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German Pages 262 Year 1994
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 647
Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990 Von Gernot Biehler
Duncker & Humblot · Berlin
GERNOT BIEHLER
Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 647
Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990
Von
Gernot Biehler
Duncker & Humblot - Berlin
Die vorliegende Untersuchung wurde i m
Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer durchgeführt
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Biehler, Gernot: Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990 / von Gemot Biehler. — Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 647) Zugl.: Speyer, Hochsch. für Verwaltungswiss., Diss., 1993 ISBN 3-428-07918-3 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07918-3
Herrn Ministerialdirektor a.D. Prof. Dr. Helmut Quaritsch in herzlicher Dankbarkeit zugeeignet
Vorwort Die besondere Last, die den Bodenreformenteigneten im Vergleich zu den früher und später Enteigneten durch den Restitutionsausschluß auferlegt wurde, bedarf der Erklärung. So sehr hier von der rechtlichen Analyse auszugehen ist, so wenig dürfen hier die wirksam gewordenen politischen Motive, der geschichtliche Zusammenhang und die gegenwärtige Verwaltungspraxis mit ihren Sonderfällen übersehen werden. Die allgemeine Bedeutung des Vorgangs zu erkennen, war Hauptanliegen der Arbeit. Sie ist im Rahmen eines Forschungsprojekts des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ermöglicht worden. Ein Besuch Ende 1991 im Magdalene College, Cambridge, trug ebenso zur Erkenntnis der historischen Zusammenhänge bei, wie einige Monate 1992/93 meine Treuhandmitarbeit in Berlin zum abschließenden Kapitel über heutige Verwaltungspraxis und Sonderfälle. Den Gesprächen, nicht nur mit meinen damaligen Kollegen und Vorgesetzten, verdanke ich viel. Die Idee zur Arbeit entstand in einem Speyerer Seminar über Verfassungsfragen der Wiedervereinigung im denkwürdigen Sommer 1990. Die gleichzeitigen deutsch-deutschen und deutsch-alliierten Verhandlungen erforderten die Lektüre der Tageszeitung, bevor ein sinnvolles Seminargespräch erfolgen konnte. Die einmalige lebendig-aktuelle Atmosphäre dieser Zeit belebte auch die Arbeit bis zum Schluß. Als Bestandsaufnahme vor dem geplanten Ausgleichs- und Entschädigungsleistungsgesetz soll sie auch der Praxis einen Überblick geben und zu weiterer Arbeit anregen. Für alle Schwächen der Arbeit zeichne ich allein verantwortlich; Stärken, Ideen und Gestalt verdankt sie Herrn Ministerialdirektor a.D. Prof. Dr. Helmut Quaritsch, der als Projektleiter und Doktorvater oft mit wenigen Worten Perspektiven und Einsichten hervorzurufen in der Lage war, die der Sache in Form und Inhalt ihren Wert gegeben haben.
Vorwort
8
Ihm habe ich in besonderer Weise zu danken. Auch Herrn Prof. Dr. Dr. Heinrich Siedentopf gebührt aufrichtiger Dank. Speyer, im Sommer 1993
Gernot Biehler
Inhaltsverzeichnis Einleitung
Α.
Die "Demokratische Bodenreform" I.
II.
III.
B.
15
Die "Demokratische Bodenreform" als Beispiel der Schwierigkeiten der Wiedervereinigung der Rechtsordnungen in Deutschland nach 1990
19
Der Begriff der Bodenreform bis 1945
20
1.
Die Bodenreformer
20
2.
Wirksamwerden der Bodenreformidee
22
3.
Bodenreformgesetzgebung in den westlichen Besatzungszonen nach 1945 24
4.
Die Genese der Bodenreformnormen
Das Bodenreformkonzept und die "Demokratische Bodenreform" 1945
Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil I.
II.
III.
19
27 32
36
Rechtmäßigkeit der Konfiskationen von 1945 bis 1949 nach dem Recht der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR 36 Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland und Geltung des Grundgesetzes hinsichtlich der Bodenreformmaßnahmen
39
Rechtslage im westlichen Deutschland nach 1945
41
1.
41
Fremdstaatliche Maßnahmen
a) Gültigkeit des Territorialitätsprinzips nach der Wiedervereinigung 45 b) Intertemporale Wirkung des interzonalen Kollisionsrechts bei Rechtswidrigkeit der Enteignungen 46 aa) bb)
Anerkennung völkerrechtswidriger Maßnahmen 49 Qualifizierte Völkerrechtswidrigkeit als besatzungshoheitliche Maßnahmen
54
Inhaltsverzeichnis
10 cc) dd) 2.
C.
D.
Verfassungsmäßigkeit nach dem Territorialitätsprinzip 72 Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach sonstigen Gesetzen.. 73
Die Inlands- und Gegenwartsbeziehung bei Anwendung der Vorbehaltsklausel des ordre public
73
a) Die Inlandsbeziehung b) Die Gegenwartsbeziehung
74 76
Materielle Rechtslage
77
I.
Das deutsche interlokale Verwaltungsrecht nach dem Einigungsvertrag
77
II.
Verstoß gegen die Bodenreformnormen selbst
80
III.
Verstoß der Bodenreformnormen gegen höherrangiges Recht
82
1.
Unverzichtbare Individualrechte und Verfahrensanforderungen nach überpositivem Recht 82
2.
Art. 153 der Reichsverfassung vom 11. August 1919
86
a) Bestand des Deutschen Reiches b) Die von der SMAD in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 wieder eingerichteten Länder und Provinzen als Länder im Sinne der WRV c) Außerkraftsetzen der relevanten Normen der WRV von kompetenter Seite? d) Sachliche Unanwendbarkeit der entscheidenden Vorschriften, insbesondere des reichsgesetzlichen Vorbehalts des Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV, durch die gänzlich veränderten Umstände nach dem Zusammenbruch 1945 e) Ermächtigung zur entschädigungslosen Enteignung von kompetenter Seite? Die Haager Landkriegsordnung in Deutschland nach 1945
89
90 91
92
96
Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils
102
I.
Rechtskraft
102
1.
Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG
102
2.
Geltung auch für ein "unrichtiges" Urteil?
106
a) Zweck der Rechtskraftregel und der Bindungswirkung
106
Inhaltsverzeichnis b) Wirkung der Veränderung der Umstände auf die Rechtskraft und Bindungswirkung des Urteils - die clausula rebus im Verfassungsprozeßrecht
E.
107
II.
Bundesverfassungsgericht und Staatsraison
111
III.
Das Bundesverfassungsgericht und das Bodenreformurteil
116
Geschichtliche Beispiele der Behandlung von Konfiskationen vorübergehender revolutionärer Regierungen nach Wiederherstellung der alten Ordnung 123 I.
Wiederherstellung der alten Rechtsordnung durch Rückgabe des konfiszierten Landes
126
1.
127
Das Athener Ausgleichsabkommen 403-2 v. Chr
a) Sturz der athenischen Demokratie und Machtübernahme der Oligarischen 127 b) Restauration der demokratischen Verfassung und Herrschaft 130 c) Restitution im Ausgleichsabkommen 130 2.
Der Westfälische Friede
3.
Konfiskationen nach 1974
und
Restitution
131 von Agrarland
in
Portugal 134
a) Umsturz der alten Ordnung 1974 134 b) Konfiskationen und eigentumsrelevante Maßnahmen der neuen Herrschaftsordnung hinsichtlich des Agrarlandes 135 c) 4.
II.
Restauration und Restitution des Agrarlandes
137
Die hessisch-darmstädtische Praxis hinsichtlich im ehemaligen Königreich Westfalen veräußerter Staatsdomänen 142
Wesentlicher Ausschluß der Restitution bei Restaurationen
144
1.
144
Die Rückkehr Karls II. von England nach der Ära Cromwells
a) Sturz der englischen Monarchie 144 b) Politische Konfiskationen und andere eigentumsrelevante Maßnahmen der Ära Cromwells 146 c) Die Restauration der alten Ordnung und die Restitution des konfiszierten Landes 149 d) Konfiskationen und Restitution in Schottland und Irland 150 2.
Die Restauration Ludwigs XVIII. von Frankreich und das Eigentum der Emigranten
151
a) Die Emigration
152
12
Inhaltsverzeichnis b) Restitution und Restauration III.
Die Demokratische Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 und ihre Behandlung nach 1990 im Verhältnis zu ihren Parallelen 157 1.
Tatsächliche Vorgänge 1945
2.
Die Behandlung der Bodenreformkonfiskationen nach der Wiedervereinigung 1990
3.
Die Praxis der Rückgabe 1945-1949 enteigneten Vermögens in SonderfäUen I.
157
161
Die Regelung von 1990 im Verhältnis zu ihren historischen Vorläufern
F.
154
162
173
Opfer des Nationalsozialismus und Restitutionsausschluß nach § 1 Abs. 8a, 1. Hs. VermG 175 1.
Grundfälle
2.
Enteignungen vor dem 8.5.1945 mit anschließender Rückgabe und er-
180
neuter Enteignung im Rahmen der "Demokratischen Bodenreform" 1945 3.
4. II.
181
Der im Rahmen der "Demokratischen Bodenreform" belassene Resthof für Verfolgte der Nationalsozialisten
185
Restitution ohne volle Enteignung unter den Nationalsozialisten
187
Sonderfälle von Bodenreformenteignungen trotz entgegenstehenden besatzungshoheitlichen Willens
193
1.
Ausländervermögen
197
a) Regelungen der alliierten Siegermächte
199
b) Regelungen der sowjetischen Besatzungsmacht c) Regelungen deutscher Stellen
201 205
d) Die gesamtdeutschen Regelungen anläßlich der Wiedervereinigung 206 e) Heutige Bedeutung der zwischenstaatlichen Regelungen von offenen Vermögensfragen der ehemaligen DDR mit anderen Staaten 207 f) 2.
Bewertung
Bodenreformkonfiskationen bei Verstorbenen
210 215
Inhaltsverzeichnis 3.
Vermögensentzug ohne normative Grundlage entgegen den Bestimmungen der Bodenreformnormen
4.
216
Der Restitutionsanspruch bei Rehabilitierungen nach § 1 Abs. 7 VermG
225
III.
Überschreitung der durch die Bodenreformnormen gesetzten Grenzen; die Exzeßfalle 233
IV.
Die besondere besatzungsrechtliche Lage bei Enteignungen im Ostteil Berlins 1945-1949 234
V.
Bewertung und Ausblick
242
Zusammenfassung
249
Literaturverzeichnis
253
Einleitung Gegenstand der Arbeit ist die Behandlung der Konfiskationen von 1945 bis 1949 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach der Wiedervereinigung. Im Mittelpunkt steht die Bodenreform vom September 1945. Bei der Behandlung des Eigentums, der Beziehung des Einzelnen zur Sache, zeigt sich die Natur einer staatlichen Ordnung besonders deutlich. Eigentumsfragen werden beim Zusammenwachsen der ehemals getrennten Teile Deutschlands als besonderes Problem angesehen. In kaum einem anderen Gebiet waren die Unterschiede zwischen beiden deutschen Staaten größer als beim Institut des Eigentums. So wurde eine ausführliche, differenzierte Regelung der Fragen im Einigungsvertrag und die damit verbundenen Gesetze für notwendig erachtet. Diese Regelung hatte von dem 1945 bis 1989 sozialistisch geprägten Eigentumsbegriff auszugehen und das angestrebte herkömmliche, westliche Eigentumsrecht an den Dingen zu schaffen. 1 Grundlage war die umfassende Umwälzung in der DDR, die mit dem Beitritt zur Bundesrepublik den Anschluß an die Lage im westlichen Deutschland gefunden hat. Diese friedliche Revolution bewirkte die Einheit mit der Kontinuität des Staats und Rechts, wie sie sonst in Deutschland über alle Veränderungen hin gesehen wurde. Mit ihr verloren die KonfiskatioΛ
nen der "Demokratischen Bodenreform" ihre sowjetisch inspirierte, revolutionäre Legitimität. Die nunmehr von der DDR angestrebte Rechtsstaatlichkeit4 forderte ein Überdenken der entstandenen Situation mit ihren Grundlagen.
1
Zum sozialistischen Eigentum Wiedemann, Hans,Das sozialistische Eigentum in Mitteldeutschland, 1974, insbesondere 75 ff., zur Unvereinbarkeit der beiden deutschen Eigentumsordnungen Kimminich, Bemerkungen, 3 ff. 2 Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, XIII ff., m.w.N. 3 Terminologie nach Seidl-Hohenveldern y Internationales Konfiskation- und Enteignungsrecht, 5; vgl. aber differenzierend Ipsen, H. P., Enteignung und Sozialisierung, 74, 88 f.; Frey, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, 40. 4 Dazu Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, 340, 390 ff.
16
Einleitung
Anlaß ist die friedliche revolutionäre Wende, die sich von der nach 1945 geschaffenen Ordnung abwendet. Ihre Zuordnung zur gesamtdeutschen Rechtsordnung läßt die Bodenreform nun aus dieser neuen Perspektive erscheinen und begründet letztlich die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts wie auch anderer neu eingerichteter deutscher Gerichte für die entsprechenden Sachverhalte.5 Überwindung ehemals revolutionär geschaffener Umstände unter Wiederaufnahme der ursprünglich geltenden Staatsordnung hat nicht allein 1989 Deutschland die Frage nach der Wirksamkeit von Konfiskationen insbesondere des Bodens ehemalig ungeliebter Mitbürger gestellt. Eine solche Situation ist nicht einmalig. Es sei allein auf die Situation nach der Englischen und der Französischen Revolution, oder die sanfte Wandlung Portugals zur westlichen Demokratie im Anschluß an die radikalsozialistischen Veränderungen anläßlich der Nelkenrevolution nach 1974 hingewiesen. Aber auch schon nach dem Dreißigjährigen Krieg oder sogar den Wirren des Peleponesischen Krieges im alten Athen stellten sich ähnliche Fragen. Immer war die Behandlung der zwischenzeitlich erfolgten "Bodenreformen" offen, der regelmäßig erfolgten großflächigen Konfiskationen von Land ungeliebter Schichten der Bevölkerung in der Zwischenzeit. Immer war zwischen Legitimität und Schutz des Neuerwerbers unter Berücksichtigung des sozialen Friedens abzuwägen. So wenig wie im Einigungsvertrag, so wenig gab es in der Geschichte eine Regelung, die allein auf einem der genannten Kriterien beruhte. Regelmäßige Grundstrukturen bei Rückgabe von Eigentum nach Restaurationen revolutionär beseitigter Ordnungen sind im Kompromiß zu erkennen. Denkbar ist theoretisch sowohl die umfassende Rückgabe als auch deren umfassender Ausschluß. Praktisch ist immer ein Kompromiß gefunden worden. So auch in dem teilweisen Restitutionsausschluß des Einigungsvertrages für "Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (1945-49)" bei sonstiger grundsätzlicher Rückgabe nach Maßgabe des Vermögensgesetzes. Die besondere Lage entsteht immer dann, wenn eine hergebrachte Eigentumsordnung revolutionär beseitigt wird um dann, ggf. auch revolutionär, wiederhergestellt zu werden. 5 Zum bis dahin geltenden Ausschluß des Rechtsweges hinsichtlich der Bodenreform-Enteignungen Forsthoff, Ist die Bodenreform in der Deutschen Demokratischen Republik im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzuerkennen?; OGE DDR 1,1.
Einleitung
Mit dieser historischen und rechtstheoretischen Perspektive sollen die Konfiskationen von 1945 betrachtet werden, nicht ohne zuvor den Begriff der Bodenreform selbst in seinem historischen Entstehen und den erfolgten Normierungen der Weimarer Zeit und nach 1945 in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands der "Demokratischen Bodenreform" der Sowjetzone gegenüberzustellen. Unerläßlich ist Verständnis und Kritik des Bodenreformurteils des Bundesverfassungsgerichts. Die unterschiedliche Behandlung 1945 bis 1949 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und später in der DDR unter rechtsstaatswidrigen Umständen enteigneten Vermögens6 nach der Wiedervereinigung hat Fragen aufgeworfen, die auch durch das Bodenreη
formurteil des Bundesverfassungsgerichts nur teilweise beantwortet sind. Völker-8, Verfassungs-9, Natur- 10 und einfaches Gesetzesrecht11 stehen dem im Einigungsvertrag und dem Grundgesetz verankerten politischen A*)
Willen, bestimmte Enteignungen "nicht mehr rückgängig zu machen" , gegenüber. Seine Bewertung wird nicht mit dieser Untersuchung abgeschlossen sein. Die unvorhergesehenen, den Rahmen des Vorgangs bildenden Umstände der deutschen Wiedervereinigung dürfen den Juristen nicht hindern, die Rechtsfragen mit der gebotenen Sorgfalt zu behandeln. Sie veranlassen aber, diese Rechtsfragen zusammen mit Notwendigkeiten und Interessen einer gegenwärtigen Restauration des Rechtsstaats nach einem fast 45-jährigen, restlos gescheiterten Systemversuch zu sehen. Geschichte und Gegenwart haben die Frage nach der Restauration von Rechten im Anschluß Zum Begriff Enteignung und Konfiszierung Frey, Die Verfassungsmäßigkeit transitorischer Enteignungen, 33, 39. Der Enteignungsbegriff wird hier als Oberbegriff verwandt, der auch Konfiszierung einschließt, um eine Vorabbewertung zu vermeiden, vgl. auch Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, 5. 7 Urteil des 1. Senats vom 23. April 1991 in ROW 1991,212 ff.; BVerfGE 84,90 ff. * Münch, Fritz, Ans zwingende Völkerrecht denken, in: FAZ vom 18. Dez. 1990,9. 9 Scholz, Rupert, Ein Ausgleich muß für die 1945 bis 1949 Enteigneten hergestellt werden, in: Welt vom 30. Okt. 1990. 10 Arnim, Hans Herbert von, Entzug der Grundrechte aus Opportunität, in: FAZ vom 6. Sept. 1990, 8. Das Grundeigentum 1991, 689 mit Verweis auf Rückenteignungspflicht wegen Zweckverfehlung der Enteignung nach § 102 BauGB. 12 Art. 41 Einigungsvertrag, Erklärung vom 15. Juni 1990 in Verbindung mit Art. 143 Abs. 3 GG. 2 Biehler
18
Einleitung
an überwundene Verwerfungen staatlicher Ordnungen gestellt und vielfältig beantwortet. So einzigartig jede Zeit und ihre geschichtliche Problemlösung bleibt, bringt das Vergleichbare im Vergangenen und Gegenwärtigen ein Verständnis von Vorgängen, das der reinen Rechtsbetrachtung allein abgeht. Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einer Darstellung der Praxis hinsichtlich bestimmter Fallgruppen, in denen trotz Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage 1945-1949 Rückgabe erfolgt oder diskutiert wird. Auch vor dem geplanten Entschädigungsgesetz bieten Behörden und Rechtsprechung genügend Material für eine zukünftige befriedigende Lösung noch offener Fragen.
Α. Die "Demokratische Bodenreform"
I. Die nDemokratische Bodenreform 11 als Beispiel der Schwierigkeiten der Wiedervereinigung der Rechtsordnungen in Deutschland nach 1990
In den Ländern und Provinzen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands ist ab September 1945 unter dem Begriff der "Demokratischen Bodenreform" etwa ein Drittel des Bodens der gesamten Zone konfisziert worden.1 Über 10.000 Landwirte hatten Hof und Land binnen Stunden in der Regel für immer zu verlassen. Diese Maßnahmen hinsichtlich des Bodens standen nicht alleine; neben einer Industriereform wurden auch Handel und Banken sehr bald weitgehend entschädigungslos sozialisiert. Im Mittelpunkt des Interesses, damals wie heute nach der Wiedervereinigung, standen aber die Ereignisse der "Demokratischen" Bodenreform. Sie stellten eine so einschneidende Veränderung der Eigentumsordnung und Rechtspraxis dar, daß ihre Ergebnisse bei der Wiedervereinigung als nicht revisibel angesehen wurden.2 In Sachsen fand 1945 eine Volksabstimmung statt, bei der sich über 70 % der Teilnehmer für eine Bodenreform aussprachen. Dies wurde später als demokratische Legitimation zur Durchführung der "Demokratischen Bodenreform" der gesamten Sowjetzone angesehen. Bevor die verwaltungswissenschaftlichen Fragen nach dem rechtlichen Bestand, der wirtschaftlichen Bedeutung, dem historischen Zusammenhang und der politischen Wirkung dieser "Demokratischen Bodenreform" behandelt werden, soll hier zunächst der Begriff der Bodenreform als solcher im Mittelpunkt stehen.
1 2
Kruse, Weißbuch, 7 ff. BVerfGE 84, 90 ff.
20
Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Eine Bodenreform war nach damaligem Verständnis keine unbestimmte Erscheinung.3 Mit dem Begriff verbanden sich in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion eines Jahrhunderts bestimmte Inhalte. Durch Inanspruchnahme des Begriffs für grundsätzlich unterschiedene Sachverhalte durch die Bodenreform nach 1945 hat der Begriff seine definierte Bedeutung weitgehend verloren. Gerade bei der Einschätzung der sächsischen Volksabstimmung und der Durchführung ist die ex ante-Sicht der Bedeutung des Begriffs zu berücksichtigen. Wie noch dargelegt wird, ist der Begriff in der Auseinandersetzung kommunistischer und liberal-konservativer Politik gewachsen.4 IL Der Begriff der Bodenreform bis 1945
1. Die Bodenreformer Adolf Damaschke und Friedrich Naumann sind die bekanntesten Politiker der gegen Ende des letzten Jahrhunderts aktiv wirkenden Bodenreformer. Damaschke, Mitbegründer und Vorsitzender des Bundes deutscher Bodenreformer, bereitete mit seinen Beiträgen in der Zeitschrift "Die Bodenreform" und seinem in über 20 Auflagen erschienenen gleichnamigen Buch, die politischen Bedingungen für das Zustandekommen der entsprechenden Gesetze nach 1919 vor. Kerngedanke ist, daß Boden als unvermehrbares Gut nicht den Gesetzen beweglicher Sachen und des Kapitals unterworfen bleiben soll. Verschuldung auf Boden, der Realkredit, wird als aus diesem Mißstand herrührendes soziales Übel angesehen, welches den erarbeiteten, mehr oder weniger fixen Bodenertrag dem Bodeneigner ohne Arbeit als Grundrente zuführte. Da solche Gedanken prima facie durchaus als sozialistisch angesehen werden könnten, hat Damaschke versucht, die Forderung nach einer Bodenreform von sozialistischen Forderungen nach Vergesellschaftung aller Produktionsmittel einschließlich des Bodens abzusetzen.5 Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Verhältnis von Boden, Arbeit und 3
Vgl. Dietze, Constantin v., Bodenreform im Ev. Staatslexikon, 1966, Sp. 191 ff.; Damaschke, Bodenreform, 21. Auflage, Berlin 1920. 4 Heilfron, Die Deutsche Nationalversammlung, 492 ff. (nationalliberale und sozialdemokratische Politiker), 516 f. (kommunistischer Politiker). 5 Damaschke, Die Bodenreform, 36-54.
21
II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
Kapital. Gegenüber Boden und Arbeit sei Kapital keine Quelle, sondern nur Mittel zur Produktion, das Arbeit und Boden ergiebiger gestalten soll. Die soziale Frage sei, ob die Verteilung des Produkts der Volkswirtschaft auf Arbeit durch Lohn, Boden durch Grundrente und Kapital durch Zins gerecht sei. Unrecht sei, daß der hohe Wertzuwachs des Bodens, der durch die Zusammenarbeit aller entstände, nicht durch den zufälligen Eigentümer,6 nur diesem zugute käme, nicht aber allen. Die Antwort der Bodenreformer ist, daß die Grundrente soziales Eigentum sei; sie soll der Gesamtheit zugeführt werden. Damaschke bezeichnet dies als "Frieden zwischen Sozialismus und Individualismus": Grundrente als soziales Eigentum, Kapital und Arbeit, Zins und η
Lohn als Individualrecht. Dies wird insbesondere als dringend angesehen, da sonst die Bodenpreise eine gesunde Entwicklung weiter Bevölkerungschichten erschwerten. Die schlechte Lage des Industriearbeiters um die Jahrhundertwende als auch die Lage der Frau bringt Damaschke als eindrucksvolle Beispiele. Die Abgrenzung vom von Damaschke als "Mammonismus" bezeichneten Kapitalismus als auch Kommunismus prägt die TheoO
t
rie, die einen solchen Weg aufzeigen will. Damaschke sagt das so: "Die Entscheidung: Mammonismus, Kommunismus, Bodenreform; immer deutlicher trennen sich die großen Heerlager. Unter diesem Zeichen wird der Kampf um die Zukunft entschieden. Niemand, der einmal empfunden hat, daß er persönlich ein Stück Mitverantwortung für seine Zeit zu tragen hat, kann in diesem Kampf parteilos bleiben." Im Ergebnis soll die Grundrente als soziales Eigentum durch eine Steuer abgeschöpft werden. Daß solche Steuern nicht sozialkontraproduktiv wirken, wird mit Adam Smith belegt: "Eine Steuer auf Grundrenten würde die Hausmiete nicht erhöhen, sondern lediglich den Grundeigentümer treffen, der immer wie ein Monopolist handelt und für die Benutzung seines Bodens die größtmögliche Rente einzieht." "Wird ihm also ein Teil dieses Einkommens (der Grundrente) zur Befriedigung der Staatsbedürfnisse entzogen, so leidet doch keine Art des Gewerbefleißes darunter. Derjenige Ertrag vom Boden und von der Arbeit der Gesellschaft, das wirkliche Vermögen und 6
Von Damaschke als i.d.R. Aktionäre großer Hypothekenbanken bezeichnet, a.a.O., 59. g Damaschke, 60. Damaschke, 61.
7
22
Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Einkommen der großen Volksmasse kann nach Einführung einer solchen Steuer dasselbe bleiben wie zuvor. Bodenrente ist deshalb diejenige Einnahmequelle, die vielleicht am besten eine ihr besonders aufgelegte Steuer ertragen kann!"9 2. Wirksamwerden
der Bodenreformidee
Seit der Jahrundertwende haben die Bodenreformer viele Gemeinden von einer höheren Besteuerung ungenützten Bodens nach § 25 Preußisches Kommunalabgabengesetz überzeugen können und damit Spekulation mit Boden und die Bodenpreise gesenkt sowie die Bautätigkeit angeregt.10 Als großen Erfolg werteten die Bodenreformer dann Art. 155 der Reichsverfassung vom 11 August 1919, der in seinen Abs. 1 und 2 die Grundsätze des Bodenreformbundes deutlich als "Grundrecht des deutschen Volkes" aufge11
.
nommen hatte. Die Absätze lauten: Abs. 1: Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihre Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen. Abs. 2: Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen.
Die Norm war als solche nicht unmittelbar anwendbar, sondern gab eine 19 Richtlinie und Handlungsanweisung für den Gesetzgeber de lege ferenda. •
.
.
l'I
.
Bis 1923 ergingen sieben Gesetze, die den bodenreformerischen Verfassungsauftrag umsetzen sollten. Zwei, bis heute gültige, sind besonders hervorzuheben. Das Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 191914 wurde gleichzeitig mit der Reichsverfassung erlassen. Es ist damit noch von der verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung, nicht vom Reichstag verabschiedet 9 10Smith y
Adam, Considerations on the major causes of the wealth of nations, V., 2. Damaschke, 96 ff. Damaschke, im Vorwort zum 123. Tausend vom 23. Sept. 1922. 12 Anschütz zu Art. 155, Rdnr. 1. 13 Anschiitz zu Art. 155, Rdnr. 2 gibt genaue Nachweise. 14 RGBl. I, 1429. 11
II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
23
worden. Nach § 3 Abs 1 des Reichssiedlungsgesetzes (RSG) sind bestimmte gemeinnützige Siedlungsunternehmen mit Enteignungsrecht ausgestattet. Sie können zur Ansiedlung sowie zur Hebung bestehender Kleinbetriebe unbewirtschaftetes Land, Moorland oder Ödland in Anspruch nehmen. Ein nach § 12 Abs. 1 Satz 1 RSG geschaffener Landlieferungsverband kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 RSG von den "großen Gütern" Siedlungsland enteignen. Bei den dem Enteignungszugriff ausgesetzten Objekten handelt es sich nicht mehr um unbewirtschaftete Flächen, sondern um Ackerland. Einen besonderen bodenreformerischen Aspekt dieses Enteignungsverfahren bietet darüber hinaus § 16 RSG, der die bevorzugte Heranziehung solcher Güter für die Landlieferung vorsieht, die "während des Krieges von Personen erworben sind, welche die Landwirtschaft nicht im Hauptberufe betreiben oder betrieben haben, den Besitzer gewechselt haben" oder "die besonders schlecht bewirtschaftet werden", oder "deren Besitzer sich während des größten Teils des Jahres nicht auf der Begüterung aufhalten und sie nicht selbst bewirtschaften" oder weil sie "zu Besitzungen von ungewöhnlich großem Umfang gehören". Hier ist erstmalig vom bodenreformerischen Anlaß her eine Differenzierung der Enteignungsbetroffenen sichtbar, die besonders Inhaber großer Güter pönalisiert. Dies wird dadurch verstärkt, daß nach § 13 Abs. 2 RSG die Aufgabe des Gesetzes erst erfüllt ist, wenn ein Drittel der durch die landwirtschaftliche Betriebszählung von 1907 festgestellten gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der großen Güter für Siedlungszwecke bereitgestellt ist, oder die landwirtschaftliche Nutzfläche dieser Güter nicht mehr als 10 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Ansiedlungsbezirks beträgt. Damit ist im Gesetz eine zweifache Ausrichtung zu erkennen. Die Verwirklichung der Bodenreform durch Hebung der ländlichen Siedlungsstruktur soll einerseits durch Eigentumsentzug zur Schaffung neuer Ansiedlerstellen erreicht werden und andererseits sollen Inhaber gewisser großer Güter besonders herangezogen werden. Aber auch denen gegenüber bleibt die Eigentumswertgarantie unberührt; das RSG sah eine Geldentschädigung vor. Das Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920 (RHG) 1 5 verwirklichte in ähnlicher Weise Forderungen der Bodenreformer i.S. des Artikel 155 der 15
RGBl. I, 962.
24
Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Reichsverfassung. Nach § 28 Abs. 1 RHG konnten Grundstücke zur Begründung und Vergrößerung von Heimstätten enteignet werden. Der enge entstehungsgeschichtliche Zusammenhang mit dem Reichssiedlungsgesetz und die geistigen Wurzeln des Reichsheimstättengesetzes in der Bodenreform- und Kriegerheimstättenbewegung16 weisen die Bodenbeschaffung als das zentrale gesetzgeberische Anliegen auch im RHG aus. Zusammen mit dem sozialpolitischen Zweck der Wohnungsbeschaffung ergibt sich auch hier die Zweigliedrigkeit des Gesetzes. In der Wirkung erwiesen sich beide Gesetze als verschieden. Das Reichssiedlungsgesetz hat keine wesentliche praktische Bedeutung gehabt, während seit dem Inkrafttreten des Reichsheimstättengesetzes etwa 360.000 17
Heimstätten errichtet worden sind.
Auch viel später noch ist die Forde18
rung nach einer Bodenreform politisch erhoben worden.
3. Bodenreformgesetzgebung in den westlichen Besatzungzonen nach 1945 Auf Drängen der Sowjetunion einigten sich die vier Siegermächte auf der Moskauer Viermächtekonferenz vom 10.3. bis zum 24.4.1947 beschleunigt eine Bodenreform in Deutschland jeweils in den Zonen durchzuführen. 19 Dem lag die politische Prämisse zugrunde, daß der Großgrundbesitz mitverantwortlich für die Entfaltung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges sei. Diese Bodenreformen sollten demnach ein Teil der Maßnahmen sein, um ein für alle Mal eine Wiederholung des Nationalsozialismus zu unterbinden. Zunächst erging eine britische MilitärregierungsverΛΑ
Ordnung zur Bodenreform in der britischen Zone. Die französische Zone . . . . . . . folgte entsprechend. Im amerikanischen Bereich erging zoneneinheitlich 16 Grünberg, Carl, Heimstättenrecht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl. Bd. 5,1923, 231 m.w.N. 17 Vgl. Nachweise bei Frey, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, 31. 18 Vgl. z.B. Beschlüsse des Parteitages der SPD Hannover 1973 zur Bodenreform, hrsg. vom Vorstand der SPD, Bodenreform, Bonn 1973.
19
Hartwich, Hans Hermann, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, 1970, 381,2 0Fn. 352. Verordnung Nr. 103 i.d.F. der VO Nr. 189 betreffend Änderung der VO Nr. 103 vom 4.9.1947 im Amtsblatt der britischen Militärregierung, 595 und 1097. 21 Militärregierungsverordnung Nr. 116 über die Bodenreform in der französischen Zone vom 18.10.1947 in: Journal Officiel 1947, vom 18.10.1947,1163.
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II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
ein Länderratsgesetz zur Beschaffung von Siedlungsland und zur BodenreΛΛ
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form. Diese Normierungen gaben einen äußeren Rahmen, den die deutsche Exekutive mit eigenen Bestimmungen auszufüllen hatte. Soweit sie dies aber nicht getan hatte, sprang die Besatzungsmacht ein. In den Ländern Niedersachsen und Hamburg ist kein entsprechendes Gesetz erlassen wor.
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den, so daß dies durch die britische Militärregierung selbst erfolgte. Auch hier waren große Güter bestimmtes Objekt der Enteignung: gem. Art. 2 und 3 des Bodenreformgesetzes für die amerikanische Zone und Art. 1 der britischen Militärregierungsverordnung Nr. 103 sowie Art. 2 der französischen Militärregierungsverordnung Nr. 116 sind Grund und Boden bis zu einer Mindestgröße des Betriebs, je nach Besatzungszone zwischen 100 und 150 ha, in das Eigentum der Länder zu überführen. Der so erworbene Boden ist dann gegen Entgelt durch die Regierungen der deutschen Länder an den zu begünstigenden Personenkreis zu vergeben. Auch hier sorgte, wie beim RSG, eine Entschädigung für einen Ausgleich bei den Betroffenen. Die enge Verwandtschaft zum Reichssiedlungsgesetz wird noch durch Art. 9 des Bodenreformgesetzes für die amerikanische Zone bestärkt, wo ausdrücklich auf die Regelung des Reichssiedlungsgesetzes hingewiesen wird. Trotzdem sind Unterschiede in der Zwecksetzung der Bodenreform, Bestrebungen der Weimarer Zeit und derjenigen der alliierten Siegermächte nach 1946 festzustellen. Neben den klassischen Bodenreformzwecken strebten die alliierten Gesetzgeber auch die Verringerung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses des Großgrundbesitzes und die Durchführung einer "Demokratisierungspolitik" in Deutschland an. 24 Dies ist primär entzugsmotiviert. Das ergibt sich besonders daraus, daß spezielle Gründe in den einschlägigen Entzugstatbestanden nicht genannt werden. Hinter diesem Gesetz steht die Idee einer besonderen alliierten Sicherheit. Durch den Fortbestand der 22 In Bayern durch Gesetz Nr. 48 vom 18.10.1946, GVB1., 326; in Hessen durch Gesetz vom 15.10.1946, GVB1., 218; in Württemberg Baden durch Gesetz Nr. 45 vom 30.10.1946, RGBl., 263.
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Verordnung der britischen Militärregierung Nr. 188 betreffend Bodenreform im Lande Niedersachsen und in der Hansestadt Hamburg, Amtsblatt, 212 ff. 24 Art. 1 der britischen Militärregierung$VO Nr. 109; Art. 1 der französischen MilitärregierungsVO Nr. 116.
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Α. Die "Demokratische Bodenreform"
großen Güter wären wegen der vermeintlichen Affinität ihre Besitzer zu revanchistischem Gedankengut und Militär die Wahrung alliierter Sicherheitsinteressen gefährdet. Bei Fortbestand der großen Güter, wegen dieser vermeintlichen Affinität ihrer Besitzer zu revanchistischem Gedankengut, wurden jene als Sicherheitsrisiko angesehen. Das Eigentum war in der Hand jener Besitzer aus politischen Gründen diskriminiert. Dem Eigentumsentzug haftete somit eine negativ bestimmte Tendenz an, die in der Wegnahme des Eigentums schon ihre Erfüllung fand. Dahinter steht das auf der Konferenz von Casablanca vom 14. bis 26. Januar 1943 schon beschlossene Kon27
zept der Agrarisierung Deutschlands. Es sieht die Umwandlung Deutschlands von einem, wenn auch zerstörten, Industrie- in einen Agrarstaat vor. Besonders in der Bodenreformgesetzgebung der Alliierten fand damit der bekannte Morgentauplan eine teilweise Form. Da im Gegensatz zur Sowjetunion nach dem politischen Selbstverständnis besonders der Amerikaner eine Sozialisierung von Grund und Boden aus ideologischen Gründen außer Betracht bleiben mußte, konnte die Agrarisierung nur auf dem Weg der Umschichtung von Grund und Boden vonstatten gehen, es mußten also neue Eigentumsverhältnisse Privater am Boden begründet werden. Die verΛΰ
suchte Beschleunigung dieser Bodenreformgesetzgebung ist auf die desolate Versorgungslage der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit zurückzuführen, der man durch vermehrte landwirtschaftliche Produktion abzuhelfen gedachte, um damit zugleich die Unterstützungsleistungen für das zu betreuende Besatzungsgebiet reduzieren zu können. Der Unterschied zur Bodenreformgesetzgebung in der Weimarer Zeit und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist in der besatzungspolitischen Motivation der zweiten Bodenreform zu suchen. Wie gesagt hatten sich die westlichen Siegermächte auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März bis 24. April 1947 zur Durchführung einer Bodenreform gegenseitig verpflichtet. Obwohl sich die westlichen Alliierten verbal deutlich von den 1945 in der Sowjetzone er25
Frey, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, 36; Huber, Ernst Rudolf,Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. 2,1954,42. 26 Mangoldt, H. v., Kriegsdokumente, Hamburg 1946,11 f. 27 Kimball, Warren F., Sword or plonghshares? The Morgenthau plan for defeated Nazi Germany, Philadelphia 1946; Keppler, Kurt, Tod über Deutschland. Der Morgenthau Plan, Tübingen 1971; Blum, John Morton, Deutschland ein Ackerland, Düsseldorf 1968. 28 Vgl. umfassende Nachweise zu den Beschleunigungsgesetzen in den westlichen Zonen bei Frey y a.a.O., 37, Fn. 83.
II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
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folgten Bodenreformkonfiskationen absetzten, wird durch den Außenministerbeschluß von 1947 die gemeinsame alliierte Stoßrichtung der Maßnahmen insgesamt sichtbar. Hinzu kommt, daß die englische Labourregierung Attlee in England geplante und teilweise durchgeführte Sozialisierungskonzepte auch in ihrer Besatzungszone in Deutschland durchführen wollte.29 Wie entscheidend diese dargestellten Motive für die zweite Bodenreform in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg waren, ergibt sich aus der weiteren Geschichte. Mit den sich bald verschärfenden Spannungen zur östlichen Besatzungsmacht und 1949 der Abwahl der sozialisierungsfreudigen Regierung Attlee in England erlahmte der Schwung jeder Bodenreform im westlichen Deutschland endgültig. Zunehmend wurden die Landwirte mit großen Gütern auch nicht mehr als Gefahr für die alliierte Sicherheit angesehen. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Vorschriften der zweiten Bodenreform in den westlichen Besatzungszonen dennoch ihre Gültigkeit nicht verloren haben. 4. Die Genese der Bodenreformnormen Die Entstehung und Verwendung des Begriffs der Bodenreform in Deutschland soll klären, was 1945 gemeint war und worüber in Sachsen abgestimmt wurde. Erkenntnisse darüber kann man aus den Beratungen der deutschen Nationalversammlung von 1990/20 zum "Bodenreform"-Artikel 155 der Reichsverfassung und den ihn umsetzenden Reichssiedlungsgesetz, die breiteste Zustimmung über fast alle Parteien hinweg erreichten, gewinnen. Zunächst wurde das Verhältnis von Großgrundbesitz und Kleinlandwirten geklärt. Allgemein erschien die Schaffung von Bauerngütern mittlerer Größe zunächst als volkswirtschaftlich erstrebenswertestes Ziel. Anerkannt war, daß im Osten Deutschlands die Siedlung eine größere, im Westen eine kleinere sein würde. Die Tendenz, Kleinbauernstellen zu schaffen, ist aber deutlich sichtbar. So führte der Abgeordnete Schmidthals der Deutschen 29
30
Hartwich,
H. H., a.a.O., 71 f., 76 ff., 91; Frey, a.a.O., 41, Fn. 96.
Vgl. BVerfGE 1, 141, wonach die Bodenreformvorschriften nach Art. 125 GG i.V.m. Art. 74 Nr. 18 GG zu Bundesrecht geworden sind. ΑΛ. Frey, a.a.O., 42; insgesamt zu dem Zurückgehen des Bondereformimpetus Hartwich, Hans Hermann, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970, 91.
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Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Demokratischen Partei (DDP) aus: HWenn wir uns nun weiter mit Frage beschäftigen, ob der Groß- oder der Kleinbetrieb wichtiger ist, so kommen doch noch die anderen Gesichtspunkte mit in Betracht. Es ist etwas ganz anderes, einen Menschen als eigenen Kleinbesitzer hinzustellen, als ihn als bezahlten Arbeiter zu haben. Mit dem Eigentum kommt der Begriff der Freiheit für das Herz des Menschen. Mit dem Begriff der Freiheit zieht auch das Verantwortlichkeitsgefühl in ganz anderem Maße in das Herz des Menschen ein. Wenn er da nun so jahraus, jahrein an derselben Scholle schaffen kann, wenn er langsam sieht, wie die schwere Arbeit, die er hineinsteckt, ihre Früchte trägt, wie alles besser wird, wie der Acker mehr gibt, wie das Getreide verbessert wird, wie das Vieh in schöner Zucht gehalten wird, - dann geht in die Seele dieses Menschen die schönste Freude des Lebens ein: die Freude am Schaffen. Und wenn diese Freude am Schaffen recht gefühlt wird, bekommt er auch eine Arbeitslust und Arbeitsfreude, die wir leider in großen Teilen unseres Volkes nicht haben. Das ist der ungeheure Vorteil, der in diesem Kleinbesitz, wie wir ihn schaffen wollen, liegt. Ahnlich auch der Abgeordnete Löbe von den Sozialdemokraten: "Als einen besonderen Vorteil des Gesetzes gegenüber der früheren Verordnung sehen wir die Tatsache an, daß sich das Gesetz nicht auf die Schaffung neuer Siedlungen beschränkt, sondern ausdrücklich auf die Vergrößerung kleiner Stellen und Güter für alle diejenigen Familien ins Auge faßt, denen ihr bisheriger ländlicher Besitz nicht genügend Nahrung gewähren konnte. Andere Fälle sind solche, denen der Großgrundbesitz im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Menge kleiner Bauernstellen aufgekauft hat, und wo sich gerade jetzt nach dem Krieg das Bedürfnis des Rückkaufs ein. . . . . . . stellt". Vor zuviel Euphorie hinsichtlich der Kleinbetriebe warnt allein Dr . Rösicke von den Deutschnationalen (DNVP): "Nun gibt es ja manche Schwärmer, die sich denken, daß es richtig wäre, wenn man unser ganzes deutsches Land, wirtschaftliches Besitztum vom Bodensee bis zur Memel ein Teil des Memellandes gehört ja auch nicht mehr zu Deutschland - so einrichtet, daß Kleinbesitz sich auf Kleinbesitz reiht und nichts anderes dazwischen liegt. Ich halte diese Auffassung für Deutschland für ein Unglück und für undurchführbar: denn wenn ich auch dem Lob, welches mein Kollege Schmidthals dem Kleinbesitz ausgesprochen hat, in vollem Maße zu31 32
Am 1. Juli 1919, Zitat nach Heilfron, Bei Heilfron, a.a.O., 504.
Die deutsche Nationalversammlung, 502.
II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
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stimme, so muß ich ihm entgegenhalten, daß ein Deutschland, das nur aus Kleinbesitz besteht, nicht die Ziele erreichen könnte, die wir in Deutschland erreichen müssen. Wir brauchen einen gemischten Besitz schon deshalb, weil die Bedingungen in den einzelnen Teilen Deutschlands für die Erzeugung ganz verschieden sind, ich brauche diese Bedingungen nicht auszuführen; sie sind bekannt. Nur in einer gesunden Mischung können wir die Förderung der Technik, der Wissenschaft, der Theorie so erreichen, wie wir sie brauchen. Wenn gewiß unter den kleinen Besitzern viele sind, die mit vollem Verständnis und praktischem Auge die Züchtigungen durchführen können, die wir brauchen, um vorwärts zu kommen - sei es auf dem Gebiete des Viehes, des Getreides oder der Früchte, so können wir doch nicht die Mitarbeit und die bahnbrechende Arbeit des Großbetriebes entbehren, können wir auch nicht entbehren, den Großbesitz, der versuchsweise unter Anwendung großer Kapitalien für die Erreichung des Notwendigen, was sonst schlummern würde, so manches erreicht hat." Aber auch er schließt sich dem allgemeinen Konsens an: "Ich bin mit meinen politischen Freunden dafür, daß der mittlere und kleinere Besitz vermehrt wird, daß neue Ansiedler geschaffen werden. Ich schätze die Bedeutung des mittleren und kleineren Betriebes gewaltig hoch ein; aber ich bin vollkommen der Zustimmung des kleinen und mittleren Besitzers sicher, wenn ich ausspreche, daß auch er eine zweckentsprechende Besitzmischung in Deutschland haben will, wie sie sich historisch ergeben und tatsächlich auch steht bewährt hat."33 Bei der Umsetzung dieser Tendenz zum Kleinbetrieb im Reichssiedlungsgesetz taucht zum ersten Mal die Grenze von 100 ha für große Güter auf, die uns in der "Demokratischen Bodenreform" von 1945 noch soviel beschäftigen soll. In § 15 RSG wird da, wo ein dringendes, auf andere Weise nicht zu befriedigendes Bedürfnis nach besiedlungsfähigen Land besteht, eine Enteignungsrecht gegenüber den nach § 12 RSG definierten Großgütern eingeräumt. Hier finden wir die Legaldefinition für große Güter. § 12 RSG lautet: In den Ansiedlungsbezirken, deren landwirtschaftliche Nutzfläche nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung von 1907 zu mehr als 10 % auf die Güter von 100 und mehr Hektar landwirtschaftlilcher Nutzfläche (große Güter) entfällt, sind die Eigentümer dieser großen Güter zu Landlieferungsverbänden zusammenzuschließen; die Land33
Bei Heilfron,
a.a.O., 505 ff.
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Α. Die "Demokratische Bodenreform" lieferungsverbände sind rechtsfähig. Die landwirtschaftliche Nutzfläche der Staatsdomäne wird nur für die Ermittlung des Hundertsatzes mitgezählt. Die näheren Bestimmungen erlassen die Bundesstaaten. Die Landeszentralbehörden können die Aufgaben der Landlieferungsverbände auch auf anderer Stellen, insbesondere auch auf gemeinnützigen Siedlungsgesellschaften oder auf landwirtschaftlicher Organisationen übertragen. Das hat namentlich dann, und zwar auf Kosten des Landlieferungsverbandes zu geschehen, wenn dieser in der Erfüllung seiner Lieferung$pflicht säumig ist.
Hier zeigt sich einerseits deutlich die besondere Verpflichtung der großen Güter für den sozialen Zweck der Kleinsiedlung. Andererseits aber ist auch hier ihre primäre Selbstverantwortlichkeit in der Gestaltung des zur Verfügungstellens von Land garantiert. Die besondere Enteignungsbefugnis gegenüber großen Gütern nach § 15 RSG ist gemäß § 16 RSG nach einer bestimmten Prioritätenfolge vorzunehmen. Hier ist in der Geschichte des modernen deutschen Enteignungsrechts, soweit ersichtlich, mit Ausnahme gewisser, teilweise später revidierter Fürstenenteignungen, zum ersten Mal eine Differenzierung nach "gesellschaftlich mißbilligtem" Eigentum der Betroffenen vorgenommen worden. § 16 RSG lautet: Von den besiedlungsfähigen großen Gütern sollen die Landlieferungsverbände, namentlich auch mit Hilfe der Enteignung, in erster Linie erwerben: Güter, die während des Krieges von Personen erworben sind, welche die Landwirtschaft nicht im Hauptberufe betreiben oder betrieben haben; Güter, die im Laufe der letzten 20 Jahre durch entgeltliches Rechtsgeschäft mehrfach den Besitzer gewechselt haben; Güter, die besonders schlecht bewirtschaftet werden; Güter, deren Besitzer sich während des größeren Teiles des Jahres nicht auf der Begüterung aufhalten und sie nicht selbst bewirtschaften, sofern nicht berechtigte Gründe für die Abwesenheit des Besitzers oder dafür vorliegen, daß er die Bewirtschaftung selbst ausführt; Güter, die zu Besitzungen von ungewöhnlich großem Umfang gehören, auch sollen die Landlieferungsverbände vorzugsweise solche Teile der großen Güter, und zwar in sachgemäßer Abgrenzung und mit den dazu gehörigen Gebäuden, erwerben, die früher selbständige Bauerngüter oder Landstellen waren und in den letzten 30 Jahren vor dem Inkrafttreten des Gesetzes von Eigentümern der großen Güter aufgekauft worden sind. Von dem Erwerbe solcher Güter, die in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht vorbildlich wirken oder für die Entwicklung der Landwirtschaft von hervorragender Bedeutung sind, soll möglichst abgesehen werden.
Allein der Abgeordnete Wurm von den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) spricht sich in einer für die spätere "Demokratische Bodenreform" 1945 sehr aufschlußreiche Weise gegen das Konzept der Bodenreform und des Reichssiedlungsgesetzes aus: "Im Gegensatz zu den Herren Vorrednern wird meine Fraktion nicht für dieses Gesetz stimmen, weil sie der Überzeugung ist, daß dieses Gesetz nicht praktische Arbeit leistet, sondern trügerische Hoffnung erweckt, die absolut nicht erfüllt werden können. ... Nun ist darauf hingewiesen worden, daß es im Interesse der Allgemeinheit läge,
II. Der Begriff der Bodenreform bis 1945
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wenn wir die Zahl der Bauern, die Zahl der Ansiedlungen vermehren, weil Deutschland sich selbst ernähren und infolgedessen die landwirtschaftliche Produktion gesteigert werden müsse. Ja, ist denn durch Kleinbesitz die landwirtschaftliche Produktion zu steigern? Gewiß ist der Kleinbesitzer durch Überarbeit der Familie, durch die größere Sorgfalt und Liebe, die der einzelne nicht nur im Erwerbssinne, sondern aus Interesse für die Sache auf seine Arbeit verwendet, verhältnismäßig in einer günstigeren Lage als der Großbesitzer, der mitunter infolge der nicht freundlichen Behandlung und der größeren Lebensanforderungen weniger sympathisch ihrer Arbeit gegenüberstehende fremde Landarbeiter verwenden muß. Aber Tatsache ist doch, daß der Großbetrieb leistungsfähiger ist als der Kleinbetrieb. Wollen wir Deutschlands Ernährung vergrößern, wollen wir wirklich die Produktion steigern, dann müssen wir das tun, wozu die Zeit drängt, wozu unsere wirtschaftliche und technische Entwicklung reif ist, daß wir nämlich anstelle der kleinen Betriebe Großbetriebe schaffen, die auf sozialistischer Grundlage betrieben werden, d.h., daß wir die Landwirtschaft sozialisieren. Dann werden wir auch Landarbeiter haben, die ein Interesse an der Arbeit bekommen. Dann werden diese wissen, wofür sie arbeiten. Der Herr Abgeordnete Dr. Rösicke sagte, wenn ich ihn recht verstanden habe: Die Hauptsache ist, daß man die Leute zufrieden macht, denn das ist jetzt das Wichtigste. D.h.: Dieser Gesetzesentwurf soll gewisse Unzufriedenheiten im bäuerlichen, landwirtschaftlichen Kreisen besänftigen. Man will ihnen die Hoffnung geben: Seht Ihr, es wird schon besser gehen, Ihr werdet Euch Land erwerben können, der Staat greift ein, er hat ein Schutzgesetz für Euch erlassen, man glaubt, dann werden die Leute jetzt zufrieden sein; um das Später scheint man sich wenig zu kümmern. Uns kümmert aber das Später. Deswegen meinen wir, daß man keineswegs zustimmen darf, daß ein solches Gesetz erlassen wird. Die Teuerung, die der Kleinbetrieb bei der Produktion dadurch hervorruft, daß er von der Scholle weniger erzielt als der Großbetrieb ist doch unbestreitbar.... Gerade das ist der Grund, warum meine Freunde und ich dieses Gesetz nicht befürworten können, weil wir eben der Meinung sind, daß eine Gesundung unserer landwirtschaftlichen Verhältnisse nur dadurch geschaffen werden kann, daß anstelle des Privatbetriebes der gemeinwirtschaftliche Betrieb tritt. Das allein ist die Lösung der wir entgegen gehen müssen, nicht aber, daß wir die großen Güter aufteilen, zersplittern, sondern daß wir die Kleinen genossenschaftlich vereinigen, damit sie alle
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Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Nutzen der Großproduktion für sich haben und daß wir die Großen in Gemeinschaft übernehmen."34 Diese Ideen verwirklichten sich in der "Demokratischen Bodenreform" von 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und späteren DDR. Schon die nahe Geistesverwandtschaft von USPD und den deutschen Politikern der Sowjetzone indiziert, daß es sich bei der Bodenreform 1945 nicht um eine Bodenreform im Sinne des von Damaschke geprägten Begriffs, wie er durch die in Art. 155 WRV ausfüllende Gesetzgebung Eingang die Rechtswirklichkeit gefunden hat, handelt. Zusammenfassung der Kleinbauern zu Genossenschaften und Sozialisierung der Großen und Kleinen soll nach der Vorstellung der USPD die größtmögliche Produktion und damit dem allgemeinen Wohl am meisten dienen. Von diesem Gedankengang her war sie die einzige Partei im Reichstag, die nicht der Bodenreformgesetzgebung zustimmte. Als ihre Geistesverwandten 1945 in der Sowjetzone eine "Demokratische Bodenreform" propagierten, sah das für den unbefangenen Beobachter damals wie ein Einlenken der Sozialisten auf den allgemeinen Konsens aus. Der Begriff "Bodenreform" hatte bis dahin eine Bedeutung, die ihn gerade von sozialistischem Sozialisierungs- und Kollektivierungskonzepten abgrenzte, wie sich aus der Diskussion in der Nationalversammlung ergibt. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß in Sachsen eine Volksabstimmung zugunsten einer "Bodenreform" Erfolg hatte, nicht zugunsten einer gemeinwirtschaftlichen Großproduktion. I I I . Das Bodenreformkonzept und die "Demokratische Bodenreform" 1945
Was die "Demokratische Bodenreform" 1945 von der Bodenreform in herkömmlicher Bedeutung im einzelnen unterschied, soll im folgenden dargelegt werden: Objekt der "Demokratischen Bodenreform" ist grundsätzlich der Betrieb mit über 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die besondere Pflichtigkeit dieser Kategorie großer Güter findet sich auch schon, wie ausgeführt, in §§ 15, 16, 12 RSG, der teilweisen Normierung von Damschkes Bodenreformideen. Sie wird auch von der Bodenreformgesetzgebung in den westli-
34
Bei Heilfron,
a.a.O., 516 f.
III. Das Bodenreformkonzept und die "Demokratische Bodenreform"
33
«
chen Besatzungszonen wieder aufgenommen. Trotz dieser Parallelität des Ausgangspunktes ist die Praxis der Demokratischen Bodenreform und der Bodenreform unterschiedlich. Erstere setzte die konsequente Entziehung besagter Großbetriebe unmittelbar durch, während andererseits sonst nur deren Verpflichtung, bei konkretem Siedlungsbedarf, aus dem 100 ha übersteigenden Teil der Betriebsfläche Land einzubringen, bestand. Die Begrenzung der Landabgabe auf 5, bei schlechtem Boden bis zu 10 ha bei der "Demokratischen Bodenreform" hat zwar seine historischen Vorbilder , ist aber von den bisherigen konkreten Umsetzungen der Bodenreformidee untypisch. Aber auch hier wird an historische Modelle von Bodenreformideen angeknüpft. Besonders verbindend ist die gemeinsame Benutzung des Begriffs der "Bodenreform". Er zieht eine Linie zwischen den unter ihm firmierenden Vorkommnissen. Er ruft auch die Notwendigkeit hervor, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen. Der Unterschied zwischen der Bodenreform, wie sie ursprünglich verstanden wurde und in den Gesetzen zu Art. 155 WRV Ausdruck gefunden hat und der sowjetzonalen Demokratischen Bodenreform ist auch von ihrem Zweck her zu sehen. Bodenreform bezweckt Beschaffung von Bau- und Siedlungsland, Bevölγη
kerungs-, Wanderungs- und Berufslenkung und ggf. Flurbereinigung. Diese konkreten Verwaltungszwecke sind nur mit dem Mittel der Güterbeschaffung zu erreichen. Diese Güterbeschaffung entspricht ihrem Gehalt nach, auch wenn z.T. besondere Normen eingreifen, einer klassischen Enteignung, deren Entschädigung jedenfalls aufgrund der besonderen Sozialbindung des Inanspruch genommenen Eigentums gering sein kann. Typisch bleibt die positive Ausrichtung zur Verwirklichung der Verwaltungszwecke. "Sozusagen mit dem Ausdruck des Bedauerns für den Betroffenen um des •
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Verwaltungsvorhabens willen" wird hier vorgegangen. 35 Nachweise zu den Verordnungen der Militärregierungen bei Frey, a.a.O., 35 (teilweise 150 ha). 36 Neuling, Willy, Die deutsche Agrarpolitik, Tübingen 1959,154. 37 Ridder, Enteignung und Sozialisierung, 140 ff. 38 So in dem für die im folgenden vorgenommene Abgrenzung wesentlichen Beitrag von Ridder, a.a.O., 140.
3 Biehler
34
Α. Die "Demokratische Bodenreform"
Die Prioritäten hinsichtlich der Auswahl der Betroffenen in § 16 RSG bei der ursprünglichen Bodenreformnormierung 1919 sind nach § 15 RSG streng subsidiär und ganz dem Verwaltungszweck der Begünstigung der Kleinsiedlung untergeordnet. Mit der Enteignung stellen die klassischen Bodenreformnormen ein Rechtsinstitut im Rahmen einer bestehenden Rechtsordnung dar. Revolutionäre Auflösung und Überwindung der Gesellschafts- und Eigentumsordnung ist der Bodenreform als solcher fremd. Sie bleibt system-immanent vorsichtige "Reform", nicht systemsprengende Revolution. Sie ist wesentlich auf die Verwirklichung ihrer Verwaltungszwecke gerichtet, eine Konzentration auf Beschädigung der Betroffenen scheidet aus, Vernichtung einer Klasse findet nicht statt. Wenn, wie dargelegt, die Bodenreformnormen in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands nach 1945 teilweise auch das Ziel verfolgen sollten, den Großgrundbesitz als angeblichen Träger nationalsozialistischer Ideen, oder als sozialpolitisches Programm (im Fall der englischen Regierung Attlee für die britische Besatzungszone), zu treffen, so sind dies dem Bodenreformgedanken fremde Motive, die unter seinem Begriff verfolgt wurden. Werden sie konstitutiv für bestimmte Maßnahmen gegenüber den betroffenen Grundeigentümern, was im Falle der westlichen Bodenreformen so nicht ersichtlich ist, kann insoweit nicht mehr von einer Bodenreform gesprochen werden. Für die Demokratische Bodenreform war die Entprivatisierung des Vermögens entscheidend; sie trug stark negative Züge. Der Großgrundbesitzer als solcher, häufig zu diesem Zweck als nationalsozialistisch diffamiert, sollte getroffen werden. Gerade der private Charakter des Großgrundbesitzes als solcher wurde für aktuell oder potentiell gefährlich und sozialschädlich ausgegeben. Im Mittelpunkt stand, negativ, die Aufhebung von Rechten. Andere Zwecke wie die Hebung des Lebensstandards breiter Schichten, Erhöhung der Rentabilität der Landwirtschaft usw. sind nur zweitrangig und in aller Regel auch nicht erreicht worden. Diese "Bodenreformzwecke" werden gegenüber dem negativen Zweck der Entziehung des Großgrundbesitzes nur mittelbar verfolgt. Das ergibt sich auch daraus, daß über 1 Mio ha, etwa ein Drittel des entzogenen landwirtschaftlichen Besitzes, nicht an Neusiedler verteilt wurde. Ebenso daraus, daß die Neusiedler das übrige Land nicht
III. Das Bodenreformkonzept und die "Demokratische Bodenreform"
35
zum vollen Eigentum erhielten, sondern unvererblich, unveräußerlich und unbelastbar. Forsthoff hat dieses sog. Eigentum als Pachtverhältnis sui generis definiert. Insgesamt sollte revolutionär die gesamte Eigentumsordnung verändert werden. Primär waren die Maßnahmen gegen den Betroffenen gerichtet. Der von der Sowjetunion und den von ihr eingesetzten Kräften in der Zone getragene Sozialrevolutionäre Impetus hat der Demokratischen Bodenreform eine grundsätzlich andere Gestalt als ihren Namensvettern gegeben. Dies hat der schon zitierte sozialistische Abgeordnete Wurm zur 1919 von der Nationalversammlung beschlossenen Bodenreformgesetzgebung ausgeführt 40: "Wir müssen anstelle der kleinen Betriebe große Betriebe beschaffen, die auf sozialistischer Grundlage betrieben werden, d.h., daß wir die Landwirtschaft sozialisieren. ... Eine Gesundung unserer landwirtschaftlichen Verhältnisse kann nur dadurch geschaffen werden, daß anstelle des Privatbetriebes der gemeinwirtschaftliche Betrieb tritt. Das allein ist die Lösung, der wir entgegengehen müssen, nicht aber, daß wir die großen Güter aufteilen und zersplittern, sondern daß wir die Kleinen genossenschaftlich vereinigen, damit sie alle Nutzen der Großproduktion für sich haben und daß wir die Großen in Gemeinschaft übernehmen." Dieses, im Gegensatz zu der Bodenreformgesetzgebung 1919 stehende Programm verwirklicht die "Demokratische Bodenreform" 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Nach dem hier gefundenen Verständnis vom Begriff der Bodenreform kann man damit schließen, daß die Demokratische Bodenreform keine Bodenreform war. Auch das hat Hans Peter Ipsen damit wohl mit gemeint: "Die Verfassung der deutschen demokratischen Republik hat ihre Normen im Jahre 1949 über einen Sozialbereich ausgebreitet, der seit 1945 den tiefgreifenden Umgestaltungen, insbesondere auch der Eigentumsordnung und zwar Umgestaltungen (sagen wir etwa) normfreier Art und Methode ausgesetzt gewesen ist, und hat diese Deformationen mit Segen und Sanktionen versehen. Jede künftige gesamtdeutsche Lösung wird unter der Last dieser Entscheidung stehen!"41
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Forsthoff; Ist die Bodenreform in der deutschen demokratischen Republik im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzuerkennen?, 17 ff. 40 Wurm, in: Heilfron, Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919/20,516. 41 Ipsen, Enteignung und Sozialisierung, 76.
Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil Entscheidend ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts 1, eine Rechtsposition der Betroffenen, in die durch die Regelungen anläßlich der Deutschen Einheit 1990 eingegriffen werden könnte, gäbe es gar nicht. Dies wird damit begründet, daß die Maßnahmen von 1945 bis 1949 gegen die Alteigentümer nach dem Recht der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands bzw. der DDR rechtmäßig, jedenfalls aber bestandskräftig gewesen seien, die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland nicht für diese Maßnahmen verantwortlich, das Grundgesetz damals noch nicht in Kraft getreten sei und keine Vermögenswerten, durchsetzbaren Rechtspositionen nach dem Recht der westlichen Besatzungszone bzw. der Bundesrepublik Deutschland verblieben seien.4 I. Rechtmäßigkeit der Konfiskationen von 1945 bis 1949 nach dem Recht der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR
Das Gericht legt dar, daß nach der damals konkreten Rechtsordnung nach Vollendung der Enteignungen keine Rechtspositionen der Alteigentümer mehr bestanden, da diese gerade entzogen werden sollten und die entsprechenden normativen Grundlagen sowohl der deutschen als auch der sowjetischen Staatsgewalt in der Besatzungszone und späteren DDR in vollem Umfang als rechtmäßig angesehen wurden. Die Tatsache, daß die damaligen Akteure den endgültigen Eigentumsausschluß durch Konfiszierung erreichen wollten, kann als solches wenig darüber aussagen, ob ihnen das nach 1 2 3 4
BVerfGE 84; 90,122. BVerfG, a.a.O. BVerfG, a.a.O. BVerfG, a.a.O., 123.
I. Rechtmäßigkeit nach dem Recht der Sowjetischen Besatzungszone
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heutigem Rechtsverständnis wirksam gelungen ist. Daß die Bodenreform schon von den damaligen Autoritäten als rechtmäßig angesehen wurde, erscheint offensichtlich. Trotzdem wird es schwierig sein, eine derart substantiierte Behauptung jener Zeit zu finden. Denn die Rechtmäßigkeit, also die Übereinstimmung mit allen auf den entsprechenden Sachverhalt anwendbaren Rechtsnormen, ist kein Kriterium damaliger Maßnahmen gewesen. Vielmehr sind sie bewußt als revolutionär politisch gewollt und auch durchgeführt worden. Die Exekutivbehörden hielten sich im großen Maßstab nicht an die selbst gesetzten Normen: Betriebe unter 100 ha, ohne sonstige qualifizierenden Umstände (z.B. Eigentum sog. Nazikriegsverbrecher) wurden Opfer, wie das Urteil dokumentiert.5 Den politischen Zielen waren die rechtlichen Gegebenheiten untergeordnet. Der Zweck heiligte die Mittel; so war auch in der sich entwickelnden Dogmatik der DDR selbst das Verfassungsrecht der Politik der Staatspartei untergeordnet.6 So wurde durch das Oberste Gericht der DDR, selbst bei offensichtlichen Verstößen gegen die Bodenreformverordnungen der Länder und Provinzen selbst, jede rechtliche Uberprüfung als unzulässig angesehen. Damit wurde gerade die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen im Einzelfall als auch generell nicht überprüft. Es liegt darin die Aussage, daß die Rechtmäßigkeit fraglich, aber nach den Umständen aus damaliger Sicht bedeutungslos sei. Dies entspricht auch dem damaligen revolutionären Staatsverständnis. Die Enteignungen nach normativen Grundlagen als auch Durchführung, sind also nicht in vollem Umfang von der Besatzungsmacht als auch der deutschen Staatsgewalt in den Provinzen und Ländern der sowjetisch besetzten Zone als rechtmäßig im engeren Sinne angesehen worden. Genauer trifft die vom Bundesverfassungsgericht nachgeschobene Aussage, die Maßnahmen seien "als bestandsο
kräftig behandelt" worden. Das charakterisiert Verfahren und Zweck der Bodenreform zutreffender als ihre Einordnung als damals rechtmäßig. Damit wird die tatsächliche Wirksamkeit behauptet. Die Beteiligten sollten ab5 BVerfG E 84, 98; wie weitgehend von der Regel, daß ausschließlich Güter mit einer Gesamtfläche von über 100 ha konfisziert werden sollten, abgewichen wurde, zeigt die Tabelle des Bundesministers der Justiz, nach der 4.278 private Güter unter 100 ha mit einer Gesamtfläche von 123.868 ha konfisziert wurden. Vgl. von Kruse, Weißbuch, 7. 6 Krüger, Rechtsnatur, 386 m.w.N. 7 OGE, 1.1; 1, 12; 1, 161; 2, 215; dazu Beierstedt, Die Bodenreform in der Ostzone, DRZ1946, 208 ff.; Forsthoff, Ist die Bodenreform im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzusehen? 19,21 f. 8 BVerfG, a.a.O., 122.
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
schließend an die tatsächlich erfolgte Regelung gebunden sein. Eine Aufhebung oder Änderung sollte unabhängig von der Rechtsmäßigkeit der Maßnahmen nicht mehr erfolgen. Bestandskraft ist keine Rechtskraft, da über die Rechtmäßigkeit im Einzelfall bewußt nicht entschieden, sondern allein die Wirksamkeit als solche ohne Überprüfung bestätigt wurde.9 Eine opinio iuris im Sinne umfassender Normadäquanz der Bodenreform liegt nicht vor. Das wird besonders daran deutlich, daß auch in Exzeßfällen die geschaffene Lage ohne Prüfung aufrecht erhalten wurde. Man könnte aber davon ausgehen, daß sich eine nicht im rechtstaatlichen Sinne revolutionäre "Rechtmäßigkeit" der Bodenreformmaßnahmen aufgrund der besonderen staatlichen und gesellschaftlichen Situation damals ergeben habe. Die für das Bestehen des Gemeinwesens notwendige Staatsgewalt war mit der Beseitigung der alten durch die Sowjetische Besatzungsmacht übernommen worden, die sich revolutionär verstand. Wenn auch die Tatsache der Usurpation der Gewalt (soweit sie rechtlich nicht begründet ist, wie z.B. hinsichtlich der weiter Teile der Bodenreform wegen Art. 46 HLKO; Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung bzw. den Bodenreformverordnungen oder Gesetzen selbst) nicht nachträglich aus sich heraus Legitimität zu erzeugen vermag, so kann die Tatsache der effektiven Ausübung von Gewalt die Legitimität dieser Gewalt in der Konstituierung des revolutionären Gemeinwohls begründen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Sowjetische Besatzungsmacht und die von ihr eingesetzten deutschen Stellen den vollen Besitz staatlicher Macht erlangt hatten und die staatliche Ordnung von ihnen abhing. Daran ändert die Tatsache nichts, daß diese Machtausübung teilweise, gerade bei der Bodenreform, anwendbaren Regeln nicht entsprach, denn dies liegt gerade im Wesen des revolutionären Kommunismus als eines auf gewaltsamen politischen Umsturz gerichteten Systems. Hinsichtlich des revolutionären Umsturzes nach 1933, hat der Bundesgerichtshof erkannt,10 daß hier formalrechtlich gültiges Recht aufgrund Machtbesitzes contra lege scripta gesetzt werden konnte. Wenn er auch anerkannte, daß dies nicht "Recht im wahren Sinne" sein muß, so ist 9
Zum Unterschied von Bestands- und Rechtskraft: Schenke; Wolf-Rüdiger, Probleme der Bestandskraft, in: DÖV 1983, 320, 321, auch BVerwGE 48, 271, 275 ff.; vgl. die oben zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR, auch OVG Jena vom 24.8.1948, sehr deutlich hinsichtlich des Verhältnisses zur Besatzungsmacht und der tatsächlichen Möglichkeit einer Überprüfung, in: IPRspr. 1945 bis 1949, Nr. 118. 10 BGHZ5, 97.
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II. Geltung des Grundgesetzes
hinzuzufügen, daß sich bei der Staatsgewalt in der Sowjetischen Besatzungszone um eine innerhalb des Besatzungsrechts bzw. des rechtlich fortbestehenden gesamten Deutschlands handelte, also für derartige revolutionäre Legitimität von Recht schon aufgrund übergeordneten, einheitlichen Rechts kein Raum war. Zwar gab es in den 60er und 70er Jahren Sezessionstendenzen der damaligen DDR hinsichtlich dieser übergeordneten Ordnung, die bei endgültigem Erfolg dann revolutionäre Rechtsbegründungen zugelassen hätten. Der von der Sowjetunion11 und der D D R 1 2 selbst bestätigte der Fortbestand der übergeordneten Rechtsordnungen läßt eine derartige intertemporale lokalrevolutionäre Legitimität von übergeordnetem Recht widersprechender Machtausübung nicht zu. Insgesamt ist auch nach der 1^
opinio iuris der Länder der Sowjetischen Besatzungszone die Einzelfallrechtmäßigkeit als solche nicht überprüfbar. Allein die Effektivität der Maßnahmen außerhalb ihrer Rechtmäßigkeit im rechtstaatlichen Sinne ist hier gegeben. Damit ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, die Maßnahmen seien damals als rechtmäßig angesehen worden, nicht zutreffend, wenn man nach unserem Verständnis damit Normadäquanz, aber nicht Effektivität und Bestandskraft meint. II. Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland und Geltung des Grundgesetzes hinsichtlich der Bodenreformmaßnahmen
Die Tatsache, daß das Grundgesetz in Deutschland erst am 25. Mai 1949 bzw. am 3. Oktober 1991 in Kraft trat, bedeutet, daß Ereignisse vor diesem Zeitpunkt nicht am Grundgesetz zu messen sind. Das schließt nicht aus, daß vor diesem Zeitpunkt gelegene Sachverhalte zum Gegenstand einer besonderen Regelung gemacht werden können, z.B. über Art. 123 GG. Darüber hinaus gibt es Pflichten hinsichtlich von Sachverhalten der Vergangenheit, die sich nach geläutertem Rechtsverständnis aus der gesamten staatlichen Verfassung ergeben, wie z.B. die Wiedergutmachung hinsichtlich nationalVerteidigungsminister Jasow in der FAZ vom 16. Juli 1990, 1, erklärte, daß sich Deutschland als solches rechtlich gesehen noch im Kriegszustand mit der Sowjetunion befinde, womit er auf die damals noch fortbestehenden kriegsrechtlichen Besatzungsbefugnisse Bezug nimmt. 12 Durch Beitritt gem. Art. 23 GG a.F. als Teil Deutschlands. 13 Z.B. OVG Jena, a.a.O., als auch dezidiert die Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR.
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
sozialistischen Unrechts. Daß das Grundgesetz zeitlich und örtlich für die in Frage stehenden Maßnahmen unanwendbar ist, ist materiell für die Frage, ob den Alteigentümern noch eine Rechtsposition nach den Maßnahmen von 1945 bis 1949 zustand, ohne Bedeutung. Es gelten die zeitlich und räumlich anwendbaren Normen. Ob den Betroffenen nach den Konfiskationen von 1945 aus heutiger Sicht noch eine Rechtsposition geblieben ist, hat mit der Tatsache, daß das Grundgesetz und die durch dies erst konstituierte öffentliche Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, zur Zeit der Maßnahmen der Bodenreform noch nicht bestand, nichts zutun. Dagegen ist verfahrensmäßig, auch hinsichtlich der Wirkung und des Umfangs der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dieser Umstand von Bedeutung: Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten verletzt sind, §§ 13, Nr. 8a, 90 Abs. 1 BVerfGG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG 1 4 . Damit sind nur die Grundrechte des Grundgesetzes gemeint.15 Ausdrücklich werden nicht alle subjektiven Berechtigungen geprüft, sondern allein die subjektiven Grundrechte des Beschwerdeführers. Dabei ist die in der Regel notwendige, da grundrechtsrelevante, verfassungsgerichtliche Kontrolle des Verhaltens der öffentlichen Gewalt von großer Bedeutung.16 Daneben zu Inzidentfragen entwickelte Rechtsansichten, die das Gericht zur Abweisung eines Antrags be.
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stimmt haben, erwachsen nicht in Rechtskraft bzw. Bindungswirkung. Mit dem Hinweis, die Maßnahmen der Bodenreform könnten nicht am Grundgesetz gemessen werden, macht das Gericht darauf aufmerksam, daß es den Streitgegenstand selbst grundsätzlich nur am Grundgesetz, genauer nur an den Grundrechten mißt. Dieser begrenzte Prüfungsumfang des Sachverhalts im Rahmen der Individualverfassungsbeschwerde wird deutlich gemacht. Materiell ist hinsichtlich der fortbestehenden subjektiven Berechtigungen der Antragsteller nach der Bodenreform dadurch noch kein Ergebnis gefunden, daß das Grundgesetz auf Sachverhalte vor 1949 bzw. 1990 nicht anwendbar ist. Dies prüft im Einzelfall das jeweils zuständige Gericht. 14 Geiger; Willi, Überlegungen zum Institut der Verfassungsbeschwerde, in EuGRZ 1988, 481-87. 15 Maunz/Schmitt-Bleibtreu/KIein/Ulsamer, BVerfGG zu Art. 90, Rdnr. 15 m.w.N. 16 Maunz/Schmitt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O., Rdnr. 17. 17 BVerfGE 78, 320, 328; allgemein zusammenfassend Biehler, Zur Bindungswirkung von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, DVB1.1991,1236 ff.
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III. Rechtslage im westlichen Deutschland
I I I . Rechtslage im westlichen Deutschland nach 1945
Auch nach der Rechtslage, die in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und in der späteren Bundesrepublik nach 1945 bestand, seien den Betroffenen ebenfalls keine Vermögenswerten, durchsetzbaren Rechts1 fi
positonen verblieben. Es handele sich um Enteignungen bzw. entschädigungslose Konfiskationeneines fremden Staates, die im Rahmen seiner Macht erfolgten und nach deutschem internationalem Enteignungsrecht grundsätzlich als wirksam angesehen würden. Sie entfalteten die im Hoheitsgebiet eines fremden Staates Wirkung und erfaßten alles Vermögen, das im Zeitpunkt der Enteignungen der Gebietshoheit des betreffenden Staates unterlag. Die Hinnahme fremder Enteignungen werde insoweit nur durch den Vorbehalt zugunsten des ordre public (Art. 30 EGBGB a.F. i.Vbdg.m. Art. 220 Abs. 1 EGBGB n.F.; Art. 6 EGBGB n.F.) eingeschränkt, der hier aber nicht eingreife, da insoweit kein hinreichender Inlands- und Gegenwartsbezug bestehe. Dies dictum wirft zunächst die Frage auf, inwieweit es sich bei den Maßnahmen von 1945 um "fremdstaatliche" gehandelt hatte, ob das innerdeutsche Kollisionsrecht nach der Wiedervereinigung diese noch "intertemporal" bei deren materieller Rechtswidrigkeit wirksam werden lassen kann und ob tatsächlich die für die Anwendung des ordre public nötige Inlands- und Gegenwartsbeziehung fehlt. 7. Fremdstaatliche
Maßnahmen
Daß die DDR für die Bundesrepublik Deutschland, zunächst auch nach eigenem Verständnis19, Teil des fortbestehenden deutschen Staates war, ist ΛΛ
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für die Bundesrepublik Deutschland bindende Rechtsauffassung. Sie ist von der DDR durch den Beitritt nach Art. 23 GG a.F. als "anderer Teil Deutschlands" in eindrucksvoller Weise bestätigt worden. Die Sowjetunion hat als frühere Besatzungsmacht dieser Auffassung ebenso Ausdruck ver18
BVerfGE 84,123. Vgl. Art. 1 Verfassung der DDR vom 7. Okt. 1949: "Deutschland ist eine unteilbare Republik". 20 BVerfGE 36,1,15 ff., vgl. den Tenor: "... in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung ..."; auch BVerfGE 77,137 ff., 154 f. 19
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil Λ-Ι
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liehen. Das gilt auch für die Maßnahmen im Sommer 1945, was sich daraus ergibt, daß einerseits die noch intakte staatliche Verwaltung durch den alliierten Kontrollrat die Funktionen des Gesamtstaates Deutschland wahrΛΛ
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nahm und andererseits die mit den Ländern und Provinzen des Deutschen Reiches identischen Ländern und Provinzen in der Sowjetischen Besätzungszone Deutschlands sich selbst als rechtlich untergeordneter Teil Gesamtdeutschlands ansahen.24 Von diesem staats- und völkerrechtlichen Status ist der Inlandsbegriff einzelner Rechtsgebiete zu unterscheiden, der sich funktionell an den Bedürfnissen der speziellen Regelungsmaterien orientiert und keine über sie hinausgehende Bedeutung beansprucht. Dieser, vom allgemeinen staatsrechtlichen Deutschlandsbegriff unterschiedene funktionelle Inlandsbegriff hat sich durch die bis 1989 sich vertiefende Teilung Deutschlands entwickelt. Allmählich hat der Gesetzgeber die Auslegung der entsprechenden Inlandsbegriffe der Rechtssprechung überlassen, so daß sich jene in den letzten Jahren vor der Wiedervereinigung entsprechend entfalten konnten. Hier kommt es darauf an, ob die Konfiskationen 1945 in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone für andere Teile Deutschlands funktional "fremdstaatliche" und als solche grundsätzlich aufgrund des Territorialitätsprinzips anzuerkennen waren. Im Verhältnis von Bundesrepublik und DDR hat sich die entsprechende Anwendung der Regeln des internationalen Privat- bzw. Verwaltungsrechts 21 2 2 Vgl.
die Äußerung des Verteidigungsministers Jasow in FAZ vom 16.6.1990,1. Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juli 1945, in: Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, 15 ff. bezüglich der in dieser Erklärung präzise enumerierten verfassungsmäßigen Zuständigkeiten der deutschen Staatsorgane, z.B. der Reichsregierung usw. 23
Abendroth, Die Haftung des Reiches, Preußens und der Mark Brandenburg, Neue Justiz, 1947, 73, 78; Loening, Rechtsgutachten über die Frage, ob das jetzige Land Thüringen Rechtsnachfolger des früheren Landes Thüringen und des Reiches ist, DRZ1946,129; vgl. für die 2Westzonen z.B. Landgericht Hamburg in MDR 1947, 38. 4 Z.B. Art. 41 der Verfassung von Thüringen vom 20.12.1946; Art. 59 Abs. 2 der Verfassung der Provinz Sachsen-Anhalt vom 10.1.1947 (heute Sachsen-Anhalt): "Gesamtdeutsches Recht bricht Landesrecht", ähnlich Art. 95 Abs. 2 Verfassung Land Sachsen vom 28.2.1947; Art. 1 Abs. 1 Verfassung Brandenburgs vom 6.2.1947, Art. 1 Verfassung Land Mecklenburg vom 16.1.1947. Letztere nehmen durch den Vorrang der Gesetze der "deutschen demokratischen Republik", die DDR wurde erst zweieinhalb Jahre später gegründet, auf den gesamtdeutschen Staat Bezug, vgl. auch Art. 1 der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949. Nachweise in Verfassungen der DDR, Textsammlung, Baden-Baden, 1990. 25 Z.B. für das Strafrecht vgl. BGHSt 5, 364; 7, 55; 30, 1; Schönke/Schröder, StGB Vorbemerkung zu §§ 3-7, Rdnr. 27 ff. m.w.N.; BT-Dis. V^095,4.
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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als innerdeutsches Kollisionsrecht durchgesetzt. "Fremdstaatlich" bedeutet in diesem Zusammenhang funktional außerhalb des Geltungsbereiches der jeweils anzuwendenden Normen belegen. Die Frage des Eigentumsverlustes im Sommer 1945 ist nach dem damals örtlich anzuwendenden Recht zu beurteilen. Ob sie fremdstaatlich ist, könnte wegen der gesamtdeutsch weitergeltenden Normen fraglich sein. Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) verbietet die entschädigungslose Enteignung bzw. Konfiskation durch die Länder, indem sie diese den gesamtstaatlichen Organen vorbehält. Diese Enteignungsgrundsätze müssen jedenfalls bis zum Inkrafttreten der beiden deutschen Verfassungen 1949 als den Ländern übergeordnetes gemeinsam geltendes Recht betrachtet werden.27 Hier ist jedoch sorgfältig zwischen der materiell-rechtlichen Anwendung der Norm auf die Maßnahmen von 1945, also der Rechtmäßigkeitsfrage und deren Anerkennung im Rahmen der Kollisionsregeln als fremdstaatliche zu unterscheiden. Hier geht es um die letzte Frage. Damit kommt es hier nicht darauf an, ob die Konfiskationen gegen Art. 153 WRV verstoßen und deshalb rechtswidrig sind, sondern allein, ob wegen der damals gesamtdeutsch geltenden Norm die kollisonsrechtliche Fremdstaatlichkeit der Maßnahme und damit die Anwendung des Kollisonsrechts ausgeschlossen war. Davon ist dann auszugehen, wenn die Norm den Sachverhalt der Konfiskation abschließend regelt. Für die Nachkriesgzeit bedurfte es jedoch trotz der grundsätzlich gesamtdeutschen Geltung des Art. 153 WRV der Anwendung des Kollisionsrechts: einheitlicher Rechtsdurchsetzung der gesamtdeutschen Norm standen die auf die Besatzungsmacht gestützte und deshalb teils schon am Ort für unüberprüfbar gehaltenen Zwangsmaßnahmen der Länder entgegen. Allein an diese ausschließliche Zwangsgewalt schließt das Kollisionsrecht mit dem Territorialitätsprinzip an. Deshalb handelt es sich für die Westzonen 1945 kollisonsrechtlich um eine "fremdstaatliche" Maßnahme, ohne daß damit materiell-rechtlich die Anwendung des Art. 153 WRV präjudiziert wäre. Dafür reichte es aus, daß Rechtsverschiedenheit in Deutschland be26 Heldrichy in: Palandt, BGB, 50. Aufl. Anhang II zu Art. 38 EGBGB, Rdnr. 14 m.w.N.; BGHZ 40, 32, 34 f.; 85,16, 22; ROW 1988,123 f. 27 BGHZ 6, 270, 274; BVerfGE 2, 237, 248 ff., mit der noch zu erörternden Differenzierung hinsichtlich der Verfassungskraft des Artikels; dazu schon jetzt Städter, Deutschlands Rechtslage, 262, Nachweise bei Ficker; Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts, 84. 28 BGHZ 5,143. 29 Thüringisches OVG Jena vom 24.8.1958, IPRspr. 1945-1949, 200 ff.
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Β. Restitutionsausschi uß nach dem Bodenreform urteil
steht. Auch die unterschiedliche Nichtanwendung oder Auslegung derselben Normen reicht dafür aus. Kollisionsfragen entstehen schon dann, wenn . . . . . . die gesicherte Zwangsgewalt eines Gebietes die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung hindert, selbst wenn de lege lata scripta dieselbe übergeordnete Norm anwendbar ist. Im Ergebnis besteht hinsichtlich des natürlichen Sachverhalts keine die "Fremdstaatlichkeit" ausschließende Normidentität durch Art. 153 WRV. • . \y « 1945 bestand vielmehr aus Sicht der anderen Länder , jedenfalls der der Westzonen, Anlaß, jene Konfiskationen im Sinne des interzonalen Verwaltungsrechts als fremdstaatlich anzusehen. Damit ist die Wirkung der Konfiskationen, begrenzt auf das Gebiet der legeferierenden Körperschaft, nach dem Territorialitätsprinzip anzuerkennen. Diese begrenzte Hinnahme fremder Maßnahmen wird nur durch das den Vorbehalt des ordre public eingeschränkt, der dann eingreift, soweit eine genügende Gegenwarts- und Inlandsbeziehung im Einzelfall besteht. Bevor auf die Anwendbarkeit des ordre public-Vorbehalts in den entsprechenden Fällen eingegangen wird, sei auf die Bedeutung des gefundenen Ergebnisses hingewiesen. Die so bestimmte Fremdstaatlichkeit der Konfiskationsmaßnahmen der Länder und Provinzen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 eröffnet die Anwendung des interlokalen Verwaltungsrechts aus der damaligen Sicht der Länder der Westzonen Deutschlands, das sich an den Regeln des internationalen Privatrechts bzw. des internationalen Enteignungsrechts orientiert. Inhalt ist die Verweisung auf das Recht des Ortes, nach welchem die Enteignungen gemäß dem Kollisionsrecht der Westzonen bzw. der anderen Länder zu beurteilen sind. Tatsächlich wird aber nicht auf das umfassend zu würdigende Recht des Ortes verwiesen, sondern auf die Rechtswirkung, genauer die Effektivität der Maßnahmen am Ort, die als solche nach der Kollisionsregel hingenommen wird. Rechtswirksamkeit nach dem Recht des Ortes (lex rei sitae) wird 30
Vgl. BGH vom 20.11.1942 in LM Nr. 7 zu Art. 7 EGBGB a.F. Zur Rechtswirksamkeit illegaler effektiver Herrschaft in Deutschland, BGHZ 5, 96. 32 Nach Ficker, 82, würde z.B. der in Thüringen gelegene Teil eines in Sachsen enteigneten Landgutes von der Enteignung grundsätzlich nicht erfaßt, m.w.N. der uneinheitlichen Rechtsprechung. 33 BGH, NJW 1988, 21, 73 f., Ambrosch/Keppeler, Die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen, 25 ff. m.w.N.; a Λ. Arndt, in: Erman, Art. 30 EGBGB, Rdnr. 9, der diese Erfordernisse für das internationale Verwaltungsrecht allgemein ablehnt. 31
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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materiell durch die Anwendung der Kollisionsregel weder impliziert noch vorausgesetzt. Allein die effektive Regelungwirkung am Ort wird Gegenstand der Anerkennung. Dies wird in den Ausführung des Bundesverfassungsgerichts durch einen Hinweis indiziert. Zunächst soll lt. Obersatz bewiesen werden, daß keine Rechtsposition der Betroffenen mehr bestände, in die der Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag noch hätte eingreifen können.34 Dagegen wird dann abschließend nur noch festgestellt, daß damals den Betroffenen "keine Vermögenswerten, durchsetzbaren Rechtspositionen verblieben" seien. Hier wird auf die aus damaliger Sicht mangelnde Durchsetzbarkeit der Rechtsansprüche Bezug genommen. Der kollisionsrechtliche prozessuale Mangel an Durchsetzbarkeit steht hier der materiellen Rechtsposition unterschieden gegenüber. Ob dieses Ergebnis der hier vorgenommenen Anwendung des interzonalen Privatrechts bzw. Verwaltungsrechts entspricht, soll anhand der einschlägigen Rechtsprechung näher erläutert werden. a) Gültigkeit des Territorialitätsprinzips nach der Wiedervereinigung Gerade in den Gründen des Bodenreformurteils wie auch in einzelnen Äußerungen der Rechtsprechung und Lehre wird impliziert, die kollisionsrechtliche Anwendung der lex rei sitae bzw. des Territorialitätsprinzips auf eine Konfiskation schließe die rechtliche Würdigung insofern aus, als daß sie endgültig wie eine rechtmäßige Enteignung als rechtswirksam und dauerhaft anzuerkennen sei.36 Tatsächlich besteht im Ergebnis fast nie ein Unterschied, ob eine Enteignung in ihrer Wirksamkeit kollisionsrechtlich nach dem Territorialitätsprinzip anerkannt oder endgültig als rechtmäßig und deshalb wirksam angesehen wird. Dies gilt aber nicht bei Wegfall des Kollisionsfalls, z.B. im Fall der deutschen Wiedervereinigung. Denn mit der 34 35
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BVerfGE 84,122. BVerfG, a.a.O., 123.
Zur Unterscheidung beider deutlich Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskationsund Enteignungsrecht, 46, Anm. 25 m.w.N., sowie Staudinger /Stolli Internationales Sachenrecht, vor Art. 12 Abs. 1 EG BGB, Rz. 139 ff.; das Arbeitsgericht Hamburg, vom 3.11.1951, IzRspr. 1949-1953, Nr. 360, führt aus, daß die hinsichtlich in der Ostzone gelegenen enteigneten Werte erfolgende Anerkennung auch außerhalb der Zone wirksam sein müßten, wenn sie einmal tatsächlich erfolgt seien. Auch das Landgericht Lüneburg im MDR1951, 430, sieht das ähnlich, schließt also mehr auf Rechtswirksamkeit im absoluten abschließenden Sinne. Auch Stoll, a.a.O., Rz. 185, versteht das Territorialprinzip entsprechend.
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreform urteil
Wiederherstellung der einheitlichen Staatsgewalt in Deutschland haben sich die Probleme der extraterritorialen Wirkung von Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR endgültig erledigt. Es bestand, besteht kein Kollisionsfall mehr, die entsprechenden Regeln verlieren ihre Bedeutung. Nunmehr geht es allein um die Frage der Wirksamkeit der Maßnahmen selbst, die sich jetzt nur noch aus ihrer Rechtmäßigkeit ergeben Ύ7
kann. Dabei wird die Wirkung der Regeln des Einigungsvertrages hier noch nicht berücksichtigt, da es zunächst nur um den Fortbestand einer materiellen Rechtsposition geht. b) Intertemporale Wirkung des interzonalen Kollisionsrechts bei Rechtswidrigkeit der Enteignungen Hier ist entscheidend, ob die damalige gebotene interlokale Anerkennung der territorialen Wirksamkeit der Konfiskationen die materiellrechtliche Nachprüfung unter den heute gegeben veränderten Umständen ausschließt. In diesem Fall bestände tatsächlich keine Rechtsposition der Enteigneten mehr, in die durch die Regelung des Einigungsvertrages hätte eingegriffen werden können. Die Oberlandesgerichte Celle, Hamm und Braunschweig sprechen deutlich bei Anwendung des innerdeutschen Kollisionsrechts von hinzunehmender Rechtstatsache, die nicht Rechtmä•
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ßigkeit in der Sache bedeute. Ausdrücklich sagte das OLG Hamburg : "Die Klage läuft nicht darauf hinaus ..., daß das Gericht die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme nachprüfen soll. Es handelt sich vielmehr um die Frage, ob und inwieweit eine von einem Staat auf fremdem Staatsgebiet vorgenommene Handlung rechtswirksam ist. Zur Prüfung einer solchen Vorfrage ist der Rechtsweg eröffnet." Die Bezeichnung als Vorfrage trifft den Charakter der Kollisionsnorm. Auch das vom Bundesverfassungsgericht zitierte Urteil des Obersten Gerichtshofs führt aus:40 "Für die Entscheidung interzonaler Rechtsfragen braucht weder die Rechtswirksamkeit noch der Heldrich/Palandt, Anhang II zu Art. 38 EGBGB, Anm. 14: "Mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands am 3.10.1990 haben sich die Probleme der extraterritorialen Wirkung von Enteignungsmaßnahmen in der früheren DDR erledigt. Nunmehr geht es um die Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahmen selbst." 38 IzRspr. 1945-1953, Nr. 353, auch NJW 1947/48, 385; Nr. 358 a, Nr. 363. 39 Urteil vom 15.9.1948, IzRspr. Nr. 354. 40 Vom 31.3.1949 MDR 1949, 351; NJW 1949,502 f., auch IzRspr. Nr. 358 b.
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Geltungswille von Maßnahmen der Ostzone nachgeprüft zu werden." Hier steht Rechtswirksamkeit auch für Rechtmäßigkeit, nicht nur effektive Durchsetzung der Konfiskationen am Ort. Das Gericht geht dann auf den entscheidenden Zweck der Kollisionsregel ein: "Sie findet ... ihre innere Rechtfertigung darin, daß Enteignungsakte in ihrer Verwirklichung ... Machtfragen sind". Ähnlich das Landgericht Berlin 41: "Die Rechtsgültigkeit der Enteignungsgesetze der Ostzone ist durch westdeutsche Gerichte nicht nachzuprüfen, da ihre tatsächliche Geltung in der Ostzone anzuerkennen ist". Dasselbe Gericht42 führt aus, daß auch im Falle der Rechtsunwirksamkeit der tatsächliche Zwang der Maßnahme des Landes Thüringen kollisionsrechtlich anzuerkennen sei und bemerkt: "... überdies sind die Grundsätze des internationalen Privatrechts weitgehend durch die Anordnungen des Siegerstaates ausgeschaltet: Es kann keine Rede davon sein, daß einem Berliner Unternehmer seitens der sowjetischen Militärverwaltung keine andere Behandlung zuteil werden könne als etwa einem in England domizilierenden. Zudem könnte sich der in G. wohnende Schuldner am allerwenigsten staats- oder völkerrechtlicher Einwendungen oder eines Hinweises auf akademische Auslassungen namhafter Rechtslehrer bedienen. Wenn sich der Kläger selber von einer Verhandlung mit dem thüringischen Forderungsprädendenten oder von einer gegen diesen gerichteten Feststellungsklage Erfolgsaussichten versprechen würde, hätte er wohl auch diesen Weg gewählt, ehe er sich an den Beklagten wendete.... Ausschlaggebend war aber für die hier getroffene Entscheidung, daß offenbar das Gesetz vom 26.2.1947 (des Landes Thüringen Reg.Bl. 1948, Bd. 1, 39) nur die Ausführungen des genannten Befehls Nr. 247 darstellt." Deutlich wird dies durch einen weiteren Leitsatzes des Gerichts:43 "Die Rechtsgültigkeit ostzonaler Enteignungsmaßnahmen kann dahingestellt bleiben; der räumliche Wirkungsbereich ist, wenn die Maßnahmen nicht de iure anerkannt wurden, nach international privatrechtlichen Regeln zu bestimmen." Dies entspricht auch den hier anwendbaren Grundsätzen des internationalen Enteigungsrechts bzw. Verwaltungsrechts bei der Anwendung ausländischem Rechts. Wenn das Kollisionsrecht einmal auf die Anwendung 41
Urteil vom 15.12.1950, IzRspr. Nr. 391. Iz.Rspr. Nr. 377 in den Gründen. 43 Landgericht Berlin, Urteil vom 10.5.1950 in VesR 1950, 168; dazu Sachverhalt und Gründe in IzRspr. 1945-1953, Nr. 397 a. 42
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Β. Restitutionsausshuß nach dem Bodenreformurteil
fremden Rechts aufgrund des Territorialitätsprinzips verweist, bedeutet dies, es "richtig" anzuwenden.44 Es soll so angewendet werden, wie es "zu Hause angewandt wird". Die dargestellte Rechtsprechung hat ganz überwiegend bei Anwendung des kollisionsrechtlichen Territorialitätsprinzips die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen bewußt nicht angenommen, sondern ist allein von der tatsächlichen Wirksamkeit der ostzonalen Konfiskationen gegenüber dem Eigentümer am Ort ausgegangen. Allein die Machtausübung wird hier zur Grundlage der Anerkennung nach dem Territorialitätsprinzip. 45 Diese so gegründete Anerkennung kann nur dann für die Bundesrepublik Deutschland wirksam sein, wenn tatsächlich nach den hier anwendbaren Regeln des deutschen interlokalen Rechts, das insoweit die Regeln des internationalen Verwaltungsrechts und Enteignungsrechts in sich aufnimmt, eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Bodenreformmaßnahmen nicht stattfindet. Es bleibt zu klären, inwieweit die kollionsrechtliche Anerkennung auch rechtswidriger Maßnahmen zulässig ist und ob sie ggf. bei Wegfall des Kollisionsfalles durch die Wiedervereinigung noch weiter wirken kann. Die von den Gerichten nicht geprüfte materielle Rechtmäßigkeit der Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach 1945 ist unter verschiedenen Gesichtspunkten fraglich. Zunächst bestehen Zweifel an der Völkerrechtsmäßigkeit aufgrund des Konfiskationsverbotes des Art. 17 Abs. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch wegen Art. 46 der HLKO, an der Verfassungsmäßigkeit der Konfiskationen durch Ländernormen wegen Art. 153 Abs. 2 der WRV und an der Rechtmäßigkeit vieler Einzelmaßnahmen, soweit sie ausdrückliche Bestimmungen der ermächtigenden Verordnungen oder Gesetze nicht beachtet haben (Exzeßfälle). An dieser Stelle ist nicht materiell die Rechtmäßigkeit als solche zu erörtern, sondern nur, inwieweit eine möglicherweise bestehende Rechtswidrigkeit im einzelnen die Anerkennung der Maßnahme kollisionsrechtlich ausschließt. Dabei wird hier zwischen Völkerrechtsmäßigkeit, Verfassungsmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Konfiskationsmaßnahmen unterschieden.
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Kegel\ Internationales Privatrecht, 296. So ausdrücklich Staudinger/Kegel, vor Art. 7 EGBGB, Rz. 814.
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
aa) Anerkennung völkerrechtswidriger
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Maßnahmen
Das Bundesverfassungsgericht nimmt in seinem Urteil nur undeutlich zu der Frage Stellung, inwieweit die denkbare Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskationen für die kollisionsrechtliche Anerkennung von Bedeutung sein könnte. Die Völkerrechtsmäßigkeit wird materiell zwar nicht gewürdigt, aber andererseits im Rahmen des hier fraglichen Kollisonsarguments werden "etwaige Ansprüche auf völkerrechtlicher Grundlage zunächst außer Betracht" gelassen.46 Das Gericht weicht der Prüfung derartiger Ansprüche mit der Erwägung aus, daß jene auch ohne die Regelung des Einigungsvertrages jedenfalls nicht durchsetzbar und damit praktisch wertlos gewesen wären. Damit bleibt auch seitens des Gerichts offen, wie weit das angewandte kollisionsrechtliche Territorialitätsprinzip die Prüfung möglicher Völkerrechtswidrigkeit ausschließt. Die eigene Argumentation des Gerichts nimmt hier erneut den vor der Wiedervereinigung bestehenden Mangel an Durchsetzbarkeit, also ein prozessuales Argument, für die materielle Rechtsposition als solche. Der Beweis, daß keine Rechtsposition der Betroffenen mehr bestände, in die der Gesetzgeber mit der Regelung des Einigungsvertrags eingreifen könnte, ist aber so materiell-rechtlich noch nicht erbracht. Es wird behauptet, die Völkerrechtsmäßigkeit von Enteignungen sei bei Anwendung des Territorialitätsprinzips nicht zu prüfen. Vielmehr sei die Enteignung als im Sitzstaat effektiv wirksam im Forumstaat anzuerkennen. Danach wären Maßnahmen der Boden- und Industriereform im Forumstaat, also den Ländern der Westzonen bzw. der späteren Bundesrepublik Deutschland bis zum Beitritt der fünf Länder am 3. Oktober 1990 nicht auf ihre Völkerrechtsmäßigkeit hin zu prüfen. 47 Anläßlich des indonesischen Tabakstreits48 hieß es, daß "selbst völkerrechtswidrige Hoheitsakte von den innerstaatlichen Gerichten anerkannt werden sollen". Gleichwohl untersucht 46
BVerfGE 84,122. Vgl. allgemein OLG Bremen, Urteil vom 21.8.1959, in: AWD 1959, 207, 272, weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Seidl-Hohenveldern y Internationales Konfiskationsund Enteigungsrecht, 13, Fn. 21, auch 43; Raiser ; Anmerkung in SJZ1950, 279; undeutlich dagegen Soergel/Kegel, vor Art. 7 EGBGB, Rdnr. 810 ff.; Staudinger/Stoll, Internationales Sachrecht, vor Art. 12 Abs. 1 EGBGB, Rdnr. 148 ff.; Beitzke, Festschrift für Raape, 97 ff.; Ficker t Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts, 99. 48 Holländer vindizierten Tabak der in Indonesien ihnen enteigneten Plantagen, OLG Bremen, a.a.O., und IPRspr. 1958/59, 746, 758, auch ArchVR 9 (1961), 318 ff. 47
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
das Gericht trotzdem die materielle Übereinstimmung der indonesischen Maßnahmen mit dem Völkerrecht. 49 Grund dieses dictums ist die Vorstellung, das Territorialitätsprinzip untersage eine Überprüfung der Hoheitsakte eines anderen Staates, die dieser auf seinem Territorium erlassen habe.50 Jeder Staat besitze die ausschließliche Zuständigkeit, über die Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Eigentum zu entscheiden, das innerhalb seines Gebietes belegen sei. Selbst wenn es sich um einen Eigentumserwerb kraft Konfiskation handele, müßten fremde Staaten den so geschaffenen Eigentumstitel endgültig anerkennen. Dies ergebe sich aus den gleichen Erwägungen, aus denen Staaten sich gegenseitig Immunität für ihre Hoheitsakte (acta jure imperii) zugeständen.51 Das entspricht im Ergebnis der "act of statò doctrine" des anglo-amerikanischen Rechts. Diese geht auf amerikanische Rechtssprechung zurück, durch die Ansprüche Privater gegen ehemalige Amtsträger ausländischer Staaten auf Schadensersatz wegen früher begangener völkerrechtswidrigen Amtshandlungen zurückgewiesen wurden. Als die Doktrin dazu verwandt wurde, politische opportune Ansprüche amerikanischer Alteigentümer konfiszierter Zuckerplantagen in Μ
Kuba von dort stammendem Zucker in den USA abzulehnen , wurde sie zunächst gesetzlich geändert und anschließend auch von der Rechtsprechung weitgehend aufgegeben.54 Grund der Lehre ist das strenge Gewaltenteilungsverständnis der US-amerikanischen Verfassung, das den Gerichten untersagt, die Exekutive in ihrer Politik irgendwie zu beeinflussen oder zu beeinträchtigen. Der Primat der Politik läßt nach diesem Verständnis keine übergeordnete Rechtsdurchsetzung durch nationale Gerichte zu. In der Folge wollte nun die Exekutive selbst die Überprüfung ausländischer Enteignungen auf ihre Vökerrechtsmäßigkeit zulassen, womit die Lehre in 49
50
ArchVR 9, 358.
Vgl. die Nachweise bei Mann, Zu völkerrechtswidrigen Enteignungen vor deutschen Gerichten, 301, Fn. 66; ders., Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 708; Seidl-Hohenveldern, a.a.O., 6 f. m. Verw. auf den tractatus repraesalium des Bartolus von 1354, quaestio I, 3 § 10: "Non enim una civitas potest facere legem supra alteram quia par in parem non5 habet imperium." 1 Nachweise bei Seidl-Hohenveldern , Völkerrechtswidrige Akte fremder Staaten vor nationalen Gerichten, Fn. 43. 52 Underbill v. Hernandez , 65 Fed. 577, 579 [2 nd Cir 1895], Hatch v. Baez, 7 Hun 596 [NJ 18761. 5 Banco Nacional de Cuba v. Sabbatino , 376 us., 398 (164); deutsch teils in JZ1965, 96. 54 Banco Nacional de Cuba v. Fan Whitlock, 383 Fed. 2 nd C ir. 166 (1967).
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
51
der Form des Sabbatino-Urteils endgültig der Vergangenheit angehörte.55 Unabhängig von dieser Bedeutung der act of state doctrine für die Anerkennung fremder völkerrechtswidriger Maßnahmen durch das US-amerikanische Recht ist der Begriff der Doktrin schon zur allgemeinen Formel für eine ungeschriebene völkerrechtliche Verpflichtung zur Respektierung auch völkerrechtswidriger fremdstaatlicher Hoheitsakte geworden. Eine solche wird aus völkerrechtlicher Sicht, da die Unantastbarkeit und Respektierung fremder Hoheitsakte aus der souveränen Gleichheit der Staaten folge, andernfalls die Außenpolitik des Forumstaates behindert werden könne und keine Rechtsklarheit, z.B. über die Eigentumslage einer konfiszierten Sache bestände, vertreten. 56 Als völkerrechtliche Norm schütze die Doktrin völkerrechtswidrige Akte im Forumstaat. Völkerrechtliche Delikte werden aber so im Ergebnis durch das Völkerrecht garantiert. Dies widerspricht aber nicht nur dem Grundsatz ex injuria jus non oritur , sondern auch dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, die das Völkerrecht mit einschließt, z.B. über Art. 25 GG im deutschen Recht. Deshalb ist es bis auf wenige älen
tere Stimmen allgemein anerkannt, daß das Völkerrecht Staaten erlaubt, die Entscheidung darüber, ob sie ausländische Hoheitsakte in ihrem Bereich durch Anerkennung bzw. Respektierung Wirksamkeit verleihen wollen, vom Ergebnis einer Rechtsmäßigkeitsprüfung abhängig zu machen.58 Andererseits kann aus dem Völkerrecht selbst aber keine Pflicht abgeleitet werden, völkerrechtswidrige Akte fremder Staaten innerstaatlich als nichtig zu betrachten, wenngleich dies seitens des Völkerrechts als erwünscht gelten kann.59 Erklärung vom 8.5.1974 in Digest of US in International Law 1974, 275; und vor dem Supreme Court am 26.11.1975 in: International Legal Materials, 1976, 164-66; ausführlich dazu Seidl-Hohetiveldern, Völkerrechtswidrige Akte fremder Staaten vor nationalen Gerichten, 593 ff.; kurz zusammenfassend Mann, Zu völkerrechtswidrigen Enteignungen, 303, Fn. 70; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1180, Fn. 8, jeweils m.w.N. 56 Kelsen, Hans, Principles of International Law, 360 f., 380, de Visscher, Revue de droit international et de legislation comparée, 49 (1922), 149 ff., 300 ff., 322 ff.; etwas offener Ficker, Grundfragen des interlokalen Privatrechts, 99 und Seidl-Hohenveldern, Internationales Kollisions- und Enteignungsrecht, 6. 57 Kelsen und de Visscher, a.a.O., letzterer hält die Unüberprüfbarkeit sogar für ein allgemein anerkanntes Prinzip, 322. 58
Verdross/Simma, § 1178 f.; Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 300 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrige Akte vor nationalen Gerichten, 603 ff., neuestens zusammenfassend Ambrosch/Keppeler, Die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen, 20; Böckenstiegel, BerDtGVR 13 (1974), 7, 38 f.
52
Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
Im Ergebnis wird deutlich, daß die vielfach vertretene Ansicht, nach der das Territorialitätsprinzip die Überprüfung der Völkerrechtsmäßigkeit von vornherein ausschließt, auf bestimmte gedankliche Grundlagen zurückgeht. Der prozessuale Mangel der völkerrechtlichen Aktivlegitimation des Enteigneten, die Staatenimmunität und die Überordnung effektiver staatlicher Machtausübung gegenüber der völkerrechtlichen Sollensordnung stehen hier Pate. Diese Wertehierarchie, die Völkerrechtswidrigkeit letztlich mit einer Art von Immunität prämiert, ist aber als ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit einer unorganisierten Staatengemeinschaft anzusehen, die kein integriertes und integrierendes Völkerrecht kannte. Zeitgemäß ist allein die Vorstellung einer Unterwerfung staatlicher Maßnahmen unter Recht und Gericht. Wenn uns dies innerstaatlich heute selbstverständlich erscheint, so lehrt ein Blick in die Geschichte, wie auch bei uns dieser Zustand rechtsgeschichtlich neu ist. Erläuternd sei folgender Fall des Gerichtshof zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten vom 11. Febr. 1854 mitgeteilt: Der Domänenfiskus befindet sich im Besitze mehrerer Güter, welche früher der katholischen Kirche zu Essen gehört haben sollen und von Staats wegen eingezogen sind. Die genannte Kirche hat die Vindikationsklage erhoben und zur Begründung bemerkt: Infolge des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 1803 seien durch die Kabinettsorder vom 22. April 1803 das Stift Essen und die beiden damit verbundenen Kapitel der Gräfinnen und Kanonissinen aufgehoben und deren Güter von dem Fiskus eingezogen, gleichzeitig auch die vorerwähnte, in der Münsterkirche bestehenden Privatstiftungen und die mit den beiden Kapiteln nicht unierten Benefizien eingezogen. Diese Benifizien, Vikarien, Anniversarien oder Memorien hätten lediglich den Charakter von Privatstiftungen gehabt. Zur Aufhebung und Einziehung solcher Privatstiftungen fehle der Rechtsgrund, im Gegenteil sei der Staat nach dem bestehenden Gesetz verpflichtet, diese Stiftung aufrechtzuerhalten und deshalb entweder selbst deren Einkünfte bestimmungsgemäß zu verwenden oder das Stiftungsvermögen der Kirche zu deren Verwaltung
59 Vgl. nur Verdross/Simma, a.a.O., §§ 1179 a.E., 1182, 1340 m.N., Fn. 22 zu diesbezüglichen Kodifikationen im Rahmen der Vereinten Nationen; Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 708.
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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herauszugeben. Hinsichtlich der Behauptung, daß die säkularisierten Stiftungen unrechtmäßig eingezogen seien, wurde auf den in dieser Beschränkung von der Regierung zu Düsseldorf erhobenen Kompetenzkonflikt der Rechtsweg für unzulässig erklärt: Es sei die Säkularisation ein politischer Akt, der sich auf die Hoheitsrechts des Souveräns gründe, ein solcher Akt aber der richterlichen Kognition nicht unterworfen und im Rechtswege nicht anfechtbar, eben deshalb die Frage, ob die Säkularisation mit Unrecht auf die den Gegenstand der Klage bildenden Stiftungen ausgedehnt worden, nur von der zur Wahrnehmung der Hoheitsrechte berufenen Verwaltungsbehörde zu entscheiden. Die angeführten Gründe, wonach eine Ausnahme hiervon vorliege, seien nicht stichhaltig. Der Reichdeputationshauptschluß sei das rechtliche Fundament für die erfolgte Säkularisation, dieses Fundament wurzele vielmehr in der Landeshoheit, auch sei die Säkularisation nicht durch den Erlaß und die Promulgation eines Gesetzes bedingt, vielmehr entscheide allein der Ausspruch der Staatsgewalt darüber, ob und in welchem Umfang die Säkularisation stattfinden solle. Die Frage aber, ob die Verwaltungsbehörde, welche namens der Staatsgewalt einen landeshoheitlichen Akt vollzogen, dabei dem landesherrlichen Wille entsprechend gehandelt habe, sei nur im Wege der Beschwerde zum Austragen zu bringen, und so wenig der Akt der Landeshoheit der richterlichen Kognition unterliege, ebensowenig könne ein Anspruch aus den Folgen und Wirkungen dieses Akts wider das Staatsvermögen im Wege des Rechtes verfolgt werden.60 Recht genau findet man diese Einstellung des Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte in der Einschätzung der Wirksamkeit von Konfiskationsmaßnahmen als Hoheitsakte fremder Staaten nach dem Territorialitätsprinzip wieder. Im Ergebnis sollte de lege ferenda eine Anerkennung völkerrechtswidriger Akte fremder Staaten im Inland durch innerstaatliche Gerichte schon wegen Art. 25 GG nicht möglich sein. Dies de lege lata zu verlangen, entspricht aber nicht dem Stand der Rechtsprechung. Allgemeine Völkerrechtswidrigkeit schließt deshalb die Respektierung fremder Enteignungsmaßnahmen nach dem Territorialitätsprinzip heute noch nicht zwingend aus.
60
Rechtsprechung des Gerichshofs zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten, systematisch zusammengestellt von Stölzel, Otto, Berlin 1897, Nr. 348,68 f.
54
Β. Restitutionsausshuß nach dem Bodenreformurteil
bb) Qualifizierte Völkerrechtswidrigkeit besatzungshoheitliche Maßnahmen
als
Im Einzelfall könnte aber eine qualifizierte Völkerrechtswidrigkeit die innerstaatliche Anerkennung nach dem Territorialitätsprinzip ausschließen. Dies könne dann der Fall sein, wenn die Besatzungsmacht auf dem Gebiete des besetzten Staates durch Hoheitsakte in Privateigentum eingegriffen hätte. Die Staatsgewalt des besetzten Staates wird nach ganz herrschender Meinung61 hier nur so weit verdrängt, als sich die Besatzungsmacht auf einen völkerrechtlichen Rechtstitel berufen kann. Deshalb sind nur völkerrechtskonforme Hoheitsakte der Besatzungsmacht durch das Territorialitätsprinzip gedeckt. Enteignungen, die gegen Art. 46 ff. der Haager Landkriegsordnung (HLKO) erfolgen, die also die Besatzungsmacht unter Überschreitung ihrer völkerrechtlichen Befugnisse auf besetztem Gebiet vornimmt (ultra vires), stehen den Enteignungen gebietsfremder Sachen gleich, weshalb die Besatzungsmacht mit der Anerkennung solcher Enteignungen durch Drittstaaten nicht rechnen darf. Die Haager Landkriegsordnung verbietet entschädigungslose Wegnahme von Privateigentum außer in Fällen unmittelbarer militärischer Notwendigkeit ausdrücklich. Dadurch erscheinen Konfiskationen durch eine Besatzungsmacht nicht als völkerrechtlich gestattete Hoheitsakte auf fremdem Territorium. Entscheidend ist hier, daß die Nichtanerkennung dieser völkerrechtswidrigen Konfiskationen nicht in der Völkerrechtswidrigkeit für Hoheitsakte, sondern in der Wirkung des Territorialitätsprinzips liegt. Es ist anerkanntermaßen eine zu enge Auslegung dieses Prinzips, daß auf eigenem Gebiet befindliche Sachen gegen fremde Konfiskationsansprüche geschützt seien, weil ein solcher Anspruch mit der eigenen Souveränität unvereinbar sei. Das Territorialitätsprinzip schützt auch die Souveränität aller Staaten gegen derartige Eingriffe, indem es dem konfiszierenden Staat ein unveräußerliches Recht zur Vornahme von Konfiskationen lediglich innerhalb seiner eigenen Grenzen, nicht aber als Besatzungsmacht zubilligt. Auch hier die Völkerrechtswidrigkeit sach-
61 Berber, Völkerrecht, Bd. 2, 132 ff.; Freeman, War crimes(?) by Enemy Nationals admi. Justice in Occupied Territory, in: AJIL. 41 (1947), 579, 584; Staudinger/Stoll, Internationales Sachenrecht vor Art. 12, Abs. 1 EGBGB, Rdnr. 149; m.w.N. 62 Vgl. Seidl-Hohenveldern y Internationales Konfiskations- und Enteigungsrecht, 33; Staudinger/Stoll, a.a.O.; Mann, International delinquencies before national courts 70, LQR 181,
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lieh mit Hinweis auf das Territorialitätsprinzip zu ignorieren hieße, unmittelbar innerstaatlich anwendbares Besatzungsrecht zu ignorieren. Die entsprechenden Regeins des humanitären Völkerrechts sind unverzichtbar. Dies ergibt sich aus der absoluten Machtunterworfenheit des besetzten Staates gegenüber der Besatzungsmacht. Nach Art. 43 der HLKO ist "die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen". Das Recht des Besetzenden beruht auf Kriegsrecht, einem Teil des Völkerrechts. Auf der Basis dieser völkerrechtlichen Stellung erläßt er Normen, die wiederum an den Sätzen des Völkerrechts zu messen sind. Hier ist nun entscheidend, ob die Konfiskationsmaßnahmen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach 1945 in diesem Sinne besatzungshoheitlich erfolgt und deshalb nach dem Territorialitätsprinzip nur respektiert werden, wenn sie den Regeln des humanitären Völkerrechts entsprechen. Hier geht es nicht um die allgemeine Völkerrechtswidrigkeit, z.B. wegen Fehlens völkerrechtlich geforderter Enteignungsentschädigung oder aufgrund sozialdiskriminierender Enteignungen, sondern um solche, die sich allein daraus ergibt, daß eine Besatzungsmacht gegen die sie bindenden Regeln der HLKO auf dem Gebiet des besetzten Staates durch Hoheitsakt in Privateigentum eingreift. Dies wird Enteignungen gebietsfremder Sachen gleich geachtet, die nicht durch das Territorialitätsprinzip im Forumstaat wirksam werden können. Die Konfiskation wird als nicht im Staatsgebiet des konfiszierenden Staates vorgenommen angesehen, sondern als auf fremdem Gebiet erfolgt. Es wird hier die Perspektive der handelnden Besatzungsmacht zum Maßstab genommen. Danach kann ein Staat Hoheitsrechte wirksam nur in Anspruch nehmen, soweit das Völkerrecht sie ihm zuspricht. Darüber hinausgehende Akte muß weder der besetzte noch ein dritter Staat hinnehmen, obwohl die tatsächliche Macht der Besatzer eine temporäre Durchsetzung jeder Konfiskation auf dem Gebiet des besetzten Staate erlaubt. Für dritte Staaten ist die derart angeordnete Rechtsveränderung keine von der lex rei sitae bestimmte Rechtsveränderung, die nach dem Territorialitätsprinzip respektiert werden müßte. Fraglich ist, ob es sich bei den Konfiskationen der Boden- und Industriereform 187 f. (1954), jeweils m.w.N.; unentschieden Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., 657, a A . Soergel/Kegel, Rz. 808, 812 vor Art. 7 EGBGB. 63 Berber, a.a.O., 129 ff.; Freeman, a.a.O., 584.
56
Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 - 1949 tatsächlich um entsprechende besatzungsrechtliche bzw. hoheitliche Regelungen gehandelt hat, die an den Artikeln 23,46, 53 der HLKO zu messen sind. Das Bundesverfassungsgericht 64 meint, daß die damaligen Enteignungen als solche auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage zu qualifizieren seien. Sie hätten nur hinsichtlich der erfolgten Sequestrierung auf besatzungsrechtlicher Grundlage beruht, denn die Enteignungen seien unmittelbar durch Vorschriften deutscher Rechtsetzungsorgane festgelegt worden. Sie seien aber auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt, da sie durch Akte der Sowjetischen Besatzungsmacht gezielt ermöglicht worden seien, und maßgeblich auf deren Entscheidung beruht hätten. Für die deutschen Stellen habe keine Möglichkeit bestanden, auf die von der Besatzungsmacht sequestrierten Objekte Zugriff zu nehmen, wenn ihnen diese nicht von der Besatzungsmacht zu diesem Zwecke überlassen worden wären. Die maßgebliche Einflußnahme der Besatzungsmacht zeige sich überdies darin, daß die so^etische Militäradministration Deutschlands (SMAD) durch Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 die durchgeführten Enteignungen ausdrücklich bestätigt habe. Die besatzungshoheitliche Grundlage der Enteignungen werde auch weder dadurch ausgeschlossen, daß deutsche Stellen daran einverständlich mitgewirkt hätten, noch stehe entgegen, daß die in Frage stehenden Enteignungen - anders als im Falle der Inanspruchnahme von Reparationsleistungen - nicht zugunsten der Besatzungsmacht erfolgt seien. Die Rechtsnormen, auf denen die Bodenreform beruhe, seien allein von deutschen Organen erlassen worden; der Einfluß der So^etischen Besatzungsmacht auf die Normen sei nicht gesichert. Trotzdem sei die Bodenund Industriereform als Maßnahme auf besatzungshoheitlicher Grundlage einzuordnen, denn der Geschehenslauf ergebe jedenfalls, daß sie von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht nur hingenommen wurde, sondern ihrem erklärten Willen entsprach. Das werde vor allem dadurch deutlich, daß die SMAD mit Befehl vom 22. Oktober 194565 die bis dahin erlassenen Vorschriften der von ihr eingesetzten Landes- und Provinzialverwaltungen, denen sie förmlich noch keine Rechtsetzungsbefugnis eingeräumt hatte, für gesetzkräftig erklärt und damit die Vorschriften für die Bodenreform aus-
64 65
BVerfGE 84,113 ff. Bei v. Münch, Dokumente des geteilten Deutschlands, 294.
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drücklich bestätigt habe. Auch Enteignungsmaßnahmen, bei denen die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder nach rechtsstaatlichen Maßstäben willkürlich angewendet worden seien, seien als besatzungshoheitsrechtlich zu qualifizieren. Auch sie beruhten letztlich, selbst wenn sie unmittelbar allein von deutschen Stellen vollzogen worden seien, auf besatzungshoheitlicher Grundlage, Hweil der Besatzungsmacht in dieser Zeit noch die oberste Hoheitsgewalt"66 zugekommen sei. Das Gericht beruft sich in dieser Auslegung auf die Erläuterungen der fCI
Bundesregierung zum Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen , nach denen es sich bei den Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage im wesentlichen um die entschädigungslose Enteignung im Bereich der Industrie zugunsten der Länder der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone oder im Rahmen sowjetischer Reparationsmaßnahmen sowie um Enteignungen im Bereich der Landwirtschaft im Rahmen der sog. demokratischen Bodenreform handele. Der Rechtscharakter der Enteignung als besatzungsrechtlich oder besatzungshoheitlich wird in der Erläuterung danach unterschieden, ob die Enteignungen in formeller Hinsicht auf entsprechenden Befehlen oder Anordnung des SMAD oder aber auf Rechts- oder Hoheitsakten der Länder der Besatzungszone bzw. kommunale Stellen des sowjetischen Sektors von Berlin beruhen. Besatzungsrecht und -hoheit69 sind kriegsvölkerrechtliche Begriffe. Besatzungshoheit bezeichnet generell die Gebietshoheit, die ein kriegführender Staat über das Gebiet des gegnerischen Staates hat, sobald er dieses, oder Teile desselben, tatsächlich in die Hände bekommt (Art. 43 HLKO). Die Gebietshoheit des besetzenden Staates, also die Besatzungshoheit, ist zweifach begrenzt; Sie ist vorläufig und durch übergeordnete völkerrechtli70
che Normen beschränkt. 66 67 68
69
71
Nach Berber ist gerade die Vorläufigkeit der
BVerfGE 84,115. BT-Drs. 11/7831. BT-Drs. a.a.O., 1, 3.
Die Begriffe "besatzungsrechtliche" und "besatzungshoheitliche Grundlage" tauchen auch im Vertrag für die Herstellung der Einheit Deutschlands im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. 2, 1990, 885 ff.) und dessen Teil, dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Einigungsvertrag Anlage II, Kapitel III, Sachgebiet B: Bürgerliches Recht Abschn. I Ziff. 2) auf. 70 Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 129; Schweißfurth, Entschädigungslose Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlagen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 281,286.
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Β. Restitutionsaussh uß nach dem Bodenreform urteil
Besatzungshoheit der entscheidende Unterschied von jeder anderen Gebietshoheit eines normalen Staates und kann als wesentlichstes Merkmal des Besatzungsrechts angesehen werden. Die Besatzungshoheit verleiht kraft Kriegsrechts dem Eroberer und Besetzer weitgehende Rechte, deren Verkennung unrealistisch wäre. Der besetzende Staat darf das besetzte Gebiet als Basis für weitere militärische Unternehmungen nutzen und mit allen kriegsrechtlich erlaubten Mitteln seine Ziele durchsetzen. Die hauptsächliche Ermächtigung ergibt sich aus Art. 43 HLKO nach dem die Besatzungsmacht zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Lebens alle von ihm abhängigen Vorkehrungen zu treffen hat. Fraglich bleibt nun, ob die Konfiskationen, insbesondere der Bodenreform, tatsächlich auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgten und somit nach dem Territorialitätsprinzip nicht anzuerkennen sind. Direkt durch Besatzungsrecht erfolgten verschiedene Konfiskationen: -
durch SMAD-Befehl Nr. 126 vom 31. Oktober 1945, der das Vermögen der NSDAP und ihrer Gliederungen konfiszierte; durch SMAD-Befehl Nr. 167 vom 5. Juni 1946, der Reparationsansprüche der Sowjetunion befriedigte. Davon waren auch insbesondere auch Unternehmungen umfaßt, die auf dem Gebiet der Besatzungszone verblieben und als Sowjetische Aktiengesellschaften weitergeführt wurden; die Ausführungsbestimmung Nr. 3 vom 21. August 1947 zum SMADBefehl Nr. 201 vom 16. August 1947, nach deren Ziff. 22 das bis zum 21. August 1947 nur beschlagnahmte, aber noch nicht enteignete Vermögen in das Eigentum der Länder überführt wurde.
Direkte Enteignungen durch Besatzungsrecht sind sonst nicht ersichtlich. Besatzungsrecht als solches ist gerichtlich nicht nachprüfbar. Da es weder von einer deutschen rechtsetzenden Stelle herrührt, noch Ausübung deutscher öffentlicher Gewalt darstellt, kann es nicht aufgrund deutschen Verfassungsrechts oder allgemeinen Rechts überprüft werden und für verfas-
71
Berber; a.a.O.
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sungswidrig erklärt werden. Es ist anerkannt, daß von Alliierten Besatzungsinstanzen veröffentlichtes oder angeordnetes Recht nicht am Grundgesetz gemessen werden kann. Der Vollständigkeit halber sei noch auf Recht des Allierten Kontrollrats hingewiesen, das auf die hier besprochenen Konfiskationen jedoch keinen Einfluß hat: Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20.12.194574 betrifft die Bestrafung von Kriegsverbrechern und ähnlichen Personen, deren Vermögen eingezogen werden darf (Art. III). -
Direktive Nr. 38 vom 12. Oktober 194675 regelt die Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern und ähnlichen Personen; 7f\
Direktive Nr. 57 vom 15. Januar 1948 regelt die Verfügung über das aufgrund der o.g. Bestimmungen eingezogene Vermögen. Hinsichtlich dieser Rechtsgrundlagen ist darauf hinzuweisen, daß die Konfiskationen schon im September 1945, also vor Erlaß dieser Regeln des Kontrollrats, stattfanden. Sowohl die Konfiskationsverordnungen vom September 1945 sowie auch die genannten Regeln des Kontrollrats wollen Kriegsverbrecher und ähnliche Personen treffen, jedoch macht dies nur einen sehr kleinen Kreis gegenüber den durch die Bodenreform Betroffenen aus. Aber auch diesem kleinen Kreis von Personen gegenüber waren nicht die Normen des Kontrollrats Grundlage der Konfiskationen, da diese längst vollzogen waren, als jene Normen erlassen wurden. Damit kommt Kontrollratsrecht als besatzungsrechtliche Grundlage der Bodenreform als auch der Industriereform nicht in Betracht. Es ergibt sich nach dem Wortlaut allenfalls eine eng begrenzte Ermächtigung zur Rechtsetzung, nicht aber eine Grundlage von unmittelbar zu vollziehenden Konfiskationen. Nach Ziffer 7 des SMAD-Befehls Nr. 201 vom 16. August 1947 waren deutschen Gerichte zur Durchführung der in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorgesehenen Sanktionen, Enteignungen und Beschlagnahmen angewiesen worden. Dies 72 BGHZ 11, Anhang 86, 89; BVerfGE 1; 10, 11; von Schmoller/Maier/Tobler, des Besatzungisrechts, 22; Bachof y Verfassungswidrige Verfassungsnormen, 61. 73 BVerfGE 2,181, 203; 36,146,171; BGHZ 11, Anhang 86, 89 f. 74 Amtsbl. des Kontrollrats, 5,50 ff. 75 Amtsbl. des Kontrollrats, 184 ff. 76 Amtsbl. des Kontrollrats, 302.
Handbuch
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ist die einzige sichtbare Verschränkung von Recht des Kontrollrats mit den Befehlen der SMAD. Es bleibt noch der Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 zu erwähnen. Er ordnet die Beschlagnahme des Eigentums von im einzelnen bezeichneten Personengruppen an. Wiederum unterfällt dem Befehl allenfalls nur eine kleine Minderheit der von der Bodenund Industriereform betroffenen Personen. Auch ihnen gegenüber ist aber die sog. Demokratische Bodenreform nicht durch diesen Befehl gedeckt; denn abgesehen davon, daß er erst nach Durchführung der Bodenreform erging und sich selbst keine rückwirkende Kraft zuschrieb, verfügte er lediglich eine Beschlagnahme, nicht die Wegnahme. Diese Beschlagnahme sollte allenfalls eine spätere Konfiskation vorbereiten. Die Boden- und Industriereform ist auf Grundlage von deutschen Normen durchgeführt worden. Weder das Recht des alliierten Kontrollrats noch das der SMAD hat den Vermögensentzug bewirkt. Allenfalls Beschlagnahme ist angeordnet worden. Soweit sie früheres deutsches Recht billigten, liegt darin nicht die Maßnahme selbst im Sinne unmittelbaren Besatzungsrechts. Besatzungsrechtliche Grundlagen sind daher direkt nicht ersichtlich. Neben unmittelbarem Besatzungsrecht wird auch häufig noch von mittelbarem Besatzungsrecht gesprochen. Der Begriff des weisungsgebundenen oder mittelbaren Besatzungsrechts ist unter dem Einfluß der Besatzungsmacht zustande gekommenes deutsches Recht. Fraglich ist, inwieweit es selbst wie unmittelbares Besatzungsrecht zu behandeln ist. Auch in den Westzonen haben die Besatzungsmächte häufig Recht gesetzt, aber auch Maßnahmen bewirkt, welche sie selbst zwar als eigene wollten, aber durch deutsche Stellen ausführen ließen und auf jene entsprechend eingewirkt hatten. Das erfolgte teils durch Anregungen, Zustimmungen oder bis hin zu ausgesprochenen Weisungen und Befehlen. Bei Anregungen und Zustimmungen ist, soweit bekannt, nie angenommen worden, daß es sich um Besatzungsrecht handele. Es liegt deutsches, voll von deutschen Gerichten nachprüfbares Recht vor, selbst wenn seine Setzung dem Wunsch der Be77
satzungsmacht entsprochen haben sollte. Hier könnte man im Ergebnis auf die formelle Seite achten, also dann stets deutsches Recht annehmen, wenn in den Rechtsvorschriften nicht auf eine Besatzungsanweisung ersicht-
77
BVerfGE 2,181,199.
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7R
lieh Bezug genommen worden ist. Nach ganz herrschender Lehre wird mit dem Bundesverfassungsgericht nur dann mittelbares Besatzungsrecht angenommen, wenn eine bindende Anweisung von der Besatzungsmacht vorgegeben war, der Inhalt der Rechtsvorschrift also vollständig von dieser determiniert war, oder wenn die deutsche Rechtsvorschrift einer Ermächtigung entsprach, die ausdrücklich, nach Sinn und Zweck von der Beachtung deutschen übergeordneten Rechts entband.79 Nur dies ist mittelbares Besatzungsrecht, vom Bundesverfassungsgericht als weisungsgebundenes beOA
zeichnet. Die konfiszierenden Bodenreformverordnungen bzw. -gesetze vom September 1945 könnten solches mittelbares Besatzungsrecht sein. Sie sind zwar eindeutig formal deutsches Recht, könnten aber auf Veranlassung der SMAD ergangen sein. Das Bundesverfassungsgericht meint, daß dazu 81
·
keine sicheren Feststellungen möglich sind. Fest steht zwar die Ubereinstimmung des politischen Wollens seitens der deutschen Stellen in der Sowjetischen Besatzungszone und der Besatzungsmacht als solcher, aber allein daraus lassen sich keine rechtlichen Schlüsse ziehen. Selbst wenn von einer Gesinnungsgemeinschaft zwischen beiden auszugehen ist, so bedeutet dies nicht, daß die deutschen Stellen auf Anordnung der Besatzungsmacht gehandelt haben. Die Sowjetische Besatzungsmacht hat alles, was sie selbst glaubte durchsetzen zu müssen, deutlich und präzise selber geregelt. Daß sie rechtlich als Besatzungsmacht durch die deutschen Stellen wirken wollte, Ο·?
kann nicht einfach angenommen werden. Es fehlt auch jeder Bezug auf die SMAD-Befehle in den Bodenreformverordnungen, die selbst als revolutionäre Akte deutschen Volkswillens zur Gestaltung der Zukunft aufgefaßt wurden. Der eindeutige Wortlaut der deutschen Normen bedarf insofern keiner besonderen Auslegung. Eine solche Gleichsetzung von sowjetischem Besatzungs- und deutschem Staatsorganswillen dieser Zeit in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands widerspräche auch dem tatsächlichen Hergang. Der sowjetische Beitrag bestand zunächst nur darin, daß das von 78
7 9Holtkotten,
in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz zu Art. 123,4 f. m.w.N. BVerfGE 2,181,199, 266, 272. BVerfGE 2,202. 81 BVerfGE 88,114, mit Verweis auf Kruse, Weißbuch über die "Demokratische Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands", Neuauflage 1988, 16 f. m.w.N.; a A aber Mampel, Die Verfassung der Sowjetischen Besatzungszone, 1962,112, der davon ausgeht, daß die Bodenreformverordnungen auf Veranlassung der SMAD ergangen seien. 82 Von Mangold/Klein, Das Bonner Grundgesetz 2. Aufl. 1957,13. 80
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Β. Restitutionsausshuß nach dem Bodenreformurteil
der Besatzungsmacht beschlagnahmte Vermögen durch Befehl Nr. 154/181 "in Besitz und Verfügung deutscher Selbstverwaltungen der Länder und Bundesgebiete" übergeben wurde. Die Besatzungsmacht entledigte sich des Vermögens, wobei sie in dem Übergabebefehl keinerlei Anordnung darüber traf, was mit diesem Vermögen zu geschehen habe. Dies besorgten dann deutsche Landeskommissionen des Blocks der demokratischen Parteien und der gesellschaftlichen Organisationen lt. Befehl Nr. 64 Ziff. 1 der SMAD. Sie entschieden durch Beschluß, welche Betriebe auf der Liste A (Enteignung), der Liste Β (Rückgabe) oder der Liste C (Verwaltung) zu verweisen waren. Nachdem diese Listen von der Militäradministration den deutschen Instanzen nach Durchsicht wieder übergeben worden waren, erfolgten landesrechtliche legislative Enteignungen, wobei die enteigneten Normen teils mit teils ohne Bezugnahme auf die rückübergebene Liste A verabschiedet wurden. Die Durchsicht der Liste sicherte im Einzelfalle ab, daß seitens der SMAD keine Einwendungen gegen Maßnahmen deutscher Stellen vorlägen. Die Besatzungsmacht hatte vom Gebrauch ihrer Hoheitsmacht Abstand genommen und den Vollzug der Enteignungen den deutschen Instanzen überlassen. Wenn die deutschen Stellen nun manchen als Handlanger der Besatzungsmacht erschienen, ist das politisch möglicherweise zutreffend, rechtlich jedoch nicht in dem Ausmaß festzumachen, das eine Qualifizierung der deutschen Normen als mittelbares Besatzungsrecht rechtfertigt. Die deutschen Normen betonen durchgängig die Eigenverantwortlichkeit ihres Zustandekommens. Z.B. hat das sächsische Enteignungsgesetz vom 30. Juni 1946 hervorgehoben, daß das "Sächsische Volk durch Volksentscheid das Gesetz angenommen habe". Auch sonst sind keinerlei Bezüge auf Besatzungsrechtsakte oder überhaupt auf die Besatzungsmacht zu erkennen. Das Bundesverfassungsgericht scheint den Befehlen der
83 Ähnliches gilt für die Verordnungen anderer Länder der Sowjetzone: Sachsen/Anhalt: "Am 28. Juni 1946 hat die Bevölkerung der Provinz Sachsen ihren Willen zur Eigenverantwortlichkeit auf dem Gebiete Wirtschaft kundgetan. Demgemäß wird eine Reihe wirtschaftlicher Unternehmen ... in das Eigentum der Provinz Sachsen überführt". In der Präambel der Verordnung vom 30.7.1946 Brandenburg: "Ausgehend von der Forderung der breiten Volksmasse der Provinz Mark Brandenburg... ergeht folgende Verordnung: "In Präambel der Verordnung vom 5.8.1946 Mecklenburg: die Präambel des Gesetzes Nr. 4 vom 16.8.1946 hebt hervor, daß die sowjetische Militäradministration die Fabriken, Werke und gewerblichen Betriebe in einer Weise übergeben haben, für die die deutsche Bevölkerung dankbar ist" und schließt mit dem Absatz: "Nachdem alle Schichten der Bevölkerung den Ruf nach endgültiger Überführung des Eigentums in die Hände des Volkes erhoben haben, hat die Landesverwal-
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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SMAD vom 22. Oktober 1945 und vom 17. April 1948 insofern Bedeutung beizumessen, als sie die Enteignungsmaßnahmen insbesondere der Bodenreform ausdrücklich bestätigten. Es liegt nicht ganz fern, damit die Enteignungen als durch besatzungsrechtlichen Hoheitsakt bewirkt zu sehen und so die deutschen legislativen Enteignungsakte als gewissermaßen in das Besatzungsrecht aufgenommen zu betrachten. Die Deutsche Wirtschaftskommission hatte mit Beschluß vom 31. März 1948 die SMAD gebeten, "die Enteignungen ... gemäß den Beschlüssen der Regierungen der Länder ... zu bestätigen". Der Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 der SMAD bestätigt, "die von der Deutschen Wirtschaftskommission vorgelegten Listen der Betriebe ..., die gemäß den Beschlüssen der Länderregierungen ... enteignet und in den Besitz des Volkes überführt wurden." Der Befehl macht deutlich, daß allein durch den Volksentscheid sowie die Beschlüsse der Regierungen der Länder die Enteignungen erfolgt sind. Nicht jedoch durch die Bestätigimg oc
des Befehls. Schweißfurth erklärt diese Abstinenz der Besatzungsmacht hinsichtlich von Konfiskationsmaßnahmen durch das Bedürfnis der Sowjetunion, hier insgesamt völkerrechtskonform zu handeln. Er meint, daß diese Linie durch die Erklärung der Sowjetregierung vom 27. März 1990 zur Bodenreform bestätigt wurde, da sie nie die Maßnahmen von 1945 als solche der Besatzungsmacht ausgegeben, sondern vielmehr auf die eigenverantwortliche legislative Gestaltung "durch" den "Volkswillen" abgehoben habe. Dies entspricht auch der Rechtsprechung. Teils wird eine reine formelle Sicht der Würdigung deutscher Normen, die auf den Willen der Besatzungsmacht zurückgehen, vorgenommen. So hat das Bezirksverwaltungsgericht für den britischen Sektor Berlins Verordnungen deutscher Behörden, die ohne erkennbare Bezugnahme auf eine besatzungsrechtliche Weisung in Gewände deutschen Rechts erlassen wurden, als deutsches Recht angesehen. Demgemäß erklärt es auch die von einer deutschen Verwaltungsstelle auf den mündlichen Befehl eines russischen Generals erlassene Anordnung, in deren Text auf den Auftrag der Besatzungsmacht nicht Bezug genommen war, wegen Unvereinbarkeit mit einer höherrangigen deutschrechtlichen tung nach einstimmigem Beschluß des Rechtsausschusses der beratenden Landesversamm· lune das nachfolgende Gesetz ... beschlossen." BVerfGE 84,114. 85 Entschädigungslose Enteignungen, a.a.O., 281, 92.
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Β. Restitutionsausschuß nach dem Bodenreformurteil
Norm für ungültig. Diese Auffassung hat den Vorteil der Rechtsklarheit. In dieser Schärfe hat sich das Bundesverfassungsgericht und die sonstige R7
Rechtsprechung dem nicht angeschlossen. Materielles Besatzungsrecht liegt nach herrschender Meinung auch vor, wenn sich ein Auftrag oder etwas entsprechendes aus dem Text des Rechtssatzes entnehmen lasse oder unausgesprochen eine besatzungsrechtliche Weisung erkennbar sei. Hier QQ
liege Besatzungsrecht im Gewand deutschen Rechts vor. Entscheidend ist, daß nach der Rechtsprechung die Besatzungsmacht ausdrücklich als auch implizit deutschen Stellen derartige Aufträge nur in dem Maße erteilen kann, als ihr selbst die Gesetzgebungsgewalt zusteht, so daß eine Übertragung der vollen legislatorischen Befugnisse auf eine deutsche administrative Behörde denkbar und rechtlich möglich gewesen ist. Mangels eigener Kompetenz durfte die Besatzungsmacht aber weder selbst willkürliche Enteignung anordnen, noch deutsche Stellen die Ermächtigung dazu erteilen, das besatzungskräftige Grundrecht des Eigentums aufzuheben, nemo plus iuris transferre potest quod ipse habet .89 Der Umfang der Befugnisse der Besät•
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zungsmacht bestimmt sich nach Völkerrecht. Insgesamt gibt es keinen Hinweis, daß hier direktes oder mittelbares Besatzungsrecht bei den Konfiskationen 1945 bis 1949 angewandt wurde. Damit steht auch der Anwendung des kollisonsrechtlichen Territorialitätsprinzips von dieser Seite her nichts entgegen. Dagegen steht die Überlegung des Bundesverfassungsgerichts, daß es sich hier um besatzungsrechtliche bzw. um besatzungshoheitliche Maßnahmen gehandelt habe. Diese Erkenntnis gewinnt das Gericht nicht im Rahmen der Überprüfung der Anwendbarkeit des Territorialitätsprinzips, sondern bei der Frage, ob die Maßnahme der Bodenreform unter die Regelung fallen, nach der Maßnahmen auf besat86
Entscheidung vom 25. Januar 1947, DV 1949, 614. BVerfGE, a.a.O. 88 Bad. StGH, Entscheidung vom 27.11.1948, in: AöR 1949, 481; SJZ1949, 215, auch Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland, Bd. 2,129. 89 Bad. StGH, Entscheidung vom 21.8.1949 in: AöR, 487; Bad. VGH, Freiburg, vom 20.7.1949 in: AöR, 493. 90 Bad. StGH, 27.11.1948, a.a.O.; Hess. StGH, 24.6.1949 in: VwRspr. i.D., Bd. 2, 17, SJZ, 715; Bad. VfGH, Entscheidung vom 24.4.1950, VwRspr. i.D., Bd. 2, 2, 73; BayVfGH, Entscheidung vom 12.4.1948 in: SJZ 1949, 210 m.w.N., insbesondere der VGH für WürttembergBaden, Entscheidung vom 5.8.1947 in: SJZ 1948, 153, betont, daß die Besatzungsmacht mangels völkerrechtlicher Kompetenz keine Enteignungsbefugnis an deutsche Stellen delegieren könne, Berber, Völkerrecht II, 70 ff. 87
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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zungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage nicht mehr rückgängig gemacht werden können.91 Das Bundesverfassungsgericht geht nicht von dem eigenem Begriff des Besatzungsrechts bzw. des mittelbaren Besatzungsrechts aus, sondern will offensichtlich die Bodenreformmaßnahmen als besatzungsrechtlich bzw. besatzungshoheitlich qualifizieren, um sie unter die entsprechenden Regeln zu fassen.92 Dies wird dadurch deutlich, daß es bei der Anwendbarkeit des Territorialitätsprinzips diese Frage nicht anspricht. Es wird nicht deutlich, ob es sich das Gericht bei dieser Frage von der herrschenden Meinung absetzen will und mit Kegel , der selbst keine Begründung für seine abweichende Ansicht gibt, ultra vires erfolgte Maßnahme der Besatzungsmacht nach dem Territorialitätsprinzip anerkennen lassen will. Da dieser neue Gegensatz zur Rechtsprechung und Lehre mit keinem Wort diskutiert wird, muß davon ausgegangen werden, daß das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage nicht Stellung beziehen wollte. Entgegen dem bisherigen Begriff der besatzungshoheitlichen Maßnahme94, nach dem Besatzungshoheit von jeder anderen Gebietshoheit eines normalen Staates wesentlich unterschieden ist, werden hier beide Rechtskreise ununterscheidbar. Das stellt einen entscheidenden Bruch der Argumentation des Gerichts dar. Konsequenterweise müßte man entweder erkennen, daß hier bei den Konfiskationsmaßnahmen deutscher Stellen keine besatzungshoheitliche Grundlage existierte oder die Anerkennung der als solche qualifizierten besatzungshoheitlichen Konfiskationen aufgrund des Territorialitätsprinzips verweigern, bzw. eine Begründung für diese bisherige Rechtsprechung und Lehre widersprechenden Anerkennung geben. Nach allem kann das Territorialitätsprinzip keine Anerkennung der Maßnahmen bewirken, wenn es sich um besatzungshoheitliche Maßnahmen gehandelt haben sollte. Wenn man sie zutreffend anders qualifiziert, ist ihre Völkerrrechtswidrigkeit zwar grundsätzlich gleichbedeutend, aber die Normen des Einigungsvertrages nehmen dann keinen, hier aber vom Gericht wohl intendierten, Restitutionsausschluß vor. Die
91 Art. 143, Abs. 3 GG i.Vbdg. mit Art. 41 Abs. 3 Einigungsvertrag i.Vbdg. m. Anlage 3 des Vertrags, BGBl. 1990, Bd. 2,1237 f. 92 Insbesondere setzt es sich nicht mit den vor Abfassung des Urteils erschienenen ausführlichen Ausführungen Schweißfurths, a.a.O., zu diesem Thema auseinander. 93 Soergel/Kegel, vor Art. 7 EGBGB, Rz. 808, 812. 94 Vgl. Berber, a.a.O., BVerfGE 2,181 ff.
S Biehler
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Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil
Nichtanwendung des Territorialitätsprinzips im Ergebnis bedeutet, daß den Betroffenen tatsächlich eine Rechtsposition nach den Maßnahmen 1945 noch verblieben ist. Letztlich wäre die Vernichtung dieser Rechtsposition dann auch dem Einigungsvertrag zuzuschreiben, was wegen Art. 3, 14 GG nur eingeschränkt möglich wäre. Dieser Folge weicht das Gericht aus. Geht man zutreffend davon aus, daß es sich bei den Konfiskationen 1945 bis 1949 um Maßnahmen auf der Grundlage deutscher Normen gehandelt habe, bleibt es für die Anwendung des Territorialitätsprinzips weiter von Bedeutung, ob die Maßnahmen verfassungsgemäß waren. Zunächst ist aber umgekehrt noch offen, ob das Völkerrecht selbst eine bestimmte Behandlung derartiger Akte indiziert. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 GG, die den Richter hinsichtlich der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignung binden würde, ist zunächst nicht ersichtlich. Es bleibt dem innerstaatlichen Recht überlassen, das Völkerrecht im Einzelfall durchzusetzen.95 Dafür besteht eine völkerrechtliche Pflicht, das Völkerrecht durch innerstaatliches Recht zur Geltung zu bringen.96 Es entspricht völkerrechtsfreundlichem Verhalten, Wirkungen völkerrechtswidriger Maßnahmen nicht zu respektieren. Für eine solche Respektierung auf kollisionsrechtlicher Ebene sind verschiedene Gründe vorgetragen worden.: Wegen seiner Mediatisierung gebe das Völkerrecht allein dem Heimatstaat des Enteigneten einen völkerrechtlichen Anspruch gegenüber dem konfiszierenden Staat auf Schadensersatz, aber nicht dem IndiviQ7
duum. Tatsächlich gilt auch heute die Mediatisierung des einzelnen im Völkerrecht grundsätzlich weiter.98 Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, kann der einzelne einen völkerrechtlichen Anspruch selbst nicht geltend machen. Solche ausdrücklichen Ausnahmen sieht .
z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention vor. 95
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Hier ist zwi-
Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, 56; Berber,, Völkerrecht, Bd.961,107; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 57; Verdross/Simma, §§ 45, 848. Mann, Zu völkerrechtswidrigen Enteigungen, 300 m.w.N., Fn. 62. 97 Münchener Kommentar-Kreutzer nach Art. 38 EGBGB, auch III, Rdnr. 7 m.w.N.; Staudinçer/Stoll, a.a.O., Rdnr. 148. Verdross/Simma, a.a.O., § 47, auch zu materiellen und prozessualen Individualrechten im Völkerrecht, §§ 423 ff.
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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sehen materieller Völkerrechtslage und Aktivlegitimation nach dem Völkerrecht zu unterscheiden. Einmal steht das Recht als solches, einmal der Weg dahin in Frage. Der Mangel eines völkerrechtlichen Rechtswegs für den einzelnen ist der prozeßrechtliche Gesichtspunkt seiner Mediatisierung. Das Völkerrecht überläßt seine Durchsetzung den Staaten. Dieser Umstand sagt weder etwas über die materielle Völkerrechtmäßigkeit einer Konfiskation noch spricht er für deren Respektierung durch dritte Staaten. Diese Argumentation übersieht, daß eine Respektierung völkerrechtswidriger Konfiskationen in dritten Staaten fremde Völkerrechtswidrigkeit nachvollzieht.100 Dies kann aufgrund der Rechtsordnung vom Völkerrecht selbst jedenfalls nicht positiv indiziert sein. Der Welthandel sei durch Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Konfiskationen beunruhigt und die allgemeine Rechtssicherheit beeinträchtigt.101 Tatsächlich wäre durch eine universelle Anerkennung völkerrechtswidriger Konfiskationen ein höherer Grad an Rechtssicherheit erreicht. Ohne die Hilfe von speziellen Investitionsschutzabkommen würden andererseits dadurch praktisch jede wesentliche Investition in kapitalimportierende Länder abgeschnitten, da das Risiko desselben nicht mehr kalkulierbar wäre. Beide Erwägungen sind letztlich volkswirtschaftlicher Natur und können keine Respektierungspflicht begründen oder ausschließen. Im Ergebnis gibt es weder seitens des Völkerrechts noch des staatlichen Rechts zwingende Gründe zur Respektierung fremder völkerrechtswidriger Konfiskationen. Gegen eine Respektierung wird vorgetragen: Die aufgrund des Satzes par in parent non habet imperìum gewährte Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte erstrecke sich nur auf mit dem
99
Dazu Dolzer; Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 94 iUArnoldty Die Enteignugnen in der SBZ1945-1949 und die Schutzgarantien der EMRK, in: BB 100 1991 Beilage 14 zu Heft 18,1-6. Mann, F. Α., Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 705 ff.; Dahm, Völkerrechtswidrige Enteignungen, 77 ff. 101 Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, 13, 53; OLG Bremen in AWD 159, 207, 272, dazu Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 709; ebenso Dahm, Völkerrechtswidrige Enteignungen, 77 m.w.N. aus der Literatur, Fn. 32.
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Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreform urteil
Völkerrecht im Einklang vorgenommene. Dies werde dadurch deutlich, daß eine Anerkennung einer völkerrechtswidrigen Konfiskation im Forumstaat selbst eine Vollziehung derselben sei, die jedenfalls dann wenn sie sich gegen eine Angehörigen eines Drittstaates richte, ihrerseits völkerrechtswidrig 1 (Y7
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sei. Das kollisionsrechtliche Territorialitätsprinzip finde seinen Grund in der völkerrechtlichen Souveränität der Staaten, und sei damit immanent begrenzt. Wo das Prinzip aber im Widerspruch zum Völkerrecht stehe, könne es nicht wirken. Eine solche, gegen das völkerrechtliche Konfiskationsverbot wirkende Auslegung des Territorialitätsprinzips enthalte den Befehl einer mittelbaren extraterritorialen Anwendung völkerrechtswidriger Normen .
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eines fremden Staates. Eine solche positive Wendung des Territorialitätsgrundsatzes widerspreche dem Grundsatz ex iniuria jus non oritur . Die nunmehr nach der Stimson-Doktrin und den allgemeinen völkerrechtlichen Gewaltverboten nahezu völlig fehlende Sanktionsmöglichkeit gegenüber völkerrechtswidrigen Konfiskationen, die völkerrechtliche Delikte darstellen, lassen die Nicht-Perpetuierung des Delikts im Rahmen eines rechtsförmigen Verfahrens als völkerrechtlich geboten erscheinen.104 Da die völkerrechtswidrige Konfiskation zur Naturalrestitution verpflichte, 105 die jedoch durch eine Anerkennung der Konfiskation erschwert bzw. ausgeschlossen wird, sei letztere völkerrechtswidrig. In den Fällen einer nach Art. 46 ff. HLKO ultra vires durch Besatzungsmächte erfolgten Enteignung sei die Anwendung des Satzes pirata non mutat dominum anerkannt. Sie würde als nichtig angesehen, jedenfalls als nicht bindend für den Forumstaat. Zu einer unterscheidenden Behandlung sonstiger Konfiskationen bestehe kein Anlaß. Die letztgenannten Erwägungen überzeugen. Da es aber hier darum geht, eine völkerrechtliche Regel festzustellen, ist nach Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs zu untersuchen, inwieweit ein solches Gebot, völkerrechtswidriger Konfiskationen nicht anzuerkennen, besteht. Festzu102
Mann, Völkerrechtswidrige Enteignung, 708; Dohm, a.a.O., 77. Dahm, a.a.O., 69. 104 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 1179 ff., 1262 ff. 105 Dohm, a.a.O., 79 m.V. auf die Entscheidungen des StIGH im Falle Choizwe in Fn. 35. 106 Staudinger/Stoll, a.a.O., Rdnr. 149 m.w.N.; Wortley, Pirata non mutât dominum BYIL 24, (1947) 358; Verdross/Simma , a.a.O., § 1177, Fn. 51 m.w.N.; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., 657; Sauser/Hall, L'occupation de guerre et les droits privés: in: Schweizer Journal für Internationales Recht, 1944,110. m
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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stellen bleibt, daß weder die deutsche Rechtsprechung noch die Lehre hier einheitlich ist, daß aber mangelnde Konformität mit einer Regel diese selbst auch noch nicht obsolet werden läßt, was besonders am häufig mißachteten völkergewohnheitsrechtlichen Gewaltverbot deutlich wird. Allein das völkerrechtliche Gebot steht in Frage. Dessen Umsetzung in innerstaatliches Recht, in Deutschland nach Art. 25 GG bzw. für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Art. 4 WRV, oder auch der Mangel der Umsetzung oder der dogmatische Weg dahin (insbesondere, ob die Völkerrechtswidrigkeit innerstaatlich als solche oder im Rahmen des ordre public, mit ggf. besonderen Anforderungen wie das Nähe- und Gegenwartsverhältnis) «
107
spielen dafür keine Rolle. Insgesamt bestehen in Staatenpraxis und Rechtsauffassung der Staaten große Unterschiede, wenn auch eine Tendenz zur allgemeinen Nichtachtung der Konfiskationen im Ergebnis besteht. Gerade die konfiszierenden Staaten (mit Ausnahme des früheren Sowjetblocks) haben durch Entschädigungszusagen jeweils die Respektierung zu erreichen versucht und so mittels dieser captatio benevolentiae ihrerseits völkerrechtsfreundliches Verhalten bewiesen. Da die Staatenpraxis und lehre hier keine sichere Aussage über eine völkerrechtliche Regel zuläßt, sind die Entscheidungen internationaler Gerichte zu berücksichtigen. Gerade der Internationale Gerichtshof im Haag begründet die von ihm erkannten Regeln fast ausschließlich mit eigenen Judikaten.108 Zwar binden diese Entscheidungen nur die Parteien (Art. 59 IGH-Statut), jedoch bringen sie Beweis für das Bestehen völkerrechtlicher Regeln, der mit Recht als der überzeugendste neben den anderen möglichen, wie Staatenpraxis einschließlich nationaler Entscheidungen oder der Lehre, gilt. Der Internationale Gerichtshof im Haag hat nur einmal durch seinen Richter Carneiro seine Meinung zu Konfiskationen ausländischen Privateigentums ausgedrückt. Danach sei im Interesse einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Nationen und der Bereitstellung fremden Kapitals für die Entwicklung der Staaten Enteignungen ausländischen Vermögens nur gegen volle Entschädi-
107 Vgl. zur Staatenpraxis und opino iuris die ausführlichen Untersuchungen von Birke, Die Konfiskation ausländischen Privatvermögens nach Friedensvölkerrecht, 138-42; Ambrosch/Ketteler, Die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen, a.a.O. 108 Hambro, Verisen behind jurisdiction of the international court of justice in current legal problems, London 1954,213 ff., mit zahlreichen Beispielen; Verdross/Simma, a.a.O., § 622; Schwarzenberger y International Law, Bd. 1, 2. Aufl., London 1949, VIII.
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Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil ing
gung möglich. Jedoch ist es hier aus prozessualen Gründen zu keiner Entscheidung des Gerichts gekommen. Auch im vom Sachverhalt hier relevanten Nottebohmfall ist das Gericht einer materiellen Würdigung aus dem Wege gegangen, da es das klagende Fürstentum Lichtenstein für nicht aktiv legitimiert hielt. 110 Dagegen hat der Ständige Internationale Gerichtshof im Haag als der Vorläufer des Internationalen Gerichtshofs ausführlich in den Urteilen zur Fabrik von Chorzow, Königshütte, zwischen Deutschland und Polen betreffend polnische Konfiskationen deutschen Vermögens Stellung genommen: Ende 1919 veräußerte das Deutsche Reich das Chorzower Werk an die oberschlesischen Stickstoffwerke AG. Diese wurden 1920 beim deutschen Amtsgericht Königshütte (Chorzow) als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Am 1.7.1922 erklärte das inzwischen polnisch gewordene Gericht die Registereintragung für nichtig und schrieb die Werke auf den polnischen Fiskus um. Dieses Vorgehen wurde mit Art. 256 des Versailler Vertrages 111 und einem polnischen Gesetz vom 14.7.1920, das durch Gesetz vom 16.6.1922 in Ostoberschlesien eingeführt worden war, begründet. Gemäß Art. 256 Versailler Vertrag ( W ) ging das Reichsvermögen in den abgetretenen Gebieten auf den Nachfolgestaat über. Das polnische Gesetz übertrug alle Vermögenswerte des Reichs und alle nach dem 11.11.1918 vom Reich erworbenen Gegenstände auf den polnischen Fiskus. Deutschland berief sich dagegen auf Art. 297h W i.V.m. Art. 92 W 1 1 2 und die Genfer Konvention zwischen Polen und Deutschland vom 15.5.1922113. Gemäß Art. 297b W konnte deutsches Vermögen in den Siegerstaaten oder abgetretenen Gebieten zugunsten des Reparationsanspruchs liquidiert werden, wobei Deutschland zur Entschädigung der privaten Eigentümer selbst verpflichtet wurde. Nicht reparationsberechtigte Staaten wie Polen hatten jedoch die Entschädigung selber zu tragen. Das Deutsche Reich beantragte festzustellen, daß die Anwendung des polnischen Gesetzes in Oberschlesien nur gegen Entschädigung zulässig sei. Diesem Antrag gab das Gericht mit dem Urteil vom 25.5.1926 statt114. Das polnische Gesetz sei 100 1 1 0Britisch-iranischer 111 112 113 114
Olstreit, ICJ-Report 1952,162. ICJ-Report 1955,23. Vgl. RGBl. 1919,1060 ff. RGBl. 1919,1132 f., 856 ff. RGBl. 1922, II, 237 ff. PCU A Nr. 7, 24.
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
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rechtswidrig, da es Rechte von Einzelpersonen als nicht bestehend behandele, ohne den Rechtsweg zuzulassen oder eine Entschädigung vorzusehen. Der Einwand Polens, Deutsche seien wie Polen gleichermaßen von den Liquidations· und Konfiskationsmaßnahmen betroffen worden, und damit die Behauptung eines Völkerrechtsprinzip, daß Ausländer nur Gleichstellung mit Inländern verlangen könnten, wies das Gericht zurück. Die Enteignung deutschen Privatvermögens ohne Entschädigung werde nicht dadurch erlaubt, daß sie auch hinsichtlich der eigenen Staatsangehörigen erfolgte. Die Aussagen des Gerichts können allgemeine Geltung beanspruchen, obwohl sie zunächst nur von der Auslegung völkerrechtlicher Verträge ausgehen. Dies hat in dem zweiten Chorzow-Urteil das Gericht noch einmal klargestellt.115 Hier ging es nur noch um die Berechnung und die Art und Weise des völkerrechtlich gebotenen Schadensersatzes. Danach muß der Schadensersatz so bestimmt werden, daß der Zustand hergestellt wird, der bestanden hätte, wenn die völkerrechtswidrige Handlung nicht begangen worden wäre. 116 Das Gericht führt hier aus, daß Enteignungen ohne billige Entschädigungen völkerrechtswidrig und nichtig seien. Da es in diesem 2. Urteil nur noch um den Schadensersatz ging, sind diese Ausführungen als obiter dictum anzusehen. Der Stand des Völkerrechts in dieser Frage ist dadurch gleichwohl zutreffend dargestellt. Zur Frage der Anerkennung im Rahmen des kollisionsrechtlichen Territorialitätsprinzips völkerrechtswidriger Enteignungen sagt das Urteil direkt nichts. Das Völkerrecht scheint zu dieser Aussage keine klare Position zu haben. Fest steht allein, daß Konfiskationen grundsätzlich völkerrechtswidrig sind und den Heimatstaat des Verletzten zum Schadensersatz berechtigen, der grundsätzlich in Form der Naturalrestitution zu leisten ist. Die Tatsache, daß hier allein der Staat aktiv legitimiert ist, ist ein prozessualer, kein materiell-rechtlicher Gesichtspunkt. Das Völkerrecht verlangt die Durchsetzung seiner Ordnung. Die Art und Weise überläßt es jedoch den innerstaatlichen Rechten. Dabei hat Deutschland durch Art. 4 WRV bzw. Art. 25 GG von jeher eine völkerrechtsfreundliche Haltung eingenommen. Hier ist zu bemerken, daß die Anerkennung aufgrund innerstaatlichen Rechts fremder völkerrechtswidriger Enteignungen diesen Enteignungen auf dem Gebiet 115 116
PCIJ A Nr. 17,12. PCIJ A Nr. 47.
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Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil
des Forumstaates zu einem neuen, entscheidenden Erfolg verhilft und sie insofern tatsächlich selbst mit eigener Hoheitsgewalt durchführt. Für den Fall, daß konfisziertes Eigentum nicht nur Staatsangehörigen des Forumstaates, sondern Angehörigen dritter Staaten gehört, wäre der die insoweit völkerrechtswidrigen Konfiskationen anerkennende Staat selbst eines völ117
kerrechtlichen Delikts schuldig. cc) Verfassungsmäßigkeit
nach dem Territorialitätsprinzip
Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei Konfiskationen nicht um besatzungshoheitliche Maßnahmen handelte, die die Anwendung des Territorialitätsprinzips ausschließen, ist entscheidend, inwieweit die mögliche Verfassungswidrigkeit dieser als deutsche anerkannten Maßnahmen eine Rolle für die Anerkennung spielt. Die Wirksamkeit von Konfiskationen ist danach nach dem Recht des Ortes zu prüfen. Die deutschen Gerichte sind zur Prüfung befugt und verpflichtet, ob der Eigentumsentzug durch das Ortsrecht tatsächlich vollzogen wird. Jedoch wird die Verfassungswidrigkeit dieses Entzugs vor deutschen Gerichten nur insoweit geltend gemacht werden können, als auch die Gerichte des enteigneten Staates zu einer solchen Prüfung befugt wären. Eine solche Überprüfung auf die Verfassungsmä.
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ßigkeit ist in der Sowjetischen Besatzungszone nicht möglich gewesen. Danach wäre hier im Rahmen des Territorialitätsprinzips eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit nicht vorzunehmen. Dies entspricht dem Bedürfnis des Kollisionsrechts das Recht des Ortes so anzuwenden wie es tatsächlich am Orte wirkt und nicht Vorstellungen des Forums auf den Gelegenheitsort zu übertragen. Von diesem Bedürfnis her wird zutreffend formuliert, daß die Enteignung nach dem internen Recht des enteignenden Staa120
tes nicht rechtmäßig, aber wirksam sein muß. 117
Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, 705, 707 ff. Staudinger/Stoll, nach Art. 12, Abs. 1, Rz. 144; Ferid, Internationales Privatrecht, 7-124 und 7-132; Kegel, Internationales Privatrecht, 297, der den schönen Satz Werner Goldschmidts zitiert: Bei der Anwendung eigenen Rechts sei man Architekt, bei der Anwendung fremden Rechts Fotograf; Münchener Kommentar-Kreutzer, Rz. 33 nach Art. 12 Anhang III; Neumayer, Fremdes Recht und Normenkontrolle, Rabeis Ζ 23 [1958], 573, 598 f.; Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, 44-47, Soergel/Kegel, Rz. 813 vor Art. 7 EGBGB. 119 Vgl. nur OGE1,1; 1,12; 1,161; 2,215 sowie OVG Jena in: IPRspr. 1945-1952 Nr. 118. 120 Staudinger/Stoll, a.a.O. 118
III. Rechtslage im westlichen Deutschland
73
dd) Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach sonstigen Gesetzen Die Konfiskationen nach 1945 wurden vom Wortlaut der ermächtigenden Normen nicht getragen. Hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Anerkennung wird auf die Wirksamkeit des Konfiskationsaktes nach der Lage am Ort des Geschehens geurteilt. Auch hier ist mehr die effektive Durchsetzung als die Rechtmäßigkeit entscheidend. Seidl-Hohenveldern hält es für unbefriedigend, daß selbst nach dem Recht des konfiszierenden Staates widerrechtliche Hoheitsakte von anderen Staaten anerkannt werden sollen und schlägt vor, hier eine tatsächliche Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit vorzunehmen. Diese Möglichkeit würde hier im Ergebnis den Betroffenen helfen. Auch der Entwurf einer neuen DDR-Verfassung von 1990 sah in Art. 133, . . . . Abs. 3 die Rückgabe rechtswidrig entzogenen Eigentums vor. Seidl-Hohenveldern sieht diese Überprüfungsmöglichkeit durch Gerichte des Forumstaates auf Rechtmäßigkeit der Konfiskationsmaßnahmen dann als indiziert an, wenn eine solche rechtliche Überprüfung auch im Belegenheitsstaat stattfände. Da dies nicht gegeben ist, ist eine solche Rechtmäßigkeitsprüfung nicht angesagt. Das Territorialitätsprinzip knüpft nicht an die Rechtmäßigkeit im Belegenheitsort, sondern an die effektive Machtdurchsetzung hinsichtlich der in Frage stehenden Sache da selbst an. 2. Die Inlands- und Gegenwartsbeziehung bei Anwendung der Voibehaltsklausel
des ordre public
Die Respektierung fremder Konfiskationen wird durch den Vorbehalt des ordre public eingeschränkt, Art. 30 EGBGB a.F. i.V.m. Art. 220 Abs. 1 EGBGB n.F.; Art. 6 EGBGB n.F. Wie schon bei der Bedeutung der Völkerrechtsmäßigkeit und allgemeinen Rechtmäßigkeit der KonfiskatiSoergel/Kegely vor Art. 7 EGBGB, Rz. 813; Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, 46 m.N. aus der amerikanischen Rechtsprechung, die sich geweigert habe, die Rechtmäßigkeit selbst solcher fremder Konfiskationen zu prüfen, die nur durch Bestechung des konfiszierenden Beamten zustande gekommen waren. 122 Verfassungsentwurf der DDR vom 4. April 1990 (Runder Tisch) in: Verfassungen in der DDR, hrsg. von Erich Fischer 1990, 15, 56, Art. 133 Abs. 3: Eigentum, das unter Verletzung des jeweils geltenden Rechts ... entzogen worden ist, ist auf Antrag an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzuerstatten, soweit es sich noch in der Verfügung eines Trägers öffentlicher Gewalt befindet. Abs. 4: Ist eine Rückerstattung nach Abs. 3 ausgeschlossen, bleiben die inzwischen erfolgten Verfügungen wirksam.
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Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil
onsmaßnahmen für die Anwendung des Territorialitätsprinzips ausgeführt, ist allein die tatsächliche Situation im konkreten Fall, das Ergebnis der An•
III
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Wendung fremden Rechts am Ort entscheidend. Es hat sich eine Formel durchgesetzt, nach der dann der ordre public Anwendung findet, wenn das Ergebnis der Anwendung fremden Rechts in einer besonders schwerwiegenden Weise den Sinn und Zweck der deutschen Regelung widerspricht. 124 Die ordre public-Widrigkeit der Konfiskationen bedarf keiner tiefgehenden Erläuterung. Die Art und Weise, der Ausschluß jeglicher rechtlichen Überprüfung auch in Exzeßfällen und die Entschädigungslosigkeit sind hier von Bedeutung. Obwohl nach herrschender Meinung die Verfassungsmäßigkeit, Völker- und sonstige Rechtmäßigkeit der Maßnahmen im Rahmen des Territorialitätsprinzips nicht geprüft wird, spielen diese Punkte im Rahmen der •
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IOC
Erwägungen zum ordre public eine entscheidende Rolle. Das Bundesverfassungsgericht macht keine ausdrückliche Aussage zur ordre publicWidrigkeit der Maßnahmen. Es sagt nur, daß die Entschädigungslosigkeit der Enteignung oder ein ihr sonst nach inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen anhaftender Mangel, soweit es Enteignungsobjekte im Territorium des enteigneten Staates betrifft, für sich allein nicht ausreichen, um ihr WirAJfL kung abzusprechen. In dem dort gegebenen Nachweis ist kein dieses dictum irgendwie belegender Hinweis zu finden. Näherer Erläuterung bedarf aber der für Anwendung des ordre public •
Vorbehalts notwendige Inlands- und Gegenwartsbezug. a) Die Inlandsbeziehung
197
Eine Inlandsbeziehung ist dann gegeben, wenn inländische Interessen berührt werden. Das wird dann angenommen, wenn das Opfer der Konfiskation Deutscher ist. Dies ist bei den hier in Frage stehenden Maßnahmen
123 Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. Art. 6 EGBGB, Rdnr. 47 f. m.w.N. 124 BGHZ 50, 370, 37; 75,32. 125 Staudinger /Sto II, a.a.O., Rz. 150 m.w.N. 126 Bei BVerfGE 84,124, Verweis auf BGHZ 62,340,343. 127 BVerfGE, a.a.O., 123; Kegel, Internationales Privatrecht, § 16, IV, 2; Staudinger/S toll, a.a.O., Rz. 151; Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 6 EGBGB, Rdnrn. 72-79, jeweils m.w.N.
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III. Rechtslage im westlichen Deutschland
der Fall. Durch § 1 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5.2.1934 gibt es nur noch eine einheitliche deutsche Staatsangehörig1OG
. . .
. . .
keit. Diese einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit ist über Art. 116 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG auch über den Zusammenbruch 1945 bewahrt worden. Dies macht auch die erste Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik deutlich, die in Art. 1 Abs. 4 regelt, daß es nur eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit gebe. Bis 1934 gab es eine Beziehung zwischen Landesangehörigkeit und deutscher Staatsangehörigkeit durch § 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22.7.1913130, nachdem die Staatsangehörigkeit des Gesamtstaates durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat vermittelt wurde. Das regelmäßig sonst eingreifende Kriterium der Staatsangehörigkeit kann aber aufgrund der einheitlichen Staatsangehörigkeit in Deutschland nach 1945 kein sinnvolles 1
Kriterium der Anknüpfung im interlokalen Kollisionsrecht sein. Eine Inlandsbeziehung wird dann angenommen, wenn sich die enteignete Sache im Inland befindet. Die konfiszierten Mobilien und Immobilien befinden sich jedenfalls zur Zeit im Inland. Ein funktioneller Auslandsbegriff scheidet jedenfalls mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland in Deutschland aus. Gerichte haben hier und jetzt über den Status damals konfiszierter Sachen zu befinden. Zeitpunkt der Entscheidung ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung für die Untragbarkeit des Ergeb. . . . . 1 nisses im Sinne des ordre public entscheidend für den Inlandsbezug. Vor der Wiedervereinigung wurde der Inlandsbezug hinsichtlich von Sachverhalten in der DDR unterschiedlich beurteilt. Nach einer Ansicht reichte Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in der DDR nicht als genüιw gende Inlandsanknüpfung. Dagegen wird vorgetragen, daß die Schutzund Friedenssphäre der inländischen Rechtsordnung gegenüber den sich hier aufhaltenden Personen aufrecht erhalten werden müsse und deshalb 128
Kegel, Internationales Privatrecht, a.a.O.; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., 663;1 2Staudinger/Stoll, a.a.O., m.w.N. 9 RGBl. I, 85. 130 RGBl. Bd. 1,583. 131 Ficker, Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts, 26 ff. 132 Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 6. Aufl., 219 m.w.N.; Sonnenberger; a.a.O., zu Art. 6 EGBGB, Rz. 76 m.w.N. 133
Sonnenberger, a.a.O., zu Art. 6, Rz. 74.
76
Β. Restitutionsausschluß nach dem Bodenreformurteil
ordre public-widrige ausländische Rechtsnormen hier keine Anwendung finden sollen.134 Andere meinten, daß Inlandsbezug immer dann vorläge, wenn die Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland oder in der DDR 1 ^^
ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben oder noch haben. Doch darauf kommt es hier in der Regel nicht an, denn die konfiszierten Sachen sind in aller Regel Immobilien. Hier entscheidet immer der Belegenheitsort. Dieser ist nunmehr ein einheitliches Deutschland und dadurch •
wird der Inlandsbezug hergestellt.
1 Vi
b) Die Gegenwartsbeziehung Eine Gegenwartsbeziehung liegt dann nicht mehr vor, wenn der Sittenoder Gesetzesverstoß in weiter Vergangenheit liegt und sich insofern Λ γι
"verflüchtigt" hat. Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorbedingung der Anwendbarkeit des ordre public-Vorbehalts kann hier keine starre Zeitgrenze gesetzt werden, sondern muß auf die konkreten Umstände der Fälle eingegangen werden. Da die Konfiskationen von vor rund 45 Jahren unmittelbar und direkt fortwirken und erst jetzt erstmals rechtlicher Würdigimg unterliegen, würde die Annahme des Fehlens einer Gegenwartsbeziehung gerade dem Sinn des ordre public-Vorbehalts widersprechen. Inlands- und Gegenwartsbeziehung sind hier also im Ergebnis gegeben.
134
Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, a.a.O. Raape/Sturm, a.a.O., 217; Soergel/Kegel, zu Art. 30 EGBGB, Rz. 17; Erman/Arndt, Art. 30 EGBGB, Rz. 3, der ausdrücklich eine DDR-Beziehung als Inlandsbeziehung interpretiert. 136 Vgl. nur Raape/Sturm, a.a.O., der in Fn. 200 auf OLG Hamburg IzRspr. 1950/54 Nr. 7a hinweist, das Binnenbezug bei Enteignung einer in Thüringen gelegenen Gesellschaft verneint hat. Ein solcher Ausschluß der Binnenbeziehung ist innerhalb des wiedervereinigten Deutschlands nunmehr nicht mehr denkbar. 135
137
Soergel/Kegel,
a.a.O., Rz. 18; Sonnenberger, a.a.O., Rz. 79.
zu
C. Materielle Rechtslage Das Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts hat wesentliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Bodenreform nicht behandelt. Es ist nicht auf die Rechtmäßigkeit der damaligen Maßnahmen aus heutiger Sicht eingegangen. Das Gericht hat durch die Anwendung des an die damalige Effektivität, nicht die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen anknüpfenden kollisionsrechtlichen Territorialitätsprinzips die materiell-rechtliche Würdigung des Sachverhalts teilweise vermieden. Seine Aussage lautet vereinfacht: Da die Bodenreform unter den damaligen Machtverhältnissen tatsächlich durchgeführt worden ist, war sie auch außerhalb des damals handelnden Machtbereichs einschließlich der Exzeßfälle nun nicht mehr in Frage zu stellen; dies hat sich auch heute nicht geändert. Im Ergebnis kam es auf materiell-rechtliche Würdigung der Vorgänge so nicht mehr an. Dagegen spricht, daß das Gericht mit einem kollisionsrechtlichen Argument genau den Fall geregelt hat, in dem keine Rechtskollision mehr bestand. Die mit der Wiedervereinigung hergestellte gesamtdeutsche Rechtseinheit schließt innerdeutsch nunmehr jeden Rekurs auf rechtsanwendungsrechtliche Vorfragen zur Lösung des Problems aus. Der Grund der Zurückweisung der Ansprüche der Antragsteller vor dem Bundesverfassungsgericht war, daß sie bundesdeutschem Recht keine Rechtsposition mehr innegehabt hätten, die unter den Schutz des Art. 14 GG fielen. Juristische Begründung dafür war, daß das sog. deutsche interlokale Verwaltungsrecht eine Anerkennung der Bodenreformkonfiskationen vorschriebe. I. Das deutsche interlokale Verwaltungsrecht nach dem Einigungsvertrag
Hinsichtlich der Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz entspricht das sog. interlokale Verwaltungsrecht dem deutschen internationalen Enteignungsrecht, das sich an die Regeln des internationalen
78
Materielle Rechtslage
Privatrechts anlehnt. Das internationale Enteignungsrecht bestimmt, ob und inwieweit ein Staat die Enteignungsakte eines anderen Staates in seinem Gebiet anerkennen muß. Im Verhältnis der Bundesrepublik zu der früheren DDR wird insoweit geregelt, ob und inwieweit die Enteignungsakte der DDR im Bundesgebiet Anerkennung finden können. Gleiches gilt für die Zeit vor Gründung der DDR für die Akte der Länder und Provinzen der sowjetischen Besatzungszone. Die Versagung der Anerkennung macht die Enteignung im Ursprungsland nicht unwirksam, sondern hemmt nur ihre Wirkung für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland. Die Frage der materiellen Gültigkeit der Enteignung in der früheren sowjetischen Besatzungszone gibt das internationale Enteignungsrecht als Teil des Kollisionsrechts nichts her. Vor der Wiedervereinigung konnte es die Enteignungen im Rechtsbereich der DDR nicht berühren. Im Anschluß daran hat es im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander seine Bedeutung als Kollisionsrecht verloren1. Ungeachtet dieser Schlußfolgerungen bedarf es eines Blickes auf die Regelung anläßlich der Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland durch den Einigungsvertrag. Das deutsche Kollisionsrecht ist im EGBGB geregelt. Sowohl BGB als auch EGBGB treten nach Art. 230 Abs. 2 EGBGB nF Hnach Maßgabe der folgenden Übergangsvorschriften" in Kraft. In den Art. 231-236 EGBGB werden die enumerierten Rechtsverhältnisse detailliert geregelt. Teilweise wird ausdrücklich gesagt, daß es sich um Recht der DDR handelt, wie in Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 2 oder Art. 232 § 1 und § 4 Abs. 1. Ansonsten wird es vielfach vorausgesetzt, daß es sich um Recht der DDR handelt. Insoweit eine Weitergeltung des Rechts der DDR vorausgesetzt wird, bleibt maßgebend, daß vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik das Recht überhaupt maßgebend war. Dies ist wiederum eine kollisionsrechtliche Frage, so daß die Regeln des innerdeutschen Kollisionsrechts weiterhin eine Rolle spielen. Ob hier nun aber das Kollisionsrecht der alten Bundesrepublik oder das der früheren DDR anzuwenden ist, spielt z.B. dann eine Rolle, wenn es um das Verwandtenerbrecht von Erben dritter und weiterer Ordnung geht, welche das Recht der DDR seit 1975 nicht mehr vorgesehen hat. Es bedarf damit der kollisionsrechtlichen Anknüpfung, um die Anwendung des jeweiligen Maurer, Die Eigentumsregelung im Einigungsvertrag 188, Heldrich y Das interlokale Privatrecht Deutschlands nach dem Einigungsvertrag - zivilrechtliche Vorfragen der Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz - , Berlin 1992 5 ff.
I. Das deutsche interlokale Verwaltungprecht nach dem Einigungsvertrag
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Rechts auf einen Sachverhalt klarzustellen. Die Bestimmung eines solchen Anknüpfungspunktes ist wiederum eine kollisionsrechtliche Frage, die nach dem Recht der Bundesrepublik bestimmt werden muß . Im Ergebnis ist Anknüpfung jedenfalls das Recht der Bundesrepublik Deutschland, das allein entscheidet, ob hier ein nach Art. 14 GG schützenswertes Recht den Betroffenen der Bodenreformkonfiskationen verblieben ist. In diesem Falle durften die in der sowjetischen Besatzungszone erfolgten Enteignungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt werden, da eine nunmehrig erfolgende Anerkennung durch Art. 41 Abs. 1 Einigungsvertrag und Art. 43 Abs. 3 nF GG einer Enteignung gleichkommt. Eine solche Sichtweise ist notwendig etwas begrenzt, da sie übergeordnete Gesichtspunkte des Zustandekommens des Einigungsprozesses nicht in Betracht zieht. Zur Kenntnis der rechtlichen Existenz von Eigentumsrechten ist diese Sichtweise zunächst jedoch zutreffend. Kollisionsrechtliche Anerkennung und Enteignung dürfen nicht einfach gleichgestellt werden. Unter der Rechtseinheit nach der Wiedervereinigung kann die Frage, ob Rechtspositionen betroffen sind, nicht nach Kollisionsrecht, sondern nur nach materiell anwendbarem Recht beurteilt werden. Dies drückt Forsthoff mit einer vorweggenommenen Antwort auf den Gedankengang des Bundesverfassungsgerichts aus: HDie auf dem Boden des internationalen Privatrechts entstandenen und geltenden Rechtsgrundsätze über die Anerkennung ausländischer Staatsakte sind jedoch für die Beurteilung der mit der Wiedervereinigung entstehenden Rechtslage unbrauchbar. Ihnen liegt die Prämisse zugrunde, daß die Rechtsordnungen selbständiger Staaten zusammentreffen und daß sich aus diesem Zusammentreffen Kollisionen ergeben. Die völkerrechtlich anerkannte Gleichordnung und Souveränität der Staaten muß der notwendige Ausgangspunkt für die rechtliche Bewältigung solcher Kollisionen sein. Diese Voraussetzung ist aber bei der Wiedervereinigung gerade nicht mehr gegeben.11 Die materielle Schlüsselfrage bleibt, ob den 2
Heldrichy a.a.O. 9 ff mit Hinweis auf die für Grundstücksverträge bedeutsame Regelung des zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes, 13 m.w.N. 3 Forsthof}, Ernst, Ist die Bodenreform in der Deutschen Demokratischen Republik im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzuerkennen?, 6; Palandt/Heldrich, Anhang II zu Art. 38 EGBGB, Rdnr. 14: "Mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands am 3.10.1990 haben sich die Probleme der exterritorialen Wirkung von Enteignungsmaßnahmen in der früheren DDR erledigt. Nunmehr geht es um die Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahmen selbst."
80
C. Materielle Rechtslage
Betroffenen zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Vermögenswerte Rechtspositionen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG geblieben sind, in die durch die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag eingegriffen wurde. Klarheit kann über solche Rechte nur gewonnen werden, wenn man sich die diesbezüglichen Regelungen des Einigungsvertrags wegdenkt. Erst dann kann erkannt werden, ob Vermögenswerte Positionen bestanden, die durch jene Regeln berührt worden sind. Man stelle sich die Wiedervereinigung ohne die umstrittenen Regelungen zu den offenen Vermögensfragen vor und prüfe, welche Rechte die Betroffenen in diesem Falle gehabt hätten. Die typische Konstellation dafür wäre die Herausgabe - bzw. Grundbuchberichtigungsklage des Alteigentümers vor dem ordentlichen Gericht. Hätten solche Klagen unter den genannten Umständen Erfolg, beständen Vermögenswerte Positionen, die durch die genannten vermögensrechtlichen Regeln des Einigungsvertrags ggf. berührt worden wären. Allein von diesem Standpunkt aus kann, im Unterschied zum Gedankengang des Bundesverfassungsgerichts, die Rechtslage anhand des zeitlichen und örtlichen jeweils anwendbaren materiellen Rechts gewürdigt werden. Vorausgesetzt wird der Eigentumsstand bei Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten Siegermächte am 5. Juli 1945.4 II. Verstoß gegen die Bodenreformnormen selbst
Es wurden Besitztümer enteignet, die nicht die nach den Normen erforderliche personale Qualität ("Naziführer, Kriegsverbrecher") noch die vorgeschriebene Mindestgröße von 100 ha aufwiesen (Exzeßfälle). Diese Konfiskationen sind nicht von den Normen umfaßt, materiell-rechtlich hat in diesen Fällen keine Enteignung stattgefunden. Es ist nicht ersichtlich, daß versucht wurde, jene Enteignungsexzesse rechtlich zu begründen. Wegen Ausschluß des Rechtsweges konnte bislang insofern keine gerichtliche Nachprüfung stattfinden. Meines Wissens ist seit der Rechtseinheit noch kein Verfahren hinsichtlich solcher Enteignungsexzesse versucht worden. Zu dieser Gruppe gehören auch die Konfiskationen, die sich auf qualitativ nicht von den Bodenreformnormen umfaßtes Eigentum erstrecken. Nach 4 Vgl. die Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands bei Rauschning, Rechtslage Deutschlands, 15 ff.
II. Verstoß gegen die Bodenreformnormen selbst
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Art. I I der Bodenreformnormen war landwirtschaftlicher "Grundbesitz" zu enteignen. Nach der Legaldefinition des Art. III § bzw. Ziff. 2 war dies "der gesamte landwirtschaftliche Besitz einschließlich des Herrenhofes, der Wälder, Gärten und Wiesen, Weiden, Seen, Sümpfe". Gerade hinsichtlich der mit besonderen Affektionsinteresse behaftete Familienandenken (Portraits von Familienangehörigen, Schmuck, mit Familienemblem versehenes Silber etc.) trifft der Verkauf durch Dritte an Vierte die Betroffenen besonders hart. Diese Gegenstände sind selbst bei weitester Auslegung nicht unter diese Legaldefinition zu fassen. Trotzdem ist keine Differenzierung insofern von der Bundesregierung oder dem Bundesverfassungsgericht vorgenommen worden. Der nach unseren Rechtsvorstellungen häufig vorliegende Verstoß gegen die der Bodenreform zugrundeliegenden Normen zeigt ein dem Sachverhalt zugrundeliegendes Dilemma auf. Hier soll durch das Bundesverfassungsgericht, die Behörden und andere Gerichte der Bundesrepublik nach rechtsstaatlichen Maßstäben ein Sachverhalt beurteilt werden, der ganz elementar nicht rechtsstaatlich, sondern Sozialrevolutionär gewollt wurde. Der Ausschluß jeder rechtlichen Überprüfung bis 1990 spricht eine deutliche Sprache. Gerade aber diese Normverstöße machen auch bei Annahme grundsätzlicher Wirksamkeit der Bodenreformnormen den Fortbestand in den betroffenen Fällen in unserer jetzigen Ordnung fragwürdig. Dies gilt insbesondere, wenn die besatzungshoheitlichen Grundlagen in Form der Befehle und Instruktionen der sowjetischen Besatzungsmacht nicht beachtet wurden bzw. sogar ihnen entgegengehandelt wurde. Dann wird die Formel des Restitutionsausschlusses für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage fragwürdig. In der Praxis kommt erst allmählich eine differenzierte Sichtweite zum Tragen5. In diesem Zusammenhang soll jedenfalls allein darauf hingewiesen werden, daß in vielen Fällen schon die Beachtung der Enteignungsnormen nicht gewährleistet war. Nach Art. II, § bzw Ziff. 3 der Bodenreformnormen sollte "der gesamte feudal-junkerliche Boden und (der) 6 Grundbesitz (mit)7 über 100 ha" entschädigungslos enteignet werden. Für die Länder Sachsen und Mecklen5 6 7
Dazu ausführlich unten F. So in Brandenburg. So Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
6 Biehler
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C. Materielle Rechtslage
burg-Vorpommern sollte "Grundbesitz mit über 100 ha" betroffen sein. Hier erscheint, bei weiter Auslegung die Praxis, die sämtliches, also auch das unter 100 ha liegende Grundvermögen umfaßt, noch vom möglichen Wortlaut umfaßt, soweit die Gesamtbetriebsgröße 100 ha überschreitet. Dagegen war sonst dem Wortlaut nach "der Grundbesitz über 100 ha", also nicht der Grundbesitz unter 100 ha, Gegenstand entschädigungsloser Enteignung. Die (Mit-)Konfiskation auch des Grundbesitzes unter 100 ha verstieß damit jedenfalls gegen den Wortlaut der Normen in den Provinzen Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie dem Land Thüringen, soweit nicht besonders qualifizierende Gründe in der Person des Betroffenen gem. der Bodenreformnorm tatsächlich vorlagen ("Nazikriegsverbrecher" etc.). I I I . Verstoß der Bodenreformnormen gegen höherrangiges Recht
i. Unverzichtbare
Individualrechte
und Verfahrensanforderungen
nach überpositivem Recht Forsthoff nahm als Beurteilungsmaßstab für die Demokratische Bodenreform nach der Wiedervereinigung die in der Europäischen Menschensrechtskonvention (EMRK) niedergelegten Grundsätze als Ausdruck eines unverzichtbaren Minimums persönlicher Freiheit an, die unabhängig von ihrer positiven Normierung als notwendige Elemente rechtsstaatlichen Denο
kens unmittelbar wirken sollen. Er hält die EMRK deshalb für so aussagekräftig, da sie als solche keine Aussagen über die Eigentumsordnung enthält und so nur die persönliche Freiheit und ihre Ausstrahlungen als das absolute Minimum des rechtsstaatlichen Systems definiert. Das Eigentum wird nur im von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten ersten Zusatzprotokoll zur EMRK geschützt.9 Deshalb kommt es hier nicht auf die Tatsache des Eigentumsentzugs als solchen an, sondern auf die Art und Weise der Durchführung. Das Vorgehen gegen den Grundbesitz hat elementare, durch g Forsthoff\ E., Ist die Bodenreform im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam an9 zuerkennen?, 7 ff. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, BGBl. II 1952, 686; Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls enthält eine Art. 14 GG vergleichbare Eigentumsgarantie.
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
83
die EMRK unter die Gewähr des Völkerrechts gestellte Menschenrechte verletzt. Grundbesitzer sind in Verletzung des Art. 2 EMRK getötet, einer unmenschlichen Behandlung (Art. 3) unterworfen, zur Zwangsarbeit weggeführt (Art. 4), oder sonst einer unangemessenen Behandlung unterworfen worden. Die allenthalben systematisch durchgeführte Vertreibung der Grundbesitzer aus allem ihrem Eigentum mißachtet das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5). Diese Maßnahmen erfolgten zum Zweck, Tatsachen zu vollenden, die es erleichtern sollten, die Entrechtung dieser Bevölkerungsschicht durch die entschädigungslose Enteignung zu vollenden. Forsthoff wollte nun diese Mängel über den Mangel des rechtlichen Gehörs bis heute fortwirken lassen. Dies rechtliche Gehör, womit natürlich letztlich auch die rechtliche Nachprüfbarkeit der Maßnahmen gemeint ist, ist nicht gewährt worden. Dies sei aber in einem Rechtsstaat das notwendige Minimum an zu gewährleistenden Verfahren. Nach Forsthoff macht die Mißachtung diesen elementaren Grundsatzes die Bodenreform rechtsunwirksam.10 Nur die genaue Kenntnis der Struktur und Funktion des Besitzes und seiner Bestandteile im einzelnen machten eine geordnete und sachgemäße Durchführung der Bodenreform möglich. Diese Kenntnis ließe sich aber ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs, und zwar hier in der intensiveren Form einer wirklichen Beteiligung der Betroffenen an dem umfassenden Eingriff in das Gesamtvermögen schlechterdings nicht gewinnen. Das gleiche gelte für die Erstreckung des Zugriffs auf das Inventar und sonstige zum Betrieb gehörende bewegliche Vermögen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Auseinandersetzung mit effektivem, aber inhaltlich Unrechtem "Recht" auf überpositive Maßstäbe berufen. Insbesondere Gustav Radbruch ist es dabei gefolgt. 11 Gerade in der Auseinandersetzung mit nationalsozialistisch beeinflußten Gesetzen ist der Gedankengang Radbruchs unverzichtbar geworden: "Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das Positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als "unrichtiges Recht" der Ge10 11
Forsthoff, E., a.a.O., 11. BVerfGE 3,225,232 f.; 6,132,198.
84
C. Materielle Rechtslage
rechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen. Eine andere Grenzziehung kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur "unrichtiges Recht", vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen... Der Rechtscharakter fehlt ... allen jenen Gesetzen, die Menschen ... die Menschenrechte versagen." Dies hat auch in die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG Eingang gefunden, wonach die Rechtsprechung "an Gesetz und Recht gebunden" ist. Damit ist ausgedrückt, daß sich Gesetz und Recht zwar tatsächlich im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Gesetze, die darauf angelegt sind, Unrecht zu verwirklichen oder die zwingende Gleichheit der Rechtssubjekte grundsätzlich zu verletzen und die an Recht zu stellende Mindestanforderungen damit verletzen, können von einem rechtsstaatlichen Gericht nicht anerkannt werden.14 In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 einzugehen.15 Diese Norm ist wegen unerträglichen Widerspruchs zur Gerechtigkeit als "von Anfang an nichtig" erachtet worden. Diese Verordnung entzog ins Ausland geflohenen Juden die deutsche Staatsangehörigkeit und das Vermögen. Das Gericht führt dazu aus: "Recht und Gerechtigkeit stehen nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Die Vorstellung, daß ein Verfassungsgeber alles nach seinem Willen ordnen kann, würde einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus bedeuten, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist. Gerade die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann. Daher hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit be12
Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., 1963, 347, 352 f. Vgl. dazu Quaritsch, in: VDStRL51 (1992), 127 ff.; sowie Häberle das., 117 ff.; vgl. BVerfGE 34, 269, 286 f.; dazu Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, 799. 14 BVerfGE 3,225, 232 f.; 6,132,198. 15 BVerfGE 23,98. 13
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
85
jaht, bestimmten "Rechtsvorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, weil sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. Die besagten Verordnung bezüglich der Juden ist auch nicht dadurch wirksam geworden, daß sie über einige Jahre hin praktiziert worden ist oder daß sich einige der von der "Ausbürgerung" Betroffenen seinerzeit mit den Maßnahmen im Einzelfall abgefunden oder gar einverstanden erklärt haben. Denn einmal gesetztes Unrecht, daß offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechts verstößt, wird nicht dadurch zu Recht, daß es angewendet und befolgt wird."16 Über fünfzehn Jahre zuvor hatte der Bundesgerichtshof dies auch schon erkannt: "Jene Gesetze" waren "niemals Recht, sondern von Anfang an das 17
Gegenteil, nämlich krasses Unrecht." Interessant ist seine Argumentation zu § 3 der 11. Verordnung, die er als "von vornherein nichtig" ansieht: "Denn die zwar normal in das Gewand eines Gesetzes gekleideten Verfallerklärung muß jedenfalls ihrem sachlichen Gehalt nach der Charakter einer Rechtsnorm abgesprochen werden. Diese Bestimmung, die letztlich darauf abzielte, solche Verfolgte, die unter dem Druck rechtswidriger Verfolgungsmaßnahmen ihre Heimat verlassen hatten, auch noch ihres Vermögens zu berauben, verstieß in gröbster Weise gegen den übergesetzlichen Gleichheitssatz wie auch gegen den durch Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung gewährleisteten Eigentumsschutz und gegen die übergesetzliche Eigentumsgarantie. ... obwohl Art. 153 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit gestattete, hielt es der Gesetzgeber nicht für erforderlich, sich zur Rechtfertigung des entschädigungslosen Vermögensverfalls auf Interessen der Allgemeinheit zu berufen. ... für die Verhängimg einer derartigen Strafmaßnahme gegen eine durch keinen Schuldvorwurf belastete ... Personengruppe fehlt es aber an jeglicher Rechtsgrundlage. ... die Verfallerklärung hat somit ... Rechtswirkungen nicht zu erzeugen vermocht. Sie konnte dem Verfolgten weder sein Eigentum noch sein Recht zum Besitz der von der Verfallerklärung IO
Betroffenen Vermögensgegenstände nehmen." In Ergänzung dazu betonte der BGH, daß Menschenrechte des Grundgesetzes nicht erst durch dieses 16 17 18
BVerfGE 23,105 ff. Auch hinsichtlich der 11. Verordnung in BGHZ 9, 34,41. BGHZ 16, 350, 353.
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C. Materielle Rechtslage
gewährleistet würden, sondern schon unabhängig von ihm seit jeher beständen.19 Dieser wertbestimmte Begriff von Recht ist auch in der staatsrechtlichen Literatur ganz herrschend. Damit wird den auch vorkonstitutionell wirksamen Menschenrechten rechtliche Verbindlichkeit zugeordnet, sie werde damit nicht nur als unverbindliches Postulat angesehen. Diese Ansicht ist nicht ganz einhellich. Zippelius will die Menschenrechte juristisch nur wirksam werden lassen, wenn eine funktionierende Rechtsschutzorganisation besteht. Aber auch nach dieser pragmatischen Konstruktion wird dann die juristische Geltung der Menschenrechte anzunehmen sein, wenn nach Beseitigung eines Unrechtsregimes eine das Recht garantierende Gerichtsbarkeit entsteht. In Art. 1 Abs. 2 GG "bekennt" sich das deutsche Volk zu den Menschenrechten, schafft sie also nicht am 23. Mai 1949, sondern setzt sie als geltend, also auch vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, voraus. 2. Art. 153 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 Die Verfassung des Deutschen Reiches vom bestimmt in Art. 153:
11. August 1919
(WRV)
Abs. 1: Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus dem Gesetz. Abs. 2: Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichte offenzuhalten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. Abs. 3: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste. Art. 13 Abs. 1 WRV bestimmt: Reichsrecht bricht Landrecht.
19
BGHZ 11, Anhang, 81. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 3. Aufl., 1985 zu Art. 1 Abs. 2 GG; Denninger, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1984, zu Art. 1 Abs. 2, 3, Rdnr. 5 ff.; von Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 1, 3. Aufl., 1984, Art. 1, Rdnr. 35 ff.; Herzog, Roman, Allgemeine Staatslehre, 367 ff. 20
21
Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 324 f.; ders. y in: Bonner Kommentar, zu Art. 1 Abs. 2 22 GG (Drittbearbeitung), Rdnr. 105. RGBl. 1919,1383 ff.
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
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Durch Gesetz im Lande Thüringen und durch Verordnungen der sonstigen Länder und Provinzen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands sind im September 1945 die Konfiskationen, also die entschädigungslosen Enteignungen der Bodenreform durchgeführt worden. Sehr fraglich ist, ob die entschädigungslose Enteignung im Sinne des Art. 153 Abs. 1 Satz2WRV zum Wohle der Allgemeinheit erfolgte. Zwar enthalten die Bodenreformnormen die Absicht, das konfiszierte Land an Ostflüchtlinge, landarme Bauern usw. zu verteilen und damit einen allgemeinwohlfähigen Zweck. Doch ist ein ganz wesentlicher Teil des Landes nie in deren Hände gekommen, sondern immer in Staatshand geblieben und der verbleibende nur sehr kurz in deren Hände gewesen, um innerhalb weniger Jahre kollektiviert zu werden. Dadurch besteht jetzt die besondere Lage, daß sich nun über 90 % des Bodenreformlandes in Staatshand befindet. Enteignungen zugunsten von Privatinteressen sind nach Art. 153 WRV unzulässig.23 Privatinteressen bleiben Privatinteressen und werden nicht zu Gemeinwohlbelangen, wenn sie im Verhältnis zu den Eigentumsinteressen als gewichtiger oder schutzwürdiger erachtet werden sollten.24 Inwieweit die Bodenreformnormen ursprünglich zugunsten der Allgemeinheit enteignen sollten, mag hier dahingestellt bleiben. Es ließe sich wegen der besonderen landwirtschaftlichen Struktur des Gebietes und den Millionen von Flüchtlingen im Lande einiges dafür anführen. Neben der ursprünglichen Gemeinwohlintention ist notwendig, daß die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit auf Dauer erfolgt, daß also der Allgemeinwohlzweck auf Dauer verwirklicht wird. Eine nur vorübergehende Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit ist nicht von Art. 143 umfaßt. Für den Fall bestimmter sonstiger Motive einer Enteignung hat Forsthoff den Begriff der transitorischen Enteignung geprägt. Das enteignete Gut muß auf Dauer dem Allgemeinwohl dienen. Allgemeinwohl in diesem Sinne ist aber nicht der Fiskalzweck des Staates, sich auf Kosten Privater zu bereichern, selbst wenn dadurch indirekt öffentliche Aufgaben erfüllt werden können. Dieser Gedanke gilt auch für die Verwendung von Bodenreformland für Zwecke der Treuhandanstalt. Da 23
Vgl. Papier zu Art. 14 GG, Rdnr. 498 in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum Grundgesetz; Art. 14 GG gleicht insofern Art. 153 WRV. 24 Papier, a.a.O., Rdnr. 499. 25
Forsthoff\ Ernst, Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, in: Festgabe für Theodor Maunz, 1971, 89, 99; siehe dazu auch die grundlegende Dissertationsschrift von Frey, Klaus, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, Berlin 1984.
C. Materielle Rechtslage
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das Bodenreformland entweder überhaupt nicht oder nur wenige Jahre den Ostflüchtlingen, landarmen Bauern usw." gemäß der Präambel der Bodenreformnormen zur Verfügung gestellt wurde, ist jedenfalls ein möglicher Allgemeinwohlzweck hier durch das Bodenreformland nicht mehr verwirklicht. Im Falle der Verfehlung bzw. der Beendigung des Allgemeinwohlzwecks des enteigneten Gutes sind die Voraussetzungen des Art. 153 Weimarer Reichsverfassung nicht mehr gegeben, bzw. nachträglich weggefallen. Rechtsfolge dieses Umstands ist die "Rückenteignung", des originären on Rückübertragungsanspruchs des Alteigentümers aus Verfassungsrecht. Die Entschädigungslosigkeit einer Enteignung kann nach Art. 153 Abs. 2 WRV nur durch Reichsgesetz bestimmt werden. Hier haben jedoch Länder- bzw. Provinzialverwaltungen entschädigungslose Enteignungen verordnet. Entschädigungslose Enteignungen sind dem Reichsgesetzgeber vorbehalten. Danach wären die enteignenden Ländernormen gemäß Art. 13 Satz 1 WRV nichtig. Es fragt sich, ob diese Normen der WRV nach dem 8. Mai bzw. 5. Juni 1945 auf die in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands neu eingerichteten Länder und Provinzen anwendbar sind. Dies ist unter folgenden Voraussetzungen anzunehmen: 1.
Das Deutsche Reich, als Zuordnungsobjekt und Zentralinstanz im Sinne der Verfassung muß die Kapitulation 1945 im Rechtssinne überlebt haben;
2.
die von der SMAD wieder eingerichteten Länder und Provinzen müssen noch Länder im Sinne dieser Verfassung sein;
3.
die Verfassung darf nicht von kompetenter Seite außer Kraft gesetzt sein;
4.
die entscheidenden Vorschriften, insbesondere der reichsgesetzlichen Vorbehalte des Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV, dürfen nicht durch die gänzlich veränderten Umstände sachlich unanwendbar geworden sein und 26
Papier, a.a.O., Rdnr. 506 zur Notwendigkeit der Dauer des Allgemeinwohlzwekkes
m.w.N. 27
Der Terminus Rückenteignung ist aus § 102 BBauG entnommen. Es ist eine spezialgesetzliche Ausformung des allgemeinen Prinzips, nicht eine erneute Enteignung, wie der Terminus suggeriert. Vgl. dazu Papier, a.a.O., Rdnr. 509.
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
5.
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es darf keine gültige Ermächtigung von kompetenter Seite zu den Enteignungen vorliegen. a) Bestand des Deutschen Reiches
Trotz ursprünglicher vereinzelter Gegenstimmen ist, bestätigt durch den Tesobeschluß des Bundesverfassungsgerichts, 29 für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland der rechtliche Bestand des Deutschen Reiches über den Zusammenbruch von 1945 hinaus nicht mehr zweifelhaft. Der vorübergehend entgegenstehende Standpunkt der DDR ist spätestens mit dem Beitritt gemäß Art. 23 GG zur Bundesrepublik Deutschland aufgegeben worden, da die DDR hier als ein Teil Deutschlands im Rechtssinne zur Bundesrepublik beitritt und so ein über die Bundesrepublik territorial hinausgehendes Deutschland voraussetzt. In dem gerade von der Europäischen Menschenrechtskommission entschiedenen Gatower Schießplatzfall wurde diese Ansicht von englischer Seite im Londoner Vorverfahren autoritativ bestätigt.31 Für die Sowjetunion hat sich der sowjetische Verteidigungsminister am 15. Juni 1990 angeschlossen, in dem er erklärte, die UdSSR befinde sich rechtlich gesehen im •
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.
Kriegszustand mit Deutschland als Ganzem. Er ging so vom Bestand Deutschlands als ganzem aus. In der jüngsten deutschen Rechtsprechung stand sogar einmal das Deutsche Reich im Zivilverfahren einem Land der Bundesrepublik gegenüber. 28
Kelsen , Hans, The legal status of Germany according to the declaration of Berlin, in: 39 AJIL (1945) 18 ff.; Wright , Quincy, The Law of the Nürnberg trial, in: 41AJIL (1947) 38 ff. 79 BVerfGE 77,137 ff., 154 f. m.w.N. zum Thema. 30
Nachweise bei Blumenwitz, Die Grundlagen eines Friedensvertrag? mit Deutschland, 119 ff., zu dem mit der westlichen Rechtsauffassung damals übereinstimmenden Auffassung der31DDR, Art. 1 der DDR-Verfassung von 1949: Deutschland ist eine unteilbare Republik. Lennox, Trawnik v. (1985), 1 WLR532; zitiert auch vom BVerfGE 77, 137, 159; Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission, in: ZaöRV 1989, 512; dazu Mann, F. Α., The legal status of Berlin, considered by the European Commission of Human Rights, in: ICLI1990,669-671. 32
3 3 Verteidigungsminister
Jasov, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Juni 1990,1. Beschwerdesache Deutsches Reich und bayerische Forstärar; LG Landau, GeschäftsNr. 4 Τ 68/88; dazu Blumenwitz, Das Deutsche Reich und die Bundesrepublik Deutschland im Streit um den Mundatwald?, in: AdV 1989, 63 ff. Zum Verhältnis von Reich und Bundesrepublik Mann, F. Α., a.a.O., 670 f.
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C. Materielle Rechtslage
Angesichts dieser Sachlage erübrigt es sich, in diesem Rahmen auf die näheren Gründe und die leicht zugängliche, umfangreiche Literatur zu dieser Frage einzugehen.34 Es sei nur kurz darauf hingewiesen, daß diese Sicht der Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges getragen wird: 35 In der Präambel dieser Erklärung übernehmen die vier Siegermächte "hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands." Damit wird die übernommene Regierungsgewalt entsprechend den verfassungsmäßig definierten Kompetenzen des Reiches, der Länder und Gemeinden übernommen. Eine Annektion, also eine Neuschöpfung originärer Staatsgewalt durch die Alliierten, wird ausdrücklich ausgeschlossen. Damit ist das Reich als Staat der Weimarer Reichsverfassung über den Zusammenbruch von 1945 im Rechtssinne erhalten geblieben. b) Die von der SMAD 3 6 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 wieder eingerichteten Länder und Provinzen als Länder im Sinne der WRV γι
t
Durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches verloren die Länder zwar ihre Hoheitsrechte38 die sie jedoch zum großen Teil zur Ausübung 39
zurückübertragen erhielten, nicht jedoch ihre Identität. 34
Die Länder wur-
Nachweise in BVerfGE 47,134 ff. Rauschning Rechtsstellung Deutschlands, 15 f. 36 Sowjetische Militäradministration Deutschland; das Land Thüringen wurde auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung eingerichtet, vgl. Regierungsblatt Thüringens 1945, 1, da die amerikanischen Streitkräfte zunächst Thüringen bis zur Übergabe an die SMAD besetzt hielten. 37 Gesetz vom 30. Januar 1934, RGBl. I, 75; § 2 Abs. 1. 38 § 1 DurchführungsVO zum Gesetz vom 30. Januar 1934 vom 2. Februar 1934, RGBl. I, 81. 39 Abendroth, Die Haftung des Reiches, Preußens und der Mark-Brandenburg, in: Neue Justiz (NJ) 1947, 73, 78, 80; Loening, Rechtsgutachten über die Frage, ob das jetzige Land Thüringen als Rechtsnachfolger des früheren Landes Thüringen und des Reiches ist, in: 35
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
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den entsprechend der hergebrachten Ordnung des Reiches wieder von der Militäradministration eingerichtet. Das wird insbesondere dadurch deutlich, daß Brandenburg und das heutige Sachsen-Anhalt zunächst als Provinzen mit Provinzialverwaltungen wieder eingerichtet worden sind. Provinzen sollte nicht "pro vincia" die Gebiete als Siegesbeute der Sowjetunion bezeichnen, sondern den Bezug auf das erst 1947 durch Gesetz des alliierten Kontrollrats aufgelöste Land Preußen, dessen Provinzen die Gebiete waren, herstellen. Erst dann, 1947, wurden die Gebiete zu Ländern. Dieser Umstand, wie auch die Auflösung des Landes Preußen durch alle vier Siegermächte im Alliierten Kontrollrat durch Gesetz, obwohl das Land Preußen schon lange keine Organe mehr hatte, zeigt, wie ernst die Verfassungsstrukturen des Reiches genommen wurden. Dementsprechend wurden die Länder von der SMAD als föderale Länder Deutschland bezeichnet und behandelt.40 "Daß Hamburg ein Land im Sinne der Reichsverfassung ist, bedarf keiner näheren Ausführungen", konnte auch das Landgericht Hamburg deshalb 1947 feststellen.41 Nach dem Zusammenbruch von 1945 sind die Länder und Provinzen der Sowjetzone solche im Sinne der Reichsverfassung geblieben. c) Außerkraftsetzen der relevanten Normen der WRV von kompetenter Seite? Eine nach 1945 wirksame Außerkraftsetzung der Normen ist vor 1945 nicht erfolgt. 42 Die vier Alliierten hatten bereits auf der Potsdamer Konferenz erklärt, daß alle nationalsozialistischen Gesetze, welche die Grundlage des Hitlerregimes bildeten, rückwirkend abgeschafft werden müßten. Der Alliierte Kontrollrat, die höchste Autorität im damaligen Deutschland, hat daraufhin zunächst in seinem am 30. Januar 1946 erlassenen Gesetz Nr. 11 eine Reihe von Gesetzen ausdrücklich aufgehoben. Da manche nicht durch dieses Gesetz Nr. 11 aufgehobene Gesetze nationalsozialistischen Geist GRZ1946, 129; Scheuner, Die Funktionsnachfolge und das Problem der staatsrechtlichen Kontinuität, in: Festschrift für Nawiasky, 45 ff.; LG Hamburg, in: MDR, 1947,38. 40 Vgl. Abendroth, a.a.O., 80; Loening, a.a.O., 130. 41 LG Hamburg, MDR 1947, 38. 42 BGHZ 6, 270, 274 zur Aufhebung des Art. 153 WRV durch Verordnung des Reichspräsidenten vom 18. Februar 1933.
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C Materielle Rechtslage
enthielten, wird diese enumerierte Aufhebung von Gesetzen eher als beispielhaft, denn als abschließend für Gesetzesaufhebung nationalsozialistischer Gesetze angesehen. Alle Gesetze, die dem nationalsozialistischen Deutschland nach 1933 sein besonderes Gepräge gegeben haben, werden hier dazuzuzählen sein. Dagegen sind Gesetze, die nicht im Zusammenhang mit der besonderen Gesellschaftsstruktur dieser Jahre stehen, nicht aufgehoben und können auch nicht als aufgehoben gelten. Dies gilt für die hier in Frage stehenden Bestimmungen des Weimarer Reichsverfassung. Dementsprechend ist die Rechtsprechung nach 1945 insbesondere von der Geltung des Art. 153 WRV ausgegangen.43 Die entsprechenden Normen der Weimarer Reichsverfassung sind damit nach 1945 von kompetenter Seite nicht außer Kraft gesetzt worden. d) Sachliche Unanwendbarkeit der entscheidenden Vorschriften, insbesondere des reichsgesetzlichen Vorbehalts des Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV, durch die gänzlich veränderten Umstände nach dem Zusammenbruch 1945 In Frage steht die Gültigkeit der Art. 153 Abs. 2 Satz 2, 13 Satz 1 WRV. Sie regeln das Verhältnis vom Reichs- zum Landesrecht. Können sie, wie die anderen nicht aufgehobenen Normen unter den tatsächlich verwirrenden Umständen der Nachkriegszeit und des Streits zwischen Besatzungsmächten noch Gültigkeit beanspruchen? Die Regeln über den Reichstag der Weimarer Reichsverfassung funktionieren ohne Reichstag ebensowenig wie die über das Staatsoberhaupt ohne Amtsinhaber. Aus diesen tatsächlichen Defiziten der Verfassung Schloß das Bundesverfassungsgericht 44, es seien alle Normen der Weimarer Reichsverfassung mit staatsorganisationsrechtlichem Charakter mangels existenter Staatsorganisation unanwendbar. Es gelte sowohl für Art. 13 Satz 1 WRV als auch für Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV.
43 BGHZ 6, 270, 274; OGH, in: DV 1948, 15 ff.; OLG Hamburg MDR 1948, 253 f.; BEZ VG Berlin-Zelendorf NJW 1947/48, 496; LG Bonn, Urteil vom 13.10.1947, in: Rechtsprechung deutscher Gerichte, Bd. I, 1948,149, das auf die Notwendigkeit, auch 1947 den verfassungsmäßigen Gesetzgebungsgang einzuhalten, hinweist. * BVerfGE 2, 237,248 - 252.
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
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Dagegen ging der große Senat des Bundesgerichtshofs mit anderen Zivilgerichten von der Geltung des Art. 153 WRV "mit Verfassungskraft" aus; der Vorrang und Vorbehalt des Reichsrechts bestehe auch nach 1945 ungebrochen fort. 45 Dieser anscheinende Gegensatz zwischen der Aussage des Bundesverfassungsgerichts und der insbesondere des Bundesgesrichtshofs läßt sich durch Erläuterung der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts anhand der vom Gericht zitierten Literatur auflösen. 46 So betrachtet besteht für die hier gestellte Frage nach der Anwendbarkeit der das Verhältnis von Reichs- und Landesrecht regelnden Normen kein Gegensatz zu den Stellungnahmen der Zivilgerichte. Unstrittig ist, daß das allgemeine Reichsrecht fortbesteht, gewisse verfassungsrechtliche Regeln aber mit dem Zusammenbruch 1945 ihre Grundlage und damit Geltung verloren haben. Schon die Verfassungslage von 1933 bis 1945 war nicht mehr die von den Vätern der Reichsverfassung gedachte. Die nichtaufgehobenen Bestimmungen galten nur noch wie einfache Reichsgesetze, ohne erhöhte Bedeutung aus ihrer Stellung in der Reichsverfassung zu beziehen. Es herrschte abso. ΔΠ luter Zentralismus des Führers als Reichs- und Landesgesetzgebers. Auch formell konnten die Länder nur noch im Auftrag und Namen des Reiches Gesetze erlassen. Diese Gesetze waren damit kein Landesrecht im herkömmlichen Sinn der Weimarer Reichsverfassung und der deutschen Verfassungstradition, sondern Reichsrecht mit territorial begrenzter Gültigkeit. Damit hatte die Regel des Art. 13 Satz 1 WRV nur noch die Aufgabe einer Kollisionsnorm, die zu entscheiden hatte, ob das vom Reich oder das vom Land gesetzte Reichsrecht gelte. Ohne seine Funktion zu verlieren, hatte die Norm damit ihren staatsorganisatorischen Charakter verloren. Wie alles Reichsrecht, das nicht staatsorganisatorisch und damit in der Regel 1945 obsolet wurde, so ist auch diese Regel als reichsrechtliche Kollisionsnorm durch die Vorgänge von 1945 in ihrer Funktion der Abgrenzung der verschiedenen Normkreise nicht berührt worden.48 Ihren Regelungsbereich, Reichsrecht und Landesrecht, gab es in gewandelter Form vor sowie nach 45
Vgl. die in der vorletzten Fußnote zitierten Nachweise. BVerfGE 2,253 insbesondere Stödter, Deutschlands Rechtslage, 262 ff. 47 Vgl. dazu Laun, Kriegsrecht ohne Krieg, in: Reden und Aufsätze, 60,66 f. 48 Stödter, a.a.O., 662; auch in BVerfGE 2, 253 zitiert Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, 97, weiter Löhning, a.a.O., 132, Steininger, in: NJW 1947,148 stimmt zu, kommt jedoch aufgrund der im folgenden behandelten Ermächtigung der SMAD zu einem differenzierten Ergebnis. 46
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C. Materielle Rechtslage
1945. Daß Länderverfassungen nach 1945 Änderungen der Reichsgesetze vorsehen, ist als restriktiv auszulegende Notstandsmaßnahme anzusehen. Eine Kompetenz gegenüber dem deutschen Gesamtstaat im Rechtssinne erwächst ihnen daraus grundsätzlich nicht.49 Sinn eines gemeinsamen Reichsrechts nach dem Zusammenbruch war es, die Rechtseinheit im Hinblick auf die staatliche Einheit so weit wie möglich zu wahren. Daraus erklärt sich das Wiedervereinigungsgebot als auch der Beitrittsartikel. Sie schließen an inzwischen gesicherte Konzeptionen vom Bestand Deutschlands an. Das der Grundsatz "Reichsrecht bricht Landesrecht" 1945 seines staatsrechtlichen Charakters entkleidet und zu einer Kollisionsnorm geworden ist, verkannten diejenigen, die die Regelung für obsolet halten.50 Wie das übrige Reichsrecht, das keinen staatsrechtlichen Charakter besitzt, so ist auch diese reichsrechtliche Kollisionsnorm der Art. 153 Abs. 2 Satz 2, Art. 13 Abs. 1 WRV durch die Vorgänge von 1945 nicht berührt worden. Dagegen spricht der auch im Bundesverfassungsgericht zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen genommene Umstand, daß 1945 kein im deutschen Recht verankertes Verfahren für eine allgemeine Reichsgesetzgebung existierte. Zwar wird der Fortbestand jener reichsrechtlichen Kollisionsnorm dadurch nicht berührt, aber die damaligen Verhältnisse ließen es als unumgänglich erscheinen, auf manchen Gebieten in bestehendes Reichsrecht einzugreifen. Diese Möglichkeit bestand unstreitig auf der Ebene des Besatzungsrechts. Auch im Besatzungsrecht wurzelnde Kompetenzen der Länder und Provinzen wird noch einzugehea sein. Innerstaatlich bleibt festzuhalten, daß das Verbot entschädigungsloser Enteignungen für Länder des Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV grundsätzlich nach 45 fortbestand. Laun ging davon aus, daß der 1945 weggefallene Zentralismus des Führerstaates auch die entsprechenden Normen nicht mehr als Kollisionsnormen erscheinen läßt, sondern daß der alte Zustand automatisch wieder
49
Z.B. Art. 27 Abs. 3 Verfassung von Hamburg vom 15.5.1946; Art. 137 Verfassung Rheinland-Pfalz vom 18.5.1947; Art. 151 Verfassung von Hessen vom 11. Dezember 1946. Dazu Graefe, a.a.O., 104 f., der den zeitlichen und sachlichen Rahmen dieser Notstandskompetenzen treffend beschreibt. 50 Jellinek, Walter, Neue Probleme des Kompetenzkonfliktes, in: Festschrift für Wilhelm Kisselbach, Hamburg 1947,125, 132, Abendroth, a.a.O., 73,115; Stabert, Das Recht der Besatzungsmächte in der amerikanischen Zone, Heidelberg 1946,19.
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auflebte. 51 Läßt man damit den rechtlichen Zustand von 1933 im Jahre 1945 wieder aufleben, so kommt man bezüglich der hier interessierenden Normen zum gleichen Ergebnis: Der von der Weimarer Reichsverfassung intendierte Zustand ist voll wieder hergestellt. Selbst wenn man mit Schmidt-Jorzif? 2 gegen Scholz 53 und den eben ausgeführten Gedankengang die Wirksamkeit der die Reichs- und Landesebene betreffenden Regeln (als Kollisions- oder Kompetenznorm [des Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV]) nach 1945 als unwirksam betrachtet, bestand die allgemeine, dem heutigen Art. 14 GG vergleichbare Eigentumsgarantie des Art. 153 Abs. 1 WRV unstreitig fort. 54 Sie umfaßt jedenfalls das oben erläuterte Allgemeinwohlerfordernis der Enteignung und beim Mangel desselben den unmittelbaren Rückübertragungsanspruch. Im Ergebnis macht der Verstoß der Bodenreformnormen gegen Art. 153 Abs. 1 und/oder Abs. 2 WRV jene rechtswidrig und gibt den Betroffenen dann, wenn das Allgemeinwohlerfordernis tatsächlich im Einzelfall nicht (mehr) erfüllt ist, einen originären unmittelbaren Rückübertragungsanspruch. Die hier fragliche Gültigkeit der Norm ist insofern nicht durch die gänzlich veränderten Umstände nach 1945 sachlich weggefallen. Das Gesetzgebungsrecht der Länder und Provinzen ist durch gesamtdeutsches Recht in dieser Zeit noch begrenzt.55
51 Laun, Kriegsrecht ohne Krieg, in: Reden und Aufsätze, 70.93 f., dies wird auch durch die neugefaßten Länderverfassungen iniziert, die sich als Gliedstaaten Deutschlands sehen; Nachweis dazu bei Grewe, a.a.O., 96.
52
Schmidt-Jorzig, Edzard, Sind nicht in Wahrheit bloß Hoffnungen enttäuscht worden?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.9.1990. 53 Scholz, Rupert, Ein Ausgleich muß für die 1945 bis 1949 Enteigneten hergestellt werden, in: Welt vom 30.10.1990. 54 BVerfGE 2, 237; BGHZ 6, 271, 274. 55 Peters, Das Gesetzgebungsrecht der Länder und Provinzen, in: NJ 1947, 2, 6, dessen Ausführungen auch deshalb eine gewisse Autorität für seine damalige Zeit aus der Tatsache beziehen, daß die NJ vom Justizamt der Besatzungszone herausgegeben wurde. Noch weitergehende Einschränkungen der Zonenkompetenz gegenüber gesamtdeutschen Recht nahm Mann, F. Α., Deutschlands heutiger Status, 466,478, vor.
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e) Ermächtigung zur entschädigungslosen Enteignung von kompetenter Seite? Die Haager Landkriegsordnung in Deutschland nach 1945 Es gibt einige besatzungsrechtliche Normen, die als Ermächtigung zu entschädigungsloser Enteignung verstanden werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht zitiert den Befehl 110 der SMAD vom 22.10.1945, der Maßnahmen der Provinzial- bzw. Länderverwaltungen für "gesetzeskräftig" erklärt. 56 Er überträgt den Ländern und Provinzen das Recht, auf dem Gebiet der Legislative, der gerichtlichen und vollziehenden Gewalt Gesetze und Verordnungen, auch rückwirkend, zu erlassen. Dem Wortlaut nach ist der Befehl eine umfassende Ermächtigung. Auch der Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945, der das Eigentum enumerierter Personengruppen sequeen
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striert, wird angeführt. Ungeeignet ist in diesem Zusammenhang der Befehl Nr. 97 der SMAD vom 29. März 1946, der beschlagnahmtes Eigentum an die deutsche Verwaltung mit der Auflage zurückgibt, irrtümlich beschlagnahmtes Eigentum den Eigentümern zurückzugeben.58 Eher in diesen Zusammenhang paßt noch der Befehl Nr. 64 der SMAD vom 17.4.1948, der Enteignungen der Länderverwaltungen bestätigt. Durch Auslegung ist nun zu ermitteln, ob diese Befehle auch zu Konfiskationen entgegen Art. 153 WRV ermächtigen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Sequestration von Eigentum durch die SMAD nicht in die Eigentümerposition eingreift. Sie bereitet eine Enteignung oder Konfiskation allenfalls vor. Hinsichtlich der dem Wortlaut nach zu Konfiskationen ermächtigenden Befehlen der SMAD ist fraglich, ob die SMAD dazu die entsprechende Kompetenz hatte. Die Frage, inwieweit die einzelne Besatzungsmacht oder nur alle Siegermächte durch den Alliierten Kontrollrat gesamtdeutsche Normen ändern konnten, soll hier nicht behandelt werden. Die Frage lautet eher, ob die Besatzungsmacht oder die Besatzungsmächte gemeinsam die Kompetenz hatten, die Länderverwaltungen zu derartigen Konfiskationen zu ermächtigen. 56
Im Urteil unter Β I, ROW 1991, 212, 219; der Befehl im Verordnungsblatt der SMAD 1945,5 f. oder in Befehle der Obersten Chefs der SMAD, Sammelheft 1,1945,19. Ähnlich auch Befehl Nr. 126 der SMAD vom 31. Oktober 1945, vgl. VOB1. der Provinz Sachsen 1945, Nr. 4/5/6,10. 58
Vgl. dazu auch die Befehle Nr. 154 und 181 vom 21. Mai 1946 in den Bestimmungen der DDR zu Eigentumsfragen, 1972, 7 f.
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Nur wenn die Besatzungsmächte gegen Reichsrechtsnormen derartig allgemein verstoßen durften, konnten sie die Länder auch wirksam dazu ermächtigen: nemo plus juris transferre potest, quam ipse habet. Welche Kompetenz hatte also die SMAD selbst? Eine Kompetenz der Besatzungsmacht Sowjetunion zu derartigen Konfiskationen könnte aufgrund der Regeln der Haager Landkriegsordnung fraglich sein. Die entscheidenden Regeln lauten: Art. 42 Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann. Art. 43 Nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze. Art. 46 Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden. Art. 55 Der besetzende Staat hat sich nur als Verwalter und Nutznießer der öffentlichen Gebäude, Liegenschaften, Wälder und landwirtschaftlichen Betriebe zu betrachten, die dem feindlichen Staate gehören und sich in den besetzten Gebieten befinden. Er soll den Bestand dieser Güter erhalten und sie nach den Regeln des Nießbrauchs verwalten.59 Danach ist das Privateigentum geschützt und die Rechtsordnung des besetzten Staates bleibt bestehen, außer Hwenn unüberwindliche Hindernisse bestehen." Sollten diese Normen für die SMAD gelten, so hätte sie keine Kompetenz zur entschädigungslosen Enteignung oder Konfiskation. Sie könnte eine solche also nicht auf die Länder übertragen, so daß das Ermächtigungsgesetz des Befehls 110 der SMAD so auszulegen wäre, daß er nicht zu Konfiskationen ermächtigen konnte oder wollte. 59
Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, RGBl. II, 1910,107; Berber, Völkerrecht, Dokumentensammlung, Bd. 2,18,92,1905 ff. 7 Biehler
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Die Frage nach der Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung im Falle des Nachkriegsdeutschlands ist ausführlich diskutiert worden.60 Mit den Argumenten, die gegen die Geltung der Haager Landkriegsordnung im Falle Deutschlands hervorgebracht wurden, setzt sich neuerdings Wallat anhand der völkerrechtlichen Stellung des Memelgebietes auseinander.61 Unabhängig von dem in diesem Falle etwas fernliegenden Gegenstand der Untersuchung ist das Thema nach Umfang und Literatur so aktuell behandelt, daß sich ein vertieftes Eingehen auf diese Frage in diesem Zusammenhang hier verbietet. Es sei nur kurz im Anschluß an Laun darauf hingewiesen, daß die Alliierten im Nürnberger Urteil, im allgemeinen Teil, den Ausführungen über Rosenberg, sich auf die Haager Landkriegsordnung berufen haben und erklären, daß 1939 eine allgemeine Anerkennung und Bindung aller zivilisierten Völker an diese Regeln gegeben sei. Er weist ebenso auf Art. II Ziff. 20 der Verordnung Nr. 1 der Alliierten hin, nach der jeder Verstoß gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges unter Strafe gestellt wird. Insgesamt wendet er sich besonders dagegen, daß die Nichtgeltung der Regeln der Landkriegsordnung mit Zuständen begründet wird, die die Alliierten als die Verpflichteten selbst herbeigeführt hätten. Hier ist unproblematisch vertraglich eine Bindung gegeben. Deutschland, Rußland und die westlichen Alliierten waren Gründungsmitglieder der Haager Landkriegsordnung. Dementsprechend werden sie alle, ob in der Zeit ihres Bestehens die Sowjetunion, jetzt die Gemeinschaft Unabhängiger 60 Grundlegend Laun, Die Haager Landkriegsordnung,, 5. Aufl., Hannover 1950, 87-138, dessen Ausführungen ein an den Erfahrungen der damaligen Zeit entwickeltes Engagement und eine juristische Schärfe zeigen, in der die gesamte nachfolgende Diskussion vorweggenommen ist und als Beispiel und Vorbild auch für die Zukunft dienen sollte; ähnlich grundlegend Mann, F. Α., Deutschlands heutiger Status, 466, 470 ff.; Zinn, Das staatsrechtliche Problem Deutschland, 4, 10; ausführlich Arndt, Völkerrechtliche und staatsrechtliche Bedeutung der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, 80 f.; Stödter, Deutschlands Rechtslage, 180; Hannover, Prinz Georg Wilhelm von usw., Die völkerrechtliche Stellung Deutschlands nach der Kapitulation, 40 ff.; unmittelbar vor der Wiedervereinigung noch Schröder, Dieter, Die Reste des Besatzungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 73 ff.; von Lampe, Kommentar zur Verfassung von Berlin zu Art. 1, Rdnr. 25; und letztlich mit der Erfahrung der Wiedervereinigung Goetze, Clemens von, Die Rechte der Alliierten auf Mitwirkung bei der deutschen Einigung, 2161, 2163, ders., mit umfassenden Nachweisen auch aus der neuesten Zeit, Die Außenvertretung Berlins (West) - zugleich ein Beitrag zu den Rechten der Alliierten bei der deutschen Einigung - 16-25. 61 Wallat, Joachim, Die völkerrechtliche Stellung des Memelgebietes, Frankfurt/Main 1990, 94-114. 62 Laun und auch in: Der gegenwärtige Rechtszustand Deutschlands, 9-21. 63 Laun, 18.
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Staaten, im Fundstellennachweis Β des Bundesgesetzblattes als Vertragsparteien geführt. Die Annahme der Sowjetunion, nach 1917 nicht mehr an die Verträge aus der Zeit des alten Rußlands gebunden zu sein64, bezieht sich nicht auf die Haager Landkriegsordnung sondern nur auf Verträge, die "von der Kolonial- und Eroberungspolitik geprägt"65 und damit ungleich waren. Insgesamt ist die Geltung heute wohl auch deshalb wenig umstritten, da die HLKO jedenfalls in den hier interessierenden Regeln nur völkergewohnheitsrechtlich geltende Handlungsmaßstäbe kodifiziert. 66 Dies entspricht auch dem tatsächlichen Verhalten der Alliierten nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945. Ausgangspunkt ist die Erklärung der vier Alliierten vom 5. Juni 1945 in Anbetracht der Niefn derlage Deutschlands. Danach übernahmen sie "die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Anektierung Deutschlands." Die "vorstehend genannten Zwecke" sind es, Vorkehrungen für die Einstellung weiterer Feindseligkeiten seitens der deutschen Streitkräfte zu treffen und die Aufrechterhaltung der Ordnung in Deutschland und die Verwaltung des Landes zu gewährleisten.68 Bemerkenswert ist hier, daß sich die Übernahme der höchsten Regierungsgewalt ausdrücklich auf die Befugnisse der Reichsregierung, des Oberkommandos der Wehrmacht, der Länderregierungen usw. bezieht. Es wird damit auch bestehende, nach deutschem Verfassungsrecht bestimmbare und abgrenzbare Kompetenzen bezug genommen. Sie werden in der Erklärung von den Alliierten vorausgesetzt und in Anspruch genommen. Dies wird durch die Feststellung einer Anektierung, die die in Anspruch ge64 6 5 Vgl.
Tunkin, Gregory, Völkerrechtstheorie, 29 ff. Vgl. Tunkin, a.a.O. 66 Neuestens Schröder; Die Reste des Besatzungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 74; Arndt, Völkerrechtliche und staatsrechtliche Bedeutung der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, 80 f.; Städter, Rechtslage Deutschlands, 180. 67 Text bei Rauschning, Rechtstellung Deutschlands, 15 ff. 68 Vgl. Text der Erklärung bei Rauschning, a.a.O.
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nommene staatliche Kompetenzordnung gerade vernichtete und durch eine aufgesetzte ersetzte, findet nicht statt, bestärkt. Diese Erklärung entspricht dem allgemeinen Völkerrecht, wie es in Art. 43 HLKO kodifiziert ist. Dieses humanitäre Völkerrecht, daß jus in bello, schützt in Art. 46 das Privateigentum vor Enteignungen der Besatzungsmacht. Der persönliche Individualrechte völkerrechtlich schützende Charakter des unverzichtbaren humanitären Völkerrechts ist gerade für den Fall da, Hwenn die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzen übergegangen ist" (Art. 43 HLKO). Schutzzweck ist es, gerade dann, wenn der siegreiche Besatzer alle Macht im besetzen Gebiet übernommen hat, der Bevölkerung des Gebietes einen gewissen Schutz vor Willkür und Übergriffen zumindest dem Rechte nach zu gewähren. Wie auch Gegner der Anwendbarkeit im Falle Deutschlands zugeben, kann der Umstand, daß die Besetzung Deutschlands nach dem 8. Mai 1945 nicht mehr tatsächlich kriegerisch war, sondern auch mit anderen Begriffen umschrieben werden kann, a malore at minus die betroffene Bevölkerung nicht ihrer Mindestrechte gemäß der HLKO berauben.69 Die Äußerungen sowie die Praxis der Alliierten selbst sind in dieser Frage 7Π
widersprüchlich. Das ist erklärlich, da beide Positionen den Alliierten einerseits Vor- als auch Nachteile in verschiedenen Situationen bringen kön71
nen. Eine Ablehnung der Geltung hätte für den errungenen Mindeststandard an Menschenrechten im Rahmen des humanitären Völkerrechts fatale Folgen.72 In der damals bedeutsamen Zeit nach 1945 hat sich die Rechtsprechung im Anschluß an ein Schweizer Leiturteil praktisch einheitlich für die Anwendbarkeit der HLKO in Deutschland ausgesprochen, wenn auch Probleme im Einzelfall zugegeben werden.73 ω
Mann, F. Α., Der heutige Status Deutschland, 478 f. Stödter; 178 f., mit detaillierten Hinweisen auf die Alliierten Praxis in Deutschland nach 1945 und auf die entsprechende opinio iuris, die die HLKO in Deutschland anwendet; Münch, Die völkerrechtlichen Grundlagen des Status Deutschland, 143, grundlegend mit Nachweisen alliierter Äußerungen. 71 Das erkennt Mann, a.a.O. 70
72
Zum Verhältnis von Eigentum und Menschenrecht Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 17 f., 111; kurz und treffend prägnant Münch, Völkerrechtswidrige Enteignungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. August 1990, 9. 73 Vgl. das Leiturteil des OG Zürich, in: Schweizer Juristenzeitung 1946, 89; Württembergisch-badischer VGH, in: AöR, 1948, 370; OGH (britische Zone), in: DV 1949, 359; OLG Braunschweig, in: SJZ1948, 759; OLG Frankfurt, in: SJZ 1948, 760; OLG Hamburg, in: NDR
III. Verstoß gegen höherrangiges Recht
101
Insgesamt kann so die Anwendbarkeit der hier entscheidenden Artikel der Haager Landkriegsordnung auf Deutschland einschließlich der sowjetischen Besatzungszone als gesichert angesehen werden. Danach hatte die Besatzungsmacht wegen Art. 46 HLKO kein Recht entschädigungslose Enteignungen, außer im eng begrenzten, hier nicht relevanten Ausnahmefällen, vorzunehmen. Damit konnte sie eine solche Kompetenz auch nicht durch Befehl auf die Länder übertragen. Ein Befehl muß deshalb so ausgelegt werden, daß er eine derartige Kompetenz, da völkerrechtswidrig ultra vires, nicht übertragen wollte und nicht übertragen hat. Die Länder sind also nicht wirksam ermächtigt worden, die entschädigungslosen Enteignungen durchzuführen.
1948, 253; OLG Hamm, in: SJZ 1948, 761; implizit in der Sache zwingend, wenn auch nicht ausdrücklich OLG Dresden, in: DV 1949,216.
D. Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils I. Rechtskraft Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden gegen die Regelung, daß "Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945-49) nicht mehr rückgängig gemacht 1
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werden können" , zurückgewiesen hat , fragt sich nun, inwieweit das Bodenreformurteil rechtlich bindet. 1. Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG Maßstab für die Bindungswirkung der Entscheidung ist § 31 Abs. 1 BVerfGG. Danach binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Die Auslegung der Begriffe der Entscheidung und der Bindung haben schon früh zu lebhaften Auseinandersetzung der obersten Gerichte geführt. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht selbst davon ausgeht, daß durch die eigene Rechtsprechung inzwischen entschieden sei, wieweit die Bindungswirkung seiner Entscheidungen i. S. von § 31 Abs. 1 BVerfGG reiche4, wird ihm vorgeworfen, bewußt klare dogmatische Festlegungen in der Frage vermieden zu haben, um sich dadurch eine gewisse Flexibilität zu bewahren.5 Tatsächlich ist es schwer, aus der Rechtsprechung 1
Erklärung vom 15. Juni 1990 i.V.m. Art. 41 Einigungsvertrag, Art. 143 Abs. 1 Abs. 3 GG. Entscheidung vom 23.4.1991 in EuGRZ 1991,121 ff. 3 BVerfGE 3, 58; BVerwGE 77, 258; 73, 263 (268); BVerwG, in: JZ1954,1093 einerseits; BGHZ Großer Senat 13,265; BFHE 92,188 (193) andererseits. 4 BVerfGE 72,121. 5 Schenke, Wolf Ruediger, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, 13. Sehr kritisch Matz, Ulrich, Über politische Untugenden und Hemmnisse des Regierens im demokratischen Verfassungsstaat, in: Hennis (Hrsg.), Regierbarkeit, Bd. 2, 1979, 226. Vgl. auch die wenig griffigen Formeln bei Herzog, Roman, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, in: Festschrift für Günter Dürig, 1990,431 ff. 2
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I. Rechtskraft
des Gerichts klare Richtlinien für den Umfang der Bindungswirkimg nach § 31 Abs. 1 BVerfGG zu erhalten. So bezeichnet es heute Klaus Schiaich als "schwierige Frage" und zeigt Unterschiede der Senate des Bundesverfassungsgerichts in der Auslegung des § 31 BVerfGG auf. 6 Entscheidend ist der Begriff der "tragenden Gründe", die nach der Auffassung des BVerfG über die Entscheidungsformel hinaus an der Bindungswirkung des § 31 I BVerfGG teilnehmen. Wenn damit nur die Ausführungen gemeint sind, die den Tenor insoweit tragen, als sie nicht hinwegο
gedacht werden könnten, ohne daß der Tenor bestände, wäre die Kluft zwischen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Gegner9 nicht nur "nicht so groß" sondern in der Sache nicht vorhanden. Denn ein sachlicher Unterschied, ob die den Tenor in dieser Weise tragenden Gründe binden, oder der durch diesselben Gründe ausgelegte Tenor allein, besteht nicht. Dagegen sieht sich das Bundesverwaltungsgericht an die tragenden Gründe soweit sich aus ihnen "Grundsätze für die Auslegung der Verfasin
sung" ergeben, gebunden. Dabei wird deutlich, daß es hier unter "tragenden Gründen" etwas anderes versteht, als oben ausgeführt: das Differenzierungsgebot nach Art der dienstlichen Obliegenheit welche sich ausschließlich in Rechtsausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Aus11
legung einfachen Gesetzesrechts in den Entscheidungsgründen findet , die den Tenor nicht tragen12, wird als das Bundesverwaltungsgericht rechtlich bindender tragender Grund i. S. des § 31 Abs. 1 BVerfGG angesehen. Dies widerspricht der von der Literatur und einem Teil der Rechtsprechung geäußerten Ansicht, allein der aus den Gründen gegebenenfalls auszulegende Tenor binde. Der Wortlaut ist hier, wie oben schon gesagt, nicht 6
Das Bundesverfassungsgericht, 2. Aufl., 1991, S. 250, auch 254. BVerfGE 1,14 (37); 40, 88 (93), indirekt auf die Formel Bezug nehmen 67, 84 (104). 8 So Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991,325. Als solche bezeichnet von Pestalozza, a.a.O. (Anm. 11); Nachweise bei Schiaich, a.a.O. (Anm. 9), 254 dort Fn. 88. 10 BVerwG, NJW 1982, 779 (780). 11 BVerfGE 39, 334 (355). 12 Also hinweggedacht werden können, ohne daß der Tenor entfiele. 13 Grundlegend BGHZ Großer Senat, Bd. 13, 265; weitere Nachweise bei Schiaich, a.a.O. (Anm. 9), 254 Fn. 88. 7
104
D. Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils
eindeutig. Pestalozza 14 meint, da in § 32 Abs. 2 BVerfGG sowohl "Entscheidungsformel" wie auch "Entscheidung** steht, obwohl dort, anders als bei Abs. 1 unstrittig, nur der Tenor gemeint sei, muß diese Bedeutimg auch für Abs. 1 gelten. Bei der, wie noch zu zeigen sein wird, häufig wechselnde Bedeutung des Entscheidungsbegriffs schon im BVerfGG (§§ 16, 31, 95), kann das allein nicht die Antwort sein. Systematisch weist das Bundesverfassungsgericht auf den weiten Entscheidungsbegriff des Art. 100 Abs. 3 GG hin.15 Auch Schiaich läßt den unstreitig weiten Entscheidungsbegriff des Art. 100 Abs. 3 GG als Argument für eine weite Auslegung des § 31 Abs. 1 BVerfGG gelten.16 Allein da es sich dabei um eine Spezialfrage des Verhältnisses des Bundesverfassungsgerichts zu den Landesverfassungsgerichten handele, könne dies nicht die "fundamentale Aussage" zu § 31 BVerfGG korrigieren. Tatsächlich handelt es sich bei dem weiten Entscheidungsbegriff des Art. 100 Abs. 3 GG nicht um eine Spezialfrage, sondern um eine verallgemeinerungsfähige Interpretation des Entscheidungsbegriffs, wie sie auch in § 16 Abs. 1 BVerfGG und sonst Anwendung findet, vgl. §§ 136 GVG, 11 Abs. 3 VwGO (55, Abs. 1 BDO), 45 Abs. 2 ArbGG. 17 Überall ist hier nicht die Sachentscheidung sondern die in den Gründen ausgeführte Rechtsansicht das Entscheidende der Entscheidung, wie es in §§ 16 Abs. 1 BVerfGG, 11 Abs. 3 VWGO und 45 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich gesagt wird, aber unstreitig auch für Art. 100 Abs. 3 GG oder § 136 GVG gilt.18 Gemeinsam ist in diesen Fällen, daß es sich dabei um gerichtsinterne Vorlagenpflichten ohne direkte Außenwirkung handelt, die gerade der Abstimmung der Rechtsauffassungen innerhalb der Gerichtsbarkeit ohne unmittelbaren Sachbezug dienen. Mit diesen Entscheidungen ist etwas anderes gemeint, als die eine Sache entscheidenden Entscheidungen, wie Willms im Anschluß an den Großen Zivilsenat des BGH herausgearbeitet hat.19 Zwi14
Anm. 11,325. Entscheid vom 10.2.1954, vgl. JZ, 1954,1094. 16 Schiaich, a.a.O. (Anm. 9), 256. 17 Dazu Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu § 16 Rdnr. 3. 15
18
1 9Kissel,
Otto Rudolf, Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1981, zu § 136 Rdnr. 1. Die bindende Wirkung der Entscheidungen des BVerfG, JZ 1954,525 f.
I. Rechtskraft
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sehen extern wirkenden Sachentscheidungen und internen Rechtsentscheidungen ist scharf zu trennen. Art. 100 Abs. 3 GG spricht nicht für eine weite Auslegung des Entscheidungsbegriffs in § 31 Abs. 1 BVerfGG, da es sich bei letzterem nicht um gerichtsintern wirkende Rechtsentscheidungen, sondern um nach außen wirkende Sachentscheidungen, deren Bindungswirkung zu bestimmen ist, handelt. Dagegen bezieht sich nach Geiger die Bindungswirkimg des § 31 Abs. 1 BVerfGG "gerade nicht auf den Tenor, der schon kraft der Rechtskraft dem Inhalt des Tenors gemäßen Umfang Bindung erzeugt, sondern auf die Gründe der Entscheidung".20 Diese Auffassung ist aufgrund der Gesetzessystematik und der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie läßt sich auch nicht aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG begründen, nachdem das Bundesverfassungsgericht "über die Auslegung des Grundgesetzes" entscheidet, da sich diese Formulierung ausschließlich auf das Organstreitverfahren bezieht. Von diesem "typischen Fall der Verfassungsgerichtsbarkeit" besteht kein Bedürfnis zur •
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Verallgemeinerung. Systematisch sprechen die Bestimmungen der §§ 67 Abs. 3, 69, 72 Abs. 2 und 74 des BVerfGG dagegen, da aus ihnen hervorgeht, daß es einer Aufnahme in den Tenor bedarf, um einen Anspruch rechtlich bindende Wirkung zu verleihen.22 Damit ist auch die Ansicht abzulehnen, aus den Leitsätzen der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen ergäbe sich "was das Gericht als Kern seiner Entscheidung ansieht und mit bindender Wirkung ausstatten will" und damit nach § 31 Abs. 1 BVerfGG binde.23 Weiter fällt auf, daß das BVerfGG keine Rechtskraftregelung enthält, anders als die Zivilprozeßordnung oder die Verwaltungsgerichtsordnung in den §§ 322 bzw. 121. Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG war bei den Gesetzesberatungen als Bestimmung einer erweiterten Rechtskraft angesehen worden, also einer Rechtskraftbestimmung, die den Adressatenkreis ausdehnt.24 20 Geiger, Willi, Einige Besonderheiten im verfassungsgerichtlichen Prozeß, Heidelberg 1981, 30. Enger noch derselbe, Bundesverfassungsgerichtgesetz zu § 31 Nr. 6. 21 So aber Geiger, NJW 1954,1057 ff. 22 BGHZ 13, 265 (282); Jesch, Dietrich, Zur Bindung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden, JZ1954,528 (530) m.w.N. 23 So aber ausdrücklich BVerwGE 77, 258,1. Leitsatz, 73,263 (268), treffend analysiert von Pestalozza, (Anm. 11), 290 Fn. 84. 24 Geiger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu § 31 Rdnr. 3.
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D. Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils
Im Ergebnis bindet der gegebenenfalls durch die Gründe auszulegende Tenor der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, den Gründen als solchen kommt keine selbständige rechtliche Bindungswirkung zu. Für das Bodenreformurteil besteht damit die Bindung in der Aussage, Λ/Γ
daß die entsprechenden Bestimmungen die Betroffenen nicht in ihren durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG geschützten Rechten verletzen und insofern Bestand haben. Gründe und Leitsätze nehmen nur insoweit an der rechtlichen Bindung teil, als sie nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Tenor entfiele. Obwohl die rechtliche Bindungswirkung des Urteils gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG damit zuläßt, im Einzelfall von den in den Gründen des Bodenreformurteils geäußerten Ansichten abweichende Bewertung vorzunehmen, muß doch die dort gefundene Gesamtbewertung weithin als abschließend 97
angesehen werden. Im allgemeinen Bewußtsein hat das Diktum diese Gerichts etwas Endgültiges an sich, daß eine weitere Diskussion nahezu ausgeschlossen ist. Im Ergebnis gilt damit trotz der restriktiven rechtlichen Bindungswirkung: roma locuta, causafinita est. 2. Geltungauch für ein "unrichtiges"
Urteil?
a) Zweck der Rechtskraftregel und der Bindungswirkung Zweck der Rechtskraft und auch der Bindungwirkung des Urteils ist es, über die "res judicata" abschließend zu entscheiden. Dieser prozessuale Schlußstrich beendet das Verfahren. Die Auseinandersetzung über die materielle Richtigkeit der Entscheidung muß damit nicht beendet sein. Aber auch das juristisch falsche Urteil erwächst in Rechtskraft und bindet in dem besagten Umfang. Auch dann wird zugunsten der Rechtssicherheit und
25
Maunz, Theodor, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, zu Art. 100 Rdnr. 51, Pestalozza, a.a.O. (Anm. 11), 325 m.w.N. 26 Erklärung der deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 i.V.m. Art. 41 Abs. 1 und 3 Einigungsvertrag, Art. 143 Abs. 3 GG n.F. 27 Vgl. nur Schildty Bodenreform und deutsche Einheit, 97; Vitzthum, Das Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts: Analyse und Kritik.
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I. Rechtskraft
-klarheit in einer bestimmten Rechtsordnung die Wirksamkeit eines unrichtigen Urteils bewußt in Kauf genommen. b) Wirkung der Veränderung der Umstände auf die Rechtskraft und Bindungswirkung des Urteils die clausula rebus im Verfassungsprozeßrecht Unmittelbar hat eine mögliche Unrichtigkeit des Urteils keine Wirkungen auf die Rechtskraft bzw. Bindungswirkung. Mittelbar wird sie die von der rechtlichen Bindungswirkung Betroffenen dazu anregen, die Auswirkungen des Urteils soweit wie möglich zu begrenzen. Das gilt für fachgerichtliche Entscheidungen ebenso wie für Behörden. Im Fall des Bodenre90
formurteils besteht insoweit einiger Spielraum. Bei grundlegender Veränderung der im Urteil vorausgesetzten Umstände mag etwas anderes gelten. Teilweise wird der Untergang der Sowjetunion als solch eine Veränderung «
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der dem Urteil zugrundeliegenden Umstände angesehen. Tatsächlich ergibt sich aus dem Wortlaut des Urteils, daß die Haltung der damaligen Sowjetregierung nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß das Urteil in dieser Weise erfolgte. Ob das den tatsächlichen Umständen entspricht, ist aber schon deshalb zweifelhaft, weil nach Untergang der Sowjetunion die verantwortlichen Beteiligten eine Änderung der Praxis hinsichtlich des Bodenreformlandes nicht erkennen ließen. Blumenwitz schlägt vor, durch Anfrage bei der jetzigen russischen Regierung den Prozeß wieder zu beleben.*51 Ob dieser Weg "nach außen" Aussicht auf Erfolg "im Innern" hat, hängt davon ab, ob die Haltung Rußlands bzw. der früheren Sowjetunion tatsächlich Grundlage der entsprechenden Regelung war und weiter ist. Die von den Vertragsparteien des Einigungsvertrages als auch dem ratifizierenden Gesetzgeber so nicht vorhersehbaren und vorausgesetzten Um32 28 stände der Sowjetunion nach 1990 lassen, man das enge Zum Unterschied zwischen Rechtskraft undwenn Bindungswirkung vgl. Verhältnis Maunz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O. zu § 31 BVerfG, Rdnr. 5, 15, der aber verkennt, daß eine Unterscheidung von den Folgen her gar nicht nötig ist, vielmehr Rechtskraft und Bindungswirkung sich gegenseitig erklären können. Dazu Willms, in: Die bindende Wirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 525. Biehler, Zur Bindungswirkung von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, 1236,1238. 30 Blumenwitz, Warum fragt man nicht an?, Welt vom 14.8.1992. 31 Blumenwitz, a.a.O.
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D. Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils
der damaligen Haltung der damaligen Sowjetunion zu der entsprechenden Regelung und dem Urteil, wie es das Bundesverfassungsgericht in den Gründen tut, voraussetzt, den Gedanken an die clausula rebus nahelegen. Gilt die clausula für die Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG auch in Fällen tiefgreifender weltweiter Umwandlungen der Umstände, wenn weder die Möglichkeit der Wiederaufnahme, außer im Falle einer Richteranklage, § 61 BVerfGG, der Wiedereinsetzung noch des Widerrufs von ergangenen Entscheidungen besteht, deren "Geschäftsgrundlage" weggefallen ist?34 Das Gericht begegnet dieser Lücke im Verfassungsprozeßrecht mit folgenden Erwägungen: "Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung bezieht sich stets auf den Zeitpunkt, in dem sie ergeht. Erfaßt werden damit nicht solche Veränderungen, die erst später eintreten. Denn jede gerichtliche Erkenntnis geht von den zu seiner Zeit bestehenden Verhältnissen aus. Deshalb hindert die Rechtskraft nicht die Berufung auf neue Tatsachen, die erst nach der oc
früheren Entscheidung entstanden sind." Neue Tatsachen sind Veränderungen der die Entscheidungen bedingenden Umstände. Dies ist als Prinzip .
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bei der Bestimmung der Bindungswirkung eines Urteils anerkannt. Ist die nunmehr weggefallene Haltung der Sowjetunion zu der Frage der Bodenreform 1945 in ihrer damaligen Zone heute Grundlage der Entscheidung? Hierbei ist vom Urteil selbst auszugehen: "Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluß der Restitution nach Nr. 1 der gemeinsamen Erklärung ergeben sich nicht daraus, daß bei den entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter diese Regelung fallen, die Rückgabe der enteigneten Objekte jedenfalls im Grundsatz vorgesehen ist (vgl. oben A I . 1. b). Die Grundelemente des Gleichheitssatzes, die nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbar sind, werden dadurch nicht verletzt. Der Ausschluß der Restitution in der angegriffenen Regelung wird hinreichend dadurch gerechtfertigt, daß die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion auf der Einführung dieser Regelung bestanden hatten und die Bundesregierung 33 Der volle Wortlaut der clausula ist "rebus sie stantibus omnis promissio intelligitur" nach Aquin, Thomas von, Summa theologica, 2, 2, 110, 3, rat. 5, zitiert nach Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, VerwArch 1992, 314, 329; auch zur Rechtsanwendung der clausula auf die veränderten Umstände in Deutschland. 34 Maunz, a.a.O. zu § 31 Rdnr. 14. 35 BVerfGE 70, 242, 249. 36 Vgl. Benda/Klein, 505 ff.; Maunz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Ulsamer/Klein zu § 31, Rdnr. 27, sowie auch BVerfGE 33,203.
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I. Rechtskraft
nach ihrer pflichtgemäßen Einschätzung auf diese Bedingungen eingehen mußte, um die Einheit Deutschlands zu erreichen. Die Anhörung von Bundesminister Dr. Kinkel, Ministerpräsident a.D. de Maizière und Staatssekretär Dr. Gastrup in der mündlichen Verhandlung hat den Vortrag der Bundesregierung bestätigt, daß bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag und bei den 2+4-Verhandlungen, ohne deren erfolgreichen Abschluß die Einheit Deutschlands nicht hätte verwirklicht werden können, der Ausschluß der Restitution sowohl von der Deutschen Demokratischen Republik als auch von der Sowjetunion zur Vorbedingung gemacht worden ist. Beide Staaten hatten ihre Gründe für diese Haltung einleuchtend dargelegt. Der Deutschen Demokratischen Republik war vor allem daran gelegen, den sozialen Frieden in ihrem Gebiet nicht dadurch zu gefährden, daß die durch die Enteignungen geschaffenen neuen Eigentumsverhältnisse wieder in Frage gestellt wurden. Der Sowjetunion kam es dagegen, wie insbesondere durch die Angaben von Staatssekretär Dr. Castrup deutlich geworden ist, im Ganzen darauf an, daß die unter ihrer Oberhoheit als Besatzungsmacht durchgeführten Maßnahmen, die ihren rechts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprachen, nicht nachträglich zur Dispoγη
sition des seinerseits besiegten Deutschlands gestellt wurden." In der mündlichen Verhandlung hat Staatssekretär Castrup auf Nachfrage des Präsidenten Herzog auch erklärt, daß bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Deutsche Einheit im Rahmen der 2+4-Verhandlungen nicht über die Bodenreform-Enteignungen gesprochen wurde. Er bestätigte auch, daß insoweit keine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion bestände. Aus diesen sich auf den ersten Blick nicht entsprechenden Aussagen lassen sich zwei Folgerungen ziehen: Zunächst waren sich die Vertragspartner grundsätzlich einig, wie sachlich in dieser Frage verfahren werden sollte. Der Ausschluß der Rückgabe, öffentlich von Modrow und de Maizière , unterstützt von der Sowjetunion, gefordert, stand sachlich nicht zur Debatte. Weiter wird aber auch dadurch, daß bei den Verhandlungen mit den Alliierten das Thema nicht angeschnitten wurde, klar, daß sowohl die beiden deutschen Regierungen als auch die Regierung der Sowjetunion den Restitutionsausschluß als Angelegenheit Deutschlands betrachteten, die nicht 37
BVerfGE 84,127 f.
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D. Die Bindungswirkung des Bodenreformurteils
Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertrages oder einer entsprechenden Bindung werden sollte. Dies wurde auch durch weitere Aussagen de Mai