU-Ortsvereinen zu gewinnen.147 Einen weiteren Versuch zur Vereinnahmung der Pfarrer unternahm die CDU in der Provinz kurz vor der Kommunalwahl am 5. Juli 1946. In diesem Schreiben hieß es u. a.: „Zu Beginn unserer Arbeit 1945 wandten wir uns an Sie mit der Bitte um Unterstützung beim Aufbau unserer Union. Trotzdem in der Zwischenzeit von uns alles getan worden ist, konnte bis jetzt die CDU-Organisation nicht überall geschaffen werden.“148 Die Nutzung der kirchlichen Organisationsstrukturen zur Gründung von CDU-Ortsvereinen stieß allerdings sofort auf den Protest der KPD bzw. SED, den sie vor allem im Wahlkampf 1946 artikulierte.149 Dennoch blieb die Mithilfe einiger protestantischer bzw. katholischer Geistlicher für eine bewusst christlich auftretende Partei in der Anfangszeit ihres Bestehens von großer Bedeutung. Ohne die Mithilfe zahlreicher Pfarrer und ohne deren persönliche moralische Integrität, die trotz NS-Herrschaft und Krieg besonders in der Landbevölkerung oft ungebrochen war, wäre der Aufbau der CDU wohl nicht in diesem Umfang gelungen, wie die Beispiele im Untersuchungsgebiet bestätigten. Um aber auch kirchenferne Personen als CDU-Mitglieder gewinnen zu können und um die Neutralität der Kirche zu wahren, waren sich die CDU-Mitglieder bewusst, dass Geistliche nur in Ausnahmefällen an der Spitze der Partei stehen konnten. Im Kreis Liebenwerda übernahm aus diesem Grund der in der Kreisverwaltung beschäftigte Abteilungsleiter für Finanzen, Carl Schulze, das Amt des CDU-Kreisvorsitzenden.150 Carl Schulze absolvierte von 1912 bis 1914 eine Lehre als Bankkaufmann. Nachdem er mehrere Tätigkeiten in anderen

145 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 16 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 146 Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). 147 Vgl. Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 88. 148 Rundschreiben des CDU-Landesverbandes Provinz Sachsen an die Pfarrer vom 5.7.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 663, Bl. 83 f.). 149 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 9.8.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/1, unpag.). 150 Vgl. Schreiben zur Anmeldung der CDU-Ortgruppe Bad Liebenwerda vom 10.9.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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Der Neuaufbau der Parteien

Städten ausübte, kaum er im Jahr 1928 in seine Geburtsstadt Bad ­Liebenwerda zurück, um hier die Stelle des Geschäftsführers bei der Firma Carl Kloss anzutreten. Zwei Jahre später machte er sich als Steuer- und Wirtschaftsprüfer selbstständig. Dieser Tätigkeit ging er bis zum Eintritt in die Kreisverwaltung im Jahr 1945 nach. Vor 1933 und während der NS-Zeit gehörte Carl Schulze keiner Partei an. Ebenso übte er vor 1933 kein politisches Amt aus. Dennoch wurde er zu Beginn der NS-Herrschaft kurze Zeit in Schutzhaft genommen und von der Gestapo beobachtet. Seine kritische Haltung zum Nationalsozialismus und seine Kenntnisse als Finanzexperte ermöglichten ihm wohl auch den umstandlosen Eintritt in die von dem Kommunisten Paul Paulick geführte Liebenwerdaer Kreisverwaltung.151 Erster Vorsitzender der CDU im Kreis Schweinitz wurde zunächst der Herzberger Möbelfabrikant Hermann Schlieben, der bis 1934 Herzberger Stadtverordneter war und auch nach dem Krieg kurze Zeit dem von Leo Gawlik ernannten Stadtrat in Herzberg angehörte.152 Der Deutsch-Nationale Hermann Schlieben, der sich stets gegen einen Eintritt in die NSDAP wehrte, obwohl er bei der Kommunalwahl 1933 zusammen mit den NSDAP-Mitgliedern auf einer Einheitsliste für die Herzberger Stadtverordnetenversammlung kandidierte, vermochte es aber wohl zunächst nicht, die CDU-Parteiorganisation über Herzberg hinaus aufzubauen.153 Am 29. Dezember 1945 wurden im gesamten Schweinitzer Kreis nur 16 CDU-Mitglieder geführt.154 So stellte die KPD über die CDU im Kreis Schweinitz fest: „Da sich die CDU infolge ihrer geringen Mitgliederzahl und mangelnden Aktivität in der Öffentlichkeit politisch kaum bemerkbar macht, ist es uns kaum möglich, eine genaue Charakteristik über diese Partei […] abzugeben.“155 Ähnlich wie die LDP stellte also die CDU zumindest im Jahr 1945 im Kreis Schweinitz keinen politischen Gegner für die KPD dar. Nicht viel anders sah der Parteiaufbau im Jahr 1945 im Kreis Liebenwerda aus. Am 1. Dezember 1945 gehörten der CDU im Kreis Liebenwerda lediglich 104 Mitglieder an.156 Damit war die CDU im Kreis Liebenwerda zwar mit Abstand die drittstärkste Partei, aber ihre Mitgliederzahl konnte bei Weitem nicht

151 Vgl. Christina Trittel, Die Abgeordneten des ersten Landtages von Sachsen-Anhalt 1946 bis 1950. Vom Scheitern der demokratischen Hoffnung, Magdeburg 2007, S. 175. 152 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). Für den Kreis Schweinitz lagen außer dieser KPD-Einschätzung keine Quellen über die Tätigkeit der CDU im Jahr 1945 vor. 153 Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 29.4.1933, Nr. 100. Hermann Schlieben gab in der ersten Stadtverordnetensitzung nach der Kommunalwahl 1933 seinen Beigeordnetenposten auf. Er blieb allerdings noch bis 1934 Herzberger Stadtverordneter. 154 Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). 155 Ebd. 156 Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45).

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mit denen der KPD und der SPD konkurrieren. Anhand dieser Zahlen war es nicht verwunderlich, dass im CDU-Landesvorstand der Provinz Sachsen am 20. Oktober 1945 festgestellt wurde, dass vor allem „in den östlichen CDU-Verbänden noch ziemlich viel nachzuholen“ sei.157 Ein größeres Mitgliederwachstum setzte in der regionalen CDU erst ab Anfang 1946 ein. Die CDU ging nun dazu über, auf dem Land sogenannte Stützpunkte zu bilden, die auch ohne die erforderliche Mindestanzahl von Mitgliedern in den einzelnen ländlichen Gemeinden politisch als Ortsverband wirken sollten.158 Des Weiteren wurden Redner gezielt in die Orte des Kreises geschickt, in denen man ein gewisses Mitgliederpotenzial vermutete. Diese sollten vor Ort sofort CDU-Stützpunkte gründen.159 Wenn sich dabei Männer meldeten, die in die CDU aufgenommen werden wollten, die aber vor dem Kriegsende der NSDAP angehörten, so sollten deren Ehefrauen in die Partei aufgenommen werden.160 Im Gegensatz zur LDP gab es aber keine Hinweise dafür, dass Zweitlisten mit sogenannten Hospitanten, die der NSDAP angehörten, geführt wurden. Ganz im Gegenteil dazu wies man in den erhaltenen Bad Liebenwerdaer Protokollen immer wieder darauf hin, dass „keine PGs“ in die CDU eintreten dürften.161 Bereits im April 1946 zeigten die verstärkten Bemühungen zur Mitgliederwerbung erste Erfolge. Es gründeten sich z. B. neben den sieben bereits bestehenden CDU-Ortsverbänden im Kreis Liebenwerda bis zum 25. April 1946 insgesamt sechs Stützpunkte. Die Mitgliederzahl stieg dadurch im Kreis Liebenwerda auf 387 an.162 Auch im Kreis Schweinitz nahm die Mitgliederzahl bis zum 22. März 1946 auf immerhin ca. 200 Mitglieder zu.163 Leider lagen für beide Kreise keine Unterlagen zur Mitgliederstruktur vor. Die CDU entwickelte sich aber im Jahr 1946 langsam zu einer politisch nicht mehr zu unterschätzenden Größe im Untersuchungsgebiet, die ab 1946 ihren wachsenden politischen Einfluss auch dadurch deutlich machte, indem diese z. B. klar gegen die Durchführung der Bodenreform Stellung bezog. Auch mit dieser klaren Positionierung konnte sich die Partei schließlich als zweitstärkste Kraft nach der SED im

157 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 20.10.1945 (ACDP Sankt Augustin, III-032-001/1, unpag.). 158 Vgl. Rundschreiben des CDU Kreisverbandes Liebenwerda an alle Ortsverbände vom 4.3.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 159 Vgl. CDU-Kreisverband an die Kreisrednerin Frau Holland-Curz vom 27.2.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 160 Vgl. Schreiben des CDU-Kreisverbandes Liebenwerda an alle Stützpunkte der CDU vom 11.3.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 161 Vgl. Anweisung des CDU-Kreisverbandes Liebenwerda zur Bildung von Stützpunkten vom 17.7.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 162 Programmpunkte für die Vorstandssitzung des CDU-Ortsverbandes Bad Liebenwerda vom 25.4.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 163 Organisationsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März vom 22.3.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 136).

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Der Neuaufbau der Parteien

­ ntersuchungsgebiet behaupten. Dennoch bleibt, trotz der schlechten QuellenU lage, für beide bürgerlichen Parteien im Untersuchungsgebiet festzuhalten, dass zwar beide Parteien organisatorisch im Jahr 1946 Fortschritte machten, aber kurz vor den Kommunalwahlen 1946 mit der vereinigten SED organisatorisch kaum zu vergleichen waren.

VI. Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste 1.

Die Befehlsgrundlage der sowjetischen Geheimdienste in Deutschland

Nachdem der Rat der Volkskommissare kurz nach der erfolgreichen kommunistischen Revolution am 19. Dezember 1917 die politische Polizei, die Tscheka, gründete, differenzierte sich der sowjetische Sicherheitsapparat in den folgenden Jahren immer weiter aus. Als Anfang des Jahres 1945 erstmals Truppen der Roten Armee die deutschen Grenzen überschritten, existierten in der Sowjetunion vier selbstständige Geheimdienste. Die Hauptverwaltung Spionageabwehr „Smersch“, deren Einheiten direkt in die Heerestruppen der Rote Armee eingebettet und für die militärische Abwehr zuständig waren, bildete einen dieser Geheimdienste. Die Hauptverwaltung „Smersch“ unterstand dem von Stalin geführten Volkskommissariat für Verteidigung. In den Truppenteilen und Verbänden der Marine erfüllte die gleichnamige, aber als gesonderter Geheimdienst auftretende Verwaltung Spionageabwehr „Smersch“ dieselben Aufgaben. Im Gegensatz zur Hauptabteilung „Smersch“ unterstand diese aber dem Volkskommissariat der Seekriegsflotte. Einen dritten Geheimdienst bildete das Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB), welches im Wesentlichen die Aufgabe der Geheimpolizei in der Sowjetunion wahrnahm. Als vierter und größter Geheimdienst existierte das seit 1934 aus der Vereinigten Staatlichen Politischen Verwaltung (OGPU) hervorgegangene Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD). Dem NKWD, unter der Leitung von Lawrenti Berija, unterstanden im Jahr 1945 das gesamte Lagersystem in der Sowjetunion, die Gefängnisse, die Miliz und die Inneren Truppen, die der Front nachfolgten, um im Hinterland der Front den Schutz für die Roten Armee zu gewährleisten.1 Der NKWD spielte also zusammen mit den direkt in die Truppen der Roten Armee eingebetteten „Smersch“-Einheiten eine entscheidende Rolle bei den politischen Säuberungen der von der Roten Armee eroberten Territorien. In den Richtlinien über die Truppen des NKWD zum Schutz des Hinterlandes wurde bereits am 28. April 1942 Folgendes festgelegt: „Die Truppen des NKWD, die das Hinterland der kämpfenden Roten Armee schützen, haben folgende Aufgaben: 1. Kampf gegen Diversanten, Spione und Banditen im Hinterland der Front; 2. Kampf gegen Deserteure und Marodeure; 3. Liquidierung kleiner Abteilungen und Gruppen des Gegners, die ins Hinterland der Front eingeschleust oder versprengt wurden (Mpi-Schützen, Fallschirmspringer, Signalgeber u. a.);

1

Vgl. Jan Foitzik/Nikita W. Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953, Berlin 2009, S. 13.

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

4. in besonderen Fällen (auf Beschluss des Kriegsrat der Front) Schutz der Verkehrswege auf bestimmten Abschnitten.“2 Des Weiteren wurde festgelegt: „Die Dienstkommandos der NKWD-Truppen […] haben das Recht […] alle Personen festzunehmen, […] bei denen der Verdacht auf feindlich antisowjetische Tätigkeit besteht bzw. diese festgestellt wurde.“3 Der NKWD war somit bereits im Jahr 1942 nicht nur für den reinen militärischen Schutz für die Truppen der Roten Armee verantwortlich, sondern er sollte, wie aus dieser Richtlinie hervorging, gleichfalls politische Säuberungen hinter der Front durchführen. Mit dem Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11. Januar 1945 konkretisierte die sowjetische Führung einen Tag vor Beginn der Großoffensive an der Weichsel ihre Befehle für die Truppen des NKWD. Neben der Bekämpfung von „Spionen und Diversanten der deutschen Geheimdienste“ wurden nun die Befugnisse der Truppen des NKWD erheblich erweitert. Im Befehl Nr. 0016 hieß es dazu: „Zu verhaften sind gleichfalls Führungs- und Einsatzkräfte der Polizei, Leitungspersonal von Gefängnissen und Konzentrationslagern, Militärkommandanten, Staatsanwälte, Untersuchungsrichter, Mitglieder von Kreisgerichten und Militärtribunalen, Leiter von Vertretungen und Verwaltungen auf Gebiets- und Kreisebene, Bürgermeister, Mitglieder faschistischer Organisationen, Leiter großer Wirtschafts- und Verwaltungseinheiten, Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure, Autoren antisowjetischer Veröffentlichungen, Kommandeure und Angehörige von Armeen der gegen die UdSSR kriegführenden Länder und der sogenannten Russischen Befreiungsarmee, wie auch sonstige verdächtige Elemente.“4 Nach diesem Befehl sollte jeder, der in irgendeiner Weise in Deutschland zwischen 1933 und 1945 politisch tätig gewesen war, verhaftet werden. Selbst einfache Mitglieder der NSDAP mussten aufgrund dieses Befehls mit ihrer Verhaftung rechnen. Am 3. Februar 1945 wurden diese Maßnahmen nochmals verschärft. Das Staatliche Verteidigungskomitee ordnete an diesem Tag an, dass alle männlichen Deutschen im Gebiet der 1. Weißrussischen und 1. Ukrainischen Front im Alter von 17 bis 50 Jahren „zu mobilisieren“ seien.5 Die beschriebene Personengruppe sollte dazu vom NKWD zur Arbeit in die Sowjetunion transportiert werden. Wie bereits zuvor in Südosteuropa, wo bereits ab Dezember 1944 alle arbeitsfähigen Deutschen zur Arbeit in die Sowjetunion gebracht wurden, drohte 2 3 4 5

Richtlinien über die Truppen des NKWD zum Schutz des Hinterlandes der kämpfenden Roten Armee vom 28.4.1942. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 89  f. Ebd. Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 0016 „Über Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der Fronten der kämpfenden Roten Armee von feindlichen Elementen“ vom 11.1.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 94–98. Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 0061 „Zu Maßnahmen für die Umsetzung der Anordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees (der UdSSR) Nr. 7467ss vom 3.2.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 100–102.

Befehlsgrundlage der Geheimdienste

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nun den Reichsdeutschen dasselbe Schicksal. Ob bei der Entscheidungsfindung zu diesen verschärften Maßnahmen bereits die später realisierte Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten oder lediglich sicherheitspolitische- bzw. ökonomische Gründe eine Rolle spielten, muss aufgrund der Quellenlage offenbleiben.6 Festzuhalten ist aber, dass in der ersten Phase der sowjetischen Besatzungspolitik im Osten Deutschlands bis April 1945 ca. 140 000 Deutsche als „feindliche Elemente“ in Gewahrsam genommen und ca. 100 000 Deutsche in die Sowjetunion zur Arbeit transportiert wurden.7 Da die sowjetische Führung erkannte, dass das willkürliche Vorgehen der sowjetischen Armee sowie der Geheimdienste die Kampfmoral der deutschen Soldaten im Osten enorm steigerte, wurden die Befehle des NKWD kurz nach dem Beginn der letzten Großoffensive am 16. April 1945 nochmals überarbeitet.8 Im neuen NKWD-Befehl Nr. 00315 vom 18. April 1945, der in nächtlicher Sitzung von Stalin und Berija persönlich ausgearbeitet wurde, wurde zunächst die Mobilisierung der deutschen Bevölkerung gestoppt. Die sowjetische Führung erkannte wohl, dass es ökonomischer war, die arbeitsfähigen Deutschen u. a. zur Demontage der Industrie einzusetzen.9 Des Weiteren wurde im ­NKWD-Befehl Nr. 00315 Folgendes festgelegt: „Von den Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR sind künftig beim Vorrücken der Truppen der Roten Armee auf das vom Feind befreite Territorium bei der Durchführung tschekistischer Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppe der Roten Armee von feindlichen Elementen zu verhaften: a. Spione, Diversanten und Terroristen der deutschen Geheimdienste; b. Angehörige aller Organisationen und Gruppen, die von den der deutschen Führung und den Geheimdiensten des Gegners zur Zersetzungsarbeit im Hinterland der Roten Armee zugelassen wurden; c. Betreiber illegaler Funkstationen, Waffenlager und illegaler Druckereien, wobei die für Feindtätigkeit bestimmten materiell-technischen Ausrüstungen zu beschlagnahmen sind; d. Aktive Mitglieder der nationalsozialistischen Partei; e. Führer der faschistischen Jugendorganisationen auf Gebiets-, Stadt- und Kreis­ ebene;

6 7

8 9

Vgl. Ralf Possekel, Einleitung. Sowjetische Lagerpolitik in Deutschland. In: Sergej Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950. Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Band 2, Berlin 1998, S. 44 f. Vgl. Volkskommissar für Inneres Berija an Stalin mit einem Beschlussentwurf zur Beendung der Mobilisierung vom 16.4.1945. In: Sergej Mironenko (Hg.), Sowjetische Spezial­ lager in Deutschland 1945 bis 1950. Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Band 2, Berlin 1998, S. 174 f.; Volkskommissar für Inneres Berija an Stalin vom 17.4.1945 mit Vorschlägen zur Abänderung des NKWD-Befehls Nr. 0016 vom 11.1.1945. In: ebd., S. 175–177. Vgl. Michail I. Semirjaga, Zur Rolle des NKWD in der Sowjetischen Besatzungszone, Dresden 1996, S. 9 f. Vgl. Possekel, Einleitung, S. 50.

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

f. Mitarbeiter der Gestapo, SD und sonstigen deutschen Straforgane; g. Leiter von Gebiets-, Stadt- und Kreisverwaltungen sowie Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure und Autoren antisowjetischer Veröffentlichungen.“10 Der neue Befehl legte zwar immer noch eine große Personengruppe zur Internierung fest, aber er verzichtete beispielsweise auf die Festnahme von Wirtschaftsführern, aller NSDAP-Parteimitglieder sowie sämtlicher deutscher Verwaltungs- sowie Polizeikräfte. Der Befehl Nr. 00315, der die Grundlage für zahlreiche späteren Verhaftungen der sowjetischen Geheimdienste „Smersch“ und NKWD bildete, hatte also, wie Ralf Possekel schrieb, nicht mehr die Absicht, den gesamten deutschen Staatsapparat zu zerschlagen.11 Angesichts des nahenden Kriegsendes ging die sowjetische Führung mit diesem Befehl dazu über, für die Zeit nach der deutschen Kapitulation zu planen. Trotz der Entschärfung des Befehls muss man aber feststellen, dass die sowjetische Führung auch weiterhin eine umfassende politische Säuberung zur Sicherung des Besatzungsregimes beabsichtigte. Nach Kriegsende wurden am 4. Juli 1945 nochmals die Aufgaben der sowjetischen Geheimdienste in der SBZ festgelegt: „Dem Bevollmächtigten der UdSSR bei der Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland werden folgende Aufgaben übertragen: […] die Enttarnung und Liquidierung von Spio­ nen, Diversanten, Terroristen sowie der UdSSR feindlichen Organisationen und Gruppierungen – gleich ob von deutschen Geheimdiensten zur subversiven Tätigkeit im Hinterland der Roten Armee gebildet und zurückgelassen oder neu entstanden.“12 Der NKWD-Befehl Nr. 00315 wurde somit erstmals auch auf „Organisationen und Gruppierungen“ ausgeweitet, die erst nach Kriegsende gebildet wurden. Ob diese einen nationalsozialistischen Charakter besaßen, spielte laut diesem Befehl vordergründig keine Rolle mehr. Um Deutsche verhaften und später in Speziallager einweisen zu können, bediente sich der NKWD (ab März 1946 in MWD umbenannt) neben den Internierungen, die meist auf der Grundlage des beschriebenen NKWD-Befehl Nr. 00315 durchgeführt wurden, Sowjetischer Militärtribunale (SMT). Insgesamt wurden bis in das Jahr 1955 mindestens 25 000 Urteile durch SMT gegen Deutsche gesprochen.13 Es fehlt allerdings bis heute ein Nachweis dafür, dass

10 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945.“. In: Mironenko, Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178–180. 11 Vgl. Possekel, Einleitung, S. 53 f. 12 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00780 „Zur Auflösung der Apparate der Front-Bevollmächtigten des NKWD der UdSSR“ vom 4.7.1945. In: Mironenko, Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 201–203. 13 Vgl. Andreas Hilger/Mike Schmeitzner, Einleitung: Deutschlandpolitik und Strafjustiz. Zur Tätigkeit sowjetischer Militärtribunale in Deutschland 1945–1955. In: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Band 2, Köln 2003, S. 20. Im Rahmen dieser Studie wurden 25 292 Fälle ausgewertet.

Befehlsgrundlage der Geheimdienste

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die Spruchtätigkeit der SMT auf rechtsstaatlicher Grundlage nach Deutschland verlegt wurde. Der Ukas 41 vom 22. Juni 1941 „Über den Kriegszustand“, der oftmals als rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der SMT in Deutschland angeführt wurde, beschränkte die Befugnisse der SMT nur auf das Gebiet der Sowjet­ union. Friedrich-Christian Schroeder stellte in diesem Zusammenhang treffend fest, dass eine Anwendung von „sowjetrussischen Strafvorschriften auf von Deutschen auf deutschem Staatsgebiet begangene Straftaten nicht zulässig“ war.14 Ohne rechtliche Grundlage wurden also in den zahlreichen Verfahren auf dem Gebiet der SBZ meist die verschiedensten sowjetischen Strafvorschriften angewendet. Neben der Verurteilung von Kriegsverbrechern und klassischen Kriminellen verurteilten SMT bis zum Jahr 1955 ca. 72 Prozent aller Angeklagten aufgrund des Staatsschutzartikels 58, der zur Ahndung von „konterrevolutionären Verbrechen“ im Jahr 1926 in der UdSSR eingeführt wurde. Darunter fielen vor allem Urteile aufgrund von „Spionage“, „terroristischer Handlungen“, „Diversion“, „Agitation und Propaganda“, „Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation“ und „Sabotage“.15 Des Weiteren wurde ein größerer Teil der SMT-Verurteilten auf der Grundlage von Kontrollratsgesetzen verurteilt. Beispielsweise übertrug die SMAD am 23. Dezember 1945 die Verhandlungen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 (u. a. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen) den SMT. Nach dem KG Nr. 10 wurden 8,2 Prozent aller SMT-Verurteilten abgeurteilt.16 Warum die sowjetischen Geheimdienste bis zur Einstellung der Internierungen am 1. Januar 1947 zwischen Internierten und SMT-Verurteilten einen Unterschied machten, kann bis heute nicht eindeutig beantwortet werden. Bettina Greiner stellte allerdings eine durchaus zutreffende Formel auf, um diese Frage zu beantworten. Sie stellte fest, dass die Verhaftungsgründe, die zu einer Internierung führten, meist auf der Vergangenheit der Betroffenen basierte. Viele wurden hierbei für Taten verantwortlich gemacht, die sie vor Kriegsende begingen. Bei einer SMT-Verurteilung bezogen sich hingegen die Urteilsgründe im Wesentlichen auf die Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee.17 Ob die sowjetischen Geheimdienste tatsächlich diese Unterscheidung bei ihren Urteilen zugrunde legten oder ob dabei nicht doch die unklare Kompetenzverteilung zwischen SMAD, sowjetischer Zentralverwaltung und den sowjetischen Geheimdiensten in Deutschland eine Rolle spielte, kann ohne die Freigabe weiterer Akten jedoch nicht zweifelsfrei beantwortet werden. 14 Friedrich-Christian Schroeder, Rechtsgrundlagen der Verfolgung deutscher Zivilisten durch Sowjetische Militärtribunale. In: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Band 2, Köln 2003, S. 48. 15 Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Band 2, Köln 2003, S. 781 f., 784 f. 16 Ebd., S. 787. 17 Vgl. Bettina Greiner, Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland, Hamburg 2010, S. 131.

188

Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

2.

Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste im Untersuchungsgebiet

2.1

Die Ankunft der sowjetischen Geheimdienste

Nach der erfolgreichen sowjetischen Offensive an der Oder und Neiße drohte auch das Untersuchungsgebiet zum Einflussbereich der sowjetischen Geheimdienste zu werden. In Bad Liebenwerda nahmen z. B. eine „Smersch“-Abteilung noch vor dem Eintreffen des NKWD die ersten Verhaftungen im Untersuchungsgebiet vor. In Bad Liebenwerda wurde z. B. laut Kartei des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) der Druckereibesitzer Karl Zielke und die Redakteurin des „Liebenwerdaer Kreisblattes“, Ursula Falke, bereits am 24. bzw. 28. April 1945 von „Smersch“ verhaftet.18 Der NKWD, der nicht wie die „Smersch“ in die vorrückenden Truppen der Roten Armee eingebunden war, zog dagegen laut einer Niederschrift des Bad Liebenwerdaer Magistrats erst am 8. Mai 1945 in die Kreisstadt ein.19 Diese Verzögerung erklärte sich wahrscheinlich aufgrund der vorübergehenden Nähe zur Front an der Südgrenze des Kreises. Da große Teile des Kreises Liebenwerda Anfang Mai 1945 zum Aufmarschgebiet für die Prager Operation der Roten Armee wurden, waren hier vermutlich zunächst lediglich „Smersch“-Abteilungen für die Sicherung des Hinterlandes allein zuständig. Im Kreis Schweinitz vollzog sich das Einrücken der ersten NKWD-Truppen hingegen etwas schneller. Bereits am 29. April 1945 beschloss der Stab der ­NKWD-Truppen der 1. Ukrainischen Front, dass das 334. Grenzregiment des NKWD bis zum Abend des 3. Mai 1945 bis zur „Linie Lübben, Baruth, Dahme, Herzberg“ vorrücken sollte.20 Damit betraten NKWD-Truppen erstmals das Untersuchungsgebiet. Nachdem NKWD-Einheiten in ein Gebiet einrückten, gingen diese sofort dazu über, in größeren Städten sogenannte Operative Gruppen zu bilden, die in bestimmten zugewiesenen Regionen um diese Stadt die geheimdienstliche Arbeit aufnahmen. Die Arbeitsweise der Operativen Gruppen wurde in einem NKWD-Befehl wie folgt erläutert: „Beim Vorrücken der Roten Armee muss die Operative Gruppe unmittelbar den vordersten Einheiten folgen, damit beim Einrücken der Truppen in Städten und Ortschaften unverzüglich alle Personen ergriffen werden, die laut Befehl des Volkskommissars festzunehmen sind, sowie Waffen, Verzeichnisse, Archive und andere Dokumente eingezogen ­werden.“21

18 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank. 19 Vgl. Magistratssitzung vom 8.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 20 Vgl. Gesonderter Kampfbefehl Nr. 15 des Stabes der NKWD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 1. Ukrainischen Front vom 29.4.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 121 f. 21 Direktive des Frontbeauftragten des NKWD der UdSSR für die 2. Belorussische Front Zanawa über Arbeitsprinzipien, Unterstellung und Aufgaben der Operativen Gruppen des NKWD vom 22.1.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 99 f.

Die Arbeit im Untersuchungsgebiet

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Der Hauptteil der Arbeit bestand darin, diejenigen Personen ausfindig zu machen, die laut NKWD-Befehl Nr. 00315 zu verhaften waren. Eine Operative Gruppe bestand meist aus etwa 10 bis 15 Personen. Gleichfalls unterstanden den Operativen Gruppen Grenzregimenter des NKWD, die beispielsweise für den Schutz der besetzten Gebäude des NKWD, Verhaftungen und Razzien zuständig waren. Das im Untersuchungsgebiet eingesetzte 334.  Grenzregiment bezog in Falkenberg seine Kommandostelle. Bis zum 26. Mai 1945 wurde das 334. Grenzregiment bis zur Linie Wittenberg, Kemberg, Torgau, Dahlen und Riesa vorverlegt, womit es den gesamten Raum des Untersuchungsgebiets abdeckte.22 In den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz richteten sich schließlich in den Städten Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen Operative Gruppe des NKWD ein.23 In Bad Liebenwerda quartierte sich der NKWD im örtlichen Gerichtsgefängnis ein. Das Gerichtsgefängnis diente in der Folgezeit für die Operative Gruppe Bad Liebenwerda als „GPU-Keller“. In den „GPU-Kellern“ wurden die Verhafteten erstmals vor einer eventuellen Einweisung in ein Speziallager festgehalten, verhört und oftmals auch gefoltert. Ein ehemaliger Insasse im Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnis schilderte die Zustände wie folgt: „Im Gefängnis wurde ich dann verhört. Als ich die Berichte von den Verhören im Irak sah, fühlte ich mich daran erinnert. So ähnlich waren unsere Verhöre auch. Immer nachts, unten im Keller.“24 In Herzberg zog der NKWD in das Behördenhaus in der Uferstraße Nr. 6 (ehemaliges Katasteramt) ein. Auch hier richtete der Geheimdienst im Keller ein Gefängnis ein. Hans Jahn, der im Juni 1947 vom Geheimdienst verhaftet wurde, beschrieb die Situation im Herzberger „GPU-Keller“ ähnlich wie in Bad Liebenwerda: „Die Haftbedingungen waren schrecklich. In der Zelle gab es ein altes Bettgestell ohne Matratze und sonst nichts. Den ganzen Tag musste ich in der Zelle stehen und in der Nacht blieb das Licht in der Zelle an. Das Essen, eine Art Graupensuppe, gaben uns die Wachen, so wie es ihnen passte.“ Die Verhöre schilderte er ebenso brutal wie in Bad Liebenwerda: „Der Vernehmungsoffizier

22 Vgl. Kampfbefehl Nr. 16 des Stabes der NKWD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der 1. Ukrainischen Front vom 17.5.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 127 f. 23 Diese drei Operativen Gruppen konnten in verschiedenen Dokumenten erstmals nachgewiesen werden. Vgl. zur Operativen Gruppe Bad Liebenwerda: Übergabeprotokoll mit Häftlingsliste der Operativ Gruppe der Stadt Bad Liebenwerda an den Leiter des Spez.-Lagers des NKWD des Dorfes Burxdorf vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). Zur Operativen Gruppe Herz­ berg: Übergabeprotokoll der Operativ Gruppe Herzberg an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). Zur Operativen Gruppe Jessen: Protokoll der Geschäftsübergabe in der Operativen Gruppe des NKWD in Jessen vom 23.11.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 240. 24 Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 101.

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

fing beim zweiten Verhör, als ich den Besitz von Waffen immer noch leugnete, an, mit einem Stock in mein Gesicht zu schlagen. Aber erst als sie mir sagten, dass mein Freund gestanden hat, gab ich den Besitz von Waffen zu.“25 In Jessen existierte ebenso ein „GPU-Keller“, in dem laut einem Übergabeprotokoll vom 23. November 1945 insgesamt 13 Personen in Gewahrsam der Operativen Gruppe des NKWD registriert waren.26 Ob in Bad Liebenwerda, Herzberg oder Jessen, überall waren die Verhafteten in den „GPU-Kellern“ der Willkür der NKWD-Offiziere ausgesetzt. Physische und psychische Folter waren dabei laut den Zeitzeugen ein selbstverständlicher Bestandteil der Haft. Ebenso wurden die Haftbedingungen in den drei Gefängnissen meist als menschenunwürdig beschrieben. Die schlechten Haftbedingungen begannen also nicht erst in den Speziallagern, sondern bereits in den „GPU-Kellern“ im Untersuchungsgebiet. 2.2

Die Zusammenarbeit mit den Deutschen

Da nur wenige Mitarbeiter der sowjetischen Geheimdienste für den Einsatz in Deutschland geschult waren und sich die alleinige Informantentätigkeit von befreiten Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen schnell als unpraktisch he­ rausstellte, wurde den sowjetischen Verantwortlichen schnell klar, dass man bei der Ermittlung von vermeintlichen „feindlichen Elementen“ auf die Mithilfe der deutschen Bevölkerung angewiesen war.27 Erster Hauptansprechpartner der Besatzungsbehörden sowie für die Geheimdienste waren zunächst die eigens von ihnen eingesetzten deutschen Verwaltungen. Da das neue, oftmals kommunistische Verwaltungspersonal meist selbst lange Zeit unter dem Nazi-Regime zu leiden hatte, konnten sich die Geheimdienste weitestgehend auch auf dessen Mithilfe verlassen. So musste der NKWD z. B. in der Stadt Bad Liebenwerda eine Unterstützung erst gar nicht einfordern. Bereits vor dem Einrücken des NKWD am 8. Mai 1945 unternahm der eigens dafür von der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung eingesetzte „Politische Funktionär“ erste politische Verhaftungen. Dazu hieß es im Protokoll der Bad Liebenwerdaer Stadtratssitzung vom 5. Mai 25 Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. Hans Jahn wurde im Juni 1947 vom MWD in Mügeln bei Jessen mit sechs weiteren Personen verhaftet und zum Verhör in den „GPU-Keller“ in Herzberg gebracht. Von dort wurde er nach Torgau transportiert, wo er von einem SMT wegen Waffenbesitzes zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Über das Gefängnis in Halle (Roter Ochse) wurde er im November 1947 in das Speziallager Sachsenhausen eingewiesen, aus dem er im Januar 1950 entlassen wurde. 26 Vgl. Protokoll der Geschäftsübergabe in der Operativen Gruppe des NKWD in Jessen vom 23.11.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 240. 27 Vgl. Bericht über den Stand des Agenten- und Informantenapparats der Aufklärungsabteilung der NKWD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der GSBSD für Mai, Juni, Juli und die erste Augusthälfte 1945 sowie Vorschläge über weitere Maßnahmen in diesem Bereich vom 21.8.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 221–223.

Die Arbeit im Untersuchungsgebiet

191

1945: „Er (der politische Funktionär) sagte zu, bei der Festnahme von Personen, die politisch vorbelastet sind, genaue Ermittlungen anzustellen und die Festnahme nur im Einverständnis mit dem Bürgermeister und den Beigeordneten vorzunehmen. Die politischen Gefangenen sind nicht sogleich dem Kommandanten zur Verfügung zu stellen, sondern erst in Polizeigewahrsam zu nehmen […].“28 Dass die politischen Häftlinge in Bad Liebenwerda nicht sofort der Kommandantur übergeben werden sollten, deutete darauf hin, dass die ersten Verhaftungen in Bad Liebenwerda zunächst eigenständig durchgeführt wurden. Mit dem Einrücken des NKWD am 8. Mai 1945 änderte sich dieses Vorgehen aber grundlegend. So setzte sich der „Politische Funktionär“ sofort nach der Ankunft des NKWD mit den verantwortlichen Offizieren in Verbindung, um das weitere Vorgehen abzustimmen.29 Von nun an begannen der Politische Funktionär und die Verantwortlichen der neuen deutschen Polizei, Verdächtige dem NKWD zu zuführen. In der gesamten Kreisstadt wurden daraufhin nahezu alle ehemaligen aktiven NSDAP-Mitglieder verhaftet und überprüft.30 Karl Fietzkow, der selbst kurze Zeit im Gerichtsgefängnis inhaftiert war, beschrieb diese Situation: „Von Ende Mai bis in den Herbst (1945) hinein erfolgten Verhaftungen einer großen Anzahl von Mitgliedern der Nationalsozialistischen Partei und solcher Personen, die beschuldigt oder verdächtigt wurden, Handlungen zugunsten des Naziregimes begangen zu haben.“31 Das Ausmaß der Verhaftungen nahm im Vergleich zum übrigen Untersuchungsgebiet in Bad Liebenwerda bereits im Mai und Juni 1945 eine solche Intensität an, die sonst nirgends nachzuweisen war. So befanden sich z. B. am 25.  Juli 1945 im vom NKWD kontrollierten Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnis von insgesamt 59 Insassen 25 Häftlinge aus Bad Liebenwerda.32 Zudem transportierte der NKWD bereits Mitte Juni 1945 mehrere NS-Funktionäre aus der Stadt in das Speziallager Bautzen ab.33 Diese Intensität ließ sich nicht allein aufgrund des Kreisstadtstatus von Bad Liebenwerda und der hiesigen ­Stationierung der Operativen Gruppe des NKWD erklären. Zweifellos spielte

28 Niederschrift der Magistratssitzung vom 5.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 29 Vgl. Niederschrift der Magistratssitzung vom 8.5.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 30 Vgl. Siegfried Seidel, Erinnerungen an das Kriegsende 1945 in Bad Liebenwerda. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 91. 31 Sachse, Auskünfte V, S. 97. 32 Auflistung der Gefängnisinsassen vom 25.6.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 33 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. In diesen Datenbanken konnten 22 Personen identifiziert werden, die bereits im Juni 1945 aus Bad Liebenwerda in das Speziallager Bautzen transportiert wurden. Da allerdings nicht immer in diesen Datenbanken der Wohnort und die Namen genau angegeben wurden, kann die Häftlingszahl auch höher gewesen sein.

192

Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

dabei auch der Einsatz der örtlichen Verwaltung eine große Rolle, ohne deren Mithilfe dieses Ausmaß der Verhaftungen bereits ab Ende Mai 1945 nicht erreicht werden konnte. Allein das Beschaffen von Listen der NSDAP-Mitglieder hätte für den NKWD wohl ohne Hilfe Wochen und Monate in Anspruch genommen. Die Stadtverwaltung Bad Liebenwerda war zu jedem Zeitpunkt über die Auslastung des vom NKWD geführten Gerichtsgefängnisses informiert, wie eine überlieferte Namensliste mit Häftlingen aus dem Gerichtsgefängnis vom 25. Juni 1945 im Bestand des Bad Liebenwerdaer Stadtarchivs bestätigte.34 Hinzu kam, dass die Stadtverwaltung zur gleichen Zeit Listen erstellte mit den wichtigsten NS-Funktionsträgern in der Kreis- sowie Ortsleitung Bad Liebenwerda.35 Dass diese Listen mit dem NKWD ausgetauscht wurden, zeigte eine Überprüfung der aufgelisteten Namen. Von 34 verzeichneten Namen wurden mindestens elf nachweislich in ein NKWD-Speziallager eingewiesen.36 Viele dieser Personen transportierte der NKWD bereits Mitte Juni 1945 mit den ersten Transporten in das Bautzener Gefängnis und später nach Tost. Von diesen elf Häftlingen starben später sechs in den Speziallagern.37 Nachdem die Operativen Gruppen bereits Anfang Juni 1945 erste Häftlinge aus ihren Stationierungsorten in Speziallager des NKWD einwiesen, bezogen diese nun immer mehr die Umgebung ihrer Stationierungsorte in ihre operative Arbeit ein. Den sowjetischen Geheimdienstoffizieren kam dabei zugute, dass sich bis dahin die deutschen Kreisverwaltungen neu etablierten und die dortigen Abteilungen für Sicherheit wertvolle Zuarbeit leisten konnten. Die Operative Gruppe des NKWD Bad Liebenwerda wandte sich direkt an den Leiter der Abteilung Sicherheit im Kreis Liebenwerda, Alfred Sandner (KPD). Dieser ordnete am 22. Juni 1945 an, dass alle Gemeindeverwaltungen des Kreises eine „Liste über sämtliche Funktionäre der NSDAP“ aufstellen sollten.38 Wenig später wurde diese Anweisung nochmals konkretisiert. Am 21. Juli 1945 verfügte

34 Vgl. Auflistung der Gefängnisinsassen vom 25.6.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 35 Vgl. Liste der führenden Nationalsozialisten in Kreis- und Ortsleitung der NSDAP Bad Liebenwerda (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 36 Auf der Liste befanden sich zudem fünf Personen, die sich vermutlich in Kriegsgefangenschaft befanden, und weitere, wie z. B. der Bürgermeister Müller und der Ortsgruppenleiter Buschendorf, die aus Bad Liebenwerda geflüchtet waren. Zudem wurden nachweislich Karl Fitzkow sowie Arno Seidel, die sich ebenso auf der Liste befanden, kurze Zeit vom NKWD im Gerichtsgefängnis inhaftiert. Ob noch weitere Personen auf dieser Liste in Lager eingewiesen wurden, ist nicht mit Sicherheit zu klären, da mehrere Personen nur mit Nachnamen aufgeführt wurden. 37 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 38 Bestätigung des Hohenleipischer Bürgermeisters zum Erhalt des Briefs über die Aufstellung sämtlicher Funktionäre der NSDAP vom 22.6.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 675, unpag.).

Die Arbeit im Untersuchungsgebiet

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der Landrat Paulick, nun alle NSDAP-Mitglieder im Kreis listenmäßig zu erfassen. Im Weiteren wies er an: „Aus diesen Listen muss neben Namen und Beruf ersichtlich sein, ob und welche Funktion das Nazi-Mitglied ausgeübt hat und wie es sich der antifaschistischen Bevölkerung und den ausländischen Arbeitskräften gegenüber aufgeführt hat.“39 Die Bürgermeister waren somit gezwungen, Einschätzungen über ehemalige NSDAP-Mitglieder zu treffen, die diesen zum Verhängnis werden konnten. Inwieweit die Gemeindeverwaltungen dieser direkten Aufforderung zur Denunziation nachkamen, konnte nicht geklärt werden. Fest stand damit nur, dass bereits vor der Herausgabe des SMAD-Befehls Nr. 42 am 27. August 1945, nach dem sich bis zum 25. September 1945 „alle ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee im Range eines Leutnants und höher sowie ohne Ausnahme alle ehemaligen Angehörigen der SS und SA, Mitarbeiter der Gestapo und Mitglieder der NSDAP“ registrieren lassen mussten, erste Listen mit NSDAP-Parteimitgliedern von deutschen Behörden erstellt wurden.40 Ohne diese ersten Listen wäre es dem NKWD zweifellos unmöglich gewesen, die großangelegten Verhaftungswellen unmittelbar nach Kriegsende durchzuführen. Wie die Erstellung dieser Listen angeordnet und wie diese Listen an den NKWD weitergegeben wurden, zeigte z. B. die streng vertrauliche Anweisung des Großthiemiger Amtsvorstehers an die Bürgermeister seines Amtsbereichs vom 23. Mai 1946. Hierin hieß es: „Auf Befehl des NKWD haben Sie sofort sämtliche in Ihrer Gemeinde zum Umsturz tätigen HJ-Führer […] listenmäßig in dreifacher Ausfertigung aufzustellen.“ Weiter führte der Amtsvorsteher aus: „Ich bitte zu beachten, dass ich mit dem gesammelten Material am Freitag früh in Liebenwerda bei der (dem) NKWD sein muss.“41 Deutlicher als in diesem Dokument konnte man die Zusammenarbeit mit dem NKWD nicht darstellen. Der NKWD gab den deutschen Sicherheitsbehörden konkrete Anweisungen, die diese unverzüglich auszuführen hatten. Die Befehlshierarchie zugunsten des NKWD war damit klar umrissen. Die Zusammenarbeit mit dem NKWD wurde zudem konkret von den übergeordneten Behörden auf Bezirksebene angeordnet. In einem Schreiben an alle Landräte vom 19. Oktober 1945 verfügte z. B. der Bezirkspräsident, dass erforderliche „Repressalien gegen Faschisten gemeinsam mit dem NKWD durchzuführen“ sind.42 Die Maßnahmen zur Hilfe des NKWD erschöpften sich allerdings nicht nur in dem Erstellen von Namenslisten. Da das Personal des NKWD begrenzt war,

39 An alle Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 21.7.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 40 Befehl des Militärkommandanten der Stadt (Bezirk) Bad Liebenwerda zur Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 42 (September 1945; StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 41 Amtsvorsteher als OPB in Großthiemig an die Herrn Gemeindevorsteher des Amtsbezirks vom 23.5.1946 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 42 Bezirkspräsident an die Herrn Landräte und Oberbürgermeister, Betrifft: Faschisten-Bekämpfung vom 19.10.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.).

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­ urden vor allem die zahlreichen Verhaftungen von deutschen Polizisten durchgew führt. Dabei kalkulierte der NKWD wohl ein, dass das Vertrauen eines potenziellen Häftlings zu einem deutschen Polizisten im Gegensatz zu einem sowjetischen Geheimdienstoffizier weitaus größer war und dadurch unkalkulierbare Fluchten verhindert werden konnten. Mehrere Dokumente bestätigten diese Verhaftungspraxis. Im Jahresbericht über das Polizeiwesen der Stadt Bad Liebenwerda vom 8. April 1946 wurde z. B. festgehalten, dass „ein großer Teil (der Verhafteten) wegen seiner politischen Einstellung inhaftiert werden“ musste.43 Bis zum 4. Juli 1945 wurden z. B. von den 37 Häftlingen des Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnisses 27 von deutschen Polizisten verhaftet und dem NKWD zugeführt.44 Dies deckte sich auch mit der Entwicklung in der gesamten Provinz Sachsen. Im Jahr 1946 wurden beispielsweise in der gesamten Provinz laut Aufzeichnung des Polizeichefs 10 179 Personen „für den russischen NKWD“ inhaftiert.45 Ein sehr großer Teil der später in Speziallagern inhaftierten Häftlinge wurde also von deutschen Polizisten festgesetzt. Da gleichfalls, wie dargestellt, mit Beginn des Aufbaus der deutschen Polizei meist ausschließlich KPD- bzw. SPD-Mitglieder in den Dienst aufgenommenen wurden, diente die deutsche Polizei somit von Anfang an als willfähriges Instrument der sowjetischen Geheimdienste. Aber nicht nur die offiziellen Kontakte zu den deutschen Behörden spielten für den NKWD eine große Rolle. Neben diesen baute der Geheimdienst ein umfassendes Netz mit deutschen Agenten auf. Ein Protokoll der Operativen Gruppe des NKWD in Jessen vom 23. November 1945 belegte, dass bis dahin immerhin 48 Personalakten zum Agenten- und Informantenapparat angelegt wurden.46 In der Operativen Gruppe Jessen sind somit bis November 1945 insgesamt 48 Deutsche als Agenten des NKWD tätig geworden. Ein NKWD-Bericht der Operativen Gruppe Jessen für Oktober 1945 besagte zudem, dass das Anwerben von Agenten „großen Erfolg“ hatte. So wurden „nach Hinweisen von Agenten“ im Oktober 1945 insgesamt 16 Personen sowie nach „sonstigen Angaben der Aufklärung“ 19 Personen von der Operativen Gruppe Jessen verhaftet.47 Dass der NKWD hauptsächlich von Deutschen gesammelte Informationen nutzte, blieb auch der Bevölkerung nicht verborgen. So machten ehemalige Häftlinge der Speziallager oftmals eine deutsche Denunziation für ihre Verhaftung verantwortlich. Die Schuld für ihre Verhaftung wurde überraschenderweise oft nicht primär dem sowjetischen Geheimdienst gegeben, sondern zu einem großen Teil bei den „deutschen Denunzianten“ gesucht. R. E. aus Prösen sagte z. B.: „Ab ging die Reise, die 5 Jahre andauerte, in eine Einzelzelle in das Ge43 Jahresbericht über das Polizeiwesen vom 8.4.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 64, unpag.). 44 Gefängnisbestand des Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnis vom 4.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 45 Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 37 f. 46 Protokoll der Geschäftsübergabe in der Operativen Gruppe des NKWD in Jessen vom 23.11.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 240. 47 Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 37.

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fängnis nach Liebenwerda. Ich war denunziert. Deutsche wurden von Russen aufgefordert, Personen zu benennen, die die Ordnung der Siegermacht gefährdeten.“48 Auch der Mühlberger KPD-Bürgermeister Alfred Kümmel glaubte, Opfer einer Denunziation geworden zu sein: „Im November 1945 wurde ich von der besonderen Einheit (NKWD) verhaftet, da ich durch böse Zungen angeblich Soldat gewesen sein sollte und Fotografien von Misshandlungen gegen russische Gefangene im Besitz hatte.“49 Ottokar Jakob, dessen Vater in Mühlberg interniert war, schrieb ebenso: „Dass die Vorarbeit für die Verhaftungswelle, die Ausstellung der ,schwarzen Listen‘, durch Deutsche geleistet wurde, ist so selbstverständlich, dass man darüber kein Wort verlieren muss.“50 Allerdings waren die Gründe für die Zusammenarbeit mit den sowjetischen Geheimdiensten bzw. für eine Denunziation oftmals sehr verschieden. Bei vielen neuen, zum großen Teil kommunistischen Bürgermeistern bzw. Verwaltungsangestellten waren wohl persönliche Erfahrungen zur Zeit des Nationalsozialismus mitverantwortlich für deren Eifer. Beispielsweise war der Liebenwerdaer Kreispolizeichef Alfred Sandner sowie der Landrat Paul Paulick in den 1930er-Jahren einige Jahre im KZ inhaftiert. Diese wurden, wie später viele Häftlinge des NKWD, bezeichnenderweise ebenso in den 1930er-Jahren kurze Zeit im Gerichtsgefängnis in Bad Liebenwerda festgehalten, bevor sie in das KZ Lichtenburg transportiert wurden.51 Dass aber z. B. kommunistische Bürgermeister nicht immer von Amtswegen bzw. aus eigenem Eifer ehemalige NSDAP-Funktionäre oder gar unbescholtene Bürger an die sowjetischen Geheimdienste verrieten, bewies das tragische Schicksal des Prösener Bürgermeisters Karl Hirsch (KPD). Dieser weigerte sich entschieden, dem NKWD Namen zu nennen. Wie vom ehemaligen Merzdorfer Bürgermeister bestätigt wurde, deckte er zwei ehemalige Gestapo-Mitarbeiter, die ihn wiederum vor dem Kriegsende nicht an die ­Gestapo überstellten. Er sah nach der Befragung durch NKWD-Offiziere keinen anderen Ausweg, als sich am 7. Juni 1945 das Leben zu nehmen.52 Dieses ­tragische

48 Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 101. 49 Lebenslauf von Alfred Kümmel vom 15.1.1950 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4783, unpag.). 50 Ottokar Jakob, Gnade uns Gott. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 73. In den sieben erhaltenen Berichten von ehemaligen Speziallagerhäftlingen aus dem Untersuchungsgebiet wurde in fünf Berichten eine Denunziation als Grund für die Verhaftung genannt. Lediglich in den Berichten von Ursula Falke und Günther Schirrmeister, die zu den ersten Verhafteten im Untersuchungsgebiet gehörten, wurden keine Denunziationen für die Verhaftung verantwortlich gemacht. 51 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 47. 52 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Prof. Dr. Hans Lauter vom 18.8.2010; Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 101. Unabhängig von Prof. Dr. Lauter vermutete bereits R. E. in der Darstellung von Dorothea Heizmann, dass Karl Hirsch aufgrund seiner verweigerten Zusammenarbeit mit dem NKWD Selbstmord beging.

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Beispiel zeigte, wie enorm der Druck des NKWD auf die neue deutsche Verwaltung gewesen sein musste. Vermutlich drohte der NKWD Karl Hirsch selbst die Verhaftung an. Die Gründe für eine Denunziation waren oft vielfältig. Genauso wie Karl Hirsch fühlten sich vermutlich einige neue Amtsträger vom NKWD bedrängt. Wenn diese bereits unter solchem enormen Druck standen, so war kaum auszudenken, wie sich die Gefangenen in den „GPU-Kellern“ fühlten, als sie teils unter Folter verhört wurden. Viele Gefangene gaben wohl unter diesem Druck und mit der Hoffnung, durch eine Denunziation eine Strafmilderung zu erfahren, weitere Namen preis. Ebenso kam es wohl auch vor, dass sich ehemalige Funktionäre der NSDAP gegenseitig belasteten, um damit den Verhaftungen zu entgehen. Erhard Winkelmann aus Herzberg schrieb z. B.: „Man stellte mich einem Bürger aus Herzberg gegenüber, was ich verlangt hatte, dass er mir sagen soll, was ich getan haben soll. Ich kannte ihn aus der Nachbarschaft, er war wie ich während der Nazi-Zeit politischer Leiter (Blockleiter). Er hatte mich denunziert.“53 Wie bereits zu der Zeit des Nationalsozialismus, in der ein ähnliches Denunziationsklima herrschte, entstand unter diesen Bedingungen schnell eine gesellschaftliche Atmosphäre der Angst, in der sich kaum noch jemand traute, politisch offen zu sprechen. Karl Fitzkow, der selbst kurze Zeit Inhaftierter des NKWD war und wohl unter ständiger Angst lebte, beschrieb diese Atmosphäre in Bad Liebenwerda treffend: „Die drückende Sorge, in der während dieser Zeit die Menschen lebten, weil niemand wusste, ob gegen sie eine Beschuldigung erhoben und welches in solchem Falle ihr Schicksal sein würde, trieb manche zur Flucht in die Fremde oder gar in den Tod […].“54 Die sowjetische Besatzungsmacht, die, nicht zuletzt aufgrund der Sprachproblematik sowie der vollkommenen Unkenntnis der lokalen Verhältnisse, auf die Zuträger aus der deutschen Bevölkerung angewiesen war, trug mit verschiedenen Maßnahmen dazu bei, diese denunziatorische Atmosphäre zu fördern. Vor der russischen Kommandantur in Herzberg wurde z. B. ein Briefkasten zur anonymen Denunziation angebracht.55 Auf diese Weise konnte jeder jeden denunzieren, ohne dass man Gefahr lief, Anschuldigungen beweisen zu müssen. Auch die Tatsache, dass der NKWD nahezu jeder Denunziation nachging, wie man z. B. am Schicksal des Mühlberger Bürgermeisters Kümmel (KPD) erkennen konnte, der beschuldigt wurde, Zwangsarbeiter misshandelt zu haben, verstärkte die Neigung dazu erheblich.56 Bedachte man zudem, dass die

53 Befragungsprotokoll des Herrn Erhard Winkelmann von Kriminalkommissar Conrad vom 3.9.1990 (Archiv der Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V., unpag.). 54 Sachse, Auskünfte V. M. Karl Fitzkow, S. 97. 55 Vgl. Chronik der Stadt der Stadt Herzberg (handschriftlich), S. 11 (KA Herzberg, Historischer Sammlungsbestand Kreis Schweinitz/Herzberg, Nr. 27–29, unpag.). 56 Vgl. Lebenslauf von Alfred Kümmel vom 15.1.1950 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4783, unpag.).

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Bevölkerung bewusst durch das plötzliche Verschwinden von zahlreichen Personen sowie durch zahlreiche Razzien eingeschüchtert werden sollte, so war es nicht verwunderlich, dass dadurch zahlreiche Gerüchte und Anschuldigen in diesem Klima des Misstrauens in die Welt gesetzt wurden. Nur das kleinste Gerücht konnte aber in dieser Zeit genügen, um in das Visier der sowjetischen Geheimdienste zu geraten. 2.3

Die Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste auf der ­Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 00315

Die Anzahl der bisher in Deutschland erschlossenen Quellen zum Wirken der sowjetischen Geheimdienste im Untersuchungsgebiet ist begrenzt. Vereinzelt existieren Unterlagen der Operativen Gruppe Jessen sowie vollständige Übernahmeprotokolle von Häftlingstransporten zwischen der Leitung des Speziallagers Nr. 1 Mühlberg und der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda.57 Ebenso erstellten mehrere Heimatforscher bzw. Angehörige von ehemals Inhaftierten in mehreren Orten des Untersuchungsgebiets Listen von Internierten. Mit diesen Angaben kann man mehrere Schicksale anhand der umfangreichen Dateien der Dresdener Dokumentationsstelle nachvollziehen. Aufgrund der schlechten Quellenlage ist die vollständige Rekonstruktion aller Schicksale von vornhe­rein aber nicht möglich. Da die Geheimdienstoffiziere bei der Verhaftung nicht in allen Fällen neben dem Namen und dem Geburtsjahr den letzten Wohnort verzeichneten, lag dies auch teils an der sowjetischen Aktenführung. Es kommt hinzu, dass die Namen der Gefangenen bereits bei der Registrierung in den „GPU-Kellern“ nur nach Gehör auf Russisch verzeichnet wurden, was die Wiedererkennung z. B. in Transportlisten erheblich erschwert. Beispielsweise wurde der Oehnaer Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Reinhold Pulz übersetzt als „Reinhold Pol“ mit dem Wohnort „Koina“ geführt.58 Wie viele Personen im gesamten Untersuchungsgebiet von sowjetischen Geheimdiensten nach dem NKWD-Befehl Nr. 00315 verhaftet und in Speziallager eingewiesen wurden, darüber kann man aufgrund der fehlenden Transportprotokolle für einige Speziallager nur spekulieren. Es ist aber davon auszugehen, dass ca. 500 Personen aus den beiden Kreisen aufgrund des NKWD-Befehls Nr. 00315 in Speziallager eingewiesen wurden. Allein die Operative Gruppe Bad Liebenwerda überwies z. B. 144 Personen direkt in das Speziallager Nr. 1

57 Vgl. Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 37 und 240; Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). 58 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten.

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

Mühlberg.59 Zudem überstellte die Operative Gruppe Herzberg nochmals fünf Personen direkt nach Mühlberg.60 Weitere 239 Personen wurden nur im September 1945 von den drei Operativen Gruppen Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen in das zu dieser Zeit neu errichtete Speziallager Nr. 8 Torgau transportiert.61 Allein anhand dieser Transportprotokolle, konnten bereits 396 Personen identifiziert werden, die direkt aus dem Untersuchungsgebiet nur in die beiden Speziallager Mühlberg und Torgau eingewiesen wurden. Zudem wurden mindestens 40 Personen aus dem Untersuchungsgebiet bis Ende Juni 1945 nach Bautzen und später weiter nach Tost transportiert.62 Weitere Personen aus dem Untersuchungsgebiet transportierte der NKWD in das Speziallager Ketschendorf und später in das Speziallager Jamlitz.63 Aus diesen zahlreichen Einweisungen, von denen man oftmals nur Einzelschicksale nachweisen konnte, kann man schließen, dass die Zahl der in Speziallager eingewiesenen Personen bei ca. 500 lag. Wie aber gingen die sowjetischen Geheimdienste bei der Umsetzung des ­NKWD-Befehls Nr. 00315 vor? Im Mittelpunkt soll dabei zunächst das Vorgehen gegen „aktive Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei“ stehen, die laut Punkt 1 d des Befehls Nr. 00315 zu verhaften waren. Auf der Grundlage dieses Befehls wurde sofort beim Einrücken der Roten Armee in Herzberg am 23. April 1945 der Bürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Reinhold Fritsch nach der Übergabe der Stadt von einer „Smersch“-Abteilung gefangengenommen und abtransportiert.64 Fritsch, der seit 1934 für die Stadt Herzberg und für die ­NSDAP im Kreis Schweinitz die Verantwortung trug, war damit der hochrangigste Vertreter der Partei, der von den sowjetischen Geheimdiensten im Untersuchungsgebiet verhaftet wurde.

59 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). Laut der zweiwöchigen Bestandsmeldungen des Speziallagers Mühlberg wurden 152 Häftlinge von der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda an das Lager übergeben. Nach Überprüfung der namentlichen Übergabeprotokolle konnten allerdings nur 144 Personen festgestellt werden. Da auf den Übergabeprotokollen mehrere Namen gestrichen wurden, ist davon auszugehen, dass die Streichungen in den Bestandsmeldungen mit aufgeführt wurden. 60 Übergabeprotokoll der Operativ Gruppe Herzberg an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). 61 Information von Daniel Bohse, Halle (Saale), vom 3.9.2010. Daniel Bohse notierte sich diese Daten für den September 1945 aus russischen Archiven. Die Operative Gruppe Bad Liebenwerda überstellte danach 110 Person, die Operative Gruppe Herzberg 52 Personen sowie die Operative Gruppe Jessen 77 Personen im September 1945 nach Torgau. 62 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 63 Vgl. ebd. 64 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Reinhold Fritsch wurde in der NKWD-Datenbank als „Reinhold Fritz“ geführt.

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Im Gegensatz zu Reinhold Fritsch zog es der Liebenwerdaer Kreisleiter Otto Schreiber vor, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in Richtung Westen zu flüchten, womit er einer Verhaftung durch die sowjetischen Geheimdienste entging.65 Mit ihm flüchteten ebenso eine Reihe weiteren Mitarbeiter der Liebenwerdaer NSDAP-Kreisleitung, z. B. der Kreisamtsleiter, der Leiter des Amtes für Volkswohlfahrt, der Leiter des Amtes für Volksgesundheit, die Leiterin der NS-Frauenschaft sowie der HJ-Bannführer.66 In Bad Liebenwerda blieben nur sehr wenige führende Mitarbeiter der NSDAP-Kreisleitung zurück, die aber wenig später im Gerichtsgefängnis festgesetzt wurden. So wurde der Leiter der NSDAP-Hauptstelle Kultur, Arthur Barnick, und der Leiter der Hauptstelle Flüchtlingsbetreuung und Ernährungshilfswerk, Robert Borsch, laut Akten des NKWD am 12. bzw. am 13. Juni 1945 stellvertretend für die große Zahl der geflüchteten übrigen Mitarbeiter der Kreisleitung Bad Liebenwerda verhaftet.67 Ein großer Teil der Mitarbeiter der NSDAP-Kreisleitung Bad Liebenwerda entging aber durch Flucht dem Zugriff der sowjetischen Geheimdienste. Ganz anders sah es im Kreis Schweinitz aus. In der Kreisstadt Herzberg blieben nahezu alle führenden Personen der Kreisleitung zurück. Dies lag vor allem daran, dass hier der Kreisleiter glaubte, die Stadt zu verteidigen bzw. später der Roten Armee übergeben zu können. Nach und nach begannen nun auch hier die sowjetischen Geheimdienste, die hiesigen führenden Mitarbeiter der Kreisleitung zu ermitteln und schließlich zu verhaften. Als einer der Ersten wurde der Leiter des NSDAP-Kreiskassenamts, Hans Arnold, am 25. Mai 1945 verhaftet.68 Ebenso erging es dem Leiter des Kreisrechtsamtes der NSDAP, dem Rechtsanwalt Dr. Walter Stolze, der am 9. Juni 1945 zusammen mit seinem Bürovorsteher in Gewahrsam des NKWD genommen wurde.69 Nahezu täglich wurde im Mai und Juni 1945 in einem Herzberger Tagebuch über Verhaftungen berichtet. Beispielsweise notierte die Autorin bereits am 2. Mai 1945: „Bernhard (Marx) musste zwecks Besprechung heute gegen halb 12 zum Bürgermeister kommen und war bis 6 Uhr abends noch nicht wieder zurück. Mit ihm war auch Groner und Sprengler. Letzterer hat die Aufsicht über die Polen […]. Oberwachtmeister Döhlert ist auch inhaftiert worden. Nun hat man sich etwas beruhigt über unsere Lage. Soll die Aufregung von neuem beginnen?“70 Die große Verhaftungswelle setzte schließlich in Herzberg Mitte August 1945 ein, bei der nahezu die gesamte Leitung der ehemaligen NSDAP-Kreisleitung ­verhaftet wurde. Beispielsweise wurde der Leiter der Hauptstelle Kultur, Karl Sämisch, am 16. August 1945 sowie der Leiter des Amts für Erziehung, Werner 65 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 66 Vgl. ebd. 67 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 68 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 12. 69 Vgl. ebd., S. 13 f. 70 Ebd.

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Wolf, am 17. August 1945 vom NKWD festgesetzt.71 Insgesamt verhaftete der NKWD aus der Herzberger Kreisleitung der NSDAP den Leiter der Hauptstelle Kultur, den Leiter des Kreiskassenamts, den Leiter des Amts für Erziehung, den Leiter des Kreisrechtsamts, den Leiter der Hauptstelle Rundfunk, den Leiter der Hauptstelle Film, den Leiter des Kreisamts für Kommunalpolitik und den Kreisbeauftragten für Kriegsopfer.72 Damit waren nahezu alle ehemaligen führenden Angestellten der Schweinitzer NSDAP-Kreisleitung im Gewahrsam des NKWD. Die Abteilungsleiter der Kreisleitung der NSDAP fielen dabei alle unter den Punkt 1 d des NKWD-Befehls Nr. 00315 vom 18. April 1945 und wurden als „aktive Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei“ verhaftet. In allen Akten des NKWD wurden diese entweder als „aktives NSDAP-Mitglied“ oder „NSDAP-Mitglied“ aufgeführt.73 Grundsätzlich konnte damit festgestellt werden, dass die angegebenen Haftgründe in den Akten des NKWD in diesen Fällen durchaus zutreffend waren. Neben der Verhaftung der führenden Mitarbeiter der Kreisleitung setzte die Verhaftung der Ortsgruppenleiter im Untersuchungsgebiet sofort ein. Trotz der geschürten Propaganda setzten sich im gesamten Untersuchungsgebiet allerdings nur sehr wenige Ortsgruppenleiter durch Flucht ab. Meist flüchteten die lokalen Parteiführer nur aus den Städten, wie z. B. in Bad Liebenwerda der Ortsgruppenleiter Karl Buschendorf,74 in Schlieben der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Alwin Knoche,75 in Elsterwerda der Ortsgruppenleiter Karl Liebe76 und in Ortrand der Ortsgruppenleiter Paul Weck.77 Da meist die Ortsgruppenleiter in den Städten nicht aus der Region stammten und oftmals erst Ende der 1930er-Jahre eingesetzt wurden, hatten diese ganz andere Voraussetzungen für eine Flucht als diejenigen Ortsgruppenleiter, deren Familien bereits seit Generationen in den Dörfern lebten. Ihren gesamten Besitz zu verlassen fiel diesen deutlich schwerer. Ebenso zeugte das Ausharren in den Heimatorten davon, dass sich viele Ortsgruppenleiter persönlich nichts vorwarfen. In diesem Glauben hofften wohl viele, den Einmarsch der Roten Armee unbeschadet überstehen zu können.

71 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 72 Vier Amtsleiter der Schweinitzer NSDAP-Kreisleitung begingen Selbstmord (darunter die beiden Ortsgruppenleiter Strothbäumer und Röthling). Die Leiterin der NS-Frauenschaft Liermann flüchtete. Was aus dem Kreisgeschäftsführer Romatowsky wurde, konnte nicht geklärt werden. Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Herzberg 1945. 73 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 74 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 75 Vgl. Vorwort des Sterbebuchs des Standesamts Schlieben 1945 vom 16.10.1945. 76 Vgl. Bericht des Rektors Müllers (undatiert; StA Elsterwerda, Ordner: Stadtschulen 1849–1949, unpag.). 77 Vgl. Antwort auf das Schreiben von Heinz Weck (Sohn des Ortsgruppenleiters Paul Weck) zur Rückgabe des Familieneigentums vom 16.11.1945 (StA Ortrand, Nr. 708, unpag.).

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Allerdings wurde diese Hoffnung bei vielen sehr schnell zerstört. Bis Ende des Jahres 1945 wurden in den beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz von den 73 im Jahr 1942 verzeichneten Ortsgruppenleitern 34 nachweislich in ein Speziallager des NKWD überführt.78 Drei Ortsgruppenleiter begingen Selbstmord.79 Der Ortsgruppenleiter von Knippelsdorf, Alwin Poser,80 der Ortsgruppenleiter von Mühlberg, Willy Friese,81 und der Ortsgruppenleiter von Großthiemig, Richard Behnisch,82 wurden von einem ausländischen Arbeiter bzw. von Soldaten der Roten Armee erschossen. Die Zerschlagung der lokalen Organisation der NSDAP durch die sowjetischen Geheimdienste hörte aber nicht bei der Verhaftung der Ortsgruppenleiter auf. Als „aktive Nazis“ wurden zudem die vielen Zellen- und Blockleiter angesehen, die z. B. für den Luftschutz und die Ausgabe von Nahrungsmittelkarten zuständig waren.83 Selbst diese kleinen Funktionäre wurden gesucht und möglichst verhaftet. In der Kreisstadt Bad Liebenwerda verhaftete der NKWD nachweislich bis Anfang Juni 1945 vier Zellenleiter.84 Ebenso wurden in Bad Liebenwerda fünf Blockleiter verhaftet und in Speziallager überführt.85 Dass dies im gesamten Untersuchungsgebiet praktiziert wurde, bestätigten auch die Transportlisten in die Speziallager. Beispielsweise wurden am 18. Oktober 1945 auf dem Transport vom Gerichtsgefängnis Bad Liebenwerda in das ­NKWD-Speziallager Nr. 1 Mühlberg 13 von insgesamt 44 Personen mit dem Vermerk „Blockleiter“ bzw. „Zellenleiter“ geführt.86 Die Zerschlagung der Parteistrukturen der NSDAP durch Verhaftung aller Führungspersonen wurde bis in die niedrigsten Funktionen durchgeführt. Jeder, der in der NSDAP ein Amt bekleidete, musste unter diesen Umständen mit einer Verhaftung rechnen. Um ein Wiederauferstehen der NSDAP zu verhindern, wurden deren führende Mitglieder reihenweise festgenommen. Unter den 144 von der Operativen

78 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Der Abgleich erfolgte über die Auflistung der Ortsgruppenleiter in den beiden Heimatkalendern für die Kreise Liebenwerda und Schweinitz aus den Jahr 1942. Eine spätere Aufstellung aller Ortsgruppenleiter des Untersuchungsgebiets lag nicht vor. 79 Sterbebücher der Standesämter Jessen und Herzberg 1945. 80 Vgl. Sterbebuch des Standesamts Schönewalde 1945. 81 Vgl. Sterbebuch des Standesamts Mühlberg/Elbe 1945. 82 Vgl. Sterbebuch des Standesamts Großthiemig 1945. 83 Die Einweisung von Zellen- und Blockleitern der NSDAP in die Speziallager endete erst mit der Weisung des Leiters der Abteilung Speziallager des NKWD, Oberst Sviridov, vom 26.1.1946. Vgl. Weisung des Leiters der Abt. Speziallager zur Einstellung der Aufnahme von Block- und Zellenleitern in die Lager und Gefängnisse des NKWD vom 26.1.1946. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 223. 84 Liste der führenden Nationalsozialisten in Kreis- und Ortsleitung der NSDAP Bad Liebenwerda (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.); Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 85 Ebd. 86 Übergabeprotokoll mit Häftlingsliste der Operativ Gruppe der Stadt Bad Liebenwerda an den Leiter des Spez.-Lagers des NKWD des Dorfs Burxdorf vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V. Nr. 345, unpag.).

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

Gruppe Bad Liebenwerda nach Mühlberg überstellten Personen waren z. B. 82 Internierte als „NSDAP-Führer“ bzw. „aktive Nazis“ in den Bestandsmeldungen des Speziallagers Nr. 1 aufgeführt worden.87 Man kann feststellen, dass etwas mehr als die Hälfte der durch sowjetische Geheimdienste festgenommenen Personen ehemalige NSDAP-Funktionäre vom Block- und Zellenleiter aufwärts waren. Die Suche nach NSDAP-Funktionären stellte somit zweifellos einen Schwerpunkt der Arbeit der sowjetischen Geheimdienste dar. Ein Wiedererstarken des Nationalsozialismus innerhalb der alten Strukturen wurde unter diesen Umständen geradezu unmöglich gemacht. Aufgrund des NKWD-Befehl Nr. 00315 waren aber nicht nur „aktive Nazis“ in Speziallager einzuweisen, sondern laut Punkt 1 g auch „Leiter von Gebiets-, Stadt- und Kreisverwaltungen“.88 Rigoros ausgelegt, wäre jeder Bürgermeister sowie jeder führende Beamte im Untersuchungsgebiet unter diese Bestimmung gefallen. Grundsätzlich lässt sich allerdings sagen, dass viele Bürgermeister, vor allem in den Dörfern des Untersuchungsgebiets, wenn sie nicht gleichzeitig eine Parteifunktion ausübten, nur selten von sowjetischen Geheimdiensten verhaftet wurden. Allein die Tatsache, dass in mehreren kleineren Dörfern des Untersuchungsgebiet bis November 1945 Bürgermeister amtierten, die bereits vor dem Einmarsch der Roten Armee im Amt und zudem NSDAP-Mitglied waren, verdeutlichte dies.89 Eine Überprüfung der Namen der Bürgermeister aus dem Kreis Liebenwerda in den Datenbanken der Dokumentationsstelle Dresden bestätigte schließlich diese These. Von insgesamt 78 im Jahr 1942 verzeichneten Bürgermeistern im Kreis Liebenwerda wurden lediglich 12 nachweislich in Speziallager eingewiesen.90 Auch eine Überprüfung im Kreis Schweinitz ergab ein ähnliches Bild. Von insgesamt 112 Stadt- und Gemeindebürgermeistern wurden hier nur 18 verhaftet.91 Die Verhaftungen erfolgten bei allen nicht aufgrund ihrer Tätigkeit als Bürgermeister, sondern aufgrund ihrer Funktion in der Partei.

87 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). Insgesamt erfolgten 14 direkte Transporte der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda in das Speziallager Mühlberg. Der erste und größte Transport mit 49 Häftlingen erfolgte am 18.10.1945. Der letzte Transport ging am 4.11.1946 mit vier Häftlingen. 88 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178. 89 Vgl. Aufstellung der Personalien der ehrenamtlichen Bürgermeister der Landgemeinden des Kreises Schweinitz (November 1945; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 160, Bl. 11/12). 90 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Der Abgleich erfolgte ebenso wie bei den Ortsgruppenleitern mit der Auflistung der Bürgermeister im Heimatkalender des Kreises Liebenwerda aus den Jahr 1942. Auch bei dieser Analyse ist zu bedenken, dass durch die russische Aktenführung mehrere Namen womöglich nicht erkannt werden konnten. 91 Vgl. ebd. Der Abgleich erfolgte mit der Auflistung der Bürgermeister im Heimatkalender des Kreises Schweinitz aus dem Jahr 1942.

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Des Weiteren kann man keine umfassenden Verhaftungen von führenden Beamten der Stadtverwaltungen feststellen. Beispielsweise hatte der NKWD in Herzberg wohl kein Interesse am Stadtinspektor Kurt Meyer, der nach der Verhaftung von Reinhold Fritsch einer der hochrangigsten in Herzberg verbliebenen Vertreter der Stadtverwaltung war. Er wurde nicht vom NKWD verhaftet, sondern auf Anordnung der deutschen Stadtverwaltung am 14. Mai 1945 aus der Stadt ausgewiesen.92 Wie in Herzberg konnte auch in Bad Liebenwerda keine Verhaftung eines Beamten der Stadtverwaltung nachgewiesen werden.93 Etwas anders sah es hingegen im Bereich der Kreisverwaltungen aus. Beide amtierenden Landräte, Röhrig und Böhme, waren geflüchtet. In Bad Liebenwerda blieben zudem kaum führende Beamte der Kreisverwaltung zurück, da sich diese auf Befehl abgesetzt hatten.94 Das Personal der Schweinitzer Kreisverwaltung harrte allerdings mit Ausnahme des Landrats nahezu geschlossen in der Kreisstadt aus. Dies führte hier dazu, dass nahezu alle führenden Beamten vom NKWD verhaftet wurden. Die in der Schweinitzer Kreisverwaltung arbeitenden Regierungsoberinspektoren Zegenhagen und Werner, der Regierungsinspektor Lehmann, der Kreisbaumeister Winter, der Kreisbauinspektor Müller, der Kreisbüroinspektor Rosenbaum, der Kreisinspektor Braunhold, der Regierungssekretär im Versicherungsamt Richter, der Inspektor der Kreissparkasse Ludwig und der Kreishandwerksmeister Sickert wurden alle in Speziallager des NKWD eingewiesen.95 Damit wurden alle führenden Beamten der Schweinitzer Kreisverwaltung vom NKWD in Gewahrsam genommen. Allerdings erfolgte die Verhaftung bei einigen Herzberger Beamten laut Akten des NKWD wohl aufgrund ihrer Parteifunktion. Beispielsweise wurde der Regierungsinspektor Lehmann sowie der Kreisinspektor Braunhold, laut NKWD-Akten, als „aktive Nazis“ bzw. der Kreisbauinspektor Müller als „NSDAP-Mitglied“ verhaftet.96 Auch in Bad Liebenwerda war dies ähnlich. Hier wurden von den wenigen zurückgekehrten bzw. zurückgebliebenen führenden Beamten der Kreisverwaltung der Kreisinspektor Hans Krüger sowie der Rendant der Kreissparkasse, Emil Kessler, festgenommen, allerdings wohl nicht aufgrund ihrer Beschäftigung in der Kreisverwaltung bzw. Sparkasse, sondern aufgrund ihrer Tätigkeit als Zellenleiter der NSDAP.97 Die Gründlichkeit der Verhaftung führender Beamter der 92 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 10. 93 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Der Abgleich erfolgte mit der Auflistung der wichtigsten Stadtbeamten in den Heimatkalendern des Kreises Liebenwerda und Schweinitz aus dem Jahr 1942. 94 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.). 95 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Der Abgleich erfolgte mit der Auflistung der wichtigsten Kreisbeamten im Heimatkalender des Kreises Schweinitz aus dem Jahr 1942. 96 Ebd. 97 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten; Liste der führenden Nationalsozialisten in Kreis- und Ortsleitung der NSDAP Bad Liebenwerda (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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beiden Kreisverwaltungen lässt allerdings vermuten, dass dies nicht ausschließlich aufgrund der ausgeübten Parteifunktionen, sondern gezielt aufgrund ihrer Tätigkeit in der Kreisverwaltung geschah. Während einfache Bürgermeister, Beamte und Angestellte der Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen vor dem Zugriff der sowjetischen Geheimdienste sicher waren, traf dies auf weite Teile von Verantwortlichen der deutschen Sicherheitsapparate nicht zu. Laut Punkt 1 f des NKWD-Befehl 00315 sollten „Mitarbeiter von Gestapo, SD und sonstigen deutschen Straforganen“ verhaftet werden.98 Leider fehlt für das Untersuchungsgebiet eine Aufstellung der verantwortlichen Personen z. B. in der Gestapo, SD und der örtlichen Polizei. Ein Abgleich der Namen mit den Verhafteten war damit nicht möglich.99 Dennoch deutete alles darauf hin, dass besonders in diesem Bereich umfangreiche Verhaftungen durchgeführt wurden. Beispielsweise verhaftete eine „Smersch“-Abteilung in den ersten Tagen der Besatzung in Seyda die zwei Ortspolizisten Bernhard Breitenbach und Heinrich Schubert.100 Gleiches vollzog sich in Herzberg, als bereits am 2. Mai 1945 der Gendarmerieleutnant Döhlert verhaftet wurde.101 Auch in Mückenberg wurde der Gendarmerieobermeister Eduard Monse, der vor 1939 Abteilungs-Kommandant für den halben Kreis Liebenwerda war, sowie der Gendarmeriemeister Amerpohl vom NKWD festgenommen.102 Dies scheint zu belegen, dass in diesem Bereich bis zum unteren einfachen Ortspolizisten eine weitestgehende Verhaftungswelle durchgeführt wurde. Bedenkt man, dass es oftmals die Ortspolizisten waren, die als Erste gegen ausländische Arbeiter oder gegen Regimegegner vorgingen und diese gegebenenfalls verhafteten, so war es durchaus nachvollziehbar, dass nach dem Einmarsch der Roten Armee viele Verfolgte des NS-Regimes diese sehr schnell an die sowjetischen Geheimdienste meldeten. Weitere Angaben waren aber zu diesem Aspekt aufgrund der fehlenden Quellen zum deutschen Sicherheitsapparat vor 1945 kaum möglich. Unter Punkt 1 g des NKWD-Befehls 00315 fielen neben den „Leitern von Gebiets-, Stadt- und Kreisverwaltungen“ auch „Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure und Autoren antisowjetischer Veröffentlichungen“.103 Diese Gruppe

 98 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178.  99 Die einzige erhaltene Auflistung von Gendarmeriestationen und den zuständigen Kommandanten aus dem Kreis Liebenwerda stammte aus dem Jahr 1938. Vgl. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1938, Bad Liebenwerda 1937, S. 37. 100 Vgl. Schiepel, Seyda, S. 45. 101 Vgl. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21.4. bis 18.7.1945, S. 7; Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 102 Vgl. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1938, Bad Liebenwerda 1937, S. 37; Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 103 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178.

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wurde, wie es scheint, von den sowjetischen Geheimdiensten als erste verfolgt. Wohl aus Angst, dass die lokalen Verleger, Redakteure und Druckereibesitzer die Bevölkerung gegen die Besatzungsmacht aufwiegeln könnten, schlugen die sowjetischen Geheimdienste in diesem Bereich sofort zu. Bereits am 24. April 1945 – einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee in Bad Liebenwerda – wurde der Druckereibesitzer Karl Zielke verhaftet.104 Nur wenige Tage später, am 28. April 1945, nahm ein Smersch-Offizier die junge 28-jährige Redakteurin des „Liebenwerdaer Kreisblattes“, Ursula Falke, fest. Sie hatte erst kurz vor Kriegsende diese Stelle von dem zur Wehrmacht eingezogenen Dr. Oskar Klauser übernommen.105 In Herzberg entging auch der Verleger des „Schweinitzer Kreisblattes“, Günther Schirrmeister, dem Zugriff der sowjetischen Geheimdienste nicht. Schirrmeister wurde am 30. April 1945 verhaftet und ebenso wie Karl Zielke später nach Bautzen transportiert.106 Berücksichtigte man zudem, dass der Verleger der „Jessener Zeitung“ und Ortsgruppenleiter, Martin Biehl, am Tag des Einmarsches der Roten Armee Selbstmord beging, so waren die wesentlichen Akteure der kleinen Presselandschaft im Untersuchungsgebiet bereits Anfang Mai 1945 tot oder in sowjetischer Haft.107 Durch den NKWD-Befehl Nr. 00315 wurde somit bereits mit Beginn der Besatzung die Presselandschaft entscheidend verändert. Da die führenden Personen verhaftet wurden bzw. nicht mehr am Leben waren, hatten die späteren deutschen Verwaltungen leichtes Spiel bei der Übernahme von Druckereien und Zeitungsredaktionen, um diese für ihre Zwecke zu gebrauchen. Eine weitere große Gruppe von Verhafteten wurde unter dem Vermerk „Sonstige“ geführte. Diese Personengruppe verhaftete der NKWD nicht aufgrund des Punktes 1 des Befehls Nr. 00315, sondern aufgrund des Punktes 3. Darunter fielen „militärische und politische Offiziers- und Mannschaftsdienstgrade der gegnerischen Armee sowie paramilitärische Organisationen Volkssturm, SS, SA wie auch Personal von Gefängnissen, Konzentrationslagern“ usw. Diese sollten laut Befehl Nr. 00315 nicht in Speziallager sondern in Kriegsgefangenenlager des NKWD eingewiesen werden.108 Sie galten somit, auch wenn es große Unterschiede zwischen SS und Volkssturm gab, nicht als Internierte, sondern als Kriegsgefangene. Der Leiter der Abteilung Speziallager des NKWD, Sviridov, ordnete allerdings bereits am 24. Oktober 1945 an, alle diejenigen, die unter

104 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank. 105 Vgl. Ursula Falke, Sieben Jahre im Elend sowjetischer Kerker. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 6. 106 Vgl. Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8. September 1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). 107 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Jessen 1945. 108 Vgl. Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178.

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Punkt 3 des Befehls Nr. 00315 fielen, u. a. Volkssturm, SS und SA, in die Spezial­ lager zu transportieren.109 Die ersten massenhaften Verhaftungen von Angehörigen des Volkssturms setzten allerdings bereits kurze Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee im Untersuchungsgebiet ein. In Schönewalde und Umgebung wurden nahezu alle Volkssturmangehörigen verhaftet. Ausschlaggebend dafür war wohl, dass in der Schönewalder Molkerei die dort angestellten Frauen von Rotarmisten belästigt worden waren, worauf zwei Schönewalder Männer die angetrunkenen Soldaten entwaffneten und die Waffen zur Kommandantur brachten. Der Kommandant reagierte auf diesen Vorfall unverzüglich und ließ am 2. Mai 1945 alle Volkssturmmänner auf dem Marktplatz antreten. Daraufhin wurden 77 Männer – 52 aus Schönewalde, 8 aus Ahldorf, 6 aus Hohenkuhnsdorf und 11 aus Schmielsdorf – unter Bewachung in Richtung Osten in Marsch gesetzt. Im ehemaligen Stalag VIII/E im niederschlesischen Neuhammer wurden die Volkssturmmänner bis zu ihrer Entlassung im September 1946 festgehalten. Acht Schönewalder Volkssturmmänner starben im Kriegsgefangenenlager des NKWD in Neuhammer. 110 Dieser enorme Umfang der Deportationen von Volkssturmangehörigen war allerdings nicht im gesamten Untersuchungsgebiet nachzuweisen. Die Verhaftung aller Volkssturmangehörigen rund um Schönewalde war wohl nur mit einer Überreaktion des örtlichen Kommandanten zu erklären. In anderen Fällen gingen die sowjetischen Geheimdienste differenzierter vor, da dies sonst praktisch bedeutet hätte, dass kaum ein männlicher Deutscher in der SBZ verblieben wäre. In vielen anderen Orten wurde zielgerichtet nach Volkssturmführern gefahndet. Beispielsweise befanden sich auf dem ersten Transport vom Gerichtsgefängnis Bad Liebenwerda nach Mühlberg unter den 44 überstellten Personen 17, die mit dem Vermerk „Führer im Volkssturm“ oder „Kompanieführer im Volkssturm“ geführt wurden.111 Diesen Transport trat beispielsweise der Falkenberger Volkssturm-Kompanieführer Max Tannert an, der zusammen mit Dr. Rudolf Gregor dafür verantwortlich war, dass die Gemeinde kampflos an die Rote Armee übergeben wurde.112 Dr. Rudolf Gregor wurde am 8. Mai 1946 ebenso wie Max Tannert zuvor nach Mühlberg eingewiesen, wo er 1947 109 Vgl. Anordnung des Leiters der Abt. Speziallager zur Aufnahme von Offizieren paramilitärischer Verbände und Einrichtungen in die Speziallager des NKWD in Deutschland vom 24.10. 1945. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 213. 110 Karl-Heinz Keilwagen, Auf den Spuren der Heimat. In: Chronik der Stadt Schönewalde (undatiert), S. 15; Alfred M. an den Minister des Inneren vom 12.7.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 117). Alfred M. befand sich ebenso auf dem Gefangenentransport nach Neuhammer, flüchtete aber fünf Tage nach dem Abmarsch. 111 Übergabeprotokoll mit Häftlingsliste der Operativ Gruppe der Stadt Bad Liebenwerda an den Leiter des Spez.-Lagers des NKWD des Dorfes Burxdorf vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). 112 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 106; Hans und Rosemarie Voelk­ ner (Hg.), Unschuldig in Stalins Hand. Briefe, Berichte, Notizen, Berlin 1990, S. 39 f.

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verstarb.113 Der NKWD inhaftierte also nachweislich nicht nur Volkssturmmänner, die Widerstand leisteten, sondern, wie die Beispiele Tannert und Gregor aus Falkenberg belegen, auch solche, die widerstandslos Gemeinden an die Rote Armee übergaben. Hält man sich vor Augen, dass sich der Volkssturm in den meisten Fällen selbst auflöste und der Roten Armee nahezu keinerlei Widerstand entgegenbrachte, stand das Vorgehen gegen Kompanie-, Zug- und Gruppenführer oder gar gegen einfache Volkssturmangehörige in keinem Verhältnis zum Bedrohungspotenzial des Volkssturms. Ob der Volkssturm eine Partisanentätigkeit entwickelte, spielte bei den Verhaftungen offenbar keine Rolle. Löste sich der Volkssturm in den meisten Fällen beim Herannahen der Roten Armee meist auf, so waren doch im Gegensatz dazu an verschiedenen Stellen des Untersuchungsgebiets vereinzelte Widerstandsbemühungen von Jugendlichen zu verzeichnen. Aus diesem Grund wäre es verständlich gewesen, wenn die sowjetischen Geheimdienste gegen Jugendliche und insbesondere gegen die HJ von Anfang an sehr streng vorgegangen wären. Obwohl im Punkt 1 e des ­NKWD-Befehls 00315 die Verhaftung von „Führern der faschistischen Jugendorganisationen auf Gebiets-, Stadt- und Kreisebene“ vorgesehen war, beschränkte sich das Vorgehen zumindest im Jahr 1945 auf nur sehr wenige Verhaftungen von HJ-Führern.114 Unter anderen wurden beispielsweise der Bad Liebenwerdaer HJ-Lagerführer E. K., der Elsterwerdaer HJ-Führer J. Sch. und der Bockwitzer HJ-Standortführer W. A. verhaftet, wie aus der Gefangenenliste des Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnis vom 25. Juni 1945 hervorging.115 Schaut man sich aber die Altersverteilung der von der Bad Liebenwerdaer Operativen Gruppe nach Mühlberg überstellten Personen an, so waren von 144 Personen lediglich fünf bei Kriegsende jünger als 25 Jahre. Im Gegensatz dazu gehörten 101 Personen (70 Prozent), die direkt von der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda nach Mühlberg transportiert wurden, dem Jahrgang 1900 und älter an.116 So bezogen sich die Verhaftungen und Einweisungen im Jahr 1945 nur im begrenzten Umfang auf Jugendliche, die in der HJ eine Funktion ausübten. Unter dem Vermerk „Führer einer Jugendorganisation“ wurden beispielsweise nur zwei Personen von der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda nach Mühlberg überstellt.117 113 Vgl. Übergabeprotokoll der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 8.5.1946 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 373, unpag.). 114 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178. 115 Vgl. Auflistung der Gefängnisinsassen vom 25.6.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Der Bannführer der HJ im Kreis Liebenwerda (Bann 395), Werner Wind, flüchtete nach dem Einmarsch der Roten Armee aus Bad Liebenwerda. 116 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). 117 Vgl. ebd.

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Auffällig war auch, dass, wenn Jugendliche verhaftet wurden, kaum nach ihrer Mitgliedschaft in der HJ gefragt wurde. Beispielsweise sagte der damals 17-jährige Prösener R. E.: „Ich war Hitlerjunge, war sogar Fähnleinführer. Aber das spielte bei meiner Inhaftierung überhaupt keine Rolle. Ich musste sagen, dass ich Werwolf war, obwohl es das gar nicht gab.“118 Diese Vermutung von R. E. bestätigten auch die Akten des NKWD. Er wurde mit dem Vermerk „Agent der deutschen Spionageabwehr“ von der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda am 6. Dezember 1945 an das Lagerpersonal in Mühlberg übergeben.119 Auch Hans Jahn aus Mügeln bestätigte dies. „Ich war kurz vor Kriegsende kurze Zeit HJ-Gefolgschaftsführer und für den gesamten Bereich rund um Schweinitz zuständig. Dieser Umstand wurde aber in den Verhören nie erwähnt. Lediglich der Waffenbesitz spielte eine Rolle.“120 Das Vorgehen gegen Verantwortliche in der Hitlerjugend stand zumindest im Jahr 1945 in keinem Vergleich zu den Verhaftungen anderer NSDAP-Funktionäre. Zwar wurden im Kreis Liebenwerda alle wesentlichen Führungspersonen des HJ-Bannes 395 (Liebenwerda) verhaftet, aber die Festnahmen beschränkten sich auf die wenigen verfügbaren Stamm- und Lagerführer des Bannes.121 Unterhalb dieser Ebene kam es kaum zu Verhaftungen. In Bezug auf den NKWD-Befehl Nr. 00315 stand das Vorgehen gegen Jugendliche also nicht im Vordergrund, was sich allerdings mit Beginn des Jahres 1946 ändern sollte. Der NKWD/MWD ging ab dem Jahr 1946, wie noch zu zeigen sein wird, nicht mehr aufgrund des Befehls Nr. 00315 gegen zahlreiche Jugendliche vor, sondern die Operativen Gruppen überwiesen diese nun an SMT. Des Weiteren wurden unter den Punkten 1 a bis c des NKWD-Befehls Nr. 00315 u. a. vermeintliche „Spione“, „Diversanten“ und „Betreiber illegaler Funkstationen, Waffenlager und Druckereien“ interniert.122 Darunter befanden sich laut NKWD-Definition alle Personen, die von der Besatzungsmacht als unmittelbare Gefährdung angesehen wurden. Besonders diese Gruppe war besonders schwer zu erfassen, da sich diese Personen bestimmten Institutionen nicht zurechnen ließen. Ob dabei die einzelnen Haftgründe zutrafen, konnte nicht im Einzelnen geklärt werden. R. E. aus Prösen, der als vermeintlicher „Agent der deutschen Spionageabwehr“ im Dezember 1945 nach Mühlberg überstellt wurde, sagte beispielsweise über die Erstellung der Haftgründe: „Die Protokolle waren auf Russisch. Es hieß unterschreiben, dann nach Hause. Also habe ich 118 Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 101. 119 Übergabeprotokoll der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 6.12.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg, Nr. 348, unpag.). 120 Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 121 Der HJ-Bann 395 (Liebenwerda) bestand aus den Stämmen I/395 (Elsterwerda), II/395 (Falkenberg), III/395 (Bad Liebenwerda), IV/395 (Mückenberg) und V/395 (Schraden). 122 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178.

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unterschrieben – was, weiß ich nicht.“ Er behauptete entschieden, keine Aktionen gegen die Besatzungsmacht begangen zu haben.123 Auch die geringe Anzahl derjenigen, die unter diese Haftgründe fielen, verdeutlicht, dass es selbst nach den strengen Kategorien des NKWD kaum nennenswerten politischen oder gar militärischen Widerstand gegen die Besatzungsmacht gegeben haben kann. Beispielsweise lieferte die Operative Gruppe Bad Liebenwerda bis Ende 1946 nur 13 Personen in das Speziallager Mühlberg ein, die als „Späher, Saboteure, Besitzer illegaler Radiostationen, Besitzer von Waffen“ usw. bezeichnet wurden. Dies entsprach lediglich neun Prozent aller von der Operativen Gruppe nach Mühlberg transportierten Häftlinge.124 Auch in der Auflistung der Insassen des Bad Liebenwerdaer Gerichtsgefängnisses vom 26. Juni 1945 wurde kein einziger Häftling registriert, der unter diese Kategorie fiel.125 Allein an der geringen Zahl derjenigen, die unter dem Punkt 1a bis c interniert wurden, ist zu erkennen, dass ein Großteil der Internierungen aufgrund des Befehls Nr. 00315 nicht dem direkten fallbezogenen Schutz der Roten Armee dienten, sondern mit den zahlreichen Verhaftungen von Parteifunktionären, Volkssturmkommandeuren, deutschen Polizisten usw. quasi prophylaktisch eine maximale Sicherheit für die Besatzungsmacht hergestellt werden sollte. In der festen Annahme, dass die Mitglieder der NSDAP, des Volkssturms usw. nicht ohne Weiteres die Besatzungsmacht akzeptieren würden, gingen die so­ wjetischen Geheimdienste gegen diese Gruppen vor. Mit dem Befehl Nr. 00315 war also nicht beabsichtigt, lediglich eine reine Entnazifizierung durchzuführen, sondern vielmehr stand dabei ausschließlich die Sicherung der Herrschaft der Besatzungsmacht im Vordergrund. Neben der direkten Ausschaltung von Personen, von denen die Besatzungsmacht annahm, dass sie ihr gefährlich werden konnten, hatte diese Verhaftungspraxis das Ziel, die Bevölkerung so weit wie möglich einzuschüchtern. Nicht ohne Grund wurden die Verhaftungen ohne Angabe von Haftgründen durchgeführt und später die Häftlinge ohne Kontakt zu deren Familien in den Speziallagern untergebracht. Der verhaftete Herzberger Verleger Günther Schirrmeister schrieb dazu bereits am 4. Juni 1945 in sein Hafttagebuch sehr treffend: „Ich glaube, dass man gegen uns eine Nervensäge einsetzt und dann verschüchtert wieder laufen lässt. Tatsächlich wird sich jeder von uns hüten, etwas für den NS zu tun, zumal wir aus Enttäuschung über den Volksbetrug den NS schrecklich gern vergessen, auch ohne Nervenanspannung. Werden später auch andere Volksgenossen eingesperrt, so wird die Bevölkerung in allen Schichten so ­verschüchtert sein, dass an ein Wiederauftauchen des NS nicht zu denken

123 Heizmann, Schatten der Erinnerung, S. 101 f. 124 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). 125 Vgl. Auflistung der Gefängnisinsassen vom 25.6.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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ist.“126 Sehr früh erkannte Schirrmeister bereits die Intention der sowjetischen Haftpraxis. Nur bezog sich eben dieses Kalkül nicht nur auf das Verhindern des Wiedererstarkens des Nationalsozialismus, was u. a. durch die umfangreichen Verhaftungen auch der kleinsten NS-Funktionäre im Untersuchungsgebiet ohnehin undenkbar war, sondern auf die gesamte Bevölkerung. Die Angst vor dem scheinbar allmächtigen NKWD war zweifellos eine grundlegende Voraussetzung der Diktaturdurchsetzung in der SBZ. Auch wenn sich kein eindeutiges sozial- bzw. klassenbedingtes Verhaftungsschema nachweisen ließ, da dafür umfangreiche Namenslisten fehlten, so wirkte sich die durch die zahllosen Verhaftungen erzeugte Einschüchterung wohl besonders auf die bürgerlichen Bevölkerungsschichten aus. Welche große Wirkung die Verhaftungen auf die bürgerliche städtische Oberschicht hatten, war beispielsweise in Herzberg besonders gut zu erkennen. Nahezu alle führenden Beamten in der Kreisverwaltung sowie die Leiter der NS-Kreisleitung (z. B. Lehrer, Rechtsanwälte oder Handwerker von Beruf), der Verleger Günther Schirrmeister sowie der Fabrikbesitzer Bernhard Marx wurden in Speziallager eingewiesen.127 Zweifelsohne war die Mehrzahl davon NSDAP-Mitglied, doch übten viele davon bereits vor 1933 wichtige Funktionen in der Stadt aus und bildeten somit zu einem großen Teil die städtische Oberschicht. Der Umstand, dass viele aus dieser Schicht mit einem Schlag aus dem Alltagsleben verschwanden, musste das bürgerliche Milieu zwangsläufig verunsichern. Karl Fitzkow schrieb bezogen auf die Stadt Bad Liebenwerda: „Über Jahre hinaus hat damals das Schicksal dieser Menschen die Gemüter erregt und beschäftigt, denn es waren viele unter den Fortgeführten, die als rechtschaffene Bürger bekannt, in ihren Berufen tüchtig und geachtet waren und einer Gewalttat nicht bezichtigt werden konnten.“128 Vor allem der Umstand der grundlosen Festnahme und die vollkommene Unkenntnis über deren Schicksal war dabei der Hauptgrund für die Verunsicherung. Diese Lähmung des bürgerlichen Milieus trug wohl auch nicht unwesentlich dazu bei, dass die Parteigründungen der CDU und LDP im Untersuchungsgebiet bis Anfang 1946 nur sehr langsam vorangingen. Dass die Internierungen aufgrund des Befehls Nr. 00315 ausschließlich der Herrschaftssicherung und Einschüchterung der Bevölkerung dienten, war auch an der regionalen Verteilung der Verhaftungen zu erkennen. Während der Durchsetzung ihrer „prophylaktischen Sicherheitsstrategie“ bauten die sowjetischen Geheimdienste ihr Wirken bis in die kleinsten Dörfer aus. Schaut man sich beispielsweise das Gebiet um Herzberg etwas näher an, so stellt man fest, dass aus Kolochau vier Personen, aus Neudeck und Großrössen drei Personen,

126 Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). 127 Vgl. Chronik der Stadt Herzberg (handschriftlich), S. 11 (KA Herzberg, Historischer Sammlungsbestand Kreis Schweinitz/Herzberg, Nr. 27–29, unpag.). In dieser Chronik befindet sich eine Liste mit 29 Namen von verhafteten Herzbergern. 128 Sachse, Auskünfte V. M. Karl Fitzkow, S. 97.

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aus Jeßnigk, Mahdel, Bahnsdorf, Frauenhorst je zwei Personen und aus Arnsnesta, Borken, Buckau, Dubro, Femerswalde, Gräfendorf und Werchau je eine Person in Speziallager eingewiesen wurden.129 Auch um zu zeigen, dass der Einfluss der sowjetischen Geheimdienste bis in die letzten Winkel des Untersuchungsgebiet reichte, um auch hier eine weitestgehende Verunsicherung der Bevölkerung zu gewährleisten, verhaftete dieser auch in den kleinsten Dörfern Personen, die unter den Befehl Nr. 00315 fielen. Grundsätzlich lässt sich zur Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste sagen, dass sich diese weitestgehend an die Vorgaben des NKWD-Befehl Nr. 00315 hielten. Die „Smersch“ und der NKWD/MWD versuchten die im Befehl aufgeführten Personengruppen zu finden und zu verhaften. Auch wenn es von deutscher Seite oftmals bezweifelt wurde, wohl auch um eine persönliche Verstrickung in das NS-System zu verschleiern, waren die Internierungsgründe, die in den NKWD-Akten angegeben wurden, zumindest für die Personen, die nicht unter die Punkte 1 a bis c des Befehls Nr. 00315 fielen, meist korrekt aufgeführt. Dennoch schloss dies die interessengeleitete Verhaftung von Personen, die sich der geplanten Diktaturdurchsetzung widersetzten, nicht aus. Wie in den späteren Abschnitten noch zu zeigen sein wird, ging der NKWD/MWD meist auf Wunsch der KPD/SED auch gegen kritische bürgerliche Kommunalpolitiker oder Betriebsbesitzer vor. Dass die Operativen Gruppen des NKWD/MWD bei der Umsetzung des Befehls Nr. 00315 an keinerlei rechtsstaatliche Regeln gebunden waren, erleichterte diesen die Ausschaltung kritischer Personen erheblich. Priorität hatte allerdings zuallererst die Verhaftung von NSDAP-Funktionären, deutschem Sicherheitspersonal, Kommandeuren des Volkssturm sowie der SA und SS, Zeitungsredakteuren und -verlegern sowie Beamten der Kreisverwaltungen. 2.4

Die SMT-Verurteilten

Neben den Internierungen auf der Grundlage des NKWD-Befehls Nr. 00315 bestand seit dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland für die sowjetischen Geheimdienste die Möglichkeit, Verhaftete an SMT zu überweisen und diese dort aburteilen zu lassen. Insgesamt wurden in Deutschland von 1945 bis 1955 auf dieser Grundlage mindestens 25 292 Personen von SMT verurteilt.130 Auch im Untersuchungsgebiet ging der NKWD/MWD seit 1946 mehr und mehr dazu über, SMT für die Aburteilung von Verhafteten zu nutzen. In den Datenbanken des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden (HAIT) konnten mindestens 85 ­Prozesse vor SMT identifiziert werden, in denen Personen aus den beiden Kreisen ­Liebenwerda und

129 Vgl. Meldung der Inhaftierten und vom Wahlrecht ausgeschlossenen Personen im Bezirk Herzberg vom 28.8.1946 (StA Herzberg, Nr. 204, unpag.). 130 Hilger/Schmeitzner/Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, S. 784.

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Schweinitz vor Gericht standen.131 Da allerdings auch in den HAIT-Datenbanken bei ca. der Hälfte der Fälle kein letzter Wohnort bzw. dieser sehr verzerrt angegeben wurde, kann man von weit mehr Personen ausgehen. Schätzungsweise betraf es wohl ca. 100 bis 150 Personen aus dem Untersuchungsgebiet, die von SMT abgeurteilt wurden. Von den bekannten Fällen wurde keine Person bereits 1945 angeklagt. Dies deckte sich auch mit der Entwicklung in der gesamten SBZ, wo im Jahr 1945 lediglich 780 Personen (3,1 Prozent) von SMT verurteilt wurden.132 Erst im Jahr 1946 setzte eine größere Spruchtätigkeit der SMT ein. Von den 85 im Untersuchungsgebiet verzeichneten SMT-Prozessen wurden 21 bereits im Jahr 1946 durchgeführt.133 Auf der anderen Seite gingen in diesem Jahr die Internierungen aufgrund des Befehls Nr. 00315 erheblich zurück. Im gesamten Jahr 1946 überwies beispielsweise der NKWD/MWD in Bad Liebenwerda nur noch 30 Personen direkt aufgrund des Befehls Nr. 00315 nach Mühlberg.134 Während also die Internierungen im Jahr 1946 langsam weniger und schließlich Anfang 1947 eingestellt wurden, stieg im Gegensatz dazu die Anzahl der SMT-Urteile deutlich an. Erst im Jahr 1949 ging schließlich die Anzahl der SMT-Prozesse wieder langsam zurück. So konnten in den Jahren 1949 und 1950 nur noch jeweils acht Prozesse vor SMT im Untersuchungsgebiet festgestellt werden. Weitere zwei Prozesse fanden im Jahr 1951 statt.135 In der gesamten SBZ wurden hingegen noch bis in das Jahr 1955 einzelne Prozesse vor SMT durchgeführt.136 Auch die Zusammensetzung der Urteilsgründe war im Untersuchungsgebiet ähnlich strukturiert wie in der gesamten SBZ. So wurden zunächst von den 85 festgestellten Angeklagten 53 aufgrund des § 58 abgeurteilt.137 Davon fielen wiederum 29 Urteilssprüche unter den § 58–14 (Waffenbesitz) und 15 Urteilssprüche unter den § 58–2 (Aufstand/Eindringen in die Sowjetunion). Weitere sechs Personen wurden aufgrund des § 58–6 (Spionage) und jeweils eine Person aufgrund der § 58–8 (Terror), § 58–11 (Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation) und § 58–12 (Unterlassung einer Anzeige) verurteilt. Unter § 84 (illegaler Grenzübertritt) fielen zwei Personen sowie unter den § 59–3 (Banditismus/Verletzung von Verkehrs- und Transportvorschriften),

131 HAIT-Datenbanken. Die Suche nach den SMT-Verurteilten aus dem Untersuchungsgebiet wurde nach Wohnorten durchgeführt. Bei Ortsnamen, die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, wie z. B. Naundorf, Seehausen usw., wurden diese Namen nicht mit in die Zählung einbezogen. Weitere sieben Personen wurden aufgrund der Angaben von Hans Jahn identifiziert. 132 Hilger/Schmeitzner/Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, S. 784. 133 HAIT-Datenbanken. 134 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR 1946 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). 135 HAIT-Datenbanken. 136 Hilger/Schmeitzner/Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, S. 784. 137 HAIT-Datenbanken.

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dem Kontrollratsbefehl Nr. 2 (Ablieferung von Waffen) und dem Gesetz vom 7.  August 1932 (Diebstahl sozialistischem Eigentums) jeweils eine Person.138 Die meisten Verurteilten aus dem Untersuchungsgebiet wurden demnach Verbrechen gegen die Besatzungsmacht vorgeworfen. Diese Urteile bezogen sich wiederum ausschließlich auf die Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee. Die meisten SMT-Prozesse hatten also nicht das Ziel, NS-Verbrechen aufzuklären, sondern dienten wie die Internierungen nach Befehl Nr. 00315 vor allem der Herrschaftssicherung der Besatzungsmacht. Lediglich 13 Personen wurden im Untersuchungsgebiet nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 und nur vier Personen aufgrund des Ukaz 43 verurteilt, welche u. a. auf die Verfolgung von Kriegsverbrechen abzielten. Bei weiteren zehn Personen wurden die Urteilsgründe nicht angegeben. Da bei sechs Personen keine Haftstrafe verzeichnet wurde, deutete dies wahrscheinlich auf einen Freispruch hin.139 Eine große Besonderheit stellte die Altersverteilung bei den im Untersuchungsgebiet registrierten SMT-Fällen dar. Von den 85 angeklagten Personen waren 31 bei Kriegsende nicht älter als 20 Jahre (36,5 Prozent). Den jüngsten Verurteilten aus dem Untersuchungsgebiet verhaftete das Ministerium für Innere Angelegenheiten (MWD) mit 15 Jahren.140 Ganz im Gegensatz zu den Internierungen aufgrund des Befehls Nr. 00315, nach denen nur sehr wenige Jugendliche in die Speziallager überstellt wurden, war der Anteil der Jugendlichen unter den SMT-Verurteilten bedeutend höher. Schaut man sich die Gesamtentwicklung in der SBZ an, wird dies bestätigt. So gehörten 29,5 Prozent aller Verurteilten in der SBZ dem Jahrgang 1926 und jünger an.141 Dass überdurchschnittlich viele Personen verhaftet wurden, die bei Kriegsende noch nicht volljährig waren, verdeutlichte erneut, dass es dem NKWD/MWD in Bezug auf die SMT-Prozesse nur am Rande um die Verfolgung von NS-Verbrechen ging. Zwar fehlen bisher überlieferte Befehle des NKWD/MWD, die den Geheimdienst anwiesen, besonders gegen Jugendliche in der SBZ vorzugehen, aber der überdurchschnittliche Anteil von sehr jungen Personen an der Gesamtzahl der SMT-Verurteilten lässt deutlich darauf schließen, dass sich dieser seit Anfang 1946 besonders auf diese Gruppe konzentrierte. So verlangte z. B. der MWD in Bad Liebenwerda von den Amtsvorstehern im Kreis Liebenwerda am 23. Mai 1946 eine Aufstellung aller „HJ-Führer, vom Kameradschaftsführer an, einbegriffen auch Edelweiß-Führer“. Des Weiteren sollten in jeder Gemeinde alle Personen, die über 15 Jahre alt waren, für den MWD erfasst werden.142 Alles deutete darauf hin, dass Jugendliche im Laufe des Jahres 1946 immer mehr in den Fokus des MWD rückten.

138 139 140 141 142

Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. Hilger/Schmeitzner/Schmidt (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, S. 790. Amtsvorsteher als OPB in Großthiemig an die Herrn Gemeindevorsteher des Amtsbezirks vom 23.5.1946 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.).

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Unmittelbare Gründe dafür im Untersuchungsgebiet zu finden, war allerdings schwierig. Dennoch zeigte sich in mehreren Quellen, dass wohl viele Jugendliche auch nach dem Kriegsende immer noch stark vom nationalsozialistischen Gedankengut beeinflusst waren. Beispielsweise wurde der Bad Liebenwerdaer Pfarrer Gustav Adolf Schulze (CDU) in einer Antifa-Kreisausschusssitzung am 23. Januar 1946 wie folgt zitiert: „Herr Pfarrer Schulze führte zu dem Jugendproblem aus, dass die deutsche Jugend auf einem solch tiefen Niveau stehe und daher für politische Erziehung noch nicht aufnahmefähig ist. Es täte sehr not, statt der faschistischen Ideen wirkliche Bildung in sie hineinzupflanzen.“143 Unter diesen Umständen kam es wohl auch zu einigen wenigen Zwischenfällen mit ehemaligen HJ-Mitgliedern, die z. B. versuchten, politische Versammlungen der KPD zu stören. Hierzu berichtete der Schweinitzer KPD-Kreisverband im Monatsbericht für den Januar 1946: „Für den 5. 1. war in Herzberg eine große öffentliche Jugendversammlung einberufen, die aber von ehemaligen Hitlerjugend-Anhängern so stark gestört wurde, dass sie abgebrochen werden musste […]. Es ist das erste Zeichen welcher Art von organisierten Störungen ehemaliger HJ-Anhänger im Unterbezirk Halle-Merseburg […].“144 Ob diese Störungen letztlich ausschließlich auf die HJ-Mitgliedschaft der Jugendlichen, die ohnehin im Dritten Reich obligatorisch war, zurückzuführen war, muss dahingestellt bleiben. Allerdings allein die Behauptung des KPD-Kreisverbandes, dass es sich hierbei um eine organisierte Störung der aufgelösten HJ handelte, zeigte, wie wenig Vertrauen selbst Deutsche in die politische Zuverlässigkeit der Jugend besaßen. Wenn bereits zahlreiche deutsche Verantwortliche Jugendlichen unterstellten, stark vom nationalsozialistischen Gedankengut beeinflusst zu sein, wie misstrauisch mussten dann erst die sowjetische Besatzungsmacht und vor allem die sowjetischen Geheimdienste gewesen sein. Insgesamt blieb aber, trotz der vermeintlichen größeren Sensibilität der Jugend für nationalsozialistisches Gedankengut, festzuhalten, dass im gesamten Untersuchungsgebiet nach dem offiziellen Kriegsende kein einziger Fall eines gewaltsamen Übergriffs gegen die Besatzungsmacht nachweisbar war. Einer der ersten jugendlichen SMT-Verurteilten im Untersuchungsgebiet war der damals 17-jährige Joachim Merseburg aus Jessen. Zusammen mit sieben weiteren Jugendlichen aus Jessen wurde er am 14. Februar 1946 verhaftet und zunächst im „GPU-Keller“ der Operativen Gruppe in Jessen festgehalten. Vier Tage später und nach mehreren Verhören wurde er nach Torgau überführt, wo die SMT-Verhandlung stattfand. „Gemeinsam mit sieben Jugendlichen aus Jessen, die ich von der Schule her kannte, saß ich auf der Anklagebank. Meine Anklage lautete:

143 Protokoll der Antifa-Kreisausschusssitzung vom 23.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 144 Monatsbericht für Januar 1946 der Unterbezirksleitung der KPD Halle-Merseburg (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 28, unpag.).

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a. Gruppenbildung (weil ich die Schulkameraden kannte), b. feindliche Gesinnung (weil ich keiner kommunistischen Jugendorganisation beigetreten war), c. Wiederkehr des Faschismus wird erwartet (weil ich bei der Hitlerjugend tätig gewesen war und mich zu dem Kommunismus und seinen Organisationen passiv verhielt). Ähnlich lauteten für alle Angeklagten die Tatbestände. Die Übersetzung war mangelhaft, und eine Verteidigung fand nicht statt […]. Der ganze Vorgang dauerte 30 Minuten.“145 Laut Datenbank des HAIT wurde Joachim Merseburg nach § 58–2 (bewaffneter Aufstand oder Eindringen von bewaffneten Banden in das Sowjetgebiet in gegenrevolutionärer Absicht) zu sieben Jahren Arbeitslager verurteilt.146 Ähnlich wie in Jessen ging der NKWD/MWD auch im Juli 1947 in Mügeln und Umgebung vor. Auch hier wurde eine Gruppe von zehn Jugendlichen verhaftet und zunächst in Herzberg bei der Operativen Gruppe inhaftiert, bevor diese kurze Zeit später nach Torgau verlegt wurde. Hans Jahn aus Mügeln, der letzte heute noch Lebende dieser Gruppe, sagte dazu: „Die Verhaftungsaktion begann an einem Montag. Die Russen kamen mit einem Lkw, mit dem sie uns abholten. Sie fragten beim Bürgermeister nach mehreren Jugendlichen, der diese zu ihnen führen musste. Nachdem am Montag bereits 3 Jugendliche aus Mügeln verhaftet wurden, holten sie mich am Diensttag ab. Da die Verhaftungen aber so lange dauerten und noch weitere Jugendliche auf der Liste der Russen standen, konnten noch einige aus Mügeln fliehen.“147 In Torgau verurteilte ein SMT die zehn Jugendlichen aufgrund des § 58–14 (Waffenbesitz) zu zehn Jahren Haft.148 Zu der Verhandlungsführung stellte Hans Jahn fest: „Die gesamte Verhandlung war auf Russisch. Der Verteidiger, den ich vorher nie gesehen hatte, sagte kaum ein Wort.“149 Auch im nur fünf Kilometer von Mügeln entfernten Dörfchen Linda wurden vier Jugendliche am 21. März 1947 von der Besatzungsmacht verhaftet.150 Günther Boche sagte dazu Folgendes: „Wir wurden denunziert und man behauptete, wir würden Waffen besitzen. Abgesehen von einem aus unserer Gruppe hatten wir aber keine Waffen. Nur unmittelbar nach dem Krieg, als überall Waffen

145 Achim Kilian, Die Häftlinge in den sowjetischen Speziallagern der Jahre 1945–50. In: Materialien der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der Deutschen Einheit im Deutschen Bundestag, Band 4, Teil 1, Berlin 1999, S. 429 f. 146 HAIT-Datenbanken. 147 Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 148 Vgl. HAIT-Datenbanken. 149 Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 150 Vgl. HAIT-Datenbanken. Es handelte sich dabei um Günther Boche (geb. 1929), Günther Rolf (geb. 1930), Werner Zimaneck (geb. 1929) und Kurt Johannes (geb. 1927).

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zu finden waren, haben wir einige mitgenommen.“151 Da die Denunziation aus dem Nachbarort im Kreis Jüterbog kam, so vermutete Günther Boche, wurden die vier Jugendlichen aus Linda zunächst nach Jüterbog gebracht und von dort weiter nach Cottbus transportiert, wo sie verhört und schließlich am 26. Juni 1947 zu je zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Zu den Verhören und dem Prozess sagte Günther Boche: „Die Verhöre waren immer nachts. Während des Verhörs wurde ich aber nicht geschlagen. Der Vernehmungsoffizier schien ganz anderes im Kopf zu haben, als sich mit meinem Fall zu beschäftigen. Er fragte immer wieder nach Waffen und ob noch andere in unserer Gruppe wären. Ich habe beides immer bestritten.“152 Da Günther Boche wohl konsequent den Waffenbesitz abstritt, wurde er nicht aufgrund des § 58–14 (Waffenbesitz), sondern aufgrund des § 58–2 (Aufstand/Eindringen in die Sowjetunion) verurteilt.153 Auf den Urteilsspruch angesprochen, sagte er: „Wir Jugendliche aus dem Dorf, wir trafen uns jeden Abend in den Häusern, auch mit Mädchen, und machten Spiele usw. Das wurde uns als Verschwörung ausgelegt. Die Russen interessierten uns damals hier im kleinen Linda überhaupt nicht.“154 Die vier Jugendlichen aus Linda wurden nach dem Urteilsspruch in das Bautzener Gefängnis überstellt, in dem, wie Günter Boche bestätigte, sehr schlechte Haftbedingungen vorherrschten. Ende 1948 transportierte der MWD die vier Jugendlichen in das Speziallager nach Sachsenhausen, wo drei, darunter auch Günther Boche, Anfang des Jahres 1950 freigelassen wurden. Werner Zimaneck aus Linda wurde jedoch an die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) überstellt und musste noch einige Jahre in Haft verbleiben.155 Der NKWD/MWD verhaftete, wie die Beispiele zeigten, oftmals ganze Gruppe von Jugendlichen, vermutlich in der Annahme, damit Widerstandsgruppen ausgehoben zu haben. Dies hatte für die kleinen Dörfer Mügeln und Linda oftmals große Auswirkungen, da mehrere Jugendliche, die kaum 20 Jahre alt waren, in sowjetische Haft verschwanden. Dabei muss betont werden, dass die Angehörigen der SMT-Verurteilten genauso wie die Internierten nach Befehl Nr. 00315 keine Nachricht über den Verbleib ihrer Verwandten erhielten.156 Die Jugendlichen im Untersuchungsgebiet wurden meist aufgrund des § 58– 14 (Waffenbesitz) abgeurteilt. So wurden 20 Personen, die bei Kriegsende unter 25 Jahre alt waren, aufgrund dieses Paragrafen im Untersuchungsgebiet verhaftet.157 Waffenbesitz stand zwar auch in den westlichen Besatzungszonen unter Strafe, aber die in der sowjetischen Besatzungszone veranschlagte Strafe von 151 Erinnerungsprotokoll von Günther Boche vom 5.3.2012. Günther Boche (geb. 1929) wuchs in Linda auf und erlebte hier das Kriegsende mit. 152 Ebd. 153 Vgl. HAIT-Datenbanken. 154 Erinnerungsprotokoll von Günther Boche vom 5.3.2012. 155 Vgl. ebd. 156 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 157 Vgl. HAIT-Datenbanken.

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zehn Jahren Haft stand im krassen Kontrast dazu. Hans Jahn leugnete beispielsweise nicht, dass er zusammen mit den anderen Mügelner Jugendlichen Waffen besaß. „Wir hatten nach dem Krieg alle Waffen und es kam sogar vor, dass in einem Fall damit gewildert wurde. Gegen die Russen wollten wir aber ganz sicher nicht vorgehen.“158 Der Vorwurf des Waffenbesitzes traf wohl oftmals sogar tatsächlich zu. So besaßen wahrscheinlich viele abenteuerlustige Jugendliche, die zudem durch die vormilitärische Ausbildung der HJ geprägt waren, Waffen, die damals überall in der Flur verteilt zu finden waren. Die sowjetische Besatzungsmacht tat dies aber nicht als jugendlichen Leichtsinn ab, sondern vermutete darin den Anfang zum militärischen Widerstand. Die SMT-Urteile gegen Jugendliche waren offenbar in den meisten Fällen eine deutliche Überreaktion der Besatzungsmacht. Alle noch lebenden Verhafteten stellten fest, dass es in den Verhören nicht darauf ankam, ob diese die Waffen auch gegen die Besatzungsmacht einsetzten wollten, sondern lediglich allein der Waffenbesitz schien den Vernehmungsoffizieren für eine Anklage zu genügen. Die Besatzungsmacht differenzierte also nicht zwischen der Tat, der Absicht und dem bloßen Besitz von Waffen. Der NKWD/MWD ging wohl selbstverständlich davon aus, dass alle Waffenbesitzer potenzielle Gegner der Besatzungsmacht waren, die schnell aus dem Verkehr gezogen werden mussten. In dieser Vorgehensweise konnte man erneut das „prophylaktische“ Vorgehen des NKWD/MWD erkennen. Neben den Prozessen aufgrund des § 58 lohnt es sich auch, auf die Fälle aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 näher einzugehen. Auch diesen Verurteilten konnten nicht pauschal NS-Verbrechen vorgeworfen werden, auch wenn sie dafür verurteilt wurden. Das bekannteste Beispiel im Untersuchungsgebiet war dafür wohl der SMT-Prozess gegen Willy Rose aus Elsterwerda. Rose war Leiter der Stadtwerke Elsterwerda und kurze Zeit nach Kriegsende Elsterwerdaer Bürgermeister. Nach der Gründung der CDU trat er am 18. Dezember 1945 der Partei bei und wurde stellvertretender Vorsitzender des CDU-Ortsvereins Elsterwerda.159 Nachdem er 1946 zum Kreistagsabgeordneten der CDU gewählt und daraufhin zum ehrenamtlichen Kreisrat berufen wurde, setzte auch gegen Willy Rose eine Denunziationskampagne ein, die darin endete, dass Rose vom MWD in der Nacht vom 11. zum 12. August 1947 festgesetzt wurde. Der CDU-Stadtverband Elsterwerda machte vor allem SED-Mitglieder für diese Verhaftung verantwortlich.160 Willy Rose wurde bereits 1945 vom NKWD aufgrund des Vorwurfs, Kriegsgefangene geschlagen zu haben, für kurze Zeit verhaftet,

158 Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 159 Vgl. Lebenslauf von Willy Rose vom 27.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 1752, unpag.); Einschätzung des CDU-Ortsverbandes Elsterwerda über Willy Rose vom 28.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 1752, unpag.). 160 Vgl. CDU-Ortsverein Elsterwerda an den Vertreter der CDU im Ausschuss der Direktive 24 in Halle zum „Fall Rose“ vom 20.8.1947 (ACDP Sankt Augustin, III-032-003/1, unpag.). Die Umstände des Falles von „Willy Rose“ wurden in diesem Schreiben breit umschrieben.

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allerdings später vom Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda von diesem Vorwurf entlastet.161 Nach „unliebsamen Zwischenfällen über die Besetzung der Stelle des Leiters der Stadtwerke Elsterwerda“, so der CDU-Vorwurf, musste sich Rose jedoch erneut vor dem „Ausschuss der Direktive 24“ zu diesen Vorwürfen verantworten. In der Sitzung des Ausschusses wurde Rose mit der Mehrheit der drei SED-Vertreter als „Kriegsverbrecher“ eingestuft.162 Der MWD reagierte umgehend auf die Entscheidung des Ausschusses und verhaftete Willy Rose. Trotz des massiven Einspruchs der CDU, die vom örtlichen MWD Auskunft verlangte, wurde Rose von einem SMT aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 verurteilt.163 Ob Rose tatsächlich Kriegsgefangene geschlagen hatte, war nicht mehr nachzuweisen. Aber allein die Tatsache, dass er zur Kreistagswahl zunächst zugelassen und vom Ausschuss zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda freigesprochen wurde, ließ erheblich an der Glaubwürdigkeit des Vorwurfs zweifeln. Dass die Vorwürfe gegen Willy Rose von der SED-Ortsgruppe Elsterwerda ausgingen, bestätigte außerdem der stellvertretende Landrat Bothe am 25. September 1946. Er schrieb, dass ihm „eine Eingabe der SED-Ortsgruppe Elsterwerda“ vorlag, aus der ersichtlich war, „dass Willy Rose, Elsterwerda, zu den Kriegsverbrechern gehört“.164 Da Rose zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf als einflussreicher Kreistagskandidat die CDU vertrat, wurde dieser Vorwurf wohl bewusst verbreitet. Nach der Verhaftung und dem Prozess wurde Willy Rose im Speziallager Sachsenhausen inhaftiert und später nach Waldheim überführt, wo er am 2. Juni 1952 verstarb.165 Der „Fall Rose“ belegte, dass der NKWD/MWD zusammen mit der lokalen SED auch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 gelegentlich dafür verwendete, um Personen auszuschalten, die sich kritisch gegenüber der SED verhielten. Ob dies auch bei weiteren Fällen zutraf, die unter das KG 10 fielen, konnte aufgrund der fehlenden Quellen zu den übrigen Fällen nicht festgestellt werden, doch konnte vor einem SMT wohl jede Anschuldigung in eine Strafe umgewandelt werden. Jeder Zeitzeuge berichtete von den schnellen und auf Russisch

161 Vgl. Liebenwerdaer Kreisverwaltung über den „Fall Rose“ an die Abteilung Wirtschaft der Provinzialverwaltung vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 249, Bl. 222). Hierin wurde ausgeführt, dass sich Zeugen während der Vernehmung vor dem Ausschuss widersprachen. Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage des Kreises Liebenwerda vom 5.1.1947 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 305). 162 CDU-Ortsverein Elsterwerda an den Vertreter der CDU im Ausschuss der Direktive 24 in Halle zum „Fall Rose“ vom 20.8.1947 (ACDP Sankt Augustin, III-032–003/1, unpag.). 163 Vgl. HAIT-Datenbanken. 164 Stellvertretender Liebenwerdaer Landrate über Willy Rose an den Elsterwerdaer Bürgermeister vom 25.9.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 249, Bl. 237, unpag.). 165 Vgl. Sterbeurkunde von Willy Rose vom 30.1.1990. Die Sterbeurkunde befindet sich als Kopie im Elsterwerdaer StA.

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geführten Verhandlungen, in denen der Verteidiger meist kein Wort sagte.166 Von rechtsstaatlichen Verhältnissen konnte man dabei nicht sprechen. Freisprüche waren unter diesen Bedingungen eine Seltenheit. Entscheidend waren die Vorwürfe des NKWD/MWD, die zudem meist unter Folter bestätigt wurden.167 Wer vom NKWD/MWD als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde, hatte kaum eine Chance, vor einem SMT freigesprochen zu werden. Die verhängten hohen Strafen standen zudem in unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Praxis. So wurden zwei Personen aus dem Untersuchungsgebiet aufgrund des Ukaz Nr. 43 zum Tode verurteilt. Ein Todesurteil wurde 1948 auf 25 Jahre herabgesetzt. Für weitere 16 Personen wurde ein Strafmaß von 25 Jahren angesetzt. Das unterste Strafmaß betrug drei Jahre Haft, welches allerdings nur in zwei Prozessen ausgesprochen wurde. Am häufigsten verurteilte man die Verhafteten (40 Personen) zu zehn Jahren Haft. Insgesamt erhielten 64 Personen eine Strafe von zehn Jahren und mehr ausgesprochen.168 Vergleicht man die tatsächlichen Vergehen zu diesem hohen Strafmaß, so stand die Strafe oftmals in keinem Verhältnis dazu. Bedenkt man außerdem, dass viele Verurteilte in NKWD/MWD-Speziallager eingewiesen wurden, wo die menschenunwürdigsten Lebensbedingungen herrschten, und mehrere Verurteilte in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert wurden, so steigerte sich die Härte der Strafen nochmals enorm. 2.5

Die Transporte in die NKWD/MWD-Speziallager

Nachdem in den letzten beiden Abschnitten ein umfassender Blick auf die Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste geworfen wurde, soll im folgenden Abschnitt der Verbleib der Häftlinge und deren Haftumstände dargestellt werden. Alle Verhafteten, die unter Punkt 1 des Befehls Nr. 00315 fielen, sollten in sogenannte Speziallager des NKWD eingewiesen werden. Im Befehl Nr. 00315 wurde dazu festgelegt: „Um die Verhafteten an Ort und Stelle unterzubringen, haben die Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR die nötige Anzahl von Gefängnissen und Lagern einzurichten.“169 Eine erste genaue Aufstellung über diese Speziallager des NKWD in Deutschland erfolgte am 10. Mai 1945. Für die fünf in Deutschland operierenden Fronten der Roten Armee, in denen jeweils ein Frontbeauftragter des NKWD für die Lager und Gefängnisse zuständig war, wurden laut dieser Aufstellung 28 Lager und Gefängnisse

166 Vgl. Erinnerungsprotokolle von Hans Jahn, Edmund Knorre und Günther Boche. 167 Vgl. ebd. Hans Jahn und Edmund Knorre sprachen von Schlägen in den „GPU-Kellern“ der Operativen Gruppe Herzberg bzw. Bad Liebenwerda. Nur Günther Boche konnte dies für seine Verhöre in Cottbus nicht bestätigen. 168 HAIT-Datenbanken. 169 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00315 vom 18.4.1945 „Zur teilweisen Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11.1.1945“. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 178–180.

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e­ ingerichtet. Dem Frontbeauftragten der 1. Ukrainischen Front, der u. a. auch für das Untersuchungsgebiet zuständig war, wurden die drei Gefängnisse Tost und Oppeln in Oberschlesien und das Gefängnis Rawitsch in der ehemaligen Provinz Posen zugewiesen. Das Hauptlager der 1. Ukrainischen Front bildete das Gefängnis Rawitsch.170 Die von den sowjetischen Geheimdiensten im Gebiet der 1. Ukrainischen Front verhafteten Personen sollten alle zunächst in diese drei Gefängnisse eingewiesen werden. Bevor der Krieg allerdings endete, war es für die „Smersch“-Abteilungen, die mit den noch kämpfenden Truppen der Roten Armee in Richtung Prag vorrückten, kaum möglich, die eiligst im Untersuchungsgebiet verhafteten Personen in Lager zu überstellen. So transportierten in den ersten Tagen der Besatzung oftmals mehrere „Smersch“-Abteilungen die verhafteten Personen zusammen mit den vorstoßenden Verbänden der Roten Armee bis nach Böhmen. Der Herzber­ ger Verleger des „Schweinitzer Kreisblattes“ Günther Schirrmeister schilderte in seinem aus dem Speziallager geschmuggelten Tagebuch diese ersten Tage im Gewahrsam der „Smersch“ sehr eindrucksvoll.171 Der Weg von Günther Schirrmeister, mit dessen „Smersch“-Abteilung auch mehrere andere Personen aus dem Untersuchungsgebiet unterwegs waren, u. a. der Herzberger Hans Sprengler (Aufseher über die ausländischen Arbeiter bei der Firma Marx & Moschütz) und der Hohenleipischer Schiedsmann Paul Edlich, führte an Dresden vorbei über Lobositz bis nach Kostice, wo sie am 12. Mai 1945 ankamen. Der Aufenthalt im böhmischen Kostice endete erst am 25. Mai 1945, als die Gruppe um Günther Schirrmeister in das Landgerichtsgefängnis nach Freiberg verlegt wurde, wo sie auf ihre Einweisung in ein Speziallager wartete.172 Dass für die ersten von „Smersch“ verhafteten Personen die Zeit vor dem Kriegsende sowie kurz danach zu einer wahren Odyssee durch das kriegszerstörte Deutschland werden konnte, bestätigte auch die Redakteurin des „Liebenwerdaer Kreisblattes“, die zusammen mit dem Druckereibesitzer Karl Zielke von einer anderen „Smersch“-Abteilung mitgeführt wurde. Sie schrieb: „Als wir mitsamt der gesamten russischen Wehrmacht – Panzern, Pontons, Lkw, Panjewäggelchen, Artillerie – zusammen Dresden eingenommen haben, darf ich in einer verlassenen Villa für unsere Begleitmannschaft und uns kochen […].“173 Weiter führte sie über ihren Marsch aus: „Ganz Schlesien scheint ausgestorben zu sein. Leere Straßen, verlassene Dörfer, vereinsamte Felder, abgebrannte Wälder. In allen Gräben liegen Leichen, auf den Weiden Kadaver von Pferden und Kühen. Auch sind wir jetzt schon weit weg von daheim.“174 170 Vgl. Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 00461 „Zur Organisation von Lagern (Gefängnissen) bei den Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR“ vom 10.5.1945. In: Foitzik/Petrow, Die Sowjetischen Geheimdienste, S. 205. 171 Vgl. Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). 172 Vgl. ebd. 173 Falke, Sieben Jahre im Elend, S. 8. 174 Ebd., S. 8 f.

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Erst mit Kriegsende am 8. Mai 1945 gingen schließlich auch die „Smersch“-Abteilungen, die in die kämpfenden Truppenteile der Roten Armee eingebettet waren, dazu über, die mitgeführten Gefangenen in Speziallager zu überführen. Ursula Falke wurde daraufhin in das Hauptgefängnis der 1. Ukrainischen Front Rawitsch gebracht. Über den Transport dorthin berichtete sie: „Drei Wochen ziehen wir im Land herum, immer ein bisschen mehr östlich. Wir waschen uns nicht, wir kämmen uns nicht, wir schlafen auf der Erde, wir hungern, mit Verlaub.“175 Da die Transportlisten nach Rawitsch bisher nicht vorlagen, war nicht feststellbar, wie viele Personen aus dem Untersuchungsgebiet zunächst nach Rawitsch gebracht wurden. Ebenso sind bisher keine Gefangenenlisten des Gefängnisses Rawitsch bekannt geworden. Aufgrund der schnellen Verlegung des Gefängnisses Rawitsch nach Bautzen Ende Mai 1945, kam vermutlich nur der Transport mit Ursula Falke mit Personen aus den beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz in Rawitsch an. In Bautzen entstand das neue Hauptgefängnis der 1. Ukrainischen Front. Mit dieser Verlegung trennten sich auch die Wege von einigen Personen aus dem Untersuchungsgebiet. Beispielsweise wurde der Bad Liebenwerdaer Druckereibesitzer Karl Zielke von Rawitsch nach Bautzen verlegt.176 Ursula Falke hingegen transportierte der NKWD mit einem großen Transport in das Zuchthaus Oppeln. Über die Lebensbedingungen im Oppelner Zuchthaus führte sie aus: „Ja, es hilft nichts, unseren Männern geht es sehr schlecht […]. Viele werden es mir nicht glauben, wenn ich von den täglichen qualvollen Schreien erzähle, die die Gewölbe des Zuchthauses erbeben machten, oder von den vielen Sterbenden, die ohne Hilfe und Zuspruch die letzten schweren Stunden allein durchkämpfen mussten, oder von den verhungerten Elendsgestalten, die an mir vorbeiwankten und die ich nicht mehr erkannte, bis sie eines Tages überhaupt nicht mehr aufstanden.“177 Unter diesen Umständen verstarb im Oppelner Zuchthaus bereits am 26. Juni 1945 der Grödener Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Manig, der sich auf dem gleichen Transport wie Ursula Falke befand.178 Er war das erste bekannte Todesopfer in einem NKWD-Gefängnis aus dem Untersuchungsgebiet. Ob weitere Verhaftete aus dem Untersuchungsgebiet unter diesen Bedingungen in Oppeln umkamen, konnte ohne Transportlisten nicht geklärt werden. Das Lager Oppeln wurde schließlich Ende des Jahres 1945 aufgelöst und die verbliebenen Häftlinge über das Lager Graudenz in das NKWD-Speziallager Nr. 9 Fünfeichen bei Neubrandenburg transportiert.179

175 Ebd., S. 6. 176 Vgl. Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). Günther Schirrmeister berichtete in seinem Tagebuch, dass er im Gefängnis in Bautzen Karl Zielke traf, der zuvor in einer „Haftanstalt südlich von Posen“ untergebracht war. 177 Falke, Sieben Jahre im Elend, S. 14. 178 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank. Otto Manig wurde in der DRK-Datenbank als „Otto Mang“ mit dem Geburtsort „Kraiten“ geführt. 179 Vgl. Falke, Sieben Jahre im Elend, S. 18–22.

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Da das Hauptgefängnis der 1. Ukrainischen Front Ende Mai 1945 nach Bautzen verlegt wurde, begannen „Smersch“-Abteilungen sowie auch die Operativen Gruppen des NKWD ab diesem Zeitpunkt die Verhafteten aus dem Untersuchungsgebiet in das Bautzener Gefängnis einzuweisen. Aus diesem Grund wurde auch Günther Schirrmeister von Freiberg am 30. Mai 1945 nach Bautzen transportiert. Nachdem Schirrmeister am 1. Juni 1945 dort ankam, schilderte er tags darauf seine ersten Eindrücke: „Trotz der Bahnfahrt in den dreckigen Bahnwagen keinerlei Waschmöglichkeiten, auch nicht in Bautzen, Schweinerei! […] In Bautzen noch kein Wasser – der Hunger ist doch so, dass, wenn man nur an Wurst oder bestrichenes Brot denkt, man eine unheimliche Esslust bekommt […]. Alles ist so traurig! Die Ungewissheit, wann es nach Hause geht, ist am schlimmsten.“180 Ein Großteil der im Untersuchungsgebiet bis zu diesem Zeitpunkt Verhafteten kam am 14. Juni 1945 in Bautzen an. An diesem Tag übergab der Operative „Smersch“-Bevollmächtigte der 13. Armee, die auch Teile des Untersuchungsgebiets besetzte, dem Bautzener Gefängnischef 898 Personen.181 Allein an dieser Zahl konnte man erkennen, dass sich das Gefängnis im Juni 1945 erheblich füllte. So befanden sich Ende Juni 1945 bereits 4 100 Personen im Gefängnis, welches ursprünglich lediglich für 1 350 Häftlinge Platz bot.182 Aus diesem Grund war die Gefängnisleitung dazu gezwungen, viele Bautzener Häftlinge in das Lager Tost in Oberschlesien abzutransportieren, wo bisher meist nur schlesische NKWD-Gefangene festgehalten wurden. Der erste Transport nach Tost wurde am 26. Juni 1945 mit 1 312 Häftlingen durchgeführt.183 Diesen ersten Transport nach Tost traten u. a. auch der Seydaer Hauptlehrer und Ortsgruppenleiter Hermann Brantin, der Inspektor der Schweinitzer Kreissparkasse Karl Ludwig und der Kreisinspektor in der Hauptverwaltung der Schweinitzer Kreisverwaltung, Erwin Braunhold, an.184 In der folgenden Zeit, wahrscheinlich immer, wenn das Gefängnis Bautzen überfüllt war, stellte die Gefängnisleitung weitere Transporte nach Tost zusammen, in denen sich auch mehrere Personen aus dem Untersuchungsgebiet befanden. Als am 11. Juli 1945 der zweite Transport mit 1 143 Häftlingen nach Tost ging, waren u. a. der Rendant der Kreissparkasse Liebenwerda, Emil Kessler, und der Mühlberger Rittergutsbesitzer, Arthur Winterfeldt, dabei.185 Der letzte Transport nach Tost erfolgte am

180 Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). 181 Achim Kilian, Mühlberg 1939–1948. Ein Gefangenenlager mitten in Deutschland, Köln 2001, S. 246 f. 182 Jörg Morre, Das Speziallager Bautzen als Instrument sowjetischer Herrschaftssicherung. In: Rainer Behring/Mike Schmeitzner (Hg.), Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, Köln 2003, S. 83. 183 Sybille Krägel/Siegfried Petschel, Bild-Dokumentation Tost. Gefängnis-Lager des so­ wjetischen NKWD in Oberschlesien, Freising 1998, S. 12. 184 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 185 Vgl. ebd.

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27. Juli 1945 u. a. mit dem NSDAP-Ortsgruppenleiter von Hohenbucko, Walter Uhlmann. Diesem Transport gehörten nochmals 1 199 Internierte an.186 Eine genaue Zahl derjenigen, die im Untersuchungsgebiet wohnhaft waren und nach Tost verlegt wurden, war nicht festzustellen. In der DRK-Datenbank der Dokumentationsstelle Dresden fanden sich aber allein 19 Personen mit der Wohnortsangabe „Bad Liebenwerda“, die nach Tost verlegt wurden.187 Des Weiteren befanden sich unter den 34 verhafteten Ortsgruppenleitern sechs, die zeitweise in Tost inhaftiert waren.188 Man kann letztlich davon ausgehen, dass mindestens 30 bis 50 Personen aus dem Untersuchungsgebiet in Tost festgehalten wurden. Im Gefängnis Tost stellte sich schnell heraus, dass auch dieses Gefängnis für eine solche große Belegung in keiner Weise geeignet war.189 Auch aus diesem Grund herrschten in Tost schnell katastrophale Lebensbedingungen für die Häftlinge. „Aborte gab es nicht. Dafür war ein riesiger Bottich vorgesehen, den der eine oder andere nicht erreichen konnte und zusammenbrach, so förmlich im Kot verendete.“190 Unter diesen Bedingungen verstarb als erste Person aus dem Untersuchungsgebiet am 8. August 1945 der Leiter der Hauptstelle Kultur der Liebenwerdaer NSDAP-Kreisleitung, Arthur Barnick, kurz nachdem er mit dem letzten Transport am 27. Juli 1945 von Bautzen nach Tost kam.191 Ebenso verstarben sehr früh der Inspektor der Schweinitzer Kreissparkasse, Karl Ludwig, am 18. August 1945, der Konrektor der Jessener Stadtschule Richard Däumichen am 20. August 1945 und der Schweinitzer Kreisinspektor Erwin Braunhold am 22. August 1945.192 Von den 19 registrierten Häftlingen aus Bad Liebenwerda kamen schließlich elf in Tost ums Leben.193 Auch unter den Ortsgruppenleitern gab es mehrere Opfer. So verstarben von den sieben Ortsgruppenleitern drei in Tost. Insgesamt gehen Schätzungen von ca. 3 000 Toten im Gefängnis Tost aus. Allein auf der Todesliste des deutschen Lagerarztes Dr. Leu, der diese Liste aus dem Gefängnis schmuggelte und dem DRK übergeben konnte, fanden sich insgesamt 1 304 Verstorbene.194 Verglichen mit den anderen Lagern hatte das Gefängnis Tost damit die höchste Sterblichkeitsrate der Spezial­lager, in denen sich Personen aus dem Untersuchungsgebiet befanden. Im November 1945 begann der NKWD damit, das Gefängnis in Tost aufzulösen. Eine ärztliche Kommission begann daraufhin, die Internierten zu untersuchen. Nach der Untersuchung wurden die transportfähigen Gefangenen ­aussortiert und über Graudenz nach Fünfeichen verlegt. Dieser Transport

186 187 188 189 190 191

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Krägel/Petschel, Bild-Dokumentation Tost, S. 13. Ebd., S. 26. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Krägel/Petschel, Bild-Dokumentation Tost, S. 29.

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umfasste ca. 1 000 Häftlinge.195 Während der im Januar 1946 stattfindenden Verlegung von Graudenz nach Fünfeichen verstarb z. B. der Dolsthaidaer Ortsgruppenleiter Herbert Tausendfreude.196 Die schwächeren Internierten (ca. 1 200) wurden hingegen aus dem Lager entlassen und mussten auf eigene Verantwortung in ihre Heimatorte zurückreisen.197 Darunter befanden sich u. a. der Seydaer Ratsherr Martin Gerhardt und die Bad Liebenwerdaer NS-Funktionäre Robert Borsch, Erich Weber, Carl Grünler und Kurt Muntau.198 Wieder in ihrer Heimat angekommen, waren diese die ersten, die den vielen Angehörigen der in Tost verstorbenen Mitgefangenen eine Nachricht über deren Verbleib zukommen ließen. Die Überlebenden aus Tost waren auch die ersten NKWD-Internierten, die über die katastrophalen menschenverachtenden Zustände in den sowjetischen Speziallagern im Untersuchungsgebiet aus eigener Erfahrung berichten konnten. Für die anderen Häftlinge aus Tost ging hingegen die Leidenszeit im Lager Fünfeichen weiter. Da Angehörige der nationalsozialistischen Sicherheitsbehörden unter keinen Umständen freigelassen werden sollten, wurden beispielsweise die beiden Seydaer Polizisten Bernhard Breitenbach und Heinrich Schubert nach Fünfeichen transportiert.199 Doch auch hier änderten sich die Lebensbedingungen nicht, wie Ursula Falke berichtete, die im Lager Fünfeichen in der Krankenstation Arbeit fand. „Muss ich noch ein Wort dazu sagen? Muss ich erzählen, dass mir die Patienten ihr Brot mit zur Einteilung geben, um nicht alles zum Frühstück zu essen, dass sie mit großen Augen und dem letzten Stück Brot im Munde in die ewige Seligkeit hinüberdämmern […], bei jedem Ausgang ins Grüne Hände voll Melde und Sauerampfer hereingeschleppt und heimlich gegessen werden, dass man sich um die Reihenfolge des Nachschlags streitet […] und dass man Tränen des Dankes vergießt über jedes Häppchen, was man zugesteckt bekam? Ach, ich brauche wohl nichts weiter zu sagen.“200 Unter diesen von Ursula Falke beschriebenen Bedingungen starben in Fünfeichen die beiden Seydaer Polizisten Heinrich Schubert und Bernhard Breitenbach am 9. November 1947 bzw. am 18. März 1948.201 Ebenso kam in Fünfeichen der Oehnaer Ortsgruppenleiter Reinhold Pulz am 30. Dezember 1946 ums Leben.202 Auch diejenigen Internierten aus dem Untersuchungsgebiet, die nicht nach Tost verlegt worden waren und in Bautzen blieben, konnten nicht mit einer Freilassung im November 1945 rechnen. Der Bad Liebenwerdaer Druckerei195 Ebd., S. 34. 196 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 197 Vgl. Krägel/Petschel, Bild-Dokumentation Tost, S. 34 f. 198 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 199 Vgl. ebd. 200 Falke, Sieben Jahre im Elend, S. 22. 201 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 202 Vgl. ebd.

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besitzer Karl Zielke verstarb beispielsweise am 26. Juni 1946 in Bautzen.203 Der Herzberger Verleger Günther Schirrmeister, der bis September 1946 in Bautzen verblieb und mit Karl Zielke zeitweise eine Zelle teilte, schilderte, wie schlecht die Lebensumstände bereits seit Beginn der Haft auch im Bautzener Speziallager waren. „21. Juli 45: Seit 1. 6. haben wir praktisch kein Gramm Fett. Etwa ein halbes Pfund Fleisch. Gestern Abend hatten wir eine ,Graupensuppe‘, in der sich keine einzige Graupe fand, sondern nur Brühe. Trotzdem wir uns zusätzlich etwa ¾ l gestohlen hatten, hatte ich nach einer Stunde bereits wieder nagenden Hunger.“204 Günther Schirrmeister, dessen Tagebuch am 8. September 1945 endete, wurde schließlich am 25. September 1946 mit einem Häftlingstransport in das Speziallager Nr. 6 Jamlitz verlegt. Nach der Auflösung dieses Lagers brachte man ihn am 30. März 1947 in das Speziallager Nr. 1 bei Mühlberg, wo er am 4. Juni 1947 verstarb.205 Nachdem der NKWD-Befehl Nr. 00780, der „die Apparate der Bevollmächtigten des NKWD der UdSSR an der 2. und 3. Weißrussischen sowie der 1. und 4. Ukrainischen Front“ auflöste, am 4. Juli 1945 erlassen wurde, kamen nur noch sehr wenige Verhaftete aus dem Untersuchungsgebiet im Speziallager Bautzen an.206 Mit der Einrichtung des Postens eines Bevollmächtigter des NKWD für die Gruppe der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte in Deutschland (GSBSD) und dem Wegfall der Frontbevollmächtigten waren die Operativen Gruppen sowie „Smersch“ im Untersuchungsgebiet nicht mehr daran gebunden, die Internierten in das Hauptlager der 1. Ukrainischen Front nach Bautzen einzuweisen. Mehrere Häftlinge aus dem nördlichen Untersuchungsgebiet transportierten „Smersch“-Abteilungen nun in das Speziallager Nr. 6 Frankfurt (Oder). Darunter befand sich u. a. der Kreisleiter Reinhold Fritsch, der bereits am 21. Juli 1945 von Ketschendorf nach Frankfurt (Oder) verlegt wurde.207 Die „Smersch“-Abteilungen der 8. Gardearmee wiesen zudem mehrere Personen aus dem Untersuchungsgebiet direkt in das im Mai 1945 entstandene Speziallager Frankfurt (Oder) ein. Beispielsweise wurden die Ortsgruppenleiter von Mügeln und Horst, Richard Kannegießer und Otto Freiwald, der Mügelner Bürgermeister, Otto Hecht, sowie der Mügelner Sägewerksbesitzer und Blockleiter, Wilhelm Bamm, nach Frankfurt (Oder) gebracht.208 Ihr Aufenthalt war hier allerdings nur kurz. Bereits Mitte September 1945, als das Speziallager Nr. 6 Frankfurt 203 Vgl. ebd. 204 Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5.5. bis 8.9.1945 (PA Dr. Karl Günther Schirrmeister). 205 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 206 Befehl des Volkskommissars für Inneres Nr. 00780 „Zur Auflösung der Apparate der Front-Bevollmächtigten des NKWD der UdSSR“ vom 4.7.1945. In: Mironenko (Hg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland, S. 201–203. 207 Vgl. ebd. 208 Vgl. Archiv der Initiativgruppe des Lager Lieberose/Jamlitz e.V., NKWD-Datenbank der Initiativgruppe Lager Lieberose/Jamlitz.

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(Oder) aufgelöst wurde, mussten diese mit vielen anderen Häftlingen per Fuß in das ehemalige KZ Außenlager Lieberose/Jamlitz marschieren, wo die Häftlinge des Speziallagers Nr. 6 bis Anfang April 1947 untergebracht wurden. Im Lager Jamlitz kamen im Jahr 1946 noch weitere Häftlinge aus dem Untersuchungsgebiet aus dem Speziallager Nr. 5 Ketschendorf an. Zuvor wurden diese im August 1945 von den Operativen Gruppen Herzberg und Bad Liebenwerda nach Ketschendorf eingewiesen, da hier im Gegensatz zum Speziallager Bautzen noch viele freie Plätze vorhanden waren. Beispielsweise wiesen die Operativen Gruppen die Ortsgruppenleiter von Falkenberg (Wasserturm), Hirschfeld, Plessa, Uebigau und Seehausen nach Ketschendorf ein.209 Aber auch mehrere während der Verhaftungsaktion im August 1945 festgenommene Herzberger, die vor allem in der NSDAP-Kreisleitung bzw. der Kreisverwaltung tätig waren, u. a. Dr. Walter Stolze, Werner Wolf, der Kreisbaumeister Friedrich Winter sowie der Kreisoberinspektor Paul Werner, wurden im August 1945 nach Ketschendorf gebracht.210 Auch hier verstarben schnell die ersten Häftlinge. So kamen z. B. Friedrich Winter am 7. Dezember 1945, Paul Werner am 28. Februar 1946 und der Seehausener Ortsgruppenleiter Gottlob Andreas am 20. März 1946 in Ketschendorf ums Leben.211 Der erste große Transport von Ketschendorf nach Jamlitz wurde am 16. April 1946 durchgeführt. Sehr geschwächt bezog z. B. der Hirschfelder Bürgermeister und Ortsgruppenleiter August Ruhl das Lager Jamlitz. Er verstarb bereits am 15. Mai 1946 im neuen Lager. Auch der Mügelner Ortsgruppenleiter Richard Kannegießer und der Mügelner Bürgermeister Otto Hecht, die zuvor in Frankfurt (Oder) inhaftiert waren, sowie Dr. Walter Stolze und Werner Wolf verstarben später in Jamlitz.212 Wie viele Personen insgesamt aus dem Untersuchungsgebiet in Jamlitz inhaftiert waren, kann, aufgrund der fehlenden Wohnortsangaben in den Transportlisten aus Frankfurt (Oder) und Ketschendorf, nicht mehr festgestellt werden. Direkteinweisungen von Personen aus dem Untersuchungsgebiet in das Lager Jamlitz waren hingegen nur drei nachweisbar. Diese wurden allerdings nicht von den Operativen Gruppen des Untersuchungsgebiets durchgeführt, sondern von der Operativen Gruppe Cottbus.213 Vermutlich wurden diese drei Personen im Zuständigkeitsbereich der Operativen Gruppe Cottbus verhaftet und deshalb in das Speziallager Jamlitz eingewiesen. Mit der Auflösung des Jamlitzer Speziallagers Nr. 6 Ende März bzw. Anfang April 1947 transportierte der NKWD die überlebenden Verhafteten aus dem Untersuchungsgebiet in die Lager Mühlberg und Buchenwald. In 209 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 210 Vgl. ebd. 211 Vgl. ebd. 212 Vgl. ebd.; Archiv der Initiativgruppe des Lager Lieberose/Jamlitz e.V., NKWD-Datenbank der Initiativgruppe Lager Lieberose/Jamlitz. 213 Vgl. Einlieferungsprotokolle vom 13.4.1946, 7.6.1946 und 23.7.1946 (Archiv der Initiativgruppe des Lager Lieberose/Jamlitz e.V., unpag.).

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das Speziallager Nr. 1 Mühlberg wurden u. a. die drei überlebenden Ortsgruppenleiter von Plessa, Uebigau und Horst verlegt. Sie kamen am 6. April 1947 in Mühlberg an.214 Den Kreisleiter Reinhold Fritsch brachte man hingegen nach Buchenwald, wo er schließlich Anfang 1950 entlassen wurde.215 Nachdem im August 1945 nur vereinzelte Häftlingstransporte aus dem Untersuchungsgebiet nach Ketschendorf gingen, erreichten die Einweisungen in Speziallager durch die Operativen Gruppen des Untersuchungsgebiet im September 1945 einen Höchststand. In diesem Monat leerten die Operativen Gruppen die u. a. durch die zahlreichen Verhaftungen im August 1945 überfüllten „GPU-Keller“ in Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen durch zahlreiche Transporte. So begannen die drei Operativen Gruppen Anfang September 1945, als die Verlegung des NKWD-Speziallagers Nr. 8 aus Schneidemühl nach Torgau abgeschlossen war, die zahlreichen Gefangenen in das neue nahe gelegene Lager in Torgau einzuweisen. Der erste Transport aus dem Untersuchungsgebiet erfolgte am 8. September 1945 mit 21 Häftlingen von der Operativen Gruppe Jessen. Bis Ende September 1945 überstellten daraufhin die drei Operativen Gruppen Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen insgesamt 239 Personen in das Speziallager Nr. 8.216 Die drei Operativen Gruppen trugen damit weitgehend zur Auffüllung dieses Lagers bei. Bedenkt man, dass der Häftlingsstand vom 28. August bis 13. Oktober 1945 im Speziallager Nr. 8 von nur 53 auf 6 357 Insassen anstieg, so kamen Mitte Oktober 1945 insgesamt 3,7 Prozent aller Häftlinge aus dem Untersuchungsgebiet.217 Ob diese Zahl noch weiter anstieg, konnte bis heute nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Es bleibt aber zu vermuten, dass zumindest die Operativen Gruppen Jessen und Herzberg auch nach dem September 1945 mehrere Personen nach Torgau einwiesen. Allerdings erreichten die Einweisungen höchstwahrscheinlich nicht mehr das Niveau vom September 1945, da die Belegung des Lagers Torgau von Mitte Oktober 1945 bis Ende Januar 1946 nur noch gering anstieg.218 Trotz des Umstandes, dass die Operativen Gruppen im Wesentlichen nur im September 1945 ihre Häftlinge nach Torgau transportierten, war das Speziallager Nr. 8 Torgau zeitweise das Lager, in das die meisten Speziallagerhäftlinge aus dem Untersuchungsgebiet eingewiesen wurden. Etwa die Hälfte aller im Untersuchungsgebiet verhafteten Speziallagerhäftlinge war somit zunächst in Torgau inhaftiert.

214 Vgl. Archiv der Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V., NKWD-Datenbank der Initiativgruppe Lager Mühlberg. 215 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 216 Information von Daniel Bohse, Halle (Saale), vom 3.9.2010. Die Operative Gruppe Bad Liebenwerda überstellte im September 1945 insgesamt 110 Person, die Operative Gruppe Herzberg 52 Personen sowie die Operative Gruppe Jessen 77 Personen in das Speziallager Nr. 8 Torgau. 217 Norbert Haase/Brigitte Oleschinski (Hg.), Das Torgau-Tabu: Wehrmachtstrafsystem, NKWD-Speziallager, DDR-Strafvollzug, Leipzig 1998, S. 154 f. 218 Vgl. ebd., S. 154.

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Die Auflösung des Speziallagers Nr. 8 erfolgte im Dezember 1946 und Januar 1947. Genauso wie in Jamlitz wurden daraufhin die Häftlinge nach Mühlberg bzw. nach Buchenwald verlegt.219 In Mühlberg angekommen, trafen diese auf zahlreiche weitere Häftlinge aus dem Untersuchungsgebiet. So ging die Operative Gruppe Bad Liebenwerda erstmals am 18. Oktober 1945, als das Speziallager Nr. 8 Torgau bereits weitestgehend belegt war, dazu über, 44 Personen in das Speziallager Nr. 1 Mühlberg einzuweisen.220 Auf diesem ersten Transport nach Mühlberg befanden sich u. a. die Ortsgruppenleiter von Blumberg, Grünewalde und Zeischa.221 Insgesamt transportierte der NKWD aus Bad Liebenwerda bis Ende 1946 ein Kontingent von 144 Personen in das Lager Mühlberg.222 Auch die Operative Gruppe Herzberg überstellte nochmals fünf Personen dorthin.223 Obwohl Mühlberg im Gebiet des Kreises Liebenwerda lag und die Operative Gruppe Bad Liebenwerda ab Mittel Oktober 1945 viele Gefangene dorthin brachte, bildete das Lager allerdings seit seiner Entstehung Mitte September 1945 nicht den Haupteinweisungsort für die Operativen Gruppen im Untersuchungsgebiet. Der NKWD überstellte die Gefangenen nach der Auflösung der Frontbevollmächtigten also nicht ausschließlich nach geografischen, sondern hauptsächlich nach logistischen Gesichtspunkten. Wenn in einem Lager genügend Platz verfügbar war, wie z. B. in Torgau, dann wurde dieses aufgefüllt. Berücksichtigt man allerdings, dass seit Anfang 1947 nochmals zahlreiche Häftlinge aus den aufgelösten Lagern Torgau und Jamlitz nach Mühlberg kamen, so entwickelte sich das Speziallager Nr. 1 ab Januar 1947 bis zu seiner Auflösung im September 1948 zu dem Lager, in dem die meisten Speziallagerhäftlinge aus dem Untersuchungsgebiet untergebracht waren. Auch im Lager Mühlberg hatten die Gefangenen unter extrem schlechten Lebensbedingungen zu leiden. Der Herzberger Erhard Winkelmann, der in Mühlberg einem Beerdigungskommando angehörte, schilderte die Lage in Mühlberg wie folgt: „Die Sterblichkeit der Lagerinsassen nahm Ende 1945 zu. Dies führe ich auf die schlechte und einseitige Verpflegung zurück. Die Toten wurden in einem Raum gesammelt. Anfangs waren es bis täglich zehn und dann nahm es, wie ich persönlich weiß, auch einmal bis zu 56 Personen an einem Tag zu.“224

219 Vgl. ebd., S. 155. 220 Übergabeprotokoll mit Häftlingsliste der Operativen Gruppe der Stadt Bad Liebenwerda an den Leiter des Spez.-Lagers des NKWD des Dorfs Burxdorf vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). 221 Vgl. ebd. 222 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.). 223 Übergabeprotokoll der Operativ Gruppe Herzberg an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 18.10.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, unpag.). 224 Befragungsprotokoll des Herrn Erhard Winkelmann von Kriminalkommissar Conrad vom 3.9.1990 (Archiv der Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V., unpag.).

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Da sich das Lager Mühlberg ab Anfang 1947 mit immer mehr Häftlingen aus dem Untersuchungsgebiet füllte, starben in Mühlberg wohl auch die meisten Insassen aus dem Untersuchungsgebiet. Allein von den 144 Direkteingewiesenen der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda kamen in Mühlberg 49 Personen ums Leben.225 Ebenso verstarben weitere Häftlinge, die aus den anderen Lagern nach Mühlberg kamen, u. a. der Ortsgruppenleiter von Kleinleipisch, Albert Schober, und der Verleger Günther Schirrmeister, der von Jamlitz nach Mühlberg verlegt wurde.226 Das Lager Mühlberg wurde im Sommer 1948 aufgelöst. Nach einer Überprüfung entließ der MWD 56 überlebende Häftlinge, die 1945/46 direkt von Bad Liebenwerda nach Mühlberg transportiert worden waren.227 16 Personen hatten davon hingegen nicht dieses Glück und wurden im September 1948 von Mühlberg nach Buchenwald verlegt, wo sie erst 1950 entlassen wurden.228 Die meisten SMT-Verurteilten aus dem Untersuchungsgebiet wurden nach der Urteilsverkündung über die verschiedensten Zwischenstationen in das Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen transportiert. Hans Jahn und die übrigen neun mit ihm verurteilten Jugendlichen aus Mügeln und Umgebung verlegte der MWD beispielsweise von Torgau nach Merseburg über das Gefängnis in Halle (Roter Ochse) nach Sachsenhausen.229 Hans Jahn berichtete über das Lagerleben: „Jeden Tag die gleiche dünne Suppe, ließ mich auf nur noch wenige Kilo abmagern. Hätte ich nicht zufällig in der Krankenstation Arbeit gefunden, in der man sich zusätzlich verpflegen konnte, hätte ich das Lager sicher nicht überlebt.“230 Auch wenn die zehn Jugendlichen aus Mügeln und Umgebung „nur“ von November 1947 bis Januar 1950 im Speziallager Sachsenhausen festgehalten wurden, so mussten selbst diese jungen Speziallagerhäftlinge aus dem Untersuchungsgebiet unter den dortigen Bedingungen täglich um ihr Leben kämpfen. So verstarb z. B. von den zehn Jugendlichen aus Mügeln und Umgebung eine Person im Lager Sachsenhausen.231 Die SMT-Verurteilten genossen also in den Speziallagern keineswegs eine bessere Behandlung. Lediglich der Umstand, dass viele der SMT-Verurteilten erst ab 1947 verurteilt wurden und sie damit

225 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.); Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 226 Vgl. ebd. 227 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.); Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13.12.2010. 230 Ebd. 231 Vgl. HAIT-Datenbanken.

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Die Arbeit der sowjetischen Geheimdienste

nicht den „Hungerwinter“ 1946/47 in den Speziallagern erleben mussten, bewirkte eine niedrigere Sterberate in dieser Gruppe. Zusammenfassend kann man zu diesem Abschnitt feststellen, dass Verhaftete aus den beiden Kreisen Schweinitz und Liebenwerda in jedem Speziallager in der SBZ zumindest zeitweilig inhaftiert waren. Ob dies im Kalkül des NKWD lag, um den Aufenthaltsort der Häftlinge möglichst für die Angehörigen zu verschleiern, kann nicht nachgewiesen werden. Praktische Erwägungen wie die Überfüllung (Bautzen) sowie die späten Verlegungen von Lagern (Mühlberg und Torgau) in das Untersuchungsgebiet sowie in die unmittelbare Umgebung waren wohl eher die Gründe für die weiträumige Verteilung der Häftlinge. Eine Statistik über die umgekommenen Häftlinge aus dem Untersuchungsgebiet war aufgrund der unvollständigen Namenslisten nicht möglich. Allein im Speziallager Mühlberg verstarben aber von den 144 direkt von der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda eingewiesenen Personen 49 Häftlinge. Dies entsprach einer Sterberate von 34 Prozent.232 Unter den 34 nachweislich verhafteten Ortsgruppenleitern lag die Sterberate sogar nochmals höher. Dies lag wohl u. a. auch an dem fortgeschrittenen Alter der Ortsgruppenleiter. Von den 34 Ortsgruppenleitern verstarben 17 in den Speziallagern.233 Auch die Auflistung von Dr. Walter Horn aus dem Jahr 1990 bestätigte eine sehr hohe Sterberate. Er listete von den 189 im Altkreis Herzberg verhafteten Personen 81 Todesfälle (43 Prozent) auf.234 Berücksichtigt man diese Zahlen und nimmt man die Gesamtzahl von ca. 500 Verhafteten als Grundlage, so kann man im Untersuchungsgebiet von mindestens 200 Personen sprechen, die in Speziallagern des NKWD/MWD umkamen.

232 Übergabeprotokolle der Operativ Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, unpag.); Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 233 Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 234 Vgl. Elbe-Elster Rundschau vom 18.12.1990, Nr. 147.

VII. Die Vereinigung der KPD und SPD 1.

Die Zusammenarbeit von KPD und SPD in den Kommunalverwaltungen 1945/46

Wie bereits festgestellt wurde, gelang es nach dem Einmarsch der Roten Armee nur wenigen SPD-Mitgliedern, verantwortliche Positionen in den neuen kommunalen Verwaltungen zu erlangen. Lediglich in der großen Gemeinde Falkenberg und in wenigen kleineren Gemeinden, wie z. B. in Schraden oder Oehna, konnte die SPD einen Bürgermeister stellen. Wesentlichen Einfluss in der Verwaltung konnte sich die Partei zudem nur noch in Bad Liebenwerda und Herzberg verschaffen, wo sie wichtige Abteilungsleiterposten besetzen konnte. Ein ähnliches Bild zeichnete sich in den beiden Kreisverwaltungen ab. Die beiden kommunistischen Landräte Paulick und Jeß vergaben einen großen Teil der Abteilungsleiterposten an ihre Parteifreunde aus der KPD. Mit der Unterstützung der Besatzungsmacht sicherten sich die KPD-Mitglieder, noch bevor die ersten Ortsvereine der SPD im August und September 1945 entstanden, alle wesentlichen Positionen in den neuen Verwaltungen. Zwar stellten Sozialdemokraten hinter den Kommunisten und, ganz im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteimitgliedern, die meisten neuen Verwaltungsmitglieder, aber mit dem Erstarken der SPD, die im Laufe des Jahres 1945 die KPD in der Mitgliederstärke überflügelte, musste dieser Unterschied nahezu zwangsläufig zum Problem zwischen den beiden Parteien werden. Mag dieser große Unterschied aufgrund des Organisationsrückstandes der SPD im Juni und Juli 1945 noch gerechtfertigt gewesen sein, so erzeugte dieser aber spätestens im letzten Quartal des Jahres 1945 in vielen SPD-Ortsverbänden, die nicht oder nur ungenügend an der kommunalen Verwaltung beteiligt waren, ein erhebliches Konfliktpotenzial. Dass die meisten kommunalen Spitzenämter mit unerfahrenen und zudem in manchen Fällen vollkommen überforderten Kommunisten besetzt wurden, provozierte viele SPD-Mitglieder zusätzlich. In diesem Zusammenhang schrieb z. B. der Sozialdemokrat Otto Philipp, der von der Kreiskommandantur als Beauftragter für die Sicherung der Ernte im Kreis eingesetzt war, an den späteren SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich: „Die Tätigkeit, die mir aufgetragen wurde und die ich nunmehr beendet habe, war eine verantwortungsvolle. Ich hatte den westlichen Teil des Kreises, d. h., ich hatte 58 Ortschaften zu kontrollieren. Thiessler in Lauchhammer (KPD-Bürgermeister) hatte 23 Ortschaften zu kontrollieren, er war ein völliger Versager. Ich habe zum Landrat Paulick gesagt: Ihr habt die großen Schnauzen, wir aber haben die Köpfe! Leider ist mit der großen Schnauze allein nichts zu machen.“1 Da die SPD, ganz im Gegensatz zur KPD, die sich bis 1933 absichtlich weitestgehend aus der kommunalen ­Verantwortung

1

Otto Philipp an Otto Dietrich (Grünewalde) vom 31.8.1945 (PA Helfried Dietrich).

232

Vereinigung der KPD und SPD

heraushielt, bis zur Machtergreifung im Jahr 1933 mehrere wichtige kommunale Verantwortungsträger vor allem im Kreis Liebenwerda stellte, betrachteten sich viele SPD-Mitglieder in Bezug auf ihre verwaltungstechnische Erfahrung den KPD-Mitgliedern als überlegen. Auch aus diesem Grund beschwerte sich der spätere SPD-Kreisvorsitzende Otto Dietrich im September 1945 beim SPD-Landesverband über die Stellenbesetzung in der kommunalen Verwaltung von Grünewalde. Da Otto Dietrich von 1919 bis 1933 gewählter Ortsvorsteher der Gemeinde Grünewalde war, hoffte er, nach dem Einmarsch der Roten Armee wieder in das Amt des Bürgermeisters eingesetzt zu werden. An seiner Stelle setzte die Kommandantur allerdings das ehemalige SPD-Mitglied Paul Ruthenberg ein, der nach dem Krieg jedoch zur KPD wechselte. Otto Dietrich schrieb dazu: „Paul Ruthenberg hat die vom Erstunterzeichneten (Otto Dietrich) schon am zweiten Tage nach dem Einmarsch der Roten Armee eingeleiteten Unternehmungen auf Überleitung der Gemeindevertretung in die Hand des Erstunterzeichneten disziplinwidrig durchkreuzt, indem er ohne Benachrichtigung der ihm bekannten bisher illegalen SPD-Ortsleitung seine persönliche Bestellung zum Bürgermeister der Gemeinde Grünewalde bei den Kommandostellen der Roten Armee betrieben hat.“2 Weiter führte er aus: „Die paritätische Zusammensetzung des Ortsverwaltungausschusses (5 KPD, 5 SPD, 2 Bürgl.) haben wir beantragt, aber noch keine Antwort erhalten. Beachtlich ist, dass das Stärkeverhältnis der SPD zur KPD in Grünewalde etwa 10:2 ist […]. Mit demokratisch-parlamentarischer Aktion hat die Haltung der hiesigen KPD nichts gemein. Wir bitten um freundliche Stellungnahme.“3 Das Beispiel Grünewalde, wo die SPD selbst aus der nur noch bedingt freien Kommunalwahl 1933 als Siegerin hervorging und wo nach dem Kriegsende einer der mitgliederstärksten Ortsvereine der SPD im Kreis Liebenwerda entstand, zeigte geradezu exemplarisch, wie die KPD bei der Besetzung von Posten von der Roten Armee bevorzugt wurde.4 Die Einsetzung des von der SPD zur KPD „konvertierten“ Paul Ruthenberg, was zusätzlich auf viele Sozialdemokraten befremdlich gewirkt haben musste, verhinderte lange Zeit gute Beziehungen zwischen den beiden Parteien in Grünewalde. So entwickelte sich zwischen Ruthenberg und Dietrich eine private Fehde, die immer wieder von gegenseitigen Angriffen geprägt war. Wie sehr die Grünewalder KPD die Aktivitäten der örtlichen SPD behinderte und sich gleichfalls der Unmut der SPD-Mitglieder in Grünewalde steigerte, schrieb Otto Dietrich z. B. am 23. November 1945 nach

2 3 4

Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 11.9.1945 (PA Helfried Dietrich). Ebd. Vgl. Neue Kreiszeitung vom 13.3.1933, Nr. 61; Mitgliederstatistik des SPD-Ortsvereins Grünewalde vom 28.2.1946 (PA Helfried Dietrich). Der Mitgliederbestand des SPD-Ortsvereins Grünewalde betrug am 28.2.1946 insgesamt 165 Personen. Bis zum 31.3.1946 steigerte sich diese Zahl nochmals auf 214 Personen.

Zusammenarbeit in der Kommunalverwaltung

233

Halle. In dem Brief an den SPD-Bezirksverband hieß es: „Das Verfahren einer Handvoll KPD-Leute in Grünewalde ist bald nicht mehr zu ertragen. Unsere Bewegung ist nachsichtig bis zur Selbstverleugnung. Trotzdem wird von der kommunistischen Ortsverwaltung schikaniert, wo es nur geht.“5 Es dauerte schließlich bis zum 2. Dezember 1945, bis der Bürgermeister Ruthenberg erstmals auf das Anliegen der SPD, über die paritätische Besetzung der Gemeindeverwaltung zu verhandeln, einging. Die beiden Parteien einigten sich aber erst in einer Vorständekonferenz am 12. Dezember 1945, dass jeweils vier Vertreter der beiden Parteien in einer provisorischen Gemeindevertretung vertreten sein sollten.6 Trotz dieser Einigung verschleppte der Bürgermeister Ruthenberg den Vollzug des Kompromisses. Erst nach weiterem Drängen des SPD-Ortsvereins gab der Bürgermeister am 16. Februar 1946 sein Einverständnis zum Kompromiss bekannt.7 Otto Dietrich wurde daraufhin zum stellvertretenden Bürgermeister berufen und vier SPD-Mitglieder in die provisorische Gemeindevertretung delegiert.8 Eine ähnliche Reaktion auf die Nichtbeteiligung an der Verwaltung des Ortes zeigten die Sozialdemokraten in Elsterwerda. Wie in Grünewalde amtierte in Elsterwerda mit Karl Böhme seit Anfang August 1945 ein Bürgermeister, der vor 1933 der SPD angehörte und nach dem Kriegsende der KPD beitrat.9 Des Weiteren war in Elsterwerda lediglich der örtliche SPD-Vorsitzende Hugo Vogel von der Besatzungsmacht in die Verantwortung eingebunden wurden.10 Wie sehr die SPD unter dem guten Verhältnis zwischen der KPD und Besatzungsmacht in Elsterwerda zu leiden hatte, beschrieb z. B. das im Oktober 1945 durch Elsterwerda reisende SPD-Zentralausschussmitglied Erich Gniffke in seiner Autobiografie. Nachdem er den SPD-Vorsitzenden Hugo Vogel traf, klagte dieser gegenüber Gniffke, dass die Kommunisten „bei dem Kommandanten ein und ausgehen“ und alles bekommen, „was sie brauchen“.11 Ab November 1945 begann sich schließlich der Elsterwerdaer SPD-Ortsverein regelmäßig bei der

 5 Otto Dietrich (Grünewalde) an den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg vom 23.11.1945 (PA Helfried Dietrich).  6 Vgl. SPD-Ortsverein Grünewalde an den Bürgermeister Ruthenberg vom 13.12.1945 (PA Helfried Dietrich).  7 Vgl. Protestschreiben des SPD-Ortsvereins Grünewalde an den Bürgermeister Ruthenberg vom 10.1.1946 (PA Helfried Dietrich); SPD-Ortsvereins Grünewalde an den Bürgermeister Ruthenberg über die Benennung des stellvertretenden Bürgermeisters und der provisorischen Gemeindevertreter vom 16.2.1946 (PA Helfried Dietrich).  8 Vgl. SPD-Ortsverein Grünewalde an den Bürgermeister Ruthenberg über die Benennung des stellvertretenden Bürgermeisters und der provisorischen Gemeindevertreter vom 16.2.1946 (PA Helfried Dietrich).  9 Vgl. handschriftlicher Lebenslauf von Karl Böhme vom 12.6.1950 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4778, unpag.). 10 Vgl. Protokoll der Magistratssitzung vom 19.6.1945 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). An allen weiteren Magistratssitzungen des Jahres 1945 nahm auch Hugo Vogel teil. 11 Erich Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S. 78.

234

Vereinigung der KPD und SPD

KPD über die ungleiche Verteilung der Ämter in der Stadtverwaltung und die Bevorzugung durch die Kommandantur zu beschweren. Beispielsweise schrieb der SPD-Vorsitzende am 29. November 1945 an die örtliche KPD: „Wir lehnen es ab, weiterhin als stärkste Partei an die Wand gedrückt bzw. mit Posten untergeordneter Bedeutung abgespeist zu werden.“12 Genauso wie in Grünewalde versuchte nun auch hier die örtliche KPD, die Forderungen der SPD zu verschleppen. Der Elsterwerdaer Bürgermeister schrieb über die Forderungen der SPD an Robert Siewert (KPD) in Halle: „Ich glaube aber kaum, dass dieses der richtige Weg sein dürfte, um eine Einheitspartei zu schaffen.“13 Deutlicher konnte man das schlechte Verhältnis beider Parteien im Ort kaum aussprechen. Mit gezielter Einflussnahme der übergeordneten Bezirks- bzw. Provinzialverbände beider Parteien auf die örtliche KPD gelang es aber, in Elsterwerda eine Einigung zwischen KPD und SPD zu erzielen. Am 18. Dezember 1945 fand die erste paritätisch besetzte Magistratssitzung statt, an der jeweils drei Vertreter der SPD und der KPD teilnahmen. Der Bürgermeister Karl Böhme wurde im Amt bestätigt.14 Vor allem die KPD-Bezirksleitung erkannte, dass eine eklatante ungleiche Verteilung der Verwaltungsposten den Einheitswillen zu einer gemeinsamen Partei deutlich behindern würde. In mehreren Fällen führte dies dazu, dass die KPD den SPD-Forderungen aus taktischen Gründen nachgab. Dieses taktische Verhalten führte in der Kreisstadt Herzberg sogar zur Absetzung des KPD-Bürgermeisters Otto Eger. Dem kommunistischen Herzberger Bürgermeister wurde „1. unerhörtes Benehmen seiner obersten Dienststelle gegenüber, 2. Trunkenheit in- und außerhalb des Dienstes und 3. unwürdiges Verhalten gegenüber der Einwohnerschaft […]“ vorgeworfen.15 Des Weiteren schätzte die KPD des Kreises Schweinitz Otto Eger als Gefahr für ihre Einheitsbestrebungen mit den anderen antifaschistischen Parteien ein.16 Aus diesem Grund verhandelte die KPD ab Ende Dezember 1945 zusammen mit der SPD über einen Nachfolger.17 Nachdem die Kreiskommandantur der Absetzung des vollkommen überforderten und wohl auch charakterlich nicht für diesen Posten geeigneten Herzberger Bürgermeisters zustimmte, einigten sich die bei-

12 SPD-Ortsverein Elsterwerda an den Herrn Bürgermeister in Elsterwerda vom 29.11.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 18, Bl. 45). In diesem Schreiben drohte Hugo Vogel dem Bürgermeister an, dass sich bei Nichtberücksichtigung der Wünsche der SPD die Bezirksvorstände beider Parteien mit der Situation befassen müssten. 13 Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 160. 14 Vgl. Protokoll der Magistratssitzung vom 18.12.1945 (StA Elsterwerda, Ordner: Magis­ tratssitzungen 1945–1947, unpag.). 15 Landrat Paul Jeß an den Bezirkspräsidenten über die Gründe der Absetzung von Otto Eger vom 28.1.1946 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, unpag.). 16 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreise Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). 17 Vgl. ebd.; Landrat Paul Jeß an den Bezirkspräsidenten über die Gründe der Absetzung von Otto Eger vom 28.1.1946 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, unpag.).

Zusammenarbeit in der Kommunalverwaltung

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den Parteien auf den Sozialdemokraten Karl Rietz als Nachfolger. In Bezug auf die Einheitsbestrebungen zwischen KPD und SPD stellte die Kreisleitung der KPD im Monatsbericht für den Dezember 1945 fest: „Es waren hier noch einige Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Kommunalpolitik zu verzeichnen, die aber jetzt behoben sind dadurch, dass der Bürgermeister Gen. Eger von seinen Funktionen zurückgenommen wurde und an seine Stelle ein sozialdemokratischer Genosse gesetzt wurde.“18 Obwohl Otto Eger wütende Protestschreiben gegen seine Absetzung an die Provinzialverwaltung schickte, verstand es die KPD in Herzberg, mit der Berufung eines sozialdemokratischen Bürgermeisters den SPD-Forderungen stückweise entgegenzukommen und damit gleichfalls bessere Voraussetzungen für die Verhandlungen zur Einheitspartei zu schaffen.19 Dennoch bleibt festzuhalten, dass alle Forderungen der SPD, die darauf abzielten, mehr Mitsprache in den Verwaltungen zu erlangen, nur in schwierigen Verhandlungen durchgesetzt werden konnten. In mehreren Fällen gelang es zwar der SPD, eine paritätische Besetzung der Verwaltung durchzusetzen, die KPD kontrollierte aber bis zur Vereinigung der beiden Parteien nahezu alle Schlüsselstellungen in der Verwaltung.20 Aufgrund ihrer mithilfe der Besatzungsmacht kurz nach Kriegsende gewonnen Machtfülle, fiel es der KPD leicht, einige Positionen zur Beschwichtigung der SPD abzugeben. Die Gestaltungsmacht der KPD in den Verwaltungen wurde durch den Vereinigungsprozess im Untersuchungsgebiet aber zu keinem Zeitpunkt wesentlich beschnitten. Es bleibt aber auch festzuhalten, dass es in den Verwaltungen durchaus auch gelungene Beispiele der Zusammenarbeit beider Parteien gab. So wurde z. B. Fritz Graßmann, der vor 1933 für die SPD dem Herzberger Stadtrat angehörte, auf ausdrücklichen Wunsch vom KPD-Landrat Paul Jeß im August 1945 nach Herzberg zurückgeholt und zunächst als persönlicher Referent sowie später als Stellvertreter des Landrats in der Schweinitzer Kreisverwaltung angestellt.21 Graßmann wurde zudem mit Beginn der Bodenreform als einziges sozialdemokratisches Mitglied in die Schweinitzer Kreisbodenkommission (KBK) berufen und hatte zusammen mit den Kommunisten Jeß, Romanowski und Eger einen wesentlichen Anteil an der Umsetzung der Bodenreform im Kreis Schweinitz. Genauso wie Fritz Graßmann war auch Walter Eulitz, der Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes Schweinitz, in die Verwaltungsarbeit integriert. Eulitz

18 Monatsbericht der Unterbezirksleitung der KPD Halle-Merseburg für den Dezember 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 23). 19 Vgl. Protestschreiben von Otto Eger an den Bezirkspräsidenten gegen seine Absetzung als Bürgermeister vom 30.12.1945 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 1010a, unpag.). 20 Abgesehen von Herzberg konnte die SPD in keiner anderen Stadt des Untersuchungsgebiets bis zur Vereinigung der beiden Parteien einen Bürgermeisterposten besetzen. 21 Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über die Bestätigung des stellvertretenden Landrats in Herzberg, Fritz Graßmann, vom 9.1.1946 (­LHASA, MER, C 48 Ib, Nr. 1100, Bl. 113); Porrmann, Lebensbilder, S. 15.

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Vereinigung der KPD und SPD

wurde zum „Volksrichter“ ernannt und arbeitete auch in dieser Position eng mit der übrigen Verwaltung zusammen.22 Im Kreis Liebenwerda erarbeitete sich der stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende Otto Philipp das Vertrauen der Besatzungsmacht, indem er zum ersten deutschen Ansprechpartner für die Bezirkskommandantur im Kreis ernannt wurde.23 Aber auch als stellvertretender Bürgermeister der Kreisstadt Bad Liebenwerda arbeitete er mit dem kommunistischen Bürgermeister Bluhm vertrauensvoll zusammen. Der Bürgermeister Bluhm, der Philipps Verwaltungserfahrung zu schätzen wusste, gewährte ihm große Freiheiten in der Ausübung seines Amtes.24 Selbst der Liebenwerdaer Kreisvorsitzende Otto Dietrich, der zunächst von der KPD in Grünewalde aus der kommunalen Verwaltung ausgeschlossen wurde, sicherte sich mit Beginn der Bodenreform den Vorsitz in der Grünewalder Gemeindebodenkommission (GBK).25 Die wesentlichen Entscheidungsträger der hiesigen SPD besaßen also alle einen verantwortlichen Posten, in denen sie zwangsläufig mit KPD-Mitgliedern in der Verwaltung zusammenarbeiten mussten. Dass sich dabei die KPD- und SPD-Verantwortlichen durch die gemeinsame Aufbauarbeit unter den schwierigen Bedingungen im Jahr 1945 auch gegenseitig schätzen lernten, blieb wohl nicht die Ausnahme. Als Otto Philipp z. B. im Vereinigungsprozess Anfang 1946 vorgeworfen wurde, die KPD zu nachsichtig zu behandeln, führte er in einem Brief an den Unterbezirkssekretär Otto Diet­ rich aus: „Ich mache vor jedem eine innere Verbeugung, der meine Achtung erworben hat und den ich als einen charaktervollen und ehrlichen Menschen kennengelernt habe. Ich mache da keinen Unterschied zwischen der SPD und der KPD, mir ist einer so lieb wie der andere.“26 Viele SPD-Entscheidungsträger begaben sich aber mit der Übernahme eines Verwaltungspostens in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Besatzungsmacht und zu ihren Vorgesetzten, die meist KPD-Mitglieder waren. Die Unabhängigkeit der wesentlichen SPD-Akteure im Untersuchungsgebiet war also durch den Besitz oder das Anstreben eines Postens in den kommunalen Verwaltungen nicht mehr uneingeschränkt gegeben. Wer in ein Amt eingesetzt werden wollte, war zwangsläufig auf die KPD und die mit ihr sympathisierende Besatzungsmacht angewiesen. Somit war die KPD mit der kurz nach Kriegsende gewonnenen

22 Vgl. Aufstellung aller Beschäftigten der Stadtverwaltung Herzberg im Jahr 1945 (StA Herzberg, Nr. 29, unpag.). 23 Vgl. Zusatz zum Gründungsaufruf des Antifaschistischen Blocks Bad Liebenwerda vom 24.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 24 Vgl. Rede des stellvertretenden Bürgermeisters Otto Philipp zur 1. Einwohnerversammlung der Stadt Bad Liebenwerda am 21.7.1945, S. 5 f. (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 100, unpag.). 25 Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 26 Otto Philipp an den Unterbezirkssekretär Otto Dietrich vom 11.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

Die „Aktionseinheit“

237

Machtposition in der Lage, wesentliche SPD-Entscheidungsträger mit Posten zu versorgen und diese somit indirekt an sich zu binden. Dies stellte einen wesentlichen Vorteil in den Verhandlungen über den Zusammenschluss der beiden Parteien dar. Die KPD als stärkerer Teil der beiden war in der Lage, die Verhandlungen mit der SPD ausschließlich um Posten zu führen und ideologische Gegensätze in den Verhandlungen zu vernachlässigen. Zudem konnte die KPD mit ihrer enormen Machtfülle scheinbar schwer errungene Zugeständnisse an die SPD machen, die die Gestaltungsspielräume der KPD nur unwesentlich beschränkten, allerdings die SPD-Mitglieder zunächst beschwichtigten. Inwieweit dieser Vorteil von der KPD eingesetzt wurde, zeigte sich im Folgenden.

2.

Die „Aktionseinheit“ bis zum November 1945

Nachdem die KPD-Führung in Berlin im Juni 1945 eine schnelle Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ablehnte, sollte sich die Zusammenarbeit der beiden Parteien nach dem Willen der KPD zunächst nur auf eine „Aktionseinheit“ beschränken. Die sowjetische Besatzungsmacht und die KPD verfolgten dabei das Ziel, vor der Vereinigung der beiden Parteien zunächst einmal die eigene Parteiorganisation zu stärken, um von vornherein über die SPD als stärkere Partei dominieren zu können. Um aber den Einfluss auf die Sozialdemokraten nicht ganz zu verlieren und um der Stimmung vieler KPD-Mitglieder, die für eine enge Zusammenarbeit mit der SPD eintraten, Rechnung zu tragen, empfahl man den Bezirks-, Kreis- und Ortsverbänden der beiden Parteien genauso wie auf der obersten Ebene in Berlin, gemeinsame Arbeitsausschüsse zu schaffen, die die wichtigsten politischen Fragen beraten sollten.27 Diese Entwicklung wurde jedoch durch den schleppenden Neuaufbau der SPD in den beiden Landkreisen Liebenwerda und Schweinitz zunächst verhindert. Selbst nachdem Vertreter des KPD-Kreisverbandes Liebenwerda und Schweinitz am 5. August 1945 in Torgau erstmals von Bernhard Koenen u. a. auf die „Aktionseinheit“ eingeschworen wurden, konnte die KPD im Untersuchungsgebiet aufgrund des Rückstandes der SPD zunächst keinen Partner vorfinden, mit dem sie eine „Aktionseinheit“ eingehen konnte.28 Besonders deutlich wurde dies im Kreis Schweinitz, wo die KPD bis zum November 1945 erhebliche organisatorische Probleme hatte. Im gesamten Kreis Schweinitz gab es keine Anzeichen dafür, dass eine größere Zusammenarbeit der beiden Parteien bis zum November 1945 stattfand.29 Die völlig überlasteten Funktionäre

27 Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 133–136. 28 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 31. 29 Dass es keine Zusammenarbeit zwischen der KPD und der SPD im Kreis Schweinitz vor dem November 1945 gab, verschwieg auch die regionalgeschichtliche DDR-Literatur nicht. Vgl. … und der Zukunft zugewandt, S. 27.

238

Vereinigung der KPD und SPD

der KPD, die für den Parteiaufbau zuständig waren und zudem wichtige Verwaltungsaufgaben, z. B. bezüglich der Bodenreform erfüllen mussten, waren hier kaum in der Lage, noch zusätzlich eine enge Zusammenarbeit mit der ebenfalls noch entstehenden SPD zu organisieren. Es kam hier hinzu, dass einige wichtige KPD-Mitglieder, wie z. B. der Herzberger Bürgermeister Otto Eger, von vornherein eine Zusammenarbeit mit der SPD ablehnten.30 Um diese Protesthaltung aufzubrechen sowie um den Parteiaufbau zu beschleunigen, setzte die KPD-Bezirksleitung am 15. November 1945 Felix Kolod­ ziej als neuen Schweinitzer Kreisvorsitzenden ein, der sofort dazu überging, das Gespräch mit den Sozialdemokraten zu suchen. Auf Initiative des neuen KPD-Kreisvorsitzenden trafen sich am 20. November 1945 die beiden Kreisparteivorstände der KPD und SPD zu einem ersten offiziellen Gespräch.31 Während im Kreis Liebenwerda ab Oktober 1945 bereits gemeinsame Mitgliederbzw. Funktionärsversammlungen durchgeführt wurden, begann man im Kreis Schweinitz erst Mitte November, offiziell miteinander zu reden. Der enorme Rückstand des Kreises in Bezug auf den gesamten Parteienneuaufbau wurde dadurch nochmals verdeutlicht. Aber auch im Kreis Liebenwerda, wo sich erste SPD-Ortsvereine erst Mitte August konstituierten, war die Lage zunächst kaum anders. Jedoch versuchte die KPD im Kreis Liebenwerda sofort mit der Entstehung der ersten sozialdemokratischen Ortsverbände, Kontakt zu diesen aufnehmen. Der Kreisvorsitzende der KPD Paul Mittig berichtete, dass er in Lauchhammer und Bockwitz bei den Gründungsveranstaltungen der SPD (vermutlich Mitte August 1945) als Gastredner auftrat und die von Bernhard Koenen propagierte gemeinsame Zusammenarbeit der beiden Arbeiterparteien nochmals einforderte.32 Im Sinne dieses Aufrufs einigten sich im Mückenberger Ländchen die Vertreter beider Parteien Anfang September 1945 darauf, dass sich die Vorsitzenden beider Parteien immer gegenseitig zu den Mitgliederversammlungen einluden.33 Dies konnte im Ländchen durchaus als bescheidener Beginn der Aktionseinheit gesehen werden. Dennoch blieb die Umsetzung der „Aktionseinheit“ von Ort zu Ort unterschiedlich und hing wesentlich vom organisatorischen Grad der beiden Parteien und von den persönlichen Beziehungen der unterschiedlichen Parteimitglieder ab. In Grünewalde, wo sich der SPD-Vorsitzende Otto Dietrich mit dem KPD-Bürgermeister um die Postenverteilung in der Gemeindeverwaltung stritt, war z. B. am 15. September 1945 während der Gründungsveranstaltung der SPD kein Vertreter der KPD anwesend.34 Ebenso wurde zu späteren Veranstal-

30 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreise Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43). 31 Vgl. … und der Zukunft zugewandt, S. 27 f. 32 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 31. 33 Vgl. ebd., S. 36. 34 Vgl. Otto Dietrich an den SPD-Bezirksverband Halle über den Ablauf der SPD-Gründungsveranstaltung in Grünewalde vom 17.9.1945 (PA Helfried Dietrich). Während der

Die „Aktionseinheit“

239

tungen kein KPD-Mitglied eingeladen. Erstmals wandte sich hier die örtliche KPD am 10. Oktober 1945 freundschaftlich an den hiesigen SPD-Ortsverein, um deren Mitglieder zu einer Veranstaltung einzuladen.35 Auch danach gab es bis zur Einigung über die Postenbesetzung in der Gemeinde Grünewalde kaum Kontakt zwischen der örtlichen KPD und SPD.36 Offenbar wirkte sich der Streit um die Verwaltungsposten in Grünewalde negativ auf die Ausgestaltung der propagierten „Aktionseinheit“ aus. Die ersten überörtlichen Treffen zwischen Vertretern der beiden Parteien fanden erst nach der Konstituierung des SPD-Kreisverbandes Liebenwerda am 21. Oktober 1945 statt. Obwohl die Tagesordnung des SPD-Kreisparteitags nicht direkt auf die Zusammenarbeit der beiden Parteien einging, wurden auf dem Parteitag gemeinsame regionale Funktionärskonferenzen der Mitglieder beider Parteien beschlossen.37 Die erste dieser Konferenzen fand daraufhin am 23. Oktober 1945 in Bockwitz statt, wo 25 KPD- und 24 SPD-Funktionäre an der Veranstaltung teilnahmen.38 Wie ein Bericht der KPD-Kreisleitung bestätigte, fand dieses erste überörtliche Treffen in freundschaftlicher Atmosphäre statt. Weiter führte der Bericht aus, dass dabei der „geschlossene Wille zum gemeinsamen Wiederaufbau zum Ausdruck“ kam.39 Über den Weg zum Aufbau einer gemeinsamen Parteistruktur wurde während dieser ersten gemeinsamen Funktionärskonferenz nicht gesprochen. Vielmehr standen Ende Oktober 1945 die Behandlung praktischer Verwaltungsfragen, wie u. a. die Bodenreform oder der Genossenschaftsaufbau, im Mittelpunkt des Interesses der Mitglieder beider Parteien.40 Im Kreis Liebenwerda gab es vor dem November 1945 keine Anhaltspunkte dafür, dass Funktionäre der KPD und SPD über einen Zusammenschluss beider Parteien gemeinsam offiziell diskutierten. Dies war auch ein Beleg dafür, dass der Einheitsdrang vieler Mitglieder beider Parteien seit der unmittelbaren Gründungsphase der beiden Parteien im Juni 1945 spürbar nachließ. In diesem Zusammenhang war vor allem die Rede von Otto Grotewohl (SPD) am 14. September 1945 zu sehen. In dieser später vom sächsischen SPD-Provinzial­ vorstand veröffentlichten Rede lehnte Grotewohl nach den bisher gemachten

35 36 37 38

39 40

Veranstaltung am 15.9.1945 sprach der Unterbezirksvorsitzende Otto Dietrich aus Falkenberg als Gastredner. Vgl. Einladung der KPD-Ortsgruppe Grünewalde an den SPD-Ortsverein Grünewalde vom 10.10.1945 (PA Helfried Dietrich). Vgl. Schriftverkehr des SPD-Ortsvereins Grünewalde 1945/46 (PA Helfried Dietrich). Vgl. Einladung vom 12.10.1945 zur SPD-Kreiskonferenz für den Kreis Liebenwerda am 21.10.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Bericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für die KPD-Bezirksleitung vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 182). Eine weitere Konferenz zwischen Funktionären beider Parteien erfolgte am 25.10.1945 in Bad Liebenwerda. Weitere sollten in den Arbeitsgebieten Falkenberg, Mühlberg und Elsterwerda folgen. Ebd. Vgl. ebd.

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Vereinigung der KPD und SPD

Erfahrungen mit der KPD den Führungsanspruch der Kommunisten ab und verschob die Vereinigung beider Parteien auf unbestimmte Zeit. Als Hauptziel der SPD betrachtete er hingegen die Wiedervereinigung der SPD in Gesamtdeutschland.41 Diese selbstbewusst vorgetragene Rede Grotewohls, der spätestens Mitte September erkannte, dass sich die SPD in der SBZ zu einer großen einflussreichen Partei formieren würde, versetzte der KPD-Führung in Berlin einen ersten großen Schock. Diese musste nun erkennen, dass das Prinzip der „Aktionseinheit“ aufgrund des rasanten Wiederaufbaus der SPD und an dem daraus resultierenden Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten zu scheitern drohte. Davon aufgeschreckt und wohl auch aus Furcht, in Bezug auf die Mitgliederstärke in absehbarer Zeit von der SPD marginalisiert zu werden, begann die KPD-Führung in Berlin damit, die Bemühungen zur Gründung einer gemeinsamen Einheitspartei zu intensivieren. Ziel der KPD und insbesondere der sowjetischen Besatzungsmacht war es dabei immer, den Konkurrenten SPD auszuschalten. Spätestens mit der Rede von Wilhelm Pieck auf der zentralen kommunistischen Revolutionsfeier in Berlin am 9. November 1945 fiel der offizielle Startschuss für die Vereinigungskampagne auf allen Parteiebenen.42 Die KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg schwenkte am 12. November 1945 auf den neuen Kurs der Partei ein. Sie veröffentlichte an diesem Tag ein Rundschreiben an alle Ortsgruppen, in dem es hieß: „Die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse, das ist eines der großen Ziele, die sich unsere Partei als nächste Aufgabe gestellt hat. Das Ziel kann aber nur verwirklicht werden, wenn die Voraussetzungen bis herunter zur kleinsten Parteiortsgruppe und zu den Betriebsgruppen geschaffen werden.“43 In diesem Schreiben wurde erstmals gegenüber den Ortsgruppen in der Provinz Sachsen offen von einer schnellen organisatorischen Einheit gesprochen. Ziel der KPD-Bezirksleitung war es, zunächst die Revolutionsfeiern Anfang November 1945 im gesamten Bezirks zu

41 Vgl. Beatrix Bouvier, Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und die Folgen für die Sozialdemokratie. In: Bernd Faulenbach/Heinrich Potthoff (Hg.), Sozialdemokraten und Kommunisten nach Nationalsozialismus und Krieg. Zur historischen Einordnung der Zwangsvereinigung, Essen 1998, S. 87; Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 124–126. In der Sitzung des SPD- Provinzialvorstandes am 18.9.1945 wurde die Rede Grotewohls begeistert aufgenommen und zur Veröffentlichung freigegeben. Somit erhielten höchstwahrscheinlich auch SPD-Funktionäre aus den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz Kenntnis von der Rede. 42 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 127. Andreas Schmidt verlegte den Beginn der Vereinigungskampagne der KPD auf Anfang November 1945. Andere Autoren gehen hingegen davon aus, dass die Kampagne bereits Mitte September 1945 unmittelbar nach der Rede Grotewohls einsetzte. Vgl. z. B. Sattler, Bündnispolitik, S. 167–175; Frank Moraw, Die Parole der „Einheit“ und die deutsche Sozialdemokratie. Zur parteiorganisatorischen und gesellschaftlichen Orientierung der SPD in der Periode der Illegalität und in der ersten Nachkriegsphase 1933–1948, Bonn 1973, S.129 f. 43 Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 46 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.).

Die „Aktionseinheit“

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benutzen, um den Druck zur Vereinigung auf die SPD-Führung zu erhöhen. Bereits kurz zuvor forderte die KPD-Bezirksleitung in der „Volkszeitung“ am 10. November 1945 alle Gliederungen der Partei auf, über die Revolutionsfeiern und insbesondere dabei über die Äußerungen der SPD-Redner zur Ausgestaltung der Einheitsfront und zur Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei zu berichten.44 Ähnlich wie bei der inszenierten Bodenreformkampagne Ende August 1945 wurden nun mehrere geschönte Berichte über die Revolutionsfeiern in der Presse veröffentlicht, um bei der SPD-Führung den Anschein einer einheitlichen Basisbewegung zu erzeugen.45 Unter welchen Umständen die Revolutionsfeiern im Untersuchungsgebiet in Wahrheit abliefen, ist nicht mehr rekonstruierbar. Das Beispiel der Revolutionsfeier in Bad Liebenwerda am 7. November 1945 belegte allerdings, dass die hiesige Feier nicht unter dem Motto der Aktionseinheit der beiden Arbeiterparteien stand, sondern lediglich als große Propagandaveranstaltung für die Besatzungsmacht inszeniert wurde. So kontrollierte die Besatzungsmacht von Beginn der Planungen an sehr streng die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten am 7. November 1945. Die örtliche Kommandantur strich z. B. das Läuten der Kirchenglocken und den öffentlichen Umzug durch die Straßen der Stadt als Programmpunkte.46 Wohl aus Furcht, der erste genehmigte Umzug seit Kriegsende könnte Sicherheitsprobleme für die Besatzungsmacht schaffen, entschied die Kommandantur, lediglich eine öffentliche Feier im Bad Liebenwerdaer Capitol-Lichtspielhaus mit anschließendem Varieté und Tanz zuzulassen.47 Wie sehr diese Veranstaltung zum überschwänglichen Lob auf die Besatzungsmacht genutzt wurde und eben nicht als Ausdruck der „Aktionseinheit“ verstanden werden konnte, verdeutlichte die Rede von Otto Philipp für die SPD. Er sagte u. a.: „Unsere besten Wünsche begleiten das russische Volk auf seinem ferneren Wege. Möge es unter seinem genialen Führer Stalin einer glücklichen Zukunft entgegengehen […]. Ich bitte Sie, mit mir einzustimmen in den Ruf: Die Sowjetunion und ihr Führer Stalin und die heldenhafte Rote Armee, die uns von der Hitler-Diktatur befreite, sie leben: Hoch! Hoch! Hoch!“48 Über die Zusammenarbeit mit der KPD erwähnte Otto Philipp kein Wort.49 Für einen Sozialdemokraten sehr ungewöhnlich war hingegen sein

44 Vgl. Volkszeitung vom 10.11.1945, Nr. 77. 45 Vgl. zur Vorbereitung und zum Ablauf der Revolutionsfeiern in der Provinz Sachsen: Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 123–133. 46 Vgl. Aufruf zur Feier des Revolutionstages des russischen Volkes am 7.11.1945 in Bad Liebenwerda vom 31.10.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). In dem erhaltenen Aufruf wurden die oben genannten Programmpunkte von der Kommandantur gestrichen. 47 Vgl. ebd. 48 Rede von Otto Philipp zur Revolutionsfeier am 7.11.1945 in Bad Liebenwerda (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 49 Vgl. ebd.

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­ berschwängliches Lob für das kommunistische Gesellschaftsmodell in der Soü wjetunion. Inwieweit dabei opportunistische Überlegungen, durch die sowjetische Zensur erzeugter Druck oder ehrliche Überzeugungen von Otto Philipp hineinspielten, ist nicht klar zu belegen; machte man sich aber bewusst, dass Philipp Vertrauensmann der Militärverwaltung in Halle und erste Kontaktperson zum Kreiskommandanten in Bad Liebenwerda war sowie in der Stadtverwaltung eng mit vielen KPD-Mitgliedern zusammenarbeitete, dann wird seine positive Haltung gegenüber der Besatzungsmacht durchaus erklärbar. So stellte er in dieser öffentlichen Rede unmissverständlich klar: „Ferner danken wir der hiesigen Kommandantur für das gute Zusammenarbeiten und das bisher erwiesene Wohlwollen. Wir (die SPD) werden unsererseits alles tun, um das zu erhalten.“50 Zwar erwähnte Philipp in seiner Rede die engere Zusammenarbeit mit der KPD mit keinem Wort, doch stellte er mit seiner Anbiederung an die Besatzungsmacht klar, dass er als stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender weitere politische Schritte der Kommandantur bedenkenlos mittragen würde. Wie sich später noch deutlicher zeigen sollte, fanden die Besatzungsmacht und die KPD in Otto Philipp einen wichtigen Unterstützer für ihre weiteren Vorhaben. Leider waren weitere Reden von KPD- bzw. SPD-Mitglieder anlässlich der Revolutionsfeierlichkeiten im Untersuchungsgebiet nicht erhalten. Dennoch stellte auch im Kreis Liebenwerda der Ablauf der Revolutionsfeierlichkeiten ein erstes sichtbares Zeichen zur Änderung der Beziehungen zwischen den beiden Parteien dar. Während der Revolutionsfeierlichkeiten sprachen in vielen Städten und Gemeinden erstmals KPD- und SPD-Redner gemeinsam öffentlich zu einer größeren Zuhörerschaft. Auch wenn dabei nicht direkt auf die Aktionseinheit eingegangen wurde, so genügte doch bereits der Bezug auf den gemeinsamen Ende Oktober 1945 auf den Regionalkonferenzen verfassten Willen zum „gemeinsamen Wiederaufbau“, um ein geschlossenes Bild nach außen abzugeben.51 Mit der zusätzlichen propagandistischen Berichterstattung über die Revolutionsfeiern in den beiden Parteizeitungen wurde schließlich auch bei der von unabhängiger Berichterstattung ausgeschlossenen Mitgliedschaft der Eindruck einer gemeinsamen Willensbekundung zur Einheit der beiden Arbeiterparteien erzeugt. Auch wenn vor Ort nur wenig vom Einheitswillen zu spüren war, so wurden doch die einfachen Mitglieder erstmals anlässlich der Berichterstattung zu den Revolutionsfeiern mit einer großen Menge von Einheitsbekundungen in den beiden Parteizeitungen konfrontiert.

50 Ebd. 51 Bericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für die KPD-Bezirksleitung vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 182).

Die „Vereinigungskampagne“

3.

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Die „Vereinigungskampagne“

Bevor hier umfassend auf weitere Schritte zur Entstehung einer vereinigten Arbeiterpartei eingegangen wird, muss zunächst die Stimmung und die Ausgangslage innerhalb der beiden Parteien kurz vor Beginn der Vereinigungskampagne im November 1945 skizziert werden. Wie bereits erwähnt, deutete alles darauf hin, dass bis zum November 1945 der Einheitsdrang innerhalb der SPD vor allem aufgrund des Verhaltens der KPD in Bezug auf die Postenbesetzungen in den Verwaltungen weitestgehend nachließ. Mit der rasanten Entwicklung der SPD-Parteiorganisation, die am 21. Oktober 1945 im Kreis Liebenwerda mit dem ersten Kreisparteitag ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, sahen wohl viele Sozialdemokraten nicht mehr die unmittelbare Notwendigkeit zur Vereinigung der beiden Parteien ein. Wie sehr sich das Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten im Untersuchungsgebiet steigerte, zeigte u. a. ein Brief des SPD-Redners Wilhelm Hecker aus Würdenhain an den Kreisvorsitzenden Otto Dietrich. Wilhelm Hecker, der in diesem Schreiben auf das sehr gute sozialdemokratische Wahlergebnis in Wien einging, schrieb fragend: „Wer dürfte also Interesse an einer Verschmelzung von SPD + KPD haben? Das Verhältnis SPD : KPD wird in Deutschland nicht dem Wiens gleichen, aber beachtlich wird es dennoch sein.“52 Angesichts des enormen Mitgliederzuwachses der SPD und der offensichtlichen Bestätigung dieses Trends durch die positiven Wahlergebnisse in Österreich Ende November 1945 war das Selbstbewusstsein vieler Sozialdemokraten im November und Dezember auf einem Höhepunkt angelangt.53 Sichtbarer Ausdruck für die Steigerung des sozialdemokratischen Selbstbewusstseins waren dabei die immer stärker werdenden Forderungen nach einer SPD-Beteiligung in den Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen. Trotz aller Unstimmigkeiten betrachteten aber sowohl viele SPD- als auch KPD-Mitglieder zweifellos die jeweilige andere Partei als natürlichen Verbündeten. Durch die gemeinsame Parteigeschichte vereint, verstanden sich die Mitglieder besonders in Abgrenzung zu den beiden bürgerlichen Parteien als natürliche Vertreter der Arbeiterklasse. So stellte z. B. der Kreisvorsitzende der SPD Otto Dietrich trotz seiner Streitigkeiten mit der örtlichen KPD klar: „Es ist natürlich nicht angängig, dass beide Arbeiterparteien an einem Tag getrennte Kundgebungen veranstalten.“54 Ein gemeinsames Gefühl der Mitglieder beider Parteien, dass die jeweils andere Partei im Grunde genommen die gleichen

52 Wilhelm Hecker an Otto Dietrich vom 26.11.1945 (PA Helfried Dietrich). Wilhelm Hecker war zu diesem Zeitpunkt Pfarrer in Würdenhain. 53 Bei den österreichischen Nationalratswahlen am 25.11.1945 erzielte die Österreichische Volkspartei (ÖVP) 49,8 %, die Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) 44,6 % sowie die Kommunistische Partei Österreich (KPÖ) 5,4 %. Die sonstigen Parteien erhielten 0,2 % der Stimmen. 54 Otto Dietrich an Wilhelm Hecker vom 11.10.1945 (PA Helfried Dietrich). In dem Schreiben ging Otto Dietrich auf eine Terminüberschneidung mit der örtlichen KPD ein.

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­ iele teilt, bestand offensichtlich zu jeder Zeit fort. In mehreren Stadt- und Z Gemeindeverwaltungen drückte sich dies, wie gezeigt, in einer guten Zusammenarbeit aus. Nicht zu unterschätzen war dabei vor allem das gemeinsame Erlebnis der Unterdrückung während der NS-Herrschaft. Viele verantwortliche Entscheidungsträger beider Parteien im Untersuchungsgebiet waren zumindest kurzzeitig vor Kriegsende in Haft bzw. standen unter Beobachtung der Gestapo.55 Dass die gemeinsamen Erfahrungen im NS-Staat die Sozialdemokraten und Kommunisten „weder so ausnahmslos noch so unverbrüchlich“ zusammenführte, wie dies Andreas Schmidt für das Führungspersonal in der Provinz Sachsen darstellte, mag durchaus auf die Provinz- bzw. Bezirksebene zutreffen, ein wesentlicher verbindender Faktor vieler Mitglieder beiden Arbeiterparteien war dies im Untersuchungsgebiet aber ganz bestimmt.56 Beide Parteien nutzen z. B. in der Gründungsphase öffentliche Versammlungen, in denen über NS-Verbrechen gesprochen wurde, für die Ausgestaltung erster gemeinsamer Veranstaltungen. In der Stadt Bad Liebenwerda traten beispielsweise in einer öffentlichen Aufklärungsveranstaltung über die Verhältnisse in den deutschen Konzentrationslagern ehemalige kommunistische und sozialdemokratische KZ-Häftlinge erstmals gemeinsam auf.57 Selbst in Grünewalde führte dieses Thema zur ersten Einladung der KPD an die SPD. Hier lud die Ortsgruppe der KPD die örtliche SPD am 10. Oktober 1945 zum ersten Mal öffentlich zu einer Veranstaltung ein, in der Alfred Schubert (KPD) aus Bad Liebenwerda über seine Haftzeit im KZ Buchenwald berichtete.58 Da es im Gegensatz zur Bezirks­ebene keine Remigranten aus Moskau in den Führungsebenen der Parteien im Untersuchungsgebiet gab, war die NS-Zeit für viele KPD- bzw. SPD-Mitglieder zweifellos prägend. Wie viele Mitglieder beider Parteien letztlich die Spaltung der Arbeiterbewegung für die Machtergreifung der Nationalsozialisten verantwortlich mach55 Neben den beiden lange Zeit inhaftierten KPD-Vorsitzenden, Paul Mittig und Felix Kolodziej, hatte auch ein Großteil der neuen SPD-Führung während der NS-Zeit unter dem Regime zu leiden. Der Liebenwerdaer SPD-Kreisvorsitzende Otto Dietrich wurde z. B. 1933 als Gemeindevorsteher in Grünewalde abgesetzt und unter Beobachtung der Gestapo gestellt. Vgl. Lebenslauf von Otto Dietrich vom 6.2.1947 (PA Helfried Dietrich). Der stellvertretende Liebenwerdaer SPD-Kreisvorsitzende Otto Philipp wurde als Beamter 1933 entlassen und am 21.8.1944 nach dem Attentat auf Adolf Hitler verhaftet. Nur aufgrund seiner Haftunfähigkeit wurde er zehn Tage später wieder entlassen. Vgl. Fragebogen von Otto Philipp vom 27.5.1946 (LHASA, MER, K13, Bad Liebenwerda, Nr. 84, Bl. 631). Der stellvertretende Schweinitzer SPD-Kreisvorsitzende Fritz Graßmann wurde ebenso 1933 in Schutzhaft genommen und stand danach unter Aufsicht der Gestapo. Vgl. Lebenslauf von Fritz Graßmann vom 31.1.1950 (StA Herzberg, Nr. 43, unpag.). 56 Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 122 f. 57 Vgl. Vortrag von Alfred Schubert und Otto Philipp vom 28.7.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 58 Vgl. Einladung der KPD-Ortsgruppe Grünewalde an den SPD-Ortsverein Grünewalde vom 10.10.1945 (PA Helfried Dietrich).

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ten und daraus dementsprechende Schlussfolgerungen zogen, war nicht mehr erforschbar. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Mitglieder beider Parteien zwischen 1933 und 1945 konnten allerdings KPD- bzw. SPD-Mitglieder den Umstand der Spaltung der Arbeiterbewegung vor 1933 dennoch nicht einfach übergehen, wenn das Verhältnis beider Parteien vor 1933 als Argument zur Verhinderung einer neuen „faschistischen“ Gefahr und damit auch zur Vereinigung der beiden Arbeiterparteien gebraucht wurde. In der Tat benutzten die Einheitsbefürworter in beiden Parteien die nicht verhinderte Machtergreifung der Nationalsozialisten als ein zentrales Argument zur schnellen Vereinigung beider Parteien. Beispielsweise wurde im Kreis Liebenwerda in nahezu jedem offiziellen Rundschreiben beider Parteien immer wieder auf die „verhängnisvolle Spaltung“ der Arbeiterbewegung und ihre vermeintlichen Folgen hingewiesen, was die Schlagkraft dieses Arguments bei den Mitgliedern beider Parteien verdeutlichte.59 Kennzeichnend für nahezu alle Mitglieder beider Parteien war allerdings zu jeder Zeit des Vereinigungsprozesses, dass diese von freier Informationsgewinnung fast gänzlich ausgeschlossen waren. So wurden beide Parteizeitungen in der Provinz Sachsen, die kommunistische „Volkszeitung“ und das sozialdemokratische „Volksblatt“, von der Besatzungsmacht streng zensiert. Kritische Artikel gegen die Besatzungsmacht und später gegen die Vereinigung der beiden Parteien hatten keine Chance, veröffentlicht zu werden. Es kam hinzu, dass vor allem das sozialdemokratische „Volksblatt“ zu keinem Zeitpunkt in ausreichendem Maße für die Mitglieder zur Verfügung stand.60 Ein regionaler Teil des sozial­demokratischen „Volksblatts“ konnte sogar erst im März 1946 in der der SPD übereigneten Druckerei Zielke in Bad Liebenwerda veröffentlicht werden.61 Mit der Lenkung der Medienlandschaft hatten die Besatzungsmacht und damit auch die KPD einen entscheidenden Schlüssel zur Manipulation der Mitglieder beider Parteien in der Hand. Da auch die Mitgliederversammlungen beider Parteien immer bei der sowjetischen Kommandantur angemeldet werden mussten und oftmals von ­sowjetischen Offizieren besucht wurden, bestand auch in diesen kaum die Möglichkeit, vom

59 Vgl. Silvesterbotschaft der Kreisleitung der SPD vom 31.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.); Rundschreiben Nr. 1 des Organisationsbüros der Sozialistischen Einheitspartei des Kreises Liebenwerda vom 27.2.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 60 Der SPD-Kreisvorsitzende Otto Dietrich beschwerte sich nahezu jeden Monat beim Volks-Verlag in Halle über die ungenügende Zahl der gelieferten Zeitungsexemplare. So wurden in Grünewalde im November 1945 nur 151 Exemplare des Volksblatts angeliefert, obwohl laut Otto Dietrich ca. 300 benötigt wurden. Vgl. Otto Dietrich an den Volks-Verlag in Halle vom 16.11.1945 (PA Helfried Dietrich). 61 Vgl. Einladung zur letzten SPD-Kreiskonferenz vom 21.2.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Hierin wurde ausgeführt, dass die Drucklegung des Volksblatts „möglichst am 1. März (1946) in Bad Liebenwerda“ beginnen sollte. Die Genehmigung der Besatzungsbehörden in Halle stand zu diesem Zeitpunkt jedoch noch aus.

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offiziellen Kurs der Parteiführungen abzuweichen.62 Die Mitglieder beider Parteien konnten meist nur in privaten Gesprächen oder Briefen den offiziellen Parteikurs kritisch betrachten. Für die historische Darstellung bedeutete dies, dass die wichtigsten kritischen Stimmen abseits der offiziellen Parteiveranstaltungen in vielen Fällen verloren gegangen sind. Insgesamt befanden sich die Mitglieder beider Parteien aufgrund der wenigen Möglichkeiten, unabhängige Informationen zu erlangen, in einem sehr starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Parteispitzen. Hinzu kam, dass die Besatzungsmacht seit Beginn der Par­ teigründungen im Zweifelsfalle jedes abweichende Verhalten sofort sanktionieren konnte. Nur mit ausgewählten Informationen versorgt und ständig unter der Aufsicht der Besatzungsmacht, blieben den Mitgliedern beider Parteien seit Beginn des Vereinigungsprozesses kaum große Handlungsspielräume. Noch schwieriger war die Lage innerhalb der SPD, die erst kurz vor dem Beginn der Vereinigungskampagne im November 1945 im Untersuchungsgebiet den ersten Teil ihrer Reorganisation abgeschlossenen hatte. Kaum wieder neu aufgebaut, waren die SPD-Mitglieder dem verschärften Werben der KPD ausgesetzt. Bedenkt man dabei, dass ab Ende des Jahres 1945 immer mehr neue Mitglieder in die SPD strömten, die in vielen Fällen vor 1933 keiner Partei angehörten und nun alle integriert werden mussten, so wurde deutlich, dass die SPD noch große Anstrengungen zu bewältigen hatte, bis sich die Partei stabilisierte. Allein im großen SPD-Ortsverein Grünewalde gehörten am 31. März 1946 von den insgesamt 214 Mitgliedern nur 66 Mitglieder vor 1933 der SPD an.63 Erschwerend kam für die SPD hinzu, dass im Gegensatz zur KPD mit der Neugründung der Kreisverbände mit dem Unterbezirkssekretär Otto Dietrich nur ein einziger hauptamtlicher Parteifunktionär zur Verfügung stand, der wiederum für die drei Landkreise Liebenwerda, Schweinitz und Torgau zuständig war. Die anderen wesentlichen sozialdemokratischen Akteure waren ferner alle in mehrere Verwaltungsaufgaben eingebunden, die diesen eine effiziente Parteiarbeit kaum ermöglichten. Wie sehr z. B. der Liebenwerdaer SPD-Kreisvorsitzende Otto Dietrich beansprucht wurde, schrieb er am 23. Dezember 1945 an Otto Philipp: „[…] denn auch ich bin aufgezogen wie eine Uhr. Die Zeit langt nicht hin und nicht her. Ich verweise nur auf einiges: Ortsvereinsvorsitzender, Vorsitzender der Gemeinde-Bodenkommission, Vorsitzender des Antifa-Ausschusses, Vorsitzender des Jugend-Aktivs, Kreisleitung SPD, jetzt dazu Genossenschaftsaufbau, Leitung der landwirtschaftlichen Genossenschaft, Spar- und Darlehnskasse, hierzu vom Antifa-Ausschuss bestimmt, außerdem mein eigener Steuerhelferbetrieb […]. Das vorgelegte Aufbautempo holt das letzte aus den aufbauwilligen Menschen

62 Vgl. Schriftverkehr des SPD-Ortsvereins Grünewalde 1945/46 (PA Helfried Dietrich). Jede Parteiveranstaltung sowie die Redner wurden 1945/46 vom SPD-Ortsverein Grünewalde bei der örtlichen Kommandantur angemeldet. 63 Mitgliederstand des SPD-Ortsvereins Grünewalde vom 31.3.1946 in Besitz von Helfried Dietrich.

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heraus.“64 Trotz dieser enormen Zeitbelastung dauerte es im Kreis Liebenwerda bis zum 3. Februar 1946, bevor Otto Dietrich aus Falkenberg als hauptamtlicher Sekretär allein nur für den Kreis Liebenwerda eingesetzt wurde und damit endgültig die alten SPD-Unterbezirke aufgelöst wurden.65 Die getroffenen Entscheidungen mussten somit im Untersuchungsgebiet auch im Hinblick auf die enorme Zeitbelastung der führenden Funktionäre der SPD gesehen werden. Erschwerend kam für die SPD besonders im Kreis Liebenwerda hinzu, dass die Funktionäre im Kreisvorstand sehr weit im Kreis verstreut lebten, was eine direkte schnelle Kommunikation unter den Nachkriegsbedingungen kaum ermöglichte. So beklagte sich der Kreisvorsitzende Otto Dietrich oft über die mangelhaften Kommunikations- und Transportverbindungen im Kreis. Da z. B. das Fahrrad des gehbehinderten Otto Dietrich nach Kriegsende von Rotarmisten gestohlen worden war, hatte er kaum eine Möglichkeit, im Kreis zu reisen.66 Ebenso erfolgte der Eisenbahnverkehr im gesamten restlichen Jahr 1945 innerhalb des Kreises nur sehr unregelmäßig. Der SPD-Redner Wilhelm Hecker aus Würdenhain schrieb darüber z. B. an Otto Dietrich: „Mit dem Zug nach Mückenberg entgegenzukommen habe ich aber keinen Mut, da das bei der letzten Versammlung in Mückenberg einen bösen Reinfall gegeben hat. Der Zug hatte derart viel Verspätung, dass nur ein geringer Teil der Erschienenen ausharrte, bis ich endlich kam.“67 Außerdem beschwerte sich der Kreisvorsitzende Otto Dietrich noch Ende Dezember 1945, dass sein persönliches Telefon immer noch nicht in Stand gesetzt wurde.68 Inoffizielle Vorabsprachen innerhalb der Parteiführung oder die gemeinsame Ausarbeitung von Strategiepapieren waren damit sehr enge Grenzen gesetzt. Unter diesen Bedingungen rückte der Bad Liebenwerdaer Otto Philipp in eine Schlüsselposition. Da er als stellvertretender Kreisvorsitzender in der Kreisstadt beheimatet war, wurde ihm von Otto Dietrich und wohl auch vom gesamten Vorstand die Befugnis erteilt, schnelle Entscheidungen im Sinne der SPD zu treffen. Otto Dietrich stellte im Weiteren klar, dass bei Ausschussbesetzungen im Landkreis „bei der Ungunst der Verkehrsverhältnisse auf Liebenwerdaer Genossen zurückgegriffen wird“ und Otto Philipp die Vertretung der SPD bei der Kreiskommandantur übernahm.69 64 Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 65 Vgl. Erstes Rundschreiben des SPD-Kreissekretärs Otto Dietrich vom 5.2.1946 (PA Helfried Dietrich). 66 Vgl. Otto Dietrich an Wilhelm Lehmann vom 11.9.1945 (PA Helfried Dietrich). Hierin schrieb Otto Dietrich: „Inzwischen ist mir von den Russen mein Fahrrad abgenommen worden. Nun ist es ganz toll. Wie soll ich mit meinem Beinschaden die ganze Gegend abstrampeln.“ 67 Wilhelm Hecker an Otto Dietrich vom 26.11.1945 (PA Helfried Dietrich). 68 Vgl. Schreiben des SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 69 SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 29.11.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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Vereinigung der KPD und SPD

Im Büro von Otto Philipp gingen daraufhin alle wesentlichen Informationen der SPD-Bezirks- und Provinzialleitung ein. Aufgrund seiner Schlüsselfunktion arbeitete er von nun an alle Schreiben aus, die die SPD gemeinsam mit der KPD-Kreisleitung verfasste.70 Zwar wurden diese Schreiben immer mit Otto Dietrich in Grünewalde abgestimmt, aber erster Ansprechpartner der KPD war in dieser Zeit immer Otto Philipp in Bad Liebenwerda, der somit einen weitaus größeren politischen Gestaltungsspielraum als der SPD-Kreisvorsitzende während der Vereinigungskampagne besaß. Otto Philipp war in der Lage, aufgrund seines Informationsvorsprungs schnelle Entscheidungen zu treffen, die der Kreisvorstand daraufhin zwangsläufig hinnehmen musste. Philipp, der aufgrund seiner guten Kontakte zur Besatzungsmacht wohl von der KPD im Gegensatz zum kritischen Kreissekretär Otto Dietrich als erster Ansprechpartner bevorzugt in Anspruch genommen wurde, avancierte damit zeitweilig zur einflussreichsten Person innerhalb der SPD im Kreis Liebenwerda. Unterdessen intensivierte die Berliner Führung der KPD, auch nachdem sie Ende November 1945 erkennen musste, dass die Wahl in Österreich mit einer Niederlage der Kommunisten endete, ihre Vereinigungskampagne in der SBZ. Wilhelm Pieck suchte daraufhin am 10. Dezember 1945 das Gespräch mit Otto Grotewohl, in dem ausführlich über die Reise Grotewohls in die Westzonen und über dessen kritische Rede vom 11. November 1945 gesprochen wurde. Wichtigstes Ergebnis dieser Unterredung war die Zustimmung Grotewohls zur Veranstaltung einer gemeinsamen Konferenz mit führenden Funktionären aus der gesamten SBZ. Von jeder Partei sollten etwa 30 Funktionäre benannt werden, die am 20. Dezember 1945 in Berlin zusammenkommen und nach dem Willen der KPD die Frage der Vereinigung der beiden Parteien grundsätzlich diskutieren sollten.71 Trotz aller Bedenken war es der SPD-Führung um Otto Grotewohl zu dieser Zeit nicht mehr möglich, das Verlangen der KPD nach einer Diskussion über die Vereinigung beider Parteien einfach zu übergehen. Das größte Problem für den SPD-Zentralausschuss bestand zu diesem Zeitpunkt darin, dass eine reichsweite Vereinigung der Partei von Kurt Schuhmacher unter der Führung des Zentralausschusses konsequent abgelehnt wurde.72

70 Das erste gemeinsame Schreiben arbeitete Otto Philipp zusammen mit der KPD und dem FDGB zur Gewerkschaftswahl am 17.12.1945 aus. Vgl. Aufruf an alle Genossinnen und Genossen und Gewerkschaftsmitglieder vom 17.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Des Weiteren verfasste er die SPD-Silvesterbotschaft an alle Mitglieder und das gemeinsame Rundschreiben der SPD und KPD nach der ersten gemeinsamen Kreiskonferenz am 13.1.1946. Vgl. Silvesterbotschaft der Kreisleitung der SPD vom 31.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.); gemeinsames Rundschreiben der Kreisleitungen der SPD und KPD vom 16.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 71 Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 177 f. 72 Da man sich über den Führungsanspruch innerhalb der Partei nicht einigen konnte, endete bereits das erste Treffen zwischen Vertretern der SPD aus der SBZ und den Westzonen am 5./6.10.1945 in Wennigsen bei Hannover ohne Ergebnis. Vgl. Harold

Die „Vereinigungskampagne“

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Damit blieb der Gestaltungsbereich des SPD-Zentralausschusses praktisch auf die SBZ begrenzt. Durch den rigiden Kurs Schuhmachers war der geschwächte Zentralausschuss dem Werben der KPD und vor allem der sowjetischen Besatzungsmacht ausgeliefert. Um weiteren Gestaltungsspielraum nicht zu verlieren, konnte sich der Zentralausschuss dem Drängen nach einer gemeinsamen Konferenz, auf der die Vereinigung beider Parteien diskutiert werden sollte, nicht einfach verweigern. Ziel der SPD-Führung blieb es aber, den Einheitsdrang der KPD so weit wie möglich zu verzögern. Otto Grotewohl versuchte immer wieder, gegenüber den Kommunisten die Reichseinheit der Partei als erstes Ziel der SPD zu verdeutlichen.73 Am ersten Tag der „Sechziger-Konferenz“ am 20. Dezember 1945 deutete aus diesem Grund nichts darauf hin, dass sich die beiden Parteien auf einen gemeinsamen Beschluss zur Parteienvereinigung einigen könnten. Vielmehr drohte die Konferenz bereits am ersten Tag zu platzen, da u. a. Gustav Klinghöfer (SPD) am Ende des ersten Tages die KPD und die Besatzungsmacht für ihr rücksichtsloses Vorgehen gegenüber der SPD in einer bis dahin nicht gekannten Schärfe kritisierte.74 Am nächsten Tag der Konferenz änderte sich das Bild aber grundlegend. Wie ausgewechselt präsentierten beide Parteiführungen am Beginn des zweiten Tages einen gemeinsamen Resolutionsentwurf. In der Nacht zuvor übten vermutlich Vertreter der SMAD erheblichen Druck auf die Sozialdemokraten aus und zwangen diese zu weitreichenden Zugeständnissen an die KPD. Als abschreckendes Beispiel für viele führenden Sozialdemokraten diente wohl dabei die Absetzung des 1. und 2. CDU-Vorsitzenden, Andreas Hermes und Walther Schreiber, kurz vor Konferenzbeginn, die sich kritisch zur Bodenreform geäußert hatten.75 Letztendlich wurde folgende Erklärung von beiden Parteien veröffentlicht: „Die Erweiterung und Vertiefung der Aktionseinheit soll den Auftakt zur Verwirklichung der politischen und organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung, d. h. zur Verschmelzung der Sozialdemokratischen Partei Deutschland und der Kommunistischen Partei Deutschlands zu einer einheitlichen Partei bilden […]. Auch über den Weg zur Schaffung der Einheitspartei konnte nach lebhafter und kameradschaftlicher Aussprache weitgehend Übereinstimmung erzielt werden. Lasst uns die Hände reichen und gemeinsam die große Idee der Arbeitereinheit voll verwirklichen. Der Weg zur Einheitspartei führt über den

Hurwitz, Die Anfänge des Widerstands. Teil 1 Führungsanspruch und Isolation der Sozialdemokraten, Köln 1990, S. 400–407. 73 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 154. 74 Vgl. Stenographische Niederschrift der Sechziger-Konferenz am 20./21.12.1945 in Berlin. In: Gert Grunner/Manfred Wilke (Hg.), Sozialdemokraten im Kampf um die Freiheit. Die Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD in Berlin 1945/46, München 1986, S. 145–148. 75 Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 179 f.

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Vereinigung der KPD und SPD

raschen weiteren Aufbau der Aktionseinheit. Im engsten Zusammenhang mit den täglichen Fragen und Aufgaben sollen alle Gruppen und Ortsorganisationen, jetzt Bezirks- und Landes- bzw. Provinzialleitungen, eine gemeinsame und rege ideologische Aussprache pflegen […].“76 Zwar wurde mit der Erklärung kein genauer Zeitplan für die Vereinigung beider Parteien beschlossen, doch konnte jetzt jedem noch skeptischen Sozialdemokraten der Einheitswille des SPD-Zentralausschusses vor Augen geführt werden.77 Nach der Verabschiedung der Erklärung setzte in beiden Parteizeitungen sofort eine Kampagne ein, die den einfachen Parteimitgliedern suggerieren musste, dass der Weg zur Vereinigung beider Parteien von den beiden Parteiführungen bereits fest beschlossen wäre.78 In der darauffolgenden Sitzung des Sekretariats der KPD am 22. Dezember 1945 führte schließlich Wilhelm Pieck aus, dass nun innerhalb der SPD Personen gefunden werden mussten, die die verabschiedete Erklärung vom 21. Dezember 1945 innerhalb der Partei bekannt machen und weitere Schritte zur Vereinigung gehen sollten.79 In der Person des Vorsitzenden des SPD-Bezirks Halle-Merseburg, Bruno Böttge, der bereits zuvor als starker Befürworter für eine enge Zusammenarbeit mit der KPD galt, wurde die KPD schnell fündig.80 Böttge lud sofort nach der Veröffentlichung der Erklärung alle SPD-Kreis- sowie Unterbezirksvorsitzenden für den 28. Dezember 1945 zu einer Bezirkskonferenz ein.81 Während dieser Konferenz wurde den Konferenzteilnehmern die kommunistische Auslegung der Erklärung vom 21. Dezember 1945 vermittelt, die diese als Entschließung für eine schnelle Vereinigung beider Parteien darstellte.82 Unter den anwesenden Vertretern aus den Kreisen befanden sich auch der 1. und 2. Kreisvorsitzende des Kreises Liebenwerda Otto Dietrich und Otto

76 Entschließung der gemeinsamen Konferenz des Zentralausschusses der SPD und des Zentralkomitees der KPD über die Zusammenarbeit beider Parteien vom 20./21.12.1945. In: Gruner/Wilke (Hg.), Sozialdemokraten im Kampf um die Freiheit, S. 200–203. 77 Ob sich der SPD-Zentralausschuss bei der Annahme dieser Resolution restlos darüber im Klaren war, dass diese von der KPD als Druckmittel zur schnellen Vereinigung benutzt wird, bleibt zu bezweifeln. 78 Vgl. Volksblatt vom 28.12.1945, Nr. 94; Volksblatt vom 31.12.1945, Nr. 97; Volkszeitung vom 30.12.1945, Nr. 117. 79 Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 180 f. 80 Bruno Böttge führte seit Anfang Dezember 1945 neben dem SPD-Bezirk Halle-Merseburg auch das SPD-Provinzialsekretariat. Andreas Schmidt schrieb über Böttge, das er seine Aufgabe darin sah, die SPD an die KPD heran- und schließlich in die Vereinigung zu führen. Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 165. 81 Vgl. Rundschreiben des SPD-Bezirksverbandes Halle-Merseburg an alle Ortsvereine, Kreisleitungen und Unterbezirke vom 22.12.1945 (LHASA, MER, P 509, Nr. 1, Bl. 108). 82 Vgl. ebd. In dem Rundschreiben wurde für den 28.12.1945 nach Halle eingeladen. Einziges Thema dieser Konferenz sollte die Entschließung der „Sechziger-Konferenz“ sein. Die Entschließung dieser Konferenz vom 28.12.1945 wurde in der Volkszeitung vom 30.12.1945, Nr. 117, abgedruckt.

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Philipp.83 Besonders auf Otto Philipp hatte die Konferenz eine entscheidende Wirkung. So erwähnte Otto Philipp in seiner Silvesterbotschaft an alle SPD-Mitglieder erstmals in einem öffentlichen SPD-Schreiben das Ziel einer schnellen Vereinigung mit der KPD. In Bezug darauf schrieb er: „Vermeidet alles, was diesem Ziele entgegensteht.“84 Dass Otto Philipp auch persönlich von dem Vorhaben überzeugt war, machte er wenig später am 2. Januar 1946 in einem Dankschreiben an den Vorsitzenden der KPD-Ortsgruppe in Mühlberg deutlich. „Recht herzlichen Dank für Deine Neujahrswünsche. Die Kreisleitung der SPD Liebenwerda wird sehr gern mit unserer Bruderpartei, der KPD, Hand in Hand arbeiten. Ich versichere Dir, dass es mein persönlicher und sehnlichster Wunsch, aber auch der Wunsch der Kreisleitung der SPD ist, recht bald zu der erstrebten Vereinigung der Bruderparteien zu kommen.“85 Dass der SPD-Kreisvorstand dem Kurs der Bezirksleitung unter Bruno Böttge folgte, verdeutlichte auch das Neujahrsschreiben vom SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich. Er führte darin aus, dass es im Jahr 1946 „politische Entscheidungen von ungeheurer Tragweite“ geben werde. „Voranstehend“, so Otto Dietrich weiter, „ist die angebahnte organisatorische Vereinigung beider Arbeiterparteien, der KPD und der SPD.“86 Beide Vertreter des Kreisvorstandes, Dietrich und Philipp, übernahmen also die von Bruno Böttge auf der Bezirkskonferenz vorgegebene Interpretation der Erklärung der „Sechziger-Konferenz“. Die Initiative zur Vereinigung kam somit nicht vonseiten der kreislichen SPD oder KPD, sondern wurde von oberen Parteigremien in beide Parteien getragen. Nachdem es Bruno Böttge gelungen war, den SPD-Bezirksverband Halle-Merseburg auf seine Interpretation der „Sechziger-Konferenz“ einzuschwören, verabschiedete der SPD-Provinzialvorstand zusammen mit der KPD-Bezirksleitung am 29. Dezember 1945 eine gemeinsame Erklärung zur „Sechziger-Konferenz“, die sich ebenfalls ganz auf kommunistischer Linie bewegte.87 Nur wenige Tage später, am 2. Januar 1946, veröffentlichten beide Provinzialverbände der KPD und SPD ein Rundschreiben an alle Ortsvereine und Kreisverbände. Hie­ rin hieß es eingangs: „Die gemeinsame Konferenz der SPD und KPD am 20. und 21. Dezember 1945 in Berlin hat nach kameradschaftlicher Aussprache Beschlüsse gefasst, die für die deutsche Arbeiterbewegung einmal historische

83 Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). In diesem Schreiben verabredeten beide die gemeinsame Anreise nach Halle. 84 Silvesterbotschaft der Kreisleitung der SPD vom 31.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.) 85 Dankschreiben von Otto Philipp an Herbert Naumann vom 2.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 86 Neujahrsbotschaft des SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich vom 1.1.1946 (PA Helfried Dietrich). 87 Vgl. Gemeinsames Rundschreiben des Provinzialverbandes der Sozialdemokratischen Partei und der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei für die Provinz Sachsen vom 2.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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Bedeutung bekommen werden. Auf dieser Konferenz wurde der Weg gesucht und gefunden, der zur einheitlichen sozialistischen Arbeiterpartei führt.“88 Gleichfalls wurde den Orts- und Kreisverbänden beider Parteien in dem Rundschreiben aufgetragen, gemeinsame Kreiskonferenzen, gemeinsame Mitgliederversammlungen der Betriebsgruppen sowie gemeinsame Funktionärs- sowie Mitgliederversammlungen der Ortsverbände durchzuführen. Diese Versammlungen sollten „auf der Grundlage der Berliner Beschlüsse vom 21. Dezember 1945“ durchgeführt werden und unter dem Thema „Auf dem Wege zur Einheit der Arbeiterklasse“ stehen.89 In Folge dieses Rundschreiben setzte im gesamten Kreis Liebenwerda eine Versammlungswelle ein, mit der vor allem vonseiten der KPD wiederum der sogenannte Druck von unten auf kritische SPD-Funktionäre erzeugt werden sollte.90 Höhepunkt dieser gemeinsamen Veranstaltungen im Kreis Liebenwerda bildete die erste gemeinsame Kreiskonferenz am 13. Januar 1946, auf der umfassend über die Erklärung der „Sechziger-Konferenz“ diskutiert wurde.91 Ganz auf der Linie des Rundschreibens vom 2. Januar 1946 verfassten der KPD-Kreisvorsitzende Mittig und der stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende Philipp am 16. Januar 1946 ein gemeinsames Schreiben, welches die einstimmigen Beschlüsse der Kreiskonferenz zusammenfasste. So wurde nun die Bildung gemeinsamer Arbeitsausschüsse in den Orten und die Durchführung gemeinsamer Mitgliederversammlungen, gemeinsamer Schulungsabende sowie gemeinsamer öffentlicher Versammlungen beschlossen. Des Weiteren sollten gemeinsame Funktionärsbesprechungen durchgeführt werden, „in denen alle bestehenden Differenzen, die meist persönlicher Natur sind, in einer offenen und kameradschaftlichen Aussprache“ beigelegt werden sollten.92 Erneut setzten also beide Kreisvorstände die Vorgaben der beiden Provinzialleitungen eins zu eins um.

88 Ebd. 89 Ebd. 90 Im Monatsbericht der KPD-Unterbezirksleitung für den Januar 1946 wurde ausgeführt, dass im Kreis Liebenwerda im Januar 1946 alle öffentlichen Versammlungen gemeinsam durchgeführt wurden. Vgl. Monatsbericht für Januar 1946 der Unterbezirksleitung der KPD Halle-Merseburg (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 28). 91 Vgl. Gemeinsames Rundschreiben der Kreisleitungen der KPD und SPD zur Einladung zur gemeinsamen Kreiskonferenz am 13.1.1946 (undatiert; PA Helfried Dietrich). Ausdrücklich wurde in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Beschlüsse der „Sechziger-Konferenz“ und der gemeinsamen Konferenz in Halle am 5.1.1946 die Einladung zu einer gemeinsamen Kreiskonferenz erforderten. 92 Gemeinsames Rundschreiben der Kreisleitungen der SPD und KPD vom 16.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60). In dem Rundschreiben der beiden Kreisleitungen wurden einige Passagen aus dem gemeinsamen Rundschreiben der beiden Provinzialleitungen vom 2.1.1946 übernommen. Vgl. Gemeinsames Rundschreiben des Provinzialverbandes der Sozialdemokratischen Partei und der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei für die Provinz Sachsen vom 2.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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Dass das Vorgehen des SPD-Kreisvorstandes aber nicht bei jedem SPD-Mitglied auf ungeteilte Zustimmung stieß, zeigte sich spätestens am 3. Februar 1946 während einer SPD-Kreiskonferenz. Wichtigster Tagesordnungspunkt sollte während dieser Konferenz die Wahl des neuen Kreissekretärs bilden, der nur noch für den Kreis Liebenwerda zuständig sein sollte.93 Bereits zuvor gab es innerhalb der SPD zu dieser Personalie erheblichen Streit zwischen den Ortsverbänden.94 Da die Stimmung ohnehin bei vielen Delegierten gereizt war, da es dem Kreisvorstand gelang, seinen Kandidaten Otto Dietrich aus Falkenberg durchzusetzen, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion zum dritten Tagesordnungspunkt „Die Einheit der Arbeiterklasse“, über den zunächst der Einheitsbefürworter Otto Philipp referierte.95 Herbert Sandner, der wahrscheinlich als kommunistischer Gast der SPD-Kreiskonferenz beiwohnte, berichtete später, wie u. a. der sowjetische Kommandant, Kapitän Kapanow, in die aufkommende Diskussion eingriff. „Mit marxistisch-leninistischer Klarheit beantwortete er viele Frage, die besonders vonseiten der SPD-Genossen gestellt wurden. Die überzeugenden Ausführungen des Genossen Kapanow trugen wesentlich dazu bei, gewisse Bedenken zu zerstreuen, die bei manchem Genossen der SPD noch vorhanden waren.“96 In der Aussprache über den dritten Tagesordnungspunkt, die auch im sozialdemokratischen „Volksblatt“ kurz erwähnt wurde, wurden zwar höchstwahrscheinlich keine grundlegend ablehnenden Argumente gegen eine Vereinigung beider Parteien vorgebracht – dies verbat allein die Anwesenheit des sowjetischen Kommandanten –, zumindest verdeutlichte dies aber, dass, ganz im Gegensatz zur Parteispitze um Otto Philipp und Otto Dietrich, viele Mitglieder noch große Bedenken über eine Parteienfusion hatten.97 Wie die zahlenmäßige Verteilung von Befürwortern und Gegnern der Vereinigung der beiden Parteien schlussendlich genau aussah, muss offenbleiben. Grundsätzlich lässt sich nur sagen, dass KPD-Mitglieder die Einheitsbestrebungen wohlwollender aufnahmen als SPD-Mitglieder. So gab es keinen einzigen Bericht der beiden KPD-Kreisleitungen an die Bezirksleitung, dass es größere

93 Vgl. Einladung zur SPD-Kreiskonferenz am 3.2.1946 vom 24.1.1946 (PA Helfried Diet­ rich). 94 Wie der SPD-Kreisvorsitzende Otto Dietrich bereits im Dezember 1945 bemerkte, gab es bei einer „Vereinsvorsitzenden-Tagung“ in Elsterwerda erheblichen Unmut über die Anstellung eines geeigneten Kreissekretärs. Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an Otto Philipp vom 23.12.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Des Weiteren wurde noch während der SPD-Kreisvorstandssitzung am 27.1.1946 neben dem Wunschkandidaten des Kreisvorstandes, Otto Dietrich (Falkenberg), weitere Namen als neuer Kreissekretär diskutiert. Vgl. Protokoll der SPD-Kreisvorstandssitzung vom 27.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). Letztlich kandidierte aber Otto Dietrich (Falkenberg) am 3.2.1946 allein. 95 Vgl. Einladung zur SPD-Kreiskonferenz am 3.2.1946 vom 24.1.1946 (PA Helfried Diet­ rich). 96 Unser Rotes Ländchen, S. 38. 97 Vgl. Volksblatt vom 15.2.1946, Nr. 39.

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Widerstände innerhalb der eigenen Mitgliedschaft gab. Wenn kritische Äußerungen über eine Fusion auftraten, dann wurden diese KPD-Mitglieder, wie z. B. Otto Eger in Herzberg, persönlich durch die Zusammenarbeit beider Parteien benachteiligt.98 Im Großen und Ganzen erkannten aber wohl die meisten Kommunisten, dass eine Fusion beider Parteien hauptsächlich die Ziele der KPD fördern würde. Ebenso war wohl der Parteigehorsam durch die strengere und effizientere kommunistische Parteiorganisation bei KPD-Mitgliedern viel größer ausgeprägt als bei den Sozialdemokraten.99 Bei den Sozialdemokraten sahen hingegen die Reaktionen auf die Einheitsbestrebungen von Ort zu Ort unterschiedlich aus. Der SPD-Ortsverein in Rothstein machte z. B. am 24. Januar 1946 über eine Mitgliederversammlung folgende Meldung an den Liebenwerdaer SPD-Kreisvorstand: „Von allen anwesenden Genossen wurde großes Interesse für die Bildung der einheitlichen Arbeiterpartei gezeigt […]. Wir wollen und werden uns gemeinsam mit den Genossen der KPD in unserem Ortsverein Rothstein den Weg für eine bessere Zukunft suchen.“100 Und auch der Mühlberger SPD-Ortsvorsitzende Willi Taube bekannte in einer gemeinsamen Versammlung beider Parteien sehr früh, dass eine einheitliche Arbeiterpartei „das beste Kampfinstrument gegen Reaktion und Militarismus“ sein werde.101 Auch der bereits in der KBK mitwirkende Bockwitzer SPD-Ortsvorsitzende Otto Klemtz führte seinen Ortsverband nahezu widerspruchslos in die Vereinigung. Der Bockwitzer KPD-Vorsitzende Herbert Sandner schrieb später dazu: „Als im Dezember 1945 im zentralen Maßstab der 60er-Ausschuss aus Vertretern der beiden Arbeiterparteien gebildet wurde, gestaltete sich auch in Bockwitz die Zusammenarbeit immer enger […]. Zur Frage der Vereinigung herrschte sowohl bei den Funktionären als auch bei den Mitgliedern beider Ortsgruppen völlige Einmütigkeit.“102 Diese Äußerung Sandners deckte sich auch mit der Berichterstattung im „Volksblatt“. So schwor das SPD-Kreisvorstandsmitglied Otto Klemtz den Bockwitzer Ortsverein bereits Anfang Januar 1946 auf die Vereinigung mit der KPD ein.103 Es gab aber auch andere Beispiele. So weigerte sich der zahlenmäßig weit größere SPD-Ortsverein in Lauchhammer lange Zeit, überhaupt Gespräche mit der KPD über eine gleichberechtigte Vereinigung zu führen. Max Mittig (KPD) aus Lauchhammer schrieb dazu Folgendes: „Während die Genossen der KPD

 98 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreise Schweinitz vom 29.12.1945 (­LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43).  99 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 161. 100 Protokoll der Monatsversammlung des Ortsvereins der SPD Rothstein vom 24.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpagiert). 101 Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 51 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 102 Unser Rotes Ländchen, S. 37. 103 Volksblatt vom 14.1.1946, Nr. 11.

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auf eine enge Zusammenarbeit mit den SPD-Genossen Wert legten, bestand von führenden Genossen der SPD noch ein gewisses Misstrauen. Aufgrund der zahlenmäßigen Stärke der SPD-Ortsgruppe waren die Genossen Wagenknecht, Schramm, Max Dietrich und einige andere der Meinung, dass sich die wenigen KPD-Genossen der SPD-Ortsgruppe anschließen sollten. Eine Reihe gemeinsamer Veranstaltungen beider Ortsgruppen verlief zunächst ohne Ergebnis.“104 An diesem Beispiel wurde erneut deutlich, wie sehr sich durch den Erfolg der Mitgliederwerbung das Selbstbewusstsein der SPD-Mitglieder steigerte. Besonders in Orten, in denen die SPD klar dominierte, war es schwierig, den SPD-Mitgliedern die gleichberechtigte Vereinigung beider Parteien zu vermitteln. So entpuppte sich z. B. auch der Vorsitzende des starken Mückenberger SPD-Ortsverbandes, Martin Brunnenbauer, der später in der regionalen DDR-Geschichtsschreibung nur verächtlich als „Brunnenvergifter“ bezeichnet wurde, als Gegner der Vereinigung.105 Neben der Stärke der Mückenberger SPD lehnte Brunnenbauer die Vereinigung aus grundsätzlichen Erwägungen ab, wie der Mückenberger KPD-Vorsitzende Arthur Tetzel später berichtete. „Er sah in der ,Demokratie‘ der zwanziger Jahre das Beispiel. Wir wussten aber zu gut, dass diese den Arbeitern aber nichts Gutes gebracht hat. Wir waren auch über die zukünftige Organisation der Partei nicht einig. Die Genossen um Brunnenbauer waren der Meinung, dass die Partei auf Betriebe keinen Einfluss nehmen dürfte, sie sollten nur im Ort arbeiten.“106 Die Ziele der KPD wurden hier von Tetzel deutlich umschrieben. Dass Personen, die sich auch weiterhin für ein parlamentarischen System und eine feste Eigentumsordnung aussprachen, innerhalb der künftigen einheitlichen Arbeiterpartei keine Zukunft mehr besaßen, wurde in diesen Ausführungen deutlich. Brunnenbauer schien dies bereits Anfang des Jahres 1946 erkannt zu haben und setzte sich schließlich nach der vollzogenen Vereinigung in den Westen Deutschlands ab.107 Allen Einheitsskeptikern bzw. -gegnern, die es, wie gezeigt, auch im Untersuchungsgebiet gab, war aber gemein, dass sie ihre Kritik nie offen zeigen konnten. Der Nachweis ihrer Existenz wurde dadurch erheblich erschwerte. Herbert Sandner schrieb z. B.: „Solche Bremser traten zwar nicht offen gegen die Vereinigung auf. Sie wussten, dass sie damit keinen Anklang gefunden hätten. Aber sie bremsten eben. Sie warnten vor Überstürzung und meinten, man müsse sich mit der Vereinigung Zeit, viel Zeit lassen.“108 Dafür, dass sich die Vereinigung beider Parteien auch im Untersuchungsgebiet ohne größeren offenen Widerstand vonseiten der SPD-Mitglieder vollzog,

104 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 41 f. 105 Vgl. ebd., S. 37. 106 Kommission für Betriebsgeschichte des VEB Braunkohlenkombinats Lauchhammer (Hg.), Bergarbeiterland in Volkeshand. Geschichte des VEB Braunkohlenkombinat Lauchhammer, Band II, Berlin (Ost) 1970, S. 24. 107 Vgl. Unser Rotes Ländchen, S. 37. 108 Ebd., S. 37.

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gab es mehrere Gründe. Ein Hauptgrund lag vor allem im Eingreifen der Besatzungsmacht, die seit Kriegsende die Ziele der KPD unterstützte. So begann die Liebenwerdaer Kreiskommandantur Mitte Dezember 1945, als die Vereinigungskampagne bereits angelaufen war, die SPD stärker zu beobachten. Um die Informationen zentral in der Kreiskommandantur zu bündeln, verlangte der für politische Fragen zuständige Besatzungsoffizier Karas nun erstmals vom SPD-Kreisvorstand ausführliche Daten über den Mitgliederstand, die Verteilung aller Ortsvereine sowie die Anschriften aller Ortsvereinsvorsitzenden.109 Sollten die Informationen nicht geliefert werden, so komme, wie der Kreisvorsitzende Otto Dietrich schrieb, „der Genosse Philipp bei der Kommandantur in Bad Liebenwerda in arge Bedrängnis“.110 Dass die Besatzungsmacht gewillt war, kritische Stimmen gegen die Vereinigung beider Parteien aus ihren Positionen zu entfernen, zeigte sich ebenso am Beispiel Wilhelm Heckers, der, wie bereits gezeigt, den Einheitsbestrebungen kritisch gegenüberstand.111 Nachdem Hecker in einer Veranstaltung in Lauchhammer am 12. Dezember 1945 nach einem Bericht des anwesenden Besatzungsoffiziers in seiner Rede kritisch auf die Vorgehensweise der örtliche KPD eingegangen war, drohte ihm der politische Offizier Karas ein Redeverbot an. Daraufhin verlangte er vom SPD-Kreisvorstand eine schriftliche Stellungnahme zum Geschehen in Lauchhammer. Zwar gelang es dem SPD-Kreisvorstand und insbesondere Otto Philipp mit einem Schreiben an die Kreiskommandantur, in dem sich Hecker zu einer guten Zusammenarbeit mit der KPD bekannte, das Redeverbot zu verhindern, dennoch schüchterte die bloße Androhung des Redeverbots die SPD-Redner im Kreis zweifellos ein.112 Spätestens jetzt musste jedem Mitglied des SPD-Kreisvorstandes klar geworden sein, dass in öffentlichen Veranstaltungen die KPD nicht kritisiert werden durfte. Dass widerstrebendes Verhalten Konsequenzen haben würde, war damit auch dem Liebenwerdaer SPD-Kreisvorstand um Otto Dietrich und Otto Philipp klar, als sie nach der Bezirkskonferenz am 28. Dezember 1945 den Einheitskurs innerhalb der Partei offensiv propagierten. Zudem wurden Otto Philipp und der Unterbezirkssekretär Otto Dietrich in einer Besprechung am Anfang des Jahres 1946 in der Kommandantur nochmals vom Einheitskurs „überzeugt“.113 Da jedem verantwortlichen SPD-Funktionär klar war, dass ohne weitreichende Folgen SPD-Mitglieder in öffentlichen Veranstaltungen die KPD und damit den

109 Vgl. SPD-Kreisvorsitzender Otto Dietrich an den SPD-Unterbezirksvorsitzenden Otto Dietrich vom 23.12.1945 (PA Helfried Dietrich). 110 Ebd. 111 Vgl. Wilhelm Hecker an Otto Dietrich vom 26.11.1945 (PA Helfried Dietrich). 112 Vgl. Kreisleitung der SPD an Herrn Major Karas vom 2.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 113 Vgl. ebd. Otto Philipp forderte in einer Abschrift des Schreibens, die für den Unterbezirkssekretär gedacht war, Otto Dietrich auf, „baldigst mal mit zum Major Karas“ zu kommen.

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Einheitskurs nicht kritisieren durften, vermittelte dies auch nach außen in die einfache SPD-Mitgliedschaft ein Bild der Geschlossenheit mit den Kommunisten. Ein Signal für den Widerstand bzw. für eine kritische Diskussion über die Einheitsbestrebungen blieb damit weitestgehend aus. Die SPD-Kreisvorstände waren zunächst vom Bezirks- und später vom Provinzialverband angewiesen worden, die Zusammenarbeit mit den Kommunisten zu forcieren. Wenn bereits die höheren Parteigremien ohne erkennbaren Widerspruch den Weg in die Fusion einschlugen, so hätte es insbesondere unter den Umständen der Besatzung eines ausgeprägten Widerstandswillens innerhalb der Kreisvorstände bedurft, um gegen den Kurs des Bezirks- und Provinzial­ vorstandes zu opponieren. Gleichfalls wurden über die offizielle Parteipresse immer wieder neue Meldungen des Einheitswillens innerhalb der SPD verbreitet, die den Eindruck erweckten, dass die Einheitsgegner in der Unterzahl seien. Allein die Berichterstattung über die erste „Sechziger-Konferenz“, die den Eindruck erwecken musste, dass von der obersten Parteiführung in Berlin bereits der Grundsatzentschluss zur schnellen Vereinigung gefasst wurde, ermöglichte es KPD-Funktionären vor Ort immer wieder, Sozialdemokraten in Verhandlungen unter Druck zu setzen. Beispielsweise berichtete Max Mittig (KPD) aus Lauchhammer Folgendes: „Anfang März 1946 fand bei Schüler wieder eine gemeinsame Versammlung statt. Auch an diesem Abend kam es zunächst zu keiner Einigung […]. Genosse Sklorz fragte die Genossen der SPD, ob sie zu ihrem Genossen Grotewohl stehen. Die Genossen der SPD beantworteten die Frage mit Ja. Genosse Sklorz teilte den Versammelten mit, dass Genosse Grotewohl soeben die Notwendigkeit einer baldigen organisatorischen Vereinigung der Arbeiterparteien verkündet hat. In den Gesichtern vieler Genossen spiegelte sich Freude wider. Einige aber wollten den Worten des Genossen Sklorz keinen Glauben schenken […]. Die Erklärung des Genossen Grotewohl übte einen großen Einfluss auf die Haltung der SPD-Genossen aus.“114 Ohne den erkennbaren Rückhalt von höheren SPD-Gremien war auch den Gegnern der Vereinigung klar, dass ein Widerstand dagegen vollkommen zwecklos sein würde. Zudem war wohl jedem SPD-Funktionär bewusst, dass er bei Widerstand keine Chance bei der Postenbesetzung innerhalb der neuen vereinten Partei gehabt hätte. Wenn die beiden führenden Köpfe der SPD im Kreis Liebenwerda, Otto Dietrich und Otto Philipp, ihre Positionen in die neue Partei hinüberretten wollten, so mussten sie zwangsläufig auf den Kurs des SPD-Bezirksvorstandes am Ende des Jahres 1945 eingehen. Im Weiteren versuchten die örtlichen SPD-Funktionäre, in den Verhandlungen mit der KPD ihre politischen Einflussmöglichkeiten in den Städten und Gemeinden zu vergrößern. Der SPD in Grünewalde, die am 4. Februar 1946 erstmals mit der KPD über die künftige Zusammenarbeit verhandelte, gelang es in diesen Verhandlungen z. B., die

114 Unser Rotes Ländchen, S. 42.

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­ aritätische Besetzung der Gemeindeverwaltung endgültig durchzusetzen.115 p Mit der teilweisen Abgabe der enormen Machtfülle der KPD konnten also die Kommunisten SPD-Mitglieder, die darin ihre Chance auf politische Mitbestimmung sahen, für Verhandlungen zur Vereinigung ködern. Zusätzlich erzeugten dabei die Zugeständnisse der Kommunisten bei den SPD-Mitgliedern ein Gefühl des Vertrauens, welches den Vereinigungsprozess nochmals förderte. Tröstlich wirkte sich in diesem Prozess für viele SPD-Mitglieder wohl die Tatsache aus, dass die SPD im Frühjahr 1946 die KPD in den Mitgliederzahlen klar überholte.116 Die trügerische Hoffnung, als stärkere Partei in die Vereinigung zu gehen und damit auch den neuen Parteikurs bestimmen zu können, veranlasste viele Skeptiker, ihre Bedenken zurückzustellen. Der Unterbezirkssekretär Otto Dietrich aus Falkenberg, der die Gefühlslage der SPD-Mitglieder von allen SPD-Kreisvorstandsmitgliedern durch seine vielen Reise zu den Ortsvereinen wohl am besten einschätzen konnte, versuchte beispielsweise bis zum Vollzug der Vereinigung, so viel neue SPD-Mitglieder wie möglich zu werben. Er rief noch am 5. Februar 1946 alle Parteimitglieder zur Stärkung der Parteiorganisation auf. Dazu schrieb er: „Unser Ziel muss sein, nicht nur die stärkste Partei in unserem Kreis zu sein, sondern die absolute Mehrheit zu erreichen.“117 Welche Motivlagen letztlich überwogen, die zur Vereinigung beider Parteien führten, ist heute nicht mehr restlos zu erforschen. Dass aber die Gefühlslage der meisten SPD-Mitglieder durchaus zwiespältig von Hoffnung und Skepsis geprägt war, gab der Unterbezirkssekretär Otto Dietrich wohl am treffendsten wieder. So schrieb Dietrich, der kein grundsätzlicher Gegner einer Vereinigung war, aber durchaus gewisse Bedenken vorbrachte, kurz vor der letzten SPD-Kreiskonferenz: „Manchem alten Genossen, das weiß ich genau und wohl auch am besten, denn ich kenne Euch doch alle, wird es so gehen wie mir, der Abschied von unserer alten Partei wird uns schwerfallen. Doch der neue Weg zur sozialistischen Einheitspartei muss beschritten werden, damit wir end-

115 Vgl. Einladung der KPD-Ortsgruppe Grünewalde zu einer gemeinsamen Funktionärskonferenz am 4.2.1946 vom 31.1.1946 (PA Helfried Dietrich). Auf dieser gemeinsamen Funktionärskonferenz sollte die „kommende Zusammenarbeit unserer beiden örtlichen Vereinigungen“ besprochen werden. Am 18.2.1946 einigten sich beide Parteien in Grünewalde auf eine gemeinsame Resolution, die die zukünftige Zusammenarbeit in einer vereinigten Arbeiterpartei betonte. Vgl. Resolution vom 18.2.1946 (PA Helfried Dietrich). Zuvor wurde der SPD nochmals die paritätische Besetzung der Gemeindevertretung zugesichert, die immer noch vom Bürgermeister Ruthenberg hinausgezögert wurde. Die örtliche SPD musste im Gegenzug dazu den Anspruch auf den Bürgermeisterposten aufgeben. Vgl. Beschluss zur Resolution vom 18.2.1946 (PA Helfried Dietrich); SPD-Ortsverein Grünewalde an den Bürgermeister Ruthenberg über die Benennung des stellvertretenden Bürgermeisters und der provisorischen Gemeindevertreter vom 16.2.1946 (PA Helfried Dietrich). 116 Vgl. Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34). 117 Rundschreiben des Kreissekretärs Otto Dietrich vom 5.2.1946 (PA Helfried Dietrich).

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lich zu dem kommen, wonach wir seit 30 Jahren streben, der Einheit der deutschen Arbeiterklasse zum Wohle des gesamten deutschen schaffenden Volkes. Wenn beide Richtungen der Arbeiterschaft ehrlichen Wollens sind, werden alle Schwierigkeiten überwunden werden, dann gibt es keine Macht, die die geeinte Arbeiterschaft in ihren Kampf um die Herrschaft aufhalten kann […].“118 In der Aussage Dietrichs schienen trotz aller Skepsis und aller Trauer um die alte Partei die Vorteile der Parteienvereinigung zu überwiegen. So blieb trotz der fast 30-jährigen Spaltung der Arbeiterbewegung und trotz aller schlechten Erfahrungen mit der jeweiligen anderen Partei das Ziel der Einheit, auch aufgrund der starken Propaganda im Jahr 1945/46, für die Mehrzahl beider Parteimitglieder immer positiv besetzt. Viele Parteimitglieder wogen wohl genauso wie der Unterbezirkssekretär Otto Dietrich die Vor- und Nachteile einer Vereinigung genau ab und stellten schließlich ihre Bedenken für das vermeintliche größere Ziel der Vereinigung hinten an. Die Repressionen der Besatzungsmacht, der Druck der höheren Parteigremien beider Parteien sowie die maßlose Propaganda hatten zwar ohne Zweifel einen großen Anteil an dem schnellen und anscheinend geräuschlosen Verlauf der Vereinigung beider Parteien im Untersuchungsgebiet, aber ohne den weitverbreiteten grundsätzlichen Willen der Mitglieder zur Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse hätte die Vereinigungskampagne nicht in dieser nahezu geräuschlosen Form im Untersuchungsgebiet ablaufen können. Die enorme Mitgliederentwicklung der SPD von Februar bis April 1946 konnte kaum nur mit Zwang erklärt werden. Obwohl Anfang Februar 1946 nahezu jedem Parteimitglied klar gewesen sein dürfte, wohin der Weg der Partei führte, stieg die Mitgliederzahl im Kreis Liebenwerda in dieser Zeit von ca. 2 400 auf 3 481 Personen.119 Im Kreis Schweinitz nahm die Zahl von Ende Januar bis Ende April 1946 sogar von ca. 250 auf 1 224 Personen zu.120 Die Bestrebungen, eine Einheitspartei zu bilden, stoppten also den Zustrom von neuen Mitgliedern keinesfalls. Da in der gleichen Zeit in beiden Landkreisen auch die Mitgliederzahlen der KPD stark anstiegen, erwies sich das Ziel der Einheitspartei scheinbar ganz im Gegenteil dazu als attraktiver Anziehungspunkt für neue Mitglieder. Im Kreis Liebenwerda traten ca. 30 Prozent und im Kreis Schweinitz sogar etwa 80 Prozent der SPD-Mitglieder erst in die Partei ein, als die Vereinigung bereits diskutiert wurde. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der KPD-Mitglieder

118 Vgl. Einladung der Kreisleitung der SPD zur letzten SPD-Kreiskonferenz am 16.3.1946 vom 21.2.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 119 Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat Januar 1946 vom 30.1.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 47); Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34). 120 Bericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz vom 24.1.1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 135); Mitgliederstand der Kreise beim Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in der Provinz Sachsen am 22.4.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 34).

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im Kreis Liebenwerda von 1 545 auf 2 140 und im Kreis Schweinitz von 793 auf 1 090 an.121 Zweifellos befanden sich unter diesen neuen Mitgliedern sehr viele, die die scharfen Auseinandersetzungen beider Parteien vor 1933 nicht unmittelbar miterlebten und dadurch auch die Auseinandersetzungen mancher älterer Parteimitglieder kaum verstehen konnten. Eine Auflistung der Mitglieder beider Parteien, die bereits vor 1933 Parteimitglieder waren, existiert leider nicht. Im großen SPD-Ortsverband Grünewalde gehörten aber am 31. März 1946 von insgesamt 214 Mitgliedern nur 66 vor 1933 der SPD an.122 So waren es im ganzen Kreis Liebenwerda lediglich alte SPD-Mitglieder wie Brunnenbauer in Mückenberg oder Schramm in Lauchhammer, die der Vereinigung eine gewisse Skepsis bzw. sogar Widerstand entgegenbrachten. Allein die Zugehörigkeit zur SPD vor 1933 war allerdings lange noch kein Kriterium für widerstrebendes Verhalten im Hinblick auf die Vereinigung beider Parteien, da die SPD-Orts- sowie Kreisvorstände meist ausschließlich mit älteren Mitgliedern besetzt waren und viele davon, wie z. B. Otto Dietrich und Otto Philipp, die Vereinigungsbemühungen unterstützten. Ein wesentliches Motiv zum Eintritt in beide Parteien im Frühjahr 1946 dürfte in der Aussicht gelegen haben, in Zukunft der mit weitem Abstand größten und einflussreichsten Partei der SBZ anzugehören. Viele neue Mitglieder versprachen sich wohl enorme persönliche Zukunftschancen von der neuen Partei, die von der Einheitsrhetorik in den Zeitungen noch gesteigert wurden. Die Mitgliederentwicklung bewies letztlich, dass die geplante Vereinigung keineswegs nur negativ behaftet war, sondern trotz aller Skepsis in weiten Kreisen der Mitgliedschaft beider Parteien als Fortschritt und Weiterentwicklung gesehen wurde. Da das Ziel „Einheit der Arbeiterklasse“ immer positiv von den Mitgliedern besetzt war, fiel die übersteigerte Propaganda auf einen fruchtbaren Boden, was zweifellos den Erfolg der Vereinigungskampagne nochmals potenzierte. Zwar wurde Widerstand gegen die Vereinigung mit den verschiedensten Mitteln unterdrückt, doch die Tatsache, dass nahezu alle wesentlichen KPD- und SPD-Funktionäre auf Kreis- und Ortsebene auch in der neuen Partei wichtige Posten besetzten, wie im nächsten Abschnitt noch zu zeigen sein wird, bewies, dass die große Mehrzahl der Funktionäre ohne Weiteres bereit war, gemeinsam in der neuen Partei zu arbeiten. Dass sich letztlich die Hoffnungen vieler Sozialdemokraten im Nachhinein schnell in Luft auflösten, änderte nichts daran, dass von vielen SPD-Mitgliedern die Vereinigung beider Parteien zunächst auch als große Chance wahrgenommen wurde.

121 Ebd. 122 Mitgliederstand des SPD-Ortsvereins Grünewalde vom 31.3.1946 (PA Helfried Dietrich).

Zusammenschluss der Parteien

4.

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Der Zusammenschluss der beiden Parteien

Der Berliner SPD-Zentralausschuss versuchte auch nach der ersten „Sechziger-Konferenz“, die Bemühungen der KPD um eine schnelle Vereinigung vor allem mit der Forderung nach einer deutschlandweiten Vereinigung beider Parteien hinauszuschieben. Der SPD-Zentralausschuss gab am 15. Januar 1946 ein Rundschreiben heraus, das dieser die organisatorische Vereinigung der beiden Parteien ablehnte, wenn nicht ein gesamtdeutscher Parteitag darüber entschieden hätte.123 Parallel zu den Bemühungen des Zentralausschusses, die Vereinigung möglichst zu verzögern, lief in der Provinz Sachsen sowie im Untersuchungsgebiet die Vereinigungskampagne unvermindert weiter. Nachdem sich Walter Ulbricht auf seiner Moskau-Reise Anfang Februar 1946 sein Konzept zur Vereinigung beider Parteien von Stalin bestätigen ließ, versuchte die KPD erneut, über die Landes- bzw. Provinzialverbände der SPD die Vereinigung zu erzwingen.124 Aus diesem Grund kamen am 8. Februar 1946 in Leipzig die SPD-Landesvorsitzenden aus Sachsen und Thüringen, Otto Buchwitz und Heinrich Hoffmann, sowie der SPD-Provinzialsekretär der Provinz Sachsen, Bruno Böttge, mit den jeweiligen kommunistischen Landes- und Provinzialvorsitzenden zusammen. Bezeichnenderweise wurde hierfür nicht Ernst Thape (SPD) als sächsischer Provinzialvorsitzender eingeladen, sondern der sozialdemokratische Einheitsbefürworter Bruno Böttge. Während der Konferenz beschlossen die Teilnehmer, die Parteifusion notfalls auch ohne Genehmigung der Parteiführungen durchzuführen.125 Mit dieser Erklärung aus der Provinz Sachsen sowie den Ländern Sachsen und Thüringen blieb dem SPD-Zentralausschuss kaum eine andere Wahl, als der Vereinigung zuzustimmen. In einer turbulenten Sitzung am 11. Februar 1946, in der u. a. von Gustav Dahrendorf die Auflösung der SPD in der SBZ gefordert wurde, stimmte die Mehrzahl der Anwesenden der Ausrichtung eines Parteitags Ende April 1946 zu, der die Vereinigung mit der KPD bestätigen sollte. Dieser Beschluss bedeutete praktisch die Selbstauflösung der SPD in der SBZ.126 In der Rückschau betrachtet, gab es zu diesem Zeitpunkt für die Mitglieder des Zentralausschusses kaum eine andere Alternative. Mit der Ankündigung der Landesvorsitzenden, notfalls eine Fusion auf eigene Verantwortung durchzuführen, hätte der Zentralausschuss nur unter dem Preis der Spaltung der

123 Vgl. Harold Hurwitz, Zwangsvereinigung und Widerstand der Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone, Köln 1990, S. 39. 124 Vgl. Harold Hurwitz, Die Rolle der Besatzungsmächte und der SMAD. In: Bernd Faulenbach/Heinrich Potthoff (Hg.), Sozialdemokraten und Kommunisten nach dem Nationalsozialismus und Krieg. Zur historischen Einordnung der Zwangsvereinigung, Essen 1999, S. 99. 125 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 173. 126 Vgl. Hurwitz, Zwangsvereinigung und Widerstand, S. 43–46.

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Partei der Vereinigung nicht zustimmen können. Dieser Beschluss wäre damit einer Selbstentmachtung des Zentralausschusses gleichgekommen, der sich somit ­immerhin noch Hoffnung auf eine gleichberechtigte Fusion machen konnte. Diese Hoffnungen wurden zusätzlich vom SMAD bestärkt. So wurden Otto Grotewohl kurz vor der entscheidenden Sitzung mehrere Zugeständnisse von der Besatzungsmacht angeboten. Neben einzelnen Zugeständnissen wie z. B. der Verringerung der Demontagen offerierte die SMAD Grotewohl wohl sogar die Ablösung von Walter Ulbricht, wenn er in der Frage der Vereinigung einlenke.127 Das geschickte Taktieren der KPD zusammen mit der sowjetischen Besatzungsmacht, das schließlich durch repressiven Druck, aber auch durch Angebote an führende SPD-Funktionäre zur Aufspaltung der Sozialdemokratie in der SBZ führte, machte den von oben verordneten Vereinigungsprozess erst möglich. Im Bezirk Halle-Merseburg, der ohnehin einer der führenden Gebiete im Prozess der Parteivereinigung war, ging es nach der Zustimmung des SPD-Zentralausschusses zur Vereinigung sehr schnell. Die Provinzialleitungen beider Parteien veranlassten Anfang Februar 1946 die Einrichtung von sogenannten Organisationskomitees, die auf Kreis- sowie Ortsebene die Vereinigung beider Parteien vorbereiten sollten. Im Kreis Schweinitz gründete sich daraufhin das gemeinsame Kreisorganisationskomitee beider Parteien am 14. Februar 1946.128 Das genaue Entstehungsdatum für den Kreis Liebenwerda konnte nicht festgestellt werden. Neben politischen Fragen, wie z. B. die Gründung der VdgB Anfang März 1946, kümmerten sich die Mitglieder des Kreisorganisationskomitees vor allem um die Organisation der letzten beiden getrennten Kreiskonferenzen.129 Gleichzeitig setzte Ende Februar 1946 eine „große Plakatierungsaktion für die Einheit der Arbeiterparteien“ im gesamten Bezirk ein, für welche ebenso die Organisationskomitees zuständig waren.130 Nach den Vorstellungen der KPD-Bezirksleitung sollten spätestens Mitte März 1946 in der gesamten Provinz die letzten getrennten Mitgliederversammlungen der Kreis- und Ortsverbände stattgefunden haben, in denen der am 26. Februar 1946 beschlossene Programm- und Statutenentwurf der neuen Partei den Mitgliedern vorgelegt werden sollte. Gleichfalls hatten die Ortsversammlungen beider Parteien den Auftrag, ihre Delegierten für die Kreiskonferenzen sowie jeweils ihre Hälfte des zukünftigen paritätisch besetzten Vorstands der örtlichen Einheitspartei zu wählen. Schließlich sollten die Mitglieder beider Parteien den Zusammenschluss vor Ort feierlich vollziehen.131

127 Vgl. Sattler, Bündnispolitik, S. 192 f. 128 Vgl. Monatsbericht der Unterbezirksleitung der KPD Halle-Merseburg für Februar 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 35). 129 Vgl. Rundschreiben Nr. 1 des Organisationskomitees der Sozialistischen Einheitspartei des Kreises Liebenwerda vom 27.2.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 130 Otto Dietrich (Grünewalde) an Paul Jähne zur Durchführung der Plakatierungsaktion vom 25.2.1946 (PA Helfried Dietrich). 131 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 187 f.

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Nach dieser Handlungsanweisung verfuhren auch die beiden Kreisorganisationskomitees im Untersuchungsgebiet. Im Kreis Liebenwerda bzw. Schweinitz luden beide Parteien für den 16. März 1946 bzw. für den 24. März 1946 zu ihren letzten getrennten Kreiskonferenzen ein.132 In pompöser Weise wurde in beiden Landkreisen an diesen Tagen die Vereinigung beider Arbeiterparteien inszeniert. Nachdem die Statuten der neuen Partei nach kleinen Änderungen von beiden zur gleichen Zeit getrennt tagenden Kreiskonferenzen einstimmig angenommen wurden, wählten die Kreiskonferenzen die Mitglieder des zukünftigen paritätisch besetzten Kreisvorstandes. In beiden Landkreisen wurden, wie im Statut festgelegt, jeweils zehn Personen von beiden Parteien für den Kreisvorstand bestimmt. Die Wahl der Kreissekretäre wurde allerdings erst später vom gemeinsam tagenden Kreisvorstand vorgenommen.133 Nachdem die Wahlen zum Kreisvorstand und für die Delegierten zum Bezirks- sowie Provinzialparteitag abgeschlossen waren, inszenierten beide Arbeiterparteien die Vereinigung auf feierliche Weise.134 Aus Herzberg wurde über den Ablauf dieser Feier Folgendes berichtet: „Die Teilnehmer, zu denen sich die vor dem Versammlungslokal versammelt gewesenen Parteimitglieder gesellten, marschierten mit dem Gesang ,Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‘ zum Markt. Hier trafen sich die Kommunisten mit ihren sozialdemokratischen Freunden zu einer kurzen eindrucksvollen Einheitskundgebung […]. Der Höhepunkt dieser Veranstaltung äußerte sich in einer für die Einheit der Arbeiterklasse symbolischen Umarmung der ersten Sekretäre der KPD und SPD. Unter großem Beifall und Hochrufen auf die SEPD senkten sich die vor der Tribüne aufgestellten Namensbezeichnungen der beiden Arbeiterparteien: SPD und KPD. Ein riesiges, feurig flammendes Transparent mit der Aufschrift Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wurde entrollt.“135 Die Kundgebung endete in Herzberg nach den symbolischen publikumswirksamen Vereinigungsgesten auf dem Marktplatz in einer gemeinsamen Kreiskonferenz, in der Redner aus Halle auftraten und Resolutionen einstimmig angenommen wurden, die den Einheitsgedanken nochmals bekräftigen sollten.136 In beiden Kreisen Liebenwerda und Schweinitz wurde dabei der Beschluss zur Vereinigung von den noch getrennt tagenden Parteitagen einstimmig angenommen.137 Dass bereits im Vorfeld der getrennten Kreiskonferenzen einheitsskeptische Delegierte von der Teilnahme der Konferenzen ausgeschlossen wurden, konnte

132 Vgl. Einladung der Kreisleitung der SPD zur letzten SPD-Kreiskonferenz vom 21.2.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.); Einheit vom 4.4.1946, Nr. 80. 133 Vgl. Volkszeitung vom 25.3.1946, Nr. 71; Tätigkeitsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 52). 134 Vgl. für den Kreis Liebenwerda: Volkszeitung vom 25.3.1946, Nr. 71. 135 Einheit vom 4.4.1946, Nr. 80. 136 Vgl. ebd. 137 Vgl. ebd.; Volkszeitung vom 25.3.1946, Nr. 71.

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nicht nachgewiesen werden. Die konsequenten Einheitsgegner waren sich aber wohl besonders in der SPD bereits im Vorfeld der Parteikonferenzen darüber im Klaren, dass sie zumindest im Untersuchungsgebiet keine Chance mehr auf eine Veränderung der Entwicklung gehabt hätten, und ließen sich entweder erst gar nicht delegieren oder stimmten in den Konferenzen resigniert zu. Auf jeden Fall drückte das einstimmige zustimmende Ergebnis, wenn man z. B. die langen Diskussionen in Lauchhammer und Mückenberg betrachtete, nicht die Stimmungslage aller Mitglieder beider Parteien aus. Unter anderen Umständen hätte sich zweifellos, wie einige Tage später in den westlichen Sektoren Berlins, wo die Sozialdemokraten frei über die Vereinigung abstimmen konnten und sich nur 11,9 Prozent für eine schnelle Vereinigung aussprachen, ein anderes Ergebnis eingestellt.138 Ob ohne Druck der sowjetischen Besatzungsmacht und ohne das geschickte Vorgehen der KPD unter freieren Bedingungen ein ablehnendes oder zustimmendes Ergebnis eingetreten wäre, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Die Tatsache aber, dass die Mitglieder beider Parteien in der SBZ nie die Chance erhielten, frei über die Vereinigung mitzubestimmen, bildete bereits den eigentlichen Gründungsfehler der SED, der, auch wenn eine Mehrheit eine Einheit befürwortet hätte, immer wieder als Beleg für eine „Zwangsvereinigung“ angeführt werden konnte. Nachdem die Vereinigung der beiden Parteien auf den Kreisebenen in der Provinz Sachsen abgeschlossen war, erfolgten die weiteren Zusammenschlüsse am 30./31. März 1946 auf Bezirks- und am 6./7. April 1946 auf Provinzebene. Die letzte Etappe des Vereinigungsprozesses vollzog sich schließlich am 21./22. April 1946 für die gesamte SBZ in Berlin. Mit dem später im Parteiemblem der SED verankerten, symbolischen Händedruck zwischen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl wurde an diesem Tag die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in der gesamten SBZ gegründet. Auf diesem Parteitag wurde zudem das neue Parteistatut verabschiedet, welches nun bis zur untersten Parteiebene Gültigkeit besaß.139 Da sich die SPD-Vertreter erbittert gegen den Vorschlag der KPD wehrten, Betriebsgruppen statt Ortsvereine im Parteistatut als unterste Organisationsform einzuführen, einigte man sich auf einen Kompromiss, der sowohl Betriebsgruppen als auch Ortsvereine als unterste Organisationsform vorsah.140 Durchsetzen

138 In den westlichen Berliner Sektoren wurde am 31.3.1946 eine Urabstimmung über die Frage der sofortigen Vereinigung zwischen KPD und SPD unter den SPD-Mitgliedern durchgeführt. Insgesamt stimmten 82,6 % der SPD-Mitglieder gegen eine sofortige Vereinigung. Allerdings stimmten 61,5 % der Mitglieder für ein „Bündnis, welches die gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf ausschließt.“ Die Wahlbeteiligung betrug 71,8 %. Vgl. Hurwitz, Zwangsvereinigung und Widerstand, S. 141. 139 Vgl. Statut der SED vom 21. April 1946. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948, S. 11–22. 140 Vgl. Andreas Malycha/Peter Jochen Winters, Die SED. Geschichte einer deutschen Partei, München 2009, S. 41.

Zusammenschluss der Parteien

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konnte sich hingegen die KPD bei der organisatorischen Zusammensetzung der neuen Vorstände der SED. Gegen die sozialdemokratische Tradition wurde festgelegt, dass die beiden Kreisvorsitzenden gleichzeitig hauptamtliche Leiter eines Sekretariats im SED-Kreisvorstand sein mussten. So sollten laut Statut dem Kreisvorstand, der mindestens 20 Mitglieder umfassen sollte, neben den Vorsitzenden vier bis sechs gewählte Sekretäre angehören, die sich um verschiedene Themenbereiche kümmern sollten.141 Diese Regelung hatte zur Folge, dass führende Kommunalpolitiker der SPD ihre Ämter aufgeben mussten, um den Vorsitz der Partei zu erhalten. Gleichzeitig wurde damit, gegensätzlich zur sozialdemokratischen Tradition, eine zusätzliche Führungsebene aus hauptamtlichen Sekretären geschaffen, die praktisch für den gesamten Vorstand wichtige Entscheidungen vorwegnehmen konnten. Im Kreis Liebenwerda barg diese Regelung einiges Konfliktpotenzial. Vom SPD-Kreisvorstand war zunächst Otto Philipp als einer der beiden neuen Kreisvorsitzenden vorgesehen. Da Otto Philipp am entschiedensten von allen SPD-Kreisvorstandsmitgliedern für die Vereinigung eintrat und zudem, aufgrund seiner räumlichen Nähe zu den Entscheidungsprozessen in Bad Liebenwerda, bereits wesentliche Teile des SPD-Parteikurses bestimmte, erfolgte dieser Schritt auch im Einvernehmen mit dem bisherigen Parteivorsitzenden Otto Dietrich aus Grünewalde.142 Gleichfalls dürfte diese Entscheidung auch auf die Zustimmung der sowjetischen Kreiskommandantur getroffen sein. Um Kreisvorsitzender zu werden, war Philipp jedoch aufgrund des Parteistatus dazu gezwungen, seinen Posten als stellvertretender Bad Liebenwerdaer Bürgermeister aufzugeben. Nach langem Zögern entschied sich Philipp schließlich für den Verbleib im Amt. Da Otto Dietrich aus Grünewalde ebenso wenig Interesse zeigte, als hauptamtlicher Parteisekretär nach Bad Liebenwerda zu wechseln, blieb nur der bisherige hauptamtliche SPD-Sekretär und frühere Unterbezirksvorsitzende Otto Dietrich aus Falkenberg für den Posten des Vorsitzenden übrig. Trotz seiner skeptischen Haltung zum Vereinigungsprozess wurde er zusammen mit dem bisherigen KPD-Kreisvorsitzenden Paul Mittig zum neuen gleichberechtigten Vorsitzenden der SED im Kreis Liebenwerda ernannt.143 Im Kreis Schweinitz vollzog sich die Besetzung dieses Postens ähnlich schwierig. Hier kam am 27. März 1946 erstmals der neu gewählte Kreisparteivorstand zusammen und wählte die Vorsitzenden und Sekretäre der neuen gemeinsamen Partei. Bei dieser Wahl wurden vonseiten der SPD Emil Baguley und vonseiten der KPD Felix Kolodziej als die beiden Vorsitzenden bestimmt.144 Jedoch war der bereits nahezu 70-jährige Emil Baguley nach dem Beschluss des

141 Vgl. ebd., S. 42. 142 Vgl. Protokoll der letzten Kreisvorstandssitzung der SPD vom 14.4.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 143 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 115. 144 Vgl. Tätigkeitsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 52).

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Vereinigung der KPD und SPD

­ arteistatuts aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage, einen hauptamtliP chen Sekretariatsposten anzunehmen. Aus diesem Grund zog sich Baguley ganz aus dem Vorstand der neuen Partei zurück und widmete sich seinem Privatleben.145 Als Ersatz dafür schlugen die ehemaligen SPD-Mitglieder Josef Schippers als neuen Parteivorsitzenden vor, der bereits als Organisationsleiter im SED-Kreisvorstand vorgesehen war.146 Wie im Kreis Liebenwerda wurde dabei deutlich, dass die einflussreichsten Personen innerhalb der SPD des Kreises Schweinitz, Walter Eulitz und Fritz Graßmann, lieber ihre Posten als Kreisrichter bzw. stellvertretender Landrat behielten, als sich in die Parteiorganisation einbauen zu lassen. Dabei spielte es zweifellos eine Rolle, dass zum einen die Posten in den Verwaltungen gesicherter schienen und zum anderen mehr Einflussmöglichkeiten auf die Kommunalpolitik boten. Dies hatte aber zur Folge, dass mehrere wichtige ehemalige sozialdemokratische Vertreter nicht dem innersten Entscheidungskreis der Kreispartei angehörten und der sozialdemokratische Einfluss innerhalb der neuen Partei stark verringert wurde. Obwohl insgesamt zunächst die Kreisvorstände und die hauptamtlichen Sekretariatsposten paritätisch besetzt wurden, konnten sich die ehemaligen KPD-Vertreter weitestgehend bei der Besetzung der Abteilungsleiter im Kreisvorstand durchsetzen. Besonders deutlich wurde dies im Kreis Schweinitz. Hier wurden ehemalige KPD-Mitglieder zu Leitern der Abteilungen Landwirtschaft, Gewerkschaft und Wirtschaft, Kultur und Volksbildung, Sozialwesen und Umsiedlerbetreuung sowie der Abteilung Frauen berufen. Für ehemalige Sozialdemokraten blieben nur die beiden Abteilungen Genossenschaft und Kommunalwesen übrig. Die Abteilung Jugend und Schulwesen wurde mit jeweils einem KPD- und einem SPD-Mitglied besetzt.147 Bereits diese Zusammensetzung ließ erahnen, dass mit der feierlichen Inszenierung der Vereinigung noch lange nicht alle Probleme und Konflikte zwischen den unterschiedlichen Parteimitgliedern beseitigt waren.

145 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). In dieser Sitzung wurde anfänglich ein Bericht über die Entwicklung der neuen Partei im Kreisgebiet Schweinitz gegeben. 146 Vgl. ebd.; Tätigkeitsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 52). 147 Vgl. Tätigkeitsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 52). Für den Kreis Liebenwerda lag die personelle Zusammensetzung des neuen SED-Kreisvorstandes im Einzelnen nicht vor.

VIII. Die Bodenreform 1.

Die Vorbereitung der Bodenreform

Bereits in ihrem Gründungsaufruf vom 11. Juni 1945 forderte die KPD „die Liquidierung des Großgrundbesitzes, der großen Güter der Junker, Grafen und Fürsten und die Übergabe ihres gesamten Grund und Bodens sowie des toten und lebenden Inventars an die Provinzial- und Landesverwaltungen zur Zuteilung an die durch den Krieg ruinierten und besitzlos gewordenen Bauern.“1 Zunächst blieb aber dieser Punkt des Gründungsaufrufs weitestgehend unbeachtet. Spontane Enteignungen aufgrund des Aufrufes konnten im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt werden. Zwar wurden herrenlose Güter, von denen der Grundbesitzer vor dem Einmarsch der Roten Armee flüchtete, von den deutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen bzw. von der Roten Armee bewirtschaftet, doch eine Enteignung von Gutsbesitzern fand zunächst nicht statt. In diesem Sinne stellte der Liebenwerdaer Kreiskommandant Major Maksakow auf der ersten Bürgermeisterkonferenz des Kreises am 3. Juli 1945 fest: „Was die Enteignung von Gütern anbetrifft, so sind wir im Augenblick nicht berechtigt, die Güter zu enteignen, auf die (denen) sich der Eigentümer noch befindet.“2 Dem Kreiskommandanten ging es dabei weniger um den Schutz des Eigentums der Gutsbesitzer, sondern um die Einbringung der Ernte, von der, wie er sagte, „auch die Rote Armee versorgt werden muss“.3 Ganz im Gegensatz zu der Haltung des Kreiskommandanten, der vor allem das Wohl seiner Truppen im Blick hatte, stand hingegen das Vorgehen der KPD-Führung um Walter Ulbricht. Als Walter Ulbricht Anfang Juli 1945 eine Inspektionsreise durch die Provinz Sachsen unternahm, musste er, laut eigenen Angaben, schnell erkennen, dass eine Bodenreform durch spontane Enteignungen ohne gesetzliche Grundlagen kaum durchführbar war.4 So forcierte Ulbricht in der Folgezeit die Umsetzung dieses Themas.5 Josef Stalin gab schließlich als letzte Instanz während seines Aufenthalts bei der Potsdamer Konferenz seine

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Vgl. Gründungsaufruf der KPD vom 11.6.1945. In: Hermann Weber (Hg.), DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1985, München 1987, S. 36. Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda am 3.7.1945, S. 15 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.). Ebd., S. 13. Vgl. Walter Ulbricht, Die Bauernbefreiung in der Deutschen Demokratischen Republik, Band I, Berlin 1961, S. 43–45. Walter Ulbricht ging in dieser Darstellung auf eine Begegnung mit Bauern in Schlaitz bei Bitterfeld am 3.7.1945 ein. Vgl. Jochen Laufer, Die UdSSR und die Einleitung der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Arnd Bauerkämper (Hg.), „Junkerland in Bauernhand?“ Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996, S. 24 f.

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Die Bodenreform

anfänglichen Vorbehalte gegen eine Bodenreform in Deutschland auf und legte sich auf eine Enteignungsgrenze von 100 Hektar fest.6 Ursprünglich hatte die KPD-Führung Mecklenburg-Vorpommern als erstes Land für die Umsetzung der Bodenreform ausgewählt, doch zeigte sich schnell, dass im Norden der SBZ der Organisationsgrad der KPD für eine rigorose Durchsetzung der Bodenreform kurz nach Kriegsende viel zu gering war. Aus diesem Grund legte man sich auf die Provinz Sachsen fest, in der neben Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg die meisten Gutsbesitzer in der SBZ ansässig waren und der Organisationsgrad der KPD aufgrund des starken Anteils der Industriearbeiterschaft weitaus höher lag als in Mecklenburg-Vorpommern.7 Am 29. August 1945 brachte Bernhard Koenen den zuvor mit der Besatzungsmacht abgestimmten Entwurf der KPD in den provinzsächsischen Blockausschuss ein.8 Völlig überrascht von dem Vorstoß der Kommunisten versuchten die noch in der Gründung befindlichen übrigen drei Parteien zunächst, Zeit zu gewinnen, um sich eine eigene Meinung zum Thema Bodenreform zu bilden. Eine einheitliche Stellungnahme der drei nicht-kommunistischen Parteien konnte zu keinem Zeitpunkt während des entscheidenden Verhandlungstags am 1. September 1945 im Blockausschuss erzielt werden, was es der KPD umso einfacher machte, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Während die SPD dem kommunistischen Entwurf weitestgehend zustimmte, plädierte die LDP während der Verhandlungen auf eine Anhebung der Enteignungsgrenze auf 150 bis 200 Hektar. Am entschiedensten war der Widerstand der CDU. Die Vertreter der CDU lehnten entschädigungslose Enteignungen von Gutsbesitzern zunächst grundsätzlich ab und stellten die Zuständigkeit der Provinzregierung für diesen weitreichenden Beschluss infrage. Prinzipiell einig waren sich alle Parteien nur bei der Frage der Enteignung von aktiven Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. Nachdem die KPD unter der Androhung der Aufkündigung der Blockarbeit nicht von ihrer Forderungen abging und zudem die Vertreter der SMAD starken Druck auf die bürgerlichen Politiker ausübten, stimmten auch die Vertreter der CDU und LDP einer Entschließung zur Bodenreform zu, die sich weitestgehend mit dem eingebrachten Entwurf der KPD deckte. Die Blockentschließung der vier Parteien enthielt lediglich das Zugeständnis, dass „Art und Höhe einer Entschädigung von Antifaschisten von der Provinzialverwaltung bestimmt werden“.9 Nachdem die Vertreter der drei Parteien im Blockausschuss die Entschließung zur Bodenreform verabschiedet hatten, besaß auch der liberale Präsident der Provinzialverwaltung, Dr. Erhard Hübener, keine Alternative zur Verabschiedung

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Vgl. ebd., S. 25–27. Vgl. Manfred Wille, Die Verabschiedung der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen. In: Bauerkämper (Hg.), „Junkerland in Bauernhand?“, S. 88. Vgl. ebd., S. 93. Entschließung des Antifaschistischen Blocks der Provinz Sachsen zur Bodenreform. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 28.

Vorbereitung

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einer Bodenreformverordnung. Mit der Gegenstimme des Präsidenten und einer Enthaltung wurde die Verordnung schließlich am 3. September 1945 im Präsidium der Provinzialverwaltung verabschiedet. Damit war es der KPD mit der Umgehung der zentralen Parteiführungen von CDU und LDP mit starkem Druck durch die sowjetische Besatzungsmacht sowie mit vorgetäuschten Zugeständnissen erstmals gelungen, ihre Position in einer wesentlichen politischen Frage im provinzsächsischen Blockausschuss durchzusetzen. Das Vorgehen der KPD während der Verhandlungen um die Bodenreform zeigte erstmals das später immer wieder angewandte typische Muster bei der Durchsetzung von Gesetzen oder Maßnahmen, die von den bürgerlichen Parteien kritisiert wurden.10 Die Bodenreformverordnung umfasste schlussendlich folgende wichtige Punkte: 1. entschädigungslose Enteignung des Bodens der Naziaktivisten und des gesamten Grundbesitzer über 100 Hektar, mit Gebäuden und Inventar; 2. Überführung des enteigneten Landes in Bodenfonds; 3. Aufteilung des enteigneten Bodens in schuldenfreies und unveräußerliches Privateigentum der Landarbeiter, Umsiedler, Kleinbauern und kleiner Pächter; 4. Beschränkung der Größe der neuen Wirtschaften bei guten Böden auf fünf Hektar bis höchstens acht Hektar, bei schlechten Böden auf zehn Hektar. 5. Bezahlung des Bodens durch die Summe einer Jahresernte, bei Neubauern in 20 und landarmen Bauern in zehn Jahresraten abzugelten; 6. Durchführung der Bodenreform durch staatsnahe Bodenkommissionen; 7. Übernahme großer landwirtschaftlicher Produktionsinstrumente (z. B. Traktoren, Dreschmaschinen) und kleiner Verarbeitungsbetriebe (z. B. Molkereien, Mühlen) durch die neu zu schaffenden Ausschüsse der gegenseitigen Bauernhilfe.11 Dass die KPD eine Bodenreform nicht aus wirtschaftspolitischen, sondern allein aus politisch-ideologischen Gründen unterstütze, war bereits offenkundig in der Einleitung der Bodenreformverordnung zu lesen. Hierin hieß es: „Die Bodenreform muss die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer im Dorfe ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der

10 Vgl. ausführlicher zu den Verhandlungen zur Verabschiedung der Bodenreformverordnung: Wille, Die Verabschiedung, S. 92–99; Wilfried Lübeck, Einige Anmerkungen zur Beschlussfassung über die Bodenreformverordnung in der Provinz Sachsen. In: Rüdiger Fikentscher/Boje Schmuhl/Konrad Breitenborn (Hg.), Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 1999, S. 75–84. 11 Vgl. Christel Nehrig/Joachim Piskol, Zur Dialektik von antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und sozialistischer Revolution in der Agrarpolitik von KPD und SED 1945– 1949. In: Historiker-Gesellschaft der DDR. Wissenschaftliche Mitteilungen 1982/I, S. 12.

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Die Bodenreform

Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker war.“12 Die Hauptabsicht der Kommunisten bestand darin, die Großgrundbesitzer, die zweifellos einen bestimmenden Machtfaktor auf dem Land darstellten, politisch und wirtschaftlich auszuschalten. Des Weiteren versuchte die KPD mit der Bodenreform, ganz nach dem Vorbild Lenins, der die Einheit von Arbeiter und Bauern propagierte, die landarmen Bauern mit der Zuteilung von Boden für ihre Ziele zu gewinnen. Die Bodenreform sollte den Kommunisten somit zuallererst zur Festigung ihrer Herrschaft dienen. Agrarpolitische Erwägungen zur Steigerung der geringen landwirtschaftlichen Produktion spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wie aber reagierten die Kommunisten im Untersuchungsgebiet auf die seit Anfang Juli 1945 einsetzenden Bemühungen der KPD zur Umsetzung einer Bodenreform? Während sich im Kreis Schweinitz, wohl aufgrund der schwachen KPD, keine Aktivitäten vor der Verabschiedung der Bodenreform nachweisen ließen, ergriff der Liebenwerdaer Landrat Paulick am 15. August 1945 die Initiative und erließ für den Kreis Liebenwerda die „Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten“. Diese Verordnung deckte sich bereits in einigen Punkten mit der späteren Bodenreformverordnung und führte teils darüber hinaus. Paulick ordnete darin u. a. an: „I. Das Gesamtvermögen aller NSDAP-, SS-, SA-, NSFK-, HJ-, DAF- und NSV-Funktionäre, aller GestapoLeute und deren Zuträger sowie der Blutorden- und Goldenen Parteiabzeichenträger ist zu beschlagnahmen. II. Das Gesamtvermögen der Großgrundbesitzer sowie das Vermögen der Fabrikbesitzer, die Mitglieder der NSDAP, SS, SA, NSFK oder NSKK waren, desgleichen das Gesamtvermögen aller Bankiers ist zu beschlagnahmen […].“13 In den Ausführungsbestimmungen wurden die betroffenen Personengruppen nochmals genauer definiert. So sollte, laut Paulick, der Besitz aller Parteifunktionäre vom Zellenleiter aufwärts, aller Scharführer der SS und SA, aller Ortswalter der DAF und NSV, aller Gefolgschaftsführer der HJ, aller Ortsleiterinnen der NS-Frauenschaft sowie aller Ortsbauernführer beschlagnahmt werden.14 Des Weiteren legte der Landrat fest, dass unter den Begriff Großgrundbesitzer alle Personen fallen, die einen Grundbesitz von mehr als 100 Hektar besaßen.15 Zwar war in dieser Verordnung keine pauschale entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzern mit über 100 Hektar Besitz vorgesehen, doch gingen dafür die Beschlagnahmungen bei sogenannten „aktiven Nazis“ umso weiter. Diese Gruppe wurde so groß gefasst, dass vermutlich der Besitz von mehreren Hundert Personen im Kreis Liebenwerda

12 Vgl. Verordnung über die Bodenreform. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 28. 13 Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten vom 15.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 14 Vgl. Ausführungs- und Strafbestimmungen zur Verordnung der Vermögensbeschlagnahme vom 15.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 15 Vgl. ebd.

Vorbereitung

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beschlagnahmt worden wäre. Die Zielrichtung des Landrats bestand mit dieser Verordnung in der Ausschaltung des Einflusses von führenden NSDAP-Mitgliedern und nicht in der restlosen Zerschlagung des Großgrundbesitzes, wie es später in der Bodenreformverordnung festgehalten wurde. Nach dem 15. August 1945 wurde diese Verordnung an alle Stadt- sowie Gemeindeverwaltungen verschickt, die eine Liste von Personen zusammenstellen sollten, die unter diese Verordnung fielen. Beispielsweise wurden allein in Mühlberg und Großkmehlen je neun Personen aufgefordert, bis zum 31. August 1945 ihren Gesamtbesitz für die kommende Beschlagnahme anzugeben.16 Wer dieser Aufforderung nicht nachkam, der musste laut Verordnung mit einer Strafe von bis zu zehn Jahren Zuchthaus rechnen.17 Von den Beschlagnahmungen waren auch ausdrücklich Personen, die bereits verstorben waren, nicht ausgenommen.18 So wurden z. B. die Ehefrauen des Mühlberger Bürgermeisters Hermann Friese sowie des Mühlberger Ortsgruppenleiters Willy Friese, die beide von Soldaten der Roten Armee erschossen wurden, zu einer Meldung aufgefordert.19 Mit dieser Verordnung überschritt der Landrat Paulick jedoch deutlich seine Kompetenzen. Spätestens mit der Einrichtung der Provinzialverwaltung wäre er dazu nicht mehr berechtigt gewesen. Dass mehrere Maßnahmen gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder im Kreis Liebenwerda eigenmächtig beschlossen wurden, bestätigte u. a. das Eingreifen des Bezirkspräsidenten. Dieser stoppte am 28. September 1945 das Erheben einer Sondersteuer für ehemalige Mitglieder der NSDAP.20 Nur wenige Tage später setzte die Bezirksregierung am 1. Oktober 1945 auch die „Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten“ außer Kraft. Der Landrat Paulick schrieb dazu an die Bürgermeister: „Mit der Verordnung über die Bodenreform nebst Ausführungsbestimmungen vom 3.9.1945 und über die Beschlagnahme von Wohnungen von Nationalsozialisten nebst Ausführungsbestimmungen vom 13.8.1945 ist der Sinn meiner Verordnung vom 15.8.1945 über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten erreicht und meine Verordnung gegenstandslos geworden.“21 Auch wenn sich die Verordnung des Liebenwerdaer Landrats nicht in jedem Punkt

16 Vgl. Mühlberger Bürgermeister Betr. Vermögensbeschlagnahme der Nationalsozialisten in Mühlberg (Elbe) vom 30.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.); Schreiben an die Kreisverwaltung Abt. Gendarmerie. Betr. Nazisten vom 3.9.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 17 Vgl. Ausführungs- und Strafbestimmungen zur Verordnung der Vermögensbeschlagnahme vom 15.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 18 Vgl. ebd. 19 Vgl. Mühlberger Bürgermeister Betr. Vermögensbeschlagnahme der Nationalsozialisten in Mühlberg (Elbe) vom 30.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 20 Vgl. Schreiben an alle Bürgermeister Betr. Zahlung von Steuern vom 28.9.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). 21 Schreiben an alle Bürgermeister Betr. Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten nebst Ausführungsbestimmungen vom 1.10.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.).

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Die Bodenreform

mit der Bodenreformverordnung deckte und die Bezirksverwaltung die Verordnung zurücknahm, so besaßen doch die Verwaltungen des Kreises Liebenwerda zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Bodenreformverordnung einen gewissen Vorlauf bei der Umsetzung der Bodenreform. Dennoch handelte es sich auch bei der Verordnung vom 15. August 1945 nicht um eine Forderung, die aus der breiten Gesellschaft kam, sondern lediglich um ein eigenmächtiges Handeln des kommunistischen Landrats und seiner Verwaltungsspitzen. Das Sekretariat des KPD-Provinzialvorstandes stellte z. B. am 25. August 1945 fest: „Aus der Provinz liegen keine Berichte vor, dass die Bodenreform vorwärts getrieben wird. Die Provinzialverwaltung konnte bis jetzt keine Maßnahmen ergreifen, weil Anträge von der Bevölkerung […] nicht gestellt worden sind.“22 Um diese passive Haltung der Bevölkerung zu ändern und den Druck auf die anderen politischen Parteien zum Beschluss der Bodenreformverordnung zu erhöhen, versuchte die KPD mit einer eigenen Werbekampagne, ihre Bemühungen für die Verabschiedung einer Bodenreform zu unterstützen. Parallel zu den Verhandlungen im Blockausschuss der Provinz Sachsen startete ab dem 28. August 1945 die Bodenreformkampagne der KPD in der Provinz Sachsen.23 Die KPD organisierte dazu auch im Untersuchungsgebiet in mehreren Orten Bauernversammlungen, in denen die Bauern Resolutionen gegen den örtlichen Gutsbesitzer verfassen sollten. Viele dieser Resolutionen, die nach Halle geschickt worden waren, wurden daraufhin in der kommunistischen „Deutschen Volkszeitung“ veröffentlicht, die zu diesem Zeitpunkt als einzige Zeitung für die Bevölkerung in der Provinz Sachsen erhältlich war. Am 2. September 1945 druckte die „Deutsche Volkszeitung“ z. B. einen Brief der „Merzdorfer Bauern“ aus dem südlichen Kreis Liebenwerda ab. „Wir lasen in der Deutschen Volkszeitung, dass der Großgrundbesitz enteignet werden soll, auch mit Recht, denn unseren Vorfahren ist es (das Land) weggenommen worden […]. Diesem Rittergutsbesitzer lag viel daran, recht kleine Bauern in der Gemeinde zu haben, damit er recht billige Arbeitskräfte hatte […]. Unser Rittergutsbesitzer hat schon seit 20 bis 25 Jahren große Strecken Land mit Wald bepflanzt. Wenn wir das Land gehabt hätten, wäre uns schon geholfen gewesen. Er als ehemaliger Generalstabsoffizier beim 12. AK, Rittmeister Freiherr von Rochow, Rittergutsbesitzer von Strauch und Merzdorf, hat nie danach gefragt, ob es uns gut oder schlecht geht. Warum werden die Güter nicht enteignet, warum fängt man nicht an damit?“24 In diesem angeblich von den „Merzdorfer Bau-

22 Konrad Breitenborn/Manfred Wille, „Fort mit der Junkerherrschaft!“ Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt. In: Konrad Breitenborn/Rüdiger Fikentscher/Boje Schmuhl (Hg.), Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 1999, S. 28–30. 23 Vgl. ebd., S. 30–32. 24 Gert Schlue, Die Früchte des September 1945. 40 Jahre nach der demokratischen Bodenreform im Schradenland notiert. In: Geschichte und Gegenwart des Bezirks Cottbus, Cottbus 1985, S. 75. Hierbei handelte es sich um den Gutsbesitzer Wichard Freiherr von Rochow, dessen Familie die Güter in Strauch und Merzdorf bewirtschaftete. Er flüchtete kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee von seinem Wohnsitz in Strauch.

Vorbereitung

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ern“ geschriebenen Brief konnte man die gesamte Argumentation der KPD zur Bodenreform wiedererkennen. Vom Diebstahl des Landes vor Hunderten von Jahren, über ausgebeutete Landarbeiter, bis hin zu der kriegerischen Vergangenheit des Gutsbesitzers, passte diese Beschreibung geradezu ideal zur kommunistischen Propaganda während der Verabschiedung der Bodenreformverordnung. Bei näherer Betrachtung des Schreibens erkannte man schnell, dass es sich hierbei nicht um die gesamte Merzdorfer Bauernschaft handelte, sondern lediglich um fünf Personen aus der örtlichen KPD und SPD.25 Dies bestätigte auch Richard Tenner, der spätere Bürgermeister der Gemeinde Merzdorf. Es sagte: „Den Brief verfassten nur die örtlichen Kommunisten und Sozialdemokraten. Die übrigen Merzdorfer Bauern hatten damit nichts zu tun.“26 Dass diese gesamte Kampagne von der KPD gesteuert wurde, bewies auch ein Brief von Bauern aus Maasdorf vom 1. September 1945, der allerdings bezeichnenderweise nicht veröffentlicht wurde. Für die örtliche KPD wohl völlig überraschend, setzten sich die Maasdorfer Bauern in einer Bauernversammlung für den Gutsbesitzer ein. Sie schrieben schließlich nach Halle: „Der Landwirt Paul Weiland lebt nun 45 Jahre lang in unserer Gemeinde und hat sein Gut uns immer zum Vorbild bewirtschaftet und unserer Gemeinde viel Gutes getan […]. Da sein hilfreiches Verhalten zu der gesamten Einwohnerschaft in uns nur den Wunsch erweckt, dass ihm sein Besitz erhalten möge, hoffen wir, dass Paul Weiland noch lange so auf diesem unter unserer gesamten Einwohnerschaft weiter walten möge.“27 Es gelang der KPD wohl nicht in allen inszenierten Veranstaltungen die anwesenden Bauern auf ihre Seite zu ziehen. Wie groß die Propagandatätigkeit der KPD in dieser Zeit aber war, zeigte sich allein daran, dass die Partei bis zum 27. Oktober 1945 insgesamt 45 Bauernbesprechungen im Kreis Liebenwerda durchführte.28 Auch wenn die KPD damit den Eindruck erwecken wollte, dass es eine Bewegung aus der Landarbeiter- und unteren Bauernschicht gab, die eine Bodenreform forderte, konnte diese im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Wenn diese Forderung bestanden hätte, wären diese wohl auch während der zweiten Bürgermeisterkonferenz des Kreises Liebenwerda am 28. August 1945 vorgetragen worden. Die anwesenden Bürgermeister erwähnten das Thema Bodenreform jedoch mit keinem Wort. Sie ­diskutierten im Wesentlichen nur die Flüchtlingsfrage und die Erntesituation im

25 Vgl. ebd., S. 76. Diese fünf Bauern bildeten nach dem Erlass der Bodenreformverordnung die Gemeindebodenkommission in Merzdorf. 26 Erinnerungsprotokoll von Richard Tenner vom 24.7.2008. Richard Tenner (geb. 1926) kam nach kurzer Kriegsgefangenschaft im August 1945 nach Merzdorf zurück, wo er seit 1947 im Gemeindeamt arbeitete. Im Jahr 1950 übernahm er das Amt des Merzdorfer Bürgermeisters, das er bis 1990 ausübte. Zunächst auf Vorschlag der FDJ ins Amt gekommen, trat er später der SED bei. 27 Entschließung der Maasdorfer Bauern vom 1.9.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 153, Bl. 55). 28 Bericht der KPD-Kreisleitung Liebenwerda für die KPD-Bezirksleitung vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 2, Bl. 182).

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Die Bodenreform

Kreis. Lediglich der Landrat Paulick ging in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik kurz auf die Bodenreformdiskussion in der Provinz ein. Er sagte: „Wir werden vielleicht daran gehen müssen, die großen Güter aufzuteilen. Ich weiß noch nicht, wie es gehen wird, das können wir heute noch nicht sagen. Vielleicht wird das Problem noch auf andere Weise gelöst.“29 Selbst der sonst so aktive Landrat Paulick zeigte sich also in Bezug auf die Aufteilung der Güter nicht entschlossen, diese ohne weitere Vorgaben der Provinzialverwaltung zu enteignen. Nicht zuletzt deshalb musste der DDR-Literatur deutlich widersprochen werden, in der immer wieder behauptet wurde, dass die Mehrheit der Bauern in der SBZ aber auch im Untersuchungsgebiet eine Bodenreform einforderte.30 2.

Die Bodenkommissionen

Laut Bodenreformverordnung mussten bis zum 15. September 1945 in den Gemeinden, Kreisen und Bezirken der Provinz Sachsen Kommissionen zur Durchführung der Bodenreform gewählt werden. In den Gemeinden traten dazu öffentliche Versammlungen zusammen, in denen alle im Ort lebende Landarbeiter, „Umsiedler“, landlose Bauern sowie alle Bauern, die weniger als fünf Hektar Boden besaßen, für die Wahl der sogenannten Gemeindebodenkommissionen (GBK) abstimmungsberechtigt waren. Die GBK setzten sich laut Bodenreformverordnung aus fünf bis sieben Personen zusammen, die allerdings nicht Mitglied der NSDAP gewesen sein durften. Dass die Wahlen der GBK-Mitglieder nur den Anschein einer demokratischen Legitimation vermitteln sollten, zeigte sich bereits darin, dass diese von den mit KPD-Mitgliedern durchsetzten Kreisverwaltungen bestätigt werden mussten.31 Gleichfalls wurden mit den Landarbeitern, „Umsiedlern“, landlosen und landarmen Bauern nur bestimmte soziale Gruppen der ländlichen Gesellschaft zu den Wahlen der GBK zugelassen. Wie in der leninistischen Bündnistheorie vorgesehen war, wurden damit nur diejenigen mit der Durchführung der Bodenreform in den Gemeinden verantwortlich gemacht, die später von den versprochenen Landzuteilungen am meisten profitieren würden. Alle anderen gesellschaftlichen Schichten auf dem Land, von denen die Kommunisten eine Behinderungen oder gar Widerstände gegen die Bodenreform erwarteten, sollten mit der Durchführung der Bodenreform nicht in Berührung kommen.

29 Protokoll zur Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 28.8.1945, S. 5 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.). 30 Vgl. Wilhelm, Sie kämpften für ein besseres Deutschland, S. 108. Wilhelm schrieb z. B.: „Immer wieder wurde von den Bauern die Forderung nach einer Bodenreform erhoben.“ Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 16. Hierin hieß es: „Immer stärker wurde die Forderung nach Aufteilung des Großgrundbesitzes an die Landarbeiter, landarmen Bauern und Umsiedler erhoben.“ 31 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 2a. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29.

Die Bodenkommissionen

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Die wesentlichste Aufgabe der GBK bestand zunächst darin, bis zum 25. September 1945 eine Bestandsaufnahme des Landes, welches laut Verordnung in den Bodenfond fallen würde, anzufertigen sowie Listen der Wirtschaften unter fünf Hektar, der Landarbeiter, Kleinpächter, landlosen Bauern sowie der „Umsiedler“ in den Gemeinden zu erstellen. Des Weiteren war die GBK dafür verantwortlich, eine Versammlung der landarmen und landlosen Bauern einzuberufen, die über den Vorschlag der GBK über die geplante Verteilung des enteigneten Landes abstimmen sollte. Jedoch konnte der Verteilungsplan erst in Kraft treten, wenn er von der Kreisbodenkommission bestätigt wurde.32 Die GBK besaßen also insgesamt betrachtet kaum eigene Gestaltungsspielräume. Alle Entscheidungen konnten von der Besetzung der Kommission bis hin zum Beschluss des Plans zur Aufteilung des Landes gegebenenfalls von der Kreisverwaltung bzw. der Kreisbodenkommission ohne Angabe von Gründen aufgehoben werden. Das Misstrauen – selbst gegenüber den unteren ländlichen Schichten – war vonseiten der KPD so groß, dass alle wesentlichen Entscheidungen auf höherer Ebene getroffen werden sollten. Damit die KPD ihren Führungsanspruch bei der Durchführung der Bodenreform durchsetzen konnte, war diese auf eine Mehrheit in den Kreisbodenkommissionen (KBK) angewiesen. Ohne der Ernennung der KBK-Mitglieder wie in den Gemeinden zumindest einen scheindemokratischen Anstrich zu verleihen, wurde in den Ausführungsbestimmungen lediglich festgelegt, dass die Mitglieder der KBK vom Landrat aus den Reihen der „bäuerlichen Antifaschisten und Demokraten“ berufen und von der Bezirksbodenkommission bestätigt werden sollten.33 Die KBK bestätigten, wie bereits erwähnt, alle Beschlüsse der GBK, gewährten Ausnahmefälle für die Höchstgrenze der Bodenzuteilung über 5 Hektar, legten die Preise für Waldgrundstücke fest, stellten den Gemeinden Kataster- und Vermessungsbeamte zur Verfügung, schlichteten Streitfragen und teilten überschüssiges Land den landarmen Bauern in benachbarten Gemeinden zu.34 Für die Ernennung der GBK waren jedoch laut Bodenreformverordnung zunächst die Kreis- und Gemeindeverwaltungen zuständig.35 Die Kreisverwaltung in Bad Liebenwerda ordnete dazu am 6. September 1945 an, dass sich in 64

32 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 6, 7 und 8. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29. 33 Vgl. Betr.: I. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform, § 3. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30 f. 34 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 8 und 9 sowie Artikel V, Nr. 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29 f.; Betr.: I. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30 f.; Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. IV, § 8 und 9. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 32. 35 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 2. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29.

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Die Bodenreform

Gemeinden des Landkreises GBK bilden sollten.36 Ähnlich verlief dies im Kreis Schweinitz. Hier wurden 69 Orte bestimmt, in denen GBK eingerichtet werden sollten.37 Zur Auswahl kamen dabei Orte, „welche in unmittelbarer Nähe von aufzuteilenden Gütern“ lagen.38 Eine spontane und unabhängige Bildung von GBK konnte im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt werden. Daraufhin wurden in kürzester Zeit bis zum 15. September 1945 in den ausgewählten Gemeinden Versammlungen durchgeführt, die allerdings oftmals wohl kaum demokratischen Standards entsprachen. So berichtete ein Chronist aus der Gemeinde Ahlsdorf: „Am 12. September 1945, 20 Uhr, wurde durch den Bürgermeister Otto Mittag in einer öffentlichen Versammlung im Rietdorfschen Gasthof Ahlsdorf die Gemeindebodenkommission, bestehend aus vier Landarbeitern und drei landlosen Bauern, gebildet […]. Zum Vorsitzenden wurde einstimmig durch Zuruf Paul Pflanze gewählt.“39 In gleicher Weise verfuhr auch der Bürgermeister der Stadt Schweinitz. Der später eingesetzte Treuhänder des Schweinitzer Hedwigshofs schrieb dazu: „Inzwischen kam Bürgermeister Lorenz in die Versammlung, machte dem Ortsbeauftragten Vorhaltungen darüber, dass Bauern mit mehr als fünf Hektar Eigentum an der Versammlung teilnahmen und forderte diese Bauern auf, den Versammlungsraum zu verlassen. Herr Lorenz bestimmte dann von sich aus zum Vorsitzenden der Gemeinde-Bodenkommission den Fleischer und Kleinlandwirt Walter B., der z. Zt. in Schweinitz auch noch für die Ernährungswirtschaft verantwortlich ist. Es wurden dann von Herrn Lorenz die weiteren vier Kommissionsmitglieder bestimmt, und ich (wurde) als Treuhänder für den Betrieb in Vorschlag gebracht.“40 Wie diese beiden Beispiele zeigten, ließen es sich die Bürgermeister in mehreren Orten nicht nehmen, die Zusammensetzung der Kommissionen selbst zu bestimmen und vertraute Mitarbeiter in führende Positionen der GBK einzusetzen. Da die Mitglieder der GBK laut Ausführungsbestimmungen der Bodenreform nur in offenen Wahlen gewählt werden durften, behinderte der Gesetzgeber von vornherein Kampfabstimmungen in den Wahlversammlungen. Die Versammlungsteilnehmer wurden damit gezwungen, ihren Protest gegen die Vorschläge der Bürgermeister offen zu artikulieren, wozu vielen zweifellos der Mut fehlte.41 36 Anweisung an die Gemeindeverwaltungen über die Durchführung der Bodenreform vom 6.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 91 f.). 37 Protokoll über die Durchführung der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 115). 38 Anweisung an die Gemeindeverwaltungen über die Durchführung der Bodenreform vom 6.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 91 f.). 39 Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 21. 40 Bericht des Treuhänders auf dem Schweinitzer Hedwigshof über die Durchführung der Bodenreform vom 25.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 235, Bl. 157). 41 Laut Ausführungsbestimmungen wurde Folgendes zur Wahl festgelegt: „Die Wahl geschieht öffentlich durch Handaufheben.“ Vgl. Betr.: I. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform, § 2. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30.

Die Bodenkommissionen

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Wie sehr sich die gesteuerten Wahlen der GBK auf deren Zusammensetzung auswirkten, war an einer Auflistung der Mitglieder zu erkennen. Für den Kreis Liebenwerda wurden z. B. am 21. September 1945 festgestellt, dass von den 438 Mitgliedern aller GBK 101 KPD-Mitglieder und 24 SPD-Mitglieder waren. Weitere 66 Personen wurden in dieser Auflistung als „sympathisierende Mitglieder“ aufgeführt. Dies bezog sich wohl auf deren politische Nähe zur KPD.42 Im gesamten Kreis Liebenwerda gehörten also 23 Prozent der GBK-Mitglieder der KPD an. Im Kreis Schweinitz sah diese prozentuale Verteilung am 30. November 1945 ähnlich aus. Trotz der hiesigen Schwäche der KPD konnten immerhin 21 KPD-Mitglieder in den GBK platziert werden. Die SPD stellte zu diesem Zeitpunkt im Kreis Schweinitz 15 Mitglieder in den GBK. Aus den bürgerlichen Parteien war nur ein Mitglied vertreten. Weitere 101 Mitglieder waren parteilos.43 Da hier nur 138 Mitglieder der GBK gewählt worden waren, gehörten im Kreis Schweinitz 15,2 Prozent der GBK-Mitglieder der KPD an.44 Rechnete man die SPD-Mitglieder (10,8 Prozent) hinzu, so waren im Kreis Schweinitz prozentual sogar mehr GBK-Mitglieder in den beiden Arbeiterparteien organisiert als im Kreis Liebenwerda. Zwar war der Anteil der parteilosen Mitglieder der GBK mit Abstand am größten, es gelang aber besonders der KPD, im Vergleich zu ihrer gesamtgesellschaftlichen Stärke, in den GBK überrepräsentiert zu sein. Vergleicht man die ersten bekannten Gesamtmitgliederzahlen der KPD in den beiden Landkreisen mit der Zusammensetzung der GBK, so waren in beiden Kreisen etwa zehn Prozent aller Mitglieder der KPD in den GBK engagiert.45 Bedenkt man zudem, dass nur Vertreter aus den Dörfern sowie nur landarme und landlose Bauern und Flüchtlinge gewählt werden durften, so konnte man durchaus davon sprechen, dass die KPD alle ihre Kräfte auf dem Land bündelte, um in den GBK vertreten zu sein. Im Kreis Liebenwerda waren z. B. am 1. November

42 Auflistung der Mitglieder der Gemeindebodenkommissionen des Kreises Liebenwerda vom 21.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 2–13). 43 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 130). Aus der Auflistung ging nicht hervor, ob das bürgerliche Parteimitglied in den GBK des Kreises Schweinitz der CDU oder LDP angehörte. 44 Angesichts der hohen Zahl der im Kreis Schweinitz entstandenen GBK war die Zahl von 138 in den GBK organisierten Personen sehr niedrig. Mindestens fünf Personen mussten einer GBK angehören. Allerdings wird bis in den März 1946 in mehreren Meldungen immer wieder festgestellt, dass nur 138 Personen in die GBK gewählt wurden. So waren vermutlich in mehreren GBK weniger als fünf Personen vertreten. Allerdings könnte auch der Wirkungsbereich einiger GBK mehrere Dörfer umfasst haben. Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 149). 45 In der KPD des Kreises Liebenwerda waren am 1.11.1945 insgesamt 1153 Personen organisiert. Im Kreis Schweinitz hatte die Partei am 1.10.1945 lediglich 208 Mitglieder. Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45); Situationsbericht über den Kreis Schweinitz vom 1.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 39).

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Die Bodenreform

1945 lediglich 12 Prozent der KPD-Mitglieder Bauern.46 Ähnlich sah dies im ländlichen Kreis Schweinitz aus, wo zum gleichen Zeitpunkt nur 14 Prozent der Parteimitglieder Bauern oder Landarbeiter waren.47 Trotz dieser Schwäche im ländlichen Bereich gelang es der KPD aber z. B. im Kreis Liebenwerda, in knapp zwei Drittel der GBK vertreten zu sein. Hauptsächlich sicherte sich aber die KPD ihren Einfluss auf die Durchführung der Bodenreform durch ihre Mehrheit in den KBK. Da beide Landräte, Paulick und Jeß, Mitglieder der KPD waren, konnten diese die KBK entsprechend besetzen. Im Kreis Liebenwerda wurde daraufhin vom Landrat Paul Paulick (KPD) Alfred Schubert (KPD), Fritz Flegel (KPD), Richard Haupt (SPD) und Otto Klemtz (SPD) in die KBK berufen.48 Im Kreis Schweinitz platzierte der Landrat Paul Jeß (KPD) den stellvertretenden Landrat und ersten KPD-Vorsitzenden im Kreis Schweinitz, Eduard Romanowski (KPD), den Herzberger Bürgermeister Otto Eger (KPD), Otto Napp (KPD), Fritz Graßmann (SPD) und Reinhold Hepel (parteilos) in der KBK.49 Die Wahl der KBK-Mitglieder fiel nahezu ausschließlich auf KPD- bzw. SPD-Mitglieder. Die KPD sicherte sich in beiden Kreisen eine Mehrheit in der Kommission. Die Auswahl der KBK entsprach aber in keiner Weise der Zusammensetzung der übrigen GBK, in denen hauptsächlich parteilose Mitglieder vertreten waren. Schaut man sich die Biografie einiger Vertreter der KBK genauer an, so kann man, trotz der in den Ausführungsbestimmungen beschriebenen Auswahlkriterien, auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen, dass viele von diesen bisher in ihrem Leben hauptsächlich in der Landwirtschaft gearbeitet hatten. So kam z. B. Eduard Romanowski kurz vor Kriegsende aus Berlin in den Kreis Schweinitz, wo er höchstwahrscheinlich keine Landwirtschaft betrieb.50 Im besten Falle konnte er als Flüchtling anerkannt werden. Auch Fritz Graßmann betätigte sich bis Kriegsende 1945 nicht als Landwirt, sondern als Dreher im Buna-Werk Schkopau. Er kam erst im August 1945 nach Herzberg zurück.51 Im Fall von Otto Eger verhielt es sich ähnlich. Vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete er

46 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Liebenwerda für den Monat November 1945 vom 1.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 45). 47 Vgl. Bericht der Kreisleitung der KPD Schweinitz für den Monat November 1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 6, Bl. 133). 48 Vgl. Protokoll der ersten Sitzung der Kreisbodenkommission vom 13.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 93). 49 Vgl. Protokoll über die Durchführung der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 115). Am 1.2.1946 änderte sich die Zusammensetzung der KBK im Kreis Schweinitz nochmals. Für den parteilosen Reinhard Hepel rückte Franz List (KPD) und für Alfred Napp (KPD) Siegfried Berthold (SPD) in die KBK nach. Vgl. Bestätigung der neuen Schweinitzer Kreisbodenreformkommission vom 1.2.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 6). 50 Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 13. 51 Vgl. Porrmann, Lebensbilder, S. 15.

Die Bodenkommissionen

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zwar als junger Mann auf dem Gut in Friedersdorf als Landarbeiter, nach dem Weltkrieg ging er aber nie wieder einer Tätigkeit in der Landwirtschaft nach.52 Auch im Kreis Liebenwerda wurde nicht sonderlich auf den landwirtschaftlichen Bezug der Mitglieder der KBK geachtet. Alfred Schubert war z. B. vor seiner Haft im KZ Tischler bei der Bad Liebenwerdaer Firma R. Reiss.53 Im Protokoll der ersten Sitzung der KBK im Kreis Liebenwerda wurde hinter seinem und dem Namen von Fritz Flegel lediglich „Siedler“ vermerkt.54 In Bezug auf den SPD-Vertreter Otto Klemtz aus Bockwitz gab man „Arbeiter“ an, was ebenso nicht für seinen Bezug zur Landwirtschaft sprach.55 Der einzige Landwirt in der Liebenwerdaer KBK war lediglich der Schradener Bürgermeister Richard Haupt, der in seinem Ort eine kleine Wirtschaft besaß.56 An den Zusammensetzungen der KBK war also zu erkennen, dass sie zum großen Teil lediglich mit ideologisch gefestigten Mitglieder der KPD und der SPD besetzt wurden, bei denen ein Bezug zur Landwirtschaft nicht bzw. kaum vorhanden war. Dies zeigt erneut, dass es sich bei der Bodenreform nicht um ein Projekt zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion handelte, sondern im Sinne des propagierten Klassenkampfs um eine zentrale Maßnahme zur Diktaturdurchsetzung auf dem Lande. Dass bei der Zusammenstellung der KBK keine bürgerlichen Vertreter berücksichtigt wurden, lag aber nicht nur am Willen der beiden Landräte. So waren die beiden bürgerlichen Parteien CDU und LDP Anfang September 1945 in beiden Kreisen noch so schwach organisiert bzw. noch nicht einmal gegründet, dass sie bei der Verabschiedung der Bodenreformverordnung gar nicht in der Lage gewesen wären, in irgendeiner Weise eine entscheidende Rolle bei der Durchführung der Bodenreform zu spielen. Auch die SPD befand sich zu diesem Zeitpunkt, obwohl sie bereits mit Mitgliedern in den KBK vertreten war, noch mitten in der Aufbauphase. Bedenkt man aber, dass bereits wenige Monate später die SPD zur mitgliederstärksten Partei in beiden Landkreisen aufstieg und auch die bürgerlichen Parteien kontinuierlich stärker wurden, so war der September 1945 wohl der späteste Zeitpunkt, in dem die KPD ohne größere Widerstände die Posten in den KBK bzw. GBK an ihre Mitglieder vergeben konnte. Die wesentlichen Entscheidungen der Bodenreform, die alle bereits mit Beginn der Durchführung getroffen wurden, konnte die KPD in den KBK weitestgehend ohne Rücksicht auf die anderen Parteien durchführen.

52 Vgl. ebd., S. 11–13. 53 Vgl. Fritz Wilhelm, Entwicklung, Erfahrungen, Erfolge der Zeichengerätebauer aus Bad Liebenwerda. Vom Versandgeschäft zum bedeutendsten Hersteller von Zeichenanlagen im RGW, Bautzen 1981, S. 35–37. 54 Vgl. Protokoll der ersten Sitzung der Kreisbodenkommission vom 13.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 93). 55 Vgl. ebd. 56 Vgl. ebd.

280

Die Bodenreform

Mehrere aufschlussreiche Rückschlüsse kann man auch über die soziale Zusammensetzung der GBK ziehen. In den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz sah diese am 10. Januar bzw. 1. März 1946 wie folgt aus: Kreis Liebenwerda

Kreis Schweinitz

Kleinpächter und landarme Bauern

257 59,4 %

64 46,4 %

Landarbeiter und landlose Bauern

72 16,6 %

31 22,5 %

32 7,4 %

24 17,4 %

72 16,6 %

19 13,7 %57

Umsiedler Sonstige

Mit Abstand stellten die Kleinpächter und Kleinbauern in den beiden Kreisen die größte Anzahl der Mitglieder in den GBK. Bei den Wahlen setzten sich also zum großen Teil Personen durch, die bereits eine kleine Bauernwirtschaft führten. Ihnen wurde wohl am meisten Vertrauen entgegengebracht, um die in den GBK gestellten Aufgaben zu bewältigen. Ferner spielte dabei auch die landwirtschaftliche Wirtschaftsstruktur des Untersuchungsgebiets eine Rolle. Da der Großgrundbesitz im Untersuchungsgebiet nicht dominierte, lebten hier weniger Landarbeiter, die gewählt werden konnten. Die Anzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen war in den GBK beider Landkreise allerdings gering, obwohl in beiden Kreisen ein enormer Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen zu verzeichnen war. Macht man sich bewusst, dass z. B. im Kreis Liebenwerda im Oktober 1945 bereits ca. 22 800 Flüchtlinge und Vertriebene (ca. 20 Prozent der Nachkriegsbevölkerung) lebten, so war diese Gruppe in den GBK deutlich unterrepräsentiert.58 Da die Flüchtlinge und Vertriebenen neu in die Gemeinden kamen und hier kaum Rückhalt in der alten Dorfgesellschaft besessen haben dürften, war deren Wahl in die GBK kaum wahrscheinlich. Hinzu kam, dass viele immer noch glaubten, zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen.59 Bereits in der sozialen Zusammensetzung der GBK wurde also deutlich,

57 Vgl. ebd.; Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 149). 58 Vgl. Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 29.10.1945, S. 24 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.). 59 Auf der ersten Sitzung aller GBK des Kreises Liebenwerda am 18.9.1945 fragte z. B. ein Vertreter der GBK aus Stolzenhain, der selbst Flüchtling war: „Können Flüchtlinge wieder zurück nach Schlesien?“ Vgl. Protokoll über die Sitzung der Kreis- und Ortskommissionen des Kreises Liebenwerda vom 18.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, Bl. 26).

Enteignung der Grundbesitzer

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dass sich die einheimischen kleinen Wirtschaftsbesitzer bei den Wahlen zu den GBK durchsetzten und damit auch wesentlich über die Verteilung des Bodens in ihrer Gemeinde bestimmen konnten. Mit den Wahlen der GBK gelang es somit nicht, die traditionellen Dorfmilieus vollkommen aufzubrechen und z. B. mit der Wahl von Flüchtlingen und Vertriebenen bzw. von Landarbeitern Personen in die GBK zu wählen, die weniger im Dorf verwurzelt waren. Dieser Umstand barg zwangsläufig auch Risiken für den Bodenreformprozess, da die Mehrzahl der in den Dorfgemeinschaften verwurzelten Kleinbauern wohl kaum die Enteignungen mit einer solchen Rigorosität durchsetzen konnten wie z. B. ortsfremde Flüchtlinge oder Vertriebene. Dem versuchte zwar die KPD damit entgegenzutreten, dass sie nahezu alle auf dem Lande lebenden Mitglieder der Partei in den GBK platzierte, doch war dies, wie sich später noch zeigte, aufgrund deren Schwäche im ländlichen Raum keine Garantie für einen konfliktfreien Vollzug der Bodenreform.

3.

Die Enteignung der Grundbesitzer über 100 Hektar Besitz

In der Bodenreformverordnung wurde festgehalten, dass „der gesamte feudal-­ junkerliche Boden und Großgrundbesitz über 100 Hektar mit allen Bauten, lebendem und totem Inventar und anderem landwirtschaftlichem Vermögen enteignet“ werden sollte. Ausgenommen von dieser Bestimmung waren lediglich die Böden der landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen, der Versuchs- und Lehranstalten, die Böden der Stadt- und Gemeindeverwaltungen, der Grundbesitz der landwirtschaftlichen Genossenschaften und Schulen sowie der Grundbesitz der Kirche.60 Der übrige Grundbesitz über 100 Hektar fiel unabhängig von den lokalen Gegebenheiten unter die Bodenreformbestimmungen und sollte enteignet werden. Laut Ausführungsbestimmungen war es dabei gleichgültig, ob der Besitz in geschlossener Form bewirtschaftet oder auf einzelnen Parzellen bzw. in unterschiedlichen Gemeinden bestellt wurde.61 Damit der Grundbesitz nicht nach dem Erlass der Bodenreform von den Besitzern zerstückelt wird, um unter die 100-Hektar-Grenze zu fallen, wurden alle Besitzaufteilungen, Verschenkungen, Abkäufe und Erbverträge, die nach dem 1. Juli 1945 abgeschlossen wurden, als ungültig erklärt.62 Zudem sollten nach der erfolgten Enteignung bis zur Aufteilung des Bodens Treuhänder auf den Höfen und Gütern eingesetzt werden, die für die vorübergehende Wirtschaftsführung verantwortlich waren.63 Ein Einspruchsrecht gegen die Enteignungen gab es nicht. 60 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel II, § 3 bis 5. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29. 61 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. III, § 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31. 62 Vgl. ebd. 63 Vgl. Betr. I. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform, § 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30.

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Die Bodenreform

Bevor allerdings der Enteignungsprozess näher beleuchtet wird, muss zunächst auf die Lage der Großgrundbesitzer nach dem Kriegsende eingegangen werden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich mit dem Herannahen der Roten Armee die Fluchtbewegung der Großgrundbesitzer in Grenzen hielt bzw. deren Flucht nur wenige Tage anhielt. Im gesamten Kreis Liebenwerda wurden z. B. bis zum 29. September 1945 lediglich neun Wirtschaften gemeldet, die von ihren Besitzern verlassen wurden.64 Da viele Gutsbesitzer im Untersuchungsgebiet blieben, waren sie am Kriegsende oftmals der Willkür der Roten Armee ausgesetzt. Wie bereits erwähnt, erschossen Soldaten der Roten Armee beispielsweise den größten Gutsbesitzer im Kreis Schweinitz, Dr. William Brettschneider, wenige Tage nach dem Einmarsch in Lebusa.65 Auch der ehemalige Reichstagsabgeordnete Emil Hemeter aus Gentha sowie der Amtsrat Heinrich Lücke, der in Borschütz bei Mühlberg ein staatliches Gut bewirtschaftete, wurden von Rotarmisten getötet.66 Oftmals wurden die Gutsbesitzer bzw. Gutspächter Opfer einer Denunziation von ehemaligen Zwangsarbeitern, die während des Kriegs auf den Gütern beschäftigt waren. Des Weiteren wurden mehrere Gutsbesitzer vom NKWD bzw. von „Smersch“ verhaftet und in Speziallager eingewiesen. Beispielsweise verhaftete der sowjetische Geheimdienst den Gutsbesitzer Johannes Henny aus der Mark Zwuschen aufgrund seiner Tätigkeit als Volkssturmführer. Er wurde erst am 22. Juli 1947 aus der Haft entlassen.67 Ein ähnliches Schicksal erlitt der Gutsbesitzer Willy Wenzel aus Hillmersdorf, der ebenso wie Johannes Henny aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Volkssturm am 28. August 1945 verhaftet wurde.68 Insgesamt wurden laut Angaben der beiden Kreisverwaltungen bis Mitte Oktober 1945 im gesamten Untersuchungsgebiet elf Gutsbesitzer vom NKWD verhaftet.69 Vermutlich standen aber diese Verhaftungen oftmals nicht im Zusammenhang mit der Bodenreform. So wurden beispielsweise der Schliebener Gutsbesitzer Max Weber und der Mühlberger Gutsbesitzer Arthur Winterfeldt bereits am 64 Gesamtaufstellung über die Güter und Wirtschaften im Kreise Liebenwerda, die unter die Verordnung der Bodenreform fallen vom 29.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 126). 65 Vgl. Sterbebuch der evangelischen Kirchengemeinde Lebusa 1945. 66 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Gentha 1945; anonymer Erlebnisbericht vor und beim Einmarsch der Roten Armee 1945 vom 7.9.1947 (StA Mühlberg, Nr. 910005, unpag.). 67 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 68 Vgl. ebd. 69 Auflistung der verhafteten Gutsbesitzer vom 15.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 431); Auflistung über die Verhaftungen von enteigneten Gutsbesitzern im Kreis Liebenwerda vom 24.10.1945 (LHASA, MD, K 7, Nr. 3766, Bl. 2). Verhaftet wurden demnach im Kreis Schweinitz Werner Herbig (Wüstermarke), Joachim Badewitz (Wildenau), Johannes Henny (Mark Zwuschen), Willy Wenzel (Hillmersdorf), Werner Northe (Morxdorf) und Max Weber (Schlieben). Im Kreis Liebenwerda wurden Ernst Brendel (Martinskirchen), Dr. Friedrich von Delius (Plessa), Arthur Frömmel (Koßdorf), Arthur Winterfeldt (Mühlberg) und Fritz Dotti (Prieschka) verhaftet.

Enteignung der Grundbesitzer

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24. April bzw. am 27. Mai 1945 zu einem Zeitpunkt verhaftet, als sich selbst Stalin in Moskau noch nicht zur Durchführung einer Bodenreform in Deutschland entschlossen hatte.70 Da mehrere Gutsbesitzer durch ihre Stellung im Dorf wichtige Positionen vor allem im Volkssturm einnahmen, war deren großer Anteil unter den Verhafteten aufgrund des NKWD-Befehls Nr. 00315 durchaus nachvollziehbar. Überraschenderweise lebte im gesamten Untersuchungsgebiet kein einziger Gutsbesitzer über 100 Hektar, der in der lokalen und regionalen NSDAP höhere Funktionen vom Ortsgruppenleiter aufwärts ausübte. Im Kreis Schweinitz war sogar eine Mehrzahl der Gutsbesitzer nicht in der NSDAP organisiert. So stellte die Kreisverwaltung am 16. Oktober 1945 fest, dass von den 71 Großgrundbesitzern lediglich 32 in der NSDAP organisiert waren.71 Bei etwas mehr als der Hälfte der Großgrundbesitzer traf damit nicht die von der KPD verbreitete allgemeine Behauptung zu, dass die Großgrundbesitzer eine „Bastion der Reaktion und des Faschismus“ waren.72 Zweifellos war der Anteil der Parteimitgliedschaft unter den Großgrundbesitzern hoch, doch konnte eine Mehrzahl der betroffenen Gutsbesitzer mit ihrem Nicht-Eintritt in die NSDAP einen gewissen Abstand zum NS-Regime bewahren. Die Argumentation der KPD für die Bodenreform wurde somit zum großen Teil ausgehebelt. Nach dem Erlass der Bodenreformverordnung hatten die Verwaltungen den Auftrag, zunächst jeden Besitz über 100 Hektar zu erfassen. Im Kreis Liebenwerda wurden 31 und im Kreis Schweinitz 71 Besitzer in den Katasterunterlagen ermittelt.73 Der Großgrundbesitz über 100 Hektar umfasste im Kreis Liebenwerda eine Fläche von 8 774,22 Hektar sowie im Kreis Schweinitz von 15 358,27 Hektar. Dies entsprach 11 Prozent bzw. 15,1 Prozent der Gesamtfläche der beiden Landkreise.74 Der flächenmäßige Anteil des Großgrundbesitzes

70 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 71 Meldung der Kreisverwaltung Schweinitz über die politische Einstellung der Großgrundbesitzer vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 459). 72 Verordnung über die Bodenreform, Artikel I, § 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 28. 73 Auflistung aller Treuhänder für die Güter im Kreise Bad Liebenwerda vom 1.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 52–65); Auflistung aller landwirtschaftlichen Betriebe über 100 Hektar im Kreis Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 208). Im März 1946 wurden für den Kreis Schweinitz insgesamt 72 landwirtschaftliche Betriebe über 100 Hektar verzeichnet. Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 150). Dies deckte sich auch mit der Darstellung von Kurt Porrmann, der in seiner Auflistung ebenso 72 Güter aufführte. Ein Betrieb in Stiesa wurde mit 751 Hektar LNF bei Porrmann zusätzlich zu den Betrieben aus den ersten bekannten Listen aufgeführt. Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 24 f. 74 Meldung für den Herrn Major über den Stand der Agar-Reform im Kreise Liebenwerda vom 2.1.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 26); Auflistung des aufgeteilten Großgrundbesitzes im Kreis Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13,

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Die Bodenreform

im Kreis Schweinitz lag somit etwas höher als im Kreis Liebenwerda. Dennoch stellte der Großgrundbesitz auch im Kreis Schweinitz nicht die dominierende landwirtschaftliche Betriebsform dar. Zwischen den beiden Landkreisen gab es aber nochmals erhebliche Unterschiede in der Größenstruktur des Großgrundbesitzes über 100 Hektar. Betriebe

Kreis Liebenwerda

Kreis Schweinitz

über 100 bis 125 ha

8

35

über 125 bis 150 ha

3

7

über 150 bis 200 ha

6

9

über 200 bis 500 ha

10

17

über 500 bis 1000 ha über 1 000 ha

3 1

75

1 2

76

Bei einer genaueren Betrachtung der Besitzverhältnisse im Kreis Schweinitz wird deutlich, dass etwa die Hälfte aller Großgrundbesitzer nur sehr knapp die Enteignungsgrenze von 100 Hektar überschritt. Der Grund, dass viele Bauern im Kreis Schweinitz nur knapp die 100-Hektar-Grenze übertrafen, lag vor allem an den schlechten sandigen Böden in Teilen des Landkreises. Nahezu kein Großgrundbesitzer war im Kreis Schweinitz in der westlichen Elbaue beheimatet, wo weitaus bessere Böden als im nördlichen und östlichen Kreisgebiet vorhanden waren. Beispielsweise kamen 14 Großgrundbesitzer, die nur knapp über 100 Hektar besaßen, allein aus der kleinen Gemeinde Hohenbucko, in der vor Kriegsende lediglich 504 Einwohner lebten. Weitere sieben bzw. fünf Großgrundbesitzer kamen aus den kleinen Dörfern Oehna und Zellendorf am Rande des südlichen Flämings, der bis heute für seine sandigen Böden bekannt ist.77 Im Weiteren besaßen diese Bauern meist sehr große Waldflächen rund um ihre Dörfer. Beispielsweise verfügten alle 14 Bauern aus Hohenbucko, die über 100 Hektar besaßen, über 1 274,39 Hektar Wald und nur 339,61 Hektar Acker- bzw. Wiesenfläche. Eine Wirtschaft in Hohenbucko verfügte sogar nur über 6,57 Hektar LNF, dagegen aber über 100,43 Hektar Wald.78 Daran ­wurde

75 76 77 78

Herzberg, Nr. 334, Bl. 187). Die Flächenangaben über die enteigneten Großgrundbesitzer über 100 Hektar wurden in den verschieden Meldungen und Abrechnungsformularen in beiden Kreisen immer wieder geringfügig unterschiedlich angegeben. Die oben genannten Zahlen beziehen sich auf die ersten erhaltenen Meldungen. Auflistung aller Treuhänder für die Güter im Kreise Bad Liebenwerda vom 1.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 52–65). Auflistung aller landwirtschaftlichen Betriebe über 100 Hektar im Kreis Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 208). Ebd. Vgl. ebd.

Enteignung der Grundbesitzer

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deutlich, dass es sich bei vielen Wirtschaften im Untersuchungsgebiet, die über der 100-Hektar-Grenze lagen, nicht um klassischen Großgrundbesitz handelte. Vielmehr konnte man den Besitz vieler Enteigneter als klassische Großbauernwirtschaften bezeichnen, in denen auch der Besitzer auf den schlechten Böden der Region gezwungen war, in der Wirtschaft mitzuarbeiten. So ging es wahrscheinlich vielen Bauern, die in der Elbaue knapp unterhalb der 100-Hektar-Grenze lagen und kaum Wald besaßen, wirtschaftlich bedeutend besser als den Bauern mit knapp über 100 Hektar Besitz, die die schlechten Böden im nördlichen und östlichen Schweinitzer Kreisgebiet bewirtschaften und zudem viel Wald besaßen. Dass die 100-Hektar-Grenze keine örtlichen Gegebenheiten berücksichtigte und vollkommen willkürlich gezogen worden war, wird hieran besonders deutlich. Viele Gutsbesitzer versuchten mit Eingaben bei der Provinz-, Bezirks- oder Kreisverwaltung ihren Besitz zu erhalten. In den Archiven fanden sich zahlreiche dieser Eingaben, in denen die rechtmäßigen Besitzer meist ihre „antifaschistische“ Haltung und ihre gute Wirtschaftsführung herausstellten. Viele Betroffene vor allem aus dem Kreis Schweinitz versuchten zudem darauf hinzuweisen, dass sie als einfache Bauern nur knapp über der 100-Hektar-Grenze lagen und damit nicht als Junker bzw. klassische Großgrundbesitzer zu betrachten waren. Gottfried Schröter aus Seehausen, der 116 Hektar bewirtschaftete, schrieb beispielsweise: „Es handelt sich bei ihm (das Hufengut) nicht um einen feudal-junkerlichen Besitz, sondern um einen Bauernhof, der sich seit nunmehr beinahe 300 Jahren ständig im Besitz der Familie Schröter befunden hat […]. Alle meine Vorfahren und ich selbst haben ihn (den Hof) als echte Bauern mit ihrer Hände Arbeit bewirtschaftet, wie das ganze Dorf weiß.“79 Dieses Argument verfing bei vielen GBK der betroffenen Ortschaften. Der KBK des Kreises Schweinitz wurden z. B. bis zum 15. Oktober 1945 insgesamt 34 Wirtschaften gemeldet, die laut Beschlüssen der örtlichen GBK nicht aufgeteilt werden sollten. Begründet wurde dies mit der speziellen Lage der Dörfer. Die Schweinitzer KBK schrieb dazu: „Es handelt sich ferner bei den einzelnen Gemeinden um sogenannte Heide-Dörfer, deren Bauern schon seit alters her gerade durch die geografische Lage ihres Ortes zu den großen Waldungen von jeher eine weit größere Wald- als Acker- und Wiesenfläche als Eigentum besaßen.“80 Die GBK im Kreis Schweinitz beschlossen aus diesem Grund, etwa die Hälfte aller Güter über 100 Hektar zunächst nicht zu enteignen. Berücksichtigt man, dass z. B. in kleinen Orten wie Hohenbucko 14 und in Oehna sieben Bauern mit ihren Familien enteignet werden sollten, so war es verständlich, dass die zuständigen GBK im sozial eng verflochtenen dörflichen

79 Gottfried Schröter an die Provinzialbodenkommission in Halle (Saale) vom 25.9.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 423). 80 Schweinitzer Landrat an den Bezirkspräsidenten vom 15.10.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 196, Bl. 13 f.).

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Die Bodenreform

Milieu zunächst für die betroffenen Bauern eintraten.81 Es kam hinzu, dass die Enteignung dieser Bauern dem eigentlichen propagierten Ziel der Bodenreform, die „feudal-junkerliche Herrschaft“ zu beseitigen, offensichtlich entgegenstand. Die Aussicht, das Land dieser Bauern zugeteilt zu bekommen, war also bei vielen Mitgliedern der GBK zunächst nicht das bestimmende Handlungsmotiv. Vielmehr spielten traditionelle Bindungen in der ländlichen Gesellschaft eine weitaus größere Rolle bei den Entscheidungsfindungen der GBK. Zwar waren zweifellos soziale Unterschiede auch in den Dörfern mit mehreren großen Bauernwirtschaften, die nur knapp die 100-Hektar-Grenze überschritten, vorhanden, doch gelang es der KPD zunächst nicht, mit der mutwilligen Verschärfung dieser Gegensätze durch die Einrichtung der GBK, diese so weit zu kulminieren, dass die unteren sozialen Schichten in den Dörfern und damit die GBK die Enteignung dieser Bauern forderten. Über diese ersten Entscheidungen der GBK, 34 Bauern des Kreises Schweinitz nicht zu enteignen, konnte sich auch die Schweinitzer KBK nicht so einfach hinweggehen. Die KBK wandte sich dazu am 15. Oktober 1945 an den Bezirkspräsidenten in Merseburg. Der Vorsitzende der Schweinitzer KBK schrieb: „Nachdem ich die Vorschläge und Beschlüsse der einzelnen Gemeinde-Bodenkommissionen eingehender Nachprüfungen unterzogen habe, vermag ich die betroffenen Beschlüsse der Gemeinde-Bodenkommissionen auch in vollster Würdigung der Bestimmungen zur Verordnung über die Bodenreform nicht aufzuheben, muss mich vielmehr deren Stellungnahme in allen Fällen anschließen. In Anbetracht der dargelegten Verhältnisse bitte ich um dortige Entscheidung.“82 Auf diese Forderung eingehend, entschied der 1. Vizepräsident der Provinz Sachsen, Robert Siewert (KPD), am 22. Oktober 1945, dass die betroffenen Bauern zunächst nur vom Waldbesitz enteignet werden sollten. Einschränkend führte er jedoch aus: „Diese Maßnahme ist dann durchzuführen, wenn seitens der Kreis- oder Ortskommandantur kein Einspruch erhoben wird. Erhebt die sowjetische Administration Einspruch, so wird empfohlen, den Obengenannten eine Neubauernstelle in der dort üblichen Größe von acht Hektar zuzuteilen.“83 Allerdings wurden bereits bis zu diesem Zeitpunkt laut einer Anordnung der Provinzialverwaltung vom 11. Oktober 1945 insgesamt 23 Gutsbesitzer aus dem Kreis Schweinitz ausgewiesen.84 Bis zum 6. November 1945 steigerte sich diese Zahl auf 47 ausgewiesene Gutsbesitzer.85 Im Kreis Liebenwerda, wo der

81 Vgl. Auflistung aller landwirtschaftlichen Betriebe über 100 Hektar im Kreis Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 208). 82 Schweinitzer Landrat an den Bezirkspräsidenten vom 15.10.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 196, Bl. 13 f.). 83 1. Vizepräsidenten Siewert an den Herrn Landrat des Kreises Schweinitz vom 22.10.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 196, Bl. 21). 84 Meldung über den Gang der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 22.10.1945 (­LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 118). 85 Meldung über den Gang der Bodenreform vom 6.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 210 f.).

Enteignung der Grundbesitzer

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Großgrundbesitz keine solche Rolle spielte, wiesen die Behörden bis zum 21. Oktober 1945 insgesamt fünf Gutsbesitzer aus dem Kreis aus.86 Die Entscheidung von Robert Siewert, nur den Waldbesitz einiger Bauern zu enteignen, ermöglichte es aber daraufhin mehreren bereits ausgewiesenen Bauern, zumindest vorläufig wieder auf ihre Höfe zurückzukehren. Karl Heinz Niendorf, dessen Familie in Oehna einen über 100 Hektar großen Hof bewirtschaftete, berichtete dazu: „Wir wurden im Oktober 1945 bereits ein erstes Mal aus Oehna ausgesiedelt. Nach etwa zwei Wochen konnten wir zurückkehren und durften auf unserem eigenen Grundstück zunächst siedeln.“87 Dieses Zugeständnis der übergeordneten deutschen Behörden an die Besitzer großer Bauernwirtschaften im Kreis Schweinitz hatte jedoch nicht lange Bestand. Bereits am 22. Dezember 1945 ordnete der Schweinitzer Kreiskommandant an, dass alle mitsiedelnden Bauern innerhalb von 48 Stunden den Kreis zu verlassen hatten.88 Um weitere Proteste gegen diesen Befehl bei den deutschen Behörden zu verhindern, wurde dieser wohl kurz vor Weihnachten erlassen. Dennoch gelang es der Kreisverwaltung, die die Ausweisung der Bauern umsetzen musste, die Provinzialverwaltung in Halle zu benachrichtigen, die daraufhin mit der SMAD in Verhandlungen eintrat. Doch konnte auch der 1. Vizepräsident Robert Siewert, der zuvor das Mitsiedeln dieser Bauern erst ermöglichte, trotz seiner Verhandlungen mit General Kotikow nur einen Aufschub dieses Befehls bis zum 1. Januar 1946 erwirken.89 Am 2. Januar 1946 mussten schließlich alle noch im Kreis verbliebenen Bauern, die über 100 Hektar besaßen, den Landkreis Schweinitz endgültig verlassen.90 Die Aussiedlung der Großgrundbesitzer im Kreis Schweinitz wurde in einem Protokoll zur Durchführung der Bodenreform vom 14. März 1946 wie folgt begründet: „Es wurde den nicht aktiven Nazisten vorerst gestattet, von ihrem enteigneten Gut eine Siedlerstelle zu belassen. Durch die dauerhaften Störungen und Versuche der enteigneten Großgrundbesitzer, die Bodenreform nicht reibungslos ablaufen zu lassen, erfolgte die Ausweisung sämtlicher enteigneter

86 Meldung für den Herrn Major über den Stand der Agrar-Reform im Kreise Liebenwerda vom 21.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 27). 87 Erinnerungsprotokoll von Karl-Heinz Niendorf vom 23.3.2011. Die Familie von KarlHeinz Niendorf (geb. 1929) wurde in Oehna enteignet. Die Wirtschaft umfasste 116 Hektar. 88 Vgl. Ausweisungsbefehl vom 22.12.1945. Übereinstimmend befinden sich diese Befehle in Besitz von Wally Strempel und Karl-Heinz Niendorf. 89 Vgl. Betr. Ausweisung der enteigneten Gutsbesitzer vom 29.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 25). 90 Vgl. Abt. Bodenreform des Kreises Schweinitz an die SPD-Unterbezirksleitung vom 30.1.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 365). Der SPD-Unterbezirkssekretär Otto Dietrich fragte zuvor über die Rechtmäßigkeit der Ausweisungen bei der Abteilung Bodenreform an. Die Antwort auf sein Schreiben lautete: „Nachdem die Ausweisung bis zum 1. Jan. 1946 wegen Verhandlungen zwischen der Provinzialverwaltung und der SMA zurückgestellt wurde, habe ich am 2. Jan. 1946 sämtliche enteignete Besitzer des Kreises verwiesen.“

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Die Bodenreform

Großgrundbesitzer nach den Kreisen Sangerhausen und Querfurt.“91 Neben der verständlichen Reaktion der enteigneten Besitzer, so viel wie möglich von ihrem Besitz zu retten, wirkte der Verbleib der ehemaligen Eigentümer oftmals hemmend für viele, die sich um den enteigneten Boden bewerben wollten. Fritz Graßmann (SPD) sagte dazu später: „Als Hindernis stellte sich die Anwesenheit der alten Besitzer im Kreis heraus. Es gab Schwierigkeiten, und die einzelnen Siedler trauten sich nicht, weil die alten Besitzer noch da waren. Da kam der strenge Befehl von der Kommandantur, sämtliche Besitzer müssten den Kreis verlassen. Wir haben sofort die Polizei eingesetzt […]. Sofort trat Ruhe ein, und die Landarbeiter und Umsiedler bekamen mehr Vertrauen.“92 Wie die sowjetische Administration in die Durchführung der Bodenreform eingriff, wurde auch bei der Frage der Restgüter für Gutsbesitzer, die in Gegnerschaft zum NS-Regime standen, sichtbar. Da in der Entschließung des Blockausschusses zur Bodenreform vom 1. September 1945 von allem auf Wunsch der CDU eingefügt wurde, dass die Provinzialverwaltung „Art und Höhe einer Entschädigung für Antifaschisten“ nach Beginn der Bodenreform bestimmen sollte, konnten zumindest ehemalige NS-Gegner unter den Großgrundbesitzer zunächst auf den Erhalt eines Teils ihres Besitzes hoffen.93 So forderte die Provinzialverwaltung am 29. September 1945 alle „antifaschistische Gutsbesitzer“ erstmals auf, Anträge auf ein Restgut zu stellen.94 Umfassend wurden die Restgut-Frage und damit die Entschädigung für NS-Gegner schließlich erstmals mit einem Rund­erlass der Provinzialverwaltung vom 29. November 1945 geregelt. Laut diesem Erlass konnten „anerkannte Opfer des Faschismus, aktive Antifaschisten oder Antifaschisten mit wissenschaftlicher oder landeskultureller Bedeutung für die Landwirtschaft der Provinz Sachsen“ einen Antrag auf ein Restgut mit bis zu 100 Hektar stellen.95 Allerdings wurde dieser Erlass sofort von der SMA aufgehoben.96 Nachdem weitere Verhandlungen des Präsidenten Hübener mit der sowjetischen Besatzungsmacht über die Restgut-Frage fehlschlugen, teilte diese schließlich im April 1946 dem Provinzialpräsidium mit, dass „bei der SMA zur Zeit keine Neigung“ bestehe, „die Anweisung von Restgütern zu genehmigen“.97

91 Protokoll über die Durchführung der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 115). 92 Vgl. … und der Zukunft zugewandt, S. 21. 93 Vgl. Entschließung des Antifaschistischen Blocks der Provinz Sachsen zur Bodenreform. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 28. 94 Vgl. Wille, Die Verabschiedung, S. 100. 95 Runderlass der Provinzialverwaltung an die Herren Landräte und Oberbürgermeister zur Zuweisung von Resthöfen für Antifaschisten in der Bodenreform vom 29.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 156 f.). 96 Vgl. Wille, Die Verabschiedung, S. 101. 97 Ebd.

Enteignung der Grundbesitzer

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Trotz der Eingriffe der Besatzungsmacht bleibt aber festzuhalten, dass die Bodenreform ausschließlich von Deutschen umgesetzt wurde, die in vielen Fällen genau die gleichen Methoden wie die Besatzungsmacht anwendeten. Besonders deutlich wurde dies bei der Enteignung des Rahnisdorfer Gutsbesitzers Kraft Freiherr von Palombini, auf dessen Gut vor Kriegsende unter Leitung des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Karl Goerdeler Besprechungen zur Beseitigung des NS-Regimes stattfanden. Am Tag des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944 befand sich Goerdeler auf dem Gut Rahnisdorf, wo er auf die Vollzugsmeldung der Mitverschwörer wartete.98 Nach dem Scheitern des Putsches setzte sich Goerdeler von dort in Richtung Gerbisbach ab, wo er beim Gutsbesitzer Johann Eckardt vorübergehend Unterkunft fand.99 Bereits einen Tag nach dem Attentat wurde Kraft Freiherr von Palombini verhaftet und später vom Volksgerichtshof zu vier Jahren Haft verurteilt.100 Während der Haft wurde sein Gut enteignet. In den Wirren der Schlacht um Berlin kam er am 22. April 1945 aus dem Gefängnis frei.101 Von Berlin kehrte er Ende Mai 1945 nach Rahnisdorf zurück, wo er, durch die sowjetische Kommandantur bestätigt, die Wirtschaftsführung seines Guts wieder übernehmen konnte.102 Mit dem Inkrafttreten der Bodenreformverordnung fiel aber auch das Rahnisdorfer Gut unter die Bodenreformbestimmungen. Zunächst versuchte von Palombini, auf seine guten Wirtschaftsergebnisse verweisend, eine Anerkennung als Saatgutwirtschaft zu erhalten, welche laut Verordnung nicht aufgeteilt werden sollten. Mit Zuspruch der Kanzlei des Präsidenten der Provinz Sachsen gelang es ihm, zunächst nicht nur die Anerkennung als Saatgutwirtschaft zu erhalten, sondern auch die Wirtschaftsführung zu ­behalten. So wurde von Palombini am 13. September 1945 im Namen des Präsidenten zugesichert, dass der eingesetzte Treuhänder nicht berechtigt ist, in

98 Vgl. Protestschreiben von Kraft Freiherr von Palombini über die Aufhebung der Enteignung an die Provinzialverwaltung vom 11.9.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). Dr. Camillo von Palombini ist der Enkel von Freiherr Kraft von Palombini. Nach der Wiedervereinigung 1990 erhielt die Familie von Palombini aufgrund der Widerstandstätigkeit von Freiherr Kraft von Palombini das Gut Rahnisdorf zurück. Da der Enteignungsvorgang der Familie von Palombini in den Archiven unter Datenschutzbestimmungen fiel, war der Verfasser auf die von Dr. Camillo von Palombini zusammengetragenen Dokumente angewiesen. 99 Vgl. Johann Eckardt an die KBK Schweinitz vom 9.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 337, Bl. 43). 100 Vgl. Protestschreiben von Kraft Freiherr von Palombini über die Aufhebung der Enteignung an die Provinzialverwaltung vom 11.9.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini); Rechtsanwalt Dr. Flächsner an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 10.4.1945 (LHASA, MER, Domänenregistratur, C 48 IIIa, Nr. 484, Bl. 87). 101 Vgl. Landrat des Kreises Schweinitz zur Gewährleistung von Hilfe und Schutz für Kraft Freiherr von Palombini vom 31.5.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 102 Vgl. ebd.; Protestschreiben von Kraft Freiherr von Palombini über die Aufhebung der Enteignung an die Provinzialverwaltung vom 11.9.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini).

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Die Bodenreform

die Bewirtschaftung des nun zum Saatgutbetrieb erklärten Guts einzugreifen.103 Dennoch versuchte die örtliche Verwaltung unter dem Herzberger Bürgermeister, Otto Eger, die Enteignung des Freiherr von Palombini mit starkem Eifer voranzutreiben. So wurde von Palombini trotz des Schreibens des Präsidenten der Provinz am 1. Oktober 1945 von der deutschen Polizei verhaftet. In einem Aktenvermerk der Provinzialverwaltung hieß es dazu: „Am 2. Oktober erhielt ich von einer weiblichen Person, deren Namen ich am Telefon nicht verstehen konnte, die Mitteilung, dass der Gutsbesitzer von Palombini aus Rahnisdorf von der deutschen Polizei verhaftet sei, angeblich weil er sich über den Vorsitzenden der dortigen Kreisgruppe der KPD beschwert habe. Bei der Verhaftung soll er schwer misshandelt worden sein.“104 Kein halbes Jahr nach seiner Haft in Berlin wurde von Palombini also erneut festgesetzt und seine Ehefrau Mitte Oktober 1945 aus dem Kreis ausgewiesen.105 Der Familie Palombini gelang es aber, trotz der Verhaftung bei der Provinzial­ verwaltung einen Antrag auf ein Restgut einzureichen, welcher zum einen mit der zweifelsfreien Gegnerschaft zum NS-Regime und zum anderen mit den vorbildlichen Wirtschaftsdaten, die zuvor mehrmals bestätigt wurden, begründet wurde.106 Für die Zuteilung eines Restguts benötigte die Familie von Palombini jedoch einen Beschluss der GBK sowie der Schweinitzer KBK. Laut Anordnung der Provinzialverwaltung musste zunächst die GBK über die Restgutfrage beraten und den Beschluss daraufhin zur endgültigen Beschlussfassung an die KBK überweisen.107 Die KBK beschloss jedoch bereits am 24. Oktober 1945, bezeichnenderweise einen Tag vor der Rahnisdorfer GKB, die Zuteilung eines Restguts an die Familie von Palombini abzulehnen.108 Mit dem Beschluss der KBK unter Druck gesetzt, lehnte auch die Rahnisdorfer GBK am 25. Oktober 1945 den Antrag Palombinis auf ein Restgut ab.109

103 Vgl. Bescheinigung für Freiherr Kraft von Palombini im Auftrag des Präsidenten der Provinz Sachsen vom 13.9.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). Freiherr Kraft von Palombini nutzte umgehend seine guten Kontakte zu den deutschen Verwaltungen und erwirkte unter anderem auch eine Bescheinigung der Bezirksbürgermeisterei Berlin-Charlottenburg, mit der er als Opfer des Faschismus anerkannt wurde. Vgl. Referat Opfer des Faschismus der Bezirksbürgermeisterei Berlin-Charlottenburg an Vize-Präsident Robert Siewert vom 19.9.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 104 Aktenvermerk über die Verhaftung des Gutsbesitzers von Palombini vom 3.10.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 105 Vgl. Protestschreiben der Freifrau Melitta von Palombini an die Provinzialverwaltung vom 30.11.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 106 Vgl. Provinzialverwaltung über die Zulassung eines Restgutes für Freiherr Kraft von Palombini an die GBK Rahnisdorf vom 12.10.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. Beschluss der KBK des Kreises Schweinitz über ein Restgut von 100 Hektar für Freiherr von Palombini vom 24.10.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 109 Vgl. Beschluss der Rahnisdorfer GBK über ein Restgut für die Familie von Palombini vom 25.10.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini).

Enteignung der Grundbesitzer

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Begründet wurde die Ablehnung der KBK hauptsächlich damit, dass die Wirtschaft während der NS-Zeit hoch verschuldet war. In Verkehrung der Tatsachen wurde von Palombini von der KBK also vorgeworfen, dass er unter den Bedingungen des NS-Regimes, dem er seit 1933 kritisch gegenüberstand und aus diesem Grund wirtschaftliche Nachteile bis hin zur Enteignung in Kauf nehmen musste, nicht den gewünschten wirtschaftlichen Erfolg hatte. Sogar seine Widerstandstätigkeit wurde nahezu negiert. Hierzu schrieben die Vertreter der KBK: „Obwohl sich von Palombini für einen Regierungssturz der früheren ­NSDAP eingesetzt hat, muss doch gesagt werden, dass Palombini nur mit dem Großkapital und den sogenannten besseren Herren Verkehr gepflegt hat.“110 Da sich von Palombini noch bis zum 27. November 1945 in Herzberg in Haft befand und daraufhin ebenso wie seine Frau aus dem Kreis ausgewiesen wurde, hatte er bis dahin keine Gelegenheit, sich gegen diese Vorwürfe der Schweinitzer KBK zu wehren. Obwohl er in der verfassten Stellungnahme zum Beschluss der KBK nahezu alle Beschuldigungen glaubhaft entkräften konnte, war es trotz erneuter Anträge auf ein Restgut ohne die Unterstützung der KBK und GKB für von Palombini nicht möglich, einen positiven Bescheid zur Zuteilung eines Resthofs zu erhalten.111 So stellte der Landrat Jeß am 26. Februar 1946 auf Anfrage des Bezirkspräsidenten zum Fall von Palombini fest: „Nach Anhörung der Kreisbodenkommission ist ein Restgut im Kreise Schweinitz nicht mehr vorhanden.“112 Schließlich musste am 27. Mai 1946 auch der Präsident der Provinz Folgendes in einem Schreiben an die Freifrau von Palombini eingestehen: „In Bestätigung der Ihrem Ehemann erteilten Auskunft bedaure ich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass nach einem Befehl der Sowjetischen Militäradministration Resthöfe auch für Opfer des Faschismus einstweilen nicht gewährt werden.“113 Im Fall von Freiherr von Palombini war es nicht vordergründig die Besatzungsmacht, die die Zuteilung eines Restguts verhinderte, sondern vor allem die KBK, die mit fadenscheinigen Begründungen die Zuteilung eines Restguts ablehnte. Dabei wurde in keiner Weise auf die Widerstandstätigkeit Palombinis im Dritten Reich geachtet. Gleiches ereignete sich im Übrigen auch im Fall des Gerbisbacher Gutsbesitzers Johann Eckardt, der ebenso einen Antrag auf die Zuteilung eines Restguts stellte, da er, nachdem er Goerdeler am 21. Juli 1944 kurze Zeit in seinem Haus beherbergte, sechs Wochen von der Gestapo

110 Beschluss der KBK des Kreises Schweinitz über ein Restgut von 100 Hektar für Freiherr von Palombini vom 24.10.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 111 Vgl. Protestschreiben des Freiherr Kraft von Palombini über den Beschluss der KBK des Kreises Schweinitz an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 30.11.1945 (PA Dr. Camillo von Palombini). 112 Landrat Paul Jeß über die Eingabe von Freiherr Kraft von Palombini an den Bezirkspräsidenten vom 26.2.1946 (PA Dr. Camillo von Palombini). 113 Präsident der Provinz Sachsen an Freifrau von Palombini vom 27.5.1946 (PA Dr. Camillo von Palombini).

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v­ erhaftet wurde.114 Obwohl ihm die örtliche GBK ein positives Zeugnis ausstellte, wurde auch er enteignet und seine Wirtschaft aufgeteilt.115 Abschließend lässt sich feststellen, dass sich ein einheitliches Vorgehen der KBK sowie der GBK in Bezug auf die Enteignungen im gesamten Untersuchungsgebiet nicht nachweisen ließ. Allein aufgrund der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Wirtschaftsstruktur war es kaum möglich, beide Landkreise miteinander zu vergleichen. Während die KBK im Kreis Liebenwerda ohne große Rücksicht die wenigen klassischen Großgrundbesitzer enteignen konnte, musste die KBK im Kreis Schweinitz aufgrund der hiesigen Wirtschaftsstruktur große Rücksicht auf die vielen großen Bauern, die nur knapp über der 100-Hektar-Grenze lagen, nehmen. Dennoch kann man feststellen, dass in beiden Kreisen der klassische Großgrundbesitz mit weit über 200 Hektar auch unabhängig von der Vergangenheit des Wirtschaftsbesitzers rigoros von den KBK enteignet wurde. Der entscheidende Faktor zur rigorosen Umsetzung der Enteignungen war aber die sowjetische Besatzungsmacht. Ohne auf örtliche Gegebenheiten achten zu müssen, ermahnte diese die KBK, die für die Besatzungsmacht der erste Ansprechpartner war, immer wieder zur rigorosen Umsetzung der Bodenreformbestimmungen. Die GBK spielten bei diesem Prozess nur eine untergeordnete Rolle. In mehreren Fällen konnte zwar eine ablehnende Haltung einzelner GBK gegen Enteignungen nachgewiesen werden, doch hatten deren Beschlüsse in keinem einzigen Fall einen entscheidenden Wert zur Beibehaltung des Besitzes. In jedem Fall, in dem Beschlüsse gegen höhere Gremien gefasst wurden, wurden die Entscheidungen der GBK entweder von der KBK oder von der sowjetischen Kommandantur aufgehoben. Der Liebenwerdaer Landrat Paulick stellte dazu beispielsweise fest: „Sehr oft wird gesagt, die armen Menschen, die arme Frau von X, die jetzt ihr Gut hergeben muss. Sie ist doch wirklich eine gute Frau gewesen; sie hat diesen und jenen unterstützt. Wenn wir Politik mit dem Herzen machen wollten, kämen wir nicht weit […]. Wenn eine Bodenkommission mal nachgiebig handeln sollte, müssen die Bürgermeister eingreifen und regelnd handeln.“116 Damit machte der Landrat von Anfang an klar, dass die Einrichtung der GBK lediglich als demokratische Tarnung diente.

114 Vgl. Johann Eckardt an die KBK Schweinitz vom 9.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 337, Bl. 43). 115 Vgl. Bescheinigung der GBK Gerbisbach und des Bürgermeisters für Johann Eckardt vom 9.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 337, Bl. 41). 116 Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 29.10.1945, S. 2 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.).

Enteignung der „aktiven Nationalsozialisten“

4.

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Die Enteignung der „aktiven Nationalsozialisten“

Neben den Großgrundbesitzern mit über 100 Hektar Besitz sollten nach der Bodenreformverordnung alle „Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen“ sowie „Naziführer“ und „aktive Verfechter der Nazipartei und ihrer Gliederungen“ enteignet werden. Des Weiteren sollten alle Mitglieder der Reichsregierung und des Reichstags, die zwischen 1933 und 1945 diese Ämter bekleideten, ihren Besitz verlieren.117 Laut Ausführungsbestimmung galten führende Militärs und leitende Staatsbeamte – vom Landrat aufwärts – als Kriegsschuldige. Ausdrücklich wurden in den Ausführungsbestimmungen die Mitglieder des Obersten Kriegsrats, Großen Generalstabs, Rüstungsrats, Reichstags, Preußischen Staatsrats, die Leiter der Reichswirtschaftsgruppen und anderer Zentraldienststellen erwähnt. Ebenso sollten „Wirtschaftsführer, die den Kriegsvorbereitungen und Kriegsmaßnahmen Hitlers Vorschub leisteten, und Bauernführer vom Kreisbauernführer aufwärts“ enteignet werden.118 Als „aktive Verfechter der Nazipartei“ galten alle Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen, die eine leitende Funktion vom Kreisleiter aufwärts bekleideten. Aber auch das Land aller Mitglieder der Gestapo, des SD und der Leiter der Stäbe der Kreisbauernschaften wurde zur Aufteilung freigegeben.119 Die Ausführungsbestimmungen grenzte damit die Gruppe derjenigen, die neben den Gutsbesitzern mit über 100 Hek­ tar zu enteignen waren, eng ein. Einfache Mitglieder der NSDAP waren von den Enteignungen nicht betroffen. Selbst Ortsgruppenleiter bis hin zu den Amtsleitern in den Kreisleitungen mussten nach den Ausführungsbestimmungen keine Enteignung fürchten. Die Ausführungsbestimmungen der Bodenreform wirkten im Vergleich zu der vom Landrat Paulick geplanten Verordnung vom 15. August 1945, die die Enteignung nahezu jedes NSDAP-Funktionärs vorsah, geradezu milde.120 Ganz im Gegensatz zu den Gutsbesitzern über 100 Hektar, die praktisch als „Klasse“ enteignet wurden, konnte man somit bei den NSDAP-Funktio­ nären nicht von einer pauschalen Enteignung sprechen. Den GBK und KBK wurde allerdings die Möglichkeit gegeben, bei der Provinzialbodenkommission einen Antrag zu stellen, der die Enteignung von „aktiven Nazis“ vorsah, die in Unterorganisationen der NSDAP und ihren Gliederungen tätig gewesen waren und sich dabei persönlich an „Verbrechen und Bestialitäten“ beteiligt hatten.121 Konnte man also kleineren Funktionären der

117 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel II, § 2. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29. 118 Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. II, § 2a. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31. 119 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. II, § 2b. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31. 120 Vgl. Ausführungs- und Strafbestimmungen zur Verordnung der Vermögensbeschlagnahme vom 15.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 121 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. II, § 2b. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31.

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NSDAP Verbrechen nachweisen, so bestand auch für diese die Gefahr, enteignet zu werden. Rechtlich war dies für die KBK sowie GBK die einzige Möglichkeit, kleinere NSDAP-Funktionäre wie Ortsgruppenleiter oder Ortsbauernführer zu enteignen. Die Beschlagnahmung und Enteignung des Besitzes dieser Personen musste allerdings auf Antrag der KBK und durch ausdrücklichen Beschluss der Provinzialverwaltung erfolgen.122 Aufgrund der sehr eng gefassten Ausführungsbestimmungen wurden in beiden Landkreisen zunächst nur wenige Wirtschaften von aktiven NSDAP-Mitgliedern bzw. von Kriegsverbrechern von den GBK an die KBK gemeldet. Im Kreis Liebenwerda wurden bis zum 21. Oktober 1945 nur 15 und im Kreis Schweinitz bis zum 30. November 1945 sogar nur sechs Wirtschaften unter 100 Hektar erfasst und zur Aufteilung vorgeschlagen.123 Im Kreis Liebenwerda umfassten diese Wirtschaften eine Fläche von 528,08 Hektar. Dies machte 5,7 Prozent der gesamten im Bodenfond eingebrachten Fläche aus.124 Im Kreis Schweinitz betrug der Anteil dieser Flache zunächst nur 244,5 Hektar (1,6 Prozent der gesamten enteigneten Fläche).125 Betroffen von den Enteignungen waren zunächst, wie auch in den Ausführungsbestimmungen vorgesehen war, die beiden Kreisbauernführer Albert Giesche126 aus Grassau und Otto Stöber127 aus Burxdorf. Der Liebenwerdaer Kreisbauernführer Otto Stöber, der eine Wirtschaft mit 99,36 Hektar führte, wurde aufgrund der Größe seines Betriebe ohnehin von der KBK als Großgrundbesitzer betrachtet.128 Da Otto Stöber bereits am Anfang des Kriegs zur Wehrmacht eingezogen wurde, vertrat ihn während des Kriegs August Müller aus Plessa, der deshalb ebenso enteignet wurde.129 Im Kreis Schweinitz wurden

122 Vgl. ebd. 123 Vgl. Meldung für den Herrn Major über den Stand der Agar-Reform im Kreise Liebenwerda vom 21.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 27); Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 131). 124 Vgl. Meldung für den Herrn Major über den Stand der Agar-Reform im Kreise Liebenwerda vom 21.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 27). 125 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 131). 126 Vgl. Bezirkspräsident an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Enteignung der Nazigüter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 149). Albert Giesche wurde vom NKWD noch vor dem Beginn der Bodenreform verhaftet und erst im Jahr 1950 aus dem NKWD/MWD-Speziallager Buchenwald entlassen. Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der ­NKWD-Internierten. 127 Vgl. Telegramm aus Merseburg an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda über die Enteignung der Güter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 70 f.). 128 Vgl. Auflistung aller Treuhänder für die Güter im Kreise Bad Liebenwerda vom 1.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 57). 129 Vgl. Telegramm aus Merseburg an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda über die Enteignung der Güter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad

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zudem der Stabsleiter der Kreisbauernschaft Otto Lorenz aus Wildenau und der stellvertretende Kreisbauernführer Otto Lehmann aus Jeßnigk enteignet.130 Dem Großteil der Enteigneten warf man vor, ausländische Arbeiter misshandelt zu haben bzw. „Gestapo-Denunziant“ gewesen zu sein. So wurden im Kreis Liebenwerda neun und im Kreis Schweinitz drei Personen aufgrund dieser Vorwürfe enteignet.131 Des Weiteren befanden sich im Kreis Liebenwerda zwei höhere SS-Führer und ein Gestapo-Mitarbeiter auf der Enteignungsliste.132 Um die Enteignungen zu bestätigen, musste ein Beschluss der KBK und der örtlichen GBK vorliegen sowie belastbares Material, mit welchem z. B. die Misshandlung von ausländischen Arbeitern nachgewiesen werden konnte. Diese Unterlagen mussten dem Bezirkspräsidenten bzw. der Bezirksbodenkommission vorgelegt werden, die daraufhin zusammen mit der Provinzialverwaltung die Enteignungen endgültig bestätigte.133 Am 6. Dezember 1945 stellten die Mitglieder der Bezirksbodenkommission allerdings fest, dass zahlreiche Enteignungsanträge aus den beiden Landkreisen Liebenwerda und Schweinitz formal nicht korrekt gestellt wurden. Der Bezirkspräsident beanstandete z. B. für den Kreis Liebenwerda alle 16 gestellten Anträge.134 Für den Kreis Schweinitz wurden in dieser Sitzung lediglich zwei Enteignungen anerkannt, die restlichen jedoch ebenfalls aufgrund formaler Fehler abgelehnt.135 In elf Fällen im Kreis Liebenwerda und in einem Fall im Kreis Schweinitz wurde angemerkt, dass das Beweismaterial für eine Enteignung nicht genüge. Ebenso verwies der Bezirkspräsident bei der großen Mehrzahl der beanstandeten Fälle darauf hin, dass kein Beschluss der GBK bzw. der KBK eingereicht wurde.136 Daran wurde erneut deutlich, dass vor allem die Mitglieder der KBK, die das Material zusammenstellen und weiter verschicken sollten, kaum verwaltungstechnische Erfahrung besaßen, sodass sie selbst

130 131 132 133 134 135 136

Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 70 f.). August Müller wurde laut Aufzeichnung des NKWD am 2.9.1945 verhaftet und kam 1948 wieder aus dem NKWD Speziallager frei. Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 26. Lehmann, Die Bodenreform im Kreis Liebenwerda, S. 66; Porrmann, Die Durchführung, S. 26. Ebd., S. 66 f. Vgl. Runderlass des Präsidenten der Provinz Sachsen über die Enteignung von Gütern unter 100 Hektar vom 29.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 145). Telegramm aus Merseburg an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda über die Enteignung der Güter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 70 f.). Vgl. Bezirkspräsident an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Enteignung der Nazigüter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 149). Vgl. Telegramm aus Merseburg an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda über die Enteignung der Güter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 70 f.); Bezirkspräsident an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Enteignung der Nazigüter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 149).

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bei dem sensiblen Thema Enteignung gewisse formale Mindeststandards nicht einhielten. Der Umstand, dass in vielen Fällen das Beweismaterial für NS-Verbrechen für die Bezirksbodenkommission nicht ausreichte, erschütterte zudem die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen mehrerer GBK bzw. der KBK. Zweifellos handelte es sich bei der Mehrzahl der Enteigneten um ehemalige NS-Funktionäre, aber ob die Vorwürfe, z. B. die Misshandlung von ausländischen Arbeitern, immer zutreffend waren, konnte durch die vorläufige Ablehnung der Bezirksbodenkommission stark in Zweifel gezogen werden.137 Das große Problem bestand für die KBK nun darin, dass viele dieser Wirtschaften bereits vor der Stellungnahme der Bezirksbodenkommission enteignet und aufgeteilt wurden. Im Kreis Schweinitz wurden bis zum 6. November 1945 z. B. fünf Wirtschaften sowie im Kreis Liebenwerda bis zum 16. Oktober 1945 insgesamt zwölf Wirtschaften unter 100 Hektar an neue Besitzer übergeben.138 Unter diesen Umständen kam für die KBK eine Rückgabe kaum infrage. Der Bezirkspräsident setzte den KBK unter diesen Bedingungen eine letzte Frist, die Anträge ordnungsgemäß einzureichen. Er schrieb am 7. Dezember 1945 an alle beiden Kreisverwaltungen: „Die Unterlagen müssen bis spätestens 11. Dezember 1945, 18 Uhr, hier vorliegen, andernfalls muss die Enteignung mangels ausreichender Begründung für unzulässig erklärt werden. Für die sich ­daraus ergebenen Folgen, insbesondere hinsichtlich bereits erfolgter Enteignungen und Aufteilungen, werde ich die Mitglieder der Kreisbodenkommission verantwortlich machen.“139 Unter diesem Druck blieb den KBK kaum eine andere Möglichkeit, als schnellstens alle erforderlichen Beschlüsse und Beweismateria­ lien einzuholen, um die Enteignungen zu bestätigen. Nachdem alle Fälle neu eingereicht worden waren, wurden diese schließlich alle in den Sitzungen der Bezirksbodenkommission am 29. Dezember 1945 bzw. am 11. Januar 1946 bestätigt.140 Da die Bezirksbodenkommission vonseiten der KBK bereits vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, blieb der Bezirksbodenkommission letztlich 137 Im Kreis Schweinitz befanden sich z. B. unter den ersten sechs enteigneten Bauern unter 100 Hektar die zwei NSDAP-Ortsgruppenleiter Alfred Gadegast aus Grassau und Otto Lehmann aus Gräfendorf. Im Kreis Liebenwerda befanden sich unter den ersten 16 enteigneten Bauern die NSDAP-Ortsgruppenleiter Max Werner aus Blumberg und Alfred Kreutz aus Thalberg. Im Weiteren wurden die Ortsbauernführer von Blumberg und Plessa enteignet. 138 Vgl. Meldung über den Gang der Bodenreform vom 6.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 210 f.); Liste der aufgeteilten Güter im Kreis Liebenwerda vom 16.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 121 f.). 139 Telegramm aus Merseburg an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda über die Enteignung der Güter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 70 f.); Schreiben des Bezirkspräsidenten an den Landrat des Kreises Schweinitz über die Enteignung der Nazigüter unter 100 Hektar vom 7.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 149). 140 Vgl. Liste der Enteignungen unter 100 Hektar im Kreis Schweinitz (Anfang 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 94 f.); Liste der Enteignungen unter 100 Hektar im Kreis Liebenwerda (Anfang 1947; LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 149, Bl. 29 f.).

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kaum eine andere Möglichkeit übrig, als die Enteignungen auch formal zu genehmigen. Ob letztlich die Beweismaterialien bewusst nachgebessert wurden, um die Enteignungen doch noch zu legitimieren, kann im Einzelnen nicht nachgewiesen werden. Es blieben aber berechtigte Zweifel bestehen, ob in einer solchen kurzen Zeit eine neue gewissenhafte Beweisaufnahme möglich war. Das Beispiel der Enteignung von Wilhelm Kirsche aus Großthiemig scheint diese These zu bestätigen. Wilhelm Kirsche besaß in Großthiemig eine „Landesproduktehandlung“ mit einer landwirtschaftlichen Fläche von 7,5 Hektar. Vor dem Krieg übte Wilhelm Kirsche die Ämter des NSDAP-Ortsgruppenleiters und Bürgermeisters in Großthiemig aus, welche er allerdings mit seinem Einzug zur Wehrmacht im Jahr 1941 abgab. Am Ende des Kriegs geriet Kirsche in sowjetische Kriegsgefangenschaft, in der er wenig später verstarb. In dem Großthiemiger Anwesen der Familie Kirsche lebten zu diesem Zeitpunkt seine Ehefrau mit den drei Kindern sowie seine Schwiegermutter.141 Bereits vor Erlass der Bodenreform beschlagnahmte die Gemeinde den umfangreichen Lebensmittel- und Saatgutbestand der „Landesproduktehandlung“. Gleichfalls wurde im November 1945 dem neuen Großthiemiger Amtsvorsteher das Wohnhaus der Familie als neuer Amtssitz zugewiesen.142 Nachdem die „Landesproduktehandlung“ im Januar 1946 aufgrund des SMAD-Befehl Nr. 124 sequestriert wurde, begann die Kreisverwaltung, in Absprache mit dem Großthiemiger Amtsvorsteher Albert (KPD) und dem Bürgermeister Heselich (KPD), die Enteignung des Besitzes der Familie Kirsche nach den Bodenreformbestimmungen zu betreiben.143 Ausschlaggebend dafür war wohl zum einen die Angst, dass die „Landesproduktehandlung“ mit ihren Waren nach dem Erlass des SMAD-Befehls Nr. 124 in den Besitz der SMAD übergehen könnte. Zum anderen benötigte wohl der hier neu eingesetzte Amtsvorsteher einen Dienstsitz. Aus diesem Grund schrieb die KBK am 24. Januar 1946 an die GBK Großthiemig und forderte von dieser einen Beschluss zur Enteignung der Wirtschaft sowie eine Charakteristik über die politische Einstellung von Wilhelm Kirsche. Gleichfalls sollte die Familie Kirsche ihren Wohnsitz sofort räumen.144 Frau Kirsche nahm daraufhin unverzüglich Kontakt zur Bezirksverwaltung auf, die laut Bodenreformbestimmung Enteignungen unter 100 Hektar bestätigen musste. Die Bezirksverwaltung, die nicht über diese Enteignung informiert war,

141 Vgl. Beschwerdeschreiben von Emma Kirsche an die Provinzial-, Bezirks-, Kreis- und Gemeindeverwaltung vom 14.12.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 162, Bl. 111 f.). 142 Vgl. Erinnerungsprotokoll von Werner Kirsche vom 4.11.2008. Werner Kirsche (geb. 1935) ist der Sohn von Wilhelm und Emma Kirsche und lebt heute wieder in Großthiemig. 143 Vgl. Liebenwerdaer KBK an die GBK Großthiemig vom 24.1.1946 (PA Werner Kirsche). Da der Enteignungsvorgang der Familie Kirsche in den Archiven immer noch unter Datenschutz fällt, war der Verfasser auf die von Werner Kirsche zusammengetragenen Dokumente angewiesen. 144 Vgl. ebd.

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hob den Ausweisungsbefehl der KBK vorerst auf, womit die Familie zunächst wieder in ihr Haus zurückkehren konnte.145 Um letztlich eine Enteignung zu erwirken, benötigte die KBK einen Beschluss der örtlichen GBK, die zwar in einem Schreiben vom 2. Februar 1946 die nationalsozialistische Gesinnung von Wilhelm Kirsche feststellte, aber gleichfalls darauf hinwies, dass Kirsche keine Misshandlungen von Kriegsgefangenen unterstellt werden konnten.146 Die Mitglieder der Liebenwerdaer KBK antworteten darauf am 10. Februar 1946 der Großthiemiger GBK wie folgt: „Der Satz in ihrem Schreiben: Was die Behandlung und das Verhalten des Kirsches gegenüber Kriegsgefangenen betrifft […] ist unmöglich. Gerade dieser Punkt stellt doch die Begründung für unsere Maßnahme dar. Ohne Begründung kann eine Enteignung nicht durchgeführt werden, dass dürfte doch jedem einleuchtend sein. Sehr wichtig sind Zeugenaussagen oder Leumundaussagen gegenüber Kirsche.“147 In diesem Schreiben forderte die KBK ganz offen zur Fälschung der Beweise gegen Kirsche auf. Deutlicher konnte die interessengeleitete Absicht zur Enteignung von der Kreisverwaltung nicht angesprochen werden. Da die Bezirksverwaltung über diese Vorgänge in Großthiemig informiert wurde, geriet der Landrat Paulick mit den übrigen Mitgliedern der KBK stark unter Druck. Sehr deutlich schrieb die Bezirksverwaltung am 27. März 1946 an den Landrat: „Nach den hier vorliegenden Unterlagen hat es den Anschein, als wenn Interessenten der Wirtschaft sich daran persönlich bereichern wollen und deshalb die Enteignung veranlassen möchten.“148 Unterdessen weigerte sich die Mehrheit der Mitglieder der Großthiemiger GBK, darunter auch der Vorsitzende Bruntsch, einen klaren Enteignungsbeschluss gegen die Familie Kirsche zu fassen.149 Gleichfalls wurde dieses Thema bei einer gemeinsamen Versammlung der Großthiemiger KPD und SPD am 7. März 1946 diskutiert. Ergebnis dieser Versammlung war, dass sich von den etwa 80 anwesenden Parteimitgliedern nur der Amtsvorsteher Albert offen für eine Enteignung der Wirtschaft aussprach.150 Da sich mehrere Vertreter der GBK weigerten, einen Enteignungsbeschluss zu fassen, reiste der Landrat am 16. April 1946 persönlich nach Großthiemig,

145 Vgl. Bezirkspräsident an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda vom 28.1.1946 (PA Werner Kirsche). 146 Vgl. GBK Großthiemig an die Liebenwerdaer KBK vom 2.2.1946 (PA Werner Kirsche). 147 Liebenwerdaer KBK an die GBK Großthiemig vom 10.2.1946 (PA Werner Kirsche). 148 Bezirkspräsident an den Herrn Landrat in Liebenwerda vom 27.3.1946 (PA Werner Kirsche). 149 Vgl. GBK Großthiemig an die Liebenwerdaer KBK vom 18.3.1946 (PA Werner Kirsche). In diesem Schreiben wurde ein erster Beschluss zur Enteignung der Familie Kirsche gefasst. Jedoch war dieses Schreiben nur von einem Mitglied der GBK unterzeichnet. Die anderen Unterzeichner, wie z. B. der Amtsvorsteher Albert oder der Bürgermeister Heselich, gehörten nicht der Großthiemiger GBK an. 150 Vgl. Liebenwerdaer KBK an die GBK Großthiemig vom 15.4.1946 (PA Werner Kirsche). In diesem Schreiben wurde das Abstimmungsverhalten der KPD- und SPD-Mitglieder am 7.3.1946 kritisiert.

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um hier die von ihm geforderten Beschlüsse einzuholen. Der Landrat forderte in Großthiemig die Unterzeichnung eines vorgefertigten Protokolls, das die Enteignung bestätigen und die Unterschriften aller Mitglieder der GBK sowie des örtlichen Antifa-Auschusses tragen sollte. Dabei setzte die Kreisverwaltung die örtlichen Vertreter der beiden Gremien erheblich unter Druck. Unmissverständlich drohte die Kreisverwaltung den Mitgliedern des Antifa-Ausschusses mit der Verhaftung. So schrieb das KBK-Mitglied Flegel einen Tag vor der Reise des Landrats: „Ich nehme an, dass sich der Antifa-Ausschuss nicht für einen Oberhäuptling der Faschisten einsetzen wird. Wenn dies der Fall wäre, dann wäre dieses kein Antifa-Ausschuss, sondern ein Faschistenausschuss und gehört zumindest dorthin, wo die Häuptlinge der Faschisten sitzen.“151 Gleichfalls warnte Flegel die Mitglieder der neu gegründeten SED, dass ihr Verhalten der SED-Bezirksleitung gemeldet würde, wenn sie sich gegen eine Enteignung von Wilhelm Kirsche aussprächen.152 Um die widerwilligen Großthiemiger zur Unterschrift zu bewegen, bediente sich die Kreisverwaltung auch der gefürchteten sowjetische Besatzungsmacht. Das KBK-Mitglied Flegel wies die Großthiemiger GBK ausdrücklich darauf hin, dass er „dieses Protokoll der Kreis-Kommandantur vorlegen muss“.153 Auch wenn sich die Besatzungsmacht in diesem Fall nicht direkt einmischte, wurde den Großthiemigern mit dieser Äußerung zumindest suggeriert, dass die Enteignung auch von der Besatzungsmacht gewollt war. Unter diesem Druck unterschrieb eine Mehrzahl der Mitglieder beider Gremien am 16. April 1946 einen Enteignungsbeschluss.154 Dieser enthielt allerdings immer noch keine von der Bezirksverwaltung akzeptierte Begründung. Da gleichfalls der ehemalige stellvertretende Großthiemiger Bürgermeister Otto Harig eine Anzeige gegen den Großthiemiger Bürgermeister Heselich, u. a. aufgrund von Korruptionsvorwürfen, bei der Bezirksverwaltung stellte, fand am 24. Mai 1946 nochmals eine Sitzung der Großthiemiger GBK zusammen mit Regierungsrat Filter von der Bezirksverwaltung statt, um hier endgültig die Enteignung der Familie Kirsche zu klären.155 Bereits am Anfang dieser

151 152 153 154

Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. Protokoll über die Aufteilung des landwirtschaftlichen Produktengeschäftes Wilhelm Kirsche vom 16.4.1946 in Besitz von Werner Kirsche. Nach dem Abschluss dieses Protokolls wurde die Familie Kirsche am 4.5.1946 aus dem Kreis Liebenwerda ausgewiesen. Vgl. Ausweisungsbescheinigung des Amtsvorstehers vom 4.5.1946 (PA Werner Kirsche). 155 Vgl. Anzeige von Otto Harig gegen den Bürgermeister Heselich vom 10.9.1945 (PA Werner Kirsche). Die Anzeige von Otto Harig, die bereits im September 1945 verfasst wurde, gelangte zunächst zur SMA nach Halle. Von dort aus wurde sie wahrscheinlich nicht sofort zur Bezirksverwaltung weitergeleitet. Gleichfalls schrieb die Familie Kirsche am 10.5.1946 eine Eingabe an den Oberstaatsanwalt in Halle, welche wohl ebenso zur Untersuchung des Falls beitrug. Vgl. Heinz Kirsche an den Oberstaatsanwalt in Halle vom 10.5.1946 (PA Werner Kirsche).

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Die Bodenreform

Sitzung erklärte der Vorsitzende der GBK, dass er sich persönlich gegen die Enteignung ausgesprochen hatte, „da sie nicht den Bestimmungen der Bodenreform entspräche“.156 Auf die Frage des Regierungsrats, wie Wilhelm Kirsche die Kriegsgefangenen behandelt hatte, wurde ihm deutlich geantwortet, „dass Kirsche gegen diese stets human gehandelt habe“.157 In Bezug auf die Frage, wie Wilhelm Kirsche Nicht-Parteimitglieder behandelte, gab es mehrere gegensätzliche Aussagen. Ein Vertreter der GBK unterstellte Kirsche allerdings, dass er in seiner Jugend im Jahr 1931/32 politische Schlägereien organisiert hätte.158 Dieser Vorwurf wurde nun zum zentralen Enteignungsgrund aufgebauscht. Am 31. Mai 1946 verlangte die Kreisverwaltung in Bezug auf das Protokoll der GBK-Sitzung vom 24. Mai 1946, dass weitere Zeugen für von Wilhelm Kirsche organisierte Schlägereien gefunden werden sollten.159 Schließlich unterschrieb der Bürgermeister Heselich, das GBK-Mitglied Linge und das Mitglied des Antifa-Ausschusses Ziegenbalg am 4. Juni 1946 ein Protokoll, in dem sie behaupteten, im Oktober 1932 während der Kirmesfeier im Auftrag von Wilhelm Kirsche geschlagen worden zu sein.160 Ob Wilhelm Kirsche selbst an der Schlägerei beteiligt war, wurde darin nicht erwähnt. Der Vize-Präsident der Bezirksverwaltung Gotsche schrieb daraufhin an den Landrat Paulick: „Die Vernehmungen über die Enteignungssache Kirsche ergaben, dass sich K. vor 1933 als übler Nazischläger betätigte. Damit treffen die Voraussetzungen zur Enteignung gemäß der Verordnung über die Bodenreform, II. Ausführungsbestimmung, Art. II § 2b zu.“161 Obwohl Frau Kirsche bis August 1946, nachdem ihre Familie bereits im Mai 1946 des Kreises verwiesen wurde, drei eidesstattliche Erklärungen vorbrachte, dass Wilhelm Kirsche an dieser Schlägerei nicht teilnahm, änderte sich nichts am Enteignungsbeschluss.162 Am 24. Juni 1946 fasste die Liebenwerdaer KBK den endgültigen Beschluss zur Enteignung des Besitzes der Familie Kirsche. Auch wenn viele Großthiemiger das Gegenteil aussagten, wurde, wahrscheinlich zur nochmaligen Absicherung des Enteignungsvorganges, in diesem Beschluss vermerkt, dass sich Wil-

156 157 158 159

Protokoll der Großthiemiger GBK-Sitzung vom 24.5.1946 (PA Werner Kirsche). Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Abteilung Bodenreform an den Gemeindevorsteher in Großthiemig vom 31.5.1946 (PA Werner Kirsche). 160 Vgl. Protokoll über die Aussagen gegen Wilhelm Kirsche vom 4.6.1946 (PA Werner Kirsche). 161 1. Vize-Bezirkspräsident an den Herrn Landrat des Kreises Liebenwerda vom 11.6.1946 in Besitz von Werner Kirsche. 162 Vgl. Eidesstattliche Erklärungen von Emma Kirsche, Elsa Haupt und Hermann Linge in Besitz von Werner Kirsche. In diesen Erklärungen wurde behauptet, dass Wilhelm Kirsche zum Zeitpunkt der Schlägerei das Lokal bereits verlassen hatte. Gleichfalls wurde in der eidesstattlichen Erklärung von Hermann Linge darauf hingewiesen, dass alle Beteiligten während der Schlägerei „völlig betrunken“ waren.

Enteignung der „aktiven Nationalsozialisten“

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helm Kirsche „Brutalitäten gegenüber ausländischen Arbeitskräften zuschulden kommen lassen“ hat.163 Dieser Beschluss der KBK wurde daraufhin zusammen mit dem erzwungenen Beschluss der GBK sowie den Zeugenaussagen der Kirmesschlägerei nach Merseburg geschickt, wo die Enteignung schließlich bestätigt wurde.164 Dass die Enteignung von Wilhelm Kirsche zu großen Teilen ökonomisch motiviert war, zeigte auch die Bodenaufteilung. Das Land von Wilhelm Kirsche wurde sieben Personen zugeteilt. Darunter befanden sich bezeichnenderweise die beiden Hauptbelastungszeugen Paul Heselich und Wilhelm Linge. Ebenso gehörten ein Belastungszeuge aus der Sitzung der Großthiemiger GBK vom 24. Mai 1946 sowie ein weiteres GBK-Mitglied zum Kreis der Bodenempfänger. Lediglich drei von sieben Bauern hatten den Enteignungsvorgang um den Besitz von Wilhelm Kirsche nicht direkt mitzuverantworten.165 Insgesamt waren im Kreis Schweinitz bis Anfang 1947 neben den sechs bereits im Jahr 1945 enteigneten Betrieben nochmals 13 weitere Betriebe unter 100 Hektar von der Enteignung betroffen. Davon fielen elf Enteignungen gleichfalls unter den Befehl Nr. 124.166 Bis Anfang 1950 steigerte sich die Zahl der enteigneten Wirtschaften unter 100 Hektar im Kreis Schweinitz auf 27 Enteignungen. Damit vergrößerte sich die Fläche aller enteigneten Betriebe unter 100 Hektar im Kreis Schweinitz bis zu diesem Zeitpunkt auf 570 Hektar.167 Im Kreis Liebenwerda enteigneten die Bodenkommissionen bis Anfang 1947 insgesamt 40 Betriebe unter 100 Hektar. Hier fielen drei enteignete Wirtschaften parallel unter den Befehl 124. Im Kreis Liebenwerda umfassten alle Enteignungen unter 100 Hektar eine Fläche von 1 698 Hektar.168 Da die SED und damit auch die Verwaltungen im Vorfeld der Kommunalwahlen 1946 kaum Interesse an weiteren großen Enteignungswellen haben konnten, blieben größere Enteignungen nach der Bodenreformgesetzgebung in der zweiten Hälfte des Jahres 1946 im Untersuchungsgebiet aus. Weitestgehend waren damit die Enteignungen der Wirtschaften unter 100 Hektar bis Ende des

163 Beschluss der KBK des Kreises Liebenwerda zur Beschlagnahme, Enteignung und Aufteilung der Wirtschaft von Wilhelm Kirsche vom 24.6.1946 in Besitz von Werner Kirsche. Obwohl erst zu diesem Zeitpunkt der Enteignungsbeschluss gefasst wurde, war die Familie Kirsche bereits aus dem Kreis Liebenwerda ausgewiesen worden. 164 Vgl. Beschluss der Bezirksbodenkommission zur Enteignung der Wirtschaft von Wilhelm Kirsche vom 5.7.1946 (PA Wilhelm Kirsche). 165 Vgl. Aufstellung über die Aufteilung des landwirtschaftlichen Betriebs Wilhelm Kirsche vom 2.6.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 6453, unpag.). Die Aufteilung der LNF stand damit bereits vor dem Enteignungsbeschluss der KBK fest. 166 Liste der Enteignungen unter 100 Hektar im Kreis Schweinitz (Anfang 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 94 f.). 167 Vgl. Übersicht über den Stand der Bodenreform vom 1.1.1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 331, Bl. 67). 168 Liste der Enteignungen unter 100 Hektar im Kreis Liebenwerda (Anfang 1947; ­LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 149, Bl. 29 f.).

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Die Bodenreform

Jahres 1946 abgeschlossen. So versuchte die Bezirksverwaltung in dieser Zeit, die Enteignungen so weit wie möglich zu stoppen. Jedoch musste auch diese eingestehen, dass zahlreiche lokale Akteure aus Eigeninteresse immer wieder Wirtschaften unter 100 Hektar enteigneten und aufteilten. Der Vize-Bezirkspräsident Gotsche (SED) schrieb dazu am 29. April 1946 in einer Anweisung an alle Landräte und Oberbürgermeister: „Ich habe leider feststellen müssen, dass unsaubere Elemente versuchen, sich hinter die russische Administration zu (ver)stecken, um durch sie Enteignungen zu veranlassen […]. Ich ersuche deshalb alle Landräte und Oberbürgermeister, derartigen Saboteuren an der Bodenreform nachdrücklichst entgegenzutreten.“169 Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich die GBK bzw. die KBK nahezu in allen Enteignungsfällen auf ehemalige Funktionäre der NSDAP konzentrierten. Allerdings ließ die Selektivität und der oberflächliche Umgang mit den Beweismaterialien, mit denen die Enteignungen durchgeführt wurden, starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit vieler Enteignungen unter 100 Hektar aufkommen. Vor allem für die Mitglieder der KBK schien die Beweisführung nur ein lästiges Mittel zur endgültigen Bestätigung der Enteignung zu sein. Die Rigorosität, mit denen die Fälle zum Abschluss gebracht wurden, zeigt, dass das Rechtsverständnis der Handelnden deutlich zu wünschen übrig ließ. Die Motive der Enteignungen waren dagegen oft vielfältig. So war es Kommunalpolitikern mit den Bestimmungen zu den Enteignungen unter 100 Hektar möglich, auch in Gemeinden, in denen kein Großgrundbesitz vorhanden war, Land an landlose Bauern sowie an Flüchtlinge und Vertriebene zu vergeben. Gleichfalls konnten damit immer noch einflussreiche und auch in der Bevölkerung angesehene ehemalige politisch Verantwortliche aus den Städten bzw. Gemeinden entfernt werden. Wie z. B. der Fall von Wilhelm Kirsche in Großthiemig zeigte, genoss der ehemalige Bürgermeister und Ortsgruppenleiter in großen Teilen der Dorfgesellschaft noch immer ein hohes Ansehen. Des Weiteren spielte bei diesen Enteignungen der Sühnegedanke gegenüber ehemaligen einflussreichen Nationalsozialisten eine große Rolle. Aber auch praktische wirtschaftliche Interessen einzelner Vertreter der GBK oder KBK an dem zu enteignenden Besitz konnten ein Grund für das Forcieren einer Enteignung sein. Letztlich war es aber schwer, ohne den konkreten Blick auf einzelne Entscheidungen, der leider immer noch durch Datenschutzbestimmungen verstellt ist, die genaue Interessenlage der Beteiligten herauszuarbeiten. In den Quellen zeigte sich allerdings erneut sehr deutlich, dass die Verantwortlichen in den KBK hauptverantwortlich für die rigorose Durchführung der Bodenreform waren. Da es sich bei dem Großteil der Enteigneten, die weniger als 100 Hektar besaßen, um ehemalige Nationalsozialisten

169 Schreiben des 1. stellv. Bezirkspräsidenten an die Herrn Landräte und Oberbürgermeister zu den Enteignungen der Güter unter 100 Hektar vom 29.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 356, Bl. 256).

Aufteilung des enteigneten Bodens

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handelte, waren sich viele verantwortliche Mitglieder der KBK oftmals wohl keiner Schuld bewusst. Dass dabei politisch motivierter Eifer der Hauptverantwortlichen in vielen Fällen selbst die dürftigen rechtsstaatlichen Grundsätze der Bodenreformverordnung ausblendete, verdeutlichte nochmals die ideologische Fixierung der Bodenreformkampagne. 5.

Die Aufteilung des enteigneten Bodens

Bis zum 25. September 1945 sollten laut Bodenreformverordnung die GBK eine Liste aller Wirtschaften unter fünf Hektar einschließlich des darin befindlichen lebenden und toten Inventars erstellen. Neben dieser Liste hatten die GBK und KBK für denselben Zeitraum den Auftrag, ein Verzeichnis aller Landarbeiter, Kleinpächter, landlosen Bauern sowie aller Flüchtlinge und Vertriebenen anzufertigen.170 Diese beiden Übersichten sollten in der Folgezeit als Grundlage für die Verteilung des enteigneten Bodens sowie des lebenden und toten Inventars der enteigneten Wirtschaften dienen. Des Weiteren wurden die GBK bis zum 5. Oktober 1945 angewiesen, einen Plan zur Verteilung des enteigneten Besitzes zu erstellen. Dieser sollte in der Gemeinde öffentlich ausgelegt und nach fünf Tagen von einer Versammlung der Bodenanwärter bestätigt werden. Stimmte die Versammlung dem Aufteilungsplan nicht zu, konnte ein eigener Entwurf von den Bauern eingebracht werden. Gesetzeskraft erhielt der Plan aber erst mit der Genehmigung durch die KBK.171 Die zugeteilte Fläche sollte bei normalen Bodenverhältnissen fünf Hektar, bei schlechten Bodenverhältnissen acht Hektar und bei sehr schlechten Bodenverhältnissen zehn Hektar nicht überschreiten. Ausnahmefälle bedurften einer Bestätigung der KBK.172 Die Bodenanwärter mussten für den erhaltenen Boden eine Gebühr in Form einer Jahresrente entrichten, die dem Wert von 1 000 bis 1 500 Kilogramm Roggen pro Hektar entsprach. Die Gebühr konnte in 20 Jahresraten bezahlt werden.173 Um einen Missbrauch des zugeteilten Bodens zu unterbinden, wurde festgelegt, dass das zugeteilte Land nicht geteilt, verkauft, verpachtet oder verpfändet werden durfte.174 Zwar erhielten die Bodenanwärter

170 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. IV, § 5. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31. 171 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. IV § 8. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 32. 172 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 9. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29. 173 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel V, § 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30. 174 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel VI, § 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30.

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Die Bodenreform

das Land schuldenfrei zugeteilt, doch konnten die neuen Eigentümer aufgrund dieser Einschränkungen nicht frei über ihren neuen Besitz verfügen.175 Um die Ernährungslage nicht noch weiter zu gefährden, konnte das Präsidium der Provinz Sachsen auf Vorschlag der Provinzialbodenkommission zudem einzelne Güter von der Aufteilung ausnehmen. Dies sollte, laut Bodenreformverordnung, vor allem Saatgutwirtschaften, Viehzuchtwirtschaften, Versuchsgüter, Baumschulen usw. von überregionaler Bedeutung betreffen.176 Im Kreis Liebenwerda wurden die vier Saatgutwirtschaften Neumühl bei Beutersitz, Packisch bei Blumberg, Rotes Buschhaus/Schraden und Güldenstern/Mühlberg sowie das Tierzuchtgut Martinskirchen von der Aufteilung ausgenommen. Insgesamt betraf dies im Kreis Liebenwerda 1 855,90 Hektar, die nicht aufgeteilt wurden.177 Im Kreis Schweinitz unterlagen die Güter in Lebusa (Brettschneider), Hillmersdorf (Wenzel), Rahnisdorf (Freiherr von Palombini) und Werchau (Junge) als Saatgut- bzw. Tierzuchtwirtschaften nicht der Aufteilung. Diese umfassten eine Fläche von 2 505 Hektar.178 Wie der Fall von Freiherr von Palombini zeigte, gelang es zwar den alten Besitzern bei guten Kontakten zur Provinzialverwaltung die Vergabe von Mustergütern mit zu beeinflussen, doch wurden auch im Untersuchungsgebiet alle rechtmäßigen Besitzer der Mustergüter früher oder später aus dem Kreis ausgewiesen. Die Gründung von Mustergütern bedeutete also nicht, dass der ehemalige Besitzer auf dem Gut bleiben durfte, sondern lediglich die Umwandlung dieser Güter in einen Besitz der Provinz Sachsen. Von der Aufteilung wurden laut Bodenreformverordnung ebenso große Waldflächen ausgenommen. Lediglich 55 000 Hektar Wald sollten in der Provinz an private Bodenbewerber verteilt werden. Die Städte und Gemeinden erhielten laut Bodenreformverordnung einen Anspruch auf 22 000 Hektar Wald.179 Die restlichen Flächen unterstanden der Provinzialverwaltung. Des Weiteren konnten enteignete Teiche und kleine Wasserreservoire den Städten und Gemeinden von den Kreisverwaltungen übergeben werden.180 Im Kreis Liebenwerda verblieben aufgrund dieser Verordnung 2 048 Hektar Wald bei der Provinz und

175 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel VI, § 2. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30. 176 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. IV, § 7 und 14. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 31. 177 Protokoll über die durchgeführte Landaufteilung im Kreise Liebenwerda vom 17.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 23). In diesem Protokoll wurden 1 855,99 Hektar für die Gesamtgröße der Mustergüter angegeben. Bei der Angabe der Größe des Mustergutes Rotes Buschhaus handelte es sich allerdings in der Quelle um einen Rechenfehler, sodass die oben angegebene Gesamtgröße aller Mustergüter auf 1 855,90 Hektar berichtigt wurde. 178 Liste des aufgeteilten Grundbesitzes des Kreises Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 191). 179 Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 10. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 29 f. 180 Vgl. Verordnung über die Bodenreform, Artikel IV, § 11. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 30.

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Aufteilung des enteigneten Bodens

774 Hektar Gärten, Hoffläche, Öd- und Unland, Teiche und Wald bei den Gemeinden. Damit blieben im Kreis Liebenwerda nur 4 624 Hektar (49,7 Prozent) zur Verteilung an die privaten Bodenanwärter übrig.181 Im Kreis Schweinitz erhielten die Landgemeinden bzw. andere „staatliche Selbstverwaltungen und Organe“ insgesamt 4 854,55 Hektar zugesprochen. Rechnete man den Flächenanteil der Mustergüter hier mit ab, so verblieben im Kreis Schweinitz nur 8 306,79 Hektar (53 Prozent) zur Aufteilung an die übrigen Bodenanwärter.182 In beiden Landkreisen verleibte sich der Staat etwa die Hälfte der enteigneten Fläche ein. Im Gegensatz zur KPD-Propaganda war die Bodenreform somit auch eine große Verstaatlichungsaktion. Vor der Aufteilung des restlichen Bodens war zunächst eine Erfassung aller Bodenanwärter vorgesehen. Im Kreis Liebenwerda wurden bis zum 1. März 1946 insgesamt 9 884 potenzielle Bodenbewerber von den GBK an die KBK gemeldet. Von diesen 9 884 meldeten sich allerdings nur 2 652 Personen, um sich um Land zu bewerben. Diese teilten sich im Kreis Liebenwerda wie folgt auf: Errechnete Gesamtzahl

Bewerber

Landarbeiter

560

344

Landlose Bauern

150

104

Kleinpächter

1 164

541

Landarme Bauern

3 306

1 081

„Umsiedler“

4 704

582183

Für den Kreis Schweinitz lag zwar eine ähnliche Statistik vor, doch das Abrechnungsformular vom 1. März 1946 enthielt in Bezug auf die errechneten potenziellen und tatsächlichen Bodenbewerber erhebliche Rechenfehler. So wurden z. B. mehr Landarbeiter registriert, die sich um Land bewarben, als vorhanden waren. Zudem wurde die Gesamtzahl der Bewerber falsch errechnet.184 Konzentriert man sich auf die Zahlen des Kreises Liebenwerda, so stellt man fest, dass sich lediglich 26,8 Prozent der potenziellen Bewerber bis zum 1. März 1946 für die Zuteilung von enteignetem Besitz beworben hatten. Besonders die Flüchtlinge und Vertriebenen hielten sich bei der Bewerbung zurück. Während sich 69,3 Prozent der einheimischen landlosen Bauern an der Bodenaufteilung beteiligen wollten, waren lediglich 12,4 Prozent der Flüchtlinge und 181 Protokoll über die durchgeführte Landaufteilung im Kreise Liebenwerda vom 17.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 111, Bl. 23). 182 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 131). 183 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 10.1.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 100, Bl. 2). 184 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 149).

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Die Bodenreform

­ ertriebenen bereit, im Kreis Liebenwerda Boden zu erwerben. Obwohl diese V Gruppe die größte der potenziellen Bodenanwärter stellte, waren viele nicht bereit, sich im Untersuchungsgebiet niederzulassen. Der entscheidende Grund für diese Zurückhaltung war bei vielen zweifellos die Hoffnung, alsbald in ihre alte Heimat zurückkehren zu können. Kaum ein Jahr, nachdem erstmals Flüchtlinge die beiden Landkreise erreichten, konnten sich viele, auch weil das Potsdamer Abkommen in der Grenzfrage eine endgültige Regelung offenließ, nicht ­vorstellen, dass die deutschen Ostgebiete endgültig abgetreten werden müssten. Ein Bericht der Schweinitzer SED gab z. B. etwa ein Jahr nach dem Beginn der Bodenreform am 3. Oktober 1946 folgendes Stimmungsbild unter den Flüchtlingen und Vertriebenen wieder: „Der größte Teil der Umsiedler hatte gehofft, wieder nach Schlesien bzw. in die anderen deutschen Ostgebiete zurückkehren zu können. Der Verlust ihrer Heimat lässt viele Umsiedlerfamilien fast verzweifeln. Die meisten Umsiedlerfamilien glauben sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden zu können, zumal sie der Ansicht sind, hier nur geduldete Gäste zu sein und als solche auch behandelt werden.“185 Nicht nur der Verlust der Heimat, sondern auch die Reaktion der einheimischen Bevölkerung auf die neuen Mitbewohner, die oftmals Wohnungen und Höfe in dieser Notsituation untereinander teilen mussten, gab vielen keinen Grund, sich hier fest anzusiedeln. Zudem musste man berücksichtigen, dass viele aus einem anderen kulturellen, in vielen Fällen katholisch geprägten Raum in das Untersuchungsgebiet kamen und es damit zwangsläufig einer gewissen Anpassungszeit bedurfte, damit die Flüchtlinge und Vertriebenen den Willen zur festen Ansiedelung finden konnten.186 Da diese Zeit aber nicht vorhanden war, kam die Bodenreform in Bezug auf die Ansiedlung von Flüchtlingen und Vertriebenen viel zu früh. Aber auch die einheimische Bevölkerung zögerte, sich um Boden zu bewerben. Lediglich 32,7 Prozent der landarmen Bauern, aber auch nur 46,5 Prozent der Kleinpächter und nur 61,4 Prozent der Landarbeiter bewarben sich im Kreis Liebenwerda um Boden.187 In mehreren Fällen spielte dabei zunächst die Anwesenheit der ehemaligen Besitzer eine wesentliche Rolle. Vor allem im Kreis Schweinitz, wo viele Großbauern, die nur knapp über der 100-Hek­tarGrenze lagen, beheimatet waren, gab es erhebliche Schwierigkeiten bei der Bewerbung für die Zuteilung von Boden, solange die Besitzer im Ort lebten. Ohne die Ausweisung der rechtmäßigen Besitzer und die „Überzeugungsarbeit“ vieler KPD-Funktionäre wäre die Aufteilung der Güter oftmals nicht zustande gekommen. Viele potenzielle Bodenanwärter wollten sich nicht auf Kosten der Enteig185 Bericht des Nachrichtenamtes der SED in Herzberg an den Presse- und Propagandadienst in Halle vom 3.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 186 Am 29.10.1946 lebten z. B. im Kreis Schweinitz bereits 8 824 Personen, die sich zum Katholizismus bekannten. Vgl. Auflistung der Wirtschaftsabteilung des Kreises Schweinitz über die ständige Bevölkerung vom 29.10.1946 (KA Herzberg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 474, unpag.). 187 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 149).

Aufteilung des enteigneten Bodens

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neten bereichern, mit denen sie teils Jahre zusammen in einem Dorf lebten. So wurde von vielen Bodenbewerbern bereits in der Anfangsphase der Bodenreform erkannt, welches Unrecht diese für die Betroffenen darstellte. Da sich viele des Unrechtscharakters der Bodenreform bewusst waren, entstand schnell die Angst vor der Wiederkehr des alten Gutsbesitzers, die zusätzlich durch verschiedenste Gerüchte angeheizt wurde. Fritz Flegel, Mitglied der Liebenwerdaer KBK, schrieb z. B.: „Die Durchführung der Reform vollzog sich anfangs sehr spontan. Nach einer Weile flaute jedoch die Begeisterung ab. Irgendwelche Miesmacher oder unterirdisch wirkende Kräfte mussten am Werk gewesen sein, denn oftmals wurde von den Bewerbern erklärt, man hätte sich irgendwo erzählt, die Bodenreform käme nicht zur Durchführung.“188 Die Schweinitzer KPD stellte ebenso in einem Bericht an die Bezirksleitung fest, dass „einige unsaubere Elemente […] durch Flüsterparolen die Interessenten abzuschrecken“ versuchten.189 Jedes Gerücht, z. B. über die Rückkehr des Gutsbesitzers, lähmte den Fortgang der Bodenreform und zeugte von der Unsicherheit sowie dem schlechten Gewissen der Bewerber. Um dem entgegenzutreten, mussten die Verantwortlichen schnellstens dafür sorgen, dass bei den Bewerbern ein Gefühl der Rechtssicherheit hergestellt wird. Aus diesem Grund verlangte die Bezirksverwaltung, die Ausfertigung von Besitzurkunden für die Bodenanwärter zu beschleunigen. Fritz Flegel schrieb dazu: „Erst nachdem mit dem 21. Oktober (1945) die vorläufigen Besitzurkunden ausgegeben worden waren, trat eine merkliche Beruhigung und andererseits eine rege Tätigkeit in den Landgemeinden für die Reform ein.“190 Die Provinzialverwaltung ordnete beispielsweise an, dass im Kreis Schweinitz alle Besitzurkunden bis zum 30. November 1946 ausgegeben sein sollten, auch wenn dafür keine katasteramtliche Vermessung des Grundstücks vorlag.191 So war der Provinzialverwaltung zunächst die Rechtssicherheit der Bodenbewerber wichtiger als eine saubere Vermessung der neuen Grundstücke. Der Versuch, für die Bodenbewerber neue Rechtssicherheit herzustellen, war des Weiteren damit verbunden, den alten rechtlichen Rahmen zu zerstören. Das rigoroseste Mittel bildete dabei die Ausweisung der ehemaligen Gutsbesitzer. Eine weitere Maßnahme war z. B. die Vernichtung der alten Grundbuchblätter, die auf Anweisung der Provinzialverwaltung durchgeführt wurde. Im Kreis Schweinitz wurde z. B. am 31. August 1946 die Verbrennung ganzer Bände von Grundbuchakten protokolliert.192 Der Versuch, die Bodenreform zu

188 Lehmann, Die Bodenreform im Kreis Liebenwerda, S. 71. 189 Situationsbericht aus dem Kreise Schweinitz vom 27.10.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 40). 190 Lehmann, Die Bodenreform im Kreis Liebenwerda, S. 71. 191 Vgl. Nachtrag zum Protokoll vom 14.3.1946 über die Durchführung der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 4.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 118). 192 Vgl. Protokoll vom 14.3.1946 über die Durchführung der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 4.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 118).

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Die Bodenreform

legitimieren, um damit die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, hatte zumindest insoweit Erfolg, dass sich in beiden Landkreisen mehr Personen um Land bewarben als zur Verfügung stand. Dennoch musste man anhand der Bewerberzahlen, aber auch anhand vieler Beschlüsse der GBK feststellen, dass in weiten Teilen der ländlichen Bevölkerung die Bodenreform zunächst kaum den von der KPD erhofften Zuspruch fand. Bis zum Jahr 1948 wurde schließlich an folgende Gruppen in den beiden Landkreisen Boden vergeben: Kreis Liebenwerda

Kreis Schweinitz

Landarbeiter und landlose Bauern

395

620

Landarme Bauern

1 001

1 701

Kleinpächter

125

265

„Umsiedler“

178

500

Industriearbeiter und Angestellte

567

152

Bauern mit Land von 5 bis 15 ha

86193

189194

In beiden Landkreisen profitierten die landarmen Bauern am meisten von den Bodenzuteilungen. Sie stellten 42,5 Prozent bzw. 49,6 Prozent aller Bodenanwärter und waren mit weitem Abstand die größte begünstigte Gruppe. Da die landarmen Bauern mit weitem Abstand die meisten Vertreter in den GBK stellten, nutzten sie diese Stellung auch bei der Bodenverteilung aus. Auffällig war, dass die prozentuale soziale Zusammensetzung der GBK im Großen und Ganzen auch mit der Bodenverteilung übereinstimmte. Dies deutet darauf hin, dass sich die GBK bei der Verteilung des Landes bewusst am sozialen Status der Bodenanwärter orientierten. Besonders deutlich wurde dies bei der Landverteilung an die Flüchtlinge und Vertriebenen, die zwar die größte Gruppe aller Zuteilungsberechtigten stellten, letztlich erhielten aber nur 7,6 bzw. 14,6 Prozent der „Umsiedler“ tatsächlich Boden zugeteilt. Dies lag nicht nur an deren verweigerten Meldung zur Landzuteilung, sondern auch an der Weigerung vieler GBK, Flüchtlinge und Vertriebene mit Land zu begünstigen. So wurden im 193 Vgl. Fritz Wilhelm, Von der demokratischen Bodenreform zu sozialistischen Produktionsverhältnissen. Die Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft im Kreis Bad Liebenwerda, Bad Liebenwerda 1980, S. 91. 194 Vgl. Porrmann, Die Durchführung, S. 26. 195 Es bewarben sich im Kreis Liebenwerda bis Januar 1946 insgesamt 582 Flüchtlinge bzw. Vertriebene um eine Bodenzuteilung. Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 10.1.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 100, Bl. 2).

309

Aufteilung des enteigneten Bodens

Kreis Liebenwerda lediglich 30,6 Prozent der „Umsiedleranträge“ von den GBK befürwortet.195 Auf der anderen Seite genehmigten die GBK 92,6 Prozent der Anträge der landarmen Bauern.196 Die fehlende soziale Vernetzung hinderte die Flüchtlinge und Vertriebene offensichtlich nicht nur an der Bewerbung für Siedlungsland, sondern brachte ebenso erhebliche Nachteile bei der Landzuteilung. Auch wenn man die Hektarverteilung des enteigneten Bodens näher betrachtet, relativierte sich dieses Bild nicht wesentlich. Kreis Liebenwerda

Kreis Schweinitz

Landarbeiter und landlose Bauern

1 596

3 157

Landarme Bauern

1 853

3 309

Kleinpächter

261

512

„Umsiedler“

1 315

4 583

Industriearbeiter und ­Angestellte

598

103

Bauern mit Land von 5 bis 15 ha

152197

350198

So konnten die Flüchtlinge und Vertriebenen im Kreis Liebenwerda nur über 22,8 Prozent des verteilten Bodens verfügen, obwohl diese den meisten Bedarf hatten. Zwar lag im Kreis Schweinitz dieser Anteil mit 38,1 Prozent bedeutend höher, doch war dies hier vor allem auf die schlechteren Bodenverhältnisse zurückzuführen, die es im Durchschnitt erforderlich machten, dass jeder Flüchtling bzw. Vertriebener 9,2 Hektar zugesprochen bekam. Bedenkt man, dass im Jahr 1948 insgesamt 22 538 „Umsiedler“ (37,8 Prozent) im Kreis Schweinitz lebten, so entsprach die Hektarverteilung gerade einmal dem prozentualen „Umsiederanteil“ an der Gesamtbevölkerung des Kreises Schweinitz.199 Auf der anderen Seite war es im Kreis Schweinitz im Gegensatz zum Kreis Liebenwerda durch den weitaus größeren Umfang des Bodenfonds und die geringere Bevölkerungsdichte sehr viel besser möglich, ohne größere Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung viel mehr Flüchtlinge und Vertriebene mit Boden zu begünstigen. Dennoch ließen sich in beiden Landkreisen in mehreren Fällen Missbräuche bei der Bodenverteilung nachweisen. Es gab oftmals Versuche, innerhalb

196 Bis Januar 1946 bewarben sich 1 081 landarme Bauern im Kreis Liebenwerda um Land. Vgl. ebd. 197 Wilhelm, Von der demokratischen Bodenreform, S. 91. 198 Porrmann, Die Durchführung, S. 26. 199 Gesamtüberblick über den Kreis Schweinitz (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 285, Bl. 1).

310

Die Bodenreform

der GBK die Familien der Kommissionsmitglieder bei der Zuteilung von Land besonders zu bevorzugen. In einem Bericht zur Bodenreform im Kreis Schweinitz hieß es am 4. Dezember 1946 dazu: „Vielerorts ist es vorgekommen, dass sich in erster Linie die Angehörigen der Gemeindebodenkommissionen mit der Zuteilung des besten Bodens bedachten und bei Nichterfüllung ihrer Wünsche seitens der Kreisbodenkommission sogar dazu übergingen, ihr Amt niederzulegen […].“200 In diesem Zusammenhang fanden sich zahlreiche Eingaben in den Archiven. Ein Bauer aus Merzdorf schrieb z. B. am 17. Januar 1946 an die Liebenwerdaer KBK: „Bezüglich der Verteilung von Siedlerland ist hier in unserem Ort nicht alles richtig verteilt worden. Es gab Land genug, sodass alle hätten einigermaßen zufrieden sein können. Es wurde aber von den Verteilern vor allen Dingen das erstklassige Land nur für ihre Verwandten und guten Freunde genommen.“201 Des Weiteren versuchten wohl auch viele Begünstigte, ihren eigenen Besitz so klein wie möglich erscheinen zu lassen, damit ihnen die Bodenkommissionen Land zuteilte.202 So kam auch die KBK im Kreis Schweinitz zu der Erkenntnis: „Allgemein kann gesagt werden, dass die Bodeninteressenten bei der seinerzeitigen schnellen Durchführung der Bodenreform nicht immer sorgfältig durch die Gemeindebodenkommissionen ausgesucht wurden. Es wird sich in Zukunft als notwendig zeigen, wenn in dieser Beziehung eine Bereinigung, sei es aus Unfähigkeit (oder) krimineller Belastung des Siedlers, erfolgt.“203 Selbst die KBK musste also eingestehen, dass es bei der Landverteilung zu großen Unregelmäßigkeiten kam. Mit der Enteignung und der darauf erfolgten Bodenzuteilung veränderte sich die Agrarwirtschaftsstruktur des Untersuchungsgebiets grundlegend. Die Betriebsgrößenstruktur sah im Jahr 1948 bzw. 1950 in beiden Landkreisen nach der Bodenreform wie folgt aus: Kreis Liebenwerda (Betriebe)

Kreis Schweinitz (Betriebe)

unter 5 ha

4 198

2 486

5 bis 20 ha

2 545

3 351

20 bis 100 ha

347

618

über 100 ha

5

4205

Betriebsgröße

204

200 Nachtrag zum Protokoll vom 14.3.1946 über die Durchführung der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 4.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 120). 201 Anonymer Brief an den Landrat über die Durchführung der Bodenreform in Merzdorf vom 19.1.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 647, unpag.). 202 Vgl. Nachtrag zum Protokoll vom 14.3.1946 über die Durchführung der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 4.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 120). 203 Ebd. 204 Wilhelm, Von der demokratischen Bodenreform, S. 91 f. 205 Porrmann, Die Durchführung, S. 47.

Aufteilung des enteigneten Bodens

311

Das Ziel der restlosen Zerschlagung des privaten Großgrundbesitzes wurde, wie die Statistik zeigt, mit der Bodenreform erreicht. Nur noch die wenigen verstaatlichten Mustergüter übertrafen die 100-Hektar-Grenze. Privater Grundbesitz über 100 Hektar existierte in beiden Landkreisen nach der Bodenreform nicht mehr. Dies hatte zur Folge, dass vor allem die Zahl der Kleinund Mittelbauern mit 5 bis 20 Hektar Besitz erheblich anstieg. Diese Gruppe nahm im Kreis Schweinitz im Vergleich zum Jahr 1939 um 40,6 Prozent zu.206 Auch im Kreis Liebenwerda betrug der Zuwachs der Klein- und Mittelbauern 10,5 Prozent.207 Da der Landkreis Liebenwerda bereits vor Kriegsende sehr kleinteilig strukturiert war und hier weniger Land pro Bodenbewerber (2,45 Hektar pro Bewerber) als im Kreis Schweinitz (3,5 Hektar pro Bewerber) vergeben wurde, war hier der Anteil der Kleinbauern mit weniger als 5 Hektar Besitz nach der Bodenreform bedeutend größer als im Nachbarkreis. So wurden im Jahr 1948 insgesamt 59,2 Prozent der Bauern im Kreis Liebenwerda als Kleinbauern geführt, während diese im Kreis Schweinitz nur 38,5 Prozent ausmachten. Da im Kreis Schweinitz viele Bauern durch die schlechten Bodenverhältnisse mehr als 5 Hektar zugeteilt bekamen, dominierten hingegen hier nach der Bodenreform die Mittelbauern mit 5 bis 20 Hektar Besitz. Die Mittelbauern stellten im Kreis Schweinitz nun 51,9 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe, während im Kreis Liebenwerda nur 35,9 Prozent aller Höfe von Mittelbauern bewirtschaftet wurden. Mit der Aufteilung der großen Güter stieg aber gleichzeitig die Bedeutung der Großbauern in den Dörfern. Besonders im Kreis Schweinitz, wo der großbäuerliche Besitz bereits vor dem Krieg dominierte, waren selbst im Jahr 1950, als die SED bereits Maßnahmen gegen die Großbauern ergriffen hatte, immer noch 9,6 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe großbäuerlich organisiert. Da die Großbauern in den Dörfern auch nach der Bodenreform weiterhin über großes soziales Prestige verfügten und zudem aufgrund ihrer Wirtschaftsausstattung auf ökonomische Erfolge verweisen konnten, wurde den Verantwortlichen in der KPD/SED schnell klar, dass der Klassenkampf auf dem Lande mit der Ausschaltung des Großgrundbesitzes über 100 Hektar noch lange nicht beendet war. Die Neustrukturierung der ländlichen Besitzverhältnisse mit der Ausschaltung des Großgrundbesitzes hatte somit zugleich zur Folge, dass die großbäuerlichen Wirtschaften zunehmend in das ideologische Visier der SED gerieten.

206 Statistisches Reichsamt (Hg.), Landwirtschaftliche Betriebszählung. Volks-, Berufsund Betriebszählung vom 17. Mai 1939, Berlin 1943, S. 252 f. 207 Ebd., S. 250 f.

312

6.

Die Bodenreform

Die Lage der Neubauern

Mit der Neustrukturierung der Landwirtschaft entstand mit den Neubauern eine völlig neue soziale Gruppe im ländlichen Raum der SBZ. Unter den Neubauern verstand man diejenigen Bauern, die nicht nur durch die Bodenreform zusätzliches Land erhielten, sondern mit dem zugeteilten Land eine neue Wirtschaft gründeten. Die Gruppe der Neubauern bestand also weitestgehend aus ehemaligen Landarbeitern, landlosen Bauern und Flüchtlingen bzw. Vertriebenen. Im Landkreis Liebenwerda entstanden bis zum 5. August 1950 insgesamt 448 Neubauernwirtschaften.208 Da im Kreis Schweinitz mehr Boden verteilt wurde, war diese Zahl hier bedeutend größer. Hier gründeten sich bis zum 6. Juni 1946 insgesamt 1 111 Neubauernwirtschaften.209 Anhand dieser Zahlen war bereits zu erkennen, welche große Rolle die Neubauern in den Dörfern spielten, die von der Bodenreform betroffen waren. In den meisten Fällen waren die Neubauern nach der Landzuteilung dazu gezwungen, ihre Existenz vollkommen neu aufzubauen. Nur in den wenigsten Fällen besaßen diese bereits einen eigenen Hof oder landwirtschaftliches Gerät zur Bewirtschaftung des zugeteilten Landes. Aus diesem Grund wurden die GBK angewiesen, das lebende und tote Inventar der enteigneten Wirtschaften an die Bodenempfänger zu verteilen. Von besonderer Wichtigkeit vor allem für die Flüchtlinge und Vertriebenen unter den Neubauern war die Zuteilung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Die Verteilung dieser enteigneten Gebäude an die Landarbeiter, Bauern und „Umsiedler“ sah bis zum März 1946 in beiden Landkreisen wie folgt aus: Kreis Liebenwerda

Kreis Schweinitz

Wohngebäude

118

175

Pferde- und Viehställe

100

175

69

82

Schweineställe Scheunen mit Überdachung Kornspeicher

75

95

30210

36211

Im Vergleich zu den entstandenen Neubauernwirtschaften reichte diese Zuteilung in keiner Weise aus. Auch wenn die GBK versuchten, die Gebäude ein208 Vgl. Aufstellung über die Zahl der Neubauernwirtschaften vom 5.8.1950 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 104, Bl. 103). 209 Vgl. Bericht über die Bauvorhaben in der Bodenreform vom 26.7.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 84). 210 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 1.3.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 147, Bl. 91). 211 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 152).

313

Lage der Neubauern

zelner enteigneter Wirtschaften an mehrere Neubauern aufzuteilen, gelang es nicht, allen Neubauern ausreichend Gebäude zur Verfügung zu stellen. Zudem erleichterte man mit der Aufteilung der bisher geschlossenen Wirtschaften oftmals nicht die Arbeit der Neubauern. Diese Probleme wurden zusätzlich durch das fehlende lebende und tote Inventar der Neubauern vergrößert. Die Verteilung des lebenden und toten Inventars erfolgte bis zum März 1946 in beiden Landkreisen wie folgt: Kreis Liebenwerda Landarbeiter und Landarme Bauern „Umsiedler“ landlose Bauern und Kleinpächter

VdgB

Pferde

17

10

15

3

Rindvieh

46

37

62

2

Schweine

16

6

23

45

Geflügel

52

64

30

146

Pferdepflüge

72

8

81

20

Eiserne Eggen

54

11

58

23

Kultivatoren

25

3

11

11

Wagen und Anhänger

62

9

39

30212

Kreis Schweinitz Landarbeiter und Landarme Bauern „Umsiedler“ landlose Bauern und Kleinpächter Pferde

VdgB

66

1

72

0

Rindvieh

300

78

431

0

Schweine

212

0

323

9

Geflügel

484

18

471

0

Pferdepflüge

137

7

203

0

Eiserne ­Eggen

111

7

111

0

Kultivatoren

28

3

31

0

Wagen und Anhänger

145

11

157

0213

212 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 1.3.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 147, Bl. 90). 213 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 151).

314

Die Bodenreform

Da besonders durch den von der Roten Armee organisierten Abtransport der Nutztiere sowie der landwirtschaftlichen Geräte ein erheblicher Mangel an diesen im Untersuchungsgebiet herrschte, konnte nur sehr wenig lebendes und totes Inventar an die Bodenempfänger verteilt werden. Es kam hinzu, dass besonders die großen Güter von dem sowjetischen Viehabtrieb betroffen waren. Beispielsweise berichtete die KBK des Kreises Schweinitz am 14. März 1946, dass in den Gütern Ruhsdorf, Großrössen, Ahlsdorf, Stechau, Morxdorf und Knippelsdorf kein oder nur sehr wenig Vieh zur Aufteilung gelangen konnte.214 Um den Mangel an lebenden und toten Inventar zumindest notdürftig ausgleichen zu können, gingen die GBK im Untersuchungsgebiet zunächst dazu über, einen großen Anteil des Inventars an die Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe (KdgB) zu verteilen. Laut Ausführungsbestimmung der Bodenreformverordnung sollten die KdgB (ab März 1946 „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“) nicht aufteilbare Grundstücke und Vermögensteile in Verwahrung nehmen. Dies galt besonders für Zug- und Arbeitsmaschinen, für Deckhengste, Bullen, Eber und Ziegenböcke sowie für Saatgut. Zudem bestand die Aufgabe der KdgB darin, Ausleihstellen für landwirtschaftliche Maschinen zu bilden und den Neubauern Hilfe bei der Bestellung des neuen Bodens zu gewähren.215 Im Kreis Liebenwerda und Schweinitz entstanden bis November 1945 insgesamt 74 bzw. 42 KdgB, die wiederum 7 bzw. 12 Ausleihstationen für Lkw und Traktoren in den beiden Landkreisen einrichteten.216 Viele GBK versuchten mit der Verteilung des begrenzten Inventars an die neu entstandenen KdgB, die Bewirtschaftung des zugeteilten Landes zu gewährleisten. So wurden z. B. bis zum 30. November 1945 im Kreis Schweinitz 69,8 Prozent der enteigneten Pferde und 58,3 Prozent der enteigneten Rinder an die KdgB verteilt. Auch die Anzahl der an die KdgB verteilten Pferdepflüge betrug bis November 1945 im Kreis Schweinitz 76,5 Prozent.217 Im Kreis Liebenwerda konnte eine ähnliche Entwicklung nachgewiesen werden. Beispielsweise wurden hier bis zum gleichen Zeitpunkt 46,5 Prozent der enteigneten Pferdepflüge und 54,8 Prozent der eisernen Eggen an die KdgB verteilt.218 Da es allerdings diese Verteilungspraxis ermöglicht hätte, die enteigneten Wirtschaften unaufgeteilt fortzuführen, griff die Besatzungsmacht ein. Auf Anweisung der Schweinitzer

214 Vgl. Protokoll über die Durchführung der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 116). 215 Vgl. Betr. II. Ausführungsbestimmung zur Verordnung der Bodenreform zu Art. IV, § 12 und 13. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 32. 216 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 20.11.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 153, Bl. 275); Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 130). 217 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 132). 218 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 20.11.1945 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 153, Bl. 277).

Lage der Neubauern

315

Kreiskommandantur vom 22. Dezember 1945 sollte „mehr Gerät an die Siedler verteilt werden“.219 Nach dieser Anweisung gingen die GBK besonders im Kreis Schweinitz dazu über, nahezu das gesamte Inventar bis März 1946 unter den Landarbeitern, landlosen Bauern und „Umsiedlern“ aufzuteilen. Für den Kreis Liebenwerda konnte zwar ein solcher Befehl nicht nachgewiesen werden, doch im Gegensatz zum Abrechnungsformular vom November 1945 befand sich im März 1946 bedeutend weniger Inventar im Besitz der KdgB, was auf einen ähnlichen Befehl schließen ließ.220 Nur der Eingriff der Besatzungsmacht ermöglichte es also, dass ein Teil der Neubauern überhaupt Inventar zugeteilt bekam. Das Bestreben der Besatzungsmacht sowie der KPD-Führung lag darin, mit der weitestgehenden Aufteilung des Gutsinventars eine bestmögliche Ausstattung der Neubauern zu erzielen und damit, wie es die leninistische Bündnistheorie vorsah, den Grundstein für das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern zu schaffen. Dass mit dieser Aufteilungspraxis aber die Basis zur Bewirtschaftung vieler anderer Neubauernwirtschaften zumindest vorerst wegfiel, wurde nicht bedacht. Zwar besaßen nun etwas mehr Neubauern geeignete landwirtschaftliche Betriebsmittel, doch konnten diese Geräte die vielen anderen Neubauern, die bei der Aufteilung nicht berücksichtigt wurden, nicht mehr gemeinschaftlich durch die KdgB nutzen. Des Weiteren wurde durch die Abrechnungsformulare der Bodenreform vom März 1946 deutlich, dass innerhalb der Gruppe der Neubauern nochmals große Unterschiede bei der Inventarausstattung bestanden. Besonders im Kreis Liebenwerda verteilten die GBK das Inventar nur in sehr geringem Maß an die Flüchtlinge und Vertriebenen. So konnte diese Gruppe beispielsweise lediglich 33,3 Prozent der verteilten Pferde und 42,2 Prozent der Rinder erwerben. Ebenso erhielten diese nur 27,9 Prozent der Wagen und Anhänger, 39,7 Prozent der eisernen Eggen und 44,7 Prozent der verteilten Pferdepflüge.221 Im Kreis Schweinitz sah diese Entwicklung zunächst ähnlich aus. Bis November 1945 wurden hier lediglich 15,9 Prozent der enteigneten Pferde, 34,3 Prozent der Rinder, 8,6 Prozent der Wagen und Anhänger sowie 10,2 Prozent der Pferdepflüge an Flüchtlinge und Vertriebene vergeben.222 Erst nach dem Eingreifen der Besatzungsmacht erhöhten sich deren Anteile. Bis Mitte März 1946 wurden nun 51,8 Prozent der enteigneten Pferde, 53,3 Prozent der Rinder, 50,2 Prozent der Wagen und Anhänger sowie 58,5 Prozent der Pferdepflüge den „Umsiedlern“ zugeteilt.223 Berücksichtigt man aber, dass die „Umsiedler“

219 Landrat Paul Jeß über die Anweisung der Kreiskommandantur an den Herrn Bezirkspräsidenten vom 22.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 44). 220 Vgl. Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Liebenwerda vom 1.3.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 147, Bl. 90). 221 Ebd. 222 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 132). 223 Abrechnungsformular über den Stand der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 151).

316

Die Bodenreform

die bedürftigste Gruppe der Landbewerber waren, so erscheinen diese Zahlen immer noch sehr gering. Während die einheimischen Landarbeiter und landlosen Bauern in einigen Fällen bereits über Inventar verfügten und vor allem die sozia­len sowie agrarischen Gegebenheiten vor Ort kannten, fingen die Flüchtlinge und Vertriebenen meist vollkommen neu mit ihrer Wirtschaftsführung an. Die ursprünglich bis November 1945 geplante Verteilung des Inventars, bei der die „Umsiedler“ in beiden Landkreisen nur einen geringen Anteil der Nutztiere und Geräte erhalten sollten, machte den sozialen Unterschied in der Gruppe der Neubauern offen sichtbar. So teilte sich die Gruppe der Neubauern nochmals grob in einheimische und vertriebene Neubauern, die sich aufgrund ihrer sozialen Vernetzung in den Dörfern, aber auch aufgrund ihrer ökonomischen Lage voneinander stark unterschieden. Überdeckt wurde dies meist nur durch den noch viel größeren Gegensatz zwischen Alt- und Neubauern, der durch die wirtschaftliche Schwäche der Neubauern wesentlich verstärkt wurde. Beispielsweise stellte der Schweinitzer Kreistreuhänder am 15. Januar 1946 für 211 Neubauernwirtschaften sowie für die Mustergüter Lebusa und Hillmersdorf Folgendes fest: „Diese angeführten Betriebe sind mehr oder weniger vollkommenen entblößt, haben kein Vieh, keine Bespannung, kein Saat- oder Futtergetreide. Für die Neusiedler besteht in vielen Fällen (insbes. Ahlsdorf) keine Wohngelegenheit […]. Das Hauptproblem ist nun m. E. die Sicherung des Frühjahrsanbaus, was mit Rücksicht auf den Mangel an Spannvieh, Trecker nicht so leicht sein wird.“224 Auch die Schweinitzer KBK zeichnete im März 1946 immer noch ein sehr pessimistisches Bild über die Lage der Neubauern. Die Mitglieder der KBK schrieben unmissverständlich in ihrem Bericht, dass vielen Neubauern „zur Aufrechterhaltung ihrer Wirtschaft das nötige Vieh“ fehlt.225 Um die neuen Wirtschaften überhaupt betreiben zu können, waren die Neubauern in vielen Fällen auf die Hilfe der etablierten Altbauern angewiesen. Es kam hinzu, dass mit der Bodenreform oftmals Land an Personen verteilt wurde, die erstmals in ihrem Leben eine Bauernwirtschaft selbstständig führten. In diesem Zusammenhang stellte die Schweinitzer KBK fest: „Laufend nötig werdende Besuche vonseiten der Kreisbodenkommission auf den aufgeteilten Gütern zeigen immer wieder, dass ein großer Teil der Siedler sehr phlegmatisch in der Behandlung der ihnen überlassenen Gebäude, Wohnräume, Maschinen und Geräte und dergleichen ist.“226 Dies war zum großen Teil auch auf die ungenügende Qualifikation der Neubauern zurückzuführen. Dieses Problem wurde dadurch verstärkt, dass ein Teil des Landes an alleinstehende Frauen oder kriegsbeschädigte Männer vergeben wurde, die kaum in der Lage waren, eine

224 Übersichtsbericht über die Tätigkeit des Kreistreuhänders des Kreises Schweinitz vom 15.1.1946 (LHASA, MD, P 12, Nr. 8, Bl. 14). 225 Protokoll über die Durchführung der Bodenreform im Kreis Schweinitz vom 14.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 116). 226 Nachtrag zum Protokoll vom 14.3.1946 über die Durchführung der Bodenreform im Kreise Schweinitz vom 4.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 334, Bl. 120).

Lage der Neubauern

317

Wirtschaft allein ohne Hilfe zu führen. Im Kreis Schweinitz erhielten z. B. bis zum 28. Dezember 1945 insgesamt 26 Kriegerwitwen und 32 kriegsgeschädigte Personen eine Landzuteilung.227 Unter diesen Umständen blieb den Altbauern die wirtschaftliche Schwäche der Neubauern nicht verborgen, wofür jene in vielen Fällen den mangelnden Arbeitseifer der Neubauern verantwortlich machten. So entwickelte sich im eng verflochtenen dörflichen Milieu sehr schnell eine soziale Zweiteilung in oftmals erfolgreich wirtschaftende Altbauern und erfolglos wirtschaftende Neubauern, die in der gesellschaftlichen Atmosphäre des Dorfs offen spürbar wurde. Die Unterstützungsmaßnahmen des Staats für die Neubauern verstärkten diese Trennlinie in den Dörfern später noch zusätzlich. Besonders in den vielen großbäuerlich geprägten Dörfern des Kreises Schweinitz wurde dieser Riss in der ländlichen Gesellschaft besonders deutlich. Hier mussten vor allem die Großbauern bereits mit Beginn der Bodenreform mit ansehen, wie viele, ehemals fest in die Dorfgemeinschaft eingebundene Bauern, die nur knapp über der 100-Hektar-Besitzgrenze lagen, enteignet und wie deren Besitz nun von schlecht ausgestatteten Neubauern bewirtschaftet wurde. Wie sehr die einheimischen Bauern diese Enteignungen als Unrecht wahrnahmen, wurde auch in internen SED-Berichten deutlich. Beispielsweise berichtete die SED des Kreises Schweinitz am 7. Juli 1946 nach Halle: „Zur Enteignung der Kriegsverbrecher konnte in den von uns durchgeführten Versammlungen allgemein die Feststellung gemacht werden, dass die Bauernschaft infolge mangelnden Vertrauens zur SED immer noch der Auffassung war, dass es sich bei der Durchführung der Bodenreform nur um den Anfang der allgemeinen Sozialisierung des Grund und Boden gehandelt habe, dem die Enteignung des Bodens, auch der übrigen bäuerlichen Betriebe folgen wird […]. Diese Auffassung wurde, wie aus der Diskussion in Malitzschkendorf, Proßmarke, Hohenbucko, Jagsal und vielen anderen Dörfern durchgeführten Versammlungen hervorging, durch die Tatsache verstärkt, dass im Zuge der Bodenreform mehrere Großbauern enteignet wurden, die durch großen Waldbesitz die 100-Hektar-Grenze überragten.“228 Spätestens aber mit dem Einsetzen der Politik gegen die Großbauern ab dem Jahr 1948 und der damit verbundenen Erhöhung der Sollabgaben für großbäuerliche Wirtschaften wurde diese Spaltung in den großbäuerlich geprägten Dörfern noch deutlicher.229 Das Verhältnis zwischen den privilegierten Neubauern

227 Abteilung Bodenreform der Schweinitzer Kreisverwaltung über die Bodenverteilung an Schwerkriegsbeschädigte, Minderbeschädigte und Kriegswitwen an die Provinzialverwaltung vom 28.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 280, Bl. 26). 228 Informationsbericht des SED-Vorstandes des Kreises Schweinitz vom 7.7.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 229 Vgl. zur Politik gegen die Großbauern 1948 bis 1953: Arnd Bauerkämper, Vertreibung als Exklusion gesellschaftlicher Führungsgruppen. Die Verdrängung der „Großbauern“ in der SBZ/DDR und die Vernichtung der „Kulaken“ in der UdSSR im Vergleich. In: Günther Schulz (Hg.), Vertriebene Eliten. Vertreibung und Verfolgung von Führungsschichten im 20. Jahrhundert, München 2001, S. 125–163; Joachim Piskol,

318

Die Bodenreform

auf der einen und den unterprivilegierten Großbauern auf der anderen Seite war somit in vielen Fällen von großem Neid und Missgunst geprägt. So führte diese bis heute kaum untersuchte Politik der SED in den Jahren 1948 bis 1953 dazu, dass sich das soziale Gefüge insbesondere in den großbäuerlichen Dörfern des Kreises Schweinitz durch die Flucht vieler Großbauern vollkommen veränderte. Zwar bleibt es einer gesonderten Studie vorbehalten diese Frage umfassend zu klären, aber in vielen großbäuerlichen Dörfern kam es durch den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen, durch die Bodenreform und schließlich durch die aggressive Politik gegen die Großbauern in den Jahren 1948 bis 1953 zu einem großflächigen Bevölkerungsaustausch.230 Abschließend kann zur Lage der Neubauern gesagt werden, dass diese grundsätzlich seit dem Abschluss der Landverteilung von großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten geprägt war. Das enteignete lebende und tote Inventar, welches an die Neubauern verteilt werden sollte, reichte in keiner Weise aus, um nur annähernd alle Neubauernwirtschaften angemessen auszustatten. Hinzu kam, dass jeder Versuch der gemeinschaftlichen Bewirtschaftung von der Besatzungsmacht sowie den ausführenden deutschen Behörden unterbunden wurde. Die wirtschaftliche Schwäche der Neubauern bildete aber auch einen wesentlichen Grund für den scharfen Gegensatz zwischen Alt- und Neubauern in den Dörfern der Region. Nochmals willentlich verschärft wurde dieser Gegensatz von der KPD/SED-Politik, die den Neubauern möglichst viel Unterstützung zukommen ließ, während besonders die Großbauern spätestens ab 1948 in vielen Fällen bewusst benachteiligt wurden.

Zur sozialökonomischen Entwicklung der Großbauern in der DDR 1945 bis 1960. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 39 (1991), S. 419–433; Christel Nehrig, Zur sozialen Entwicklung der Bauern in der DDR 1945–1960. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 41 (1993), S. 66–76. 230 Allein aufgrund der „Verordnung der Regierung der DDR zur Sicherung von Vermögenswerten“ vom 17.7.1952 und aufgrund der „Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und zur Versorgung der Bevölkerung“ vom 19.2.1953 wurden in der gesamten DDR 22 773 Bauernwirtschaften mit 643 558 Hektar enteignet. Darunter enteignete man 68,8 % der Betriebe mit über 50 Hektar LNF. Diese Verordnungen und damit auch die aggressive Politik gegen die Großbauern wurden erst nach dem Volksaufstand vom 17.6.1953 aufgehoben. Vgl. Wolfgang Bell, Enteignungen in der Landwirtschaft der DDR und deren politische Hintergründe, Berlin 1992, S. 59.

IX. Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung 1.

Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und die Wiederingangsetzung der Wirtschaft nach dem Kriegsende

Im Wesentlichen blieb eine große Zahl der Industriebetriebe im Untersuchungsgebiet durch direkte Kriegseinwirkungen unzerstört. Lediglich in Elsterwerda, wo durch den amerikanischen Bombenangriff auf die Bahnhofsanlagen am 19. April 1945 auch Teile der Stadt getroffen wurden, zerstörte die alliierte Luftflotte große Teile des unmittelbar neben den Bahnanlagen gelegenen Industriegebiets. Dem Angriff fielen u. a. nahezu vollständig die Elsterwerdaer Fahrradfabrik Reichenbach, die Firma Grieshammer, die Webstuhl- und Maschinenfabrik Gebrüder Heinrich, die Maschinenfabrik Hans-Erich Rose und die Elsterwerdaer Phönicia-Werke zum Opfer. Lediglich die Elsterwerdaer Steingutfabrik blieb im bombardierten Industriegebiet von größeren Schäden verschont.1 Insgesamt wurden im Kreis Liebenwerda 13 Industrie- und 22 Handwerksunternehmen vor allem in Elsterwerda und Falkenberg durch Luftangriffe total zerstört.2 Wesentlich weniger Industrieanlagen fielen dagegen direkten Kampfhandlungen zwischen deutschen und sowjetischen Truppen zum Opfer. Insgesamt belief sich diese Zahl im Kreis Liebenwerda lediglich auf 5 Industrie- und 16 kleine Handwerksunternehmen, die beim Einmarsch der Roten Armee völlig zerstört wurden.3 Schlussfolgernd kann man feststellen, dass die Industrie im Untersuchungsgebiet in Bezug auf die direkten Kriegszerstörungen im Großen und Ganzen intakt blieb. Vor allem im industriellen Herzen des Kreises Liebenwerda, dem Mückenberger Ländchen mit der dominierenden Braunkohleindustrie, gab es keine nennenswerten direkten Kriegsschäden. Sieht man von den Zerstörungen in Elsterwerda ab, so hinderten die Kriegsschäden die Eigentümer bzw. Werksleitungen der Industriebetriebe nicht in erster Linie an der Fortführung der Produktion. Viel gravierender als die direkten Kriegsschäden war hingegen zunächst die Arbeitskräfteproblematik. Während des gesamten Kriegs basierte vor allem die industrielle Produktion auf der Ausnutzung des ausländischen Arbeitskräftepotenzials, welches mit Kriegsende schlagartig wegfiel. Trotz der immer noch nicht überall wieder angelaufenen Produktion und trotz der bereits einsetzenden Demontagen benötigte der gesamte Industriesektor im Kreis Liebenwerda

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Vgl. Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 3 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Ebd.

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

am 29. Oktober 1945 immer noch 1 751 Arbeitskräfte.4 Allein bei der Mückenberger Bubiag fehlten am 8. Oktober 1945 insgesamt 1 137 Beschäftigte.5 Da geeignetes Personal fehlte, arbeiteten die Belegschaft z. B. bei der Bubiag täglich zehn bis zwölf Stunden.6 Neben den vielfältigen Problemen bei der Arbeitskräftebeschaffung behinderte die Rohstoffknappheit vor allem die Produktion der verarbeitenden Industrie unmittelbar nach dem Krieg. Ausschlaggebend war dafür zu einem großen Teil zunächst die zerstörte Infrastruktur, die den Transport von Rohstoffen bzw. von weiterzuverarbeitenden Produkten verhinderte. Allein im Kreis Liebenwerda wurden 24 Eisenbahn- bzw. Straßenbrücken sowie vier Wehre größtenteils über die Schwarze Elster und Pulsnitz von der zurückgehenden Wehrmacht gesprengt.7 Ebenfalls bildeten die Elbe sowie die Mulde unmittelbar nach Kriegsende zum einen durch die zerstörten Brücken und zum anderen als Demarkations­linie zwischen den Besatzungsmächten eine neue natürliche sowie politische Grenze. Die Zerstörung der beiden Eisenbahnknotenpunkte Falkenberg und Elsterwerda durch die alliierten Luftangriffe kam hinzu und verhinderte bis zum August 1945 einen weitreichenden Eisenbahnverkehr über diese Bahnhöfe.8 Während die direkten Kriegszerstörungen, wie dargestellt, kaum Folgen für die Industriebetriebe hatten, wirkte sich die zerstörte Infrastruktur umso hemmender auf die Industrieproduktion aus. Neben dem Rohstoff- sowie Ersatzteilmangel behinderten die während des Kriegs ausgebliebenen Investitionen in die nicht als kriegswichtig eingestuften Industriebereiche die wieder in Gang kommende Produktion. Viele Industriebetriebe waren unter diesen Umständen dazu gezwungen, mit teils völlig verschlissenen Maschinen weiterzuarbeiten. Beispielsweise berichtete der Betriebsleiter der Beutersitzer Kohlewerke, dass das Werk mit Tagebau, Brikettfabrik, Kraftwerk und Werkstatt nur „verbrauchte, wenig überholte Maschinen“ besaß und der Betrieb „nur notdürftig aufrechterhalten“ wurde.9 Auch der neue Betriebsleiter der Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter, die im Jahr 1947 insgesamt 123 Arbeitskräfte beschäftigte, schrieb Folgendes in einem Bericht an die Kreisverwaltung: „Infolge rücksichtslosester Ausbeutung des gesamten Maschinenparks während der Zeit des vorangegangenen Kriegs und der damit verbundenen Kriegsgeschehnisse übergab (man) den maßgebenden Männern

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Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 29.10.1945, S. 15 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.). Besuchsbericht anlässlich des Amtsantritts des neuen Werksdirektors der Bubiag, Dr. Rexrodt, vom 8.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 466). Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 5 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 3 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 113 f. Betriebserhebung der Beutersitzer Kohlenwerke vom 30.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.).

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dieses Werks einen Betrieb mit einem heruntergewirtschafteten Maschinenpark […].“10 In nahezu jedem Bericht der Industriebetriebe an die Kreisverwaltung wurde über Rohstoff- sowie Ersatzteilmangel sowie veraltete Maschinen geklagt.11 Dieses Problem vergrößerte sich zusätzlich durch die von der sowjetischen Besatzungsmacht bereits kurz nach dem Einmarsch aufgenommenen Demontagen, die den Maschinenmangel in der Industrie nochmals enorm erhöhten.12 Gleichfalls wirkte sich die Abschottung der SBZ zu den westlichen Zonen, aber auch die starke Eigenständigkeit der Länder und Provinzen innerhalb der SBZ besonders negativ auf das am östlichen Rand der Provinz Sachsen gelegene Untersuchungsgebiet aus. Von großer Bedeutung für die Weiterführung bzw. Wiederaufnahme der Industrieproduktion war zudem unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee das Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht. Aus Unsicherheit über die von der deutschen Propaganda in den schrecklichsten Farben gemalte Zukunft, aber auch auf Anweisung verschiedener deutscher Behörden wurden zunächst nahezu alle Industriebetriebe im Untersuchungsgebiet stillgelegt. Eine Ausnahme bildete die Bubiag in Mückenberg. Deren Vorstandsvorsitzende Dr. Karl Leising ordnete an, dass zumindest im Kraftwerk des Unternehmens ein Notbetrieb aufrechterhalten werden musste, damit zum einen der Ausfall der für die Tagebaugruben lebenswichtigen Pumpen verhindert und zum anderen die Stromversorgung für das Krankenhaus in Lauchhammer aufrechterhalten werden konnte.13 In Plessa, wo der Ort zum großen Teil von Soldaten der Roten Armee abgebrannt wurde, war ein Weiterbetrieb des Kraftwerks und der Tagebaupumpen dagegen nicht möglich, wodurch große Teile des Tagebaus unter Wasser gesetzt wurden.14 Da viele Beschäftigte in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum gegen die gewaltsamen Übergriffe der Rotarmisten geschützt waren, verhinderte dies die Wiederaufnahme der Produktion zusätzlich. Beispielsweise stellte der spätere Leiter der Friedländer-Grube der Bubiag, Robert Müller (KPD), im Rückblick

10 Betriebserhebung der Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter vom 28.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 11 Vgl. Betriebserhebung der Zuckerfabrik Mühlberg GmbH in Brottewitz vom 28.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Kurmärkischen Bekleidungswerkstätten Mückenberg vom 22.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Möbelfabrik Erwin Meier (undatiert; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Elsterwerdaer Kies- und Sandwerke Eduard Ratz (undatiert; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Ortrander Eisenhütte GmbH vom 30.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 12 Vgl. Kap. IX, 3. 13 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 14 Vgl. Wolfgang Alkier/Rainer Dittmann: Plessa a. d. Elster. Über Fischer, Bauern, Kumpel und Andere aus 600 Jahre Dorfgeschichte, Großenhain 2005, S. 64–66.

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

über einen Arbeitseinsatz in Lauchhammer fest: „Sie kamen sehr zögernd, und man sah es in ihren Gesichtern, dass nicht wenige eine Vergeltung, Zwangsverschleppung oder andere, der Roten Armee von der Goebbelspropaganda ständig angedichteten Grausamkeiten fürchteten.“15 Dass dabei nicht nur die Propaganda des Dritten Reichs nachwirkte, sondern auch die vielen Übergriffe von Rotarmisten eine entscheidende Rolle spielten, verschwieg Robert Müller. Von den Plünderungen und gesamten Zerstörungen kurz nach Kriegsende war aber nicht nur das Eigentum von einfachen Personen, sondern auch das von Industriebetrieben betroffen. Die wohl größte Plünderung vollzog sich im Untersuchungsgebiet bei der Bubiag. Hier brannte am 25. April 1945 das Mückenberger Schloss, welches der Bubiag als Verwaltungsgebäude diente, restlos ab.16 Obwohl bis heute nicht geklärt werden konnte, wer dafür verantwortlich war, bleibt stark zu vermuten, dass Rotarmisten oder ehemalige Zwangsarbeiter das Feuer legten. Rotarmisten entdeckten im zerstörten Schloss den unzerstörten Kassenschrank der Bubiag und beschlagnahmten die darin enthaltenden 1 010 000 RM.17 Trotz vielfältiger Bemühungen der Werks- und später der Provinzialverwaltung, das Geld zurückzuerhalten, gab die SMA in Halle am 8. Januar 1946 Folgendes bekannt: „Die Summe von RM 1 010 000,-- (Bestand am 9.5.1945) ist als Kriegsbeute anzusehen und wurde an die Feldabteilg. der Staatsbank überwiesen.“18 Somit verlor die Bubiag mit einem Schlag ihre Geldreserven und war nun u. a. nicht mehr in der Lage, im Mai und Juni 1945 ohne Unterstützung der Gemeinde Mückenberg die Lohngelder für ihre Arbeiter auszuzahlen.19 Berücksichtigt man u. a. diese Plünderung in Mückenberg, so wirkte es geradezu paradox, dass die DDR-Geschichtsschreibung die große Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht beim Aufbau der Wirtschaft immer wieder heraus­ stellte. So führte die DDR-Geschichtsschreibung den Beginn der planvollen Wiederinbetriebnahme der Industrie in der SBZ explizit auf den SMAD-Befehl Nr. 9 vom 21. Juli 1945 zurück.20 Hierin ordnete die SMAD an, dass bis zum 15. August 1945 die synthetische Benzin- und Ölerzeugung, die Stickstoffherstellung, die Kohle- und Brikettindustrie, die Elektrizitätswerke, Gummiwerke, Autoreparaturwerkstätten, die Fahrzeugindustrie für Traktoren, landwirtschaftli-

15 Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 13. 16 Vgl. Vorstandsvorsitzender der Bubiag, Dr. Wilhelm Rexroth an die SMA in Halle über die Beschlagnahmung von Lohngeldern vom 17.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 381). 17 Ebd. 18 Beauftragter für Brennstoff und Energiewirtschaft bei der SMA in Halle, Pantjuchow über die beschlagnahmten Lohngelder der Bubiag vom 8.1.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 325). 19 Vgl. Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 2 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 20 Vgl. Rena Wilhelm, Die Rolle von Partei und Staat bei der Durchführung der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, Potsdam 1980, S. 25; Karl-Heinz Schöneburg, Errichtung des Arbeiter- und Bauernstaates der DDR 1945–1949, Berlin (Ost) 1983, S. 155.

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che Maschinen und Eisenbahnwaggons, die Wasserwege und deren Schiffe und Kähne, die Lebensmittelindustrie, die Textilindustrie, die Schuh- und andere lederverarbeitende Industrie und die Industrie für tägliche Bedarfsartikel sowie die Bauwirtschaft wieder in Gang zu setzen waren.21 Der Befehl enthielt keine Bestimmungen zur Enteignung von Unternehmen. Lediglich die „Ernennung von Direktoren und Oberingenieuren für die von Inhabern verlassenen Werke der in der Einleitung erwähnten Industriezweige“ wurde den Präsidenten der Provinzialverwaltungen gewährt.22 Ausdrücklich festgelegt wurde jedoch, dass keine neuen großen Unternehmen ohne Zustimmung des Oberkommandierenden der SMAD entstehen durften.23 Der SMAD-Befehl Nr. 9 zielte ausschließlich auf die Wiederingangsetzung der Industrie. Aufgrund seiner unsystematisch wirkenden wirtschaftlichen Anordnungen beschrieb Winfrid Halder den SMAD-Befehl Nr. 9 allerdings ausdrücklich nicht als Ausgangspunkt für den systematischen Wiederaufbau der Wirtschaft, sondern bezeichnetet ihn als „erstes Beispiel für den Befehlsaktionismus der sowjetischen Militäradministration“.24 In der Tat war im Untersuchungsgebiet bereits lange vor dem Erlass des SMAD-Befehls Nr. 9 mit der Wiederinbetriebnahme von zahlreichen Industriebetrieben begonnen worden. Der Liebenwerdaer Landrat ordnete z. B. bereits während seines ersten Arbeitstags am 1. Juni 1945 die Wiederinbetriebnahme aller Industriebetriebe an.25 So konnte z. B. bereits bei der Bubiag am 7. Juni 1945 die Brikettfabrik Emanuel I wieder in Betrieb genommen werden. Am 27. Juli 1945 kamen die Brikettfabriken Emanuel II, Milly und Marie hinzu.26 Das Anfahren der modernsten Brikettfabrik der Bubiag Marie-Anne V verzögerte sich jedoch noch bis in das Frühjahr 1946.27 Bei den Plessaer Braunkohlewerken lief nach mühseliger Entwässerung des Tagebaus und nach der Wiederingangsetzung des Kraftwerks die Brikettfabrik sogar bereits am 28. Mai 1945 wieder an.28 Auch die Domsdorfer Brikettfabrik Luise der Anhaltinischen Kohlewerke AG nahm vor Erlass des Befehls Nr. 9 am 19. Juni 1945 ihren Betrieb wieder auf.29 21 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 9. Über die Ingangsetzung der Industrie usw. vom 21.7.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 14. 22 Ebd., S. 14. 23 Vgl. ebd., S. 15. 24 Halder, Modell für Deutschland, S. 16 f. 25 Vgl. Richtlinien für die Gemeindeverwaltungen vom 1.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.). 26 Vgl. Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 3 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 27 Vgl. Bericht über das vorliegende Belastungsmaterial in Sachen Göhlert (undatiert; LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 38 f.). In einem hierin zitierten Schreiben der Bubiag vom 30.8.1945 wurde die geplante Wiederinbetriebnahme der Brikettfabrik Marie-Anne V auf den Februar 1946 datiert. Wann genau die Produktion in dieser Fabrik wieder anlief, konnte nicht geklärt werden. 28 Vgl. Alkier/Dittmann, Plessa a. d. Elster, S. 66. 29 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 11 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.).

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

Dennoch produzierten im Kreis Liebenwerda bis Ende Oktober 1945 von den elf meist im metallverarbeitenden Industriebereich angesiedelten mittelgroßen Betrieben (100 bis 500 Arbeitskräfte) nur acht Betriebe. Von 66 kleineren Industriebetrieben im Kreis Liebenwerda arbeiteten Ende Oktober 1945 sogar nur 32 Betriebe mit voller Kapazität. 24 Betriebe produzierten zu diesem Zeitpunkt lediglich eingeschränkt. In zehn kleineren Betrieben konnte die Produktion aufgrund der Kriegszerstörungen bzw. aufgrund des Rohstoffmangels noch nicht wieder aufgenommen werden.30 So sorgte zwar auch der SMAD-Befehl Nr. 9 dafür, dass bis Ende des Jahres 1945 wieder ein Großteil der Industriebetriebe im Kreis Liebenwerda produzierte, jedoch war deren Produktion in vielen Fällen nur äußerst eingeschränkt.

2.

Die sowjetischen Demontagen

Bereits im Jahr 1944 begann man in Moskau, detaillierte Pläne über die zukünftigen Reparationsleistungen Deutschlands zu entwerfen. Ziel der sowjetischen Führung war es, zum einen die enormen Kriegsschäden innerhalb der Sowjetunion so schnell wie möglich begleichen zu können und zum anderen, die deutsche Wirtschaft soweit wie möglich zu schwächen, damit Deutschland in Zukunft keine Kriegsgefahr mehr für die Sowjetunion darstellen konnte. In einem am 27. Juli 1944 dem Außenminister Molotow erstmals vorgelegten Reparationsplan wurde die Summe der deutschen Reparationen allein für die Sowjetunion auf zehn Milliarden US-Dollar festgeschrieben und gleichzeitig der Arbeitseinsatz von fünf Millionen rekrutierten deutschen Zwangsarbeitern zum Wiederaufbau der Sowjetunion geplant.31 Dieser Reparationsplan diente der sowjetischen Führung in der Folgezeit als Blaupause für ihre späteren Bemühungen um deutsche Reparationen. Während der Konferenz in Jalta im Februar 1945 brachte die sowjetische Seite diese Forderungen in die Verhandlung mit den Westmächten ein. Stalin verlangte, dass der Gesamtwert der Reparationszahlungen auf 20 Milliarden US-Dollar festgesetzt wird und die Sowjetunion davon zehn Milliarden US-Dollar zugesprochen bekommt. Obwohl sich die britische Seite gegen eine endgültige Festlegung einer Gesamtsumme wehrte, einigte man sich im geheimen Zusatzprotokoll der Konferenz auf genau diese Summe.32 Zwar waren die Beschlüsse zur Reparationsfrage in Jalta wenig konkret, aber die Westalliierten gaben damit den Forderungen Stalins bereits entscheidend nach.

30 Ebd., S. 31. 31 Vgl. Grundzüge des Reparationsprogramms der UdSSR vom 27.7.1944. In: Georgij P. Kynin/Jochen Laufer (Hg.), Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Band 1, Berlin 2004, S. 427–436. 32 Vgl. Karlsch, Allein bezahlt?, S. 23–24.

Sowjetische Demontagen

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Nach dem Tod des US-Präsidenten Roosevelt im April 1945 änderte sich aber die amerikanische Reparationspolitik grundlegend. Ganz im Gegensatz zu dem Morgenthau-Plan, der eine großflächige Deindustrialisierung Deutschlands vorsah, wandte sich die amerikanische Politik nun den britischen Reparationsvorstellungen zu, die eine durch überzogene Reparationen erzeugte Alimentierung Deutschlands vermeiden wollte. Viele westalliierte Politiker erkannten ebenso, dass deutsche Reparationen an die Sowjetunion den Machtzuwachs Moskaus nur noch steigern würden.33 Aus diesen Gründen kam es während der Potsdamer Konferenz in der Reparationsfrage nur zu minimalen Zugeständnissen der Westalliierten. Grundsätzlich wurde in Potsdam festgelegt, dass jede Besatzungsmacht ihren Reparationsbedarf aus ihren eigenen Zonen decken sollte. Die Sowjetunion versuchte zwar, zusätzliche Reparationslieferungen aus den Westzonen zu erhalten, die Westmächte machten der Sowjetunion jedoch nur sehr ungenaue Zusicherungen über weitere Lieferungen. Eine einheitliche alliierte Reparationspolitik war somit gescheitert.34 Bereits mit dem Einmarsch der ersten sowjetischen Truppen in den Osten Deutschlands veranlasste die sowjetische Führung, unabhängig von den Beschlüssen der alliierten Konferenzen, erste Reparationsforderungen einzutreiben. Obwohl das Gebiet östlich der Oder und Neiße später an Polen übergeben werden sollte, unterzeichnete Stalin bereits am 2. März 1945 die ersten Demontagebeschlüsse für Betriebe aus Oberschlesien.35 Nach Angaben der sowjetischen Zentralverwaltung für Statistik transportierten die sowjetischen Beutekommandos bis zum 2. August 1945 die enorme Anzahl von 142 400 Waggons mit abgebauten industriellen Anlagen und Materialien aus den besetzten deutschen Ostgebieten in die Sowjetunion.36 Die Demontage von Industriebetrieben, der Transport von Fertigprodukten und Rohstoffen, aber auch die Requirierung von Vieh war also während des Einmarsches der Roten Armee in das Untersuchungsgebiet im besetzten Osten Deutschlands bereits in vollem Gange. Nachdem die Rote Armee in das Untersuchungsgebiet einmarschierte, musste sie sich zunächst einen ausführlichen Überblick über die industrielle Struktur der beiden Landkreise Liebenwerda und Schweinitz verschaffen. Sofortige zielgerichtete Werksbesetzungen mit der Absicht der späteren Demontage gab es nicht. Die einzige Ausnahme bildete das Werk der HASAG in Schlieben, welches sofort besetzt wurde und in dem die Produktion von „Panzerfäusten“ noch ca. sechs Wochen für die Rote Armee weitergeführt wurde.37 Andere Unternehmen im Untersuchungsgebiet besaßen zwar ebenso

33 Vgl. ebd., S. 26. 34 Vgl. Jochen Laufer, Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen in der SBZ/DDR 1945–1950. In: Karlsch/Laufer (Hg.), Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944– 1949, S. 40. 35 Vgl. Musial, Stalins Beutezug, S. 281. 36 Vgl. ebd., S. 298. 37 Vgl. Schellenberg, Die „Schnellaktion Panzerfaust“, S. 251.

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eine kriegswichtige Produktion, doch bestand diese meist nur in der Herstellung von speziellen Komponenten für einzelne Waffensysteme.38 Aus diesem Grund verminderte sich wohl weitestgehend die Attraktivität der übrigen im Untersuchungsgebiet befindlichen Unternehmen für die ersten ankommenden Truppen der Roten Armee, die zunächst vor allem nach wichtigen Rüstungsbetrieben suchten. Die ersten Demontageleistungen erfolgten auch aus diesem Grund nicht innerhalb der großen Betriebe im Untersuchungsgebiet, sondern im Schienennetz der Eisenbahn. Ab Mitte Mai 1945 begann die Besatzungsmacht, in beiden Landkreisen das zweite Gleis aller Bahnstrecken im Untersuchungsgebiet zu demontieren. Dazu rekrutierte sie Hunderte deutsche Arbeitskräfte aus den an den Bahnstrecken gelegenen Orten. Teilweise wurde nahezu die gesamte Einwohnerschaft einzelner Dörfer ohne geschlechtlichen Unterschied zusammengetrieben und zur Arbeit in den Gleisanlagen verpflichtet. Aus Oehna berichtete z. B. Helene Parpart in ihrem Tagebuch am 24. Mai 1945: „Abends werden Männer und Frauen zusammengeholt, sie sollen Fronarbeit leisten. Unsere Bahnstrecke wird eingleisig gemacht; Schrauben sollen gelöst und Gleise weggeschafft werden.“39 Bis zum 7. Juni 1945 vermerkte sie immer wieder in ihrem Tagebuch diesen Arbeitseinsatz, der nach ihren Angaben täglich von 8 bis 21.30  Uhr verlief und nur von einer viertelstündigen Mittagspause unterbrochen wurde.40 Bis Ende des Jahres 1945 verloren alle zweigleisigen Bahnstrecken der Region ihr zweites Gleisbett.41 Teilweise erst Jahrzehnte später konnte dieses wiederhergestellt werden. Die über Herzberg und Oehna führende Strecke Falkenberg-Jüterbog wurde sogar bis heute nicht wieder zweigleisig hergerichtet. Des Weiteren demontierte die Besatzungsmacht im Juli 1947 die Schmalspurstrecke Linda–Seyda sowie zahlreiche Anschlussgleise zu demontierten Betrieben.42 Die ohnehin bereits im Untersuchungsgebiet durch die beiden großen Luftangriffe auf Falkenberg und Elsterwerda sowie durch Brückensprengungen geschwächte Bahninfrastruktur wurde damit noch weiter ausgezehrt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass z. B. in Falkenberg der Demontageeinsatz gleichzeitig mit dem Wiederaufbau der zerstörten Gleisanlagen stattfand, gelang es den dort eingesetzten Arbeitern bis zum 6. Juli 1945, zunächst nur den Eisenbahnverkehr bis zur zerstörten Torgauer Elbbrücke wieder aufzunehmen.

38 Lediglich im Oberhammerwerk der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer wurden seit Ende 1944 komplette Flakgeschütze endmontiert. Vgl. Beschreibung der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer vom 25.6.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5439, Bl. 59). 39 Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945, Eintrag vom 24. Mai 1945. 40 Vgl. ebd., Einträge vom 24.5. bis 7.6.1945. 41 Vgl. Jürgen Fanzke (Hg.), Auf getrennten Gleisen. Reichsbahn und Bundesbahn 1945– 1989, Regensburg 2001, S. 29. 42 Vgl. Meldung der Kreisverwaltung Schweinitz zum Demontageeinsatz vom 17.7.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 227).

Sowjetische Demontagen

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Erst ab dem 18. bzw. 23. Juli 1945 konnten wieder Züge zwischen Falkenberg und Wittenberg bzw. Falkenberg und Riesa verkehren. Die Strecke von Falkenberg nach Bad Liebenwerda blieb sogar noch bis zum 22. August 1945 unpassierbar.43 Erst nachdem sich die vielen im Frühjahr 1945 entstanden sowjetischen Demontagekommissionen einen allgemeinen Überblick über die industrielle Struktur des Untersuchungsgebiets verschafft hatten, begann auch hier im Juni 1945 die Demontage von ganzen Betrieben. Als ersten zu demontierenden Betrieb im Untersuchungsgebiet suchte sich die Besatzungsmacht das Ferro- und Chemowerk der Alexander-Wacker AG in Mückenberg heraus. Diese beiden erst im Jahr 1936 bzw. 1938 entstandenen Werke gehörten zu den modernsten in ganz Deutschland und beschäftigten im Jahr 1944 insgesamt 1834 Personen.44 Im Ferrowerk wurden u. a. kriegswichtige Produkte für die Rüstungsindustrie wie Ferrochrom und Ferrosilizium erzeugt, während im Chemowerk Zusätze für die Lackherstellung sowie Sauerstoff für Schweißzwecke, Pressluft und Stickstoff hergestellt wurden.45 Kurz bevor die ersten Einheiten der Roten Armee Mückenberg erreichten, legte die deutsche Werksleitung beide Werke still. Ohne zunächst eine klare Demontageabsicht verfolgt zu haben, übernahm die Rote Armee einige Tage nach ihrer Ankunft die Überwachung des Werksgeländes. So konnte sich zunächst die nicht geflüchtete deutsche Werksleitung unter der Führung von Richard Behles (Ferrowerk) und Dr. Josef Heckmaier (Chemowerk) mit dem Einverständnis des sowjetischen Werkskommandos um eine Wiederinbetriebnahme der beiden Werke bemühen. Ihr gelang es bis Anfang Juni 1945, den Ferrosilizium-Ofen mit einer geringen Produktion wieder in Gang zu setzen. Jedoch wurde die Hoffnung der Werksleitung, die Produktion wieder in vollem Umfang aufnehmen zu können, schnell zerstört. Bereits am 26. Juni 1945 veranlasste eine angereiste Demontagekommission die erneute Stilllegung des Werks und entmachtete die deutsche Werksleitung.46 Letztere schrieb dazu am 18. Juli 1945 an die Provinzialverwaltung: „Wir machen Sie auf einen besonders schwerwiegenden Umstand aufmerksam und geben Ihnen Kenntnis, dass die Demontage, vor allem des Chemowerks, nur auf Grund einer mündlichen Mitteilung der hier weilenden Militärkommission

43 Vgl. Schwarick, Chronik der Stadt Falkenberg/Elster, S. 113 f. 44 Betriebserhebung des Ferro- und Chemowerks Mückenberg vom 27.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 45 Vgl. Beschwerdeschreiben von Dr. Heckmaier an die Provinzialverwaltung vom 18.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 166). 46 Vgl. Werksleitung des Ferrowerks Mückenberg an die Industrie- und Handelskammer über die Weiterführung des Betriebs vom 17.10.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 114); Betriebsbeschreibung für das Ferrowerk Mückenberg (undatiert; LHASA, MD, K 31, Nr. 456, Bl. 103).

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unter Leitung von Herrn Oberst Melkkumljan durchgeführt werden muss. Ein schriftlicher Bescheid von einer alliierten oder allein russischen Militärkommission wurde uns nicht vorgelegt.“47 Die deutschen Besitzer bzw. Werksleitungen verloren bei der Demontage ihr Verfügungsrecht über ihre Betriebe und unterlagen nun den Anweisungen der Demontagekommissionen. Man konnte hierbei von einer ersten von der Besatzungsmacht inszenierten Enteignungswelle sprechen. Wie willkürlich die Demontagekommissionen mit den deutschen Besitzern bzw. Werksleitungen umgingen, belegte das Beispiel der Demontage der Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer, die ab Ende Juli 1945 einsetzte. Nachdem sich die deutsche Werksleitung hier bemühte den Betrieb mit zahlreichen Eingaben zu retten, erhielt diese am 10. Oktober 1945 den Befehl, das Verwaltungsgebäude innerhalb von drei Tagen zu verlassen und in den nicht demontierten Betriebsteil, die Bronzegießerei, umzuziehen.48 Obwohl es aus den deutschen Quellen meist nicht ersichtlich war, welche Institution genau die Demontagen anordnete, kann man annehmen, dass es sich wohl oftmals um Sonderverwaltungen für Montagen (OMU) einzelner Volkskommissariate handelte, die durch die SBZ reisten und Objekte zur Demontage suchten. In den Quellen wurde z. B. oftmals von „Vertreter(n) des Volkskommissars“ gesprochen, die die Betriebe zur Demontage beschlagnahmten.49 Da allerdings in vielen Fällen auch die deutschen Werksleitungen kaum Einblick in die Strukturen der Demontagekommissionen erlangen konnten, war diese Frage nur schwer zu beantworten. Zur Frage, wer letztlich den Demontageeinsatz durchführte, konnte hingegen weit mehr gesagt werden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden vor allem Beutetruppen der Roten Armee eingesetzt, die sich zu einem großen Teil aus befreiten Zwangsarbeitern zusammensetzten. Mehrere Hundert ehemalige Zwangsarbeiter begannen z. B. am 10. Juli 1945 mit der Demontage des Ferround Chemowerks in Mückenberg. Besonders bei dem Einsatz dieser Arbeiter stellte sich aber schnell heraus, dass es sich hierbei zum großen Teil um ungelernte und undisziplinierte Arbeitskräfte handelte, die kaum in der Lage waren,

47 Beschwerdeschreiben von Dr. Heckmaier an die Provinzialverwaltung vom 18.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 166). 48 Vgl. Werksleitung des Mitteldeutschen Stahlwerkes Lauchhammer an die Kreisverwaltung vom 10.10.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 45); Werksleitung des Mitteldeutschen Stahlwerkes Lauchhammer an den Deutschen Stahlbau-Verband in Halle vom 16.10.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 44). 49 Protokoll über den Abbau des Werks R. Reiss, Werkstätten für Feinmechanik und Optik, Bad Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 97). Dem Liebenwerdaer Bürgermeister Bluhm und dem Abteilungsleiter Industrie und Handwerk im Kreis Liebenwerda, Sattler, wurde laut diesem Protokoll der für die Firma R. Reiss zuständige Demontageoffizier am 27.7.1945 als „Vertreter des Volkskommissars“ vorgestellt. Um welches Volkskommissariat es sich dabei handelte, wurde nicht erwähnt.

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die Demontage sachgerecht durchzuführen. Die deutsche Werksleitung berichtete z. B. dazu: „Auf Anordnung des ersten Werkskommandanten, Oberleutnant Bakumow, mussten Flüssigkeiten wie Acetaldehyd, Crotonaldehyd usw. mit dem aromatischem Geruch in die Kanalisation abgelassen werden, da die für die Demontage eingesetzten Ostarbeiter derartige Lösungsmittel für alkoholische Getränke hielten, wodurch eine Reihe von Todesfällen zu verzeichnen waren.“50 Da sich zum einen schnell herausstellte, dass die Beutetruppen oftmals kaum geeignet waren, die Demontage sachgerecht durchzuführen, und zum anderen die Demontageleistungen schnell einen solchen Umfang erreichten, welchen die Beutetruppen kaum mehr allein bewältigen konnten, begann die Besatzungsmacht immer mehr, deutsche Arbeitskräfte zur Demontage einzusetzen. Bereits zu Beginn des Abbaus des Ferro- und Chemowerks verlangte z. B. die Demontagekommission von der Gemeinde Mückenberg die Stellung von 100 zusätzlichen deutschen Arbeitern, die hauptsächlich aus den Werken der Bubiag abgezogen wurden.51 In der folgenden Zeit wurden immer wieder deutsche Arbeitskräfte für die Demontage einzelner Werke im Untersuchungsgebiet angefordert und von den Arbeitsämtern bzw. den Wirtschaftsbeauftragten der Kreise gestellt. In den Berichten zur Wirtschaftslage der beiden Kreisverwaltungen wurden diese plötzlichen Arbeitskräfteanforderungen oftmals kritisiert. Der Wirtschaftsbeauftragte des Kreises Schweinitz schrieb z. B. am 30. November 1945: „Die Anforderungen der einzelnen Kommandanturen der Besatzungsmacht für den Soforteinsatz waren sehr großen Schwankungen unterworfen. Hier nur einige Beispiele: Für die Kommandantur Jessen waren zur Montage am 19.11.1945 70 Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Für den 20., 21., 22.11.1945 waren für Rochau/Ost 40 Mann zum Verladen von Waggons gefordert. Die anderen täglichen Anforderungen sind gering.“52 Noch deutlicher wurde die Sprunghaftigkeit dieser Anforderungen in einem Bericht des Wirtschaftsbeauftragten vom 31. Mai 1946: „Am Dienstag, den 7. Mai, nachts halb 1 Uhr, wurde ich zur Kommandantur gerufen und bekam hier den Auftrag, statt der verlangten 200 Arbeitskräfte 800 Arbeitskräfte am Diensttag, den 7. Mai, früh 9 Uhr, für die Kabeldemontage zu stellen. Gemeinsam mit Herrn Pötsch ging ich an diese Aufgabe sofort heran und (es) waren dann auch 785 Arbeitskräfte zum Demontageeinsatz zur Stelle. Solche kurzfristigen Aufträge können nur durch Nachtarbeit und unter Zuhilfenahme der Dorfbürgermeister fristgerecht erledigt werden.“53

50 Werksleitung des Ferro- und Chemowerks Mückenberg an die Kreisverwaltung Liebenwerda über die Restbestände im Werk vom 20.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 9). 51 Vgl. Rundschreiben des Betriebsdirektors der Bubiag A. Göhlert an die Provinzialregierung vom 29.8.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 50). 52 Bericht über Wirtschaftslage und Arbeitseinsatz für die Zeit vom 1. bis 30.11.1945 im Kreis Schweinitz vom 30.11.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 9374, Bl. 46). 53 Bericht über Wirtschaftslage und Arbeitseinsatz für die Zeit vom 1. bis 31.5.1946 im Kreis Schweinitz vom 31.5.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 9374, Bl. 27 f.).

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Den größten Umfang nahm die Arbeitskräfterekrutierung für den Demontageeinsatz in der gesamten Provinz im März und April 1946 an. Am 12. März 1946 erließ die SMA in Halle den Befehl Nr. 033, der alle Ämter für Arbeit und Sozialfürsorge in der Provinz Sachsen aufforderte, unverzüglich 45 201 Arbeitskräfte zur Demontage zu stellen.54 Davon sollten allein 24 293 Arbeitskräfte bei der Demontage der Betriebe im Kreis Bitterfeld und 9 037 Arbeitskräfte bei der Demontage der Betriebe im Kreis Wittenberg eingesetzt werden.55 Insgesamt 278 Arbeitskräfte waren davon für den Demontageeinsatz im Kreis Liebenwerda vorgesehen.56 Der Kreis Liebenwerda musste 1 580 Arbeitskräfte und der Kreis Schweinitz 950 Arbeitskräfte für den Demontageeinsatz außerhalb des Kreisgebiets im März 1946 stellen.57 Um diese enorme Anzahl von Arbeitskräften erbringen zu können, sollten notfalls mit Unterstützung der Polizeibehörden Razzien in Lichtspieltheatern, Bahnhofsgebäuden und auf öffentlichen Plätzen durchgeführt werden. Jeder, der sich nicht, so die Anweisung, „einwandfrei ausweisen kann, wird zu diesem Sondereinsatz vermittelt“.58 Um den Demontageeinsatz schnellstmöglich zu gewährleisten, wurde von der SMA in Halle offensichtlich keine Rücksicht auf die ohnehin angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt genommen. Ganz im Gegenteil dazu verschärfte die SMA in Halle die Lage am 6. April 1946 nochmals. Da der Bedarf innerhalb der Provinz an Demontagearbeitern immer noch nicht gedeckt war, verlangte die SMA an diesem Tag nochmals zusätzlich 46 000 Arbeitskräfte von den Arbeitsämtern der Landkreise. Deren Arbeitskräfteplanung wurde damit nun vollends überdehnt.59 Um einen noch größeren Arbeitskräftemangel zu verhindern, schickten die Arbeitsämter allerdings zum großen Teil arbeitsunfähige Personen zu den Demontageeinsätzen. In Bitterfeld kamen z. B. am 25. und 26. März 1946 insgesamt 1 081 Personen zur Demontage an, wovon jedoch 699 (64,66 Prozent) nicht arbeitsfähig waren.60 Gleichfalls wurde der Einsatz vollkommen unzulänglich geplant. In Bitterfeld fehlten zunächst Unterkünfte und Verpflegung für die vielen Demontagearbeiter, sodass viele eingesetzte Demontagearbeiter schnell wieder auf eigene Verantwortung abreisten.61

54 Ausführungsbestimmung über den SMA-Befehl Nr. 033 des Provinzialamts für Arbeit und Sozialfürsorge vom 13.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 55). 55 Anlage über die Verteilung der Arbeitskräfte nach dem SMA-Befehl Nr. 033 vom Provinzialamt für Arbeit und Sozialfürsorge vom 12.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 57). 56 Vgl. ebd. 57 Ebd. 58 Vgl. Ausführungsbestimmung über den SMA-Befehl Nr. 033 des Provinzialamts für Arbeit und Sozialfürsorge vom 13.3.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 55). 59 Vgl. Anweisung des Bezirksamts für Arbeit und Sozialfürsorge Merseburg über den SMA-Befehl Nr. 033 an die Ämter für Arbeit und Sozialfürsorge vom 6.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 68 f.). 60 Ebd. 61 Vgl. ebd.

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Insgesamt wurden bis zum 18. April 1946 aus dem Kreis Liebenwerda 2 826 Arbeitskräfte und aus dem Kreis Schweinitz 2 031 Arbeitskräfte für den Demontageeinsatz nach dem SMA-Befehl Nr. 033 in der gesamten Provinz eingesetzt.62 Davon arbeiten 987 Arbeitskräfte aus dem Kreis Liebenwerda und 1 195 Arbeitskräfte aus dem Kreis Schweinitz in Bitterfeld.63 Auch in den darauffolgenden Monaten wurden immer wieder größere Arbeitskontingente zur Demontage in der gesamten Provinz angefordert. Zwar erreichten diese nicht mehr das Ausmaß wie im März und April 1946, doch wurden im Kreis Schweinitz am 28. August 1946 von insgesamt 646 eingesetzten Demontagearbeitern immer noch 370 Arbeiter außerhalb des Kreises eingesetzt.64 Insgesamt betrachtet, entzog der zur Demontage dienende Arbeitskräfteeinsatz der regionalen Wirtschaft wichtiges Arbeitskräftepotenzial. Bedenkt man, dass es z. B. im Kreis Schweinitz im August 1946 nur 30 570 erfasste arbeitspflichtige Personen gab, dann waren davon 2,1 Prozent in diesem Monat ständig zur Demontage eingesetzt.65 Rechnete man die teil nur wenige Tage dauernden spontan angeordneten Einsätze dazu, so erhöhte sich diese Zahl nochmals.66 Nahm man gleichfalls die Zahl der im August 1946 registrierten arbeitspflichtigen Personen als Grundlage, dann arbeiteten im März 1946 sogar 6,3 Prozent der Arbeitskräfte im Kreis Schweinitz allein für die Demontage.67 Der Demontageeinsatz entwickelte sich unter diesen Umständen zeitweise zu einem speziellen „Wirtschaftszweig“, der die Arbeitskräfte aus anderen Wirtschaftsbereichen abzog. Dabei musste nochmals ganz klar unterschieden werden zwischen dem Demontageeinsatz und den Reparationsaufträgen, die den noch intakten Betrieben von der Besatzungsmacht auferlegt wurden. Rechnete man den Umfang der zahlreichen Reparationsaufträge und die damit ­verbundene ­Arbeitskräftebeanspruchung mit ein, so ergab sich nochmals ein sehr viel höheres Maß für die von der Besatzungsmacht verlangte ­Arbeitskräftebeanspruchung.

62 Meldung des Bezirksamts für Arbeit und Sozialfürsorge über die Mobilisierung von Arbeitskräften an die Ämter für Arbeit und Sozialfürsorge vom 18.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 74). 63 Ebd. 64 Vgl. Meldung des Amtes für Arbeit und Sozialfürsorge Herzberg über den gegenwärtigen Bestand der noch zur Demontage von Betrieben eingesetzten Arbeiter an das Bezirksamt für Arbeit und Sozialfürsorge Merseburg vom 28.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 135–138). 65 Vgl. Wirtschaftlicher Monatsbericht des Landrats des Kreises Schweinitz für den August 1946 vom 7.9.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 572); Meldung des Amts für Arbeit und Sozialfürsorge Herzberg über den gegenwärtigen Bestand der noch zur Demontage von Betrieben eingesetzten Arbeiter an das Bezirksamt für Arbeit und Sozialfürsorge Merseburg vom 28.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 135–138). 66 Vgl. ebd. Allein in der Meldung vom 28.8.1946 wurden zusätzliche 240 eingesetzte Arbeitskräfte für die Kabeldemontage verzeichnet. 67 Vgl. Meldung des Amtes für Arbeit und Sozialfürsorge Herzberg an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen über die Mobilisierung von Arbeitskräften vom 26.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 12, Bl. 94). Im Kreis Schweinitz wurden demnach im März 1946 insgesamt 1 927 Arbeitskräfte zum Demontageeinsatz verpflichtet.

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Im Dezember 1946 waren z. B. insgesamt 19 nicht demontierte größere und kleinere Industrieunternehmen im Kreis Liebenwerda dazu verpflichtet, Reparationsaufträge für die Besatzungsmacht zu leisten.68 In der gesamten Provinz Sachsen mussten die Betriebe seit Beginn der Besatzung bis zum vierten Quartal 1947 Reparationsaufträge im Wert von 841998100 RM liefern.69 Allein an dieser Zahl ist zu erkennen, welches enorme Arbeitskräftepotenzial die sowjetischen Reparationslieferungen der deutschen Produktion entzogen. Die Erfassung des Gesamtschadens, der der Wirtschaft des Untersuchungsgebiets durch die Demontagen zugefügt wurde, war nur sehr schwer zu beziffern. Insgesamt wurden jedoch bis Mitte 1947 folgende Betriebe bzw. Anlagen in den beiden Landkreisen demontiert: Kreis Liebenwerda 1. Alexander Wacker AG Mückenberg (Ferro- und Chemowerk) 2. Bubiag Mückenberg (Teile des Kraftwerks II, Brikettfabrik Maria-Anne V, Tagebaueinrichtungen) 3. Mitteldeutsche Stahlwerke Lauchhammer AG (Kraftwerk, Brikettfabrik, Ober­-­ hammerwerk, Eisenwerk, Tagebaueinrichtungen) 4. R. Reiss KG, Feinmechanik und Optische Werke, Bad Liebenwerda 5. Steingutfabrik GmbH, Elsterwerda 6. Vereinigte Grödener Tonwerke GmbH 7. Plessaer Braunkohlewerke GmbH (Tagebaueinrichtungen) 8. Maschinenfabrik Hans-Erich Rose GmbH, Elsterwerda 9. Mitteldeutsche Keramische Dauerbrandofenfabrik GmbH, Elsterwerda 10. Ofenfabrik Wilhelm Engelmann GmbH, Lauchhammer 11. Schamotte-Ofenfabrik Tietze & Schneider GmbH, Bad Liebenwerda 12. Elektrizitätsverband Gröba/Plessa (Teile des Plessaer Kraftwerks) 13. Elektrizitätswerk, Überlandwerk Falkenberg Kreis Schweinitz 1. HASAG Schlieben 2. Armaturenfabrik Marx & Moschütz, Herzberg 3. Möbelfabrik „Paul Schlieben“ GmbH, Herzberg 4. Zweigbetrieb Julius Pintsch AG, Maschinenbau, Herzberg 5. Luftmunitionsanstalt Rochau 6. Deutschlandsender Herzberg70 68 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage des Kreises Liebenwerda vom 5.1.1947 (­LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 300–302). 69 Vgl. Manfred Wille, Die Industrie Sachsen-Anhalts im Spannungsfeld zwischen Neuaufbau, Besatzungsregime und gesellschaftlichen Umbrüchen 1945–1947. In: Buchheim (Hg.), Wirtschaftliche Folgelasten, S. 159. 70 Vgl. Liste der demontierten Betriebe innerhalb der Provinz Sachsen (Stand Ende Mai 1946; LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 32 f.); Liste der neuen Demontagen seit dem

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Der Großteil der Demontagen erfolgte bereits im Jahr 1945. Noch bevor die Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 endete, auf der erstmals eine verbindliche Regelung bezüglich der Reparationen festgelegt wurde, demontierte die sowjetische Besatzungsmacht im Untersuchungsgebiet bereits das Ferround Chemowerk in Mückenberg, die HASAG in Schlieben, die R. Reiss KG in Bad Liebenwerda und große Teile der Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer.71 Dies war von besonderer Bedeutung, da nach dem Willen Stalins alles, was vor dem 2. August 1945 abgebaut wurde, nicht auf die in Potsdam ausgehandelte Reparationsmenge angerechnet werden sollte, da es unter die Kategorie Kriegsbeute fiel.72 Im August und September 1945 gingen die Demontagen im Untersuchungsgebiet ungehindert weiter. In diesen beiden Monaten begann man mit dem Abbau von Teilen des Kraftwerkes II der Bubiag in Mückenberg, der Steingutfabrik in Elsterwerda, des Tonwerkes in Gröden und des Armaturenherstellers Marx & Moschütz in Herzberg.73 Die dritte Demontagewelle setzte erst im Frühjahr 1946 ein. Ihr fielen die drei Ofenfabriken in Bad Liebenwerda, Elsterwerda und Lauchhammer, die Möbelfabrik Paul Schlieben in Herzberg und die teilweise zerstörte Maschinenfabrik Hans-Erich Rose in Elsterwerda zum Opfer.74 Eine vierte und letzte Demontagewelle erfasste das Untersuchungsgebiet schließlich Ende 1946/Anfang 1947. Diese bezog sich vor

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11.3.1946 vom 29.3.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 4268, Bl. 120 f.). Vgl. zur Demontage der Brikettfabrik Marie-Anne V: Meldung der Werksleitung der Bubiag über die Produktionsziffern für das 1. Quartal 1947 an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 6.2.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 22). Vgl. Betriebsbeschreibung für das Ferrowerk Mückenberg (undatiert; LHASA, MD, K 31, Nr. 456, Bl. 103); Schreiben über die Schließung des Gemeinschaftswerks Schlieben durch die sowjetische Militärkommandantur Herzberg vom 20.2.1946 (LHASA, MD, K 2, Nr. 1588, Bl. 311); Protokoll über den Abbau des Werks R. Reiss, Werkstätten für Feinmechanik und Optik, Bad Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 97). Hierin wurde festgestellt, dass die Demontage am 28.7.1945 begonnen hatte. Vgl. zum Beginn der Demontage der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer AG: Werksleitung der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer an den Stabschef der SMAD Generaloberst Kurmaschow vom 26.7.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 86). Vgl. Musial, Stalins Beutezug, S. 305 f. Vgl. Besuchsbericht anlässlich des Amtsantritt des neuen Werksdirektors der Bubiag, Dr. Rexrodt, vom 8.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 466); Antrag der Steingutfabrik Elsterwerda auf Freigabe des demontierten Betriebs und Genehmigung des Wiederaufbaus vom 31.12.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 106). Hierin wurde erwähnt, dass obwohl der Betrieb bereits im Juli 1945 beschlagnahmt wurde, der Abbau der Steingutfabrik erst am 1.9.1945 begann. Vgl. zum Beginn der Demontage der Vereinigten Grödener Tonwerke: Betriebsdirektor der Vereinigten Grödener Tonwerke Karl Möller an die Industrie- und Handelskammer in Halle vom 19.9.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 150); Wilhelm Marx an die Provinzialverwaltung vom 14.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 92). In diesem Schreiben wurde festgehalten, dass die Demontage der Armaturenfabrik Marx & Moschütz am 17.9.1945 begann. Vgl. Liste der neuen Demontagen seit dem 11.3.1946 vom 29.3.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 4268, Bl. 120 f.).

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allem auf die Kohleindustrie sowie auf einzelne moderne Kommunikationsanlagen, wie z. B. den Deutschlandsender in Herzberg. Während dieser Demontagewelle wurde u. a. die modernste, erst im Jahr 1941 fertiggestellte Brikettfabrik der Bubiag Marie-Anne V im Frühjahr 1947 abgebaut.75 Bei näherer Betrachtung der Liste demontierter Betriebe und Anlagen fällt auf, dass vor allem die modernsten und wettbewerbsfähigsten Betriebe und Anlagen in den jeweiligen Wirtschaftszweigen abgebaut wurden. Während der Demontage der Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer wurden beispielsweise das moderne Montagewerk Oberhammer, das Eisenwerk, die Brikettfabrik und große Teile des Kraftwerks demontiert. Die Besatzungsmacht zeigte hingegen kein Interesse für die alte Bronzegießerei der Mitteldeutschen Stahlwerke.76 Ebenso verhielt es sich bei der Bubiag, die am 1. Oktober 1946 in zwei Betriebsteile, einen provinzeigenen Betrieb und eine sowjetische Aktiengesellschaft (SAG), aufgespalten wurde. Aus dem deutschen Unternehmensanteil wurde, wie bereits erwähnt, im Frühjahr 1947 die moderne Brikettfabrik Marie-Anne V demontiert. Der deutschen „Rest-Bubiag“ verblieben daraufhin nur noch die veralteten Brikettfabriken Milly und Marie mit weit weniger Produktionsumfang.77 Gleichfalls trifft die These der DDR-Geschichtsschreibung, dass ausschließlich nur Rüstungsbetriebe bzw. Betriebe von „Kriegsverbrechern“ und „aktiven Nationalsozialisten“ abgebaut wurden, nicht zu.78 Beispielsweise demontierte die Besatzungsmacht im Frühjahr 1946 die Möbelfabrik des ersten Schweinitzer CDU-Kreisvorsitzenden Hermann Schlieben, der seit dem Kriegsende aktiv am Wiederaufbau der kommunalen Verwaltung beteiligt war.79 Ebenso wurde in Elsterwerda die bereits teilweise durch den Bombenangriff vom 19. April 1945 beschädigte Maschinenfabrik Hans-Erich Rose GmbH abgebaut. Inhaber dieses Werks war der Elsterwerdaer Gaswerkdirektor Willy Rose, der kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee zum Bürgermeister der Stadt ernannt und

75 Vgl. Meldung der Werksleitung der Bubiag über die Produktionsziffern für das 1. Quartal 1947 an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 6.2.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 22). Neben der Demontage der Brikettfabrik Marie-Anne wurde im Jahr 1947 auch der Abbau des Deutschlandsenders Herzberg abgeschlossen. 76 Vgl. Besuchsbericht des Lauchhammer-Werks vom 8.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 6575, Bl. 437). 77 Vgl. Meldung der Werksleitung der Bubiag über die Produktionsziffern für das 1. Quartal 1947 an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 6.2.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 22). Zum Zustand der Brikettfabrik Milly schrieb die Werksleitung darin Folgendes: „Die Fabrik Milly ist im Jahre 1900 gebaut worden, ihre Einrichtungen sind veraltet und stark verbraucht, sodass es erforderlich ist, die Fabrik jeden Sonntag einer Durchsicht und Reparatur zu unterziehen […].“ 78 Vgl. z. B. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 56–59. 79 Vgl. Liste der neuen Demontagen seit dem 11.3.1946 vom 29.3.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 4268, Bl. 120 f.); Bericht über die Tätigkeit der KPD im Kreis Schweinitz vom 29.12.1945 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 43).

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später zum ehrenamtlichen Kreisrat der CDU gewählt wurde.80 Wie allein diese beiden Beispiele belegen, wurden die Demontagen nicht nach der Parteizugehörigkeit oder dem politischen Belastungsgrad der Betriebsinhaber vorgenommen, sondern lediglich nach der technischen Ausstattung sowie der wirtschaftlichen Effizienz. Allein an der Breite der betroffenen Wirtschaftszweige kann man erkennen, dass die Auswirkungen der Demontage auf die deutsche Wirtschaftsstruktur für die sowjetischen Demontagekommissionen eine untergeordnete Rolle spielten. So hatte die Demontage für die verschiedenen Betriebsstandorte erhebliche Folgen, von denen sich die regionale Wirtschaft nur langsam erholen konnte. Beispielsweise war es nach der Demontage nicht mehr möglich, das Chemowerk in Mückenberg wieder aufzubauen. Ferro- und Chemowerk erwirtschafteten im Jahr 1944 einen Umsatz von 34 210 000 RM bzw. 21 835 000 RM.81 Von einst im Jahr 1944 beschäftigten 1 834 Arbeitskräften blieben im Jahr 1947 im Ferro- und Chemowerk nur noch 76 Arbeitskräfte übrig, die sich in den wenigen verbliebenen Werksteilen u. a. mit der Herstellung von Äxten und Beilen sowie dem Beschlag von Handwagen befassten.82 Der Umsatz sank aus diesem Grund nahezu auf null. Den gesamten Demontageverlust bezifferte die sachsen-anhaltinische Landesregierung im Februar 1947 beim Chemowerk auf 20,1 Millionen RM sowie beim Ferrowerk auf 17 Millionen RM.83 Erst im Jahr 1951 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Chemowerks mit dem Bau der Lauchhammer Großkokerei begonnen, welche den Verlust des Werks wieder ausgleichen konnte.84 Gleichfalls verloren die Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer große Teile ihres Betriebs durch die Demontage. Betrug der Jahresumsatz bei den Mitteldeutschen Stahlwerken Lauchhammer im Jahr 1944 noch 57 090 000 RM, so schrumpfte dieser im Jahr 1946 auf lediglich 6 775 000 RM.85 Dies ­bedeutete einen Verlust von 88,13 Prozent. Zwar konnte man den ­Umsatzverlust nicht ausschließlich mit der Demontage erklären, da man dazu gleichfalls die Kriegsschäden, die Rohstoffknappheit, die Arbeitsmarktlage sowie die Infrastrukturprobleme mit einrechnen musste, doch macht man sich bewusst, dass die gewinnbringenden Werksteile wie das Montagewerk Oberhammer, das ­Eisenwerk,

80 Vgl. Liste der demontierten Betriebe innerhalb der Provinz Sachsen (Stand Ende Mai 1946; LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 32 f.); Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA ­Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). Willy Rose übernahm vor dem Kriegsende die Werksführung der Maschinenfabrik von seinem gefallenen Sohn. 81 Betriebserhebung des Ferro- und Chemowerks Mückenberg vom 27.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 82 Ebd. 83 Karlsch, „Rüstungsprovinz“ und Reparationsressource, S. 243. 84 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 97–99. 85 Angaben über den Betrieb der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer vom 23.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.).

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die Brikettfabrik, große Teile des Kraftwerkes sowie große Teile der Tagebaueinrichtungen demontiert wurden, so stellte der Abbau dieser Einrichtungen den wesentlichen Grund des Umsatzverlustes dar. Bestätigt wurde dies durch die Landesregierung, die den Demontageverlust bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Lauchhammer auf 44,4 Millionen RM bezifferte.86 Auch das größte Unternehmen im Mückenberger Ländchen, die Bubiag, verzeichnete aufgrund der Demontagen erhebliche Umsatzverluste. Trotzdem der Betrieb in den Werken der Bubiag schnell und mit einer hohen Produktion wieder anlief, sank der Umsatz des Unternehmens hauptsächlich aufgrund der Demontage von 40 317 000 RM im Jahr 1944 um 25,3 Prozent auf 30 118 571 RM im Jahr 1946.87 In einem Bericht vom 8. Oktober 1945 wurde dazu Folgendes festgestellt: „Durch den Abbau des Kraftwerks II mit 350 Tonnen Dampfleistung und 70 000 Kilowatt elektr. Leistung kann die Brikett-Produktion nicht auf die nach dem Kohlevorkommen und den Abbau-Einrichtungen möglichen Stand gebracht werden.“88 Den durch den Abbau des Kraftwerks II erzielten Demontageverlust bezifferte die Landesregierung später auf 9,2 Millionen RM.89 Berücksichtigt man, dass im Frühjahr 1947 noch zusätzlich die modernste Brikettfabrik der Bubiag Marie-Anne V abgebaut wurde, so fiel der Demontageverlust noch weit höher aus. Da allerdings die Bubiag später geteilt wurde, lassen sich die Auswirkungen auf den Umsatz im Jahr 1947 im Vergleich zum Stand von 1944 nur schwer errechnen. Allein die sinkenden Umsatzzahlen der drei größten Unternehmen des Untersuchungsgebiets veranschaulichen, welches enorme Kapital und welche enorme industrielle Kapazität der Region durch die Demontagen entzogen wurden. So entsprechen die im Jahr 1946 festgestellten Umsatzverluste der drei größten im Kreis Liebenwerda beheimateten Unternehmen etwa dem Gesamtumsatz der gesamten restlichen Industrie im Kreis Liebenwerda im Jahr 1946. Als Beleg dafür diente die Gesamtumsatzsumme der sequestrierten Industriebetriebe im Kreis Liebenwerda. Diese betrug im Jahr 1946 lediglich 17 004 424 RM.90 Die

86 Karlsch, „Rüstungsprovinz“ und Reparationsressource, S. 243. 87 Rentabilitätsprüfung der Sequester-Betriebe im Kreis Liebenwerda (vermutlich Anfang 1947; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 88 Besuchsbericht anlässlich des Amtsantritts des neuen Werksdirektors der Bubiag, Dr. Rexrodt, vom 8.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 466). 89 Karlsch, „Rüstungsprovinz“ und Reparationsressource, S. 243. 90 In diese Aufstellung flossen 26 Industriebetriebe ein. Dies waren die Phönicia-Werke in Elsterwerda, die Firma R. Reiss KG, die Schraubenfabrik Carl Winter in Elsterwerda, die Schraubenfabrik H. Keßler in Bad Liebenwerda, die Fahrradfabrik E.W. Reichenbach in Elsterwerda, die Maschinenfabrik R. Laube in Mückenberg, die Schraubenfabrik H. George in Elsterwerda-Süd, die Ortrander Eisenhütte, die Metallgießerei Poppe in Prösen, die Eisengießerei in Dolstheida, das Sägewerk Riehn & Gebhardt in Bockwitz, die Zeichen- und Gerätefabrik Gebrüder Schneider in Bad Liebenwerda, die Firma Friedrich Zucker in Kleinleipisch, die Möbelfabrik E. Maier in Bad Liebenwerda, der Holz- und Baustoffhandel R. Dörner in Bad Liebenwerda, die Dampfziegelei H. Werner in Mückenberg, der Straßenbaubetrieb H. Klumbis in Lauchhammer, die Elster-

Sowjetische Demontagen

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Liebenwerdaer Kreisverwaltung bezifferte schließlich den durch die Demontagen erlittenen Gesamtverlust für den Kreis im März 1947 auf ca. 100 Millionen RM.91 Somit muss besonders für das Untersuchungsgebiet festgestellt werden, dass die sowjetischen Demontagen ein Vielfaches mehr an Schäden für die Wirtschaft verursachten als die direkten Kriegsschäden, die zerstörte Infrastruktur oder der Rohstoffmangel zusammen. Besonders schwerwiegend waren die Demontagen für den ohnehin kaum industrialisierten Kreis Schweinitz. So wurde der Landkreis mit dem Abbau der HASAG Schlieben, dem Armaturenhersteller Marx & Moschütz und der Möbelfabrik Paul Schlieben nahezu vollständig deindustrialisiert. Als Folge der Demontagen existierte im Kreis Schweinitz am 25. April 1946 kein einziger industrieller Betrieb mehr, der über 100 Personen beschäftigte.92 In der demontierten Armaturenfabrik in Herzberg, wo vor dem Krieg ca. 300 Personen beschäftigt waren, verwalteten zu diesem Zeitpunkt lediglich zehn Personen die Reste des Betriebs.93 Nur die Blechwarenfabrik G. Fuhrmanns Sohn in Jessen, die allerdings seit Kriegsende unter Aufsicht der Roten Armee produzierte und am 25. April 1946 noch 87 Personen beschäftigte, konnte im Kreis Schweinitz noch als größerer Industriebetrieb angesehen werden.94 ­Zweitgrößter Arbeitgeber mit 65 Beschäftigten war zu dieser Zeit im Kreis Schweinitz die Firma Otto Zemter, die sich auf das Sammeln und den Verkauf von Heil- und Genussmitteln konzentrierte.95

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werdaer Kies- und Sandwerke E. Ratz in Haida, die Kurmärkische Bekleidungsanstalt in Mückenberg, das Säge- und Hobelwerk Carl Schrödter in Ortrand, die Gummiwarenfabrik Primeros in Ortrand, die Firma Gebrüder Rastig in Bockwitz, die Vereinigten Grödener Tonwerke, die Zuckerfabrik in Brottewitz, die Beutersitzer Kohlenwerke und die Plessaer Braunkohlenwerke. Eine Umsatzrechnung für die Anhaltinischen Kohlenwerke in Domsdorf lag für das Jahr 1946 nicht vor. Die Plessaer Braunkohlenwerke und die Zuckerfabrik Brottewitz erzielten mit 5 868 716 RM bzw. 5 522 220 RM den größten Umsatz von den aufgezählten Industriebetrieben. Von diesen Betrieben waren allerdings die Firma R. Reiss KG und die Vereinigten Grödener Tonwerke ebenso von einer Volldemontage sowie die Plessaer Braunkohlenwerke von einer Teildemontage betroffen. Vgl. Rentabilitätsprüfung der Sequester-Betriebe (vermutlich Anfang 1947; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Aufstellung der wichtigsten Industriebetriebe des Kreises Liebenwerda vom 29.4.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). Vgl. Bericht der Liebenwerdaer Kreisverwaltung über die allgemeine Lage (März 1947; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 309). Vgl. Verzeichnis über die im Kreise Schweinitz vorhandenen industriellen Betriebe vom 25.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 219, Bl. 80). Ebd. Ebd. Am 1.9.1945 besetzte die Rote Armee das Firmengelände der Firma Fuhrmann & Sohn vollständig und richtete dort eine Großreparaturwerkstatt ein. Nach der Verhaftung von Erich Fuhrmann am 24.9.1945 übernahm Leonard Marohn (Schwager von Helga Spannagel geb. Fuhrmann) die Betriebsleitung und erwirkte die Freigabe von 66 Maschinen aus dem Werk, mit denen er einen Ausweichbetrieb aufbaute. Vgl. Wolfgang Spannagel, Die Enteignung der Firma G. Fuhrmann’s Sohn, Frankfurt a. M. 2012 (Manuskript). Verzeichnis über die im Kreise Schweinitz vorhandenen industriellen Betriebe vom 25.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 219, Bl. 80).

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

Die Demontagen wirkten sich aber nicht nur auf den Umsatz der Unternehmen sowie auf die Arbeitsmarktlage aus, sondern hatten gravierende Auswirkungen auf das gesamte regionale Wirtschaftsgefüge. Beispielsweise fiel mit der Demontage des Chemowerks in Mückenberg der letzte noch intakte Erzeuger für Sauerstoff zwischen Berlin und Dresden weg. Da der hier erzeugte Sauerstoff vor allem für Schweißarbeiten benötigt wurde, die für den Wiederaufbau der Infrastruktur unerlässlich waren, bemühte sich die Provinzial- sowie die Kreisverwaltung intensiv darum, zumindest die Sauerstofferzeugungsanlage im Werk zu retten. Zwar konnte bewirkt werden, dass die Sauerstoffanlage auch zugunsten der Demontagekommission noch einige Monate parallel zum Abbau betrieben wurde, doch alle Einsprüche wurden schließlich abgelehnt und die Anlage im Frühjahr 1946 abgebaut, womit die Versorgung mit Flaschensauerstoff in der Region vorerst zusammenbrach.96 Von einem geordneten Demontageplan konnte unter diesen Umständen keine Rede sein. Besonders das Fehlen eines geordneten Abbauplans erschwerte aber den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft enorm. Ein Demontageplan, an dem sich die deutschen Werksleitungen orientieren konnten, hätte wohl zum einen mit sorgfältig geplanten Abbaumaßnahmen für die Sowjet­union mehr Wiedergutmachungsgewinne erzielt und zum anderen den deutschen Werksleitungen den geordneten Wiederaufbau der Werke erleichtert. Jegliche Einsprüche der deutschen Verwaltungen gegen die Demontagen mussten unter diesen Bedingungen nahezu zwangsläufig scheitern. Die deutschen Bürgermeister und die beiden Kreisverwaltungen bemühten sich zwar bei nahezu jeder Demontage, zumindest Schadensbegrenzung zu betreiben, doch blieb dies in jedem Fall ohne Erfolg. In den Archiven liegen zahlreiche dieser Protest- und Bittschreiben der deutschen Werksleitungen an die deutschen Verwaltungen vor.97 Doch selbst wenn diese die örtlichen, sehr viel besser

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97

Vgl. Beschwerdeschreiben von Dr. Heckmaier an die Provinzialverwaltung vom 18.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 166); Kreisverwaltung Bad Liebenwerda über die Sauerstoff-Erzeugung im Chemowerk Mückenberg an den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer in Halle vom 30.8.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 123); Kreisverwaltung Bad Liebenwerda über die Sauerstoff-Erzeugung im Chemowerk Mückenberg an den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer in Halle vom 14.9.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 122); Provinzialverwaltung über die Demontage bei der Firma Wacker-Chemie in Mückenberg an die Industrie- und Handelskammer in Halle vom 5.10.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 121); Werksleitung des Chemowerks über den Beginn der Demontage der Sauerstoffanlage an die Industrie- und Handelskammer in Halle vom 3.4.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 89). Vgl. z. B. Beschwerdeschreiben von Dr. Heckmaier an die Provinzialverwaltung vom 18.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 166); Werksleitung der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer an den Stabschef der SMAD Generaloberst Kurmaschow vom 26.7.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 86); Biehlaer Ortsbürgermeister an den Landrat Paul Paulick über den Erhalt der Steingutfabrik vom 16.8.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 123–126); Bittschreiben des Landrats Paul Jeß über den Erhalt der Armaturenfabrik Marx & Mo-

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mit den lokalen Bedingungen vertrauten Kommandanturen überzeugten, wie schädlich einzelne Demontagen für die lokale Wirtschaft waren, hatte dies nur in den seltensten Fällen eine Eindämmung der Demontage zur Folge. Um z. B. im demontierten Ferro- und Chemowerk zumindest die Wiederherstellung der Produktion zu gewährleisten, intervenierte die Liebenwerdaer Kreiskommandantur bei der im Werk ansässigen Demontagekommission sowie bei der SMA in Halle. Die deutsche Werksleitung musste allerdings am 27. Mai 1947 dazu resigniert feststellen: „Die Kreiskommandantur sowie die deutschen Dienststellen waren bemüht, die Demontagearbeiten in solchen Bahnen zu halten, dass ein Wiederaufbau möglich gewesen wäre. Leider sind diese Bemühungen aber ohne Erfolg geblieben.“98 Die Verantwortlichen der KPD bzw. SED versuchten zwar innerhalb der Provinz und im Untersuchungsgebiet, intern immer wieder eine Eindämmung der Demontage zu erwirken, doch nach außen vertraten sie jederzeit die offizielle Parteilinie, die den Abbau der Industrie ausschließlich als Entmilitarisierung und Wiedergutmachung darstellte.99 Dass diese sehr eingeschränkte Sicht kaum auf Zustimmung stieß, verdeutlichte ein interner Stimmungsbericht der Schweinitzer SED-Kreisleitung vom 3. Oktober 1946. Hierin wurde Folgendes erwähnt: „Man kann wohl behaupten, dass nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung die Demontagearbeiten der russischen Besatzungsmacht mit dem nötigen politischen Hintergrund erkannt hat […]. Lediglich bei Genossen der SED, allerdings dann auch nur bei politisch besonders Geschulten, wird die Demontage als das angesehen, was sie ist, nämlich als ein wichtiger Beitrag zur Entmilitarisierung Deutschlands und eine große Voraussetzung für unseren wirtschaftlichen Neuaufbau […]. Als ich vor Tagen einen Kaufmann fragte, wie er über die Tilgung der Reparationskosten denke, sagte er einfach: Erzählen Sie mir nichts, das sieht doch ein Blinder, dass man uns kaputtmachen will. Von Aufbau kann doch da keine Rede sein. Das nenne ich Abbau. Wenn Russland wirklich so ein reiches Land ist, dann braucht es sich von uns nichts zu holen, zumal sie ja bis zum letzten Telefonmast an den einzelnen Bahnstrecken alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist.“100 Die deutsche Bevölkerung erkannte offenbar den Widerspruch zwischen den Aussagen der KPD/ SED und den Absichten der Besatzungsmacht. Mit dem Anstieg der Zahl der

schütz an den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer in Halle vom 19.9.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 201); Werksdirektor der Vereinigten Tonwerke Gröden und des Bürgermeisters Willy Thiele über den Erhalt des Werkes an die Provinzialverwaltung vom 29.10.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 141).  98 Betriebserhebung des Ferro- und Chemowerks Mückenberg vom 27.5.1947 (KA Herz­ berg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.).  99 Die Frage der Demontagen wurde zwar gelegentlich im SED-Parteivorstand der Provinz Sachsen diskutiert, doch zu einer klaren ablehnenden Haltung fand die Partei nie. Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 228 f. 100 Abschrift des Informationsberichtes des Informationsdienstes der SED Kreis Schweinitz vom 3.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.).

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

demontierten Betriebe sank also nicht nur die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, sondern auch das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Besatzungsmacht sowie in die KPD/SED. So waren die maßlosen sowjetischen Demontagen, neben den zahlreichen Morden, Plünderungen und Vergewaltigungen am Anfang der Besatzungszeit, hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die sowjetische Besatzungsmacht nie das Vertrauen breiter Teile der deutschen Bevölkerung gewinnen konnte. In allen demontierten Betrieben dauerte es Jahre, bis der Maschinenbestand zumindest wieder ausgeglichen werden konnte. So blieb ein Modernisierungseffekt durch die Demontagen weitestgehend aus, da die Werksleitungen zunächst nur auf alte Maschinen zurückgreifen konnten. Erst Anfang der 1950er-Jahre, z. B. mit dem Bau der Großkokerei in Mückenberg, wurden die dringend notwendigen Investitionen durchgeführt, welche die unmittelbaren Demontagefolgen behoben. Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit war aber auch, dass ohne den unbedingten Aufbauwillen der deutschen Werksleitungen und Belegschaften, die trotz der widrigsten Umstände versuchten, jeden einzelnen demontierten Betrieb im Untersuchungsgebiet zu erhalten, die Folgen der Demontage noch gravierender gewesen wären. Dennoch gelang es trotz dieses Einsatzes nicht, alle Betriebe zu erhalten. Der drittgrößte Arbeitgeber im Kreis Liebenwerda, das Mückenberger Chemowerk, die HASAG in Schlieben und die Maschinenfabrik Hans-Erich Rose GmbH in Elsterwerda konnten beispielsweise nach der Demontage nicht wieder aufgebaut werden.101

3.

Die Enteignung und Entnazifizierung der Wirtschaft

3.1

Die erste Phase der Enteignungen nach dem Kriegsende

Um die erste Enteignungsphase richtig verstehen zu können, war es zunächst erforderlich, den Verbleib der rechtmäßigen deutschen Besitzer bzw. Werksleitungen der großen Industriebetriebe nach dem Einmarsch der Roten Armee zu klären. Genauso wie bei den Großgrundbesitzern oder auch den NSDAP-Funktionären war deren Verhalten kurz vor der Ankunft der sowjetischen Truppen vollkommen unterschiedlich. Lediglich die Einstellung der Produktion erfolgte

101 Auf dem HASAG-Gelände in Schlieben entstand nach der Freigabe des Betriebs am 27.11.1945 das Gemeinschaftswerk Schlieben, welches sich zunächst mit der Verarbeitung der zurückgelassenen Rohstoffe befasste und später zum holzverarbeitenden Betrieb umgebaut wurde. Vgl. Schreiben über die Schließung des Gemeinschaftswerks Schlieben durch die sowjetische Militärkommandantur Herzberg vom 20.2.1946 (LHASA, MD, K 2, Nr. 1588, Bl. 311); statistische Unterlagen über die Industriebetriebe des Kreises Schweinitz vom 21.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 285, Bl. 26). Eine industrielle Produktionsstädte in der Größe der HASAG wurde auf dem HASAG-Gelände in Schlieben nicht mehr eingerichtet.

Enteignung und Entnazifizierung der Wirtschaft

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in den meisten Werken einheitlich. Jedoch bedeutete dies nicht automatisch, wie es später die regionale DDR-Geschichtsliteratur oft darstellte, dass auf die Einstellung der Produktion die Flucht der Besitzer vor der Roten Armee folgte.102 Zwar flüchteten auch mehrere Besitzer bzw. Werksleitungen, doch war deren Flucht meist nur auf wenige Tage bzw. Wochen begrenzt. Eine Ausnahme bildete z. B. die Flucht von Friedrich Freiherr von Strombeck, der zusammen mit Elisabeth, Günther und Manfred Schmidt Eigentümer der Ortrander Eisenhütte GmbH war. Während Elisabeth und Günther Schmidt nach kurzer Flucht wieder nach Ortrand zurückkehrten, verließ von Strombeck am 21. April 1945 die Kleinstadt für immer.103 Freiherr von Strombeck war allerdings politisch äußerst belastet. Er trat bereits im Jahr 1929 in die NSDAP ein und war bis 1934 erster Ortrander NSDAP-Ortsgruppenleiter. Zudem wurde er am Ende des Kriegs zum örtlichen Volkssturmkommandeur berufen.104 Ebenso flüchtete der Besitzer der Bad Liebenwerdaer Möbelfabrik, Erwin Meier, der von 1931 bis 1945 NSDAP-Mitglied, vorübergehend NSDAP-Kreis­ amtsleiter und „SS-Sonderführer“ im Osten war.105 Auch der Inhaber der großen Bockwitzer Autoreparaturwerkstatt, Otto Rastig, der gleichfalls Obersturmführer im NSKK war, flüchte vor dem Eintreffen der Roten Armee und kehrte nicht mehr in seine Heimatgemeinde zurück. Laut einem Bericht floh er mit 12 bis 15 Wagen von Bockwitz in Richtung Westen.106 Wie an den erwähnten Beispielen zu erkennen war, spielte die politische Verstrickung in das NS-System für eine dauerhafte Flucht eine entscheidende Rolle. Andere, die hingegen nur den Kriegshandlungen und den erwarteten Übergriffen der Roten Armee entfliehen wollten, kamen meist schnell wieder zurück. Beispielsweise blieb nahezu der gesamte Vorstand der Bubiag unter der Leitung von Dr. Karl Leising, der aufgrund der ersten starken Luftangriffe im Frühjahr 1944 den Vorstandssitz von Berlin nach Mückenberg verlegen ließ, in der Gemeinde.107 Aber auch die Werksleitung des Ferro- und Chemowerks blieb in

102 Vgl. Kommission für Betriebsgeschichte des VEB Braunkohlenkombinats Lauchhammer (Hg.), Bergarbeiterland im Aufbruch. Geschichte des VEB Braunkohlenkombinat Lauchhammer, Band I, Berlin (Ost) 1969, S. 252. 103 Vgl. Betriebserhebung der Ortrander Eisenhütte GmbH vom 30.5.1945 (KA ­Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 104 Vgl. ebd.; Beurteilung von Freiherr Friedrich von Strombeck vom 10.12.1945 (StA Ortrand, Nr. 711, unpag.). 105 Vgl. Aufstellung vom 27.5.1945 über die Personen, die den Kreis und die Stadt Bad Liebenwerda verlassen haben (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 37, unpag.); Betriebserhebung der Möbelfabrik Erwin Meier vom 30.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 106 Vgl. Meldung zur Erfassung der Autoreparaturwerkstatt Geb. Rastig unter den SMAD-Befehl Nr. 124 vom 15.1.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 107 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66).

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Mückenberg. Sie versuchte, wie bereits erwähnt, beide Werke vor der totalen Demontage zu retten.108 Selbst der als SA-Standartenführer stark belastete Besitzer der Plessaer Braunkohlenwerke GmbH, Friedrich von Delius, kehrte nach kurzer Flucht wieder nach Plessa zurück. Ebenso blieb die Familie Marx im April 1945 in Herzberg, obwohl der stellvertretende Betriebsleiter Bernhard Marx Abwehrbeauftragter zum Schutz gegen Sabotage und Verrat beim Rüstungskommando in Halle gewesen war. Der langjährige Betriebsleiter Wilhelm Marx war hingegen nur einfaches Parteimitglied.109 Gleiches traf auch auf die Jessener Familie Fuhrmann zu. So blieben der Betriebsleiter der Blechwarenfabrik, Erich Fuhrmann, sowie der Betriebsleiter der Fuhrmannschen Möbelfabrik (Hartmutwerk), Hugo Fuhrmann, in Jessen.110 Letzterer nahm sich allerdings einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee am 24. April 1945, wahrscheinlich nachdem er miterleben musste, wie sein Werk sowie seine Villa von Soldaten der Roten Armee besetzt und geplündert wurden, das Leben.111 Dies belegt, dass viele Betriebsbesitzer und Werksleitungen im Untersuchungsgebiet nicht ihre Betriebe aufgaben und in Richtung Westen flüchteten, sondern in vielen Fällen den festen Willen besaßen, auch unter sowjetische Besatzung ihre Betriebe weiterzuführen. Der Wunsch, die Betriebe weiterführen zu wollen, stand allerdings oftmals in direktem Widerspruch zu den Absichten der neu eingesetzten deutschen kommunistischen Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen. Exemplarisch für die erste Enteignungswelle soll an dieser Stelle das Beispiel der Enteignung der Bubiag, des größten Unternehmens des Untersuchungsgebiets, genauer betrachtet werden. An der Spitze des Vorstandes der Bubiag stand, wie bereits erwähnt, Dr. Karl Leising, der gleichfalls auch die technische Leitung der Bubiag-Werke innehatte. Er verblieb u. a. mit dem Vorstandsmitglied und juristischem Leiter des Betriebs, Dr. Karl Schnabel, dem kaufmännischen Leiter Herrn Heinicke und dem Mückenberger Verwaltungsdirektor der Bubiag Herrn Thiele am 21. April 1945 vor Ort.112 Die Mehrheit des Aktienkapitals der Bubiag besaß kurz vor Kriegsende die Schaffgottsche Bergwerks GmbH. Deren Geschäftsführer Dr. Berger wurde mit der Übernahme der Aktienmehrheit zum Vorsitzenden

108 Vgl. Beschwerdeschreiben von Dr. Heckmaier an die Provinzialverwaltung vom 18.7.1945 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 43, Bl. 166); Betriebsbeschreibung für das Ferrowerk Mückenberg (undatiert; LHASA, MD, K 31, Nr. 456, Bl. 103). 109 Vgl. Wilhelm Marx an die Provinzialverwaltung vom 14.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 92). 110 Vgl. Einspruch von Maria Fuhrmann gegen die Beschlagnahme des Vermögens von Erich Fuhrmann vom 12.2.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 19); Bericht des Finanzamtes Herzberg über die Durchführung der Befehle der SMA Nr. 124 und 126 vom 18.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 102). 111 Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Jessen 1945. 112 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 1–3 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66).

Enteignung und Entnazifizierung der Wirtschaft

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des Aufsichtsrats der Bubiag ernannt. Dr. Berger verstarb allerdings bereits im März 1945. Da auch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Geiger kurz nach Kriegsende ums Leben kam und die Mehrheit der übrigen Aufsichtsratsmitglieder in den Wirren der letzten Kriegstage nicht greifbar war, war dieses Gremium nach dem Einmarsch der Roten Armee nicht mehr beschlussfähig.113 Dennoch ordnete der Vorstandsvorsitzende Dr. Leising kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee an, dass die Werke soweit wie möglich weiterbetrieben werden sollten.114 Ganz im Gegensatz zu der Behauptung der regionalen DDR-Geschichtsliteratur, die den Vorstandsmitgliedern die Flucht unterstellte, gelang es Dr. Leising – zusammen mit der gesamten Belegschaft – zumindest einen Teil des Werks betriebsfähig zu halten.115 In einem späteren Verhör sagte er dazu: „Dadurch, dass ich mich restlos eingesetzt habe, ist es gelungen, den Betrieb der Wasserund Lichtversorgung aufrechtzuerhalten. Die Belegschaft hat sich einwandfrei gehalten. Tag für Tag bin ich durch die Betriebe gegangen und habe trotz der Widerstände und Schwierigkeiten den Leuten gut zugeredet. Ich habe immer wieder betont: Wir müssen den Betrieb aufrechterhalten, sonst ist das ganze Ländchen stromlos.“116 In der DDR-Geschichtsliteratur wurde diese Leistung hingegen allein der Belegschaft zugeschrieben.117 Dieser Umstand änderte sich jedoch mit der Einsetzung der neuen Mückenberger Gemeindeverwaltung am 30. April 1945. Der neue Mückenberger Bürgermeister und spätere Landrat, Paul Paulick, versuchte vom ersten Tag seiner Amtszeit an, die Bubiag unter seine Verfügungsgewalt zu stellen.118 Dafür wurden als Erstes der juristische Leiter Dr. Schnabel und der Verwaltungsdirektor Thiele vom NKWD verhaftet. Nur wenige Tage später, am 3. Mai 1945, traf diese Verhaftungswelle innerhalb der Bubiag auch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Leising.119 Zwar konnte kein unmittelbarer Beweis für die Verantwortlichkeit der Mückenberger Gemeindeverwaltung für diese Verhaftungen erbracht werden, doch übernahm diese sofort danach die Verfügungsgewalt über die Werke. Da der Katholik Dr. Leising, der erst 1941 in die NSDAP eintrat, sowie Dr. Schnabel zwischen 1933 und 1945 nie Amtsträger innerhalb der ­NSDAP waren, wurden beide wohl nicht aufgrund ihrer Rolle innerhalb der Partei

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Vgl. ebd., S. 6 f. Vgl. ebd., S. 1. Vgl. Bergarbeiterland im Aufbruch, Band I, S. 252. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 2 f. (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 117 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 15–17. 118 Die Absicht, die Verfügungsgewalt über die Bubiag-Werke zu erhalten, bestätigte Paul Paulick am 10.9.1945 in einem Schreiben an die Provinzialverwaltung. Vgl. Landrat Paul Paulick an die Provinzialverwaltung vom 10.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 73). 119 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 3 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66).

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v­ erhaftet.120 Für diese These spricht ebenso, dass Dr. Schnabel bereits einige Wochen später wieder vom NKWD entlassen wurde.121 Gleiches traf auch auf Dr. Leising zu, der vom 3. Mai bis zum 2. August 1945 in Lauchhammer, Ruhland und Elsterhorst festgehalten wurde und danach in seine Wohnung nach Sallgast zurückkehren konnte.122 Die Mückenberger Gemeindeverwaltung versuchte nach den Verhaftungen, innerhalb der Mückenberger Werksdirektion einen neuen loyalen Betriebsleiter zu finden. Der Bürgermeister Paul Paulick glaubte zunächst in Arthur Göhlert, der technischer Bearbeiter in der Mückenberger Werksdirektion war, diesen loyalen Mitstreiter gefunden zu haben.123 Zusammen mit der gesamten Belegschaft war es Arthur Göhlert daraufhin möglich, bereits am 7. Juni 1945 die Brikettfabrik Emanuel I sowie am 27. Juli 1945 die drei Brikettfabriken Emanuel II, Milly und Marie wieder in Betrieb zu nehmen. Ein Verdienst Göhlerts war es auch, dass er zusammen mit dem Prokuristen der zur Bubiag gehörenden Berliner Vertriebsfirma, Braunkohle und Brikett GmbH, den Absatz der Briketts besonders nach Berlin und in das umliegende Gebiet von Mückenberg sicherte.124 Trotz aller Anfangserfolge stellte aber Arthur Göhlert, der nie der NSDAP angehörte, schnell fest, dass mit den ständigen Eingriffen der Gemeindeverwaltung in den Betrieb die Wiederinbetriebnahme der Werke erheblich erschwert wurde. Hinter dem Rücken der Mückenberger Gemeindeverwaltung, die seit dem Weggang von Paul Paulick nach Bad Liebenwerda von dem Bürgermeister Rudolf Weber (KPD) geleitet wurde, versuchte Göhlert, die Eigenständigkeit des Betriebs zu wahren. Da auch formal der Bubiag-Geschäftssitz immer noch in Berlin-Charlottenburg beheimatet war, wo er vor dem Zugriff der sowjetischen Besatzungsmacht sicher war, versuchte Göhlert zusammen mit Herrn Dr. Schnabel und den Prokuristen der Berliner Vertriebsfirma Herrn Linz, eine neue Verwaltung des Unternehmens in Berlin aufzubauen. Aus diesem Grund ließen diese hinter dem Rücken der Gemeinde große Geldbeträge nach Berlin überweisen. So flossen vom 18. August bis zum 13. September 1945 insgesamt 670 000 RM von der Bubiag in Mückenberg nach Berlin. 125 Noch viel bedeutungsvoller war aber, dass Göhlert, Dr. Schnabel und Linz versuchten, den alten Vorstand sowie den Aufsichtsrat des Unternehmens wieder neu zu konstruieren. So bestellte der mittlerweile in Berlin-Charlottenburg

120 Vgl. ebd., S. 3, 10. 121 Vgl. Bericht über die Neubesetzung des Aufsichtsrates der Bubiag von Sigismund Angriss an die Provinzialverwaltung vom 6.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 30). 122 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 3 f. (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 123 Vgl. Landrat Paul Paulick an die Provinzialverwaltung vom 10.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 73). 124 Vgl. Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 3 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 125 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 39 f.

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sitzende Dr. Schnabel Ende August 1945 durch einen Berliner Registergerichtsspruch einen neuen Vertreter der Schaffgottschen Aktienmehrheit.126 Da der bisherige Vertreter der Aktienmehrheit Dr. Berger bereits im März 1945 verstarb, wurde Dr. Stephan als sein Nachfolger eingesetzt, der nach dem Plan Dr. Schnabels gleichfalls auch zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmt wurde.127 Mit dieser Bestellung war nun die Beschlussfähigkeit des Vorstandes sowie des Aufsichtsrats wieder gewährleistet. Die zwei Vorstandsmitglieder, Dr. Leising, der sich seit dem 2. August 1945 in Sallgast von seiner Haftzeit erholte, und Dr. Schnabel, sowie der neue Aufsichtsratschef Dr. Stephan wären nun in der Lage gewesen, eigenständige Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen, womit die Bubiag formal gesehen nicht mehr führungslos war. In dieser komplizierten Situation griff jedoch die Provinzialverwaltung ein. Sie veranlasste am 1. September 1945 mit ausdrücklicher Billigung des Präsidenten Hübener, dass die Bubiag in die Verfügungsgewalt der Provinz überging.128 Als rechtliche Grundlage dafür diente der Provinzialverwaltung der SMAD-Befehl Nr. 9, der neben der Wiederaufnahme der Industrieproduktion auch die Einsetzung eines Treuhänders für herrenlose Betriebe vorsah.129 Rein rechtlich gesehen überschritt allerdings die Provinzialverwaltung mit der Übernahme der Verfügungsgewalt über das gesamte Unternehmen ihre im Befehl Nr. 9 gewährten Vollmachten. Ausdrücklich wurde darin festgelegt, dass die Provinzialverwaltung nur in „von Inhabern verlassenen Werken“ Direktoren und Oberingenieure einsetzen durfte.130 Ob die dortige Abteilung für Wirtschaftsfragen unter der Führung des Sozialdemokraten Thape zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis über die Vorgänge in Berlin hatte, kann bezweifelt werden. Es deutete aber auch nichts darauf hin, dass die Provinzialverwaltung ausführlich geprüft hätte, ob das Unternehmen tatsächlich herrenlos war. Dass die Reorganisationsbemühungen der Bubiag in Berlin der Auslöser für das Eingreifen der Provinzialverwaltung waren, konnte wohl ausgeschlossen werden. Vielmehr richtete sich das Vorgehen der Provinzialverwaltung gegen die Eingriffe der Gemeinde Mückenberg in den Betrieb, von denen sie u. a.

126 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 12 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 127 Vgl. ebd., S. 8; Bericht über die Neubesetzung des Aufsichtsrates der Bubiag von Sigismund Angriss an die Provinzialverwaltung vom 6.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 30). Dieser Vorgang stützte sich auf den § 89 des Aktiengesetzes von 1937. Demnach konnte ein beschlussunfähiger Aufsichtsrat durch den Antrag des Vorstandes per Registergerichtsbeschluss ergänzt werden. 128 Die Anordnung vom 1.9.1945 war selbst nicht erhalten. Vgl. Bericht über die Neubesetzung des Aufsichtsrats der Bubiag von Sigismund Angriss an die Provinzialverwaltung vom 6.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 30). 129 Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 130 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 9. Über die Ingangsetzung der Industrie usw. vom 21.7.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 14.

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durch die Mückenberger Werksdirektion genaue Kenntnis besaß.131 Die Motive für den Schritt der Provinzialverwaltung wurden in einem Brief des Präsidenten Hübener an den Bezirkspräsidenten in Merseburg vom 7. September 1945 deutlich. Hierin schrieb er: „Im Falle der Bubiag habe ich bereits von mir aus die Überführung des Betriebs in den Besitz der Provinz eingeleitet und beabsichtige hiermit auch, die Reorganisation des Unternehmens zu verbinden. Es muss gewährleistet sein, dass derartige Maßnahmen, die nur von mir durchgeführt werden können, nicht durch den Bürgermeister gestört werden.“132 Der Präsident der Provinz, wohl immer noch in dem Glauben, dass das Unternehmen herrenlos wäre, versuchte offensichtlich mit der Übernahme, nicht die Enteignung der Bubiag durch die Gemeinde zu bestätigen, sondern vielmehr der Gemeinde die Verfügungsgewalt zu entziehen. Dieser Schritt diente wohl zuallererst dazu, kommunale Eingriffe in die Eigentumsstruktur zu verhindern. Die Provinzialverwaltung stellte dabei klar, dass der Erlass vom 1. September 1945 nicht die sofortige Enteignung des Unternehmens bedeutete, sondern, wie auch Hübener schrieb, u. a. zur Reorganisation des Unternehmens dienen sollte.133 Aber auch wenn die Provinzialverwaltung vor allem die ungesetzlichen Eingriffe der Gemeinde damit stoppen wollte, kam dieser Beschluss vor allem für den alten Vorstand und Aufsichtsrat einer Enteignung gleich. Aus diesem Grund protestierte vor allem der alte Vorstand zusammen mit der Werksdirektion gegen diesen Beschluss. Arthur Göhlert verwies z. B. da­rauf, dass große Teile der Tagebaue der Bubiag gar nicht in der Provinz Sachsen, sondern in der benachbarten Provinz Brandenburg lagen.134 Zur gleichen Zeit versuchte Dr. Schnabel bei dem Präsidenten der deutschen Zentralverwaltung für Brennstoff und Energie, Dr. Friedensburg (CDU), Protest gegen das Vorgehen der Provinz Sachsen einzulegen.135 Dr. Schnabel gelang es, Dr. Friedensburg für seine Anliegen zu gewinnen. Dr. Friedensburg war zunächst fest entschlossen, mit dem Präsidenten Hübener über die Bubiag zu sprechen. Aus diesem Grund bat dieser am 10. September 1945 um ein Treffen mit dem Präsidenten für den 19. September 1945 in Halle.136 Parallel dazu unternahmen Dr. Schnabel, Dr. Stephan und Linz am 15. September 1945 eine Reise in die Provinz Sachsen,

131 Vgl. Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 132 Präsident der Provinz Sachsen an den Bezirkspräsidenten in Merseburg über ungesetzliche Eingriffe der Gemeindeverwaltung von Mückenberg in das Wirtschaftsleben vom 7.9.1945 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 694 III, unpag.). 133 Vgl. ebd.; Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 8 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 134 Vgl. Direktor Arthur Göhlert an Dr. Karl Schnabel vom 2.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 46–52). 135 Vgl. Bericht über das vorliegende Belastungsmaterial in Sachsen Göhlert (undatiert; LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 38 f.). 136 Vgl. Dr. Friedensburg an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 10.9.1945 (­LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 391).

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wo diese mit dem Präsidenten Hübener und Ernst Thape zusammentrafen. Wie der Vorstandsvorsitzende Dr. Leising mit Bezug auf Dr. Schnabel in einem späteren Verhör ausführte, verlief diese Besprechung „durchaus harmonisch“.137 Von Halle aus reisten die drei Personen weiter nach Bad Liebenwerda, wo sie am Abend dieses Tages mit dem Landrat Paul Paulick eine Unterredung führten.138 In dieser Besprechung wurde dem Landrat die neue Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Bubiag erklärt. Paulick kritisierte seinerseits den Beschluss der Provinzialregierung, zeigte sich aber kompromissbereit, sodass die Delegation am Abend hoffnungsvoll nach Mückenberg weiterfuhr, um dort im Werksgasthof der Bubiag zu übernachten.139 Der Landrat nahm allerdings sofort nach der Abfahrt der Bubiag-Vertreter Kontakt zum NKWD auf. Wie am 27. September 1945 in der Volkszeitung für die breite Öffentlichkeit zu lesen war, veranlasste der Landrat Paulick beim NKWD die Verhaftung von Herrn Dr. Schnabel, Herrn Dr. Stephan und Herrn Linz sowie zusätzlich von Betriebsleiter Göhlert und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Leising.140 Am Nachmittag des 16. September 1945 wurden schließlich Dr. Stephan, Linz und Göhlert im Mückenberger Werksgasthof verhaftet. Dr. Schnabel, der von den Verhaftungen der anderen erfuhr, konnte sich zunächst zu Dr. Leising nach Sallgast absetzen, wo diese am 17. September 1945 ebenso festgenommen wurden.141 Begründet wurden diese Verhaftungen vom Landrat Paulick mit der illegalen „Neubildung einer Aktiengesellschaft“.142 Wie nicht nur der Zeitungsartikel vom 27. September 1945, sondern auch der Betriebsratsvorsitzende der Bubiag, Arthur Tetzel, bestätigte, war für diese Verhaftungen der Landrat Paul Paulick hauptverantwortlich.143

137 Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 4 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). 138 Vgl. ebd., S. 4 f. 139 Vgl. ebd., S. 5; Protestschreiben von Arnold Koepe gegen die Verhaftung von Dr. Schnabel, Dr. Stephan, Leising, Linz und Göhlert an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen vom 18.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 32 f.). 140 Vgl. Volkszeitung vom 27.9.1945, Nr. 39; Protestschreiben von Arnold Koepe gegen die Verhaftung von Dr. Schnabel, Dr. Stephan, Leising, Linz und Göhlert an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen vom 18.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 32 f.). 141 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 5 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66); Stellungnahme des Liebenwerdaer Kreisführers der Landpolizei Sandner über die Überwachung von Karl Leising an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 13.2.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 12). 142 Volkszeitung vom 27.9.1945, Nr. 39; Landrat Paul Paulick an den Vizepräsidenten Ernst Thape vom 3.1.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 29). 143 Vgl. Volkszeitung vom 27.9.1945, Nr. 39; Betriebratsvorsitzender Arthur Tetzel über eine Entschließung der Vertrauensmänner des FDGB in der Bubiag an die Provinzialverwaltung vom 19.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 390). Nicht die gesamte Belegschaft, sondern lediglich die Vertrauensmänner des FDGB wurden über die Veränderungen in der Bubiag von Arthur Tetzel informiert.

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Da der NKWD diese Verhaftungen vornahm, war es der sofort informierten Provinzialverwaltung nicht möglich einzugreifen. Sie schickte zwar bereits am 20. September 1945 einen Vertreter nach Bad Liebenwerda, um dort zur Klärung der Vorgänge Zugang zu den Häftlingen zu erhalten, doch wurde diesem der Zugang zu den Festgesetzten vom NKWD verwehrt.144 Der Landrat ­erreichte somit sein Ziel, die alte Spitze der Bubiag mit einem Schlag auszuschalten. Dr. Stephan, Linz und Dr. Leising wurden zwar nach einigen Tagen bzw. Wochen wieder freigelassen. Dr. Stephan und Linz zogen sich jedoch daraufhin nach Berlin zurück. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Karl Leising blieb zunächst noch im Kreis Liebenwerda, musste sich aber täglich bei der Mückenberger Gemeindeverwaltung melden.145 Viel härter traf es Göhlert und Dr. Schnabel. Arthur Göhlert wurde von Bad Liebenwerda in das NKWD-Speziallager Nr. 10 in Torgau überstellt, wo er bis zum 20. Juli 1948 festgehalten wurde.146 Für Dr. Schnabel endete die Verhaftung tödlich. Er wurde am 15. November 1945 von Bad Liebenwerda in das Speziallager Mühlberg verlegt, wo er unter den dortigen Bedingungen bereits am 26. April 1946 ums Leben kam.147 Obwohl Dr. Friedensburg, Dr. Stephan und die Provinzialverwaltung mehrere Versuche zur Freilassung der beiden Inhaftierten unternahmen, scheiterten alle ihre Bemühungen.148 Dr. Stephan, der ebenso 43 Tage in Bad Liebenwerda inhaftiert war, schrieb dazu am 31. Januar 1946 an den Präsidenten Hübener: „Herr Präsident! Ich bin als Nicht-Parteigenosse von den Nazis häufig durch Wort und Tat angegriffen worden, es blieb aber Landrat Paulick vorbehalten,

144 Vgl. Vernehmung des Direktors Leising durch den Präs. Dir. Mertens vom 20.9.1945, S. 1 (LHASA, MD, K 6, Nr. 2815, Bl. 54–66). Dem Präs. Dir. Mertens gelang es, am 20.9.1945 lediglich mit dem Vorstandsvorsitzenden Leising zu sprechen, der immer noch in Mückenberg festgehalten wurde. 145 Vgl. Dr. Stephan an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 31.1.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 24); Bittschreiben von Dr. Friedensburg über die Aufhebung der Meldepflicht für Karl Leising an die Provinzialverwaltung vom 10.11.1945 (­LHASA, MD, K 6, Nr. 5810). 146 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-­ Internierten. Als Haftgrund wurde bei Arthur Göhlert „Direktor einer Grube“ und „NSDAP-Mitglied“ angegeben. 147 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten; Übergabeprotokoll der Operativen Gruppe Bad Liebenwerda an das Speziallager Nr. 1 des NKWD der UdSSR vom 15.11.1945 (Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V., Nr. 347). Als Haftgrund wurde bei Dr. Karl Schnabel im Übergabeprotokoll „Direktor eines Werkes“ und „Blockleiter“ angegeben. 148 Vgl. z. B. Dr. Stephan an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 31.1.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 24); Bittschreiben von Dr. Friedensburg über die Aufhebung der Meldepflicht für Karl Leising an die Provinzialverwaltung vom 10.11.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810); Vermerk der Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft in der Provinzialverwaltung u. a. über die Bemühungen zur Freilassung von Arthur Göhlert und Dr. Karl Schnabel vom 8.2.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 22 f.); Vermerk der Hauptabteilung Wirtschaft in der Provinzialverwaltung über die Bemühungen zur Freilassung von Arthur Göhlert und Dr. Karl Schnabel vom 16.4.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 7).

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mir Wild-West-Methoden handgreiflich zu demonstrieren […]. Nach meinen eigenen Erfahrungen steht zu befürchten, dass Dr. Schnabel und Göhlert die Strapazen der langen Haft körperlich und seelisch nicht durchhalten. Es geht mir darum, zu verhindern, dass auf Grund der rechtswidrigen Handlung einer untergeordneten Dienststelle aus einem groben Unrecht noch ein Mord entsteht […].“149 Paul Paulick schrieb auf die Anfrage des Präsidenten der Provinz in dieser Angelegenheit am 26. Februar 1946 ganz unmissverständlich Folgendes zurück: „Ich lehne es ganz entschieden ab, mich für Menschen einzusetzen, die dem Wiederaufbau eines demokratischen Deutschlands störend im Wege standen und mit ihren Machenschaften die Arbeiterschaft zu betrügen beabsichtigten.“150 Die Verhaftungen am 16. und 17. September 1945 führten schließlich dazu, dass Dr. Friedensburg seinen für den 19. September 1945 geplanten Besuch bei dem Präsidenten Hübener absagte.151 Gleichfalls setzte die Mückenberger Bubiag, wohl in Absprache mit der Mückenberger Gemeindeverwaltung, eine neue Betriebsführung ein.152 Diesen erneuten Eingriff in das Unternehmen akzeptierte allerdings die Provinzialverwaltung diesmal nicht und bestimmte am 24. September 1945 einen neuen Vorstand der Bubiag. Als Vorstandsvorsitzender wurde Dr. Wilhelm Rexroth eingesetzt, der zum Gründerkreis der LDP in Halle gehörte und als enger Vertrauter des Präsidenten Hübener bezeichnet werden konnte. Neben Dr. Rexroth wurden die Mückenberger Ingenieure Hartung und Bährmann als Vorstandsmitglieder platziert.153 Mit der Berufung Rexroths sicherte sich die Provinzialverwaltung den direkten Zugriff auf die Bubiag und schaltete damit die Befugnisse der Mückenberger Gemeindeverwaltung weitestgehend aus. Wie die Provinzialverwaltung in mehreren Schreiben, in denen sie die spätere Sequestrierung der Bubiag durch die SMA anfocht, selbst anmerkte, liefen seit Beginn der Übernahme der Verfügungsgewalt durch die Provinz ­Bemühungen, um den Besitz der Bubiag in Provinzialeigentum zu

149 Dr. Stephan an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 31.1.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 24). 150 Landrat Paul Paulick an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 26.2.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 5810, Bl. 16). 151 Vgl. Dr. Friedensburg an den Präsidenten der Provinz Sachsen vom 10.9.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 391). Auf diesem Schreiben befindet sich ein handschriftlicher Vermerk über die Verhaftung des Bubiag-Vorstands sowie über die Absage des Besuchs von Dr. Friedensburg. 152 Die personelle Zusammensetzung der von der Bubiag am 17.9.1945 neu bestellten Betriebsleitung war in den Quellen nicht zu finden. Dass die Bubiag am 17.9.1945 eine neue Betriebsleitung bestimmte, ging lediglich aus der Anordnung des Präsidenten der Provinz vom 24.9.1945 hervor. Vgl. Anordnung des Präsidenten der Provinz Sachsen über die Neubesetzung des Vorstandes der Bubiag vom 24.9.1945 (LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 694 III, unpag.). 153 Vgl. ebd.

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­ berführen.154 Ob diese Aussagen letztlich nur getroffen wurden, um den Besitz ü der Bubiag vor dem Zugriff der Besatzungsmacht zu schützen und ob der Präsident Hübener davon Kenntnis hatte, konnte nicht geklärt werden. Nachweislich unternahm aber die Provinzialverwaltung seit dem 1. September 1945 keinen ernsthaften Versuch, die Bubiag wieder in Privateigentum zurückzuführen. Das Aktiengesetz, auf dessen Einhaltung der Aufsichtsrat sowie Dr. Friedensburg immer wieder hinwiesen, wurde von der Provinzialverwaltung völlig ignoriert. Zwar schützte die Übernahme der Verfügungsgewalt durch die Provinz die Bubiag vor dem Zugriff der Gemeinde Mückenberg, aber die alten Eigentumsverhältnisse wurden von der Provinz nie anerkannt bzw. nie wiederhergestellt. Noch bevor der im Allgemeinen als Ausgangspunkt der Enteignungen bezeichnete SMAD-Befehl Nr. 124 erlassen wurde, begann also die Provinzialverwaltung vermeintlich herrenlosen Besitz faktisch in ihr Eigentum zu übernehmen. Im Fall der Bubiag musste aber spätestens seit dem Besuch von Dr. Schnabel, Dr. Stephan und Linz am 15. September 1945 auch der Präsident Hübener über die tatsächlichen Besitzverhältnisse informiert gewesen sein. Zwar bemühte sich die Provinzialverwaltung, auch mit Wissen Hübeners, um die Freilassung der Verhafteten, aber einen Versuch den Erlass zur Ausübung der Verfügungsgewalt über die Bubiag zu Gunsten der rechtmäßigen Eigentümer wieder rückgängig zu machen, unternahm auch der liberale Präsident der Provinz nicht. Die Übernahme der Bubiag stellte nicht das einzige Beispiel innerhalb des Untersuchungsgebiets dar, in welchem die Provinzialverwaltung die Vollzugsgewalt über ein Unternehmen übernahm. Noch bevor im Land Sachsen am 29. Oktober 1945 alle im Land befindlichen Vermögenswerte des Flick-Konzerns zugunsten des Landes enteignet wurden, übernahm die sächsische Provinzialverwaltung am 13. Oktober 1945 auch die Verfügungsgewalt über die bereits zum großen Teil demontierten Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer.155 Ebenso übernahm die Provinz im Untersuchungsgebiet bis zum Anfang des Jahres 1946 die Firma R. Reiss, die Plessaer Braunkohlenwerke GmbH, die Beutersitzer Kohlenwerke GmbH und die Anhaltinischen Kohlewerke AG in Domsdorf.156 Wie dieser Prozess im Einzelnen ablief, kann an dieser Stelle nicht so ausführlich wie bei der Bubiag betrachtet werden und bleibt einer gesonderten

154 Vgl. Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft in der Provinzialverwaltung über die Erfassung der Bubiag unter den SMAD-Befehl Nr. 124 an die Abteilung Finanzen in der Provinzialverwaltung vom 11.12.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 49); Präsident der Provinz Sachsen über die Durchführung der SMAD-Befehle Nr. 124 und 126 an die SMA in Halle vom 17.12.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 51). 155 Vgl. Anordnung des Präsidenten der Provinz Sachsen über die Übernahme der Verfügungs-gewalt über die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer vom 13.10.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10978, Bl. 11). 156 Vgl. Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.).

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Unternehmensstudie vorbehalten. Sehr viel sprach aber dafür, dass es Ähnlichkeiten mit dem Fall der Bubiag gab. So bemühten sich z. B. nachweislich bei der Firma R. Reiss, bei den Mitteldeutschen Stahlwerken und auch bei den Anhaltinischen Kohlenwerken die alten Vorstände bzw. Eigentümer, ihren Einfluss auf diese Unternehmen zu erhalten.157 Auf der anderen Seite waren aber auch die örtlichen Verwaltungen bestrebt, diese Industriebetriebe in ihre Verfügungsgewalt zu übernehmen. Der Landrat Paulick ordnete dazu in seinen am 1. Juni 1945 erlassenen Richtlinien für die Gemeindeverwaltungen Folgendes an: „Die Industriewerke unterstehen dem Bürgermeister, in dessen Gemeinde sie liegen. Hat ein solches Werk mehrere Betriebe und zwar in verschiedenen Gemeindebezirken, so unterstehen alle Betriebe des Werks dem Bürgermeister, in dessen Gemeinde sich die Leitung des gesamten Betriebs befindet.“158 Paul Paulick knüpfte somit als Landrat daran an, womit er als Bürgermeister in Mückenberg aufhörte. Wie radikal Paulick letztlich gegen alle Betriebsbesitzer und -leiter vorgehen wollte, wurde zudem in der von ihm am 15. August 1945 ausgearbeiteten „Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten“ deutlich. Hierin wurde festgehalten, dass das gesamte Vermögen der Betriebsinhaber und -leiter, die bis zum 9. Mai 1945 flüchtig waren, zu beschlagnahmen war.159 Gleichfalls ordnete Paulick bewusst auslegbar an, dass „das Gesamtvermögen aller Betriebsinhaber und Betriebsführer, die durch Ausnutzung der ihnen vom Naziregime übertragenen Posten in Partei, Staat, Wehrmacht oder Wirtschaft Vorteile für sich oder ihre Angehörige bezogen haben, die nach gesundem Volksempfinden unangemessen waren“, zu beschlagnahmen seien.160 Zwar war diese Verordnung nach dem Eingreifen der Provinzialverwaltung nur wenige Wochen in Kraft, doch zeigte diese, dass es dem Landrat hierbei keineswegs nur um eine Entnazifizierung, sondern hauptsächlich um die entschädigungslose Enteignung großer Teile der Wirtschaft ging. Wie viele Städte und ­Gemeinden im Kreis Liebenwerda schließlich den Vorgaben des Landrats folgten und die Verfügungsgewalt über einzelne Industrieunternehmen übernahmen, war nicht gänzlich zu ermitteln. Die Zahl der Übernahmen war aber zweifellos hoch. Beispielsweise übernahm zunächst die Stadt Liebenwerda und später der Kreis unmittelbar nach dem Kriegsende die Firma R. Reiss und die Druckerei Zielke.161

157 Vgl. Wilhelm, Entwicklung, Erfahrungen, Erfolge der Zeichengerätebauer, S. 43; Johannes Bähr, Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008, S. 602; Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 33 f. (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 158 Richtlinien für die Gemeindeverwaltungen vom 1.6.1945 (StA Mühlberg, Nr. 120002, unpag.). 159 Vgl. Verordnung über die Beschlagnahme des Gesamtvermögens der Nazisten vom 15.8.1945 (StA Mühlberg, Nr. 010201, unpag.). 160 Ebd. 161 Vgl. Protokoll über die Konferenz der Bürgermeister des Kreises Liebenwerda vom 29.10.1945, S. 21 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 93, unpag.).

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

Auch die Gemeinde Plessa übertrug nach der Verhaftung des Besitzers der Plessaer Braunkohlenwerke, Friedrich von Delius, dem Ingenieur Max Hermann die Betriebsleitung, um den Betrieb zu retten.162 Aus Ortrand meldete am 7. September 1945 der Bürgermeister, dass kurz nach dem Kriegsende die Ortrander Eisenhütte, das Säge- und Hobelwerk Karl Schrödter und das Baugeschäft Franz Jacob beschlagnahmt wurden, obwohl zum Teil deren Besitzer wieder in die Stadt zurückgekehrt waren.163 Zweifellos war in den Fällen, in denen der Betriebsbesitzer geflüchtet war oder von der Roten Armee umgebracht wurde, die Notwendigkeit des Eingreifens der Kommune vorhanden.164 Allerdings wurde dieses Argument oftmals nur vorgeschoben, wie man z. B. bei der Enteignung der Bubiag erkennen konnte. Eine spontane Initiative der Belegschaften zur Enteignung der Betriebe konnte dagegen in keinem Ort nachgewiesen werden. Zwar gründeten viele Belegschaften Betriebsräte, aber selbst diese Bewegung war, wie z. B. bei der Bubiag durch die Gemeindeverwaltung, die Paul Gasche (KPD) in das Werk zur Gründung eines Betriebsrats entsandte, gesteuert worden.165 Die Beschlagnahmungen der Betriebe gingen hingegen immer von Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen aus, die meist von einem kommunistischen Bürgermeister geleitet wurden. In Ortschaften, wo die kommunistische Bewegung nicht so stark verankert war, blieben diese Beschlagnahmungen jedoch weitestgehend aus. Im ländlichen Kreis Schweinitz konnte bezeichnenderweise keine einzige Beschlagnahmung eines Industriebetriebs durch deutsche Behörden unmittelbar nach dem Krieg nachgewiesen werden. Hier besetzte zwar die Besatzungsmacht die Firmengelände der HASAG in Schlieben und der Firma Fuhrmann in Jessen, aber deutsche Aktivitäten konnte man hier zunächst nicht verzeichnen. Selbst die größte Firma des Schweinitzer Kreises, die Armaturenfabrik Marx & Moschütz, blieb unmittelbar nach dem Krieg unbehelligt. Der Betriebsleiter Wilhelm Marx wurde von der Kreisverwaltung sogar ausdrücklich als Betriebsleiter bestätigt und konnte noch bis Anfang 1947 den Betrieb, selbst als dieser unter den SMAD-Befehl Nr. 124 fiel, weiterführen.166 Insgesamt betrachtet war der Enteignungsprozess von Industriebetrieben im Kreis Liebenwerda kurz vor dem Erlass des SMAD-Befehls Nr. 124 am 30.

162 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 18. 163 Vgl. Feststellung aller beweglichen Vermögenswerte vom 14.11.1945 (StA Ortrand, Nr. 708, unpag.). 164 Auch mehrere Eigentümer von Industriebetrieben wurden von Rotarmisten unmittelbar nach dem Einmarsch erschossen. Beispielsweise traf dieses Schicksal Fritz Müller (Firma Franz Müller, Kies- und Sandwerke Elsterwerda) und Carl Schrödter (Sägeund Hobelwerk Ortrand). Vgl. Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). 165 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 25 f. 166 Vgl. Schreiben von Wilhelm Marx an die Provinzialverwaltung vom 14.12.1945 (­LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 92).

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Oktober 1945 sehr viel weiter fortgeschritten als im ländlichen Kreis Schweinitz. Mit der bereits erfolgten Inbesitznahme von zahlreichen Betrieben durch die Städte und Gemeinden sowie teilweise durch den Kreis und die Provinz, aber auch durch die Vertreibung und Verhaftung von mehreren Betriebsbesitzern waren im Kreis Liebenwerda die Grundlagen für eine intensive Enteignungspolitik bereits unmittelbar nach dem Kriegsende geschaffen worden. Der spätere SMAD-Befehl Nr. 124 bildete somit nicht den Ausgangspunkt für die Enteignungen, sondern er war nur eine Fortführung der bereits von sowjetischen Demontagekommissionen oder von deutschen Verwaltungen begonnenen Enteignungsmaßnahmen. 3.2

Die Entnazifizierung der Wirtschaft nach der Verordnung über die ­politische Säuberung der Wirtschaft vom 13. September 1945

Nach dem Einmarsch der Roten Armee gab es vonseiten der sowjetischen Besatzungsmacht ebenso wenig einen Plan für eine Entnazifizierung der Wirtschaft wie für die Entnazifizierung der Verwaltung. Ohne dabei Rücksicht auf deren parteipolitische Zugehörigkeit zu nehmen, nahmen die ersten Militärkommandanten Kontakt zu den im Untersuchungsgebiet verbliebenen Wirtschaftsführern auf. Die Absicht der Besatzungsmacht bestand zunächst darin, die Industrieproduktion so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen und für ihre Zwecke zu nutzen. Besonders um die schnelle Demontage einzelner Betriebe so reibungslos wie möglich zu organisieren, spielte es für die Besatzungsmacht zunächst kaum eine Rolle, ob sie dabei von NSDAP-Mitgliedern oder sogenannten Antifaschisten unterstützt wurde. Die beiden nicht geflüchteten Werksleiter des Ferro- und Chemowerks, Richard Behles bzw. Dr. Josef Heckmaier, gehörten z. B. seit 1937 bzw. 1943 der NSDAP an. Trotz ihrer Parteizugehörigkeit stützte sich die Besatzungsmacht während der Demontage der beiden Werke auf deren Fachkenntnis.167 Gleichfalls arbeitete die Besatzungsmacht während der Demontage der Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer von Anfang an mit Jakob Hatting ­zusammen, der neben Hermann Oetjen seit dem Einmarsch der Roten Armee für das Werk zuständig war und seit 1939 der NSDAP angehörte.168 Und auch in Gröden verblieb der langjährige Direktor der Vereinigten Grödener Tonwerke, Karl Möller, der bereits vor 1933 NSDAP-Mitglied war, bis zum Ende der Demontage des Werks im Amt.169 167 Vgl. Betriebserhebung des Ferro- und Chemowerks Mückenberg vom 27.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 168 Vgl. Betriebserhebung der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer vom 23.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 169 Vgl. Betriebsdirektor der Vereinigten Grödener Tonwerke Karl Möller an die Indus­ trie- und Handelskammer in Halle vom 19. September 1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 333, Bl. 150); Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im

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Ähnliches konnte auch aus dem Kreis Schweinitz berichtet werden. Der Betriebsleiter der Blech- und Eisenwarenfabrik G. Fuhrmann’s Sohn, Erich Fuhrmann, arbeitete nach der Besetzung des Werks durch die Rote Armee nach Aussage seiner Ehefrau „im guten Einvernehmen mit den Russen“. Obwohl er am Ende des Kriegs zum Jessener Volkssturmführer ernannt wurde und seit dem Jahr 1942 Mitglied der NSDAP war, schien die Besatzungsmacht zunächst keine Berührungsängste gehabt zu haben. Wahrscheinlich erst nach einer Denunzia­ tion verhaftete der NKWD Erich Fuhrmann am 24. September 1945 vermutlich aufgrund seiner Tätigkeit im Volkssturm.170 Er verstarb später im Speziallager.171 Aber auch in Herzberg konnte der langjährige Betriebsleiter des Armaturenherstellers Marx & Moschütz, Wilhelm Marx, obwohl er NSDAP-Mitglied war, noch lange Zeit seine Tätigkeit ausüben.172 Insgesamt fiel auf, dass besonders in den von der Besatzungsmacht volldemontierten Betrieben die Besitzer bzw. Werksleitungen, obwohl sie NSDAP-Mitglieder waren, zunächst nicht entlassen wurden, sondern zumindest bis zum Ende der Demontage im Amt blieben. Anders sah es hingegen oftmals bei den von deutschen Städten bzw. Gemeinden übernommenen großen Industriebetrieben aus. Da von der Besatzungsmacht keine klaren Vorgaben gemacht wurden, unterschied sich innerhalb dieser Betriebe das Vorgehen gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder sehr stark. Wie unterschiedlich die Entnazifizierung kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee begonnen wurde, zeigte sich z. B. während der ersten Liebenwerdaer ­FDGB-Kreiskonferenz am 30. September 1945. Während der Konferenz kam es zum Streitgespräch zwischen einem Vertreter des Betriebsrats des Kraftwerks Plessa und einem Vertreter aus dem Beutersitzer Braunkohlewerk in Wildgrube. Der Vertreter aus Plessa sagte zum Thema der Entnazifizierung: „Es kommt niemand in den Betrieb, der früher der nazistischen Partei angehört hat.“173

170 171 172

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Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). In der angeführten Auflistung über die Eigentümer bzw. Treuhänder wurde Karl Möller als „Pg. vor 1933“ bezeichnet. Vgl. Einspruch von Maria Fuhrmann gegen die Beschlagnahme des Vermögens von Erich Fuhrmann vom 12.2.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 19). Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. Vgl. Wilhelm Marx an die Provinzialverwaltung vom 14.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 92). Nach eigenen Angaben war Wilhelm Marx nur einfaches NSDAP-Mitglied. Hingegen wurde sein Sohn, Bernhard Marx, der gleichzeitig stellvertretender Betriebsleiter war, Ende August 1945 vom NKWD verhaftet. Da Bernhard Marx während des Kriegs das Amt des Abwehrbeauftragten zum Schutz gegen Sabotage und Verrat beim Rüstungskommando in Halle innehatte, wurde er wohl für die Verhaftung von 13 bei Marx & Moschütz beschäftigten Zwangsarbeitern im Jahr 1944 verantwortlich gemacht. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 18 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.).

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Darauf antwortete der Vertreter aus Wildgrube: „Ich höre mit Erstaunen, dass ihr keinen Faschisten in euren Betrieb hereinlasst. Genossen, wir lassen keinen raus!“174 Hier trafen zwei unterschiedliche Entnazifizierungsvorstellungen aufeinander. Zum einen traten einige neue Betriebsleitungen wie in Plessa für die Entlassung aller NSDAP-Mitglieder ein. Zum anderen versuchten andere neue Betriebsleitungen wie in Wildgrube, die beschäftigten NSDAP-Mitglieder in untergeordnete Posten abzuschieben und mit harter Arbeit zu bestrafen. Aufgrund des allgemeinen Mangels an Arbeitskräften stellte jedoch die in Plessa bevorzugte radikale Vorgehensweise höchstwahrscheinlich eine Ausnahme dar. So beschäftigte sich beispielsweise der neu gegründete Betriebsrat der Bubiag, nachdem diese bereits im Mai nach der Verhaftung des rechtmäßigen Vorstandes von der Gemeinde Mückenberg übernommen wurde, erstmals am 20. August 1945 mit dem Thema der politischen Säuberung des Betriebs. Während dieser Sitzung verlas der Betriebsratsvorsitzende Arthur Tetzel mehrere Namen von belasteten Angestellten. Ausdrücklich festgelegt wurde während dieser Sitzung, dass nominelle Mitglieder der NSDAP zwar ein Programm zur Umschulung besuchen mussten, aber nicht entlassen werden sollten.175 Von einer generellen Entlassung der NSDAP-Mitglieder konnte man kurz nach Kriegsende beim größten Unternehmen im Kreis Liebenwerda nicht sprechen. Trotz der mangelnden Quellen deutet somit vieles darauf hin, dass bereits vor dem Erlass einer offiziellen Verordnung erste Maßnahmen zur Entnazifizierung zumindest innerhalb der von Deutschen geführten großen Industriebetriebe durchgeführt wurden. Wie weitgehend diese im Einzelnen waren, ist mit den bis heute erschlossenen Quellen kaum nachvollziehbar. Nimmt man allerdings nur das Beispiel der Bubiag, so kann man von einer hohen Intensität ausgehen. Am 8. Oktober 1945 wurde z. B. in einem Besuchsbericht erwähnt, dass etwa 80 Arbeitskräfte der Bubiag als aktive Nationalsozialisten eingeschätzt und „zum Teil bereits aus dem Betrieb entfernt“ wurden.176 Während in den großen Unternehmen zum Teil die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen, aber auch die schnell wieder entstehenden Betriebsräte die Entnazifizierung vorantrieben, musste diese ohne konkrete Handlungsanweisungen besonders in den kleineren Unternehmen nahezu zwangsläufig stecken bleiben. Erst mit der Bildung der Bezirks- bzw. Provinzialverwaltung ging auch die Zuständigkeit über die Entnazifizierung der Wirtschaft von den örtlichen Verwaltungen bzw. Betriebsräten auf die neue übergeordnete deutsche Verwaltung über. Der Vizepräsident der Provinz Sachsen, Ernst Thape, der für die Bereiche Wirtschaft, Handel und Verkehr zuständig war, koordinierte daraufhin die ersten Bemühungen für die Schaffung einer provinzweiten Regelung zur Frage der Entnazifizierung der Wirtschaft. Allerdings erst nachdem die

174 Ebd. 175 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 26. 176 Besuchsbericht anlässlich des Amtsantritt des neuen Werksdirektors der Bubiag, Dr. Rexrodt, vom 8.10.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 466).

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I­ ndustrie- und Handelskammer (IHK) der Provinz Sachsen die Herstellung einheitlicher Regeln zu dieser Frage ausdrücklich einforderte, da Einzelaktionen „Unruhe in den Betrieben hervorgerufen“ hätten, erließ die Provinzialverwaltung am 1. September 1945 eine „vorläufige Anordnung“.177 Diese Anordnung, die sich nur auf die Leitungsebenen der Betriebe konzentrierte, wurde am 13. September 1945 von der alle wirtschaftlichen Bereiche umfassenden „Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft“ abgelöst.178 Hierin wurde festgelegt, dass in allen Landratsämtern der Provinz „Ausschüsse zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft“ zu bilden sind. Diese Ausschüsse setzten sich aus dem Wirtschaftsbeauftragten des Landrats, der gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses war, je einem Vertreter der politischen Parteien, einem Vertreter der Gewerkschaft sowie aus einem Vertreter des betroffenen Betriebsrats zusammen. Wenn in kleineren Unternehmen kein Betriebsrat vorhanden war, sollte mit der Zustimmung aller anderen Ausschussmitglieder ein „geeigneter Vertreter des Berufsstandes“ hinzugezogen werden. Dieser Ausschuss konnte in der Folgezeit über die Entfernung von einfachen Arbeitern und von unteren sowie mittleren Angestellten entscheiden. Über die Säuberung von leitenden Angestellten sowie Betriebsinhabern durfte der Ausschuss allerdings nicht abstimmen. Ihm stand es aber offen, dem übergeordneten Ausschuss der Industrie- und Handelskammer in Halle, der nach dem gleichen Muster wie die Ausschüsse auf der kreislichen Ebene zusammengesetzt war, Vorschläge über die Entfernung von leitenden Angestellten und Betriebsinhabern zu unterbreiten.179 Die drei Ausschüsse der Industrie- und Handelskammer in der Provinz konnten wiederum nur über leitende Angestellte und Betriebsleiter abstimmen, die in Betrieben mit bis zu 30 Personen Belegschaft tätig waren. Die letzte Instanz der für die Wirtschaft zuständigen Säuberungsausschüsse bildete ein nach demselben Muster bei der Provinzialverwaltung eingesetzter Ausschuss, der für alle Einsprüche und Beschwerden für Verfahren in den unteren Ausschüssen zuständig war. Gleichfalls konnte der Provinzialausschuss über die Entfernung von Betriebsleitern der großen Betriebe mit über 30 Personen Belegschaft, von Vorstandsmitgliedern der Aktiengesellschaften und von Aufsichtsratsmitgliedern abstimmen.180 Die unterste Ebene hatte somit aufgrund dieser Verordnung nur indirekt Einfluss auf die höheren Verantwortungsträger in der Wirtschaft. Ihre Vorschläge an die übergeordneten Ausschüsse waren zwar die Voraussetzung für deren eventuelle Entfernung aus dem Betrieb, doch konnten die kreislichen Säuberungsausschüsse zu keiner Zeit direkt über deren Entfernung entscheiden.

177 Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 356 f. 178 Am 20.9.1945 wurde eine neue Fassung der „Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft“ mit geringfügigen Änderungen erlassen. Vgl. ebd., S. 357. 179 Vgl. Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 13.9.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 41. 180 Vgl. ebd., S. 41.

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In der Verordnung wurde gleichfalls von vornherein festgelegt, dass die entfernten NSDAP-Mitglieder möglichst nicht aus den Betrieben entlassen werden, sondern nur in untergeordnete Positionen abgeschoben werden sollten.181 Bei dieser Entscheidung spielte vor allem der Arbeitskräftemangel eine Rolle. Ale­ xander Sperk mutmaßte zudem, dass diese Maßnahme auf eine Forderung der sowjetischen Besatzungsmacht zurückging, die aufgrund der umfangreichen Demontagearbeiten keine Fachkräfte verlieren wollte.182 Von vornherein hatte somit die Verordnung vom 13. September 1945 nicht die Intention, alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus dem Wirtschaftsleben zu entfernen, sondern diese lediglich aus den führenden Positionen zu verdrängen. Damit unterschied sich die Verordnung zur politischen Säuberung der Wirtschaft wesentlich von der Verordnung zur Säuberung der Verwaltung vom 6. September 1945, die klar auf eine umfassende Entfernung aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus den öffentlichen Verwaltungen abzielte. Grundsätzlich sollten laut Verordnung vom 13. September 1945 nur „Naziverbrecher“ und „aktivistische Nazis“, die in der Verordnung zur Säuberung der Verwaltung vom 6. September 1945 näher definiert wurden, von ihren Posten entfernt werden.183 Die „nominellen“ ­NSDAP-Mitglieder, also diejenigen, die in der Zeit vor 1945 kein Parteiamt bekleideten, sollten hingegen weitestgehend unbehelligt in ihren Posten verbleiben. Damit waren den Ausschussmitgliedern vor Ort von Beginn an enge Grenzen bei der Durchführung der Entnazifizierung der Wirtschaft gesetzt. So überwogen sowohl bei der Besatzungsmacht als auch bei der deutschen Provinzialverwaltung beim Erlass der Verordnung pragmatische Erwägungen, um die immer noch sehr fragile Wirtschaftsstruktur durch eine alles umfassende Säuberungsmaßnahme nicht noch weiter zu schädigen. Nach dem Erlass der Verordnung konstituierte sich der Säuberungsausschuss zunächst im Kreis Liebenwerda. Die erste Sitzung des Liebenwerdaer Ausschusses fand am 23. Oktober 1945 statt. Dazu trafen sich unter dem Vorsitz des Wirtschaftsbeauftragten des Liebenwerdaer Landrats, Johannes Arndt (KPD), folgende Ausschussmitglieder: Paul Mittig für die KPD, Gottwald Fleischer für die SPD, Carl Schulze für die CDU, Walter Foth für die LDP und Edgar Neuhäußer (KPD) für den FDGB.184 Im Kreis Schweinitz dauerte es dagegen etwas länger, bis der Ausschuss erstmals zusammentrat. Hier versammelten sich die Ausschussmitglieder zum ersten Mal Anfang Januar 1946.185 Im

181 Vgl. ebd., S. 42. 182 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 358. 183 Vgl. Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 13.9.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 41. 184 Vgl. Protokoll des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda vom 23.10.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). 185 Vgl. Meldung des Wirtschaftsbeauftragten des Kreises Schweinitz über die Bildung des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft an die Industrieund Handelskammer in Halle vom 28.1.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 335, Bl. 53).

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Kreis Schweinitz setzte sich der Ausschuss aus dem Wirtschaftsbeauftragten des Landrats, Wilhelm Rehag (KPD), sowie den Mitgliedern Karl Plavius (KPD), Fritz Hildebrandt (SPD), Ernst Borchers (CDU), Felix Dyrda (LDP) und Robert Libor (KPD/FDGB) zusammen.186 Bereits an der Zusammensetzung und an dem Datum der ersten Zusammenkunft waren Unterschiede im Tempo sowie in der Einschätzung der Wichtigkeit der Entnazifizierung im Wirtschaftsbereich zwischen den beiden Landkreisen zu erkennen. Die Entsendung der drei Kreisparteivorsitzenden Paul Mittig, Carl Schulze und Walter Foth, des FDGB-Kreisvorsitzenden, Edgar Neuhäußer, und des Vorsitzenden des Bad Liebenwerdaer SPD-Stadtvereins, Gottwald Fleischer, verdeutlichte beispielsweise, wie wichtig die Parteien und der FDGB die Arbeit des Säuberungsausschusses im Kreis Liebenwerda einschätzten. Im Kreis Schweinitz waren hingegen lediglich der LDP-Kreisvorsitzende Felix Dyrda und der FDGB-Kreisvorsitzende Robert Libor im Säuberungsausschuss vertreten. Die anderen Vertreter der Parteien waren zwar im Kreis Schweinitz auch Mitglieder ihrer jeweiligen Kreis­ parteivorstände, die Kreisvorsitzenden der KPD, SPD und CDU erachteten es aber im Kreis Schweinitz offensichtlich nicht für notwendig, ihr weitaus größeres politisches Gewicht in den Ausschuss einzubringen. Der Hauptgrund dafür lag wohl zum einen darin, dass im Kreis Schweinitz weitaus weniger wichtige Industriebetriebe existierten als im Kreis Liebenwerda und zum anderen darin, dass der Organisationsgrad und damit die Kraft der hiesigen Parteien sowie des FDGB im Jahr 1945 für eine schnelle politische Säuberung der Wirtschaft noch weitestgehend ungenügend waren. Die Durchführung der Bodenreform, die Entnazifizierung der Verwaltung und der Aufbau der jeweiligen eigenen Partei- bzw. Gewerkschaftsorganisation hatte für die politisch Verantwortlichen im Kreis Schweinitz Ende 1945 weitaus mehr Priorität als die Entnazifizierung der ohnehin im Kreis schwachen Wirtschaft. Trotz des unterschiedlichen Beginns der ersten Sitzungen der Säuberungsausschüsse verschickten die Wirtschaftsabteilungen der beiden Kreisverwaltungen bereits seit Mitte Oktober 1945 die von der Provinzialverwaltung zur Entnazifizierung ausgearbeiteten Fragebogen an die einzelnen Unternehmen und Betriebe im Untersuchungsgebiet.187 In den großen Unternehmen, in denen Betriebsräte bestanden, mussten deren Vorsitzende über den Personenkreis entscheiden, der die Fragebogen ausfüllen sollte. Die ausgefüllten Fragebogen wurden daraufhin dem örtlichen FDGB zugestellt, der diese dann den Wirtschafts-

186 Vgl. Aufstellung über die Zusammensetzung des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft im Kreis Schweinitz (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 217). 187 Vgl. Protokolle des Säuberungs- und Kontrollausschusses bei der Industrie- und Handelskammer Halle (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 112). In den hier aufgeführten Protokollen der zweiten Entnazifizierungsinstanz befanden sich zahlreiche dieser Fragebogen, die auch im Kreis Schweinitz nahezu alle Mitte bzw. Ende Oktober 1945 ausgefüllt wurden.

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beauftragten des Landrats übergab. In kleineren Betrieben, wo kein Betriebsrat bestand, bestimmte der Wirtschaftsbeauftragte des Landrats selbst, wer die Fragebogen ausfüllen musste. Eine generelle Überprüfung aller Betriebsangehörigen fand nicht statt und wurde von der Provinzialverwaltung auch ausdrücklich ausgeschlossen.188 So konzentrierte sich die Entnazifizierung in der Praxis von vornherein nur auf die höheren Betriebsebenen bzw. auf die von den Betriebsräten verdächtigten „aktiven Nazis“. Besonders in den großen Unternehmen nahmen somit die Betriebsräte eine Schlüsselstellung bei der Einleitung des Entnazifizierungsverfahrens ein. Nachdem die ausgefüllten Fragebogen den Wirtschaftsbeauftragten wieder zugestellt wurden, sollten die einzelnen Fälle in den Säuberungsausschüssen behandelt werden. Im Kreis Liebenwerda stellte sich allerdings sehr schnell heraus, dass die Ausgabe bzw. Rücksendung der Fragebogen nur sehr langsam erfolgte. Aus diesem Grund wurden in der dritten Sitzung des Liebenwerdaer Säuberungsausschusses am 6. November 1945 die Verfahren gegen die von den Betriebsräten ausgewählten Beschäftigten der Mitteldeutschen Stahlwerke, der Beutersitzer Kohlenwerke und der Domsdorfer Anhaltinischen Kohlewerke zunächst zurückgestellt.189 Vor allem der allgemeine Papiermangel erschwerte es der Provinzialverwaltung zunächst, ausreichend Fragebogen für alle großen Betriebe zur Verfügung zu stellen, womit sich die Entnazifizierung der Wirtschaft zwangsläufig verzögern musste.190 Aber auch die Rücksendung der ausgefüllten Fragebogen wurde wohl von den Betroffenen bewusst verzögert. Wie sehr die Ausfüllung dieses Fragebogens einige Betriebsbesitzer belastete, zeigte sich u. a. am Beispiel des Besitzers der Elsterwerdaer Fahrradfabrik Reichenbach, Erich Walter Reichenbach. Dieser hatte bereits die völlige Zerstörung seines Besitzes durch den Luftangriff vom 19. April 1945 miterleben müssen. Nun drohte ihm aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NSDAP zudem der Verlust seiner Betriebsleiterposition. In dieser für ihn verzweifelten Situation nahm er sich während der Ausfüllung des Fragebogens das Leben.191 Viele der zur Beantwortung der Fragebogen Ausgewählten mussten bei der Ausfüllung der Fragebogen wohl mit Konsequenzen rechnen, die wahrscheinlich viele dazu bewog, ihre NS-Vergangenheit so weit wie möglich zu verschweigen bzw. so klein wie möglich darzustellen. Obwohl scharfe Strafen bei der bewussten Fälschung der Fragebogen angedroht wurden, kann

188 Vgl. Wirtschaftsrundschreiben Nr. 12. Betr. Politische Säuberung der Wirtschaft. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 42. 189 Vgl. Protokoll des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda vom 6.11.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 335, Bl. 66). 190 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 372. 191 Vgl. Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). In dieser Auflistung wurde der Suizid von Erich Walter Reichenbach während der Bearbeitung des Fragebogens erwähnt.

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es nicht ausgeschlossen werden, dass viele Angaben von den Betroffenen bewusst verzerrt wurden. Nachdem die ausgefüllten Fragebogen schließlich zurückgesandt wurden, ergab sich im Kreis Schweinitz folgendes Bild: Insgesamt wurden hier die Fragebogen an 1 618 Betriebsinhaber verschickt. Davon gaben 450 an, der NSDAP als Mitglied angehört zu haben.192 Dies entsprach einem Prozentsatz von 27,8 Prozent. In der gesamten Industrie, in den Handels- und Handwerksbetrieben des Kreises Schweinitz war allerdings der NSDAP-Mitgliederanteil bedeutend geringer. Der NSDAP-Mitgliederanteil betrug in der gesamten Industrie des Kreises Schweinitz, laut einer Aufstellung vom 24. Januar 1947, lediglich 8,5 Prozent, in den Handwerksbetrieben 14,8 Prozent und in den Handelsbetrieben 17,3 Prozent.193 Für den Kreis Liebenwerda war leider keine Aufstellung über die zurückgesandten Fragebogen bzw. über die Verteilung der NSDAP-Mitglieder in der Wirtschaft erhalten. Dennoch kann man wohl auch hier davon ausgehen, dass bei den Betriebseigentümern bzw. in den höheren Betriebsebenen weitaus mehr NSDAP-Mitglieder zu finden waren als in den unteren Betriebsebenen. Der größte Unterschied beim Vorgehen der beiden Säuberungsausschüsse der beiden Kreise lag zunächst darin, dass im Kreis Liebenwerda als Erstes die großen Unternehmen bearbeitet, während im Kreis Schweinitz nahezu alle Betriebe sowie Inhaber der kleinen Geschäfte überprüft wurden.194 Da es im Kreis Schweinitz nach der Demontage des Armaturenherstellers Marx & Moschütz sowie der Schliebener HASAG kaum noch größere Industrieunternehmen gab, konnte sich der Säuberungsausschuss weitestgehend der Überprüfung der kleinen Betriebe bzw. Geschäfte widmen. Im Kreis Liebenwerda fiel dagegen die Überprüfung kleinerer Betriebe aufgrund der Wirtschaftsstruktur zunächst nahezu vollkommen weg. Nur in einzelnen wohl extrem belasteten und bewusst ausgewählten Fällen ging der Liebenwerdaer Ausschuss in der Anfangsphase seines Bestehens gegen kleinere Geschäftsinhaber vor. Ein Beispiel dafür war die Entlassung des Grünewalder Bäckermeisters Otto Görlich, der aufgrund seiner Tätigkeit als Ortsamtsleiter der DAF bereits in der dritten Sitzung des Säuberungsausschusses dem Kammerausschuss in Halle zur Entlassung vorgeschlagen wurde.195 Die Entlassung von Otto Görlich war

192 Ebd. 193 Vgl. Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Schweinitz an den Bezirkspräsidenten über den Stand zur politischen Säuberung der Wirtschaft vom 24.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 326). 194 Vgl. Protokolle des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda (LHASA, MD, K 34, Nr. 335); Abschlussbericht über die politische Säuberung der Wirtschaft im Kreis Schweinitz (vermutlich Januar 1947), LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 405). 195 Vgl. Protokoll des Ausschusses zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft des Kreises Liebenwerda vom 6.11.1945 (LHASA, MD, K 34, Nr. 335, Bl. 66).

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die erste, die im Kreis Liebenwerda vom übergeordneten Kammerausschuss im Januar 1946 bestätigt wurde.196 Bis zum 1. Februar 1946 schlug der Liebenwerdaer Säuberungsausschuss dem Kammerausschuss in Halle insgesamt 55 Personen zur Entlassung vor. Im Wesentlichen waren dies alles Personen aus den größeren Industriebetrieben des Kreises. Lediglich der Bäckermeisters Otto Görlich, ein Gemischtwarenhändler sowie ein Kaufhausbesitzer, die ebenfalls entlassen wurden, bildeten hierbei eine Ausnahme.197 Außerdem wurden die Namen von zwölf Druckerei- bzw. Buchhandlungsbesitzern an den Kammerausschuss weitergemeldet, für die allerdings mit einer Verordnung des Provinzialpräsidenten vom 8. November 1945 ein weitaus strengerer Entnazifizierungsmaßstab angelegt wurde.198 Dem Druckereibesitzer Karl Zielke, der zu diesem Zeitpunkt bereits im NKWD-Speziallager in Bautzen festgehalten wurde, warf man z. B. in der sechsten Sitzung des Ausschusses am 4. Dezember 1945 lediglich die Duldung „hetzerischer Artikel im Liebenwerdaer Kreisblatt“ in den Jahren 1922 und 1923 vor. In diesem Fall genügte dies bereits für eine nachträgliche Entfernung aus dem Betrieb.199 Hauptsächlich wurden aber im Kreis Liebenwerda die Betriebsbesitzer bzw. Betriebsleiter der großen Unternehmen und Firmen bis zum 1. Februar 1946 dem Kammerausschuss zur Entfernung vorgeschlagen. Darunter befanden sich u. a. der Besitzer der Plessaer Braunkohlewerke, Friedrich von Delius, der Betriebsdirektor der Beutersitzer Braunkohlenwerke, Dr. Günther Hollweg, der Besitzer der Ortrander Eisenhütte, Friedrich von Strombeck, der Betriebsleiter der Grödener Tonwerke, Karl Möller, der Besitzer der Schraubenfabrik Carl Winter, Rudolf Winter, und die Besitzer der Eisengießerei Gebrüder Poppe, Oswald, Oskar und Reinhold Poppe.200 Zwar waren davon einige zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet oder geflüchtet, wie z. B. Friedrich von Delius oder Friedrich von Strombeck, doch eine Mehrzahl der aufgelisteten Personen befand sich wohl immer noch im Untersuchungsgebiet. Ähnlich wie bei der Durchführung der Bodenreform beanstandete der Kammerausschuss zahlreiche weitergereichte Unterlagen, die ihrer Meinung nach nicht den von ihm geforderten formalen Mindeststandards entsprachen. Die

196 Vgl. Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Liebenwerda an den Ausschuss zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft bei der IHK Halle über die behandelten Fälle vom 1.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 334, Bl. 63). 197 Vgl. ebd. Der Name von Otto Görlich taucht nicht in der Auflistung, sondern nur im Text des Schreibens an den Säuberungsausschuss der IHK Halle auf. 198 Ebd.; Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 359. 199 Vgl. Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Liebenwerda an den Präsidenten der Provinz Sachsen über die politische Säuberung des Verlagswesen und des Buchhandels vom 28.12.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). 200 Vgl. Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Liebenwerda an den Ausschuss zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft bei der IHK Halle über die behandelten Fälle vom 1.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 334, Bl. 63).

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IHK in Halle schrieb dazu am 6. Februar 1946 an den Liebenwerdaer Wirtschaftsbeauftragten: „Wir bitten sie, für jeden eigenen Fall ein eigenes Protokoll anzufertigen, aus dem hervorgeht, wie sich der Ausschuss zusammensetzt, wer die Firma in der Verhandlung vertreten hat und ob der Betriebsratsobmann an der Ausschusssitzung teilgenommen hat.“201 Erneut wurde deutlich, wie leichtfertig die Liebenwerdaer Kreisverwaltung selbst diese geringen formalen Standards nicht beachtete, obwohl es hierbei erneut für viele Betroffene um nicht weniger als ihre Existenz ging. Die Arbeit der Säuberungsausschüsse verzögerte sich aber auch durch den am 30. Oktober 1945 erlassenen SMAD-Befehl Nr. 124. Nachdem ab April 1946 deutlich wurde, dass ein großer Teil des von der sowjetischen Besatzungsmacht sequestrierten Vermögens an die deutschen Verwaltungen übergeben werden sollte, glaubte man in vielen Säuberungsausschüsse in der Provinz, dass deren Arbeit damit gegenstandslos geworden wäre. Dazu schrieb der Wirtschaftsbeauftragte des Kreises Schweinitz: „Diese Unklarheit wurde später dahin richtiggestellt, dass die Sequesteraktion lediglich eine vermögensrechtliche Entscheidung zur Folge hat, d. h. ob der Betrieb zurückgegeben oder enteignet wird, während die Entscheidung der Kammerausschüsse sich über die politische Tragbarkeit ausspricht.“202 Demnach war es denkbar, dass ein Betriebsbesitzer nach der Sequestrierung seinen Betrieb zurückerhielt, jedoch vom Säuberungsausschuss als politisch nicht tragbar erklärt werden konnte. In beiden Landkreisen war Mitte 1946 festzustellen, dass die Arbeit der beiden jeweiligen Säuberungsausschüsse weitestgehend zum Erliegen kam. Beispielsweise behandelte der Säuberungsausschuss des Kreises Liebenwerda im Juni und Juli 1946 nur noch zwei neue Fälle.203 Gleichfalls stellte der Wirtschaftsbeauftragte des Kreises Schweinitz in seinem Monatsbericht für August 1946 fest: „Die politische Bereinigung der Wirtschaft, die nun als beendet betrachtet werden kann, hat – so wie überall – die Gemüter sehr erregt […]. Im Interesse der Gesundung der Wirtschaft und des Wiederaufbaues ist es zu begrüßen, dass die Aktion dem Ende zugeführt wurde.“204 Diese Meinung entsprach allerdings nicht den Anweisungen der Provinzialverwaltung. Diese ordnete unverzüglich die Wiederaufnahme der Säuberungsverfahren an und schrieb z. B. am 8. Oktober 1946 an die IHK in Halle: „Die

201 IHK Halle an den Wirtschaftsbeauftragten des Kreises Liebenwerda vom 6.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 335, Bl. 62). 202 Abschlussbericht über die politische Säuberung der Wirtschaft im Kreis Schweinitz (vermutlich Januar 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 405). 203 Vgl. wirtschaftlicher Monatsbericht des Landrats des Kreises Liebenwerda für den Juni 1946 vom 6.7.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 365 f.); Wirtschaftlicher Monatsbericht des Landrats des Kreises Liebenwerda für den Juli 1946 vom 6.8.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 357). 204 Wirtschaftlicher Monatsbericht des Landrats des Kreises Schweinitz für den August 1946 vom 7.9.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 574).

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politische Säuberung der Wirtschaft von allen Nazis, Imperialisten und Militaristen geht weiter […]. In denjenigen Fällen, in denen nach Durchführung des Sequestrationsverfahrens Rückgabe erfolgte, ist somit nicht die Rehabilitation der Betreffenden ausgesprochen, sondern die politische Säuberung der Betreffenden geht weiter bzw. bleibt aufrecht zu erhalten. Dies ist den Ausschüssen bei den Kreisen und Oberbürgermeistern unverzüglich mitzuteilen.“205 Aufgrund dieser Anordnung setzten die Säuberungsausschüsse Ende des Jahres 1946 ihre Arbeit fort. Da aber für viele politische Verantwortlichen nach der großen Säuberungswelle am Anfang des Jahres und mit den immer noch bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Entnazifizierung der Wirtschaft nicht mehr als das wichtigste Problem angesehen wurde, erreichte diese Tätigkeit am Ende des Jahres 1946 nicht mehr die Intensität wie zuvor. Im Kreis Liebenwerda wurden z. B. im November und Dezember 1946 nur noch sechs neue Verfahren vor dem Ausschuss verhandelt.206 Da die Besatzungsmacht und die Provinzialverwaltung dieses Problem erkannte, bereitete diese bereits am Jahresende 1946 mit der Umsetzung der Kontrollrats-Direktive Nr. 24 den Übergang in eine neue Phase der Entnazifizierung vor. Wie später noch ausführlich zu erläutern sein wird, war es den Verwaltungen mit der bereits im Januar 1946 beschlossenen KD Nr. 24 möglich, nicht nur ehemalige Nationalsozialisten aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen, sondern u. a. auch ehemalige Stahlhelm- und DNVP-Mitglieder.207 Die Provinzial­ verwaltung erließ dazu am 7. Januar 1947 die „Durchführungsbestimmung zu der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12. Januar 1946“, womit alle bisher in der Provinz existierenden Entnazifizierungskommissionen aufgelöst wurden und neue Entnazifizierungskommissionen gebildet werden mussten. Damit endete auch die Arbeit der Säuberungs- und Kontrollausschüsse der Wirtschaft in der Provinz Sachsen.208 Leider war nur für den wirtschaftlich schwach entwickelten Kreis Schweinitz eine Abschlussbilanz über die durchgeführten Verfahren vor dem politischen Säuberungs- und Kontrollausschuss der Wirtschaft erhalten. Im Kreis Schweinitz wurden bis zum 24. Januar 1947 insgesamt 31 Personen aus der Industrie, 30 Personen aus dem Handel und 15 Personen aus dem Handwerk entlassen. Dies entsprach lediglich 10,3 Prozent der in diesen drei Sektoren beschäftigten

205 Abteilung Wirtschaft in der Provinzialverwaltung an die IHK Halle über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 8.10.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 334, Bl. 38). 206 Bericht über die wirtschaftliche Lage des Kreises Liebenwerda vom 5.1.1947 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 305). 207 Vgl. Durchführungsbestimmung zu der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 der Provinzialregierung Sachsen-Anhalt vom 7.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 128). 208 Vgl. ebd.

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e­ hemaligen NSDAP-Mitglieder.209 Wie in der Verordnung vorgesehen, konzentrierte sich die Entnazifizierung der Wirtschaft weitestgehend auf sogenannte „aktive Nazis“. Dazu trugen im Wesentlichen die übergeordneten Ausschüsse bei, die, wie es schien, zahlreiche Urteile der untersten Instanz wieder aufhoben. Die Zahl der von dem Kammerausschuss bzw. dem Provinzialausschuss zurückgewiesenen Säuberungsanträge ließ sich aufgrund der Quellenlage nicht rekonstruieren. Dennoch konnte man feststellen, dass in 66 erhaltenen Einzelfallprotokollen des Kammerausschusses im Kreis Schweinitz lediglich vier Personen vom Kammerausschuss für die Wirtschaft für „nicht tragbar“ eingeschätzt wurden. Obwohl der Säuberungsausschuss des Kreises Schweinitz von diesen 66 Personen bereits 58 als tragbar einschätzte, entschied der Kammerausschuss in vier Fällen nochmals gegen die Vorinstanz.210 Auch der Provinzialsäuberungsausschuss ging ähnlich vor. Dieser behandelte im Jahr 1946 insgesamt 717 Fälle für den Regierungsbezirk Merseburg. Darunter befanden sich 475 Betriebsinhaber, von denen 291 für „tragbar“ und lediglich 184 für „nicht tragbar“ erklärt wurden.211 Das Instanzenmodell verhinderte, wie beabsichtigt, einen zu großen Umfang der Entnazifizierung. Auch in Fällen, in denen große Betriebsbesitzer betroffen waren, entschied der Provinzial- bzw. Kammerausschuss gelegentlich gegen die Säuberungsausschüsse im Kreis. Das wohl größte Beispiel betraf im Kreis Liebenwerda den Betriebsbesitzer der Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter, Rudolf Winter, der vom Kreisausschuss zur Entlassung vorgeschlagen wurde. Trotz der bereits am 20. Dezember 1945 vom Kreis erfolgten Ernennung eines Treuhänders für den Betrieb wurde Winter jedoch vom Kammerausschuss wieder in seine Funktion eingesetzt.212 Da aber Rudolf Winter nach seinem Freispruch die Rückgabe des Betriebs vom Elsterwerdaer Bürgermeister verwehrt wurde, verließ er trotz dieses scheinbaren Erfolges Anfang März 1946 Elsterwerda und flüchtete in die Westzonen.213 Die Freisprüche durch die übergeordneten Ausschüsse waren also, wie allein dieser Fall belegte, noch lange nicht gleichbedeutend mit der Rückgewinnung des entzogenen Verfügungsrechtes über das Eigentum.

209 Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Schweinitz an den Bezirkspräsidenten über den Stand zur politischen Säuberung der Wirtschaft vom 24.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 326). 210 Protokolle des politischen Säuberungs- und Kontrollausschusses der Wirtschaft bei der IHK Halle (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 202). Die erhaltenen Protokolle waren meist auf den Mai und Juni 1946 datiert. 211 Bericht über die bearbeiteten Fälle des politischen Säuberungs- und Kontrollausschusses der Wirtschaft für die Provinz Sachsen vom 14.3.1947 (LHASA, MD, K 34, Nr. 337, Bl. 30). 212 Vgl. Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). 213 Vgl. Betriebserhebung der Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter vom 28.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.).

Enteignung und Entnazifizierung der Wirtschaft

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So versuchten die von KPD bzw. SED-Mitgliedern dominierte Verwaltungen vor allem in der Zeit vor der Übergabe des sequestrierten Eigentums an die deutschen Verwaltungen, das Säuberungsverfahren in vielen Fällen für die Enteignung von Betrieben zu missbrauchen. Vor allem die KPD- bzw. SED-Mitglieder der Ausschüsse trennten dabei nicht die beiden Begriffe Entnazifizierung und Enteignung. Obwohl die Provinzialverwaltung in ihren Anordnungen immer wieder unmittelbare eigentumsrechtliche Konsequenzen für das Säuberungsverfahren ausschloss, wurden die Begrifflichkeiten Entnazifizierung und Enteignung von den untergeordneten Behörden meist gleichgesetzt.214 Dies belegte letztlich auch die praktische Einstellung der Säuberungsverfahren Mitte des Jahres 1946, als die Enteignungen des nach SMAD-Befehl Nr. 124 sequestrierten Vermögens begannen. 3.3

Die Sequestrierung der Unternehmen und Betriebe nach dem SMAD- ­Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945

Die sowjetische Besatzungsmacht hielt sich bis zum Herbst 1945 weitestgehend aus den bereits seit Kriegsende von unteren deutschen Behörden veranlassten willkürlichen Enteignungen heraus. Das wirtschaftliche Interesse der Besatzungsmacht galt zunächst überwiegend den Demontagen sowie den Repara­ tionsleistungen. Die seit Kriegsende vorgenommenen Entnahmen aus der Wirtschaft der SBZ begannen allerdings, nach der These von Jochen Laufer, den Obersten Chef der SMAD Shukow immer mehr zu beunruhigen. Von der Maßgabe ausgehend, dass eine erfolgreiche Besatzungspolitik nur ohne übermäßige wirtschaftliche Hilfe von außen durchgeführt werden konnte, befürchtete Shukow, dass die sowjetische Demontagepolitik zu einem der Besatzungsmacht schadenden „ökonomischen Vakuum“ in der SBZ führen könnte.215 Um dies zu umgehen, versuchte die SMAD, Einfluss auf die Demontagepolitik zu erlangen. Dazu forderte die SMAD gegenüber der Moskauer Zentralgewalt die Sequestrierung des Vermögens der NSDAP und ihrer Organisationen, des deutschen Staats, privater Unternehmen, Organisationen und einzelner Personen. Dieses sequestrierte Vermögen sollte unter die Verfügungsgewalt der SMAD gestellt werden, die somit die Entnahmen aus der Wirtschaft kontrollieren konnte.216

214 Vgl. Runderlass Nr. 23 der Abteilung Wirtschaft der Provinzialverwaltung vom 9.1.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 313–316). 215 Vgl. Laufer, Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen, S. 52. 216 Unter Sequestration verstand man eine behördlich angeordnete einstweilige Inbesitznahme oder Verwaltung einer umstrittenen Sache durch Dritte. Durch die Sequestration wird zwar das Verfügungsrecht des Eigentümers über seinen Besitz aufgehoben, jedoch nicht das juristische Eigentum des Betroffenen berührt. Die Sequestration stellte somit noch keine endgültige Enteignung dar. Vgl. Werner Krause, Die Entstehung des Volkseigentums in der Industrie der DDR, Berlin (Ost) 1958, S. 57.

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Laufers These zufolge zielte die SMAD bei der Durchsetzung der Sequesterak­ tion also nicht vorrangig auf die Enteignung der deutschen Wirtschaft. ­Hauptziel der SMAD war es demnach, durch die Sequestrierung Einfluss auf die Demontagepolitik zu nehmen.217 Dafür spricht, dass im Untersuchungsgebiet im Frühjahr 1946 nur mit der Demontage von Betrieben begonnen wurde, die nicht unter den Sequestrierungsbefehl fielen.218 Zwar wurde die Demontage von einzelnen unter diesen Befehl stehenden Betrieben, wie z. B. das Ferro- und Chemowerk in Mückenberg oder der Mitteldeutschen Stahlwerke in Lauchhammer, fortgesetzt, mit der Demontage von sequestrierten Unternehmen und Betrieben wurde aber Anfang 1946 nicht mehr begonnen. Erst nachdem die Betriebe Mitte 1946 wieder in deutschen Besitz zurückgeführt wurden, begannen, wie z. B. bei der Bubiag, Anfang 1947 erneut Demontagen in ehemaligen sequestrierten Betrieben.219 Vorbereitet wurde der Sequestrierungsbefehl durch den SMAD-Befehl Nr. 72 vom 25. September 1945. Nach diesem Befehl sollten alle industriellen Unternehmen, die mehr als zehn Personen beschäftigten und im Jahr 1944 einen Jahresumsatz von mehr als 100 000 RM erwirtschafteten, von den deutschen Behörden erfasst und an die SMA weitergemeldet werden.220 Mit der Erfassung dieser Unternehmen schuf die SMAD die Voraussetzung für die Umsetzung eines allgemeinen Sequestrierungsbefehls. Nachdem am 4. Oktober 1945 der Oberste Chef der SMAD einen ersten Entwurf an Stalin übermittelte, gab dieser am 27. Oktober 1945 sein Einverständnis dazu bekannt.221 Am 30. Oktober 1945 erließ schließlich der Oberste Chef der SMAD Shukow den SMAD-Befehl Nr. 124 „über die Beschlagnahme und provisorische Übernahme einiger Eigentumskategorien in Deutschland“.222 Damit hatte die SMAD ihr Ziel, eine

217 Vgl. Laufer, Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen, S. 52–54. 218 Vgl. Liste der demontierten Betriebe innerhalb der Provinz Sachsen (Stand Ende Mai 1946; LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 32/33); Liste der neuen Demontagen seit dem 11.3.1946 vom 29.3.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 4268, Bl. 120 f.); Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Liebenwerda vom 28.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 19); Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Schweinitz vom 20.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 5). Die im Frühjahr 1946 demontierte Maschinenfabrik Hans-Erich Rose GmbH, die Mitteldeutsche Keramische Dauerbrandofenfabrik GmbH, die Ofenfabrik Wilhelm Engelmann GmbH, die Schamotte-Ofenfabrik Tietze & Schneider GmbH und die Herzberger Möbelfabrik Hermann Schlieben GmbH befanden sich alle nicht auf den Sequesterlisten. 219 Vgl. Meldung der Werksleitung der Bubiag über die Produktionsziffern für das 1. Quartal 1947 an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 6.2.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 22). 220 Vgl. Stefan von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949. Ein Beitrag zu Geschichte und Rechtsproblemen der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, Frankfurt a. M. 1996, S. 89. 221 Vgl. Laufer, Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen, S. 53. 222 Ergänzt wurde der SMAD-Befehl Nr. 124 vom SMAD-Befehl Nr. 126 „ Konfiskation des Vermögens der NSDAP“ vom 31.10.1945. Der Unterschied zum Befehl Nr. 124

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weitreichende Verfügungsgewalt über die deutsche Wirtschaft zu erlangen, zunächst erreicht. Im SMAD-Befehl Nr. 124 wurde im ersten Punkt festgehalten, dass „das Eigentum, dass sich auf dem von Truppen der Roten Armee besetzten Territorium Deutschlands befindet und: a. dem deutschen Staat und seinen zentralen und örtlichen Organen; b. den Amtsleitern der Nationalsozialistischen Partei, deren führenden Mitgliedern und einflussreichen Anhängern; c. den deutschen Militärbehörden und Organisationen; d. den von dem Sowjetischen Militärkommando verbotenen und aufgelösten Gesellschaften, Clubs und Vereinigungen; e. den Regierungen und Staatsangehörigen (physische und juristische Personen) der aufseiten Deutschlands am Krieg beteiligten Länder; f. Personen, die von dem Sowjetischen Militärkommando durch besondere Listen oder auf eine andere Weise bezeichnet werden, gehört“, zu sequestrieren sei.223 Im zweiten Punkt des Befehls wurde festgelegt, dass das gesamte „herrenlose Gut“ in der SBZ in die provisorische Verwaltung der sowjetischen Militärverwaltung übergeben werden sollte.224 Von dem Befehl Nr. 124 waren somit nicht nur wirtschaftliche Unternehmen und Betriebe betroffen, sondern auch staatliches oder privates Vermögen von ehemaligen NSDAP-Funktionären. Dies zeigte, dass die SMAD von Beginn an bemüht war, den Befehl Nr. 124 als politische Säuberungsaktion bzw. als Sicherung von herrenlosem Vermögen zu tarnen. Mit der Aufnahme des Punktes 1 f in den Befehl Nr. 124, mit dem sich die Besatzungsmacht die Nennung weiterer von ihr als wichtig erachteter Vermögen offenhielt, konnte sie ihre wahre Intention, eine größtmögliche Kontrolle über die deutsche Wirtschaft zu erlangen, aber kaum verbergen. Alle deutschen Ämter, Organisationen, Firmen, Unternehmer und sämtliche Privatpersonen, die das oben aufgeführte Eigentum besaßen bzw. davon Kenntnis hatten, wurden laut dritten Punkt des Befehls Nr. 124 binnen 15 Tage nach Erlass des Befehls dazu aufgefordert, eine schriftliche Erklärung über dieses Eigentum an die örtlichen Selbstverwaltungsorgane einzureichen.225 Die deutschen Verwaltungen waren dazu verpflichtet, die Richtigkeit der eingereichten Erklärungen zu prüfen und Maßnahmen zur Sicherung des ­Vermögens zu ­ergreifen. Gleichfalls sollten die deutschen Verwaltungen das gesamte

bestand darin, dass das Vermögen der NSDAP und deren Gliederungen nicht sequestriert, sondern endgültig konfisziert wurde. 223 SMAD-Befehl Nr. 124 „Über die Beschlagnahme und provisorische Übernahme einiger Eigentumskategorien in Deutschland“ vom 30.10.1945. In: Albert Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen bei den Konfiskationen in der SBZ 1945–1949. Zum Verhältnis zwischen deutschen Verwaltungsstellen und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Stuttgart 2003, S. 189. 224 Ebd., S. 190. 225 Vgl. ebd.

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­ ermögen listenmäßig zusammenfassen und bis spätestens zum 20. November V 1945 an den örtlichen Militärkommandanten übergeben.226 Um diese enormen sequestrierten Vermögenswerte verwalten zu können, wurden die Eigentümer bzw. Nutzer der sequestrierten Vermögen im achten Punkt des Befehls darauf aufmerksam gemacht, „dass sie die volle Verantwortung für dessen Erhaltung und die Sicherung einer reibungslosen Ausnutzung dieses Eigentums, entsprechend seiner wirtschaftlichen Bestimmung“, auch weiterhin trugen.227 In der ebenfalls am 30. Oktober 1945 vom SMAD herausgegebenen In­ struktion zum SMAD-Befehl Nr. 124 wurden die zu sequestrierenden Vermögenswerte näher bestimmt. Demnach konnte folgendes Vermögen sequestriert werden: a. jegliche Grundstücke (Bauten, Häuser, Wälder, Land); b. Handels-Industrie, Landwirtschaften – und andere Unternehmungen wirtschaftlicher Bedeutung und ihren vollen Ausrüstungen und lebendem und totem Inventar; c. bewegliches Vermögen (Juwelier-Erzeugnisse, Edelsteine, Edelmetall, Kunstund Altertumsgegenstände mit Ausnahme von Hausgeräten und Kleidung); d. Industriekonzessionen (Patente, Warenzeichen) und Literatureigentum; e. jegliche Dokumente, die das Eigentumsrecht feststellen oder Forderungen an Vermögen (Käufe, Pfände u. a.); f. Papiere (Aktien, Obligationen, Kupons u. a.); g. laufende Rechnungen, Einlagen, Depositen u. a. in verschiedenen Kreditinstitutionen; h. verschiedene Zahlungsmittel (Schecks, Wechsel u. a.); i. Bargeld, das sich im Umlauf Deutschlands befindet.228 Ebenfalls wurde in der Instruktion des Befehls Nr. 124 festgelegt, dass nur das Eigentum des Deutschen Reichs der Sequestrierung unterlag. Das Vermögen der Kommunen sollte nicht sequestriert werden.229 Die deutschen Kommunalverwaltungen wurden jedoch dazu verpflichtet, den SMAD-Befehl Nr. 124 umzusetzen. Da in der Provinz Sachsen die Finanzämter in den Städten und Landkreisen bereits auf Anordnung des Provinzialpräsidenten vom 21. August 1945 zur Erfassung des von den örtlichen Verwaltungen beschlagnahmten sowie herrenlosen Vermögens verpflichtet waren, wurde diesen auch die Erfassung des sequestrierten Vermögens nach Befehl Nr. 124 übertragen.230 Sehr schnell stellte sich jedoch bei der Bearbeitung heraus, 226 Vgl. ebd. 227 Ebd. 228 Vgl. Instruktion des SMAD-Befehls Nr. 124 „Über die Beschlagnahme und provisorische Übernahme einiger Eigentumskategorien in Deutschland“ vom 30.10.1945. In: Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 191 f. 229 Vgl. ebd., S. 192. 230 Vgl. Wilhelm, Die Rolle von Partei und Staat, S. 30; Finanzamt Bad Liebenwerda an die Herrn Bürgermeister des Finanzbezirks Bad Liebenwerda über die Ausführung

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dass der im Befehl Nr. 124 angegebenen Zeitplan von den Finanzämtern nicht gehalten werden konnte. Obwohl am 15. November 1945 bereits die Listen des Vermögens dem Militärkommandanten übergeben werden sollten, forderte der Wirtschaftsbeauftragte des Kreises Schweinitz die Bezirksbürgermeister erst am 16. November 1945 dazu auf, ihre Meldungen an das Finanzamt in Herzberg zu verschicken.231 Im Kreis Liebenwerda erging diese Anweisung erst am 17. November 1945.232 In der gesamten Provinz Sachsen gingen bis zum 30. November 1945 lediglich aus drei Kreisen vollständige Meldungen über das sequestrierte Vermögen bei den Bezirkspräsidenten ein.233 Dies zeigte bereits, dass der Befehls Nr. 124 in den deutschen Verwaltungen nicht mit großer Intensität umgesetzt wurde. Viele Deutsche vermuteten – darunter auch zahlreiche Kommunisten und Sozialdemokraten –, dass dieser Befehl lediglich dazu diente, die restliche deutsche Industrie in sowjetische Verfügungsgewalt zu überführen und schließlich zu demontieren. Im Untersuchungsgebiet schien sich dieser von vielen geäußerte Verdacht schließlich Ende des Jahres 1945 zu bestätigen. Da von den deutschen Verwaltungen keine Meldungen über die Sequestrierung großer Unternehmen und Betriebe an die Finanzämter erfolgten, ordneten die Kreiskommandanturen in beiden Landkreisen die Sequestrierung zahlreicher großer industrieller Unternehmen und Betriebe an. Im Kreis Schweinitz wurden z. B. bis zum 18. Dezember 1945 acht Betriebe von der Besatzungsmacht sequestriert. Darunter befanden sich alle großen Industriebetriebe des Schweinitzer Kreises, wie der Armaturenhersteller Marx & Moschütz, die HASAG in Schlieben, die Blechwaren- sowie Möbelfabrik der Familie Fuhrmann in Jessen, der Berliner Zweigbetrieb der Rasierklingenfabrik Roth und Büchner in Herzberg und der metallverarbeitende Zweigbetrieb der Firma Erich Timm in Schönewalde. Neben diesen Industriebetrieben wurde von der Kreiskommandantur lediglich ein Kürschnerbetrieb in Jessen sowie eine Gastwirtschaft in Seyda aufgrund der Volkssturmangehörigkeit ihrer Besitzer selbst sequestriert.234 Auch im Kreis Liebenwerda ordnete die Kreiskommandantur die Beschlagnahmung zahlreicher Industriebetriebe an. An dieser Stelle soll die ­Sequestrierung

231 232 233 234

des Erlasses vom 21.8.1945 vom 6.10.1945 (StA Ortrand, Nr. 8, Band I, Großkmehlen, unpag.). Vgl. Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Schweinitz an die Bezirksbürgermeister über die Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 16.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 89). Vgl. Finanzabteilung der Liebenwerdaer Kreisverwaltung über die Umsetzung der SMAD-Befehle Nr. 124 und 126 an alle Bürgermeister im Kreis Liebenwerda vom 17.11.1945 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 67, unpag.). Vgl. Richtlinien der SMA zu den Befehlen Nr. 124 und Nr. 126 mit Anmerkungen der Finanzabteilung der Provinzialverwaltung vom 30.11.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 184). Vgl. Bericht des Finanzamts Herzberg über die Durchführung der Befehle der SMA Nr. 124 und 126 vom 18.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 101– 105).

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des größten Unternehmens des Kreises Liebenwerda, die Bubiag, näher betrachtet werden. Obwohl die Provinzialverwaltung am 1. September 1945 die Verfügungsgewalt über die Bubiag übernahm, erteilte der Mückenberger Ortskommandant gemeinsam mit dem Landrat Paul Paulick Ende November 1945 die Anordnung, das Unternehmen zu sequestrieren. Das Mückenberger Vorstandsmitglied der Bubiag, Hartung, und der Handelsbevollmächtigte Kleffel wurden von diesen aufgefordert, die Sequestrierung bei der Mückenberger Gemeindeverwaltung anzumelden. So unter Druck gesetzt, blieb beiden nichts anderes übrig, als das Vermögen der Bubiag am 23. November 1945 zur Sequestrierung zu melden. Gleichsam übergaben Hartung und Kneffel aber ein Protestschreiben an die Mückenberger Gemeindeverwaltung, in dem sie die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung anzweifelten.235 Nach der Übergabe des Schreibens wandte sich die Mückenberger Betriebsführung der Bubiag sofort an die Provinzialverwaltung, die der Bubiag bereits am 27. November 1945 eine Bescheinigung zuschickte, in der bestätigt wurde, dass der Besitz der Bubiag nicht unter den Befehl Nr. 124 fallen sollte.236 Da sich allerdings bis zum 11. Dezember 1945 noch keine Änderung in der Angelegenheit ergab, wandte sich die Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft an die Finanzabteilung der Provinzialverwaltung. Nachdem die Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft gegen die Anwendung des Befehls Nr. 124 auf die Bubiag protestierte, schrieb sie weiter: „Der eben erwähnte Protest ist auch darauf gestützt, dass die Bubiag durch die Verordnung vom 1.9.45 in die Verfügungsgewalt der Provinz übernommen worden ist.“237 Die Provinzialverwaltung versuchte also, die Sequestrierung des Unternehmens durch die Besatzungsmacht mit dem Verweis auf die am 1. September 1945 erfolgte Übernahme der Verfügungsgewalt zu verhindern. Trotz zahlreicher Protestschreiben der Provinzialverwaltung und des Landrats Paul Paulick, der offensichtlich von der Kreiskommandantur zur Sequestrierung gedrängt worden war, wurde die Sequestrierung der Bubiag von der SMA nicht wieder aufgehoben.238 Auch die fünf anderen

235 Vgl. Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft in der Provinzialverwaltung über die Erfassung der Bubiag unter den SMAD-Befehl Nr. 124 an die Abteilung Finanzen in der Provinzialverwaltung vom 11.12.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 49); Bericht des Amtes für Technik der Provinzialverwaltung über eine Inspektionsfahrt im Mückenberger Ländchen vom 28.11.1945 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 351). 236 Vgl. Bescheinigung des Amtes für Brennstoffindustrie und Energie in der Provinzialverwaltung vom 27.11.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 50). 237 Unterabteilung Sicherung der Wirtschaft in der Provinzialverwaltung über die Erfassung der Bubiag unter den SMAD-Befehl Nr. 124 an die Abteilung Finanzen in der Provinzialverwaltung vom 11.12.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 49). 238 Vgl. z. B. Protestschreiben der Finanzabteilung der Provinzialverwaltung an die SMA in Halle über die Durchführung der Befehle Nr. 124 und 126 vom 17.12.1945 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 51). In diesem Schreiben verlangte die Provinzialverwaltung nicht nur die Aufhebung der Sequestrierung der Bubiag, sondern auch von vier weiteren unter der Verfügungsgewalt der Provinz stehenden Unternehmen. Vgl.

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großen Unternehmen, die im Kreis Liebenwerda von der Provinzialverwaltung in ihre Verfügungsgewalt übernommen wurden, sequestrierte die sowjetische Besatzungsmacht unter dem Protest der deutschen Verwaltungen.239 So schien das Vorgehen der Kreiskommandanturen die deutschen Verwaltungen in ihrer Skepsis und Zurückhaltung gegenüber dem Befehl Nr. 124 nur zu bestätigen. Willi Dieker (KPD), Leiter der Wirtschaftsabteilung in der Provinzialverwaltung, bestätigte dieses Verhalten. Er sagte während einer Wirtschaftstagung: „Als wir zuerst von der Sequestrierung erfuhren, waren wir alle der Meinung, diese Vermögenswerte würden eines Tages von der SMAD beschlagnahmt werden und uns verloren gehen. Da wir andere Informationen nicht erhalten konnten, wurden so wenig als möglich Betriebe unter Sequester gestellt.“240 Das Vorgehen der sowjetischen Kommandanturen zeigte somit ganz deutlich, dass es sich zum einen bei der Durchführung des Befehls Nr. 124 nicht um eine politische Säuberungsaktion handelte und zum anderen, dass von der SMA nicht von vornherein die Absicht bestand, die sequestrierten Unternehmen und Betriebe später in Eigentum der deutschen Verwaltungen zu überführen. Die Sequestrierung von bereits in der Verfügungsgewalt der Provinz befindlichen Unternehmen scheint hingegen die These von Jochen Laufer zu bestätigen. Im Kreis Liebenwerda wurden bis zum 11. Dezember 1945 insgesamt 35 Industriebetriebe sequestriert.241 Im wirtschaftsschwachen Kreis Schweinitz sequestrierte man bis zum 18. Dezember 1945 lediglich 25 Industrie-, Handwerksund Handelsbetriebe.242 Die größten Industriebetriebe befanden sich dabei in beiden Landkreisen auf den Sequesterlisten. Lediglich 12 Industriebetriebe mit über 30 Beschäftigten wurden im Kreis Liebenwerda bis zum 11. Dezember 1945 nicht sequestriert. Dagegen wurden 19 Industriebetriebe mit über 30 Beschäftigten bis zu diesem Zeitpunkt im Kreis Liebenwerda unter Sequester gestellt. Darunter befanden sich alle Unternehmen und Betriebe mit über 100

239

240 241 242

Stellungnahme des Liebenwerdaer Landrats zu der Beschlagnahmung der Bubiag an die Finanzabteilung der Provinzialverwaltung vom 21.3.1946 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 45). Vgl. Aufstellung der Betriebsvermögen des Kreises Liebenwerda, die der Beschlagnahme oder zeitweiligen Verwaltung lt. Befehl Nr. 124 unterliegen vom 11.12.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). In dieser Liste befanden sich bereits die Bubiag, die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer, die Plessaer Braunkohlenwerke, die Anhaltinischen Kohlewerke in Domsdorf, die Beutersitzer Kohlenwerke und die Firma R. Reiss KG.; Finanzabteilung der Provinzialverwaltung über die Durchführung des Befehls Nr. 124 an die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer vom 2.1.1946 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10978, Bl. 18). Niederschrift über die Wirtschaftstagungen in Dessau, Magdeburg und Halle vom 15., 16. und 17.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 219, Bl. 73 f.). Aufstellung der Betriebsvermögen des Kreises Liebenwerda, die der Beschlagnahme oder zeitweiligen Verwaltung lt. Befehl Nr. 124 unterliegen, vom 11.12.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Verzeichnis der Betriebe des Kreises Schweinitz, die durch Befehl 124 erfasst wurden, vom 18.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 106).

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Beschäftigten, wie die Bubiag, die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer, die Alexander Wacker AG mit dem Ferro- und Chemowerk, die Plessaer Braunkohlewerke, die Anhaltinische Braunkohlewerke in Domsdorf, die Beutersitzer Braunkohlewerke, die Firma R. Reiss und die Brottewitzer Zuckerfabrik. Am Anfang des Jahres 1946 beschäftigten die im Kreis Liebenwerda sequestrierten Unternehmen und Betriebe insgesamt 5 876 Personen.243 Im Kreis Schweinitz befanden sich ebenfalls die wichtigsten Industriebetriebe auf der Sequesterliste, wie die beiden demontierten Unternehmen Marx & Moschütz, die HASAG in Schlieben, die Fuhrmannsche Blechwaren- und Möbelfabrik, die Schönewalder Firma Erich Timm, der Herzberger Zweigbetrieb der Julius Pintsch AG und die beiden Sägewerke von Hans Ohls in Seyda und Erich Kuhrmann in Jessen. Die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur der beiden Landkreise Liebenwerda und Schweinitz wurde erneut darin sichtbar, dass in den sequestrierten Industriebetrieben des Kreises Schweinitz im Jahr 1946 lediglich 280 Personen beschäftigt waren. Die restlichen 17 in der Schweinitzer Sequesterliste vom 18. Dezember 1945 verzeichneten Betriebe waren kleine Handwerks- bzw. Handelsbetriebe mit kaum mehr als zwei Beschäftigten.244 Während die großen Industriebetriebe zunächst nahezu ausschließlich nur auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht in die Sequesterlisten aufgenommen wurden, begannen jedoch die deutschen Verwaltungen seit Herausgabe des Befehls Nr. 124, die Vermögen von ehemaligen NSDAP-Funktionären ohne Einschränkungen an die Finanzämter zu melden. Die Gemeinde-, Stadtund Kreisverwaltungen legten den Befehl Nr. 124 also offenbar zunächst ausschließlich als Säuberungsmaßnahme gegen ehemalige NSDAP-Funktionäre aus. Beispielsweise wurden dem Finanzamt im Kreis Schweinitz bis Anfang 1946 insgesamt 52 Vermögen von ehemaligen NSDAP-Funktionären bzw. von ehemaligen Volkssturmkommandeuren gemeldet. Darunter befanden sich die Vermögen von 21 NSDAP-Ortsgruppenleitern des Kreises Schweinitz.245 Im Kreis Liebenwerda nahm die Sequestrierung von privatem Vermögen ehemali-

243 Aufstellung der Betriebsvermögen des Kreises Liebenwerda, die der Beschlagnahme oder zeitweiligen Verwaltung lt. Befehl Nr. 124 unterliegen, vom 11.12.1945 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.); Auflistung aller Industriebetriebe mit Eigentümer bzw. Treuhänder im Kreis Liebenwerda (vermutlich April 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 859, unpag.). Die beiden auf der Sequesterliste vom 11.12.1945 verzeichneten Firmen von Hermann Westfeld (Baugeschäft) und Hermann Ließ (Kaufhaus) waren nicht in der oben aufgeführten Auflistung vorhanden. Ebenso wurden für den Autohof Geb. Rastig und das Baugeschäft Franz Jacob keine Beschäftigtenzahlen in der Auflistung angegeben. 244 Vgl. Verzeichnis der Betriebe des Kreises Schweinitz, die durch Befehl 124 erfasst wurden, vom 18.12.1945 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 106); Verzeichnis über die im Kreise Schweinitz vorhandenen industriellen Betriebe vom 25.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 219, Bl. 80). 245 Sequesterverzeichnis vom Finanzamt Herzberg (Anfang 1946; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 213, Bl. 129–134).

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ger NSDAP-Funktionäre noch größere Formen an. Hier wurden bis Mitte des Jahres 1946 insgesamt 233 private Vermögen (keine Industrie-, Handwerksoder Handelsbetriebe mit eingerechnet) sequestriert. Davon waren wiederum insgesamt 22 Vermögen von ehemaligen NSDAP-Ortsgruppenleitern betroffen.246 Bei der Durchsicht der Eigentümer stellte man zudem fest, dass eine große Zahl kurz nach Kriegsende vom NKWD verhaftet wurde.247 Bei der Sequestrierung von privatem Vermögen konnte man also in den meisten Fällen davon ausgehen, dass es sich bei den Besitzern um ehemalige NSDAP-Funk­ tionäre handelte. Im Folgenden soll allerdings nicht auf die Verwertung der sequestrierten privaten Vermögen, sondern vor allem auf das Schicksal der sequestrierten Unternehmen und Betriebe eingegangen werden. Grundsätzlich kann man feststellen, dass bis Ende Februar 1946 in beiden Landkreisen die Zahl der sequestrierten Unternehmen und Betriebe nicht zunahm.248 Der SMAD-Befehl Nr. 97 vom 29. März 1946 änderte diese Praxis allerdings grundlegend. In diesem Befehl ordnete die Besatzungsmacht an, dass „die gesamten sequestrierten und konfiszierten Vermögenswerte mit Ausnahme einzelner Objekte, die in einem besonderen Verzeichnis aufgeführt sind, den Selbstverwaltungen der Provinzen und Länder für die Bedürfnisse der Selbstverwaltungen, städtischer und ländlicher Gemeinden, demokratischer Organisationen und der durch Kriegshandlungen geschädigten Bevölkerung zur Verfügung zu übergeben“ seien.249 Im zweiten Absatz des Befehls wurde die Gründung der Zentralen Deutschen Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme (ZDKSB) angeordnet, die am 1. ­April 1946 ihre Arbeit aufnahm und den Sequestrationsprozess in der gesamten SBZ leiten und beschleunigen sollte.250 Da sich die SMAD mit den Befehl Nr. 97 erstmals offiziell zur weiteren Verwendung des sequestrierten Vermögens äußerte, wurde den deutschen Verwaltungen ein neuer Anreiz für weitere Sequestratio­ nen gegeben. Auch wenn die sowjetische Besatzungsmacht nicht die vollständige Rückgabe des sequestrierten Vermögens beabsichtigte, so konnten doch die deutschen Verwaltungen nach dem Befehl Nr. 97 mit der Übergabe eines Großteils des sequestrierten Vermögens rechnen.

246 Sequesterlisten des Kreises Liebenwerda aufgeteilt nach Industrie-, Handwerks- und Handelsbetriebe sowie sonstige Vermögen (vermutlich Juli/August 1946; KA Herz­ berg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 247 Vgl. Dokumentationsstelle Dresden, DRK-Datenbank und Datenbank der NKWD-Internierten. 248 Vgl. Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Liebenwerda vom 28.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 19); Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Schweinitz vom 20.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 5). 249 SMAD-Befehl Nr. 97 über die „Einrichtung einer zentralen deutschen Kommission in Angelegenheiten der Sequestrierung (Zwangsverwaltung) und Konfiskation (Beschlagnahmung) in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“ vom 29.3.1946. In: Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 201. 250 Vgl. ebd.

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Aus diesem Grund begann im April 1946 eine zweite große Sequestrationswelle. Im Kreis Liebenwerda wurden daraufhin bis zur Mitte des Jahres 1946 nochmals 4 große Industriebetriebe, 16 Handwerksbetriebe, 16 Handelsbetriebe und 186 Kleinstunternehmen bzw. private Vermögen sequestriert.251 Laut Wirtschaftsbericht vom 6. Juli 1946 fielen bis dahin insgesamt 417 Vermögen (einschließlich staatlicher Vermögen, z. B. von Wehrmacht und Deutscher Post) im Kreis Liebenwerda unter den Befehl Nr. 124.252 Im Kreis Schweinitz erhöhte sich die Zahl der sequestrierten Betriebe ebenso. Hier steigerte sich die Gesamtzahl der sequestrierten Betriebe bis Mitte des Jahres 1946 von 25 auf 111 Betriebe.253 Da in beiden Landkreisen die größten Unternehmen und Betriebe, nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Kreiskommandanturen, seit Beginn der Umsetzung des Befehls Nr. 124 sequestriert worden waren, kamen meist nur kleinere Betriebe in den Sequesterlisten hinzu.254 Nachdem feststand, dass die sequestrierten Betriebe den deutschen Verwaltungen zur weiteren Verwertung übergeben werden sollten, übernahmen die kreislichen Ausschüsse zur Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft praktisch die Sequestrierungen. Nach den in der Verordnung vom 13. September 1945 aufgestellten Kriterien zur Entnazifizierung wurden nun nahezu alle Betriebe, deren Inhaber als belastet angesehen wurde, gleichfalls sequestriert. Da die hiesigen Säuberungsausschüsse auch als Kreissequesterkommissionen fungierten, die später über das weitere Schicksal der sequestrierten Betriebe bestimmen sollten, wurde in den Ausschüssen nicht mehr zwischen personeller und vermögensrechtlicher Säuberung getrennt. Diese nicht mehr erfolgte Trennung bedeutete, das z. B. im Kreis Schweinitz bis September 1946 ca. 25 Prozent der Betriebe, die von einem ehemaligen NSDAP-Mitglied geführt wurden, sequestriert wurden.255 Die Sequestrierung eines Betriebs wandelte sich somit zur Vorstufe für die politische und vermögensrechtliche Säuberung. Für die Besitzer eines sequestrierten Betriebs bedeute dies, unabhängig davon, ob sie politisch belastet waren, dass sie die Verfügungsgewalt über ihren Betrieb und damit in vielen Fällen auch ihre Lebensgrundlage zunächst verloren. Einzelne Beispiele für willkürliche Sequestrierungen belegten erneut, dass die deutschen Verwaltungen bzw. Säuberungsausschüsse in mehreren Fällen

251 Vgl. Sequesterlisten des Kreises Liebenwerda aufgeteilt nach Industrie-, Handwerksund Handelsbetriebe sowie sonstige Vermögen (vermutlich Juli/August 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 252 Vgl. Wirtschaftlicher Monatsbericht des Landrats des Kreises Liebenwerda für den Juni 1946 vom 6.7.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 307, Bl. 366). 253 Freiheit vom 5.9.1946, Nr. 116. 254 Vgl. Sequesterlisten des Kreises Liebenwerda aufgeteilt nach Industrie-, Handwerksund Handelsbetriebe sowie sonstige Vermögen (vermutlich Juli/August 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 255 Vgl. Freiheit vom 5.9.1946, Nr. 116; Abschlussbericht über die politische Säuberung der Wirtschaft im Kreis Schweinitz (vermutlich Januar 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 405).

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nicht in der Lage waren, den Inhabern von Unternehmen und Betrieben glaubwürdig ihre NS-Vergangenheit vorzuwerfen. Besonders deutlich wurde die willkürliche Praxis zunächst bei den von der sowjetischen Besatzungsmacht angeordneten Sequestrierungen. Da sich die deutschen Verwaltungen zunächst gegen die Sequestrierungen der großen Unternehmen aussprachen, belegten diese ironischerweise in der Anfangszeit der Sequestrierungen in mehreren Fällen, dass die Besitzer politisch kaum belastet waren. Der Landrat Paul Paulick, der seit Mai 1945 die Enteignung der Bubiag betrieben hatte, schrieb z. B. am 21. März 1946 Folgendes an die Provinzialverwaltung: „Die Besitzer der Aktien der Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG konnten nicht ermittelt werden […]. Nach den Richtlinien der SMA zu den Befehlen Nr. 124 und 126, aufgestellt von dem Sacharbeiter der SMA, Herrn Woropajew, Seite 3, Absatz 3, wird bemerkt, dass bei der Sequestration der Aktiengesellschaften genau anteilhaft festgestellt werden muss, welche Anteile dem Personenkreis angehören, die dem Befehl Nr. 124 unterstehen, wobei getrennt aufzuführen ist, was den unter Befehl 124 fallenden Faschisten und was anderen Personen gehört. Da wir solche Personen, die unter den Befehl 124 fallen, unter den Aktienbesitzern nicht feststellen können, ist die Beschlagnahme aufzuheben.“256 Um die Bubiag vor dem sowjetischen Zugriff zu schützen, stellte der Landrat Paulick praktisch seine gesamte bisherige Argumentation bezüglich der Bubiag auf den Kopf. Er gab somit erstmals selbst zu, dass die u. a. von ihm bereits seit Mai 1945 betriebene Enteignung der Bubiag nicht aufgrund der politischen Belastung ihrer Aktionäre, sondern lediglich aus ideologischen Gründen erfolgte. In zahlreichen anderen Meldungen an die Finanzämter wurde ebenso deutlich, dass die Einreicher kaum in der Lage waren, etwas über den politischen Belastungsgrad der Besitzer auszusagen. So forderte das Finanzamt in Bad Liebenwerda, obwohl die Sequestrierungen bereits erfolgt waren, die Antragsteller nochmals auf, bis zum 16. Januar 1946 Auskünfte über die politische Belastung der Unternehmens- bzw. Betriebsbesitzer einzureichen. Viele dieser neuen Meldungen beinhalteten aber dennoch nur unzureichende Gründe. Der Betriebsrat bzw. der Betriebsleiter der Beutersitzer Kohlewerke schrieb z. B. am 16. Januar 1946: „Über die genannten juristischen und natürlichen Personen können weder politische noch in persönlicher Beziehung Angaben gemacht werden.“257 Ähnliches schrieb auch der Betriebsleiter des Ferrowerks in Mückenberg, Richard Behles: „Die Hauptverwaltung der beiden in Mückenberg befindlichen Betriebe befindet sich in München. Wir konnten weder die Gesellschafter noch

256 Stellungnahme des Liebenwerdaer Landrats zu der Beschlagnahmung der Bubiag an die Finanzabteilung der Provinzialverwaltung vom 21.3.1946 (LHASA, MD, K 3, Nr. 10962, Bl. 45). 257 Vgl. Nachträgliche Meldung zur Erfassung der Beutersitz Kohlenwerke AG unter den SMAD-Befehl Nr. 124 vom 16.1.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.).

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ihre politische Beurteilung feststellen.“258 In Ortrand verfassten die Beschäftigten des kleinen Baugeschäfts von Franz Jakob am 14. Januar 1946 sogar eine Protestnote für das Finanzamt und forderten darin die Wiedereinsetzung des Betriebsbesitzers sowie die Aufhebung der Sequestration.259 Mehrere andere Beispiele ließen sich im Folgenden noch nennen, in denen der politische Belastungsgrad nicht für eine Sequestration ausreichte.260 Während bei der Sequestration von kleineren, unbedeutenden Betrieben die Betriebs­inhaber meist auch im Sinne des Befehls Nr. 124 politisch belastete waren, zeigte sich, dass bei der Sequestration von großen Unternehmen und Betrieben die politische Belastung teils überhaupt nicht geprüft wurde. Dies bewies, dass es sich bei dem Befehl Nr. 124 nur vordergründig um eine politische Säuberung handelte. Da ausnahmslos die größten und umsatzstärksten Unternehmen und Betriebe des Untersuchungsgebiets unabhängig von der politischen Belastung der Eigentümer sequestriert wurden, bildete der Befehl Nr. 124 lediglich das Mittel für die sowjetische Besatzungsmacht, um die größten deutschen Unternehmen und Betriebe in ihre Verfügungsgewalt zu überführen. Dass die Besatzungsmacht nahezu ausnahmslos ein Interesse an der Sequestrierung von größeren Unternehmen und Betriebe hatte, zeigte sich ebenfalls daran, dass sie kaum in die Sequestrierung von kleineren Betrieben oder privaten Vermögen von ehemaligen NSDAP-Funktionären eingriff. So diente die im Befehl Nr. 124 dargestellte Säuberungsabsicht der Besatzungsmacht offensichtlich nur als Vorwand, um zum einen den Befehl öffentlich zu legitimieren und zum anderen, um die deutschen Verwaltungen zur gemeinsamen Umsetzung zu motivieren. 3.4

Die Enteignung der sequestrierten Unternehmen und Betriebe

Nachdem bereits der SMAD-Befehl Nr. 97 vom 29. März 1946 die Übergabe des sequestrierten Vermögens an die deutschen Verwaltungen ankündigte, wurde dieses Vorhaben vonseiten der sowjetischen Besatzungsmacht mit dem SMAD-Befehl 154/181 vom 21. Mai 1946 konkretisiert. In den Absätzen 1, 2 und 4 des Befehls Nr. 154/181 wurde nochmals festgehalten, dass das seques­ 258 Vgl. Meldung zur Erfassung der Alexander Wacker AG in Mückenberg unter den SMAD-Befehl Nr. 124 (undatiert; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 259 Vgl. Erklärung der Gefolgschaftsmitglieder der Firma Franz Jakob vom 14.1.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 260 Beispielsweise wurden ebenfalls die Betriebsanteile von Elisabeth und Manfred Schmidt an der Eisenhütte Ortrand sequestriert, obwohl die Behörden wussten, dass diese nicht der NSDAP angehörten. Vgl. Meldung zur Erfassung der Eisenhütte Ortrand unter den SMAD-Befehl Nr. 124 vom 14.1.1946 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Des Weiteren befand sich die Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter, auch nachdem der Säuberungsausschuss der IHK den Inhaber politisch „tragbar“ einschätzte, weiterhin auf der Sequesterliste. Vgl. Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Liebenwerda vom 28.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 19).

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trierte bzw. konfiszierte deutsche Staatseigentum, das Vermögen der NSDAP und deren Gliederungen, das Eigentum der Amtsträger der NSDAP und deren Gliederungen, von Kriegsverbrechern sowie das herrenlose Vermögen an die „deutschen Selbstverwaltungen der Provinzen und Länder“ zurückgegeben werden sollte. Ausgenommen von der Übergabe an die deutschen Verwaltungen wurde das Vermögen von Ausländern, welches zunächst in der Hand der SMA bleiben sollte.261 Da im Untersuchungsgebiet allerdings nach Angaben der beiden Kreisverwaltungen kein ausländisches Vermögen sequestriert oder konfisziert wurde, spielte dieser Passus für die Landkreise Liebenwerda und Schweinitz keine Rolle.262 Viel bedeutender für das Untersuchungsgebiet war dagegen der Punkt 5 a des Befehls 154/181. Hierin wurde festgehalten, dass „Vermögen, das für Reparationszwecke gebraucht wird, als Mittel des Kriegspotenzials der Vernichtung unterliegt oder für Besatzungszwecke benötigt wird“, ebenfalls nicht den deutschen Verwaltungen übergeben werden sollte.263 Die sowjetische Besatzungsmacht behielt sich somit einen Weg zur Beibehaltung ihrer Verfügungsgewalt über große Teile der deutschen Wirtschaft offen. Nachdem in Teilen der sowjetischen Führung die Ineffektivität sowie die ökonomischen Schäden der direkten Demontagen erkannt worden waren, erließ die SMAD am 5. Juli 1946 den Befehl 167 „Über den Übergang von Unternehmungen in Deutschland in das Eigentum der UdSSR auf Grund der Reparationsansprüche der UdSSR“. Damit änderte sich die Reparationspolitik in der SBZ grundlegend. Diesem Befehl war eine Liste von insgesamt 213 deutschen Betrieben beigefügt, die in Eigentum der Sowjetunion überführt und aus denen die sowjetischen Reparationsforderungen erfüllt werden sollten.264 In der gesamten Provinz wurden daraufhin bis Dezember 1946 insgesamt 86 ­Unternehmen mit 138 249 Beschäftigten in sowjetischen Besitz übernommen.265 Manfred Wille schätzte den ständig steigenden Wert der produzierten Güter dieser Betriebe von September 1946 bis Dezember 1947 auf 1,2 Milliarden RM.266 Die SMAD suchte sich unter den sequestrierten Betrieben die gewinnbringendsten heraus und entzog der deutschen Wirtschaft damit deren Umsatzgewinne.

261 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 154/181 über die „Übergabe des enteigneten und beschlagnahmten Eigentums in Besitz und Nutznießung der deutschen Selbstverwaltungen“ vom 21.5.1946. In: Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 206 f. 262 Vgl. Auflistung der sequestrierten ausländischen Industrieunternehmen in der Provinz Sachsen (undatiert; LHASA, K 31, Nr. 315, unpag.). 263 SMAD-Befehl Nr. 154/181 über die „Übergabe des enteigneten und beschlagnahmten Eigentums in Besitz und Nutznießung der deutschen Selbstverwaltungen“ vom 21.5.1946. In: Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 207. 264 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 167 über „den Übergang von Unternehmungen in Deutschland in das Eigentum der UdSSR auf Grund der Reparationsansprüche der UdSSR“ vom 5.6.1946. In: Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 208 f.; von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone, S. 98 f. 265 Wille, Die Industrie Sachsen-Anhalts, S. 162. 266 Vgl. ebd.

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Auch die Bubiag war, als letzter intakter, nur teilweise demontierter Großbetrieb im Kreis Liebenwerda, von dem Befehl Nr. 167 betroffen. Andere große Betriebe im Untersuchungsgebiet, wie z. B. das Ferro- und Chemowerk in Mückenberg oder die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer, waren zu diesem Zeitpunkt bereits so stark demontiert, sodass die Besatzungsmacht kein weiteres Interesse an ihnen hatte. Am 12. November 1946 erließ der Chef der SMA der Provinz Sachsen den Befehl Nr. 243, in dem die Teilung der Bubiag angeordnet wurde. Damit wurden die beiden Brikettfabriken Emanuel I und II, das Kraftwerk Emanuel, die Zentralwerkstatt, die zentrale Wasserreinigungsstation und die in der Provinz Brandenburg gelegenen Betriebsteile wie die Grube Friedländer, ein Sägewerk in Poley und zwei Ziegeleien in Lichterfeld und Schacksdorf in sowjetischen Besitz überführt.267 In deutscher Hand blieben nur der Tagebau Kleinleipisch und drei Brikettfabriken, wovon die modernste Marie-Anne V Anfang 1947 demontiert wurde.268 Trotz aller Proteste der Provinzialverwaltung unterschrieben ihre Vertreter und das Vorstandsmitglied Arthur Tetzel am 28. Dezember 1946 die Enteignungsurkunde, die rückwirkend zum 1. Oktober 1946 den oben aufgeführten Teil der Bubiag in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) überführte.269 Der neuentstandene Betrieb wurde nach der in der Provinz Brandenburg gelegenen Friedländer-Grube „SAG-Betrieb Kombinat Friedländer“ umbenannt. Das Anlagevermögen des neuen Kombinats Friedländer wurde auf 16 Millionen RM geschätzt.270 Jedoch schien dies angesichts der Überführung der zwei leistungsstärksten Brikettfabriken Emanuel I und II, die im Jahr 1947 insgesamt 1 141 600 Tonnen Briketts produzierten (ca. 60 Prozent der Brikettproduktion der gesamten Bubiag 1946), zu gering kalkuliert.271 Unter der Betriebsteilung hatte die deutsche „Rest-Bubiag“ erheblich zu leiden. Wäre ohne die Demontage der modernen Brikettfabrik Marie-Anne V womöglich ein gewinnbringender Betrieb weiter möglich gewesen, so verzeichneten die in deutschen Händen verbliebenen Teile der Bubiag mit Beginn der Demontage der Brikettfabrik Marie-Anne V erhebliche Verluste. Allein im März 1947 mussten die deutschen Verantwortlichen der „Rest-Bubiag“ einen Verlust von 392 000 RM feststellen.272 Ferner erwirtschaftete die „Rest-Bubiag“ vom 1. Januar bis zum 15. Mai 1947 nur 19 Prozent der gesamten Brikettproduk­ tion aus dem Jahr 1946.273 Ganz bewusst gliederten die sowjetische Besatzungs-

267 Vgl. Abteilung Brennstoffindustrie und Energiewirtschaft der Provinzialverwaltung über die Überführung der Bubiag in sowjetisches Eigentum an den Wirtschaftsminister Willi Dieker vom 20.12.1946 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 36). 268 Vgl. ebd. 269 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 60. 270 Vgl. ebd., S. 64. 271 Ebd., S. 62. 272 Betriebserhebung der Braunkohle- und Brikettindustrie AG (Bubiag) vom 30.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 273 Vgl. ebd.

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macht die gewinnbringenden Teile der Bubiag aus dem Betrieb aus und überführten diese in ihren Besitz. Der unrentable Rest mit den bereits im Jahr 1900 und 1912/13 erbauten Brikettfabriken Milly und Marie verblieb in deutscher Hand.274 Der SAG-Betrieb Kombinat Friedländer wurde erst am 1. Mai 1952 in deutsches „Volkseigentum“ überführt und in Volkseigener Betrieb (VEB) BKW Freundschaft umbenannt.275 Wie aber vollzog sich die Enteignung der vielen anderen sequestrierten Unternehmen und Betriebe, die nicht in sowjetischen Besitz übergingen? Nachdem sich in Berlin am 1. April 1946 die Zentrale Deutsche Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme (ZDKSB) gründete, entstand gleichfalls im April 1946 in der Provinz Sachsen die zentrale Sequesterkommission unter dem Vorsitz von Willi Dieker (KPD/SED). Neben Dieker waren in der Provinzialsequesterkommission außerdem die provinzsächsischen Parteivorsitzenden, der FDGB-Provinzialversitzende und je ein Vertreter der Parteien und des FDGB vertreten. Da die FDGB-Vertreter der SED angehörten, stellte die SED die Mehrheit.276 Zeitgleich wurden im Untersuchungsgebiet den bereits bestehenden Kreissäuberungsausschüssen auch die Aufgaben der Kreissequesterkommission übertragen. Diesen kam in der Folgezeit die Aufgabe zu, die sequestrierten Betriebe in drei verschiedenen Listen zu erfassen. Auf einer sogenannten Liste A sollten die sequestrierten Unternehmen und Betriebe erfasst werden, die zur entschädigungslosen Enteignung vorgesehen waren. In die Liste B wurden Unternehmen und Betriebe eingetragen, die ihren Eigentümern zurückgegeben werden sollten. Die Liste C sollte schließlich Unternehmen und Betriebe enthalten, über deren weitere Verfügung noch nicht entschieden war bzw. bei denen ein Vorbehalt der sowjetischen Besatzungsmacht bestand.277 Vor allem die SED bemühte sich, die Aufstellung dieser Listen propagandistisch zu begleiten. Im Vorfeld des nur im Land Sachsen am 30. Juni 1946 stattfindenden Volksentscheides zur „Übergabe der Betriebe von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ fanden in der gesamten Provinz Sachsen mehrere von der SED zusammen mit den anderen Parteien und dem FDGB organisierte Versammlungen statt.278 Gleichfalls schrieb das Zentralsekretariat der SED an den Vorstand der SED in der Provinz Sachsen: „Überall sind Betriebsversammlungen und öffentliche Versammlungen durchzuführen,

274 Vgl. Meldung der Werksleitung der Bubiag über die Produktionsziffern für das 1. Quartal 1947 an den Herrn Präsidenten der Provinz vom 6.2.1947 (LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, Bl. 22). 275 Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 109. 276 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 402. 277 Vgl. von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone, S. 94 f. 278 Vgl. Wilhelm, Die Rolle von Partei und Staat, S. 72. Dazu wurde unter anderem am 5.6.1946 ein Aufruf der Parteien der Provinz veröffentlicht, in dem diese forderten „dass alle Betriebe der Kriegsverbrecher und der aktiven Nazis der Provinzialverwaltung übereignet oder zur Verfügung gestellt werden“.

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in denen darüber berichtet wird, wie die sowjetische Militärverwaltung die Betriebe dem deutschen Volke zur Verfügung stellt und warum die Übereignung der Betriebe der Kriegsverbrecher und Naziverbrecher an die Landes- bzw. Provinzialverwaltung erfolgen soll […]. Es ist eine Massenpropaganda durchzuführen durch Herausgabe von Plakaten, Flugblättern und Transparenten.“279 Diese Kampagne sollte zum einen als Legitimation der geplanten Enteignungen und zum anderen zur Kaschierung der Absage eines eigens in der Provinz Sachsen organisierten Volksentscheides dienen. Im Kreis Liebenwerda organisierten die Parteien und der FDGB daraufhin am 30. Juni 1946 in Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Falkenberg, Bockwitz und Mühlberg sogenannte Delegiertenkonferenzen, in denen die Beschlüsse der Kreissequesterkommission vorgestellt wurden und über die Enteignungen abgestimmt werden sollte.280 Im Kreis Schweinitz fanden am selben Tag in Herzberg, Jessen, Schönewalde, Schlieben und Seyda ähnliche Veranstaltungen statt. Parallel dazu hielt die SED des Kreises Schweinitz insgesamt 108 Kundgebungen zum Volksentscheid ab.281 Wie aus internen Parteiberichten hervorging, war die Beteiligung an diesen Veranstaltungen sehr unterschiedlich. In Jessen kamen z. B. am 30. Juni 1946 insgesamt 408 und in Herzberg 248 Personen in diesen Versammlungen zusammen.282 In Elsterwerda besuchten allerdings nur 80 bis 100 Gäste sowie in Bad Liebenwerda nur ca. 140 Gäste diese Veranstaltungen. Die Liebenwerdaer SED-Kreisleitung kritisierte ausdrücklich ihre Ortsverbände für die ungenügende Vorbereitung dieser Konferenzen.283 Bereits vor diesen scheindemokratischen Veranstaltungen brachten vor allem die bürgerlichen Vertreter in den Kreissequesterkommissionen ihren Unmut über einige geplante Enteignungen zum Ausdruck. Besonders der CDU-Vorsitzende des Kreises Liebenwerda, Carl Schulze, der Mitglied der Kreissequesterkommission war, wehrte sich erbittert gegen mehrere Enteignungsbeschlüsse. Seinen Protest brachte er erstmals öffentlich in einer CDU-Versammlung in Bad Liebenwerda am 31. Mai 1946 zum Ausdruck. In einem SED-Informationsbericht wurde dazu Folgendes ausgesagt: „Im Anschluss ging Herr Schulze auf die besonderen Verhältnisse im Kreise Liebenwerda ein und führte heftige Klage darüber, dass hier Enteignungen, Verhaftungen und Ausweisungen durchgeführt würden, die jeder rechtlichen Grundlage entbehren […]. Auf den Befehl

279 SED der Provinz Sachsen an die SED-Bezirks- und Kreisverbände vom 11.6.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 26, Bl. 20). 280 Vgl. Monatsbericht des SED-Kreisvorstandes Liebenwerda vom 3.7.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 116, Bl. 194); vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 54 f. (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 281 Informationsbericht des SED-Vorstandes des Kreises Schweinitz vom 7.7.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 282 Ebd. 283 Vgl. Monatsbericht des SED-Kreisvorstandes Liebenwerda vom 3.7.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 116, Bl. 194).

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124 der SMA übergehend sagte Herr Schulze, dass hier Versäumnisse des Provinzialausschusses vorlägen, die sich im Fehlen von einheitlichen Richtlinien bemerkbar machten. Er stellte besonders heraus, dass seine Partei sich nicht immer im Tempo der getroffenen Entscheidungen einverstanden erklären könne […]. Er gestattete sich, in diesem Zusammenhang direkt das demokratische Prinzip des Antifa-Auschusses (hier war wohl die Kreissequesterkommission gemeint) anzugreifen, indem er zum Ausdruck brachte, dass wenn 15 Menschen für eine Enteignung stimmen und einer dagegen immer noch nicht gesagt sei, ob nicht dieser eine doch recht hätte und nicht die 15.“284 Carl Schulze kritisierte zwar öffentlich die Beschlüsse der Kreissequesterkommission, gab aber während der Veranstaltung am 31. Mai 1946 gleichfalls zu, dass die CDU in der Mehrzahl der Fälle gemeinsam mit den anderen Parteien und dem FDGB für eine Enteignung stimmte.285 Laut eigenen Angaben wirkte Carl Schulze bei der Abstimmung über 39 Betriebe mit. Davon stimmte er in 33 Fällen für die Enteignung. Lediglich in fünf Fällen stimmte er dagegen.286 Seine Entscheidung begründete er später wie folgt: „Es wäre jetzt noch zu klären, um welche Betriebe es sich handelt: 1. Dörner (Baugeschäft), 2. Gebr. Poppe, Prösen (Metallgießerei). Bei beiden Betrieben habe ich meine Zustimmung zur Enteignung nicht gegeben, weil einige Personen unbelastete Teilhaber sind. Ich habe dafür gestimmt, dass lediglich das Vermögen der belasteten Teilhaber sequestriert werden soll. Weiter die Fa. Zielke (Druckerei) und R. Reiss (Zeichengeräte). Bei beiden Betrieben sind die Inhaber nicht politisch belastet. Nach all den vorliegenden Unterlagen sind diese Inhaber nicht als aktivistische Nazis anzusehen. Bei der Fa. Schneider (Zeichengeräte) gilt dasselbe.“287 Carl Schulze machte, wie es schien, seine Entscheidungen über die Enteignungen offenbar allein vom politischen Belastungsgrad der Firmeninhaber abhängig. Dass dieses Kriterium aber in mehreren Fällen nicht ausschlaggebend für den Enteignungsbeschluss war, sprachen später auch mehrere Vertreter der SED offen aus. Der Vorsitzende des Antifa-Ausschusses des Kreises Liebenwerda Alfred Schubert (SED) sagte z. B.: „Herr Schulze setzt sich ein für Reiss. Nun ist es möglich, dass die Inhaber vielleicht nicht Mitglieder der NSDAP waren. Vielleicht sind sie auch erst 1937 eingetreten. Ihr Betrieb ist auch nicht als aktivistischer Betrieb enteignet worden, sondern weil sie Kriegsverbrecher sind. War die Fa. Reiss nicht ein ausgesprochener Rüstungsbetrieb? […] Als Antifaschist habe ich dafür mit zu sorgen, dass Kriege künftig unterbleiben und den Kapitalisten

284 Bericht der Kreisleitung der SED über die CDU-Versammlung am 31.5.1946 im Capitol Bad Liebenwerda vom 1.6.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 663, Bl. 45). 285 Vgl. ebd. 286 Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 94). Gegen Carl Schulze wurde in dieser Kreistagssitzung ein Misstrauensantrag gestellt. Mit den oben angeführten Angaben rechtfertigte er sein Abstimmungsverhalten in der Kreissequesterkommission. 287 Ebd.

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die Möglichkeit genommen wird, etwas vorzubereiten. In der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist unser nationales Unglück begründet.“288 Schubert sprach offen aus, dass das Abstimmungsverhalten der Vertreter der SED zuallererst ideologisch motiviert war. Setzte man, wie hier ausgeführt, die ideologische Prämisse voraus, dass der Kapitalismus zwangsläufig in einen Krieg münden würde, so hätte die Kreissequesterkommission im Kreis Liebenwerda den gesamten privatwirtschaftlichen Sektor verstaatlichen müssen. Letztlich war Carl Schulze im Kreis Liebenwerda der einzige bürgerliche Vertreter in der Kreissequesterkommission, der den Mut aufbrachte, gegen einige Enteignungen zu stimmen. Neben der Tatsache, dass auch viele bürgerliche Vertreter der Kreissequesterkommission einen großen Teil der Enteignungen befürworteten, war aber auch politischer Druck durch die sowjetische Besatzungsmacht sowie durch die SED ausschlaggebend für dieses Abstimmungsverhalten. So setzte z. B. nach den Abstimmungen in der Kreissequesterkommission die sowjetische Besatzungsmacht den Landesverband der CDU so stark unter Druck, dass Carl Schulze im August 1946 als Kreisvorsitzender der Partei zurücktreten musste und damit auch seinen Sitz in der Kreissequesterkommission verlor.289 Im Kreis Schweinitz wehrten sich die CDU-Vertreter in der Kreissequesterkommission nur gegen die Enteignung der Armaturenfabrik der Familie Marx.290 Die Schweinitzer SED sowie der FDGB bestanden allerdings auf einer Enteignung der Firma Marx & Moschütz. Nach langen Diskussionen über das Schicksal des Betriebs und nachdem die CDU wohl einsah, dass sie in der Minderheit war, gaben auch die CDU-Vertreter in der Kommission nach und stimmten für eine Enteignung. In einem SED-Bericht hieß es dazu: „Es hat nicht wenig Überredungskunst bedurft, die CDU-Vertreter zu veranlassen, für die Enteignung der Firma Marx & Moschütz zu zeichnen.“291 Alle Abstimmungen in der Schweinitzer Kreissequesterkommission fielen somit einstimmig aus. Dennoch zeigte sich bereits wenig später, dass die Anhänger der bürgerlichen Parteien mit den Beschlüssen ihrer Vertreter nur bedingt einverstanden waren. Mehrere Herzberger CDU-Mitglieder protestierten am 30. Juni 1946 während der Delegiertenkonferenz in Herzberg gegen die Enteignung der Firma Marx & Moschütz.292 Gleichfalls rückten mehrere CDU-, aber auch LDP-Ausschussmitglieder in der Öffentlichkeit von ihrem Stimmverhalten ab. Die Schweinitzer SED schrieb nach Halle: „Die CDU-Vertreter, wie auch die Vertreter der LDP

288 Ebd., Bl. 96 f. 289 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 22.7.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/1, unpag.). 290 Vgl. Bericht der Informationsabteilung der SED der Provinz Sachsen über die Tätigkeit der LDP und CDU während des Wahlkampfs vom 22.8.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 662, Bl. 99). 291 Informationsbericht des SED-Vorstandes des Kreises Schweinitz vom 7.7.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 292 Vgl. Freiheit vom 15.7.1946, Nr. 72.

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des Kreisausschusses zur Entmachtung der Kriegsverbrecher, gehen jetzt dazu über, in individueller Diskussion den Glauben in der Öffentlichkeit zu erwecken, als sei die SED die Partei, die im Zuge der Entmachtung der Kriegsschuldigen den Versuch unternehme, möglichst viel ehemalige nationalsozialistische Betriebe zu enteignen, indem sie sich in der Öffentlichkeit äußern, sie hätten in diesem oder jenem Falle, in dem der Kreisausschuss die Enteignung vorgeschlagen hat, sich nicht einverstanden erklärt, obwohl alle gefassten Beschlüsse einstimmig Billigung fanden.“293 Die bürgerlichen Parteien erkannten wohl, dass sie sich, auch in der Vorbereitung zu den Kommunal- und Landtagswahlen, mit diesem Thema gegen die SED profilieren konnten. Dies verdeutlichte aber auch, dass die zahlreichen Enteignungen der sequestrierten Betriebe eben nicht auf vorbehaltlose Zustimmung innerhalb der Bevölkerung stießen. Erneut den SED-Informationsbericht vom 8. Juli 1946 zitierend, hieß es dazu: „Der gewerbliche Mittelstand bangte sowie das Bauerntum, in der Annahme, es handele sich bei der Entmachtung der Kriegsverbrecher um eine allgemeine Sozialisierungsmaßnahme, um seine eigene zukünftige Existenz.“294 Grundlegend unterstützte die Bevölkerung zweifellos das Ziel der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher. Dies bewies auch das Ergebnis des sächsischen Volksentscheids mit einer Zustimmung von 77,62 Prozent für die Enteignungen.295 Da es aber auch für die einfache Bevölkerung sehr schnell offensichtlich wurde, dass mehrere Enteignungen, vor allem von größeren Unternehmen und Betrieben, willkürlich durchgeführt wurden, stellte sich schnell ein Misstrauen gegen diese Enteignungswelle ein. Bereits von den Erfahrungen mit der Bodenreform geprägt, bangte besonders die bürgerliche Mittelschicht in dieser Zeit um ihren Besitz. Trotz aller Beschwichtigungen der SED sahen wohl viele darin nicht nur eine Maßnahme gegen Nazi- und Kriegsverbrecher, sondern eine gezielt geplante Enteignungskampagne. Die genaue Zusammensetzung der von den Kreissequesterkommissionen im Mai/Juni 1946 erstellten Listen war im Untersuchungsgebiet nicht mehr zu rekonstruieren. Laut einem Zeitungsartikel wurden aber im Kreis Schweinitz von der Kreissequesterkommission von den 111 sequestrierten Betrieben, 29 Betriebe auf die Liste A und 82 Betriebe auf die Liste B gesetzt.296 Im Kreis Liebenwerda waren die Listen nur unvollständig erhalten. Eine Gesamtübersicht war aus diesem Grund hier nicht möglich. Zur Arbeit der beiden Kreissequesterkommissionen kann jedoch sicher festgestellt werden, dass nahezu ausschließlich nur kleine Unternehmen und Betriebe den Eigentümern zurückgegeben, während die großen Industriebetriebe nahezu alle verstaatlicht wurden. Im Kreis ­Liebenwerda entschloss sich beispielsweise die ­Kreissequesterkommission nur

293 Informationsbericht des SED-Vorstandes des Kreises Schweinitz vom 7.7.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 294 Ebd. 295 Vgl. von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone, S. 100. 296 Freiheit vom 15.7.1946, Nr. 72.

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6 der 35 bereits im Februar 1946 auf der Sequesterliste verzeichneten Indus­ triebetriebe an ihre Besitzer zurückzugeben.297 Die größten Unternehmen und Betriebe des Untersuchungsgebiets mit über 100 Beschäftigten, wie z. B. die Bubiag, die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer und die Alexander Wacker AG in Mückenberg, wurden hingegen alle von den Kreissequesterkommissionen auf die Liste A gesetzt.298 Um sequestrierten Unternehmen und Betriebe in das Eigentum der Provinz zu überführen, erließ die Provinzialverwaltung auf der Grundlage des im Land Sachsen durch den Volksentscheid legitimierten Enteignungsgesetzes am 30. Juli 1946 die „Verordnung betreffend der Überführung sequestrierter Unternehmen und Betriebe in das Eigentum der Provinz Sachsen“.299 Mit dieser Verordnung wurde die rechtliche Grundlage zur Enteignung der Unternehmen und Betriebe geschaffen, die von den Kreissequesterkommissionen auf den A-Listen verzeichnet wurden. Alle erstellten Listen wurden nach dem Erlass dieses Gesetzes zunächst zur Provinzialsequesterkommission nach Halle geschickt. Als letzte deutsche Instanz entschied die ZDKSB in Berlin über die Listenzusammensetzung. Die ZDKSB war allerdings ihrerseits der sowjetischen „Kontrollkommission für Sequestrierung und Beschlagnahme beim Chef der SMAD“ unterstellt.300 Eine von der Besatzungsmacht unabhängige Entscheidung war somit nicht gewährleistet. In Berlin wurde zunächst von der ZDKSB unter sowjetischem Einfluss die C-Liste für das Untersuchungsgebiet erstellt. Vermutlich auf Anordnung der sowjetischen Besatzungsmacht wurde bis Anfang des Jahres 1947 die gesamte Kohleindustrie des Kreises Liebenwerda auf der C-Liste verzeichnet. Neben der Bubiag, den Plessaer Braunkohlenwerken, den Anhaltinischen Kohlewerken in Domsdorf und den Beutersitzer Kohlewerken gehörte dazu auch der nicht demontierte Rest der Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer. Daneben wurden Unternehmen und Betriebe auf der C-Liste verzeichnet, in denen nur einzelne Anteilsbesitzer politisch belastet waren. Im Kreis Liebenwerda betraf dies die Elsterwerdaer Phönicia-Werke AG. Im Kreis Schweinitz wurden der Armaturenhersteller Marx & Moschütz, die Firma Fuhrmann & Sohn und die HASAG Schlieben in die C-Liste eingetragen.301 Diese Unternehmen 297 Liste der sequestrierten Betriebe des Kreises Liebenwerda vom 28.2.1946 (LHASA, MD, K 34, Nr. 145, Bl. 19); Sequesterlisten des Kreises Liebenwerda aufgeteilt nach Industrie-, Handwerks- und Handelsbetrieben sowie sonstige Vermögen (vermutlich Juli/August 1946; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). In den Sequesterlisten aus dem Juli/August 1946 waren hinter den verzeichneten sequestrierten Vermögen die Beschlussfassungen der Kreissequesterkommission gekennzeichnet. Dennoch bleibt zu vermuten, dass diese Listen nicht vollständig waren. 298 Vgl. ebd. 299 Von der Beck, Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone, S. 100 f. 300 Vgl. ebd., S. 96 f. 301 Vgl. Aufstellung der Unternehmen und Betriebe der Provinz Sachsen auf der C-Liste vom 20.1.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 269, Bl. 1–26). Am 30.7.1946 fehlten in der C-Liste des Kreises Liebenwerda die Beutersitzer Kohlenwerke AG und die Phönicia-­

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wurden zunächst nicht enteignet, sondern standen weiterhin unter Sequester. Die Besatzungsmacht hielt sich mit der nicht erfolgten Zurückgabe der Kohleindustrie weitere Entscheidungen in diesem Bereich offen. Vermutlich beabsichtigte sie damit, die Produktion in diesem sehr wichtigen Industriezweig nicht noch weiter durch schnelle Enteignungsmaßnahmen zu gefährden. Eine Übernahmeabsicht der Besatzungsmacht über die gesamte Kohleindustrie der Provinz Sachsen konnte aber wohl ausgeschlossen werden. Besonders für den Kreis Liebenwerda entschärften die übergeordneten Kommissionen in Halle und Berlin die Enteignungsbeschlüsse der Kreissequesterkommission. Laut einem Zeitungsartikel wurden 65 sequestrierte Unternehmen und Betriebe im Kreis Liebenwerda an ihre Besitzer zurückgegeben. Davon erfolgte die Rückgabeentscheidung in 22 Fällen durch die ZDKSB in Berlin.302 Im Kreis Schweinitz, wo ohnehin nur die Enteignung von 29 Unternehmen und Betrieben von der Kreissequesterkommission beschlossen wurde, nahmen die übergeordneten Kommissionen vier Enteignungsbeschlüsse zurück.303 Allerdings wurden nur kleinere Unternehmen und Betriebe von den übergeordneten Sequesterkommissionen an ihre Eigentümer zurückgegeben. So stellte z. B. der Vorsitzende der Provinzialsequesterkommission Willi Dieker bereits im April 1946 fest: „Die Provinz hat gar kein Interesse an dem kleinen Bäckerladen oder der Reparaturwerkstatt, diese kleinen und mittleren Betriebe sollen in den Händen von Privatunternehmern verbleiben, die sich nichts zuschulden kommen ließen, die Provinz hat nur ein Interesse an der industriellen Produktion.“304 Dieker sprach damit offen die Absicht der Provinzialverwaltung aus, ausschließlich nur die großen Industriebetriebe zu enteignen. Der politische Säuberungsgedanke rückte nach der Aussage Diekers in den Hintergrund und spielte, wenn überhaupt, nur noch bei den kleineren Unternehmen eine Rolle. Im gesamten Regierungsbezirk Merseburg wurden zunächst von Kreissequesterkommissionen 1 047 Betriebe zur Enteignung und 999 zur Rückgabe vorgeschlagen. Bis zum 14. Oktober 1946 wandelten die Kommissionen in Halle und Berlin davon 276 Fälle in Rückgaben und 21 Fälle in Enteignungen um. Insgesamt 74 Fällen wurden bis zum 14. Oktober 1946 auf der Liste A und 26 Fälle auf der Liste B nachgetragen. 107 Betriebe setzte man im ­Regierungsbezirk Merseburg auf die Liste C.305 Diese Zahlen verdeutlichten nochmals die enorme ­Dimension

302 303 304 305

Werke AG in Elsterwerda. Diese wurden vermutlich erst in der zweiten Jahreshälfte 1946 auf der C-Liste verzeichnet. Vgl. Zahlenmäßige Zusammenstellung der C-Liste der Provinz Sachsen vom 30.7.1946 (LHASA, MD, K 31, Nr. 414, unpag.). Freiheit vom 14.9.1946, Nr. 124. Freiheit vom 5.9.1946, Nr. 116. Niederschrift über die Wirtschaftstagungen in Dessau, Magdeburg und Halle vom 15., 16. und 17.4.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 219, Bl. 73 f.). Monatsbericht der Abteilung Neuordnung der Wirtschaft in der Provinzialverwaltung vom 14.10.1946 (LHASA, MD, K 3, Nr. 8025, Bl. 155).

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der Sequestrierung sowie der später erfolgten Enteignungen. Gleichfalls wurde damit deutlich, dass die übergeordneten Kommissionen zumindest geringfügig die Entscheidungen der Kreissequesterkommissionen zugunsten der Eigentümer korrigierten. Dennoch wurde etwa die Hälfte aller sequestrierten Betriebe im Regierungsbezirk enteignet. Vergleicht man diese Zahlen mit denen des Untersuchungsgebiets, so kann man feststellen, dass besonders im Kreis Schweinitz die Kreissequesterkommission mit nur 29 empfohlenen Enteignungen und 82 Rückgaben im Vergleich zum Bezirksdurchschnitt ungewöhnlich oft zugunsten der Eigentümer entschied. Dies lag zweifellos an der industriearmen Wirtschaftsstruktur, aber wohl auch an der immer noch vorhandenen Schwäche der SED im Kreis. Im Kreis Schweinitz wurde nach den Entscheidungen der übergeordneten Kommissionen, die dem Kreiswirtschaftsbeauftragten am 15. August 1946 zugestellt wurden, jedoch deutlich, dass die Enteignungen damit noch lange nicht beendet waren. Die Schweinitzer Kreiskommandantur verweigerte z. B. zunächst die Herausgabe von sieben zurückgegebenen Betrieben.306 Erst nach langen Verhandlungen gelang es der Kreisverwaltung, einen Teil dieser Betriebe wieder an ihre Besitzer zurückzugeben. Allerdings bestand die Besatzungsmacht und die Schweinitzer SED-Kreisleitung z. B. im Fall der ebenfalls zurückgegebenen Buchdruckerei Schirrmeister auf einer Enteignung. Obwohl die Familie Schirrmeister bereits nach der Provinzialverordnung vom 17. Dezember 1945, am 27. April 1946 zugunsten der damals noch bestehenden SPD enteignet wurde, entschied die Provinzialsequesterkommission nach Aufhebung der Verordnung auf Rückgabe. Mit dieser Entscheidung wurde auch der in NKWD-Haft befindliche Günther Schirrmeister entlastet. Mit der Hilfe der Besatzungsmacht wurde der Fall Schirrmeister jedoch nochmals aufgerollt und die Druckerei doch noch enteignet.307 Durch diese nachträglichen Enteignungsbeschlüsse stieg die Unsicherheit bei vielen noch nicht verstaatlichten kleineren Unternehmern enorm an. Der Wirtschaftsbeauftragte des Kreises Schweinitz schrieb am 5. Januar 1947: „Diese Frage (der Enteignungen), welche dem Anschein nach im Wesentlichen schon als beendet angesehen war, ist wieder in den Vordergrund getreten. Es steht die Entscheidung über eine Reihe von Betrieben bevor, hinsichtlich welcher bisher Zweifel bestanden […]. Jedenfalls entsteht dadurch eine neue Beunruhigung und Unsicherheit, welche sich ungünstig auf die Entwicklung des Wiederaufbaus auswirken könnte.“308 Bis Anfang des Jahres 1947 stieg die Anzahl der von der Provinzialkommission zur Enteignung vorgeschlagenen Unternehmen und Betriebe im Kreis

306 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die verweigerte Herausgabe mehrerer Betriebe durch die sowjetische Besatzungsmacht an den Herrn Präsidenten der Provinz Sachsen vom 22.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 255). 307 Vgl. ebd.; Wirtschaftsbeauftragter des Kreises Schweinitz über die Rückgabe der Buchdruckerei Schirrmeister an die Abteilung Neuordnung der Wirtschaft vom 13.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 233). 308 Ebd.

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Schweinitz von 25 auf 36 an.309 Im Kreis Liebenwerda wurden bis zu diesem Zeitpunkt 54 Unternehmen und Betriebe zur Enteignung vorgeschlagen.310 Jedoch entsprachen diese Zahlen wohl nicht den tatsächlich bis Ende der 1940er-Jahre durchgeführten Enteignungen. Nachdem wohl in der Folgezeit mehrere kleine Handwerks- und Handelsbetriebe doch noch an ihre Eigentümer zurückgegeben worden waren, wurden z. B. im Kreis Schweinitz bis zum 28. Juni 1948 „nur“ 26 Unternehmen und Betriebe endgültig enteignet.311 Eine Gesamtzusammenstellung der bis zum Jahr 1948 enteigneten Betriebe des Kreises Liebenwerda war leider nicht verfügbar. In die Enteignungslisten flossen in der ersten Jahreshälfte 1947 auch alle auf der C-Liste verzeichneten Unternehmen aus dem Untersuchungsgebiet ein. Anfang 1947 wurden diese von der SMA freigegeben und schließlich von den Sequesterkommissionen endgültig enteignet.312 Die auf der C-Liste verzeichnete Kohleindustrie des Kreises Liebenwerda ging mit dem vom sachsen-anhaltinischen Landtag beschlossenen „Gesetz über die Enteignung der Bodenschätze“ vom 30. Mai 1947 in staatlichen Besitz über.313 Mit der Enteignung der Unternehmen der C-Liste fielen auch die drei größten Unternehmen des Kreises Schweinitz, die Armaturenfabrik Marx & Moschütz, die Blechwarenfabrik Fuhrmann & Sohn und die HASAG Schlieben in die Hand des Staats. Im Fall der Blechwarenfabrik Fuhrmann & Sohn erfolgte zunächst nur eine Enteignung des Anteils von Erich Fuhrmann. Der Anteil seiner Nichte Helga Spannagel blieb zunächst unberührt.314 Obwohl gleichfalls beim 309 Liste der auf Vorschlag des Provinzialprüfungsausschusses zur Übergabe an die Organe der Selbstverwaltung vorgesehenen Betriebe des Kreises Schweinitz (Anfang 1947; LHASA, MD, K 31, Nr. 414, unpag.). 310 Liste der auf Vorschlag des Provinzialprüfungsausschusses zur Übergabe an die Organe der Selbstverwaltung vorgesehenen Betriebe des Kreises Liebenwerda (Anfang 1947; LHASA, MD, K 31, Nr. 414, unpag.). 311 Liste der endgültig eigneten Betriebe des Kreises Schweinitz vom 28.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 3). 312 Vgl. Auflistung der sequestrierten Betriebe (C-Liste) des Landes Sachsen-Anhalt vom 27.5.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 422, Bl. 100); Vermerk der Chefdirektion der Industrie-Werke der Provinz Sachsen über die Rückgabe von 49 Betrieben aus der C-Liste vom 26.3.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 422, Bl. 2 f.). 313 Vgl. Durchführungsbestimmung zur Enteignung der Bodenschätze vom 30.5.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 425, Bl. 50); Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 51 f. 314 Vgl. Enteignungsurkunde der Firma Fuhrmann & Sohn vom 25.8.1948 (PA Dr. Wolfgang Spannagel). Der Firmenanteil von Helga Spannagel (51 %) wurde im September 1949 ebenfalls enteignet. Helga Spannagel erhielt allerdings eine Entschädigungszahlung. Vgl. VVB Maschinenbau und Elektrotechnik Sachsen-Anhalt über die vollständige Enteignung der Anteilsbetriebe an das Eisen- und Blechwarenwerk Jessen vom 17.9.1949 (PA Dr. Wolfgang Spannagel). Die Entschädigungszahlungen an Helga Spannagel wurden im Februar 1954 auf Anweisung der Bezirksverwaltung Cottbus eingestellt. Die Aussetzung wurde mit dem ersten Beschluss der Kreissequesterkommission begründet. Diese stimmte am 18.7.1946 in erster Instanz für die vollständige Enteignung der Firma Fuhrmann & Sohn. Vgl. Rat des Kreises Jessen über die Aussetzung der monatlichen Auszahlung an Helga Spannagel an den VEB Metallwaren Jessen vom 22.2.1954 (PA Dr. Wolfgang Spannagel).

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größten Unternehmen des Kreises Schweinitz, Marx & Moschütz, lediglich eine Teilenteignung von der Wirtschaftsabteilung des Landkreises vorgesehen war, enteigneten die Sequesterkommissionen alle Anteile des Armaturenherstellers. Mithilfe der Besatzungsmacht gelang es der SED und dem FDGB außerdem, den ehemaligen Betriebsleiter Wilhelm Marx von seinem Posten als Treuhänder des Betriebs abzusetzen.315 Nach der erfolgten Enteignung durch die übergeordneten Sequesterkommissionen folgte die Verwertung der enteigneten Unternehmen und Betriebe. Dazu wurden am 26. September 1946 die „Industriewerke der Provinz Sachsen“ gegründet.316 Die Industriewerke waren eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes und lediglich mit der wirtschaftlichen Führung der ihnen unterstellten enteigneten Industrieunternehmen beauftragt. In der Praxis lief aber die Unternehmensführung meist unabhängig von den Industriewerken weiter.317 Eigentümer der Unternehmen blieb die Provinz Sachsen.318 Im Juli 1947 wurden folgende Unternehmen und Betriebe des Untersuchungsgebiets von den Indus­ triewerken der Provinz Sachsen verwaltet: Kreis Liebenwerda 1. 2. 3. 4. 5.

Dampfziegelei Mückenberg Elsterwerdaer Fahrzeugwerke Reichenbach Elsterwerdaer Kies- und Sandwerke Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter Alexander Wacker AG Mückenberg

315 Vgl. Bericht des Schweinitzer Kreiswirtschaftsbeauftragten über die Armaturenfabrik Marx & Moschütz (Anfang 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 668). Der Wirtschaftsbeauftragte schrieb über die Enteignung der Firma Marx & Moschütz: „Im Gegensatz hierzu befindet sich der Standpunkt des örtlichen Funktionärs des FDGB und auch der Kreisleitung der SED. Man geht von dem Gedankengang aus, es müsste der alte Besitzer vollkommen ausgeschaltet werden […]. Durch die einseitige Information der hiesigen Kommandantur ist es so weit gekommen, dass diese gegen die Person des alten Herrn Marx Einwendungen erhebt und dessen Entfernung verlangt. Ich befürchte, dass dadurch eine Störung eintritt und die bescheidenen Ansätze des Wiederaufbaus lahmgelegt werden […].“ 316 Vgl. Verordnung betreffend die „Industrie-Werke der Provinz Sachsen“ vom 25.9.1946. In: Gesetzblatt der Provinz Sachsen-Anhalt, Teil I, vom 8.3.1947, Nr. 6, S. 51–56. 317 Vgl. ebd. In den Betriebserhebungen für die Kreisverwaltung Liebenwerda von Ende Mai 1947 gaben mehrere Betriebe, die von den Industriewerken übernommen wurden, an, dass sie bisher keinen Kontakt zu Vertretern der Industriewerken besaßen bzw. keine direkte Betriebsführung von den Industriewerken ausgeübt wurde. Vgl. Betriebserhebung der Zuckerfabrik Mühlberg GmbH in Brottewitz vom 28.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Elsterwerdaer Schraubenfabrik Carl Winter vom 28.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Möbelfabrik Erwin Meier (undatiert; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.); Betriebserhebung der Mückenberger Dampfziegelei vom 22.5.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 318 Vgl. Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 87 f.

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6. Tiefbau Hermann Klumbis Lauchhammer 7. Kurmärkische Bekleidungswerkstätten Mückenberg 8. Mitteldeutsche Stahlwerke Lauchhammer 9. Mechanische Werkstätten Mückenberg (Reinhold Laube) 10. Möbelfabrik Erwin Meier Bad Liebenwerda 11. Eisenhütte Ortrand 12. Phönicia-Werke AG Elsterwerda 13. „Primeros“ Gummiwarenfabrik Ortrand 14. R. Reiss KG Bad Liebenwerda 15. Gebrüder Schneider Zeichen- und Messgeräte Bad Liebenwerda 16. Schraubenfabrik Herbert Keßler Bad Liebenwerda 17. Zuckerfabrik Brottewitz 18. Schrauben und Facondreherei Hermann George Elsterwerda 19. Eisengießerei Dolsthaida 20. Metallgießerei Gebrüder Prösen 21. Firma Reinhard Dörner Bad Liebenwerda Kreis Schweinitz 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Armaturenfabrik Marx & Moschütz Herzberg Blechwarenfabrik Fuhrmann & Sohn Jessen HASAG Schlieben Dampfsägewerk Hans Ohls Seyda Brennerei Ahlsdorf Brennerei Gerbisbach Brennerei Wüstermarke Brennerei Hemsendorf 319

Die Unternehmen und Betriebe der Braunkohleindustrie des Kreises Liebenwerda, wie z. B. die Bubiag, wurden nach dem Erlass des Gesetzes über die Enteignung der Bodenschätze in Sachsen-Anhalt dem „Direktorat der Kohle­ industrie“ zugeordnet.320 Um die neue Eigentumsform der enteigneten Unternehmen festzulegen, gründete die Provinzialverwaltung im Januar 1947 die Verwertungskommission der Industriewerke.321 Dazu übergab die Sequesterabteilung der ­Provinzialverwaltung 319 Vgl. Liste der IW-Betriebe des Kreises Liebenwerda (Juli 1947; LHASA, MD, K 31, Nr. 338, Bl. 65–67); Aufstellung der verwerteten IW-Betriebe vom 18.7.1947 (LHASA, K 31, Nr. 86, unpag.). Die bis zu diesem Zeitpunkt bereits verwerteten Betriebe wurden in die oben aufgeführte Liste mit aufgenommen. 320 Vgl. Lisse, Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen, S. 88; Durchführungsbestimmung zur Enteignung der Bodenschätze vom 30.5.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 425, Bl. 50). 321 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 415 f. Alexander Sperk vermutete allerdings, dass die Verwertungskommission des Landtages bereits seit Januar 1947 für die Verwertung der enteigneten Unternehmen und Betriebe zuständig war. Diese wurde allerdings erst am 30.5.1947 eingesetzt.

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der Verwertungskommission 1 062 „verwertungsreife“ Unternehmen und Betriebe. In Absprache mit den Wirtschaftsabteilungen der Städte und Kreise wurden daraufhin von der ersten Sitzung der Kommission am 12. Februar 1947 bis zur 10. Sitzung am 23. Mai 1947 insgesamt 561 Unternehmen und Betriebe verwertet. Zu einem großen Teil handelte es sich dabei um kleine Handwerksbzw. Handelsunternehmen, die kaum mehr als zehn Personen beschäftigten.322 Diese enteigneten Unternehmen und Betriebe wurden bis zum 23. Mai 1947 an folgende neue Eigentümer übergeben: Unternehmen und Betriebe

Neuer Eigentümer

17

Landkreise und Städte

20

Städte

28

Gemeinden

62

Konsumgenossenschaften

9

Landwirtschaftliche Genossenschaften

7

sonstige Genossenschaften

4

Organisationen und Vereinigungen

3

FDGB

13

Blockparteien

238

Handwerker und Geschäftsleute

160

nicht verwertbar323

Zu großen Teilen (42,4 Prozent) wurden die enteigneten kleinen Unternehmen und Betriebe wieder an politisch unbelastete Privatunternehmer verkauft. Auffällig groß war aber auch die Zahl der Betriebe und Unternehmen, die gar nicht verwertet werden konnten. Viele dieser Unternehmen und Betriebe wurden bereits während des Kriegs bzw. aufgrund der Kriegsfolgen aufgegeben. Andererseits zählten auch 51 Pachtbetriebe unter die nicht verwertbaren Objekte. Während der Verwertung dieser Betriebe stellte sich oft heraus, dass den politisch nicht belasteten Verpächtern alle Werte dieser Betriebe gehörten, worin erneut die nachlässige Arbeit der Sequesterkommissionen deutlich wurde. Insgesamt wurden nur 29 Prozent der enteigneten kleinen Unternehmen und Betriebe bis zu diesem Zeitpunkt an die Kreise, Städte, Gemeinden, Konsumgenossenschaften, den FDGB usw. übergeben. Dieses Verwertungsmuster und die Tatsache, dass die großen Industriebetriebe nicht der Verwertungskommission überge-

322 Vgl. Zwischenbericht über den Stand der Verwertungsaktion vom 23.5.1947 (LHASA, MD, K 31, Nr. 498, Bl. 27–33). 323 Vgl. ebd.

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ben wurden, machte erneut deutlich, dass die Enteignungsbeschlüsse 1946/47 hauptsächlich nur auf die großen Industrieunternehmen abzielten. Betrachtet man schließlich die Verwertung der Industriebetriebe im Untersuchungsgebiet, so wird auch hier die Intention der Verwertungskommission bzw. des Verwertungsausschusses bestätigt. Nahezu alle enteigneten Industriebetriebe in Obhut der Industriewerke wurden nicht an private Besitzer veräußert, sondern blieben in der Hand des Staats. Obwohl keine genaue Verwertungsbilanz der enteigneten Betriebe und Unternehmen für beide Landkreise Liebenwerda und Schweinitz erstellt werden konnte, bleibt auch hier zu vermuten, dass mehrere kleinere Handwerks- bzw. Handelsunternehmen an private Interessenten veräußert wurden. In einer Empfehlung der Handwerkskammer in Halle an den Wirtschaftsbeauftragten des Kreises Schweinitz wurden z. B. am 23. Oktober 1946 fünf kleine Unternehmen zur Übereignung an private Interessenten vorgeschlagen. Keiner dieser 16 auf dieser Liste verzeichneten Handwerksbetriebe sollte an den Staat überführt werden. Dagegen plante die Handwerkskammer die restlichen Fälle nochmals zu überprüfen bzw. an die Eigentümer zurückzugeben.324 Mit Sicherheit kann jedoch festgestellt werden, dass alle großen enteigneten Industrieunternehmen des Untersuchungsgebiets in „volkseigenen Besitz“ überführt wurden. So erwirtschaften die zehn auf der Liste der Industriewerke am 15. Januar 1948 verzeichneten Industrieunternehmen des Kreises Liebenwerda zusammen 1946 einen Gesamtumsatz von 13 079 213 RM.325 Rechnet man die Umsatzzahlen der enteigneten Kohleindustrieunternehmen noch hinzu, so entsprach dies einem Vielfachen der restlichen, nicht enteigneten Industrie im Kreis Liebenwerda.326 Nach den Enteignungen existierte schließlich im Untersuchungsgebiet kein großer privater Industriebetrieb mehr mit über 100 Beschäftigten.327 Hauptsächlich waren von den Enteignungen im Jahr 1946/47 aber nicht nur die großen Aktiengesellschaften im Untersuchungsgebiet betroffen, sondern vor allem viele mittelständische Industrieunternehmen, die meist seit Generationen von einer Familie erfolgreich geführt wurden. Da gleichfalls mit den Enteignungen zahlreiche Unternehmer in die Westzonen flüchteten, wurde, wie bereits zuvor bei der Bodenreform im Bereich der Landwirtschaft, mit den Enteignungen vieler privater Industriebetriebe 1946/47 nun auch im Bereich der Indus­ trie die langjährige Tradition der großen mittelständischen Privatunternehmen

324 Vgl. Handwerkskammer Halle über die Verwertung der enteigneten Handwerksbetriebe an den Wirtschaftsbeauftragten des Kreises Schweinitz vom 23.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 25, Bl. 355 f.). 325 Vgl. Liste der Betriebe der Industriewerke im Kreis Liebenwerda vom 15.1.1948 (LHASA, MD, K 31, Nr. 232, unpag.); Rentabilitätsprüfung der Sequester-Betriebe (vermutlich Anfang 1947; KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.). 326 Vgl. ebd. 327 Vgl. Aufstellung der wichtigsten Industriebetriebe des Kreises Liebenwerda vom 29.3.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 852, unpag.).

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

im Untersuchungsgebiet mit den entsprechenden negativen Konsequenzen für die Wirtschaft zerstört. Zweifellos waren einige Industriebetriebsbesitzer durch ihr Verhalten während der NS-Zeit politisch stark belastet, doch bei einem großen Teil hätte die politische Belastung auch nach den von der sowjetischen Besatzungsmacht und den deutschen Verwaltungen erlassenen Befehlen und Verordnungen bei einem rechtsstaatlichen Verfahren kaum für deren Enteignung genügt. So wurde bei der Untersuchung der Enteignungen im Jahr 1946/47 sehr deutlich, dass mit den Enteignungsbefehlen und -gesetzen lediglich die politische Säuberung der Wirtschaft vorgetäuscht werden sollte, während vor allem die SED und die sowjetische Besatzungsmacht seit Mitte 1946 mit diesen Befehlen und Gesetzen eine fundamentale Umgestaltung der Wirtschaftsordnung erwirken wollten. Mit der Enteignung der sequestrierten Betriebe im Jahr 1946/47 endete letztlich aber nicht die staatlichen Willkürpolitik gegen private Unternehmer in der SBZ/DDR. Mit immer größeren Sanktionen versuchte die SED den Spielraum für die Privatwirtschaft in den folgenden Jahren weiter einzuschränken. Besonders Anfang der 1950er-Jahre stieg die Anzahl der Enteignungen durch Konkurse nochmals enorm an. Aber auch direkter politischer Druck wurde bis zum Ende der DDR immer wieder auf einzelne Privatunternehmer ausgeübt.328 Die Bearbeitung dieses Themenkomplexes im Untersuchungsgebiet bleibt aber einer separaten Studie vorbehalten.

328 Vgl. Andre Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 75, 175–177. Besonders Anfang der 1950er- und 1970er-Jahre erfolgten weitere zahlreiche Enteignungen von privaten Betrieben in der DDR.

X. Die Kommunal- und Landtagswahlen 1946 1.

Die Wahlvorbereitungen und Wahlrechtsbestimmungen

Da in der amerikanischen Besatzungszone bereits am 27. Januar 1946 erste Kommunalwahlen stattfanden, bereiteten sich auch die Parteien in der SBZ seit Anfang 1946 auf die Durchführung von Wahlen vor. Beispielsweise gab der Provinzialverband der LDP bereits am 4. März 1946 ein Rundschreiben an alle Kreisverbände heraus, in dem darauf hingewiesen wurde, dass womöglich nach dem 1. Mai 1946 überraschend Gemeindewahlen angeordnet werden sollten. Aus diesem Grund wurden die Kreisverbände aufgefordert, wie im Rundschreiben vermerkt war, dass die Organisationsarbeit der LDP-Kreisverbände „in nächster Zeit vor jede andere Tätigkeit gestellt werden“ sollte.1 Dass diese Vorbereitungen allerdings von der Besatzungsmacht missbilligt wurden, zeigte sich wenig später. In einem erneuten Rundschreiben vom 15. März 1946 schränkte der Provinzialverband der LDP seine zuvor getroffene Anweisung wieder ein. Der Provinzialverband ermahnte die LDP-Kreisverbände, dass „Versammlungen, die auf eine Gemeindewahl hindeuten oder den Inhalt einer Gemeindewahl tragen“ verboten waren.2 Ein ähnliches Schreiben verfasste auch der CDU-Provinzialverband am 14. März 1946 an alle Kreisverbände. Hierin wurde mitgeteilt, dass Wahlvorbereitungen „nicht nach außen getragen werden“ dürften.3 Damit wurden die LDP- bzw. CDU-Kreisverbände dazu gezwungen, die Vorbereitungen für die von ihnen ersehnten Wahlen zunächst verdeckt durchzuführen. Dennoch beschäftigte sich die CDU in Bad Liebenwerda bereits lange vor der Bekanntgabe des Wahltermins intern mit der organisatorischen Vorbereitung der Wahlen. Im Kreis Liebenwerda wurde erstmals während der CDU-Kreisvorstandssitzung am 25. April 1946 über die Durchführung von Wahlen gesprochen.4 Für beide Parteien kam also die Ankündigung der SMAD über die Durchführung von Gemeindewahlen am 19. Juni 1946 nicht überraschend. Dennoch blieben beide bürgerlichen Parteien von den Entscheidungsprozessen während der Vorbereitung der Gemeindewahlen in der SBZ weitestgehend ausgeschlossen. So arbeiteten die sowjetische Besatzungsmacht und die SED die Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der SBZ ohne die Mithilfe der bürgerlichen Parteien aus. Über die brandenburgische Provinzialregierung

1 2 3 4

Rundschreiben Nr. 20 des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 4.3.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–513, unpag.). Rundschreiben Nr. 25 des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 15.3.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–513, unpag.). CDU-Provinzialverband Sachsen an alle Kreisverbände vom 14.3.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–002/4, unpag.). Vgl. Programmpunkte für die Vorstandssitzung des CDU-Ortsverbandes Bad Liebenwerda vom 25.4.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–002/4, unpag.).

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

­ urde die ausgearbeitete Wahlordnung der SMAD vorgelegt und genehmigt.5 w Diese Wahlordnung übernahmen daraufhin die anderen Landes- bzw. Provinzverwaltungen der SBZ. Nachdem in der Provinz Sachsen bereits am 21. Juni 1946 erstmals in der SED-Parteizeitung „Freiheit“ erste Wahlbestimmungen bekannt gemacht wurden, veröffentlichte die Provinzialverwaltung die komplette Wahlordnung für die Gemeindewahlen am 3. Juli 1946.6 Darin wurde der Termin für die Gemeindewahl für die Provinz Sachsen auf den 8. September 1946 festgelegt. Das Land Sachsen sollte allerdings nach dem Willen der Besatzungsmacht und der SED aus wahltaktischen Gründen bereits eine Woche zuvor, am 1. September 1946, wählen.7 So erhoffte sich die SED im Land Sachsen, das von ihr als vermeintliche Hochburg angesehen wurde, von einem dortigen Wahlsieg einen weiteren Zuwachs der Stimmen bei den späteren Gemeindewahlen in den anderen Ländern und Provinzen der SBZ.8 Daran wurde sehr deutlich, dass bereits bei der Festlegung des Wahltermins SED-Interessen deutlich bevorzugt wurden. Das Stimmrecht besaßen alle Männer und Frauen, die das 21. Lebensjahr erreicht hatten und mindestens drei Monate vor dem Wahltag im Gemeindegebiet lebten.9 Besonders im Hinblick auf die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen ergaben sich aus dieser Bestimmung für die Verwaltungen schnell erhebliche Unklarheiten. So wurde in der Gemeindewahlordnung nicht ausdrücklich festgelegt, ob die Flüchtlinge und Vertriebenen das Wahlrecht nur bei Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ausüben durften. Dies führte in den Landkreisen der Provinz zunächst zu den unterschiedlichsten Regelungen. Zunächst wurde oftmals nur Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Reichsteilen das Wahlrecht verliehen. Als Reaktion darauf ordnete die Provinzialverwaltung am 14. August 1946 an, dass „Volksdeutsche aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn usw., die wegen ihrer Volksangehörigkeit ihre Heimat verlassen mussten“, vorbehaltlich einer Klärung durch den Alliierten Kontrollrat, zur Wahl zugelassen wurden. Lediglich Österreicher wurden als Ausländer betrachtet und von der Wahl ausgeschlossen.10

 5 Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 61 f.  6 Vgl. Freiheit vom 21.6.1946, Nr. 51; Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, S. 277–282.  7 Vgl. ebd., § 1, S. 277.  8 Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 48 f.  9 Vgl. Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, § 2, S. 277. 10 Präsident der Provinz Sachsen über die verwaltungsmäßigen Wahlvorbereitungen an die Herren Bezirkspräsidenten vom 14.8.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 99).

Wahlvorbereitungen und Wahlrechtsbestimmungen

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Ferner wurde folgenden Personen laut Wahlordnung das aktive Wahlrecht entzogen: „1. Kriegsverbrecher: das sind Personen, welche auf Grund des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats wegen Verbrechen gegen den Frieden, wegen Kriegsverbrechen oder wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Anklage stehen oder in Haft sind. 2. Ehemalige Angehörige: a. der SS, des Sicherheitsdienstes (SD) und deren Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und deren Agenten; b. der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (vom Ortsgruppenleiter aufwärts); c. des Nationalsozialistischen Frauenbundes (von der Kreisfrauenschaftsleiterin aufwärts); d. der SA, des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) und des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK; vom Truppführer oder Amtswalter aufwärts); e. der Hitler-Jugend (vom Unterbannführer aufwärts); f. des Bundes Deutscher Mädel (von der Ringführerin aufwärts). 3. Sonstige Aktivisten des Faschismus und Kriegsinteressenten, deren Namen der Gemeindebehörde auf Vorschlag der antifaschistisch-demokratischen Parteien der Gemeinden durch den Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien des Kreises namhaft gemacht werden.“11 Neben Personen, die ihre bürgerlichen Ehrenrechte verloren hatten, wurden auch entmündigten, unter vorläufiger Vormundschaft stehenden und geisteskranken Personen das aktive Wahlrecht entzogen.12 Die Ausübung des Wahlrechtsentzugs wurde in beiden Landkreisen sehr unterschiedlich durchgeführt. Im Kreis Schweinitz wurden lediglich 38 Personen von den Wahlen ausgeschlossen. Davon wurden 13 Personen als „geisteskrank“ oder „schwachsinnig“ eingestuft. Die restlichen 25 Personen wurden aus politischen Gründen nicht zur Wahl zugelassen.13 Im Kreis Liebenwerda, wo die politische Säuberung in der Verwaltung und der Wirtschaft seit Kriegsende sehr viel strikter durchgeführt wurde, schlossen die Verwaltungen hingegen 423 Personen vom aktiven Wahlrecht aus. Wie streng die mit SED-Mitgliedern

11 Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, § 3, S. 277. 12 Vgl. ebd., § 4, S. 277. 13 Verzeichnis der gemäß § 3 der Wahlordnung vom Wahlrecht ausgeschlossenen Personen im Kreis Schweinitz vom 18.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 118). Die Bestimmungen in der Wahlordnung für die Kreis- sowie Landtagswahlen am 20.10.1946 zur Aberkennung des Wahlrechts waren mit denen der Gemeindewahlordnung nahezu identisch. Aus diesem Grund blieb der von der Wahl ausgeschlossene Personenkreis bei beiden Wahlgängen nahezu gleich.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

durchsetzten Verwaltungen und Wahlausschüsse im Kreis Liebenwerda die Ausschlusskriterien fassten, zeigte sich z. B. allein darin, dass sich unter den 423 ausgeschlossenen Personen 67 Frauen befanden, die mit verhafteten ehemaligen lokalen NS-Funktionären verheiratet waren.14 Besonders die SED-Mitglieder in den Wahlausschüssen achteten auf eine rigorose Umsetzung der Wahlrechtsentzugsbestimmungen. Beispielsweise hob der Wahlausschuss in der Kreisstadt Bad Liebenwerda am 10. Oktober 1946 fünf Wahlrechtsentzüge mit den Stimmen der Mitglieder der bürgerlichen Parteien gegen die erklärte Absicht der SED-Mitglieder wieder auf.15 Obwohl bürgerliche Vertreter in den Wahlausschüssen weitere Wahlausschlüsse verhinderten, wurden aber allein in der Stadt Bad Liebenwerda 61 Personen von den Wahlen ausgeschlossen.16 Insgesamt konnte man zur Problematik der Wahlrechtsentzüge aber feststellen, dass man in beiden Landkreisen nicht davon sprechen konnte, dass mit dem Mittel des Entzugs des aktiven Wahlrechts die Wahl entscheidend manipuliert werden sollte. Im Kreis Liebenwerda wurde jedoch sehr viel größerer Wert auf den Ausschluss von ehemaligen NS-Funktionären gelegt. So betraf dies im Kreis Liebenwerda immerhin 0,66 Prozent der Wahlberechtigten für die Gemeindewahl.17 Im Kreis Schweinitz betrug diese Zahl dagegen nur 0,11 Prozent.18 Grundsätzlich war aber die Anzahl der aus politischen Gründen ausgeschlossenen Personen im Vergleich zu den Wahlberechtigten nur sehr gering. Für das Wahlergebnis hatten die Wahlrechtsentzüge nur eine marginale Bedeutung. Vier Wochen vor den Gemeindewahlen sollten schließlich die kompletten Wählerlisten zusammengestellt und öffentlich ausgelegt werden.19 Nach Ablauf dieses Termins konnten allerdings noch Wahlscheine an einzelne, noch nicht in die Wahllisten aufgenommene Personen ausgegeben werden.20 Insgesamt wurden im Kreis Liebenwerda 63 807 Personen und im Kreis Schweinitz 33 369 Personen für die Gemeindewahl für wahlberechtigt erklärt.21 Auffällig war da-

14 Hajna, Die Landtagswahlen 1946, S. 96. 15 Protokoll der Sitzung des Bad Liebenwerdaer Wahlausschusses vom 10.10.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 94, unpag.). 16 Verzeichnis der nichtwahlberechtigten Personen der Stadt Bad Liebenwerda vom 17.10.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 94, unpag.). 17 Vgl. Hajna, Die Landtagswahlen 1946, S. 96; Ergebnisse der Gemeindewahl vom 8.9.1946 im Regierungsbezirk Merseburg (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 161). 18 Vgl. Verzeichnis der gemäß § 3 der Wahlordnung vom Wahlrecht ausgeschlossenen Personen im Kreis Schweinitz vom 18.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 118); Ergebnisse der Gemeindewahl vom 8.9.1946 im Regierungsbezirk Merseburg (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 161). 19 Vgl. Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, § 16, S. 278. 20 Vgl. ebd., § 19, S. 279. 21 Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7); Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214).

Wahlvorbereitungen und Wahlrechtsbestimmungen

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bei, dass der Frauenanteil unter den Wählern sehr hoch lag. Dieser betrug z. B. im Kreis Schweinitz 62,6 Prozent.22 Die Bestimmungen zum passiven Wahlrecht waren deutlich restriktiver. So konnten nur Personen gewählt werden, wenn sie am Wahltag das 23. Lebensjahr überschritten hatten und seit mindestens sechs Monaten im Gemeindegebiet lebten. Ausgeschlossen von der Wählbarkeit waren zudem grundsätzlich alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder.23 Zur Abgabe von Wahlvorschlägen waren außerdem nur die drei in der SBZ zugelassenen Parteien sowie die gesellschaftlichen Organisationen zugelassen.24 Einzelkandidaturen oder die Bildung neuer Wahlgruppen waren in den Städten und Gemeinden nicht zulässig. Da außerdem die Ortsvereine der Parteien bei den sowjetischen Kommandanturen registriert sein mussten, erschwerte dies, wie noch zu zeigen sein wird, vor allem den Bewerbern der bürgerlichen Parteien die Kandidatur. Bis spätestens 17 Tage vor der Gemeindewahl (in der Provinz Sachsen der 22. August 1946) mussten die Parteien und gesellschaftlichen Organisationen ihre Wahlvorschläge beim Vorsitzenden des Wahlausschusses einreichen.25 Bis zum sechsten Tag vor der Wahl (2. September 1946) konnte der Vorsitzende des Wahlausschusses die vorschlagsberechtigten Parteien und Organisationen nochmals auffordern, Mängel in den Wahlvorschläge zu beseitigen.26 So mussten die Parteien und gesellschaftlichen Organisationen neben den Kandidatenlisten von allen Bewerbern eine schriftliche Erklärung, in der sie ihrer Aufnahme in die Kandidatenlisten zustimmten, und eine Bescheinigung des Bürgermeisters, in der die Wählbarkeit des Kandidaten erklärt wurde, dem Vorsitzenden des Wahlausschusses vorlegen.27 Die Wahlausschüsse entschieden dann spätestens am fünften Tag vor der Wahl (3. September 1946) in öffentlicher Sitzung über die Zulassung der Wahlvorschläge.28 Bis zum vierten Tag vor der Gemeindewahl (4. September 1946) sollten laut Wahlordnung die genehmigten Wahlvorschläge ortsüblich öffentlich bekannt gemacht werden.29 Vor allem für die organisatorisch schwachen bürgerlichen Parteien wurde dadurch das Zeitfenster verkürzt, um in den Städten und Dörfern weitere Parteiorganisationen zu gründen. Von der Bekanntgabe der Gemeindewahl blieben diesen somit nur ca. zwei Monate, um sich auf die Gemeindewahl organisatorisch vorzubereiten. Kurz nach der Durchführung der Gemeindewahlen in der Provinz Sachsen wurde der Bevölkerung am 12. September 1946 erstmals bekanntgegeben, dass

22 Vgl. Statistischer Bericht des Schweinitzer Landrats über die Gemeindewahlen an die Bezirksverwaltung Merseburg vom 15.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 54). 23 Vgl. Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, § 2, S. 277. 24 Vgl. ebd., § 28, S. 279. 25 Vgl. ebd., § 27, S. 279. 26 Vgl. ebd., § 32, S. 280. 27 Vgl. ebd., § 31. 28 Vgl. ebd., § 33. 29 Vgl. ebd., § 34.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

am 20. Oktober 1946 zusätzlich zu den Gemeindewahlen auch ­Kreistags- und Landtagswahlen in der SBZ durchgeführt werden sollten. Ebenso wie bei der Vorbereitung der Gemeindewahlen waren auch diese Wahlen bereits lange zuvor zwischen SMAD und SED geplant worden. So verabschiedete der Parteivorstand der SED am 27. August 1946 einen Entwurf der Wahlordnung für die Kreistags- sowie Landtagswahl, die daraufhin genauso wie die Wahlordnung für die Gemeindewahl von der brandenburgischen Provinzialverwaltung verabschiedet wurde.30 Die bürgerlichen Parteien besaßen erneut kein Mitspracherecht bei der Verabschiedung der Wahlordnung. Gleichfalls wurde der Wahltermin aus taktischen Gründen parallel zur Wahl der Stadt- und Bezirksverordneten in Berlin angesetzt. Da sich die SED nach den Wahlergebnissen in den Westzonen, aber auch nach den Gemeindewahlen in der SBZ vor allem aufgrund der weiteren Existenz der SPD in den Berliner Westsektoren über einen Wahlerfolg in ganz Berlin nicht mehr sicher sein konnte, beugte sie mit der schnellen Festlegung des Wahltermins für die Kreistags- und Landtagswahlen weiteren Auswirkungen der Berliner Wahl auf die geplanten Wahlen in der SBZ vor.31 Die grundsätzlichen Bestimmungen der Wahlordnung der Kreistags- sowie Landtagswahl glichen weitestgehend denen der Wahlordnung für die Gemeindewahl in der SBZ. Bis auf wenige Ausnahmen waren die Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht identisch.32 Im Gegensatz zu den Wahlausschüssen in den Städten und Gemeinden bildete sich in den Kreisen ein Kreiswahlausschuss sowie im Land bzw. der Provinz ein Landeswahlausschuss, welche die eingereichten Wahlvorschläge der Parteien bzw. gesellschaftlichen Organisationen genehmigen sollten.33 Die Wahlvorschläge mussten bis spätestens 17 Tage vor der Wahl (3. Oktober 1946) beim Kreiswahlausschuss eingereicht werden.34 Der Kreisausschuss hatte daraufhin bis zum 10. Oktober 1946 Zeit, um die Wahlvorschläge zu genehmigen.35 In beiden Landkreisen Liebenwerda und Schweinitz fanden die Sitzungen zur Genehmigung der Wahlvorschläge am 10. Oktober 1946 statt. Aus formalen Gründen wurden einzelne Kandidatenvorschläge nicht genehmigt. Da aber alle Parteien davon betroffenen waren, konnte eine bewusste Benachteiligung der bürgerlichen Parteien in diesem Fall nicht festgestellt werden. So kandidierten im Kreis Liebenwerda 55 Kandidaten der SED, 43 Kandidaten der LDP, 47 Kandidaten der CDU

30 Vgl. Hajna, Die Landtagswahlen 1946, S. 44. 31 Vgl. ebd., S. 14. 32 Vgl. Wahlordnung für die Land- und Kreistagswahlen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, § 3. In: Freiheit vom 17.9.1946, Nr. 126. Die einzige Änderung zur Gemeindewahlordnung betraf ehemalige SS-Angehörige. Konnten diese nachweisen, dass sie zwangsweise in die SS aufgenommen wurden, waren diese jetzt zur Wahl des Kreis- bzw. Landtags berechtigt. 33 Vgl. ebd., § 7. 34 Vgl. ebd., § 30. 35 Vgl. ebd., § 33.

Behinderung der bürgerlichen Parteien

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und 15 Kandidaten der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) auf den Listen ihrer Parteien bzw. Organisationen für die Kreistagswahl.36 Im Kreis Schweinitz stellten sich 48 Kandidaten für die SED, 37 Kandidaten für die LDP, 35 Kandidaten für die CDU und 18 Kandidaten für die VdgB zur Kreistagswahl.37 In beiden Landkreisen durften alle drei genehmigten Parteien sowie die VdgB Listen für die Kreistagswahl aufstellen. Die SED nutzte aber ihren Einfluss in der VdgB aus, um auf deren Liste eine große Anzahl von SED-Mitgliedern aufzustellen. Im Kreis Liebenwerda befanden sich unter den 15 Kandidaten der VdgB 8 SED-Mitglieder und lediglich ein CDU-Mitglied.38 Im Kreis Schweinitz gehörten von den 18 Kandidaten der VdgB 8 der SED und nur 3 der CDU an. Die restlichen Kandidaten waren parteilos.39 Auch im Untersuchungsgebiet war somit die Liste der VdgB lediglich als Instrument zur Mehrheitsbeschaffung der SED angelegt.

2.

Die Behinderung der bürgerlichen Parteien

Allein an den Mitgliederzahlen der Parteien ist abzulesen, dass sich der Organisationsgrad der SED und der bürgerlichen Parteien kurz vor den Wahlen im Jahr 1946 enorm unterschied. Im August 1946 gehörten im Kreis Liebenwerda bzw. im Kreis Schweinitz insgesamt 6 212 bzw. 2 675 Mitglieder der SED an.40 In der CDU waren im Untersuchungsgebiet hingegen im Dezember 1946 lediglich 1932 im Kreis Liebenwerda bzw. 1 028 Mitglieder im Kreis Schweinitz organisiert.41 Besonders dünn aufgestellt war die LDP. Aufgrund der schwachen

36 Bekanntmachung des Liebenwerdaer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 48–56). Vor der Sitzung des Kreiswahlausschusses meldete die Kreisverwaltung Liebenwerda 56 Kandidaten der SED, 44 Kandidaten der LDP, 51 Kandidaten der CDU und 15 Kandidaten der VdgB an die Bezirksverwaltung Merseburg. Vgl. Wahlvorschläge zur Kreistagswahl des Kreises Liebenwerda vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 265). 37 Bekanntmachung des Schweinitzer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 2–4). Vor der Sitzung des Kreiswahlausschusses meldete die Kreisverwaltung Schweinitz 50 Kandidaten der SED, 40 Kandidaten der LDP, 35 Kandidaten der CDU und 18 Kandidaten der VdgB an die Kommandantur in Herzberg. Vgl. Meldung der Wahlvorschläge zur Kreistagswahl des Kreises Schweinitz an die Kommandantur in Herzberg vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 37). 38 Wahlvorschläge zur Kreistagswahl des Kreises Liebenwerda vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 265). 39 Meldung der Wahlvorschläge für die Kreistagswahl im Kreis Schweinitz gegliedert nach Parteizugehörigkeit (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 31). 40 Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 7.9.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 108). 41 Vgl. Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 6.12.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 113).

400

Kommunal- und Landtagswahlen 1946

Ausprägung einer bürgerlichen städtischen Oberschicht im Untersuchungsgebiet konnte diese bis Dezember 1946 im Kreis Liebenwerda lediglich 201 und im Kreis Schweinitz nur 376 Mitglieder vereinigen.42 Der organisatorische Rückstand der bürgerlichen Parteien setzte sich auch in den innerparteilichen Strukturen fort. So konnte die SED auf einen breiten hauptamtlich beschäftigten Funktionärsapparat zurückgreifen. Zwar lag für das Jahr 1946 keine Aufstellung der hauptamtlich beschäftigten Sekretäre in den beiden SED-Kreisparteiorganisation vor, doch waren nach dem zweiten Kreis­ parteitag im August 1947 im Kreis Liebenwerda sieben und im Kreis Schweinitz fünf hauptamtliche Funktionäre im Kreissekretariat beschäftigt.43 Hinzu kam, dass SED-Bürgermeister nahezu alle wichtigen staatlichen Verwaltungen kontrollierten und deren Strukturen auch für den Wahlkampfnutzen konnten. Der Liebenwerdaer bzw. Schweinitzer CDU-Kreisverband konnte im Vergleich dazu bis Ende April 1946 lediglich einen hauptamtlichen Geschäftsführer einstellen, der für die gesamte Partei im Kreisgebiet zuständig war.44 Ein Großteil der Wahlkampfarbeit musste unter diesen Umständen bei den bürgerlichen Parteien in ehrenamtlicher Arbeit durchgeführt werden. Noch größeren Einfluss auf die Parteiarbeit hatte aber die ungleiche Verteilung der Druckerzeugnisse. So erschien die Parteizeitung der SED, „Freiheit“, im Juli 1946 in der Provinz Sachsen in einer Auflage von 500 000 Exemplaren (inklusive Nebenausgaben). Im Gegensatz dazu wurden von der „Liberaldemokratische Zeitung“ und der CDU-Parteizeitung „Der Neue Weg“ zur gleichen Zeit in der Provinz Sachsen nur 50 000 bzw. 20 000 Exemplare aufgelegt.45 Die „Freiheit“ wurde sechsmal in der Woche und die beiden bürgerlichen Zeitungen lediglich zweimal wöchentlich veröffentlicht.46 Außerdem besaß nur die SED-Zeitung „Freiheit“ einen Regionalteil, in dem sie auch auf örtliche kommunalpolitische Probleme eingehen konnte. Obwohl die Mitglieder der bürgerlichen Parteien versuchten, die wenigen Zeitungen an andere Personen weiterzugeben, hatten viele Einwohner unter diesen Umständen gar keine Chance, mit Zeitungen der CDU oder LDP in Berührung zu kommen.47 Auch bei der Verteilung von Papier für die Herstellung von Wahlkampfmaterial ergaben sich erhebliche Unterschiede zwischen den Parteien. Die sowjetische Besatzungsmacht bewilligte für die SED in der gesamten Provinz Sachsen

42 Vgl. ebd. 43 Übersicht über die Zusammensetzung der Kreisvorstände in der Provinz Sachsen (August 1947; LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 86). 44 Vgl. Programmpunkte für die Vorstandssitzung des CDU-Ortsverbandes Bad Liebenwerda vom 25.4.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.). 45 Vgl. Hajna, Die Landtagswahlen 1946, S. 150. 46 Vgl. ebd. 47 Vgl. CDU-Kreisverbandes Bad Liebenwerda über die erleichterte Genehmigung von Versammlungen durch die Kommandantur sowie den Druck von Plakaten an alle CDU-Ortsverbände vom 4.3.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.).

Behinderung der bürgerlichen Parteien

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mehr als 130 Tonnen Papier, während die CDU und die LDP nur jeweils 20 Tonnen Papier zugeteilt bekamen.48 Wie es schien, wurde der SED dabei sogar mehr Papier zugeteilt als den Verwaltungen, die für die Durchführung der Wahlen zuständig waren. Die Landräte und Oberbürgermeister wiesen die Merseburger Bezirksverwaltung beispielsweise in einer Aussprache über die Wahlvorbereitungen am 18. Juli 1946 ausdrücklich auf die Papiernot im Bezirk hin, welche eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen behinderte.49 Die Dominanz in der Presselandschaft setzte die SED schließlich spätestens ab August 1946 auch offensiv gegen die bürgerlichen Parteien ein. Am Anfang des Wahlkampfs konzentrierte sich die SED noch weitestgehend auf die Bekanntmachung ihres Programms sowie auf die Darstellung ihrer vermeintlichen Erfolge seit Kriegsende. Mit der Ignorierung der bürgerlichen Parteien versuchte die SED, diesen zunächst keine Angriffspunkte im Wahlkampf zu bieten. So betonten SED-Funktionäre am Anfang des Wahlkampfs immer wieder die vermeintlich erfolgreiche Blockpolitik, mit der auch der Anteil der bürgerlichen Parteien an den bisher durchgeführten politischen Maßnahmen herausgestellt wurde. Als jedoch deutlich wurde, dass sich die CDU und LDP im Wahlkampf immer deutlicher von der Politik der SED abgrenzten, ging die Partei auch mit direkten öffentlichen Angriffen gegen die beiden bürgerlichen Parteien vor.50 Vom 9. August bis zum 8. September 1946 griff die SED vor allem die CDU wegen ihrer Haltung zur Bodenreform, zum Föderalismus und zur Schulpolitik immer wieder scharf an.51 Darin wurde deutlich, dass die SED zunächst die CDU als ihren Hauptkonkurrenten bei der Wahl ansah. Erst nachdem die LDP bei den vorgezogenen Gemeindewahlen in Sachsen am 1. September 1946 überraschend gut abschnitt, konzentrierten sich die Presseangriffe im Landtagswahlkampf vermehrt auf die LDP.52 Die Angriffe in der Presse erfolgten dabei immer nach einem ähnlichen Muster. So wurden die CDU und später auch die LDP als gespaltene Parteien dargestellt, die zu einem gewissen Teil von „reaktio­ nären“ Mitgliedern unterwandert waren. Beispielsweise wurde am 13. August 1946 Folgendes in der „Freiheit“ zur Haltung der CDU zur Bodenreform veröffentlicht: „Ein ähnliches gefahrvolles Abgleiten drohte schon einmal der CDU. Das war zu der Zeit, als ihr ehemaliger Vorsitzender, Hermes, und dessen Stellvertreter, Schreiber, die beiden gegen die Durchführung der Bodenreform waren, sich einer großzügigen Hilfe für

48 Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 75. 49 Vgl. Niederschrift über die Besprechung der Landräte und Oberbürgermeister des Regierungsbezirks Merseburg mit der Bezirksverwaltung über die Gemeindewahlordnung vom 18.7.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 35). 50 Vgl. Freiheit vom 21.6. bis 8.8.1946, Nr. 51 bis 92. 51 Vgl. Freiheit vom 10.8.1946, Nr. 94; Freiheit vom 13.8.1946, Nr. 96; Freiheit vom 18. 9.1946, Nr. 127. 52 Besonders scharf wurde der LDP-Vorsitzende in der Provinz Sachsen, Carl Delius, wegen seiner angeblichen „reaktionären Ideen“ angegriffen. Vgl. Freiheit vom 7.10.1946, Nr. 143; Freiheit vom 18.9.1946, Nr. 127; Freiheit vom 2.10.1946, Nr. 139.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

die Neubauern widersetzten, die von den übrigen antifaschistischen Parteien gefordert wurde. Damals aber siegten die gesunden Kräfte in der CDU, die die Bodenreform von Anfang an tatkräftig unterstützt hatten.“53 Die Presseangriffe gipfelten schließlich kurz vor den Gemeindewahlen darin, dass einzelne Kandidaturen von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern für die bürgerlichen Parteien bewusst aufgebauscht wurden, um den vermeintlich zwiespältigen Charakter dieser Parteien zu belegen.54 Mit dieser Strategie der Presseangriffe war es der SED zum einen möglich, den totalen Bruch mit den bürgerlichen Parteien zu umgehen und die für die SED immer noch nützliche Blockpolitik zu erhalten. Zum anderen war die SED damit aber auch in der Lage, die bürgerlichen Parteien zu spalten und einzelne Vertreter der CDU bzw. LDP für ihre Ziele zu gewinnen. So war in dieser Pressekampagne bereits die spätere Strategie gegenüber den Mitgliedern der bürgerlichen Parteien in den gewählten Parlamenten zu erkennen. Bereits während des Wahlkampfs ging die SED gezielt auf Mitglieder der bürgerlichen Parteien zu und versuchte, diese zum Parteiaustritt bzw. zum -­übertritt zur SED zu bewegen. Der wohl aufsehenerregendste Parteiaustritt eines bürgerlichen Politikers in der Provinz Sachsen erfolgte am 3. September 1946 vom 1. Dessauer Bezirksvorsitzenden Heinrich Pollmanns, der sich in einem in der „Freiheit“ veröffentlichten Austrittsschreiben als linksgerichteter Liberaler bezeichnete.55 Auch im Untersuchungsgebiet waren mehrere öffentlich verkündete Parteiübertritte zur SED kurz vor den Gemeindewahlen zu verzeichnen. Beispielsweise traten die beiden LDP-Vorsitzenden von Hillmersdorf zur SED über.56 Ebenso erklärte das Herzberger LDP-Gründungs- und Kreisvorstandsmitglied Dr. Kurt Hohmuth kurz vor den Kreistagswahlen seinen Austritt aus der LDP. In seiner Austrittsbegründung schrieb er: „Mit dem heutigen Tage habe ich meine sämtlichen Parteiämter niedergelegt und bin aus der LDP ausgetreten. Begründung: Als Gründungsmitglied der hiesigen Partei war ich immer für eine enge Zusammenarbeit mit der SED in der Erkenntnis, dass nur eine gemeinsame Arbeit und ein gegenseitiges Verstehen zum Wohle der Aufbauarbeit gereichen kann. Leider hat sich die Partei trotz meiner häufigen Hinweise immer mehr vom gemeinsamen Ziele entfernt und ist somit zur ,bürgerlichen‘ Partei geworden, der Partei eines Standes, nicht einer Partei des Volkes.“57 Der

53 Vgl. Freiheit vom 13.8.1946, Nr. 96. 54 Vgl. Freiheit vom 5.9.1946, Nr. 116. 55 Vgl. ebd. Neben Heinrich Pollmanns trat auch der LDP-Hauptgeschäftsführer der Provinz Sachsen, Albert Krammer, aus der LDP aus. Vgl. Freiheit vom 6.9.1946, Nr. 117. Auch über einzelne Parteiübertritte von der CDU zur SED wurde in der „Freiheit“ ausgiebig berichtet.] Vgl. Freiheit vom 22.8.1946, Nr. 104. Spektakuläre Fälle wie die Parteiaustritte von Heinrich Pollmanns oder Albert Krammer gab es in der CDU allerdings nicht. 56 Vgl. Freiheit vom 31.8.1946, Nr. 112. 57 Freiheit vom 19.10.1946, Nr. 154.

Behinderung der bürgerlichen Parteien

403

Wahlkampf bewirkte, wie es schien, eine erhebliche politische Polarisierung innerhalb der Parteien, die schließlich innerhalb der bürgerlichen Parteien zu mehreren Austritten bzw. Übertritten von linksgerichteten Mitgliedern führte. Einen großen Anteil an diesen Parteiaustritten, über welche die SED-Presse breit berichtete, hatte dabei zweifellos aber auch die SED, die zum einen mit ihrer Pressekampagne die bürgerlichen Parteien als gespalten darstellte und zum anderen einzelne Mitglieder der CDU und LDP gezielt zum Übertritt in die SED aufforderte. Das Mittel des Parteiaustritts konnte allerdings nur bei ohnehin zweifelnden Parteimitgliedern von der SED angewandt werden. Die große Mehrzahl der Mitglieder der bürgerlichen Parteien, die sich zu den Parteiprogrammen der CDU und LDP bekannten und die SED als Konkurrenzpartei im Wahlkampf betrachteten, waren hingegen nur sehr schwer von solchen Methoden zu beeindrucken. Um aber auch kritische Mitglieder der bürgerlichen Parteien im Wahlkampf einzuschüchtern, griffen die beiden sowjetischen Kreiskommandanturen aktiv in den Wahlkampf ein. Diese beschwerten sich z. B. bei der SMA in Halle und bei dem Merseburger CDU-Bezirksvorsitzenden Josef Gotschol über die politische Einstellung des Liebenwerdaer CDU-Kreisvorsitzenden Carl Schulze und des Schweinitzer CDU-Geschäftsführers, Joachim Geselle. Dies führte dazu, dass beide Fälle im CDU-Provinzialvorstand am 22. Juli 1946 besprochen wurden.58 Im Fall von Carl Schulze beschwerte sich die Kreiskommandantur über die bereits erwähnte CDU-Kundgebung vom 31. Mai 1946, in der sich Schulze klar gegen willkürliche Enteignungen aussprach. Im Protokoll der CDU-Provinzialvorstandssitzung vom 22. Juli 1946 hieß es dazu: „Kreisrat Schulze hat am 31. Mai in einer Versammlung eine Resolution eingebracht, über die die russische Besatzungsbehörde sehr ungehalten war. In einer Besprechung zwischen dem Kommandanten und Herrn Rektor Gotschol stellte sich dann heraus, dass alle Dinge, die in der Resolution angegeben waren, sich nicht als stichhaltig erwiesen hatten. Herr Schulze hatte sich also leichtfertig öffentlich zum Anwalt von Leuten gemacht, ohne deren wahren Sachverhalt vorher festgestellt zu haben.“59 Obwohl Carl Schulze im Kreissequesterausschuss einen Großteil der Enteignungen befürwortete, warf ihm die Besatzungsmacht vor allem seine öffentliche Unterstützung für einzelne enteignete Personen vor. Unter diesen Umständen verlangte die sowjetische Besatzungsmacht vom CDU-Provinzialvorstand die Absetzung von Carl Schulze als CDU-Kreisvorsitzenden.60 Auch im Fall von Joachim Geselle beschwerte sich die Schweinitzer Kreiskommandantur beim CDU-Bezirksvorsitzenden Gotschol. Hierzu wurde im

58 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 22.7.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/1, unpag.). 59 Ebd. 60 Vgl. ebd.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

Protokoll der Vorstandssitzung festgehalten: „Der russische Kommandant hat sich Herrn Gotschol gegenüber über Herrn Geselle beklagt, er habe Vorstandsund Mitgliederversammlungen nicht angemeldet, nur öffentliche Kundgebungen, obwohl er öfter dazu aufgefordert sei. Weiterhin hat er zur Bodenreform und zur Schulfrage eine andere Stellungnahme eingenommen als die CDU. Die russische Besatzungsbehörde hat den Eindruck, dass Herr Geselle unter nazistischen Einflüssen steht und verlangt daher einen anderen Geschäftsführer.“61 Heinrich Hübenthal warnte in der Vorstandssitzung allerdings davor, kurz vor den Wahlen Joachim Geselle abzusetzen. So beschloss der Vorstand im Fall von Geselle, dass der Bezirksverband nochmals einen Bericht zum Fall anfertigen sollte, der vom CDU-Provinzialvorsitzenden Dr. Leo Herwegen der SMA vorgelegt werden sollte.62 Dennoch wurden beide, Schulze und Geselle, kurze Zeit später von ihren Posten abgesetzt. Carl Schulze verlor mit seiner Absetzung als Kreisvorsitzender gleichfalls seine Funktionen im Kreisblock- sowie Kreissequesterausschuss, durfte aber als Abteilungsleiter für Finanzen in der Kreisverwaltung aufgrund seiner korrekten Arbeitsweise und wohl auch aufgrund seiner in der ganzen Stadt bekannten Gegnerschaft zum NS-Regime weiter beschäftigt bleiben.63 Zum Nachfolger von Carl Schulze als CDU-Kreisvorsitzender wurde Friedrich Barth aus Bad Liebenwerda gewählt. Zwar kandidierte Carl Schulze auch nach seiner Absetzung für die Bad Liebenwerdaer Stadtverordnetenversammlung und später für den Kreistag sowie den Landtag, doch machte ihm die Besatzungsmacht damit unmissverständlich deutlich, dass sie weitere provokante Äußerungen bei Wahlkundgebungen kaum akzeptieren würde.64 Dabei war besonders schwerwiegend, dass man mit der Absetzung Carl Schulze die Chance nahm, als CDU-Spitzenkandidat in Bad Liebenwerda und für den Kreistag zu kandidieren. Somit wurden gleichfalls auch seine Aktivitäten im Wahlkampf eingeschränkt. Das Vorgehen gegen Schulze und Geselle bildete in der gesamten Provinz Sachsen keine Ausnahme. Allein in der CDU-Provinzialvorstandssitzung vom 22. Juli 1946 wurden neben diesen beiden erwähnten Fällen noch sechs weitere CDU-Funktionäre auf Wunsch der Besatzungsmacht zum Rücktritt gedrängt. Im Protokoll der Sitzung wurde ganz klar festgehalten, dass dem ­CDU-Vorstand aufgrund des Drucks der Besatzungsmacht „nichts weiter übrig bleibt, als

61 62 63 64

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Kandidatenliste zur Wahl der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnetenversammlung am 8.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 94, unpag.); Bekanntmachung des Liebenwerdaer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 50); Trittel, Die Abgeordneten, S. 175.

Behinderung der bürgerlichen Parteien

405

die betreffenden Herren von ihren Posten abzusetzen“.65 Das Nachgeben der CDU-Spitze in der Provinz Sachsen in diesen Personalfragen hatte gleichfalls zur Folge, dass die Vertrauensbasis zwischen der oberen Parteiebene und den unteren Gliederungen erheblich gestört wurde. So konnte es den Mitgliedern vor Ort wohl nur sehr schwer erklärt werden, wenn Personen wie Carl Schulze, die unter den schwierigsten Bedingungen die Partei aufbauten, nun kurzerhand mit Zustimmung des Provinzialverbandes abgelöst wurden. Wie sehr aber z. B. Carl Schulze immer noch das Vertrauen der Mitglieder vor Ort besaß, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass er von diesen als Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung in Bad Liebenwerda sowie für den Kreis- und Landtag bestimmt wurde.66 Andere Mitglieder der bürgerlichen Parteien hatten während des Wahlkampfs unter noch größeren Benachteiligungen zu leiden. So schreckten die Besatzungsmacht und die SED mithilfe der deutschen Polizei und des NKWD/ MWD nicht vor Verhaftungen von einflussreichen Mitgliedern der CDU und LDP zurück. Ein Beispiel für die Verhaftung eines einflussreichen Mitglieds einer bürgerlichen Partei war der Fall von Friedrich Ernst aus Koßdorf im Kreis Liebenwerda. Der Landwirt Friedrich Ernst gründete als Ortsvorsitzender in Koßdorf den CDU-Ortsverein. Mit der Behauptung, Ernst habe während des Kriegs polnische Arbeiter geschlagen, wurde er am 6. Juni 1946 vom MWD verhaftet. Nachdem sich diese Behauptung wenig später als nicht zutreffend erwies, entließ ihn der sowjetische Geheimdienst aus der Haft. Unmittelbar nach dieser Entlassung wurde er allerdings erneut von der deutschen Polizei inhaftiert und wegen „Schwarzschlachtens“ zu 4,5 Jahren Haft verurteilt. In der Revision wurde dieses Urteil in eine Geldstrafe umgewandelt und Friedrich Ernst am 19. Oktober 1946 aus der Haft entlassen.67 Die Abmilderung der Strafe und die Entlassung aus der Haft einen Tag vor der Durchführung der Kreistags- sowie Landtagswahl deutete zum einen darauf hin, dass seine „Vergehen“ nicht sonderlich schwerwiegend gewesen sein konnten, und zum anderen, dass Ernst bewusst durch seine Verhaftung vom Wahlkampf ausgeschlossen werden sollte. Ähnlich ging die deutsche Polizei zusammen mit dem NKWD/MWD wohl auch im Fall von Willi Lüderitz vor. Wie bereits erwähnt, wurde Willi Lüderitz

65 Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 22.7.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/1, unpag.). 66 Carl Schulze wurde für die Kreistagswahl vom CDU-Kreisparteitag auf den sicheren Listenplatz Nr. 4 gesetzt. Auf der Liste des Landtagswahlkreises VI kandidierte er auf dem Listenplatz Nr. 3. Vgl. Bekanntmachung des Liebenwerdaer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 50); Trittel, Die Abgeordneten, S. 175. 67 Vgl. Günther Buchstab (Hg.), Verfolgt und Entrechtet. Die Ausschaltung christlicher Demokraten unter sowjetischer Besatzung und SED-Herrschaft 1945–1961, Sankt Augustin 1998, S. 115 f.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

kurz nach Kriegsende kurzzeitig zum Schweinitzer Landrat berufen. Nach seiner Absetzung durch die Besatzungsmacht versuchte er, wieder als Lehrer zu arbeiten. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der CDU in Herzberg und übernahm im Frühjahr 1946 den CDU-Kreisvorsitz von Hermann Schlieben. Obwohl Lüderitz bereits während des Kriegsendes in Torgau in Gestapo-Haft einsaß, inhaftierte ihn der NKWD/MWD im Jahr 1946 erneut.68 Zu den Umständen seiner erneuten Verhaftung schrieb er Folgendes in einem Lebenslauf: „Wegen der Gründung der von der russischen Administration erlaubten Partei der Christlich Demokratischen Union, deren Kreisverbandsvorsitzender ich von der Landesleitung Halle bestätigt war, setzte von bestimmter Seite eine maßlose Hetze ein. Die deutsche Polizei verhaftete mich und übergab mich der G.P.U. Am 13. Oktober 1946 wurde ich von der G.P.U. schuldlos entlassen.“69 Wann genau Lüderitz verhaftet wurde, konnte nicht ermittelt werden, doch deutete der Entlassungstermin erneut den wahltaktischen Grund dieser Verhaftung an. So war Lüderitz durch diese Verhaftung nicht in der Lage, einen Großteil des Wahlkampfs mitzugestalten. Gleichfalls durfte Willi Lüderitz, der als Herzberger Lehrer in der Stadt hoch angesehen war, laut Wahlordnung nach seinem Entlassungstermin nicht mehr als Kreistagsmitglied kandidieren. Die CDU des Landkreises Schweinitz hatte mit der Verhaftung des Kreisvorsitzenden Lüderitz und der erzwungen Entlassung des Kreisgeschäftsführers Geselle erheblich unter den Repressionen der Besatzungsmacht während des Wahlkampfs zu leiden. Berücksichtigt man bereits allein diese Umstände, so kann man im Untersuchungsgebiet nicht mehr von einer fairen bzw. freien Wahl sprechen. Neben diesen bereits geschilderten schweren Benachteiligungen der bürgerlichen Parteien stellte allerdings das Wahlrecht zur Gemeindewahl die schwerwiegendste Beeinträchtigung für die CDU und LDP dar. So war den Parteien die Kandidatur in einem Ort nur erlaubt, wenn in diesem Ort bereits eine von der Kommandantur registrierte Parteiorganisation bestand.70 Aus diesem Grund bemühten sich die Kreisvorstände der CDU und LDP mit der Ankündigung der Gemeindewahlen zuallererst um die Gründung neuer Ortsgruppen. Mit der Bekanntgabe der Gemeindewahlen erging allerdings eine interne Weisung der SMAD an alle Propagandaoffiziere in den Kreiskommandanturen, dass „die Gründung neuer“ CDU- und LDP-Grundorganisationen „auf jede Art und Weise zu behindern“ sei.71 Dabei kam es den Kommandanturen entgegen, dass zunächst in der gesamten SBZ keine einheitlichen Regeln zur Gründung von neuen Parteiorganisationen aufgestellt wurden.

68 Vgl. Lebenslauf von Willi Lüderitz (undatiert; StA Herzberg, Nr. 68, unpag.). 69 Ebd. 70 Vgl. Wahlordnung für die Gemeindewahlen in der sowjetischen Besatzungszone, § 28, 1. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 3.7.1946, Nr. 27, S. 278. 71 Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 62.

Behinderung der bürgerlichen Parteien

407

Zunächst war vollkommenen unklar, wie viele Mitglieder eine neue Parteiorganisation zur Gründung benötigte.72 Die LDP der Provinz Sachsen setzte aus diesem Grund ihre Anforderung am 1. Juli 1946 zunächst von 20 auf 7 Gründungsmitglieder herunter.73 Am 10. Juli 1946 erfolgte sogar eine Reduzierung auf nur noch 5 Gründungsmitglieder.74 Die SMAD legte schließlich erst Mitte Juli 1946 eine verbindliche Anzahl von 10 Gründungsmitgliedern fest.75 Wie bürokratisch die Gründung von Ortsgruppen geregelt war, zeigte sich u. a. in einem Rundschreiben des LDP-Provinzialverbandes vom 19. Juli 1946. Hierin hieß es: „Auf Befehl der SMA dürfen Ortsstellen künftighin nur dann gegründet werden, wenn eine Versammlung vorangegangen ist. Die Ortsstellengründung kann natürlich an die erste Versammlung anschließend, indem die Mitglieder zur Wahl des Vorstandes kurz zusammengefasst werden, erfolgen […]. Die Ortsstelle muss vor der Gründung von der SMA (örtlichen Kommandanten) und vom Bürgermeister registriert und zur Genehmigung eingereicht werden. Nachdem die Ortsstelle von der örtlichen Kommandantur registriert wurde, wird von dort aus die Neugründung der Bezirkskommandantur zur Genehmigung weitergegeben. Der Vorstand, der in der Gründungsversammlung gewählt wurde, ist ebenfalls der SMA zu melden […].“76 Laut diesem Schreiben waren nicht nur die örtlichen Kommandanturen für die Genehmigung zuständig, sondern auch die übergeordneten Bezirkskommandanturen. Unter diesen Umständen verkürzte die sowjetische Besatzungsmacht nochmals die Zeit zur Gründung von Ortsvereinen bis zum 18. August 1946.77 So war es den SED-Bürgermeistern, dem örtlichen sowjetischen Kommandanten sowie der Bezirkskommandantur ohne Weiteres möglich, mit dem Verweis auf die jeweilige andere Dienststelle Neugründungsanträge bis zu diesem Termin zu verschleppen. Der CDU-Kreisverband Bad Liebenwerda stellte dazu kurz nach der Gemeindewahl in einem Schreiben an den CDU-Ortsverein Ortrand Folgendes fest: „Wenn bisher ein Erfolg in dieser Hinsicht (Neugründung von Ortsvereinen) nicht zu verzeichnen war, so lag es daran, dass die Kreiskommandantur immer wieder neue Anordnungen erließ, deren Durchführung die geplante Registrierung

72 Vgl. ebd., S. 62 f. 73 Rundschreiben Nr. 69 des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 1.7.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–515, unpag.). 74 Rundschreiben des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 10.7.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–515, unpag.). 75 Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 62; Rundschreiben Nr. 78 des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 20.7.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–515, unpag.). 76 Rundschreiben Nr. 77 des LDP-Landesverbandes der Provinz Sachsen vom 19.7.1946 (Archiv des Liberalismus, L5–515, unpag.). 77 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung der Provinz Sachsen vom 9.8.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/1, unpag.).

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

erschwerten.“78 Am Beispiel des Registrierungsantrags des ­CDU-Ortsvereins Großthiemig war zu erkennen, wie spitzfindig die Kommandantur vorging. Diese bemängelte u. a., dass das CDU-Eintrittsdatum der neuen Mitglieder und eine polizeiliche Beglaubigung der Unterschriften im Gründungsprotokoll fehlten.79 Neben den Kommandanturen verschleppten aber auch deutsche Bürgermeister die Registrierungsaufträge. Der LDP-Vorstand der neu gegründeten Ortsstelle Schützberg schrieb z. B. an den Schweinitzer Landrat: „In der Zeit vom 1.8.46 bis 8.8.46 wurde hier in Schützberg mit 15 Mitgliedern eine Ortsstelle der LDP begründet. Am 17.8. wurde das Gründungsprotokoll ausgefertigt und unterzeichnet, jedoch verweigerte der Schützberger Herr Bürgermeister seine Unterschrift, um den festgesetzten Termin, den 18.8., verstreichen zu lassen […]. Als das Landratsamt am Abend des 17.8. den Herrn Bürgermeister von Schützberg in dieser Sache telefonisch sprechen wollte, musste das Büro­fräulein ausrichten, dass der Herr Bürgermeister nicht zu Hause sei, obwohl er neben dem Telefonapparat stand. Der Herr Bezirksbürgermeister äußerte in einer Bauernversammlung am 22.8., dass der Wahlvorschlag der LDP (der von uns am 20.8. eingereicht wurde) ungültig sei, weil die Partei nicht registriert wäre.“80 Neben diesen Beispielen ließen sich noch viele weitere Nichtregistrierungen und Ablehnungen von Wahlvorschlägen der bürgerlichen Parteien im Untersuchungsgebiet nennen. Beispielsweise wurden im Kreis Liebenwerda aus Frauwalde, Hirschfeld, Bönitz, Stolzenhain und Theisa81 sowie im Kreis Schweinitz aus Düssnitz, Gehmen, Gerbisbach, Schöneicho, Jagsal und Schlieben nichtregistrierte Ortsgruppen der bürgerlichen Parteien gemeldet.82 Nicht einmal einflussreiche Mitglieder der CDU oder LDP, wie z. B. der Vorstandvorsitzende der Mückenberger Bubiag, Dr. Wilhelm Rexroth, der gleichfalls auch zum Vorsitzender

78 CDU-Kreisverband Bad Liebenwerda über die Nichtregistrierung von Ortsvereinen an den CDU-Ortsverein Ortrand vom 14.9.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032–002/4, unpag.). 79 Vgl. ebd. 80 LDP-Ortsstelle Schützberg über die Nichtregierung der Ortsstelle an den Schweinitzer Landrat vom 25.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 194). Ein Beleg für die bewusste Verschleppung dieses Antrags war auch, dass dieses Schreiben (nach dem Eingangsstempel) erst nach der Gemeindewahl am 11.9.1946 im Landratsamt einging. 81 Vgl. CDU-Kreisverbandes Bad Liebenwerda über die Nichtregistrierung von Ortsvereinen an den CDU-Ortsverein Ortrand vom 14.9.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032002/4, unpag.); Schreiben über die Nichtregistrierung des CDU-Ortsvereins Stolzenhain vom 20.8.1946 (ACDP Sankt Augustin, III-032-002/4, unpag.); Schreiben über die Nichtregistrierung der CDU-Ortsvereine Bönitz und Theisa (undatiert; ACDP Sankt Augustin, III-032-003/1, unpag.). 82 Vgl. Bezirksbürgermeister Richard Nobest über die Nichtzulassung der Wahlvorschläge der CDU in Düssnitz, Gehmen, Gerbisbach und Schöneicho an den Schweinitzer Landrat vom 27.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 89); Übersicht über die im Kreis Schweinitz registrierten Parteiortsgruppen vom 13.8.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 43 f.).

Behinderung der bürgerlichen Parteien

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der neu gegründeten LDP-Ortsstelle Mückenberg gewählt wurde, erhielten eine Zulassung zur Gemeindewahl.83 Im Zusammenspiel von Kommandantur und zahlreichen SED-Bürgermeistern gelang es schließlich, zahlreiche Registrierungen von bürgerlichen Ortsvereinen zu verhindern. Wie unausgewogen das Vorgehen der Kommandantur und der deutschen Behörden war, zeigte sich allein in der Zahl der nach der Bekanntgabe der Gemeindewahl neu registrierten SED-Ortsgruppen. Im Kreis Liebenwerda wurden allein im Juli 1946 insgesamt 16 neue SED-Ortsgruppen gegründet.84 Macht man sich bewusst, dass in allen Orten des Kreises Liebenwerda insgesamt nur 24 CDU- und LDP-Wahlvorschläge eingereicht werden durften, so entsprach dies bereits zwei Drittel der zur Gemeindewahl zugelassen Ortsvereine der CDU und LDP.85 Insgesamt wurden im Kreis Liebenwerda 71 SED- und nur 13 CDU- sowie 11 LDP-Wahlvorschläge in den Orten des Kreises zur Gemeindewahl zugelassen. Nur in den fünf Städten Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Mühlberg, Ort­rand und Uebigau sowie in den Dörfern Falkenberg, Bockwitz, Lauchhammer, Koßdorf und Merzdorf durften jeweils alle drei Parteien im Kreis Liebenwerda kandidieren.86 Im Kreis Schweinitz wurden insgesamt 84 SED- und lediglich 11 CDU- sowie 7 LDP-Wahlvorschläge angenommen. Nur in Herzberg, Seyda und dem kleinen Hillmersdorf kandidierten alle drei Parteien zur Gemeindewahl.87 Angesichts dieser Zahlen und angesichts der Tatsache, dass in mehreren Orten bereits neu gegründete Ortsvereine der bürgerlichen Parteien existierten, konnte man nicht mehr von einer gleichberechtigten Gemeindewahl sprechen. Zweifellos wäre es den bürgerlichen Parteien aufgrund ihres erst sehr späten Entstehens auch unter freien Bedingungen nicht in jedem Ort möglich gewesen, Kandidaten zu stellen; dieses unter massiver Einflussnahme der Besatzungsmacht und der deutschen Verwaltungen erzeugte extreme Ungleichgewicht bei der Kandidatenaufstellung führte aber dazu, dass sich die SED bis auf wenige Ausnahmen ihrer weiteren Vorherrschaft in den Kommunalverwaltungen des Untersuchungsgebiets bereits vor den Gemeindewahlen sicher sein konnte. Der zugespitzte Wahlkampf führte schließlich dazu, dass der Schweinitzer Landrat aus Sorge um die Sicherheit am 4. September 1946 die Kreispolizei

83 Vgl. Bericht des Liebenwerdaer Kreisvorstandes der SED über den Wahlsonnabend und Wahlsonntag vom 12.9.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 20). 84 Vgl. Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 9.8.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 79). Im Kreis Schweinitz gründeten sich im August 1946 fünf weitere SED-Ortsgruppen. Vgl. Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 7.9.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 105). 85 Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7). 86 Vgl. ebd. 87 Vgl. Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214).

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte. Er ordnete u. a. an: „Insbesondere ist auch auf die Verbreitung illegaler Flugblätter usw. zu achten. Saboteure sind festzunehmen, hierzu rechnen auch alle Leute, die bei der Vernichtung (Abreißen von Wahlplakaten) festgestellt werden.“88 Der Wahlkampf im Jahr 1946 erreichte zwar nicht die Schärfe der Wahlkämpfe Anfang der 1930er-Jahre, in denen es auch im Untersuchungsgebiet zu schweren Auseinandersetzungen vor allem zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten kam, dennoch ließ das Vorgehen der Besatzungsmacht zusammen mit der SED gegen die bürgerlichen Parteien und die darauffolgende Reaktion eine klare Zuspitzung erkennen. Von einer gemeinsamen einvernehmlichen Blockpolitik konnte man in dieser Zeit nicht mehr sprechen. In vielen Orten führte die Behinderung der CDU und LDP über den Wahlkampf hinaus zu einer Verschlechterung der gegenseitigen Beziehungen der Parteien. In mehreren Orten des Untersuchungsgebiets war dies, wie noch zu zeigen sein wird, bereits bei der Neukonstituierung der kommunalen Parlamente zu erkennen.

3. Wahlanalyse Aufgrund der erheblichen Benachteiligungen der bürgerlichen Parteien endete die Gemeindewahl am 8. September 1946 in der Provinz Sachsen mit einem klaren Sieg der SED. Da CDU- und LDP-Vertreter in vielen Orten nicht zur Wahl antreten durften, erzielte die SED in der gesamten Provinz 1 253 489 Stimmen. Dies entsprach einem Stimmenanteil von 59,2 Prozent. Die LDP bzw. die CDU konnten dagegen lediglich 493991 (23,3 Prozent) bzw. 328557 Stimmen (15,5 Prozent) auf sich vereinigen. Weit hinter den Erwartungen der SED blieben die Ergebnisse des VdgB bzw. des Antifaschistischen Frauenausschusses (AFA). Auf diese entfielen während der Gemeindewahl lediglich 1,2 bzw. 0,8 Prozent der gültigen Stimmen in der Provinz.89 Wie sehr das Ergebnis der Gemeindewahl durch die Benachteiligung der bürgerlichen Parteien verfälscht wurde, zeigte sich spätestens bei den Kreistagsbzw. Landtagswahlen am 20. Oktober 1946. Die Ergebnisse der Kreistags- bzw. Landtagswahlen sahen in der Provinz Sachsen wie folgt aus:

88 Schweinitzer Landrat über den erhöhten polizeilichen Bereitschaftsdienst während der Wahlkampagne und am Wahltag an den Führer der Kreispolizei vom 4.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 165). 89 Vgl. Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.), SBZ-Handbuch. Sowjetische Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, München 1990, S. 396.

411

Wahlanalyse

Gesamtstimmen Kreistagswahl Wahlberechtigte

Landtagswahl

1 809 714

2 700 633

191 352

142 673

1 551 502

2 330 511

SED

761 815

1 068 703

LDP

364 564

696 669

CDU

336 916

507 765

VdgB

88 207

57 374

Wahlbeteiligung

96,3

91,6

Ungültige Stimmen

11,0

5,8

SED

49,1

45,8

LDP

23,5

29,9

CDU

21,7

21,8

VdgB

5,7

2,590

Ungültige Stimmen Gültige Stimmen

Prozente

Besonders bei der Landtagswahl musste die SED in der Provinz Sachsen eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Mit lediglich 45,8 Prozent lag die Partei weit unter der von ihr angestrebten absoluten Mehrheit. Als zweitstärkste politische Kraft in der Provinz konnte sich, wie bereits bei der Gemeindewahl, überraschenderweise die LDP etablieren. Die CDU erzielte bei den Wahlen 1946 in der Provinz Sachsen nur den dritten Platz. Festzuhalten bleibt auch, dass die von SED-Mitgliedern dominierten Massenorganisationen nicht die von der SED erhoffte Anziehungskraft auf bürgerliche Wähler erzeugen konnten. So konnte die Aufstellung von Listen der VdgB den bürgerlichen Parteien weder eine nennenswerte Anzahl von Wählern entziehen noch der SED im Landtag eine Mehrheit sichern. Im Vergleich zu den Wahlergebnissen in der Provinz Sachsen unterschieden sich die Wahlergebnisse im Untersuchungsgebiet teils erheblich:

90 Vgl. ebd., S. 396 f. Im SBZ-Handbuch wurde die Wahlbeteiligung bei den Kreistagswahlen in Sachsen-Anhalt mit 92,3 % falsch errechnet. Nach den im SBZ-Handbuch angegebenen Zahlen lag die Wahlbeteiligung berichtigt bei 96,3 %.

412

Kommunal- und Landtagswahlen 1946

Kreis Liebenwerda Wahl

Wähler Ungültige Gültige insge. Stimmen Stimmen

SED

LDP

CDU

VdgB

10 036 1 936*91

Gemeinde 63 807

9 581

51 040

30 870

8 129

Kreistag

71 016

4 217

62 233

23 762

14 168

21 693

2 61092

Landtag

71 008

4 038

62 538

23 916

14 250

21 771

2 60193

* Der Stimmenanteil des AFA betrug bei den Gemeindewahlen im Kreis Liebenwerda 69 Stimmen. Der AFA kandidierte im Kreis Liebenwerda nur in den Städten Bad Liebenwerda, Elsterwerda und Uebigau.

Kreis Schweinitz Wahl

Wähler Ungültige Gültige insge. Stimmen S ­ timmen

SED

LDP

CDU

VdgB

5 281 1 216*94

Gemeinde 33 369

5 604

26 098

15 942

3 575

Kreistag

35 841

1 770

31 963

10 247

7 102 13 071 1 54395

Landtag

35 900

1 707

32 111

10 302

7 168

13 118 1 52396

* Der Stimmenanteil des AFA betrug bei den Gemeindewahlen im Kreis Schweinitz 84 Stimmen. Der AFA kandidierte im Kreis Schweinitz lediglich in der Stadt Jessen.

Ähnlich wie in der gesamten Provinz Sachsen war die SED durch die bewusste Ausgrenzung der bürgerlichen Parteien im Untersuchungsgebiet in der Lage, den größten Teil der bei der Gemeindewahl zu vergebenen Mandate zu erringen. Die SED gewann im Kreis Liebenwerda insgesamt 738 Mandate, während auf die LDP bzw. CDU nur 53 bzw. 77 Mandate entfielen. Daneben fielen nochmals 44 Mandate im Kreis Liebenwerda an die VdgB.97 Im Kreis Schweinitz war

91 Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7). 92 Vgl. Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4). Aufgrund mehrerer Rechenfehler wich das in dieser Quelle verzeichnete Endergebnis der Kreis- und Landtagswahlen im Kreis Liebenwerda geringfügig von den oben dargestellten berichtigten Endergebnissen ab. 93 Vgl. ebd. 94 Vgl. Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214). 95 Vgl. Ergebnis der Kreistagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 218–225). 96 Vgl. Ergebnis der Provinziallandtagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 210–217). 97 Vgl. Ergebnisse der Gemeindewahl vom 8.9.1946 im Regierungsbezirk Merseburg (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 161).

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die Mandatsübermacht der SED nahezu identisch. Hier errang die SED 728 Mandate, während die LDP bzw. CDU nur 48 bzw. 78 Mandate erzielen konnten. Die VdgB gewann vor allem in den kleinen Dörfern des Kreises Schweinitz 95 Mandate.98 Dass das Ergebnis der Gemeindewahl allerdings in keiner Weise das wahre Stimmungsbild im Untersuchungsgebiet abbildete, zeigte sich bereits an der großen Anzahl der ungültigen Stimmen. So gaben im Kreis Liebenwerda 15,8 Prozent und im Kreis Schweinitz sogar 17,8 Prozent der Wähler bei der Gemeindewahl ihre Stimmzettel ungültig ab. In einzelnen Orten, wie z. B. in Fichtenberg, Kosilenzien, Lausitz, Möglenz, Oschätzchen, Zinnsdorf, Wehrhain, Schützberg, Oelsig, Naundorf bei Zahna und Naundorf bei Schlieben, überstieg die Anzahl der ungültigen sogar die Anzahl der gültigen Stimmen.99 Dass es sich dabei um eine bewusste politische Willensäußerung handelte, zeigte sich darin, dass ungültige Stimmen in Orten, in denen mehrere Kandidatenlisten aufgestellt wurden, bedeutend weniger auftraten als in Orten, in denen lediglich ein Wahlvorschlag zur Wahl stand. Auch der Vergleich zu den Kreis- bzw. Landtagswahlen, bei denen alle drei Parteien zugelassen waren, verdeutlichte dies. So sank die Anzahl der ungültigen Stimmen im Vergleich zu den ungültigen Stimmen bei der Gemeindewahl bis zur Landtagswahl im Kreis Liebenwerda um 57,8 Prozent sowie im Kreis Schweinitz um 69,7 Prozent. Aber auch in den einzelnen Ergebnissen der Kreis- sowie Landtagswahlen zeigte sich, dass die ungültigen Stimmen in den Orten, in denen bereits bei der Gemeindewahl mehrere Wahlvorschläge kandidieren durften, nahezu gleich blieben, während die ungültigen Stimmen in den Orten, in denen bei der Gemeindewahl nur eine SED-Liste aufgestellt war, meist bei der Kreis- bzw. Landtagswahl erheblich sanken. Dennoch war die Anzahl der ungültigen Stimmen auch während der Kreis- bzw. Landtagswahl immer noch ungewöhnlich hoch. So gaben am 20. Oktober 1946 während der Kreistagswahlen im Kreis Liebenwerda bzw. im Kreis Schweinitz immer noch 6,3 Prozent bzw. 5,2 Prozent der Wähler ihre Stimme ungültig ab. Eine Minderheit drückte also ihren Protest gegen das neue Parteiensystem auch weiterhin durch ungültige Stimmen aus. Ob es sich dabei aber, wie vom Provinzialvorsitzenden der SED, Bruno Böttge, behauptet, um ehemalige NSDAP-Mitglieder oder mit der Parteifusion unzufriedene Sozialdemokraten handelte, konnte an den vorliegenden Zahlen nicht abgelesen werden.100 Generell äußerte sich die Unzufriedenheit der Wähler aber kaum in bewusster Wahlenthaltung. So betrug die Wahlbeteiligung während der

 98 Vgl. ebd.  99 Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7); Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214). 100 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 270.

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Kreistagswahl im Kreis Liebenwerda 93,6 Prozent bzw. im Kreis Schweinitz 94,1 Prozent.101 Der durch die Ausgrenzung der bürgerlichen Parteien verfälschte Charakter der Gemeindewahlen verdeutlichte sich aber auch in den wenigen Ergebnissen in den Orten, in denen alle drei Parteien zur Wahl antreten durften. Trotz der Kandidatur der CDU und LDP konnte die SED lediglich in den beiden hochindustrialisierten Orten Bockwitz und Lauchhammer sowie in Koßdorf eine absolute Mehrheit erzielen. In den wenigen übrigen Orten des Untersuchungsgebiets, in denen diese Parteien zur Wahl standen, war es der SED hingegen nicht möglich eine absolute Mehrheit zu erringen. Vielmehr gewann die CDU in Falkenberg, Jessen, Uebigau, Seyda, Holzdorf, Merzdorf, Gräfendorf, Lebusa, Haida und Polzen sowie die LDP in Herzberg, Ortrand, Schlieben, Langengrassau und Kolochau eine Mehrheit der Stimmen. Die SED konnte insgesamt nur in 13 Orten im Untersuchungsgebiet, in denen neben der SED zumindest eine bürgerliche Partei antreten durfte, eine Mehrheit erzielen. In den anderen genannten 15 Orten war sie dazu nicht in der Lage.102 Beachtet man außerdem, dass die Kandidatur der CDU bzw. der LDP bewusst im ländlichen Raum verhindert wurde, so deutete sich eine Mehrheit der beiden bürgerlichen Parteien zur Kreis- bzw. Landtagswahl im Untersuchungsgebiet bereits bei den Gemeindewahlen am 8. September 1946 an. Die Ergebnisse der Kreis- und Landtagswahlen unterschieden sich im Untersuchungsgebiet nur sehr geringfügig. Eine für Kommunalwahlen übliche Personalisierung der Wahlentscheidung, die zu einem unterschiedlichen Kreistagsergebnis geführt hätte, war überraschenderweise nicht zu verzeichnen. Dies lag wahrscheinlich hauptsächlich daran, dass der Wähler keine einzelnen Personen von den Parteilisten, sondern lediglich die Partei bzw. die VdgB zur Kreistagswahl wählen durfte. Die Kandidaten zogen nach der Wahl nach den von den Parteien aufgestellten Listen in den Kreistag ein. Der SED gelang es zwar im Kreis Liebenwerda, als stärkste politische Kraft in den Kreistag einzuziehen, doch errang sie lediglich 19 Mandate. Dicht gefolgt von der CDU mit 18 und der LDP mit 11 Mandaten war die SED im Kreis Liebenwerda auch mit den zwei Mandaten der VdgB weit von einer absoluten Mehrheit entfernt.103 Eine noch größere Niederlage musste die SED im länd-

101 Vgl. Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4); Ergebnis der Kreistagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 218–225). 102 Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7); Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214). 103 Vgl. Verzeichnis der gewählten Kreistagsabgeordneten für den Landkreis Liebenwerda (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 59–61). Für die SED zogen in den Liebenwerdaer Kreistag Paul Mittig, Arthur Tetzel, Dr. Josefine Goßmann, Otto Philipp, Otto Dietrich (Grünewalde), Irene Fischbach, Alfred Ebeling,

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lichen Kreis Schweinitz hinnehmen. So konnte die SED hier nur 13 Mandate erringen, während die CDU mit 16 Mandaten als stärkste Fraktion in den Kreistag einzog. Zudem entfielen im Schweinitzer Kreistag auf die LDP 9 sowie auf die VdgB 2 Mandate.104 Die bürgerlichen Parteien besaßen also in beiden Kreistagen eine breite Mehrheit, mit denen sie zusammen jederzeit in der Lage gewesen wären, die SED zu überstimmen. Worin lagen aber die Gründe für das schlechte Wahlabschneiden der SED im Untersuchungsgebiet? Bereits nach den Gemeindewahlen erkannten die Funktionäre der SED trotz des verzerrten Ergebnisses, dass die Partei keineswegs als Sieger aus dieser Wahl hervorging. In der ersten SED-Kreisvorstandssitzung nach der Wahl im Kreis Schweinitz am 17. September 1946 stellte z. B. der SED-Organisationsleiter Franz List in seinen einführenden Worten klar, „dass das Wahlergebnis nicht den gehegten Erwartungen entsprach“.105 List begründete das schlechte Abschneiden vor allem mit organisatorischen Problemen. Er sagte: „Der Grund ist darin zu suchen, dass vonseiten der Funktionäre der Wert der Hausagitation nicht voll erkannt wurde, aber auch von einem Teil der Referenten war keine klare Linie ersichtlich. Die Termine, welche von der Kreisleitung gestellt waren, wurden meistens nicht eingehalten. Das Propagandamaterial wurde nicht immer denen zugänglich gemacht, für die es bestimmt war.“106

Kurt Hartwig, Karl Böhme, Willi Taube, Alfred Schubert, Wilhelm Hecker, Elsa Kothe, Max Schmidt, Gerda Schönbild, Robert Müller, Max Junge, Karl König und Herbert Kießling ein. Der Landrat Paul Paulick verzichtete auf sein Mandat, wodurch Herbert Kießling nachrückte. Für die LDP zogen in den Liebenwerdaer Kreistag Walter Foth, Gerhard Risse, Johannes Schmelzer, Peter Kersken, Max Zühlke, Otto Loeber, Erhard Holzfuß, Frieda Herzer, Max Schmidt, Max Schrödter und Werner Bell ein. Für die CDU zogen in den Liebenwerdaer Kreistag Dr. Paul Loda, Otto Wachtel, Reinhold Wuick, Carl Schulze, Wilhelm Wunderlich, Elsa Böhme, Johannes Heimann, Walter Baecke, Olga Kemmer, Dr. Heinrich Menz, Karl Dölling, Alfred Leuschner, Otto Linge, Hans Sachse, Max Stein, Georg Polak, Theodor Restel und Käthe Jung ein. Für die VdgB zogen in den Liebenwerdaer Kreistag Willi Kögler und Karl Wachauf ein. 104 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die gewählten Kreistagsabgeordneten an die Bezirksverwaltung vom 21.11.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 146). Für die SED zogen in den Schweinitzer Kreistag Berthold Städtner, Karl Orgis, Wilhelm Schmidt, Adelheid Schulz, Richard Müller, Werner Ehrich, Georg Hennig, Friedrich Rietdorf, Robert Libor, Elsa Schlage, August Michael, Walter Eulitz und ­Erich Schulze ein. Der Landrat Rudi Richter und Erich Mählis verzichten auf ihr Mandat, wodurch Walter Eulitz und Erich Schulze nachrückten. Für die LDP zogen in den Schweinitzer Kreistag Richard Herzberg, Paul Richter, Paul Lehmann, Arthur Sikorski, Theodor Schulze, Bertha Jehser, Dr. Joachim Weidauer, Alfred Eule und Wilhelm Schönemann ein. Für die CDU zogen in den Schweinitzer Kreistag Hermann Weber, Maria Kaufmann, Otto Dalichow, Walter Böhm, Adolf Horntrich, Gustav Böhme, Ernst Landschulze, Anna Hildebrandt, Heinrich Riedel, Herbert Landschulze, Otto Zahn, Helmut Bock, Otto Schaaf, Walter Märtins, Otto Polz und Alfred Lehmann ein. Für die VdgB zogen in den Schweinitzer Kreistag Gustav Bönitz und Arthur Richter ein. 105 Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.9.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 106 Ebd.

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Dass die Kritik von Franz List über die Schwierigkeiten bei der Aktivierung der Mitglieder bis zur Kreis- bzw. Landtagswahl am 20. Oktober 1946 kaum beachtet wurde, zeigte sich erneut während der Kreisvorstandssitzung am 26. Oktober 1946, in der List seine Kritik wiederholte.107 Neben dem gewaltige Wachstum der SED, welches zur Sicherung der flächendeckenden Kandidatur vor den Gemeindewahlen nochmals zunahm, bemängelten besonders ehemalige KPD-Funktionäre, wie z. B. Felix Kolodziej und Franz List im Kreis Schweinitz, die ungenügende ideologische Schulung der neuen Mitglieder.108 Diese Kritik konnte, obwohl nicht offen ausgesprochen, auch als Hinweis an ehemalige SPD-Mitglieder verstanden werden, sich noch weiter in die neue Partei einzubringen. Die Kritik an den organisatorischen Mängeln im Wahlkampf, welche auch im Kreis Liebenwerda vom SED-Kreisvorstand in einem Rundbrief an alle Ortsgruppen am 1. August 1946 offen angesprochen wurde, verdeutlichte, dass die vereinigte Partei große Probleme bei der ­Aktivierung ihrer Mitglieder hatte.109 Mit der Vereinigung von KPD und SPD setzte also offensichtlich nicht ein von vielen Funktionären beider Parteien erhoffter neuer Schwung im Parteileben ein. Ob sich dabei vor allem enttäuschte ehemalige SPD-Mitglieder aus der Parteiarbeit zurückzogen, konnte in den Quellen aber nicht explizit belegt werden. Angesichts der immer noch sehr schwierigen Lebensumstände nach dem Kriegsende blieb vielmehr zu vermuten, dass viele SED-Parteimitglieder dem ehrenamtlich geführten Wahlkampf zwangsläufig nicht so viel Aufmerksamkeit schenken konnten, wie es von den hauptamtlichen SED-Sekretären gewünscht war. Verglich man zudem den Aufwand, den die SED im Wahlkampf betrieb, mit dem der bürgerlichen Parteien, so konnte man nicht ernsthaft behaupten, dass die organisatorische Schwäche der SED für das schlechte Abschneiden im Untersuchungsgebiet allein verantwortlich war. Zwar mag es, wie von SED-Funktionären dargestellt wurde, mehrere organisatorische Schwierigkeiten gegeben haben, diese waren aber mit denen der CDU und LDP in keiner Weise vergleichbar. Viel entscheidender für das schlechte Abschneiden wirkte sich hingegen die Nähe der SED zur sowjetischen Besatzungsmacht aus. In einem Bericht des Schweinitzer SED-Kreisvorstandes zur Landtagswahl wurde dazu Folgendes offen erwähnt: „Der wichtigste Moment für das Erstarken der CDU und LDP ist folgender Umstand, dass man die SED mit Sowjet-Russland in Verbindung bringt. Besonders in ländlichen Gebieten wird immer wieder behauptet, dass

107 Vgl. Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 26.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 108 Vgl. ebd.; Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.9.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 109 Vgl. Rundschreiben des SED-Kreisvorstandes des Kreises Liebenwerda über die Organisation der Partei an alle Ortsgruppen der SED im Kreis Liebenwerda vom 1.8.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.).

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die SED alles das ausführt und macht, was von Sowjet-Russland verlangt und gefordert wird […]. Im Kreise Schweinitz legen zumindest 90 Prozent aller Bauern, 75 Prozent aller Intellektuellen und ca. 95 Prozent der Kaufleute eine Antipathie gegenüber der Besatzungsmacht an den Tag. Nur ein Großteil der Arbeiter und Angestelltenschaft heißt das gut, was die SMA und überhaupt die Rote Armee bisher in Deutschland getan haben.“110 Wie sehr dabei die SED mit der Besatzungsmacht in Verbindung gebracht wurde, zeigte sich vor allem in den Orten, die besonders unter der Willkür der sowjetischen Besatzer zu leiden hatten. Beispielsweise wählten in Plessa, welches von sowjetischen Soldaten nahezu vollständig niedergebrannt worden war, nur 24,5 Prozent während der Kreistagswahl 1946 die SED.111 Berücksichtigt man, dass Plessa mit dem Braunkohletagebau, der Brikettfabrik und dem Kraftwerk ein ausgesprochenes Arbeiterdorf war, so war dieses Ergebnis für die SED äußert unbefriedigend. Im Vergleich zu den Ergebnissen der KPD und SPD bei der letzten freien Reichstagswahl im November 1932, bei der beide Parteien zusammen in Plessa noch 37,4 Prozent erzielten, nahm die Zustimmung für die SED um mehr als ein Drittel ab.112 Dass die Übergriffe der Roten Armee ein entscheidender Faktor im Wahlkampf waren, wurde auch in der Sitzung des SED-Provinzialvorstandes am 10. September 1946 von mehreren Teilnehmern offen angesprochen. Selbst der SED-Provinzialvorsitzende Bruno Böttge musste in der SED-Provinzialvorstandssitzung am 29. Oktober 1946 eingestehen: „Durch die ungeheuren Truppenmassierungen in den nördlichen Teilen unser Provinz, aber auch selbst im Gebiet des Bezirkes Halle-Merseburg, lässt die Sicherheit zu wünschen übrig. Wir wissen natürlich genau, dass angesichts der großen Zahl der in der Provinz befindlichen Truppen die Zwischenfälle nur einen geringen Prozentsatz ausmachen. Aber die Bevölkerung sieht nun eben nur diese Zwischenfälle […].“113 Offene Kritik an der Besatzungsmacht blieb aber in den SED-Kreisvorständen des Untersuchungsgebiets unmittelbar nach den Wahlen die Seltenheit. Lediglich der FDGB-Vorsitzende im Kreis Schweinitz, Robert Libor, hatte während der SED-Kreisvorstandssitzung am 26. Oktober 1946 den Mut, offen zu sagen, dass „auch die SMA Schuld an unserem Wahlergebnis hat“.114 Zwar erkannten viele SED-Funktionäre, dass das Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht insbesondere mit Übergriffen, Demontagen und Reparationsforderungen besonders im Wahlkampf kontraproduktiv für die Partei war, doch waren sich alle

110 Informationsbericht des SED-Kreisvorstandes des Kreises Schweinitz über die Kreisund Landtagswahl an den Bezirksvorstand der SED vom 29.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 111 Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4). 112 Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. 113 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 271. 114 Vgl. Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 26.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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machtbewussten SED-Funktionäre darüber im Klaren, dass sie mit überzogener Kritik an diesem Verhalten ihre nur durch die sowjetische Besatzungsmacht erlangte Machtgrundlage gefährden würden. Entscheidend für die Wahlchancen der SED war besonders im ländlichen Raum die Akzeptanz der Bodenreform. Nach der Ideologie der Partei erhoffte sich diese, mit der Vertreibung der „Gutsherren“ und der Neuverteilung des enteigneten Besitzes neue Wählerschichten auf dem Land zu erschließen. Da in den Dörfern des Kreises Schweinitz, ganz im Gegensatz zu den Dörfern des Kreises Liebenwerda, kaum Industriearbeiter lebten, konnte man hier die Auswirkungen der Bodenreform besonders gut nachvollziehen. So gelang es der SED in den Dörfern, die am stärksten von der Bodenreform betroffen waren, weitaus besser abzuschneiden als in Dörfern, in denen kein Land enteignet wurde. Die SED erzielte z. B. in Hohenbucko, Oehna und Zellendorf, in denen insgesamt 26 Besitzer enteignet und dadurch eine große Anzahl Neubauern angesiedelt wurden, bei der Kreistagswahl 39,8 Prozent, 38,9 Prozent und 38,7 Prozent der Stimmen. In Hohenbucko und Zellendorf wurde die SED stärkste Partei.115 ­Bereits diese Ergebnisse lagen deutlich über dem Schweinitzer Gesamtkreistagswahlergebnis der SED von 32,1 Prozent. Vergleicht man die Wahlergebnisse in Hohenbucko, Oehna und Zellendorf mit dem Gesamtergebnis der SED allein in den Landgemeinden des Kreises Schweinitz und rechnet man die Ergebnisse in den Städten des Kreises Schweinitz heraus, wird der Unterschied noch deutlicher. Die SED konnte in den Landgemeinden des Kreises Schweinitz nur 29,7 Prozent der Stimmen bei der Kreistagswahl erzielen.116 Eine Analyse aller Wahlergebnisse in den Landgemeinden des Kreises Schweinitz, die von der Bodenreform betroffen waren, bestätigte ebenfalls diesen in Hohenbucko, Oehna und Zellendorf aufgezeigten Trend. Von insgesamt 39 Landgemeinden im Kreis Schweinitz, in denen Bauern und Gutsherren mit über 100-Hektar-Besitz enteignet wurden, lag das SED-Ergebnis in 25 Dörfern über dem Durchschnitt des in allen Landgemeinden erzielten Schweinitzer SED-Kreistagswahlergebnisses. Der SED gelang es sogar, in den Dörfern Freiwalde, Hartmannsdorf, Hemsendorf und Jagsal eine absolute Mehrheit zu erzielen. Dass die Durchführung der Bodenreform allerdings nicht in allen Landgemeinden auf vorbehaltlose Zustimmung traf, war auch daran zu erkennen, dass die SED in 14 von der Bodenreform betroffenen Landgemeinden ein Ergebnis unter dem Kreistagswahldurchschnitt verzeichnen musste. So gewann die SED z. B. in Ruhlsdorf nur 14,8 Prozent, in Arnsdorf nur 20,8 Prozent und in Friedersdorf nur 22,5 Prozent der Kreistagsstimmen. Selbst in Dörfern, in denen Feudalbesitz, wie z. B. in Naundorf bei Zahna von der Baronin Gisela

115 Vgl. Ergebnis der Kreistagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 218–225). 116 Vgl. ebd.

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von Helldorf oder in Großrössen von Freiherr Friedrich von Wilmowski, enteignet wurde, lag das SED-Ergebnis unter dem Kreistagswahldurchschnitt.117 Zwar gelang es der SED in vielen von der Bodenreform betroffenen Dörfern, besonders im Vergleich zu den letzten freien Wahlen im November 1932, ein gutes Ergebnis zu erzielen, doch blieb die Partei in vielen Dörfern weit von der 50-Prozent-Marke entfernt.118 Der Umstand, dass die SED nur in sehr wenigen von der Bodenreform betroffenen Dörfern des Kreises Schweinitz eine absolute Mehrheit erzielte, konnte zudem als Beleg für die These der nach der Durchführung der Bodenreform in Neubauern und Altbauern gespaltenen Dorfgesellschaft angesehen werden. Franz List stellte z. B. in seiner Wahlauswertung am 26. Oktober 1946 im Schweinitzer SED-Kreisvorstand resigniert fest, dass „die Bauernschaft nicht für die SED zu gewinnen gewesen wäre“.119 Er führte dies u. a. auch darauf zurück, dass die SED nur ungenügend auf ihre Haltung zum Privateigentum während des Wahlkampfs eingegangen war. So wurde z. B. in einem Bericht der Schweinitzer SED bereits am 7. Juli 1946 festgestellt, „dass die Bauernschaft infolge mangelnden Vertrauens zur SED immer noch der Auffassung war, dass es sich bei der Durchführung der Bodenreform nur um den Anfang der allgemeinen Sozialisierung des Grund und Bodens gehandelt habe, dem die Enteignung des Bodens, auch der übrigen bäuerlichen Betriebe folgen wird“.120 Insgesamt führte die Bodenreform mit der Begünstigung der Neubauern, Landarbeiter, landlosen- sowie landarmen Bauern in mehreren Dörfern zwar zu besseren SED-Ergebnissen, aber ohne die Zustimmung der Altbauern war die SED in vielen Dörfern des Untersuchungsgebiets nicht in der Lage, eine absolute Mehrheit zu erzielen. Gleichfalls neigte die große Mehrheit der aus dem Sudetenland sowie aus Oberschlesien in das Untersuchungsgebiet gekommenen katholischen Flüchtlinge bzw. Vertriebenen zur Wahl der CDU. So stieg die Anzahl der ­Katholiken

117 Vgl. ebd. Grundbesitz über 100 Hektar wurde in Ahlsdorf, Arnsdorf, Dixförda, Freiwalde, Friedersdorf, Gentha, Gerbisbach, Gölsdorf, Grauwinkel, Grochwitz, Großrössen, Hartmannsdorf, Hemsendorf, Hillmersdorf, Hohenbucko, Holzdorf, Jagsal, Jeßnigk, Knippelsdorf, Krassig, Lebusa, Morxdorf, Naundorf bei Schlieben, Naundorf bei Zahna, Neudeck, Oehna, Osteroda, Polzen, Proßmarke, Rahnisdorf, Redlin, Ruhlsdorf, Schlieben, Schweinitz, Seehausen, Stechau, Stiesa, Werchau, Wildenau, Wüstermarke und Zellendorf enteignet. Bei der Berechnung der Wahlergebnisse in den Bodenreformgemeinden wurden die beiden Städte Schlieben und Schweinitz herausgenommen. 118 Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 7.11.1932, Nr. 262. Beispielsweise konnte die NSDAP im November 1932 in Oehna mit 68,7 % die absolute Mehrheit erringen. Die SPD kam zusammen mit der KPD hier nur auf 13,9 %. In Hohenbucko erreichte die SPD zusammen mit der KPD im November 1932 insgesamt 32 %. In Zellendorf gewannen KPD und SPD im Jahr 1932 bereits 39,9 %. 119 Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 26.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 120 Informationsbericht des SED-Vorstandes des Kreises Schweinitz vom 7.7.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.).

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bis zum 29. Oktober 1946 allein im Kreis Schweinitz auf 8 824 Personen an.121 Die CDU-Vertreter bemühten sich bereits im Wahlkampf, nach einem SED-Bericht, besonders unter den katholischen „Umsiedlern“ neue Mitglieder für CDU-Ortsvereinsneugründungen zu rekrutieren. In der internen Wahlanalyse des Schweinitzer Kreisvorstandes wurde der Erfolg der CDU bei der Gewinnung der katholischen Vertriebenen bestätigt. Hierin hieß es, „dass ein Großteil der katholischen Umsiedler, aufgrund ihrer strengen Glaubensverhältnisse, sich für die Liste der CDU entschieden hat“.122 Berücksichtigt man dabei, dass sich unter den Neubauern des Untersuchungsgebiets ebenso eine größere Anzahl Katholiken befand, so relativiert dies zumindest zum Teil den von der SED immer wieder propagierten umfassenden Erfolg bei der Gewinnung der Neubauern. Entscheidend für das gute Wahlergebnis der CDU im ländlichen Bereich war aber auch, dass sich protestantische Pfarrer trotz aller Verbote in den Wahlkampf für die CDU einbrachten. Ein starkes Signal an alle übrigen Pfarrer im Kreis Liebenwerda war z. B. das Engagement des Liebenwerdaer Superintendenten Dr. Karl Mühlmann für die CDU. Dr. Mühlmann kandidierte für die Bad Liebenwerdaer Stadtverordnung und zog am 8. September 1946 über den Listenplatz 6 in das Stadtparlament ein.123 Zwar kandidierten für beide Kreistage im Untersuchungsgebiet keine Pfarrer für die CDU, doch musste der Schweinitzer SED-Kreisvorstand in der Wahlanalyse für die Kreis- und Landtagswahl feststellen, dass sich „die Landbevölkerung durch protestantische Pfarrer stark beeinflussen lassen“ hat.124 In diesem Zusammenhang musste die SED gleichfalls feststellen, dass die Frauen im ländlichen Bereich besonders zur Wahl der CDU neigten. Der SED-Kreisvorsitzende Felix Kolodziej bemerkte z. B. bereits kurz nach der Gemeindewahl, dass die Frauen und auch die Jugend „z. g. T. in der LDP und CDU stehen“.125 Empirisch belegt wurde das schlechte Wahlabschneiden der SED unter der weiblichen Bevölkerung durch stichpunktartige Wahluntersuchungen in der gesamten SBZ. Bei der Auswertung dieser Ergebnisse stellte man fest, dass der Frauenanteil unter den SED-Wählern während der Gemeindewahl nur bei 56,3 Prozent lag. Bei der LDP bzw. CDU betrug dieser allerdings 64 Prozent bzw. 68,1 Prozent. Der Frauenanteil unter den Wählern der LDP bzw. CDU

121 Auflistung der Wirtschaftsabteilung des Kreises Schweinitz über die ständige Bevölkerung vom 29.10.1946 (KA Herzberg, Bestand Altkreis Schweinitz, H 474, unpag.). 122 Informationsbericht des SED-Kreisvorstandes des Kreises Schweinitz über die Kreisund Landtagswahl an den Bezirksvorstand der SED vom 29.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 123 Vgl. Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 124 Informationsbericht des SED-Kreisvorstandes des Kreises Schweinitz über die Kreisund Landtagswahl an den Bezirksvorstand der SED vom 29.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 125 Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.9.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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lag somit deutlich über dem Gesamtfrauenanteil der Wahlberechtigten in der SBZ von 61,3 Prozent.126 Obwohl für das Untersuchungsgebiet keine konkreten Zahlen über den jeweiligen Frauenanteil unter den Wählern der Parteien vorlagen, konnten diese Ergebnisse wohl auf das Untersuchungsgebiet übertragen werden. Das zum großen Teil erfolglose Bemühen der SED um die Gewinnung von Frauen verdeutlichte sich im Untersuchungsgebiet z. B. an dem kompletten Scheitern der von SED-Mitgliedern dominierten Frauenlisten bei der Gemeindewahl. Der Zuspruch für die lediglich in Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Uebigau und Jessen aufgestellten Frauenlisten blieb bei der Gemeindewahl letztlich so gering, dass über diese Listen keine Frau in die vier Stadtverordnungen einziehen konnte.127 Während die CDU besonders in den ländlichen Gebieten des Untersuchungsgebiets hohe Ergebnisse erzielte, gelang es dagegen der SED vor allem in den industrialisierten Gebieten, das historisch gewachsene Arbeitermilieu an sich zu binden. Dies wurde besonders an einer Analyse der Wahlergebnisse im hochindustrialisierten Mückenberger Ländchen deutlich. Im Mückenberger Ländchen mit seinem großen Arbeiteranteil gelang es der SED, bei der Kreistagswahl 52,4 Prozent der Stimmen zu erzielen. Die CDU und LDP kamen hier nur auf 26 Prozent bzw. 19 Prozent der Stimmen. Wie sehr die SED im Kreis Liebenwerda von diesem Ergebnis im Mückenberger Ländchen profitierte, war bereits daran zu erkennen, dass 32 Prozent der gesamten SED-Wähler im Kreis Liebenwerda im Mückenberger Ländchen beheimatet waren. Insgesamt kamen aber nur 23,3 Prozent der gültigen Stimmen im Kreis Liebenwerda aus dem Mückenberger Ländchen. Rechnete man das Ergebnis im Mückenberger Ländchen aus dem Ergebnis des Kreises Liebenwerda heraus, so wurde die Schwäche der SED in den ländlichen Gebieten des Kreises Liebenwerda besonders deutlich. Ohne das Mückenberger Ländchen hätte die SED im Kreis Liebenwerda nur 33,8 Prozent der Stimmen gewonnen, während die LDP 23,9 Prozent und die CDU 37,6 Prozent der Stimmen erzielt hätten.128 Nur die hoch industrialisierten Gebiete des Kreises Liebenwerda sicherten also der SED eine relative Mehrheit bei den Liebenwerdaer Kreistagswahlen 1946. Beachtenswert war aber auch, dass es der SED im bereits vor 1933 stark sozialdemokratisch und kommunistisch geprägten Mückenberger Ländchen nicht gelang, ihre Wählerbasis über das traditionelle Arbeitermilieu bedeutend zu er-

126 Vgl. Günter Braun, Determinanten der Wahlentscheidungen in der sowjetischen Besatzungszone 1946. In: Deutsche Studien, XXIV (1986), S. 349 f. Die Stichproben wurden in Magdeburg, Zwickau, Dresden, Greifswald, Großenhain, Leipzig, Wilkau und Haßlau genommen. 127 Vgl. Wahlergebnis der Gemeindewahl am 8.9.1946 im Kreis Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 5–7); Ergebnis der Gemeindewahl im Kreis Schweinitz vom 8.9.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 51, Bl. 207–214). 128 Vgl. Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4).

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weitern. So entschieden sich bereits im November 1932 im gesamten Mückenberger Ländchen 51,5 Prozent für die KPD bzw. SPD.129 Dies bedeutete, dass der SED-Wähleranteil im Mückenberger Ländchen im Vergleich zur Reichstagswahl im November 1932 bei den Kreistagswahlen 1946 nur um 0,9 Prozent zunahm. Obwohl es nicht eindeutig aus den Ergebnissen hervorgeht, kann dies auch als ein Indiz für die Zurückhaltung ehemaliger sozialdemokratischer Wähler gesehen werden. Beispielsweise entschieden sich in der sozialdemokratischen Hochburg des Kreises Liebenwerda, Grünewalde, im November 1932 insgesamt 45 Prozent allein für die SPD. Die KPD gewann im November 1932 in Grünewalde außerdem 19,4 Prozent.130 Bei der Kreistagswahl 1946 konnte die vereinigte Partei allerdings in Grünewalde nur 48,6 Prozent der Stimmen erzielen.131 Dieser Trend konnte jedoch in anderen sozialdemokratischen Hochburgen, wie z. B. Lauchhammer, Bockwitz und Domsdorf, nicht bestätigt werden. Hier blieben die Ergebnisse im Vergleich zur Reichstagswahl im November 1932 nahezu gleich.132 Generell kann man in Bezug auf die Wahlen vor 1933 feststellen, dass die SED besonders in den industrialisierten Regionen, in denen ihre Vorgängerparteien vor 1933 traditionell stark waren, und in den Städten des Untersuchungsgebiets überraschenderweise kaum Zugewinne erzielen konnte. Im gesamten Kreis Liebenwerda schnitt die SED bei den Kreistagswahlen 1946 sogar schlechter ab als die KPD und SPD bei den Reichstagswahlen 1928, 1930 und 1932 zusammen.133 Selbst im Vergleich zu den nur halbfreien Reichstagswahlen 1933 konnte die SED nur 6,8 Prozent im Kreis Liebenwerda hinzugewinnen.134 Ganz anders sah es hingegen im ländlichen Kreis Schweinitz aus. Hier gelang es der SED, im Vergleich zu den Novemberwahlen 1932 insgesamt 8 Prozent zuzulegen.135 Im Vergleich zu den Reichstagswahlen 1933 steigerte sich das SED-Ergebnis sogar um 18,2 Prozent.136 Grundsätzlich kann somit gesagt

129 Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. 130 Ebd. 131 Vgl. Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4). 132 Vgl. ebd.; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. 133 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 21.5.1928, Nr. 118; Liebenwerdaer Kreisblatt., 2. Bl., vom 15.9.1930, Nr. 216; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 1.8.1932, Wahlsonderausgabe; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. Die SPD und die KPD erzielten bei den vier Reichstagswahlen 1928, 1930 und 1932 im Kreis Liebenwerda zusammen 48,4 %, 43,9 %, 39,8 % und 41,1 %. 134 Vgl. Neue Kreiszeitung vom 6.3.1933, Nr. 55. Bei der letzten Reichstagswahl 1933 gewannen die SPD und die KPD im Kreis Liebenwerda zusammen nur noch 31,3 %. 135 Vgl. Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 7.11.1932, Nr. 262. Bei der Reichstagswahl im November 1932 erzielten SPD und KPD im Kreis Schweinitz zusammen nur 24,1 %. 136 Vgl. Stadt- und Landbote. Lokaler Anzeiger für Schlieben, Herzberg, Schönewalde, Schweinitz, Seyda und Umgegend vom 5.3.1933, 2. Extrablatt. Während der letzten Reichstagswahl 1933 gewannen die SPD und die KPD im Kreis Schweinitz zusammen nur noch 13,9 Prozent.

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werden, dass es der SED auf dem Land im Vergleich zu den Wahlen vor 1933 – ganz im Gegensatz zu den industriellen Regionen und Städten – gelang, ihre Wählerbasis zu verbreitern. Neben der Durchführung der Bodenreform, die, wie bereits gezeigt, positive Effekte für das Wahlergebnis der SED brachte, kamen viele Landbewohner nach dem Kriegsende durch die Einsetzung von zahlreichen KPD-Bürgermeistern erstmals mit der späteren SED in Berührung. Dadurch und durch die enorme Propagandatätigkeit der KPD/SED wurden zweifellos mehrere Berührungsängste in der Landbevölkerung gegenüber der SED abgebaut. Dennoch reichte dieser Wählerzuwachs im Kreis Schweinitz und den ländlichen Gebieten des Kreises Liebenwerda nicht aus, um eine absolute SED-Mehrheit zu sichern. Quellenkritisch muss an dieser Stelle aber auch die Frage gestellt werden, inwieweit die Wahlen vor 1933 mit den Wahlen 1946 zu vergleichen waren. Allein die Tatsache, dass sich die Bevölkerungsstruktur durch den Zuzug vieler Flüchtlinge und Vertriebener im Jahr 1946 entscheidend änderte und dass in der Weltwirtschaftskrise vor 1933 völlig andere politische Umstände als 1946 herrschten, schränkt die Bezugsmöglichkeiten zu diesen Wahlen erheblich ein. Dass aber das Wahlergebnis der SED, trotz der für sie positiv geänderten politischen Umstände, nicht entscheidend über den Wahlergebnissen vor 1933 lag, veranschaulichte nochmals die auch von vielen SED-Funktionären empfundene Niederlage der ihrer Partei im Jahr 1946. Nahezu unmöglich ist der Vergleich der Wahlergebnisse vor 1933 mit den Ergebnissen der LDP bzw. CDU im Jahr 1946. Da beide Parteien in dieser Form vor 1933 nicht existierten, kann man nicht feststellen, ob das Wählerpotenzial beider bürgerlichen Parteien im Jahr 1946 zu- oder abnahm. Wenn man davon ausgeht, dass sich die CDU und LDP als Nachfolger der Zentrumspartei, der DNVP, der DVP sowie der DDP bzw. Deutschen Staatspartei betrachteten, so stellt man fest, dass diese Parteien zusammen im November 1932 im Kreis Liebenwerda mit 15 Prozent sowie im Kreis Schweinitz mit 22,1 Prozent nur einen Bruchteil der späteren Ergebnisse der CDU bzw. LDP erzielten. Von diesen bürgerlichen Parteien gewann die DNVP in beiden Kreisen mit 10,4 Prozent bzw. 19,1 Prozent die höchsten Werte.137 Die stärkste politische Kraft im Untersuchungsgebiet war im November 1932 die NSDAP mit 42 Prozent bzw. 49,5 Prozent.138 Nimmt man an, dass das Wählerpotenzial der SPD und KPD aus dem Jahr 1932 im Jahr 1946 nahezu identisch blieb, so kann man davon ausgehen, dass viele ehemalige NSDAP-Wähler im Jahr 1946 zur CDU bzw. LDP wanderten. Sehr deutlich wird diese These bei einer Analyse der Wahlergebnisse allein in den Orten, in denen die NSDAP im November 1932 eine absolute ­Mehrheit

137 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe; Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 7. November 1932, Nr. 262. 138 Ebd.

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e­ rzielte. Die NSDAP gewann im November 1932 in 35 Orten des Kreises Liebenwerda die absolute Mehrheit.139 Rechnet man die Wahlergebnisse der Liebenwerdaer Kreistagswahl 1946 in diesen Orten zusammen, so erreichte die SED hier nur 30,7 Prozent. Die CDU konnte dagegen in diesen Orten 41 Prozent der Stimmen erzielen, während die LDP bei 19,6 Prozent stagnierte.140 Am deutlichsten wurde die Wanderung der ehemaligen NSDAP-Wähler zur CDU in den großen Schradendörfern Merzdorf, Gröden, Hirschfeld und Großthiemig. In allen vier Schradendörfern kam die NSDAP im November 1932 auf 74,9 Prozent der Stimmen, während die CDU bei den Kreistagswahlen 1946 hier mit 51,5 Prozent der Stimmen die besten Ergebnisse im Kreis Liebenwerda erzielte. Die SED sowie die LDP lagen im Schradenland mit 23,8 Prozent bzw. mit 9,2 Prozent der Stimmen im Oktober 1946 weit abgeschlagen dahinter. Bemerkenswert war im Schradenland zudem das hohe Ergebnis für die Liste der VdgB, die hier 15,5 Prozent der Stimmen erhielt. Dieses hohe Ergebnis für die VdgB kann als Indiz für Proteststimmen von ehemaligen NSDAP-Wählern gewertet werden. So gewann die VdgB auch in den 35 Orten, in denen die ­NSDAP im November 1932 eine absolute Mehrheit erzielte, mit 8,7 Prozent ein weit über dem Durchschnitt im Kreis Liebenwerda liegendes Kreistagsresultat.141 Auch im Kreis Schweinitz bestätigte sich dieser Trend. In den 63 Orten, in denen hier die NSDAP im November 1932 die absolute Mehrheit erzielte, gewann die CDU 39,6 Prozent, die SED aber nur 29,4 Prozent sowie die LDP nur 24,4 Prozent.142 Ein Großteil der ehemaligen NSDAP-Wähler im Untersuchungsgebiet

139 Vgl. Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. Die NSDAP gewann bei den Reichstagswahlen im November 1932 im Kreis Liebenwerda in Altenau, Beiersdorf, Bönitz, Burxdorf, Drasdo, Frauwalde, Gröden, Großkmehlen, Großthiemig, Hirschfeld, Kauxdorf, Kölsa, Kosilenzien, Koßdorf, Kotschka, Kröbeln, Langenrieth, Lausitz, Lönnewitz, Merzdorf, Möglenz, Ortrand, Oschätzchen, Rothstein, Saxdorf, Schraden, Stehla, Stolzenhain, Thalberg, Theisa, Wiederau, Würdenhain, Zeischa, Züllsdorf und Zobersdorf über 50 Prozent der Stimmen. 140 Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4). 141 Vgl. ebd.; Liebenwerdaer Kreisblatt vom 7.11.1932, Wahlsonderausgabe. 142 Zeitung für den Kreis Schweinitz vom 7.11.1932, Nr. 262; Ergebnis der Kreistagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 218–225). Die NSDAP gewann bei den Reichstagswahlen im November 1932 im Kreis Schweinitz in Bahnsdorf, Bernsdorf, Bicking, Borken, Brandis, Buckau, Buschkuhnsdorf, Dubro, Düßnitz, Fermerswalde, Frankenhain, Freywalde, Friedersdorf, Friedrichsluga, Gadegast, Gehmen, Gölsdorf, Gräfendorf, Grassau, Grauwinkel, Großkorga, Hartmannsdorf, Holzdorf, Horst, Jeßnigk, Kaxdorf, Kleindröben, Klöden, Klossa, Knippelsdorf, Kolochau, Kolpien, Körba, Krassig, Lindwerder, Löben, Mahdel, Malitschkendorf, Meuselko, Mönchenhöfe, Naundorf bei Schlieben, Naundorf bei Zahna, Oehna, Oelsig, Osteroda, Polzen, Proßmarke, Redlin, Rehain, Reicho, Schlieben Schmielsdorf, Schöna, Schöneicho, Schönewalde, Schützberg, Stechau, Steinsdorf, Stolzenhain, Werchlugau, Wiepersdorf, Wildenau und Zemnick über 50 Prozent der Stimmen.

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wechselte also nach diesen Zahlen zur CDU. Die LDP konnte hingegen besonders auf dem Land kaum von dieser Entwicklung profitieren. Größere Erfolge errang die LDP meist nur in den Städten der beiden Landkreise. So erzielte die LDP in den Städten des Kreises Liebenwerda 32 Prozent bzw. im Kreis Schweinitz 31 Prozent und lag damit nahezu gleichauf mit den anderen beiden Parteien.143 Bei der Analyse des Ergebnisses der LDP wurde besonders der geringe Organisationsgrad der Partei deutlich. In den wenigen Orten, in denen die LDP über Ortsstellen verfügte, schnitt sie meist überdurchschnittlich gut ab.144 Daran war auch zu erkennen, dass der Organisationsgrad der Parteien zu einem gewissen Teil in direktem Zusammenhang mit der Höhe des Wahlergebnisses stand. Misst man den Organisationsgrad der Parteien direkt am Wahlerfolg, so schnitt die CDU im Untersuchungsgebiet am besten ab. Die SED ­hingegen, die über den mit Abstand größten Organisationsapparat sowie die meisten Mitglieder verfügte, lag daran gemessen sogar noch hinter der LDP. Beispielsweise stellte Felix Kolodziej im Schweinitzer SED-Kreisvorstand in Bezug auf die Gemeindewahlen resigniert fest: „Bei der zahlenmäßigen Durchsicht der Wahlergebnisse, können wir feststellen, dass auf 1 CDU-Mitglied 7–9 Stimmen, wogegen auf ein 1 SED-Mitglied 3–4 Stimmen entfallen.“145 Grundsätzlich ließ sich nach der Auswertung der Wahlergebnisse 1946 feststellen, dass die gesellschaftlichen Milieus weiterhin weitestgehend in Takt waren. Die Entscheidungen vieler Wähler vollzogen sich also zum großen Teil immer noch auf traditionelle Weise entlang der Milieugrenzen. Aufgrund des sozialen Gefüges innerhalb des Untersuchungsgebiets war dies ein erheblicher Nachteil für die hiesige SED. Trotz aller politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungsmaßnahmen nach dem Krieg gelang es dieser nicht, genügend neue Wähler abseits des klassischen Arbeitermilieus zu gewinnen, um im Untersuchungsgebiet die absolute Mehrheit zu erzielen. Die bürgerlichen Parteien profitierten im Untersuchungsgebiet erheblich von dieser Entwicklung, jedoch bedeutete der Wahlsieg der bürgerlichen Parteien bei der Kreistagswahl sowie in einigen Orten, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird, nicht parallel, dass die SED ihren absoluten Machtanspruch aufgab.

143 Vgl. Wahlergebnisse der Land- und Kreistagswahl am 20.10.1946 im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 62, Bl. 2–4); Ergebnis der Kreistagswahl im Kreis Schweinitz vom 20.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 275, Bl. 218–225). 144 Vgl. ebd. Im Kreis Liebenwerda existierten zum Zeitpunkt der Kreistagswahl in Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Falkenberg, Mühlberg, Ortrand, Uebigau, Bockwitz, Dolsthaida, Lauchhammer, Koßdorf und Merzdorf registrierte LDP-Ortsstellen. Im Kreis Schweinitz existierten zur Kreistagswahl in Herzberg, Schlieben, Seyda, Hillmersdorf, Kolochau, Langengrassau und Oehna registrierte LDP-Ortsstellen. 145 Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.9.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

4.

Die Neukonstituierung der kommunalen Parlamente

4.1

Stadt- und Gemeindeparlamente

„Die neue demokratische Gemeindeverfassung“ bildete in der Zeit nach den Gemeindewahlen in der gesamten SBZ die Grundlage für die Neukonstituierung der kommunalen Parlamente. Hierin wurde festgelegt, dass die neu gewählten Gemeindevertretungen spätestens einen Monat nach der Gemeindewahl erstmals zusammentreten sollten. Unter der Leitung des ältesten Mitglieds der Gemeindevertretung sollten für jeweils ein Geschäftsjahr der Vorsitzende der Gemeindevertretung, ein Schriftführer sowie deren Stellvertreter gewählt werden. Diese bildeten den Vorstand der Gemeindevertretung, der laut Gemeindeverfassung „nach Möglichkeit dem Stärkeverhältnis der Parteien entsprechen“ sollte.146 Weitere Ausführungen zur Wahl des Vorsitzenden der Gemeindevertretung wurden in der Gemeindeordnung zunächst nicht festgehalten. Die Wahl des Vorstandes der Gemeindevertretung bildete nahezu in allen Orten, in denen die SED nicht über eine absolute Mehrheit verfügte, das erste große Konfliktpotenzial zwischen den Fraktionen der SED, LDP und CDU. Im Folgenden soll besonders auf die Entwicklung in den Stadtverordnetenversammlungen in Elsterwerda, dem größten Ort des Untersuchungsgebiets, und in den beiden Kreisstädten Bad Liebenwerda und Herzberg eingegangen werden. In Elsterwerda und Bad Liebenwerda zog die SED zwar als stärkste Fraktion mit 9 bzw. 8 Mitgliedern in die Stadtverordnung ein, doch waren die beiden bürgerlichen Parteien hier zusammen in der Lage, die SED jederzeit zu überstimmen. Die LDP erhielt in Elsterwerda und Bad Liebenwerda 5 bzw. 6 Sitze und die CDU in beiden Orten jeweils 6 Sitze zugesprochen.147 In Herzberg gelang es der SED mit lediglich 7 Sitzen hingegen nicht, als stärkste Kraft in die Stadtverordnung einzuziehen. Diesen Anspruch musste die SED hier an die LDP mit 8 gewonnenen Sitzen abgeben. Die CDU errang in Herzberg nur 5 Sitze in der Stadtverordnung.148 In den konstituierenden Sitzungen dieser drei Stadtverordnetenversammlungen kam es während der Wahl des Vorsitzenden umgehend zum Streit zwischen den Parteien. Die SED beanspruchte in allen drei Vertretungen den Vorsitzendenposten. Dies führte wiederum unabhängig von den Stärkeverhältnissen in den drei Vertretungen zur Gegenkandidatur eines bürgerlichen Vertreters. Be-

146 Die neue demokratische Gemeindeverfassung. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 5.10.1946, Nr. 40, § 12, S. 438. 147 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 30.9.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.); Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 148 Vgl. Protokoll der Herzberger Stadtverordnetenversammlung vom 4.10.1946 (StA Herzberg, Nr. 112, unpag.).

Neukonstituierung kommunaler Parlamente

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sonders angespannt war die Atmosphäre in der ersten Sitzung der Stadtverordneten in Elsterwerda am 30. September 1946. Dieser ersten Sitzung ging in Elsterwerda bereits ein Streit über die Sitzverteilung in der Stadtverordnung voraus. In Elsterwerda rechnete der vom Bürgermeister Karl Böhme (SED) geleitete Wahlausschuss, nach der Aussage der LDP, die Stimmen für die Liste der VdgB auf die Liste der SED mit an. Daraus ergab sich, dass die SED einen Platz in der Stadtverordnung hinzugewann, der wiederum der LDP verloren ging.149 Die Elsterwerdaer LDP und später auch die CDU beschwerten sich darüber mehrmals bei der Bezirksverwaltung und betonten dabei, dass vor der Gemeindewahl keine rechtsgültige Listenverbindung zwischen SED und VdgB existierte.150 Der Bürgermeister wiederum rechtfertigte sein Handeln in der ersten Sitzung der Stadtverordnung damit, dass die Kreiskommandantur den Wahlausschuss anwies die Wahl für gültig zu erklären.151 Obwohl die LDP und die CDU bei der Kreiskommandantur sowie bei der Merseburger Bezirksverwaltung protestierten, änderte sich an der vom Bürgermeister festgelegten Sitzverteilung nichts. Die Benachteiligung der bürgerlichen Parteien durch die Zusammenarbeit von Kreiskommandantur und SED dominierter Verwaltung setzte sich zumindest in Elsterwerda auch bei der Vergabe der Sitze in der Stadtverordnung fort.152 In dieser gespannten Stimmung kam es in Elsterwerda zwischen dem Stadtverordneten Reinhard Beuchler (SED) und dem Stadtverordneten Reinhard Wuigk (CDU) schließlich zur Kampfkandidatur um den Posten des Vorsitzenden der Stadtverordnung. Nach langer Diskussion, in der die SED auch darauf hinwies, dass es demokratischer Brauch sei, dass die stärkste Partei den Vorsitzenden stelle, gewann dennoch der Stadtverordnete Wuigk die Abstimmung mit 10 zu 9 Stimmen.153 In Bad Liebenwerda und Herzberg verliefen diese Abstimmungen ähnlich. In Bad Liebenwerda wurde von der SED Gottwald Fleischer sowie von der CDU Carl Schulze als neuer Vorsitzender der Stadtverordnung vorgeschlagen. Dass Carl Schulze, trotz seiner Absetzung als CDU-­Kreisvorsitzender, auch

149 Vgl. Beschwerdeschreiben der LDP-Ortsstelle Elsterwerda über die ungesetzmäßige Verteilung der Sitze in der Elsterwerdaer Stadtverordnetenversammlung an den Elsterwerdaer Bürgermeister vom 20.9.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 357). 150 Vgl. gemeinsames Schreiben der LDP-Ortsstelle und des CDU-Ortsvereins Elsterwerda über die falsche Berechnung der Sitzverteilung in der Elsterwerdaer Stadtverordnetenversammlung an die Bezirksverwaltung vom 14.11.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, unpag.). 151 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 30.9.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). 152 Andere Beispiele für Proteste gegen die Sitzverteilung in den Gemeindevertretungen konnten im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. 153 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 30.9.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). Da der CDU-Abgeordnete Willy Rose während dieser ersten Sitzung nicht anwesend war, ergab sich nur eine Stimme Mehrheit für den Kandidaten der CDU.

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Kommunal- und Landtagswahlen 1946

weiterhin das Vertrauen der CDU-Fraktion genoss, zeigte sich in dieser Abstimmung. Mit den Stimmen der LDP konnte sich Carl Schulze mit 12 zu 8 Stimmen gegen den SED-Bewerber durchsetzen.154 Des Weiteren gelang es der LDP in Herzberg, als stärkste Fraktion am 4. Oktober 1946 Carl-Paul Chryselius (LDP) gegen den SED-Bewerber Walter Eulitz (SED) mit 12 zu 7 Stimmen als Vorsitzenden der Stadtverordnung zu bestätigen.155 Mit lautstarkem Protest gegen diese Abstimmungen beteiligte sich die SED in Elsterwerda und Bad Liebenwerda nicht mehr an den Abstimmungen zur weiteren Besetzung des Vorstandes der Stadtverordnungen.156 In Herzberg wurde die SED in den weiteren Abstimmungen über die Besetzung des Vorstandes der Stadtverordnung auch weiterhin von den beiden bürgerlichen Parteien überstimmt. So wählte die Stadtverordnung, obwohl die CDU in Herzberg nur drittstärkste Fraktion war, Ernst Borchers (CDU) gegen die erneute Kandidatur von Walter Eulitz (SED) mit 11 zu 9 Stimmen zum stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtverordnung.157 In diesen ersten Abstimmungen über die Besetzung des Vorsitzenden der Stadtverordnung drückten sich die vor allem im Wahlkampf aufgebauten Konflikte zwischen der SED und den beiden bürgerlichen Parteien erstmals offen aus. Die bürgerlichen Parteien, die in den drei Orten jeweils gemeinsam gegen die SED auftraten, nutzten ihre neu erworbene Machtfülle in dieser Frage konsequent aus. Nach den Demütigungen der CDU und LDP während der Wahlvorbereitungen schien es für deren Vertreter in den Stadtverordnungen geradezu eine Genugtuung gewesen zu sein, der SED erstmals seit ihrem Bestehen eine offene politische Niederlage zuzufügen. Doch konnten die bürgerlichen Parteien diesen Erfolg nur kurze Zeit genießen. Nachdem die Provinzialverwaltung erkannte, wie die Abstimmungen über den Vorsitz in den kommunalen Parlamenten durchgeführt wurden, ordnete diese am 7. Oktober 1946 in der ersten Durchführungsverordnung zur Gemeindeverfassung an, dass die Vorsitzenden der Gemeindevertretungen aus den gewählten Vertretern der Partei zu wählen sei, „die am Ort bei der Gemeindewahl die höchste Stimmenzahl erreicht hat“.158 Der Erlass der Durchführungsbestimmung hatte letztlich zur Folge, dass die Abstimmungen über den Vorsitzenden der Stadtverordnung in Elsterwerda und Bad Liebenwerda annulliert und die von

154 Vgl. Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9. 1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 155 Vgl. Protokoll der Herzberger Stadtverordnetenversammlung vom 4.10.1946 (StA Herzberg, Nr. 112, unpag.). 156 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 30.9.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.); Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 157 Vgl. Protokoll der Herzberger Stadtverordnetenversammlung vom 4.10.1946 (StA Herzberg, Nr. 112, unpag.). 158 Erste Durchführungsverordnung zur Gemeindeverfassung vom 7.10.1946. In: Verordnungsblatt der Provinz Sachsen vom 12.10.1946, Nr. 41, § 3, S. 447.

Neukonstituierung kommunaler Parlamente

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der SED zunächst vorgeschlagenen Bewerber doch noch in ihre Ämter als Vorsitzende eingeführt wurden.159 In Herzberg behielt die LDP als stärkste Fraktion das Amt des Vorsitzenden, jedoch musste hier Ernst Borchers (CDU) seinen Posten als stellvertretender Vorsitzender an Walter Eulitz (SED) abgeben.160 Noch weitaus kontroverser wurde in den Stadtverordnetenversammlungen die Besetzung der Bürgermeisterstellen diskutiert. Eine Neuwahl des Bürgermeisters war in der neuen Gemeindeverfassung nicht vorgesehen. Hierin wurde lediglich festgehalten, dass der Bürgermeister für seine Amtsführung das Vertrauen der Gemeindevertretung benötigt. Die Gemeindevertretung war allerdings in der Lage, dieses Vertrauen mit einfacher Mehrheit zu entziehen.161 Da eine generelle Neuwahl der Bürgermeister durch die neu gewählten Gemeindevertretungen laut Gemeindeverordnung nicht vorgesehen war, blieb den Parteien zunächst nur die Möglichkeit, per Vertrauensfrage einen Bürgermeister abzulösen. In vielen Gemeindevertretungen wurde aber dennoch die Vertrauensfrage als Bestätigung der Bürgermeister auf die Tagesordnung der ersten Gemeindevertreterversammlung gesetzt. In Orten, in denen die SED die Mehrheit in den Gemeindevertretungen besaß, führte dies meist zur Bestätigung der amtierenden Bürgermeister. In den wenigen anderen Orten, in denen die SED in der Minderheit war, kam es hingegen meist auf die Amtsführung des bisherigen SED-Bürgermeisters, das Verhältnis der örtlichen Parteimitglieder untereinander sowie auf das Vorhandensein geeigneter Nachfolger innerhalb der bürgerlichen Parteien an, ob die Vertrauensfrage für den amtierenden SED-Bürgermeister positiv ausfiel. So verlief die Vertrauensfrage von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. In Herzberg, Schlieben und Ortrand verzichtete z. B. die LDP, obwohl diese als stärkste Fraktion in die drei Stadtverordnungen einzog, auf die Absetzung des Bürgermeisters. Da sich diese nicht in der Lage sah, einen geeigneten Ersatz zu stellen, gab sich die LDP in diesen drei Orten mit der Amtsführung der amtierenden SED-Bürgermeister zufrieden.162

159 Vgl. Niederschrift über die 3. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.12.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.); Protokoll der zweiten Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 14.10.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). In Bad Liebenwerda bestand die CDU-Fraktion darauf, dass die Durchführungsbestimmung der Gemeindeverfassung vom 7.10.1946 erst vom neuen Landtag bestätigt wurde. Somit dauerte die Einsetzung des neuen Vorsitzenden der Stadtverordnung bis zum 30.12.1946. 160 Vgl. Protokoll der Herzberger Stadtverordnetenversammlung vom 15.11.1946 (StA Herzberg, Nr. 112, unpag.). 161 Vgl. Die neue demokratische Gemeindeverfassung. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 5.10.1946, Nr. 40, § 38, S. 439. 162 Vgl. Protokoll der Herzberger Stadtverordnetenversammlung vom 4.10.1946 (StA Herzberg, Nr. 112, unpag.); Schweinitzer Kreisverwaltung über die Wahlvorbereitung und die Neubesetzung der Bürgermeisterposten an die Merseburger Bezirksverwaltung vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 40); Niederschrift über die 2. (außerordentliche) Sitzung der Ortrander Stadtverordneten vom 29.1.1947 (StA Ortrand, Nr. 2610/1, unpag.).

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In anderen Orten, wie z. B. in Elsterwerda und Bad Liebenwerda, entwickelte sich hingegen eine intensive politische Auseinandersetzung um die Besetzung des Bürgermeisterpostens. In Elsterwerda stimmte die Mehrheit der CDU- und LDP-Vertreter mit 10 zu 9 Stimmen bei der Vertrauensfrage am 30. September 1946 gegen den amtierenden Bürgermeister Karl Böhme.163 Wie das Protokoll der Stadtverordnetenversammlung ausführte, endete die Sitzung in einem „allgemeinen Tumult“, in dem der Stadtverordnetenvorsteher nur „mit Mühe und Not den Schluss der Sitzung bekanntgeben“ konnte.164 Bereits in dieser Reaktion zeigte sich, dass die SED nicht gewillt war, das knappe Ergebnis in Elsterwerda zu akzeptieren. In Bad Liebenwerda deutete zunächst in der ersten Stadtverordnetensitzung am 30. September 1946 noch nichts darauf hin, dass es hier zu ähnlichen Konflikten um die Besetzung der Bürgermeisterstelle kommen könnte. So waren die Bad Liebenwerdaer CDU und die LDP in der ersten Sitzung durchaus bereit, den pragmatisch auftretenden bisherigen SED-Bürgermeister Arthur Bluhm in der Vertrauensfrage zu stützen. Jedoch gab Bluhm in der ersten Sitzung für viele überraschend bekannt, dass er sich vom Posten des Bürgermeisters zurückziehen werde und schlug den Vorsitzenden des Antifa-Kreisausschusses Alfred Schubert als Nachfolger vor.165 Gegen diese Neubesetzungspläne erhob sich jedoch sofort Protest der bürgerlichen Parteien in der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnung, sodass die Festlegung auf einen neuen Bürgermeister zunächst verschoben wurde. Währenddessen erließ die Merseburger Bezirksverwaltung eine richtungweisende Verfügung über die Neubesetzung der Bürgermeisterstellen. Nachdem der Bezirkspräsident Otto Gotsche (SED) erkannte, dass die bürgerlichen Parteien sich in mehreren Fällen, wie bereits bei der Wahl der Vorsitzenden der Gemeindevertretungen, gegen die SED-Amtsinhaber aussprachen, verfügte dieser am 2. Oktober 1946: „Bis zum 4.10.46, 12.00 Uhr mittags, ist mir durch die Herren Landräte von allen kreisangehörigen Städten ihres Kreises der Vorschlag der stärksten Partei für die Neubesetzung des Bürgermeisterpostens mit den üblichen Unterlagen […] zur Bestätigung einzureichen. Nur die stärkste Partei in der Stadtverordnetenversammlung stellt den Bürgermeister. Andere Abmachungen sind unzulässig.“166 Nachdem man wahrscheinlich in der Merseburger Bezirksverwaltung abwog, wie viele Bürgermeisterposten die SED in den Städten des Bezirks mit

163 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 30.9.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). 164 Ebd. 165 Vgl. Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 166 Liebenwerdaer Landrat über die Bürgermeisterwahl an den Liebenwerdaer Kreisvorstand der SED vom 25.1.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). In diesem Schreiben vom 25.1.1947 wurde die Anweisung des Bezirkspräsidenten zitiert. Das Originalschreiben des Bezirkspräsidenten lag nicht vor.

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dieser Anordnung sichern konnte, war die SED mit dieser Anordnung in der Lage, in vielen Städten und Gemeinde ihre Machtposition zu festigen. Zwar ermöglichte dies im Untersuchungsgebiet eine von der Provinzial- bzw. Bezirksverwaltung, aber auch von der Besatzungsmacht anerkannte Umbesetzung der Bürgermeisterstellen in Jessen, Seyda, Falkenberg und Uebigau, doch verhinderte dies gleichfalls die Neubesetzung des Bürgermeisteramts in Bad Liebenwerda und Elsterwerda durch Mitglieder der CDU oder LDP.167 Die rechtliche Grundlage für die Anordnung des Bezirkspräsidenten war außerdem in keiner Weise gegeben. In der Gemeindeverfassung wurde z. B. ausdrücklich festgelegt, dass nur die Landesverwaltung mit Zustimmung des Landtages „erforderliche Durchführungsbestimmungen“ zur Gemeindeverfassung erlassen konnte.168 Eine einfache Anordnung der Bezirksverwaltung war dazu nicht berechtigt. Aber auch wenn man die Anordnung des Bezirkspräsidenten anerkannte, so sagte diese nichts über ein Verbot der Vertrauensfrage aus. Die Parteien waren auch weiterhin berechtigt, die Vertrauensfrage gegen einen Bürgermeister zu stellen, auch wenn dieser von der stärksten Partei bestimmt wurde. In Elsterwerda setzte sich die SED jedoch über das negative Vertrauensvotum gegen Karl Böhme hinweg und stellte Karl Böhme ungeachtet dessen erneut als Bürgermeisterkandidaten auf. Der Bezirkspräsident bestätigte schließlich Karl Böhme am 17. November 1946 im Amt. Dies führte wiederum zum Protest der beiden bürgerlichen Fraktionen, deren Mitglieder daraufhin am 26. November 1946 geschlossenen nicht zur vierten Sitzung der Elsterwerdaer Stadtverordnung erschienen.169 Da somit die Stadtverordnung nicht beschlussfähig war, musste die Einsetzung des Bürgermeisters verschoben werden. Laut § 15 der neuen Gemeindeverfassung war es allerdings möglich, nach einer beschlussunfähigen Sitzung eine neue Sitzung einzuberufen, die dann unabhängig von der Anzahl der anwesenden Mitglieder beschlussfähig war.170 Diese Sitzung fand in Elsterwerda am 2. Dezember 1946 statt. In dieser Sitzung, in der der Bürgermeister Karl Böhme vom Landrat Paul Paulick im Amt des Bürgermeisters bestätigt werden sollte, verlas der Vorsitzende der Stadtverordnung zu Beginn ein gemeinsames Schreiben der CDU- und LDP-Fraktion. Diese erklärten darin, dass sie „dem Bürgermeister Böhme gegenüber die Mitarbeit solange“

167 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die Wahlvorbereitung und die Neubesetzung der Bürgermeisterposten an die Merseburger Bezirksverwaltung vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 40); Protokoll der Falkenberger Gemeinderatssitzung vom 7.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Herzberg, H 279, unpag.); Protokolle der Uebigauer Stadtverordnetensitzungen vom 30.9.1946, 8.10.1946, 9.10.1946 und 6.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Herzberg, H 073, unpag.). 168 Die neue demokratische Gemeindeverfassung. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 5.10.1946, Nr. 40, § 57, S. 440. 169 Vgl. Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 26.11.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). 170 Vgl. Die neue demokratische Gemeindeverfassung. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 5.10.1946, Nr. 40, § 15, S. 438.

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a­ blehnten, „bis derselbe seinen Posten niedergelegt hat“.171 Von dieser Entscheidung ließen sich die SED-Fraktion und der Liebenwerdaer Landrat jedoch in keiner Weise beeindrucken. Die Art und Weise der Einsetzung des Bürgermeisters in Elsterwerda bildete im gesamten Untersuchungsgebiet kein Einzelbeispiel. Noch länger und erbitterter wurde die politische Auseinandersetzung um das Bürgermeisteramt in Bad Liebenwerda geführt. Wie bereits erwähnt wurde, wollte die Bad Liebenwerdaer SED-Fraktion einen Wechsel im Bürgermeisteramt von Arthur Bluhm zu Alfred Schubert durchführen. Die SED-Fraktion versuchte, diesen Wechsel ohne die Zustimmung der Stadtverordnung durchzusetzen, was wiederum von den bürgerlichen Fraktionen heftig kritisiert wurde. Carl Schulze sagte in der dritten Sitzung der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnung am 30. Dezember 1946 dazu: „Von der geplanten Besetzung der Bürgermeisterstelle durch den ­Gemeindevertreter Alfred Schubert (SED) hat die Gemeindevertretung ­inzwischen Kenntnis erhalten. Die Gemeindevertreter sind jedoch darüber nicht gehört worden und haben auch noch keine Gelegenheit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen. Es ist wohl noch zu sagen, dass genau wie bei den Gemeinderäten, die wir heute wählen wollen, vorher mit allen Fraktionen in Verbindung zu treten ist und somit bereits vor der Sitzung eine Klarheit zu schaffen.“172 Der SED-Kreisvorsitzende Paul Mittig, der ebenso am 8. September 1946 in die Bad Liebenwerdaer Stadtverordnung gewählt wurde, stellte in der Sitzung vom 30. Dezember 1946 nochmals die Haltung der SED zur Bürgermeisterbesetzung klar. Er sagte: „Nach den erlassenen Verordnungen stellt die Partei, die die meisten Stimmen hat, den Bürgermeister. In Bad Liebenwerda war das die SED. Eine Anhörung der Gemeindevertreter dürfte daher nicht erforderlich sein, zumal es m. E. nur eine Angelegenheit der stärksten Partei, hier also die SED, ist. Der Vorgang ist bereits weitergeleitet und liegt schon bei der SMA in Halle zur Bestätigung vor. Eine Änderung ist daher m. E. nicht mehr möglich.“173 Der SED-Kandidat Alfred Schubert ging schließlich in der Stadtverordnetensitzung selbst auf seine Bewerbung ein und versuchte, ohne die Möglichkeit eines eigenen Verzichts nur in Erwägung zu ziehen, seine Bewerbung mit dem Willen der Besatzungsmacht zu rechtfertigen. So sagte er: „Eine Zurückziehung des Antrags der SED ist nicht mehr angängig, da dieser bereits bei der SMA in Halle vorliegt. Wir sind ein besetztes Land und haben wohl demokratische Freiheiten, müssen uns aber den Anordnungen der SMA fügen und können uns evtl. Verstöße gegen die Besatzungsmacht nicht erlauben.“174 Wie bereits schon

171 Protokoll der Elsterwerdaer Stadtverordnetensitzung vom 2.12.1946 (StA Elsterwerda, Ordner: Magistratssitzungen 1945–1947, unpag.). 172 Niederschrift über die 3. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.12.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 173 Ebd. 174 Ebd.

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oftmals praktiziert, versuchte die SED mit ihrem Bezug auf die sowjetische Besatzungsmacht ihr undemokratisches Verhalten zu rechtfertigen und damit den Druck auf die bürgerlichen Fraktionen zu erhöhen. Die Beteiligung der sowjetischen Besatzungsmacht an der Einsetzung führender Kommunalbeamter wurde auch vom Minister des Inneren der Provinz Sachsen-Anhalt, Robert Siewert, am 12. Dezember 1946 in einem Rundschreiben an alle Bezirks- sowie Kreisverwaltungen nochmals herausgestellt. In diesem Schreiben wurde angeordnet: „Es ist den vorschlagsberechtigten Parteien jedoch dringend nahezulegen, vor der Einreichung ihrer Vorschläge bei den Parlamenten mit ihrer zuständigen SMA Fühlung aufzunehmen, ob der genannte Kandidat die Zustimmung des Kommandanten hat. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass eine solche Prozedur rechtlich keineswegs im Widerspruch zur demokratischen Gemeindeverfassung oder zur Kreisordnung steht, denn solange die Souveränität Deutschlands durch den Kontrollrat wahrgenommen wird, gelten für alle Verwaltungshandlungen die Beschlüsse der Berliner Konferenz, wo es im Abschnitt III über Deutschland in Punkt a unter 6 und in Punkt b unter 16 heißt: Jede deutsche Verwaltung, die den Zielen der Okkupation widersprechen sollte, wird verboten werden.“175 Die Besatzungsmacht besaß also demnach das Recht, sich über jeden deutschen Parlamentsbeschluss hinwegzusetzen. Jedoch ließen sich die streitbaren Bad Liebenwerdaer Vertreter der CDU und LDP, an deren Spitze Carl Schulze und Dr. Walter Damm standen, in diesem Fall nicht von der Drohung mit der Besatzungsmacht einschüchtern. Sie schrieben am 3. Januar 1947 eine weitere Eingabe an die Provinzialverwaltung, in der nochmals der Versuch unternommen wurde, eine rechtliche Klärung der Frage zu erlangen. Beiden Fraktionen wurde schließlich am 17. Januar 1947 geantwortet, dass „aufgrund des Befehls des Marschalls Sokolowski“ die Partei den Bürgermeister stellt, „die bei der Gemeindewahl am 8.9.1946 die höchste Stimmenzahl erreicht hat“.176 Zwar mussten die bürgerlichen Fraktionen nun endgültig den Anspruch der SED auf den Bürgermeisterposten anerkennen, doch wurde in dieser Stellungnahme nichts über ein Verbot der Mitbestimmung der Stadtverordnung ausgesagt. Aus diesem Grund beantragte Carl Schulze in der Stadtverordnetensitzung am 30. Januar 1947 eine Abstimmung über den Bürgermeisterkandidaten Alfred Schubert. In der darauffolgenden Debatte, in der die CDU- und LDP-Vertreter Alfred Schubert als neuen Bürgermeister deutlich ablehnten, versuchte sich die SED immer wieder auf die Verordnung des Bezirkspräsidenten zu beziehen und damit diese Abstimmung zu verhindern.

175 Minister des Inneren der Provinzialregierung Sachsen-Anhalt über die Bestätigung leitender Kommunalangestellter an die Herren Bezirkspräsidenten, Landräte und Oberbürgermeister vom 12.12.1946 (StA Herzberg, Nr. 32, unpag.). 176 Niederschrift über die 4. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.1.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.).

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Nachdem die bürgerlichen Fraktionen mit dem Hinweis auf die Gemeindeverfassung und gegen den Willen der SED auf einer Abstimmung bestanden, sprachen sich zwölf Stadtverordnete gegen und nur acht Stadtverordnete für Alfred Schubert als neuen Bürgermeister aus.177 Die SED ließ sich allerdings trotz dieses klaren Votums gegen Alfred Schubert nicht von ihrem Kurs abbringen. Genauso wie bereits in Elsterwerda nahm der Landrat Paul Paulick am 20. Februar 1947 an der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnetensitzung teil, um Alfred Schubert seine vom Bezirkspräsidenten ausgehändigte Ernennungsurkunde zu übergeben. Als die CDU- und LDP-Fraktion in der Einladung zur Sitzung von diesem Vorgehen erfuhren, entschieden sich diese, geschlossen nicht an dieser Sitzung teilzunehmen.178 In seinem Referat zur Einsetzung des Bürgermeisters Alfred Schubert sagte Paul Paulick schließlich Folgendes: „In Bad Liebenwerda ist ein Streit ­entbrannt, aus dem heraus Zustände entstanden sind, die nicht länger geduldet werden können; denn sie machen das Parlament zur Faxe, sie machen das Parlament arbeitsunfähig […]. Als der Genosse Schubert aus dem KZ zurückkam, waren die Verwaltungen aufgebaut […]. Dieser Mensch ist zurückgekommen und hat sich sofort dem Wiederaufbau zur Verfügung gestellt. Dass wir diesem Menschen einen Platz einräumen müssen, der ihm gebührt, das ist selbstverständlich […]. Dieser Genosse Schubert, der gegeißelt wurde von den Nazis, der wurde nun gegeißelt von den Antifaschisten. Wer kann es wagen, sich gleichberechtigt, gleich sauber, gleich gerade neben ihn zu stellen? Mit welchem Recht lehnen sie ihn ab? Warum denn? Es kann nur einen Grund geben: dass der Genosse Schubert darauf sehen wird, dass der demokratische Aufbau in jeder Beziehung in der Stadt Bad Liebenwerda einwandfrei sein wird! Wenn es aber Menschen gibt, die vor einem derartigen Charakter Angst haben, dann müssen sie Grund zu dieser Angst haben. Was liegt denn noch weiter vor? Weshalb lehnen sie ihn denn ab? Sie sagen: Wir haben die Demokratie! Aber nicht jene, die wir vor 1933 hatten.“179 In seinen Einführungsworten verglich der Landrat die Vertreter der bürgerlichen Parteien nicht nur mit den Nationalsozialisten, sondern er verdeutlichte den anwesenden Stadtverordneten ganz klar, dass er die parlamentarische Demokratie, wie sie vor 1933 praktiziert wurde, ablehnte. Angesichts der zuvor erfolgten Abstimmung gegen Alfred Schubert war eine Missachtung des Parlamentarismus nicht sehr viel deutlicher auszudrücken. Ohne Einspruch der anwesenden Stadtverordneten der SED wurde schließlich Alfred Schubert in dieser von den bürgerlichen Fraktionen boykottierten Sitzung zum neuen Bad Liebenwerdaer Bürgermeister ernannt.180

177 Vgl. ebd. 178 Vgl. Bad Liebenwerdaer CDU- und LDP-Fraktion an den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung vom 19.2.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 179 Niederschrift über die 5. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 20.2.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 180 Vgl. ebd.

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Im Unterschied zu Elsterwerda ging die Auseinandersetzung allerdings in Bad Liebenwerda weiter. So stellte Carl Schulze in der nächsten Stadtverordnetensitzung am 12. März 1947 einen weiteren Antrag zur Bürgermeisterfrage. Darin wurde zum einen festgestellt, dass die Stadtverordnetenversammlung am 20. Februar 1947 aufgrund des Fehlens der bürgerlichen Fraktionen nicht beschlussfähig war. Zum anderen wurde darin dem Landrat Paulick verfassungswidriges Verhalten vorgeworfen und der Kreistag mit einer Untersuchung beauftragt.181 Zwar wurde die Abstimmung über den CDU-Antrag bis zur nächsten Sitzung der Stadtverordneten am 2. April 1947 vertagt, doch nahm die Stadtverordnetenversammlung am 2. April 1947 den CDU-Antrag mit 10 zu 7 Stimmen an.182 Carl Schulze versuchte als Kreistagsabgeordneter daraufhin, dieses Pro­blem im Kreistag zu thematisieren. Jedoch schritt an dieser Stelle die Besatzungsmacht ein und setzte diesen Punkt trotz des Antrags der CDU-Fraktion wieder von der Tagesordnung ab.183 Ebenso unternahm die von Paul Paulick geführte Kreisverwaltung nichts, um die Rolle des Landrats in der Bad Liebenwerdaer Bürgermeisterfrage zu untersuchen.184 Nachdem von der Kreisverwaltung nichts in dieser Frage unternommen wurde, setzte die CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung am 1. Oktober 1947 dieses Thema erneut auf die Tagesordnung. Nach langer Diskussion stellte Carl Schulze für die CDU den Antrag, dem Bürgermeister Alfred Schubert das Vertrauen erneut abzusprechen. In der darauffolgenden Diskussion versuchte die SED, besonders die Leistungen Alfred Schuberts in seiner bisherigen Amtszeit herauszustellen. Zugleich nutzte der SED-Kreisvorsitzende Paul Mittig diese Gelegenheit, um Carl Schulze heftig anzugreifen. Mittig sagte: „Ich stelle fest, dass der seitens der CDU-Fraktion gestellte Antrag nur dazu führt, um dem Stadtparlament wieder Schwierigkeiten zu bereiten. Auch hier sind Sie, Herr Schulze, wieder der treibende Keil, der die Stadtverordnetenversammlung nicht in Ruhe arbeiten lassen will. Es ist selbstverständlich, dass die SED den

181 Vgl. Niederschrift über die 6. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 12.3.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 182 Vgl. Niederschrift über die 7. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 2.4.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 183 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 1.10.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). Der Vorsitzende der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnetenversammlung Gottwald Fleischer sagte zur Bürgermeisterfrage am 1.10.1947: „Ich möchte feststellen, dass der Kreistag es nicht abgelehnt hat, sondern dieser Punkt auf Anordnung der SMA von der Tagesordnung abgesetzt wurde.“ Carl Schulze bemühte sich das Thema in der dritten Sitzung des Kreistages am 23.4.1947 zu behandeln. Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Liebenwerda vom 23.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 180). 184 Vgl. Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über den Antrag auf Entzug des Vertrauens gegen den Landrat Paulick, den ersten stellvertretenden Landrat Dr. Loda und den Kreisrat Bothe gemäß § 35 der Kreisordnung vom 14.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 317).

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Bürgermeister zu stellen hat. Wen wir stellen, lassen wir uns nicht vorschlagen […]. Ich bedauere es, dass die CDU einen Mann in ihren Reihen zählt, der nicht nur der Stadtverordnetenversammlung, sondern vielen Ausschüssen Schwierigkeiten bereitet.“185 In der Debatte wurden von der SED-Fraktion erneut die wichtigsten Grundsätze der parlamentarischen Demokratie infrage gestellt. Dennoch erhielt der Antrag der CDU lediglich 9 Stimmen. Da ein CDU-Abgeordneter während der Abstimmung nicht anwesend war und ein Abgeordneter der bürgerlichen Fraktionen sich der Meinung der SED anschloss bzw. der Stimme enthielt, wurde der CDU-Antrag mit 9 Gegenstimmen und einer ungültigen Stimme knapp abgelehnt.186 Dieser Abstimmungserfolg für die SED war wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass einige bürgerlichen Abgeordnete nicht länger bereit waren, die ständigen lähmenden Diskussionen über den Bürgermeister in der Bad Liebenwerdaer Stadtverordnung mitzutragen. So war in allen Fraktionen ein Jahr nach den Gemeindewahlen die Hoffnung groß, endlich kommunalpolitische Themen in den Vordergrund der Diskussion stellen zu können. Gleichfalls gelang es wohl Alfred Schubert, mit seiner bereits über ein halbes Jahr andauernden Amtsführung zumindest einige Vorbehalte in den bürgerlichen Fraktionen abzubauen. Zwar hatte diese Abstimmungsniederlage der CDU zur Folge, dass die Diskussion über die Bürgermeisterstelle in Bad Liebenwerda nun praktisch beendet war. Dies änderte aber nichts an der undemokratischen Ernennung von Alfred Schubert und konnte, an rechtsstaatlichen Grundsätzen gemessen, nicht zu einer nachträglichen Bestätigung des Bürgermeisters führen. In der gesamten Auseinandersetzung um den Bürgermeisterposten in Bad Liebenwerda wurde deutlich, wie führende SED-Mitglieder, wie der Kreisvorsitzende Paul Mittig oder der Landrat Paul Paulick, zur parlamentarischen Demokratie standen. Beschlüsse der kommunalen Parlamente wurden ohne Weiteres mit dem Verweis auf übergeordnete Verwaltungen sowie auf die sowjetische Besatzungsmacht je nach Nutzen für die SED nicht beachtet. Mit der starren Vorgabe des Bezirkspräsidenten, dass nur die stärkste Partei in einem Ort den Bürgermeister stellen durfte und mit der bewussten Nichtbeachtung einzelner Misstrauensvoten gegen SED-Bürgermeister, trat der scheindemokratische Charakter der bereits durch den Ausschluss zahlreicher bürgerlicher Ortsparteiorganisationen stark verzerrten Gemeindewahlen noch offener zu Tage. Während die Vertreter der CDU und LDP bewusst an parlamentarische Traditionen anknüpfen wollten, wurde dies, wie sich besonders bei der Bürgermeisterstellenbesetzung in Bad Liebenwerda und Elsterwerda zeigte, im Untersuchungsgebiet von der SED von Anfang an behindert. Angesichts dieser Umstände konnte man im Untersu-

185 Niederschrift über die Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 1.10.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 186 Ebd.

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chungsgebiet in keiner Weise von einem demokratischen Neubeginn nach den Gemeindewahlen 1946 sprechen. Dass die SED unter diesen Bedingungen, trotz ihrer Wahlniederlage, ihre dominierende Stellung in den Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen des Untersuchungsgebiets weitestgehend sichern konnte, war nicht sonderlich verwunderlich. Die SED stellte vor allem aufgrund des Ausschlusses vieler bürgerlicher Wahlvorschläge Ende des Jahres 1946 im Kreis Schweinitz immer noch 60 Bürgermeister. Der CDU bzw. LDP gehörten zum gleichen Zeitpunkt nur 11 bzw. 3 Bürgermeister an. Die restlichen 39 Bürgermeister im Kreis Schweinitz waren parteilos.187 Nach der Gemeindewahl gelang es der CDU im Kreis Schweinitz nur in Jessen, Seyda und Holzdorf, einen Wechsel im Bürgermeisteramt herbeizuführen. In den anderen Orten, in denen die CDU eine Mehrheit erzielte, einigten sich die Parteien entweder auf einen parteilosen Kandidaten bzw. durfte der amtierende SED-Bürgermeister im Amt bleiben.188 Ganz im Gegensatz zur CDU, der es im Kreis Schweinitz immerhin gelang, das Bürgermeisteramt der zweitgrößten Stadt des Kreises, Jessen, zu gewinnen, war die LDP, obwohl sie Mehrheiten in der Kreisstadt Herzberg und in Schlieben erzielte, vor allem aufgrund ihres geringen Organisationsstandes nicht in der Lage, geeignete Bürgermeisterkandidaten für diese Städte zu stellen. Nur in Kolochau und Langengrassau gelang es LDP-Mitgliedern, nach der Gemeindewahl eine Änderung im Bürgermeisteramt vorzunehmen.189 Ein ähnliches Bild ergab sich auch im Kreis Liebenwerda. Für den Kreis Liebenwerda lag zwar keine Gesamtstatistik über die Parteizugehörigkeit aller Bürgermeister nach den Gemeindewahlen vor, doch hielten sich auch hier die Bürgermeisterwechsel in Grenzen. Nennenswert war im Kreis Liebenwerda lediglich die Umbesetzung der Bürgermeisterposten in Falkenberg und Uebigau. In diesen Orten wurden neue CDU-Bürgermeister eingesetzt.190 Da die Verwaltungsspitzen in den Orten nahezu gleich blieben, änderte sich im Wesentlichen auch nichts an der Durchsetzung der örtlichen Verwaltungen mit SED-Mitgliedern. Insgesamt waren am 8. März 1949 in allen öffentlichen Verwaltungen

187 Nachweisung der Bürgermeister und Gemeindevorsteher des Kreises Schweinitz (Ende 1946; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 364, unpag.). 188 Vgl. ebd. 189 Vgl. ebd. 190 Vgl. Protokoll der Falkenberger Gemeinderatssitzung vom 7.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Herzberg, H 279, unpag.); Protokolle der Uebigauer Stadtverordnetensitzungen vom 30.9.1946, 8.10.1946, 9.10.1946 und 6.1.1947 (KA Herzberg, Bestand Kreis Herzberg, H 073, unpag.). In Uebigau verhinderte die sowjetische Kreiskommandantur den ersten Bürgermeistervorschlag der CDU. Von der Uebigauer Stadtverordnetensitzung wurde mit der Mehrheit der CDU zunächst Walter Baecke (CDU) zum neuen Bürgermeister gewählt. Da sich Baecke „antisowjetisch“ und „amtsanmaßend“ geäußert haben soll, annullierte die Kreiskommandantur die Wahl Baeckes. Daraufhin wurde Bruno Müller (CDU) gewählt, der jedoch erst am 6.1.1947 in das Amt des Uebigauer Bürgermeisters eingeführt wurde.

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des Kreises Liebenwerda (einschließlich Kreisverwaltung) 783 Personen beschäftigt. Davon gehörten 415 Personen der SED und lediglich 23 der LDP und 22 der CDU an.191 Damit waren zu diesem Zeitpunkt 53 Prozent aller öffentlichen Beschäftigten im Kreis Liebenwerda SED-Parteimitglieder. Im Kreis Schweinitz ergab sich ein ähnliches Bild. Am 6. Dezember 1948 arbeiteten nur in den Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen des Landkreises von insgesamt 492 Beschäftigten 154 SED-Mitglieder. Dies entsprach 31,3 Prozent aller Beschäftigten. Im Gegensatz dazu waren in den Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen des Kreises Schweinitz lediglich 26 CDU- bzw. nur 10 LDP-Mitglieder beschäftigt.192 An diesen Zahlen ist abzulesen, dass die Gemeindewahlen 1946, aufgrund der selektiven Zulassung der bürgerlichen Parteien, aber auch aufgrund der weiteren Behinderung der bürgerlichen Abgeordneten in den gewählten kommunalen Parlamenten, nicht die von den bürgerlichen Parteien ­erhoffte ­Veränderung der kommunalen Machtstrukturen erbrachte. Trotz des für die SED enttäuschenden Wahlausgangs gelang es ihr mit der Unterstützung von übergeordneten Behörden sowie der sowjetischen Besatzungsmacht, ihre bereits kurz nach Kriegsende gewonnene Machtfülle in den kommunalen Verwaltungen des Untersuchungsgebiets zu erhalten. Das Fehlen unabhängiger Verwaltungsgerichte stellte sich dabei besonders für die bürgerlichen Parteien als entscheidender Nachteil heraus. Ohne diese Instanz waren die bürgerlichen Parteien von der Besatzungsmacht und von den von SED-Mitgliedern dominierten höheren Verwaltungen abhängig und somit meist nicht in der Lage, Beschlüsse der kommunalen Parlamente durchzusetzen. Auch daran war zu erkennen, dass mit den Gemeindewahlen von Anfang an nicht die Wiedereinführung der parlamentarischen Demokratie in den Kommunen vonseiten der Besatzungsmacht sowie der SED geplant war. 4.2

Kreistage

Die Arbeit der am 20. Oktober 1946 neu gewählten Kreistage wurde mit der am 18. Dezember 1946 vom Landtag beschlossenen Kreisordnung für die Provinz Sachsen-Anhalt geregelt. Diese Kreisordnung wies viele Gemeinsamkeiten mit der in der gesamten SBZ gültigen Gemeindeordnung auf. Wie in der Gemeindeordnung war hierin festgelegt, dass der Kreistag, nachdem er die Rechtmäßigkeit der Wahl anerkannte, unter dem Vorsitz des ältesten Kreistagsmitglieds mit einfacher Mehrheit für die Dauer eines Geschäftsjahres einen Vorsitzen-

191 Sondererhebung der Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Verwaltungspersonal im Kreis Liebenwerda vom 8.3.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 311). 192 Schweinitzer Kreisverwaltung über die Parteizugehörigkeit der kommunalen Angestellten an die Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 6.12.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 13).

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den, einen Schriftführer sowie deren Vertreter wählte.193 Leider lag das Protokoll der ersten Liebenwerdaer Kreistagssitzung nicht vor, sodass die Wahl des Kreistagsvorsitzenden im Kreis Liebenwerda nicht rekonstruierbar ist. Hier schienen sich allerdings die Fraktionen der Tradition entsprechend darin einig gewesen zu sein, der größten Fraktion den Vorsitzendenposten zu überlassen. Der SED-Kreisvorsitzende Paul Mittig wurde aus diesem Grund auch mit den Stimmen der anderen Parteien einstimmig als Kreistagsvorsitzender gewählt.194 Im Gegensatz zu den Wahlen der Vorsitzenden in den Stadt- bzw. Gemeindeparlamenten war diese Verfahrensweise in den Kreistagen der Provinz Sachsen-Anhalt jedoch nicht selbstverständlich. So wurde für die Kreisordnung keine Durchführungsbestimmung von der Provinzialverwaltung erlassen, in der die stärkste Fraktion mit der Besetzung des Postens des Vorsitzenden beauftragt wurde. Dies führte im Kreis Schweinitz dazu, dass es der CDU als stärkster Fraktion nicht möglich war, den Kreistagsvorsitzenden zu stellen. Im Schweinitzer Kreistag gelang es der SED, im Vorfeld der ersten Sitzung eine Übereinkunft mit der LDP-Fraktion herzustellen. Darin wurde vereinbart, dass die LDP zusammen mit der SED den Landrat Rudi Richter im Amt bestätigt, während der LDP der Posten des Kreistagsvorsitzenden sowie die Einstellung weiterer bürgerlicher Parteimitglieder in die Kreisverwaltung zugesichert wurden. Die SED versuchte damit im Kreis Schweinitz, den politischen Einfluss der CDU im Kreistag von vornherein zu beschränken. Nach der Vereinbarung von SED und LDP wurde in der ersten Schweinitzer Kreistagssitzung am 22. Januar 1947 Paul Richter (LDP) aus Schlieben mit den 24 Stimmen der SED, der LDP und der VdgB zum neuen Kreistagsvorsitzenden gewählt. Der Gegenkandidat der CDU, Ernst Landschulze, erhielt dagegen nur die 16 CDU-Stimmen. Die Absprache zwischen SED und LDP ging sogar so weit, dass der CDU kein Amt im Kreistagsvorstand zugestanden wurde. Demgemäß wählten die Fraktionen der SED und LDP August Michael (SED) aus Linda zum stellvertretenden Kreistagsvorsitzenden.195 Nachdem die Wahlen des Kreistagsvorstandes abgeschlossen waren, erfolgte die Abstimmung über den Landrat. In der neuen Kreisordnung wurde, ähnlich wie in der Gemeindeordnung in Bezug auf die Bürgermeister, dazu festgehalten, dass der Kreistag jederzeit dem Landrat das Vertrauen entziehen konnte.196

193 Vgl. Kreisordnung für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.12.1946. In: Gesetzblatt für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.1.1947, Nr. 2/3, § 11, S. 16 f. 194 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 69 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Fritz Wilhelm zitierte in seinem Manuskript aus dem Protokoll der ersten Liebenwerdaer Kreistagssitzung. 195 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 22.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 189). 196 Vgl. Kreisordnung für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.12.1946. In: Gesetzblatt für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.1.1947, Nr. 2/3, § 35, S. 18.

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Auch in diesem Fall erging weder von der Provinzial- noch von der Bezirksverwaltung eine Anordnung, mit der nur die stärkste Partei zur Stellung des Landrats berechtigt gewesen wäre. Somit konnte die SED im Kreis Schweinitz erneut den amtierenden Landrat Rudi Richter für dieses Amt im Kreistag vorschlagen. Als Gegenkandidat stellte die CDU Franz Mierzowski aus Merseburg auf.197 Dass die CDU nicht in der Lage war, einen eigenen Kandidaten aus dem Kreis Schweinitz für diesen Posten vorzuschlagen, stellte sich jedoch als Nachteil für die Christdemokraten heraus. Besonders die LDP-Abgeordneten versuchte mit diesem Hinweis ihre Wahlentscheidung für den Herzberger Rudi Richter zu rechtfertigen. In der darauffolgenden Abstimmung erhielt Rudi Richter 24 Stimmen, Franz Mierzowski hingegen nur 16 Stimmen, womit Rudi Richter als Landrat bestätigt wurde. Die Wahl zum stellvertretenden Landrat verlief ähnlich. Da die Mehrheitsverhältnisse offensichtlich waren, verzichtete die CDU auf einen eigenen Vorschlag, womit der bisherige stellvertretende Landrat Hans Bleek (SED) im Amt bestätigt wurde.198 Im Vorfeld des Liebenwerdaer Kreistags wurde ähnlich hart zwischen den Parteien über die neue Besetzung der entscheidenden Posten in der Kreisverwaltung verhandelt. Da hier allerdings die SED knapp als stärkste Fraktion in den Kreistag einzog, billigten ihr die bürgerlichen Parteien die weitere Stellung des Landrats zu. Somit wurde Paul Paulick in der ersten Liebenwerdaer Kreistagssitzung am 24. Januar 1947 mit 42 gegen 4 Stimmen erneut zum Landrat gewählt.199 Die SED musste dafür allerdings den Posten des stellvertretenden Landrats an die CDU abgeben. Als jedoch der CDU-Kreisverband Carl Schulze als stellvertretenden Landrat vorschlug, protestierte die SED entschieden gegen diesen Vorschlag. Da die CDU aber auf einen führenden Posten für ihr charismatischstes und streitbarstes Mitglied im Kreis Liebenwerda bestand, einigte man sich darauf, dass Carl Schulze als besoldeter Kreisrat eingesetzt und dafür Dr. Paul Loda (CDU) stellvertretender Landrat wurde.200 Dr. Loda, der aus 197 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 22.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 190). Franz Mierzowski (geb. 1891) besuchte bis Juni 1914 das humanistische Gymnasium in Gleiwitz. Nach Einzug zum Militär im August 1914 und einer schweren Verwundung am linken Unterarm im Januar 1915 musste er sein Musikstudium an der Hochschule für Kirchenmusik in Berlin-Charlottenburg abbrechen. Er trat daraufhin als kommunaler Angestellter seinen Dienst im Landratsamt Gleiwitz an. Bis zum Jahr 1940 wurde er zum Kreisoberinspektor befördert. Von 1940 bis Januar 1945 war er im Landratsamt Loben beschäftigt. Nach seiner Flucht aus Schlesien kam er nach Merseburg, wo er als Rechnungsrevisor und Leiter des Rechnungsprüfungsamtes seit Oktober 1945 in der Stadtverwaltung arbeitete. Vor 1933 gehörte er der Zentrumspartei an. Vgl. Lebenslauf von Franz Mierzowski (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 47). 198 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 22.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 190–192). 199 Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 69 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 200 Vgl. Niederschrift über die 4. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.1.1947 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). In dieser Sitzung erwähnte

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Oberschlesien stammte und bereits vor 1933 als Katholik der Zentrumspartei angehörte, arbeitete nach seiner Flucht als Steuerreferent im Liebenwerdaer Finanzamt. In einer späteren Beurteilung über die Abteilungsleiter der Liebenwerdaer Kreisverwaltung wurde er als „ängstlich im Handeln, voller Kompromisse, weitschweifig im Reden“ und als „charakterlich unklar“ beschrieben. Des Weiteren schätzte man ihn als „positives“ CDU-Parteimitglied ein.201 Letzter Punkt war wohl ausschlaggebend für die Unterstützung seiner Kandidatur zum stellvertretenden Landrat durch die SED. Zum zweiten stellvertretenden Liebenwerdaer Landrat wurde der LDP-Kreisvorsitzende Walter Foth gewählt.202 Die beiden kompletten Kreisräte, die laut Kreisordnung „ausführendes Or­ gan des Kreistages“ waren, setzten sich schließlich nach den ersten Kreistagssitzungen im Untersuchungsgebiet wie folgt zusammen: Kreis Liebenwerda Landrat: 1. stellvertretender Landrat: 2. stellvertretender Landrat: Kreisrat (besoldet): Kreisrat (besoldet): Kreisrat (unbesoldet): Kreisrat (unbesoldet): Kreisrat (unbesoldet):

Paul Paulick (SED) Dr. Paul Loda (CDU) Walter Foth (LDP) Carl Schulze (CDU) Friedrich Bothe (SED) Willi Taube (SED) Willy Rose (CDU) Max Zühlke (LDP)203

Kreis Schweinitz Landrat: stellvertretender Landrat Kreisrat (besoldet): Kreisrat (besoldet): Kreisrat (besoldet): Kreisrat (unbesoldet): Kreisrat (unbesoldet):

201 202 203 204

Rudi Richter (SED) Hans Bleek (SED) Karl Stephan (CDU) Richard Herzberg (LDP) Karl Plavius (SED) Josef Schmidt (CDU) Paul Lehmann (LDP und VdgB)204

Carl Schulze Folgendes: „Die CDU hatte als stellvertretenden Landrat Schulze vorgeschlagen. Die SED wollte dies nicht, also musste ein anderer vorgeschlagen werden.“ Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 69 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Beurteilung der Abteilungsleiter der Kreisverwaltung Liebenwerda (undatiert; ­LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 71, Bl. 265). Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 69 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Liebenwerda vom 23.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 186). Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 22.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 193).

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Wie in dieser Zusammenstellung zu erkennen war, besaß die SED in beiden Gremien keine Mehrheit. Jedoch war die Partei mit der Stellung des Landrats zunächst in der Lage, die Aufgabenverteilung der einzelnen Kreisräte zu bestimmen.205 Während im Kreis Schweinitz die Verteilung der Geschäftsbereiche an die Kreisräte ohne Proteste der CDU bzw. LDP erfolgte, erzeugte dies im Kreis Liebenwerda den Unmut der beiden bürgerlichen Parteien. Da der Landrat Paul Paulick die bisher dem stellvertretenden Landrat Friedrich Bothe unterstehende Hauptabteilung mit der wichtigen Personal- und Polizeiabteilung nach der Wahl der Kreisräte seinem eigenen Geschäftsbereich zuordnete, stellte Carl Schulze in der dritten Sitzung des Liebenwerdaer Kreistag am 23. April 1947 einen Antrag auf Neuordnung der Geschäftsbereiche. Darin wurde der stellvertretende Landrat mit der Führung der Geschäfte der Hauptabteilung beauftragt.206 Der CDU-Fraktion ging es dabei insbesondere darum, ihr Mitspracherecht bei Neueinstellungen in die Kreisverwaltung zu erweitern. Nach heftiger Debatte, in der der Landrat Paulick auf der Beibehaltung der von ihm herbeigeführten Regelung bestand und die SED-Abgeordneten der CDU und insbesondere Carl Schulze „Demagogie“ und die Missachtung der Blockpolitik vorwarfen, wurde der Antrag der CDU mit den Stimmen der LDP angenommen.207 Obwohl dies die erste Abstimmungsniederlage für die SED im Liebenwerdaer Kreistag bedeutete, setzte sich der Liebenwerdaer Landrat über diesen Beschluss des Kreistages hinweg. Da sich auch der neue stellvertretende Landrat Dr. Paul Loda (CDU) mit der vom Landrat bestimmten Aufgabenverteilung zufrieden zeigte und nicht den nötigen Druck auf Paul Paulick ausübte, wurde der Beschluss nie umgesetzt. Dieser Vorgang, der später noch zu weiteren Protesten im Kreistag führte, zeigte erstmals, dass sich die Liebenwerdaer Kreisverwaltung und insbesondere der Landrat nicht an die Beschlüsse des Kreistages gebunden fühlten.208 Wie unterschiedlich die führenden Mitglieder der SED bei der Durchsetzung ihrer Interessen vorgingen, zeigte sich besonders deutlich im Vergleich zwischen den beiden Landkreisen. Überall, wo die SED wie im Kreis Schweinitz in der Lage war, parlamentarische Mehrheiten für ihre Vorstellungen zu organisieren, nutzte sie dies, ohne auf die Blockpolitik Rücksicht zu nehmen, aus. Wo ihr dies, wie im Kreis Liebenwerda, allerdings nicht gelang, griffen deren Vertreter die

205 Vgl. Kreisordnung für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.12.1946. In: Gesetzblatt für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18.1.1947, Nr. 2/3, § 33, S. 18. 206 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Liebenwerda vom 23.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 186/187). 207 Vgl. ebd. 208 Vgl. Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über den Antrag auf Entzug des Vertrauens gegen den Landrat Paulick, den ersten stellvertretenden Landrat Dr. Loda und den Kreisrat Bothe gemäß § 35 der Kreisordnung vom 14.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 317). In diesem Antrag wurde von der CDU-Fraktion nochmals ausführlich auf die Nichtbeachtung dieses Kreistagsbeschlusses hingewiesen.

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bürgerlichen Abgeordneten scharf für ihr eigenständiges Handeln an. Während im Liebenwerdaer Kreistag der vor der ersten Sitzung gefundene Kompromiss über die Stellenbesetzung zumindest bis zur Abstimmung über die Geschäftsverteilung der Mitglieder des Kreisrates in der dritten Sitzung des Kreistages am 23. April 1947 hielt, wurde die CDU im Kreis Schweinitz aufgrund ihrer Stärke sofort in die Oppositionsrolle gedrängt. Spätestens nach der Abstimmung am 23. April 1947 im Liebenwerdaer Kreistag und der darauffolgenden Weigerung des Landrats, diesen Beschluss umzusetzen, konnte jedoch auch im Liebenwerdaer Kreistag nicht mehr von einer gemeinsamen Blockpolitik gesprochen werden. Aufgrund des guten Wahlabschneidens, der besseren Organisationsstruktur und auch aufgrund durchsetzungsfähigerer Persönlichkeiten innerhalb der Partei entwickelte sich die CDU in beiden Kreistagen schnell zum politischen Hauptgegner der SED. Zwar wurden auch weiterhin kommunalpolitische Fragen oft einstimmig beschlossen und konstruktiv in beiden Kreistagen diskutiert, doch sobald die kommunalpolitische Machtposition der SED angegriffen wurde, endete, wie noch zu zeigen sein wird, jede Zusammenarbeit mit den beiden anderen Parteien.209 Dieser bedingungslose Machtanspruch der SED war in der Folgezeit hauptsächlich dafür verantwortlich, dass in beiden Landkreisen die Mitglieder der bürgerlichen Parteien im Kreistag versuchten, diesen schrittweise zurückzudrängen. Nach der Phase der Konstituierung der beiden Kreistage, in der sowohl im Kreis Schweinitz als auch im Kreis Liebenwerda deutlich wurde, dass die SED zu keinen größeren Zugeständnissen an die bürgerlichen Parteien bereit war, folgte eine Phase der parlamentarischen Auseinandersetzung um den kommunalen Machtanspruch, in der sich auf beiden Seiten die politischen Standpunkte immer weiter verhärteten. Dass diese neue Phase der Konfrontation schließlich mit der Ausschaltung der bürgerlichen Opposition endete, wird u. a. im nächsten Abschnitt gezeigt.

209 Vgl. Protokolle der Kreistagssitzungen des Kreises Liebenwerda 1947–1950 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36); Protokolle der Kreistagssitzungen des Kreises Schweinitz 1947–1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132).

XI. Die Festigung der Macht der SED 1.

Die politischen Säuberungen 1947/48

1.1

Die Weiterführung der politischen Säuberungen durch die Kontrollratsdirektive Nr. 24

Nachdem die SED während des Wahlkampfs 1946 die ehemaligen NSDAP-Mitglieder intensiv für ihre Zwecke umwarb, setzte unmittelbar danach erneut eine Verschärfung der Entnazifizierungspolitik in der SBZ ein. So vereinheitlichte die sowjetische Besatzungsmacht mit der bereits am 12. Januar 1946 vom alliierten Kontrollrat gemeinsam beschlossenen Entnazifizierungsdirektive Nr. 24 im Vorfeld der im März 1947 geplanten Moskauer Außenministerkonferenz die Entnazifizierung in der gesamten SBZ.1 Um die vor allem durch die Wahlen und durch die zahlreichen Enteignungen im Sommer 1946 ins Stocken geratene Entnazifizierung in der Verwaltung und der Wirtschaft wiederzubeleben sowie in der Absicht, mit einer neuen strikt durchgeführten Entnazifizierungswelle bei der Moskauer Außenministerkonferenz die sowjetische Verhandlungsposition gegenüber den Westmächten zu verbessern, beauftragte die SMAD Ende 1946 die deutschen Landes- bzw. Provinzverwaltungen, Durchführungsbestimmungen zur KD Nr. 24 zu erlassen.2 Laut KD Nr. 24 sollten grundsätzlich alle „Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei, die ihr aktiv und nicht nur nominell angehört haben“, und alle diejenigen „Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern und aus verantwortlichen Stellungen in bedeutenden privaten Unternehmen“ entfernt werden. Die KD Nr. 24 gab im Folgenden unter § 10 eine detaillierte Auflistung von Personengruppen wieder, die zwangsweise aus ihren Ämtern entfernt werden sollten. Darunter fielen u. a. alle NSDAP-Mitglieder, die vor dem 1. Mai 1937 in die Partei aufgenommen wurden sowie alle Amtsträger der NSDAP. Ferner wurden unter § 11 und 12 Personengruppen aufgelistet, die besonders überprüft werden sollten. So sollten u. a. alle Berufsoffiziere der Wehrmacht und der Reichswehr, alle Mitglieder der Waffen-SS, alle NSDAP-Parteimitglieder, die nach dem 1. Mai 1937 in die Partei eintraten, sowie „Personen, die Mitglieder anderer politischer Parteien oder Organisationen in Deutschland waren und die der Nationalsozialistischen Partei zur Zeit der Machtergreifung Unterstützung

1

2

Vgl. Clemens Vollnhals, Internierung, Entnazifizierung und Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der sowjetischen Besatzungszone; In: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/ Clemens Vollnhals (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945–1955, Göttingen 2006, S. 231. Vgl. Wolfgang Meinicke, Die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1948, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 32 (1984), S. 975.

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Festigung der Macht der SED

gewährten (z. B. Hugenbergs Harzberger Front …)“, nach individueller Prüfung weiterbeschäftigt oder gegebenenfalls aus dem Amt entfernt werden.3 Die detaillierte Festlegung des Personenkreises, der entlassen bzw. besonders geprüft werden sollte, verschärfte die bisher gültigen Entnazifizierungsbestimmungen in der Provinz Sachsen-Anhalt deutlich. Mit der Ausweitung der Überprüfung auf weitere Personengruppen wie z. B. auf ehemalige Berufsoffiziere oder auf ehemalige Mitglieder der DNVP bzw. des Stahlhelms, waren die Entnazifizierungskommissionen im Gegensatz zu vorher nun in der Lage, einen weitaus größeren Personenkreis zu erfassen und gegebenenfalls aus ihren Positionen zu entfernen. Obwohl die KD Nr. 24 in der SBZ einheitliche Kriterien zur Entnazifizierung hervorbrachte, hatte dies aber zumindest im Untersuchungsgebiet und in der Provinz Sachsen-Anhalt nicht zur Folge, dass der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht mit der Vereinheitlichung der Entnazifizierungsmaßstäbe das wichtigste Mittel, mit dem diese die politischen und gesellschaftlichen Transformationsmaßnahmen legitimierten, genommen wurde.4 Vielmehr ermöglichte es die KD Nr. 24 der SED, die Entnazifizierung weit über den Kreis von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern auszudehnen und die freiwerdenden Posten im Sinne der SED neu zu besetzen. In der ersten Ausführungsbestimmung zur KD Nr. 24 in der Provinz Sachsen-Anhalt vom 12. Januar 1947 wurde die Ausdehnung der zu entnazifizierenden Personenkreise bereits klar umrissen. Hierin hieß es: „Die Demokratisierung der Provinz Sachsen-Anhalt ist bisher erfolgreich durchgeführt worden. Die vollkommene Demokratisie-

3

4

Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 12.1.1946. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. In: Ruth-Kristin Rößler (Hg.), Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945–1948. Dokumente und Materialien, Goldbach 1994, S. 64–81. Hierin ist die spätere am 16.11.1946 nochmals veränderte Fassung der KD Nr. 24 abgedruckt. Diese Fassung wurde am 14.4.1947 in der Provinz Sachsen-Anhalt in Kraft gesetzt. Laut der neuen Fassung sollten alle Mitglieder der NSDAP, die vor dem 1.5.1937 der Partei beitraten, entlassen werden. Zuvor galt nur der Eintritt vor dem Jahr 1937 als Entlassungskriterium. Gleichfalls sollten nun alle ehemaligen Mitglieder der SA entlassen werden, wenn sie vor dem 1.5.1933 in die SA eintraten. Zuvor galt der 1.4.1933 als Stichtag. Vgl. Anordnung der Provinzialregierung Sachsen-Anhalt zur KD Nr. 24 vom 14.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 70). Der 1.5.1937 wurde nicht willkürlich als Stichtag festgelegt. An diesem Tag endete die vorläufige Aufnahmesperre in die NSDAP. Thomas Widera stellte hingegen für Dresden fest, dass die klare Festlegung des Personenkreises in der KD Nr. 24 den Absichten der SED entgegenstand. Er vermutete, dass in Dresden die örtlichen Säuberungsausschüsse zuvor mit unpräziseren Säuberungsrichtlinien weitaus bessere Erfolge in ihrem Sinne erzielen konnten. Für die Provinz Sachsen und speziell das Untersuchungsgebiet konnte dies aufgrund der bereits präzisen Auslegung der Säuberungsverordnungen vom 6. und 13.9.1945 nicht bestätigt werden. Vielmehr führte im Untersuchungsgebiet oftmals jede unpräzise Formulierung zur Weiterbeschäftigung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Vgl. Widera, Dresden 1945–1948, S. 386.

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rung erfordert jedoch die restlose Entfernung von Nazisten und Militaristen sowie aktiven Vertretern der deutschnationalen Politik und der ,Harzburger Front‘ aus dem öffentlichen Dienst und der Wirtschaft. Die bisher beachtlichen Erfolge bei der Entfernung von Nazisten und Militaristen aus allen Verwaltungen sollen nunmehr durch strikte Anwendung der Direktive Nr. 24 zum Abschluss gebracht werden.“5 Dazu sollten laut Ausführungsbestimmungen vom 7. Januar 1947 bei der Regierung der Provinz Sachsen-Anhalt sowie in den Stadt- bzw. Landkreisen neue Entnazifizierungsausschüsse gegründet werden. Dem neuen Ausschuss gehörten in den Landkreisen der Landrat als Vorsitzender, jeweils ein Vertreter der SED, LDP, CDU und des FDGB sowie ein Vertreter des jeweils zuständigen Betriebsrates an. Der Vertreter des Betriebsrates wirkte allerdings nur beratend an der Ausschussarbeit mit.6 Der neue Ausschuss war für die Überprüfung aller Mitarbeiter in den Verwaltungen des Landkreises zuständig. Davon ausgenommen waren lediglich die Mitarbeiter der Bezirksverwaltungen, der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern, der Eisenbahn, der Post, der Polizei und der Justiz. Für deren Entnazifizierung waren der Regierungsausschuss der Provinz Sachsen-Anhalt bzw. gesondert eingesetzte Ausschüsse zuständig.7 Die zweite Durchführungsbestimmung der KD Nr. 24 vom 7. Februar 1947 regelte die politische Säuberung der Wirtschaft neu. Hierin wurde zunächst angeordnet, dass die bestehenden Ausschüsse über die politische Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft ihre Tätigkeit einstellen sollten. Die Bildung von neuen Ausschüssen, welche die Industrie, den Handel, das Gewerbe und die freien Berufe nach der KD Nr. 24 säubern sollten, wurde nun dem FDGB übertragen. Der neue Ausschuss zur Säuberung der Wirtschaft setzte sich aus einem Vertreter des FDGB, der gleichzeitig Ausschussvorsitzender war, jeweils einem Vertreter der SED, LDP und CDU, einem Vertreter des zuständigen Betriebsrates und einem Vertreter der zuständigen Berufsgruppe zusammen. Letzter besaß allerdings kein Stimmrecht.8 Im Kreis Liebenwerda wurden der Landrat Paul Paulick (SED), Alfred Schubert (SED), Dr. Walter Damm (LDP), Heinz Kleintges (CDU) und Herbert

5 6 7 8

Durchführungsbestimmung zu der Direktive 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 vom 7.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 123). Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. zweite Durchführungsbestimmung zu der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kon­ trollrats vom 12.1.1946 vom 7.2.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 16). Bereits in der ersten Durchführungsbestimmung vom 7.1.1947 wurde die Einrichtung von neuen Ausschüssen zur politischen Säuberung der Wirtschaft unter Führung des FDGB angeordnet. Die personelle Zusammensetzung dieses Ausschusses änderte sich jedoch nochmals mit der zweiten Durchführungsbestimmung vom 7.2.1947. Laut geänderter erster Durchführungsbestimmung besaß der Vertreter der Berufsgruppe das Stimmrecht im Ausschuss, während der Vertreter des Betriebsrates kein Stimmrecht besaß. Vgl. Durchführungsbestimmung zu der Direktive 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 vom 7.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 123).

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Festigung der Macht der SED

Kießling (SED/FDGB) zu Mitgliedern des neuen Entnazifizierungsausschusses für die Säuberung der Verwaltungen ernannt.9 Im Kreis Schweinitz leitete der Landrat Rudi Richter diesen Ausschuss. Weitere Mitglieder waren hier Josef Schippers (SED), Hermann Letz (LDP), Wilhelm Matschoß (CDU) und Gustav Schulz (SED/FDGB).10 Der neue Entnazifizierungsausschuss zur Säuberung der Wirtschaft setzte sich im Kreis Schweinitz aus dem Vorsitzenden Robert Libor (SED/FDGB), Erhard Michalke (SED), Siegfried Strzeletz (LDP) und Ernst Borchers (CDU) zusammen.11 Eine SED-Mehrheit war damit zumindest im Ausschuss zur Säuberung der Verwaltung ständig gewährleistet. Die neuen Ausschüsse hatten die Aufgabe, alle Personen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich unter die Bestimmungen der KD Nr. 24 fielen, zu überprüfen. Dies betraf auch alle Personen, die bereits in den Jahren zuvor von anderen Entnazifizierungsausschüssen kontrolliert wurden. Dazu wurden allen Betroffenen erneut Fragebogen übermittelt, die nach der Rücksendung von den Ausschüssen bearbeitet wurden.12 In den Verhandlungen der neuen Ausschüsse, in denen erstmals in der SBZ bis zu fünf Be- bzw. Entlastungszeugen gehört werden durften, stuften die Ausschussmitglieder die Betroffenen entweder in die Kategorien „tragbar“ oder „untragbar“ ein.13 Während die Einstufung „untragbar“ im Verwaltungsbereich meist die Entlassung zur Folge hatte, bestand im Wirtschaftsbereich bei diesem Urteil zumindest die Chance auf eine Weiterbeschäftigung in untergeordneten Positionen.14 Grundsätzlich wurde zur Arbeit der neuen Ausschüsse festgelegt: „Die Aufgabe eines jeden Ausschusses ist in erster Linie nicht die Person, sondern die Verwaltung zu entnazifizieren. Dabei ist der Grundsatz, nicht die Person in ihrer Tätigkeit zu beurteilen, sondern die restlose Säuberung der Verwaltung durchzuführen.“15 Die fachlichen Voraussetzungen der Betroffenen sollten so-

 9 Vgl. Protokoll des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats betr. Säuberung der Verwaltungen des Kreises Liebenwerda vom 12.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.). 10 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die Zusammensetzung des Ausschusses zur Säuberung der Verwaltung an die Provinzialregierung vom 30.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 3). 11 Vgl. Tätigkeitsbericht des Schweinitzer Säuberungsausschusses nach Direktive Nr. 24 an den Merseburger Bezirkspräsidenten vom 21.2.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 11). Für den Kreis Liebenwerda lag leider keine vollständige Auflistung der personellen Zusammensetzung des neuen Säuberungsausschusses der Wirtschaft vor. 12 Vgl. Bericht der Schweinitzer Kreisverwaltung über die Arbeit des Säuberungsausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 an die Kreiskommandantur vom 23.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 23). 13 Vgl. Durchführungsbestimmung zu der Direktive 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 vom 7.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 123). 14 Vgl. Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 12.1.1946, § 2e. Entfernung von Nationalsozia­ listen und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 66. 15 Anweisung der Provinzialregierung zur Durchführungsbestimmung zur Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats vom 18.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 1).

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mit bei der Entscheidungsfindung der Ausschüsse in keinem Fall eine Rolle spielen. In den Durchführungsbestimmungen vom 7. Januar 1947 wurde dazu klar festgelegt, dass alle Personen, die unter § 10 der KD Nr. 24 fielen, sofort aus der Verwaltung zu entlassen seien.16 Bei Personen, die unter § 11 und § 12 der KD Nr. 24 fielen, besaßen die Ausschüsse hingegen einen Entscheidungsspielraum.17 Alle Beschlüsse der Ausschüsse in den Landkreisen zur Weiterbeschäftigung bedurften allerdings einer Genehmigung des Ausschusses der Landesregierung, der wiederum der SMA in Halle unterstand.18 Im Kreis Schweinitz schätzte die Kreisverwaltung den Personenkreis, der unter die KD Nr. 24 fiel, am 21. Februar 1947 auf 160 Personen in der Verwaltung (einschließlich der Schulen) und 450 Personen in der Wirtschaft.19 Für den Kreis Liebenwerda lagen leider keine Zahlen für den Verwaltungsbereich vor. Der Säuberungsbedarf in der Wirtschaft wurde allerdings von der Liebenwerdaer Kreisverwaltung am 23. Januar 1947 auf 680 zu bearbeitende Fälle kalkuliert.20 Da die Rücksendung der neuen Fragebogen nur schleppend erfolgte, konstituierten sich die neuen Ausschüsse für die Säuberung der Verwaltung im Kreis Liebenwerda erst am 20. Februar 1947 sowie im Kreis Schweinitz sogar erst am 18. März 1947.21 In den Sitzungen der Ausschüsse wurden daraufhin meist bis zu 10 Fälle pro Sitzungstag bearbeitet.22 Dabei stellte sich für den bereits 1945 umfassend gesäuberten Verwaltungsbereich heraus, dass meist nur

16 Vgl. Durchführungsbestimmung zu der Direktive 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 vom 7.1.1947 (LHASA, MER, Herzberg, Nr. 27, Bl. 123). 17 Vgl. Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 12.1.1946, § 11 und 12. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 78–81; Anweisung der Provinzialregierung zur Durchführungsbestimmung zur Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats vom 18.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 1). 18 Vgl. Durchführungsbestimmung zu der Direktive 24 des Alliierten Kontrollrats vom 12.1.1946 vom 7.1.1947 (LHASA, MER, Herzberg, Nr. 27, Bl. 123). 19 Vgl. Tätigkeitsbericht des Schweinitzer Säuberungsausschusses nach Direktive Nr. 24 an den Merseburger Bezirkspräsidenten vom 21.2.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 11). 20 Liebenwerdaer Kreisverwaltung an die Industrie- und Handelskammer für die Provinz Sachsen-Anhalt über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 23.1.1947 (LHASA, MD, K 34, Nr. 335, Bl. 55). 21 Vgl. Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats, betr. Säuberung der Verwaltungen im Kreise Liebenwerda vom 20.2.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.); Protokoll über die Sitzung des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz vom 18.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 227). 22 Vgl. Protokolle über die Sitzungen des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27). Für den Kreis Liebenwerda waren nur die ersten drei Protokolle des Ausschusses zur Säuberung der Verwaltungen erhalten. Vgl. Protokolle der Sitzungen des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats, betr. Säuberung der Verwaltungen im Kreise Liebenwerda (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.).

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Fachkräfte in speziellen Bereichen der Verwaltung bzw. nur sehr junge Verwaltungsangestellte unter die Bestimmungen der KD Nr. 24 fielen. Allein im Schulwesen waren im Kreis Schweinitz beispielsweise 66 Personen betroffen. Aus dem Schweinitzer Katasteramt fielen wiederum 10 Personen, aus dem Finanzamt 7 Personen, aus der Kreissparkasse 2 Personen und aus den Forstämtern Jessen, Glücksburg, Hohenbucko und Kolochau 24 Personen unter die KD 24.23 Leitende Angestellte in den Verwaltungen waren aufgrund der vergangenen Säuberungen kaum von der KD Nr. 24 betroffen. Im Kreis Liebenwerda wurde lediglich die Leiterin des Jugendamtes sowie der Leiter der Landwirtschaftsabteilung vor den Ausschuss geladen. Diesen wurde eine kurze Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft bzw. im NSKK vorgeworfen. Da beide Vorwürfe unter den § 12 der KD Nr. 24 fielen, entschied sich der Ausschuss einstimmig für eine Weiterbeschäftigung.24 Schwerwiegender im Sinne der KD Nr. 24 war hingegen der Fall des im Kreis Schweinitz beschäftigen Kreistierarztes Dr. Albert Blasse. Bevor Dr. Blasse im Januar 1936 im Kreis Schweinitz zum Kreistierarzt ernannt wurde, trat er im Sommer 1933 in die NSDAP ein. Jedoch bescheinigte ihm der Ausschuss, dass er „mit dem faschistischen Ideengut nichts gemein hatte“. Da er den Hitlergruß verweigerte und wegen Besitzes „antifaschistischer Literatur“ mehrfach angezeigt wurde, stand er ab 1943 unter Aufsicht der Gestapo. Die Ausschussmitglieder hielten ihm ebenso zugute, dass er seit dem Einmarsch der Roten Armee seine Tätigkeit ohne größere Unterbrechung loyal zur neuen KPD- bzw. SED-Verwaltungsspitze weiterführte. So entschied sich der Ausschuss, trotz der Tatsache, dass Dr. Blasse unter § 10 der KD Nr. 24 fiel und damit laut Anordnung des Ministers des Inneren entlassen werden sollte, einstimmig für eine Weiterbeschäftigung des Kreistierarztes.25 Der Fall des Dr. Blasse zeigte sehr deutlich zum einen die undifferenzierte Ausarbeitung der KD Nr. 24 sowie zum anderen den unbedingten Bedarf der Verwaltungen an Fachkräften. Im Gegensatz zur Verordnung zur Säuberung der Verwaltung in der Provinz Sachsen vom 6. September 1945 ging die KD Nr. 24 nicht auf eine eventuelle Weiterbeschäftigung von möglichen NS-Regimekritikern ein, auch wenn diese unter § 10 der KD Nr. 24 fielen.26 Eine Weiterbeschäftigung wurde laut KD Nr. 24 nur erlaubt, wenn der Zonenoberbefehls23 Vgl. Auflistung der nach KD Nr. 24 zu säubernden Verwaltungen und Behörden des Kreises Schweinitz vom 1.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 219). 24 Vgl. Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats, betr. Säuberung der Verwaltungen im Kreise Liebenwerda vom 20.2.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.). Die Leiterin des Jugendamtes wurde laut Protokoll automatisch vom DRK in die NS-Frauenschaft überführt. Der Leiter der Landwirtschaftsabteilung war im Jahr 1933 lediglich zwei Monate Mitglied im NSKK, wurde allerdings als ehemaliges Logenmitglied aufgrund politischer Unzuverlässigkeit wieder aus dem NSKK ausgeschlossen. 25 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz vom 3.6.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 443). 26 Vgl. Verordnung über die Säuberung der Verwaltung vom 6.9.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 39.

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haber dies als wesentlich betrachtete, die betreffende Person kein bedeutendes Mitglied der NSDAP war und den Alliierten nicht feindlich gegenüberstand sowie die Entfernung aus dem Amt sobald wie möglich erfolgte.27 Weitere Ausnahmen sah die KD Nr. 24 nicht vor. Wie sehr die Verwaltungsspitzen auf Fachkräfte angewiesen waren, zeigte sich besonders in den Finanzämtern des Untersuchungsgebiets. Um die Arbeit des Finanzamtes überhaupt aufrechterhalten zu können, waren die Kreisverwaltungen im Laufe des Jahres 1946 gezwungen, mehrere bereits entlassene Mitarbeiter bzw. neue belastete Personen einzustellen. Im Kreis Schweinitz wurden z. B. mit ausdrücklicher Genehmigung des Bezirkspräsidenten im März und Juli 1946 zwei bereits entlassene Mitarbeiter neu beschäftigt.28 Da die Finanzämter unmittelbar in die Kreisverwaltungen eingebunden waren, wurden diese im Zuge der Umsetzung der KD Nr. 24 als eine der ersten Behörden überprüft. Trotz der Bestimmung, nicht die Notwendigkeit der Weiterbeschäftigung der Betroffenen bei der Überprüfung zu beachten, sondern lediglich das Augenmerk auf die Säuberung der Verwaltung zu konzentrieren, fragten die neuen Entnazifizierungsausschüsse in beiden Landkreisen bei den Leitern des Steuer- bzw. Finanzamtes wiederholt nach, ob die Tätigkeit der Betroffenen unverzichtbar sei.29 So setzte sich der Leiter des Finanzamtes im Kreis Schweinitz beispielsweise für die Weiterbeschäftigung aller sieben betroffenen Personen ein.30 Da letztlich alle sieben Betroffenen im Finanzamt des Kreises Schweinitz nur unter § 12 der KD Nr. 24 fielen, entschied der Ausschuss, diese in ihren Ämtern zu belassen.31 Im Kreis Liebenwerda sprach sich der Ausschuss ebenso für die Weiterbeschäftigung von zwei Angestellten des Steueramtes aus. In drei Fällen wollte der Ausschuss allerdings weitere Erkundigungen einholen bzw. dem Regierungsausschuss die letzte Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung überlassen.32

27 Vgl. Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 12.1.1946, § 8. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 68. 28 Vgl. Steueramt des Kreises Schweinitz an den Schweinitzer Landrat über die nach KD Nr. 24 belasteten Personen im Finanzamt vom 22.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 252). 29 Vgl. ebd.; Protokoll der Sitzung des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats, betr. Säuberung der Verwaltungen im Kreise Liebenwerda vom 12.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.). 30 Vgl. Steueramt des Kreises Schweinitz an den Schweinitzer Landrat über die nach KD Nr. 24 belasteten Personen im Finanzamt vom 22.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 252). 31 Vgl. Liste aller „tragbaren“ in den Verwaltungen des Kreises Schweinitz nach der KD Nr. 24 überprüften Personen (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 81, Bl. 301–303). 32 Protokoll der Sitzung des Ausschusses zur Durchführung der Direktive Nr. 24 des Alliierten Kontrollrats, betr. Säuberung der Verwaltungen im Kreise Liebenwerda vom 12.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, unpag.).

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Generell beanstandete die Besatzungsmacht speziell im Bereich der Verwaltung die schleppende Umsetzung der KD Nr. 24. Im Kreis Schweinitz wurde im Protokoll der Sitzung vom 15. April 1947 Folgendes dazu erwähnt: „Zu Beginn führte Landrat Richter aus, dass die bisherige Arbeit des Säuberungsausschusses durch die Kommandantur beanstandet worden wäre. Sie halte den Ausschuss in der Beurteilung der Nazisten für zu human. Die Kommandantur wies darauf hin, dass die Arbeit des Säuberungsausschusses für die Wirtschaft als vorbildlich anzusehen sei, denn dort seien 50 Prozent aller Geschäftsleute für politisch nicht tragbar befunden worden. Er habe demgegenüber ausgeführt, dass die Verwaltung bereits im Juni 1945 gründlichst gesäubert wurde, während in der Wirtschaft bisher in dieser Richtung noch nichts geschehen sei.“33 Da die Besatzungsmacht den Druck auch auf die Landesregierung immer weiter verschärfte, forderte der Minister des Inneren, Robert Siewert (SED), die zuständigen Ausschüsse immer wieder in neuen Rundschreiben zu härterem Durchgreifen auf. Er schrieb z. B. am 22. April 1947: „Trotz meiner wiederholten Bitte, die Tätigkeit der Säuberungsausschüsse sofort aufzunehmen und eine Überprüfung der noch in den Verwaltungen und der Wirtschaft, in Industrie, Handel und Gewerbe, freien Berufen beschäftigten Nazis und Militaristen durchzuführen, ist leider festzustellen, dass meinem Wunsche nicht entsprochen worden ist.“34 Bis zum 6. Mai 1947 wurden im Kreis Schweinitz im Ausschuss für die Verwaltung von insgesamt 174 registrierten Fällen, die unter die KD Nr. 24 fielen, lediglich 55 Fälle bearbeitet. Dass die Kritik von Robert Siewert nicht unberechtigt war, wurde allein daran deutlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt im Kreis Schweinitz nur vier Personen vom Ausschuss als „untragbar“ eingeschätzt wurden.35 Obwohl Robert Siewert am 10. Juni 1947 nochmals auf einer Verschärfung der Entnazifizierung bestand, blieb die Bereitschaft zur umfassenden politischen Säuberung der Verwaltung im Untersuchungsgebiet nur sehr gering.36 Im Kreis Schweinitz wurden schließlich bis zum 19. August 1947 insgesamt 170 Fälle aus den Verwaltungen bearbeitet. Davon stufte der Ausschuss bis zu diesem Zeitpunkt aber nur 15 Personen als „untragbar“ ein.37 In einem Abschlussbericht zur Entnazifizierung vom 22. Juni 1948 und in einer Auflistung der

33 Protokoll über die Sitzung des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz vom 15.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 302). 34 Rundschreiben des Ministers des Inneren der Provinzialregierung Sachsen-Anhalt vom 22.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 83). 35 Meldung des Schweinitzer Kreisrates über die Durchführung der KD Nr. 24 an die Provinzialregierung vom 6.5.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 31). 36 Vgl. Rundschreiben des Ministers des Inneren der Provinzialregierung Sachsen-Anhalt über das Verfahren nach der Direktive Nr. 24 vom 10.6.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 100). 37 Meldung des Schweinitzer Säuberungsausschusses für die Verwaltung über die Durchführung der KD Nr. 24 an den NKWD/MWD vom 19.8.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 95).

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nach KD Nr. 24 für „untragbar“ erklärten Personen wurden später sogar nur 14 „untragbare“ Fälle erwähnt.38 Die bereits 1945 umfassend durchgeführten Säuberungen in der Verwaltung, der Fachkräftemangel, aber auch die allgemeine Säuberungsmüdigkeit in der Bevölkerung waren die Hauptgründe für diese bewusst schleppende Umsetzung der KD Nr. 24. Neben vielen Fachkräften beließ der Schweinitzer Ausschuss aber auch einige Personen im Amt, die lediglich Hilfsarbeitertätigkeiten ausführten.39 Generell war in den Verhandlungen des Ausschusses festzustellen, dass sehr oft Entlastungszeugen präsentiert wurden, die eine „vermeintliche antifaschistische Tätigkeit“ nachwiesen. Aber auch Vorgesetzte, besonders im Forstbereich, stellten sich bewusst vor ihre Mitarbeiter und bescheinigten ihre „Tragbarkeit“.40 Dass im Kreis Schweinitz alle Personen, die unter § 12 der KD Nr. 24 fielen, im Amt belassen wurden, verdeutlichte das geringe Interesse der Verwaltung, eine neue große politische Säuberungswelle durchzuführen.41 Unter den 14 im Kreis Schweinitz als „untragbar“ eingeschätzten Personen befanden sich insgesamt neun Lehrer, zwei Angestellte des Katasteramtes, ein Angestellter beim Kreisrat, der Stadtförster von Jessen und ein Sanitäter aus Herzberg. Nur vier Amtsträger der NSDAP bzw. ihrer Gliederungen befanden sich darunter. Die übrigen fielen unter § 10 der KD Nr. 24 aufgrund ihres ­NSDAP-Eintritts vor 1937. Eine Person wurde wegen des Besuchs einer Nationalpolitischen Lehranstalt (Napola) für „untragbar“ eingeschätzt.42 Alle Personen legten gegen diese Einstufung bei der Landesregierung Einspruch ein. Aufgrund des allgemeinen Lehrermangels wurde schließlich die Entlassung aller neun Lehrer zurückgenommen. Ebenso stellte der Provinzialausschuss fest, dass ehemalige Napola-Schüler unter das kurz zuvor verabschiedete Jugendamnestiegesetz fielen. Des Weiteren wurde der Jessener Stadtförster kurze Zeit später von der neuen nach dem SMAD-Befehl Nr. 201 gebildeten

38 Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.); Liste der vom Säuberungsausschuss für die Verwaltungen für „nicht tragbar“ erklärten Personen (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 60). 39 Vgl. Protokolle über die Sitzungen des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27); Liste aller „tragbaren“ in den Verwaltungen des Kreises Schweinitz nach der KD Nr. 24 überprüften Personen (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 81, Bl. 301–303). 40 Vgl. z. B. Protokoll über die Sitzung des Säuberungsausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz vom 15.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27, Bl. 302– 304). 41 Vgl. Auflistung aller „tragbaren“ Personen in den Verwaltungen des Kreises Schweinitz (August 1947; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 212, Bl. 8–22); Protokolle über die Sitzungen des Säuberungs-ausschusses für die Verwaltungen des Kreises Schweinitz (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 27). 42 Liste der vom Säuberungsausschuss für die Verwaltungen für „nicht tragbar“ erklärten Personen (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 60).

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­ ntnazifizierungskommission entlastet und wieder eingestellt. Insgesamt wurE den also im Kreis Schweinitz aufgrund der KD Nr. 24 nur drei Personen aus den Verwaltungen entlassen.43 Aufgrund dieser Zahlen muss die später von der Landesregierung aufgestellte Zahl von 25 867 „Untragbarkeits-Urteilen“ in den Verwaltungen der gesamten Provinz Sachsen-Anhalt stark angezweifelt werden.44 Aber auch wenn diese Zahl zutreffen sollte, kann man mit Verweis auf den Kreis Schweinitz feststellen, dass die Beurteilung der „Untragbarkeit“ mit den tatsächlichen Entlassungen im Verwaltungsbereich erheblich divergierte. Während im Verwaltungsbereich die Umsetzung der KD Nr. 24 bis August 1947 nahezu keine personellen Auswirkungen im Untersuchungsgebiet hatte, waren diese in der im Vergleich zum Verwaltungsbereich kaum gesäuberten Wirtschaft für die Betroffenen zunächst sehr viel härter zu spüren. Leider fehlte für die Arbeit der neuen Säuberungsausschüsse für die Wirtschaft eine große Zahl an Quellen. Insgesamt ist aber festzustellen, dass im Kreis Schweinitz 297 Fälle vor dem Wirtschaftsausschuss verhandelt wurden. Davon wurden 145 für „tragbar“ und 152 für „untragbar“ eingeschätzt.45 Da in den Jahren 1945 und 1946 in den Ausschüssen zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft in der Provinz Sachsen meist nur Amtsträger der NSDAP und deren Gliederungen aus ihren Wirtschaftsposten entfernt wurden, musste die Umsetzung der KD Nr. 24 zwangsläufig eine Vielzahl an weiteren „Untragbarkeits-Urteilen“ erbringen.46 Im Unterschied zum Verwaltungsbereich drohte damit der Wirtschaft in der gesamten SBZ eine erneute fundamentale Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse. Wie es schien, nutzte die SED in der Folgezeit vereinzelt diese Möglichkeit aus, um weitere Enteignungen zu erwirken bzw. um missliebige Personen von ihren Posten zu entfernen. Der wohl spektakulärste Fall im Untersuchungsgebiet betraf den Liebenwerdaer Kreisrat Willy Rose (CDU). Wie bereits erwähnt, wurde dem Elsterwerdaer Gaswerksdirektor und Inhaber der Maschinenfabrik Hans-Erich Rose GmbH, die Misshandlung ehemaliger beschäftigter Kriegsgefangener vorgeworfen. Rose wurde von diesem Vorwurf bereits am 9. November 1946 vom Ausschuss zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft auch mit den SED-Stimmen einstimmig freigesprochen. Nachdem

43 Vgl. ebd.; Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.). 44 Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 130. Manfred Wille gab sogar 30 070 „Untragbarkeitsurteile“ nach der KD Nr. 24 in der gesamten Provinz Sachsen-Anhalt an. Bei beiden Zahlen handelte es sich wohl um alle „Untragbarkeitsurteile“ sowohl in den Verwaltungen als auch in der Wirtschaft der gesamten Provinz Sachsen-Anhalt. Vgl. Manfred Wille, Die Entnazifizierung in Sachsen-Anhalt. In: Magdeburger Blätter. Jahresschrift für Heimat- und Kulturgeschichte im Bezirk Magdeburg, 1982, S. 24. 45 Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.). 46 Vgl. Verordnung über die politische Säuberung der Wirtschaft vom 13.9.1945. In: Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6.10.1945, Nr. 1, S. 41 f.

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er allerdings auf der CDU-Liste in den Kreistag einzog und zum unbesoldeten Kreisrat gewählt wurde sowie gleichfalls immer noch Inhaber einer der größten noch nicht verstaatlichten Betriebe in Elsterwerda war, versuchte die SED diesen Fall erneut vor dem neu gegründeten Säuberungsausschuss für die Wirtschaft zu verhandeln. Wie die CDU des Kreises Liebenwerda ausführte, wurde bei der neuerlichen Verhandlung des Falls am 30. Juli 1947 kein neues Belastungsmaterial gegen den Fabrikbesitzer vorgebracht. Dennoch stufte der Ausschuss mit der Mehrheit der drei SED-Mitglieder Willy Rose am 4. August 1947 als „untragbar“ ein. Die beiden Vertreter der CDU und LDP protestierten zwar scharf gegen dieses Vorgehen und versuchten, den Ausschuss mit einem Stimmenboykott für abstimmungsunfähig zu erklären, doch waren diese nicht in der Lage, gegen die Mehrheit der SED das Urteil des Ausschusses aufzuschieben bzw. einen erneuten Freispruch von Willy Rose zu erwirken. Nach dem Beschluss des Ausschusses sollte sich Willy Rose beim Arbeitsamt melden und sein gesamter Besitz enteignet werden. Rose und die CDU legten daraufhin Protest gegen die Entscheidung des Kreisausschusses ein. Aufgrund der vom MWD durchgeführten Verhaftung von Willy Rose in der Nacht vom 11. zum 12. August 1947 kam dieser Fall aber nicht mehr vor dem Regierungsausschuss zur Verhandlung.47 Insgesamt trug das Vorgehen gegen den gewählten Kreisrat Willy Rose in der Folgezeit erheblich zu den immer schlechter werdenden Beziehungen zwischen der CDU und der SED im Kreis Liebenwerda bei. Allein am Fall Rose war zu erkennen, dass die SED im Kreis Liebenwerda die Umsetzung der KD Nr. 24 nutzte, um zum einen ihre Machtstellung in der Kreisverwaltung und zum anderen in der Wirtschaft weiter auszubauen. Leider lagen für das Untersuchungsgebiet keine endgültigen Zahlen über die Enteignungen bzw. Entlassungen im Wirtschaftsbereich gemäß der KD Nr. 24 vor. In der gesamten Wirtschaft der Provinz Sachsen-Anhalt stufte der Regierungsausschuss schließlich nur 328 Fälle als „untragbar“ nach der KD Nr. 24 ein.48 Wie bereits zuvor die übergeordneten Ausschüsse zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft in den Jahren 1945 und 1946, verhinderte der übergeordnete Regierungsausschuss somit eine grundlegende Entnazifizierung der Wirtschaft. So hätte die konsequente Anwendung der KD Nr. 24 nahezu zwangsläufig den ohnehin geschwächten Wirtschaftsbereich weiter massiv beeinträchtigt. Daran konnte auch die SED, die ihr Ziel, die Verstaatlichung großer Industrieteile, bereits erreicht hatte, ebenso kein Interesse haben. Es gelang der SED zwar, wie u. a. der Fall Rose zeigte, mit der KD Nr. 24 die nachträgliche Verstaatlichung einiger weniger Industriebetriebe zu erwirken; für die gesamte Wirtschaft und insbesondere für die kleineren Gewerbetreibenden

47 Vgl. zum Fall von Willy Rose: CDU-Ortsverein Elsterwerda an den Vertreter der CDU im Ausschuss der Direktive 24 in Halle zum „Fall Rose“ vom 20.8.1947 (ACDP Sankt Augustin, III-032-003/1, unpag.). 48 Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 378.

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blieb allerdings eine weitere große Enteignungswelle aufgrund der Bestimmungen der KD Nr. 24 zunächst aus. So hatte die Umsetzung der KD Nr. 24 für das Untersuchungsgebiet aufgrund des pragmatischen Handelns vor allem der übergeordneten Ausschüsse und aufgrund einer allgemeinen politischen Säuberungsmüdigkeit weitaus weniger Auswirkungen, als der Wortlaut der KD Nr. 24 zunächst vermuten ließ. 1.2

Der Abschluss der Entnazifizierung nach SMAD-Befehl Nr. 201

Bereits während der Moskauer Außenministerkonferenz (10. März bis 24. April 1947) einigten sich die Vertreter der Siegermächte, die Entnazifizierung auf der Grundlage der KD Nr. 24 und 38 zu beschleunigen und schließlich alsbald abzuschließen.49 Schon zu diesem Zeitpunkt erkannte die sowjetische Besatzungsmacht, dass sich die Durchführung der politischen Säuberung aufgrund der strikten Durchführung der KD Nr. 24, wie sich u. a. im Untersuchungsgebiet zeigte, lokal als kaum praktikabel erwies. Die Säuberungsmüdigkeit in der Bevölkerung blieb der SMAD wohl ebenso wenig wie die durch die strikte Durchführung der KD Nr. 24 verursachte Fachkräfteproblematik verborgen.50 Aus diesem Grund erließ die sowjetische Besatzungsmacht am 16. August 1947 den SMAD-Befehl Nr. 201 „Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 des Kontrollrats“, der erstmals in Deutschland ein Ende der Entnazifizierung ankündigte.51 Wie sehr die Bevölkerung in der SBZ ein Ende der politischen Säuberungen herbeisehnte, zeigte sich in mehreren internen Stimmungsberichten der SED. Die Abteilung Werbung und Schulung der Schweinitzer SED-Kreisleitung schrieb z. B. am 22. August 1947 an den Landesvorstand der SED: „Die Stimmung in der Bevölkerung, insbesondere bei den ehemaligen Nominellen, ist seit dem Erlass des Marschalls Sokolowski (Befehl 201) als gut zu bezeichnen.“52 Im Befehl Nr. 201 wurde einleitend angeordnet, grundsätzlich „zwischen ehemaligen aktiven Faschisten, Militaristen und Personen, die wirklich an Kriegsverbrechen und Verbrechen anderer Art“ beteiligt waren und „den nominellen nicht aktiven Faschisten, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen […]“ zu unterscheiden.53 Den ehemaligen „nominellen NSDAP-Mit-

49 Vgl. Helga A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungspolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1948), München 1989, S. 75. 50 Vgl. Meinicke, Die Entnazifizierung, S. 977. 51 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 201 „Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 des Kontrollrats“ vom 16.8.1947. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 147–149. 52 Bericht der Abteilung Werbung und Schulung der Schweinitzer SED-Kreisleitung an den Landesvorstand der SED vom 22.8.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 53 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 201 „Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 des Kontrollrats“ vom 16.8.1947. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 147.

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gliedern“ wurde im ersten Punkt des Befehls das volle passive und aktive Wahlrecht zugesprochen. Gleichfalls sollten alle „Verordnungen, Bestimmungen und Instruktionen über die Beschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte“ der ehemaligen „nominellen NSDAP-Mitglieder“ aufgehoben werden.54 Im zweiten Punkt des Befehls Nr. 201 wurden die deutschen Verwaltungen angewiesen, die Entnazifizierung gemäß den Direktiven Nr. 24 und 38 zu beschleunigen.55 Die KD Nr. 24 blieb somit als gesetzliche Grundlage der Entnazifizierung in Kraft. In der zweiten Ausführungsbestimmung zum SMAD-Befehl Nr. 201 wurde allerdings festgelegt, dass „in allen Fällen die Erzielung einer gerechten Entscheidung aufgrund sorgfältiger Prüfung“ der neue Grundsatz bei der Entnazifizierung sein sollte.56 Den Entnazifizierungskommissionen wurde damit ein weitaus größerer Spielraum als zuvor eingeräumt. Neben der KD Nr. 24 erhielt mit dem SMAD-Befehl Nr. 201 die KD Nr. 38 vom 12. Oktober 1946, nach der die Deutschen in fünf Kategorien (Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete) eingestuft wurden, erstmals in der SBZ eine breite Gültigkeit.57 Da mit dem SMAD-Befehl Nr. 201 die Verantwortung zur Bestrafung der Nazi- und Kriegsverbrecher zu großen Teilen der deutschen Justiz übergeben wurde, sollten alle Personen, die gemäß der KD Nr. 38 als „Hauptschuldige“ und „Belastete“ eingestuft wurden, zur Aburteilung an deutsche Gerichte überführt werden. Falls außerdem Unterlagen vorhanden waren, die die persönliche Schuld von sogenannten Minderbelasteten erwiesen, waren die Entnazifizierungskommissionen dazu verpflichtet, auch diese den deutschen Justizorganen zu überstellen. War dies jedoch nicht der Fall, so sollte den deutschen „Minderbelasteten“ genauso wie den „Mitläufern“ und „Entlasteten“ alle politischen Rechte gemäß dem SMAD-Befehl Nr. 201 gewährt werden.58 Für diese abschließende Überprüfung wurden die bisher existierenden Säuberungsausschüsse aufgelöst und neue Entnazifizierungskommissionen gegründet. Die neuen Kommissionen wurden erneut in den Landkreisen vom Landrat geleitet. Daneben setzten sich diese aus je einem stimmberechtigten Vertreter

54 Ebd., S. 148. 55 Vgl. ebd. 56 Ausführungsbestimmung Nr. 2 zum Befehl Nr. 201 vom 16.8.1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 24 des Kontrollrats) vom 19.8.1947, § 8. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 151. 57 Vgl. Damian van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern. Herrschaft und Verwaltung 1945–1948, München 1999, S. 201. Vgl. zur KD Nr. 38: Direktive Nr. 38 des Kontrollrats „Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen“ vom 12.10.1946. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 97–108. 58 Die Anwendung der KD Nr. 38 wurde in der Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum Befehl Nr. 201 geregelt. Vgl. Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum Befehl Nr. 201 vom 16.8.1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 38 des Kontrollrats) vom 21.8.1947. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 153–158.

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der SED, LDP, CDU, des FDGB, Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zusammen. Außerdem nahm je ein Vertreter der VdgB und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) beratend an den Sitzungen der neuen Entnazifizierungskommission teil. Wie die personelle Zusammensetzung der neuen Entnazifizierungskommission im Kreis Liebenwerda gemäß dieser Aufschlüsselung aussah, konnte aufgrund der nicht erhaltenen Sitzungsprotokolle nicht geklärt werden. Im Kreis Schweinitz nahmen an der ersten Sitzung der neuen Kommission am 24. Oktober 1947 der stellvertretende Landrat Franz Mierzowski (CDU), Josef Schippers (SED), Karl Stephan (CDU), Dr. Werner Berge (LDP), Gustav Schulz (SED/FDGB), Anna Jäckel (SED/DFD), Werner Ehrich (SED/FDJ) und Alfred Zukunft (parteilos/VdgB) teil.59 Als Vertreter der VVN kam später im Kreis Schweinitz außerdem Franz List (SED) hinzu.60 Durch die Beteiligung der gesellschaftlichen Organisationen sicherte sich die SED in den neuen Entnazifizierungskommissionen eine deutlich größere Mehrheit als in allen anderen seit 1945 gebildeten Säuberungsausschüssen im Untersuchungsgebiet. Gegen die neuen Mehrheitsverhältnisse in den Kommissionen legten die beiden Landesverbände der CDU und LDP jedoch Protest ein, sodass der Innenminister Siewert den Parteien zusagte, dass alle gültigen Beschlüsse in den Kommissionen einstimmig gefasst werden mussten. Unter anderem durch diese anfängliche Protesthaltung der bürgerlichen Parteien verzögerte sich der Beginn der Arbeit der neuen Entnazifizierungskommissionen.61 Ein weiteres Problem war seit Beginn dieser neuen Entnazifizierungsphase die Beteiligung der Bevölkerung. Ganz im Gegensatz zur Hoffnung der SED, diese letzte Phase der Entnazifizierung, u. a. mit öffentlichen Sitzungen der Kommissionen, zu einer letzten breiten öffentlichen Abrechnung mit dem Nationalsozialismus zu nutzen, hielt sich das Interesse der Bevölkerung an der neuen Säuberungswelle erneut sehr zurück. Angesichts der großen Probleme bei der Bewältigung des Alltags sah ein Großteil der Bevölkerung die Entnazifizierung zweifellos nicht mehr als Hauptproblem an. Über zwei Jahre nach dem Kriegsende verschwamm zudem bei vielen die Erinnerung an das vor allem am Ende für die deutsche Bevölkerung stärker denn je sichtbar gewordene Unrechtssystem des Nationalsozialismus. Die

59 Vgl. Protokoll der Sitzung der Entnazifizierungskommission des Kreises Schweinitz vom 24.10.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 179). 60 Vgl. Meldung von Franz List als Vertreter der VVN in der Entnazifizierungskommis­sion des Kreises Schweinitz an die Landesregierung Sachsen-Anhalt (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 43). Auf Anordnung der Landesregierung wurden erst am 29.10.1947 Vertreter der VVN mit beratender Stimme in den Entnazifizierungskommissionen zugelassen. Vgl. Landesregierung Sachsen-Anhalt über die Zusammensetzung der Entnazifizierungskommissionen an die Kreisräte und Räte der kreisfreien Städte vom 29.10.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 40). 61 Vgl. Sperk, Entnazifizierung und Personalpolitik, S. 132, 136.

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ohnehin vorhandenen Sympathien für die einfachen NSDAP-Mitglieder, die sich keiner Verbrechen schuldig machten, wurden obendrein durch die Ablehnung der Politik der SED in weiten Teilen der Bevölkerung verstärkt. Da die SED die Entnazifizierung besonders in den Jahren 1945/46 für viele offensichtlich zum eigenen Machtgewinn ausnutzte, trug sie indirekt damit zur ablehnenden Haltung der Entnazifizierung in der SBZ bei. Nach der großen Verhaftungswelle des NKWD kurz nach Kriegsende sowie nach den bereits durchgeführten Säuberungswellen sahen wohl außerdem große Teile der Bevölkerung den Entnazifizierungsprozess als längst abgeschlossen an. So waren die führenden Funktionäre der NSDAP entweder im Jahr 1945 aus dem Untersuchungsgebiet geflüchtet oder kurz nach Kriegsende vom NKWD verhaftet, die Verwaltungen bis auf wenige Fachkräfte gesäubert und die größten Industrieunternehmen zum großen Teil verstaatlicht worden. Nach den bereits seit 1945 eingeleiteten Säuberungsmaßnahmen konnten also mit der nach dem 16. August 1947 eingeleiteten neuen Entnazifizierungswelle größtenteils nur noch wenige höhere im Untersuchungsgebiet beheimatete ehemalige NS-Funktionäre bestraft werden. Insgesamt registrierten die Entnazifizierungskommissionen im Laufe der Umsetzung des Befehls Nr. 201 im Kreis Liebenwerda 376 Fälle sowie im Kreis Schweinitz 291 Fälle.62 Wie bereits zuvor im Säuberungsausschuss zur Umsetzung der KD Nr. 24 kamen davon nur die wenigsten Fälle aus den öffentlichen Verwaltungen. Beispielsweise wurden im Kreis Schweinitz nur 13 Fälle aus den öffentlichen Verwaltungen bearbeitet.63 Davon wurde wiederum nur ein Angestellter aus Jessen für „untragbar“ erklärt und mit Zwangsmaßnahmen belegt. Ihm wurde vorgeworfen, als Unterscharführer seit 1933 SS-Mitglied gewesen zu sein.64 Aufgrund dieser Anschuldigung wurde ihm von der Entnazifizierungskommission das aktive sowie passive Wahlrecht entzogen. Gleichfalls wurde ihm verboten, in öffentlichen oder privaten Betrieben „kontrollierende, leitende oder andere organisatorische Tätigkeiten“ auszuüben.65 Für die seit 1945 bereits gründlich gesäuberten Verwaltungen hatte somit der SMAD-Befehl Nr. 201 im Untersuchungsgebiet kaum Auswirkungen. Ganz anders sah dies hingegen im Wirtschaftsbereich aus. Allein aus dem Bank- und Handelsgewerbe kamen im Kreis Schweinitz 114 registrierte Fälle. 62 Amtliche Bekanntmachungen für den Landkreis Liebenwerda vom 16.3.1948, S. 33; Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.). Die Zahlen für den Kreis Liebenwerda konnten leider nur aus der lokalen Presse entnommen werden. 63 Liste der von der Entnazifizierungskommission für den Landkreis Schweinitz überprüften Personen und die Entscheidungen der Kommission (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 65–68). 64 Vgl. Liste der Personen, über die von der Entnazifizierungskommission des Landkreises Schweinitz Zwangsmaßnahmen verhängt wurden (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 59). 65 Auflistung der von der Entnazifizierungskommission im Kreis Schweinitz nach SMAD-Befehl Nr. 201 verhängten Zwangsmaßnahmen vom 24.8.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 79 f.).

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Des Weiteren wurden im Kreis Schweinitz 85 Fälle im Transportwesen, vor allem bei der Reichsbahn, registriert. Aus der Landwirtschaft bearbeitete die Entnazifizierungskommission im Kreis Schweinitz 18 Fälle. Aus der Industrie wurde dagegen nur ein Fall im Kreis Schweinitz verhandelt.66 Diese Zahlen verdeutlichten die immer noch starke Belastung der Wirtschaft mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Ausschlaggebend dafür war zum einen die bisher nachsichtig durchgeführte politische Säuberung im Wirtschaftsbereich des Kreises Schweinitz, zum anderen aber auch der Wechsel vieler aus den öffentlichen Verwaltungen entlassener Angestellter in die freie Wirtschaft. Bemerkenswert war zudem, dass viele der jetzt neu verhandelten Fälle im Wirtschaftsbereich bereits vor dem Ausschuss zur politischen Säuberung und Kontrolle der Wirtschaft im Jahr 1946 verhandelt und dabei oftmals für „tragbar“ erklärt wurden.67 Im Kreis Schweinitz blieb die Entnazifizierungskommission in nahezu allen Fällen bei diesen bereits zuvor getroffenen Urteilen. So wurden im Bank- und Handelsgewerbe lediglich sechs Personen mit Zwangsmaßnahmen belegt.68 Im Bereich der Landwirtschaft verhängte die Schweinitzer Entnazifizierungskommission ebenso nur gegen drei Personen Zwangsmaßnahmen.69 Ganz besonders im Kreis Schweinitz fiel erneut die nachsichtige Umsetzung der Entnazifizierung auf. So wurden in diesem Kreis von insgesamt 291 bearbeiteten Fällen nur 20 Personen von der Kommission mit Zwangsmaßnahmen belegt. Dies entsprach einer Verurteilungsquote von nur 6,9 Prozent. Davon sprach die Schweinitzer Entnazifizierungskommission wiederum nur zwei direkte Entlassungen aus. Nochmals acht Fälle wurden von der Kommission im Kreis Schweinitz direkt ohne Verhandlung den polizeilichen Untersuchungsbehörden übergeben.70 Ganz anders sah dies hingegen im Kreis Liebenwerda aus. Hier verhängte die Entnazifizierungskommission bis zum März 1948 unter der Dominanz der

66 Vgl. Statistischer Bericht über die Ergebnisse der Arbeit der Entnazifizierungskommis­ sion betreffs Durchführung des Befehls Nr. 201 der Durchführungsbestimmung Nr. 2 im Kreis Schweinitz für den März 1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 55). Neben den bereits erwähnten Fällen wurden neun weitere Fälle aus dem Gesundheitswesen, neun Fälle aus dem Bildungswesen, ein Fall aus dem Verlags- und Pressewesen sowie 41 Fälle aus anderen nicht näher beschriebenen Bereichen bearbeitet. 67 Vgl. Liste der von der Entnazifizierungskommission für den Landkreis Schweinitz überprüften Personen und die Entscheidungen der Kommission (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 65–68); Protokolle des politischen Säuberungs- und Kontrollausschusses der Wirtschaft bei der IHK Halle 1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 202). 68 Vgl. Liste der von der Entnazifizierungskommission für den Landkreis Schweinitz überprüften Personen und die Entscheidungen der Kommission (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 65–68). 69 Vgl. Liste der von der Entnazifizierungskommission für den Landkreis Schweinitz überprüften Personen und die Entscheidungen der Kommission (Mitte 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 65–68). 70 Vgl. Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.).

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SED-Mitglieder 166 einschränkende Maßnahmen.71 Damit wurden mit 44,1 Prozent weitaus mehr registrierte Fälle als im Kreis Schweinitz mit Zwangsmaßnahmen belegt. Leider existiert für den Kreis Liebenwerda keine Gesamtstatistik der vor der Kommission verhandelten Fälle. Allerdings wurde über einige Verhandlungen offen in der Presse berichtet. So nutzten besonders die ehemaligen Mitglieder der KPD die mit dem Befehl Nr. 201 gewonnene Möglichkeit, vermeintliche Nazis der deutschen Gerichtsbarkeit zu übergeben. Bereits in der zweiten Sitzung der Entnazifizierungskommission im Kreis Liebenwerda wurde z. B. der Fall von Otto Ruprecht aus Elsterwerda verhandelt. Ruprecht war vor 1945 Polizeioberwachtmeister und an der Zerschlagung der illegalen Elsterwerdaer KPD im Jahr 1935 beteiligt. Er führte die verhafteten Kommunisten der Gestapo zu, die diese bereit unmittelbar nach der Verhaftung im Elsterwerdaer Rathaus unter Gewaltanwendung verhörte. Mehrere Aussagen u. a. vom Leiter des Liebenwerdaer Volksbildungsamtes Herbert Kießling (SED) bestätigten in dieser Sitzung, dass er dabei die Gestapo-Beamten immer wieder zu weiteren Misshandlungen angetrieben haben soll. Nach der Anhörung der Zeugen wurde der Fall an die Polizei übergeben. In der darauffolgenden Gerichtsverhandlung konnte ihm aber keine direkte Beteiligung an den Misshandlungen nachgewiesen werden. Dennoch verurteilte ihn das Landesgericht im Januar 1948 zu zwei Jahren Lagerhaft, Ableistung von Aufbauarbeit und Vermögensentzug.72 Die Liebenwerdaer Entnazifizierungskommission interpretierte im Gegensatz zur Kommission im Kreis Schweinitz die Entnazifizierungskriterien besonders im Bereich der Wirtschaft sehr viel schärfer. Beispielsweise wurde der bereits nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 enteigneten Mückenberger Ziegeleibesitzer Emil Werner, der einer der wenigen ehemaligen Besitzer eines enteigneten mittelständischen Betriebes war, der nicht nach der Enteignung aus dem Landkreis flüchtete, nochmals mit Zwangsmaßnahmen belegt. Werner, der seit 1933 NSDAP-Mitglied war, wurde die Führung eines eigenen Geschäfts, die leitende Tätigkeit im privaten oder öffentlich Bereich und das aktive und passive Wahlrecht abgesprochen.73 Insbesondere in den großen verstaatlichten Industrieunternehmen war laut Berichten in der „Freiheit“ eine Forcierung der Entnazifizierung mit dem Befehl Nr. 201 im Kreis Liebenwerda festzustellen. Es wurde über mehrere Zwangsmaßnahmen gegen Abteilungsleiter und Ingenieure in den drei großen Industriebetrieben im Mückenberger Ländchen berichtet.74 Die Entnazifizierungskommission entfernte z. B. den Abteilungsleiter Max Brachmanski bei der verstaatlichten Bubiag von seinem Posten. Ihm wurden die Zugehörigkeit zum

71 72 73 74

Vgl. Amtliche Bekanntmachungen für den Landkreis Liebenwerda vom 16.3.1948, S. 33. Vgl. Freiheit vom 14.11.1947, Nr. 264; Freiheit vom 7.1.1948, Nr. 5. Vgl. Freiheit vom 5.1.1948, Nr. 3. Vgl. Freiheit vom 11.2.1948, Nr. 35; Freiheit vom 24.2.1948, Nr. 46; Freiheit vom 10.3.1948, Nr. 59.

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Stahlhelm und die spätere Mitgliedschaft in der SA und NSDAP vorgeworfen.75 Dass die Entnazifizierungskommission ihre Arbeit besonders auf das Mückenberger Ländchen konzentrierte, belegt zudem die These, dass die Entnazifizierung in den Gebieten, in denen die SED besonders gut organisiert war, am effektivsten durchgeführt wurde. Die SMAD setzte schließlich am 26. Februar 1948 mit dem SMAD-Befehl Nr. 35 den 10. März 1948 als endgültigen Termin zur Beendigung der Tätigkeit der Entnazifizierungskommissionen fest. Auch die Prüfung der Beschwerden vor den Länderkommissionen sollte nur noch bis zum 10. April 1948 fortgesetzt werden. Alle bis dahin nicht bearbeiteten Fälle, gegen welche keine besonderen Verdachtsmomente vorlagen, waren ab diesem Zeitpunkt einzustellen sowie die Kommissionen in den Kreisen aufzulösen.76 Trotz der Bemühungen der Liebenwerdaer Entnazifizierungskommission, die politische Säuberung bis März 1948 zu Ende zu bringen, konnten letztlich 117 nicht registrierte Fälle aufgrund der knapp bemessenen Arbeitszeit der Kommission nicht mehr bearbeitet werden.77 Eine umfassende Entnazifizierung war also mit dem offiziellen Ende der politischen Säuberungen auch nach der Auffassung der Liebenwerdaer Entnazifizierungskommission immer noch nicht erreicht. Dennoch stellte der SMAD-Befehl Nr. 201 besonders für den Wirtschaftsbereich im Kreis Liebenwerda nochmals eine wesentliche Verschärfung der Entnazifizierungspolitik dar. Im gesamten Land Sachsen-Anhalt wurden bis zum 10. März 1948 insgesamt 21 735 Fälle verhandelt. Davon wurde gegen 7 725 Personen (35,5 Prozent) Zwangsmaßnahmen verhängt. Die nachsichtige Durchführung des SMAD-Befehls im Kreis Schweinitz bzw. die rigorose Umsetzung im Kreis Liebenwerda wurde im Vergleich zu dieser Bilanz nochmals sehr deutlich. Bei der Landesentnazifizierungskommission gingen insgesamt 2 051 Einsprüche ein, wovon 1 745 Fälle bestätigt wurden. In 183 bzw. 123 Fällen hob diese das Urteil der ersten Instanz auf bzw. verschärfte diese die Zwangsmaßnahmen.78 Eine die Entnazifizierung entschärfende Tätigkeit der Landeskommission konnte somit in diesem Fall nicht festgestellt werden. Dafür war vermutlich vor allem der Druck der Besatzungsmacht, die Säuberung insbesondere in der Wirtschaft endgültig abzuschließen, ausschlaggebend. Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Durchführung des Befehls Nr. 201 im Großen und Ganzen lediglich den Wirtschaftsbereich einbezog, während die bereits 1945 umfassend gesäuberte Verwaltung davon kaum betroffen wurde.

75 Vgl. Freiheit vom 10.3.1948, Nr. 59. 76 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 35 über die Auflösung der Entnazifizierungs-Kommissionen vom 26.2.1948. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 257 f. 77 Vgl. Amtliche Bekanntmachungen für den Landkreis Liebenwerda vom 16.3.1948, S. 33. 78 Freiheit vom 20.4.1948, Nr. 91. Manfred Wille ging von geringfügig anderen Zahlen aus. Im Gegensatz zu den oben genannten Zahlen erfasste er 2 080 Einsprüche bei der Landeskommission Sachsen-Anhalt. Die restlichen Zahlen stimmten jedoch überein. Vgl. Wille, Die Entnazifizierung in Sachsen-Anhalt, S. 24.

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Eine wesentliche Folge des Befehls Nr. 201 war aber, dass sich für die nominellen NSDAP-Mitglieder nun die Möglichkeit ergab, ohne Einschränkungen in die Verwaltungen zurückzukehren. Eine „Renazifizierung“ der Verwaltungen war somit nach dem Befehl Nr. 201 zumindest theoretisch möglich. So stieg die Zahl der in den Verwaltungen (Kreis-, Städte- und Gemeindeverwaltungen) beschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitglieder im Kreis Liebenwerda bis zum 8. März 1949 auf 80 Personen an. Dies entsprach einer Quote von 10,2 Prozent.79 Allein in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung arbeiteten von 265 Gesamtbeschäftigten am 12. November 1948 wieder 21 ehemalige NSDAP-Mitglieder.80 Der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder war somit mit 7,9 Prozent in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung etwas geringer. Von diesen 21 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern waren allerdings lediglich fünf bereits vor Kriegsende in öffentlichen Verwaltungen beschäftigt.81 Ein Großteil der zu diesem Zeitpunkt beschäftigten ehemaligen NSDAP-Mitglieder wurde also erst nach 1945 erstmals in der Verwaltung angestellt. Eine Neueinstellung von entlassenen ehemaligen Mitarbeitern war damit in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung nicht zu verzeichnen. In den Verwaltungen des Kreises Schweinitz ergaben sich ähnliche Zahlen. In der Schweinitzer Kreisverwaltung stieg die Quote der ehemaligen NSDAP-­ Mitglieder bis zum 6. Dezember 1948 auf 13,2 Prozent. In den Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen betrug der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder bis zu diesem Zeitpunkt aber nur 6,3 Prozent.82 Insgesamt war festzustellen, dass der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in den Verwaltungen seit dem Erlass des SMAD-Befehls Nr. 201 wieder leicht anstieg. Da jedoch nahezu keine ehemaligen entlassenen Beschäftigten wiedereingestellt wurden, konnte man nicht von einer „Renazifizierung“ der Verwaltungen sprechen. Diese Schlussfolgerung wurde zudem dadurch untermauert, dass ehemalige NSDAP-­ Mitglieder auch nach dem Erlass des Befehls Nr. 201 nahezu keine führenden Positionen in den Verwaltungen des Untersuchungsgebiets bekleideten. Während in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung keine einzige Führungskraft vor Kriegsende der NSDAP angehörte, arbeiteten in der Schweinitzer Kreisverwaltung lediglich drei ehemalige NSDAP-Mitglieder in leitenden Stellungen.83

79 Vgl. Sondererhebung der Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Verwaltungspersonal im Kreis Liebenwerda vom 8.3.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 313). 80 Vgl. Meldung der Liebenwerdaer Kreisverwaltung an die Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Personal in der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 12.11.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 264). 81 Vgl. ebd., Bl. 268. 82 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die Parteizugehörigkeit der kommunalen Angestellten an die Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 6.12.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 13). 83 Vgl. Sondererhebung der Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Verwaltungspersonal im Kreis Liebenwerda vom 8.3.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 313); Abschlussbericht zur Durchführung der Entnazifizierung im Kreis Schweinitz vom 22.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 362, Bl. 70 f.).

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Festigung der Macht der SED

Bemerkenswert war allerdings, dass in den Verwaltungen beider Landkreise zur Jahreswende 1948/49 bedeutend mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder als CDU- bzw. LDP-Mitglieder beschäftigt waren.84 Dies war aber weniger auf den Umstand zurückzuführen, dass die Einstellung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern forciert worden wäre, sondern vielmehr auf die bewusste Benachteiligung der bürgerlichen Parteien.

2.

Die Stalinisierung der SED

2.1

Die Listenaufstellung während der Kommunalwahlen 1946

Die erste Bewährungsprobe für die Einheit der Partei kam mit der Ankündigung der Kommunalwahlen und der damit verbundenen Listenaufstellung für die neu zu wählenden Parlamente. Für die Gemeindewahl am 8. September 1946 war die Listenaufstellung grundsätzlich in den Orts- bzw. Betriebsgruppen der SED vorzunehmen. Dabei sollte laut Anweisung der Parteiführung auf eine paritätische Besetzung der Listen geachtet werden. Die übergeordnete Kontrolle war bei der Aufstellung der Kandidatenlisten dadurch gewährleistet, dass diese dem Kreissekretariat zur Prüfung vorgelegt werden mussten.85 Gleichfalls nutzte die Parteiführung in Berlin die Wahlkampagne und insbesondere die Listenaufstellung dazu, flächendeckend Instrukteure in die Kreis- bzw. Ortsverbände zu entsenden, die zur Vereinheitlichung der Parteiarbeit beitragen sollten. Laut Anordnung der Provinzialleitung vom 2. Juli 1946 sollte von den Bezirksverbänden jeweils ein Instrukteur in den Kreisverbänden eingesetzt werden. Dieser hatte die Aufgabe, die Kreisverbände in Arbeitsgebiete aufzuteilen, denen wiederum vom Kreisvorstand Instrukteure zugeteilt wurden. 86 Ob die Kreissekretariate bzw. die eingesetzten Instrukteure einzelne von SED-Ortsgruppen eingereichte Listen im Untersuchungsgebiet zurückwiesen, war nicht zu ermitteln. Ein Blick auf die beiden in den Kreisstädten Bad Liebenwerda und Herzberg aufgestellten SED-Listen ließ allerdings weder Benachteiligung für die ehemaligen SPD-Mitglieder noch für die Mitglieder der KPD erkennen. In Bad Liebenwerda kandidierte z. B. an erster Stelle der Kommunist

84 Der Anteil der Mitglieder der CDU und LDP in allen öffentlichen Verwaltungen des Kreises Liebenwerda betrug am 8.3.1948 nur 5,7 %. Im Kreis Schweinitz betrug dieser Wert am 6.12.1948 lediglich 6,7 %. Vgl. Sondererhebung der Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Verwaltungspersonal im Kreis Liebenwerda vom 8.3.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 313); Schweinitzer Kreisverwaltung über die Parteizugehörigkeit der kommunalen Angestellten an die Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 6.12.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 13). 85 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 249 f. 86 Vgl. ebd., S. 247–249.

Stalinisierung

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und spätere Bürgermeister Alfred Schubert, ihm folgten auf der Liste mit dem Betriebsratsvorsitzenden der Firma Reiss, Otto Ostwald, dem stellvertretenden Bürgermeister, Otto Philipp, und dem ehemaligen Vorsitzenden der Bad Liebenwerdaer SPD, Gottwald Fleischer, drei ehemalige einflussreiche Sozial­ demokraten. Die Parteizugehörigkeit der drei folgenden Kandidaten, Alois Nachbar, Dr. Annemarie Hempel und Otto Nowotny jun., war nicht festzustellen. Erst ab Listenplatz acht folgten mit dem Kreisvorsitzenden der SED, Paul Mittig, dem Landrat Paul Paulick und dem Vorsitzenden des FDGB im Kreis Liebenwerda, Edgar Neuhäußer, drei einflussreiche Kommunisten auf der Bad Liebenwerdaer Kandidatenliste. Die Siegesgewissheit der SED, die in Bad Liebenwerda eine großzügige Verteilung der Listenplätze zuließ, war an dieser Listenverteilung sehr deutlich zu erkennen. Nach der Wahl in Bad Liebenwerda musste die SED allerdings feststellen, dass lediglich acht SED-Kandidaten in Bad Liebenwerda der Einzug in die Stadtverordnung gelang.87 In Herzberg sah diese Entwicklung ähnlich aus. Hier kandidierten an der Spitze der Liste die beiden ehemaligen Sozialdemokraten Josef Schippers und Walter Eulitz. An die dritte Position der Herzberger Kandidatenliste wurde die Hausfrau Helene Krüger gesetzt. Erst danach folgten mit dem Abteilungsleiter in der Kreisverwaltung, Wilhelm Hanigk, und dem Vorsitzenden des FDGB im Kreis Schweinitz, Robert Libor, zwei ehemalige KPD-Mitglieder. An sechster und siebenter Stelle kandidierten der Landwirt Richard Böhme und der stellvertretende Landrat Hans Bleek, die beide vor der Vereinigung zur SED der SPD angehörten. Die Parteizugehörigkeit des auf den achten Listenplatz kandidierenden Heizers Otto Prinz war nicht festzustellen. Der folgende neunte Platz wurde aber wiederum vom ehemaligen Sozialdemokraten und neuem Schulrat des Kreises Schweinitz Georg Hennig eingenommen.88 Die Parität zwischen den ehemaligen Mitgliedern der KPD und SPD blieb also zumindest in beiden Kreisstädten auf den Kandidatenlisten weitestgehend gewahrt. Die Partei war offensichtlich bemüht vor allem einheimische, einflussreiche Kandidaten auf die vier vorderen Listenplätze zu setzen, da diese später auf dem Wahlzettel abgebildet waren. Die Aufstellung von Paul Paulick, von Paul Mittig sowie von Robert Libor (die zu den einflussreichsten ehemaligen KPD-Mitgliedern im Untersuchungsgebiet zählten) auf hinteren Listenplätzen wäre sonst kaum zu erklären gewesen. Diese wahltaktische Rücksichtnahme fiel aber bei der Aufstellung der Listen zur Kreistagswahl zumindest bei den aus dem Kreisgebiet stammenden Kandidaten weg. Auch als Reaktion auf das schlechte Abschneiden bei der Gemeindewahl sicherten sich die ehemaligen KPD-Mitglieder auf der Liste zur Wahl des

87 Vgl. Freiheit vom 7.9.1946, Nr. 118; Niederschrift über die 1. Sitzung der Stadtverordneten in Bad Liebenwerda vom 30.9.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 47, unpag.). 88 Vgl. Bekanntmachung über die Zulassung der Wahlvorschläge für die Stadtverordnung Herzberg vom 2.9.1946 (StA Herzberg, Nr. 204, unpag.).

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Kreistages im Kreis Liebenwerda die ersten drei vorderen Plätze. Der Kreisvorsitzende Paul Mittig kandidierte an erster Stelle, gefolgt vom Betriebsratsvorsitzenden der Bubiag, Arthur Tetzel, und dem Landrat Paul Paulick. An vierter Stelle durfte die angesehene parteilose Hirschfelder Ärztin Josefine Goßmann kandidieren. Wie auch von der Parteiführung vorgesehen, sollte mit der Aufnahme von Parteilosen auf die SED-Listen der Anschein der Überparteilichkeit geweckt werden.89 Jedoch blieb Josefine Goßmann neben einem im Kreis Schweinitz auf einem hinteren Listenplatz aufgestellten Kandidaten die einzige parteilose Kandidatin auf den SED-Kreistagswahllisten.90 Um eine verlässliche Arbeit in der Kreistagsfraktionen zu ermöglichen, aber auch um die Interessen der eigenen Mitglieder bei der Kandidatenauswahl zu erfüllen, war die Partei, wie im übrigen auch die CDU und die LDP, kaum gewillt, unabhängige parteilose Kandidaten aufzustellen.91 Erst auf dem fünften und sechsten Platz auf der Liebenwerdaer SED-Kreistagswahlliste folgten schließlich die beiden ehemaligen Kreisvorsitzenden der SPD, Otto Philipp aus Bad Liebenwerda und Otto Dietrich aus Grünewalde. Unter den ersten 20 Kreistagskandidaten der Liebenwerdaer SED-Liste befanden sich schließlich 14 ehemalige KPD- und nur 5 ehemalige SPD-Mitglieder. Zwar gehörten unter den ehemaligen KPD-Mitgliedern auf der SED-Liste mit dem Elsterwerdaer Bürgermeister Karl Böhme und der Hausfrau Elsa Kothe zwei Kandidaten vor 1933 der SPD an, doch änderte auch dies nichts an der Dominanz der ehemaligen KPD-Mitglieder innerhalb der Liebenwerdaer SED-Kreistagsfraktion.92 Abgesehen von Otto Dietrich aus Grünewalde kandidierte kein einziger einflussreicher Sozialdemokrat aus dem Mückenberger Ländchen für den Liebenwerdaer Kreistag. Auch der zweite Kreisvorsitzende der SED, Otto Dietrich aus Falkenberg, war nicht auf der Kandidatenliste zu finden. Er wurde

89 Vgl. Bekanntmachung des Liebenwerdaer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 48–56); Aufstellung der Kreistagskandidaten der SED mit ehemaliger Parteizugehörigkeit (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 85). 90 Vgl. ebd.; Bekanntmachung des Schweinitzer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 2–4); Schweinitzer Kreisverwaltung über die gewählten Kreistagsabgeordneten an die Bezirksverwaltung vom 21.11.1946 (LHASA, MER, K 13, Herz­ berg, Nr. 48, Bl. 146). 91 Nur auf der Kreistagskandidatenliste der LDP kandidierten im Kreis Schweinitz fünf parteilose Bewerber. Vgl. Wahlvorschläge zur Kreistagswahl des Kreises Liebenwerda vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 265); Wahlvorschläge zur Kreistagswahl des Kreises Schweinitz vom 9.10.1946 (LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 274, Bl. 272). 92 Vgl. Bekanntmachung des Liebenwerdaer Kreiswahlausschusses über die zugelassenen Wahlvorschläge der Parteien und der VdgB vom 10.10.1946 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 48–56); Aufstellung der Kreistagskandidaten der SED mit ehemaliger Parteizugehörigkeit (undatiert; LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 80, Bl. 85).

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während der Aufstellung der Listen zur Landtagswahl im Stimmbezirk IV lediglich auf den aussichtslosen letzten Platz der SED-Liste platziert, der bereits seine politische Isolation in der neuen Partei verdeutlichte.93 Otto Dietrich aus Falkenberg, der die Vereinigung beider Parteien ohnehin skeptisch betrachtet hatte, zog sich daraufhin immer weiter politisch zurück und trat schließlich am Jahresende 1946 von seinem Posten als SED-Kreisvorsitzender zurück. Wenig später verließ er die SBZ. Zu seinem Nachfolger wurde das ehemalige KPD-Mitglied Felix Stanislawski von der Provinzialleitung bestimmt.94 Während im Kreis Liebenwerda zweifellos ein resignativer Rückzug von mehreren ehemaligen einflussreichen SPD-Mitgliedern festgestellt werden konnte, war das Ergebnis der Listenaufstellung für die Kreistagswahl im Kreis Schweinitz umgekehrt. An der Spitzenposition kandidierte hier das ehemalige SPD-Mitglied, Rudi Richter. An zweiter Stelle folgte der seit Juni 1946 amtierende Bürgermeister von Schönewalde, Berthold Städtner, der ebenfalls der SPD angehörte. Erst an dritter Stelle stellte sich mit Karl Orgis aus Jessen ein Kommunist zur Wahl. Von den 13 gewählten SED-Kreistagsabgeordneten gehörten schließlich nur zwei der KPD und sieben der SPD an. Vier SED-Kreistagsabgeordnete traten dagegen erst nach der Gründung der SED bei.95 Im Kreis Schweinitz setzte die Partei bei der Kreistagslistenaufstellung erneut vor allem auf einheimische Kandidaten, die aber, wie die Liste zeigte, vor allem der ehemaligen SPD angehörten. Überdies war die ehemalige KPD im Kreis Schweinitz überhaupt nicht in der Lage, genügend geeignete Mitglieder für die Kreistagsliste zu stellen. So musste der Schweinitzer KPD-Kreisverband im März 1946 selbstkritisch feststellen: „Die empfindlichste Schwierigkeit, unter der die Partei leidet, ist der Funktionärsmangel, den zu beheben wir uns in angestrengter Schulungsarbeit bemühen […]. Dieser Mangel wird durch die Verschmelzung mit der SPD, wobei einige gute Funktionäre für die gemeinsame Arbeit eingespannt werden, liquidiert werden.“96 Laut diesem Bericht wurden die SPD-Mitglieder für den Ausbau der

93 Vgl. Freiheit vom 9.10.1946, Nr. 145. Die Reihenfolge auf der SED-Liste für den Landtagswahlbezirk Nr. IV (Kreis Torgau, Liebenwerda und Schweinitz) sah wie folgt aus: 1. Käthe Kern (Berlin), 2. Erich Wagenbreth (Halle), 3. Walter Schrader (Torgau), 4. Irene Fischbach (Bad Liebenwerda), 5. Berthold Städtner (Schönewalde), 6. Karl Schellenberg (Torgau), 7. Arthur Tetzel (Mückenberg), 8. Otto Dietrich (Falkenberg). Auf den ersten beiden aussichtsreichen Plätzen kandidierten keine SED-Mitglieder aus dem Wahlbezirk. Käthe Kern und Erich Wagenbreth zogen nach der Wahl in den Landtag ein. 94 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 15 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.); Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.), SBZ-Handbuch. Sowjetische Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, München 1990, S. 1035. 95 Vgl. Schweinitzer Kreisverwaltung über die gewählten Kreistagsabgeordneten an die Bezirksverwaltung vom 21.11.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 146). 96 Tätigkeitsbericht der KPD-Kreisleitung Schweinitz für den Monat März 1946 (LHASA, MER, P 506, Nr. 3, Bl. 55).

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politischen Arbeit der KPD im Kreis Schweinitz dringend benötigt. Zu dieser Schwäche der KPD im Kreis Schweinitz kam hinzu, dass sich die Mitglieder innerhalb der ehemaligen KPD nach der Vereinigung beider Parteien stark zerstritten. Der SED-Kreisvorsitzende Felix Kolodziej und der Organisationsleiter im Kreissekretariat, Franz List, rangen z. B. am Anfang des Wahlkampfs um ihre zugewiesenen Kompetenzen.97 Dieser Streit trug wahrscheinlich hauptsächlich dazu bei, dass beide nicht für den Kreistag kandidierten. Das Verhältnis zwischen beiden war schließlich letztlich derartig zerrüttet, dass der SED-Bezirksverband im März 1947 einschritt und beide aus dem Kreissekretariat abberief. Der bereits am 2. Januar 1947 als Instrukteur vom Bezirksverband eingesetzte Erhard Michalke, der vor der Vereinigung beider Parteien der KPD angehörte, wurde daraufhin neben Josef Schippers zum neuen Kreisvorsitzenden ernannt.98 Auf die Dienste von Felix Kolodziej konnte die Partei allerdings aufgrund des Funktionärsmangels im Kreis Schweinitz nicht verzichten. Er wurde nach seiner Absetzung zum Kreisvorsitzenden der VdgB gewählt. Auf diesem wichtigen Posten sollte der überzeugte Kommunist den Einfluss der SED weiter festigen und den Einfluss der CDU, die vor allem bei den sogenannten Großbauern Zuspruch fand, zurückdrängen.99 Zusammenfassend zur Listenaufstellung für die Kommunalwahlen 1946 kann man festhalten, dass ein einheitlicher Trend, der zur Dominanz von ehemaligen KPD-Mitgliedern auf den unterschiedlichen Listen führte, zumindest im Untersuchungsgebiet nicht beobachtet werden konnte. Dafür waren die lokalen Bedingungen innerhalb der SED zu unterschiedlich ausgeprägt. Während im Kreis Liebenwerda selbstbewusste und seit Kriegsende profilierte ehemalige KPD-Mitglieder zumindest innerhalb der Kreistagsfraktion eine deutliche Mehrheit bildeten, war die schwache und zudem noch zerstrittene KPD im Kreis Schweinitz zwangsläufig auf die Hilfe von SPD-Mitgliedern bei der Wahl angewiesen. In beiden Kreisen war lediglich die Tendenz zur Aufstellung von einheimischen Kandidaten auf den oberen Listenplätzen vergleichbar. Über größere Streitigkeiten zwischen ehemaligen Mitgliedern der KPD und SPD im Vorfeld der Listenaufstellung wurde in den Quellen aus dem Untersuchungsgebiet nichts erwähnt. Selbst in den Sitzungen nach der Wahl, in denen die Gründe für das schlechte SED-Ergebnis offen diskutiert wurden, war die Listenbesetzung nicht nachträglich Gegenstand der Kritik.100 Die ausgeprägte Parteidisziplin in   97 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). In dieser Sitzung wurden nochmals die Gründe für den Konflikt zwischen Kolodziej und List thematisiert.  98 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 19.3.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).  99 Vgl. Lebenslauf von Felix Kolodziej. In: Lausitzer Rundschau, Regionalblatt Herzberg, vom 3.8.1979, S. 8. 100 Vgl. Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.9.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.); Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 26.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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der KPD und SPD verhinderte höchstwahrscheinlich unmittelbar vor den Wahlen größere Zusammenstöße zwischen einzelnen Mitgliedern. Dennoch ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die Listenaufstellung auch im Untersuchungsgebiet in einzelnen Orten zu nicht offen in den Versammlungen ausgesprochenem Unmut bei den Mitgliedern beider ehemaligen Parteien führte. Im Bericht der SED-Provinzialleitung vom 7. September 1946 wurde z. B. über die Kandidatenaufstellung festgestellt: „Es ist dabei jedoch nicht immer das Prinzip der Parität eingehalten worden.“101 Dass die Aufstellung der Kandidatenlisten zur Gemeindewahl innerhalb der Provinz nicht überall reibungslos funktionierte, zeigte sich z. B. auch darin, dass der SED-Bezirksverband Halle-Merseburg im Bericht der Provinzialleitung am 7. Oktober 1947 ausdrücklich die reibungslosere Durchführung der Listenaufstellung für die Land- und Kreistagswahl im Gegensatz zu den Nominierungen während der Gemeindewahl betonte.102 Dennoch war auch aus diesen Berichten keine Bevorteilung für die eine oder andere ehemalige Partei abzulesen. Je nach den Stärkeverhältnissen vor Ort dominierten wohl entweder KPD- oder SPD-Mitglieder die Listen. 2.2

Innerparteiliche Konflikte 1947

Der Ausgang der Kommunalwahlen 1946 stürzte die SED in die erste größere Krise nach ihrer Gründung. Deutlich wurde dies insbesondere im abnehmenden Wachstum der Mitgliederzahlen der Partei. Wuchsen die Mitgliederzahlen der SED vom 7. September bis zum 6. Dezember 1946 im Kreis Liebenwerda bzw. im Kreis Schweinitz noch um 12,8 Prozent bzw. 13,3 Prozent, so verringerte sich dieses Wachstum in der bedeutend längeren Zeitspanne von Dezember 1946 bis Juli 1947 im Kreis Liebenwerda auf 11,7 Prozent sowie im Kreis Schweinitz auf 5,7 Prozent.103 Im Juli 1947 betrug der Mitgliederstand im Kreis Liebenwerda 7 830 Mitglieder. Im Kreis Schweinitz gehörten zum selben Zeitpunkt 3 203 Mitglieder der Partei an.104 Nach einer Karteibereinigung in den Jahren 1947 und Anfang 1948 betrug die Mitgliederzahl der SED am 30. April 1948 im Kreis Liebenwerda 8 088 Personen sowie im Kreis Schweinitz sogar

101 Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 7.9.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 96). 102 Vgl. Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 7.10.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 128). 103 Die Mitgliederzahl der SED betrug am 7.9.1946 im Kreis Liebenwerda 6440 Personen und im Kreis Schweinitz 2834 Personen. Vgl. Organisationsbericht der SED der Provinz Sachsen vom 7.9.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 108). Am 6.12.1946 betrug die Mitgliederzahl der SED im Kreis Liebenwerda 7 008 Personen und im Kreis Schweinitz 3 030 Personen.Vgl. Stand der SED-Parteiorganisation im Bezirk Halle-Merseburg vom 6.12.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 315, Bl. 219). 104 Bericht des Landesvorstandes der SED des Landes Sachsen-Anhalt für den Juli 1947 (LHASA, MER, P 515, Nr. 316, Bl. 12 f.).

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nur noch 3 156 Personen.105 Daran war zu erkennen, dass das Wachstum der Partei, nachdem es sich bereits seit Jahresende 1946 verlangsamte, spätestens ab Mitte 1947 stagnierte. Die Hauptgründe für das abnehmende Wachstum der Partei waren vor allem in der Wahlniederlage 1946 und in den besonders ab dem Winter 1946/47 immer schlechter werden Lebensbedingungen zu suchen. Als die SED mit der Wahlniederlage ihren selbst postulierten Charakter als von allen Volksschichten getragene Partei verlor, verringerte sich das Mitgliederwachstum deutlich. Im Untersuchungsgebiet kam hinzu, dass beide Kreisverbände zum einen durch den freiwilligen Rücktritt von Otto Dietrich aus Falkenberg und zum anderen durch die Abberufung von Felix Kolodziej an ihrer Spitze für die Öffentlichkeit deutlich sichtbar geschwächt wurden. Auch zum Unmut mehrerer hiesiger SED-Mitglieder setzte die SED-Provinzialleitung im Kreis Liebenwerda sowie im Kreis Schweinitz mit Felix Stanislawski106 und Erhard Michalke107 zwei neue Vorsitzende ein, die nicht aus dem Untersuchungsgebiet stammten. Beide gehörten vor der Vereinigung beider Parteien der KPD an. Im Kreis Liebenwerda wurde damit die paritätische Besetzung der beiden Kreisvorsitzenden und damit ein zentraler Gründungskompromiss aufgegeben. Über diese von oben verordneten Neubesetzungen der Posten der Vorsitzenden durfte der Kreisvorstand zumindest im Kreis Schweinitz nicht abstimmen. Ebenso fand kein einberufener Kreisparteitag bzw. keine Kreisdelegiertenkonferenz zur Wahl des neuen Vorsitzenden statt.108 Der Mangel an innerparteilicher Demokratie war bereits daran sehr deutlich zu erkennen. Ob diese Umstände viele ehemaligen Sozialdemokraten dazu bewogen, aus der Partei auszutreten bzw. ihre Aktivitäten innerhalb der Partei ruhen zu lassen, konnte im Untersuchungsgebiet mangels Quellen nicht belegt werden. Auch eine Statistik des SED-Landesverbandes Sachsen-Anhalt über die offiziellen Parteiaustritte im Jahr 1947 ergab kein eindeutiges Bild. Unter den ausgetretenen Mitgliedern befanden sich demnach 2 484 ehemalige SPD- und 1961 ehemalige

105 Stand der Parteiorganisation des SED Landesverbandes Sachsen-Anhalt vom 30.4.1948 (LHASA, MER, P 515, Nr. 317, Bl. 81). 106 Von Felix Stanislawski lag leider kein vollständiger Lebenslauf vor. Aus dem SBZ-Handbuch ging lediglich hervor, dass er vor der Gründung der SED der KPD angehörte. Vgl. Broszat/Weber, SBZ-Handbuch, S. 1035. 107 Erhard Michalke (geb. 1914) wurde in Rositz im Kreis Altenburg geboren. Er erlernte den Beruf eines Elektromonteurs und trat im Jahr 1928 in den Kommunistischen Jugendverband ein. Von August 1939 bis November 1944 war er als Soldat in Frankreich, Russland sowie auf dem Balkan eingesetzt. Im November 1944 wurde er zu einem technischen Einsatz in die Hydria-Werke nach Brüx versetzt. Nach dem Kriegsende arbeitete er in Leuna und trat hier als Betriebsrat der KPD bei. Er besuchte im März und April 1946 die SED-Provinzschule in Wettin sowie von Juli bis Dezember 1946 die Antifa-Schule in Berlin. Vgl. Charakteristik über Erhard Michalke (undatiert; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 4). 108 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 19.3.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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KPD-Mitglieder.109 Zwar traten nach dieser Statistik im Jahr 1947 mehr ehemalige SPD-Mitglieder aus der SED aus, doch unterscheiden sich die Zahlen nicht derart gravierend, dass man hier von einem eindeutigen Trend sprechen kann. Andreas Schmidt vermutete dagegen in seiner Studie, dass viele ehemalige Sozialdemokraten nach der Gründung der SED in der Provinz Sachsen auf dem Weg des „stillen“ Austritts, ohne offizielles Austrittsgesuch, ihre Mitgliedschaft ruhen ließen.110 Konkrete Belege gibt es dafür zumindest im Jahr 1947 im Untersuchungsgebiet nicht. Besonders im Schweinitzer SED-Kreisverband, für den die Quellenlage mit den erhaltenen SED-Kreisvorstandsprotokollen für das Jahr 1947 wesentlich besser war, verliefen die Konfliktlinien im Kreisvorstand keineswegs eindeutig entlang der ehemaligen Parteigrenzen. Wie bereits der Streit zwischen den beiden Kommunisten Felix Kolodziej und Franz List im Jahr 1946 zeigte, gab es innerhalb des Kreisvorstandes mehrere Auseinandersetzungen zwischen Personen, die zuvor der gleichen Partei angehörten. So wurde die Einsetzung des neuen Vorsitzenden Erhard Michalke nicht nur von ehemaligen Sozialdemokraten skeptisch gesehen, sondern auch von mehreren ehemaligen KPD-Mitgliedern im Kreisvorstand kritisiert.111 Neben diesem Konflikt entstand eine Auseinandersetzung zwischen dem ehemaligen SPD-Kreisvorsitzenden und Volksrichter, Walter Eulitz, und dem Landrat Rudi Richter. Bereits nach der Kreistagswahl kritisierte Eulitz den Landrat scharf für sein unkooperatives Verhalten gegenüber dem SED-Kreisverband.112 Im Frühjahr 1947 deckte Eulitz außerdem in seiner Tätigkeit als Volksrichter auf, dass der Landrat Bezugsscheine auf falsche Namen ausstellte, um damit u. a. Waren für die sowjetische Kreiskommandantur zu beschaffen. Diese Konflikte innerhalb der Partei führten dazu, dass während einer Funktionärsbesprechung am 28. April 1947 der Streit derart eskalierte, dass die SED-Provinzialleitung sowie die Kreiskommandantur eingriffen und den Landrat Rudi Richter bestätigten.113 Als Ergebnis dieser Besprechung verkündete Walter Eulitz seinen Rücktritt aus allen politischen Ämtern. Er sagte dazu: „Wir haben seit langem nichts anderes gemacht als dreckige Wäsche gewaschen. Meine Ehre und mein Name

109 Statistik des SED-Landesverbandes Sachsen-Anhalt über die Parteiaustritte 1947 (Anfang 1948; LHASA, MER, P 515, Nr. 314, Bl. 53). Da insgesamt 8 701 Austritte für das gesamte Jahr 1947 in dieser Statistik aufgeführt wurden, bezogen sich die Angaben über die ausgetretenen ehemaligen Mitglieder der KPD und SPD höchstwahrscheinlich nur auf Mitglieder der KPD und SPD, die bereits vor 1933 in den beiden Parteien organisiert waren. 110 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 284. 111 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 112 Vgl. Protokoll der erweiterten SED-Kreisvorstandssitzung des Kreises Schweinitz vom 26.10.1946 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 113 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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sind mir zu schade, als sie für derartige Dinge herzugeben.“114 Zwar versuchten noch einige ehemalige Sozialdemokraten, u. a. auch Josef Schippers, Walter Eulitz von diesem Schritt abzubringen, doch legte er Mitte des Jahres 1947 seine Posten als Vorsitzender der SED-Fraktion im Kreistag, sein Kreistagsmandat, sein Mandat in der Herzberger Stadtverordnung und seinen Posten im SED-Kreisvorstand nieder.115 Sein Rücktritt wurde schließlich im Kreistag sowie in der Herzberger Stadtverordnung mit seinem gesundheitlichen Zustand begründet.116 Die wahren Gründe des Rücktritts blieben somit der Öffentlichkeit verborgen. Damit war er im Kreis Schweinitz, nach dem Rückzug von Emil Baguley kurz nach der Gründung der SED, der zweite wichtige Sozialdemokrat, der sich im Kreis Schweinitz aus der Parteispitze zurückzog. Er blieb zwar als Volksrichter Parteimitglied, jedoch spielte er in den SED-Führungsgremien des Kreises Schweinitz zunächst keine Rolle mehr. Ebenso wie dem Landrat Rudi Richter gelang es Erhard Michalke in der Besprechung vom 28. April 1947, im Amt des Vorsitzenden zu bleiben. Obwohl während der Sitzung am 28. April 1947 das Bezirksvorstandsmitglied Obrusnik nach der harten Kritik von Josef Schippers anbot, Michalke als gleichberechtigten Vorsitzenden wieder zurückzuziehen, sprachen sich besonders die Arbeitsgebietsleiter im Kreisvorstand für den Verbleib Michalkes aus. Als Kompromiss wurde schließlich ausgehandelt, dass neben Josef Schippers und Erhard Michalke der ehemalige Jessener Bürgermeister, Richard Nobest (KPD/SED), und Maria Liedtke (KPD/SED) in das Kreissekretariat gewählt wurden.117 Obwohl beide vor der Gründung der SED der KPD angehörten, standen sie, wie die spätere Entwicklung noch zeigte, persönlich Josef Schippers näher.118 Schippers verfügte somit zumindest im Kreissekretariat über eine Mehrheit, auf die er sich

114 Ebd. 115 Vgl. ebd. 116 Vgl. Kreisvorstand der SED an den Kreistagsvorsitzenden über den Rücktritt von Walter Eulitz vom 29.7.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 123, unpag.); Stadtverwaltung Herzberg über den Rücktritt von Walter Eulitz und die Nachfolgeregelung vom 12.8.1947 (StA Herzberg, Nr. 204, unpag.). Aus Parteidisziplin verzögerte Walter Eulitz seine Rücktritte bis Ende Juli 1947. Damit folgte er der Empfehlung einiger SED-Kreisvorstandsmitglieder während der Kreisvorstandssitzung am 28.4.1947. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Diskussion um den Landrat Richter und dem Rücktritt von Walter Eulitz sollte für die bürgerlichen Parteien nicht hergestellt werden können. 117 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.); Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 13.71947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 118 Maria Liedtke wurde im Jahr 1908 in Königsberg geboren. Sie erlernte den Beruf einer Kontoristin. Seit Kriegsende befand sie sich als Flüchtling in Herzberg. Sie trat hier der KPD bei und wurde in der Kreisleitung der KPD angestellt. Vor 1945 war sie politisch nicht aktiv. Mit der Vereinigung beider Parteien rückte sie in den SED-Kreisvorstand auf und nahm im Frühjahr 1947 an einem Kurzlehrgang an der Landesparteischule in Wettin teil. Vgl. Charakteristik über Maria Liedtke vom 15.9.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, Bl. 13).

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als Vorsitzender stützen konnte. Mit dem Verbleiben von Erhard Michalke im Amt des gleichberechtigten zweiten Vorsitzenden wurde allerdings der Konflikt zwischen den beiden Vorsitzenden nur oberflächlich behoben. So blieb die Atmosphäre im Schweinitzer SED-Kreisverband nach diesem im sprichwörtlichen Sinne faulen Kompromiss weiter äußerst angespannt.119 Von einer wirklichen Vertrauensbasis und produktiven Zusammenarbeit der Kreisvorstandsmitglieder konnte man unter diesen Umständen bis zu der Parteisäuberung Ende 1948 nicht sprechen. Ein ähnlicher Zustandsbericht über den Liebenwerdaer SED-Kreisverband war mangels Quellen für das Jahr 1947 nicht möglich. Dennoch zeigte z. B. die Situation in der SED-Ortsgruppe in Grünewalde, die vom ehemaligen Kreisvorsitzenden der SPD Otto Dietrich geleitet wurde, wie konfliktbelastet die Zusammenarbeit auch in einigen Ortsgruppen im Kreis Liebenwerda war. Otto Dietrich, der vor 1933 gewählter Gemeindevorsteher von Grünewalde war, musste nach den Gemeindewahlen am 8. September 1946 die Bestätigung von Paul Ruthenberg (KPD/SED) im Amt des Bürgermeisters erneut hinnehmen. Dafür wurde Dietrich zum Vorsitzenden der Gemeindevertretung und zum Kreistagsabgeordneten gewählt.120 Wie bereits im Vorfeld der Vereinigung beider örtlichen Parteien brachen jedoch schnell die alten Konflikte zwischen Dietrich und Ruthenberg wieder auf. Dietrich gelang es, auf dem Posten des Vorsitzenden in der rein SED-dominierten Grünewalder Gemeindevertretung die meisten Abgeordneten auf seine Seite zu ziehen, sodass er mit seinem Einfluss auf die Gemeindevertretung die politischen Spielräume des Bürgermeisters beschränken konnte. Der Bürgermeister Paul Ruthenberg und der ehemalige Vorsitzende der KPD-Ortsgruppe Karl Kammel waren wiederum nicht bereit, dies zu akzeptieren.121 In der SED-Ortsgruppensitzung am 16. März 1947 belegten sich Dietrich und Kammel mit den unterschiedlichsten Vorwürfen, u. a. auch damit, sich an dem durch die Bodenreform zugeteilten Land bereichert zu haben. Dietrich beantragte am Ende dieser Sitzung eine Abstimmung, in der die Mitglieder Karl Kammel das Vertrauen entziehen sollten. Durch den größeren Anteil ehemaliger Sozialdemokraten unter den Anwesenden ergab die Abstimmung 56 Stimmen für und nur 17 Stimmen gegen den Antrag.122 Wie sehr die Nerven der Beteiligten durch diese Auseinandersetzung beansprucht wurden, zeigte die Reaktion von Karl Kammel auf die Abstimmungsniederlage. Im Protokoll hieß es dazu: „Genosse Kammel erklärte zunächst, dass das Ergebnis der Abstimmung ihn mit Verwunderung erfülle, dass er aber selbstverständlich seine Ämter zur

119 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 12.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 120 Vgl. Lebenslauf von Otto Dietrich vom 6.2.1947 (PA Helfried Dietrich). 121 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen in der SED-Ortsgruppe Grünewalde vom 16.3.1947 (PA Helfried Dietrich). 122 Vgl. ebd.

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Verfügung stelle. Im nächsten Augenblick ergreift den Genossen Kammel eine leidenschaftliche Erregung, er schreit in den Saal, dass diese Abstimmung eine Diktatur sei, in welcher er als aufrechter Antifaschist verfolgt würde. Diese Erregung überträgt sich auf die Versammlung, die unter diesen Umständen nicht fortgeführt werden kann.“123 Nach der Abstimmungsniederlage von Karl Kammel steigerte sich die Auseinandersetzung zwischen Dietrich und Ruthenberg zu einer derartigen persönlichen Feindschaft, dass der Bürgermeister nicht davor zurückschreckte, Otto Dietrich verhaften zu lassen. Als Vorwand diente dem Bürgermeister Ruthenberg der angeblich ungenügende Einsatz von Otto Dietrich bei der Bekämpfung eines Waldbrandes. Dietrich schrieb dazu: „Am Sonntag, den 21. September 1947 abends 20 Uhr erscheint der Herr Gemeindevorsteher Ruthenberg als Ortspolizeibehörde in meiner Wohnung und eröffnet mir, dass ich mich für drei Tage mit Mundvorrat und warmer Kleidung zu melden habe … Der Aufforderung des Herrn Ruthenberg bin ich nachgekommen. Im Gemeindeamt wurde mir bekannt gegeben, dass ich verhaftet sei, da ich mich ungenügend an der Feuerlöschhilfe beteiligt habe … Hierauf habe ich Ruthenberg gefragt, ob ein Haftbefehl gegen mich vorliege. Diese Frage wurde verneinend beantwortet. Daraufhin habe ich Herrn Ruthenberg erklärt, dass ich seine Verhaftungserklärung nicht anerkenne. Der Herr Landrat müsse sofort in Kenntnis gesetzt werden. Diesen Anruf lehnte Herr Ruthenberg ab […].“124 Otto Dietrich ging daraufhin, ohne von dem, wie er schrieb, betrunkenen Bürgermeister daran gehindert worden zu sein, wieder nach Hause.125 Sein unmittelbar darauf erfolgter Protest über dieses Verhalten des Bürgermeisters beim Landrat Paulick wurde jedoch nicht berücksichtigt, sodass Paul Ruthenberg weiter im Amt blieb. Dadurch bestätigt, verweigerte Ruthenberg nun nahezu vollständig die Zusammenarbeit mit der von Otto Dietrich mehrheitlich kontrollierten Gemeindevertretung. Dietrich deckte zudem Unregelmäßigkeiten in den Jahresrechnungen der Gemeinde von 1945 bis 1947 auf und kritisierte diese offen. Dies führte schließlich während der Sitzung der Grünewalder Differenzierungskommission am 8. Juli 1948 zur gewalttätigen Eskalation des Konflikts. Otto Dietrich schrieb darüber in einem Protestschreiben an die Kreisverwaltung: „Einige Zeit, nachdem die Versammelten unter Vorsitz des geschäftsführenden Vorsitzenden des landwirtschaftlichen Arbeitsausschusses, Gemeinderat Hermann Lohde, ihre Arbeit begonnen hatten, erschien der Bürgermeister […]. Dass Herr Ruthenberg betrunken war, wird dadurch erhärtet, dass auf die Frage des Unterzeichneten an die Versammlung, wer feststelle, dass Herr Ruthenberg nicht betrunken sei, der solle aufstehen, niemand aufgestan-

123 Ebd. 124 Otto Dietrich aus Grünewalde an den Landrat Paul Paulick über den Einsatz der Kreistagsabgeordneten im Allgemeininteresse vom 22.9.1947 (PA Helfried Dietrich). 125 Vgl. ebd.

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den ist. Herr Ruthenberg belegte mich wieder mit den gemeinsten Schimpfwörtern und verlangte, dass ich die Sitzung verlasse […].“126 Nachdem sich Dietrich zunächst weigerte zu gehen, lenkte er schließlich ein, um zumindest eine Fortführung der Arbeit der Kommission zu gewährleisten. Dietrich schrieb dazu weiter: „An der Tür hatte sich inzwischen Herr Ruthenberg postiert […]. Dieser vertrat mir den Weg, fasste mich an Hals und Kragen, würgte mich und warf mich mehrmals gegen die Wand. Meine Kleider waren zerzaust und beschmutzt. Die anwesenden Mitglieder des Differenzierungsausschusses waren empört. Ich habe mich auch hier nicht gewehrt, trotzdem es mein gutes und männliches Recht gewesen wäre.“127 Dieser gewalttätige Streit zwischen Dietrich und Ruthenberg stellte sicher nur ein Extrembeispiel für die Konflikte innerhalb der SED dar, doch zeigte dieser, wie unversöhnlich sich einige Mitglieder innerhalb der Partei gegenüberstanden. Auch wenn, wie in Grünewalde, die unterschiedlichen Demokratieauffassungen zum Streit beitrugen, so waren doch daneben persönliche Eitelkeiten, alte Rechnungen und schlichter Machtwille die Hauptmotive der zahlreichen Konflikte innerhalb der SED. Allein die Tatsache, dass z. B. im Schweinitzer Kreisvorstand die Mitglieder der ehemaligen SPD und KPD in unterschiedlichsten Konstellationen zusammen- bzw. gegeneinander arbeiteten, belegte dies. Im Schweinitzer Kreisvorstand wurde im Jahr 1947 nie grundlegend über unterschiedliche ideologische Anschauungen diskutiert, sondern nur persönliche Anschuldigungen in den Aussprachen vorgebracht.128 Dies soll nicht bedeuten, dass es keine ehemaligen Sozialdemokraten mit festen politischen Prinzipien im Untersuchungsgebiet gab – der Fall des zurückgetretenen Otto Dietrich aus Falkenberg belegte dies –, doch war das Verhalten vieler ehemaliger SPD-Mitglieder keineswegs immer so eindeutig. Besonders die führenden regionalen Funktionäre der ehemaligen SPD, die sich nahezu alle für die Gründung der neuen Partei einsetzten, hatten, abgesehen von ihrem Rücktritt bzw. Austritt aus der SED, keine andere Wahl, als sich mit der Entwicklung in der neuen Partei abzufinden. In vielen Fällen zeigte deren Verhalten, dass sie gewillt waren ihre Positionen innerhalb der Partei auch unabhängig vom vorgegebenen politischen Kurs zu behaupten. Damit verstrickten sie sich jedoch zwangsläufig immer weiter in den Diktaturdurchsetzungsprozess in der SBZ und im Untersuchungsgebiet.

126 Beschwerdeschreiben von Otto Dietrich aus Grünewalde an den Rat des Kreises Liebenwerda über das Verhalten des Bürgermeisters Paul Ruthenberg vom 8.7.1948 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 1752, unpag.). 127 Ebd. 128 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 28.4.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.); Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 12.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

476 2.3

Festigung der Macht der SED

Die Kreisparteitage und Kreisvorstandswahlen im Vorfeld des II. SED-Parteitags

Die SED-Führung in Berlin setzte bereits Ende Mai 1947 die Durchführung ihres II. Parteitags vom 20. bis 24. September 1947 fest. Dazu verfasste diese bereits im Vorfeld des Parteitags eine Resolution, die in den unteren Parteiebenen diskutiert werden sollte. Mit einem detaillierten Plan zur Durchführung der Vorbereitungen zum II. Parteitag wollte die Parteiführung den Ausgang dieser Diskussion jedoch nicht dem Zufall überlassen. So wurden am 13. Juli 1947 überall im Land Sachsen-Anhalt Kreisvorstandssitzungen unter der Teilnahme eines Mitglieds des Landesvorstandes durchgeführt, in denen der Resolutionsentwurf der Parteiführung besprochen wurde. Nachdem der Resolutionsentwurf den Kreisvorstandsmitgliedern bekanntgeben wurde, musste dieser in jeder Ortsbzw. Betriebsgruppe besprochen werden. Gleichfalls ordnete die Parteileitung an, dass in den örtlichen Mitgliederversammlungen Delegierte für die Kreisparteitage gewählt werden sollten. Diese fanden im Untersuchungsgebiet jeweils am 17. August 1947 statt. Die Delegierten der Kreisparteitage hatten wiederum die Aufgabe, den Resolutionsentwurf zu diskutieren, den Kreisvorstand und die Delegierten für die vom 5. bis 7. September 1947 stattfindenden Landesdelegiertenkonferenz zu wählen.129 Dieses bereits zuvor immer wieder angewendete Muster der von oben organisierten Kampagne hatte lediglich die Aufgabe, die Diskussion auf den unteren Parteiebenen im Sinne der Parteiführung zu lenken. Angesichts mehrerer bereits zuvor durchgeführter Kampagnen stellte Andreas Schmidt in diesem Zusammenhang treffend fest, „dass die Ortsgruppensitzung als Ort der Diskussion über die Parteipolitik“ bereits unmittelbar nach Gründung der SED „an Bedeutung verlor“.130 Erhard Michalke stellte am 13. Juli 1947 den Resolutionsentwurf im Schweinitzer Kreisvorstand vor. Er ging dabei zunächst auf die Entwicklung der SED seit ihrer Gründung ein und stellte dabei die grundsätzliche Frage in den Raum, ob die Beschlüsse des Gründungsparteitages richtig waren. Ohne diese abschließend zu beantworten, betonte er lediglich, dass „die Partei alles getan“ hat, „um die Mitglieder(-basis) zu festigen“.131 Die Auseinandersetzungen innerhalb der Schweinitzer SED schob er dagegen auf den sich ständig „verschärfenden Klas-

129 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 347 f. 130 Ebd., S. 295. Im Jahr 1947 fanden die Kampagnen „Ein Jahr SED“, „Zwei Jahre Selbstverwaltung“, die angesprochene Diskussion über den Resolutionsentwurf zum II. Parteitag, eine Kampagne zur Londoner Außenministerkonferenz und die Kampagne zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution statt. 131 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 13.7.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). Der hier diskutierte Resolutionsentwurf lag selbst nicht vor. Jedoch deckte sich die Darstellung von Erhard Michalke weitestgehend mit der auf dem II. Parteitag beschlossenen Endfassung der Resolution. Vgl. Entschließung des II. Parteitags zur politischen Lage vom 24.9.1947. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948, S. 210–230.

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senkampf“ ab. In diesem Zusammenhang ging Michalke auf die Entwicklung in den Westzonen ein. Insbesondere der Marshall-Plan wurde von ihm heftig angegriffen, da von diesem, nach seiner Darstellung, lediglich die amerikanische Wirtschaft profitieren würde. Gleichfalls stellte er fest, dass sich in den Westzonen „alte Monopolisten“ reorganisierten, die sich wiederum, ganz im Gegensatz zur SED, für die endgültige Teilung Deutschlands aussprachen. Daraus zog er den Schluss, dass nur eine „Demokratisierung“ Deutschlands und „die Entmachtung der Kriegsverbrecher“ der Einheit Deutschlands vorausgehen können. Er sagte dazu unmissverständlich: „Mit dem Kampf um die Einheit steht der Kampf um die Demokratisierung.“132 Nach dem Scheitern der Moskauer Außenminister- und der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz sowie nach der Ablehnung des Marshall-Plans durch die Sowjetunion rückte die SED-Parteiführung von ihrer bei der Gründung gefassten und ohnehin bereits stark unterhöhlten Kompromissformel über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus nun auch offen immer weiter ab.133 Mit dem Resolutionsentwurf zum II. Parteitag begann diese nun ihre Parteimitglieder von der Notwendigkeit der Übernahme des sowjetischen Modells in der SBZ auch offen zu überzeugen. Dass darunter zwangsläufig der deutsche Einheitsgedanke zu leiden hatte, nahm die Parteiführung bewusst in Kauf, kaschierte dies aber am Jahresende 1947 mit der von ihr ins Leben gerufenen Volkskongressbewegung, auf welche noch ausführlich eingegangen werden wird. Wie sich in den örtlichen Diskussionen zeigte, ging der Resolutionsentwurf jedoch vollkommen an der Lebenswirklichkeit der SED-Mitglieder vorbei. In der Schweinitzer Kreisvorstandssitzung am 13. Juli 1947 nahm laut Protokoll kein Mitglied zu den großen politischen Fragen in der Resolution Stellung. Als Einziger meldete sich Robert Libor zur Diskussion, der jedoch nicht auf die politische Lage in Deutschland, sondern auf die Versorgungssituation im Landkreis einging. Er forderte die Partei eindringlich auf, dass „an den freien Spitzen“ für die Landwirte „nicht gerüttelt“ werden dürfe.134

132 Ebd. 133 Die von Anton Ackermann im Februar 1946 entwickelte These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus wurde nicht direkt in den Gründungskompromiss „Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ eingebaut. Hierin wurde aber prinzipiell festgestellt, dass der Kampf um die politische Macht „auf dem Boden der demokratischen Republik“ ausgetragen werden sollte. Des Weiteren hieß es darin: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kämpft als unabhängige Partei in ihrem Lande für die wahren nationalen Interessen ihres Volkes. Als deutsche sozialistische Partei ist sie die fortschrittlichste und beste nationale Kraft, die mit aller Kraft, die mit aller Energie gegen alle partikularistischen Tendenzen für die wirtschaftliche, kulturelle und politische Einheit Deutschlands eintritt.“ Vgl. Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 21.4.1946. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948, S. 10. 134 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 13.7.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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In den Mitgliederversammlungen der Ortsgruppen schien das Bild nicht wesentlich anders gewesen zu sein. Im Schweinitzer Kreissekretariat ging für den Kreisparteitag am 17. August 1947 nicht ein Änderungsvorschlag zur Resolution ein.135 Dies belegte zum einen die teilnahmslose Haltung vieler SED-Mitglieder an der Parteiarbeit, die sich angesichts der immer noch nicht gelösten Versorgungsprobleme und des ständigen Streits in der Partei eher vergrößerte, zum anderen aber auch die Wirkung der von oben verordneten Kampagne, die von vornherein die demokratische Mitwirkung der Mitglieder möglichst begrenzen sollte. Gleichfalls waren wohl viele Mitglieder über ihre Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Resolution zum II. Parteitag derart desillusioniert, dass sie erst gar keine Änderungswünsche artikulierten. Auch während des Schweinitzer Kreisparteitags erwartete wohl der Kreisvorstand keine längere Diskussion über den Resolutionsentwurf. Neben einigen scheinbar vor dem Parteitag bereits einstudierten Redebeiträgen, die der Resolution in blumigen Worten zustimmten, äußerten sich jedoch auch mehrere kritische Stimmen, in denen ganz im Gegensatz zu den theoretischen Sprachgebrauch der Partei erneut die Lebensbedingungen vor Ort thematisiert wurden.136 Ein SED-Mitglied aus Herzberg sagte z. B.: „Wir beschäftigen uns zu viel mit Außenpolitik, auf die wir niemals Einfluss haben. Hier müssen wir arbeiten und uns einsetzen, d. h., warum ist das so, warum haben große Teile der Bevölkerung wenig zu essen, ein kleiner Teil hat sehr viel zu essen […].“137 In welchem Kontrast der schöngefärbte Bericht von Erhard Michalke mit der Realität im Untersuchungsgebiet stand, wurde an diesem Beitrag zur Ernährungslage offensichtlich. Zu einer grundlegenden Kritik am politischen Kurs und an den innerparteilichen Zuständen der SED traute sich allerdings nur der Landrat Rudi Richter im Zuge der Diskussion um den Resolutionsentwurf. Als erster Diskussionsteilnehmer nach dem einleitenden Referat von Erhard Michalke ermutigte er wohl noch einige andere Parteimitglieder zur eben dargestellten Kritik an der Versorgungslage. Richters Ausführungen gingen jedoch weiter. Zunächst kritisierte er offen die Listenaufstellung während der Landtagswahl am 20. Oktober 1946.138 Gleichfalls griff er die Haltung der Partei zu den abgetrennten deutschen Ostgebieten sowie zur Kriegsschuldfrage an. Im Protokoll des Parteitags hieß es dazu: „Aber wir befinden uns im Augenblick durch die Abgrenzung vieler Teile Deutschlands in einem Zustand, in dem es uns an Rohstoffen aller Art mangelt […]. Ebenso ist es mir unverständlich, dass man nun erklärt, Deutschland sei allein Schuld an den Kriegen 1914 und jetzt. Wir als Sozialisten sind uns doch darüber klar, dass nicht der Deutsche

135 Vgl. Protokoll des SED-Kreisparteitages im Kreis Schweinitz vom 17.8.1947, S. 38 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 1, unpag.). 136 Vgl. ebd., S. 9–38. 137 Ebd., S. 21 f. 138 Vgl. ebd., S. 16 f.

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allein, sondern dass der Kapitalismus einfach Kriege herbeiführen muss, dass es der Imperialismus ist, der die Kriege schafft und der auch diese Kriege angezettelt hat.“139 Zwar bestritt der Landrat in seinen späteren Ausführungen nicht eine spezielle Schuld des Nationalsozialismus, doch schien die groteske kommunistische/sozialistische These, dass im System des Kapitalismus eine Kriegsführung zwangsläufig vorprogrammiert sein würde, bei einigen SED-Parteimitgliedern die tatsächlichen vom NS-Regime hervorgerufenen Gründe für den Kriegsausbruch 1939 zu verwischen.140 Von den kritischen Äußerungen überrascht, griff der etwas verspätet angereiste Vertreter des Provinzialvorstandes, Otto Walter, in die Diskussion ein. Da er wahrscheinlich bei dem Beitrag von Rudi Richter noch nicht anwesend war, ging er auf Richters Kritik nicht ein, wiederholte aber nochmals in einem langen Referat die bereits von Erhard Michalke ausgeführten Betrachtungen zum SED-Resolutionsentwurf.141 Durch seinen eindringlichen Beitrag stellte Otto Walter schließlich die einstimmige Zustimmung zum unveränderten Resolutionsentwurf sicher.142 Auch im Kreis Liebenwerda referierte auf dem ebenfalls am 17. August 1947 stattfindenden Kreisparteitag mit Kurt Viehweg, ein Repräsentant des SED-Landesverbandes.143 Ob es hier zu Diskussionen bzw. zu Stimmen gegen den Resolutionsentwurf kam, geht aus den Quellen nicht hervor. In seinem Referat zur Parteiarbeit fand jedoch der Liebenwerdaer SED-Kreisvorsitzende Paul Mittig selbstkritische Worte. Er musste eingestehen, dass in der „Parteiarbeit ein gewisser Stillstand eingetreten war, weil die Tagesfragen die politische Arbeit zu erdrücken drohten“.144 Dieses etwas verklausulierte Eingeständnis belegte auch für den Kreis Liebenwerda, dass viele SED-Mitglieder in der politischen Arbeit sowie in der Diskussion um den Resolutionsentwurf vor allem die von ihnen täglich wahrgenommenen schlechten Lebensbedingungen kritisierten und kaum auf außenpolitische bzw. ideologische Fragen eingingen. Über die Wahl des neuen Kreisvorstandes wurde hingegen auf den Kreisparteitagen kaum offen diskutiert. Die Vorschläge für die Neubesetzung des Vorstandes bzw. für die Landesdelegierten wurden bereits vom alten Schweinitzer Kreisvorstand in einer Sitzung am 9. August 1947 ausgearbeitet. Dieser Vorschlag sah vor, dass Josef Schippers und Erhard Michalke als gleichberechtigte

139 140 141 142 143

Ebd., S. 17 f. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 25–36. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 85 f. (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Das Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisparteitags vom 17.8.1947 war nicht erhalten. Es lag jedoch Fritz Wilhelm bei der Ausarbeitung seines Manus­ kripts zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Kreis Liebenwerda vor. 144 Ebd., S. 85.

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Vorsitzende im Amt blieben. Im Kreissekretariat gab es ebenfalls keine Änderungen. Die Größe des Vorstandes wurde jedoch auf 25 Personen erweitert.145 Das Gewicht verschob sich nun leicht in Richtung ehemaliger KPD-Mitglieder. Dem neuen Vorstand sollten 15 ehemalige KPD- und nur noch 10 ehemalige SPD-Mitglieder angehören.146 Während der Diskussion auf dem Kreisparteitag spielte dies laut Protokoll jedoch keine Rolle. Lediglich der Umstand, dass 12 Kreisvorstandmitglieder aus Herzberg kamen, wurde offen kritisiert.147 Dies wurde jedoch mit dem Hinweis, dass alle Arbeitsgebiete mit mindestens zwei Mitgliedern im neuen Vorstand vertreten waren, abgewiesen. In offener Abstimmung stimmte schließlich der Schweinitzer Kreisparteitag den vorgegebenen Wahlvorschlägen ohne Änderung einstimmig zu.148 Über das Abstimmungsverhalten auf dem Liebenwerdaer Parteitag lagen keine Quellen vor. Die Ergebnisse ähnelten sich aber mit denen im Kreis Schweinitz. Auch hier gehörten mehr ehemalige KPD-Mitglieder dem neuen Kreisvorstand an. Im Kreis Liebenwerda wurden 14 ehemalige KPD-Mitglieder und nur 12 ehemalige SPD-Mitglieder in den Kreisvorstand gewählt. Drei neue Mitglieder waren weder Mitglied der KPD oder SPD, sondern traten erst nach der Gründung der SED bei.149 Noch dominierender war der KPD-Anteil bei der Zusammensetzung der Landesdelegierten im Kreis Liebenwerda. Von den acht Landesdelegierten gehörte lediglich einer der SPD an. Die restlichen sieben waren Mitglieder der KPD.150 Gleichfalls wurde mit der Wahl von Paul Mittig und Felix Stanislawski die Parität an der Parteispitze nicht wiederhergestellt.151 Im Kreis Schweinitz traf sich sofort nach dem Ende des Parteitags der neue Kreisvorstand, um in dieser Sitzung die neuen Vorsitzenden zu wählen. Eine offene Abstimmung über die beiden Vorsitzenden Schippers und Michalke wurde auf dem Kreisparteitag damit umgangen. In dieser Kreisvorstandssitzung brachen jedoch die Konflikte innerhalb der Parteileitung erneut offen aus. Der

145 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 9.8.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 146 Übersicht über die Zusammensetzung der Kreisvorstände in der Provinz Sachsen (August 1947; LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 86). Die gleiche Übersicht datierte Andreas Schmidt irrtümlich auf Anfang 1947. Jedoch wurde der hierin dargestellte vergrößerte SED-Kreisvorstand im Kreis Liebenwerda sowie im Kreis Schweinitz vor dem SED-Kreisparteitag nicht erweitert. Zuvor betrug die Anzahl der Kreisvorstandmitglieder in beiden Kreisen jeweils 20 Personen. Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 211 f. 147 Vgl. Protokoll des SED-Kreisparteitages im Kreis Schweinitz vom 17.8.1947, S. 52 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 1, unpag.). 148 Vgl. ebd., S. 57 f. 149 Vgl. Übersicht über die Zusammensetzung der Kreisvorstände in der Provinz Sachsen (August 1947; LHASA, MER, P 515, Nr. 407, Bl. 86). 150 Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 355. 151 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 86 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.).

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streitbare Landrat Richter kritisierte, dass die Kandidatenvorschläge für die Landesdelegiertenkonferenz kurz vor dem Parteitag geändert und er damit als Delegierter nicht berücksichtigt wurde. Der Vorsitzende Schippers begründete dies mit einem Einspruch der Kreiskommandantur, welche die Berücksichtigung eines Bauern als Delegierten forderte. Aus diesem Grund wurde Berthold Nickel (KPD/SED) für Rudi Richter nominiert und damit die Parität bei der Nominierung der Landesdelegierten nicht berücksichtigt. Mit Josef Schippers fuhr damit nur noch ein ehemaliger Sozialdemokrat nach Halle.152 Der Herzberger Bürgermeister Fritz Graßmann versuchte in der Aussprache zu diesem Punkt, seinen langjährigen sozialdemokratischen Parteifreund Rudi Richter zu verteidigen, und vermutete einen Streit zwischen dem Landrat und der Kommandantur hinter dieser Nichtberücksichtigung. Josef Schippers nahm wiederum den Beitrag Graßmanns zum Anlass, Erhard Michalke scharf zu kritisieren, der meist, ohne ihn zu informieren, mit der Kommandantur Kontakt aufnahm. Daraufhin verlangte Rudi Richter die Absetzung von Erhard Michalke als gleichberechtigten Vorsitzenden und schlug Richard Nobest für diesen Posten vor. Nur das entschiedene Eingreifen des anwesenden Mitglieds des Landesvorstandes, Otto Walter, verhinderte daraufhin eine Kampfabstimmung. So wurde Erhard Michalke bei zwei Stimmenthaltungen einstimmig im Amt bestätigt.153 Für den Landrat Rudi Richter hatten sein Auftreten während des Kreisparteitags und der anschließenden Kreisvorstandssitzung sowie sein Konflikt mit der Kreiskommandantur jedoch erhebliche Konsequenzen. Die Kreiskommandantur beschwerte sich über Rudi Richter bei der Landesregierung und forderte seine Absetzung. Am 12. Oktober 1947 informierte Otto Gotsche den SED-Kreisvorstand, dass Rudi Richter wegen „Differenzen mit der Kommandantur“ von der Regierung entlassen wurde.154 Im Protokoll dieser Sitzung wurde die Reaktion von Rudi Richter wie folgt beschrieben: „Ganz energisch wies er die Anwürfe, dass er der Schuhmacherbewegung nahestehe, ab, und protestierte gegen diese unwahren Verleumdungen. Er stellte fest, dass in den letzten sechs Monaten ein Kesseltreiben gegen ihn stattfand.“155 Werner Ehrich bestätigte wiederum in der Kreisvorstandssitzung am 12. Oktober 1947, dass Richter nicht nachträglich wegen der falschen Ausstellung von Bezugsscheinen entlassen wurde, sondern aus politischen Gründen. Er sagte dazu: „Zwischen dem Genossen Landrat und uns fehlt der Kontakt, ebenso eine enge Zusammenarbeit. An den Sitzungen nahm der Landrat nur kurze Zeit teil! Der Genosse Landrat hatte nicht immer den Umgang, den wir erwarten durften, aber eins steht fest, in bürgerlichen Kreisen hat er verkehrt […]. Der Kreisparteitag war eine ernste Angelegenheit,

152 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 17.8.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 153 Vgl. ebd. 154 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 12.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 155 Ebd.

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Festigung der Macht der SED

der uns zu denken gab, was eigentlich gespielt wird. Wir müssen alle versuchen, aus dem schwarzen Kreis (Schweinitz) einen roten zu machen.“156 Erneut zerstritten sich die Schweinitzer SED-Mitglieder in dieser Sitzung. Jedoch wogen die Kritik der Kommandantur und auch der Vorwurf einiger Kreisvorstandsmitglieder, dass Rudi Richter engen Kontakt zu „bürgerlichen Kreisen“ pflegte, so schwer, dass auch Anhänger Richters wie Fritz Graßmann und Josef Schippers nicht mehr in der Lage waren, Rudi Richter zu stützen. Der Druck gegen Richter erhöhte sich schließlich so sehr, dass der Kreisvorstand am 7. Dezember 1947 einem Parteiausschlussantrag gegen ihn einstimmig zustimmte.157 Rudi Richter war damit im Kreis Schweinitz das erste einflussreiche ehemalige sozialdemokratische Parteimitglied, welches aus politischen Gründen aus der Partei entfernt wurde. Bereits daran war zu erkennen, dass in der SED mit dem II. Parteitag ein grundlegender Wandel zu einer stalinistischen Partei einsetzte. 2.4

Die Entstehung der „Partei neuen Typus“

Bereits seit der Gründung der SED versuchten ehemalige KPD-Mitglieder, den Gründungskompromiss systematisch zu unterhöhlen. Die Einführung des In­ strukteursystems während der Wahlkampagne 1946 war ein erster Schritt dahin. Mit der nach den Wahlergebnissen 1946 einsetzenden Debatte über den organisatorischen Aufbau der SED wurde dieser Prozess schließlich fortgeführt. Neben dem Ausbau des innerparteilichen Schulungssystems wurde mit den am 24. Dezember 1946 vom Zentralsekretariat herausgegebenen „organisatorischen Richtlinien zum Aufbau der Partei“ die Stellung der Betriebsgruppen als unterste Organisationsform bedeutend gestärkt. Nach den Richtlinien des Zentralsekretariats sollten alle Mitglieder, die in Betriebsgruppen organisiert waren, nun ihre Beiträge in dieser entrichten. Die Orts- bzw. Wohnbezirksgruppe drohten damit, langsam auszusterben.158 Der Gründungskompromiss der SED, in dem ein gleichberechtigtes Nebeneinander zwischen den von Sozialdemokraten präferierten Ortsgruppen und den von Kommunisten bevorzugten Betriebsgruppen ausgehandelt wurde, war somit hinfällig. Als die „organisatorischen Richtlinien zum Aufbau der Partei“ am 23. Januar 1947 vom Parteivorstand bestätigt wurden, war so ein erster Schritt zur späteren Kontrolle über die Betriebe durch die SED in der SBZ vollzogen worden.

156 Ebd. 157 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 7.12.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 158 Vgl. Andreas Malycha, Partei von Stalins Gnaden? Die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typs in den Jahren 1946 bis 1950, Berlin 1996, S. 78 f.

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Im Untersuchungsgebiet gelang es der Partei aber bis Juli 1947 nicht, über 50 Prozent der Mitglieder in Betriebsgruppen zu organisieren. Zu diesem Zeitpunkt existierten im Kreis Liebenwerda nur 78 Betriebsgruppen mit 3 728 Mitgliedern. Dies entsprach einem Anteil von 40,1 Prozent der Gesamtmitgliederstärke.159 In den 13 Betriebsgruppen des ländlichen Kreises Schweinitz waren dagegen sogar nur 289 Mitglieder organisiert. Dies betrug hier nur 9 Prozent der Gesamtmitgliederstärke.160 Besonders in den kaum industrialisierten Gebieten des Untersuchungsgebiets war es, wie diese Zahlen belegten, sehr schwer bzw. überhaupt nicht möglich, SED-Betriebsgruppen aufzubauen. Gleichfalls waren wohl viele SED-Mitglieder nicht bereit, ihre politische Arbeit aus ihrem Heimatort in einen eventuell im Nachbarort gelegenen Betrieb zu verlagern. Nachdem die Parteiführung erkannte, dass die Umgestaltung der Partei nur ungenügend voranging und sich gleichfalls der Konflikt zwischen den Siegermächten immer weiter zuspitzte, unternahm diese mit der Diskussion des Resolutionsentwurf zum II. Parteitag weitere Schritte zum Aufbau einer stalinistischen Partei neuen Typus. Der II. Parteitag vom 20. bis 24. September 1947 stellte schließlich den endgültigen Wendepunkt in der Entwicklung zur stalinistischen Partei dar. In der Resolution des II. Parteitags nahm die SED mit dem Bekenntnis zur „Blockpolitik“ offen Abstand vom Konzept der parlamentarischen Demokratie. Dazu hieß es im abschließenden Text der Resolution: „Die Blockpolitik entfaltet die Tatbereitschaft und Mitwirkung der Volksmassen auch außerhalb der Parlamente. Die Koalitionspolitik schaltet das Volk aus und beschränkt sich auf die Parlamentsarbeit. Die Blockpolitik darf daher nicht auf die Zusammenarbeit der antifaschistisch-demokratischen Parteien beschränkt bleiben, sondern muss auch die demokratischen Massenorganisationen umfassen. Die Volksmassen sollen ständig an der demokratischen Neugestaltung teilhaben und nicht nur bei den Wahlen zu den Volksvertretungen mitwirken.“161 Die Umgestaltung des politischen Systems in der SBZ in eine „Volksdemokratie“ wurde damit bereits offen dargelegt. Dass die SED bei der Umgestaltung des politischen Systems die Führung beanspruchte, wurde ebenfalls kaum verklausuliert in der Resolution erwähnt. Hierzu hieß es: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands verkörpert den Willen zur Einheit der Arbeiterbewegung. Sie weist dem Kampf der Arbeiterklasse Richtung und Ziel und bildet zugleich das Kraftzentrum der antifaschistisch-demokratischen Blockpolitik. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei der Einheit Deutschlands und daher die führende Kraft im Kampfe gegen Faschismus und Militarismus, im Kampfe um Demokratie,

159 Bericht des Landesvorstandes der SED des Landes Sachsen-Anhalt für Juli 1947 (­LHASA, MER, P 515, Nr. 316, Bl. 12 f.). 160 Ebd. 161 Entschließung des II. Parteitags zur politischen Lage vom 24.9.1947. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948, S. 214 f.

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Frieden und Völkerversöhnung. Über ihre Gegenwartsaufgaben zur demokratischen Neugestaltung lenkt sie die demokratische Entwicklung in die Bahn des Kampfes um den Sozialismus.“162 Auf den innerparteilichen Aufbau der Partei ging die Resolution ebenfalls ein. Das Parteischulungssystem sollte ausgebaut und die Grundeinheiten der Partei weiter gefestigt werden. Besonders wurde dabei der Ausbau der Betriebsgruppe hervorgehoben.163 Dass der Umbau der SED von einer Massenpartei zu einer Partei neuen Typus mit dem II. Parteitag endgültig begonnen wurde, wurde nochmals in folgenden Sätzen der Resolution deutlich. „Um die marxistische Theorie reinzuhalten und weiterentwickeln zu können, muss die Partei ständig daran arbeiten, das sozialistische Bewusstsein zu heben. Darum besteht jetzt die innerparteiliche Hauptaufgabe darin, das qualifizierte Wachstum der Partei zu fördern.“164 Von Parteisäuberungen war in der Resolution zwar noch nicht die Rede, doch deutete der Begriff „qualifiziertes Wachstum“ bereits die Hinwendung der SED zu einer Partei neuen Typus an, in der sich der marxistisch-leninistisch gut geschulte Funktionärsapparat deutlich von der breiten gehorsamen Mitgliederbasis unterschied. Zwar bekannte sich die Resolution am Ende nochmals zum Gründungskompromiss aus dem Jahr 1946, doch wurde dieser u. a. durch die oben zitierten Auszüge aus der Resolution soweit unterhöhlt, dass viele ehemalige Sozialdemokraten dieses Bekenntnis kaum mehr ernst nehmen konnten.165 Am 30. September bzw. am 3. Oktober 1947 werteten der Liebenwerdaer und der Schweinitzer SED-Kreisvorstand die Ergebnisse des II. Parteitags aus. Die anschließende Diskussion kreiste im Schweinitzer Kreisvorstand erneut hauptsächlich nur um Versorgungsfragen. Substanzielles zu den Beschlüssen des II. Parteitags wurde nicht vorgebracht. Lediglich das Kreisvorstandsmitglied Otto Krause (KPD/SED) aus Frankenhain gab ganz auf der Linie des Parteitags selbstkritisch zu bedenken: „Die Parteiarbeit lässt im ganzen Kreis viel zu wünschen übrig. Das einzelne Parteimitglied muss in den Versammlungen das einzige Rüstzeug erhalten. Nicht die Zahl der Parteimitglieder ist maßgebend, sondern die Stärke und Aktivität der Genossen.“166 Angesichts der bereits laufenden Kampagne gegen den Landrat Richter, der während des Kreisparteitags einige Stellen des Resolutionsentwurfs kritisierte, waren wohl viele im Kreisvorstand nicht mehr bereit, ihre Stellung durch kritische Gedanken gegen die Beschlüsse des II. Parteitags zu riskieren. Die von den oberen Gremien angeordnete Kampagne zur Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse blieb schließlich vor Ort weitestgehend wirkungslos. Im

162 163 164 165 166

Ebd., S. 226. Vgl. ebd., S. 229. Ebd. Vgl. ebd., S. 230. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 3.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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gesamten restlichen Jahr 1947 befasste sich z. B. der Schweinitzer SED-Kreisvorstand fast ausschließlich nur mit der Neubesetzung der Stelle des Landrats sowie mit der Initiierung der Volkskongressbewegung.167 Auch im Kreis Liebenwerda deuten mehrere Anmerkungen von Kreisvorstandsmitgliedern Anfang des Jahres 1948 auf eine ungenügende Umsetzung der Beschlüsse des II. Parteitags hin. Paul Mittig sagte z. B. in der Kreisvorstandssitzung am 23. Januar 1948, dass den Bildungsabenden „mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden“ müsste.168 Ebenfalls wurde am 20. Februar 1948 bemängelt, dass „der Besuch der Parteischule […] zu gering“ sei.169 Trotz der Beschlüsse des II. Parteitags und der dazu angesetzten Kampagne blieb also vor Ort eine organisatorische Umgestaltung der Partei weitestgehend aus. Die Bewältigung zahlreicher tagespolitischer Fragen sowie der Aufbau der Volkskongressbewegung Ende des Jahres 1947 verhinderten einen weitergehenden Umbau der SED zu einer „Partei neuen Typus“. Ebenso schien vielen Parteimitgliedern im Untersuchungsgebiet, auch angesichts der teils undeutlich formulierten Beschlüsse des II. Parteitags, die Tragweite dieser nicht immer ganz klar gewesen zu sein. Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht sowie die Berliner SED-Parteiführung erkannte, dass die Beschlüsse des II. Parteitags an der Basis weitaus weniger Wirkung entwickelten als vorgesehen, waren diese zur Durchsetzung der endgültigen stalinistischen Umgestaltung zu weiteren sichtbaren Schritten innerhalb der Partei gezwungen. Neben den Spannungen zwischen den Siegermächten war vor allem der endgültige Bruch Stalins mit der kommunistischen Partei in Jugoslawien im Mai 1948 ein weiteres auslösendes Moment für die nun einsetzenden forcierten Bemühungen zur Parteiumgestaltung.170 Andreas Malycha wies gleichfalls darauf hin, dass die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung und die daraus resultierende Planung nahezu zwangsläufig einen neuen Parteitypus erforderten, „der mithilfe seiner zentralistischen Strukturen in der Lage schien, den Wirtschaftsplan nicht nur auszuarbeiten, sondern gesamtgesellschaftlich durchzusetzen“.171 Der endgültige Wandel zur stalinistischen Partei neuen Typus vollzog sich nach der 10. Tagung des SED-Parteivorstandes am 13. Mai 1948. Wilhelm Pieck kündigte während dieser Tagung „eine strategische Änderung“ innerhalb der Parteiarbeit an, „die sich aus den Veränderungen in der politischen und staatlichen Situation in Deutschland ergibt“.172 Er kritisierte die fehlende Disziplin 167 Vgl. Protokolle der SED-Kreisvorstandssitzungen in Herzberg vom 3.10.1947, 12.10.1947, 9.11.1947 und 7.12.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 168 Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 23.1.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 169 Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 20.2.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 170 Vgl. Frank Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“. Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953, Göttingen 2005, S. 127–130. 171 Malycha, Partei von Stalins Gnaden?, S. 89. 172 Volker Sieger, Die Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typus“. Zu Ursachen, Verlauf und Auswirkungen des innerparteilichen Wandels 1948. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 4 (1995), S. 88.

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der SED-Mitglieder und forderte den Aufbau eines festen Parteiaktivs, „auf das sich die Partei in jeder Hinsicht verlassen kann“.173 Am Ende dieser Tagung nahm der Parteivorstand ohne größere Diskussionen vier Richtlinien zur Verbesserung der organisatorischen Arbeit der Partei an. Unter anderen wurde darin ausdrücklich festgelegt: „Die führende Rolle der Partei bedingt aber, dass alle Parteileitungen die Fähigkeit erwerben, den Staat, die Länder, Kreise und Gemeinden, die Betriebe, die Industrie, die Landwirtschaft, die Schule, das kulturelle Leben usw., das alles zu verwalten und zu führen.“174 Nachdem auf der 10. Tagung des Parteivorstandes das Ziel zur Umgestaltung in eine stalinistische Partei ohne Widerspruch der Vorstandsmitglieder offen festgelegt wurde, wurden die konkreten Maßnahmen zur Umsetzung dieses Zieles während der folgenden Tagungen vom Parteivorstand beschlossen. Während der 11. Tagung am 29. und 30. Juni 1948 nahm der Parteivorstand neben dem Zweijahresplan eine Entschließung zur Verbesserung der Parteischulungsarbeit an.175 Gleichfalls verabschiedete das Zentralsekretariat der SED am 3. Juli 1948 die Entschließung „Zur jugoslawischen Frage“, in der der politische Kurs der jugoslawischen KP scharf verurteilt wurde. In Bezug auf die Entwicklung in Jugoslawien stellte das Zentralsekretariat darin fest: „Die wichtigste Lehre der Ereignisse in Jugoslawien besteht aber darin, mit aller Kraft daranzugehen, die SED zu einer Partei neuen Typus zu machen, die unerschütterlich und kompromisslos auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht. Dazu ist es notwendig, einen festen, zielklaren Funktionärskörper in der Partei zu schaffen, die Kritik und Selbstkritik ohne Ansehen der Person zu entfalten und den Kampf gegen alle Feinde der Arbeiterklasse, insbesondere gegen Schuhmacher-Agenten, mit rücksichtsloser Schärfe zu führen.“176 Dies nahm die auf der 12. Tagung des Parteivorstandes am 28. und 29. Juli 1948 gefassten Beschlüsse zur Säuberung der Partei bereits vorweg. Während der 12. Tagung am 28./29. Juli 1949 wurden schließlich die Grundlagen zur Säuberung der Partei sowie zur Entwicklung eines disziplinierten und ideologisch gefestigten Funktionärsstabs geschaffen. In dem vom Parteivorstand dazu verabschiedeten Beschluss mit dem bezeichnenden Namen „Für die organisatorische Festigung der Partei und für die Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“ wurde u. a. der konkrete Personenkreis festgestellt, der aus der Partei entfernt werden sollte. In dem Beschluss des Parteivorstandes hieß es: „Ein beschleunigtes Ausschlussverfahren ist gegen folgende Kategorien von Mitgliedern durchzuführen:

173 174 175 176

Ebd., S. 88 f. Malycha, Partei von Stalins Gnaden?, S. 103 f. Vgl. Sieger, Die Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typus“, S. 90. Entschließung des Zentralsekretariates der SED „Zur jugoslawischen Frage“ vom 3.7.1948. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Band II, Berlin 1951, S. 82.

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• Mitglieder, die eine parteifeindliche Einstellung vertreten; • Mitglieder, die eine sowjetfeindliche Haltung bekunden; • Mitglieder, die an Korruptionsaffären, Schiebereien, kriminellen Verbrechen direkt oder indirekt beteiligt sind; • Mitglieder, die über ihre politische Vergangenheit in der Nazizeit wahrheitswidrige Angaben gemacht haben; • Mitglieder, bei denen begründeter Verdacht besteht, dass sie im Interesse parteifeindlicher Kräfte (Agenten des Ostsekretariats der SPD) oder als Spio­ ne und Saboteure fremder Dienste in der Partei wirken.“177 Für die politische Säuberung der Partei wurde während der 13. Tagung des Parteivorstandes am 15. und 16. September 1948 die Einrichtung einer Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) sowie die Bildung von Parteikontrollkommissionen auf der Länder- und Kreisebene angeordnet. Diese Kommissionen sollten in ihrem jeweiligen Bereich jedes bekannt gewordene Vergehen von Parteimitgliedern untersuchen. Dabei besaßen die Kontrollkommissionen das Recht, Parteistrafen (Verwarnung, Rüge, strenge Rüge, Parteiausschluss), aber auch Versetzungen und Degradierungen in der Partei und in Staatsämtern auszusprechen. Die Kreisparteikontrollkommission (KPKK) sollte aus drei Mitgliedern und zwei Kandidaten bestehen, die vom Kreisvorstand gewählt und auf Landesebene bestätigt wurden. Diese mussten ihre unbedingte Parteitreue und ideologische Schulung mehrfach bewiesen haben und seit mindestens fünf Jahren Parteimitglied gewesen sein.178 Mit diesem kleinen Gremium wurden auf Kreisebene lange Entscheidungsfindungen weitestgehend ausgeschlossen. Die Parteiführung schuf damit die organisatorischen Voraussetzungen für eine schnelle und unkomplizierte Parteisäuberung. Neben der Einrichtung der Kontrollkommissionen distanzierte sich die Partei auf der 13. Tagung nun endgültig vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“. Dazu musste Anton Ackermann im Parteivorstand Selbstkritik üben.179 Der Umbau zur stalinistischen Partei neuen Typus wurde letztlich am 24. Januar 1949 mit der Schaffung des siebenköpfigen Politbüros vollendet. Das Politbüro löste das Zentralsekretariat und damit auch endgültig den Parteivorstand als höchste Instanz in der SED ab. Vom Politbüro ging nun in der zen­ tralistisch aufgebauten SED alle Macht aus.180 Gleichfalls wurden in Anlehnung an diesen Beschluss auf Länderebene kleinere Sekretariate gebildet, die wie das Politbüro aus sieben Personen bestanden und den Landesvorstand faktisch

177 Beschluss des Parteivorstandes für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen vom 29.7.1948. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Band II, Berlin 1951, S. 85. 178 Vgl. Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“, S. 135 f. 179 Vgl. ausführlicher zur Selbstkritik Anton Ackermanns: Hurwitz, Die Stalinisierung der SED, S. 445–448. 180 Vgl. Malycha, Partei von Stalins Gnaden?, S. 108 f.

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e­ ntmachteten.181 Auf der SED-Parteikonferenz vom 25. bis 28. Januar 1949 wurden alle oben skizzierten Maßnahmen zum stalinistischen Umbau der Partei endgültig festgeschrieben.182 2.5

Die politischen Säuberungen in der SED 1948/49

Die zwischen der 10. und 13. Tagung des Parteivorstandes festgelegten Richtlinien zur Umgestaltung der Partei wurden in den beiden untersuchten Kreisverbänden zunächst unterschiedlich aufgenommen. Bereits die Ankündigung der Säuberungsabsicht während der 11. Tagung des Parteivorstandes löste im heillos zerstrittenen Schweinitzer SED-Kreisverband eine Welle gegenseitiger Beschuldigungen und Denunziationen aus, die noch vor der 12. Tagung des Parteivorstandes in einer kompletten Säuberung des Kreissekretariates mündeten. Erhard Michalke nutzte diese politische Entwicklung aus, um endgültig gegen Josef Schippers vorzugehen. Gegen Schippers, der von Beginn an nur widerwillig mit Michalke zusammenarbeitete, brachte er mehrere Anschuldigungen beim Landesvorstand vor. Neben der Unterstellung, er arbeitete für die „Schuhmacherbewegung“, wurde ihm vorgeworfen, während der NS-Zeit gegen einzelne Beschäftigte des Armaturenhersteller Marx & Moschütz ausgesagt zu haben. Am 29. Juli 1948 – am selben Tag als in Berlin der Parteivorstand über die politische Säuberung abstimmte – unterrichtete Erhard Michalke den zu einer Sondersitzung zusammengerufenen Schweinitzer Kreisvorstand davon, dass Josef Schippers aus der Partei ausgeschlossen wurde. Laut Protokoll begründete dies Michalke hauptsächlich mit Schippers Verhalten während der NS-Zeit. Schippers Sympathie mit der „Schuhmacherbewegung“ spielte während dieser Sitzung noch keine Rolle.183 Erst während der Kreisparteiarbeiterkonferenz am 21. August 1948, als Michalke nochmals auf den Fall Schippers einging, unterstellte er diesem, dass er „die Personalpolitik von schuhmacherischen Elementen bestimmen“ ließ.184 Den wahren Grund für das Vorgehen gegen Schippers schob Michalke während der Kreisarbeiterkonferenz am 21. August 1948 aber sofort nach, indem er sagte, dass „ihm von wichtigen Entscheidungen“ im Kreisvorstand „keine Kenntnis“ gegeben wurde“.185 Ideologische Abweichungen waren offensichtlich wohl nicht der Hauptgrund für das Vorgehen gegen Schippers. So verteidigte 181 Vgl. Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 511. Dem neuen verkleinerten SED-Landessekretariat gehörten im Land Sachsen-Anhalt Bernhard Koenen (KPD/SED), Werner Bruschke (SPD/SED), Robert Siewert (KPD/SED), Otto Walter (KPD/SED), Paul Verdieck (SPD/SED) und Alois Pisnik (KPD/SED) an. 182 Vgl. Malycha, Partei von Stalins Gnaden?, S. 108. 183 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 29.7.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 184 Protokoll der Schweinitzer SED-Kreisarbeiterparteikonferenz vom 21.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 25, unpag.). 185 Ebd.

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Josef Schippers in allen seinen Äußerungen im Kreisvorstand vor dem Parteiausschluss die offizielle Linie der Partei. Noch am 16. Juli 1948 sagte er z. B. im Kreisvorstand zum beschlossenen 2-Jahresplan und der Rolle der Partei: „Es ist notwendig in Bezug (auf den 2-Jahresplan), die Rolle der Partei aufzuzeigen, […], um der Motor des Wirtschaftslebens zu bleiben und die Belange der Arbeiterklasse zu vertreten. Wir sind ein neuer Typus geworden, wir dürfen nicht davon abgehen, die Linie des Marxismus konsequent zu vertreten […]. Gerade die Besatzungsmacht, die Sowjetunion, unterstützt uns in dieser Hinsicht 100-prozentig.“186 Gleichfalls stellte Schippers in dieser Sitzung den Resolutionsentwurf der SED-Parteiführung zum 2-Jahresplan vor, der daraufhin einstimmig ohne Änderung vom Kreisvorstand angenommen wurde.187 Dass die ideologischen Unterschiede bei dem Ausschluss von Josef Schippers nur eine untergeordnete Rolle spielten, war auch an den Maßnahmen gegen die beiden ehemaligen KPD-Mitglieder Richard Nobest und Maria Liedtke zu erkennen. Beide arbeiteten im Kreissekretariat mit Josef Schippers eng zusammen und teilten mit ihm ihre Abneigung gegen den ortsfremden und zudem äußerst ehrgeizigen Erhard Michalke. Richard Nobest wurden im Juli 1948 mehrere Wirtschaftsvergehen vorgeworfen. Maria Liedtke unterstellte man dagegen das Abhören des Telefons von Erhard Michalke, „um die Genossen Nobest und Schippers von irgendeiner Sache in Kenntnis zu setzen“.188 Beide wurden am 29. Juli 1948 genauso wie Josef Schippers von ihren Positionen entfernt. Richard Nobest wurde einstimmig beurlaubt. Im Fall von Maria Liedtke stimmten, bei einer Stimmenthaltung, ebenfalls alle Kreisvorstandsmitglieder für eine Entlassung.189 Interessanterweise unterstellte Erhard Michalke auch Nobest und Liedtke erst nach der Bekanntgabe der Beschlüsse der 12. Tagung eine Sympathie mit der „Schuhmacherbewegung“.190 Michalke schien erst nach der 12. Tagung, als erstmals offen in der SED zur Entfernung von Anhängern der „Schuhmacherbewegung“ aufgerufen wurde, dieses Argument zur Ausschaltung der innerparteilichen Konkurrenz offen gebraucht zu haben. Zur Diskreditierung der drei Mitglieder des Kreissekretariates warf er diesen vor der 12. Tagung „lediglich“ Korruption und Vergehen während der NS-Zeit vor. Zur weiteren Überprüfung der Partei entschloss sich der Schweinitzer Kreisvorstand am 29. Juli 1948 in Absprache mit dem Landesvorstand eine siebenköpfige Untersuchungskommission einzurichten.191 Noch bevor im September

186 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 16.7.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 187 Vgl. ebd. 188 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 29.7.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 189 Vgl. ebd. 190 Vgl. Protokoll der Schweinitzer SED-Kreisarbeiterparteikonferenz vom 21.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 25, unpag.). 191 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 29.7.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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1948 die Schaffung von Parteikontrollkommissionen beschlossen wurde, entstand somit im Kreis Schweinitz ein eigenständiges Gremium zur Überprüfung und Säuberung der Partei. Bemerkenswert war dabei, dass Walter Eulitz dieser neuen Kommission als Vorsitzender angehörte.192 Eulitz, der sich als Volksrichter immer entschieden gegen Korruption in der Partei aussprach und aus diesem Grund auch von allen Parteiämtern Mitte 1947 zurücktrat, vermutete wohl, dass die angekündigte Parteisäuberung vor allem gegen korrupte Parteimitglieder vorgenommen werde, und entschloss sich aus diesem Grund zur Mitarbeit in der Untersuchungskommission. Er sagte z. B. in der Kreisarbeiterkommission am 21. August 1948: „Fast täglich erfahren wir, dass führende Genossen in gehobenen Positionen sich Wirtschaftsvergehen schuldig machen, diese Machenschaften liegen in der Zeit bedingt, aber wir müssen ganz konsequente Maßstäbe anlegen und die korrupte Verwaltung reinigen.“193 Viele Parteimitglieder begrüßten aus diesem Grund die Säuberung in der Partei. Dies führte allerdings dazu, dass meist Korruptionsvorwürfe konstruiert bzw. aufgebauscht wurden, um missliebige Personen aus der Partei zu entfernen. Auch in den Fällen der Parteiausschlüsse von Schippers, Nobest und Liedtke blieb ein starker Zweifel bestehen, ob alle vorgebrachten Anschuldigungen der Wahrheit entsprachen. Josef Schippers fühlte sich aufgrund seiner Absetzung schließlich so sehr in seiner Existenz bedroht, dass er nach Halle verzog und sich dort wenig später das Leben nahm.194 Nach der Entlassung von Josef Schippers, Richard Nobest und Maria Liedtke legte der Schweinitzer SED-Kreisvorstand am 9. September 1948 die neue Zusammensetzung des Kreissekretariates fest. Erhard Michalke wurde erneut zum Vorsitzenden gewählt. Jedoch war in dieser Abstimmung der Unmut in der Partei gegen sein Vorgehen im Fall Schippers offen erkennbar. Von den 15 anwesenden Kreisvorstandmitgliedern erhielt Michalke nur 11 Stimmen. Der bisher nicht zum Kreisvorstand gehörende Arbeitsgebietsleiter von Jessen, Kurt Tetzel, wurde dagegen einstimmig vom Vorstand zum gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt. Tetzel gehörte vor der SED-Gründung der KPD an. Damit wurde auch im Kreis Schweinitz die Parität unter den beiden Kreisvorsitzenden nicht mehr eingehalten. Kritik löste dies aber im Kreisvorstand laut Protokoll nicht aus.195 Dennoch entwickelte sich im Vorfeld dieser Kreisvorstandssitzung erneut ein

192 Vgl. ebd. Neben Walter Eulitz gehörten dieser Untersuchungskommission der Landrat Fritz Schwahn, Otto Eger, Karl Plavius, Kurt Tetzel, Plett und Frau Slesaczek an. 193 Protokoll der Schweinitzer SED-Kreisarbeiterparteikonferenz vom 21.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 25, unpag.). 194 Der Selbstmord von Josef Schippers wurde in der Entschließung der SED-Kreiskonferenz vom 20.11.1948 veröffentlicht. Darin hieß es: „Josef Schippers setzte seinem verbrecherischen Leben selbst ein Ende.“ Vgl. Entschließung für die Kreiskonferenz der SED am 20.11.1948, S. 4 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 2, unpag.). 195 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 9.9.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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schmutziger Machtkampf um die zu vergebenen Positionen im Kreissekretariat. Mit der Unterstützung von Erhard Michalke sollte der FDJ-Vorsitzende des Kreises Schweinitz, Werner Ehrich, im Kreissekretariat platziert werden.196 Unmittelbar nach der Bekanntgabe dieser Absicht tauchten gegen Ehrich jedoch Vorwürfe auf, dass er in der NS-Zeit Aufseher in einem Konzentrationslager gewesen wäre. In der Kreisarbeiterkonferenz am 21. August 1948 wurde dazu Folgendes gesagt: „Der Fall Ehrich war im Kreisvorstand erst bekannt, nachdem die Frage akut wurde, dass Werner Ehrich im Sekretariat eingebaut werden sollte. Derjenige, welcher die Anschuldigungen gegen Ehrich aufzeigte, erhielt von uns am 31.7.48 ein Schreiben zugestellt mit der Bitte, uns schnellstens seine Stellungnahme hierüber zu geben. Er ist Genosse und arbeitet im Sekretariat in Berlin-Friedrichshagen. Anstatt uns Bescheid zu geben, teilte er dem Genossen Kreutz, welcher ihm bekannt ist, mit, dass er vorläufig die Dinge zurückstellen muss auf höheren Befehl. Diese Angelegenheit erscheint äußerst fadenscheinig […].“197 Trotz dieses Einwandes musste Werner Ehrich alle seine Ämter in der Partei, der FDJ und im Kreistag aufgeben.198 Auch gegen Erhard Michalke wurden Ermittlungen durchgeführt. Ihm wurde u. a. vorgeworfen, sich gegen die sowjetische Besatzungsmacht geäußert zu haben. Da er selbst einige Erfahrung in den innerparteilichen Machtkämpfen besaß und die Konsequenten kannte, flüchtete Michalke Ende Oktober 1948 in den amerikanischen Sektor Berlins. Von der Kreiskontrollkommission wurde er dafür am 3. November 1948 aus der Partei ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang wurde nun ihm wiederum unterstellt „Verbindung zur Schuhmacherrichtung“ aufgenommen zu haben.199 Die Verhältnisse innerhalb der SED im Kreis Schweinitz waren nach der Ankündigung der Parteisäuberungen im gesamten restlichen Jahr 1948 derartig verworren, dass man hier durchaus von einem sprichwörtlichen Machtkampf „jeder gegen jeden“ sprechen konnte. Ideologische Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern waren im Kreis Schweinitz nicht zu erkennen. Wenn selbst Erhard Michalke, der in nahezu jeder Kreisvorstandssitzung seit seiner Ankunft im Kreis Schweinitz Anfang 1947 gegen die „Schuhmacherbewegung“ auftrat, nun plötzlich beschuldigt wurde, mit dieser zu sympathisieren, dann wurde dies spätestens jetzt als vorgeschobenes Argument offensichtlich.200

196 Vgl. ebd. 197 Ebd. 198 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 16.9.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.); Schweinitzer SED-Kreisvorstand an den Kreistagsvorsitzenden über die Umbesetzung von fünf SED-Kreistagsmitgliedern vom 23.9.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 123, unpag.). 199 Protokoll der Schweinitzer SED-Kreiskontrollkommissionssitzung vom 3.11.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 25, unpag.). 200 Vgl. Protokolle der Schweinitzer SED-Kreisvorstandssitzungen 1947 und 1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13).

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I­ nsgesamt wurden von Juli bis Dezember 1948 im Kreis Schweinitz 23 Personen aus der Partei ausgeschlossen.201 Im Kreis Liebenwerda vollzog sich die Entwicklung nach der 12. Tagung am 28./29. Juli 1948 in der SED zunächst sehr viel ruhiger als in der zerstrittenen Partei des Kreises Schweinitz. Die Beschlüsse der 12. Tagung wurden erstmals im Liebenwerdaer Kreisvorstand am 13. August 1948 diskutiert. Über diese Diskussion hieß es im Protokoll lediglich: „In der darauffolgenden Aussprache wurde allgemein die Befriedigung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Partei eine neue Richtung einschlage.“202 Dass allerdings nicht alle Kreisvorstandsmitglieder ohne größere Bedenken eine Parteisäuberung befürworteten, wurde in der nächsten Kreisvorstandssitzung am 23. September 1948 deutlich. In der Aussprache äußerten wohl einige Vorstandsmitglieder ihre Befürchtungen, dass eine Säuberung nicht konfliktfrei verlaufen würde. Aus diesem Grund antwortete der Kreisvorsitzende Felix Stanislawski drohend, „dass es eine friedliche Auseinandersetzung in der Partei geben kann, diese hört aber in dem Moment auf, wenn es sich um Genossen handelt, die feindlich unserer Linie gegenüberstehen“.203 Stanislawski machte damit die Entschlossenheit des Kreissekretariates zur Umsetzung des Säuberungsbeschlusses auch im Kreis Liebenwerda für jeden deutlich. Im Gegensatz zum Kreis Schweinitz entwickelte sich hier jedoch zunächst keine große Aktivität in dieser Frage. Das Falkenberger Kreisvorstandsmitglied Rudolf Mürner verlangte in der Sitzung am 13. August 1948 lediglich die Einberufung einer Vorstandssitzung der SED-Ortsgruppe Falkenberg, um hier „von jedem Funktionär eine klare Stellungnahme zur Sowjetunion“ zu verlangen.204 Am 23. September 1948 wurde dazu vom Vorstand festgestellt, dass „die Angelegenheit in Falkenberg in drei Sitzungen gewissermaßen geklärt worden“ ist.205 Parteiausschüsse wurden dabei nicht vorgenommen. Erst am 2. November 1948 beschäftigte sich der Liebenwerdaer Kreisvorstand mit fünf Parteiausschlüssen. Dabei handelte es sich jeweils um einfache SED-Mitglieder ohne überörtliche Funktion in der Partei sowie der Verwaltung.206 In dieser Sitzung wurden auch erstmals eine Kreiskontrollkommission sowie eine Untersuchungskommission

201 Berichte über den Stand der SED-Parteiorganisation im Land Sachsen-Anhalt von Juli bis Dezember 1948 (LHASA, MER, P 515, Nr. 317, Bl. 135, 151, 169, 184, 200, 221 und 245). 202 Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 13.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 203 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 23.9.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 204 Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 13.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 205 Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 23.9.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 206 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 2.11.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.).

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zur systematischen Überprüfung der Partei gewählt.207 Da der Liebenwerdaer Kreiskontrollkommission jedoch zentrale Vorgaben fehlten, nahm diese bis zum Februar 1949 ihre Arbeit nicht auf.208 Von Juli bis Dezember 1948 wurden schließlich im Kreis Liebenwerda nur zehn SED-Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen.209 Dies belegt, dass die Parteiführung im Kreis Liebenwerda keinen Grund für eine schnelle umfassende Parteisäuberung in den höheren Positionen der Kreispartei im Jahr 1948 sah. Da sich die verbliebenen Sozialdemokraten weitestgehend an die neue Parteilinie anpassten und die innerparteilichen Auseinandersetzungen im Gegensatz zum Schweinitzer Kreisverband nur minimal waren, vollzog sich hier die Parteisäuberung sehr viel langsamer. Dies änderte sich erst allmählich mit der Einrichtung der parteiinternen Untersuchungskommission am 2. November 1948.210 Die Untersuchungskommission ging auch im Kreis Liebenwerda einzelnen Vorwürfen gegen SED-Funktionäre nach. Einige SED-Parteimitglieder aus Grünewalde ergriffen beispielsweise diese Chance, um das SED-Kreisvorstandsmitglied und den ehemaligen SPD-Kreisvorsitzenden Otto Dietrich zu denunzieren. Ihm wurde u. a. vom Grünewalder Bürgermeister Paul Ruthenberg vorgeworfen, als Vorsitzender der Grünewalder GBK für die Bearbeitung der Bodenreform Kosten für sein Steuerberaterbüro erhoben und sich damit an der Durchführung der Bodenreform bereichert zu haben. Die Untersuchungskommission beschäftigte sich mit diesem Fall erstmals am 20. Dezember 1948 und sprach Otto Dietrich zunächst lediglich einen „schriftlichen Verweis“ aus.211 In der Sitzung des SED-Kreisvorstandes am 11. Februar 1949 sollte diese Strafe bestätigt werden. Jedoch intervenierte in diesem Fall Felix Stanislawski. Er forderte, wie es im

207 Vgl. ebd. 208 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 11.2.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). Das SED-Landessekretariat beschloss erst am 5.11.1948 im gesamten Land flächendeckend KPKK einzurichten. Die LPKK sollte dazu Richtlinien erstellen. Da im Kreis Schweinitz im Jahr 1948 keine KPKK gegründet wurde, deutet die Gründung der KPKK im Kreis Liebenwerda auf eine vom Landesverband unabhängige Initiative hin. Für die Parteisäuberung waren für das restliche Jahr 1948, wie vom SED-Landessekretariat am 6.9.1948 angeordnet wurde, die Untersuchungskommissionen in den Kreisen zuständig. Erst im März 1949 nahmen, wie noch zu zeigen sein wird, die KPKK im Untersuchungsgebiet ihre Arbeit auf. Vgl. Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“, S. 136, 141. 209 Berichte über den Stand der SED-Parteiorganisation im Land Sachsen-Anhalt von Juli bis Dezember 1948 (LHASA, MER, P 515, Nr. 317, Bl. 135, 151, 169, 184, 200, 221, 245). 210 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 2.11.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). Der Untersuchungskommission gehörten im Kreis Liebenwerda der Bad Liebenwerdaer Bürgermeister, Alfred Schubert, Herbert Kießling, Hildegard Flegel, Alfred Passin, Schwedtner und Kühne an. 211 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 11.2.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). Ein Protokoll der Sitzung der Untersuchungskommission vom 20.12.1948 war nicht erhalten. Die in dieser Sitzung behandelten Fälle wurden aber in der SED-Kreisvorstandssitzung am 11.2.1949 zur Bestätigung erneut diskutiert.

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Protokoll der Sitzung hieß, „ein neues Verfahren gegen Dietrich einzuleiten, da er sich und seine Familie durch die Bodenreform bereichert hat“.212 Nach dem relativ mildem Urteil der Untersuchungskommission griff nun der Kreisvorsitzende persönlich in den Fall ein und verlangte ausdrücklich im Kreisvorstand „es nicht bei dem Verweis zu belassen“.213 Die Gründe für das Vorgehen gegen Otto Dietrich waren wohl vielfältig. So erhoffte sich die SED im Kreis ebenso wie in Grünewalde ein Ende der ständigen Auseinandersetzungen zwischen Dietrich und Ruthenberg. Dazu wurde auch Paul Ruthenberg Anfang des Jahres 1949 vom Amt des Bürgermeisters abgesetzt. Des Weiteren versuchte wohl das SED-Kreissekretariat mit dem Vorgehen gegen Otto Dietrich, ein Exempel zu statuieren. Ein Parteiausschluss des ehemaligen SPD-Kreisvorsitzenden musste zwangsläufig allen ehemaligen kritischen SPD-Mitgliedern eine unmissverständliche Warnung sein. Auf gleiche Weise wurde schließlich im September 1948 auch gegen den ehemaligen SPD-Bezirksvorsitzenden Bruno Böttge im Land Sachsen-Anhalt vorgegangen.214 Jedoch war es auch im Fall von Otto Dietrich schwierig, politisch-ideologische Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Kreissekretariat über den Kurs der Partei zu belegen. Otto Dietrich verteidigte bis zuletzt den Kurs der Partei und trat z. B. im Vorfeld des II. Parteitags als Redner in den Ortsgruppen über den Resolutionsentwurf auf.215 Gleichfalls wurde er im Mai 1948 vom Kreisvorstand als Instrukteur zur Kontrolle des „Volksbegehrens für die Einheit Deutschlands“ in Grünewalde und Umgebung eingesetzt.216 Des Weiteren nahm Otto Dietrich auch nach den Säuberungsbeschlüssen am 29. Juli 1948 an mindestens zwei zentralen Agitationsschulungen über den neuen Charakter der Partei im Kreis Liebenwerda teil.217 Da sich ebenso im gesamten erhaltenen Nachlass keine kritische Äußerung Dietrichs zum neuen Kurs der Partei fand, sprach nicht viel für grundlegende ideologische Einwände von Otto Dietrich gegen den neuen Parteikurs. Dass Ende des Jahres 1948 ein Ausschluss aus der Partei für ihn unvorstellbar erschien, bewies auch seine Reaktion auf die Einladung zur Sitzung der Untersuchungskommission am 20. Dezember 1948.

212 Ebd. 213 Ebd. 214 Vgl. ausführlicher zum Fall Böttge: Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 430–434; Hurwitz, Die Stalinisierung der SED, S. 448–452. 215 Vgl. Schreiben des Vorsitzenden des Liebenwerdaer SED-Kreisverbandes, Felix Stanislawski, an Otto Dietrich in Grünewalde über die Übernahme eines Referats zur Entschließung des II. Parteitags vom 25.7.1947(PA Helfried Dietrich). 216 Vgl. Abteilung Organisation des SED-Kreisvorstandes Liebenwerda an Otto Dietrich in Grünewalde über die Durchführung des Volksbegehrens vom 18.5.1948 (PA Helfried Dietrich). 217 Vgl. Einladungsschreiben der Abteilung Organisation des SED-Kreisvorstandes Liebenwerda an Otto Dietrich in Grünewalde zu einem 4-Tage-Lehrgang in der Kreisparteischule in Elsterwerda vom 2.8.1948 (PA Helfried Dietrich); Einladungsschreiben der Abteilung Organisation des SED-Kreisvorstandes Liebenwerda an Otto Dietrich in Grünewalde zur Referentenschulung vom 12.10.1948 (PA Helfried Dietrich).

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So bat er den Kreisvorstand darum, diese Sitzung nochmals zu verlegen, da zur selben Zeit eine Sitzung des Hauptausschusses des Kreistags angesetzt war, an der er als Ausschussvorsitzender unbedingt teilnehmen musste.218 Wäre sich Dietrich der Konsequenzen dieser Sitzung bewusst gewesen, so hätte er wohl die Sitzung des Hauptausschusses verlegen lassen. Der Fall von Otto Dietrich wurde nach der Intervention von Felix Stanislawski an die im März 1949 neugebildete Liebenwerdaer KPKK übergeben. Die KPKK verhandelte diesen Fall am 7. Juli 1949. Nach eigenen Angaben wies Otto Dietrich in dieser Sitzung jede Schuld von sich, unberechtigte Gebühren während der Durchführung der Bodenreform in Grünewalde für sein Steuerbüro erhoben zu haben. Er gab lediglich zu, mit ausdrücklichem Wissen der Gemeindeverwaltungen Geld für die angefallenen von seinem Büro geleisteten Arbeiten erhalten zu haben. Dennoch wurden, Dietrichs Angaben zufolge, im Protokoll der Sitzung der KPKK vom 7. Juli 1949 seine Äußerungen so verfälscht, dass diese wie ein Eingeständnis wirken mussten, unberechtigte Gebühren erhoben und empfangen zu haben. Dieses Protokoll diente daraufhin während der SED-Ortsgruppenversammlung am 26. Juli 1949 als Hauptbeweisstück gegen Otto Dietrich. Dietrich versuchte sich während dieser Sitzung zwar zu verteidigen, doch der Grünewalder Bürgermeister verbot ihm eine ausführliche Stellungnahme.219 Otto Dietrich schrieb über diese Sitzung: „Von verschiedenen Genossen, insbesondere von den Genossen H. L. und M. B. wurde daraufhin vorgetragen, dass ich die Gemeinde Grünewalde und auch die Bodenbewerber geschädigt habe, dadurch für die Partei untragbar geworden sei und aus der Partei ausgeschlossen werden müsse. Die Versammlung hat dann auch dem Antrag entsprechend entschlossen. Ich nehme an, wenn mir Gelegenheit gegeben worden wäre, mich zur Sache aufklärend zu äußern, würde die Entscheidung der Versammlung anders gelautet haben.“220 Dieser Beschluss wurde drei Tage später (am 29. Juli 1949) vom Kreisvorstand einstimmig bestätigt und damit Otto Dietrich endgültig aus der SED ausgeschlossen. Gleichzeitig verlor er alle seine ehrenamtlichen Funktionen in der Partei, in den Massenorganisationen und im Kreistag.221 Dass gegen Otto Dietrich während des gesamten Ausschlussverfahrens nicht eine ­einzige „ideologische Verfehlung“ (z. B. Sympathisant mit der „Schuhmacherbewegung“ usw.) als Grund für den Parteiausschluss aufgeführt wurde, ist ein

218 Vgl. Otto Dietrich in Grünewalde an den Liebenwerdaer SED-Kreisvorstand über die Verschiebung des Termins der Untersuchungsausschusssitzung vom 13.12.1948 (PA Helfried Dietrich). 219 Vgl. Otto Dietrich in Grünewalde an den Liebenwerdaer SED-Kreisvorsitzenden, Paul Mittig, über die Verhandlung in der KPKK und der Grünewalder SED-Ortsgruppenversammlung vom 28.7.1949. 220 Ebd. 221 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 29.7.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.).

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weiterer Hinweis auf die wohl hauptsächlich durch persönliche Streitigkeiten und lokale Machtkämpfe motivierte Kampagne gegen ihn. Dennoch änderte dies nichts an den gegen ihn gerichteten, größtenteils konstruierten Vorwürfen, die zu keinem Zeitpunkt von der KPKK objektiv untersucht wurden. Die Verachtung gegen Otto Dietrich ging schließlich vonseiten der Grünewalder Kommunisten um Paul Ruthenberg und Heinz Kammel so weit, dass nach dem Parteiausschluss die Gemeinde Grünewalde Anzeige gegen Dietrich erstattete. Nachdem sich die Ermittlungen und das Verfahren nahezu zwei Jahre hinzogen, erfolgte am 23. April 1951 ein Urteil des Amtsgerichtes Bad Liebenwerda, in dem Otto Dietrich aufgrund Unterschlagung und Betrugs zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt wurde.222 Am 13. Juli 1951 wurde dieses Urteil vom Landgericht in Torgau endgültig bestätigt.223 Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands trat Dietrich seine Haftzeit im Haftkrankenhaus in Klein-Meusdorf an.224 In dem Verfahren offenbarten sich erneut die vorgeschobenen Gründe für den Parteiausschluss. So sagten alle kommunalpolitischen Gegner Dietrichs, darunter Paul Ruthenberg und Heinz Kammel, im Prozess gegen ihn aus.225 Dietrich betonte dabei, immer mit dem Einverständnis der Gemeindeverwaltung gehandelt zu haben. Da die Gemeinde die Beträge an Dietrichs Steuerbüro regelmäßig überwies, musste zumindest auch der Bürgermeister von dieser Praxis gewusst haben. Dennoch reagierte die Gemeindeverwaltung erst, als die Bodenreformarbeiten abgeschlossen waren, zu denen, wie Otto Dietrich wohl zu Recht sagte, kaum ein anderer in der Grünewalder Verwaltung fähig gewesen wäre, und nachdem Paul Ruthenberg und Heinz Kammel durch die beschlossenen Parteisäuberungen mit diesem Vorwurf gegen Dietrich vorgehen konnten.226 Abschließend kann zum Verfahren gegen Otto Dietrich gesagt werden: Wenn die Zahlung der von Dietrich angenommenen Beträge während der Durchführung der Bodenreform tatsächlich illegal gewesen wäre, dann hätten

222 Vgl. Urteil des Amtsgerichtes Bad Liebenwerda gegen Otto Dietrich in Grünewalde vom 23.4.1951 (PA Helfried Dietrich). Die Abschrift des Urteils ist auf den 10.5.1951 datiert. 223 Vgl. Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Torgau gegen Otto Dietrich in Grünewalde vom 13.7.1951(PA Helfried Dietrich). Die Abschrift des Urteils der 2. Strafkammer ist auf den 23.8.1951 datiert. 224 Vgl. Otto Dietrich in Grünewalde an den Herrn Oberstaatsanwalt des Gerichtsbezirkes Torgau über die Verschiebung seines Haftantritts in Klein-Meusdorf vom 5.10.1951 (PA Helfried Dietrich). In diesem Schreiben bat Otto Dietrich den Oberstaatsanwalt um eine kurzfristige Verschiebung seines Haftantrittes auf den 8.11.1951. Ob der Oberstaatsanwalt dieser Bitte nachkam, ging aus dem Nachlass nicht hervor. 225 Vgl. Ladung des Landgerichtes in Torgau für Otto Dietrich mit Auflistung der Zeugen vom 23.6.1951 (PA Helfried Dietrich). 226 Vgl. Abschrift des Urteils des Amtsgerichts Bad Liebenwerda gegen Otto Dietrich in Grünewalde vom 23.4.1951 (PA Helfried Dietrich); Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Torgau gegen Otto Dietrich in Grünewalde vom 13.7.1951 (PA Helfried Dietrich).

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nicht nur Otto Dietrich, sondern auch die Verantwortlichen in der Gemeindeverwaltung für ihre Mitwisserschaft verurteilt werden müssen. Letztlich musste sich allerdings nur Otto Dietrich für die angenommenen Beträge zur Bearbeitung der Bodenreform im Wert von 4 975 RM rechtfertigen.227 Wie im Fall von Otto Dietrich bereits zu erkennen war, verschärfte sich die Säuberung in der SED in beiden Landkreisen mit dem Arbeitsbeginn der KPKK. Im Kreis Liebenwerda wurden am 25. März 1949 Fritz Flegel (KPD/ SED), Ernst Greiner (KPD/SED) und Rudolf Weber (KPD/SED) als Mitglieder in die Liebenwerdaer KPKK berufen. Den Vorsitz übernahm Fritz Flegel. Des Weiteren gehörten im Kreis Liebenwerda Richard Kunitz (KPD/SED) und Albert Adler (KPD/SED) der KPKK als Kandidaten an.228 Die KPKK im Kreis Liebenwerda war ausschließlich mit ehemaligen Mitgliedern der KPD besetzt. Im Kreis Schweinitz bestimmte der Kreisvorstand erst am 14. April 1949 die Mitglieder der KPKK. Zum Vorsitzenden der KPKK wurde hier der Parteifunktionär Nestler gewählt. Nestler war bisher nicht in Spitzenfunktionen im Kreis tätig gewesen und wurde wahrscheinlich von der Parteileitung in Halle in den Kreis Schweinitz geschickt. Neben ihm wurden Otto Krause und Heinrich Krause Mitglieder der KPKK. Als Kandidaten fungierten im Kreis Schweinitz Karl Markiewicz und Otto Schmidt.229 Über deren Parteizugehörigkeit vor der Gründung der SED lagen keine Informationen vor. Von Anfang des Jahres 1949 bis zum 6. November 1949 wurden schließlich im Kreis Liebenwerda 37 Personen aus der Partei ausgeschlossen.230 Darunter befanden sich allerdings nur wenige führende Funktionäre. Neben Otto Diet­ rich wurde z. B. der ehemalige stellvertretende Landrat Friedrich Bothe (KPD/ SED) am 25. Mai 1949 aus der Partei entfernt.231 Ihm wurde vorgeworfen, vor Kriegsende als Agent der Gestapo tätig gewesen zu sein. Er soll 21 ausländische Arbeitskräfte bei der Bubiag an die Gestapo ausgeliefert haben.232 Ob dieser Vorwurf zutraf, konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise wollte man sich aber innerhalb der SED eines Konkurrenten um den Landratsposten sowie eines Vertrauten des Landrats Paul Paulick entledigen. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass der Landrat Paul Paulick aufgrund einer schweren Krankheit höchstwahrscheinlich nicht mehr in den Dienst zurückkehren könne. 227 Vgl. ebd. 228 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 25.3.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 229 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 9.9.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 230 Protokolle des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes 1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13). 231 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 25.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 232 Der Fall von Fritz Bothe wurde u. a. in der SED-Betriebsgruppe der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung bereits am 17.3.1949 angesprochen. Vgl. Niederschrift über die SED-Betriebsgruppenversammlung der Bad Liebenwerdaer Stadtverwaltung vom 17.3.1949 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 147, unpag.).

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Des Weiteren befanden sich unter den 37 ausgeschlossenen Mitgliedern die Bürgermeister von Gorden, Beutersitz und Kölsa.233 Karl König (SPD/SED) aus Domsdorf wurde im Kreis Liebenwerda im Jahr 1949 als einziger SED-Ortsvorsitzender und als einziger Kreistagsabgeordneter neben Otto Dietrich von seinen Ämtern entbunden.234 Er wurde jedoch nicht aus der Partei ausgeschlossen. Auch den drei Bürgermeistern sowie Karl König wurden keine ideologischen Abweichungen, sondern Wirtschaftsvergehen unterstellt.235 Unter den 37 im Jahr 1949 ausgeschlossenen SED-Mitgliedern befanden sich im Kreis Liebenwerda außerdem elf Mitglieder, die von der Entnazifizierungskommission mit Zwangsmaßnahmen belegt worden waren.236 An diesen Zahlen ist zu erkennen, dass sich die Ausschlüsse von führenden Funktionären im Kreis Liebenwerda zumindest im Jahr 1949 durchaus in Grenzen hielten. Ebenso kann keine große Ausschlusswelle gegen ehemalige führende sozialdemokratische Funktionäre festgestellt werden. Abgesehen von Otto Dietrich wurde kein führender ehemaliger Sozialdemokrat aus der Partei entfernt. Wie viele Mitglieder im Kreis Schweinitz im Jahr 1949 aus der Partei ausgeschlossen wurden, konnte nicht ermittelt werden. Da der Schweinitzer Kreisvorstand jedoch im gesamten Jahr 1949 keinen einzigen Ausschlussbeschluss verhandelte, kann davon ausgegangen werden, dass auch hier kaum ein führender Funktionär aus der Partei ausgeschlossen wurde.237 So nahmen nach der Flucht von Erhard Michalke und der Absetzung von Josef Schippers die Streitigkeiten innerhalb der Schweinitzer Kreispartei erheblich ab. Einen großen Anteil hatten daran die beiden provisorischen Kreisvorsitzenden, Karl Vetter und der Landrat Fritz Schwahn. Karl Vetter wurde am 29. Dezember 1948 extra vom Landesverband nach Herzberg versetzt, um die unterschiedlichen Interessen im Kreisverband auszugleichen.238 Bis zum 14. April 1949 blieb Karl Vetter in

233 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 11.2.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.); Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 25.3.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 234 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 24.101949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 235 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 11.2.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.); Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 25.3.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.); Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 24.10.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 236 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 1.7.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 237 Vgl. Protokolle der Schweinitzer SED-Kreisvorstandssitzungen 1949 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13). 238 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 29.12.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). Der kurz zuvor vom Kreisvorstand gewählte Kurt Tetzel gab aufgrund einer Krankheit seinen Vorsitzendenposten wieder auf.

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diesem Amt, bis er von Berthold Nickel aus Schlieben als erster Vorsitzender abgelöst wurde.239 Dass die Parteiausschlüsse im Jahr 1948/49 nicht das einzige und bevorzugte Mittel zur Verdrängung des sozialdemokratischen Einflusses in der SED war, wurde auch an den Ausschlusszahlen im gesamten Land Sachsen-Anhalt deutlich. Bereits vor der endgültigen Umgestaltung der Partei wurden von Juni 1947 bis Mai 1948 insgesamt 1 107 Parteimitglieder im gesamten Land Sachsen-Anhalt aus der Partei ausgeschlossen. Diese Zahl steigerte sich von Juni 1948 bis Mai 1949 auf lediglich 2 153 ausgeschlossene Personen. Die Zahl der Ausschlüsse stieg zwar im Land Sachsen-Anhalt um das Doppelte an, jedoch betrugen die Ausschlüsse von Juni 1948 bis Mai 1949 bei einer Gesamtmitgliederzahl von 422 344 Personen (Stand Juli 1948) lediglich 0,5 Prozent der gesamten SED-Mitglieder im Land Sachsen-Anhalt.240 Gleichfalls bestätigten die vom Landesverband angegebenen Ausschlussgründe die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsgebiet. Im gesamten Jahr 1949 wurden demnach 1960 Personen aus der Partei in Sachsen-Anhalt ausgeschlossen. Davon wurden 27,3 Prozent aufgrund von „Inaktivität“, 34 Prozent aufgrund von Korruption und 5,5 Prozent aufgrund von „falschen Angaben über ihre Vergangenheit“ aus der Partei entfernt. Nochmals 17,3 Prozent wurde eine Spionagetätigkeit vorgeworfen. Besonders interessant war aber, dass lediglich 12,9 Prozent bzw. 3 Prozent aufgrund einer partei- bzw. sowjetfeindlichen Haltung aus der Partei ausgeschlossen wurden.241 Dies erhärtet die These, dass die KPKK sowie die Parteivorstände nur einem geringen Teil der Mitglieder ideologische Abweichungen im Ausschlussverfahren unterstellten. Den KPKK sowie den Parteivorständen dabei lediglich die Konstruktion von anderen Straftatbeständen, wie z. B. Korruption oder Spionage, zu unterstellen, um ideologisch nicht gefestigte Mitglieder einfacher aus der Partei entfernen zu können, würde dabei wohl zu kurz greifen. So verdeutlichten diese Zahlen auch die bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte große Anpassung vieler ehemaliger Sozialdemokraten an den neuen Kurs der Partei. Wie im Untersuchungsgebiet gezeigt wurde, waren die Mitte 1948 immer noch in Verantwortung stehenden, führenden

239 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 14.4.1949 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). Berthold Nickel wurde 1894 in Metschkau (Kreis Stieglitz) geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er 1919 in Breslau in die SPD ein. Dort arbeitete er seit Anfang der 1920er-Jahre bei der Polizei und wurde Vorsitzender der Ortsgruppe des Schraderverbandes, einer linken Gewerkschafts-organisation der Polizei. Nach 1933 wurde er aufgrund seiner Parteizugehörigkeit aus dem Polizeidienst entfernt. Von 1933 bis zu seinem Einzug zur Wehrmacht 1942 arbeitete er als selbstständiger Handelsvertreter sowie als Reisender in einer Kohlehandlung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ er sich in Schlieben nieder, wo er der KPD beitrat und die Polizei wiederaufbaute. Vgl. Porrmann, Lebensbilder, S. 25–29. 240 Schmidt, „… mitfahren oder abgeworfen werden.“, S. 425 f. 241 Vgl. ebd., S. 429.

500

Festigung der Macht der SED

ehemaligen Sozialdemokraten weitestgehend jeder Kursänderung der Partei gefolgt. Ihre Absetzung und ihren Ausschluss aus der Partei erklärte sich in vielen Fällen also nicht durch ihre ideologischen Abweichungen, sondern aufgrund interner Machtkämpfe, die meist nicht entlang der alten Parteigrenzen geführt wurden. Dies beweisen nicht zuletzt auch mehrere Ausschlüsse von ehemaligen führenden KPD-Mitgliedern im Untersuchungsgebiet, wie z. B. von Richard Nobest, Maria Liedtke, Erhard Michalke und Friedrich Bothe. Dies soll nicht generell bedeuten, dass es im Untersuchungsgebiet keine Sozialdemokraten gab, die sich gegen die Umwandlung der SED zu einer stalinistischen Partei aussprachen, doch zogen sich viele davon, wie z. B. Otto Dietrich aus Falkenberg, bereits vor 1948 aus der Partei zurück. Spätestens seit dem II. Parteitag der SED im September 1947 musste aber jedem ehemaligen Sozialdemokraten in der SED die Entwicklung der Partei klar gewesen sein. Zwar mögen auch im Untersuchungsgebiet nicht alle ehemaligen SPD-Mitglieder innerlich mit dem neuen Kurs der Partei einverstanden gewesen sein, jedoch mussten sich besonders die führenden ehemaligen Sozialdemokraten in den Kreisvorständen, wie z. B. Otto Dietrich aus Grünewalde oder Josef Schippers, die Frage gefallen lassen, warum sie bis zu ihrem Parteiausschluss den Kurs der Partei mittrugen und in vielen Fällen sogar öffentlich propagierten. Aus diesem Grund und aufgrund der beschriebenen innerparteilichen Machtkämpfe konnte man in den Fällen Dietrich und Schippers nicht von einem ideologisch bedingten Ausschluss sprechen. Die in beiden Fällen wohl größtenteils konstruierten Ausschlussgründe dienten offensichtlich nicht der ideologischen Säuberung, sondern hauptsächlich für den Machterhalt bzw. -erwerb einer bestimmten Gruppe in der Kreispartei. Die Parteisäuberung forcierte also auch in den Kreisverbänden, in denen sich ehemalige Sozialdemokraten bereits weitestgehend an die neue Linie der Partei angepasst hatten, die Machtkämpfe innerhalb der Partei. Dass darunter vor allem ehemalige Sozialdemokraten zu leiden hatten, war aufgrund der von oben vorgegebenen Richtung der Säuberung vorprogrammiert. Auch wenn die Sozialdemokraten weitestgehend angepasst waren, war es durch ihre parteipolitische Vergangenheit bedeutend einfacher, diese innerhalb der Partei zu diskreditieren und von einflussreichen Posten zu entfernen. Dennoch konnte im Untersuchungsgebiet, aufgrund der nicht zu ermittelnden früheren Parteimitgliedschaft der ausgeschlossenen SED-Mitglieder, nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass bedeutend mehr ehemalige Sozialdemokraten 1948/49 aus der Partei ausgeschlossenen wurden.

Ausschaltung kritischer Kommunalpolitiker

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3.

Die Ausschaltung kritischer bürgerlicher Kommunalpolitiker in den Kreisverwaltungen

3.1

Kreis Liebenwerda

Auch wenn im Kreis Liebenwerda nach den Kreistagswahlen zunächst ein Kompromiss zur Besetzung der wichtigsten Stellen in der Kreisverwaltung zwischen der SED und den bürgerlichen Parteien gefunden wurde, endeten die Repressalien gegen die gewählten bürgerlichen Kreistagsabgeordneten nicht nach dem Abschluss der Wahlen. Noch bevor der Kreistag erstmals zusammentrat, verhaftete beispielsweise der NKWD/MWD am 18. Dezember 1946 den Bockwitzer Schulleiter und Vorsitzenden des CDU-Ortsvereins, Dr. Heinrich Menz. Dr. Menz gehörte bereits als Mitglied der DNVP bis zum Jahr 1928 dem Liebenwerdaer Kreistag an und kandidierte im Jahr 1946 erneut, diesmal für die CDU.242 Im Wahlkampf trat er, wie in der regionalen DDR-Geschichtsliteratur beschrieben wurde, „aktiv in öffentlichen Versammlungen gegen die gesellschaftliche Entwicklung und besonders gegen die SED auf“.243 Aufgrund dieser kritischen Äußerungen, seiner Vergangenheit in der DNVP und seines Einflusses als Bockwitzer Schulleiter sowie als CDU-Ortsvereinsvorsitzender wurde Dr. Menz in das Speziallager Buchenwald eingewiesen und nach der Auflösung des Speziallagerkomplexes am 13. Juni 1950 in den sogenannten Waldheim-Prozessen aufgrund „nazistischer Umtriebe“ zu weiteren acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 5. Oktober 1952 wurde er begnadigt, worauf er die DDR verließ und nach Hannover umzog.244 Die Verhaftung von Dr. Heinrich Menz, der nach der Kreistagswahl auf dem neunten CDU-Listenplatz in den Kreistag einzog, diente zweifellos auch als eine Warnung für die übrigen Liebenwerdaer Kreistagsmitglieder. Berücksichtigt man, dass im Kreis Schweinitz vor der Wahl im Herbst 1946 der CDU-Kreisvorsitzende Willi Lüderitz ebenso verhaftet wurde, der wie Dr. Menz der DNVP bzw. dem Stahlhelm vor 1933 angehörte, so wurde mit diesen Verhaftungen deutlich, dass die sowjetische Besatzungsmacht rechtskonservative Strömungen in der CDU bereits zu diesen Zeitpunkt, u. a. mit dem Mittel der Verhaftung, offen bekämpfte.245 Wie die Verantwortlichen der CDU im Kreis Liebenwerda im Einzelnen auf die Verhaftung von Dr. Menz reagierten, war anhand der Quellenlage nicht rekonstruierbar, doch warteten die führenden Vertreter der CDU – in der Hoffnung auf eine baldige Freilassung von Dr. Menz – noch bis

242 243 244 245

Vgl. Buchstab, Verfolgt und Entrechtet, S. 208. Vgl. Bergarbeiterland in Volkeshand, Band II, S. 51. Vgl. Buchstab, Verfolgt und Entrechtet, S. 208. Vgl. Lebenslauf von Willi Lüderitz (undatiert; StA Herzberg, Nr. 68, unpag.).

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Festigung der Macht der SED

zum 23. April 1947, bevor sie mit Berthold Jentzsch einen Ersatzmann für Dr. Menz im Liebenwerdaer Kreistag vorschlugen.246 Die gegenseitige Abneigung zwischen den politischen Hauptakteuren im Kreis Liebenwerda steigerte sich mit der bereits beschriebenen Verhaftung des Kreisrates Willy Rose im Sommer 1947 noch weiter. So scheiterte der anfängliche Ansatz der SED, die bürgerlichen Parteien im Kreis Liebenwerda mit kleinen Zugeständnissen auf ihre Linie zu bringen, bis Mitte 1947 vollständig am eigenen Machtanspruch der Partei, den sie zur weiteren Umsetzung und Bewahrung der von ihr zusammen mit der sowjetischen Besatzungsmacht voran­ getriebenen gesellschaftlichen Transformationsmaßnahmen benutzen wollte. Dagegen glaubten sowohl die Vertreter der CDU als auch der LDP im Kreis, dass sie nach den Wahlen an parlamentarisch-demokratische Traditionen anknüpfen und damit ihren politischen Einfluss im Kreis erheblich erweitern könnten. Gleichfalls waren viele bürgerliche Kommunalpolitiker nicht bereit, eine weitere Transformation der Gesellschaft, die mit einer forcierten Diktaturdurchsetzung zwangsläufig verbunden war, zu akzeptieren. Beide Positionen standen diametral gegeneinander. So versuchten die beiden bürgerlichen Parteien im Liebenwerdaer Kreistag im gesamten restlichen Jahr 1947 ihren Einfluss in der Kreisverwaltung zu erweitern. Trotzdem es den beiden bürgerlichen Parteien nicht gelang, das Personalamt in der Kreisverwaltung zu besetzen, forderten diese in der Kreistagssitzung am 31. Oktober 1947 die paritätische Stellenbesetzung in der Kreisverwaltung. Den bürgerlichen Parteien war es zwar möglich, eine einstimmige Absichtserklärung zur paritätischen Stellenbesetzung im Kreistag durchzusetzen, doch wurde dieser Beschluss im Personalausschuss der Kreisverwaltung in der folgenden Zeit stark unterhöhlt.247 Als am 21. November 1947 die Umsetzung des Beschlusses im Personalausschuss besprochen wurde, verwies der Vorsitzende Friedrich Bothe (SED) die Vertreter der CDU und LDP lediglich darauf, dass in der Kreisverwaltung immer noch 134 Parteilose beschäftigt seien, die von den beiden bürgerlichen Parteien für einen Parteieintritt geworben werden könnten. Da sich die CDU und LDP-Vertreter mit dieser Verfahrensweise nicht zufriedengaben, sagte Bothe diesen die bevorzugte Einstellung von CDU- und LDP-Mitgliedern zu. Bothe musste zudem der CDU und LDP zugestehen, dass alle Einstellungen im Betriebsrat sowie im Personalausschuss be-

246 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Liebenwerda vom 23.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 180); Liebenwerdaer CDU-Kreisverband an den Vorsitzenden des Kreistages über die Einführung eines Ersatzmannes für das Mandat von Dr. Heinrich Menz vom 21.4.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 392). 247 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Liebenwerda vom 31.10.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 121 f.). In der Diskussion verwiesen CDU und LDP auf einen gleichlautenden Beschluss des Ältestenrates des sachsen-anhaltinischen Landtags. Dies erklärt womöglich die Zustimmung der SED zu diesem von den bürgerlichen Fraktionen eingebrachten Antrag.

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sprochen werden sollten.248 Da allerdings die SED sowohl im Betriebsrat als auch im Personalausschuss mit dem Vorsitz von Friedrich Bothe die Mehrheit besaß, erhielten die bürgerlichen Parteien keinen eigenen Einfluss auf die Stellenneubesetzung. Dass ohne diesen Einfluss die Zusicherung von Friedrich Bothe auf eine bevorzugte Behandlung von Mitgliedern der bürgerlichen Parteien wenig galt, zeigte sich auch an der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Liebenwerdaer Kreisverwaltung. Trotz der Ankündigung von Bothe sank bis zum 12. November 1948 die Zahl der ohnehin wenigen beschäftigten Mitglieder der CDU und LDP in der Kreisverwaltung. Waren am 21. November 1947 noch 35 Mitglieder der beiden bürgerlichen Parteien in der Kreisverwaltung beschäftigt, so verringerte sich diese Zahl bis zum 12. November 1948 auf nur noch 23 Mitglieder.249 Zwar sank aufgrund des Abbaus einiger Stellen in der Kreisverwaltung der prozentuale Anteil der CDU- und LDP-Mitglieder an der Gesamtbeschäftigtenzahl nur leicht, doch zeigte dies, dass die SED-geführte Kreisverwaltung keine Maßnahmen zur Umsetzung des Kreistagsbeschlusses vom 31. Oktober 1947 ergriff. Ganz im Gegensatz dazu wurde der SED-Mitgliederanteil innerhalb der Kreisverwaltung bis zum 12. November 1948 auf 63,4 Prozent ausgebaut. Ein knappes Jahr zuvor – am 21. November 1947 – betrug dieser nur 54,3 Prozent.250 Nachdem bei der Initiierung der Volkskongressbewegung Ende November 1947 weitere Auseinandersetzungen zwischen der SED und der CDU im Kreis Liebenwerda auftraten – auf welche noch gesondert einzugehen sein wird  –, ließ die sowjetische Besatzungsmacht in Zusammenarbeit mit der SED die Situation im Kreis Liebenwerda Anfang des Jahres 1948 eskalieren. Mit der Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen den Siegermächten und der beginnenden Umgestaltung der SED in eine Partei neuen Typus begannen die sowjetische Besatzungsmacht und die SED auch im Kreis Liebenwerda Anfang des Jahres 1948, ihren Kurs gegenüber unangepassten kritischen Persönlichkeiten in den bürgerlichen Parteien nochmals zu verschärfen. Anfang des Jahres 1948 scheuten sich die Besatzungsmacht sowie die SED nicht mehr, gegen den wohl SED-kritischsten und couragiertesten kommunalpolitischen Vertreter der CDU, Carl Schulze, vorzugehen. Als Leiter des Finanzamtes, Kreisrat, Landtagsabgeordneter und trotz seiner Absetzung als CDU-Kreisvorsitzender 1946 immer noch mit hohem Rückhalt in der Partei versehen, war Schulze zweifellos der politisch einflussreichste Vertreter der CDU im Kreis Liebenwerda. Die Kreiskommandantur musste sich nach dessen Absetzung als CDU-Kreisvorsitzender im Jahr 1946 eingestehen, dass dieser seine politische Stellung in der

248 Vgl. Protokoll der Sitzung des Personalausschusses der Liebenwerdaer Kreisverwaltung vom 21.11.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 28, Bl. 9). 249 Ebd.; Meldung der Liebenwerdaer Kreisverwaltung an die Landesregierung Sachsen-Anhalt über das Personal in der Kreisverwaltung Liebenwerda vom 12.11.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 83, Bl. 264). 250 Vgl. ebd.

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Stadt Bad Liebenwerda, im Kreis, im Land sowie in der Partei nicht nur halten konnte, sondern sogar ausbaute. Dabei nutzte er seine starke politische Stellung auch, wie z. B. im Fall der Berufung des Bad Liebenwerdaer Bürgermeisters Alfred Schubert gezeigt wurde, um gegen SED-Positionen offensiv vorzugehen. Nachdem er sich Ende November 1947 außerdem der Auffassung Jakob Kaisers in der Frage des Volkskongresses anschloss und damit zumindest vorübergehend der Liebenwerdaer CDU-Kreisverband eine Mitarbeit in der Volkskongressbewegung boykottierte, war die Geduld der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED mit Carl Schulze endgültig am Ende.251 Der Kreiskommandant entließ Carl Schulze am 2. März 1948 aus allen seinen Ämtern in der Kreisverwaltung. Als Begründung für diesen Schritt gab dieser u. a. an, dass Schulze bei der Erfassungskontrolle der Ernte im Herbst 1947 nicht anwesend war.252 Carl Schulze und die CDU-Kreistagsfraktion entgegneten auf diesen Vorwurf jedoch, dass sich Schulze zu diesem Zeitpunkt als Landtagsabgeordneter in Halle befand und auch mehrere andere SED-Kreistagsabgeordnete nicht an der Kontrolle teilnahmen.253 Nach der von der Besatzungsmacht veranlassten Entlassung begann die SED nun auf allen politischen Ebenen damit, Carl Schulze zum einen im Kreistag und zum anderen innerhalb der CDU von seinen Positionen zu verdrängen. In der Hoffnung, mehrere CDUund LDP-Abgeordnete würden aus Respekt vor der Entscheidung der Besatzungsmacht Schulze das Vertrauen und damit das Kreistagsmandat entziehen, stellte die SED-Kreistagsfraktion während der Sitzung am 14. April 1948 einen Misstrauensantrag gegen Carl Schulze. In dieser Sitzung entwickelte sich die bis dahin längste (über zwei Stunden währende) Kreistagsdiskussion seit der Wahl 1946, in der die Positionen der SED sowie der bürgerlichen Parteien hart aufeinanderprallten.254 Die wahren Gründe für die Absetzung von Carl Schulze wurden von der SED bereits im Misstrauensantrag vom 20. März 1947 kaum verklausuliert angesprochen. Darin hieß es: „Herr Schulze hat bisher in Bezug auf die Durchführung einer erfolgreichen Zusammenarbeit der Blockparteien alles getan, dieselbe zu erschweren und auch zu verhindern. In einer Reihe von Fällen hat er die Interessen ehemaliger Naziaktivisten vertreten (Seques­ trierung). Seine ablehnende Haltung gegenüber wirklichen Antifaschisten stellte er in der Frage, Bürgermeister Schubert Bad Liebenwerda, unter Beweis.

251 Vgl. Freiheit vom 10.12.1947, Nr. 285; Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 118 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 252 Vgl. Liebenwerdaer Kreistagsvorsitzender an Carl Schulze vom 8.3.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 333); Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 97). 253 Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 98). 254 Vgl. ebd., Bl. 94–100.

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Dieser Fall ist nicht der einzige. In den Sitzungen der Kommissionen und Ausschüsse, in denen er vertreten war, kam es des Öfteren zu Komplikationen.“255 Zusammengefasst bedeutete dies schlichtweg, dass Schulze aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber dem Machtanspruch der SED sowie gegenüber den gesellschaftlichen Umgestaltungsmaßnahmen nicht in das von der SED gewollte politische Schema eines führenden Mitglied einer Blockpartei passte und deshalb aus seinen Positionen entfernt werden musste. Während der Diskussion über den Misstrauensantrag wurde Carl Schulze von SED-Abgeordneten eine ganze Reihe von vermeintlichen Verfehlungen vorgeworfen. Ein Vorwurf zielte im gewohnten Muster darauf ab, dass man ihm unterstellte, sich ausschließlich für die Interessen ehemaliger Nationalsozialisten einzusetzen. Dies gipfelte sogar darin, dass ihm Alfred Schubert explizit vorwarf, während der NS-Zeit der Verhaftung entgangen zu sein. Schubert sagte: „Herr Schulze ist 1936 durch die Straßen geführt worden, weil er sich an der Wahl nicht beteiligt hatte. Es stimmt, dass er durchaus schikaniert worden ist. Aber ich wage zu behaupten, dass dieser Fall von den Nazis nicht als antifaschistisch angesehen worden war, dann wäre er bei mir in Buchenwald gelandet und wir hätten uns dort oben die Hand drücken können und gemeinsam für die Demokratie kämpfen können.“256 Carl Schulze gelang es, wie aus dem Protokoll der Kreistagssitzung hervorging, mit weitaus größerem rednerischem Geschick als die SED-Abgeordneten in der Diskussion alle Vorwürfe glaubhaft zu widerlegen. Trotz der Drohung, dass ein gescheiterter Misstrauensantrag gegen Carl Schulze auch ein Misstrauen gegen die Kreiskommandantur bedeuten würde, bewirkten Schulzes Ausführungen, dass sich nahezu alle bürgerlichen Kreistagsabgeordneten gegen den Misstrauensantrag der SED aussprachen.257 Mit 19 zu 23 Stimmen und einer Stimmenenthaltung wurde der Antrag der SED abgelehnt.258 Trotz dieses klaren Bekenntnisses zu Carl Schulze verweigerten die Kreiskommandantur sowie der Landrat Paul Paulick jedoch die Wiedereinsetzung von Carl Schulze als Leiter des Finanzamtes sowie als besoldeter Kreisrat. Auch die von Carl Schulze daraufhin angestrengte Klage vor dem Liebenwerdaer Arbeitsgericht und die Revision vor dem Landesarbeitsgericht wurden abgewiesen.259 In der Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichts hieß es dazu: „Das Berufungsgericht hatte zu prüfen, ob der Major Cholodjew von der ­Kreiskommandantur

255 Liebenwerdaer SED-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über die Einbringung eines Misstrauensantrags gegen Carl Schulze in den Kreistag vom 20.3.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 180). 256 Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 97). 257 Vgl. ebd., Bl. 96, 100. 258 Ebd., Bl. 100. 259 Vgl. Urteil des Landesarbeitsgerichtes Sachsen-Anhalt gegen Carl Schulze vom 18.11.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 275).

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die sofortige Entlassung des Klägers befohlen und die Weiterzahlung seiner Bezüge verboten hat […]. Daraufhin hat sich der Landrat Paulick mit dem Major Cholodjew in Verbindung gesetzt und bestätigt erhalten, dass eine endgültige Entlassung und keine Suspendierung erfolgt worden ist. Schließlich haben die stellvertretenden Landräte, Dr. Loda und Regierungsrat Foth, in einer weiteren Unterredung, die sie im Auftrag des Kreisrats mit Major Cholodjew herbeiführten, feststellen müssen – wie ihre Zeugenaussagen ergeben –, dass die Kreiskommandantur jede weitere Mitarbeit des Klägers an den Kreisgeschäften und die Fortzahlung seiner Bezüge über den Entlassungstermin hinaus ablehne. Damit war jeder Zweifel behoben. Da in ständiger Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichtes Sachsen-Anhalt ausgeführt (wurde), dass die Arbeitsgerichte nicht befugt sind, Anordnungen der Besatzungsmacht nachzuprüfen, zu kritisieren oder gar abzuändern, war der Entscheidung des Vorderrichters dem Grunde nach zuzustimmen.“260 Die SED konnte sich somit erneut auf die über allen demokratischen Regeln stehende sowjetische Besatzungsmacht verlassen. Da es allerdings der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED nicht auf parlamentarisch-demokratischen Weg im Kreistag gelang, Carl Schulze politisch endgültig zu beseitigen, versuchten diese, seine Stellung innerhalb der CDU anzugreifen, die ihn bisher vor der Absetzung als Kreistagsabgeordneter bewahrt hatte. Bereits am 23. März 1948 wurde die „Angelegenheit Schulze“ – wie bereits im Jahr 1946 bei seiner Absetzung als Kreisvorsitzender – auch im Landesvorstand der CDU diskutiert.261 In dieser Diskussion deutete sich, wie Christina Trittel treffend schrieb, die „Transformation der CDU des Landes Sachsen-Anhalt“ bereits an.262 So trat Carl Schulze seit der Gründung der CDU auch gegenüber dem CDU-Landesverband in einigen Fragen ebenso selbstbewusst und kritisch wie gegen die SED auf. Beispielsweise kritisierte er die Absetzung von Dr. Andreas Hermes und Dr. Walther Schreiber, die maßgeblich vom Landesverband mitbetrieben wurde.263 Er sprach sich ebenso in der Öffentlichkeit gegen die entschädigungslose Enteignung bei der Bodenreform und gegen die ungerechtfertigte Sequestrierung des Eigentums vermeintlicher „Nazi- und Kriegsverbrecher“ aus.264 Gleichfalls bekannte er sich, wie noch zu zeigen sein wird, zu der Position Jakob Kaisers bei der Initiierung der Volkskongressbewegung Ende November 1947 und kritisierte zusammen mit dem Liebenwerdaer

260 Ebd. 261 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. März 1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/2, unpag.). 262 Christina Trittel, Die Landtagsfraktionen in Sachsen-Anhalt von 1946 bis 1950. Analyse des landespolitischen Handelns und der Handlungsspielräume kollektiver Akteure in der werdenden DDR, Wiesbaden 2006, S. 226. 263 Vgl. Bericht von Otto Philipp über den Verlauf einer CDU-Veranstaltung vom 14.1.1946 (StA Bad Liebenwerda, FB 2, Sign. 60, unpag.). 264 Vgl. Bericht der Kreisleitung der SED über die CDU-Versammlung am 31.5.1946 im Capitol Bad Liebenwerda vom 1.6.1946 (LHASA, MER, P 515, Nr. 663, Bl. 45).

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CDU-Kreisverband den Landesverband scharf für seine Rolle bei der darauffolgenden Absetzung von Jakob Kaiser.265 Auch aufgrund seiner stehst unbequemen Haltung gegenüber dem CDU-Landesverband griff ihn der Landesgeschäftsführer Gotschol im CDU-Landesvorstand am 23. März 1948 scharf an. Im Protokoll dieser Sitzung wurde Gotschols wie folgt zitiert: „Schulze hat mit nicht haltbaren Material vor 2 Jahren eine Entschließung zur Annahme gebracht, sodass er später genötigt war, zu erklären, dass er schlecht informiert gewesen sei. Sein Amt im Kreisverband hat er schließlich niedergelegt, ist aber noch Mitglied des Kreisvorstandes (geblieben) und ist Landtagsabgeordneter geworden. In der letzten Zeit besonders hat sich Schulze jedoch Dinge geleistet, die unverantwortlich sind. So hat er z. B. das bewusste Rundschreiben von Jakob Kaiser in verschiedene Kreise gesandt. Weiter machte sich bei ihm in der letzten Zeit ein Widerstand gegen den Kreisvorstand und gegen die SMA bemerkbar. Vor kurzer Zeit ist er wegen eigener Fehler, die ihm in seiner Amtsführung nachgewiesen wurden, seines Amtes als Kreisrat entsetzt, betreibt aber seine Rechtfertigung. In der letzten Fraktionssitzung regte er einen Misstrauensantrag gegen die Landräte, auch gegen Dr. Loda, an. Vom Kreisvorstand ist Schulze aufgefordert worden, seine Mandate niederzulegen, was er jedoch ablehnt. Auch in Liebenwerda ist es Zeit, Ordnung zu schaffen. Gotschol empfiehlt, Schulze darauf aufmerksam zu machen, dass die Art seiner politischen Tätigkeit sich für die Partei nachteilig ausgewirkt hat und ihm empfohlen wird, aus dem politischen Leben einstweilen zurückzutreten.“266 Konkrete Anschuldigungen gegen Carl Schulze brachte der Landesgeschäftsführer Gotschol genauso wenig wie die SED im Kreis Liebenwerda vor. Vielmehr fällt auf, wie sich Gotschol mit seiner Positionierung gegen Jakob Kaiser und für die SED-Landräte auf die politischen Standpunkte der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der SED zubewegte. Der Landesvorsitzende der CDU, Leo Herwegen, ging zwar zu diesem Zeitpunkt in seiner Stellungnahme zu Carl Schulze noch nicht so weit wie Josef Gotschol, doch empfahl er Carl Schulze, zumindest seinen Widerstand gegen seine Absetzung als Kreisrat aufzugeben.267 Dass Herwegen aber genauso wie Gotschol auf das Ansehen bei der Besatzungsmacht sowie der SED Wert legte, zeigte sich darin, dass er im Landesvorstand sagte: „Wir müssen uns eben schon bei der Einsetzung derart wichtiger Stellen unsere Leute ansehen, da sonst all diese Vorkommnisse auf unsere Partei zurückfallen.“268 Letztlich einigte man sich in der Sitzung am 23. März 1948, dass zwar Carl Schulze nicht

265 Vgl. Ralf Thomas Baus, Die Christlich Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945–1948. Gründung – Programm – Politik, Düsseldorf 2001, S. 413. 266 Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.3.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/2, unpag.). 267 Vgl. ebd. 268 Ebd.

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das ­Kreistagsmandat entzogen werden könne, aber er als Kreisrat zurücktreten müsse. Zur Umsetzung dieses Beschlusses sollten zwei CDU-Vorstandsmitglieder mit Carl Schulze persönlich sprechen.269 Da jedoch Schulze mit der Klage gegen seine Entlassung nach der für ihn erfolgreichen Ablehnung des Misstrauensantrag weiterhin entschlossen war, seine Positionen zu verteidigen, erhöhte sich der Druck auf den Landesvorsitzenden der CDU Leo Herwegen. Dieser erklärte nun in der Sitzung des Landesvorstandes am 23. April 1948: „Er muss abtreten, da hilft alles nichts. Wenn einer das Vertrauen der SMA verloren hat, haben wir kein Recht, die Vertrauensfrage über ihn zu stellen […]. Wir müssen die Tatsache feststellen, er hat das Vertrauen der Administration verloren, vom politischen Offizier, wie von dem wirtschaftlichem Offizier.“270 Da Schulze allerdings auch weiterhin Unterstützer innerhalb des Landesvorstandes sowie in der Landtagsfraktion hatte, konnte sich der Landesvorstand am 24. April 1948 nicht auf ein Parteiausschlussverfahren gegen Carl Schulze einigen. Dies änderte sich allerdings bis zum Juli 1948. Nachdem Carl Schulze in erster Instanz den Prozess gegen seine Absetzung verlor, erhöhte sich auch der Druck der SMA sowie der SED auf den CDU-Landesvorstand. Ein eindeutiger Beleg dafür, dass die SMA erheblichen Druck auf die Mitglieder des Landesvorstandes ausübte, war die Aussage des im Mai 1948 neu gewählten CDU-Landesvorsitzenden Prof. Dr. Erich Fascher am 28. Juli 1948 im Landesvorstand. Prof. Fascher bestätigte, dass er der SMA die Zusage gab, dass sich Carl Schulze in nächster Zeit mit seinem Amtsverzicht zufrieden geben würde. Der neue Landesvorsitzende sagte dazu: „Setzt Herr Schulze dem Widerstand entgegen, bleibt uns nur der Parteiausschluss übrig.“271 So forderte man ihn jetzt nicht nur zum Verzicht auf den Kreisratsposten auf, sondern zur Aufgabe aller politischen Ämter. Auch nach weiteren Gesprächen von Landesvorstandsmitgliedern mit Carl Schulze blieb dieser jedoch entschlossen, seine Absetzung nicht zu akzeptieren und weiterhin seine Ämter im Kreis- sowie Stadtparlament auszuüben. Während der erweiterten CDU-Landesvorstandssitzung am 10. August 1948 stellte man ihm ein letztes Ultimatum. Bis zum 15. August 1948 sollte Schulze alle politischen Ämter aufgeben.272 Da er schließlich auch diesen Termin verstreichen ließ, setzte der Landesvorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen Carl Schulze in Gang. Schulze legte zwar auch dagegen Protest ein, doch verlor er, nachdem der CDU-Landesverband das Ausschlussverfahren einleitete, nun auch

269 Vgl. ebd. 270 Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.4.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/2, unpag.). 271 Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 28.7.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/2, unpag.). 272 Vgl. CDU-Landesverband an den Vorsitzenden des Liebenwerdaer CDU-Kreisverbandes über die Angelegenheit Schulze vom 11.8.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032– 001/2, unpag.).

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langsam einen großen Teil der Unterstützung der CDU-Kreistagsfraktion, die im Januar 1949 die endgültige Niederlegung des Kreisratsamtes von Carl Schulze verlangte. Schulze trat daraufhin am 26. Januar 1949 vom Posten des Kreisrates zurück.273 Gleichfalls legte er am 22. März 1949 sein Mandat als Landtagsabgeordneter nieder.274 Da sich die Bearbeitung des Parteiausschlussverfahrens und der von Carl Schulze eingereichten Proteste dagegen bis Mitte 1950 hinzog, gab er sein Kreistagsmandat erst am 24. Juni 1950 zurück.275 Seit der Einleitung des Parteiausschlussverfahrens spielte Carl Schulze jedoch ohne den Rückhalt der CDU keine führende politische Rolle mehr im Kreis Liebenwerda. Aber auch nach der Aufgabe aller seiner politischen Ämter hörten die Angriffe gegen Carl Schulze im Kreis Liebenwerda nicht auf. Da er im Jahr 1951 mehrfach Reisen nach Westberlin unternahm und dabei wohl dem RIAS und dem Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen Material zuspielte, verhängte das Amtsgericht Torgau am 5. Juli 1952 einen Haftbefehl gegen ihn. Im Gewahrsam des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde Schulze unterstellt, für den „amerikanischen Imperialismus“ gearbeitet, „zentrale Boykotthetze“ und „Kriegshetze“ betrieben zu haben. Nach der Durchsuchung seines Hauses, bei der u. a. große Mengen westlicher Literatur gefunden worden waren, wurde gegen ihn am Bezirksgericht in Cottbus ein Prozess eingeleitet. Am 11. November 1952 verurteilte das Gericht Carl Schulze zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren. Sein gesamtes Vermögen wurde eingezogen. Obwohl er am 25. Juni 1956 begnadigt und aus der Haft entlassen wurde, erhielt er sein Eigentum in Bad Liebenwerda nicht zurück. So entschied er sich, am 30. Oktober 1957 seine Heimatstadt zu verlassen und nach Westdeutschland zu flüchten. Carl Schulze verstarb dort mit 67 Jahren im Jahr 1960.276 Im Fall von Carl Schulze war die Radikalisierung der SED-Diktatur deutlich zu erkennen. Richteten sich die Angriffe gegen ihn ab dem Jahr 1948 nur gegen seine politische Arbeit, so vernichtete das SED-Regime Anfang der 1950er-Jahre zusätzlich seine persönliche Existenz. Das Schicksal von Carl Schulze stand damit nahezu idealtypisch für die Verschärfung des Diktaturdurchsetzungsprozess im Untersuchungsgebiet. Carl Schulze wurde allerdings auch ein Opfer des Anpassungsprozesses der CDU an die Politik der SED. Er erhielt, wie dargestellt, vom CDU-Landesverband seit seiner Absetzung zu keinem Zeitpunkt die nötige Rückendeckung, die er als Grundvoraussetzung benötigt hätte, um in seinen Ämtern bleiben zu dürfen. Weniger widerstandslos versuchte hingegen die ­CDU-Kreistagsfraktion,

273 Vgl. Carl Schulze an den Kreistagsvorsitzenden über die Niederlegung seines Amtes als Kreisrat vom 26.1.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 263). 274 Vgl. Trittel, Die Landtagsfraktionen in Sachsen-Anhalt, S. 223. 275 Vgl. Liebenwerdaer Kreistagsvorsitzender an die CDU-Kreistagsfraktion über die Mandatsniederlegung von Carl Schulze vom 29.6.1950 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, unpag.). 276 Vgl. Trittel, Die Abgeordneten, S. 176–178.

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die Absetzung von Carl Schulze zu akzeptieren. Dass sich diese zusammen mit einigen Liberaldemokraten gegen den von der Kreiskommandantur unterstützten Misstrauensantrag gegen Carl Schulze aussprachen, wurde bereits erwähnt. Gestärkt durch die Ablehnung dieses Misstrauensantrags unternahm die CDU-Kreistagsfraktion den Versuch, nun ihrerseits gegen den Landrat Paul Paulick sowie den stellvertretenden Landrat Dr. Paul Loda einen Misstrauensantrag zu stellen.277 Dass das CDU-Mitglied Dr. Loda in den Misstrauensantrag einbezogen wurde, verdeutlichte nochmals die Spaltung innerhalb der CDU. Während die Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion nahezu geschlossenen auf der Seite Carl Schulzes stand, vertraten mehrere Mitglieder des CDU-Kreisvorstandes, darunter auch Dr. Loda, den Kurs des CDU-Landesverbandes.278 Dr. Loda wurde in dem Misstrauensantrag der CDU-Fraktion vorgeworfen, er habe sich nicht energisch um die Anfang 1947 verabredete und bis dahin verschleppte Neubesetzung des Personalamtes eingesetzt.279 Dr. Loda begründete sein Vorgehen in dieser Frage während der Kreistagssitzung am 30. Juli 1948 damit, dass er den gesundheitlich angeschlagenen Landrat Paulick mit der Neubesetzung des Personalamtes nicht zusätzlich belasten wollte.280 Die CDU-Fraktion sah jedoch im gesundheitlichen Zustand des Landrats die Chance, die Spitzenämter im Kreis Liebenwerda entscheidend neu zu besetzen. Bereits in der Kreistagsvorstandssitzung am 15. Juni 1948 warf Carl Schulze die Frage der Besetzung des Landratspostens auf. Er bezog sich dabei auf die seit Februar/März 1947 anhaltende Krankheit des Landrats, die es ihm nur unregelmäßig erlaubte, sein Amt wahrzunehmen.281 Am 14. Juli 1948 reichte schließlich die CDU-Fraktion einen Misstrauensantrag gegen den Landrat Paul Paulick, den stellvertretenden Landrat Dr. Paul Loda und den Kreisrat Friedrich Bothe beim Kreistagsvorsitzenden Paul Mittig ein. In diesem Antrag hieß es: „Der auf der 3. Kreistags-Sitzung vom 23.4.1947 zu Punkt 7a der Tagesordnung gefasste Beschluss des Kreistages, […], ist bisher nicht umgesetzt, weil weder der 1. stellv. Landrat die ihm zugeteilten Arbeitsgebiete wahrnimmt, noch der Kreisrat Bothe sich auf die ihm zugeteilten Arbeitsgebiete beschränkt. Bei dieser

277 Vgl. Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über den Antrag auf Entzug des Vertrauens gegen den Landrat Paulick, den ersten stellvertretenden Landrat Dr. Loda und den Kreisrat Bothe gemäß § 35 der Kreisordnung vom 14.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 317). 278 Eine Spaltung des CDU-Kreisverbandes wurde auch in der Sitzung des CDU-Landesvorstandes am 23.3.1948 erwähnt. Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.3.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032-001/2, unpag.). 279 Vgl. Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über den Antrag auf Entzug des Vertrauens gegen den Landrat Paulick, den ersten stellvertretenden Landrat Dr. Loda und den Kreisrat Bothe gemäß § 35 der Kreisordnung vom 14.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 317). 280 Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 30.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 52). 281 Vgl. Protokoll der Liebenwerdaer Kreistagsvorstandssitzung vom 15.6.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 31, Bl. 63).

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Handlungsweise ist der Landrat Paulick durch die Haltung des 1. stellv. Landrats Dr. Loda und den besold. Kreisrat Bothe unterstützt worden, indem Dr. Loda sich bereit fand, das Arbeitsgebiet von Handel und Versorgung zu übernehmen, während der Kreisrat Bothe weiter die Geschäfte der Hauptverwaltung versieht.“282 Des Weiteren warf die CDU-Kreistagsfraktion dem Landrat erneut die widerrechtliche Einsetzung des Bad Liebenwerdaer Bürgermeisters, Alfred Schubert, sowie mehrere Verfehlungen einiger Angestellter der Kreisverwaltung vor, denen er nach Ansicht der CDU nicht energisch entgegengetreten war.283 Nach der Einreichung des Misstrauensantrags mobilisierte die SED sofort ihren gesamten Parteiapparat, um dagegen vorzugehen. So erklärte z. B. der Kreisvorstand des FDGB, dass dieser zum Mittel des Streiks greifen würde, wenn der Misstrauensantrag erfolgreich wäre.284 Des Weiteren verabschiedeten mehrere SED-Betriebsgruppen und Betriebsräte Resolutionen, in denen sie sich gegen das Vorgehen der CDU aussprachen.285 Gleichfalls verständigte das Liebenwerdaer Kreissekretariat der SED den SED-Landesverband, der gemeinsam mit der SMA sofort Druck auf den CDU-Landesverband ausübte, um den Misstrauensantrag zurückzuziehen. Obwohl am 28. Juli 1948 im CDU-Landesvorstand nicht über das Misstrauensvotum gegen den Landrat gesprochen wurde, erklärte Carl Schulze in der Kreistagssitzung am 30. Juli 1948, dass auf Wunsch des CDU-Landesverbandes die Abstimmung verschoben werden sollte. Nach kurzer Debatte, in der sich der Landrat Paulick sowie der stellvertretende Landrat Dr. Loda zu den Vorwürfen äußerten, wurde dieser Tagesordnungspunkt abgesetzt.286 Da am 15. August 1948 das Parteiausschlussverfahren gegen den Hauptinitiator dieses Misstrauensvotum, Carl Schulze, eingeleitet wurde und gleichfalls wohl kleinere Zugeständnisse an die CDU im Kreis Liebenwerda gemacht wurden, zog schließlich die CDU-Fraktion am 21. August 1948 in einer Besprechung aller drei Blockparteien den Misstrauensantrag zurück.287 Auf die zur politischen ­Auseinandersetzung mit 282 Vgl. Liebenwerdaer CDU-Kreistagsfraktion an den Kreistagsvorsitzenden über den Antrag auf Entzug des Vertrauens gegen den Landrat Paulick, den ersten stellvertretenden Landrat Dr. Loda und den Kreisrat Bothe gemäß § 35 der Kreisordnung vom 14.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 317). 283 Vgl. ebd. 284 Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 13.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.). 285 Vgl. Resolution der Belegschaft des Kraftwerkes Plessa an den Kreistagsvorsitzenden vom 26.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 318). 286 Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 30.7.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 51–53). 287 Bereits in der SED-Kreisvorstandssitzung am 13.8.1948 wurde erklärt, dass die „Aussicht besteht, dass diese Angelegenheit“ in einer Sitzung der Blockparteien am 21.8.1948 „ohne Kampf erledigt werden kann“. Laut SED-Kreisvorstand versuchte die CDU bereits zu diesem Zeitpunkt, auf die anderen Blockparteien zuzugehen. Vgl. Protokoll des Liebenwerdaer SED-Kreisvorstandes vom 13.8.1948 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 13, unpag.); Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 5.9.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 37–44).

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der SED entschlossenen CDU-Mitglieder der Kreistagsfraktion musste jedoch das Parteiausschlussverfahren gegen Carl Schulze sowie die vom Landesvorstand betriebene Zurücknahme des Misstrauensvotums gegen den Landrat Paul Paulick wie eine Kapitulation vor der SED gewirkt haben. Im Kreis Liebenwerda führten die Ablehnung des Misstrauensvotums gegen den Landrat Paulick sowie der Parteiausschluss von Carl Schulze zur Resignation vieler kritischer CDU-Kreistagsabgeordneter. Dabei kam hinzu, dass kritische bürgerliche Kreistagsabgeordnete nun schrittweise von der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht immer weiter an den Rand gedrängt wurden, während andere, die der SED weniger kritisch gegenüber standen, von der SED bevorzugt behandelt wurden. Beispielsweise begann im Jahr 1949 innerhalb des Liebenwerdaer Kreisverbandes der LDP ein entscheidender Wandlungsprozess. Der Liebenwerdaer LDP-Kreisvorsitzende und zweite stellvertretende Landrat, Walter Foth, der zwar seit Kriegsende durchaus konstruktiv mit dem Landrat Paulick zusammenarbeitete, aber oftmals nicht verhindern konnte, dass sich große Teile der LDP-Kreistagsfraktion dem kritischen Kurs der CDU anschlossen, wurde im April 1949 in den Landkreis Delitzsch versetzt.288 Unter anderem führte dies während des Kreisparteitages der LDP am 15. und 16. Mai 1949 zu einer kompletten Umgestaltung des LDP-Kreisvorstandes. In einem SED-Bericht hieß es dazu: „Es ist uns auch gelungen, im Kreisverband der LDP durch unsere Politik zu erreichen, dass nach der Wahl am 15. und 16. Mai fortschrittliche Kräfte den LDP-Kreisverband jetzt leiten.“289 Während des LDP-Kreisparteitages wurde Ernst-Karl Friedrich aus Bad Liebenwerda zum neuen Kreisvorsitzenden gewählt.290 Friedrich übte dieses Amt bis Ende der 1970er-Jahre aus. In der Rückschau sagte Friedrich zur Entwicklung der LDP im Kreis Liebenwerda: „Ich merkte sehr bald, dass politische Vorstellungen aus der Zeit der Weimarer Republik nicht mehr praktikabel waren. Wir mussten Neues entwickeln, und dafür bin ich mit Wort und Tat eingetreten. Dass sich einige alte Freunde von mir abwendeten, nicht mehr mit mir redeten, dass man versuchte mich zu diffamieren, war auch ein Ausdruck der harten politischen Auseinandersetzung der damaligen Zeit, nicht zuletzt auch in unserer Partei.“291 Friedrich leugnete nicht, dass es auch innerhalb der Liebenwerdaer LDP große Auseinandersetzungen über den Kurs der Partei gab. In seiner Rückschau er-

288 Vgl. Liebenwerdaer Kreistagsvorsitzender an die LDP-Kreistagsfraktion über die Neubesetzung der Mandate von Walter Foth und Johannes Schmelzer vom 4.5.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 32, Bl. 38). 289 Bericht in der Landratsangelegenheit in Bad Liebenwerda vom 28.10.1949, S. 2 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4948, unpag.). 290 LDP-Kreisverband Liebenwerda an den LDP-Landesverband Sachsen-Anhalt zur Bestätigung des neuen Kreisvorstandes vom 24.8.1949 (Archiv des Liberalismus, L5– 554, unpag.). Als stellvertretender Vorsitzender wurde Willi Granitza aus Mückenberg in den Vorstand gewählt. 291 Vgl. LDPD Informationen, Heft 10/1978, S. 16 f. (Archiv des Liberalismus, Nr. 26 799, unpag.).

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wähnte er auch, dass er persönlich bei der Durchsetzung seines SED-freundlichen Kurses durch die Kreiskommandantur unterstützt wurde.292 Wie er selbst bestätigte, konnten sich Friedrich und seine „fortschrittlichen Kräfte“ innerhalb des neuen LDP-Kreisvorstandes nur mit der Unterstützung der Besatzungsmacht und der SED durchsetzen. Sehr deutlich wurden die geänderten Machtverhältnisse innerhalb beider bürgerlichen Parteien bereits Mitte des Jahres 1949 bei den Verhandlungen zur Neuwahl des Landrats. Beide bürgerlichen Kreistagsfraktionen erhoben in einer ersten Besprechung mit der SED im Juli 1949 keinen Anspruch auf den Posten. Sie erklärten aber, dass sie von der Nominierung von Paul Gasche „nicht begeistert“ seien und es „ihren Mitgliedern in der Fraktion freistellen, ob sie für oder gegen Gasche stimmen“.293 Innerhalb beider bürgerlichen Kreistagsfraktionen zeigte sich in den folgenden Verhandlungen eine derartige Uneinigkeit, dass sie sich nicht auf eine einheitliche interne Position für die Neubesetzung des Landratspostens verständigen konnten. So ging die SED dazu über, die Abgeordneten der CDU und LDP „individuell für den Vorschlag (Paul Gasche) zu gewinnen“.294 Laut SED konnten daraufhin „ungefähr 8 bis 10 Abgeordnete“ der CDU für die Wahl von Paul Gasche überzeugt werden.295 Bei der wichtigen Frage der Neuwahl des Landrats ging somit ein tiefer Riss mitten durch die CDU-Fraktion. Letztlich stimmten in der Kreistagssitzung am 14. September 1949 insgesamt 27 Abgeordnete für Paul Gasche und nur 14 gegen den Vorschlag. Fünf Kreistagsabgeordnete enthielten sich der Stimme.296 Angesichts der von der Besatzungsmacht und der SED in beide bürgerliche Parteien getragenen Konflikte waren deren Kreistagsmitglieder nicht mehr zu einem geschlossenen Handeln bei der Landratswahl in der Lage. Zwar gelang es den bürgerlichen Parteien in der unmittelbar nach der Landratswahl folgenden Wahl eines neuen Kreisrats, mit knapper Mehrheit die Einsetzung des für die Durchführung der Bodenreform im Kreis Liebenwerda Hauptverantwortlichen, Fritz Flegel (KPD/SED), als neuen Kreisrat zu verhindern, doch war dies der letzte Abstimmungserfolg der beiden bürgerlichen Parteien im Kreis Liebenwerda bis zur Neuwahl des Kreistags am 15. Oktober 1950.297 Besonders deutlich wurde die Anpassung der beiden bürgerlichen Parteien an den politischen Kurs der SED an der Entwicklung der parlamentarischen Arbeit im Liebenwerdaer Kreistag. Stellten beispielsweise beide bürgerlichen Fraktionen im Jahr 1949 immer noch jeweils sieben eigene Anträge zur Abstimmung, so nahm die Bereitschaft der bürgerlichen Parteien zur Arbeit im 292 Vgl. ebd. 293 Bericht in der Landratsangelegenheit in Bad Liebenwerda vom 28.10.1949, S. 1 (BLHA, Rep. 930, SED BL Cottbus, Nr. 4948, unpag.). 294 Ebd, S. 2. 295 Ebd. 296 Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.9.1949 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 27, Bl. 101). 297 Vgl. ebd.

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Kreistag im Jahr 1950 erheblich ab. Während der fünf Liebenwerdaer Kreistagssitzungen bis zu den Wahlen am 15. Oktober 1950 brachte allein die CDU nur noch zwei Anträge in den Liebenwerdaer Kreistag ein. Die LDP stellte im Jahr 1950 keinen eigenen Antrag mehr.298 So wurde die parlamentarische Arbeit von den beiden bürgerlichen Parteien bereits lange vor den Neuwahlen im Oktober 1950 im Liebenwerdaer Kreistag praktisch eingestellt und zum größten Teil nur noch über Verwaltungsvorlagen abgestimmt. Wie sich auch im nächsten Gliederungspunkt über den Gleichschaltungsprozess der bürgerlichen Parteien im Kreis Schweinitz zusammenfassend zeigen wird, versuchte die sowjetische Besatzungsmacht zusammen mit der SED, über die übergeordneten Landesverbände der bürgerlichen Parteien und mit direkter Einflussnahme auf bürgerliche Kommunalpolitiker die Geschlossenheit der bürgerlichen Kreisverbände zu erschüttern. Dabei spielten politische Drohungen, aber auch Versprechungen und Zugeständnisse eine wichtige Rolle. Ohne die politische Geschlossenheit der Kreisverbände besaßen die vielen kritischen bürgerlichen Parteimitglieder kaum eine Chance, sich gegen die Übermacht der SMA und der SED durchzusetzen. Der empfundene Verlust des Rückhalts des jeweiligen Landesverbandes, wie z. B. im Fall von Carl Schulze, aber auch die ständige Missachtung von parlamentarischen Beschlüssen durch die Kreis- bzw. Landesverwaltung führte gleichfalls zu einer Resignation vieler bürgerlicher Parteimitglieder, von denen sich viele spätestens Anfang des Jahres 1949 sprichwörtlich in ihr Schicksal ergaben. In den Jahren 1949/50 verwandelten sich schließlich die bürgerlichen Kreistagsfraktionen in politische Organisationen, die kaum mehr arbeitsfähig waren und sich bei entscheidenden Fragen über die Zukunft des Kreises, wie z. B. der Wahl des Landrats, nicht mehr geschlossen präsentieren konnten. 3.2

Kreis Schweinitz

Die Ausschaltung kritischer bürgerlicher Kommunalpolitiker im Kreis Schweinitz vollzog sich in ähnlichen Phasen wie im Kreis Liebenwerda. Wie bereits ausgeführt, traf die SED im Kreis Schweinitz zu Beginn der Arbeit des neu gewählten Kreistags mehrere Absprachen mit der LDP, um die CDU als stärkste Kraft im Kreistag zu marginalisieren. Der wesentlichste Unterschied zum Kreis Liebenwerda bestand im Kreis Schweinitz darin, dass die CDU von Anfang an, trotz ihrer Stärke, von den wichtigsten Entscheidungsprozessen im Kreis bewusst ausgeschlossen werden sollte. Im Gegensatz zum Kreis Liebenwerda, wo zumindest ein anfänglicher Kompromiss bei der Stellenbesetzung im Kreistag erzielt wurde, versuchte also die SED im Kreis Schweinitz mithilfe der LDP,

298 Vgl. Protokolle über die Liebenwerdaer Kreistagssitzungen in den Jahren 1949 und 1950 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 27, 37).

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nicht einmal den Anschein einer gemeinsamen Blockpolitik bei der Neukonstituierung des Kreistages zu erwecken.299 Dies führte nahezu zwangsläufig zu weiteren schweren Konflikten zwischen der SED und der CDU im Schweinitzer Kreistag. Da dem Schweinitzer CDU-Kreisverband die innerparteilichen Konflikte in der SED um das Verhalten des Landrats Rudi Richter nicht verborgen blieben, sahen die CDU-Mitglieder hierin ihre Chance, eine in ihrem Sinne gestaltete Neuordnung der führenden Positionen in der Kreisverwaltung zu erwirken. Nachdem die Vorwürfe gegen den Landrat Richter bekannt geworden waren, wartete die CDU zunächst die Entwicklung innerhalb der SED ab. Die CDU hoffte, dass der Landrat Richter aufgrund des Missbrauchs der Bezugsscheine von der SED abgesetzt würde und damit die Postenbesetzung innerhalb der Kreisverwaltung neu verhandelt werden könnte.300 Nachdem jedoch der SED-Kreisvorstand trotz der massiven Vorwürfe am Landrat festhielt, ging die CDU zur Offensive über. In der Hoffnung, einige LDP- aber auch SED-Kreistagsabgeordnete würden dem Landrat ihr Vertrauen entziehen, brachte die CDU-Kreistagsfraktion am 17. Mai 1947 einen Misstrauensantrag gegen den Landrat Rudi Richter, den stellvertretenden Landrat Hans Bleek sowie einen Missbilligungsantrag gegen den Kreistagsabgeordneten und FDGB-Kreisvorsitzenden, Robert Libor, ein.301 Den Misstrauensantrag gegen den Landrat begründete die CDU folgendermaßen: „Da der jetzige Landrat, Herr Rudi Richter, seiner moralischen Verpflichtung, in jeder Hinsicht als Repräsentant des Kreises, innerhalb und auch außerhalb des Dienstes, stets als Vorbild zu wirken, nicht nachgekommen ist, aber auch seine Amtsführung unsachgemäß und teilweise unkorrekt war, ist ihm das Vertrauen zu entziehen.“302 Während der Kreistagssitzung am 2. Juni 1947 wurden die drei Anträge behandelt. Dabei erhoben der CDU-Fraktionsvorsitzende Walter Märtins sowie der Kreisrat Karl Stephan (CDU) schwere Vorwürfe gegen Rudi Richter (SED), Hans Bleek (SED) und Robert Libor (SED).303 Die SED-Fraktion versuchte in der Diskussion erst gar nicht, die Vorwürfe gegen den Landrat zu leugnen, sondern machte für die falsche Ausstellung der Bezugsscheine eine

299 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 22.1.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 189–193). 300 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 2.6.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 210 f.). 301 Vgl. Misstrauensantrag der Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion gegen Landrat Rudi Richter vom 17.5.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 19); Misstrauensantrag der Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion gegen den stellvertretenden Landrat Hans Bleek vom 17.5.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 20); Missbilligungsantrag der Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion gegen den Kreistagsabgeordneten Robert Libor vom 17.5.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 22). 302 Misstrauensantrag der Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion gegen Landrat Rudi Richter vom 17.5.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 19). 303 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 2.6.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 217).

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­ achbearbeiterin verantwortlich und warf der CDU ihrerseits vor, in zahlreiS chen Dörfern sollrückständige Bauern, Schwarzschlächter und Schieber zu decken. Paradoxerweise musste dabei der immer noch amtierende SED-Fraktionsvorsitzende, Walter Eulitz, der sich im SED-Kreisvorstand für einen Rücktritt des Landrats aussprach, das Vorgehen von Rudi Richter verteidigen.304 Um von den Verfehlungen Richters abzulenken, warfen die Vertreter der SED den CDU-Abgeordneten nach gewohntem Muster ebenso eine Verbindung zu ehemaligen Nationalsozialisten vor. Karl Stephan antwortete auf die Vorwürfe der SED: „Wenn das Wort ,Reaktion‘ erklang und es so hingestellt wird, dass wir die Nazis hier vorstellen, so werde ich schärfstens dagegen Protest erheben. Wer bringt denn die Reaktion hier auf, Herr Eulitz und Herr Landrat? – Haben sie jemals gehört, dass ich aufstand und gegen die Schieber ein schönes Wort einlegte? Es gibt in 113 Gemeinden nur 4 Bürgermeister der CDU.“305 Nachdem Karl Stephan immer neue Vorwürfe gegen den Landrat Richter, aber auch gegen Hans Bleek und Robert Libor, vorbrachte, beantragte die LDP, die sich bezeichnenderweise aus der gesamten Diskussion heraushielt, das Ende der Debatte und die Abstimmung über die Misstrauensanträge. Mit 16 zu 17 Stimmen und 7 Stimmenthaltungen scheiterte der Misstrauensantrag gegen den Landrat schließlich nur knapp.306 Mit zwei Stimmen aus der LDP-Fraktion sowie den Stimmenthaltungen der übrigen Liberaldemokraten konnte Rudi Richter im Amt des Landrats bleiben. Das Stimmverhalten der LDP war höchstwahrscheinlich taktisch bedingt. Zwar sicherte die LDP der SED mit einer Stimme Mehrheit den Landratsposten, die LDP deutete aber mit den Stimmenthaltungen gleichfalls an, dass sie mit dem Vorgehen des Landrats in der Bezugsscheinfrage keinesfalls einverstanden war. Dies wurde nochmals darin deutlich, dass mehrere LDP-Abgeordnete dem Misstrauensantrag gegen den stellvertretenden Landrat Bleek zustimmten. So sprach der Kreistag, unmittelbar nach der Abstimmung gegen Rudi Richter, Hans Bleek mit 23 zu 17 Stimmen deutlich das Misstrauen aus.307 Erstmals seit Bestehen des neuen Schweinitzer Kreistags stimmten damit die LDP-Abgeordneten gegen den erklärten Willen der SED und kündigten damit den vor der ersten Kreistagssitzung geschlossen Kompromiss mit der SED praktisch auf. Nach der Abstimmung gegen Hans Bleek verließ die SED-Fraktion aus Protest geschlossen den Sitzungssaal. Trotz dieses Protestes führten die bürgerlichen Kreistagsabgeordneten die Sitzung fort und stimmten mit 23 Stimmen und 4 Stimmenthaltungen ebenso für den Missbilligungsantrag gegen Robert Libor.308 Mit der Zustimmung zum Missbilligungsantrag gegen Robert Libor konnte man

304 305 306 307 308

Vgl. ebd., Bl. 211–217. Ebd., Bl. 217. Vgl. ebd., Bl. 218 f. Vgl. ebd., Bl. 222. Vgl. ebd., Bl. 223/224.

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diesen zwar nicht als Kreistagsabgeordneten absetzen, allerdings machte die demokratisch gewählte Mehrheit des Kreistages damit deutlich, dass sie mit dem Verhalten von Robert Libor bei der Vergabe von Bezugscheinen nicht einverstanden war. Der Kreisverband der SED zog daraus jedoch keine Konsequenzen. Robert Libor blieb Kreistagsabgeordneter sowie FDGB-Kreisvorsitzender und wurde nach dem Rücktritt von Walter Eulitz sogar vom SED-Kreisvorstand zum neuen Fraktionsvorsitzenden der SED im Kreistag gewählt.309 Bereits damit wurde deutlich, dass die SED auch im Kreis Schweinitz keineswegs gewillt war, ohne Weiteres gegen die SED gerichtete Kreistagsbeschlüsse zu akzeptieren. Während die SED im Fall von Robert Libor rein rechtlich nicht gezwungen war, diesen aus dem Kreistag zurückzuziehen, so hatte sie laut der demokratischen Kreisordnung im Fall von Hans Bleek keine andere Wahl, diesen als stellvertretenden Landrat zu entlassen. Dennoch versuchte die SED, auch diesen Beschluss zu umgehen. In der Kreistagssitzung am 17. Juni 1947 beanstandete Walter Eulitz am Anfang der Sitzung die Beschlüsse gegen Hans Bleek und Robert Libor. Er zweifelte die Beschlussfähigkeit des letzten Kreistags an und verlangte, dass diese Beschlüsse vom Landtag geprüft werden sollten. Gleichfalls beanstandete die SED-Fraktion den Wortlaut des vorgelegten Protokolls der Kreistagssitzung vom 2. Juni 1947 und kündigte an, dieses nicht zu bestätigen.310 Als entscheidender Nachteil erwies sich jedoch in diesem Moment für die SED, dass sie nicht den Kreistagsvorsitzenden stellte. Der Kreistagsvorsitzende Paul Richter (LDP) stellte ausdrücklich gegen den Willen der SED fest, dass der Kreistag beschlussfähig war, und ließ über das Protokoll abstimmen. Mit der Mehrheit der CDU- und LDP-Abgeordneten wurde das Protokoll bestätigt. Somit wurden die Einwände der SED zurückgewiesen.311 Daraufhin schlug die CDU-Fraktion Franz Mierzowski (CDU) aus Merseburg, der bereits im Januar 1947 während der Landratswahl gegen Rudi Richter antrat, für den Posten des stellvertretenden Landrats vor. Da die SED erkannte, dass eine Nichtbeteiligung der CDU bei der Postenverteilung in der Verwaltungsspitze des Kreises aufgrund der Stärkeverhältnisse im Kreistag kaum mehr möglich war, entschloss sich die SED-Fraktion, sich bei der Wahl von Mierzowski der Stimme zu enthalten. Eulitz begründete dieses Verhalten wie folgt: „Aufgrund der bisherigen Blockpolitik haben wir feststellen müssen, dass die Zusammenarbeit in diesem Sinne nicht gegeben war. Sie steht auf gut deutsch auf sehr schwachen Füßen. Man hat Dinge in Szene gesetzt – ich komme hierbei auf die letzte Sitzung zurück – die eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht gewährleistet haben. Aus diesem Grund wollen wir und haben die Absicht, die

309 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 17.9.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 310 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 17.6.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 231). 311 Vgl. ebd., Bl. 232.

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stärkste Partei des Kreises zu Mitarbeit für die Vollbringung der uns gestellten Aufgaben heranzuziehen.“312 Mit 19 zu 1 Stimme sowie 17 Stimmenenthaltungen wurde Mierzowski in das Amt des stellvertretenden Landrats gewählt und damit die CDU erstmals angemessen an den Spitzenpositionen im Kreis Schweinitz beteiligt.313 So war die SED im Kreis Schweinitz vor allem aufgrund der unberechenbaren Haltung der LDP, die sich auch erneut in dem Wahlergebnis für Franz Mierzowski widerspiegelte, zu Zugeständnissen an die CDU gezwungen. Trotz der Wahl von Franz Mierzowski zum stellvertretenden Landrat blieb aber Hans Bleek in der Kreisverwaltung beschäftigt. Rudi Richter entließ zwar Bleek als stellvertretenden Landrat, setzte ihn aber nicht als Kreisbürodirektor ab, womit das wichtige Personalamt in der Hand der SED verblieb.314 Der Spielraum des neu gewählten stellvertretenden Landrats Mierzowski wurde damit mit seinem Amtsbeginn sofort erheblich eingeschränkt. Die SED nutzte auch in diesem Fall ihre Position in der Kreisverwaltung aus, um die Beschlussabsicht des Kreistags weitestgehend zu umgehen. Wie bereits dargestellt worden war, wurde der Landrat Rudi Richter nach zahlreichen innerparteilichen Streitigkeiten, die besonders während des SED-Kreisparteitages am 17. August 1947 offen ausgetragen wurden, sowie nach Meinungsverschiedenheiten mit der Kreiskommandantur am 12. Oktober 1947 von seinem Amt abgesetzt.315 Bereits am 12. Oktober 1947 trafen sich Vertreter der drei Parteien im Beisein von Offizieren der Kreiskommandantur, um über eine Nachfolge für den Landrat Richter zu verhandeln. Sowohl die Vertreter der CDU als auch der LDP gaben der SED dabei zu verstehen, dass sie in dieser Sitzung ohne weitere Konsultationen mit ihren Vorständen keinen SED-Kandidaten unterstützen könnten.316 Nachdem der CDU-Kreisvorstand zusammenkam, erklärte dieser am 14. Oktober 1947, „dass die CDU von einem eigenen Kandidaten für die Besetzung des Landratspostens nicht Abstand nimmt, sondern als stärkste Partei im Kreise ihren eigenen Vorschlag einbringen wird“.317 Nach dieser klaren Festlegung der CDU blieb der SED wiederum nichts anderes übrig, als erneut mit der LDP zu verhandeln. Zu den Gesprächen mit der LDP sagte Josef Schippers am 9. November 1947 im SED-Kreisvorstand Folgendes: „Wir haben uns mit Herrn Frehde (Kreisgeschäftsführer der LDP) zusammengesetzt, die LDP würde unserem Vorschlag,

312 Ebd., Bl. 233. 313 Vgl. ebd. 314 Vgl. Verzeichnis der Abteilungsleiter und Hauptsacharbeiter der Kreisverwaltung Schweinitz (Anfang 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 10 f.). 315 Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 12.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 316 Vgl. Anhang zum Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 12.10.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 317 Vgl. ebd.

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einen Landrat zu stellen, beistimmen, wenn wir der LDP den Posten des Kreisbürodirektors in Verbindung mit dem Personalchef belassen.“318 Immer noch über die Weiterbeschäftigung von Hans Bleek als Kreisbürodirektor verärgert und im Wissen über die enorme Wichtigkeit dieser Stelle, versuchte die LDP im Gegenzug für ihre Stimmen für einen Landratskandidaten der SED, diesen Posten mit einem LDP-Mitglied zu besetzen. Josef Schippers stellte jedoch im Kreisvorstand sofort klar, dass die Kreiskommandantur nicht bereit war, auf die Stelle des Personalchefs zu verzichten.319 Nach ausführlicher Diskussion legte der SED-Kreisvorstand am Ende der Sitzung am 9. November 1947 schließlich fest, dass die SED ihren Vorschlag für den Landrat in den Kreistag einbringen und „keinerlei Konzessionen mit der LDP“ eingehen würde.320 Im Anschluss an die SED-Vorstandssitzung fand erneut eine Zusammenkunft mit Vertretern der CDU und LDP statt. Da wiederum keine Einigung erzielt werden konnte, beschloss man, die ursprünglich am 10. November 1947 geplante Wahl zu verschieben, um damit Zeit für weitere Verhandlungen zu gewinnen. Ob bereits dabei politischer Druck des von der Kreiskommandantur anwesenden Oberleutnants Tjunik angewendet wurde, ging nicht aus dem Protokoll hervor.321 Jedoch übte die Kreiskommandantur in der Folgezeit erheblichen Druck auf einzelne LDP-Abgeordnete aus, um diese zur Zustimmung für einen Landratskandidaten der SED zu bewegen. Da sich der Herzberger Kreisrat und Vorsitzende des LDP-Stadtverbandes, Richard Herzberg, am entschiedensten weigerte, auf die Forderungen der LDP zu verzichten, schloss die Kreiskommandantur die Bäckerei von Richard Herzberg. Als Reaktion darauf trat dieser am 2. Dezember 1947 von seinem Amt als Kreisrat sowie als Kreistagsabgeordneter zurück.322 Der LDP-Vorsitzende Dr. Joachim Weidauer gab unter diesen Voraussetzungen den Forderungen der SED und der Kommandantur nach. Die SED gestand der LDP in den Verhandlungen lediglich die Neubesetzung des von Richard Herzberg verlassenen Kreisratspostens mit einem LDP-Mitglied zu. Gleichfalls sicherte die SED der LDP zu, dass diese Stelle als besoldeter Kreisratsposten bestehen blieb.323 Des Weiteren zog die SED ihren ursprünglichen vom SED-Landessekretariat vorgeschlagenen Kandidaten Max Heinemann aus Merseburg zurück. An seiner Stelle benannte der SED-Kreisvorstand den ehemaligen ­Sozialdemokraten

318 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 9.11.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 319 Vgl. ebd. 320 Ebd. 321 Vgl. ebd. Die anschließend stattfindende Aussprache mit den Vertretern der CDU und LDP wurde in das Protokoll übernommen. 322 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 30.12.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 254). 323 Vgl. ebd., Bl. 255; Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 7.12.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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Fritz Schwahn aus Delitzsch zum Landratskandidaten.324 Schwahn stand zu diesem Zeitpunkt dem Schulamt in der Delitzscher Kreisverwaltung vor und gehörte seit dem Jahr 1920 der SPD an. Er arbeitete in den 1920er-Jahren bis zur Machtergreifung der NSDAP als Lehrer. Nachdem er im Jahr 1933 aus dem Schuldienst entfernt worden war, machte er sich als Steuer- und Wirtschaftsberater selbstständig. Nach Kriegsende trat er wieder in die SPD ein und engagierte sich beim Wiederaufbau der Verwaltung in Delitzsch.325 Ob Fritz Schwahn als Landratskandidat von den bürgerlichen Parteien aufgrund seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur SPD bevorzugt worden war, konnte nicht geklärt werden. Der erneute Rückgriff auf einen Kandidaten, der nicht aus dem Kreis Schweinitz stammte, verdeutlichte allerdings nochmals die personelle Schwäche der SED im Kreis. Nachdem die Kreiskommandantur Fritz Schwahn, der später während der Umgestaltung der SED zur Partei neuen Typus als kurzzeitiger Kreisvorsitzender eine wesentliche Rolle bei der Befriedung der innerparteilichen Konflikte spielte, als Kandidaten bestätigte, wurde für den 30. Dezember 1947 eine Kreistagssitzung für die Neuwahl des Landrats einberufen. Um ein möglichst hohes Ergebnis für Fritz Schwahn zu sichern, versuchte die Kreiskommandantur die CDU zum Verzicht auf einen eigenen Kandidaten zu bewegen. Da die CDU durch das Einlenken der LDP ohnehin keine Chance auf einen Wahlerfolg gehabt hätte und gleichfalls wohl auch die Kreiskommandantur mit politischen Konsequenzen drohte, zog die CDU kurz vor der Wahl den bisherigen stellvertretenden Landrat Franz Mierzowski als Kandidaten zurück. Dass die Kreiskommandantur den politischen Druck auch auf die CDU im Vorfeld der Wahlen erhöhte, deutete auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Walter Märtins in der Kreistagssitzung am 30. Dezember 1947 an. Er sagte: „Von unserer Fraktion wurde beabsichtigt, den Posten zu besetzen. Jedoch nach Meinung der SED, was auch Auffassung der Kommandantur sei, ist ihnen die Neubesetzung wieder zuzusprechen. Wir haben uns dieser Auffassung angeschlossen und stimmen zu. Erwarten hierbei aber, dass uns bei anderer Gelegenheit dasselbe Entgegenkommen gezeigt wird – im Sinne einer aufrichtigen Blockpolitik.“326 Schließlich wurde Fritz Schwahn mit 32 zu 1 Stimmen und 3 Stimmenthaltungen zum neuen Schweinitzer Landrat gewählt.327

324 Während der SED-Kreisvorstandssitzung am 9.11.1947 war noch Max Heinemann (SED) als Landratskandidat der SED vorgesehen. Erst am 7.12.1947 wurde Fritz Schwahn als neuer Landratskandidat im SED-Kreisvorstand vorgestellt. Vgl. Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 9.11.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.); Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 7.12.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.). 325 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 30.12.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 253). 326 Vgl. ebd., Bl. 254. 327 Ebd.

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Nachdem auch die Wahl des neuen besoldeten Kreisrates August Wamser (LDP), der für Richard Herzberg eingesetzt wurde, erfolgt war, brachten jedoch die Abgeordneten der LDP ihren Protest gegen die Schließung der Bäckerei von Richard Herzberg offen zum Ausdruck. Der LDP-Kreisvorsitzende Dr. Joachim Weidauer lehnte in dieser Sitzung jede weitere Zusammenarbeit innerhalb der Kreispolitik ab, solange die Bäckerei Herzbergs nicht wieder geöffnet sei. Um dieser Ankündigung den nötigen Nachdruck zu verleihen, verließ die LDP-Fraktion daraufhin geschlossen den Sitzungssaal.328 Wie es schien, unternahm die Kreiskommandantur zunächst nichts, um die Bäckerei wieder zu eröffnen. Erst nachdem mehrere Mitglieder der LDP-Fraktion auch die Kreistagssitzung am 16. Februar 1948 boykottierten, wurde die Angelegenheit am 18. Februar 1948 im Kreisrat behandelt.329 Die Kreiskommandantur schob ihre Verantwortung auf die SMA in Halle ab und erklärte, dass die Bäckerei nur wieder geöffnet werde, „wenn die Kommandantur eine schriftliche Genehmigung der SMA-Halle erhält“.330 Wann genau die Bäckerei wieder eröffnet wurde, konnte nicht festgestellt werden, doch nahmen die LDP-Abgeordneten am 16. April 1948 wieder geschlossen an der Kreistagssitzung teil.331 Größere politische Zugeständnisse wurden ihr jedoch von der Kreiskommandantur sowie der SED nicht gemacht. Im Laufe der Jahre 1948/1949 musste schließlich auch der LDP-Kreisvorsitzende Dr. Weidauer langsam erkennen, dass die SED nicht gewillt war, gleichberechtigte Blockparteien neben sich zu dulden.332 Ein erstes Indiz dafür war die Zulassung der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) im April und Mai 1948. Besonders im ländlichen Kreis Schweinitz entwickelte sich die DBD schnell zu einer echten Konkurrenz für die CDU und LDP. Bis August 1948 gelang es der DBD im Kreis Schweinitz bereits, ca. 300 Mitglieder zu werben und damit

328 Vgl. ebd., Bl. 254 f. 329 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 16.2.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 358); Protokoll der ersten außerordentlichen Schweinitzer Kreisratssitzung vom 18.2.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 429). 330 Protokoll der ersten außerordentlichen Schweinitzer Kreisratssitzung vom 18.2.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 429). 331 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 16.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 266). 332 Dr. Weidauer gab am 12.3.1949 sein Amt des LDP-Kreisvorsitzenden ab, blieb aber bis 1950 weiterhin Kreistagsabgeordneter. Nach eigenen Angaben nahm Anfang der 1950er-Jahre seine „Verbitterung über die diktatorische Politik der SED-Regierung“ zu. Im Oktober 1960 versuchte Dr. Weidauer über Caputh nach Westberlin zu fliehen. Bei diesem wohl verratenen Fluchtversuch wurde er jedoch verhaftet und daraufhin wegen Republikflucht zu sieben Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt. Im Jahr 1966 wurde er aus der Haft entlassen. Nach seiner Entlassung zog er nach Rheinsberg. Dort verstarb er am 13.12.1991. Vgl. Schiepel, Seyda, S. 40.

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­ ahezu den Mitgliederstand der LDP zu erreichen.333 Die politische Abhängign keit der DBD von der SED wurde mit der Gründung der Partei aber kaum verschleiert. Der Kreistagsabgeordnete Richard Müller aus Schlieben wurde, nachdem er aus der SED austrat, zum neuen Kreisvorsitzenden der DBD gewählt.334 Am 4. August 1948 forderte schließlich die Kreisverwaltung den Schweinitzer Kreistag auf, zwei Vertreter der DBD mit beratender Stimme in den Kreistag sowie mit Stimmrecht in die Ausschüsse des Kreistages aufzunehmen.335 Mit der ­Aufnahme von stimmberechtigten DBD-Vertretern in die Ausschüsse des Schweinitzer Kreistags hätte die SED die Mehrheit der beiden bürgerlichen Parteien in den Ausschüssen mithilfe der DBD zumindest egalisieren können. Aus diesem Grund lehnten beide bürgerlichen Parteien in der Kreistagssitzung am 20. August 1948 den Antrag der Kreisverwaltung ab.336 Da die Verschiebung der ursprünglich für den Herbst 1948 vorgesehenen Gemeindewahlen noch nicht bekannt war, waren die bürgerlichen Parteien im Kreis Schweinitz nicht bereit, der DBD unmittelbar vor den Wahlen eine Gelegenheit zur Profilierung in der Kreispolitik zu geben.337 Die CDU und die LDP betrachteten die Bauernpartei im Kreis Schweinitz seit ihrer Gründung als eine von der SED gesteuerte Konkurrenz. Beispielsweise warnte der Kreisgeschäftsführer der LDP während der LDP-Kreisdelegiertentagung am 12. März 1949 ausdrücklich vor dem verstärkten Werben der DBD, dem sich der LDP-Kreisverband unbedingt entgegenstellen müsse.338 Schließlich wurde am 20. August 1948 auch mit den Stimmen einiger SED-Abgeordneter der Antrag der Kreisverwaltung, DBD-Vertreter in den Kreistag aufzunehmen, mit 10 zu 22 Stimmen und 2 Stimmenthaltungen abgelehnt.339 Somit konnten die bürgerlichen Parteien zumindest vorerst eine Mitarbeit der DBD im Kreistag und eine Profilierung der Partei in der Kreispolitik verhindern. Diese auf Kreisebene gezeigte kritische Haltung gegen die von der SED unterstützten beiden neuen Parteien wurde allerdings Anfang des Jahres 1950 durch ein auch mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien verabschiedetes

333 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung mit dem Schweinitzer Kreisvorsitzenden der DBD, Richard Müller, in der Schweinitzer Kreisverwaltung vom 17.8.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 201). 334 Vgl. ebd. 335 Vgl. Landrat Fritz Schwahn an den Kreistagsvorsitzenden über die Aufnahme der DBD in den Kreistag vom 4.8.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 108). 336 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 20.8.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 277). 337 Bereits am 13.5.1948 informierte Wilhelm Pieck den Parteivorstand der SED über die Verschiebung der Wahlen. Offiziell bekanntgegeben wurde die Verschiebung aber erst am 24.8.1948. Vgl. Baus, Die Christlich Demokratische Union Deutschlands, S. 446. 338 Vgl. Protokoll der LDP-Kreisdelegiertentagung des Kreisverbandes Herzberg/Schweinitz vom 12.3.1949 (Archiv des Liberalismus, L5–478, unpag.). 339 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 20.8.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 277).

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Landesgesetz gebrochen. Der Landtag verabschiedete am 31. Januar 1950 ein Gesetz, dass die Mitwirkung von jeweils zwei DBD- sowie NDPD-Vertretern in den Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen zuließ. Wie bereits 1948 im Kreis Schweinitz vorgesehen war, durften diese nun mit beratender Stimme an den Kreistagssitzungen sowie mit Stimmrecht an den Ausschusssitzungen teilnehmen.340 Ohne das die CDU- bzw. LDP-Kreistagsabgeordneten etwas daran ändern konnten, zogen am 18. April 1950 jeweils zwei Vertreter der DBD und NDPD in den Schweinitzer Kreistag ein und egalisierten somit die Mehrheit der CDU und LDP in den Kreistagsausschüssen.341 Auch wenn später die Beteiligung von DBD- und NDPD-Vertretern im Kreistag von der Landesregierung durchgesetzt werden konnte, hatte die Abstimmungsniederlage der SED am 20. August 1948 mehrere Folgen. Da auch einige SED-Mitglieder gegen den von der Kreisverwaltung eingebrachten Beschlussvorschlag zur Beteiligung der DBD stimmten und die SED am 20. August 1948 noch zwei weitere Abstimmungsniederlagen gegen die bürgerlichen Parteien hinnehmen musste, wurden zunächst am 23. September 1948 im Zuge der SED-Parteisäuberung fünf SED-Kreistagsabgeordnete von der Partei ausgetauscht.342 Zur selben Zeit setzte die Kreiskommandantur ebenfalls den christdemokratischen Kreisgeschäftsführer und Kreisrat, Karl Stephan, von seinem Posten als besoldeter Kreisrat ab. Vermutlich stand die Absetzung Stephans ebenfalls im Zusammenhang mit den Abstimmungsniederlagen der SED während der Kreistagssitzung am 20. August 1947. Im Gegensatz zum Fall von Carl Schulze im Kreis Liebenwerda verhinderte die Kreiskommandantur aber, dass die Absetzung von Karl Stephan im Kreistag diskutiert werden durfte. Somit war es nicht möglich, die Hintergründe in diesem Fall vollständig nachzuvollziehen. Da der Fall von Karl Stephan auch nicht im Landesvorstand der CDU beraten wurde, konnte ebenso wenig über den Anteil des Landesverbandes der CDU bei der Absetzung Stephans festgestellt werden.343

340 Vgl. Beschluss betreffend Ermöglichung der Mitarbeit der in den Wahlkörperschaften nicht vertretenen politischen Parteien vom 31.1.1950. In: Gesetz- und Amtsblatt des Landes Sachsen-Anhalt vom 7.2.1950, Nr. 3, S. 34. 341 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 18.4.1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 375). Im Kreis Liebenwerda zogen die Vertreter der DBD und NDPD während der Kreistagssitzung am 4.5.1950 in den Kreistag ein. Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 4.5.1950 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 37, unpag.). 342 Vgl. Schweinitzer SED-Kreisvorstandes an den Kreistagsvorsitzenden über die Umbesetzung von fünf SED-Kreistagsmitgliedern vom 23.9.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 123, unpag.). 343 Über die Absetzung von Karl Stephan im September 1948 wurde lediglich einmal öffentlich während der Abstimmung über den von der CDU eingebrachten Misstrauensantrag gegen den Landrat Schwahn am 15.12.1949 diskutiert. Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 15.12.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 359).

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Da Karl Stephan im Gegensatz zu Carl Schulze im Kreis Liebenwerda kein Mitglied des Kreistages war und als Sudetendeutscher nicht den Einfluss innerhalb der Partei wie der Bad Liebenwerdaer Carl Schulze besaß, blieben jedoch die politischen Gewichte in der Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion trotz seiner Absetzung weiterhin gleich verteilt. Walter Märtins als Fraktionsvorsitzender, Otto Zahn als Jessener CDU-Ortsvorsitzender, Otto Polz als Mellnitzer Bürgermeister und Hermann Weber aus Holzdorf, die alle nicht davor zurückschreckten, im Kreistag offensiv gegen die SED Stellung zu beziehen, blieben zunächst im Jahr 1948 die einflussreichsten Personen in der Kreistagsfraktion. Dennoch begann die sowjetische Besatzungsmacht zusammen mit der SED gegen diese im Jahr 1948 immer mehr Druck auszuüben. Bereits im März 1948 beschwerte sich z. B. die SMA über Otto Zahn beim CDU-Landesvorstand. Da Zahn kein gutes Verhältnis zum Jessener Bürgermeister, Martin Fuchs (CDU), der von der SED als „linker Christdemokrat“ eingeschätzt wurde, aufbauen konnte und zugleich der SED-Politik in der Stadt sowie im Kreis immer kritisch gegenüber stand, wurde er wie Carl Schulze im Kreis Liebenwerda am 23. März 1948 vom CDU-Landesvorstand aufgefordert, alle seine Mandate niederzulegen.344 Ohne den Rückhalt des Landesverbandes trat Otto Zahn am 9. Februar 1949 von seinem Kreistagsmandat zurück.345 Ebenso verschärfte die SED am Ende des Jahres 1948 ihre Angriffe gegen den Mellnitzer Bürgermeister und Kreistagsabgeordneten Otto Polz. Die Angriffe gegen den Landwirt Polz standen in direktem Zusammenhang mit der ab 1948 eingeleiteten Politik gegen die Großbauern in der SBZ. Der Schweinitzer SED-Kreisverband warf Otto Polz in der Entschließung für die Kreiskonferenz vom 20. November 1948 vor, an Schwarzschlachtungen und am Schwarzhandel nach Berlin beteiligt gewesen zu sein. Dies dürfe, so die SED in der Entschließung, „nicht nur als ein Vergehen gegen wirtschaftliche Verordnungen betrachtet werden, sondern ist Ausdruck des vom Großbauerntum geführten Klassenkampfes“.346 Otto Polz wurde daraufhin vom Landrat Schwahn seines Bürgermeisteramts enthoben. Da jedoch im darauf folgenden Gerichtsverfahren Otto Polz keine Schwarzschlachtungen nachgewiesen werden konnten, weigerte sich die CDU, ihn als Kreistagsabgeordneten zurückzuziehen, und forderte seine Rehabilitation.347 Diese Angriffe gegen einige CDU-Kreisratsmitglieder und Kreistagsabgeordneten sowie das eigenmächtige Vorgehen der Kreisverwaltung in einigen Enteignungsfällen verschärften die politische Atmosphäre im Kreis Schweinitz vor allem zwischen CDU und SED im Jahr 1949 nochmals enorm. 344 Vgl. Protokoll der CDU-Vorstandssitzung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.3.1948 (ACDP Sankt Augustin, III-032–001/2, unpag.). 345 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 9.2.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 293). 346 Entschließung für die Kreiskonferenz der SED am 20.11.1948, S. 1 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 2, unpag.). 347 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 15.12.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 361).

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Durch die ständige Kontrolle der Kreiskommandantur war die CDU im Kreis Schweinitz allerdings nicht in der Lage, vor der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 einen Misstrauensantrag gegen den Landrat im Schweinitzer Kreistag einzubringen. Erst als die unmittelbare Kontrolle durch die sowjetische Besatzungsmacht wegfiel, stellte der CDU-Fraktionsvorsitzende am 21. November 1949 einen Misstrauensantrag gegen den Landrat Fritz Schwahn.348 Obwohl dieser Misstrauensantrag im Landesblockausschuss von allen Parteivertretern, also auch von der CDU, abgelehnt wurde, nahm die Schweinitzer CDU-Kreistagsfraktion den Antrag nicht zurück.349 Der Unmut gegenüber dem Landrat war offensichtlich vonseiten der CDU im Kreis Schweinitz so groß, dass viele CDU-Abgeordneten bereit waren, gegen die Vorgaben der eigenen übergeordneten Parteigremien zu handeln. Während der Diskussion zum Misstrauensantrag in der Kreistagssitzung am 15. Dezember 1949 rechnete Walter Märtins grundsätzlich mit der Arbeit des Landrats Fritz Schwahn ab. Er prangerte u. a. das Vorgehen des Landrats im Fall von Otto Polz, bei der Enteignung mehrerer Transportmittel in Schlieben und bei der Ausweisung eines Neubauern aus dem Kreis Schweinitz an.350 In der Abstimmung konnte sich erneut die neunköpfige LDP-Kreistagsfraktion auf kein einheitliches Vorgehen einigen. So scheiterte der Misstrauensantrag gegen den Landrat Schwahn mit 16 zu 19 Stimmen, zwei Stimmenthaltungen und einer ungültigen Stimme.351 Nach dieser von der CDU verlorenen Abstimmung begann die SED damit, die „bürgerlichen Elemente“ im Schweinitzer CDU-Kreisverband noch offensiver zu bekämpfen. Dabei richtete sich der Fokus vor allem auf den CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzenden Walter Märtins. Bereits am 29. September 1949 kündigte der Landrat Schwahn in der SED- Kreissekretariatssitzung an: „Wir werden uns diesen Herrn Märtins näher ansehen und ihn zu Fall bringen. Solch Zug lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen machen.“352 Was genau in der Folgezeit gegen Walter Märtins und einige andere CDU-Kreistagsabgeordnete vorgebracht wurde, ließ sich nicht im Einzelnen rekonstruieren. In einem Presseartikel vom 8. Februar 1950 wurde jedoch der Zusammenhang zwischen der kritischen Haltung von Walter Märtins zur SED und seiner Absetzung offen bestätigt. Ohne Märtins z. B. Korruption vorzuwerfen, hieß es hierin lediglich: „Im Falle des CDU-Funktionärs Märtins lagen unwiderlegliche Beweise dafür vor, dass er aus Karrieregründen zur CDU gegangen ist, um in der Verwaltung

348 Vgl. CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzenden, Walter Märtins, an den Kreistagsvorsitzenden über die Einbringung eines Misstrauensantrags gegen Landrat Fritz Schwahn vom 21.11.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 133, Bl. 419). 349 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 15.12.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 361). 350 Vgl. ebd., Bl. 361–363. 351 Vgl. ebd., Bl. 364. 352 Protokoll der Sitzung des Schweinitzer SED-Kreissekretariates vom 29.9.1949 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 43, unpag.).

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Festigung der Macht der SED

auf einen erträglichen Posten unterzukommen. Hier richtete sich seine Tätigkeit darauf, aufrichtige und ehrliche Demokraten zu diskriminieren und die Blockpolitik in Verruf zu bringen. Er widersetzte sich den einstimmig gefassten Beschlüssen des Landesblockausschusses und brachte z. B. entgegen solch einem Beschluss einen Misstrauensantrag gegen den Landrat Schwahn auf die Tagesordnung des Kreistages.“353 In der Kreistagssitzung am 18. April 1950 gab man schließlich bekannt, dass Walter Märtins aus dem Kreistag ausgeschieden sei.354 Ebenso wurde der Kreisrat August Wamser (LDP), der dem Landrat während der Diskussion um den Misstrauensantrag im Dezember 1949 Fehlverhalten bei der Enteignung mehrerer Transportmittel in Schlieben vorhielt, entlassen.355 Mit dem Ausscheiden von Walter Märtins aus dem Kreistag gaben auch zahlreiche andere CDU-Fraktionsmitglieder ihre Mandate im Kreistag auf.356 Am 15. Mai 1950 waren nur noch vier CDU-Abgeordnete im Schweinitzer Kreistag vertreten, die seit der Wahl 1946 der 16-köpfigen Fraktion angehörten.357 Der bereits im Jahr 1948 mit zahlreichen Angriffen gegen die Fraktion begonnene Prozess endete somit schließlich Anfang des Jahres 1950 in einer tiefgreifenden Erschütterung der Parteistruktur der CDU durch die resignierte Aufgabe zahlreicher wichtiger CDU-Funktionäre. Auch im Kreis Schweinitz wurde die Resignation der Mitglieder der bürgerlichen Parteien in der praktischen parlamentarischen Arbeit sichtbar. Beide bürgerlichen Fraktionen stellten nach der Konstituierung des Kreistages im gesamten Jahr 1947 insgesamt noch 19 Anträge im Schweinitzer Kreistag. Diese Zahl verringerte sich bereits bis zum Jahr 1949 auf zehn eingebrachte Anträge. Im Jahr 1950 beendeten aber beide Fraktionen nach der politischen Gleichschaltung praktisch die parlamentarische Arbeit. Von Ende 1949 bis zu den Wahlen im Oktober 1950 brachten von den beiden Parteien nur noch die CDU einen Antrag im Schweinitzer Kreistag ein. Interessanterweise nahm daneben ebenso die Anzahl der SED-Anträge seit 1947 erheblich ab. Stellte die SED im Jahr 1947 noch insgesamt 15 Anträge, so verringerte sich diese Zahl im Jahr 1950 ebenso nur noch auf einen Antrag.358 Mit der Stalinisierung der Partei-

353 Freiheit vom 8.2.1950, Nr. 33. 354 Vgl. Protokoll der Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 18.4.1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 375). Walter Märtins verließ nach der Einwohnermeldekartei der Stadt Jessen am 28.4.1953 die DDR nach Westberlin. 355 Vgl. ebd. 356 Vgl. ebd. Allein während der Kreistagssitzung am 18.4.1950 wurde neben Walter Märtins das Ausscheiden der vier CDU-Kreistagsabgeordneten, Albert Nitsche, Adolf Horntrich, Ernst Landschulze und Kurt Krause, bekannt gegeben. 357 Vgl. Verzeichnis der Mitglieder des Schweinitzer Kreistages vom 15.5.1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 123, Bl. 65); Schweinitzer Kreisverwaltung über die gewählten Kreistagsabgeordneten an die Bezirksverwaltung vom 21.11.1946 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 48, Bl. 146). 358 Vgl. Protokolle der Kreistagssitzungen des Kreises Schweinitz von 1947 bis 1950 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132).

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strukturen, die eine bestmögliche Verschmelzung von Partei und Verwaltung ermöglichen sollte, war der SED-Kreisverband nicht länger auf Initiativen der SED-Kreistagsfraktion angewiesen. Dem Schweinitzer Landrat Fritz Schwahn, der kurzzeitig auch SED-Kreisvorsitzender war, gelang es unter diesen Umständen zu großen Teilen, dass sich die Verwaltung dem Parteiwillen unterordnete. Neben der allgemeinen Unzufriedenheit über die Entwicklung in der SBZ/ DDR spielte bei der Resignation vieler bürgerlicher Kreistagsabgeordneter vor allem die tiefe Enttäuschung über die an die politische Linie der SED angepasste Haltung der übergeordneten Parteigremien eine entscheidende Rolle. Wie sich bereits im Kreis Liebenwerda nachweisen ließ, waren viele regionale CDU-Funktionäre nicht ohne Weiteres bereit, den absoluten Machtanspruch der SED zu akzeptieren, doch waren diese ohne die Unterstützung des CDU-Landesverbandes ohne jede Chance, ihre Positionen gegenüber der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht durchzusetzen. Dass die LDP im Kreis Schweinitz dabei zu keinem Zeitpunkt eine länger anhaltende Zusammenarbeit mit der CDU anstrebte, vergrößerte nochmals die Schwäche der bürgerlichen Parteien. So war die fehlende Zusammenarbeit zwischen CDU und LDP wohl zum einen Ausdruck der starken konservativeren Grundeinstellung der hiesigen CDU, aber auch der organisatorischen Schwäche des LDP-Kreisverbandes geschuldet. Der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED gelang es u. a. dadurch immer wieder, die LDP mit gezieltem politischem Druck und kleineren Zugeständnissen an sich zu binden und damit die seit Kriegsende errungenen Machtpositionen der SED im Kreis Schweinitz zu festigen. Dass die SED im Kreis Schweinitz nicht die LDP, sondern die CDU als ihren Hauptgegner ansah, verdeutlichte sich auch darin, dass am 15. Mai 1950 immer noch 7 LDP-Kreistagsabgeordnete, die im Jahr 1946 in den Kreistag einzogen, ihr Mandat ausübten.359 Nachdem sich die SED im Kreis Schweinitz mit Beginn der politischen Säuberungen in der Partei im Jahr 1948 innerparteilich festigen konnte, wurde gleichfalls der politische Druck gegen kritische bürgerliche Kommunalpolitiker erheblich verschärft. Dass sich schließlich der Prozess der Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien (in diesem Fall vor allem der CDU) im Kreis Schweinitz bis Anfang 1950 hinzog, war vor allem aufgrund der hiesigen Stärke und Geschlossenheit der CDU sowie auch mit der relativen politischen Schwäche der SED zu erklären, die vor 1948 durch die großen internen Streitigkeiten, aber auch durch die sozialökonomische Struktur des ländlichen Kreises Schweinitz ihren absoluten Machtanspruch nur bedingt durchsetzen konnte. Trotz aller Schwierigkeiten für die SED war aber die seit Kriegsende errungene Machtstellung der KPD/SED in der Schweinitzer Kreisverwaltung auch durch die ­Wahlniederlage 1946 nie gefährdet. Am 6. Dezember 1948 arbeiteten z. B. in der Schweinitzer Kreisverwaltung von 372 Gesamtbeschäftigten 67 SED-, 15 LDP- und nur

359 Vgl. ebd.

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Festigung der Macht der SED

7 CDU-Mitglieder.360 Zwar war der prozentuale Anteil der SED-Mitglieder in der Schweinitzer Kreisverwaltung mit 18 Prozent deutlich geringer als im Kreis Liebenwerda, da jedoch die Schlüsselpositionen in der Kreisverwaltung nahezu alle mit SED-Mitgliedern besetzt waren, blieb die Stellung der SED in der Schweinitzer Kreisverwaltung auch nach den Wahlen 1946 unangetastet.361

4.

Die Volkskongressbewegung und Gründung der DDR

Ende des Jahres 1947 zeichnete sich eine Spaltung Deutschlands aufgrund der sich weiter zuspitzenden Konflikte zwischen den Siegermächten immer deutlicher ab. Wie bereits erwähnt, verabschiedete die SED während ihres II. Parteitags am 24. September 1947 eine Resolution, in der die seit Kriegsende 1945 in der Ostzone durchgeführten Transformationsmaßnahmen als Grundvoraussetzung für die Einheit Deutschlands bezeichnet wurden. Damit grenzte sich die SED mit der Zustimmung der sowjetischen Besatzungsmacht deutlicher den je von der Besatzungspolitik der westlichen Siegermächte ab und stellte damit für die Westmächte praktisch unannehmbare Bedingungen für eine gemeinsame Deutschlandpolitik auf. Die Absicht der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der SED bestand allerdings zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht darin, einen separaten deutschen Staat zu gründen. Vielmehr versuchten diese immer noch, das seit Kriegsende geschaffene politische und gesellschaftliche System in der SBZ auch auf die Westzonen auszudehnen sowie die im Westen geschaffene Bi-Zone wieder aufzulösen.362 Um politischen Einfluss in den Westzonen zu gewinnen und um gleichfalls ihre Hauptforderung der politischen und gesellschaftlichen Transformation kaschieren zu können, machte die SED in der Folgezeit die Forderung nach der deutschen Einheit zu ihrem öffentlichen Hauptthema. So versuchte die SED, seit dem II. Parteitag unter den von ihr aufgestellten Bedingungen eine „nationale Repräsentanz“ für die Londoner Außenministerkonferenz (25. November bis 15. Dezember 1947) mit den anderen deutschen Parteien zu bilden, die während dieser Konferenz die von der SED diktierten Forderungen vertreten sollten und damit gleichfalls der sowjetischen Delegation eine bessere Verhandlungsgrundlage zu verschaffen.

360 Schweinitzer Kreisverwaltung über die Parteizugehörigkeit der kommunalen Angestellten an die Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 6.12.1948 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 13). 361 Vgl. Verzeichnis der Abteilungsleiter und Hauptsacharbeiter der Kreisverwaltung Schweinitz (Anfang 1948; LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 270, Bl. 10 f.). Demnach waren alle neun Abteilungsleiter in der Schweinitzer Kreisverwaltung zu diesem Zeitpunkt SED-Mitglieder. 362 Vgl. Klaus Bender, Deutschland, einig Vaterland? Die Volkskongressbewegung für deutsche Einheit und einen gerechten Frieden in der Deutschlandpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Frankfurt a. M. 1992, S. 85 f.

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Während die Parteien in den westlichen Zonen, mit Ausnahme der KPD, jedoch sehr schnell eine gemeinsame Stellungnahme zur Londoner Konferenz unter den SED-Bedingungen ablehnten, versuchte die SED die Vertreter der bürgerlichen Parteien in der SBZ in der Sitzung des antifaschistischen Blockes am 24. November 1947 für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Im Gegensatz zur LDP lehnte jedoch die CDU-Führung unter Jakob Kaiser und Ernst Lemmer ein gemeinsames Vorgehen strikt ab.363 Trotz der Ablehnung der CDU verabschiedete der SED-Parteivorstand am 26. November 1947 einen Aufruf zur Einberufung eines „Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden“ am 6. und 7. Dezember 1947. Für die Tagesordnung dieses Kongresses sah die SED folgende zwei Punkte vor: 1. der Wille des deutschen Volks für einen gerechten Frieden, für Demokratie und Einheit Deutschlands –Referate und Aussprache, 2. Wahl der Delegierten zur Londoner Außenministerkonferenz.364 Alle zur Teilnahme entschlossenen Parteien, Organisationen und Großbetriebe wurden in diesem Aufruf aufgefordert, Delegierte zum Kongress zu entsenden.365 Die Aufgabe des Volkskongresses bestand für die SED darin, eine vermeintlich von der Bevölkerung getragene und in ihrem Sinne ausgestaltete Willensbekundung zur deutschen Einheit für die zu wählenden deutschen Delegierten für die Londoner Außenministerkonferenz zu erzielen. Die Parteien der Westzonen, mit Ausnahme der KPD, lehnten eine Teilnahme am Volkskongress kategorisch ab, da sie darin lediglich eine Propagandaveranstaltung der SED vermuteten.366 Nur die von der SED getragenen Massenorganisationen in der SBZ und die LDP stimmten der Einberufung des Kongresses nahezu vorbehaltlos zu.367 Viel komplizierter war hingegen die Situation in der CDU. Wie bereits bei der Beschlussfassung über den Aufruf zur Hilfe für die Neubauern am Jahresende 1945, als sich die beiden CDU-Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber weigerten diesem zuzustimmen, gerieten nun auch Jakob Kaiser und Ernst Lemmer aufgrund ihrer Weigerung

363 Vgl. ebd., S. 103. 364 Vgl. Aufruf zu einem deutschen Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden vom 26.12. 1947. In: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948, S. 260 f. 365 Vgl. ebd., S. 261. 366 Vgl. ausführlicher zu der ablehnenden Haltung der westlichen Parteien gegenüber der Volkskongressbewegung: Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 112–129. 367 Vgl. ebd., S. 110. Die LDP fürchtete wahrscheinlich bei einer Nichtzustimmung zur Teilnahme am Volkskongress um ihre Reputation als „Wiedervereinigungspartei“. Gleichfalls unterbreitete wohl die SMAD Wilhelm Külz das Angebot, als Vertreter der Ostzone in eine künftige gesamtdeutsche Regierung berufen zu werden. Vgl. Frank Hirschinger, Die „Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden“ in den Jahren 1947–1949, dargestellt unter der besonderen Berücksichtigung der Tätigkeit des SED-Landesverbandes Sachsen-Anhalt. In: Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte, 7 (2000), S. 15.

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zur Teilnahme am ­Volkskongress erheblich unter Druck. Die sowjetische Besatzungsmacht nahm sofort nach dem Aufruf zum Volkskongress Kontakt zu den ­CDU-Landesvorsitzenden auf und drängte diese, im Gegensatz zu dem erklärten Willen der CDU-Spitze, dem Aufruf zur Delegierung von CDU-Mitgliedern zum Volkskongress zu folgen. Beispielsweise schloss sich der CDU-Landesverband Sachsen-Anhalt unmittelbar nach dem Aufruf dem „Landeskomitee für Einheit und gerechten Frieden“ an und sagte die Beteiligung von CDU-Mitgliedern aus dem Land Sachsen-Anhalt am Volkskongress ohne Absprache mit der CDU-Spitze verbindlich zu.368 So gelang es der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED erneut, die CDU-Führung mit der Beeinflussung der Landesverbände zu isolieren und damit die Position von Jakob Kaiser und Ernst Lemmer erheblich zu schwächen. Unter diesen Bedingungen einigte sich der zentrale CDU-Vorstand in Berlin am 2. Dezember 1947 auf einen Kompromiss. Der Vorstand lehnte zwar die Beteiligung am Volkskongress weiterhin ab; jedoch wurde es CDU-Mitgliedern gestattet, als Privatpersonen bzw. in Ausübung anderer Ämter am Volkskongress teilzunehmen.369 Der strikte von Kaiser und Lemmer vertretene Kurs der Ablehnung des Volkskongresses wurde damit allerdings bereits weitgehend aufgeweicht und die Machtposition der CDU-Spitze schwer beschädigt. Somit gelang es der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED, mit der Einberufung des Volkskongresses die CDU in dieser wichtigen Frage zu spalten und damit entscheidend zu schwächen. Wie wirkten sich aber diese Auseinandersetzungen bei der Initiierung der Volkskongressbewegung im Untersuchungsgebiet aus? Im Land Sachsen-Anhalt konstituierte sich bereits am 27. November 1947 ein „Landeskomitee Sachsen-Anhalt für Einheit und gerechten Frieden“, welches unter der Leitung des Landesvorsitzenden der SED und Landtagspräsidenten, Bruno Böttge, die Vorbereitungen zur Wahl der Volkskongressmitglieder im Land koordinierte. Nach dem Willen des Landeskomitees sollten bis zum 3. Dezember 1947 im gesamten Land Kreis- und Stadtkomitees gegründet werden, welche die Volkskongressteilnehmer aus ihrem jeweiligen Gebiet bestimmen sollten.370 Im Kreis Liebenwerda traf sich daraufhin am 1. Dezember 1947 der Kreistagsvorstand, um über die Zusammensetzung eines Kreiskomitees zu diskutieren. Mit Zustimmung der CDU einigte man sich in dieser Sitzung, dass die drei Kreisvorsitzenden der Parteien, Felix Stanislawski (SED), Friedrich Barth (CDU) und Walter Foth (LDP), sowie der Kreistagsvorsitzende Paul Mittig (SED), der stellvertretende Kreistagsvorsitzende Johannes Schmelzer (LDP) und der Kreistagsabgeordnete Karl Dölling (CDU) dem Kreiskomitee

368 Vgl. Freiheit vom 29.11.1947, Nr. 276; Baus, Die Christlich Demokratische Union Deutschlands, S. 392. 369 Vgl. ebd., S. 393. 370 Vgl. Hirschinger, Die „Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden“, S. 11.

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angehören sollten.371 Der Liebenwerdaer CDU-Kreisverband erklärte sich also zunächst zur Mitarbeit im Kreiskomitee bereit. Nachdem der CDU-Kreisverband jedoch vom Beschluss des Berliner Parteivorstandes am 3. Dezember 1947 erfuhr, zog dieser seine zwei Mitglieder aus dem Kreiskomitee zurück. Besonders Carl Schulze sprach sich für die Umsetzung dieses Beschlusses aus und verhinderte damit, dass CDU-Mitglieder aus dem Kreis Liebenwerda, auch als „Privatpersonen“, zum Volkskongress delegiert wurden.372 Erst nachdem die neue CDU-Spitze um Otto Nuschke nach der Absetzung von Jakob Kaiser und Ernst Lemmer den Beschluss des Parteivorstandes vom 2. Dezember 1947 revidierte, nahmen die Liebenwerdaer CDU-Vertreter wieder ihre Positionen im Kreiskomitee ein.373 Dennoch stieß das eigenmächtige Vorgehen des Landesverbandes in der Volkskongressfrage bei der Mehrzahl der Mitglieder des Liebenwerdaer CDU-Kreisvorstandes auf harsche Kritik. Der CDU-Kreisvorstand fasste dazu am 28. Dezember 1947 folgenden Entschluss: „Der Kreisverband Liebenwerda wendet sich schärfstens gegen die Haltung des Vorstandes des Landesverbandes Sachsen-Anhalt in Fragen des Volkskongresses, die mit den Ansichten der Kreisverbände, zumindest des Kreisverbandes Liebenwerda, nicht in Übereinstimmung steht. Mit der größten Verwunderung hat der Kreisverband Liebenwerda zur Kenntnis genommen, dass der Aufruf zum Volkskongress von Minister Dr. Herwegen als Vorsitzenden des Landesverbandes unterzeichnet ist. Herr Dr. Herwegen hätte höchstens seine Unterschrift als Persönlichkeit leisten dürfen.“374 Die Rolle des CDU-Landesverbandes bei der Absetzung von Jakob Kaiser wurde offen kritisiert. Diese Kritik, die vor allem vom „Kaiser-Sympathisanten“ Carl Schulze ausging, trug wohl auch entscheidend zum späteren Parteiausschuss des ehemaligen Liebenwerdaer CDU-Kreisvorsitzenden bei.375

371 Vgl. Protokoll über die erste außerordentliche Kreistagsvorstandssitzung vom 1.12.1947 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 31, Bl. 69). Der stellvertretende Kreistagsvorsitzende Johannes Schmelzer war zu diesem Zeitpunkt erkrankt. Als Stellvertreter delegierte die LDP zeitweise Erhard Holzfuss in das Kreiskomitee. 372 Vgl. Freiheit vom 10.12.1947, Nr. 285; Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 118 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). 373 Vgl. Fritz Wilhelm, Geschichte der Arbeiterbewegung des Kreises Bad Liebenwerda 1945 bis 1949 (Manuskript), S. 118 (KA Herzberg, Bestand Kreis Liebenwerda, G 851, unpag.). Noch am 9.1.1948 berichtete die „Freiheit“, dass sich die CDU im Kreis Liebenwerda mit „Kaiser und Lemmer übereinstimmend“ erklärte und eine Mitarbeit im Kreiskomitee weiterhin ablehne. Vgl. Freiheit vom 9.1.1948, Nr. 7. Die CDU nahm jedoch erstmals am 17.1.1948 am ersten Liebenwerdaer „Kreiskongress für Einheit und gerechten Frieden“ teil. Vgl. Freiheit vom 21.1.1948, Nr. 17. 374 Baus, Die Christlich Demokratische Union Deutschlands, S. 413. 375 Die kritische Haltung von Carl Schulze zur Volkskongressbewegung wurde auch während der Beratung des gegen ihn gestellten Misstrauensantrags am 14.4.1948 von der SED-Fraktion hervorgehoben. Vgl. Protokoll über die Liebenwerdaer Kreistagssitzung vom 14.4.1948 (LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 36, Bl. 97).

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Gleichfalls machte dieser Beschluss des Liebenwerdaer CDU-Kreisvorstandes deutlich, dass die Volkskongressbewegung auch in der CDU-Parteibasis auf erhebliche Skepsis stieß, womit die Auslegung der DDR-Geschichtsschreibung, die nach dem Duktus der SED von einer weitestgehenden Befürwortung der Volkskongressbewegung durch die CDU-Basis ausging, zumindest im Kreis Liebenwerda widerlegt werden konnte. Im Kreis Schweinitz sah das Verhalten der CDU in Bezug auf den Volkskongress allerdings anders aus. Im Gegensatz zum Kreis Liebenwerda wurde unmittelbar nach der Bekanntgabe des Volkskongressaufrufes eine außerordentliche Kreistagssitzung einberufen. Während dieser Sitzung am 4. Dezember 1947 stimmten auch die CDU-Kreistagsabgeordneten einer von der SED vorgelegten Resolution zum Volkskongress zu. Hierin hieß es: „Der am 4. Dezember 1947 einberufene außerordentliche Kreistag des Kreises Schweinitz begrüßt den deutschen Volkskongress in Berlin und erwartetet, dass er dazu beitragen möge, die von allen aufrechten Deutschen ersehnte Einheit des Vaterlandes sowie einen gerechten dauerhaften Frieden zu erwirken.“376 Ob der CDU-Kreisverband zu diesem Zeitpunkt über den Vorstandsbeschluss vom 2. Dezember 1947 informiert war, ließ sich nicht nachweisen. Gleichfalls konnte aufgrund der fehlenden Quellen nichts über die Zusammensetzung des Schweinitzer Kreiskomitees ausgesagt werden. Da allerdings der Kreisrat Stephan (CDU) neben der DFD-Kreisvorsitzenden Jäckel (SED) und dem Schweinitzer Kreissparkassendirektor Merker (LDP) aus dem Kreis Schweinitz zum Berliner Volkskongress delegiert wurde, war eine Beteiligung des Schweinitzer CDU-Kreisverbandes im Kreiskomitee äußerst wahrscheinlich.377 Mit Sicherheit festgestellt werden konnte jedoch, dass die SED im Untersuchungsgebiet bemüht war, die Kontrolle über die Volkskongressbewegung von Anfang an zu behalten. Bereits am 29. November 1947 erklärte z. B. Bruno Böttge in einer Sitzung mit den SED-Kreisvorsitzenden der Bezirke Halle-Merseburg und Dessau: „Der Grundsatz, an dem wir festhalten müssen, ist der, dass dieser Volkskongress kein Parteikongress werden soll und wir trotzdem die Führung in dieser Angelegenheit nicht verlieren dürfen.“378 Wahrscheinlich von dieser Rede beeinflusst, stellte auch Erhard Michalke am 7. Dezember 1947 im Schweinitzer SED-Kreisvorstand Folgendes fest: „In diesen Tagen haben wir in der Durchführung des Volkskongresses als Arbeiterklasse die führende Rolle zu spielen.“379 Um den Anspruch der führenden Partei zu verwirklichen, veranstalte die SED im gesamten Untersuchungsgebiet öffentliche Versammlungen, in denen für die Volkskongressbewegung geworben wurde. Im Kreis Liebenwerda fan-

376 Protokoll der außerordentlichen Kreistagssitzung des Kreises Schweinitz vom 4.12.1947 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 132, Bl. 36). 377 Vgl. Freiheit vom 5.12.1947, Nr. 281. 378 Hirschinger, Die „Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden“, S. 12. 379 Protokoll der SED-Kreisvorstandssitzung in Herzberg vom 7.12.1947 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 13, unpag.).

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den beispielsweise Anfang Dezember 1947 insgesamt 40 Veranstaltungen statt, an denen nach Schätzung der SED ca. 4 000 Personen teilnahmen.380 Laut der Parteizeitung der SED „Freiheit“ wurden dabei allein im Kreis Schweinitz 113 Resolutionen zur deutschen Einheit verabschiedet.381 Mit den zahlreichen Versammlungen und verabschiedeten Resolutionen, die zur Wahrung der Einheit Deutschlands mit der Unterstützung der Volkskongressbewegung aufforderten, versuchte die SED, den Druck vor allem auf die CDU zur Mitarbeit im Volkskongress nochmals zu erhöhen und gleichfalls den Anschein zu wahren, dass die Volkskongressbewegung durch die Bevölkerung bestätigt wurde. Zweifellos wurde das Ziel der deutschen Einheit von einer breiten Mehrheit in Deutschland unterstützt. Dies wurde allein an den vielen verabschiedeten Resolutionen im Untersuchungsgebiet deutlich. Zwar wurden diese Resolutionen von der SED initiiert, doch wurde in diesen, wenn überhaupt, die Ausdehnung der politischen und gesellschaftlichen Umgestaltungsmaßnahmen auf Westdeutschland als Bedingung für die deutsche Einheit meist nur verklausuliert erwähnt.382 Nach der Ablehnung der vom Volkskongress gewählten deutschen Vertretung während der Londoner Konferenz durch die Westmächte und dem endgültigen Scheitern der Londoner Konferenz am 15. Dezember 1947 wurde aber auch der Bevölkerung wohl sehr schnell klar, dass die Volkskongressbewegung bei den westlichen Siegermächte nicht den von der SED erhofften Einfluss entfalten konnte. In einem Stimmungsbericht der SED aus Lebusa wurde z. B. am 19. Februar 1948 erwähnt, dass die Bevölkerung im Volkskongress „auch nur eine Propagandasache“ sieht, „auf die die Alliierten ja doch nicht hören“.383 Aus Herzberg wurde am 27. März 1948 berichtet: „Über den Volkskongress in Berlin wird die Meinung allgemein vertreten, dass die Westmächte auf all diese Fragen überhaupt nicht eingehen werden; es wäre daher ein nutzloses Beginnen. Eine gesteigerte Aktivität für den Volkskongress kann nicht festgestellt werden.“384 Wie die Berichte bestätigten, schätzte die Bevölkerung die Erfolgschancen des Volkskongresses sehr realistisch ein und stand damit spätestens nach der gescheiterten Londoner Außenministerkonferenz einer Fortführung der Volkskongressbewegung äußerst skeptisch gegenüber.

380 Vgl. Freiheit vom 8.12.1947, Nr. 283. 381 Vgl. Freiheit vom 5.12.1947, Nr. 281. 382 Vgl. ebd. In einer Einwohnerversammlung in Jessen wurde z. B. folgende Resolution verabschiedet: „Im Namen der Versammlungsteilnehmer und aller Einwohner des Bezirkes Jessen bitten wir die Vertreter der vier Großmächte in London, dass sie zu den Prinzipien der Potsdamer Konferenz zurückkehren mögen. Wir erhoffen ferner die Bildung einer deutschen Zentralregierung, welche uns die Möglichkeit gibt, den friedlichen demokratischen Neuaufbau selbst zu bestimmen. Unser höchstes Ziel wird es sein, das Vertrauen der friedliebenden fortschrittlichen Welt zurückzugewinnen.“ 383 Stimmungsbericht aus Lebusa an den Informationsdienst der SED in Herzberg vom 19.2.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.). 384 Stimmungsbericht aus Herzberg an die Kreisleitung der SED vom 27.3.1948 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.).

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Trotz des Scheiterns der Londoner Konferenz am 15. Dezember 1947 sowie nach dem Verbot der Volkskongresse in der amerikanischen und britischen Zone im Januar 1948 sollte die Volkskongressbewegung nach dem Willen der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der SED zur weiteren Spaltung der bürgerlichen Parteien fortgeführt werden.385 Der erneut von der SED dominierte 2. Volkskongress kam am 17. und 18. März 1948 zusammen. Dieser wählte den Deutschen Volksrat, der u. a. mit der Ausarbeitung einer neuen deutschen Verfassung beauftragt wurde. Zwar wurde von der SED immer noch der gesamtdeutsche Anspruch des Volksrates sowie der erarbeiteten Verfassung im Jahr 1948 herausgestellt, doch deutete die Einrichtung des Volksrates, der von der SED bewusst als deutsches „Vorparlament“ konzipiert wurde, die bereits begonnene eigenstaatliche Entwicklung in der SBZ an. So diente der Volksrat, der von der SED propagandistisch als Schlüssel zur Einheit verkauft wurde, in der Folgezeit als ein wichtiger Wegbereiter der eigenstaatlichen Entwicklung in der SBZ. Gleichfalls war die SED mit dem Verweis auf den Volksrat viel besser in der Lage, Forderungen aus dem Westen nach einem durch allgemeine Wahlen konstituierten Parlament eine Absage zu erteilen.386 Dass die Volkskongressbewegung keineswegs einheitlich von der Bevölkerung getragen wurde, zeigte sich schließlich spätestens bei der Wahl des 3. Volkskongresses am 15. und 16. Mai 1949. Ein 3. Volkskongress sollte die neue ausgearbeitete Verfassung bestätigen. Ohne hier weiter im Einzelnen auf den Inhalt dieses Verfassungsentwurfes einzugehen, sah dieser grundlegend keine Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative vor, sondern schrieb der gewählten „Volkskammer“, in der jedoch auch von der SED dominierte Massenorganisationen vertreten sein sollten, alle staatliche Gewalt zu. Der Verfassungsentwurf enthielt bereits wesentliche volksdemokratische Elemente, die später die Macht der SED in der DDR sicherten.387 Der Volksrat legte am 11. April 1949 den Wahltermin für den 3. Volkskongress auf den 15. und 16. Mai 1949 fest. Insgesamt sollten 2 000 Delegierte zum 3. Volkskongress gewählt werden. Um den Schein der gesamtdeutschen Vertretung der Volkskongressbewegung aufrechtzuerhalten, sollten davon 500 Abgeordnete aus den Westzonen in den neuen Volkskongress delegiert werden.388 Während in den Westzonen die Wahl der Delegierten unbestimmt blieb, legte der Volksrat in der SBZ eine detaillierte Abstimmungsordnung für die Wahl des 3. Volkskongresses vor. Demnach wurde die SBZ in 24 Abstimmungsbezirke geteilt, in denen jeweils über eine von den Landesverbänden der Parteien und Massenorganisationen aufgestellte Einheitsliste abgestimmt werden sollte.

385 Vgl. Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 168. 386 Vgl. ausführlicher zur Entstehung des Volksrates: Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 170–179. 387 Vgl. ausführlicher zur Verfassungsdiskussion: Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 225–233. 388 Vgl. ebd., S. 249.

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Im Land Sachsen-Anhalt wurden gemäß dem Landtagswahlergebnis vom 20. Oktober 1946 der SED 90, der LDP 60 und der CDU 40 Delegierte für den 3. Volkskongress zugestanden. Des Weiteren entfielen im Land Sachsen-Anhalt zur Sicherung der Mehrheit der SED je 13 Delegierte auf die DBD und die NDPD, 30 Delegierte auf den FDGB sowie die restlichen 47 Delegierten auf die FDJ, den DFD, die VVN, den Kulturbund, die VdgB und die Genossenschaften.389 Da über die Aufstellung der Kandidaten auf den Einheitslisten lediglich die Landesvorstände der Parteien und Massenorganisationen entschieden, besaßen die Kreisparteiverbände kaum Einflussmöglichkeiten auf die Kandidatennominierung. Die Aufstellung der Einheitsliste begründete schließlich der Landesvolksausschuss Sachsen-Anhalt wie folgt: „Die Wahl wird als eine allgemeine, gleiche, geheime, direkte durchgeführt. Sie ist aber keine parlamentarische Wahl im landläufigen Sinne, bei der sich die Listen verschiedener Parteien gegenüberstehen, unter denen der Stimmberechtigte zu entscheiden hat, sondern sie soll ein machtvolles Bekenntnis der gesamten Bevölkerung zur Einheit Deutschlands und zur Herstellung eines gerechten Friedens werden. Aus diesem Grunde wird den Wahlberechtigten nur eine Liste vorgelegt, bei deren Zusammenstellung alle Parteien und demokratischen Organisationen mitgewirkt haben.“390 Die eigentliche Wahl der Delegierten zum 3. Volkskongress wurde also seit der Ankündigung der Wahlen in den Hintergrund gedrängt und mit den Wahlen von der Bevölkerung in der SBZ lediglich ein Bekenntnis zur deutschen Einheit verlangt. So war der Wahlzettel bezeichnenderweise mit dem Satz überschrieben: „Ich bin für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Friedensvertrag. Ich stimme darum für die nachstehende Kandidatenliste zum Dritten Volkskongress […].“391 Die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung erhöhte sich dadurch enorm. Das Kalkül der SED bestand mit den Wahlen zum 3. Volkskongress darin, die von ihr initiierte Volkskongressbewegung durch die Bevölkerung endgültig zu legitimieren, dabei ihren Machtanspruch in der Volkskongressbewegung zu sichern, den Schein ihres Strebens nach der deutschen Einheit zu wahren und gleichfalls, scheinbar durch die Bevölkerung legitimiert, weitere Schritte zur Eigenstaatlichkeit gehen zu können. Erneut wurden die Wahlvorbereitungen von der SED mit einem riesigen Propagandaaufwand vorbereitete. Allein im Land Sachsen-Anhalt fanden laut Angabe des Landesverbandes der SED vom 20. April bis zum 14. Mai 1949 insgesamt 6 085 öffentliche Versammlungen statt.392 Während der Wahlvorbereitungen musste jedoch die SED im Untersuchungsgebiet immer wieder feststellen, dass sich die bürgerlichen Parteien kaum an den oftmals gemeinsam

389 390 391 392

Ebd., S. 250. Hirschinger, Die „Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden“, S. 35. Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 251. Hirschinger, Die „Volkskongressbewegung für Einheit und gerechten Frieden“, S. 37.

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geplanten Kundgebungen beteiligten. Beispielsweise stellte der Liebenwerdaer SED-Kreisverband im Protokoll der Kreisdelegiertenkonferenz vom 5. und 6. November 1949 in der Rückschau auf die Wahlen fest: „Dazu ist noch festzustellen, dass in einer Reihe von Orten, wo die bürgerlichen Parteien einen stärkeren Einfluss hatten, diese sich sehr reserviert verhielten und dadurch ebenfalls das Ergebnis beeinträchtigen.“393 Gleichfalls schrieb der Schweinitzer Landrat am 17. Mai 1949 an die Landesregierung: „Bei den Vorbereitungen und der Durchführung der Wahlarbeiten hatte die Verwaltung die stärkste Unterstützung durch den Kreisvorstand und die Funktionäre der SED. Die Vertreter der übrigen Parteien haben im Wesentlichen bei der Bewältigung der Aufgaben versagt.“394 Zweifellos waren CDU und LDP im Untersuchungsgebiet aufgrund ihres geringeren Organisationsgrades nicht in der Lage, ähnlich enorme Anstrengungen zur Vorbereitung der Volkskongresswahlen wie die SED zu leisten. Die Zurückhaltung der bürgerlichen Parteien bei den Wahlvorbereitungen war aber vor allem in der Unzufriedenheit über den von der SED eingeschlagenen politischen Kurs zu suchen. Trotz der Einheitslisten, von denen sich die SED eine deutliche Zustimmung für ihren Kurs erhoffte, entwickelte sich die Volkskongresswahl im Untersuchungsgebiet für die SED zu einem wahren Desaster. Völlig überrascht vom schlechten Ergebnis konnte z. B. der Liebenwerdaer SED-Kreisverband am Abend des 16. Mai 1949 lediglich 51,4 Prozent „Ja-Stimmen“ nach Halle weitermelden.395 Die restlichen Stimmzettel waren entweder ungültig oder deutlich mit „Nein“ gekennzeichnet worden. Da sich überall in der SBZ bereits am ersten Wahltag, dem 15. Mai 1949, ein ähnliches schlechtes Ergebnis abzeichnete, beauftragte die Berliner Zentralverwaltung des Inneren die Innenminister der Länder mit einer Überprüfung der ungültigen Stimmzettel.396 Mit dieser Überprüfung sollten nach der Anweisung des Innenministers des Landes Sachsen-Anhalt, Robert Siewert (SED), alle ungültigen Stimmen „ohne Kennzeichnung“, alle ungültigen Stimmen, „die außerhalb der Kreise angekreuzt sind“ und alle ungültigen Stimmen, die mit anderen Zeichen gekennzeichnet wurden, zu gültigen „Ja-Stimmen“ umgedeutet werden. Als Begründung stellte Siewert selbstgerecht fest: „Der Wähler gab mit der einfachen Abgabe des Stimmzettels ohne Kennzeichnung klar zu erkennen, dass er das groß gedruckte „Ja“ des Stimmzettels als den Ausdruck seines Willens betrachtet […]. Bei der Ablehnung hätte er zweifelsohne das Zeichen der Verneinung in den Nein-Kreis einge-

393 Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S. 3 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). 394 Bericht des Landrats des Kreises Schweinitz über die technische Durchführung der Volkskongresswahl vom 17.5.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 290, Bl. 36). 395 Vgl. Protokoll der Sitzung des Liebenwerdaer SED-Kreissekretariates vom 18.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 62, unpag.). 396 Vgl. Bender, Deutschland, einig Vaterland?, S. 254.

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zeichnet.“397 Diese selbstgerechte und zugleich unbeholfene Erklärung Siewerts machte die Fälschung der Volkskongresswahlen erst recht offensichtlich. Laut der Anordnung Siewerts wurden alle Stadt- und Kreisverwaltungen in Sachsen-Anhalt dazu verpflichtet, die abgegebenen Stimmen nochmals zu zählen und nach den oben genannten Anweisungen zu berichtigen. Paul Mittig sagte dazu in der Liebenwerdaer SED-Kreissekretariatssitzung am 17. Mai 1949: „Das Ergebnis am Sonntag von 51,4 Prozent Ja-Stimmen zwang uns zu sofortigen Maßnahmen, um das Ergebnis am Montag zu verbessern. Durch die Anweisung des Landesvorstandes wurde auch die Verbesserung um 8 Prozent erreicht. Der Sofort-Einsatz aller Spitzenfunktionäre zur Überprüfung der ungültigen und Nein-Stimmen hat gut funktioniert.“398 Unmittelbar nach der Anweisung zur Wahlfälschung wurde im Kreis Liebenwerda der gesamte Parteiapparat mobilisiert, um die Wahlen zu manipulieren. Lediglich der ehemalige Ortsvorsitzende der Lauchhammeraner Sozialdemokraten, Max Schramm, der in Koßdorf zur Wahlfälschung eingesetzt werden sollte, weigerte sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Für seine Weigerung wurde er vor das Kreissekretariat geladen und scharf gerügt.399 Aber auch viele Mitglieder der bürgerlichen Parteien, die in den Ortswahlvorständen eingesetzt waren, protestierten gegen diese Vorgehensweise der SED. In Seehausen weigerte sich z. B. der Wahlausschuss, eine Überprüfung der Stimmen des ersten Tages durchzuführen.400 Ebenso weigerten sich Vertreter der bürgerlichen Parteien, z. B. in Bad Liebenwerda und Plessa, die Wahlfälschung hinzunehmen. Während der Kreisdelegiertenkonferenz vom 5. und 6. November 1949 beschuldigte die SED sogar die CDU und LDP – in völliger Verkehrung der Tatsachen – die Absicht gehabt zu haben, das Ergebnis der Volkskongresswahlen zu verfälschen. Im Protokoll der Konferenz hieß es dazu: „Bei der Auszählung der Stimmen zeigte es sich, dass gewisse reaktionäre Elemente in den bürgerlichen Parteien versuchten, das Ergebnis zu verschlechtern, indem sie aus gültigen Stimmen ungültige machten. Es wurden konkrete Beispiele festgestellt in Bad Liebenwerda und Plessa, dass absolut klare Ja-Stimmen als Nein-Stimmen gezählt wurden. Diese Tatsache wurde bei der Nachprüfung mit Sicherheit festgestellt. Es ist auch festgestellt, dass bei der Kontrolle der abgegebenen Stimmzettel die bürgerlichen Parteien eine wesentlich höhere Aktivität entwickelten als in der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen […].“401

397 Vgl. Anweisung des Innenministers Robert Siewert über die Überprüfung der ungültigen Stimmzettel an den Landrat des Kreises Schweinitz vom 16.5.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, 290, Bl. 14). 398 Protokoll der Sitzung des Liebenwerdaer SED-Kreissekretariates vom 18.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 62, unpag.). 399 Vgl. ebd. 400 Vgl. Bericht des Landrats des Kreises Schweinitz über die technische Durchführung der Volkskongresswahl vom 17.5.1949 (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 290, Bl. 36). 401 Vgl. Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S. 3 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.).

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Trotz der Wahlfälschung, die die Zustimmungsrate, wie Paul Mittig erklärte, um etwa 8 Prozent erhöhte, konnte die SED mit den Endergebnissen im Untersuchungsgebiet nicht zufrieden sein.402 So stimmten auch nach „Berichtigung“ der Ergebnisse im Kreis Liebenwerda nur 60,1 Prozent aller Wähler der Einheitsliste zu. 33,4 Prozent stimmten gegen die Liste. Des Weiteren lag die Anzahl der ungültigen Stimmen im Kreis Liebenwerda mit 6,5 Prozent immer noch hoch.403 Im Kreis Schweinitz wurde das Ergebnis schließlich auf 64,6 Prozent „Ja-Stimmen“ und 29,6 Prozent „Nein-Stimmen“ verbessert. Hier gaben 5,8 Prozent der Wähler ungültige Stimmzettel ab.404 Diese Ergebnisse entsprachen etwa dem Wahlresultat in der gesamten SBZ. Insgesamt stimmten 61,6 Prozent mit „Ja“ und 31,7 Prozent mit „Nein“. 6,7 Prozent der Wähler gaben ungültige Stimmen ab.405 Die Wahlbeteiligung war wie bereits bei den Wahlen im Jahr 1946 erneut sehr hoch. Diese lag im Kreis Liebenwerda bei 96,6 Prozent bzw. im Kreis Schweinitz bei 98,3 Prozent.406 Ein Protestverhalten durch Wahlzurückhaltung konnte also im Untersuchungsgebiet erneut nicht festgestellt werden. Vielmehr drückte sich der Protest wie bereits 1946 durch die große und schließlich korrigierte Zahl der ungültigen Stimmen aus. Die Wahlen zum 3. Volkskongress zeigten der SED nicht nur im Untersuchungsgebiet erneut deutlich, dass sie nur mit Einheitslisten und bewusster Wahlfälschung in der Lage war, ihren Machtanspruch aufrechtzuerhalten. Spätestens nach dieser Wahl musste jedem verantwortlichen SED-Funktionär bewusst gewesen sein, dass die SED keinesfalls mehr freie Wahlen zulassen durfte, in denen die Parteien mit eigenen Listen kandidierten. Unter anderem im Hinblick auf die von der SED empfundene Niederlage bei der Volkskongresswahl 1949 wurden die im Herbst 1949 vorgesehenen Kommunal- und Landtagswahlen erneut verschoben. Die bürgerlichen Parteien, die bei dieser Entscheidung massiv unter Druck gesetzt wurden und dabei um ihre Beteiligung in der neu geschaffenen DDR-Regierung fürchteten, versuchten, die Wahlverschiebung im Oktober 1949 zwar noch mit der Verhinderung der „Einheitsliste“ zu begrün-

402 Vgl. Protokoll der Sitzung des Liebenwerdaer SED-Kreissekretariates vom 18.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 62, unpag.). 403 Vgl. Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S. 1 f. (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). Während der Volkskongresswahl wählten alle zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Personen von 18 bis 21 Jahren getrennt von den volljährigen Personen über 21 Jahren. In den dargestellten Gesamtergebnissen wurden beide Gruppen zusammengerechnet. 404 Vgl. Ergebnis der Volkskongresswahl vom 15./16.5.1949 im Kreis Schweinitz (­LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 290, unpag.). 405 Vgl. Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.): SBZ-Handbuch. Sowjetische Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, München 1990, S. 423. 406 Vgl. Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S.1f. (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.); Ergebnis der Volkskongresswahl vom 15. und 16. Mai 1949 im Kreis Schweinitz (LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 290, unpag.).

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den, doch rückten CDU und LDP im Frühjahr 1950 schrittweise unter dem erneuten Druck der SED immer weiter von ihrer strikten Haltung gegen die „Einheitslisten“ ab. So mussten im Mai 1950 beide Parteien dem enormen Druck der SED im Blockausschuss nachgeben und einer Einheitslistenwahl zustimmen.407 Bei der am 15. Oktober 1950 stattfindenden Wahl, in der alle Parlamente in der DDR neu gewählt wurden, gelang es schließlich der SED, die letzten wenigen noch verbliebenen Reste der Opposition in den kommunalen Parlamenten des Untersuchungsgebiets auszuschalten. Gleichfalls wurden die Ergebnisse dieser Wahlen 1950 erneut massiv gefälscht, sodass sich im Kreis Liebenwerda die utopische Zustimmungsrate für die Einheitsliste von 99,7 Prozent sowie im Kreis Schweinitz von 98,7 Prozent ergab.408 Die Volkskongresswahlen 1949 bildeten bereits einen ersten Probelauf für die späteren, bis 1989 durchgeführten Wahlen in der DDR, die durch massive Wahlfälschungen sowie durch die Aufstellung einer Einheitsliste gekennzeichnet waren, auf deren Zusammensetzung die untersten Gliederungen der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen nur äußerst bedingt Einfluss nehmen konnten. Nach den Volkskongresswahlen trat am 29. und 30. Mai 1949 der 3. Volkskongress zusammen. In dieser Sitzung wurde der neue Volksrat gewählt. Der erneut von der SED dominierte Volksrat nahm in der Folgezeit die ausgearbeitete neue Verfassung an und initiierte gemeinsam mit der SED die Umwandlung der Volksausschüsse zur „Nationalen Front“, mit der die SED später in der DDR ihren Einfluss und ihre Kontrolle auf die anderen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen ausbaute.409 Nachdem die Konstituierung des Deutschen Bundestages am 7. September 1949 in Bonn und die Wahl von Konrad Adenauer zum deutschen Bundeskanzler am 15. September 1949 bewusst abgewartet worden war, konstituierte sich der Volksrat am 7. Oktober 1949 als „Provisorische Volkskammer“, die auf der Grundlage der zuvor verabschiedeten Verfassung die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik proklamierte.410 Die im November 1947 initiierte Volkskongressbewegung mündete somit direkt in der Gründung der DDR. Zusammenfassend lässt sich zur Volkskongressbewegung auf das Untersuchungsgebiet bezogen feststellen, dass die SED seit der Initiierung dieser versuchte, den Schein der von ihr immer wieder propagierten Einheitsbemühungen in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Dabei wurde von der SED jedoch immer wieder betont, dass die in der SBZ seit Kriegsende durchgeführten gesellschaftlichen Transformationsmaßnahmen die wesentliche Bedingung für die 407 Vgl. Günter Braun, Wahlen und Abstimmungen. In: Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.): SBZ-Handbuch. Sowjetische Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, München 1990, S. 392; Hermann Weber, Die DDR 1945–1990, München 1993, S. 30 f. 408 Vgl. Freiheit vom 17.10.1950, Nr. 241. 409 Vgl. Staritz, Die Gründung der DDR, S. 167. 410 Vgl. ebd., S. 168 f.

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deutsche Einheit darstellten. Nicht zuletzt aus diesem Grund sowie aufgrund der realistischen Lageeinschätzung über den Einfluss der Siegermächte stand die Bevölkerung der Volkskongressbewegung von Anfang an sehr skeptisch gegenüber. Wie sich spätestens bei den gefälschten Volkskongresswahlen 1949 feststellen ließ, konnte man bei der Volkskongressbewegung keineswegs über eine von allen Bevölkerungsschichten getragene Bewegung sprechen. Trotz der Einbindung der bürgerlichen Parteien in die Volkskongressbewegung gelang es der SED nicht, breite Bevölkerungsschichten für diese zu begeistern. Für die bürgerlichen Parteien und insbesondere für die CDU bedeutete jedoch ihre Mitarbeit in der Volkskongressbewegung im Untersuchungsgebiet seit Beginn an eine politische Gratwanderung zwischen den Interessen der übergeordneten bürgerlichen Parteigremien, der SED, der eigenen Mitgliederbasis sowie der Bevölkerung. So gelang es der SED mit der Volkskongressbewegung, besonders die CDU im Untersuchungsgebiet zu spalten. Lehnte die CDU im Kreis Liebenwerda nach dem zentralen Vorstandsbeschluss vom 2. Dezember 1947 noch jede weitere Mitarbeit in der Volkskongressbewegung ab, so musste diese durch das Nachgeben des Landesverbandes sowie nach der Absetzung von Jakob Kaiser diese Position im Januar 1948 widerwillig aufgeben. Die Glaubwürdigkeit der führenden CDU-Funktionäre im Kreis Liebenwerda wurde durch dieses von übergeordneten CDU-Gremien angeordnete Nachgeben weitgehend zerstört. Die SED und die sowjetische Besatzungsmacht verstärkten diese Spaltung in der Folgezeit immer weiter, in dem sie zwischen vermeintlich „reaktionären“ und „fortschrittlichen“ Parteimitgliedern in den bürgerlichen Parteien unterschieden, die je nachdem entweder bekämpft oder gefördert wurden. So verschärfte die SED auch nach der Volkskongresswahl 1949 im Untersuchungsgebiet das Vorgehen gegen vermeintlich „reaktionäre Elemente“ in den bürgerlichen Parteien nochmals beträchtlich, da diese von der SED vor allem für das schlechte Ergebnis bei den Wahlen verantwortlich gemacht wurden. Im Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5. und 6. November 1949 hieß es dazu: „Vom Kreisverband wurden im Zuge der Auswertung dieser Wahlergebnisse den Grundeinheiten unserer Partei die Schwächen und Mängel individuell in den einzelnen Orten aufgezeigt […]. Unter Ausnutzung der Presse und Rücksprache mit den Vorständen der Blockparteien führte es zu einer Entlarvung reaktionärer Elemente unter der Mitwirkung fortschrittlicher Teile der Blockparteien, z. B. in Uebigau und Bad Liebenwerda.“411 Ebenso ordnete Paul Mittig im Kreis Liebenwerda unmittelbar nach den Volkskongresswahlen an: „Die reaktionären Kräfte innerhalb der bürgerlichen Parteien müssen entlarvt werden und wir müssen deshalb genaue Stimmungsbilder aus den Orten erhalten.“412

411 Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S. 4 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). 412 Protokoll der Sitzung des Liebenwerdaer SED-Kreissekretariats vom 18.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 62, unpag.).

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Geradezu idealtypisch stellte der 1. Liebenwerdaer Kreissekretär Walter Hoffmann während der SED-Kreisdelegiertenkonferenz die Taktik der Partei gegenüber den bürgerlichen Parteien vor. Hoffmann sagte: „Wir führen eine ehrliche und aufrichtige Blockpolitik ohne Hintergedanken und sind bereit, mit allen ehrlichen und aufrichtigen Demokraten zusammenzuarbeiten. Wir sind aber auch ebenso fest entschlossen, alle noch in den bürgerlichen Parteien vorhandenen reaktionären Kräfte rücksichtslos zu entlarven und ihren Einfluss zu beseitigen. Dazu ist notwendig, dass wir in engster Zusammenarbeit mit den fortschrittlichen Kräften der bürgerlichen Parteien gemeinsam den Kampf gegen die Reaktionäre führen, dass wir die fortschrittlichen Kräfte der bürgerlichen Parteien unterstützen, dass sie von sich aus in der Lage sind, die Reaktionäre zu beseitigen.“413 Mit der Teilnahme der bürgerlichen Parteien an der Volkskongressbewegung sowie durch das von der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht initiierte Spalten der Parteien in einen „reaktionären“ und „fortschrittlichen“ Flügel, verloren die bürgerlichen Parteien nicht nur an Zustimmung in ihren eigenen Parteibasen, sondern auch in den bürgerlichen und bäuerlichen Milieus, die sich im Jahr 1946 mit der Wahl von CDU oder LDP noch bewusst gegen die Politik der SED entschieden. In einem SED-Stimmungsbericht aus Battin vom 18. Mai 1949 hieß es dazu: „Dazu kommt eine Beobachtung, die ich immer mehr machen muss, dass die CDU (LDP gibt es hier nicht) ihre Leute nicht mehr hinter sich hat. Ich will annehmen, dass die CDU-Führer die Blockpolitik und den Volksrat ernsthaft vertreten. Die Masse ihrer Anhänger geht nicht mehr mit, selbst die Parteimitglieder nicht. Wenn man ihnen vorhält, dass doch auch die CDU für die Freundschaftspolitik und für die Zusammenarbeit mit den Russen eintritt, so erwidern sie, dass sie ja das müssen, um nicht eingesperrt zu werden […]. Es schält sich hier scheinbar immer mehr eine illegale Opposition heraus, die zwar noch nicht organisiert ist, aber doch ihren klaren Willen hat, der sich zusammenfassen lässt in den Schlagworten: Gegen die Russen, gegen die Kommunisten, gegen die Oder-Neiße-Grenze und bei den Bauern gegen die Kolchose.“414 Es gelang der SED zwar nicht, mit der Volkskongressbewegung alle Bevölkerungsschichten in der SBZ einzubinden, doch entzog sie mit der teils erzwungenen Einbindung der bürgerlichen Parteien in die Volkskongressbewegung diesen die Unterstützung eines großen Teils ihrer Wählerbasis. Die SED sowie die sowjetische Besatzungsmacht waren schließlich mit der Volkskongressbewegung und später in der DDR mit der „Nationalen Front“ in der Lage, die bürgerlichen Parteien derart zu schwächen, dass sie in der Bevölkerung lediglich nur noch als Anhängsel der SED wahrgenommen wurden.

413 Protokoll der Liebenwerdaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz vom 5./6.11.1949, S. 8 (BLHA, Rep. 931, Bad Liebenwerda, Nr. 1, unpag.). 414 Abschrift eines Informationsberichts für den Schweinitzer SED-Kreisvorstand aus Battin bei Jessen vom 18.5.1949 (BLHA, Rep. 931, Herzberg, Nr. 98, unpag.).

XII. Zusammenfassung Die Rote Armee rückte zwischen dem 20. und 23. April 1945 nahezu kampflos in das von der Wehrmacht zuvor verlassene Untersuchungsgebiet ein. Trotz des geringen Widerstands begannen die Rotarmisten sofort nach dem Einmarsch zu plündern, zu vergewaltigen und zu morden. Dieser direkte und brutale Ausbruch der Gewalt schien der ohnehin enorm verängstigten deutschen Bevölkerung die apokalyptischen Beschreibungen der NS-Propaganda und die zahllosen Gewaltberichte der Flüchtlinge zu bestätigen. Die ersten eigenen Gewalterfahrungen bzw. die Bestätigung dieser in der Familie oder unmittelbaren Nachbarschaft lösten daraufhin eine Selbstmordwelle von bisher ungekanntem Ausmaß aus. Insgesamt nahmen sich unmittelbar nach Kriegsende in beiden Landkreisen 660 Personen, die über 18 Jahre alt waren, das Leben. Gleichfalls wurden 208 Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren im Untersuchungsgebiet oftmals von ihren Eltern oder Verwandten im Zusammenhang mit ihrem eigenen Selbstmord umgebracht. Da sich nur sehr wenige NS-Funktionäre im Untersuchungsgebiet nach Kriegsende selbst töteten, konnte ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen NS-Ideologie und den zahlreichen Selbstmorden weitestgehend ausgeschlossen werden. In den meisten Fällen erlebten die Selbstmordopfer, die aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus kamen, den Einmarsch der Roten Armee und damit oftmals die zahllosen Verbrechen der Rotarmisten noch mit. Daraus kann man schlussfolgern, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den tatsächlich erlebten Verbrechen der Roten Armee und den vielen Selbstmorden gab. Welches Ausmaß die Verbrechen der Roten Armee annahmen, wurde bei der systematischen Auswertung der standesamtlichen Sterbebücher im Untersuchungsgebiet deutlich. Die Standesbeamten vermerkten unmittelbar nach Kriegsende bei 456 Todesmeldungen die Todesursachen „von Russen erschossen“, „von der Roten Armee erschossen“, „erschossen“ oder „erschlagen“. Da die Rote Armee nahezu kampflos in beide Landkreise einmarschierte, kamen diese Personen wohl nur in den seltensten Fällen bei Kampfhandlungen ums Leben, sondern wurden vielmehr Opfer der Willkür der sowjetischen Soldaten. Angesichts dieses Ausmaßes der Gewalt kann man nicht davon sprechen, dass die von Stalin erlassene Direktive vom 20. April 1945, die die zuvor bewusst in Kauf genommene Gewalt gegen die deutsche Zivilbevölkerung eindämmen sollte, in den letzten Tagen des Kriegs eine wesentliche Wirkung entfaltete. Im Großen und Ganzen knüpften die Soldaten der Roten Armee beim Einmarsch in das Untersuchungsgebiet an ihr Verhalten bei der Besetzung der deutschen Gebiete östlich der Oder und Neiße an. Damit kann der Forschungsmeinung, dass die Intensität der Verbrechen der Roten Armee auf dem Gebiet der späteren SBZ am Kriegsende deutlich abnahm, klar widersprochen werden.1

1

Vgl. z. B. Boog/Lakowski, Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945, S. 740.

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In großen Teilen der deutschen Zivilbevölkerung verspielte die sowjetische Besatzungsmacht mit diesem brutalen Vorgehen von vornherein jegliche Chance, als „Befreier“ vom Nationalsozialismus wahrgenommen zu werden und damit gleichfalls die Grundlage für die nötige Akzeptanz für die politische und gesellschaftliche Transformation der SBZ zu schaffen. Die Begleitumstände des Einmarsches der Roten Armee sollten schließlich die Beziehungen zwischen der deutschen Bevölkerung und der Roten Armee noch bis zu deren Abzug Anfang der 1990er-Jahre belasten. Genauso wie es der Roten Armee nicht gelang, die militärische Disziplin unmittelbar nach dem Einmarsch herzustellen, agierte die sowjetische Besatzungsmacht in den ersten Tagen und Wochen des Einmarsches völlig planlos bei der Wiederherstellung der deutschen Verwaltungen. Erst am 13. Mai 1945 wurde eine erste Richtlinie zum Verwaltungsaufbau im Bereich der 1. Ukrainischen Front veröffentlicht. Es konnte in dieser Studie erstmals nachgewiesen werden, dass erst nach der Herausgabe dieser Richtlinie die bisher planlos nach den Anordnungen der ersten örtlichen Kommandanten besetzten deutschen Verwaltungen systematisch überprüft und die kommunalen Spitzenpositionen möglichst mit ehemaligen KPD-Mitgliedern besetzt wurden. Zwar war nicht feststellbar, dass den zuständigen örtlichen sowjetischen Kommandanten ein Befehl vorlag, der eine ausdrückliche Bevorzugung von ehemaligen KPD-Mitgliedern anordnete, jedoch ließ die Systematik der Stellenbesetzung mit ehemaligen KPD-Mitgliedern deutlich darauf schließen. Mit der Einrichtung der übergeordneten deutschen Provinzial- und Bezirksverwaltung Ende Juli 1945 wurde auch der Entnazifizierungsprozess systematisiert. Dazu erließ die Provinzialverwaltung am 6. September 1945 die „Verordnung über die Säuberung der Verwaltung“. Unter der ständigen Kontrolle durch die Besatzungsmacht wurde daraufhin in beiden Landkreisen bis zum Frühjahr 1946 eine nahezu komplette Säuberung der öffentlichen Verwaltungen durchgeführt. Waren vor dem Erlass dieser Verordnung auch viele neu eingesetzte kommunistische Bürgermeister mit der Weiterbeschäftigung einiger Fachkräfte durchaus pragmatisch vorgegangen, so verschärften diese Verordnung vom 6. September 1945 und die späteren Durchführungsbestimmungen den Entnazifizierungsprozess in den Verwaltungen des Untersuchungsgebiets enorm. Innerhalb der einzelnen Ortschaften gab es allerdings erhebliche Unterschiede. So gelang es der KPD in den Ortschaften, in denen bereits vor 1933 eine KPD-Ortsgruppe bestand, deutlich mehr Parteimitglieder in den Verwaltungen zu installieren. Insbesondere in den ländlichen Gebieten, vor allem im Kreis Schweinitz, hatte die Partei aber erheblich größere Probleme, geeignetes Personal zu finden. Dass die neuen KPD-Verwaltungsspitzen sowie die sowjetische Besatzungsmacht die freien Posten meist nicht nach fachlichen, sondern nach politischen Kriterien besetzten, wurde besonders beim Neuaufbau der Polizei deutlich. Diese wurde von Anfang an im Untersuchungsgebiet mit zuverlässigen KPD-, aber auch SPD-Parteimitgliedern aufgebaut und gleichfalls seit dem Einmarsch der Roten Armee als politisches Instrument benutzt.

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Die KPD war mit der Hilfe der Besatzungsmacht in der Lage, nahezu überall Schlüsselpositionen in der Verwaltung unmittelbar nach Kriegsende zu besetzen und damit die entscheidende Grundlage für die Diktaturdurchsetzung bereits in dieser Zeit zu schaffen. Entscheidend war dabei, dass die Verteilung der wichtigsten kommunalen Ämter bereits abgeschlossen war, noch bevor der Aufbau der neu zugelassenen Parteien beendet war. Hauptsächlich die Mitglieder der beiden bürgerlichen Parteien wurden von Anfang an weitestgehend von der kommunalen Mitbestimmung ausgeschlossen und konnten trotz allen Bemühens und aller späteren Konflikte mit der KPD/SED nie ihren Einfluss in den Verwaltungen wesentlich ausbauen. Zur Umsetzung weiterer politischer und gesellschaftlicher Transformationsmaßnahmen bedurfte es jedoch eines gut organisierten kommunistischen Parteiapparats. Damit der Schein einer demokratischen Entwicklung aufrechterhalten und vor allem die nicht-kommunistischen politischen Kräfte kanalisiert werden konnten, genehmigte die sowjetische Besatzungsmacht am 9. Juni 1945 den Parteiaufbau von KPD, SPD, LDP und CDU. Sehr deutlich wurde dies darin, dass im Untersuchungsgebiet die Gründungen der bürgerlichen Parteien von der Besatzungsmacht erst erlaubt wurden, nachdem sich diese zu einer gemeinsamen Blockpolitik bekannten. Mit dem Mittel der Blockpolitik wurden aber von vornherein die Spielräume der nicht-kommunistischen Parteien stark eingeschränkt. Der Parteibildungsprozess vollzog sich in beiden Landkreisen insgesamt sehr unterschiedlich. Konnte die KPD im Kreis Liebenwerda auf ein gewisses Fundament vor 1933 bauen, so musste die Partei im ländlichen Kreis Schweinitz nahezu vollkommen neu gegründet werden. Nach dem Einmarsch der Roten Armee wurde zwar der Aufbau der KPD auch bereits vor der offiziellen Zulassung der Parteien von der sowjetischen Besatzungsmacht sowie den deutschen Verwaltungen wohlwollend geduldet, doch aufgrund des dezentralen Parteiaufbaus in den einzelnen Orten sowie aufgrund von alten vor 1933 übernommenen Vorstellungen über den avantgardistischen Charakter der Partei gelang es den regionalen KPD-Funktionären nicht, die Parteiorganisation wesentlich zu vergrößern. Erst nachdem die KPD-Provinzialleitung ab August 1945 in beiden Landkreisen in den Parteiaufbau eingriff und die neuen im Gründungsaufruf festgehaltenen ideologischen Vorstellungen von einer Massenpartei vermittelte, änderte sich dies. Dabei war die Provinzialleitung der KPD von Anfang an bestrebt, den hierarchischen Aufbau der Partei durchzusetzen und damit die vollständige Kontrolle über die Kreisverbände zu erhalten. Mit der Öffnung der Partei für neue Mitglieder begann ein bisher für die Kommunisten im Untersuchungsgebiet nicht gekannter Mitgliederzuwachs einzusetzen. Aufgrund des im Vergleich zu den anderen Parteien schnellen Parteiaufbaus, der neu erworbenen Machtstellung in den Verwaltungen sowie der von den sowjetischen Kommandanturen unterstützten nahezu omnipräsenten Propagandatätigkeit traten nun viele neue Mitglieder in die KPD ein, die sich vor dem Kriegsende wohl selbst diesen Schritt kaum vorstellen konnten. Dennoch

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blieben die Führungsposten im Kreis Liebenwerda überwiegend in den Händen der bereits vor 1933 führenden KPD-Funktionäre. Im ländlichen Kreis Schweinitz mussten dagegen aufgrund der schwachen Tradition der hiesigen Arbeiterbewegung mehrere führende KPD-Mitglieder in den Kreis versetzt werden, um hier die KPD nach den Vorstellungen der KPD-Provinzialleitung aufzubauen. Die deutlich größeren Schwierigkeiten der KPD/SED bei der Umsetzung der Transformationsmaßnahmen sowie die spätere Zerstrittenheit des Schweinitzer SED-Kreisverbandes hatten bereits darin eine wesentliche Ursache. Der Aufbau der SPD hing ohne eine ähnliche Verankerung in den kommunalen Verwaltungen sowie ohne Unterstützung der Besatzungsmacht im Untersuchungsgebiet weit hinter dem der KPD zurück. Erst im September/Oktober 1945 war es den überlebenden SPD-Mitgliedern möglich, in beiden Kreisen ein SPD-Kreisverband zu bilden. Dennoch entwickelte sich die SPD in beiden Landkreisen bis zum Jahresanfang 1946 zur mitgliederstärksten Partei. Die SPD zog aufgrund ihrer intensiven Mitgliederwerbung, aber auch aufgrund der in der Bevölkerung immer deutlicher wahrgenommenen Unfähigkeit der KPD, die dringendsten Alltagsprobleme zu lösen, auch in ländlichen Gebieten immer mehr Mitglieder an. Gleichfalls offenbarte sich für viele auch aufgrund der rigorosen und zum Teil gewaltsam durchgeführten ersten Transformationsmaßnahmen, wie z. B. der Bodenreform, der Charakter der KPD als Erfüllungsgehilfin der sowjetischen Besatzungsmacht. Das Wachstum der SPD sowie die beginnende Stagnation des Mitgliederzuwachses der KPD hatten schließlich zur Folge, dass die KPD-Führung zusammen mit der sowjetischen Besatzungsmacht in der Folgezeit alles daran setzte, um mit der Vereinigung beider Parteien den sozialdemokratischen Einfluss in der SBZ auszuschalten. Die Gründung der beiden bürgerlichen Parteien zog sich hingegen im Untersuchungsgebiet bis in das Jahr 1946 hin. Aufgrund fehlender Parteistrukturen vor 1933 sowie einer starken Verunsicherung im Bürgertum bildeten die LDP und die CDU in beiden Landkreisen im Jahr 1945 keine echte Konkurrenz für die beiden Arbeiterparteien. Außerdem verhinderte in vielen Fällen eine frühere NSDAP-Mitgliedschaft der potenziellen bürgerlichen Parteimitglieder ein Engagement in beiden bürgerlichen Parteien. Die Unsicherheit zahlreicher Bürger, politisch tätig zu werden, hatte aber auch ihre Ursache in den Erfahrungen kurz nach dem Kriegsende mit den zahllosen gewaltsamen Übergriffen von sowjetischen Soldaten sowie in der nahezu kompletten Entfernung von bürgerlichen Verwaltungsangestellten und deren Austausch durch KPD-Mitglieder. Des Weiteren spielte nach dem Kriegsende das Vorgehen der sowjetischen Geheimdienste mit zahlreichen scheinbar willkürlichen Verhaftungen, die vor allem Personen aus den bürgerlichen Schichten trafen, eine wesentliche Rolle für die politische Inaktivität des Bürgertums. So war die Verhaftungspraxis der sowjetischen Geheimdienste aufgrund der oftmals fehlenden unmittelbaren Verdachtsmomente gegen die Betroffenen für die deutsche Bevölkerung kaum erklärbar. Dennoch zeigte sich bei einer näheren Betrachtung, dass die Verhaftungen weitaus weniger willkürlich

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durchgeführt wurden als zunächst angenommen. Die Grundlage für die etwa 500 durchgeführten Verhaftungen im Untersuchungsgebiet bildete zunächst der NKWD-Befehl Nr. 00315 vom 18. April 1945. In diesem Befehl wurden verschiedene Bevölkerungsgruppen, wie z. B. NS-Funktionäre, Volkssturmkommandeure, Gestapo-Mitarbeiter und Zeitungsredakteure aufgeführt, die quasi prophylaktisch aufgrund der von ihnen ausgehenden vermeintlichen Gefahr verhaftet wurden. So konzentrierte sich der NKWD/MWD, der in Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen Operative Gruppen bildete, besonders im Jahr 1945 auf die Festnahme dieser Personengruppen. Mit der Hilfe der neuen deutschen Verwaltungen und der neuen deutschen Polizei verhaftete der NKWD/MWD bis Ende 1945 z. B. nahezu alle im Untersuchungsgebiet verbliebenen NSDAP-Funktionäre vom Blockleiter aufwärts. Die alte Struktur der NSDAP wurde damit personell total zerschlagen und ein eventueller Wiederaufbau der NSDAP allein deswegen nahezu unmöglich gemacht. Die individuelle Schuld des Einzelnen spielte aber bei diesen Verhaftungen für den NKWD/MWD keine Rolle. Neben diesen „prophylaktischen Verhaftungen“ von ganzen Personengruppen ging der NKWD/MWD aber auch systematisch gegen Personen vor, die sich entschieden gegen einzelne Maßnahmen der geplanten Diktaturdurchsetzung aussprachen. Beispielsweise machten die Verhaftungen von Willi Lüderitz, Dr. Heinrich Menz, Willy Rose sowie des gesamten Führungspersonals der Bubiag deutlich, dass die regionalen Mitarbeiter des NKWD/MWD seit Beginn der Besatzungszeit keineswegs ihr Handeln ausschließlich nur an sicherheitspolitischen Aspekten orientierten, sondern mit gezielten Eingriffen die KPD/SED bei der Durchsetzung ihrer Transformationsmaßnahmen unterstützten. Die KPD/SED konnte sich jeder Zeit auf die sowjetischen Geheimdienste stützen. Die ohne Begründung durchgeführten Verhaftungen sowie die Unkenntnis über den Aufenthaltsort der Verhafteten hatten zweifellos das Ziel, die Bevölkerung weitestgehend einzuschüchtern und damit zum einen die nötige Sicherheit für die sowjetischen Truppen, aber zum anderen auch die möglichst kritiklose Umsetzung der geplanten Transformationsmaßnahmen zu sichern. Nur in dieser Atmosphäre der Angst und des Misstrauens war die Umsetzung der Diktaturdurchsetzung überhaupt erst möglich. Eine der wichtigsten Transformationsmaßnahmen auf dem Weg zur SED-Diktatur war besonders im ländlichen Raum die Bodenreform. Streng nach dem von Lenin ausgearbeiteten Bündniskonzept zwischen Arbeitern und Bauern sollten in der SBZ alle Großgrundbesitzer mit über 100 Hektar sowie alle „Nazi- und Kriegsverbrecher“ enteignet werden. Die Absicht der KPD sowie der sowjetischen Besatzungsmacht bestand dabei darin, zum einen den politischen Einfluss der Großgrundbesitzer auf dem Land zu zerstören und zum anderen mit der Verteilung des enteigneten Besitzes an landarme und landlose Bauern, an Landarbeiter sowie an Flüchtlinge und Vertriebene die Machtbasis der KPD auf dem Land zu stärken. Wirtschaftspolitische Aspekte spielten dagegen bei der Bodenreform – wenn überhaupt – nur am Rand eine

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Rolle. Ende August 1945 ­versuchte die KPD mit großangelegten inszenierten ­Propagandaveranstaltungen, in denen die Enteignung der Großgrundbesitzer und die Verteilung des Landes gefordert wurden, zum einen die geplante Bodenreform in der Bevölkerung zu legitimieren und zum anderen den politischen Druck auf die anderen Parteien zur Umsetzung der KPD-Forderungen in den Verhandlungen zur Bodenreformgesetzgebung zu erhöhen. Die inszenierte Mobilisierung der Bevölkerung mit großen Propagandaveranstaltungen und die damit verbundene gefällige Auslegung der öffentlichen Meinung zu Gunsten der Forderungen der KPD sollte sich nach der erfolgreichen Verabschiedung der Bodenreformverordnung zu einem oftmals praktizierten Modell zur Umsetzung von KPD/SED-Forderungen entwickeln. Dies erhöhte zwar auf der einen Seite, je öfter gebraucht, immer weiter die Distanz der KPD/SED zur Bevölkerung, auf der anderen Seite ermöglichte dies aber ebenso eine immer wieder neu bestätigte Selbsttäuschung für viele KPD/SED-Funktionäre, um die immer größer werdende Distanz zwischen ideologischem Anspruch und lebensweltlicher Realität in der SBZ/DDR verleugnen zu können. So wurde die ständige Selbsttäuschung mit inszenierten Veranstaltungen, die die kommunistische Ideologie scheinbar bestätigten, zu einem zentralen Herrschaftsmittel in der SBZ/DDR. Im Untersuchungsgebiet konnte jedoch im Bezug auf die Bodenreform zweifelsfrei belegt werden, dass in keinem Ort in einer unabhängig von der KPD organisierten Bauernversammlung eine Enteignung der Großgrundbesitzer gefordert wurde. Damit kann die Behauptung der DDR-Geschichtsschreibung, dass die Landbevölkerung die Durchführung einer Bodenreform mehrheitlich einforderte, zumindest für diese Landkreise klar widerlegt werden. Aufgrund des langsamen Aufbaus der nicht-kommunistischen Parteien sowie aufgrund der kurz nach Kriegsende erworbenen Machtstellung in vielen Kommunalverwaltungen gelang es der KPD in der Folgezeit, die Schlüsselpositionen in den zahlreichen für die Umsetzung der Bodenreform zuständigen Gemeindebodenkommissionen sowie in den Kreisbodenkommissionen zu besetzen. Meist gaben die kommunistischen Bürgermeister den Versammlungen der Landarbeiter und landarmen Bauern trotz der in der Bodenreformgesetzgebung vorgesehenen Wahl die Besetzung der Kommissionen nach ihren Vorstellungen vor. Von einer „demokratischen Bodenreform“, wie von der DDR-Literatur immer wieder herausgestellt wurde, konnte unter diesen Umständen keine Rede sein. Dennoch reichte die Stärke der KPD in den ländlichen Gebietes des Untersuchungsgebiets oft nicht aus, um für die Partei eine unangefochtene Mehrheit in den Gemeindebodenkommissionen zu sichern, was im Folgenden zu großen Problemen bei der Durchsetzung der Bodenreformbestimmungen führen sollte. So weigerten sich im Untersuchungsgebiet viele Gemeindebodenkommissionen, die Enteignung von Großgrundbesitzern restlos umzusetzen. Vor allem die Enteignung von zahlreichen Großbauern, die nur knapp die 100-Hektar-Grenze überschritten, wurde in der ländlichen Bevölkerung stark kritisiert. Allein in Hohenbucko fielen z. B. 14 alteingesessene Bauern unter die Bodenreformbe-

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stimmungen. Ohne die Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht, die von den deutschen Verwaltungen die undifferenzierte Enteignung aller Großgrundbesitzer sowie deren restlose Ausweisung aus den beiden Landkreisen verlangte, wäre die schnelle und konsequente Umsetzung der Bodenreform nicht möglich gewesen. Ohne die Verankerung im sozialen System der ländlichen Gesellschaft war die Besatzungsmacht im Gegensatz zu den Gemeindebodenkommissionen, deren Mitglieder vor Ort oftmals ein Teil dieses Systems waren und darauf zwangsläufig Rücksicht nehmen mussten, viel besser in der Lage, das bestehende soziale System mit der Enteignung aller Großgrundbesitzer entscheidend zu verändern. Dass die 100-Hektar-Grenze vollkommen willkürlich ohne Rücksicht auf die ökonomische sowie ökologische Struktur des jeweiliges Gebietes gezogen wurde und zudem z. B. entschiedene NS-Gegner enteignet und aus den Kreisen ausgewiesen wurden, spielte für die „systemfremde“ Besatzungsmacht sowie für die nicht in den Dörfern beheimateten kommunistischen Mitglieder der Kreisbodenkommissionen keine Rolle. Wie sehr in der praktischen Umsetzung der Bodenreform vor Ort persönliche (im Sinne von Sühne für die Verfolgung im NS-Staat), ideologische, aber auch ökonomische Intentionen wechselseitig eine große Rolle spielten, wurde besonders bei der Enteignung der „Nazi- und Kriegsverbrecher“, die unter 100 Hek­tar LNF besaßen, deutlich. Selbst nach den dürftigen rechtlichen Bestimmungen der Bodenreform wiesen viele dieser Enteignungsfälle im Untersuchungsgebiet erhebliche formale Mängel auf. Zwar handelte es sich zweifellos bei der Mehrzahl der Enteigneten mit weniger als 100 Hektar Besitz um ehemalige NS-Funktionäre, doch konnten die Bodenkommissionen sowie die deutschen Verwaltungen nur in wenigen Fällen diesen Verbrechen während der NS-Zeit zweifelsfrei nachweisen. Da der Bevölkerung die oft interessengeleiteten Absichten der für die Bodenreform zuständigen Akteure kaum verborgen blieben, wurde die ohnehin kaum vorhandene Legitimität der Bodenreform dadurch nur noch weiter beschädigt. Da die neue nach der Enteignung der Großgrundbesitzer entstandene Besitzgrößenstruktur jedoch den ökonomischen Einfluss der Großbauern in den Dörfern enorm erhöhte und die Neubauern u. a. aufgrund des Mangels an geeigneten Betriebsmitteln in die Abhängigkeit von Großbauern getrieben wurden, war die KPD/SED nach ihrem ideologischen Verständnis in der Folgezeit auch zu Zwangsmaßnahmen gegen die Großbauern gezwungen. So führte die Bodenreform und die damit verbundene Aufwertung der Großbauern nahezu zwangsläufig zum Beginn der Politik gegen die Großbauern im Jahr 1948, die den Riss in der ländlichen Gesellschaft der SBZ/DDR nochmals erheblich vertiefte. Die Bodenreform und die wenig später einsetzende Politik gegen die Großbauern hatten schließlich besonders in den großbäuerlich geprägten Dörfern im Norden des Untersuchungsgebiets die nahezu vollständige Zerstörung des alten sozialen Gefüges dieser Dörfer zur Folge. In einzelnen kleinen, großbäuerlich geprägten Dörfern vollzog sich beispielsweise unter diesen Umständen ein fast komplett erzwungener Bevölkerungsaustausch.

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Noch weitaus deutlicher als in der Landwirtschaft wurde seit Beginn der Besatzung das Streben der deutschen Kommunisten nach Enteignung und ­Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung im Bereich der Industrie. Im Krieg war die regionale Wirtschaftsstruktur nur sehr geringfügig durch direkte Zerstörungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Mit Ausnahme des Industriestandortes Elsterwerda, der durch einen alliierten Luftangriff am Ende des Kriegs zu großen Teilen zerstört wurde, wären besonders die großen Industrieunternehmen im Mückenberger Ländchen in der Lage gewesen, ohne große Kriegszerstörungen ihre Produktion nach dem Einmarsch der Roten Armee wieder aufzunehmen. Aufgrund von Arbeitskräfte-, Rohstoff- und Ersatzteilmangel sowie aufgrund der zerstörten Infrastruktur insbesondere im Verkehrswesen ging die industrielle Produktion in den beiden Landkreisen allerdings nach dem Kriegsende erheblich zurück. Zusätzlich wurde das erhaltene industrielle Potenzial im Untersuchungsgebiet durch die sofort nach dem Einmarsch der Roten Armee einsetzenden Demontagen zu einem großen Teil bewusst zerstört. Insgesamt demontierten sowjetische Demontagekommissionen in beiden Landkreisen 19 Unternehmen bzw. Anlagen. Dabei suchten sich die sowjetischen Kommandos die modernsten und profitabelsten Betriebe und Anlagen im Untersuchungsgebiet zur Demontage heraus. Allein in den drei größten Unternehmen der zwei Landkreise (die Bubiag, die Mitteldeutschen Stahlwerke Lauchhammer und die Alexander Wacker AG in Mückenberg) wurden Anlagen im Wert von 90,7 Millionen RM demontiert. Dieser Verlust entsprach etwa dem 1946 erwirtschaften Gesamtumsatz der gesamten restlichen nicht-demontierten Industrie des Kreises Liebenwerda. Den betroffenen Unternehmen und Betrieben gelang es schließlich, erst nach mühseligem Neubeginn Anfang der 1950er-Jahre die Demontageverluste auszugleichen. Durch die sowjetische Demontage-, aber auch die Reparationspraxis wurde schließlich die industrielle Struktur in beiden Landkreisen nachhaltig geschwächt. Letztlich bedeutete diese sowjetische Politik eine enorme Hypothek zum einen für das Ansehen der sowjetischen Besatzungsmacht in der deutschen Bevölkerung und zum anderen für den ökonomischen Wiederaufbau in der SBZ/DDR. Grundlegend konzentrierte sich die Wirtschaftspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht zu Beginn der Besatzungszeit lediglich auf die größtmögliche Demontage in der deutschen Wirtschaft. Die damit verbundenen faktischen Enteignungen der deutschen Besitzer wurden ohne Weiteres in Kauf genommen. Die Übernahme der nicht-demontierten bzw. der ausgeschlachteten Unternehmen und Betriebe durch die kommunalen Verwaltungen wurde von der Besatzungsmacht zunächst weder forciert noch verhindert. Dennoch versuchten die neuen deutschen kommunistischen Verwaltungsspitzen in vielen Orten des Untersuchungsgebiets unmittelbar nach Kriegsende einen Großteil der Industrie trotz aller Widerstände der rechtmäßigen Besitzer zu kommunalisieren. Die ersten „wilden Enteignungen“ fanden im Untersuchungsgebiet alle auf Veranlassung der deutschen Verwaltungen statt, die sich bei dem Widerstand

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der Besitzer, wie z. B. im Fall der Bubiag, auf das Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht verlassen konnten. Sehr deutlich wurde das zunächst sehr unabgestimmte Vorgehen in der Wirtschaftspolitik zwischen sowjetischer Besatzungsmacht und deutscher Verwaltung bei der Herausgabe und der Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945. Da die deutschen Verwaltungen weitere Demontagen und die gänzliche Überführung der deutschen Wirtschaft in sowjetischen Besitz nach der Herausgabe des Befehls Nr. 124 befürchteten, versuchten diese nur sehr wenige Betriebe zur Sequestrierung zu melden bzw. andere bereits von den Kommunen übernommene Betriebe von der Sequestrierung zu befreien. Dies zeigte sehr deutlich, dass der Befehl Nr. 124 keineswegs mit den deutschen Verwaltungen abgesprochen wurde und damit nicht – wie bis heute in der Forschung gegensätzlich behauptet – von Beginn an die Überführung des sequestrierten Vermögens in deutschen Staatsbesitz geplant war. So versuchte die SMAD, wie bereits Jochen Laufer vermutete, mit der Erlangung der Verfügungsgewalt über eine Vielzahl deutscher Unternehmen und Betriebe zuallererst die bisher praktizierte rücksichtslose Demontagepraxis zu stoppen.2 Ein Beleg für diese These ist zudem, dass im Jahr 1946 kein einziger sequestrierter Betrieb im Untersuchungsgebiet demontiert wurde. Erst nachdem Ende März 1946 die Überführung der sequestrierten Unternehmen und Betriebe in deutschen Besitz festgelegt wurde, begann eine von den deutschen Verwaltungen ausgelöste neue Welle der Sequestrationen in beiden Landkreisen. Ohne auf die wahre Verstrickung der rechtmäßigen Besitzer in das NS-System Rücksicht zu nehmen, wurden daraufhin nahezu alle großen und mittleren Industrieunternehmen in beiden Landkreisen verstaatlicht. Erneut diente dabei die „Entnazifizierung“ nur als ein Vorwand für die rücksichtslose Umgestaltung der bisherigen Besitzstruktur. Bei diesem gesamten Prozess wurde bei einer gründlichen Analyse das interessengeleitete Vorgehen der deutschen Verwaltungen deutlich. Die übergeordneten von der SED dominierten Sequesterausschüsse in Berlin und Halle lenkten die Enteignungen zielgerichtet. Während vor allem große und mittlere Industriebetriebe unabhängig von der Belastung der Besitzer verstaatlicht wurden, wurden kleine Handwerksbetriebe oftmals an ihre Besitzer zurückgegeben, obwohl viele kleine Unternehmer zumindest ähnlich politisch belastet waren wie die industriellen Großunternehmer. Um einen totalen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zu verhindern, blieben viele kleine Unternehmer trotz gleichwertiger bzw. sogar größerer politischer Belastung vor dem Eigentumsverlust verschont. Dass die pauschalen und oftmals mit extremer Härte durchgeführten Enteignungen besonders im Bürgertum große Verunsicherungen erzeugten, kann an dieser Stelle nicht oft

2

Vgl. Jochen Laufer, Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen in der SBZ/DDR 1945–1950. In: Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hg.), Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen, Berlin 2002, S. 52–54.

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genug betont werden. Viele Bauern und Unternehmer betrachten die Bodenreform bzw. die Enteignungen im Sommer 1946 – wie sich besonders in den 1950er-Jahren noch zu Recht zeigen sollte – nur als ein Vorspiel für weitere größere Enteignungsmaßnahmen. Ohne die Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei im April 1946 wären jedoch auch die Enteignungsmaßnahmen 1946/47 keinesfalls so widerstandslos verlaufen. Nachdem die KPD-Führung erkannte, dass sich die SPD in der SBZ zur mit Abstand größten Partei entwickelte, forcierte diese ab November 1945 ihre Bemühungen zur Vereinigung beider Parteien. Dabei bestand die Absicht der KPD darin, den sozialdemokratischen Einfluss auf die Politik in der SBZ zu marginalisieren. Da die SPD kaum von der Postenverteilung in den Verwaltungen nach Kriegsende profitierte, was in mehreren Orten des Untersuchungsgebiets zu Konflikten zwischen den Vertretern der beiden Parteien führte, dagegen aber die SPD-Organisation ab Oktober 1945 weitaus schneller wuchs als die der KPD, war innerhalb der SPD-Basis keine sonderlich große Euphorie zur Vereinigung beider Parteien am Ende des Jahres 1945 festzustellen. So ging die Initiative zur Vereinigung beider Parteien nicht von der Basis, sondern von den oberen Parteigremien aus. Erst nachdem sich die übergeordneten Organe beider Parteien für eine engere gegenseitige Zusammenarbeit nach der ersten „Sechziger-Konferenz“ am 21./22. Dezember 1945 aussprachen, schwenkten die Kreisvorstände beider Parteien auf den Kurs einer schnellen Parteivereinigung ein. Nach den unmissverständlichen Vorgaben der beiden übergeordneten Parteivorstände, aber auch unter der Überwachung der sowjetischen Besatzungsmacht sowie unter dem Einfluss der kontrollierten beiden Parteizeitungen, vollzog sich daraufhin die Vereinigung beider Parteien im Untersuchungsgebiet nahezu widerstandslos. Ohne nennenswerte Proteste der übergeordneten Parteigremien gegen die Vereinigung waren die skeptischen SPD-Mitglieder im Untersuchungsgebiet auf sich allein gestellt und brachten nur vereinzelt in einigen Ortsverbänden den Mut zum Protest bzw. zur Verzögerung der Vereinigung auf. Gleichfalls hofften viele SPD-Mitglieder – auch bestärkt durch taktische Zugeständnisse der KPD – den sozialdemokratischen Einfluss in die neue Partei weitestgehend hinüberzuretten. So wirkte sich das Versprechen auf neue Posten bzw. die Garantie für bestehende Posten, aber auch die im neuen SED-Parteistatut fest zugesagte Parität bei der innerparteilichen Stellenbesetzung bei vielen Sozialdemokraten positiv auf ihre Bereitschaft zur Vereinigung beider Parteien aus. Aber auch wenn der gesamte Vereinigungsprozess zweifellos allein durch den Druck der Besatzungsmacht sowie durch die undemokratischen offenen Abstimmungen in beiden Kreisparteikonferenzen von Zwang geprägt war, muss jedoch auch festgestellt werden, dass eine große Gruppe innerhalb der SPD die Vereinigungspläne vorbehaltlos unterstützte. Besonders Mitglieder, die vor 1933 nicht der SPD angehörten und die großen Konflikte zwischen beiden Parteien nicht mehr aus eigenem Erleben kannten, unterstützten den Vereinigungsprozess. So strömten, nachdem die Vereinigung bereits offen propagiert wurde,

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u. a. durch die Aussicht, in Zukunft der mit Abstand größten und zugleich dominierenden Partei in der SBZ anzugehören, immer noch ohne Unterbrechung viele neue Mitglieder in beide Parteien. Gleichfalls übernahmen nahezu alle wichtigen SPD-Funktionäre nach der Vereinigung Ämter in der neuen Partei und bestätigten damit zumindest ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Vereinigung. Prinzipiell wurde in beiden Parteibasen aufgrund der gemeinsamen Parteigeschichte zumindest unterschwellig immer ein Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden. Der Prozess der Vereinigung beider Parteien war also keineswegs homogen, sondern zum einen durch strikte Ablehnung und skeptische Anpassung sowie zum anderen aber auch durch euphorische Unterstützung in der Sozialdemokratie geprägt. Die Vereinigung beider Parteien konnte jedoch weder in der Provinz Sachsen noch im Untersuchungsgebiet verhindern, dass die Ergebnisse bei den Kommunal- und Landtagswahlen 1946 weit hinter den Erwartungen der SED-Funktionäre zurückblieben. Die SED-Führung erhoffte sich, durch den Gewinn einer absoluten Mehrheit ihren politischen und gesellschaftlichen Transformationskurs – gleichsam legitimiert durch die Bevölkerung – ungehindert fortsetzen zu können. Nur mit der massiven Behinderung der Wahlvorbereitungen der beiden bürgerlichen Parteien war es jedoch der SED möglich, bei den Gemeindewahlen am 8. September 1946 einen Erfolg zu erzielen. Die Methoden der Behinderung waren vielfältig und reichten von der Einschränkung der Wahlkampfmöglichkeiten, z. B. durch die Nichtzulassung von bürgerlichen Wahlvorschlägen, bis hin zu Verhaftungen einzelner führender bürgerlicher Kommunalpolitiker. Allein der Umstand, dass im gesamten Untersuchungsgebiet in nur 13 von insgesamt 191 Orten Wahlvorschläge aller drei zugelassenen Parteien während der Gemeindewahl am 8. September 1946 aufgestellt werden durften, belegt den scheindemokratischen Charakter dieser Wahl. Trotz der Tatsache, dass sich auch in vielen kleineren Orten bereits bürgerliche Parteimitglieder zur Gründung eines Ortsvereins zusammenfanden, gelang es der SED unter diesen Umständen, mit der Gemeindewahl 1946 ihren politischen Einfluss besonders in den kleineren Orten der beiden Landkreise Liebenwerda und Schweinitz zu festigen und gleichfalls erheblich zu erweitern. Dass die Wahlen 1946 „weitestgehend demokratischen Grundsätzen“ entsprachen, wie Wilfried Loth schrieb, war für beide Landkreise ausdrücklich nicht feststellbar.3 Dass das Ergebnis der Gemeindewahl ein völlig verzerrtes politisches Stimmungsbild wiedergab, wurde nur wenig später bei den am 20. Oktober 1946 durchgeführten Kreis- sowie Landtagswahlen endgültig offensichtlich. Zu diesen Wahlen durften im Gegensatz zu der Gemeindewahl alle drei zugelassenen Parteien kandidieren. In beiden Landkreisen scheiterte die SED während der Landtags- bzw. Kreistagswahl deutlich an ihrem Ziel, eine absolute Mehrheit zu gewinnen. Während die SED im Kreis Liebenwerda bei den Kreistagswahlen mit 38,2 Prozent der Stimmen noch knapp stärkste politische Partei wurde, 3

Vgl. Loth, Stalins ungeliebtes Kind, S. 75 f.

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errang sie im ländlichen Kreis Schweinitz nur 32 Prozent der Stimmen und konnte hinter der CDU lediglich als zweitstärkste Fraktion in den Kreistag ­einziehen. Die Mehrheit der Wähler im Untersuchungsgebiet sprach sich damit deutlich gegen den von der KPD/SED bisher bereits diktatorisch umgesetzten Transformationskurs aus und bevorzugte mit der Wahl der beiden bürgerlichen Parteien deren weitaus moderateren politischen und gesellschaftlichen Reformvorstellungen, die im Rahmen eines demokratisch-parlamentarischen Systems verwirklicht werden sollten. Besonders im ländlichen Bereich gelang es der SED trotz Bodenreform und massiver Unterstützung der Neubauern nicht, größere und neue Wählergruppen zu erschließen. Die Wählerbasis der SED beschränkte sich trotz aller Bemühungen, diese nach dem Kriegsende zu erweitern, auch im Jahr 1946 weitestgehend auf die Arbeiterschichten sowie auf das Wählerpotenzial in den Städten der Region. Die CDU profitierte dagegen im Untersuchungsgebiet von der größeren kirchlichen Bindung der Wähler im ländlichen Raum. Des Weiteren stützte sich die CDU auf die vielen insbesondere katholischen Flüchtlingen und Vertriebenen im Untersuchungsgebiet sowie auf den mit der Unterstützung vieler Pfarrer aufgebauten großen CDU-Parteiapparat, der dem der LDP im Untersuchungsgebiet deutlich überlegen war. Die Liberaldemokraten konnten dagegen aufgrund der fehlenden liberalen Tradition in den ländlichen sowie in den industrialisierten Gebieten und aufgrund des u. a. daraus resultierenden niedrigen Organisationsgrades meist nur in den Städten des Untersuchungsgebiets höhere Wahlergebnisse erzielen. Insgesamt orientierte sich also das Wahlverhalten der gesellschaftlichen Schichten auch im Jahr 1946 weitestgehend an den traditionellen vor 1933 üblichen Wahlmustern. Trotz der Niederlage der SED bei den Wahlen war diese nicht bereit, ihren absoluten Machtanspruch sowie ihre Programmatik aufzugeben. Dies musste zwangsläufig zu einem Konflikt mit den durch das Wahlergebnis gestärkten bürgerlichen Parteien führen, die nach den Wahlen in den kommunalen Parlamenten an die demokratisch-parlamentarischen Vorstellungen vor 1933 anknüpfen wollten. Gleichfalls führte der harte Wahlkampf in vielen Orten zu einer derartigen Polarisierung, dass die aufgestauten Konflikte in mehreren Fällen bei den Wahlen der Bürgermeister sowie der Gemeinde-, Stadt-, und Kreisräte erstmals zwischen den Parteien offen ausgetragen wurden. Wie sich an mehreren Beispielen nachweisen ließ, umgingen die von der SED dominierten Verwaltungen jedoch systematisch mit der Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der übergeordneten deutschen Behörden zahlreiche Beschlüsse, die in den gewählten kommunalen Parlamenten mit der Mehrheit der beiden bürgerlichen Parteien gegen die SED beschlossen wurden. Zwar versuchte die SED zumindest mit der Konstituierung des Liebenwerdaer Kreistags alle Parteien für eine gemeinsame Arbeit einzubinden, doch führte die ständige Missachtung der parlamentarischen Beschlüsse durch die SED schnell zu großen Konflikten zwischen den Parteien. Von einer kurzen Phase des Wiederauflebens der demokratischen kommunalen Selbstverwaltung konnte man unter diesen Umständen nicht sprechen.

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Bereits nach dem II. Parteitag der SED im September 1947 und der damit forcierten Umgestaltung der Partei verschärfte sich auch das Vorgehen gegen die bürgerlichen Parteien. Gezielt versuchten die SED-Funktionäre Konflikte in die beiden bürgerlichen Parteien hineinzutragen und deren Funktionäre damit entscheidend zu schwächen. Da vor allem die beiden Kreisverbände der CDU anfänglich durchaus geschlossen auftraten, versuchte die SED zusammen mit der sowjetischen Besatzungsmacht deren oppositionelles Verhalten über den CDU-Landesverband zu unterbinden. So gelang es der SED zusammen mit der sowjetischen Besatzungsmacht, durch gezielten Druck auf den CDU-Landesverband u. a. die Mitarbeit in der Volkskongressbewegung sowie die Absetzung von einflussreichen kritischen bürgerlichen Parteifunktionären, wie z. B. von Carl Schulze und Walter Märtins, zu erzwingen. Mit der gleichzeitigen Unterstützung von „linken“ CDU-Mitgliedern, die den Kurs der SED unkritisch mittrugen, war es der SED möglich, die CDU entscheidend zu spalten. Desillusioniert von den beschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten in den kommunalen Parlamenten und der ständigen offenen Nichtbeachtung der parlamentarischen Beschlüsse sowie enttäuscht von den übergeordneten Parteigremien, zogen sich viele bürgerliche Kommunalpolitiker spätestens seit Anfang 1949 aus den kommunalen Parlamenten zurück. Die Bereitschaft zur Mitarbeit in den kommunalen Vertretungen nahm unter diesen Umständen ab 1949 deutlich ab und endete im Jahr 1950 nahezu vollständig. Waren zumindest in den Jahren 1947/48 kritische Diskussionen im Kreistag sowie in den Stadtverordnungen und Gemeindevertretungen noch möglich, so wandelten sich die kommunalen Parlamente mit der gezielten Ausschaltung der kritischen bürgerlichen Kommunalvertreter noch vor den Neuwahlen am 15. Oktober 1950 in Instrumente der SED dominierten Verwaltungen, in denen selbst zu einfachen kommunalpolitischen Entscheidungen keine kritische Diskussion mehr zustande kam. Mit der schrittweisen Stalinisierung der SED konnten die SED-Funktionäre zugleich den Einfluss der Partei auf die Verwaltungen erheblich erhöhen. Die Partei neuen Typus war geprägt durch den Aufbau einer streng hierarchisierten Organisationsstruktur, in der von oben nach unten Anordnungen ohne Diskussionen durchgesetzt werden sollten. Jeglicher sozialdemokratischer Einfluss sollte damit aus der Partei entfernt werden. Dennoch spielten bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Partei im Untersuchungsgebiet ideologische Gründe kaum eine Rolle. Mit der Forcierung des Stalinisierungsprozesses der SED und mit den damit einsetzenden innerparteilichen Säuberungen ab Mitte 1948 nahmen zwar die Ausschlüsse aus der Partei spürbar zu, doch basierten auch diese Ausschlüsse kaum auf entscheidenden ideologischen Unterschieden zwischen ehemaligen KPD- und SPD-Mitgliedern. Vielmehr nutzten die einflussreichen regionalen SED-Mitglieder die Säuberungen, um ihre persönlichen Machtkämpfe auszutragen und damit ihren Einfluss innerhalb der Partei zu erweitern. Wie bereits in der Einleitung angedeutet wurde, kann diese Studie ohne den weiteren Einblick in die Entscheidungsprozesse innerhalb der sowjetischen Kreiskommandanturen die zentrale immer noch umstrittene Forschungsfrage,

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seit wann der Diktaturdurchsetzungsprozess in der SBZ einsetzte, nicht restlos klären. Dennoch deutet im Untersuchungsgebiet alles darauf hin, dass seit ­Beginn des Einmarsches der Roten Armee das Fundament für die spätere Einparteiendiktatur bewusst gelegt wurde. So konzentrierte sich die Besatzungsmacht in beiden Landkreisen unmittelbar nach Kriegsende zunächst auf die Besetzung der wichtigsten kommunalpolitischen Posten mit ehemaligen KPD-Mitgliedern sowie auf die Verhaftung nahezu aller ehemaligen NSDAP-Funktionäre. Dieses Verhalten der Besatzungsmacht lediglich mit sicherheitspolitischen Motiven zu begründen und darin bewusst nicht den Beginn der Diktaturdurchsetzung zu sehen, würde viel zu kurz greifen.4 Wie allein das nervöse und unsichere Verhalten der Roten Armee beim Einmarsch in Deutschland zeigte, war sich wohl auch die sowjetische Führung keinesfalls darüber im Klaren, auf welche Widerstände die Besatzungstruppen in Deutschland treffen würden. Nicht zuletzt deshalb sowie aus Rücksichtnahme zu den Westalliierten war die sowjetische Führung zwangsläufig dazu gezwungen, ihre Diktaturdurchsetzungspläne stufenweise zu verwirklichen. Die sofortige Umwandlung einer „faschistischen Gesellschaftsordnung“ in eine sozialistische Einparteiendiktatur, mit der zwangsläufig u. a. die Ausschaltung aller überzeugter Nationalsozialisten, der Großgrundbesitzer, der Sozialdemokraten, der ehemaligen bürgerlichen Parteimitglieder und die Verstaatlichung aller Großbetriebe verbunden gewesen wäre, kam wohl auch für den größten Optimisten in der sowjetischen Führung sowie in der Exil-KPD zu diesem Zeitpunkt nicht infrage. Strikt nach dem strengen ideologischen Denken der Kommunisten musste somit die Diktaturdurchsetzung stufenweise vollzogen werden. Nach leninistischer Denkweise war es zunächst unbedingt erforderlich, eine schlagkräftige Parteiorganisation aufzubauen, die vermeintlichen „Überreste des Feudalismus“ mit der Bodenreform sowie die verbliebenen und immer noch als gefährlich eingestuften NSDAP-Funktionäre durch den NKWD zu beseitigen, um überhaupt über weitere Schritte zur Diktaturdurchsetzung nachzudenken. Der wichtigste Schritt innerhalb dieses Prozesses bildete aber die sofortige Einsetzung von ehemaligen KPD-Mitgliedern in die wichtigsten Schlüsselpositionen der deutschen Verwaltungen. Die sowjetische Besatzungsmacht konnte sich von Anfang an auf die treue Mitarbeit der deutschen Kommunisten verlassen. Wie sich im Untersuchungsgebiet zeigte, waren die deutschen Kommunisten in beiden Landkreisen zu keinem Zeitpunkt bereit, ihre kurz nach Kriegsende gewonnene Machtstellung wieder aufzugeben. Selbst die verlorenen Wahlen 1946 hinderte diese nicht daran, mithilfe der Besatzungsmacht ihre Stellung in den Verwaltungen weiter zu festigen. Allein dies zeigt, dass sich die vermeintlichen demokratischen Zugeständnisse (der Aufbau neuer Parteien und die Kommunal- und Landtagswahlen 1946) in der Praxis als vollkommen wertlos erwiesen. Letztlich gelang es der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der KPD damit, 4

Vgl. Brunner, Der Schein der Souveränität, S. 394.

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die Zeit zu erkaufen, die sie brauchten, um alle wesentlichen Gegner der neuen geplanten Gesellschaftsordnung auszuschalten. Der gesamte Prozess der Diktaturdurchsetzung wurde seit Beginn des Einmarsches der Roten Armee schrittweise von oben nach unten angeordnet. Weder die Neubesetzung der wichtigsten Verwaltungsposten mit Kommunisten, die Bodenreform, die Vereinigung der KPD mit der SPD noch die Verstaatlichung der Wirtschaft wurde von den regionalen KPD/SED-Funktionären allein verfügt und durchgesetzt bzw. schon gar nicht quasi revolutionär von der Bevölkerung eingefordert. Von Anfang an stützten sich die Verantwortlichen der KPD/ SED dabei auf die sowjetische Besatzungsmacht, die der alleinige Garant ihrer Machtgrundlage war. Unter diesen Bedingungen waren die Handlungsspielräume der regionalen Akteure erheblich eingeschränkt. Die Provinzial- bzw. Landesebene diente während der gesamten Zeit von 1945 bis 1949 als Hebel zur Umsetzung der wichtigsten Transformationsmaßnahmen. Die Provinzial- bzw. Landesverwaltung, aber auch die Provinzial- bzw. Landesparteiorganisationen ordneten die einzelnen beschriebenen Transformationsmaßnahmen detailliert an. Die unmittelbar nach Kriegsende mit KPD/SED-Mitgliedern durchsetzten unteren Verwaltungen mussten diese gehorsam ausführen. Wurden einzelne Anweisungen unterlaufen oder stießen die deutschen Verwaltungen bzw. die KPD/SED auf größere Widerstände, griff meist sofort die sowjetische Besatzungsmacht regelnd ein. Im Großen und Ganzen nahmen aber die regionalen KPD/SED-Funktionäre die von oben geforderte Umsetzung der Transformationsmaßnahmen bereitwillig auf und setzten diese mithilfe der Besatzungsmacht meist rücksichtslos durch. Je nach Organisationsgrad der KPD/SED gab es zwar in der Intensität der Umsetzung einzelner Transformationsmaßnahmen durchaus kleine Unterschiede im Untersuchungsgebiet, dennoch erfasste die Diktaturdurchsetzung jeden Landstrich und jedes gesellschaftliche Milieu in den Kreisen Liebenwerda und Schweinitz. Dass die gewaltsame ideologische Neukonstruktion der Gesellschaft nach dem kollektivistischen Gesellschaftsbild der KPD/SED jedoch scheiterte, wurde spätestens mit der friedlichen Revolution 1989 auch im Untersuchungsgebiet deutlich. Bis heute wirken aber die zwischen 1945 und 1949 durchgeführten Transformationsmaßnahmen sowie deren Fortführung in der DDR auf den Aufbau der Gesellschaft im Untersuchungsgebiet nach. Der Regenerationsprozess der in der SBZ/DDR veränderten sozialen und politischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet nach 1989, der für die Bevölkerung erneut einen großen persönlichen Einschnitt bedeutete, hält schließlich bis heute an und bedürfte ebenso dringend einer ausführlichen wissenschaftlichen Analyse.

XIII. A nhang 1. Abkürzungsverzeichnis AFA AG Antifa BArch-MA BDM BLHA Bubiag CDU DAF DBD DDP DDR DFD DNVP DPD DRK DVP FDGB FDJ GBK Gestapo GKO GmbH GPU GSBSD Gulag HAIT HASAG HG HJ ID IHK ITS JCS KA KBK KD

Antifaschistischer Frauenausschuss Aktiengesellschaft Antifaschistisch Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv Bund Deutscher Mädel Brandenburgisches Landeshauptarchiv Braunkohlen- und Brikettindustrie AG Christlich-Demokratische Union Deutsche Arbeitsfront Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutschnationale Volkspartei Demokratische Partei Deutschlands Deutsches Rotes Kreuz Deutsche Volkspartei Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Gemeindebodenkommission Geheime Staatspolizei Gossudarstwenny komitet oborony (Staatliches Verteidigungs- komitee der UdSSR) Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgekürzt für: Objedinjonnoje gossudarstwennje polititsches koje uprawlenije (Vereinigte staatliche politische Verwaltung) Gruppe der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte in Deutschland Glawnoje uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij (Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager) Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Hugo und Alfred Schneider AG Heeresgruppe Hitler-Jugend Infanteriedivision Industrie- und Handelskammer International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) Joint Chiefs of Staff Kreisarchiv Kreisbodenkommission Kontrollrats-Direktive

560 KdgB KG KG KJV KP KPD KPKK KPÖ KZ LDP LHASA LNF MfS MWD Napola NDPD NKGB NKWD NS NSDAP NSFK NSKK NSV OB OPB OGPU OKH OKW OMU ÖVP PA Pg RAD RGW RIAS SA SAG SBZ SD

Anhang

Komitee der gegenseitigen Bauernhilfe Kommanditgesellschaft Kontrollratsgesetz Kommunistischer Jugendverband Kommunistische Partei Kommunistische Partei Deutschlands Kreisparteikontrollkommission Kommunistische Partei Österreichs Konzentrationslager Liberaldemokratische Partei Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Landwirtschaftliche Nutzfläche Ministerium für Staatssicherheit Ministerstwo wnutrennich del (Ministerium für Innere Angelegenheiten) Nationalpolitische Lehranstalt National-Demokratische Partei Deutschlands Narodny kommissariat gossudarstwennoi besopasnosti (Volkskommissariat für Staatssicherheit) Narodny kommissariat wnutrennich del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Fliegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberbefehlshaber Obere Polizeibehörde Objedinjonnoje gossudarstwennje polititscheskoje ­uprawlenije (Vereinigte staatliche politische Verwaltung) Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Osobyje montaschnye uprawlenija (Sonderverwaltung für Montagen) Österreichische Volkspartei Privatarchiv Parteigenosse (der NSDAP) Reichsarbeitsdienst Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Rundfunk im amerikanischen Sektor Sturmabteilung (der NSDAP) Sowjetische Aktiengesellschaft Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst

Abkürzungsverzeichnis

SED SMA Smersch SMT SPD SPÖ SPP SS StA Stalag SU ThHStA UdSSR USPD UvD VEB VdgB VVB VVN WVHA ZA ZDKSB ZK ZPD ZPKK

561

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration Smert Schpionam (Abeilung der Spionageabwehrzentrale des Volkskommissariates für Verteidigung/wörtlich übersetzt „Tod den Spionen“) Sowjetische Militärtribunale Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Österreichs Sborno peresylnje punkty (Sammel- und Weiterleitungslager) Schutzstaffel (der NSDAP) Stadtarchiv Stammlager Sowjetunion Thüringisches Hauptstaatsarchiv Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Unteroffizier vom Dienst Volkseigener Betrieb Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Vereinigung Volkseigener Betriebe Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (der SS) Zentralausschuss Zentrale Deutsche Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme Zentralkomitee Zentrumspartei Deutschlands Zentrale Parteikontrollkommission

562

Anhang

2. Quellenverzeichnis Erinnerungsprotokolle Erinnerungsprotokoll von Werner Bartzsch vom 10. Januar 2008. Erinnerungsprotokoll von Irmgard Breunig vom 14. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Heinz Glasewald vom 15. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Heini Grafe vom 7. April 2010. Erinnerungsprotokoll von Hans Jahn vom 13. Dezember 2010. Erinnerungsprotokoll von Werner Kirsche vom 4. November 2008. Erinnerungsprotokoll von Edmund Knorre vom 21. Dezember 2010. Erinnerungsprotokoll von Richard Krause vom 15. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Prof. Dr. Hans Lauter vom 18. August 2010. Erinnerungsprotokoll von Erich Letz vom 10. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Karl-Heinz Niendorf vom 23. März 2011. Erinnerungsprotokoll von Liesbeth Poser vom 4. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Erhard Schlütter vom 3. September 2009. Erinnerungsprotokoll von Elfriede Schönbrunn vom 7. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Gerhard Schulze vom 12. April 2006. Erinnerungsprotokoll von Richard Tenner vom 24. Juli 2008. Erinnerungsprotokoll von Rudolf Voigt vom 18. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Helga Wachsmann vom 4. Januar 2010. Erinnerungsprotokoll von Ruth Zicke vom 12. Januar 2010.

Sterbebücher Sterbebücher der evangelischen Kirchgemeinden 1945: Bockwitz, Buckau, Elsterwerda, Gröden, Großthiemig, Hirschfeld, Hohenbucko, Kosilenzien, Lebusa, Mückenberg, Mügeln, Schlieben, Schweinitz, Seyda, Stolzenhain. Sterbebücher der Ständesämter des Kreises Liebenwerda 1944–1950: Bad Liebenwerda, Bockwitz, Brottewitz, Elsterwerda, Falkenberg, Fichtenberg, Gorden, Gröden, Großthiemig, Grünewalde, Hirschfeld, Hohenleipisch, Kmehlen, Koßdorf, Lauchhammer, Möglenz, Mückenberg, Mühlberg, Ortrand, Plessa, Prösen, Saathain, Uebigau, Wahrenbrück, Wiederau.

Quellenverzeichnis

563

(Die standesamtlichen Sterbebücher des ehemaligen Kreises Liebenwerda befinden sich heute in der Obhut der Standesämter Bad Liebenwerda, Elsterwerda, Falkenberg, Lauchhammer, Mühlberg, Plessa und Wahrenbrück.) Sterbebücher der Standesämter des Kreises Schweinitz 1944–1950: Ahlsdorf, Arnsnesta, Battin, Burkau, Gadegast, Gentha, Grassau, Hemsendorf, Herzberg, Hohenbucko, Hohenkuhnsdorf, Holzdorf, Jessen, Klöden, Kolochau, Lebusa, Malitschkendorf, Mügeln, Oehna, Rade, Schlieben, Schönewalde, Schweinitz, Seehausen, Seyda, Stechau, Stolzenhain, Waltersdorf, Werchau, Wüstermarke. (Die standesamtlichen Sterbebücher des ehemaligen Kreises Schweinitz befinden sich heute in der Obhut der Standesämter Göhlsdorf, Herzberg, Jessen, Schlieben, Schönewalde, Langengrassau und Zahna.)

Tagebücher Hafttagebuch von Günther Schirrmeister vom 5. Mai 1945 bis 8. September 1945, Privatarchiv Dr. Karl Günther Schirrmeister, Bonn. Muttschal, Maria: „Aus dem Tagebuch einer Evakuierten“. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 101–105. Regensburger, Karl: „Aus dem Tagebuch eines Dorfpfarrers“. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 115–129. Tagebuchaufzeichnungen von General Karl Koller, Chef des Generalstabes der Luftwaffe. In: Schramm, Percy E. (Hg.): Kriegstagebuch des OKW 1944–1945, Band 4, Zweiter Halbband, Augsburg 2002, S. 1684–1697. Tagebuch des Pfarrers Ulrich Krückeberg in Schlabendorf 1945. Tagebuch von Elisabeth Moschütz vom 21. April bis 18. Juli 1945. Tagebuch von Helene Parpart aus Oehna 1945.

Historische Datenbanken Dokumentationsstelle Dresden DRK-Datenbank Datenbank der NKWD-Internierten

564

Anhang

Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. Dresden Datenbank der SMT-Verurteilten Initiativgruppe des Lagers Lieberose/Jamlitz e.V. NKWD-Datenbank der Initiativgruppe des Lagers Lieberose/Jamlitz e.V. Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V. Datenbank der Internierten im NKWD/MWD-Speziallager Nr. 1 Mühlberg Nachlässe Nachlass von Otto Dietrich, Privatarchiv Helfried Dietrich, Grünewalde Nachlass der Firma Fuhrmann, Privatarchiv Dr. Wolfgang Spannagel, Frankfurt a. M. Nachlass von Paul Helemann, Privatarchiv Hartmuth Peschel, Kosilenzien Nachlass von Wilhelm Kirsche, Privatarchiv Werner Kirsche, Großthiemig Nachlass von Ernst Niendorf, Privatarchiv Karl-Heinz Niendorf, Jüterbog Nachlass von Kraft Freiherr von Palombini, Privatarchiv Dr. Camillo von Palombini, Herzberg Nachlass von Günther Schirrmeister, Privatarchiv Dr. Karl Schirrmeister, Bonn

Ungedruckte Quellen in Archiven Archiv der Initiativgruppe des Lagers Lieberose/Jamlitz e.V.

Einzelsignaturen Archiv der Initiativgruppe des Lagers Mühlberg e.V.

Nr. 344, 345, 346, 347, 348, 371, 372, 373, 374, 375, 376, 402, 403, 425, 426, 427, 428 Einzelsignaturen Archiv der Mahn- und Gedenkstädte Langenstein-Zwieberge

Einzelsignaturen

Quellenverzeichnis

565

Archiv des Liberalismus Gummersbach

L 5 – 478, 482, 509, 513,515, 554 Nr. 12888, 12890, 26799, 31474, 31500 Archiv für christlich-demokratische Politik Sankt Augustin

Nr. III-032–001/1 Nr. III-032–001/2 Nr. III-032–002/4 Nr. III-032–003/1 Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv Freiburg

BArch-MA, MSG 2/16657, 2/16725, 3/3990, 3/3991 BArch-MA, N 60/55 BArch-MA, RH 2/337, 2/501, 2 Ost/659 BArch-MA, ZA 1/569 Internationales Suchzentrum des Roten Kreuzes Bad Arolsen

Einzelsignaturen Kreisarchiv Herzberg

Historischer Sammelbestand Kreis Schweinitz/Herzberg, Nr. 19, 27–29, 34 Bestand Altkreis Schweinitz, H 406, H 429, H 474 Bestand Kreis Herzberg, H 073, H 279 Bestand Kreis Liebenwerda, G 619, G 647, G 675, G 851, G 852, G 859, G 1752, G 6453 Landeshauptarchiv Brandenburg, Abteilung Potsdam BLHA, Rep. 930, SED-Bezirksleitung Cottbus, Nr. 4668, 4778, 4783, 4948 BLHA, Rep. 931, SED-Kreisleitung Bad Liebenwerda, Nr. 1, 13, 62 BLHA, Rep. 931, SED-Kreisleitung Herzberg, Nr. 1, 2, 13, 25, 43, 98 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg LHASA, MD, K 2, Nr. 1588 LHASA, MD, K 3, Nr. 4848, 8025, 8284, 10962, 10978 LHASA, MD, K 6, Nr. 1787, 2815, 4268, 5439, 5810, 6575, 9374 LHASA, MD, K 7, Nr. 3766 LHASA, MD, K 31, Nr. 86, 232, 269, 338, 414, 422, 425, 456, 498 LHASA, MD, K 34, Nr. 145, 307, 333, 334, 335, 337 LHASA, MD, P 12, Nr. 8.

566

Anhang

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg LHASA, MER, C 48 Ia II, Nr. 39, 66, 84 LHASA, MER, C 48 Ib, Nr. 1100, 1158 LHASA, MER, C 48 Ih, Nr. 694 III, 1010a, 1013a LHASA, MER, C 48 IIIa, Nr. 484 LHASA, MER, K 12, BV Merseburg, Nr. 11, 123, 147, 149, 153, 162, 196, 209, 249, 253, 274, 275, 287, 287/6, 287/7, 288 LHASA, MER, K 13, Herzberg, Nr. 1, 10, 12, 17, 25, 26, 27, 48, 51, 81, 83, 112, 116, 123, 133, 137, 158, 160, 202, 212, 213, 219, 234, 235, 270, 280, 285, 290, 326, 331, 334, 337, 355, 356, 362, 364 LHASA, MER, K 13, Bad Liebenwerda, Nr. 13, 27, 28, 29, 31, 32, 36, 43, 62, 65, 71, 76, 80, 83, 84, 93, 99, 100, 101, 103, 104, 107, 111, 273 LHASA, MER, P 506, Nr. 2, 3, 6, 18 LHASA, MER, P 509, Nr. 1 LHASA, MER, P 515, Nr. 114, 116, 249, 314, 315, 316, 317, 407, 662, 663 Stadtarchiv Bad Liebenwerda Findbuch 2, Signaturen 11, 37, 47, 60, 63, 64, 67, 94, 100, 147 Stadtarchiv Elsterwerda Einzelsignaturen Stadtarchiv Herzberg Nr. 29, 32, 34, 43, 68, 112, 192, 204 Stadtarchiv Mühlberg Nr. 0131, 010201, 120002, 910005 Stadtarchiv Ortrand Bestand Ortrand, Nr. 703, 708, 711, 719 (Band I), 2620/1, 3120, 3495 Bestand Großkmehlen, Nr. 8 (Band I) Einzelsignaturen Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung Weimar ThHStA, KZ und Haftanstalten Buchenwald, Nr. 10

Quellenverzeichnis

567

Gedruckte Quellen Zeitungen Der Aufbau. Stimme der Stadt Mühlberg (Elbe) und Umgebung, 1945. Der Werksverein. Nachrichtenblatt für die Mitglieder der vaterländischen Arbeitnehmervereine bei den Werken im „Bubiag-Konzern“, 1933. Freiheit, 1946–1950. Lausitzer Rundschau, Regionalblatt Herzberg, 1979. Liberal-Demokratische Zeitung, 1946. Liebenwerdaer Kreisblatt, 1911, 1919, 1928, 1929, 1930, 1932, 1933, 1942, 1944, 1945. Neue Kreiszeitung, 1933. Schweinitzer Kreisblatt, 1919, 1920, 1934. Stadt- und Landbote. Lokaler Anzeiger für Schlieben, Herzberg, Schönewalde, Schweinitz, Seyda und Umgegend, 1933. Volksblatt, 1945, 1946. Volkszeitung, 1945, 1946. Zeitung für den Kreis Schweinitz, 1921, 1928, 1929, 1930, 1932, 1933.

Historische Heimatkalender Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1932, Bad Liebenwerda 1931. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1933, Bad Liebenwerda 1932. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1938, Bad Liebenwerda 1937. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1941, Bad Liebenwerda 1940. Heimatkalender für den Kreis Liebenwerda aus dem Jahr 1942, Bad Liebenwerda 1941. Heimatkalender für den Kreis Schweinitz für das Jahr 1931, Herzberg 1930. Heimatkalender für den Kreis Schweinitz für das Jahr 1942, Herzberg 1941.

Verordnungsblätter Amtliche Bekanntmachungen für den Landkreis Liebenwerda vom 16. März 1948. Gesetzblatt für die Provinz Sachsen-Anhalt vom 18. Januar 1947, Nr. 2/3. Gesetzblatt der Provinz Sachsen-Anhalt, vom 8. März 1947, Teil I, Nr. 6. Gesetz- und Amtsblatt des Landes Sachsen-Anhalt vom 7. Februar 1950, Nr. 3. Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 6. Oktober 1945, Nr. 1. Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 22. Juni 1946, Nr. 25. Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 5. Oktober 1946, Nr. 40. Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen vom 12. Oktober 1946, Nr. 41.

568

Anhang

Quellendokumentationen Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Berlin 1948. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei, Band II, Berlin 1951. Foitzik, Jan/Petrow, Nikita W.: Die Sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953, Berlin 2009. Grunner, Gert/Wilke, Manfred (Hg.): Sozialdemokraten im Kampf um die Freiheit. Die Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD in Berlin 1945/46, München 1986. Harder, Rolf (Hg.): Briefe an Johannes R. Becher 1910–1958, Berlin 1993. Kynin, Georgij P./Laufer, Jochen (Hg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941– 1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Band 1, Berlin 2004. Lisse, Albert: Handlungsspielräume deutscher Verwaltungsstellen bei den Konfiskationen in der SBZ 1945–1949. Zum Verhältnis zwischen deutschen Verwaltungsstellen und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Stuttgart 2003. Mironenko, Sergej (Hg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950. Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Band 2, Berlin 1998. Rößler, Ruth-Kristin (Hg.): Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945–1948. Dokumente und Materialien, Goldbach 1994. Rüter, C. F.: DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band IV, Amsterdam 2004. Rüter, C. F.: DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band X, Amsterdam 2007. Voelkner, Hans und Rosemarie (Hg.): Unschuldig in Stalins Hand. Briefe, Berichte, Notizen, Berlin 1990. Weber, Hermann (Hg.): DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1985, München 1987. Weber, Hermann (Hg.): Der deutsche Kommunismus. Dokumente 1915–1945, Köln 1973.

Sonstige Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich auf Grund der Volkszählung 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1941. An die Arbeit! Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15. Juni 1945, Berlin 1945. Baer, Max: Die Befreiung Lauchhammers vom Faschismus (Erinnerungsbericht). In: Geschichte und Gegenwart des Bezirkes Cottbus, Cottbus 1985, S. 67–70. Bartholomäus, Jürgen: Der Tod des Lehrers Karl D. und andere Begebenheiten am Ende des 2. Weltkriegs in Maasdorf. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 95–100. Bericht des stellvertretenden Bürgermeisters und 1. Stadtrates Otto Philipp in der Einwohnerversammlung am 23. April 1946. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen,

Quellenverzeichnis

569

Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2008/2009, Großenhain, S. 39–79. Bodenbenutzungserhebung 1935. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1936. Die Berufstätigkeit der Bevölkerung in den Reichsteilen. Provinz Sachsen. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17. Mai 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1943. Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach der Religionszugehörigkeit. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17. Mai 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1942. Die industriewirtschaftliche Struktur des Kreises Schweinitz. In: 100 Jahre Schweinitzer Kreisblatt 1831–1931. Jubiläumsausgabe, Herzberg 1931. Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1944. Die nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstätten in den Reichsteilen und Verwaltungsbezirken. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17. Mai 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1944. Endgültige Ergebnisse der Volks- und Berufszählung vom 29. Oktober 1946. In: Beilage zu „Statistische Praxis“, Heft 7, Juli 1948. Engelskirchen, Helmut: Über die Ereignisse im April 1945 in Hohenleipisch. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 68–74. Falke, Ursula: Sieben Jahre im Elend sowjetischer Kerker. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 6–30. Filiar, Marian/Peterson, Charles: From Buchenwald to Carnegie Hall, Mississippi 2002. Gniffke, Erich: Jahre mit Ulbricht, Köln 1966. Hengster, Erna: „Ob wir verschont bleiben?“ Ein Erlebnisbericht zum Kriegsende in Hohenleipisch. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 62–67. Herrmann, Max: „Doch bald verdunkelte sich der Himmel.“ Der 21. bis 27. April 1945 in Plessa. In: Heimatkalender für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 1995, Bad Liebenwerda 1994, S. 75–84. Horn, Werner: Vor 60 Jahren – meine Gedanken schweifen zurück. Das Kriegsende in und um Elsterwerda. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 44–52. Jakob, Ottokar: Gnade uns Gott … In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 68–77. Landwirtschaftliche Betriebszählung. Die landwirtschaftlichen Betriebe nach Betriebsgröße, Besitzverhältnisse und Viehzählung. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1933. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1936.

570

Anhang

Landwirtschaftliche Betriebszählung. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17. Mai 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1943. Lauchhammer Maschinen- und Eisenbau 1935. Hg. von der Mitteldeutschen Stahlwerke AG, Lauchhammer 1935. Manig, Johannes: Erinnerungen eines 14-jährigen an den März/April 1945 im Schraden. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 60–63. Stand, Entwicklung und Siedlungsweise der Bevölkerung des Deutschen Reiches. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 17. Mai 1939. Hg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1943. Seidel, Siegfried: Erinnerungen an das Kriegsende 1945 in Bad Liebenwerda. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 86–91. Sonderausgabe der im Schweinitzer Kreisblatt im Jahre 1933 veröffentlichten amtlichen Bekanntmachungen der Kreisbehörden, Herzberg 1934. Thiele, Willy: Chronik der Gemeinde Gröden, Gröden 1988. Ulbricht, Walter: Die Bauernbefreiung in der Deutschen Demokratischen Republik, Band I, Berlin 1961. Wilmowsky, Freiherr Tilo von: Erinnerungen, Berlin 1951. Woitera, Peter: Die Russen kommen. In: Heimatkalender. Heimatkundliches Jahrbuch für den Altkreis Bad Liebenwerda, das Mückenberger Ländchen, Ortrand am Schraden, Falkenberg und Uebigau 2006/2007, Bad Liebenwerda 2006, S. 111–121.

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Staritz, Dietrich: Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, München 1987. Steiner, Andre: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004. Stöcker, Heinrich: Krieg, Pest und Brand im Großenhainer Land, Großenhain 2005. Strnad, Walter: Das KZ-Außenlager Schlieben. Das Verhängnis tausender Frauen und Männer vor ihrer Befreiung, Herzberg 2005. Tammena, Heiko: „Unser schönes rotes Luckenwalde.“ Lager, Milieu und Solidargemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung zwischen Ausgrenzung und Verstaatlichung, Münster 2000. Thorwald, Jürgen: Die große Flucht. Niederlage, Flucht und Vertreibung, München 2005. Tieke, Wilhelm: Im Feuersturm letzter Kriegsjahre. II. SS-Panzerkorps mit 9. und 10. SS-Panzerdivision „Hohenstaufen“ und „Frundsberg“, Osnabrück 1975. –: Das Ende zwischen Oder und Elbe – Der Kampf um Berlin 1945, Stuttgart 1994. Trittel, Christina: Die Landtagsfraktionen in Sachsen-Anhalt von 1946 bis 1950. Analyse des landespolitischen Handelns und der Handlungsspielräume kollektiver Akteure in der werdenden DDR, Wiesbaden 2006. –: Die Abgeordneten des ersten Landtages von Sachsen-Anhalt 1946 bis 1950. Vom Scheitern der demokratischen Hoffnung, Magdeburg 2007. Tullner, Mathias: Zwischen Demokratie und Diktatur. Die Kommunalwahlen und die Wahlen zum Provinziallandtag in Sachsen-Anhalt im Jahre 1946, Magdeburg 1996. … und der Zukunft zugewandt. Zur Geschichte des Kreises Herzberg/Schweinitz (1945 und 1946). Hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung Herzberg, Jessen 1959. Unser Rotes Ländchen. Aus dem Kampf der Arbeiterklasse im Lauchhammer Gebiet. Hg. von der Kommission zur Erforschung der örtlichen Arbeiterbewegung des VEB Braunkohlekombinat Lauchhammer bei der Kreisleitung Senftenberg der SED, Cottbus 1960. Urban, Thomas: Zwangsarbeit im Tagebau. Der Einsatz von Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern im mitteldeutschen Braunkohletagebau 1939– 1945, Essen 2006. Voegler, Albert: Das Heimatbuch des Kreises Schweinitz. Die Geschichte der Heimat, Teil II, Herzberg 1934. Vollnhals, Clemens (Hg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilita­ tion in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991. –: Internierung, Entnazifizierung und Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der sowjetischen Besatzungszone. In: Hilger/Schmeitzner/Vollnhals (Hg.): Sowjetisierung oder Neutralität, S. 223–247. Wackernagel, Klaus: Eine Stadt und ihre Eisenbahn. 150 Jahre Eisenbahnstandort Falkenberg, 1848–1998, Herzberg 1999. Weber, Hermann: Die DDR 1945–1990, München 1993. Welsh, Helga A.: Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungspolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1948), München 1989. Wettig, Gerhard (Hg.): Der Tjul’panov-Bericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2012.

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580

Anhang

4. Personenverzeichnis Seitenangaben mit Asteriskus beziehen sich auf Fußnoten. Amerpohl, Franz 204 Andreas, Gottlob 226 Arndt, Johannes 357 Arnold, Hans 199 Baer, Max 64, 111, 150 Baguley, Emil 165, 265 f., 472 Bamm, Wilhelm 225 Barnick, Arthur 199, 223 Barth, Albin 178 Barth, Friedrich 404, 530 Bartzsch, Werner 5, 46*, 85, 585 Becker, Max 130 Behles, Richard 327, 353, 375 Behnisch, Richard 86*, 201 Behrens, Kurt 98 Berge, Werner 458 Berger, Siegfried 135, 342 f., 345 Berija, Laurenti 183, 185 Bernharend, Paul 99 Beuchler, Reinhard 427 Biehl, Martin 97, 205 Bieler, Hermann 163 Blasse, Albert 450 Bleek, Hans 128, 440 f., 465, 515–519 Bluhm, Arthur 110, 118, 120, 236, 328*, 430, 432 Boche, Günther 215 f., 219* Böhme, Karl 117, 155, 162, 233 f., 415*, 427, 430 f., 466 Böhme, Otto 38 Böhme, Richard 465 Borchers, Ernst 358, 428 f., 448 Borchers, Wilhelm 107 Borchert, Paul 134 Borsch, Robert 199, 224 Bothe, Friedrich 129, 130*, 137, 218, 435*, 441 f., 497, 500, 502 f., 510 f. Böttge, Bruno 250 f., 261, 413, 417, 494, 530, 532 Brachmanski, Max 461 Brantin, Hermann 222

Braun, Günther 18 Braunhold, Erwin 203, 222 f. Breitenbach, Bernhard 204, 224 Brettschneider, William 86 f., 282, 304 Brunnenbauer, Martin 255, 260 Brunner, Detlev 11 f., 19 Buchwitz, Otto 261 Budin, Paul 54 f., 58, 61 Buschendorf, Karl 107*, 192*, 200 Chryselius, Carl-Paul 428 Creuzberger, Stefan 18–20 Dahrendorf, Gustav 261 Damm, Walter 433, 447 Däumichen, Richard 223 Delius, Carl 168 f., 401* Delius, Friedrich von 282*, 342, 352, 361 Dengler, Herbert 38 Dieker, Willi 371, 378*, 379, 385 Dietrich, Otto (Falkenberg) 164, 167*, 239*, 247, 253, 258, 265, 466 f., 470, 475 Dietrich, Otto (Grünewalde) 115, 155*, 162–165, 167, 231–233, 236, 238, 243, 244 f.*, 246–249, 251, 253, 256–260, 265, 287*, 414*, 466, 473–475, 493–498, 500 Döhlert, Karl 199, 204 Dölling, Karl 415*, 530 Drechsler, Karl 83 Durkheim, Emile 97, 104* Dyrda, Felix 171, 173, 358 Eckardt, Johann 38, 289, 291 Edelsheim, Maximilian Freiherr von 44, 61 f. Eger, Otto 98, 118, 120, 126, 134, 142*, 156, 234 f., 238, 254, 278 f., 290

Personenverzeichnis Eggeling, Joachim Albert 30 Ehrenburg, Ilja 67 Ehrentreich, Willy 171 Ehrich, Werner 415*, 458 Ernst, Friedrich 405 Eulitz, Walter 165, 235, 266, 415*, 428 f., 465, 471 f., 490, 516 f. Falke, Ursula 188, 195*, 205, 221, 224 Fascher, Erich 508 Fitzkow, Karl 49, 63*, 107, 192*, 196, 210 Flegel, Fritz 278 f., 299, 307, 497, 513 Fleischer, Gottwald 357 f., 427, 435*, 465 Flick, Friedrich 26 Foitzik, Jan 119, 170 Foth, Walter 120, 170 f., 173, 357 f., 415*, 441, 506, 512, 530 Freiwald, Otto 225 Friedensburg, Ferdinand 346, 348–350 Friedrich, Ernst-Karl 512 Friese, Hermann 271 Friese, Willy 86*, 271 Fritsch, Reinhold 38–40 Fuchs, Martin 524 Fuhrmann, Erich 337*, 342, 354, 387 Fuhrmann, Hugo 342 Gasche, Paul 111, 155, 352, 513 Gawlik, Leo 114, 116, 118, 123, 132, 134, 180 Gerhardt, Martin 224 Geselle, Joachim 403 f., 406 Giesche, Albert 294* Goerdeler, Karl 37 f., 289, 291 Goeschel, Christian 16, 96 Göhlert, Arthur 344, 346–349 Goßmann, Josefine 466 Gotsche, Otto 300, 302, 430, 481 Gotschol, Josef 403 f., 507 Graßmann, Fritz 128, 165, 235, 244*, 266, 278, 288, 481 f. Gregor, Rudolf 206 f.

581

Greiner, Bettina 187 Grober, Walter 29 f. Grotewohl, Otto 160, 239 f., 248 f., 257, 262, 264 Grundmann, Karl Heinz 177 Grünler, Carl 224 Hajna, Karl-Heinz 18 Halder, Winfrid 17, 323 Hanigk, Wilhelm 465 Harig, Otto 299 Harmel, Heinz 42, 68, 71 f. Hatting, Jakob 353 Haupt, Richard 278 f. Hecht, Otto 225 f. Hecker, Wilhelm 164*, 243, 247, 256 Heckmaier, Josef 327, 353 Heinemann, Max 519, 520* Heinze, Otto 130 Helldorf, Baron Julius von 87 Helldorf, Baronin Gisela von 419 Hemeter, Emil 87, 282 Hempel, Annemarie 465 Hennig, Georg 465 Henny, Johannes 282 Hepel, Reinhold 278 Hering, Norbert 38 Hermes, Andreas 178, 249, 401, 506, 529 Herold, Edmund 118 Herrmann, Max 65, 69, 73 f. Herwegen, Leo 179, 404, 507 f., 531 Herzberg, Richard 415*, 441, 519, 521 Heselich, Paul 297, 298*, 299–301 Hildebrandt, Fritz 358 Hillmann, Eduard 117 Hillmann, Paul 147 Himmler, Heinrich 58, 61, 64, 67* Hirsch, Karl 195 f. Hirsch, Max 63, 64*, 66 Hitler, Adolf 31, 61, 244* Hoffmann, Heinrich 261 Hoffmann, Walter 541 Hohmuth, Kurt 172, 402 Horn, Walter 230 Hübener, Erhard 268, 288, 345–350

582

Anhang

Hübenthal, Heinrich 404 Hurraß, Otto 29 Jäckel, Anna 458, 532 Jahn, Hans 189, 190*, 208, 212*, 215, 217, 219*, 229 Jakob, Franz 376 Jakob, Ottokar 79, 195 Jentzsch, Berthold 502 Jeß, Paul 123, 125, 127–129, 156, 231, 235, 278, 291, 338* Jolasse, Erwin 42* Jost, Albert 170 f. Kaiser, Jakob 504, 506 f., 529–531, 540 Kammel, Karl 473 f. Kannegießer, Richard 225 f. Karlsch, Rainer 15 Kellner, Fritz 36, 38 Kempe, Kurt 57 Kessler, Emil 203, 222 Kießling, Herbert 130, 415*, 448, 461, 493* Kirsche, Werner 22, 297*, 299* Kirsche, Wilhelm 86*, 297–302 Klauser, Oskar 205 Kleintges, Heinz 447 Klemtz, Otto 254, 278 f. Knittel, Otto 171 Knoche, Alwin 107 Knopf, Erich 109, 114, 117, 132 Knorre, Edmund 219* Koenen, Bernhard 153 f., 159, 237 f., 268, 488* Kolodziej, Felix 158, 238, 244*, 265, 416, 420, 425, 468, 470 f. Konjew, Iwan 41 König, Karl 415*, 498 König, Richard 37, 156 Kotikow, Alexander 137, 145, 287 Krause, Heinrich 497 Krause, Otto 484, 497 Krückeberg, Ulrich 103 Krüger, Helene 465 Kuhlmann, Heinrich 171 Külz, Wilhelm 529* Kümmel, Alfred 116, 133, 151, 195 f.

Kunitz, Richard 497 Kunze, Johannes 98 Kurmaschow, Iwan 333*, 338* Küver, August Wilhelm 118 Landschulze, Ernst 415*, 439, 526* Laufer, Jochen 365, 371, 551 Lauter, Hans 152, 197* Lehmann, Otto 295, 296* Lehmann, Paul 415*, 441 Lehmann, Torsten 13 Leising, Karl 321, 341–344 Lemmer, Ernst 529–531 Lenin, Wladimir Iljitsch 547 Letz, Hermann 448 Libor, Robert 358, 415*, 417, 448, 465, 477, 515–517 Liedtke, Maria 472, 489 f., 500 List, Franz 278*, 415 f., 419, 458, 468, 471 Loda, Paul 415*, 435*, 440–442, 506 f., 510 f. Loeber, Otto 169, 173, 415* Lorenz, Otto 276, 295 Loth, Wilfried 20, 553 Lücke, Heinrich 87, 282 Lüderitz, Willi 122 f., 405 f., 501, 547 Ludwig, Karl 203, 222 f. Malycha, Andreas 485, Manig, Johannes 49 Manig, Otto 221 Maree, Friedrich von 65 f. Markiewicz, Karl 497 Märtins, Walter 415*, 515, 520, 524–526, 555 Marx, Bernhard 199, 210, 342, 354* Marx, Karl 35 Marx, Wilhelm 90, 333*, 342, 352, 354, 388 Mathing, Willy 129 Matschoß, Wilhelm 448 Meier, Erwin 341, 389 Menz, Heinrich 415*, 501 f., 547 Merseburg, Joachim 214 f. Meyer, Kurt 203 Michael, August 415*, 439

Personenverzeichnis Michalke, Erhard 448, 468, 470*, 471–473, 476–481, 488–491, 498, 500, 532 Mierzowski, Franz 440, 458, 517 f., 520 Mittag, Otto 276 Mittig, Max 110, 254, 257 Mittig, Paul 111, 137, 150, 153 f., 161 f., 164, 238, 244*, 252, 265, 357 f., 414*, 432, 435 f., 439, 465 f., 479 f., 485, 510, 530, 537 f., 540 Möller, Karl 353, 354*, 361 Molotow, Wjatscheslaw Michailowitsch 324 Monse, Eduard 204 Moschütz, Elisabeth 39*, 79, 81, 84, 95, 100 f. Moschütz, Otto 35 Mühlmann, Karl 178, 420 Müller, August 294, 295* Müller, Gustav 107 Müller, Richard 415*, 522 Müller, Robert 321 f., 415* Müller, Walter 174 Muntau, Kurt 224 Mürner, Rudolf 492 Musial, Bogdan 81 Nachbar, Alois 465, Naimark, Norman M. 20 Napp, Otto 278 Neuhäußer, Edgar 357 f., 465 Nickel, Berthold 481, 499 Nicklisch, Otto 65 Niendorf, Karl-Heinz 287 Niese, Otto 38 Nobest, Richard 114, 156, 408*, 472, 481, 489 f., 500 Nowotny jun., Otto 465 Nunnemann, Josef 110, 144 Nuschke, Otto 531 Oecknigk, Richard 108, 132, 134 Oetjen, Hermann 353 Öhmig, Hermann 84 Orgis, Karl 415*, 467 Ostwald, Otto 465

583

Palombini, Camillo Freiherr von 22, 289* Palombini, Kraft Freiherr von 37, 289–291, 304 Papies, Dr. 104 Parpart, Helene 76*, 78, 93, 95, 326 Paulick, Paul 28, 30, 111, 117, 124, 129 f., 135*, 137, 141, 144 f., 150 f., 154, 180, 193, 195, 231, 270, 271, 274, 278, 292 f., 298, 300, 343 f., 347 f., 349, 351, 370, 375, 415*, 431, 434–436, 440–442, 447, 465 f., 474, 497, 505 f., 510–512 Pflanze, Paul 276 Philipp, Otto 31, 100, 109, 117, 120, 132, 134, 143, 162*, 163–165, 170, 172, 178, 231, 236, 241 f., 244*, 246–248, 251–253, 256 f., 260, 265, 414*, 465 f. Pieck, Wilhelm 240, 248, 250, 264, 285, 522* Plavius, Karl 358, 441, 490* Pollmanns, Heinrich 402 Poppe, Oskar 361 Poppe, Oswald 361 Poppe, Reinhold 361 Poree, Francis 93 Porrmann, Kurt 13, 283* Poser, Alwin 201 Poser, Liesbeth 91 Possekel, Ralf 186 Prinz, Otto 465 Pulz, Reinhold 197, 224 Rahn, Georg 63*, 64 Rastig, Otto 337*, 341, 372* Regensburger, Karl 70, 74, 80, 94 Rehag, Wilhelm 358 Reichenbach, Erich Walter 336*, 359 Rexroth, Wilhelm 349, 408 Richter, Paul 415*, 439, 517 Richter, Rudi 127 f., 415*, 439–441, 448, 452, 467, 471 f., 472*, 478 f., 481 f., 484, 515–518 Rietdorf, Friedrich 415* Rietz, Karl 126, 165*, 235

584

Anhang

Rochow, Wichard Freiherr von 272 Röhrig, Georg 28, 31 f., 43, 107, 122, 203 Rollnik, Oskar 129 Romanowski, Eduard 156–158, 235, 278 Roosevelt, Franklin D. 325 Rose, Willy 117, 217 f., 334, 335*, 427*, 441, 454 f., 502, 547 Röthling, Richard 98, 200* Ruhl, August 226 Ruprecht, Otto 461 Ruthenberg, Paul 115, 155, 162, 232 f., 258*, 473–475, 493 f., 496 Sämisch, Karl 199 Sandner, Alfred 129, 145, 192, 195 Sandner, Herbert 253–255 Sarnowsky, Walter von 131 Sattler, Friederike 17 Sattler, Paul 130 Schäfer, Theodor 178 Schellenberg, Martin 59, 467* Scherer, Theodor 62 f. Schippers, Josef 266, 448, 458, 465, 468, 472, 479–482, 488–490, 498, 500, 518 f. Schirrmeister, Günther 88, 195*, 205, 209 f., 220, 221*, 222, 225, 229, 386 Schlage, Elsa 415* Schlieben, Hermann 120, 180, 334, 366*, 406 Schmeitzner, Mike 18 Schmelzer, Johannes 415*, 530, 531* Schmidt, Andreas 15, 161, 240*, 244, 471, 476, 480* Schmidt, Elisabeth 341, 376* Schmidt, Günther 341 Schmidt, Josef 441 Schmidt, Manfred 341, 376* Schmidt, Otto 497 Schnabel, Karl 342–350 Schober, Albert 229 Schönduve, Richard 108, 114, 143 Schörner, Ferdinand 42, 61, 63 f. Schramm, Max 255, 260, 537 Schreiber, Otto 30 f., 107*, 199

Schreiber, Walther 249, 506, 529 Schrödter, Karl 93, 352 Schröter, Gottfried 285 Schubert, Alfred 138, 244, 278 f., 381 f., 415*, 430, 432–436, 465, 293*, 504 f., 511 Schubert, Heinrich 204, 224 Schulz, Gustav 448, 458 Schulze, Carl 130, 136, 179 f., 357 f., 380–382, 403–405, 415*, 427 f., 432 f., 435, 440–442, 503–512, 523 f., 531, 555 Schulze, Erich 415* Schulze, Gerhard 81* Schulze, Gustav Adolf 109, 116–118, 120, 178, 214 Schulze-Boysen, Harro 115 Schünke, Max 156 Schwahn, Fritz 490*, 498, 520, 523*, 524–527 Schwarz, Peter 56 Shukow, Georgi 41, 149, 365 f. Sickert, Erich 203 Siewert, Robert 137, 145, 234, 286 f., 290*, 433, 452, 458, 488*, 536 Sokolowski, Wassilij 433, 456 Sourell, Walter 38 Spannagel, Helga 337*, 387 Speer, Albert 54 Sperk, Alexander 14, 357, 389* Sprengler, Hans 199, 220 Städtner, Berthold 415*, 467 Stalin, Josef 20, 66 f., 149, 183, 185, 241, 261, 267, 283, 324 f., 366, 543 Stanislawski, Felix 467, 470*, 480*, 492 f., 495, 530 Stephan, Karl 345–348, 350, 441, 458, 515 f., 523 f., 532, Stöber, Otto 294 Stolze, Walter 199, 226 Strnad, Walter 59 Strombeck, Freiherr Friedrich von 341, 361 Strothbäumer, Karl 39, 46, 98, 200* Strzeletz, Siegfried 448 Szarspa, Hans 146

Personenverzeichnis Tammena, Heiko 14 Tannert, Max 206 f. Taube, Willi 254, 415*, 441 Tausendfreude, Herbert 224 Tenner, Richard 273 Tetzel, Arthur 255, 347, 355, 378, 414*, 466, 467* Tetzel, Kurt 490, 498 Thape, Ernst 261, 345, 347, 355 Thiele, Willy 116, 339*, 342 f. Thiemig, Ernst 78 Thiessler, Bruno 110, 111, 133, 150, 231 Trittel, Christina 506 Tullner, Mathias 15 Tulpanow, Sergej 20 Uhlmann, Walter 223 Ulbricht, Walter 20, 153, 160 f., 261 f., 267 Vetter, Karl 498 Viehweg, Kurt 479 Vogel, Hugo 53, 163 f., 233, 234* Walter, Otto 479, 481, 488* Wamser, August 521, 526 Weber, Erich 224 Weber, Hermann 415*, 524 Weber, Max 282 Weber, Rudolf 344, 497 Weck, Paul 200 Weidauer, Joachim 51, 174, 415*, 519, 521 Weidenbach, Paul 87 Weiland, Paul 273 Weisenborn, Günther 115 Wenzel, Willy 282, 304 Werner, Emil 461 Werner, Paul 226 Wettig, Gerhard 19 Widera, Thomas 14, 446* Wieneke, Walter 37 Wilhelm, Fritz 13, 22, 29, 63*, 167*, 479* Wilke, Manfred 18 Wilkniß, Heinrich 108, 113 f., 120 Wille, Manfred 15, 377, 454*, 462*

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Wilmowsky, Friedrich Freiherr von 38 Wilmowsky, Tilo Freiherr von 38 Wind, Werner 46, 207* Winkelmann, Erhard 196, 228 Winter, Friedrich 226 Winter, Rudolf 361, 364 Winterfeldt, Arthur 222, 282 Woitera, Peter 81, 101 Wolf, Werner 200, 226 Wuigk, Reinhard 427 Zahn, Otto 415*, 524 Zielke, Karl 188, 205, 220 f., 225, 361 Zinsow, Richard 94 Zühlke, Max 415*, 441 Zukunft, Alfred 458

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Anhang

5. Danksagung Seit Beginn der Forschungsarbeiten im Jahr 2009 bis zur Abgabe der Dissertation im Frühjahr 2013 wurden ich von zahlreichen Personen unterstützt. Zuerst gilt mein Dank ganz besonders meiner Familie und den vielen Freunden, die trotz aller Schicksalsschläge in dieser Zeit uneingeschränkt zu mir und zu diesem Vorhaben gestanden haben. Des Weiteren bedanke ich mich für die jederzeit offene Betreuung der Dissertation durch Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke. Er gab wertvolle Anregungen zur Ausgestaltung der Dissertation und motivierte, scheinbar in „Forschungsackgassen“ stecken geblieben, immer wieder zum weiteren Fortgang der Arbeit. Frau Prof. Dr. Schötz danke ich sehr für die Erstellung des Zweitgutachtens. Unendlich wertvoll für den Forschungsprozess waren zudem die vielen Zeitzeugenaussagen und die bereitwillige Mithilfe vieler Archivare, Ortschronisten und Nachkommen, die mir den Einblick in kaum zugängliche Dokumente gewährten. Ein besonderer Dank gilt auch der Konrad-Adenauer-Stiftung, die mir ein großzügiges Promotionsstipendium gewährte. Dadurch bestens innerhalb der Dresdener Hochschulgruppe der KAS vernetzt und zudem finanziell unabhängig waren die besten Forschungsbedingungen gegeben. Die Arbeit widme ich meiner Familie sowie Werner und Wally Bartzsch. Mit beiden durfte ich viele glückliche Momente während der Kindheit erleben. Ohne diese Erfahrung wäre ich zweifellos nicht in diesem Maß bereits sehr früh mit dem Dissertationsthema in Berührung gekommen. Zudem gilt mein ganzer Dank meiner erst kürzlich verstorbenen Großmutter, Renate Schulze, und meinem Großvater, Hartmut Schulze, ohne deren Liebe und aufopferungsvolle Sorge vieles in meinem Leben unerreicht geblieben wäre. Gröden, den 30. August 2015