Bilder der Normalisierung: Gesundheit, Ernährung und Haushalt in der visuellen Kultur Deutschlands 1945-1948 9783839436448

In no other phase of the German post-war period were perceptions of social structures so intensely negotiated on a visua

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German Pages 288 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einführung
Bildakte, Ikonosphäre und Normalität
Die aktive Rolle der Bilder
Die Visualisierung der Normalisierung
Zum Aufbau des Buches
I. Trümmerfrauen, Girls und Mütter
Der Untergang von Trümmerfrau und Heimkehrer
Die Krise der Geschlechterrollen
Verführerinnen und (wenige) Verführer
Mütter und Kinder
Die Fortsetzung traditioneller Geschlechterrollen
II. Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder
Diphtherie, Typhus und Fleckfieber
Tuberkulose
Penicillin
Sauberkeit und Reinlichkeit
Gesundheit durch Aufklärungstraditionen und Kommerz
III. Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome
Die epidemiologische Lage
Aufklärungsmaßnahmen in den westlichen Besatzungszonen
Aufklärungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone
Straßenbekanntschaft
Inkohärenzen der Ikonosphäre
IV. Ernährung: Kartoffeln, Knäckebrot und Trockenmilch
Die Politisierung der »Magen-Frage«
Basisprodukte und kochen »ohne«
Ernährung der Kinder
Nicht für Otto Normalverbraucher
V. Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider
Wohnen
Kochen
Putzen und Waschen
Nähen und Stricken
Zwischen Tradition und Moderne
Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Zeitschriftenverzeichnis
Filmverzeichnis
Spielfilme
Dokumentar-, Kultur- und Werbefilme
Wochenschauen
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Bilder der Normalisierung: Gesundheit, Ernährung und Haushalt in der visuellen Kultur Deutschlands 1945-1948
 9783839436448

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Magdalena Saryusz-Wolska, Anna Labentz Bilder der Normalisierung

Histoire | Band 101

Magdalena Saryusz-Wolska (Dr.), geb. 1980, ist Film- und Kulturwissenschaftlerin und lehrt an der Universität Lodz (Polen). Seit 2015 forscht sie am Deutschen Historischen Institut Warschau. Anna Labentz, geb. 1988, ist Kulturwissenschaftlerin, Übersetzerin sowie Wissenschaftsmanagerin und Koordinatorin des Projekts »Deutsch-Polnische Erinnerungsorte« am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Magdalena Saryusz-Wolska, Anna Labentz

Bilder der Normalisierung Gesundheit, Ernährung und Haushalt in der visuellen Kultur Deutschlands 1945-1948

Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen des Forschungsprojekts »Visuelle Kulturen Deutschlands 1945-1949«, das vom polnischen Nationalen Wissenschaftszentrum (NCN) finanziert (Nr. 2012/05/D/HS2/03490) und am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften realisiert wurde.

Trotz aller Bemühungen der Autorinnen konnten nicht in allen Fällen die Bildrechte abschließend geklärt werden. Evtl. Rechteinhaber mögen sich daher bitte bei berechtigten Ansprüchen an die Autorinnen wenden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Reklame der Firma Vogel, Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 18, S. 14; Reklame für Staubsauger der Marke Electrostar, Der Regenbogen (1949), Nr. 1, S. 27. Lektorat: Benjamin Voelkel Satz: Jan Wenke, Leipzig Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3644-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3644-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort  | 7 Einführung  | 9 Bildakte, Ikonosphäre und Normalität  | 9 Die aktive Rolle der Bilder  | 11 Die Visualisierung der Normalisierung  | 16 Zum Aufbau des Buches  | 24

I. Trümmerfrauen, Girls und Mütter  | 29 Der Untergang von Trümmerfrau und Heimkehrer  | 31 Die Krise der Geschlechterrollen  | 38 Verführerinnen und (wenige) Verführer  | 44 Mütter und Kinder  | 68 Die Fortsetzung traditioneller Geschlechterrollen  | 83

II. Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder  | 85 Diphtherie, Typhus und Fleckfieber  | 87 Tuberkulose | 103 Penicillin | 108 Sauberkeit und Reinlichkeit  | 112 Gesundheit durch Aufklärungstraditionen und Kommerz  | 120

III. Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome  | 123 Die epidemiologische Lage  | 124 Aufklärungsmaßnahmen in den westlichen Besatzungszonen  | 130 Aufklärungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone  | 145 Straßenbekanntschaft | 159 Inkohärenzen der Ikonosphäre  | 168

IV. Ernährung: Kartoffeln, Knäckebrot und Trockenmilch  | 171 Die Politisierung der »Magen-Frage«  | 174 Basisprodukte und kochen »ohne«  | 187 Ernährung der Kinder  | 205 Nicht für Otto Normalverbraucher  | 212

V. Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider  | 215 Wohnen | 218 Kochen | 229 Putzen und Waschen  | 239 Nähen und Stricken  | 251 Zwischen Tradition und Moderne  | 261

Fazit  | 263 Anhang  | 269 Literaturverzeichnis | 269 Zeitschriftenverzeichnis | 284 Filmverzeichnis | 285 Spielfilme | 285 Dokumentar-, Kultur- und Werbefilme  | 285 Wochenschauen | 286

Vorwort Die Idee zu diesem Buch entstand bei der Arbeit an einer polnischsprachigen Publikation, die unter dem Titel Ikony normalizacji. Kultury wizualne Niemiec 1945-1949 (Ikonen der Normalisierung. Visuelle Kulturen Deutschlands 19451949) erschien.1 Das Thema, dem wir uns – dieses Mal gemeinsam – widmen, ist in der erwähnten Publikation Gegenstand kürzerer Überlegungen im letzten Kapitel. In gewissem Sinne also beginnt dieses Buch dort, wo das andere endet. Im Laufe gemeinsamer Diskussionen (und davon gab es viele, da wir seinerzeit ein Büro teilten) kamen wir zu dem Schluss, dass die Visualisierungen von Gesundheit, Ernährung und Haushalt in der deutschen Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Währungsreform nach einer detaillierteren Auseinandersetzung verlangen. Unserer Überzeugung nach spielten die öffentlich zugänglichen Bilder eine große – begleitende wie auch aktiv prägende – Rolle in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften, sie bestimmten die Vorstellungen davon, wie ein »normales« Leben, Familie und Haushalt auszusehen hatten. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit, sondern um ein Buch, das aus einem inneren Bedürfnis heraus geschrieben wurde. Dies ermöglicht uns den Luxus einer eher lapidaren Einführung in den theoretischen Hintergrund unserer Forschungen und kurzer methodologischer Erläuterungen. Unsere Berufswege trennten sich während der Arbeiten am vorliegenden Buch, weshalb es an unterschiedlichen Orten entstand  – vor allem am Zen­ trum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, am Lehrstuhl für Medien und Audiovisuelle Kultur der Universtität Łódź und am Deutschen Historischen Institut Warschau. Umfangreiche Passagen dieses Buches sind auch in Zügen und auf Bahnhöfen geschrieben worden – deutschen wie polnischen. Die Betrachtung und Beschreibung der Bilder aus einem breit verstandenen Grenzgebiet heraus macht es möglich, die deutsche Nachkriegszeit aus einer äußeren, etwas anderen Perspektive zu betrach-

1 | Saryusz-Wolska, Magdalena: Ikony normalizacji. Kultury wizualne Niemiec 19451949, Warszawa: PWN 2015.

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V or wor t

ten. Wir hoffen, dass es uns dabei gelungen ist, auch die nötige Distanz zu den von uns erforschten Themen zu wahren. Das Forschungsprojekt, das dieser Arbeit voranging, dauerte von 2010 bis 2016; 2012 erhielt es eine großzügige finanzielle Förderung durch das polnische Nationale Wissenschaftszentrum (Narodowe Centrum Nauki). In dieser Zeit begegneten wir vielen Menschen, die dem Vorhaben wohl gesinnt waren und uns halfen, Einsicht in die nötigen Quellen zu erhalten, mit Anmerkungen und Kommentaren nicht sparten und dieses Buch für die vorliegende Druckfassung vorbereiteten. Da es nicht möglich ist, alle namentlich zu nennen, möchten wir an dieser Stelle vor allem Katharina Wierichs und Roswitha Gost für die geduldige Betreuung des Buches im transcript Verlag, Benjamin Voelkel für die Redaktion des Textes, Jan Wenke für die Arbeiten am Satz des Buches, die angesichts der vielen Abbildungen kein Leichtes waren, sowie Eva Damm für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Film- und Zeitschriftenverzeichnisses danken. Ferner – doch nicht minder – bedanken wir uns bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, wo die ersten Entwürfe dieses Buchs entstanden, und des Deutschen Historischen Instituts Warschau, wo es zu Ende geschrieben wurde, sowie bei den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bibliotheken, Archiven und Museen, die wir ausgiebig genutzt und konsultiert haben, insbesondere der Staatsbibliothek zu Berlin, des Deutschen Historischen Museums, des Bundesarchivs Berlin und Koblenz, der Abteilung Filmarchiv des Bundesarchivs, der Deutschen Kinemathek, des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, des Landesarchivs Berlin und des Staatsarchivs Dresden. Schließlich gilt unsere größte Anerkennung und Dankbarkeit für ihre unablässige Unterstützung und grenzenlose Geduld unseren Liebsten – Ondřej, Emil, Maria und Helena. Łódź und Berlin, Juli 2016

Einführung B ildak te , I konosphäre und N ormalität Die Bilder, mit denen man bis vor Kurzem den Zeitraum unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges assoziierte, waren hauptsächlich Fotografien und Filme der Alliierten aus den befreiten Konzentrationslagern sowie Darstellungen der Trümmerfrauen. Auch wissen wir viel über die Produktions- und Distributionspolitik dieser ersten Bilder.1 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigen, behaupten, dass die Bilder aus den Konzentrationslagern in den ersten Nachkriegsmonaten oft und in großen Mengen gezeigt, später aber an den Rand des öffentlichen Interesses gedrängt wurden; man berief sich nur gelegentlich auf sie, etwa anlässlich von Jahrestagen der KZ-Befreiungen oder wenn den Tätern der Prozess gemacht wurde. Kürzlich dekonstruierte Leonie Treber den Mythos der Trümmerfrauen, indem sie belegte, dass es sich um ein propagandistisches Konstrukt handelte – das zu einer Zeit populär wurde, als die meisten Städte bereits enttrümmert waren.2 In beiden Fällen zeigt sich, dass die Vorstellungen von der Ikonografie der frühen Nachkriegszeit von Themen geprägt waren, die erst nachträglich für identitätsstiftend erachtet wurden. Da aber weder die Filme und Fotografien aus den Konzentrationslagern noch die Bilder der Trümmerfrauen zum Mainstream der visuellen Kultur Deutschlands in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zählten, lohnt es sich zu fragen, was darüber hinaus in der deutschen Öffentlichkeit visualisiert wurde und was sie dementsprechend prägte. 1 | Dieses Thema wurde u. a. in den folgenden Arbeiten behandelt: Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin: Akademie 1998; Knoch, Habbo: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg: Hamburger Edition 2001; Weckel, Ulrike: Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart: Steiner 2012. 2 | Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegsund Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Essen: Klartext 2014.

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Bilder der Normalisierung

Die damalige Ikonosphäre3  – um auf einen ergiebigen Begriff des polnischen Kunsthistorikers Mieczysław Porębski zurückzugreifen – war nicht weniger umfangreich als in der Kriegs- und Vorkriegszeit. Augenfällig sind allerdings die ausgeprägte Differenzierung der Bilder im öffentlichen Raum sowie die starken, auf den ersten Blick ersichtlichen Kontraste: Während auf Litfaßsäulen Plakate mit rachitischen Kindern prangten, die auf die Krankheit aufmerksam machten, druckten Illustrierte Reklamen für Milchpulver (welche, wie wir in den folgenden Kapiteln zeigen, vielmehr die baldige Verfügbarkeit als das Produkt selbst ankündigten). Neben Fotografien erschöpfter Arbeiterinnen ließ man Werbeanzeigen für Schminke und Haartönungen drucken. Nicht selten wiesen Wahlplakate auf die allumfassende Armut hin, von den Kinofassaden hingegen blickten elegante Hollywoodstars herab. Maria Höhn schrieb in Bezug auf frühe Ausgaben des Spiegels: Beurteilte man das Magazin nur anhand seiner Bilder, wäre es schwierig zu erraten, dass Der Spiegel im kriegsverwüsteten Deutschland erschien. Das Magazin druckte ganzseitige Werbeanzeigen für Champagner mit eleganten Frauen in Abendkleidern und schneidigen Männern in schnellen Autos. Jede »Persönlichkeiten«-Rubrik des Spiegels enthielt Bilder und Geschichten spärlich bekleideter, glanzvoller Filmstars, und die meisten Ausgaben brachten Beiträge zu den neuesten Modetrends. 4

Viele Bilder versprachen also eine Welt, von der die durchschnittliche Deutsche und der durchschnittliche Deutsche nur träumen konnten. Im Laufe der Zeit allerdings wurden einige der beworbenen Gegenstände nicht nur verfügbar, sondern auch normal und gewöhnlich – sowohl in West- als auch in Ostdeutschland. In schriftlichen und mündlichen Überlieferungen zur frühen Nachkriegszeit in Deutschland dominieren Erzählungen von Armut, Obdachlosigkeit, Hunger, Kälte, der fatalen Versorgungslage usw. In seiner Untersuchung der wichtigsten Erfahrungsstrukturen dieser Zeit betont auch Alexander von Plato die mangelnde Versorgung, Arbeit und Unterkunft. In der subjektiven Wahrnehmung der Deutschen waren diese Probleme dank des großen Engagements der Bevölkerung verhältnismäßig schnell zu überwinden: »Ärmel aufkrempeln, zupacken, auf bauen« – mit diesen Stichworten lässt sich die persönliche

3 | Porębski, Mieczysław: Der Begriff der Ikonosphäre, übers. v. Jacob Birken, Herrenberg: Sztaba & Damar 2006. 4 | Höhn, Maria: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«. Discourse on Women in the Interregnum Period of 1945-1949 and the Question of German Identity, in: Central European History 26 (1993), Nr. 1, S. 57-90, hier S. 85. (Übers. d. Verf.)

E inführung

Erinnerung einiger an die unmittelbare Nachkriegszeit zusammenfassen.5 Manch ein Autor erinnert an eine breite Schichtung der Gesellschaft – der tägliche Handel auf dem Schwarzmarkt führte dazu, dass es eine kleine Gruppe von Menschen gab, die von der Not der anderen profitierte.6 Inwiefern lässt sich nun also dieses ziemlich allgemeine und wohl auch zutreffende Bild der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit den damaligen Reklamen für Luxusartikel (etwa Parfüm oder Champagner), Lebensmittel (insbesondere Kindernahrung) oder Kosmetikprodukte in Einklang bringen? Welche Rolle spielten diese Bilder beim »Zupacken und Auf bauen«? Wie lassen sich Propagandaplakate deuten, auf denen Mütter, Väter und lächelnde, wohlgenährte Kinder zu sehen sind, obwohl die deutsche Gesellschaft von Problemen geplagt war wie dem sogenannten Frauenüberschuss, einer hohen Scheidungsrate und einer großen Anzahl von verwitweten Frauen und verwaisten Kindern? Auf der Grundlage dieser Überlegungen formulierten wir unsere Forschungsfragen im Hinblick auf die aktive Rolle der Bilder bei der Konstruktion der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften.

D ie ak tive R olle der B ilder Bilder sind indes mehr als Quellen, die auf einen Sachverhalt oder ein Ereignis außerhalb ihrer eigenen Existenz verweisen; sie sind mehr als Medien, die unter Nutzung ihres ästhetischen Potenzials Deutungen transportieren oder Sinn generieren; Bilder verfügen auch über die Fähigkeit, Realitäten allererst zu erzeugen7,

schreibt Gerhard Paul, wobei er sich auf das Konzept der »Bildakte« nach Horst Bredekamp bezieht, welcher wiederum auf Analogien zu den Sprechakten nach John Austin verweist. Bredekamp geht allerdings noch einen Schritt weiter. Er setzt »das Bild nicht an die Stelle der Wörter, sondern an die des Sprechenden« 8, und schließt sich so W. J. T. Mitchell an, demzufolge in zeit5 | Vgl. Plato, Alexander von: Erfahrungsstrukturen der Besatzungszeit nicht nur in Nordrhein-Westfalen: Mit alten Köpfen in neue Zeiten, in: Gerhard Brunn (Hg.), Neuland Nordrhein-Westfalen und seine Anfänge 1945 / 4 6, Essen: Reimar Hobbin 1986, S. 9-28; ders.: »Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen«. Erfahrungsstrukturen der Besatzungszeit, in: Als der Krieg zu Ende war. Vierzig Jahre danach – Analysen, Reflexionen, Erinnerungen, Düsseldorf: Landeszentrale für Politische Bildung 1985, S. 179-214. 6 | Vgl. Steege, Paul: Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin 1946-1949, Cambridge /  N ew York: Cambridge University Press 2007, S. 50 ff. 7 | Paul, Gerhard: Visual History. Version 2.0, http://docupedia.de/zg/Visual_History_ Version_2.0_Gerhard_Paul (23.03.2015). 8 | Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010, S. 51.

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Bilder der Normalisierung

genössischen Bildern Eigenschaften von »›belebten‹ Wesen, Quasi-Akteuren, Pseudo-Personen«9 wahrgenommen werden können. Selbst wenn nicht allen Bildern im öffentlichen Raum solch großes Potenzial zuzuschreiben ist, so ist es doch entscheidend, die Rolle ihrer Produzenten, Auftraggeber und Rezipienten zu berücksichtigen sowie die aktive Kraft der Bilder selbst. Eine Vielzahl der im Folgenden präsentierten und analysierten Bilder ist keine mimetische Repräsentation der unmittelbaren Nachkriegswelt, sondern eher Zeugnis gesellschaftlicher Sinnaushandlung, einer Projektion neuer Wertesysteme und Vorstellungen von einer Welt nach dem Krieg. In Anbetracht ihres Potenzials einer mimetischen Spiegelung der Wirklichkeit, ihres – nach Rainer Wohlfeil – »historische[n] Dokumentensinn[s]«10, wurden Bilder und insbesondere die Fotografie als historische Quellen immer populärer. Die Tatsache, dass (analoge) Fotografien das festhalten, was in dem Moment, in dem man auf den Auslöser drückt, vor dem Objektiv zu sehen ist, führt dazu, dass man ihnen eine illustrierende oder Beweisfunktion zuschreibt. Im ersten Fall geht es um Fotografien, die eine Erzählung bebildern und ergänzen, im zweiten hingegen um solche, die die Wahrhaftigkeit von Informationen aus anderen Quellen belegen. In Publikationen zur unmittelbaren Nachkriegszeit dominieren Fotografien folglich in (ausschließlich) illustrativer Funktion des untersuchten historiografischen Forschungsgegenstandes.11 Die Spezifik des präsentierten visuellen Materials, seine Ästhetik und seine gesellschaftliche Rolle sind hingegen selten Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen. Noch in den 1980er Jahren unterstreicht Wohlfeil, dass Historikerinnen und Historiker Bilder mit dem Wissen von der Wirklichkeit, aus der sie stammen, konfrontieren müssten, dass die in ihnen enthaltenen Informationen durch andere schriftliche Dokumente zu ergänzen seien (was indirekt belegt, 9 | Mitchell, W. J. T.: Was will das Bild?, in: ders., Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, übers. v. Achim Eschbach, Anna-Victoria Eschbach, Mark Halawa, München: C. H. Beck 2005, S. 46-78, hier S. 66. 10 | Wohlfeil, Rainer: Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde, in: ders. / B rigitte Tolkemitt (Hg.), Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele (= Zeitschrift für Historische Forschung, Sonderband Nr. 12), Berlin: Duncker & Humblot 1991, S. 17-35, hier S. 18. 11 | Im Hinblick auf die illustrierten Abhandlungen zum Thema der Geschichte Deutschlands 1945-1948 /  1949 sei auf grundlegende Arbeiten hingewiesen, u. a. von Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschlands, Bd. 1: Zwischen Kapitulation und Währungsreform 1945-1948, Frankfurt a. M.: Gutenberg 1985; Leh, Almut /  P lato, Alexander von: »Ein unglaublicher Frühling«. Erfahrene Geschichte im Nachkriegsdeutschland 1945-1949, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 1997; Benz, Wolfgang: Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik und die Entstehung der DDR 1945-1949, Berlin: Metropol 2009.

E inführung

dass er Bilder nicht als autonome historische Quellen betrachtete) und schließlich, dass so verstandene Bilder mehr als sich selbst zu bezeugen hätten. Diese Denkweise kritisiert später Martina Heßler, die einigen Forscherinnen und Forschern vorhält, dass sie »Bilder in der Regel als Dokument [behandelten], ohne dass die Bilder als Bilder Beachtung finden.«12 Tatsächlich ist den Bildern ohne mimetische Repräsentation der Wirklichkeit nur eine marginale Rolle in der Geschichtsschreibung zuteil geworden. Hiervon sind zwangsläufig Kunstwerke betroffen (die wiederum in den Bereich der Kunstgeschichte fallen), aber bis vor Kurzem nutzten Historikerinnen und Historiker nur allzu selten visuelles Material, das die Menschen in ihrem Alltag begleitete – Plakate, Flugblätter oder Werbung etwa. Eine spürbare Wende in der Historiografie brachte der visual turn. Habbo Knoch macht da­ rauf aufmerksam, dass diese Tendenz in der Auseinandersetzung mit Bildern den Geschichtswissenschaften eine neue Qualität verlieh – sie verdrängte die Idee vom Bild (auch der Fotografie) als glaubwürdige Repräsentation der Wirklichkeit.13 Diese neue Strömung beschreibt Jens Jäger als »historische Bildforschung«, welche nicht auf eine wesensmäßige Erfassung bestimmter Bildtypen [zielt], sondern auf die historischen Bedingtheiten und Bedeutungen der Bilder und ihrer Wahrnehmung. Es geht um deren gesellschaftliche, kulturelle und soziale Rolle in sich wandelnden zeitlichen Konstellationen. Ein Bild besitzt niemals nur eine einzige Bedeutung. Entscheidend für die Forschungspraxis werden immer die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse der Historikerinnen und Historiker sein.14

Der Paradigmenwechsel von der Repräsentation zur kulturellen und gesellschaftlichen Funktion der Bilder ist nicht nur für die »historische Bildforschung« charakteristisch, sondern auch für die gegenwärtigen visual culture studies und ermöglicht es der Forschung, Bilder als »Akteure« in historischen Prozessen wahrzunehmen. Gerhard Paul spricht sogar von »Bilder[n] als Geschichtsmotoren«15, wobei sich der Flensburger Forscher eher  – frei nach 12 | Heßler, Martina: Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft. Neue Herausforderungen für die Forschung, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), S. 266-292, hier S. 272. (Herv. im Orig.). 13 | Knoch, Habbo: Renaissance der Bildanalyse in der Neuen Kulturgeschichte, in: Historisches Forum 5 (2005), S. 49-62, hier S. 56. 14 | Jäger, Jens: Fotografie und Geschichte, Frankfurt a. M. / N ew York : Campus 2009, S. 15. 15 | Paul, Gerhard: Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen: V&R 2006, S. 7-36, hier S. 19.

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Bilder der Normalisierung

Pierre Nora16 – auf die »Geschichte zweiten Grades« konzentriert. So fragt Paul nach der Rolle von Bildern in der Erinnerungskultur und in der Historiografie (mit Hayden White ließe sich hier von »Historiofotie«17 sprechen), behandelt die Stellung der visuellen Kultur im realen Ereignisverlauf hingegen eher marginal. Dem muss entgegengehalten werden, dass viele Bilder zur Gestaltung des öffentlichen Raums beitragen und dabei  – oft mit politischer oder kommerzieller Absicht – verschiedene Modelle gesellschaftlichen Lebens anbieten. In Bezug auf die Gegenwartskultur etwa ist diese Tatsache insofern von Bedeutung, als vom (angeblich verheerenden) Einfluss der Medien auf die Gesellschaft gesprochen wird.18 In der Vergangenheit aber gab es ebenfalls Verbindungen zwischen massenhaft reproduzierten Bildern aus der Öffentlichkeit und dem Gesellschaftssystem, das sie wiederum produzierte und rezipierte. In der Historiografie ist dieses Thema in Arbeiten zur Wirtschafts- und Konsumgeschichte (hauptsächlich in Bezug auf Werbung)19 sowie in Studien zum Thema der politischen Ikonografie aufgenommen worden.20 Analysen visueller Kulturen der Moderne folgen für gewöhnlich den Erfindungen der Fotografie, des Kinematografen, des Fernsehens, des Videos oder des PCs. In den 1940er Jahren wurden aber keine neuen Geräte in den Umlauf gebracht, die auf die gesellschaftliche Rezeption der Wirklichkeit hätten Einfluss nehmen können. Die dominierenden Medien waren die Presse, das Radio und das Kino – und technologisch dazu auf dem Niveau von vor dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Zeitraum passt nicht in die populären Behauptungen, dass das 20. Jahrhundert ein »visuelles Jahrhundert« gewesen sei, das von drei Revolutionen gestaltet wurde – einer technischen Medienrevolution zu Beginn des Jahrhunderts, einer elektronischen Revolution in der Mitte des Jahrhun16 | Vgl. Nora, Pierre: Pour une histoire au second degré, in: Le Débat 122 (2002), S. 24-31. 17 | White, Hayden: Historiography and Historiophoty, in: The American Historical Review 5 (1998), S. 1193-1199. 18 | Zu »Fallen« in diesem Denkmodell vgl. die Publikation von Gauntlett, David: Moving Experiences. Media Effects and Beyond, Eastleigh: John Libbey 2005. 19 | In Bezug auf den für uns interessanten Zeitraum sind folgende Arbeiten lohnenswerte Lektüren: Wildt, Michael: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland der fünfziger Jahre, Hamburg: Ergebnisse 1994; Carter, Erica: How German is She? Postwar West Germany Reconstruction and the Consuming Woman, Ann Arbor: University of Michigan Press 1997. 20 | Vgl. u. a. Bartezky, Arnold: Nation – Staat – Stadt. Architektur, Denkmalpflege und visuelle Geschichtskultur vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Köln / Weimar / W ien: Böhlau 2012; ders. / M arina Dmitreva /  S tefan Troebst (Hg.), Neue Staaten – Neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918, Köln /  Weimar  /   W ien: Böhlau 2005.

E inführung

derts und einer digitalen Revolution seit Ende des Jahrhunderts.21 In Arbeiten zur Visualität des 20. Jahrhunderts konzentrieren sich die Verfasserinnen und die Verfasser für gewöhnlich auf zwei Epochen – die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als der Blick der Foto- und Filmkameras zu einem Signal für eine kulturelle Wende wurde, sowie die letzten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, als die Expansion elektronischer und digitaler Medien die Grenzen zwischen Sender und Empfänger verwischte. Im Kontext der visuellen Kultur und »Sehpraktiken« werden die unmittelbaren Nachkriegsjahre bedeutend seltener behandelt – woraus natürlich nicht zwangsläufig folgt, dass die Visualität der 1940er Jahre weniger interessant ist; sie lässt sich lediglich nicht jener technozentrischen Denkweise zuordnen, der zufolge kulturelle Veränderungen von bahnbrechenden technologischen Erfindungen und daraus folgenden Wahrnehmungsveränderungen ausgelöst werden. Die visuelle Kultur des Jahres 1945 hingegen ist gut beschrieben – sowohl die des historischen Moments an sich als auch die Geschichte zweiten Grades. Das große Interesse an diesen Bildern – in der Museumsarbeit sowie in der historischen Forschung – ist wohl auf ihren singulären Charakter zurückzuführen. In den letzten Jahren hat dieses Interesse unter anderem in zwei groß angelegten Ausstellungen des Deutschen Historischen Museums Ausdruck gefunden: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen (2004-2005) sowie 1945. Niederlage, Befreiung, Neuanfang (2015).22 Die Berlinale von 1990 zeigte im Rahmen einer internationalen Rundschau sowohl Originalfilme aus dem Jahr 1945 als auch solche, deren Handlung gegen Kriegsende spielt.23 In dem bereits zitierten, monumentalen Atlas Das Jahrhundert der Bilder24 von Gerhard Paul wurde den Darstellungen vom Untergang des Nationalsozialismus, Flucht und Vertreibung, den Ruinen und dem Wiederauf bau deutscher Städte sowie befreiter Konzentrationslager viel Platz eingeräumt. Neben solchen professionellen Ausstellungen und wissenschaftlichen Projekten sind Tausende Fotografien, Dutzende (wenn nicht gar Hunderte) Fernsehdokumentationen, von denen einige bereits auf DVD erschienen sind, sowie unzählige Internetseiten unterschiedlicher Provenienz mit Bildern aus dem Jahr 1945 im Umlauf. Im Gegen21 | Paul, Gerhard: Das Jahrhundert der Bilder. Die visuelle Geschichte und der Bildkanon des kulturellen Gedächtnisses, in: ders. (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bilderatlas, Bd. 1: 1900-1949, Göttingen: V&R 2009, S. 14-39, hier S. 14. 22 | Vgl. Flacke, Monika (Hg.): Mythen der Nationen, Bd. 1-2, Mainz / B erlin: von Zabern 2004; Peers, Maja (Hg.): 1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft, Berlin: Stiftung Deutsches Historisches Museum 2015. 23 | Prinzler, Hans Helmut: Das Jahr 1945 und das Kino. Filme aus fünfzehn Ländern, Berlin: Stiftung Deutscher Kinemathek 1990. 24 | Vgl. G. Paul: Das Jahrhundert der Bilder.

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Bilder der Normalisierung

satz dazu ist der Großteil der Arbeiten zur visuellen Kultur der Nachkriegsjahre weniger imponierend.

D ie V isualisierung der N ormalisierung Im Mittelpunkt unserer Forschungen steht die öffentliche Ikonosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit aller vier Besatzungszonen. Im Vordergrund stehen allerdings Beispiele aus der sowjetischen und amerikanischen Besatzungszone. Unser Forschungsgegenstand sind solche Bilder, denen die Deutschen in den Jahren 1945-1948 tagtäglich auf der Straße, auf Bahnhöfen, in Behörden, Schulen, Arztpraxen, Kinos, Gaststätten usw. begegneten. Ein großer Teil der analysierten Ikonografie stammt aus Berlin: Hier trafen die im Auftrag der verschiedenen Besatzungsmächte produzierten Bilder aufeinander, hier hatten zahlreiche Redaktionen, Filmproduktionsfirmen oder Werbeagenturen ihren Sitz. Als Bilder interessieren uns allerdings nur solche, die sich – der Konzeption von Gottfried Boehm zufolge – aufgrund ihrer »ikonischen Differenz« bestimmen lassen: Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem, was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler auf irgendeine Weise optimiert. 25

Dem Primat des künstlerischen Bildes zum Trotz, welches sich aus dieser Definition ergibt, konzentrieren wir uns vor allem auf Bilder aus der Sphäre des Alltags und des Populären. Sie waren überall zugänglich und konnten sowohl im öffentlichen (Plakate, Filme) als auch im privaten Raum (Presseillustrationen) betrachtet werden. Einige auf den Straßen wie auch im häuslichen Rahmen gegenwärtige Bilder (so etwa Titelblätter von Zeitschriften) repräsentieren sogar beide Bereiche zugleich. Eine der wegweisenden Studien zur visuellen Kultur Deutschlands ist die Publikation Weimar Surfaces26 von Janet Ward, in der sie der Architektur, dem Design und der Mode der Weimarer Republik viel Raum zugesteht. Diese Phänomene müssen wir aus unserer Analyse allerdings ausschließen, wenn wir uns nach der Boehmschen Bilddefinition richten. Im letzten Kapitel unseres Buches setzen wir uns zwar mit Zeichnungen von Klei25 | Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder, in: ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Wilhelm Fink 1994, S. 11-38, hier S. 29 f. 26 | Ward, Janet: Weimar Surfaces. Urban Visual Culture in 1920’s Germany, Berkeley / L os Angeles /  L ondon: University of California Press 2001.

E inführung

dern und Nähanleitungen, Produktdarstellungen oder dem Innendesign von Wohnungen auseinander, die Objekte an sich untersuchen wir aber nicht. Auch werden keine Elemente der sogenannten Hochkultur besprochen wie Malerei, Bildhauerei oder Bühnenbilder – mit großer Wahrscheinlichkeit lässt sich annehmen, dass der Großteil der Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland keinen alltäglichen Kontakt zu diesen Kulturformen hatte. In unsere Untersuchungen nehmen wir Fotografien und Illustrationen aus der Presse sowie einige Propaganda- und Wahlplakate auf; unsere Ausführungen ergänzen wir um Beispiele aus ausgewählten Ausstellungen, Spiel- und Dokumentarfilmen, insbesondere aus den Wochenschauen Welt im Film (amerikanische und britische Besatzungszone) sowie Der Augenzeuge (sowjetische Besatzungszone). Den Kern unserer Analyse stellt die Lektüre und  – banal, aber in diesem Zusammenhang wesentlich – das »Betrachten« der illustrierten Presse dar, so etwa von Frauenzeitschriften (u. a. Sie, Der Regenbogen, Die Frau von heute) und gesellschaftspolitischen Magazinen (u. a. Heute, Neue Berliner Illustrierte).27 Die gesellschaftliche Rolle der Illustrierten veranschaulicht die kurze Geschichte des Magazins Heute (1945-1951), obgleich es sich um ein Sonderbeispiel handelt, da Heute von der amerikanischen Militärregierung herausgegeben wurde. Als Vorbild von Heute diente die Wochenzeitschrift Life. Die Auflage von Heute erreichte bis zu 750.000 Exemplare28, was in Anbetracht der damaligen Mangelwirtschaft als sehr hoch einzuschätzen ist. Heute wurde vor allem von Frauen gelesen – die Herausgeber betonten, die Zeitschrift richte sich an ein breites Publikum, vor allem an Familien.29 Gleichzeitig betrachtete man sie als wichtiges Propagandamittel bei der Verbreitung des amerikanischen way of life – den Umfragen zufolge fand dies auch Zustimmung bei den Leserin-

27 | Eine vollständige Liste der analysierten Titel findet sich am Ende des Buches. In einer ersten Recherche zeigte sich, dass die von uns als Schlüsselmotive verstandene Familie und Gesundheit in der Tagespresse selten visualisiert wurden. Aus diesem Grunde finden unsere Leserinnen und Leser keine Bilder aus Zeitungen wie der Täglichen Rundschau, Neues Deutschland, der Neuen Zeitung, der Welt, der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Rundschau, obwohl sie einen wichtigen Teil der damaligen Medienlandschaft darstellten. Eine Aufnahme vereinzelter Bilder aus der häuslichen oder gesundheitlichen Sphäre würde den falschen Eindruck entstehen lassen, dass die Zeitungen aktiv an der Gestaltung der visuellen (!) Vorstellungen zu diesem Thema teilgehabt hätten. 28 | Bödeker, Birgit: Amerikanische Zeitschriften in deutscher Sprache 1945-1952. Ein Beitrag zur Literatur und Publizistik im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 1993, S. 94. 29 | Ebd., S. 102.

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nen und Lesern.30 Andere Zeitschriften ahmten das Konzept nach, ungeachtet der Tatsache, dass manche von ihnen in völlig andere politische Diskurse eingebettet waren. Bilder einer heilen Welt waren in beinahe allen Zeitschriften zu sehen – egal ob in Heute oder ihrem sowjetischen Pendant, der Illustrierten Rundschau31, der Münchner katholisch-konservativen Frauenzeitschrift Der Regenbogen oder der Ost-Berliner Frau von heute, dem Organ der Frauenausschüsse und ab 1947 dem Organ des Demokratischen Frauenbundes. Im Laufe der Zeit konnten manche Versprechen wie etwa die Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln und Haushaltswaren Wirklichkeit werden, doch waren die Fotografien, Zeichnungen und Reklamen der Realität immer einen Schritt voraus. Es lässt sich nur schwer sagen, wie viele Bilder wir im Laufe der Vorbereitungen zu diesem Buch gesichtet haben – schätzungsweise wird es sich auf einige Tausend belaufen. Der Katalog der eingescannten, fotografierten, aus Internetdatenbanken oder in Archiven und Museen bestellten Illustrationen enthält knapp über 1.600 Dateien. Nach einer weiteren Selektion im Hinblick auf die dargestellten Motive und eventuelle Redundanzen ergab sich allein für diese Studie ein Korpus von ungefähr 200 Fotografien, Werbeanzeigen, Plakaten, Zeichnungen, Ausstellungstafeln usw. (aus praktischen Gründen sind hier nur 130 von ihnen als Abbildungen abgedruckt worden, der Rest wurde lediglich beschrieben) sowie um die 25 Filme unterschiedlicher Genres. Unser Hauptanliegen war es, den multimedialen Charakter des öffentlichen Raumes von 1945 bis 1948 festzuhalten. Nur selten kommt es vor, dass Rezipientinnen und Rezipienten nur ein Medium nutzen – die Mehrheit von ihnen liest Tageszeitungen und Zeitschriften, geht ins Kino, läuft an Plakaten auf Litfaßsäulen vorbei usw. Auf diese Weise kommen Menschen mit unterschiedlichen Bildern gleichzeitig in Berührung. Dieses Phänomen ist etwa in Bezug auf das Kino erforscht worden – in den letzten Jahren beschäftigte sich die Filmwissenschaft des Öfteren mit »dem Verhältnis zwischen Kino und den Erfahrungen großstädtischer Urbanität und Modernität«32, diskutierte die Zusammenhänge einzelner Werke mit den sie umgebenden Bildern wie Filmplakaten, Voranzeigen, Fotografien von Filmstars usw. Solche Materialien sahen die Kinobesucher für gewöhnlich bereits beim Betreten des Kinosaals, was ihre Erwartungen bezüg-

30 | Willet, Ralph: The Americanization of Germany 1945-1949, London /  N ew York: Routledge 1989, S. 74. 31 | Betscher, Silke: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-KriegsDiskurse in den deutschen Nachkriegsillustrierten, Essen: Klartext 2013, S. 64-57. 32 | Biltereyst, Daniel /  M altby, Richard /  M eers, Philippe: Cinema, Audiences and Modernity. An Introduction, in: dies. (Hg.), Cinema, Audiences and Modernity. New Perspectives on European Film History, London / N ew York Routledge 2012, S. 1-16, hier S. 3. (Übers. d. Verf.)

E inführung

lich des vorgeführten Filmes beeinflussen konnte.33 Da andere Medien ebenfalls von dieser Einwirkung betroffen waren, haben wir unser Analysefeld um Referenzbilder, wie etwa ausgewählte Kinoprogramme und Filmplakate, erweitert. Die Presse der alliierten Länder hingegen (so etwa bekannte Fotografien aus dem Magazin Life) schließen wir aus unserer Studie aus, da sie grundsätzlich nicht an ein deutsches Publikum adressiert war. In Bezug auf die visuelle Kultur der frühen Nachkriegszeit untersuchen wir, auf welche Weise die öffentliche Ikonosphäre Vorstellungen von der (bzw. den) zukünftigen deutschen Gesellschaft(en) entstehen ließ. Unsere Erzählung folgt der zentralen Frage, inwiefern die Bilder den Übergang »von der Not in der ›Zusammenbruchgesellschaft‹ […] zu[r] Wiedererlangung von ›Normalität‹«34 begleiten und mitgestalten. Manche Forscher wie etwa Arnold Sywottek betrachten die Nachkriegszeit als Zeitalter der Modernisierung.35 Mag dieses Konzept gut in die Beschreibung der 1950er Jahre, insbesondere im Hinblick auf die Bundesrepublik, passen, so scheint uns, dass die Selbstwahrnehmung der deutschen Gesellschaft unmittelbar nach Kriegsende zunächst von dem Wunsch nach einer Rückkehr zur »Normalität« geprägt war, ehe das Bedürfnis nach »Modernität« aufkommen konnte. Lutz Niethammer betont sogar, dass die »Normalisierung« noch in den 1950er Jahren ein Leitbegriff gewesen sei: Aber was sagt er uns? Wurde nur als normal eingestuft, daß man aus den Kellern gekrochen war und nicht mehr aus Blechgeschirren aß, oder wurde nicht die ganze dramatische Veränderung der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest im Westen als normal erklärt – eine pokergesicherte Normalisierung, hinter der sich die moralische Unglaublichkeit des Wirtschaftswunders verbarg?36

33 | Vgl. Pauleit, Winfried: Die Filmanalyse und ihr Gegenstand. Paratextuelle Zugänge zum Film als offenem Diskursfeld, in: Andrzej Gwóźdź (Hg.), Film als Baustelle. Das Kino und seine Paratexte, Marburg: Schüren 2009, S. 37-57; Schenk, Irmbert / Tröhler, Margrit / Z immermann, Yvonne: Vom idealen Zuschauer zur sozialen Praxis. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Film – Kino – Zuschauer: Filmrezeption, Marburg: Schüren 2009, S. 9-16. 34 | Schildt, Axel: Freizeit, Konsum und Häuslichkeit in der »Wiederaufbau«-Gesellschaft. Zu Modernisierung von Lebensstilen in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre, in: Hartmut Kaelble /  J ürgen Kocka /  H annes Siegrist (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt a. M. / N ew York: Campus 1997, S. 327-348, hier S. 329. 35 | Sywottek, Arnold: Wege in die 50er Jahre, in: ders. /  A xel Schildt (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn: J. H. W. Dietz 1993, S. 13-39. 36 | Niethammer, Lutz: »Normalisierung« im Westen. Erinnerungsspuren in die 50er Jahre, in: Brunn, Neuland Nordrhein-Westfalen (1986), S. 175-206, hier S. 178.

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In diesem Zusammenhang interessiert uns vor allem der Weg zur »Normalität«, der bereits mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann. Ebenfalls wichtig sind die an der Verhandlung von »Normalität« teilhabenden Subjekte: Die Rezipientinnen und Rezipienten der Botschaft dieser Bilder sind »gewöhnliche« Deutsche, in Auftrag gegeben und kontrolliert hingegen wurde sie von den (alliierten und zivilen) Verwaltungen sowie Unternehmern. Der soziale Raum zur Schaffung und Projektion der Werte, die nach dem Krieg zu gelten hatten, waren die Massenmedien. Die visuelle Domäne scheint auf besondere Weise mit dem Prozess der Rückkehr zur »Normalität« verbunden zu sein – mehr noch als andere Darstellungsformen in den Medien. »In Westdeutschland drückte sich dieser optimistische Geist hauptsächlich in der Politik und in der Populärkultur aus – insbesondere im Film, wohingegen respektierte literarische Intellektuelle pessimistisch blieben«37, konstatiert Stephen Brockmann. Nach Bernard Waldenfels wiederum resultiert diese positive Kraft daraus, dass die Normalisierung eine Strategie der Überwindung und Beruhigung sei.38 Die diesen Prozess unterstützenden Bilder haben also einen gewissermaßen therapeutischen, aber auch einen Vorbildcharakter: Sie präsentieren eine (zu erwartende) Welt, in der die Folgen des Krieges bereits überwunden sind. Es gilt dabei zu beachten, dass die Rückkehr zur »Normalität« zweigleisig verlief – zum einen manifestierte sie sich auf materieller Ebene, im Wiederauf bau der Häuser, der Straßen, der Landwirtschaft, der Industrie, grundlegender Produkte des alltäglichen Gebrauchs usw.; zum anderen bedeutete die »Normalität« die traditionelle Zwei-Generationen-Familie, in welcher der Mann arbeiten ging und die Frau sich des Haushaltes und der Kinder annahm (was keinesfalls bedeutete, dass sie nicht auch außerhalb des Hauses arbeitete). Folglich signalisierten zahlreiche Darstellungen von Müttern, Kindern oder gesunden Familien die Bedeutung jener Konstellation im Prozess der Rückkehr zur Normalität. Eine ähnliche Funktion erfüllten Darstellungen reinlicher Häuser und Wohnungen oder elegant gekleideter Frauen. In diesem Sinne haben wir es mit einem an »Traditionalismus«39 angelehnten Modell und einer Reaktivierung konservativer Werte zu tun; eine solche Beobachtung stellte sich bereits im Zuge einer ersten Sichtung des von uns gesammelten Materials ein.

37 | Brockmann, Stephen: German Literary Culture at the Zero Hour, New York: Camden House 2004, S. 251. (Übers. d. Verf.) 38 | Waldenfels, Bernard: Grenzen der Normalisierung. Studien zur Phänomenologie des Fremden, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 3. 39 | Vgl. ebd., S. 14.

E inführung

Aus den Vorstellungen von »Normalität« gingen neue »Normen« hervor – diese Foucaultsche Spur40 macht Waldenfels deutlich. In Ausnahmesituationen wie im Deutschland der Nachkriegszeit ist dies besonders bedeutend, da Normen nicht nur reproduziert, sondern auch von Grund auf neu geschaffen werden müssen. Insofern fragen wir, welche Normen die Bilder aus der populären Öffentlichkeit des besprochenen Zeitraums schaffen und lancieren; was lässt sich aus ihnen über Produzenten und Rezipienten herauslesen; welche »Normalitäten« entwerfen sie für die Zukunft und wie wurden diese eingeforderten bzw. empfohlenen Modelle des gesellschaftlichen und privaten Lebens visualisiert? Da die Mehrheit der Projektanten, Fotografen oder Filmemacher der Nachkriegszeit bereits vor 1945 tätig gewesen war, sollten visuelle Kontinuitäten nicht verwundern. In der Historiografie ist man sich mittlerweile einig, dass der »Bruch«, der nach der bedingungslosen Kapitulation erfolgte, eher ein Mythos war. Wolfgang Benz beendet seine synthetische Abhandlung der Geschichte Deutschlands unter alliierter Besatzung mit einem Kapitel unter dem Titel: »Die Stunde Null fand nicht statt.«41 In Anbetracht der Selbstverständlichkeit dieser Tatsache suchen wir nicht nur nach Bezügen auf Stile und Ästhetiken aus früheren Jahrzehnten, sondern auch nach Parallelen zu Darstellungen aus späteren Epochen: Reflektieren einige der im Folgenden analysierten Bilder die Muster aus den 1920er und 1930er Jahren, so kündigen andere wiede­ rum typische Vorstellungen der 1950er Jahre an. Aus welchen Gründen konzentrieren wir uns auf Darstellungen der Familie, des Privatlebens und von Gesundheitsfragen? Unser Anliegen ist es, mit früheren Forschungen in Diskussion zu treten, in denen die »Aufmerksamkeit auf Presseillustrationen von auf dem Bürgersteig kochenden, in ausgebombten Wohnungen lebenden und in den Ruinen der Städte arbeitenden Frauen lag«.42 In diesem Kontext erwies sich die Lektüre von Leonie Trebers Abhandlung über die Trümmerfrauen – die Ikonen des besprochenen Zeitraums, die in der Realität nur begrenzt verankert waren – als entscheidend. Ihrem Beispiel folgend, suchten wir nach alternativen Bildern. Im Zuge einer Durchsicht der damaligen Presse, Plakate, Filme usw. begannen wir die Vielfalt der Darstellungen nicht nur privater, sondern auch intimer Bereiche des Lebens zu bemerken. Für die Neudefinierung des Alltags war das insofern entscheidend, als der „Ort des Körpers“ zugleich der „Ort des Lebens“ ist.43 40 | Vgl. Taylor, Dianna: Normativity and Normalization, in: Foucault Studies (2009), Nr. 7, S. 45-63. 41 | W. Benz: Auftrag Demokratie, S. 477-490. 42 | M. Höhn: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«, S. 61. 43 | Vgl. Certeau, Michel de / G iard, Luc /  M ayol, Pierre: The Practice of Everyday Life, Bd. 2: Living and Cooking, übers. v. Timothy J. Tomasik, Minneapolis: University of Minnesota Press 1998, S. 145 ff.

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Über das Wiederaufleben konservativer Modelle des Familienlebens in Deutschland nach 1945 existiert eine durchaus umfangreiche Literatur. In den 1950er Jahren schon diagnostizierte Helmut Schelsky in seiner Abhandlung Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart strukturelle Veränderungen in der Nachkriegsfamilie sowie ihre »Binnenkonsolidierung […] als Reaktion auf die Gefährdung durch die sozialen Schicksale und den Zusammenbruch der gesamtgesellschaftlichen Ordnung«.44 In den letzten zwei Jahrzehnten leisteten Erica Carter, Atina Grossmann, Donna Harsch, Elizabeth Heineman, Maria Höhn, Annette Kuhn, Robert Moeller, Merith Niehuß, Axel Schildt sowie Michael Wildt – um nur die wichtigsten Namen zu nennen – einen großen Beitrag zur weiteren Erforschung dieses Feldes.45 Für die Mehrzahl dieser Arbeiten stellt die Sozialgeschichte den methodologischen Rahmen dar, wobei die Autorinnen und Autoren jeweils verschiedene Modifizierungen vornehmen. Moeller ergänzt seine Ausführungen um Fragen aus der Rechts­ geschichte, Carter führt Elemente der Kulturkritik an, Grossmann widmet Körperlichkeitsdiskursen große Aufmerksamkeit. Nichtsdestoweniger gehen all diese Arbeiten nicht über schriftliche Quellen hinaus. Der Großteil der Forschungen zur Rekon­struktion der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg entstand in den 1980er und 1990er Jahren. Der visual turn befand sich damals erst in seinen Anfängen; es sollten noch einige Jahre vergehen, bevor er sich in der Geschichtsschreibung etablierte. Wohl aus diesem Grund meiden die oben genannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren Studien die visuelle Sphäre. Die spärlichen Illustrationen stellen eher eine Ergänzung als die Grundlage ihrer Ausführungen dar. Im Zuge der Durchsicht unseres Quellenmaterials wurde für uns immer offensichtlicher, dass die visuelle Kultur eine beachtliche Rolle in den Prozessen der Rekonstruktion der traditionellen Familie, wie sie von den erwähnten Forscherinnen und Forschern untersucht wurde, hatte spielen müssen. 44 | Schelsky, Helmut: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, Dortmund: Ardey 1953, S. 75. 45 | Vgl. Moeller, Robert: Protecting Motherhood. Women and the Family in the Politics of Postwar West Germany, Berkeley / L os Angeles / O xford: University of California Press 1993; Heinemann, Elisabeth D.: The Hour of the Woman. Memories of Germany’s »Crisis Years« and West German National Identity, in: American Historical Review 101 (1996), Nr. 2, S. 354-395; dies.: What Difference Does a Husband Make? Women and Marital Status in Nazi and Postwar Germany, Berkeley u. a.: University of California Press 2003; Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton / O xford: Princeton University Press 2007; Grossmann, Atina: Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform 1920-1950, New York /  O xford: Oxford University Press 1995; E. Carter: How German is She?; M. Höhn, Frau im Haus, Girl im »Spiegel«.

E inführung

Indessen überwiegen in einigen Arbeiten zum Thema der deutschen visuellen Kultur der frühen Nachkriegszeit Untersuchungen zur politischen Ikonografie. Teil dieser Tendenz sind sowohl Studien zur Konfrontation der Deutschen mit den Zeugnissen des Holocaust als auch Abhandlungen über andere Formen von Propaganda. Insbesondere Wahlplakate aus dem Zeitraum von 1946 bis 1949 fanden das Interesse einiger Forscherinnen und Forscher46, da sie den dynamischen Entstehungsprozess verschiedener Parteisysteme in beiden deutschen Staaten widerspiegeln. Auch in den Forschungen zu Presse­ illustrationen steht die Repräsentation der alliierten Regierungen und des Kalten Krieges im Vordergrund – wie zum Beispiel in Silke Betschers Von großen Brüdern und falschen Freunden. In Arbeiten zur Geschichte der Werbung fällt hingegen ein Mangel an Beispielen aus dem Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Währungsreform auf.47 Dies erweckt den Eindruck, als sei die Werbung mehr oder weniger im Jahre 1944 aus den deutschen Medien verschwunden, um zu Beginn der 1950er Jahre vor allem in der Bundesrepublik wieder aufzutauchen. Michael Kriegeskorte schreibt sogar: »In den Jahren 1945 bis 1948 trat Werbung fast nur in Form von politischer Propaganda auf.«48 Dieser vorschnell formulierten These möchten wir an dieser Stelle entschieden widersprechen. Natürlich war die Werbung dieser Jahre49 durch die Mangelwirtschaft gekenn46 | Vgl. u. a. Wasmund, Klaus: Politische Plakate aus dem Nachkriegsdeutschland. Zwischen Kapitulation und Staatsgründung, Frankfurt a. M.: Fischer 1986; Klotz, Katharina: Das politische Plakat SBZ /  D DR 1945-1963. Zur politischen Ikonographie der sozialistischen Sichtagitation, Aachen: Shaker 2006. 47 | Vgl. u. a. Kriegeskorte, Michael: 100 Jahre Werbung im Wandel, Köln: Dumont 1995; ders.: Werbung in Deutschland 1945-1965. Die Nachkriegszeit im Spiegel ihrer Anzeigen, Köln: Dumont 1992; Großmann, G. Ulrich (Hg.), Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885-1965, Ostfildern: Hatje Cantz, 2009; Schug, Alexander: »Deutsche Kultur« und Werbung. Studien zur Geschichte der Wirtschaftswerbung von 1918 bis 1945 (= Q Edition, Band 13), Berlin: Humboldt Universität zu Berlin 2011, http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:kobv:11-100110941; Gries, Rainer / I lgen, Volker / S chindelbeck, Dirk: »Ins Gehirn der Masse kriechen«. Werbung und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995; Heßler, Martina: »Mrs. Modern Woman«. Zur Sozialund Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung, Frankfurt a. M. /  N ew York: Campus 2001, S. 150-154. Heßler analysiert den Wert der Werbung als historische Quelle im Kontext der Technik- und Industriegeschichte. 48 | M. Kriegeskorte: Werbung in Deutschland 1945-1965, S. 8. 49 | Der Zeitraum der Mangelerfahrung und dessen Reflexion in der Werbung muss korrekterweise auf die Jahre 1943 und 1944 ausgedehnt werden. Erste sichtbare Veränderungen gingen mit der Währungsreform und den damit verbundenen neuen Konsummodellen einher. Da dies außerhalb der von uns gewählten Zäsuren liegt, möchten

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zeichnet, was sich in der Auswahl der beworbenen Produkte wie auch in technologischen und ästhetischen Aspekten widerspiegelt. Dass sie aber lediglich auf politische Propaganda zu reduzieren sei, ist schlichtweg nicht wahr: Diese Behauptung lässt sich nicht einmal in Bezug auf die sowjetische Besatzungszone aufrechterhalten. 1946 bereits lassen sich viele Werbeaktivitäten beobachten, ob in der Presse, auf der Straße oder im Kino. Natürlich mag diese Tatsache angesichts der leeren Regale in den Geschäften und der Macht des Schwarzmarktes ein wenig erstaunen. Es scheint allerdings, dass die Werbung in diesem Zeitraum eine etwas andere Funktion innehatte – oft kündigte sie die Rückkehr bekannter Produkte an, informierte über den Fortbestand bestimmter Marken und bereitete die Konsumenten auf Einkäufe vor, die in der Zukunft möglich sein würden. Diese Zukunftsorientierung der Werbung ist keine Neuigkeit: Über die Werbung zwischen 1918 und 1945 schreibt Alexander Schug in seiner Dissertation, dass sie immer einen Weg zur »Besserung« gezeigt habe.50 Schon ein kurzer Blick auf die von Schug analysierten Beispiele zeigt, dass es nach 1945 keinen Neuanfang in der Werbeindustrie gegeben hat. Nicht nur bedienten sich viele Werbemacher der Stile aus der Vorkriegszeit, oft wurden sogar dieselben Werbeanzeigen abgedruckt, die in der Presse der späten 1930er und frühen 1940er Jahren zu sehen gewesen waren. Diese Beobachtungen bestärken uns in der Annahme, dass die deutsche visuelle Kultur vom Kriegsende bis zur Währungsreform im Jahr 1948 zwar eine »formative« Funktion einnahm, sich zugleich aber auch auf traditionelle Darstellungsmuster berief. Diese Visualisierung des scheinbaren Gegensatzpaares Tradition und Zukunftsorientierung bringt das Motiv der »Rückkehr« zu einer (noch nicht eingetretenen) Normalität wohl am deutlichsten zum Ausdruck.

Z um A ufbau des B uches Im Titel unseres Buches geben wir die Jahre 1945-1948 an, was einer Erklärung bedarf. Das Jahr 1945 ist eine in den Forschungen der Neuesten Geschichte allgemein akzeptierte Zäsur. Für uns ist dieses Jahr wesentlich, da das Ende der Kriegshandlungen gleichzeitig die Rückkehr zur Normalität einleitete. In den ersten Friedensmonaten zählten die Zeitungen allerdings nur einige Seiten, erschienen aufgrund des Papiermangels zwei bis drei Mal in der Woche und wir lediglich auf folgende Publikation hinweisen: Martin Broszat /  K laus-Dietmar Henke /  H ans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 26), München: Oldenbourg 1988. 50 | A. Schug: »Deutsche Kultur« und Werbung, S. 239.

E inführung

enthielten nur ein paar Fotografien und Zeichnungen. Illustrierte erschienen erst ab der Jahreswende 1945 / 1946, zudem zunächst unregelmäßig. Im Vergleich dazu wurde die Filmdistribution zügiger erneuert: Bereits am 15. Mai 1945 hatten in Berlin 17 Kinos den Betrieb aufgenommen, zwei Tage später schon 30.51 Zu Beginn wurden von den Alliierten produzierte Filme gezeigt, die deutsche Filmproduktion wurde 1946 wieder aufgenommen (zuerst in der sowjetischen, dann in den übrigen Besatzungszonen). Die Filmplakate der ersten Nachkriegsvorführungen waren beinahe ausnahmslos rein typografisch gestaltet (eine Ausnahme stellten mit der Hand gemalte Tafeln über dem Eingang einiger Kinos dar). Das Gleiche betraf Propagandaplakate und Bekanntmachungen aus dem Sommer und Herbst 1945. Illustrative Elemente kamen im folgenden Jahr auf, und ihre Anzahl wuchs bedeutend an, als die Kampagne zu den Kommunalwahlen vom Herbst 1946 begann. Kurz gesagt: In den wenigen Beispielen von 1945, die wir in diesem Buch zeigen, spiegeln sich die damaligen Umstände wider. Die Endzäsur unserer Untersuchung markiert die Währungsreform von 1948. Da eine große Anzahl der analysierten Bilder Werbeanzeigen sind, haben die wirtschaftlichen Veränderungen eine größere Bedeutung als die späteren politischen Ereignisse rund um die Gründung der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949. Die Währungsreform veränderte das Konsumverhalten der Deutschen grundlegend – sowohl in West- als auch in Ostdeutschland52, was unserer Meinung nach ebenfalls die öffentliche Ikonosphäre beeinflusste. Die Folgen der Reform hinterließen zudem andere Spuren im medialen Raum – viele Zeitschriften überstanden die Währungsreform und die Teilung des Ost- und Westmarktes nicht.53 Ferner war die Reform mit einer Intensivierung des Kalten Krieges verbunden, was wesentlichen Einfluss auf die in den Medien behandelten Themen aller Besatzungszonen hatte. Die zur selben Zeit stattfindende Blockade West-Berlins veränderte wiederum die Rezeptionspraktiken in der Hauptstadt, da sie die freie Bewegung zwischen den Sektoren einschränkte.

51 | Hanisch, Michael: »Um 6 Uhr abends nach Kriegsende« bis »High Noon«. Kino und Film im Berlin der Nachkriegszeit. 1945-1953, Potsdam: Defa-Stiftung 2004, S. 13. Mehr zu diesem Thema: Saryusz-Wolska, Magdalena: Watching Films in the Ruins. Cinema-going in Early Post-war Berlin, in: Participations. Journal of Audience and Reception Studies 12 (2015), Nr. 1, S. 762-782. 52 | Pence, Katherine: Labours of Consumption. Gendered Consumers in Post-war East and West-German Reconstruction, in: Lynn Abrams / E lisabeth Harvey (Hg.), Gender Relations in German History. Power, Agency and Experience from the Sixteenth to the Twentieth Century, London / N ew York: Routledge 1996, S. 211-239. 53 | Benz, Wolfgang: Auftrag Demokratie, S. 149.

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Es war unser Bestreben, einen komparatistischen Ansatz zu verfolgen und Bilder aus allen vier Besatzungszonen zu berücksichtigen, obwohl – wie bereits angedeutet – Beispiele aus der sowjetischen und amerikanischen Besatzungszone dominieren. Die ungleichmäßige Quellenlage ist nur ein Grund für dieses Missverhältnis. Zwar sind wir uns der Gefahren einer solchen Reduktion und der komplexen Unterschiede zwischen den einzelnen Besatzungszonen bewusst, was uns jedoch nicht davon abhält, einen synthetischen Vergleich der Normalisierungsprozesse in Ost- und Westdeutschland anzustreben. Die Entscheidung, die visuelle Sphäre aller Zonen zu untersuchen, resultiert auch aus der Pragmatik des damaligen medialen Marktes. Die gemeinsame Währung bis 1948 sowie das verhältnismäßig einfache Überschreiten der Sektorengrenzen in Berlin erschweren eine Trennung der Rezeptionspraktiken in den verschiedenen Besatzungszonen. Die zahlreichen gemeinsamen Eigenschaften sind beispielsweise auf Werbeseiten zu sehen – oft beauftragten Unternehmer den Druck derselben Materialien in der Presse unterschiedlicher Besatzungszonen; in den Berliner Zeitungen etwa wurden zahlreiche Annoncen von Geschäften oder Dienstleistungsstellen in einem anderen Sektor als dem des Redaktionssitzes publiziert. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich unser komparatistischer Ansatz auf die vier deutschen Besatzungszonen begrenzt. Zerstörung, Migration und der Zusammenbruch der bisherigen Gesellschaftsordnung gegen Kriegsende sowie die anschließende »Normalisierung« waren aber nicht nur für Deutschland charakteristisch. Ein internationaler Vergleich der von uns diskutierten Problematik  – insbesondere im deutsch-polnischen Kontext – wäre daher ein wichtiges Desiderat für weitere Forschungen, um u. a. zu zeigen, dass die deutsche Erfahrung im Europa der Nachkriegszeit nicht singulär war. Ferner ist es unser Anliegen, dass dieses Buch nicht nur gelesen, sondern auch »gesehen« wird. Wir legen großen Wert auf die Abbildungen, die nicht nur als Illustrationen und Ergänzungen, sondern als eigenständiger Bestandteil der Argumentation betrachtet werden sollen. Wir versuchen die Bilder so in unser Narrativ einzubetten, dass sie bereits beim Betrachten die Geschichte und die Mechanismen der Normalisierungsprozesse aufzeigen. Das auf diese Weise gesammelte und sortierte Material ordnen wir nicht nach einem chronologischen oder geografischen Muster an, sondern nach ausgewählten Figuren und Lebensbereichen. Unsere Ausführungen beginnen wir mit einer allgemeinen Erörterung der Visualisierung von Geschlechterrollen (Kapitel I). Im nächsten Kapitel widmen wir uns Gesundheits- und Hygienefragen als »unterste«, dem menschlichen Körper am nächsten stehende Mikroebenen (Kapitel II). Verhältnismäßig viel Raum nehmen Visualisierungen von Geschlechtskrankheiten ein (Kapitel III). Dies resultiert aus einer intensiven Präsenz des Themas im öffentlichen Raum der Nachkriegszeit und der Aufmerksamkeit, die ihm von den Besatzungsmächten zuteil wurde. Repräsentationen von Hun-

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ger und Essen diskutieren wir in einem eigenen Kapitel (IV), da sie sowohl die Gesundheit als auch eine weitere Sphäre des täglichen Lebens betreffen, nämlich Haushalt und Hausarbeit (Kapitel V). In die Organisation des häuslichen Lebens schließen wir letztlich auch Fragen zur Mode ein – das tun wir, da in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre die Herstellung von Kleidung hauptsächlich zu Hause stattfand. Aus fast allen zugänglichen Stoffen wurde Kleidung angefertigt, und »Stopfen, Flicken und Stricken gehörten zu den Grundfertigkeiten einer deutschen Hausfrau.«54 Einige Motive wie beispielsweise die Mutterschaft kommen in allen Kapiteln vor. Natürlich sind wir uns der Tatsache bewusst, dass sich die von uns besprochenen Bilder auch anders anordnen lassen – oft beziehen sie sich auf verschiedene Sphären des Alltagslebens zugleich. Da unser Fokus auf den Normalisierungsprozessen liegt, erscheint uns unter allen diskutierten Möglichkeiten diese allerdings am praktischsten und plausibelsten.

54 | Sywottek, Jutta: »Darf man jetzt von Mode sprechen?« Bekleidung und Textilwirtschaft im Nachkriegsdeutschland, Hildesheim: Arete 2014, S. 29.

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Abbildung 1.1: Propagandaplakat, Berlin (sowjetischer Sektor), 1946.

Quelle: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-023-015.

I. Trümmerfrauen, Girls und Mütter 1946 hingen im sowjetischen Sektor Berlins im Auftrag des Magistrats gedruckte Plakate, auf denen sechs unterschiedliche Frauenfiguren abgebildet waren. Betrachtet man die abgebildeten Frauen von links nach rechts und von oben nach unten, sieht man an erster Stelle eine Uniformierte, die eine »männliche« Tätigkeit auszuführen scheint (sie ist Verkehrslotsin oder Straßenbahnschaffnerin). Neben ihr ist eine zu Boden blickende Figur mit Kopftuch und Maurerkelle in der Hand zu sehen – eine klassische Darstellung der Trümmerfrau. Dann folgen eine Lehrerin vor einer Tafel sowie eine Schneiderin, und am Ende des Plakats sind eine Mutter mit Kind am Herd sowie eine weitere Mutterfigur abgebildet, die ihren Kindern aus einem Buch vorliest. In dieser Reihenfolge lassen sich die sechs Figuren zu einer Erzählung zurechtlegen, die mit schwerer körperlicher Arbeit beginnt und in der Abgeschiedenheit des trauten Heims endet. Diese Betrachtungsweise suggeriert auch die Platzierung der Figuren: Obwohl mehr berufstätige Frauen abgebildet sind, nehmen die Hausfrauen proportional mehr Raum ein. Modellhaft illustriert das Plakat den Rückzug der Frauen aus den in Trümmern liegenden deutschen Städten ins Private. Bemerkenswert ist, dass die Frauen mit ihren Kindern allein sind; ob die Ehemänner und Väter nur vorrübergehend nicht anwesend sind oder ob sie noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt sind, lässt sich aus dem Plakat selbst nicht schlussfolgern. In Anbetracht der abwesenden Männer mag die Bildunterschrift, in der die »Mitarbeit der Frau«, ihre Gleichberechtigung und Lebensklugheit angesprochen werden, ein wenig seltsam anmuten: Aus dem Plakat selbst geht nicht hervor, mit wem die Frauen zusammenarbeiten und wem gegenüber sie gleichberechtigt sein sollten – Männer sind schließlich keine zu sehen. Erst ein Blick auf ein anderes Plakat aus der Reihe »Wir kriegen’s hin« lässt einen Bezug vermuten: In analoger Komposition sind ein Stahlarbeiter, ein Zimmermann, ein technischer Zeichner, eine Maurerin, eine Streckenwärterin, eine Büromitarbeiterin und ein Büromitarbeiter sowie ein Mechaniker dargestellt.1 Ebenfalls im Auftrag des Ber1 | Abdruck des Plakates in: Reichhardt, Hans J.: »… raus aus den Trümmern«. Vom Beginn des Wiederaufbaus 1945 in Berlin, mit Fotografien von Carl Weinrother und Abraham Pisarek, Berlin: Transit 1988, S. 63.

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liner Magistrats wurden auch Flugblätter mit dem Slogan: »Heimkehrer! Hilf mit! Wir bauen mit Zuversicht ein neues Berlin« gedruckt, die sich als überbildliche Referenz zum oben besprochenen Plakat lesen lassen. Das Flugblatt zeigt einen Maurer, der mit einer einladenden Geste zwei in Lumpen gekleidete Heimkehrer mit Bündeln in der Hand anspricht.2 Die auf dem obigen Plakat erwähnte »Gleichberechtigung« kann sich folglich nur auf den außerbildlichen Raum beziehen – auf andere Plakate und auf den Kontext, in dem die Botschaft funktionierte. Die Abwesenheit der Männer auf dem hier abgebildeten Plakat sowie die Visualisierung des Rückzugs der Frauen aus dem öffentlichen in den privaten (häuslichen, familiären, intimen usw.) Raum ist ein Signal dafür, dass sich die »männliche« Welt woanders abspielt. Diese Veränderung in den ersten Nachkriegsjahren  – von einer aufgrund der demografischen Lage von Frauen dominierten Bevölkerung zurück zu einer von traditionellen Geschlechterrollen gekennzeichneten Gesellschaft – fasst Annette Kuhn folgendermaßen zusammen: Die von Hitler propagierte und politisch konsequent verfolgte Zwei-Welten-Lehre der »großen Welt des Mannes« und der »kleinen Welt der Frau« hatte sich in einer paradoxen, weder von Frauen noch von Männern gewollten Weise verwirklicht. Die »große Welt des deutschen Mannes« war untergegangen, die »kleine Welt der deutschen Frau« hatte überlebt. 3

Entsprechend dieser Beschreibung führt der Großteil der auf dem Plakat präsentierten Figuren eine Tätigkeit aus, die sowohl vor als auch nach dem Krieg traditionell Frauen zugeschrieben wurde (Mutter, Schneiderin, Lehrerin, zum Teil auch Büroangestellte). Ein Jahr nach Kriegsende bereits, so scheint es, entlarvt das oben abgebildete Plakat das Bild der starken, gleichberechtigten Frau der Nachkriegszeit (aber auch das oft erwähnte Potenzial für eine letztendlich verpasste Emanzipation der Geschlechter) als Mythos und stellt die Wiederherstellung des gesellschaftlichen Status quo, eine Rückkehr zur Normalität in Form von traditionellen Geschlechterrollen, in den – ikonografischen wie symbolischen – Vordergrund.

2 | Matzschens, Andreas: »Der Onkel da ist dein Vater …« Die Heimkehr der Kriegsgefangenen nach Berlin bis 1948, in: Annette Kaminsky (Hg.), Heimkehr 1948, München: C. H. Beck 1998, S. 117-140, hier S. 121. 3 | Kuhn, Annette: Die stille Kulturrevolution der Frau. Versuch einer Deutung der Frauenöffentlichkeit (1945-1947), in: Gabriele Clemens (Hg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1949-1949, Stuttgart: Steiner 1994, S. 83-101, hier S. 88.

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D er U ntergang von Trümmerfr au und H eimkehrer Unsere Vorstellungen von den vorherrschenden Figuren in der Ikonosphäre der frühen Nachkriegszeit sind in großem Maße durch spätere Diskurse geformt. Die symbolische und gesellschaftliche Rolle von Trümmerfrauen und Heimkehrern ist in der Fachliteratur mehrmals besprochen worden – daher werden wir auf diese Phänomene nur skizzenhaft eingehen. Die Trümmerfrau etwa galt bis vor Kurzem als eine der wichtigsten Figuren dieser Zeit; in der damaligen Ikonosphäre aber spielte sie keine prominente Rolle. In der DDR verfestigte sich der Mythos der Trümmerfrau erst im Nachhinein, in den 1950er Jahren; so wurden die Frauen, die zum Wiederauf bau der deutschen Städte beigetragen hatten, als Musterbeispiel der Arbeiterschaft präsentiert. Heute noch sind die zu ihren Ehren errichteten Denkmäler in ostdeutschen Städten zu besichtigen – das Denkmal vor dem Dresdner Rathaus beispielsweise ist gut bekannt, andere stehen etwas vergessen an weniger exponierten Stellen. Abbildung 1.2: Trümmerfrauen­ denkmal in der Ossietzkystraße in Berlin-Pankow, 1952. Autorin: Gertrud Claas.

Foto: Ondřej Cinkajzl.

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In der Bundesrepublik wurde der Trümmerfrau erst später ihre legitimierende Funktion zugesprochen. Dieser Diskurswechsel hat seine Wurzeln in der Sozialgeschichte, insbesondere in der feministisch orientierten Frauengeschichte der 1970er Jahre, wie Leonie Treber in ihrer erkenntnisreichen Studie zu dem heute gängigen Mythos veranschaulicht. Im Gegensatz zur DDR, wo die Leistungen der Trümmerfrauen an erster Stelle standen, stellte die Bundesrepublik die doppelte Belastung der Frau in den Vordergrund – nämlich sowohl im Hinblick auf den Wiederauf bau Deutschlands als auch auf den Erhalt der Familienbande.4 Treber zeichnet überzeugend nach, wie das Bild der Trümmerfrau auf einem Propagandakonstrukt basiert, in dem sich reale Personen und Ereignisse nur zum Teil wiederfinden.5 In Wirklichkeit sind die deutschen Städte von vielen Gruppen enttrümmert worden – noch im Krieg von Zwangsarbeitern, von Kriegsgefangenen oder später auch von professionellen Firmen unter Einsatz schwerer Maschinen. Diese Schwerstarbeit wurde u. a. auch von weiblichen Parteimitgliedern der NSDAP ausgeführt, die auf diese Weise ihre Strafe abzuleisten hatten. Das Phänomen der massenhaften Beteiligung »gewöhnlicher« Frauen bei der Räumung und dem Wiederauf bau der Städte beschränkte sich vor allem auf Berlin, wo diese Aufgabe den Arbeitslosen zufiel. Da die Redaktionen vieler Zeitschriften ihren Sitz in der Hauptstadt hatten, dort zahlreiche Bildreporter arbeiteten und hauptsächlich dort auch die Wochenschau Der Augenzeuge (sowjetische Besatzungszone) gedreht wurde, verbreiteten sich rasch Bilder von Frauen, die Ziegelsteine säuberten, Trümmerloren schoben oder sich Schutteimer reichten. Ferner stammen viele bis heute in populären historischen Abhandlungen abgedruckte, ikonische Fotografien aus den Jahren 1943 bis 1945 und zeigen die Räumung der Städte nach den Bombardierungen.6 Zunächst besaß der Begriff »Trümmerfrau« eher negative Konnotationen; 1946 fand er im Diskurs der sowjetischen Besatzungsmacht Verwendung (in einem Moment also, in dem die Trümmerbeseitigung bereits verhältnismäßig fortgeschritten war), und 1948 wurde er in den westlichen Besatzungszonen heimisch.7 Tatsächlich lassen sich in der deutschen Nachkriegspresse aller Besatzungszonen Fotografien finden, auf denen Trümmerfrauen abgebildet sind, 4 | Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegsund Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Essen: Klartext 2014, S. 277 ff. 5 | Ebd., passim. 6 | Krauss, Marita: Trümmerfrauen. Visuelles Konstrukt und Realität, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bilderatlas, Bd. 1: 1900-1949, Göttingen: V&R 2009, S. 739-746, hier S. 741. 7 | Vgl. Treber, Leonie: Die Geburtsstunde der »Trümmerfrau« in den Presseerzeugnissen der deutschen Nachkriegszeit, in: Elisabeth Chauré / S ylvia Paletschek / N ina

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allerdings handelt es sich hierbei eher um vereinzelte Bilder als um ein massenhaftes Phänomen. Selbst im Hinblick auf die sowjetische Besatzungszone ließe sich die These, dass die Trümmerfrau das visuelle Leitmotiv ihrer Zeit darstellte, nicht aufrechterhalten. Abbildungen 1.3 und 1.4: Titelbild des Spiegel (links). Briefmarke der Deutschen Post, 2002. Autor: Gerd Aretz.

Quellen: Der Spiegel (1947), Nr. 19, Titelbild (links). Bundesfinanzministerium. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Den semantischen Wandel der Figur Trümmerfrau verdeutlichen zwei Porträts der Schauspielerin Hildegard Knef, die in der weiblichen Hauptrolle des ersten deutschen Nachkriegsfilms Die Mörder sind unter uns (1946, Regie: Wolfgang Staudte, sowjetische Besatzungszone) große Popularität erlangte. Während die zeitgenössischen Medien sie noch als neuen Stern am deutschen Kinohimmel stilisierten, wähnte man in den späteren Jahren der Bundesrepublik in ihr das Paradigma der Trümmerfrau. Diese Veränderung lässt sich am Beispiel eines Spiegel-Titels von Mitte Mai 1947 sowie einer posthum herausgegebenen Briefmarke von 2002 nachvollziehen. Der Spiegel zeigt eine geschminkte, rauchende und Nerz tragende Knef mit lackierten Nägeln. Die Briefmarke hingegen illustriert sie mit hochgestecktem Haar, Kopftuch und Rollkragen – solche Porträts von der realen Person Hildegard Knef sind in der illustrierten Presse der 1940er Jahre nicht zu finden, wo sie vorwiegend in ihren FilmrolReusch (Hg.), Geschlecht und Geschichte in populären Medien, Bielefeld: transcript 2013, S. 189-207.

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len gezeigt wurde. Dieser eklatante Unterschied ergibt sich unserer Auffassung nach aus einer hauptsächlich in den letzten Jahrzehnten vollzogenen veränderten Wahrnehmung der Frauen in der Nachkriegszeit. Im Laufe der Zeit identifizierte man sie immer stärker mit der Figur der Trümmerfrau, die andere Vorstellungen von deutschen Frauen nach 1945 in den Hintergrund rücken ließ. Auf welche Weise wurde das Motiv der Trümmerfrau mit der traditionellen Gesellschaftsordnung in Einklang gebracht, in der die Frauen ihren Platz vor allem im häuslichen Raum besaßen? Das Titelblatt der halbmonatlich erscheinenden Zeitschrift Heute vom 15. Januar 1947, die von der amerikanischen Militärregierung herausgegeben wurde, ziert eine Fotografie von Otto Donath, auf der vier Trümmerfrauen zu sehen sind, die sich am Feuer wärmen (auf der ursprünglichen Fotografie waren es acht Frauen und ein Mann – das Titelbild ist also stark zugeschnitten).8 Abbildung 1.5: Titelbild mit einem Aus­ schnitt der Fotografie Berliner Trüm­ merfrauen, 1946. Autor: Otto Donath.

Quelle: Heute (1947), Nr. 28, Titelbild. 8 | Das Originalbild befindet sich in den Sammlungen des DHM, Sign. BA007588. Zum Vergleich des Originals und des auf dem Titelbild abgedruckten Ausschnitts vgl. Saryusz-Wolska, Magdalena: Ikony normalizacji. Kultury wizualne Niemiec 1945-1949, Warszawa: PWN 2015, S. 211 f.

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Im Kommentar zum Titelbild auf der dritten Seite der Zeitschrift heißt es, dass die höheren Lebensmittelrationen für die Schwerstarbeit leistenden Frauen einen kleinen Trost darstellten. Auf vergleichbare Weise werden die Motivationen der Trümmerfrauen in der Wochenschau Welt im Film (43 / 1946, britische und amerikanische Besatzungszone) erklärt. Einer der Beiträge setzt sich mit der Einweisung der Frauen in Maurerarbeiten auseinander – man erfährt, dass sie ein Viertel der Kursteilnehmer ausmachen. Für ihre Teilnahme an der Schulung erhalten sie aber auch zusätzliche Lebensmittelkarten für ihre Familien.9 Sowohl der Kommentar zum Titelbild der Heute als auch der Bericht in der Welt im Film suggerieren, dass Frauen (mehr oder weniger gezwungenermaßen) körperlich anstrengende Arbeiten ausführten, um ihre Familien versorgen zu können – an erster Stelle stehen folglich alltägliche Bedürfnisse und Notwendigkeiten, nicht aber die heldenhafte Aufopferung der Frauen für den Wiederauf bau Deutschlands. Diese idealisierte Vorstellung demontiert auch schon (oder lässt sie vielmehr gar nicht erst aufkommen) der DEFA-Dokumentarfilm Dresden (1946, Regie: Richard Groschopp). In diesem Film werden die Trümmer der Stadt ausnahmslos von Männern geräumt, während die einzige Frau im Film in der Küche steht und für die arbeitenden Männer kocht. Als wohl ebenso identitätsstiftendes, männliches Pendant dieses Zeitraums lässt sich die Figur des Heimkehrers ausmachen.10 Sein Bild war ebenfalls voller Widersprüche. Einerseits inszenierten sich die Besatzungsregime in der Rolle von Institutionen, die die Rückkehr der Männer aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause ermöglichten und organisierten. Solche Motive finden wir in den Wochenschauen Der Augenzeuge (u. a. 5 / 1946 oder 62 / 1947) und in der Welt im Film (u. a. 62 / 1946 oder 93 / 1947). Dieses Material zeigte die Feierlichkeiten zur Begrüßung der Heimkehrer auf den Bahnhöfen und Frauen, die sich den Männern in die Arme warfen, es enthielt auch Informationen über Unterstützungsangebote für ehemalige Kriegsgefangene. Andererseits waren im öffentlichen Raum auch Bilder von Heimkehrern in fataler körperlicher und psychischer Verfassung präsent.

9 | Im Lichte der von Leonie Treber angegebenen Daten überrascht diese Zahl. 1946 stellten Frauen nur 0,27 Prozent der Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter in der britischen Besatzungszone. L. Treber: Trümmerfrauen, S. 220. Vgl. auch Mödling, Nori: Die Stunde der Frauen?, in: Martin Broszat / K laus-Dietmar Henke / H ans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 26), München: Oldenbourg 1988, S. 619-647, hier S. 621. 10 | Vgl. u. a. die Beiträge in Kaminsky, Heimkehr 1948 (1998).

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Abbildungen 1.6 und 1.7: Fotografie eines Heimkehrers11 (links). Plakat zur Spendensammlung im Berliner Bezirk Wilmersdorf, 1947.

Quellen: Heute (1947), Nr. 17, S. 15 (links). Bundesarchiv, Sign. Plak 004-007-004.

Das hier angeführte Bild aus der Heute stellt einen Mann in abgenutzter Kleidung dar, der stumpf vor sich hinblickt – für einen Blick in die Kamera scheint er zu kraftlos zu sein oder zu viel Scham zu empfinden. Sein Gesicht zeigt angesichts der Rückkehr keine Freude. »Der besiegte Held hat höchstens Anspruch auf Mitleid«12 – so fasst der Schriftsteller und Ratgeberautor Walther von Hollander den Status der Heimkehrer zusammen, die den Erwartungen der Frauen nicht entsprachen. Die Schwäche der von der Front wiederkehrenden Männer betonten auch – sicherlich unbeabsichtigt – Hilfsaufrufe und Aushänge zu Spendensammlungen. Auf dem Berliner Plakat etwa ist vor den Ruinen der Stadt der Rücken eines Mannes zu sehen, der eine Feldmütze der Wehrmacht trägt. Die Bildunterschrift »Vergesst unsere Heimkehrer nicht« stellt sie 11 | Die Bildunterschrift lautet: »Aus Rußland heimgekehrt … Ein Kamerad mußte ihn hierher tragen, weil der völlig Entkräftete sich selbst nicht mehr schleppen konnte. Nun müssen gütige, hilfreiche Menschen ihn nach schweren, leidvollen Jahren ins Leben zurückführen.« 12 | Hollander, Walther von: Der Held und der Mann von Heute, in: Constanze (1948) H. 4, S. 3.

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deutlich als Personen dar, die auf die Unterstützung anderer angewiesen sind – hauptsächlich, wie aus der Fachliteratur hervorgeht und auch im Laufe dieses Buches wiederholt sichtbar werden wird, auf die Hilfe der selbst überlasteten und überforderten Frauen. Den Topos des erschöpften Heimkehrers in abgenutzter Kleidung und abgetragenem Schuhwerk finden wir ferner in vielen zeitgenössischen Spielfilmen, so etwa in Die Mörder sind unter uns, Irgendwo in Berlin (1946, Regie: Gerhard Lamprecht, sowjetische Besatzungszone), … und über uns der Himmel (1947, Regie: Josef von Báky, amerikanische Besatzungszone) oder Liebe 47 (1949, Regie: Wolfgang Liebeneiner, britische Besatzungszone). Diese Vorstellung verfestigte sich so sehr, dass der Erzähler des Films Berliner Ballade (1948, Regie: Robert Stemmle, amerikanische Besatzungszone) in der ersten Szene ironisch bemerkt, dass es sich ausnahmsweise nicht um einen neuen Heimkehrer-Film handele. In Bezug auf diese Figuren erweist sich das Konzept des marginal man von Kaja Silverman als adäquat und hilfreich. Die Autorin legt dar, dass der aus dem Krieg heimkehrende Mann (in ihren Beispielen waren das die Protagonisten diverser Hollywood-Produktionen aus der Mitte der 1940er Jahre) aus der patriarchalen Ordnung und der dominant fiction der heterosexuellen Familie geworfen ist, die er verlassen hatte, als er an die Front ging. Dieser Mann ist gekennzeichnet von vielen »symbolischen Lücken«, die ihn vom »klassischen« Männlichkeitsmodell unterscheiden. Auf diese Weise kommt es zu einer Umkehrung der Geschlechterrollen: Der sozial unfähige, nicht mehr gesellschaftstaugliche Mann ist nicht länger das dominierende und schauende Subjekt, sondern wird zum Gegenstand des weiblichen Blickes: Um die Ruinen der Maskulinität aufzupolieren, sahen sich viele dieser [Hollywood-]Filme [aus der Mitte der 1940er Jahre] dazu gezwungen, einer weiblichen Figur die narrative Handlungskraft zu übertragen, welche für gewöhnlich das Attribut der männlichen Figur ist, wodurch die Geschlechterdifferenz nur noch stärker unterminiert wurde.13

Jaimey Fisher behauptet gar, dass die männlichen Protagonisten der Trümmerfilme über viele feminine Eigenschaften verfügen14, die die heteronormative Ordnung stören: »[Sie] verstärken das Verständnis des Heimkehrers als, zumindest anfangs, desjenigen, der die (Wieder-)Einführung traditioneller Geschlechterrollen nach dem Krieg ablehnte.«15 Es muss allerdings betont werden, 13 | Silverman, Kaja: Male Subjectivity at the Margins, London /  N ew York: Routledge 1992, S. 52. (Übers. d. Verf.) 14 | Fisher, Jaimey: Wandering in /  t o the Rubble-Film. Filmic Flânerie and the Exploded Panorama after 1945, in: The German Quarterly (2005), Nr. 4, S. 461-480, hier S. 476. (Übers. d. Verf.) 15 | Ebd., S. 475.

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dass am Ende die Familienordnung immer wieder hergestellt wird. In den finalen Szenen sowohl der oben genannten als auch anderer deutscher Filmproduktionen dieser Zeit kommt es zu einer erneuten Umkehrung der Rollen und zu einer Konsolidierung des patriarchalen Modells – der Mann erlangt seine Kraft wieder und kehrt zur Arbeit, die Frau hingegen in den Haushalt zurück. Das modellhafte und wohl am häufigsten besprochene Beispiel für eine solche Inszenierung der Geschlechterrollen ist der Film Die Mörder sind unter uns. Da es sich um den ersten deutschen Spielfilm der Nachkriegszeit handelt, ist die Initiationskraft dieser bewegten Bilder besonders stark. Die Protagonistin Susanne Wallner (Hildegard Knef) beteiligt sich nicht am Wiederauf bau Berlins, wie es die ikonische Trümmerfrau tun würde – Schutt räumt sie nur in ihrer Wohnung beiseite. Sobald die allgemeine Verfassung ihres Gegenparts, des desillusionierten Heimkehrers Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert), es ihm nur erlaubt, seine Arbeit wieder aufzunehmen, widmet sich Susanne traditionellen, weiblichen Aufgaben: Sie besorgt eine weiße Tischdecke und ein Porzellanservice, sie wartet geduldig auf Hans und verzeiht ihm seine Trinksucht.16 Auf vergleichbare Weise werden die Demarginalisierung der Männer und die Redomestizierung der Frauen in Irgendwo in Berlin, … über uns der Himmel und Liebe 47 präsentiert.17 Starke Frauen, die allein unter widrigen Bedingungen zurechtkommen mussten, finden Rückhalt bei Männern, die wieder die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen. Die Frauen hingegen können sich der Pflege des gemeinsamen trauten Heims widmen. Die Botschaft dieser Filme oder des zu Beginn dieses Kapitels besprochenen Plakates lautete folglich: Obwohl die Frauen gegenwärtig für ihre Familie aufkommen müssen, werden sie in nicht allzu ferner Zukunft zu ihren traditionellen Rollen zurückkehren können.

D ie K rise der G eschlechterrollen Die Vielschichtigkeit der Figuren Trümmerfrau und Heimkehrer verdeutlicht, wie uneindeutig die Frauen- und Männerbilder im besprochenen Zeitraum 16 | Vgl. u. a. Weckel, Ulrike: »Die Mörder sind unter uns« oder: Vom Verschwinden der Opfer, in: Werkstatt Geschichte 25 (2000), S. 105-115; Baer, Hester: Dismantling the Dream Factory. Gender, German Cinema and the Postwar Quest for a New Film Language, New York / O xford: Berghahn 2009, S. 21-48. 17 | Vgl. u. a. Pinkert, Anke: Rubble Film as Archive of Trauma and Grief. Wolfgang Lamprechts »Somewhere in Berlin«, in: William Rasch /  W ilfried Wilms (Hg.), German Postwar Films. Life and Love in the Ruins, New York: Palgrave Macmillan 2008, S. 61-76; Moeller, Robert: When »Liebe« was Just a Five-Letter Word. Wolfgang Liebeneiner’s »Love 47«, in: Rasch /  W ilms, German Postwar Films (2008), S. 141-156.

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sind. Gleichzeitig scheint es, dass die optimistischen Botschaften der Spielfilme, Wochenschauen oder Propagandaplakate eine Reaktion auf eine reale Krise darstellten. Annette Kuhn und Doris Schubert schreiben: Die Erfahrung jahrelanger Selbständigkeit unter schwersten Bedingungen und die Erfahrung, daß Frauen in Situationen extremer Belastung mehr »Stärke« beweisen als Männer, hatte die Frauen selbstbewußter gemacht. Das neue Selbstbewußtsein führte zu einer Rollenverunsicherung und zu der damals vielzitierten »Krise von Ehe und Familie«. Diese Krise wurde jedoch nicht als emanzipatorischer Schritt zu einem zwar konfliktreichen, aber positiven »Neubeginn« im Verhältnis der Geschlechter zueinander gesehen, sondern als fatale Kriegsfolge. Die Wiederherstellung der patriarchalischen Kleinfamilie und einer rigiden, die Frau unterwerfenden Sexualmoral gelten als Schritte zur Normalisierung.18

Diese Diagnose behält auch noch im Lichte späterer Forschungen ihre Gültigkeit und Aktualität. Ohne Zweifel war das universale Problem der frühen Nachkriegszeit die Krise der Ehe, da die Männer in ein anderes Heim zurückkehrten als das, das sie verlassen hatten: »Als [sie] heimkehrten, wurde es in den überfüllten Unterkünften nur noch enger und die knappen Vorräte wurden nur von noch mehr Personen geteilt. […] Die Wiedervereinigungen von zurückkehrenden Kriegsgefangenen mit ihren Familien stellten sich für die Frauen und Kinder als schwierig heraus«.19 Die Schwere dieses Problems bezeugen zahlreiche Briefe an die Redaktion von Frauenzeitschriften: »Und plötzlich zerbrach die Maske aus verkrampfter Zurückhaltung und hektischer Heiterkeit. […] Aber das reine gläubige Antlitz, das ich gekannt und geliebt habe – wie traurig war es verwandelt«20, schrieb eine Leserin der konservativen Monatszeitschrift Der Regenbogen. »Nach fast fünf Jahren ist mein Mann aus der Gefangenschaft zurückgekommen. Die ersten drei, vier Wochen waren wir sehr glücklich. Aber nun gibt es einen Streit nach dem anderen«21, beschwerte sich die Verfasse18 | Annette Kuhn  /  D oris Schubert (Hg.), Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert, Bd. 4: Frauen in der Nachkriegszeit und im Wirtschaftswunder 19451960, Materialsammlung zu der Abteilung 20. Jahrhundert im Historischen Museum Frankfurt, Frankfurt a. M.: o. V. 1980, S. 39. 19 | Moeller, Robert: Protecting Motherhood. Women and the Family in the Politics of Postwar West Germany, Berkeley / L os Angeles /  O xford: University of California Press 1993, S. 28. (Übers. d. Verf.) 20 | Brenner, Vanna: Briefe der Liebe, in: Der Regenbogen (1946), Nr. 6, S. 3. 21 | Leserbrief an Walther von Hollander, in: Constanze (1948), Nr. 1, S. 19. Zu Berichten von Frauen über ihre Eheprobleme in der Nachkriegszeit vgl. auch Kuhn, Annette: »Kann ich mir einen Mann leisten?« Frauengeschichtliche Überlegungen zu einer Zeitungsumfrage des Jahres 1948, in: Irene Bandhauer-Schöffmann / C laire Duchen (Hg.),

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rin eines Leserbriefes an die Constanze. Die Probleme, von denen diese Frauen schrieben, führten zu einer steigenden Scheidungsrate. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entwicklung mit fast 20 Scheidungen auf 10.000 Einwohner an der Jahreswende 1947 / 1948. Zu Beginn der 1950er halbierte sich diese Zahl mehr oder weniger auf das Niveau von vor Kriegsende.22 Am dynamischsten entwickelte sich die Situation in Berlin; 1945 wurden in den Statistiken über 11.000 Scheidungen erfasst, 1946 um die 25.000 und 1947 knapp über 21.000.23 Seit 1949 sank die Scheidungsrate in Berlin (in allen vier Sektoren) merklich, wobei der Großteil dieser Scheidungen Ehen annullierte, die nach 1939 geschlossen worden waren.24 Ähnliche Trends lassen sich in ganz Deutschland beobachten.25 Zur Überwindung der Ehekrisen riefen auch viele zeitgenössische Autoritäten auf. Von Hollander titelte Der Mann als Ballast, gleichzeitig aber monierte er, dass die Frauen, die sich über die Passivität und Unbrauchbarkeit ihrer Ehemänner beschwerten, »nicht die allgemeine Meinung der Frauen aussprechen und […] die Tatsachen nicht ganz gerecht sehen«. Er fügte hinzu: »Es bleibt zu hoffen, daß mit der Rückkehr normaler Umstände die Anzahl dieser schwachen und schweren Männer abnimmt.«26 Die liberale Presse klärte über Möglichkeiten auf, sich scheiden zu lassen, aber die Redakteure behielten sich vor, dass dies einzig und allein im äußersten Falle in Betracht zu ziehen sei – wie aus den Statistiken hervorgeht, verhallte dieser Appell ungehört. Die Autorinnen konservativer Zeitschriften wie Der Regenbogen versuchten ihre Leserinnen gar davon zu überzeugen, die Ehe um jeden Preis zu erhalten. »Wenn Sie ihn lieben, wird alles andere unwesentlich«27, antwortete Vanna Brenner auf die Beschwerden ihrer Leserinnen. Die patriarchalen Muster und die rücksichtslose Unterordnung der Frau unter den Mann waren bereits damals Gegenstand kritischer wie satirischer Kommentare.

Nach dem Krieg. Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Herbolzheim: Centraurus 2000, S. 105-115. 22 | Vgl. Niehuss, Merith: Familie, Frau und Gesellschaft. Studien zur Strukturgeschichte der Familie in Westdeutschland 1945-1960, Göttingen: V&R 2001, S. 99. 23 | Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1945-1947, Berlin: o. V. 1949, S. 172. 24 | Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1948-1949, Berlin: o. V. o. J., S. 66. 25 | Vgl. M. Niehuss: Familie, Frau und Gesellschaft, S. 101. 26 | Hollander, Walther von: Der Mann als Ballast, in: Constanze (1948), Nr. 5, S. 7. 27 | V. Brenner: Briefe, S. 19.

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Abbildung 1.8: »Kannst du mir verzeihen?« Autorin: Franziska Bilek.

Quelle: Der Simpl (1946), Nr. 5, S. 184.

Die Zeichnung von Franziska Bilek aus der Satirezeitschrift Der Simpl, später nachgedruckt in der Sie (1947, Nr. 4), stellt eine Frau dar, die tränenüberströmt und auf Knien ihren Mann um Verzeihung anfleht, da sie das Kaffeeservice zerbrochen hat. Der Mann – auffallend wohlgenährt, in Anzug und guten Schuhen (ein für damals bedeutendes Attribut, da Armut und Schwäche oft durch Darstellungen von kaputten Schuhen visualisiert wurden28) – macht einen unerbittlichen Eindruck. Diese Karikatur lässt sich als bildliche Übertragung des Ratschlags aus dem Regenbogen deuten. Selbst wenn Bilek den oben zitierten Ratschlag nicht gekannt haben muss, so lässt sich doch ein zumindest mittelbarer Bezug vermuten, zumal es sich um eine im damaligen Diskurs gängige Botschaft handelt: Allen Widrigkeiten zum Trotz dreht und windet sich die Frau vor ihrem tyrannischen Ehemann, nur um ihre Beziehung aufrechtzuerhalten und eine der vielen Scheidungen zu vermeiden. Die in diesen Jahren oft verkündete »Familienkrise« hatte allerdings auch eine andere Seite  – die neuen Eheschließungen kompensierten nämlich die

28 | So etwa auf vielen Fotografien der Heimkehrer, im Film Liebe 47, in dem die abgelaufenen Schuhe des Heimkehrers das Mitleid der weiblichen Protagonistin erwecken, oder im Buch von Victor Gollancz, einem britischen Korrespondenten in Deutschland, der 1960 für seine Reportage aus der Nachkriegszeit, in welcher er die Armut der Deutschen mithilfe zahlreicher Fotografien abgenutzter Kinderschuhe illustriert, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde: Gollancz, Victor: In Darkest Germany (The Record of a Visit), Hindsdale: Regnery 1947.

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hohe Scheidungsrate.29 In den Jahren 1945-1947 erreichte die Scheidungszahl mehr oder weniger das Niveau der Eheschließungen, und 1948 wurden entschieden mehr neue Ehen geschlossen als aufgelöst – zumindest in Berlin.30 Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, als der »Frauenüberschuss« in Berlin 28 Prozent in der ganzen Bevölkerung und 41 Prozent in der Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen ausmachte.31 Aus rein statistischer Sicht war es eine Herausforderung, einen Partner zu finden, vor allem da bis 1947 keine Ehen mit Soldaten der alliierten Armeen geschlossen werden durften32, und der negative Beigeschmack des Ami-Liebchens blieb noch bis in die kommenden Jahre erhalten.33 Zeitgenössische Beobachter brüskierten sich häufig »über die pragmatische Art und Weise, mit der viele dieser Frauen ihre Liebesbeziehungen gestalteten.«34 In der sowjetischen Besatzungszone war diese Haltung Gegenstand propagandagesteuerter Kritik. Die Wochenzeitschrift Neue Berliner Illustrierte schrieb: The »Fräuleins«. Sie treiben auf der Oberfläche eines mühelosen Daseins, ausländischen Freunden und dem Augenblick preisgegeben, dessen Vergänglichkeit sie nicht aufhalten können. Von deutschen Freunden, die ihnen nichts »bieten« können, halten sie wenig, weil sie »parties« und Amüsement suchen, nicht echtes Gefühl und dauerhaftes Glück. 35 29 | Vgl. Willenbacher, Barbara: Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie, in: Broszat / H enke /  Woller, Von Stalingrad zur Währungsreform (1988), S. 596-618, hier S. 599. 30 | Berlin in Zahlen 1948-1949 (o. J.), S. 43. 31 | Ebd., S. 24. 32 | Im April 1947 berichtete die halbmonatlich erscheinende Zeitschrift Heute von der ersten Hochzeit eines amerikanischen Soldaten mit einer Deutschen. Das Titelbild zierte ein Bild der Frischvermählten beim gemeinsamen Anschneiden der Hochzeitstorte, vgl. Heute (1947), Nr. 9. 33 | Vgl. Höhn, Maria: Amis, Cadillacs und »Negerliebchen«. GIs im Nachkriegsdeutschland, übers. v. Karolina May-Chu, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, passim; Fehrenbach, Heide: »Ami-Liebchen« und »Mischlingskinder«. Rasse, Geschlecht, Kultur in der deutsch-amerikanischen Begegnung, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg: Hamburger Edition 2001, S. 178-205; Heinemann, Elisabeth D.: The Hour of the Woman. Memories of Germany’s »Crisis Years« and West German National Identity, in: American Historical Review 101 (1996), Nr. 2, S. 354-395, hier S. 379. 34 | M. Höhn: Amis, Cadillacs und »Negerliebchen«, S. 216. 35 | N. N., Verlorene Jugend?, in: Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 8, S. 4-5, hier S. 4.

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In Anbetracht dieses Artikels lässt die dazu abgebildete Fotografie einer Gruppe von vier jungen Frauen, die aus einem Auto steigen und auf eine Tür mit der Leuchtschrift »Club« zugehen, keine mehrdeutige Lesart zu. Kritik am Ami-Liebchen oder an The Fräulein wurde im Allgemeinen mündlich oder in Texten geäußert – visuelle Repräsentationen wie die oben genannte gehörten eher zu den Ausnahmen. Umgekehrte Kritik finden wir in der Zeitschrift Heute (amerikanische Besatzungszone), in der den Männern bei der Suche nach einer Ehefrau übermäßiger Pragmatismus vorgeworfen wird. Der kurze Artikel ist mit Fotografien aus dem Standesamt sowie mit Bildern frisch vermählter Ehegatten illustriert, indes veranschaulichen die nachgedruckten Annoncen dieser (mittlerweile mutmaßlich verheirateten) Männer ihre pragmatisch-lakonische Haltung zum Ehestand: »Büro-Angestellter (36 Jahre) sucht Ehekameradin. Am liebsten mit Gartengrundstück« oder »Solider Kaufmann, 56 Jahre, ohne Anhang, sucht liebevolle Gattin. Am liebsten Einheirat in Lebensmittelgeschäft«. Trotz der Berichte über eine Krise in den zwischengeschlechtlichen Beziehungen (und womöglich sogar ihretwegen) dominierte in den Medien die Botschaft von der Attraktivität eines Lebens in einer festen Beziehung. Ohne Zweifel war sie eine Reaktion auf die schwierige gesellschaftliche und demografische Lage, wobei sich auch hier bestimmte Unterschiede zwischen den Besatzungszonen feststellen lassen:

Abbildung 1.9: Ausschnitt aus der Foto­ reportage … zwecks späterer Heirat.

Quelle: Heute (1947), Nr. 30, S. 24 f.

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Bilder der Normalisierung Die bundesrepublikanischen Bemühungen, die »(bürgerliche) Familie« komplett mit Hausfrau und Mutter »wieder aufzubauen«, bedeuteten, rechtliche Unterschiede in Bezug auf den Familienstand aufrechtzuerhalten wie auch unterschiedliche Lebensstile für verheiratete und ledige Frauen wieder herzustellen. […] Mit der Förderung von Erwerbsarbeit für verheiratete Frauen und einer Abwertung der Rolle der Vollzeit-Hausfrau versuchte die Deutsche Demokratische Republik das Ausmaß, in dem der Familienstand die Alltagsroutine von Frauen bestimmte, zu reduzieren. 36

So berichtete die Neue Berliner Illustrierte beispielsweise von verschiedenen Gelegenheiten, bei denen frau ihren künftigen Ehemann treffen könnte – übrigens in demselben Artikel, in dem The Fräuleins kritisiert wurden. Den zu sich aufgenommenen Heimkehrer oder die in der Arbeit geschlossene Bekanntschaft nahm man generell positiv wahr, die Inanspruchnahme von Partnervermittlungen – seltsamerweise, wie man angesichts der Ausnahmesituation meinen mag  – hingegen eher missbilligend.37 Es fanden sich aber auch Geschichten von Ehen, die die Krise überstanden hatten.38

V erführerinnen und (wenige) V erführer Im Folgenden sollen zwei zentrale Figuren des Normalisierungsdiskurses besprochen werden – die Verführerin (und die wenigen männlichen Verführer) sowie die Mutter mit Kind. Im ersten Fall haben wir es mit Figuren zu tun, die die Beständigkeit der heteronormativen Ordnung demonstrieren und die Bedeutung intimer Beziehungen bei der Wiederherstellung funktionierender Gesellschaftsstrukturen aufzeigen. In diesem Diskurs ist die Partnerfindung der erste Schritt zur Rekonstruktion der zerstörten Ordnung. In einem weiteren Schritt geht es um die nächste Generation. Aus diesem Grunde zählen Bilder von Müttern und Kindern zu den dominierenden Motiven des besprochenen Zeitraums. Für diese Bilder ist es charakteristisch, dass man darauf keine Väter sieht. Das bedeutet aber nicht, dass die neue Gesellschaftsstruktur auf alleinstehenden Frauen mit Kindern beruhen sollte, sondern signalisiert vielmehr, dass die Kindererziehung eine Domäne ausschließlich der Frauen war. In dieser Hinsicht unterschieden sich die westlichen und die östliche Besatzungszonen nicht wesentlich von einander. Die Unterschiede zeigten sich vielmehr in dem Bereich, der außerhalb unser Analyse bleibt: in der beruflichen Sphäre. 36 | Heinemann, Elisabeth D.: What Difference Does a Husband Make? Women and Marital Status in Nazi and Postwar Germany, Berkeley u. a.: University of California Press 2003, S. 9. (Übers. d. Verf.) 37 | N. N., Ehemänner stark gefragt, in: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 47, S. 4 f. 38 | N. N., Verlorene Jugend?, in: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 47, S. 5.

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Schrieb man in den westlichen Besatzungszonen Erwerbsarbeit und öffentliche Funktionen beinahe ausschließlich Männern zu, so wurden diese Tätigkeiten im Osten auch von Frauen ausgeübt.39 In Anbetracht der hohen Scheidungsrate und der vielen neuen Eheschließungen in den ersten Nachkriegsjahren sowie gleichzeitig der großen Bedeutung, die dem Ehestand zugemessen wurde40, lohnt es, genauer zu betrachten, welche Bilder attraktiver Frauen und Männer in der öffentlichen Ikonosphäre bedient wurden. Mit anderen Worten – wie hatten die ideale Partnerin und der ideale Partner auszusehen, mit welchen Attributen sollten sie das jeweils andere Geschlecht verführen? Da wir uns auf die visuelle Sphäre konzentrieren, beginnen wir unsere Analyse mit populären Vorstellungen von körperlicher Attraktivität. Als nützliche Quellen stellen sich hier Werbeanzeigen dar, die sich generell nicht den Maßgaben der offiziellen Propaganda unterwarfen, sondern sich nach der Logik von Angebot und Nachfrage des Marktes richteten. Die Komposition und Typografie der weiter unten analysierten Reklamen unterschieden sich kaum von den bereits vor 1945 bekannten Mustern – insbesondere während des Krieges gedruckter Werbung.41 Der Rohstoffmangel (in diesem Fall von Papier) führte zu einem Abdruck vieler kleiner Werbeanzeigen auf einer Seite, in geringer Schriftgröße und mit wenigen Abbildungen. Typisch für Werbeanzeigen während und nach dem Krieg sind Informationen zur begrenzten Produktverfügbarkeit: »So kam es bis zum Kriegsende zu einer erstaunlich großen Zahl von Anzeigen, die – im Grunde kontraproduktiv – lediglich auf momentane Lieferengpässe hinwiesen«42, bemerkt Michael Krieges­ korte. Diese Feststellung behält auch noch im Hinblick auf die Jahre 1945 bis 1948 ihre Gültigkeit, wobei in Frage zu stellen ist, inwiefern die Information über die baldige Verfügbarkeit im Zuge einer Rückkehr zur Normalität nicht den genau gegensätzlichen Effekt erzielte: Hinweise auf das Fortbestehen traditionsreicher Firmen mochten schließlich einen Eindruck von Kontinuität vermitteln und als »Versprechen« einer baldigen Besserung der Lage verstanden werden (mehr dazu im Zusammenhang mit der Ernährung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Kapitel IV). Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass eine nach Besatzungszonen getrennte Analyse von Werbeanzeigen nur eingeschränkt sinnvoll ist. So wurden 39 | E. D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make?, S. 134. 40 | Ebd., passim. 41 | Vgl. Schug, Alexander: »Deutsche Kultur« und Werbung. Studien zur Geschichte der Wirtschaftswerbung von 1918 bis 1945 (= Q Edition, Band 13), Berlin: Humboldt Universität zu Berlin 2011, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:11-100110941. 42 | Kriegeskorte, Michael: 100 Jahre Werbung im Wandel, Köln: Dumont 1995; ders.: Werbung in Deutschland 1945-1965. Die Nachkriegszeit im Spiegel ihrer Anzeigen, Köln: Dumont 1992, S. 102.

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in den Zeitschriften aller Zonen nicht selten dieselben Anzeigen gedruckt. Ein Beispiel etwa ist die Haarfärbemittel-Werbung von Wella, die nach der ersten Jahreshälfte 1948 sowohl in der Wochenzeitschrift Sie (amerikanische Besatzungszone) als auch in der Illustrierten Rundschau (sowjetische Besatzungszone) abgedruckt wurde. Abbildung 1.10: Reklame für das Haarfärbemittel Wella.

Quelle: Illustrierte Rundschau (1948), Nr. 6, S. 26.

Dass Wella Werbung in verschiedenen Zonen drucken ließ, lag an der Nachkriegsgeschichte der Firma – nach der Enteignung der Eigentümer durch die sowjetische Militäradministration im Jahr 1945 zog das Unternehmen aus Thüringen nach Hessen um. Die hier abgedruckte Anzeige erfüllt demnach eine doppelte Funktion – einerseits möchte sie offensichtlich zum Produktkauf anregen, andererseits informiert sie über die weitere Existenz der Firma (was, um Kriegeskorte zu wiederholen, eine allgemeine Praktik in dem betreffenden Zeitraum war). In der Werbeanzeige sieht man eine in einem Sessel sitzende Frau, über die sich ein Mann beugt. Die Frau hat einen schmalen Körperbau und trägt ein knielanges Kleid mit tiefem Dekolleté aus enganliegendem Stoff, der ihren Busen deutlich betont.

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Das Motiv des auf die Frau herabschauenden Mannes ist in der Kosmetikwerbung selbstverständlich nichts Neues. In der visuellen Kultur Deutschlands der Zwischenkriegszeit finden wir es etwa in einer Werbeanzeige der Bräunungscreme Elida – ein Mann späht heimlich auf den gebräunten Körper einer neben ihm am Strand liegenden Frau.43 Dieses Arrangement widerspricht dem Schema, in dem eine einzige Gestalt dem Blick der Rezipienten ausgesetzt ist, die wiederum außerhalb der Werbeanzeige bleiben. Der Beobachter des Bildes ist bereits auf ihm enthalten – wir beobachten nur, wie die Frau betrachtet wird. Der Mann in der Wella-Werbung verbirgt nicht einmal, dass er die Frau ansieht – eine scheinbare Selbstverständlichkeit, die sich auch in der Bildunterschrift widerspiegelt: Männer achten darauf! Leider, werden Sie sagen. Aber – Frauen mit grauen Haaren wirken nun mal 10 Jahre älter, auch wenn das Herz noch jung ist. Wer kann es diesen Frauen verargen, wenn sie ihr Haar färben lassen, mit Wella-Percol, das noch nicht in Friedensmenge, dafür in Friedensgüte zur Verfügung ist.

Dieser Text ist in vielerlei Hinsicht charakteristisch für die damalige Werbeindustrie. Er festigt die Botschaft der Abbildung: Der Mann beugt sich über die Frau und lässt die potenzielle Kundin wissen, dass sie sich den Erwartungen ihres (eines) Mannes unterordnen muss. Auch war der Slogan vom »jungen Herzen« damals durchaus populär – in der Frauenpresse dieser Zeit fand man häufig Artikel, in denen es hieß, dass eine übermäßige Belastung durch Arbeit und häusliche Pflichten in einer schlechten körperlichen Verfassung resultiere, die nicht dem eigentlichen Alter entspreche. Typisch ist zudem die Erläuterung des Mangelangebots, indem die Werbeanzeige gewissermaßen in die Zukunft vorausgreift und die Konsumentin auf den Kauf des angepriesenen, aber erst in Bälde erhältlichen Produktes vorbereitet. Die Vorstellungen davon, wie die zukünftige Konsumentin auszusehen und sich Männern zu präsentieren habe, werden allerdings schon vorher (mit der Anzeige) gestaltet. Eine vergleichbare Konvention lässt sich auch in anderen Reklamen für Kosmetikprodukte erkennen, beispielsweise in den Anzeigen für die Haarfärbemittel Kleinol. Es sind darauf wieder ein Mann und eine Frau im Profil dargestellt. Er sieht auf sie herab, sie, ihr Haar in ein Kopftuch gehüllt, sieht zu ihm auf. Das Tragen des Kopftuchs wird in der Bildunterschrift erläutert: Allen gefällt sie – solange sie ihr Haar nicht zeigt! Weil es sein jugendliches Aussehen verloren hat und sich die ersten weißen Fäden zeigen, darum verbirgt sie ihr Haar. Dabei gibt eine einfache Behandlung mit Kleinol-Simplex jedem Haar so leicht wieder seine 43 | Nach G. Ulrich Großmann (Hg.), Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885-1965, Ostfildern: Hatje Cantz 2009, S. 284.

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Bilder der Normalisierung ursprüngliche schöne Farbe zurück. Es färbt naturecht. 20 verschiedene Farbnuancen gestatten dem Friseur jede auf Typ und Teint abgestimmte Tönung. Kleinol Simplex verjüngt auch Ihr Haar!

Abbildung 1.11: Reklame für das Haarfärbemittel Kleinol.

Quelle: Der Regenbogen (1948), Nr. 2, S. 20.

So wie im Falle der Wella-Werbung wird auch hier graues Haar als Zeichen des fortgeschrittenen Alters einer Frau mit dem Verlust ihrer Attraktivität in Verbindung gebracht. Beide Bildunterschriften halten auch eine Antwort auf die gesellschaftliche Kritik des Haarefärbens bereit: »Wer kann es diesen Frauen verargen […],« schreiben die Hersteller von Wella; die Produzenten von Kleinol hingegen versichern, dass ihr Mittel »naturecht« färbe, in einer anderen Werbeanzeige versprechen sie wiederum, »niemand [werde] es erfahren […]«.44 Eine allzu sichtbare Tönung oder unnatürliche Farben sind damals mit Skepsis betrachtet worden, wohl um Konnotationen (und daraus folgende Implikationen) mit als Ami-Liebchen abgestempelten Frauen und der öffentlich wie rechtlich verfemten Prostitution zu vermeiden. Unmissverständlich wird das Motiv der den Erwartungen der Männer untergeordneten Frau auch in der Schminkwerbung der Marke Ihr Trumpf ersichtlich  – Variationen dieser Werbeanzeige erschienen 1947 in vielen deutschen Presseerzeugnissen.

44 | Constanze (1948), Nr. 4, S. 7.

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Abbildung 1.12: Reklame für die Schminke der Marke Ihr Trumpf.

Quelle: Sie (1947), Nr. 37, S. 12.

Erotisch oder sinnlich angehauchte Werbung gab es damals viel, doch nur in dieser Anzeige sind eine Frau und ein Mann in einer intimen Situation zu sehen – er sieht sie nicht nur an, sondern nähert sich ihr auch zum Kuss, es ist anzunehmen, dass er ihren Körper berührt (obzwar ihr Körper außerhalb des Bildes bleibt). Aus der Tatsache, dass auf allen hier präsentierten Werbeanzeigen Frauen- und Männerfiguren zu sehen sind, die sich einander annähern, ist allerdings nicht die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Werbung immer kühner wurde, im Gegenteil. Unter den hier vorgestellten Beispielen ist die Werbeanzeige zu Ihr Trumpf ältesten Datums, die Wella-Werbung hingegen erschien chronologisch als letzte. Gleichzeitig kehrten in den ersten Nachkriegsjahren bestimmte Bilder der emanzipierten Frau wieder, wie sie aus der visuellen Kultur der Weimarer Republik bekannt waren.45 Mehr als die Anknüpfung an frü-

45 | Vgl. u. a. Kosta, Barbara: Cigarettes, Advertising, and the Weimar Republic’s Modern Woman, in: Gail Finney (Hg.), The Text as Spectacle. Visual Culture in TwentiethCentury Germany, Bloomington: Indiana University Press 2006, S. 134-153.

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here Motive interessiert uns aber die Art und Weise, in der Bilder von emanzipierten Frauen im Kontext der Normalisierungspraktiken funktionierten. In ihrer klassischen Abhandlung Mothers in the Fatherland belegt Claudia Koonz, dass die Emanzipation der Frau in der Weimarer Republik eng mit dem verlorenen Krieg zusammenhing: Da sie den Krieg anders erlebt hatten, begegneten ihnen in der Nachkriegszeit besondere Probleme. Der Krieg hatte die Frauen aus ihren Familien heraus ins öffentliche Leben katapultiert und sie an der Nation teilhaben lassen, was den meisten von ihnen bisher verwehrt geblieben war. 46

Mit dieser Aussage über die Folgen des Ersten Weltkriegs ließe sich ebenso gut die Situation nach 1945 beschreiben. Nicht ausgeschlossen ist folglich, dass Bilder von emanzipierten Frauen nicht vordergründig einen Bezug oder ein Zitat aus der Kultur der Weimarer Republik darstellen, sondern eher typische Mechanismen in Nachkriegsgesellschaften widerspiegeln. Um die Rolle der populären Ikonosphäre im Deutschland der Nachkriegszeit nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick auf eine oft abgedruckte Werbeanzeige des Parfüms Imona. Unser Beispiel stammt aus der Frau von heute, dem Organ des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone. Es zeigt eine verführerische Gestalt in einem eleganten Negligé, in der sich mehr raffinierte Vorstellungen von Sexualität offenbaren (die breiten Schultern mögen gar an eine drag queen erinnern) als sozialistisch geprägte Bilderwelten von Weiblichkeit. Der erotische Subtext ist offensichtlich – und so stellt die Frau in den hochhackigen Pantoffeln und in dem luftigen, halbdurchsichtigen Nachthemd auch einen krassen Gegensatz zu den Normbrecherinnen, Arbeiterinnen und Bäuerinnen dar, deren Fotografien in derselben Ausgabe der Zeitschrift abgedruckt wurden. Nicht weniger überraschend ist die Unterwäschewerbung der Marke Susa aus der katholisch-konservativen Monatszeitschrift Der Regenbogen. Die Bildunterschrift zur Darstellung einer Frau im Spitzenbüstenhalter und Strumpfhaltergürtel lautet: »Für jede Gelegenheit das Richtige!« – um welche Gelegenheit es sich handeln soll, bleibt den Mutmaßungen der Leserinnen überlassen. Mit Blick auf die stark konservative (und auch religiös gefärbte) Orientierung des Regenbogens muss erstaunen, dass diese Werbeanzeige von Artikeln zur Kindererziehung, der Einrichtung eines trauten Heims oder Bildern sorgsamer Mütter umgeben ist (darunter auch Abdrucke von Bildern der Mutter Gottes). In Beispielen wie diesen manifestiert sich die starke Differenzierung der Ikonosphäre in allen vier Besatzungszonen, deren zuweilen ausgeprägte Diskrepanzen 46 | Koonz, Claudia: Mothers in the Fatherland. Women, the Family and Nazi Politics, London: Jonathan Cape 1987, S. 22. (Übers. d. Verf.)

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im Hinblick auf die damalige Realität paradoxerweise einen der vielen Grundsteine für den Normalisierungsprozess der deutschen Gesellschaft(en) legten. Abbildungen 1.13 und 1.14: Reklame für das Parfüm Imona (links). Reklame für die Unterwäsche Susa.

Quellen: Die Frau von heute (1948), Nr. 1, S. 31 (links). Der Regenbogen (1947), Nr. 8, S. 23.

Erotische Konnotationen setzten großflächigere Trends fort; so bestätigt AnneMarie Sohn etwa die obige Beobachtung, dass sich die Werbung früh emanzipierte – und dabei Parallelen zum Film aufwies: »Seit dem [Zweiten] Weltkrieg richtete sie sich nach dem Kino, das wirksam zur Normalisierung der Einstellungen und des Liebesverhaltens beitrug.«47 Diesen Mechanismus beschreibt Jackie Stacey in ihrem Buch Star Gazing, in dem sie die in Hollywoodfilmen 47 | Sohn, Anne-Marie: Le corps sexué, in: Alain Corbin /  J ean-Jacques Courtine / G eorges Vigarello (Hg.), Histoire du corps, Bd. 3: Les mutations du regard. Le XXe siècle, Paris: Seuil 2006, S. 93-128, hier S. 96. (Übers. d. Verf.)

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angewandten Strategien untersucht, mit denen ein größeres weibliches Publikum in die Kinos gelockt werden sollte. Als die Männer im Krieg waren, mussten Frauen dazu gebracht werden, ohne Begleitung Filme zu schauen (das gleiche Problem betraf auch Deutschland). In diesem Zusammenhang erwiesen sich Bilder leidenschaftlicher und glamouröser Frauen als eine der Hauptattraktionen, da sie eine Vorbildfunktion erfüllen und ein Identifikationsangebot darstellen konnten.48 Interessanterweise fungierten diese Bilder, obgleich es sich bei Betrachterinnen und Betrachteten um Vertreterinnen desselben Geschlechts handelte, als heteronormative Praktik, mit deren Hilfe die traditionelle Geschlechterordnung weiter forciert wurde. Nach Kriegsende hatten diese Strategien aus Hollywood auch Einfluss auf die deutsche Kinematografie. 1945 wurde die Motion Picture Export Association (MPEA) ins Leben gerufen, eine Gesellschaft, die die Interessen der größten Filmstudios repräsentierte und ihre Exportpolitik (nicht nur nach Deutschland) kontrollierte, um die Dominanz Hollywoods in Europa wieder herzustellen.49 Infolgedessen waren amerikanische Filme nicht nur in der amerikanischen Zone erhältlich, sondern auch in den restlichen Teilen Deutschlands – sogar in der sowjetischen Besatzungszone kam es gelegentlich zu Vorführungen von Hollywoodfilmen.50 Stars wie Ingrid Bergman und Greta Garbo blickten von den Plakaten herab auf die Fußgängerinnen und Fußgänger, Filmmagazine berichteten regelmäßig von den Erfolgen amerikanischer Schauspieler, und in den Kinos informierten Filmprogramme über die Hintergründe zum Film und über die in ihnen zu sehenden Schauspielerinnen und Schauspieler, so etwa das Filmprogramm zu Oh, Susanne (The Affairs of Susan, 1945, Regie: William A. Seiter), einem Film über eine Verführerin par excellence. Die Protagonistin zeigt – wie sich im Verlauf des Films herausstellt – unterschiedlichen Männern verschiedene Seiten von sich. In Bezug auf Hollywood-Filmplakate schrieb Mary Beth Haralovich wiederum, dass »in den späten 1940er Jahren eine Rückkehr zu einer Emphase sexueller Leidenschaft und einer objektivierten Darstellung weiblicher Körper«51 zu beobachten sei. Die Bilder, auf deren Grundlage die Forscherin ihre Thesen for48 | Stacey, Jackie: Star Gazing. Hollywood Cinema and Female Spectatorship, New York /  L ondon: Routledge 1994, S. 19-48. 49 | Mehr dazu in: Fay, Jennifer: Theatres of Occupation. Hollywood and the Reeducation of Postwar Germany, Minneapolis /  L ondon: University of Minnesota Press 2008. 50 | Vgl. z. B. die Aufstellungen aus Vorführungen im Ostberliner Bezirk Friedrichshain, einzusehen im Landesarchiv Berlin, LA C Rep. 120 /  2420. Amerikanische Filme wurden nur im Rahmen spezieller Vorführungen gezeigt, die aufgrund der Konfliktverschärfung im Kalten Krieg im Sommer 1948 eingestellt wurden. 51 | Haralovich, Mary Beth: Advertising Heterosexuality, in: Screen 23 (1982), Nr. 2, S. 50-60, hier S. 52.

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muliert, waren bald auch auf den Straßen westdeutscher Städte zu sehen. Einzelne Filmtitel wurden auch in der deutschlandweit erhältlichen Branchenpresse beworben. Die »Rückkehr«, von der im oben angeführten Zitat die Rede ist, betraf die Reaktivierung von Mustern aus den 1920er und frühen 1930er Jahren. In den folgenden Jahren, als sich der sogenannte Hays Code52 durchsetzte, dominierten hingegen prüde und konservative Inhalte die amerikanische visuelle Kultur. Erst das Kriegsende führte zu einer Abnahme der gesellschaftlichen Sittenkontrolle in den Vereinigten Staaten – insbesondere die Popularität der Pin-up-Girls unter den amerikanischen Soldaten trug dazu bei.53 In Deutschland waren die Gründe für eine »Rückkehr zu einer Emphase sexueller Leidenschaft« sicherlich andere. Kulturelle Muster aus der Weimarer Republik wurden (politisch bedingt) wieder aufgenommen; und obgleich es sich in der Praxis nicht immer umsetzen ließ, brach man offiziell mit der nationalsozialistischen Ikonografie und importierte visuelle Schemata der Besatzungsmächte. Gleichzeitig trug die demografische Disproportion im Verhältnis von Frauen und Männern zu einer (temporären) Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrags im Hinblick auf die Geschlechterbeziehungen bei. Diese Umstände gilt es zu beachten, wenn man oben genannte Wella-Werbung genauer betrachtet, deren Autoren zwischen den Zeilen suggerieren, dass Männer angesichts des »Frauenüberschusses« die Wahl haben, Frauen sich deswegen umso mehr bemühen müssten, ihnen zu gefallen. Eine Antwort auf die Frage, ob es wirklich so war, lässt sich hier nicht geben. Mit Sicherheit aber war die tatsächliche Situation vielschichtiger, da viele Frauen die Einsamkeit einem Leben in einer missglückten oder zufälligen Beziehung vorzogen, was sich in zahlreichen Beiträgen und Leserbriefen an die Redaktionen der Frauenzeitschriften widerspiegelt – so etwa in der nüchternen Bemerkung einer Leserin der Sie: »Heute ist es eher der Mann, der in die Ehe flüchtet, um ›versorgt‹ zu sein.«54 In kommerziellen Darstellungen »attraktiver« Frauen aber wurde eben diese Tüchtigkeit und der Fleiß der Frauen verschwiegen, um stattdessen ihre Jugend, ihr gepflegtes Äußeres oder ihre verführerischen Körperformen zu betonen. Diesem Kanon zufolge stellte die (in Pressetexten oder in Wochenschauen positiv bewertete) Frauenarbeit eher eine Hürde bei der Partnersuche dar, da sie die Schönheit der Frauen beeinträchtigte. Ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Logik ist eine Werbeanzeige der Handcreme Kaloderma (eines der damals am häufigsten beworbenen Produkte) – abgearbeitete Hände würden nämlich den Reiz einer Frau herabsetzen. 52 | Benannt nach ihrem Erfinder William H. Hays, auch bekannt als Produktionskodex (Production Code); eine Liste von Richtlinien zur Selbstzensur von Filmproduzenten in den Vereinigten Staaten. 53 | M. B. Haralovich: Advertising Heterosexuality, S. 59. 54 | Schneider, Hilde: Brief an die Herausgeber, in: Sie (1947), Nr. 31, S. 4.

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Abbildung 1.15: Reklame für die Handcreme Kaloderma.

Quelle: Filmpost Magazin (1948), Nr. 11, S. 57.

Selbst der Damenbindenhersteller Camelia bezog sich in einer seiner Reklamen auf die Notwendigkeit, als attraktiv wahrgenommen zu werden (oder vielmehr darauf, dass man dies von Frauen erwartete): Die Werbung zeigt eine elegante, mit einer lockeren Bluse, einem hellen, knielangen Rock und dunklen Schuhen bekleidete Frau, die in einem Sessel sitzt. In der Hand hält sie einen Spiegel, in dem sie sich betrachtet. Die Bildunterschrift lautet: »Ursula ist nicht eitel … aber sie ist sich darüber klar, wie wichtig es für eine Frau ist, jeden Tag und jede Stunde gepflegt und anmutig auszusehen. Sie bemüht sich, stets ausgeglichen, heiter und frisch zu sein – auch wenn es ihr nicht ganz leicht fällt.« Dem letzten Satz haftet eine gewisse Zweideutigkeit an; so kann er sich auf die üblichen Menstruationsbeschwerden und die damals umständlichen hygienischen Möglichkeiten beziehen (Damenbinden waren entweder aus wiederverwendbarer, auszukochender Baumwolle wie Babywindeln oder Einmalwattebinden, die in speziellen Menstruationsgürteln getragen wurden, wie sie auch Camelia produzierte). Gleichzeitig kann man den letzten Satz des obigen Zitats aus der Werbeanzeige auch auf die Nachkriegszeit beziehen, in deren Kontext die Figur steht und die ihr den Zugang zu Hygieneprodukten wie Damenbinden erschwert.

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Abbildung 1.16: Reklame für die Damenbinden Camelia.

Quelle: Constanze (1948), Nr. 4, S. 7.

Tatsächlich ist man versucht, die Camelia-Werbung weniger als Verweis auf einen unterstellten Normalitätsdiskurs zu sehen als vielmehr als Projektion eines gewissen Luxus, der beinahe allen aus früheren Jahren bekannten und gewohnten Alltagsprodukten – ob Lebensmitteln oder Hygieneartikeln – anhaftet. Bilder aus Kosmetik- oder Dessouswerbung der unmittelbaren Nachkriegszeit standen in diametralem Gegensatz zu der sie umgebenden Realität. Sie widersprechen zudem den Überlieferungen über die Schwierigkeiten des Nachkriegslebens – den Fotografien schwer arbeitender Frauen, den Berichten über die Last des Alltags usw. –, selbst wenn sie diese Themen (wie in der eben besprochenen Camelia-Werbung) teilweise auch berücksichtigen. Der Kauf der beworbenen Produkte allerdings musste im Hinblick auf den allgemeinen Geldmangel in der »Rationengesellschaft«55 und die schlechte Belieferung der Läden doppelt so schwierig gewesen sein. 55 | Zum Begriff der »Rationengesellschaft« vgl. Gries, Rainer: Die Rationen-Gesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität: Leipzig, München und Köln nach dem Kriege, Münster: Westfälisches Dampfboot 1991.

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Eine Betrachtung der deutschen Presse durch die Linse der Werbeanzeigen und Artikelillustrationen verstärkt den Eindruck, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft stark gespalten war. In den meisten Werbungen oder Presseillustrationen werden einzelne Figuren in klar definierten Rollen dargestellt; so haben wir es entweder mit dekadenten Verführerinnen oder Arbeiterinnen zu tun, mit Müttern oder mit politischen Aktivistinnen. Eine solche Konstruktion des Diskursfeldes lässt keine fließenden Identitäten oder Rollendiversität zu. In diesem Zusammenhang ist die Werbeanzeige des Körperpuders Vasenol interessant, auf der zwei Personen skizzenhaft abgebildet sind – eine Maurerin und (aller Wahrscheinlichkeit nach) ein Mann mit Schaufel –, die die Fotografie einer nackten, sich einpudernden Frau betrachten. Die Fotografie, höchstwahrscheinlich als Werbeplakat zu interpretieren (sozusagen als Werbung in der Werbung), ist viel größer als sie und scheint den »Wunsch« nach guter Körperpflege nach getaner, schwerer Arbeit auszudrücken. Neben dem Bild prangt die Frage: »Ist das nicht Luxus?« Abbildung 1.17: Reklame für das Körperpuder Vasenol.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 14, S. 16.

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In Anbetracht der wirtschaftlichen Lage einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist dies eine rhetorische Frage – man muss sie bejahen. Der »doppelte« Blick jener beiden Figuren, die für ihren Lebensunterhalt offensichtlich Schwerstarbeit leisten müssen, auf die sich pudernde Frau veranschaulicht die Diskrepanz zwischen den kommerziellen Wunschvorstellungen bzw. Zukunftsprojektionen und der Realität der Mangelversorgung. Mochten die Figuren das Puder zwar zweifelsohne gebrauchen können (insbesondere Frauen, die, wie es schon in der Camelia-Werbung hieß, sich um ihr Äußeres zu kümmern hatten), so ist zu vermuten, dass das Produkt aufgrund seines Preises und seiner mangelnden Verfügbarkeit tatsächlich Luxus blieb. Mit dem Bild der Frau, die Puder auf ihrem Körper verteilt, knüpft diese Anzeige an Vasenol-Werbungen aus den 1930er Jahren an – und verbindet auf diese Weise den Traditionsverweis mit dem Versprechen der Rückkehr zum gewohnten Luxus. Im Hinblick auf die Funktionalität von Kosmetik- oder Körperpflege-Produktwerbung darf eine (notorisch verdrängte) Tatsache nicht unbeachtet gelassen werden, nämlich dass das Gesellschaftsleben nach dem Krieg ungewöhnlich schnell wieder auf blühte. Die jungen Frauen, die nach den schwierigen Kriegsjahren »das Leben genießen wollten« (eine in den Trümmerfilmen oft gesprochene Phrase), wurden rasch entweder als Ami-Liebchen oder – weniger pejorativ – als Girls etikettiert. Über die Spannung zwischen den visuellen Darstellungen dieser Figuren in der Presse und ihren realen Existenzen schreibt Maria Höhn: Letztendlich bestand die Ironie des neuen Girl darin, dass sie außerhalb der […] Illustrierten in der wirklichen Welt leben musste, wo sie nicht nur dem strengen Urteil »perfekter Schönheit« begegnete, sondern auch dem engen Raum, der bisher von einer männerdominierten gesellschaftlichen und ökonomischen Struktur definiert gewesen war. 56

Sogar in der sowjetischen Besatzungszone ließen sich positive Bilder von Frauen als Girl auffinden, so etwa in der Neuen Berliner Illustrierten. In Werbeanzeigen der Hautcreme Dyloderm und des Deodorants Dylodor sehen wir eine sich sonnende Blondine. Neben ihr liegen ein Buch, ein Hut und eine Sonnenbrille. Das Paradoxe in der Darstellung weiblicher Figuren westlicher Provenienz in ostdeutschen Medien bemerkt Silke Bretscher: »Es waren die von der sowjetischen Besatzungsmacht herausgegebenen oder lizenzierten Illustrierten, in denen in den ersten Nachkriegsjahren der Prototyp ›der Amerikanerin‹ als

56 | Höhn, Maria: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«. Discourse on Women in the Interregnum Period of 1945-1949 and the Question of German Identity, in: Central European History 26 (1993), Nr. 1, S. 57-90, hier S. 88. (Übers. d. Verf.)

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schön, lasziv, sexy, jung und attraktiv publiziert wurde.«57 Diese Tendenz war erst später rückläufig. Abbildungen 1.18 und 1.19: Reklamen für die Hautcreme Dyloderm und das Deodorant Dylodor (links). Titelbild der Heute.

Quellen: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 27, S. 11 (links). Heute (1948), Nr. 64, Titelbild.

Selbstverständlich waren dem amerikanischen Girl nachempfundene Frauenfiguren bedeutend häufiger in den Medien der westlichen Besatzungszonen zu sehen, auch präsentierte man sie an stärker exponierten Orten. Als Beispiel soll hier die Fotografie eines Mädchens in Badeanzug auf der Titelseite der Heute vom 15. Juli 1948 dienen – sie scheint der ein Jahr früher gedruckten DylodermWerbung auffallend ähnlich zu sein. Bemerkenswert ist zudem der Schnitt des Badeanzugs; denn obwohl 1946 in Frankreich bereits der Bikini präsentiert worden war, galt dieser Badeanzug anfangs als skandalös. Die beiden hier gezeigten Frauen (vom Titelblatt der Heute und der Dyloderm- und Dylodor-Werbeanzeige) tragen ein zweiteiliges Kostüm in dem Schnitt, der nach dem Ersten Weltkrieg an der Côte d’Azur präsentiert worden war und schrittweise an Popularität gewann.58 57 | Betscher, Silke: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-KriegsDiskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten, Essen: Klartext 2013, S. 129. 58 | Vgl. A.-M. Sohn: Le corps sexué, S. 94 f.

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Während Werbung mit Bezug auf die Welt der Frauen ein häufiges Element der deutschen visuellen Kultur der frühen Nachkriegszeit darstellt, kommen männliche Figuren eher sporadisch vor. Dies kann von den damaligen Pressestrukturen herrühren, die sich an die untypische demografische Situation  – den erwähnten Frauenüberschuss  – anpassten. Nichtsdestoweniger darf dieser Faktor nicht überschätzt werden, da sich Disproportionen im Hinblick auf die Repräsentation von Frauen und Männern in der Werbung in allen Epochen feststellen lassen. In dem von uns besprochenen Zeitraum hingegen waren diese Missverhältnisse außergewöhnlich sichtbar. In allen vier Zonen erschienen (mit unterschiedlicher Regelmäßigkeit) um die fünfzig Pressetitel, die hauptsächlich an Frauen adressiert waren.59 Neben sogenannten Frauenzeitschriften zählen wir hierzu auch Illustrierte, Mode- und Haushaltzeitschriften usw. Die präzise Bestimmung eines »männlichen« Raums in der Presse ist hingegen bedeutend schwieriger. Man kann die These wagen, dass politische und gesellschaftspolitische Zeitschriften wie Der Spiegel auch eher an männliche Leser gerichtet waren. Sie druckten zahlreiche Fotografien von – zwangsläufig  – hauptsächlich männlichen Politikern.60 Diese Bilder bleiben jedoch außerhalb unseres Interesses, da sie sich auf den öffentlichen, nicht aber privaten Raum beziehen. Sie spiegeln ideologische Konflikte und den Prozess des Wiederauf baus zweier deutscher Staaten wider, sind mit Blick auf das Alltagsleben aber nicht sonderlich aussagekräftig. Ferner enthielten gesellschaftspolitische Zeitschriften verhältnismäßig wenig Werbung, Tageszeitungen hingegen verzichteten in der Regel auf Abbildungen und druckten aufgrund von Platzmangel hauptsächlich Kleinanzeigen. Technikzeitschriften und Heimwerkerratgeber o. Ä. waren mit Ausnahme einiger technischer Zeichnungen nicht illustriert. Einer der beliebtesten Titel – Die Technik (lizenziert in der sowjetischen Besatzungszone) – druckte Abbildungen lediglich auf dem Titelblatt, die wenigen Werbeanzeigen basierten ausschließlich auf Text. Das wiederum dezidiert an einen männlichen Leserkreis gerichtete, bis 1941 erscheinende Herren-Journal wurde erst nach 1950 wieder aufgelegt. An den »Techniksinn« der Männer appellierte auch der Klebstoff hersteller UHU – wie viele andere ein Produkt, das aus der Kriegs- und Vorkriegszeit bestens bekannt war. In einer der Werbeanzeigen ist ein Kind zu sehen, das seinen Vater um die Reparatur eines kaputten Spielzeugs bittet. Der Vater sitzt in einem Sessel und liest Zeitung, während der Sohn seinen Feierabend stört und ihm »keine ruhige Stunde« lässt. Die Bildunterschrift gibt darüber hinaus weitere Hinweise auf die Spezifik der damaligen Zeit; so informiert die 59 | Berechnung nach: Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main (Hg.), Deutsche Bibliographie. Zeitschriften 1945-1952, Frankfurt a. M.: Buchhändler Vereingung GmbH 1958. 60 | Für eine Bildanalyse von Politikern siehe S. Betscher: Von großen Brüdern und falschen Freunden.

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Werbeanzeige darüber, dass das Produkt noch schwer zugänglich sei und man »sehr sparsam« damit umgehen müsse, und die Einleitung »Seit Vati zurück ist« bezieht sich eher auf seine Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft als von einem langen Arbeitstag. Abbildung 1.20: UHU-Reklame.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 17, S. 10.

In seinem Beitrag über die Krise der Männlichkeit stellte Walther von Hollander fest, dass »der Traum vom gleichzeitig reichen, schönen, treuen, tüchtigen, bedeutenden und zärtlichen Mann […] schon seit langem nur noch in den Kinos geträumt« werde, und legte den Frauen daher nahe, »die innerlich gediegenen den äußerlich glanzvollen [Männern] vorzuziehen.«61 Entgegen diesem Zureden stellten einige Werbungen mit Bezug auf die Männerwelt körperlich attraktive und wohlhabende Männer dar. Ein attraktiver Partner sollte Geld für ein exklusives Geschenk für seine Frau haben – eine solche Botschaft enthält die Werbeanzeige des Parfüms der Marken Superbe und Karl Brandt sowie der Kosmetikartikel Fri-Wi. 61 | W. von Hollander: Der Held und der Mann von Heute, S. 3, 7.

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Abbildungen 1.21 und 1.22: Reklamen für die Parfüme Superbe und der Marke Karl Brandt.

Abbildung 1.23: Reklame für Kosmetik­ artikel der Marke Fri-Wi.62

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 21, S. 31.

Quellen: Sie (1947), Nr. 51, S. 12 (links) und Nr. 45, S. 12.

62 | Fri-Wi-Werbungen erschienen in der Presse aller Besatzungszonen; das hier abgedruckte Beispiel aus der ost-

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Die erste Reklame zeigt einen Mann, der eine Frau mit Parfüm beschenkt, und die dazugehörige Bildunterschrift lautet: »Man wählt Geschenke nicht nur danach, ob sie kostbar sind, sondern ebenso danach, ob sie den Geschmack des Beschenkten treffen. Was wäre geeigneter, diese Ansprüche in so idealer Weise zu erfüllen, als Parfum Superbe. Der reine Duft voll Charme und Harmonie.« Auf der zweiten Werbeanzeige stützt sich ein Mann auf einem Schminktischchen ab und hält ein Parfümflakon in seiner Hand, während in der Bildunterschrift u. a. folgende Bemerkung zu lesen ist: »[…] ein Mann [muss] wissen, woran er sich halten kann, wenn er für ›sie‹ ein nettes Geschenk kaufen will.« Das dritte Bild hingegen stellt ein Paar neben einem Weihnachtsbaum dar – interessanterweise stammt es von Dezember 1946, also aus einer Zeit, als ein ungewöhnlich harter Winter herrschte und die Deutschen Hunger litten (auch die Superbe-Werbung stammt aus der Weihnachtszeit, allerdings ein Jahr später). In all diesen Werbungen finden sich Bezüge auf die Tatsache, dass intime Kontakte ihren Preis hatten: »Frauen zogen es vor, Sex mit einem Mann zu haben, der ihnen mehr bieten konnte als Liebe. Bevorzugt wurden Zigaretten, Lebensmittel, Geld oder Waren, die gegen Letzteres eingetauscht werden konnten«63, schreibt Donna Harsch. Es ist schwer zu sagen, ob die Werbeauftraggeber bewusst eine solche Suggestion lancierten, denn die deutschen Männer hatten nur selten Geld für exklusive Geschenke: Der Durchschnittslohn eines voll bezahlten Arbeiters oder das Monatsgehalt eines Angestellten oder eines Lehrers reicht in der Regel aus, um neben den rationierten Lebensmitteln die Miete, Gas und Licht zu bezahlen, eine Zeitung zu abonnieren und die laufenden Ausgaben im Haushalt zu bestreiten. Auch einige Kinobesuche, das eine oder andere Gebrauchsstück auf Bezugsschein lassen sich einschreiben, oder, wenn es hoch kommt, 1 Brot und 1 Pfund Mehl vom schwarzen Markt. 64

Es gilt allerdings zu beachten, dass hier von Personen die Rede ist, die eine Vollzeitstelle in einem guten Beruf hatten, was nicht die Regel war. Einfacher ließ sich (mehr) Geld auf dem Schwarzmarkt verdienen, auch wenn dies mit dem Risiko verbunden war, verhaftet zu werden.65 Alliierten Soldaten war es also deutschen Frau von heute enthält zudem die Information, dass die Kosmetikfabrik ihren Sitz in Süd-Berlin hat, aller Wahrscheinlichkeit nach also im amerikanischen Sektor. 63 | Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton /  O xford: Princeton University Press 2007, S. 27. (Übers. d. Verf.) 64 | Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme von Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 398 Familien, Berlin: Weidmann 1948, S. 63 f. 65 | Vgl. Steege, Paul: Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin 1946-1949, Cambridge /  N ew York: Cambridge University Press 2007, S. 193 f.

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am einfachsten, teure Geschenke zu kaufen. Ein visueller Beleg dafür findet sich etwa in den Anzeigen in der lokalen Presse oder in Kinoprogrammen, in denen Werbung für Geschäfte mit Luxusartikeln teilweise in englischer Sprache gedruckt wurde.66 Abbildung 1.24: Englischsprachige Werbeanzeige für Porträtmalerei (Rudy), Kinoprogramm Neue Scala, April 1948.

Quelle: Deutsche Kinemathek, Sign. N3356-HPr02.

Zwischen den Zeilen dieser Reklamen konnte man also herauslesen, dass ein attraktiver Mann ein Ausländer sein könne: »Besatzungssoldaten stellten ganz einfach einen bedeutenden Anteil der jungen männlichen Bevölkerung dar, und sie schienen oft ansprechendere Partner zu sein als die anspruchsvollen, verwundeten oder auch emotional gezeichneten deutschen Kriegsveteranen.«67 Anspielungen darauf konnten allerdings nur ganz subtil in die öffentliche Ikonosphäre eingeführt werden, da bis 1947 das Fraternisierungsverbot galt. Auch danach wurden deutsche Frauen, die eine Beziehung mit einem alliierten Soldaten unterhielten, als Ami-Liebchen und The Fräuleins beschimpft.68 Diese Spur führt uns zur Frage der Freiwilligkeit sexueller Kontakte zwischen deutschen Frauen und Soldaten der alliierten Armeen. Geht eine Frau, die sich für eine Suppendose hingibt, eine solche oder ähnliche Beziehung tat66 | Mehr zu solchen Beispielen in: Saryusz-Wolska, Magdalena: Watching Films in the Ruins. Cinema-going in Early Post-war Berlin, in: Participations. Journal for Audience and Reception Studies 12 (2015), Nr. 1, S. 762-782. 67 | E. D. Heinemann: The Hour of the Woman, S. 381. (Übers. d. Verf.) 68 | Vgl. u. a. Smith, Barbara: The Rules of Engagement. German Women and British Occupiers 1945-1949 (= Theses and Dissertations (Comprehensive), Paper 1072, Waterloo 2009, http://scholars.wlu.ca/cgi/viewcontent.cgi?article=2071&context=etd (18.03.2016); H. Fehrenbach: »Ami-Liebchen« und »Mischlingskinder«; E. D. Heinemann: The Hour of the Woman; Gries, Rainer / S atjukow, Silke: »Bankerte!« Besatzungskinder in Deutschland nach 1945, Frankfurt a. M. /  N ew York: Campus 2015.

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sächlich freiwillig ein?69 Heute sind wir nicht mehr imstande, dies eindeutig zu beurteilen. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen aber setzte sich ein bestimmter Gegenstand bzw. ein Motiv im Zusammenhang mit diesen Kontakten fest: Nylonstrümpfe. Die Neue Berliner Illustrierte bezeichnete sie sogar als »Schlager der amerikanischen Textilwirtschaft«, und illustrierte diesen Titel mit Fotografien weiblicher Schenkel in Nylonstrümpfen und eines Londoner Warenhauses, in dem sich die Frauen regelrecht um die Ware schlugen.70 Auf diese Weise erhielten Nylonstrümpfe das Attribut eines »westlichen« Gegenstandes. Ihre Rolle in den zwischengeschlechtlichen Beziehungen thematisierte beispielsweise Billy Wilder im Film Eine auswärtige Affäre (1948, USA), in dem der amerikanische Offizier John Pringle seiner Freundin, gespielt von Marlene Dietrich, hauchdünne Strümpfe schenkt, was ihr große Freude bereitet. Auch im Film Straßenbekanntschaft (1948, Regie: Peter Pewas, sowjetische Besatzungszone) »zahlen« die männlichen Protagonisten für Sex mit Strümpfen, die absolute Mangelware sind. Hatte es in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland bereits Reklame für Strümpfe gegeben (wenn auch damals noch kein Nylon verwendet worden war)71, so verschwanden sie nach dem Krieg aus der öffentlichen Ikonosphäre und kehrten erst in den 1950er Jahren wieder. Die Adressaten der Werbeanzeigen für Geschenk-Produkte lassen sich jedoch nicht eindeutig festlegen. Der Hersteller von Fri-Wi versichert etwa, dass er auch Kosmetikartikel für Männer anbiete, und auf der Werbeanzeige von Kleinol lesen wir: »Außerdem braucht er aber auch für sich selbst gelegentlich Puder, Hautcreme, Fußpflegemittel und ähnliches.« Die Reklame von Karl Brandt enthält hingegen folgende Zusatzinformation: Das geht auch den Mann an! Ein guter Rat für »ihn und sie«: nach besonders schmutziger Arbeit empfiehlt es sich, erst das Gröbste mit ein wenig feinem (Scheuer)Sand zu entfernen, ehe zu der heute knappen Seife gegriffen wird. Hinterher ist die Haut für etwas Fett dankbar, damit nicht erst Risse entstehen.

Auf der daneben zu sehenden Zeichnung berät eine Frau ihren Mann beim Kauf von Kosmetika. Die Worte »nach besonders schmutziger Arbeit« suggerieren hier einen deutschen Arbeiter, wobei gerade dieser damals kein Geld für 69 | Neue Forschungsergebnisse zu intimen Kontakten zwischen deutschen Frauen und alliierten Soldaten in allen vier Besatzungszonen (sowohl im Hinblick auf Vergewaltigungen als auch auf freiwillige Verhältnisse) stellen Silke Satjukow und Rainer Gries in ihrem Buch »Bankerte!« vor. Die Publikation basiert u. a. auf Interviews und gibt neben der öffentlichen Wahrnehmung auch Einblick in private Erinnerungen. 70 | N. N.: Nylon – der Wunderstrumpf, in: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 19, S. 8. 71 | Vgl. Beispiele der Firmen Agfa (1930, damals Kunststoffproduzent), Sonn-Ton (1938) oder Prokop (1938) in: Großmann, Plakativ! (2009), S. 316-330.

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zusätzliche Pflegeprodukte hatte. Auf diese Weise entsteht der Schein einer normalen Wirtschaftslage, in welcher sich gewöhnliche Leute Geschenke und Körperpflegeprodukte leisten konnten. Die in der visuellen Kultur postulierte Rückkehr zur Normalität bedeutete demnach nicht nur eine Reaktivierung ehemaliger Gesellschaftsrollen, sondern auch eine Verbesserung der körperlichen Verfassung und die Pflege körperlicher Attraktivität. Trockene und rissige Haut zeugte von harter Arbeit, ungenügender Hygiene und auch von Vitamin- und Mineralstoffmangel. Ein gesundes Aussehen hingegen signalisierte einen entsprechenden gesellschaftlichen Status und ein verhältnismäßig »normales« Leben. Die Werbeanzeigen, in denen ausschließlich Männer gezeigt wurden, warben im Allgemeinen für den Kauf männlicher Kosmetika wie Rasier- oder Haarwasser. Die Figuren in den folgenden beiden Abbildungen lächeln und zeigen ihre weißen Zähne, was wiederum als Zeichen ihrer Gesundheit zu deuten ist. Beide Männer tragen ihr Haar modisch nach hinten frisiert. Der Mann aus der Rasierwasserwerbung scheint etwas älter zu sein, wobei wir nicht ausschließen wollen, dass sich dieser Eindruck nur aufgrund der Pfeife einstellt. Abbildung 1.25: Reklame für das Rasierwasser Barba.

Quelle: Illustrierte Rundschau (1948), Nr. 5, S. 27.

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Diese Männer sind in der typischen Konvention von Hollywood-Liebhabern dargestellt, wie sie die Schauspieler Cary Grant, Humphrey Bogart, Abbildung 1.26: Reklame für das Haarwasser Jehoein.

Quelle: Neue Filmwelt (1948), Nr. 4, S. 31.

Gregory Peck oder Gary Cooper verkörperten (letzterer posierte öfter mit Pfeife). Dies ist insofern bedeutend, als der ideale Mann auf diesen Bildern wohl Ausländer ist oder sich als solcher ausgeben muss.72 Obwohl bis zur Währungsreform zonenübergreifend die gleichen oder zumindest ähnliche Anzeigen gedruckt wurden (die hier angeführte Barba-Reklame ist ein Beispiel dafür), waren Bilder von Männern in der Werbung der sowjetischen Besatzungszone doch etwas pragmatischer gehalten als ihre westlichen Pendants. 1947 wurde auf der Leipziger Messe der DEFA-Film Die verblüffende Neuheit gezeigt, in dem eine Wetzmaschine für Rasierklingen präsentiert wird.73 Die zwei Schauspie72 | In den folgenden Jahrzehnten wurden männliche Figuren hauptsächlich in Tabakwerbung genutzt. Die erste Zigarettenwerbung, die wir in der deutschen Nachkriegspresse finden konnten, ist von Oktober 1949 und bewirbt die Marke Texas. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre wurden in Deutschland im Gegensatz zur amerikanischen oder britischen Presse keine der bekannten Zigarettenwerbungen abgedruckt (Camel, Chesterfield, Lucky Strike oder Marlboro), was zum Großteil daran gelegen haben muss, dass diese Marken nur zu sehr hohen Preisen auf dem Schwarzmarkt erhältlich waren. Vgl. P. Steege, Black Market, Cold War, S. 39, 123. 73 | Hier nutzen wir die DVD-Fassung von Alles in Scherben!…? Film – Produktion und Propaganda in Europa 1940-1950, herausgegeben von CineGraph und dem

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ler, von denen der junge Franz-Otto Krüger gerade seine Schauspielerkarriere beginnt, während Wilhelm Bendow als älterer Kollege die seine beendet, sprechen über die Rasur. Krüger stellt Bender eine neue Erfindung zum Schärfen von Rasierklingen vor. Die Erläuterung des Mechanismus ist in einem kurzen Animationsfilm dargestellt. Die Werbung konzentriert sich auf die Vorteile des Geräts und auf seine Funktionsweise, sie lobt auch seinen niedrigen Preis. Am Ende werden Informationen über den Hersteller und Kontaktdaten eingeblendet. Es gibt hier weder Subtexte erotischer Natur noch die Suggestion, dass eine glatte Haut männliche Attraktivität hervorhebt.74 Abbildung 1.27: Werbeanzeige für Büstenhalter der Marke Pulmonet.

Quelle: Frauenwelt (1948), Nr. 5-6, S. 33. Bundesarchiv Filmarchiv im Jahr 2008. Philipp Osten hebt hervor, dass Filme, die für Messen produziert wurden, ein eigenes Subgenre typisch deutscher Kulturfilme darstellten. Ähnlich wie klassische Kulturfilme nutzten Messe-Filme Elemente des Spiel-, Dokumentar- und Zeichentrickfilms usw. Vgl. Osten, Philipp: Emotion, Medizin und Volksbelehrung. Die Entstehung des »deutschen Kulturfilms«, in: Gesnerus 66 (2009), S. 67-102. 74 | Am Rande muss man allerdings auch anmerken, dass der Dialog der beiden Schauspieler aus heutiger Perspektive als zu lang und die Animation als zu detailliert anmuten. Damals waren Werbefilme jedoch ein Filmgenre, das noch in den Kinderschuhen steckte; die meisten Kinos zeigten vor den eigentlichen Filmvorführungen nur Dias von Reklamen. Im Laufe der Arbeit an diesem Forschungsprojekt haben wir Hinweise auf Dias in den Dokumenten von Berliner Kinos gefunden, auf die Dias selbst sind wir aller

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Im Laufe der Zeit veränderten sich Inhalt und Form der Werbung. Waren anfangs noch Anleihen an die Weimarer Ästhetik oder die Typografie aus der NS-Zeit zu beobachten, so begann man seit Ende der 1940er Jahre neue Muster zu entwickeln. Zur Hälfte des Jahres 1948 wurden in Frauenzeitschriften etwa Werbeanzeigen für Büstenhalter der Marke Pulmonet abgedruckt. In den 1950er Jahren waren Reklamen für Kegel-BHs nach US-amerikanischem Vorbild ziemlich populär. In den deutschen Markt eingeführt wurden sie u. a. durch die Marken Felina und Naturana.75 Das Neue daran bestand nicht nur in der Präsentation aufreizend geformter Brüste (solche Eingriffe waren früher schon bekannt gewesen), sondern auch in der immer häufigeren Nutzung der Fotografie als Werbemedium, da Menschen in Reklamen – mit einigen wenigen Ausnahmen – bisher stets gezeichnet worden waren. In den Folgejahren verbreiteten sich schließlich Fotografien bekannter Models in der Werbeindustrie. Diese Entwicklung stellt einen wichtigen Schritt in der Verwendung von Bildern bekannter Personen, vor allem von Filmstars, dar. In der Bundesrepublik wurde diese in den Vereinigten Staaten bereits vor dem Krieg angewandte Praktik erst in den 1950er Jahren populär.76

M üt ter und K inder Über die Tatsache, dass die ersten Nachkriegsjahre eine Zeit waren, in der traditionelle Familienstrukturen wiederhergestellt wurden, ist bereits viel geschrieben worden. Robert Moeller etwa betont, dass dies ein universelles, in allen vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Ländern zu beobachtendes Phänomen gewesen sei, in Deutschland sei es nur besonders sichtbar gewesen.77 Es sei hier noch einmal auf die Bemerkung über den grundlegenden Unterschied zwischen der sowjetischen und den übrigen Besatzungszonen hingewiesen: Im Osten wurde ein Gesellschaftsmodell gefördert, in dem die Frau sowohl der Erwerbs- als auch der Hausarbeit nachging, die westlichen Medien hingegen zogen es vor, sie beinahe ausschließlich im häuslichen Raum zu dings nicht gestoßen. Aus den Listen der Werbeauftraggeber geht hervor, dass es sich vor allem um Anzeigen lokaler Geschäfte oder Dienstleistungsstellen handelte, bedeutend seltener hingegen wurden Produkte konkreter Marken beworben. Vgl. Landesarchiv Berlin, LA B Rep 207 / 6 53. 75 | Eine Werbeanzeige der Marke Felina aus der Hälfte der 1950er Jahre etwa zeigt eine Frau im Büstenhalter und Strumpfhaltergürtel. Die Frau hält ihre Arme über den Kopf gestreckt, um ihren Busen zu betonen. Der Werbeslogan lautet: »Felina – formvollendet«. Vgl. den Abdruck in Großmann, Plakativ! (2009), S. 328. 76 | Vgl. M. Kriegeskorte: Werbung in Deutschland 1945-1965, S. 32. 77 | Vgl. R. Moeller: Protecting Motherhood, S. 2.

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zeigen.78 Mochten diese Modelle auch nicht vollends umgesetzt worden sein, so müssen sie in einer Analyse von Bildern gesellschaftlicher Rollen in der frühen Nachkriegszeit doch berücksichtigt werden. In den ersten Nachkriegsjahren klang eine öffentliche Debatte zum Thema der neuen Frauenrollen »in der Sprache der Mütterlichkeit« 79 an, wie Höhn bemerkt. Während die Figur der Verführerin (und der wenigen Verführer) hauptsächlich in der Werbung zu finden war, also in Bildern, die sich nach dem kommerziellen Prinzip von Angebot und Nachfrage richteten, waren affirmative Bilder von Müttern mit Kindern so gut wie allgegenwärtig – man fand sie in der Werbung, auf Titelblättern von Zeitschriften, politischen Plakaten, in Wochenschauen und sogar auf Briefmarken. Wer die Väter dieser Kinder waren – deutsche Männer oder alliierte Soldaten, Ehemänner, Liebhaber oder Vergewaltiger – wurde in der Öffentlichkeit allerdings kaum thematisiert.80 Sie waren auch nur selten Teil der Ikonosphäre der Nachkriegszeit. Die »Sprache der Mütterlichkeit« spiegelt Höhn zufolge »den Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der deutschen Realität und dem Verlangen nach einer ›traditionellen‹ Familie mit einem arbeitenden Vater und einer Mutter als Hausfrau«81 wider. In diesem Zusammenhang gilt es, zwischen zwei Motiven zu unterscheiden. Einerseits war das Schicksal der Kinder, die während oder kurz vor dem Krieg geboren worden waren, ein Problem, zumal sie in vielen Fällen ein oder beide Elternteile verloren oder sogar nie kennengelernt hatten und nun, stark traumatisiert, einer besonderen Pflege bedurften. Andererseits zielte die Reaktivierung traditioneller Familienstrukturen darauf, dass neue Kinder geboren werden sollten. Die zeitgenössische Soziologin und Ethnologin Hilde Thurnwald diagnostizierte: Der Wunsch nach Kindern oder nach Vermehrung der vorhandenen Kinder bestand theoretisch bei 21 von 98 im gebärfähigen Alter stehenden Frauen […]. Praktisch lehnten fast alle diese Frauen weitere Geburten unter den gegenwärtigen Daseinsbedingungen ab. 82

Eine Folge dieser Situation war die steigende Anzahl von (legalen wie illegalen) Abtreibungen. Dieses Problem trat als Konsequenz der Massenvergewaltigungen an Frauen im Frühling des Jahres 1945 bereits in den ersten Wochen nach dem Krieg zutage. Viele Schwangerschaften aus solchen oder anderen intimen Kontakten mit alliierten Soldaten wurden allerdings ausgetragen, und die be78 | Vgl. E. D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make?, S. 9. 79 | M. Höhn: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«, S. 59. 80 | Mehr dazu: R. Gries /  S . Satjukow: »Bankerte!«. 81 | M. Höhn: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«, S. 66. 82 | H. Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 13 (Herv. im Orig.).

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troffenen Mütter wie Kinder erlitten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland schwere Schicksale.83 Ein besonderes Stigma lag auf den sogenannten Mischlingskindern, von denen die Autorin eines Beitrags in der Frauenwelt 1949 – nicht ohne Widerwille – schrieb: Ingrid und Christian, Gisela und Helmut, das sind die »blonden« Vornamen von Kindern mit wulstigen Lippen, gekräuseltem Negerhaar und einem mehr oder weniger braunen Fellchen. […] Es besteht nur in den seltensten Fällen die Möglichkeit, daß ein solches Kind, auf dem ein besonderer Makel ruht und das deshalb vor allem von der Verwandtschaft nicht zu Hause geduldet wird, bei der Mutter aufwachsen kann. 84

In Anbetracht der gewaltigen Veränderungen in der Gesellschaft erwuchs die politische Notwendigkeit der Wiedereinführung eines positiven Bildes von Mutter und Kind – insbesondere dann, wenn das Modell der traditionellen Familie erfolgreich neu installiert werden sollte. In Bezug auf die frühe Politik der SED konstatiert Harsch, dass »es einfach sei, ihr großes Interesse an Fertilität zu übersehen, da in der offiziellen Repräsentation von Frauen die Reproduktion nicht so nachdrücklich betont wurde wie die Produktion.« 85 Tatsächlich gab es in der Ikonosphäre der sowjetischen Besatzungszone unterschiedlichste Frauenbilder. Dazu zählen zwar viele Arbeiterinnen und Bäuerinnen, doch es genügt, den Blick von den politischen Plakaten der SED oder von den Flugblättern der Frauenausschüsse und des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands abzuwenden, um auf Motive der Reproduktion zu stoßen. Eine Körperpuderwerbung der Marke Jeho präsentiert eine sitzende Frau, deren Augen auf einen neben ihr liegenden, halbnackten Säugling gerichtet sind, der wiederum den Betrachter der Werbung direkt ansieht. Das leicht entblößte Dekolleté der Frau lenkt die Aufmerksamkeit auf das Profil ihrer Brust, was wohl Assoziationen mit Mutterschaft wecken soll, ihr gleichzeitig aber auch einen gewissen (oder: den für die Werbung typischen) Sex-Appeal verleiht. Ebenso bemerkenswert ist eine wiederum nichtkommerziell genutzte Fotografie einer auf ihr Neugeborenes blickenden Mutter. Unter diesem Titelbild der Illustrierten Für Dich (sowjetische Besatzungszone) heißt es – gewissermaßen jegliche Deutung vorwegnehmend: »Lächelnd hält die junge Mutter ihr erstes Kind im Arm.« Die Fotografie kündigt einen Artikel über das neue 83 | Vgl. Grossmann, Atina: Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform 1920-1950, New York / O xford: Oxford University Press 1995, S. 193; R. Gries /  S . Satjukow: »Bankerte!«, S. 47-79. 84 | Meinecke, Ingeborg: Der Vater schwarz, die Mutter weiß, in: Frauenwelt (1949), Nr. 14. 85 | D. Harsch: Revenge of the Domestic, S. 132. (Übers. d. Verf.)

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Abbildungen 1.28 und 1.29: Reklame für das Körperpuder Jeho (links). Titelbild der Für Dich.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 12, Umschlagrückseite (links) Für Dich (1947), Nr. 48.

Entbindungsheim im brandenburgischen Saarow (heute Bad Saarow) auf der fünften Seite der Zeitschrift an. Interessantes Material zur Ikonografie der Vorstellungen von Familie und Mutterschaft und der »Rückkehr zur Normalität« bietet ferner die Wanderausstellung Mutter und Kind des Dresdner Hygiene-Museums aus dem Jahr 1948.86 In Berlin wurde sie in einem provisorischen Pavillon in der Stadtmitte, am Bahnhof Friedrichstraße, gezeigt. Die Ausstellung informierte über die Entwicklungsstadien und die Physiologie des Fötus, die Vorteile des Stillens, die Körperpflege von Säuglingen und die Prophylaxe von Infektionskrankheiten. Zum Teil wurden Exponate aus der 1947 im Hygiene-Museum eröffneten Dauerausstellung zum Thema Volkskrankheiten genutzt.87 Es gab auch Tafeln, auf denen dafür geworben wurde, Kinder in Betriebskinderkrippen und -kindergärten unterzubringen. Bilder glücklicher Kinder, um die sich lächelnde 86 | DHMD, o. Sign. Die Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden besprechen wir anhand einiger Dutzend in den Sammlungen des Museums aufbewahrter Fotografien. Marion Schneider aus dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden danken wir herzlich für die Bereitstellung der Sammlungen. 87 | DHMD, K1176 W A-F.

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Kindergärtnerinnen in ordentlichen Räumlichkeiten kümmerten, sollten Vertrauen in staatliche Betreuungseinrichtungen wecken. Besondere Aufmerksamkeit verdient eine Tafel zu Gesundheitsprophylaxe in der Schule: Sechs bis zum Gürtel ausgezogene Jungen stehen Schlange beim Schularzt. Eindrucksvoll demonstriert dieses Bild die Einbindung des jungen Körpers in das politische System – gesunde Jungen sollten den Idealen der sozialistischen Arbeit dienen, und der Staat behielt sich das Recht zum Eingriff in die intimste Sphäre ihres Lebens vor. Als Begleitpublikation zur Ausstellung erschien ein Büchlein mit dem Titel Meine Mutti kann das auch des bekannten Kinderarztes Hubert Wieczorek.88 Hatte man anfangs noch überlegt, das Merkbüchlein zur Mutter- und Säuglingspflege von 1931 zu erneuern89, entschied man sich schließlich gegen dieses Vorhaben und für eine neue Publikation, deren Inhalt die Botschaft der Ausstellung verbreiten sollte: Man widmete sich Fragen wie dem Schwangerschaftsverlauf (nicht aber der Verhütung), der Geburt, der Pflege und der Ernährung des Kindes, Impfungen, Krippen, Kindergärten usw. Eine Reklame für das Buch hing bereits neben dem Eingang zur Ausstellung. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die umfassenden Passagen zum Stillen. Interessant ist, dass es auf der hier angeführten Abbildung der Zeichnerin Charlotte Kleinert Männer sind, die Mütter an ihre Pflichten erinnern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Informationen über die Vorteile des Stillens im Hinblick auf den Nahrungsbedarf des Neugeborenen, die Unterstützung seines Immunsystems oder gar den Komfort der Mutter aus heutigen Frauenarztpraxen und Geburtshäusern stammen könnten. Neben bis heute angeführten Argumenten sticht dabei noch eines hervor: Unter schlechten sanitären Bedingungen und bei Lebensmittelmangel erhöht die Muttermilch die Überlebenschance des Kindes. In den westlichen Besatzungszonen hingegen wurden Materialien aus der Vorkriegszeit neu aufgelegt: 1934 erscheint in dem auf NS-propagandistische Schriften spezialisierten LehmannVerlag der erste Ratgeber der Münchner Ärztin Johanna Haarer Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, der sich mit den Themen Schwangerschaft, Geburt, Ernährung, 88 | Das 80 Seiten zählende, reich illustrierte Buch ist auf das Jahr 1949 datiert, obgleich Reklamen dafür bereits in der Ausstellung von 1948 zu sehen waren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es während der Arbeiten am Buch zu Problemen kam, aufgrund derer sich seine Veröffentlichung verspätete. Ferner waren einige Passagen, etwa zur Mangelernährung der Mütter, in eine andere Realität als die des Jahre 1949 eingeschrieben. 89 | Vgl. Korrespondenz von Dr. Neubert an Dr. Hamann, 27.08.1946, BA SAPMO DQ1  / 957, Bl.  130.

I.  Trümmer frauen, Girls und Mütter Pflege und Erziehung des Säuglings befasst. […] 1949 wird der Ratgeber für das erste Lebensjahr – um die offen NS-propagandistischen Stellen gekürzt, jedoch unter Beibehaltung von Gliederung und Aufbau – unter dem Titel Die Mutter und ihr erstes Kind in Westdeutschland wiederaufgelegt und erreicht bis 1987 eine Gesamtauflage von 1,2 Millionen. 90

Abbildung 1.30: Illustration aus einem Ratgeberheftchen für junge Mütter.

Quelle: Wieczorek, Hubert: Meine Mutti kann das auch, Dresden: Verlag des Deutschen Hygiene-Museums 1949, S. 13.

Die »Gewöhnung« an die Mutterschaft erfolgte ebenfalls über entsprechende Ratgeber in Zeitschriften und Fotografien von Müttern, denen der Kontakt mit dem Säugling Vergnügen zu bereiten schien. Solche Praktiken wurden sowohl in der ostdeutschen als auch in der westdeutschen Presse angewandt; in der Werbung wie auch in Abbildungen zu Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Auf einer Fotografie in der in der britischen Besatzungszone erscheinenden Constanze etwa sehen wir eine Mutter mit einem etwa einjährigen Kind bei der Lektüre der Zeitschrift. Das Kind ist wohlgenährt, die Frau trägt lackierte Fingernägel und einen Ehering. Für uns ist interessant, dass dieses Bild den oben angeführten Beitrag Der Mann als Ballast von Walther von Hollander illustriert. Bezeichnenderweise ist darauf kein Mann zu sehen – die Mutter (aus der Bild-

90 | Brockhaus, Gudrun: »Dann bist Du verloren, liebe Mutter!« Angst und Rassismus in den NS-Elternratgebern, in: Paula Diehl (Hg.), Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, S. 33-49, hier S. 34 f.

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unterschrift erfahren wir, dass es sich um Frau Julius aus Hannover handelt) ist mit ihrem Sohn allein.91 1946 bereits erschien in der Frau von heute beispielsweise eine Fotoreportage der ersten Momente im Leben eines Kindes. Auf der Abbildung ist die Mutter nicht zu sehen – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht allein das Neugeborene. Sichtbar sind nur die Hände der Person, aller Wahrscheinlichkeit nach der Hebamme, die die Nabelschnur durchschneidet, das Kind wiegt und misst usw. Mag man zwar davon ausgehen, dass die Intention der Auftraggeber dieses Informationsmaterials positiv war, sie die Betrachter davon überzeugen sollte, wie gut das Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone funktionierte und wie gut Neugeborene umsorgt würden, so scheinen diese Fotografien jedoch vielmehr Mitgefühl zu wecken, wenn nicht gar abschreckend zu wirken. Die Entbindung mutet als entpersonalisierter, emotionsloser Vorgang an. Nicht ausgeschlossen ist, dass diese Deutung dem heutigen Schwangerschafts- und Mutterschaftsdiskurs geschuldet ist, in dem die Bindung zwischen Mutter und Kind unterstrichen, eine übermäßige Medikation bei der Geburt kritisiert und zu natürlicheren Praktiken aufgerufen wird. Es mag durchaus sein, dass das, was wir heute als falsch betrachten (etwa die übermäßige Professionalisierung der Geburt), damals als Errungenschaft der Modernisierung und Verbesserung der Sicherheit von Mutter und Kind angesehen wurde. In Krisensituationen wie der in Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, für die hohe Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten von Neugeborenen charakteristisch sind, hat dieses Argument außergewöhnliche Durchschlagskraft. Drei Jahre später  – also schon nach dem hier besprochenen Zeitraum  – brachte die halbmonatlich erscheinende Zeitschrift Heute (amerikanische Besatzungszone) eine Fotoreportagereihe unter dem Titel Neues Leben über die Geburt und die ersten Wochen im Leben der kleinen Barbara (1949, Nr. 75-79). Im ersten Teil dieser Reihe zeigen Nahaufnahmen das schmerzverzerrte Gesicht der Mutter während der Entbindung. Die größte, mittig platzierte Fotografie zeigt das noch von Schleim bedeckte Neugeborene, daneben sehen wir ein Bild des Kindes in den Händen der Hebamme (?) – man kann sich davon überzeugen, dass Barbara groß und prächtig ist. Erst auf dem letzten Bild, rechts unten, ist das Kind in den Armen seiner Mutter zu sehen. Die folgenden Teile der Reportage zeigen Barbara beim Säugen (erneut ist das Gesicht der Mutter nicht zu sehen) und Barbara beim Schlafen. Kehren wir aber zur Werbung zurück. Die Werbung ist insbesondere mit Blick auf die Selbstständigkeit vieler Frauen sowie die gesellschaftlich wie wirtschaftlich wichtige Rolle der Mütter von Bedeutung. Mithilfe solcher Bilder wurden hauptsächlich Lebensmittel, Kosmetikartikel (etwa das erwähnte Kinderkörperpuder Jeho) und Waschpulver beworben. In dieser Hinsicht hatte sich 91 | Constanze (1948), Nr. 5, S. 7.

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Abbildungen 1.31 und 1.32: Fotoreportagen der ersten Minuten im Leben eines Kindes (oben) bzw. zur Geburt von Barbara.

Quellen: Die Frau von heute (1946), Nr. 17, S. 16 f. (links). Heute (1949), Nr. 79, S. 24 f.

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nichts verändert, da in der Werbung für solche Produkte bereits früher Bilder glücklicher Mütter, denen Instantbrei oder Waschpulver die Hausarbeit erleichterten, verwendet worden waren. In den 1930er Jahren und in der ersten Hälfte der 1940er Jahre war in deutschen Städten beispielsweise ein Plakat mit dem Bild einer lächelnden Frau mit Kind zu sehen, beide in makellos weißer Kleidung. Die Unterschrift lautete: »Wir zwei – Persil gepflegt«.92 In den 1950er Jahren setzte die Firma Henkel diese Ästhetik in der Bundesrepublik fort. Manche Reklamen lassen sich folglich durchaus als Zeichen einer Kontinuität des Alltagslebens und der Wirtschaft aus der Zwischenkriegszeit betrachten. In diesem Kontext traten Bezüge auf die schlechten sanitären Bedingungen oder die schwierige Situation der Frauen und die von ihnen zu tragende Verantwortung nur noch stärker hervor. In der sowjetischen Besatzungszone war die Rückseite der Frau von heute ein interessanter Werbeträger. Die letzte Seite des Umschlags richtete sich nämlich nicht nur an die Leserinnen der Illustrierten, sondern auch an Personen, die beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln zufällig mitlasen. Bei geöffneter Zeitschrift ist die Rückseite unmittelbar neben der Titelseite zu sehen, was zu äußerst interessanten Zusammenstellungen führt: So sind nämlich kommerzielle Bilder zufriedener Frauen in häuslicher Umgebung (auf einige werden wir in den kommenden Kapiteln zurückkommen) neben Abbildungen von Normbrecherinnen, Arbeiterinnen, Bäuerinnen oder Trümmerfrauen zu sehen, die in der Regel auf der Titelseite abgedruckt wurden. Der hier besprochene Fall ist insofern eine interessante Ausnahme, als auf der Titelseite ein Temperabild prangt, das Kinder vor einer Schulspeisung zeigt. Im dazugehörigen erklärenden Text heißt es bezeichnenderweise: Auf Vorschlag des Magistrats ist es mit Hilfe aller zuständiger Stellen gelungen, der Berliner Schuljugend ein warmes Essen in der Schule zu geben. Es ist deshalb heute ebenso wichtig, Eßnapf und Löffel zur Schule mitzubringen, wie Schreibheft und Bleistift. Den Müttern ist eine große Sorge abgenommen worden, die Sorge um das zu magere Frühstücksbrot ihrer Kinder.

In Anbetracht dieser Erläuterung muss die Werbeanzeige auf der Titelrückseite – die Zeichnung einer Mutter, die ihr Kind mit dem Brei der Marke Hansi füttert – zumindest ein wenig befremdlich anmuten: Die Frau hat ein adrettes Äußeres, worauf ihre aufwendige Frisur und ihre gepflegten Hände hinweisen, das Kind ist wohlgenährt. Die Bildunterschrift ergänzt den vertrauensvollen Blick des Kindes auf seine Mutter: »Mutti gib mir Hansi, die wertvolle Kinder-Nahrung.« 92 | Abdruck des Plakats in: Peter Hedlinger (Hg.), Alle mögen’s weiß. Schätze aus der Henkel-Plakatwerbung (= Schriften des Werkarchivs, Sonderband 1), Düsseldorf: Henkel KGaA 1987, S. 40.

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Abbildung 1.33: Reklame der Kindernahrung Hansi.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 7, Umschlagsrückseite.

Der Hansi-Kinderbrei war im Jahre 1946 – wie aus dem Kommentar zum Titelbild hervorgeht – noch sehr eingeschränkt und nur gegen Lebensmittelmarken, die an Mütter verteilt wurden, zu erhalten. Mehr noch als typische Marketingfunktionen zu erfüllen, scheint diese Reklame präferierte Gesellschaftsmuster zu projizieren. Da Kinderbrei (unabhängig von der Marke) nicht oder nur spärlich verfügbar war, kann es in diesem Fall nicht um eine Überzeugung der Kundinnen von bestimmten Marken und Produkten – als Primärfunktion von Marketing – gehen. In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der Ausnahmesituation im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit erfüllt die Werbung einen anderen Zweck; sie propagiert ein Wertesystem, in dem sich Mütter sorgsam um die Ernährung und Gesundheit ihrer Kinder kümmern. Das lässt sich als Signal dafür lesen, dass universelle Normen selbst in der Zusammenbruchgesellschaft nicht untergegangen waren. Sich für seine Kinder aufzuopfern, ihnen die beste Fürsorge und einen guten Start in die Zukunft bieten zu wollen – all das soll von der Kontinuität der Gesellschaft und ihren grundlegenden Werte zeugen.

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In der gleichen Ikonosphäre, in der Reklame für Kinderbrei und -nahrung zu sehen waren, fanden sich auch Plakate, die von den Besatzungsmächten in Auftrag gegeben worden waren und zur Unterstützung Hunger leidender Kinder aufriefen (mehr dazu in Kapitel IV). Die Plakate informierten über Nahrungsergänzungsmittel für Kinder, über die guten Bedingungen in staatlichen Waisenhäusern usw. Ähnliche Botschaften finden wir in den Wochenschauen. Die Gleichzeitigkeit zeigt die Komplexität der visuellen Kultur sowie die Präsenz vieler Themen, die sich auf den ersten Blick oft widersprachen. In diesem Fall sind die verschiedenen Auftraggeber der Schlüssel zum Verständnis. Kommerzielle Auftraggeber von Werbeanzeigen hatten ein Interesse an der Wiederherstellung einer Konsumgesellschaft, an der Suggestion von Wohlstand und Wahlfreiheit auf dem Markt. Den Besatzungsmächten hingegen oblag die Pflicht, die Existenzgrundlagen der Bevölkerung zu sichern. Kinder stellten hier eine besondere Gruppe dar – nicht genug, dass sie von den Folgen der Mangelernährung am stärksten betroffen waren, viele von ihnen wurden von alleinstehenden Müttern großgezogen oder wuchsen als Waisen auf. In manchen Zeitungen (etwa in der Welt, britische Besatzungszone) sowie in Zeitschriften für Kinder und Jugendliche (so in Horizont, amerikanische Lizenz, oder Pinguin, amerikanisch-britische Lizenz) wurden deshalb Bilder von Kindern gedruckt, die ihre Verwandten suchten. Solche Aktionen begrenzten sich nicht nur auf die Presse: Die Wochenschau Der Augenzeuge zeigte zu Beginn der Sendung häufig Bilder verwaister Kinder93, ähnliche Kampagnen organisierte auch die Welt im Film.94 Neben der pragmatischen Funktion solcher Maßnahmen war der politische Gesichtspunkt ausschlaggebend: Die Selbstdarstellung der Besatzungsmächte in der Rolle fürsorglicher Beschützer der jungen Generation sollte die eigene Macht legitimieren und ihre Präsenz in Deutschland rechtfertigen. Jaimey Fisher zufolge waren Kinder und Jugendliche sowohl Zielpersonen als auch Gegenstand der Reeducation-Maßnahmen.95 An erster Stelle symbolisierten sie eine Zukunftshoffnung: Die während oder nach dem Krieg geborene Generation war vom Nationalsozialismus nicht belastet, für sie galt es, ein neues demokratisches Deutschland aufzubauen. Dies wird insbesondere auf Wahlplakaten sichtbar. In der 1946 in Berlin geführten Kampagne prä93 | Vgl. ausgewählte Ausgaben der Wochenschau Der Augenzeuge: AZ 11 / 1945; AZ 12 /  1945; AZ 13  /  1945; AZ 14  /  1945; AZ 15  /  1945; AZ 16 / 1945; AZ 17 / 1945; AZ 89 /  1948; AZ 94  /  1948; AZ 95 /   1948; AZ 107  /   1948; AZ 115 /  1948; AZ 120 /  1948; AZ 122  /  1948; AZ 128  /  1948. 94 | Über die Aktion »Suchdienst für Kinder und Eltern« berichten u. a. einige Episoden der Welt im Film 78 /  1948 u. 179 / 1948. Vgl. auch WiF 86 / 1947 u. WiF 236 / 1949. 95 | Fisher, Jaimey: Disciplining Germany. Youth, Reeducation and Reconstruction after the Second World War, Detroit: Wayne University Press 2007.

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sentierte die CDU einen wohlgenährten Säugling in den Armen seiner Mutter und untermalte diese Darstellung mit dem verheißungsvollen Slogan: »Für seine Zukunft«. Abbildung 1.34: CDU-Wahlplakat in Berlin, 1946, sowjetischer Sektor.

Quelle: Bundesarchiv, Sign. Plak 100-019-012.

Die SPD wiederum nutzte in derselben Wahlkampagne ein Plakat, auf dem zwei Kinder (mehr oder weniger im Vorschulalter, ebenso wohlgenährt) nach oben blicken und sagen: »Mutter, wir wollen eine friedliche und glückliche Zukunft!« Ähnliche Slogans waren über das gesamte politische Spektrum hinweg zu finden; so wandte sich die SED mit folgenden Parolen an ihre Wähler (in diesem Fall: an ihre Wählerinnen): »Frohe Kinder, glückliche Mütter. Mütter, wählt SED« oder »Mütter, die Zukunft eurer Kinder hängt von eurer Entscheidung ab. Wählt SED.«96 Charakteristisch ist, dass auf keinem dieser Plakate Bezüge zu Väterfiguren zu sehen sind. Kinder scheinen ausnahmslos eine Frauenangelegenheit (gewesen) zu sein, selbst wenn es um die Zukunft einer ganzen Generation geht. 96  |  Die Plakate sind zugänglich unter: http://www.bild.bundesarchiv.de (15.04.2015).

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Abbildung 1.35: Titelbild des Regenbogens.

Quelle: Der Regenbogen (1946), Nr. 1.

Den wesentlichen Kontext, in dem Darstellungen von Müttern nach dem Krieg standen, erläutert u. a. Stephan Scholz. Er konzentriert sich auf Nachkriegsdarstellungen von Flüchtlingen und Vertriebenen und macht auf das wiederkehrende Motiv der besorgten Mutter aufmerksam, das wiederum an die ikonografische Tradition der mater dolorosa anknüpft.97 Die Mutter-Symbolik reicht laut Scholz über die Geburt und die Erziehung ihrer Kinder hinaus; die Mutter ist auch Heimat. Im übertragenen Sinne ist demnach die an die Mutter gerichtete Bitte der Kinder um eine glückliche Zukunft auch eine Bitte an die Heimat. Anknüpfungspunkte an die Marien-Ikonografie tauchen auch (oder hauptsächlich) in konservativen Frauenzeitschriften auf, insbesondere in der Monatszeitschrift Der Regenbogen (amerikanische Besatzungszone); so prangt

97 | Scholz, Stephan: Schmerzens-Mutter-Liebe. Das Motiv der Mutter im bundesdeutschen Bildgedächtnis zu Flucht und Vertreibung, in: Elisabeth Fendl (Hg.), Zur Ästhetik des Verlusts. Bilder von Heimat, Flucht und Vertreibung, Münster: Waxmann 2010, S. 165-191.

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auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe die Fotografie eines Madonnengemäldes von Hans Memling. In den folgenden Ausgaben kehren sowohl auf den Titelbildern als auch im Innenteil der Zeitschriften oftmals Bilder von Müttern wieder, die Kinder in den Armen halten. Ein paar Monate später, zum Muttertag desselben Jahres, druckte die Sie ein Madonnenbildnis von Mathias Wilhelm Weißenkirchner und sinnierte über die Titelbildwahl, dass »die innere Freudigkeit, die von diesem Bild ausgeht, [die Leserinnen und Leser] ganz erfassen [solle]  – in den beglückenden Gedanken an die lebentragende, lebenerhaltende [sic] Kraft der Mutter.«98 Die hier wie allgemein in der visuellen Kultur zu beobachtende Sakralisierung der Mutter (mithilfe der Marien-Ikonografie) geht einher mit einer religiösen Erweckung, einer Rückkehr zu christlichen Wurzeln im Zusammenhang mit dem Wiederauf bau einer traditionellen Gesellschaftsordnung. Diese Entwicklung im Pressediskurs von 1945 bis 1949 betont auch Barbro Eberan.99 »Obwohl das Ideal des arbeitenden Vaters und der Hausfrau-Mutter für gut ein Drittel der deutschen Familien nicht galt«, konstatiert Höhn, »wurde die ›ideologiebefreite‹, ›gottgegebene‹ und ›natürliche‹ Familie des Westens zu einem Standard, gegen den das ›ideologische‹ und ›sozialistische‹ Kollektivierungsexperiment im Osten bemessen werden konnte.«100 In Anbetracht der religiösen Ikonografie in der visuellen Kultur der westlichen Besatzungszonen stellt sich die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur sowjetischen Besatzungszone. Tatsächlich finden sich dort seltener religiöse Anleihen, dennoch dominieren ebenfalls Darstellungen von Frauen mit Kindern die öffentliche Ikonosphäre, beispielsweise in der Frau von heute. In der fünften Ausgabe der Zeitschrift von 1946 ließ die Redaktion das Gemälde Mutter und Kind (1877) von Max Liebermann abdrucken, auf dem eine Bäuerin mit ihrem Säugling in den Armen abgebildet ist. Auf dem Titelbild der fünfzehnten Ausgabe von 1946 wiederum wurde ein Ausschnitt aus dem gleichnamigen Gemälde von Herbert Ortel abgedruckt. Neben solchen Botschaften tauchten in der Presse der sowjetischen Besatzungszone zahlreiche illustrierte Meldungen über Krippen und Kindergärten auf, so etwa im Artikel Behütete Kinder, entlastete Mütter (Die Frau von heute, 1946, Nr. 5), in dem Bilder von Frauen bei der Arbeit sowie von Kindern mit ihrer Kindergärtnerin zusammengestellt sind. Bemerkenswert ist hier, dass keine der dargestellten Frauen »entlastet« ist – im Gegenteil, die Frauen arbeiten alle, ob nun als Schneiderinnen oder als Betreuerinnen im Kindergarten.

98 | Sie (1946), Nr. 23, S. 2. 99 | Eberan, Barbro: Luther? Friedrich »der Große«? Wagner? Nietzsche? Wer war an Hitler schuld? Die Debatte um die Schuldfrage 1945-1949, München: Minverva 1983. 100 | M. Höhn: Frau im Haus, Girl im »Spiegel«, S. 82. (Übers. d. Verf.)

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Die Allgegenwärtigkeit des Mutter-Kind-Motivs sowie seine Komplexität, insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone, sind auch in anderen Medien zu erkennen. So geht in der zweiten Szene des Films Die Mörder sind unter uns, mit dem das deutsche Nachkriegskino begann, die Protagonistin Susanne Wallner an einem Denkmal einer Frau vorbei, deren Kind sich an ihre Brust schmiegt. Susanne läuft weiter, während die Kamera für einige Sekunden auf dem Denkmal, dem einzigen nicht zerstörten Objekt ringsum, verharrt. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, als hätten in diesem in Ruinen liegenden Land allein die Werte von Mutterschaft und Mütterlichkeit überdauert. Susanne engagiert sich später in der Kinderhilfe – sie zeichnet Plakate für Aktionen der Gesellschaft Opfer des Faschismus, während derer Berliner Kinder 1945 zu Weihnachten beschenkt wurden.101 Unabhängig von den Unterschieden in den Darstellungen von Müttern in den westlichen und in der sowjetischen Besatzungszone ist ihnen gemeinsam, dass sie immer ohne Ehemänner oder die Väter ihrer Kinder gezeigt werden. Die Ausnahmen dieser Regel sind Plakate, auf denen vor den Folgen von Geschlechtskrankheiten gewarnt wird (hierzu mehr in Kapitel III) sowie Spielfilme wie das erwähnte Irgendwo in Berlin (sowjetische Besatzungszone) oder … über uns der Himmel (amerikanische Besatzungszone), in denen Väter zu ihren alten Familien zurückfinden oder neue gründen – dies allerdings erst in den letzten Szenen. Eine Rezensentin schrieb: Die Väter fehlen, und auch dort, wo sie inzwischen heimgekehrt sind, mangelt es ihnen oft an der alten Energie, an Lebensmut – wie dem Autoschlosser Iller in diesem Film [Irgendwo in Berlin], der angesichts der Trümmer und des Elends ringsherum zunächst den Mut verliert und nicht sieht, wie tief enttäuscht sein Sohn auf ihn blickt.102

Das glückliche Ende vorwegnehmend, zeigt das Filmplakat ein sich umarmendes Paar, neben dem der gemeinsame Sohn steht. In der Nachkriegsikonosphäre waren solche Bilder allerdings eine Seltenheit, da – wie bereits gesagt wurde – auf der entschiedenen Mehrheit der Bilder die Vaterfigur fehlt.

101 | Das Thema von Mutterschaft und Mütterlichkeit wird übrigens in einem weiteren Film mit Knef in der Hauptrolle fortgesetzt; so spielt sie in Zwischen Gestern und Morgen (1947, Regie: Harald Braun, amerikanische Besatzungszone) eine alleinstehende Mutter. 102 | Weel [Pseudonym]: Die Sorgen der Mütter. »Irgendwo in Berlin«, in: Für Dich (1946), Nr. 52 (Presseausschnitt, Bundesarchiv Filmarchiv, BA FilmSG1 / 8 054I).

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D ie F ortse t zung tr aditioneller G eschlechterrollen Die Abwesenheit der Väter in der visuellen Kultur im Nachkriegsdeutschland muss nicht bedeuten, dass es sich um alliierte Soldaten handelt, sie im Krieg gefallen, nicht aus den Gefangenenlagern zurückgekehrt oder in solch fataler Verfassung sind, dass sie sich »nicht vorzeigen lassen«. Ebenso gut könnte sie bedeuten, dass die Väter sich außerhalb der Familie realisieren sollen. Im öffentlichen Raum fehlte es nicht an Bildern von Männern; neben den Verführern aus den Werbeanzeigen für Parfüm und Kölnischwasser dominierten Bilder von Politikern, Unternehmern, Arbeitern, Bauern usw. die Presse und die Wochenschauen. In den westlichen Zonen ist diese Aufteilung noch deutlicher: Die Frauen sind zu Hause und die Männer bei der Arbeit. Die doppelte Rolle der Frauen in der sowjetischen Besatzungszone führte jedoch nicht zur Ausprägung einer doppelten Männerrolle. Als Schlüssel zur Normalisierung erweist sich die Kontinuität gesellschaftlicher Rollen und die Fortsetzung bekannter Modelle zur Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern. Visuelle Muster entnahm man sowohl der Weimarer Republik als auch dem Nationalsozialismus. Ergänzt wurden sie durch Bezugnahmen auf die spezifische Situation der Nachkriegszeit, so etwa die Anmerkungen bezüglich des temporären Mangels an bestimmten Produkten (die allerdings schon in den letzten Kriegsjahren in der Ikonosphäre sichtbar waren). Im Zusammenhang mit der starken Stellung amerikanischer Filmproduktionsfirmen auf dem westdeutschen Markt wurden auch Hollywood entlehnte Muster lanciert. »Normal« scheint folglich das, was wir schon kennen, was nur noch einer bestimmten Anpassung an »unnormale« Gegebenheiten bedarf. Für die entschiedene Mehrheit der Frauen stellte die Notwendigkeit von Erwerbsarbeit, die Beteiligung am Wiederauf bau in Verbindung mit den außerordentlich schwierigen Lebensbedingungen im Alltag ein notwendiges Übel und eine bloß vorübergehende Situation dar.103 Diese Haltung spiegelt sich in der visuellen Kultur wider, welche zugleich die Reaktivierung einer traditionellen und patriarchalen »Normalität« ankündigt.

103 | Zu diesem Thema schreiben u. a. R. Moeller, Protecting Motherhood, und E. D. Heinemann, What Difference Does a Husband Make?.

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Abbildung 2.1: Reklame des Desinfektionsmittels Sagrotan.

Quelle: Sie (1947), Nr. 18, S. 12.

II. Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

Im ersten Quartal des Jahres 1947 erschien in einigen Zeitschriften eine Werbeanzeige für das Desinfektionsmittel Sagrotan. Die Marke war schon seit 1912 ein eingetragenes Warenzeichen, so dass sie für die deutschen Konsumenten kein neues Produkt darstellte, aber die Angst vor Infektionskrankheiten nach dem Krieg trug zum Erfolg der Firma bei. Die Werbung zeigt aus der damaligen Ikonosphäre gut bekannte Figuren  – Mutter und Kind(er). Im Vordergrund sieht man eine Frau, die eine Glasflasche in der Hand hält, im Hintergrund einen Jungen und zwei Mädchen. Das kleinere hat eine Puppe im Arm, das größere liest ein Buch und der ältere Bruder spielt mit Handpuppen. Die Kinder sind ordentlich gekleidet und wohlgenährt, die Spielzeuge implizieren, dass es der Familie an nichts fehlt. Ganz wie in den übrigen Reklameanzeigen, auf denen Mütter und Kinder zu sehen sind, fehlt die Vaterfigur. Die Bildunterschrift lautet: Eine kleine Freude von großer Bedeutung! Mit Recht ersehnen alle Frauen die Wiederkehr jener großen Markenartikel, die ihnen früher das Leben so angenehm machten. In vielen Fällen werden sie sich noch lange gedulden müssen. Umso freudiger wird wohl jede Flasche »Sagrotan« begrüßt werden, die beim Apotheker oder Drogisten wieder dann und wann zu haben ist. – Freilich muß dieses zuverlässig wirksame und dabei unaufdringliche Desinfektionsmittel vorerst noch ganz in den Dienst der Familien-Gesundheit gestellt werden, ehe es wieder zur Selbstverständlichkeit in der persönlichen Hygiene der Frau wird! – Gegen ansteckende Krankheiten bietet »Sagrotan« wirksamen Schutz. »Sagrotan« hat das Vertrauen der Frau.

Die Werbeanzeige kündigt eine Änderung in der Firmenpolitik an. Bisher war Sagrotan als Hygienemittel für die Frau bekannt gewesen;1 die Ursprünge des Unternehmens Schülke und Mayr lagen in der Produktion des Präparats Lysol 1 | Über Sagrotan-Werbungen aus den 1920er Jahren schreibt Schug, Alexander: »Deutsche Kultur« und Werbung. Studien zur Geschichte der Wirtschaftswerbung von

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während der Hamburger Choleraepidemie gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte das Unternehmen zu dieser Tradition zurück, indem es »Schutz gegen ansteckende Krankheiten« versprach. Die Werbeanzeige versucht gar nicht zu verheimlichen, dass Sagrotan im Jahr 1947 beinahe nicht verfügbar war, sondern kündigt seine Rückkehr an und weist auf neue bzw. alte Anwendungsweisen hin. Die Werbung in der Nachkriegspresse bezog sich wie hier auch auf die schwierige epidemische Situation und die von den Gesundheits- und Hygieneinstitutionen durchgeführten Aufklärungskampagnen. Reinlichkeit war das Gebot Nummer eins im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Das lateinische Verb infecere, von dem sich das Substantiv infectio ableitet, bedeutet nämlich nicht nur »anstecken«, sondern auch »färben«, »mischen« und »verschmutzen«. Aus medizinischer Perspektive ist das Verhältnis zwischen Schmutz und Infektionen vollkommen verständlich, und in den damaligen Jahren scheint es noch mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen gewesen zu sein. Reinheit ist nämlich nicht nur – in Einklang mit der klassischen Argumentation von Mary Douglas – eine Kategorie aus dem Bereich der Hygiene, sondern auch ein Begriff zur Charakterisierung gesellschaftlicher Ordnung.2 Die Forscherin beruft sich auf die Sphäre von Moral und Sexualität (das Verbot des Ehebruchs, das Jungfräulichkeitsgebot vor der Hochzeit usw.) sowie die Neuordnung der Familien- und Geschlechterrollen. Die Verbindung von Schmutz und Krankheiten ist offensichtlich. Schon in der Antike bedeuteten Krankheiten »nicht nur, die Rache einer Gottheit zu spüren zu bekommen, die man beleidigt, deren Gebote man übertreten hatte, sondern auch ein Werturteil: Der Kranke galt körperlich wie moralisch als unrein, unsauber, befleckt, und nur um den Preis einer Reinigung konnte er überhaupt geheilt werden.«3 Die Bekämpfung von Bakterien, Parasiten und Schädlingen war demnach ebenso wichtig bei der Rückkehr zur Normalität wie das Begraben von Leichen und das Forträumen von Trümmern und zerstörten Gegenständen. Der Hygiene- und Medizindiskurs überlagerte sich hier mit dem gesellschaftlichen und moralischen Diskurs. Der Wiederauf bau der Familie als Grundlage des Gesellschaftslebens konnte nicht auf schwachen und erschöpften Frauen sowie auf körperlich eingeschränkten und verwundeten Männern basieren. Folglich sollte nicht verwundern, dass das Versprechen einer besseren Zukunft mit Gesundheit und Reinheit verbunden war. Besonders viel Aufmerksamkeit wurde Kindern zuteil, zumal sie die Zukunft der Nation personifizierten. Bilder von 1918 bis 1945 (= Q Edition, Band 13), Berlin: Humboldt Universität zu Berlin 2011, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:11-100110941. 2 | Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, übers. v. Brigitte Luchesi, Berlin: Dietrich Reimer 1985. 3 | Ruffié, Jacques /  S ournia, Jean-Charles: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, übers. v. Brunhild Seeler, Stuttgart: Klett Cotta 2000, S. 188.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

pausbäckigen Säuglingen oder ordentlichen Schülerinnen und Schülern sind gleichsam Symbole von Normalität und Wohlstand. Darstellungen bedrohlicher Krankheiten wie Fleckfieber, Ruhr oder Diphtherie führten hingegen den Ausnahmezustand vor Augen – die meisten dieser Krankheiten hatte man bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Griff bekommen. In diesem Sinne zeugte ihr erneutes Auftreten von einem Rückschritt. Ein noch größeres Problem stellten Infektionskrankheiten an den Fronten des Zweiten Weltkriegs dar: Die Kriegsseuchen – insbesondere Fleckfieber, Ruhr, Malaria und Hepatitis epidemica – traten in hoher Zahl auf, so daß deutsche Wehrstatistiker einen beträchtlichen Ausfall von Kampfkraft errechneten. […] Tatsächlich versagten Impfung und allgemeine Prophylaxe bei dem besonders gefährlichen Fleckfieber […] und bei der außerordentlich häufigen bakteriellen Ruhr.4

Da diese Krankheiten charakteristisch für die Gegebenheiten des Krieges waren, erfüllte ihre Bekämpfung nicht nur eine epidemiologische Funktion, sondern auch eine symbolische: Sie stand für den Übergang vom Ausnahmezustand des Krieges zur Normalität des Friedens. Es verwundert nicht, dass die Besatzungsmächte den Kampf gegen die Infektionskrankheiten zu Propagandazwecken ausnutzten, indem sie sich häufig einer Rhetorik der Angst und Gefährdung bedienten. Das Versprechen von »Reinheit« oder, wie es in der Sagrotan-Werbung heißt, von »wirksamem Schutz« verhieß ein besseres und glückliches Leben.

D iphtherie , T yphus und F leckfieber Bis ins 19. Jahrhundert wurden Krankheiten ausschließlich anhand ihrer Symp­ tome identifiziert, was oft zu falschen Diagnosen führte. Der Mangel an Wissen über Keime hatte darüber hinaus zur Folge, dass vielen Krankheiten ein falscher Verbreitungsweg zugeschrieben wurde. Erst die Entdeckung der Bedeutung von Bakterien verbesserte die Situation; aus diesem Grund räumen viele Forscher in ihren geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen über Entdeckungen des 19. Jahrhunderts den Infektionskrankheiten viel Platz ein. In Histoire des pratiques de santé beendet Georges Vigarello seine Darstellung mit den Infektionskrankheiten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, um

4 | Leven, Karl-Heinz: Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (= Fortschritte in der Präventiv- und Arbeitsmedizin, Band 6), Landsberg / L ech: Ecomed 1997, S. 136.

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erst mit der Aids-Epidemie auf das Thema zurückzukommen.5 Eine ähnliche Konstruktion weist der Band Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit von Jacques Ruffié und Jean-Charles Sournia auf.6 Die Tatsache, dass man seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verhältnismäßig korrekt die Infektionsgründe und -wege identifizieren konnte, führte allerdings nicht zur Ausrottung der Infektionskrankheiten. In Europa musste man sich diesen Problemen erneut stellen, insbesondere nach den Katastrophen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Politischen Initiativen gegen Infektionskrankheiten, an erster Stelle gegen Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten, um die es in diesem und im folgenden Kapitel geht, wurden schon viele Studien gewidmet. Das Thema ist u. a. von Melanie Arndt, Dagmar Ellerbrock, Ulrike Lindner, Hans-Ulrich Sons oder Wolfgang Woelck erforscht worden.7 Sporadisch finden sich bei ihnen Informationen zu Aufklärungsmaßnahmen in den visuellen Medien, wie sie auf den folgenden Seiten untersucht werden. Bilder an der Schnittstelle von Wissenschaft und Propaganda stellen Ramón Reichert zufolge ein Instrument der Kontrolle und eine Normalisierungspraktik dar. Im Sinne von Michel Foucault schreibt er: »Der Film, das Kino und die Humanwissenschaften bildeten ein Geflecht von medialen Technologien, Prozeduren der Macht und Praktiken der Wissensherstellung.« 8 Beginnend mit der Konzeption der Aufklärungsfilme in der frühen Phase des Kinos zeichnet Reichert die Entwicklung der Macht des 5 | Vigarello, Georges: Histoire des pratiques de santé, Le sain et le malsain depuis le Moyen Age, Paris: Seuil 1993. Einen ebenso fließenden Übergang zwischen den Entdeckungen des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die Behandlung von Infektionskrankheiten und Aids im 20. Jahrhundert zieht Moulin, Anne Marie: Le corps face à la médecine, in: Alain Corbin / J ean-Jacques Courtine / G eorges Vigarello (Hg.): Histoire du corps, Bd. 3: Les mutations du regard. Le XX e siècle, Paris: Seuil 2006, S. 15-69. 6 | J. Ruffié /  J.-C. Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit. 7 | Vgl. u. a. die entsprechenden Artikel in: Wolfgang Woelck / J örg Vögele (Hg.), unter Mitarbeit von Silke Fehlemann: Geschichte der Gesundheitspolitik in Deutschland. Von der Weimarer Republik bis in die Frühgeschichte der »doppelten Staatsgründung«, Berlin: Duncker & Humboldt 2002; Lindner, Ulrike: Gesundheitspolitik in der Nachkriegszeit. Großbritannien und die Bundesrepublik im Vergleich, München: Oldenbourg 2004; Sons, Hans-Ulrich: Gesundheitspolitik während der Besatzungszeit. Das öffentliche Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen 1945-1949, Wuppertal: Peter Hammer 1983; Arndt, Melanie: Gesundheitspolitik im geteilten Berlin 1948-1961, Köln / Weimar /  W ien: Böhlau 2009; Ellerbrock, Dagmar: »Healing Democracy« – Demokratie als Heilmittel. Gesundheit, Krankheit und Politik in der amerikanischen Besatzungszone 1945-1949, Bonn: Dietz 2004. 8 | Reichert, Ramón: Im Kino der Humanwissenschaften. Studien zur Medialisierung wissenschaftlichen Wissens, Bielefeld: transcript 2007, S. 11.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

Blickes bis in die 1990er Jahren nach. Den uns interessierenden Zeitraum lässt er aus, wahrscheinlich da in diesen Jahren keine neuen Strategien der visuellen Wissensvermittlung entstanden, sondern lediglich früher eingeführte Techniken weiterentwickelt wurden. Im Folgenden besprechen wir die Strategien der Visualisierung von Infektionskrankheiten wie Typhus, Fleckfieber, Diphtherie oder Ruhr; Präventionsmaßnahmen gegen Tuberkulose behandeln wir hingegen separat. Der Grund dafür liegt in den unterschiedlichen Dynamiken der einzelnen Erkrankungen: Während Diphtherie, Typhus oder Ruhr verhältnismäßig schnell in den Griff zu bekommen waren, stellte Tuberkulose noch einige Jahre nach Kriegsende ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Dementsprechend unterschieden sich auch die prophylaktischen Maßnahmen und die Visualisierungsmechanismen. Noch im 19. Jahrhundert war die Tuberkulose eine Krankheit von solch enormer Bedeutungskraft für die Gesellschaft gewesen, dass sie wiederholt in Literatur, Kunst und anderen Medien und Kulturformen thematisiert wurde. Im Hinblick auf eine Untersuchung der visuellen Repräsentationen von Infektionskrankheiten in Deutschland zwischen 1945 und 1948 kann die interessante Hypothese von Dagmar Ellerbrock als Ausgangspunkt dienen: Am Beispiel der amerikanischen Besatzungszone belegt die Forscherin, dass die epidemischen Zustände im Nachkriegsdeutschland dank Impfungen und Penicillin schnell eingedämmt werden konnten. Dennoch wurden weiterhin Informationen über eine nicht nachlassende Bedrohung kolportiert, die die Furcht der Bevölkerung vor einer Ansteckung aufrecht erhalten sollten: Auf diese Weise wurde die Legende der siegesreichen US-Armee über den Krieg hinaus fortgeführt. […] Im retrospektiven Bild wird die Hilfe der medical doctors verzweifelt und dringend benötigt und großherzig gewährt. Auf diese Weise wird eine Vorstellung von Chaos und Not konserviert, die in dieser Form nicht bestand, um das Bild einer segensreichen hilfsbereiten Armee zu zeichnen, die als Retter auftrat. 9

So stellt es auch Hans-Ulrich Wehler dar, der behauptet, dass das »kleine Wunder« der Eindämmung jener schweren Epidemie in der Nachkriegszeit »gesundheitspolitischen Vorsichtsmaßnahmen« zu verdanken war.10 Ellerbrock stützt ihre Überlegungen vor allem auf Quellen des Amts der Militärregierung für Deutschland (Office of Military Government for Germany (U. S.), OMGUS), merkt allerdings auch an, dass sich das Problem der Erkrankungen an Tuberkulose anders darstellte – in diesem Fall war die Bedrohung tatsächlich bedeutender und die Struktur der Erkrankungen anderer Natur. Ohne Ellerbrock die 9 | D. Ellerbrock: »Healing Democracy«, S. 322. 10 | Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: 1914-1949, München: C. H. Beck 2008, S. 955.

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Richtigkeit in der grundlegenden Annahme (ein gezieltes Schüren von Angst) abzusprechen, seien ihrer Behauptung an dieser Stelle Daten aus statistischen Jahrbüchern gegenübergestellt: Tabelle 2.1: Frequenz der drei häufigsten Infektionskrankheiten – Diphtherie, Typhus, Ruhr – in den Jahren 1945 bis 1948 (mit Ausnahme von Tuberkulose). Anzahl von Erkrankungsfällen auf 10.000 Einwohner. Jahr

Diphtherie

Typhus + Paratyphus

Ruhr

1938 Deutschland

22

0,9

0,8

1946 SBZ

53,5

21,3

2,3

1947 SBZ

20,3

7,4

1,5

1948 SBZ

10,5

4,6

0,7

1946 West

33

6,7

0,8

1947 West

20,3

7,1

0,9

1948 West

13

3,9

0,4

1938 Berlin

13,7

0,8

3

1945 (Jul.-Dez.) Berlin

36,8

46,4

54,3

1946 Berlin

49,2

11,6

9,7

1947 Berlin

24,5

3,7

5,6

1948 Berlin

12,5

2,4

2,2

Die Daten wurden auf der Grundlage folgender Publikationen zusammengestellt: Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1948-1949, Berlin: o. V. o. J.; Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1954, Stuttgart / K öln: Kohlhammer 1955; Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, Berlin: VEB 1957; Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, Berlin 1939. Im Falle der Publikationen aus den 1950er Jahren handelt es sich um Referenzdaten, die die Entwicklung der Infektionskrankheiten in früheren Jahren zeigen sollen. Alle Daten sind Schätzungswerte, da – angesichts der Lücken im wiederaufgebauten Gesundheitssystem sowie der großen Mobilität der Bevölkerung – viele Kranke nicht registriert waren, andere hingegen mehrfach erfasst wurden.

In Anbetracht dieser Daten fällt es schwer zu sagen, es sei übertrieben gewesen, von einer Bedrohung durch Infektionskrankheiten zu sprechen. Im Vergleich zur Situation im benachbarten Polen, einem stark zerstörten und von großen Migrationsbewegungen betroffenen Land, dessen Gesundheitssystem nach sechs Jahren Besatzung neu aufgebaut werden musste, war die Morbidi-

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

tät aufgrund von Infektionskrankheiten in Deutschland sogar um einiges größer.11 Gleichzeitig können die Unterschiede in den Statistiken auch aus effektiveren Registrierungsmethoden resultieren, da Deutschland im Vergleich zu Polen über eine längere Hygiene-Tradition und größere Erfahrung im Bereich der Gesundheitsprophylaxe verfügte. Die steigende Infektionsrate wird insbesondere im Falle von Krankheiten sichtbar, die auf Hygienemangel und verschmutztes Wasser zurückzuführen waren (Typhus, Ruhr). Im Verhältnis zu 1938 (dem letzten Jahr vor Kriegsausbruch) ist der Unterschied deutlich zu erkennen. Zum Vergleich: Die Erkrankungen an Ebola im Jahr 2014 in Sierra Leone (dem Höhepunkt der Epidemie in dem weltweit am stärksten betroffenen Land) beliefen sich auf gut 18 Fälle pro 10.000 Einwohner.12 Natürlich haben wir es mit verschiedenen Krankheiten zu tun (der Ebola-Virus etwa verbreitet sich bedeutend einfacher als andere Krankheiten, es gibt gegen ihn noch keine Impfung oder eine wirksame Behandlungsform), doch anhand der Daten in der oben angeführten Tabelle lässt sich beobachten, dass eine Bedrohung von epidemischem Ausmaß im Deutschland der Nachkriegszeit – gemessen an heutigen Standards – tatsächlich imminent war. Im Vergleich zu früheren Epidemien handelt es sich aber um verhältnismäßig geringe Zahlen. In England etwa fielen gegen Ende des 18. Jahrhunderts 112 Personen auf 10.000 Einwohner der Tuberkulose zum Opfer, wobei es noch viel mehr Infizierte gegeben haben muss.13 In Berlin sind 1946 21 Personen von 10.000 Einwohnern an Tuberkulose gestorben.14 Mehr noch, die Zahl aller Kranken war sogar etwas geringer als 1929 (zu Beginn der Weltwirtschaftskrise).15 Der Kampf gegen Epidemien war in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre einfacher als noch einige Jahrzehnte zuvor. Unterschiedliche Therapien und prophylaktische Maßnahmen (hauptsächlich in Form von Impfungen und Penicillin, das bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Umlauf war) führten dazu, dass »weder Typhus noch Grippe, Diphtherie, Scharlach oder Poliomyelitis […] trotz sporadischen Aufflackerns so an Boden gewinnen [konnten], daß

11 | Vgl. Kozłowska, Urszula: Organizacja zwalczania chorób zakaźnych jako element polityki zdrowotnej państwa na Pomorzu Zachodnim (1944 / 4 5-1972), Szczecin: Wydawnictwo Naukowe Wydziału Humanistycznego Uniwersytetu Szczecińskiego 2013, S. 126-135. 12 | Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation, http://www.healthmap.org/ ebola/#projection (30.04.2015). 13 | Vgl. J. Ruffié / J.-C. Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 102. 14 | Berechnet auf der Grundlage von: Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1946-1947, Berlin: o. V. 1949, S. 159-162. 15 | Ebd., S. 337.

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sie die Sterblichkeitsziffer maßgeblich hätten beeinflussen können.«16 Der Mechanismus, von dem hier die Rede ist, betraf nicht nur die amerikanische Besatzungszone. Er war beispielsweise auch in Bezug auf Diphtheriefälle in der sowjetischen Besatzungszone sichtbar (eine über Tröpfcheninfektion verbreitete Krankheit), von denen etwa vier bis sechs Prozent tödlich endeten. (Bevor Emil von Behring 1890 ein Immunserum gegen Diphtherie entwickelte, war die Sterblichkeitsrate doppelt so hoch gewesen.)17 Als nach dem Ende des Jahres 1946 ein allgemeines Impfprogramm für Kinder zwischen dem ersten und achtzehnten Lebensjahr eingeführt worden war18, fiel die Anzahl der im Folgejahr registrierten Infektionsfälle unter das Niveau von 1938. Ellerbrock zufolge bedienten sich die amerikanischen Besatzungsmächte gern unterschiedlicher Statistiken und Schaubilder.19 Diese Beobachtung muss sowohl im Hinblick auf die interne Dokumentation des OMGUS als auch auf die öffentlichen Aufklärungskampagnen – die seltenen unmittelbaren Bilder von Krankheiten, ihren Ursachen oder Folgen – überprüft werden. Obgleich in den westdeutschen Medien viele Informationen über epidemische Bedrohungen zu finden waren, wurden nur wenige von ihnen auch visuell veranschaulicht. Im Allgemeinen begrenzte man sich auf Flugblätter, Plakate und Bekanntmachungen, auf denen ohne Abbildungen die grundlegenden prophylaktischen Prinzipien gegen Infektionskrankheiten beschrieben waren und über die Zahl der Erkrankungen informiert wurde. In Anbetracht all dessen ist es lohnenswert, einen Blick auf die Wochenschau Welt im Film von Juni 1948 zu werfen. Der zweite Beitrag handelt von einer Typhusepidemie im bayrischen Neu Oetting. Die Filmaufnahmen zeigen eine Einfahrt in die Stadt, ein Plakat, das vor der Krankheit warnt, einen Mann, der Desinfektionsmittel verstreut, eine Frau, die Türklinken mit Lysol behandelt (dem eingangs erwähnten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführten Präparat derselben Firma, die nach dem Zweiten Weltkrieg Sagrotan produzierte). Weiterhin sehen wir ein Krankenhaus, in dem die Ärzte und Krankenpflegerinnen sich um Patienten kümmern. Die Aufnahmen zeigen Menschen in einem verhältnismäßig guten körperlichen Zustand, die Darstellung konzentriert sich vor allem auf die Bekämpfung der Krankheit (mittels Desinfek16 | Krieger, Konrad: Geburt, Krankheit und Tod der Nachkriegszeit, im Ablauf des Säkulums gesehen, in: Der öffentliche Gesundheitsdienst 12 (1950 / 1951), S. 161-168, hier S. 163, zit. n. D. Ellerbrock: »Healing Democracy«, S. 302. 17 | Pammer, Michael: Die Diphtherie in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern in den Jahren 1880 bis 1912, in: Geschichte und Region 14 (2005), Nr. 1, S. 70-89, hier: S. 70. 18 | Vgl. Informationen über Gesundheitswesen, Gesundheitspolitik und Erziehung zur Volkshygiene, September 1946, BA SAPMO DQ1 / 957, S. 5. 19 | D. Ellerbrock: »Healing Democracy«, S. 271 ff.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

tion, einer effektiven Organisation des Krankenhauses usw.). Im Hinblick auf Ellerbrocks These ist der Text, mit dem die Bilder unterlegt sind, von Interesse: Trotz weitgehender Vorsichtsmaßnahmen [hier ist eine Person zu sehen, die ein Warnplakat aufhängt, auf dem über Vorsichtsmaßnahmen informiert wird] brach in Neu Oetting in Niederbayern eine schwere Typhusepidemie aus. Dies ist einer der glücklicherweise wenigen Fälle von Seuchenvorkommen nach dem Kriege. [Ein Mann verstreut ein weißes Pulver vor einem Tor.] Um das gefährdete Gebiet wurde eine Sperrzone gelegt. Fluorkalk soll die Schuhsohlen und Straßen vor den verseuchten Häusern desinfizieren [wir sehen ein Schild mit der Aufschrift »Typhus-Hilfskrankenhaus«]. Die Schule wurde geschlossen und das Hilfskrankenhaus eingerichtet. [Eine Frau desinfiziert Türklinken.] Türklinken als gefährliche Krankheitsüberträger werden mit Lysol-getränkten Lappen umwickelt. [Patienten liegen in Krankenhausbetten.] Ärzte und Krankenschwestern arbeiten Tag und Nacht in ihrem aufopferungsvollen Dienst. [Ärztinnen untersuchen einen ungefähr zehnjährigen Jungen.] Mit fast 900 Erkrankungen und über 30 Todesfällen 20 ist das die schwerste Epidemie nach dem Kriege. Inzwischen hat die Seuche dank energischer Gegenmaßnahmen ihren Höhepunkt überschritten.

Der kurze Film sagt nichts über die Symptome und Infektionswege der Krankheit aus. Eine Information zu diesem Thema würde nämlich suggerieren, dass der Hygienezustand in der bayrischen Kleinstadt nicht der beste wäre, und das würde wiederum schlecht von der amerikanischen Besatzungsmacht zeugen. Die Wochenschau konzentriert sich stattdessen auf den vorbildlichen Kampf gegen die Krankheit und die gute Organisation des Gesundheitswesens. Einzelne Aufnahmen sind sogar soweit abstrahiert, dass sie in einer Berichterstattung zu jeglichen Infektionskrankheiten Verwendung finden könnten. Es werden Begriffe wie »Vorsichtsmaßnahmen«, »aufopferungsvoller Dienst« oder »Gegenmaßnahmen« gebraucht. Hier bestätigt das Bild die Textbotschaft  – wir sehen Desinfektionsmaßnahmen, ein effektiv funktionierendes Krankenhaus, Ärzte, die sich um Patienten kümmern. Der Beitrag endet mit dem Hinweis, dass die Lage unter Kontrolle sei. Das Bild der »Retter« wurde dieses Mal nicht der amerikanischen Besatzungsmacht, sondern den lokalen (zivilen) Behörden zugeschrieben. Mochten die Ärzte zu jener Zeit Infektionskrankheiten gut zu bekämpfen wissen – das von Wehler erwähnte »kleine Wunder« ist nicht nur der effektiven Organisation des Gesundheitswesens zuzuschreiben, sondern vor allem den Impfungen und dem Einsatz von Penicillin –, so zählte doch eine »Rhetorik der Angst« stets auch zur Prophylaxe gegen die Epidemien. In einem noch größeren Ausmaß als in der amerikanischen Besatzungszone, von der Ellerbrock schreibt, war dies in der sowjetischen Besatzungszone der Fall. Für uns 20 | Die Sterblichkeitsrate beträgt etwas über drei Prozent.

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ist auch von Bedeutung, dass die Krankheiten im östlichen Teil Deutschlands entschieden öfter visuell dargestellt wurden als im Westen. In Städten und kleineren Ortschaften hingen hunderte Plakate, auf denen die Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen über eine bedrohliche Epidemie informierte. Im Gegensatz zur Propaganda der westlichen Zonen handelte es sich um großzügig illustriertes Material. Im Juli 1946 beauftragte die Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen den Druck von u. a. 100.000 Plakaten im Format DIN A2 und 150.000 Plakaten im Format DIN A4 sowie 2.000 Dias zur Präsentation im Kino mit Informationen über den Kampf gegen Infektionskrankheiten.21 Gar 200.000 Plakate (DIN A2) und 200.000 Flugblätter klärten über die Gefahren durch Fleckfieber auf. Der Bekämpfung von Diphtherie wurden 200.000 Plakate (DIN A2) und 500.000 Flugblätter gewidmet. Sie hingen in Straßen, Arztpraxen, Schulen, dem öffentlichen Nahverkehr usw. In den Studios der DEFA entstanden darüber hinaus zwei Kulturfilme: Fleckfieber droht! (1946) sowie Seuchengefahr (1946) – beide unter der Regie von Hans Cürlis. Neben den Wochenschauen waren das die ersten Dokumentar- bzw. Aufklärungsfilme der Nachkriegszeit in Deutschland.22 Der Großteil der insgesamt je sechzig Kopien – eine für damalige Verhältnisse große Menge – wurde auf 16-mm-Film produziert, was es auch möglich machte, die Filme in Schulen zu zeigen.23 In knapp über zehn Minuten informieren die Filme über Fleckfieber bzw. allgemein über Infektionskrankheiten. Die Filme gleichen sich dabei streckenweise sehr – so kommen in Seuchengefahr zum Teil dieselben Einstellungen und Stilmittel wie in Fleckfieber droht! zum Einsatz: von der Unheil verkündenden Hintergrundmusik zu Beginn bis hin zu Szenen aus einer Entlausungsanstalt, einem medizinischen Labor, in dem die Erreger der einzelnen Krankheiten mikroskopisch untersucht werden, oder einer Wohnküche, in der eine Mutter ihr Kind mit Scheuersand abschrubbt. (Inwiefern dies lediglich der Tatsache zuzuschreiben ist, dass die Filme von demselben Regisseur gedreht worden sind, lässt sich heutzutage schwer beurteilen.) Fleckfieber droht! beginnt mit der Nachstellung einer Szene am Krankenbett eines Mannes. Während seiner Visite klärt der Arzt die besorgte Frau des Pati21 | Informationen über Gesundheitswesen, Gesundheitspolitik und Erziehung zur Volkshygiene, Februar 1946, BA SAPMO DQ1 / 957, Anhang, S. 2. Unter der Annahme, dass die Dias denselben Inhalt hatten, bedeutete das, dass es genug gab, um sie in jedem Kino der sowjetischen Besatzungszone gleichzeitig vorzuführen. 22 | Vgl. Jordan, Günter /  M ückenberger, Christiane: »Sie sehen selbst, sie hören selbst«. Eine Geschichte der DEFA von ihren Anfängen bis 1949, Marburg: Hitzeroth 1994, S. 272-275. 23 | Informationen über Gesundheitswesen, Gesundheitspolitik und Erziehung zur Volkshygiene, Mai 1946, BA SAPMO DQ1 /  1524, S. 2.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

enten (»Fleckfieber? Aber daran stirbt man doch!«) Schritt für Schritt über den Krankheitsverlauf auf. Indem der Arzt der Frau in einem (schauspielerisch einiges zu wünschen übrig lassenden) Frage- / A ntwort-Gespräch Symptome, Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen erläutert, fungiert sie als mittelbare Instanz für das Publikum, das durch ihre Figur anonym Grundinformationen etwa zur Erkennung der Krankheit erhält. Dieser Handgriff wird vor allem mit der letzten Einstellung unterstrichen, in welcher der Arzt sich mit Botschaften, die aus Plakaten und Flugblättern der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen bekannt waren, unmittelbar an das Publikum wendet: Aber natürlich – Vorbeugen ist besser als Heilen! [Blick in Richtung der Zuschauer.] Auch du – vermeide und töte die Laus, sonst tötet sie dich! Schütze dein Leben und das Leben der anderen! Fleckfieber droht! [Übertriebene Betonung der letzten Worte und Einblendung des Titels in großen, bedrohlichen Buchstaben.]

Auch in Seuchengefahr wird das Publikum unmittelbar durch einen Erzähler und einige ausgewählte Figuren im Film angesprochen. Hierbei sind es stets Männer, die über die »zehn Gebote der Seuchenbekämpfung« aufklären, welche auf einem (damals tatsächlich auch aushängenden) Plakat mit überlebensgroßem Totenkopf im Hintergrund beinahe jeder Szene zu lesen sind. Mit Ausnahme einer Szene in einem Klassenzimmer mit acht- bis zehnjährigen Jungen sind es hingegen hauptsächlich Frauen, die die Adressatinnen der ermahnenden Ratschläge sind. Am Beispiel ihres dargestellten Fehlverhaltens (etwa das einer Verkäuferin in einer Imbissbude, deren angebotene Ware nicht vor Fliegen geschützt ist, oder einer Frau, die nichtabgekochtes Leitungswasser trinken möchte) soll das Publikum die korrekten Präventionsmaßnahmen gegen Infektionskrankheiten lernen. Dass sich die Botschaft des Films vor allem an Frauen (und Kinder) richtet, lässt sich einerseits auf den Frauenüberschuss in der Bevölkerung zurückführen, andererseits auf die Tatsache, dass man in den Frauen und ihrer Rolle als (alleinige) Familienversorgerinnen die Behüterinnen der neuen, vom Krieg unangetasteten Generation sah, die man mit einer Schlüsselfunktion im Wiederauf bau der deutschen Nachkriegsgesellschaft bedachte. Exemplarisch steht hierfür wieder die Schlussszene, in der vor ausgewählten Einstellungen mit starkem Symbolcharakter zu hören ist: Nichts darf ungeschehen bleiben, was die Kinder vor den bösen Folgen schützen kann, die der verbrecherische Hitlerkrieg über das deutsche Volk gebracht hat [Man sieht einen gemischten Klassenraum, in dem die Kinder gerade ihr Pausenbrot verzehren.] und an dem nur die kleinen Kinder völlig ohne Schuld sind. [Nahaufnahme eines kleinen Mädchens, das über ihr Pausenbrot hinweg in die Kamera blickt.] Nur so werden wir uns ein lebenswertes Dasein aufbauen. [Szenenwechsel zu einer Trümmerfrau mit erhobener Picke, danach Frauen beim Sortieren von Ziegeln.]

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Daraufhin ist ein aus der Stadt rollender Trümmertransport zu sehen, der aus den Ruinen in eine Szene im Grünen mit Kindern beim gemeinsamen Sportunterricht überleitet. Die Korrelation von Gesundheit bzw. Körperhygiene (Sauberkeit »als Kardinalgebot zur Bekämpfung aller Seuchen«) und einer moralisch wie ideologisch »bereinigten« Gesellschaft wird nur allzu deutlich. Inwiefern diese Filme allerdings tatsächlich ihre abschreckende und belehrende Wirkung entfalten konnten, ist schwer zu sagen, zumal sie gerade wegen ihres steifen, mahnenden Tons nicht besonders unterhaltsam sind. Um dennoch ein möglichst großes Publikum zu erreichen, wurden Pflichtvorführungen organisiert oder wurden solche Filme vor die eigentliche Filmvorführung geschaltet, die in den Kinoprogrammen selbst allerdings nicht angekündigt wurden. In dem von uns behandelten Zeitraum ließen nur einige der größten Kinos ihr Programm in Zeitungen drucken, allerdings auch nur den Hauptfilm der Vorführung. Selbst die Programme der einzelnen Kinos enthielten keine Information zu den ergänzenden Filmen.24 Eine wesentliche Rolle bei der Visualisierung von Krankheiten spielte das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden. Die Arbeit an der Dauerausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung wurde 1947 beendet. Mithilfe von mobilen Pavillons wurden Teile daraus auch in anderen Städten präsentiert 25, wobei Infektionskrankheiten besonders hervorgehoben wurden. Auf den ersten Tafeln waren Ruinen zu sehen, ganze Familien in engen Unterkünften (im Licht der Lampe sitzt die stillende Mutter, was wieder die Bedeutung dieser Figur in dem von uns besprochenen Zeitraum unterstreicht), Menschen suchen auf einer Treppe Zuflucht, ein Skelett – der Tod – umarmt eine verängstigte Menschenmenge, darunter auch Kinder. Diese katastrophistischen Bilder knüpfen an die expressionistische Stilistik an (insbesondere das Bild der Menschenmenge mit den vor Furcht verzerrten Gesichtern), dabei erkennt man in ihnen auch Elemente der realistischen Ikonografie (etwa die Ruinen und die auf engem Raum versammelte Familie). Hierbei erregten die zahlreichen Kinderfiguren, die in der damaligen Ikonografie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft symbolisierten, die Aufmerksamkeit des Betrachters: ein Säugling, der gestillt wird, auf Holzpritschen schlafende Kinder, ein in die Höhe gehobener Säugling, der der Umarmung des Todes entrissen werden soll, auf Treppen schlafende Mädchen und Jungen. Den Zyklus schließt ein Bild von Ruinen ab, in deren Mitte ein Grab zu sehen ist, über dem Vögel kreisen. Die Funktion dieser Bilder beruhte sicherlich darauf, den Rezipienten der Ausstellung die Bedeutung des Themas und der mit ihm verbundenen Gefahr bewusst zu machen. 24 | Ein Repertoire von Kultur- und Aufklärungsfilmen festzulegen, die als Ergänzung zu den Filmvorführungen gespielt wurden, ist in den meisten Fällen daher nicht mehr möglich. 25 | DHMD K1176 W A-F (Dauerausstellung); DHMD K1177 (Wanderausstellung).

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

Abbildung 2.2: Tafeln vom Beginn der Ausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1947.

Quelle: Deutsches Hygiene-Museum Dresden.

Weitere Exponate der Ausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung waren Informationstafeln und Wachsmodelle von Körperteilen, sogenannte Moulagen. Die Mehrzahl der Tafeln zeigte auf schematischen Darstellungen Infektionswege, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten.26 Darunter finden sich etwa Menschen in der Straßenbahn zur Illustration der Tröpfcheninfektion oder Menschen bei Tisch zur Illustration von Infektionen durch Nahrungsmittel. Begleitet werden diese Zeichnungen von knappen Informationen über die Ansteckungsart, das Krankheitsbild, die Behandlungsmöglichkeit und prophylaktische Maßnahmen. Auch simple Piktogramme kommen dabei zum Einsatz: die abstrahierte Darstellung einer Spritze als Symbol für Impfungen etwa, ein Wasserhahn als Symbol für die Unabdingbarkeit häufigen Händewaschens oder ein Krankenhausbett im Falle der Notwendigkeit einer Hospitalisierung. Auf außergewöhnlich realistische Art und Weise stellten die Wachsmodelle Hautveränderungen im Verlauf unterschiedlicher Krankheiten dar. Bereits in der Zwischenkriegszeit erlangte das Hygiene-Museum dank solcher Moulagen eine gewisse Berühmtheit; noch heute sind einige von ihnen in der Dauerausstellung des Hygiene-Museums zu betrachten. Die Modelle und Tafeln verfügen tatsächlich über einen großen Informationsgehalt, auf simple und zugängliche Weise informieren sie über die betreffenden Krankheiten. Bevor allerdings die Ausstellungsbesucher zu diesem wissenschaftlichen Informationsteil gelangten, mussten sie den emotionalen Anfang der Ausstellung über sich ergehen lassen. Die Neue Berliner Illustrierte beschrieb ihn folgendermaßen: »Packende Graphiken reihen Ursache und Wirkung aneinander: Zerstörung, Hunger, Wanderung, Wohnungsnot zermürben durch ihr Zusammenwirken die Volksgesundheit und begünstigen Seuchen.«27 Der 26 | DHMD K1176, K1177. 27 | N. N., Vorbeugung ist besser …, in: Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 47, S. 4.

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affektive Charakter der ersten Tafeln mit den Bildern von Krankheit und Tod, die an unterschiedliche ikonografische Traditionen des 20. Jahrhunderts anknüpften, kontrastierte mit der rationalen Botschaft des zweiten Ausstellungsteils. Während also zunächst ein Gefühl der Angst herauf beschworen wurde, wurden die Rezipienten anschließend belehrt und beruhigt (häufig wiederholte sich die Information, dass Infektionskrankheiten vorgebeugt werden kann und diese heilbar sind). Die Verbindung von Angst und Information wiederholte sich auch in den oben erwähnten Flugblättern und Plakaten. Eines von ihnen warb wie im Film Fleckfieber droht! mit dem Slogan: »Töte die Laus, sonst tötet sie dich«28, darunter sah man die Zeichnung einer Laus, die sich einem Totenkopf nähert. Ein anderes Plakat zeigte eine große Laus und verlautbarte: »Nur eine Laus und schon Fleckfieber.« Der darunter befindliche Text ist teilweise identisch mit den Aufschriften auf Plakaten im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, was darauf zurückzuführen ist, dass das Hygiene-Museum der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen unterstellt war und dass der Plakatdruck, die Filmproduktion und die Ausstellungsorganisation Hand in Hand vonstatten gingen. Die vergrößerte Abbildung der Parasiten diente sicherlich nicht Bildungszielen – man müsste eine Lupe nehmen, um sie mit der Abbildung zu vergleichen und auf dieser Grundlage zu identifizieren. Es ging vielmehr darum, mit der Darstellung Angst zu schüren. Auf den ersten Blick schon evoziert diese Art von Ikonografie Assoziationen mit der nationalsozialistischen antisemitischen Propaganda, in der die Juden als Krankheitserreger dargestellt wurden – beispielsweise mithilfe von Parolen wie »Juden – Läuse – Fleckfieber«.29 Es darf daraus allerdings kein allzu rascher Schluss hinsichtlich einer unmittelbaren Übertragung nationalsozialistischer Konnotationen in die Nachkriegsikonografie gezogen werden. Mit Insekten verbundene, epidemiologische Gefahren waren bereits früher und auch in anderen Ländern thematisiert worden. In den 1920er Jahren war in der Sowjetunion ein Plakat zu sehen, das ebenfalls vor Fleckfieber warnte (russ. cыпной тиф ). Unter der Zeichnung einer großen Laus waren bildliche Informationen über prophylaktische Maßnahmen zu sehen: Rasieren, Waschen, Wäschewaschen und Bügeln.

28 | Bundesarchiv Bildarchiv, Sign. B 285 Plak-025-005. 29 | Musiał, Bogdan: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944 (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, Band 10), Wiesbaden: Harrasovitz 1999, S. 145. Dieses Thema visualisierte auch Andrzej Żuławski im Film Trzecia część nocy (Der dritte Teil der Nacht, 1971, Polen).

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

Abbildungen 2.3 und 2.4: Plakat gegen Fleckfieber, 1946, sowjetische Besatzungszone (links).30 Plakat gegen Fleckfieber, 1920, Sowjetunion.

Quellen: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-025-006 (links). Wellcome Images, Creative Commons, CC BY4.0.

In Großbritannien wurden zur selben Zeit Flugblätter gedruckt, auf denen eine riesige Fliege ein kleines Kind »angreift«. Die dazugehörige Bildunterschrift lautete: »Flies and disease. Kill the fly, save the child.«31 Es scheint also, als spiegelten die deutschen Plakate Ikonografien unterschiedlicher Provenienz wider. Diese Kampagnen sind insbesondere vor dem Hintergrund des zunehmenden Wissens über Fleckfieber interessant. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts als eigenständige Krankheit erkannt32, wusste man, dass die Symptome oft in großen Menschenansammlungen, bei Kälte und aufgrund von seltenem Klei30 | Der Plakattext lautet: »Nur eine Laus und schon Fleckfieber. Fleckfieber wird von der Laus übertragen! Ohne Laus kein Fleckfieber! Darum verhindere jede Verlausung, halte Körper und Wäsche sauber! Achte sorgfältig auf jede beginnende Verlausung! Bekämpfe sie sofort durch Absuchen, Körperreinigung, Bad, Wäschewechsel, Auskochen der Wäsche, Bügeln der Kleidung! Hole Dir sofort Rat im nächsten Gesundheitsamt! Melde jede Verlausung, die du beobachtest, dem Gesundheitsamt.« 31 | Vgl. Welch, David: Propaganda. Power and Persuasion, London: British Library 2013, S. 115. 32 | J. Ruffié /  J.-C. Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 80 ff.

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dungswechsel auftraten – hauptsächlich unter Matrosen und Soldaten. Aus diesem Grund ist die Geschichte des Fleckfiebers untrennbar mit der Militärgeschichte verbunden.33 1909 erst entdeckte der Franzose Charles Nicolle, dass die Krankheit von der Kleiderlaus übertragen wird.34 Große Verheerung richtete das Fleckfieber in Russland während der Revolution an – 1917 erkrankten 30 Millionen Menschen daran.35 Folglich war das oben abgedruckte, vor Läusen warnende sowjetische Plakat ungewöhnlich aktuell, sowohl in wissenschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Maßnahmen gegen Fleckfieber beruhten auf Impfungen und Entlausung. Das Impfserum wurde 1937 in den Vereinigten Staaten entdeckt und fand hauptsächlich unter Soldaten Anwendung. Rasch zeigte sich, dass es nur die Symptome linderte.36 Zehn Jahre später noch wurden allein in Berlin 2,3 Millionen Menschen geimpft (ca. 60 Prozent aller Einwohner).37 In der Folgezeit wurden die Impfungen unterlassen, vor allem aus dem Grund, dass die Rickettsia-Erreger des Fleckfiebers empfindlich auf die Wirkung von Antibiotika reagierten.38 Stattdessen konzentrierte man sich auf Impfmaßnahmen gegen Diphtherie und Pocken, ferner wurden die Entlausungen fortgeführt – 1948 und 1949 gab es in Berlin 23 städtische Entlausungseinrichtungen, mehr oder weniger gleichmäßig in den Sektoren verteilt.39 Für die Prophylaxe und Behandlung des Fleckfiebers sind die Aufklärungsmaßnahmen der Nachkriegszeit von besonderem Interesse, da sie in einer Zeit durchgeführt wurden, als man aufgrund neuer Entdeckungen größere Kenntnisse über die Krankheit besaß. Die Aufklärungskampagne offenbart die Geschwindigkeit, mit der das wissenschaftliche Wissen praktisch angewandt wurde, und sie illustriert die Effektivität der staatlichen Kontroll- und Körperrepressionssysteme. Das Fleckfieber traf die Deutschen besonders hart: In gewissem Sinne war daran der zivilisatorische Fortschritt schuld. In Polen beispielsweise registrierte man ebenfalls viele Infektionen, insbesondere in Regionen, in denen es viele Repatriierte und Flüchtlinge aus Gebieten gab, die nach dem Krieg der Sow­ jetunion zugefallen waren. Die Bevölkerung der ehemals zentral gelegenen Gebiete (mehr oder weniger zwischen den Flüssen Bug und Weichsel) aber war größtenteils immun gegen Fleckfieber, da sie nach dem Ersten Weltkrieg, zwi33 | Mehr zu diesem Thema: Kiple, Kenneth F. /  O rnelas, Kriemhild Conée: Typhus, Ships and Soldiers, in: Kenneth F. Kiple (Hg.), Plague, Pox and Pestilence. Disease in History, London: Weidenfeld Nicolson 1999, S. 104-109, hier S. 105-107. 34 | Ebd., S. 108. 35 | Ebd., S. 108 f. 36 | K. F. Kiple / K . C. Ornelas: Typhus, Ships and Soldiers, S. 109. 37 | Berlin in Zahlen 1946-1947, S. 342. 38 | K. F. Kiple / K . C. Ornelas: Typhus, Ships and Soldiers, S. 109. 39 | Berlin in Zahlen 1948-1949, S. 349.

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schen 1919 und 1921, oder auch in den Jahren 1941 und 1942 Epidemien durchgemacht hatte.40 In den Aufklärungskampagnen blieb unerwähnt, dass bei der Läusebekämpfung das damals bereits populäre DDT-Präparat zum Einsatz kam (Dichlordiphenyltrichlorethan – in den 1970er Jahren wurde es aufgrund bedeutender Nebenwirkungen bei Mensch und Tier verboten). Die Entlausung der Deutschen mithilfe von DDT hatte, wie Ellerbrock betont, starkes symbolisches Potenzial: Fleckfieber galt als Krankheit geschlagener Armeen. Nicht nur Napoleons Truppen waren von diesem Feind zerrieben worden, auch die Soldaten Hitlers hatten Flecktyphus aus dem Osten, dort, wo ihre Niederlagen ihren Anfang genommen hatten, ins Reich getragen.41

Indem man Kriegsgefangene und die Zivilbevölkerung mit DDT einsprühte, unterzogen die Alliierten sie Prozeduren, die die Nationalsozialisten bei ihren eigenen Gefangenen und Soldaten angewandt hatten. Hinter den Staubwolken des Präparats versteckte sich auch das Versprechen »einer anderen, gesünderen, besseren Welt«, und diese Prozedur symbolisierte »wie nur wenige Praktiken den Übergang vom Krieg zum Frieden«.42 Das Einsprühen ausgezogener Menschen durch alliierte Soldaten hatte demnach nicht nur hygienische, sondern auch symbolische Bedeutung; es war in gewisser Weise eine Art Rache an den früheren Taten der Deutschen und eine Demütigung der Bevölkerung des besiegten Landes. DDT wurde auch – so sei am Rande angemerkt – bei der Bekämpfung von Fliegen eingesetzt, die Erreger von Krankheiten wie Ruhr und Typhus übertragen. Über die Gefahr, die von diesen Insekten ausging, informierten auch Presseartikel oder Plakate.43 Auf einem dieser Plakate ist ein Fenster zu sehen: Auf dem Fensterbrett liegen Lebensmittel (ein Apfel, eine Wurst und Pflaumen), auf denen sich Fliegen niedergelassen haben; im Hintergrund erkennt man die 40 | Vgl. U. Kozłowska: Organizacja zwalczania chorób zakaźnych, S. 127; Zaremba, Marcin: Die große Angst. Polen 1944-1947. Leben im Ausnahmezustand, übers. v. Sandra Ewers, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, S. 414. 41 | D. Ellerbrock: »Healing Democracy«, S. 258. In der Hälfte des Jahres 1941 nahm die Erkrankungsrate an Fleckfieber in der deutschen Wehrmacht von einigen wenigen auf 40 Fälle pro 10.000 Soldaten zu. Dieser Zustand hielt sich bis 1943. Die Assoziation von Fleckfieber mit der Niederlage an der Ostfront war daher sehr stark. Vgl. K.-H. Leven: Die Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 131. 42 | D. Ellerbrock: »Healing Democracy«, S. 263. 43 | Vgl. u. a. N. N.: Vorbeugung ist besser; N. N.: In 30 Tagen – 16 Millionen, in: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 27, S. 10, 13-14.

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graublaue Silhouette eines gebeugten Menschen.44 Im selben Zeitraum, also im Sommer 1947, wurden in den Illustrierten der amerikanischen und sow­ jetischen Besatzungszonen45 Werbeanzeigen des Präparats Duolit gedruckt. Abbildung 2.5: Reklame des Präparats Duolit.

Quelle: Sie (1947), Nr. 25, S. 6.

Es handelte sich um nichts anderes als DDT für den Hausgebrauch. Eine schematische Zeichnung stellt eine Frau in einer Schürze dar, die mit einem pistolenähnlichen Gerät (unsichtbare) Fliegen am Fenster besprüht. Einer solchen Maßnahme bedienten sich auch die Soldaten bei der Desinfektion von Gefangenen, Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung. Folglich haben wir es mit einem interessanten Perspektivenwechsel zu tun. Die Ironie des Schicksals bei der Anwendung von DDT beruhte darauf, dass die Personen, die mit dem Präparat in Kontakt gekommen waren – in diesem Fall die deutsche Bevölkerung und die alliierten Soldaten –, im Folgenden unter anderen Krankheiten zu lei-

44 | Vgl. u. a. Bundesarchiv Bildarchiv, Sign. B 285-Plak-026-021. Das Plakat ist online einzusehen unter http://www.bild.bundesarchiv.de (17.05.2015). 45 | Es handelt sich hier um Beispiele vom Sommer 1947 aus der Neuen Berliner Illustrierten und der Sie.

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den hatten, die durch die Nebenwirkungen des DDT verursacht wurden. Diese Folgen waren damals jedoch noch nicht bekannt.

Tuberkulose Im Kontext der Normalisierungsprozesse in den deutschen Nachkriegsgesellschaften kam dem Kampf gegen Tuberkulose eine besondere Bedeutung zu. Jahrhundertelang galt sie »als ›Volksseuche‹ und ›weiße Pest‹, aber auch als ›Proletariatskrankheit‹.«46 Die Tuberkulose wurde mit schlechten sanitären Bedingungen, einem Mangel an frischer Luft (als Folge etwa von Wohnungen im Keller oder auf dem Dachboden), Mangelernährung usw. in Verbindung gebracht. Bis Robert Koch den Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis entdeckte, konzentrierte sich der Großteil der Maßnahmen gegen die Tuberkulose auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen und der Atemluft (aus diesem Grund befinden sich die Protagonisten von Thomas Manns Zauberberg im Sanatorium). Das beste Rezept gegen die Epidemie schien vor allem ein zunehmender Wohlstand zu sein. Gleichzeitig war die Tuberkulose eine Krankheit, von der häufig junge Menschen betroffen waren, weshalb sie bisweilen auch als »romantische Krankheit« bekannt war. Diese Tatsache führte dazu, dass man sich allgemein vor ihr fürchtete. Infolgedessen wurden bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts organisierte Maßnahmen zur Senkung der Infektionsrate getroffen. Hunderte von Ärzten haben die saisonalen Krankheitsfälle in ihren Städten oder ihren Dörfern untersucht, die Ebbe- und Flutzeiten erhoben [die Beschreibung bezieht sich auf die Situation in England], die Windstärke und die Regenmenge. Ihre Informationen umfassen den Zustand der Straßen und der Unterkünfte, die »tägliche« Ernährung, den Arbeits- und Tagesverlauf.47

So begann sich der »Staat als Hygieniker«48 zu betätigen  – und so trug die Tuberkuloseepidemie zur Entwicklung hygienischer Praktiken bei. In Deutschland war das Problem der Tuberkulose in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre bedeutender als das Auftreten der anderen, oben beschriebenen Infektionskrankheiten. Im Gegensatz zu Typhus, Diphtherie oder der Ruhr nahm die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen nicht ab. »Im Jahre 1945 starben [in der britischen Zone] von 10.000 Menschen 7,0 an Tuberkulose, im Jahre 1946 8,9 und im Jahre 1947 7,7. Der Bestand der Tuberkulosekranken war 46 | K.-H. Leven: Die Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 114. 47 | G. Vigarello: Histoire des pratiques de santé, S .183. 48 | Ebd.

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im gleichen Zeitraum von 63.000 auf 276.000, also auf das Viereinhalbfache angestiegen.«49 In der amerikanischen Besatzungszone war die Lage ebenso dramatisch. Im Februar 1948 brachten Stuttgarter Beamte die folgende Befürchtung zum Ausdruck: »Geht die Ausbreitung der Tuberkulose so weiter, so werden in Deutschland im Jahre 1950 gut 2,2 Millionen Menschen an Tuberkulose schwer krank sein.«50 In Berlin nahmen die durchschnittlichen monatlichen Tuberkulosefälle von 1.300 in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 auf 2.400 im Jahr 1948 zu, was fast das Doppelte der Infektionsfälle im Jahr 1938 darstellte.51 Abbildung 2.6: Plakat gegen Tuberkulose, 1946, sowjetische Besatzungszone.52

Quelle: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-026-018. 49 | H.-U. Sons: Gesundheitspolitik während der Besatzungszeit, S. 139. 50 | Zit. n. D. Ellerbrock, »Healing Democracy«, S. 374. 51 | Berlin in Zahlen 1946-1947, S. 332; Berlin in Zahlen 1948-1949, Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1948-1949, Berlin: o. V. o. J., S. 328. 52 | Der Plakattext lautet: »Tbc – dann zum Arzt. Frühes Erkennen – gute Heilungsaussichten. Andauernde Mattigkeit, Nachtschweiß, andauernder Husten, blutiger Auswurf, Schmerzen in Brust, Rücken und Schultern, Appetitlosigkeit.«

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Es sollte daher nicht verwundern, dass man bei der Anti-Tuberkulose-Kampagne auf bewährte Methoden und rhetorische Mittel zurückgriff. Auf dem hier abgedruckten Plakat aus der sowjetischen Besatzungszone prangt die Aufschrift: »Frühes Erkennen  – gute Heilungsaussichten.« Das Wort »gute« ist besonders sichtbar, da in einer anderen Schriftart gehalten, was Erkrankte sicherlich von einem Arztbesuch überzeugen sollte. Hier zeigt sich die kulturelle Deutung der Tuberkulose: Früher als Volksseuche stigmatisiert, heute ein schichtübergreifendes Risiko, das insbesondere benachteiligte Gruppen trifft, lässt die Tuberkulose eine umso irrationalere soziale Angst wieder erwachen, weil sich ein Tuberkulosekranker nicht mehr so einfach in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder in öffentlichen Plätzen ausmachen lässt. 53

Das Bild erfasst auf interessante Weise die Beziehung zwischen dem Individuum und der Masse – man kann es auf zwei Weisen lesen: Der Kranke stellt entweder für die übrigen Mitglieder der Gesellschaft eine Gefahr dar, oder aber Menschenansammlungen begünstigen eine Verbreitung der Krankheit. Aus medizinischer Sicht stimmen beide Deutungen. Im Zusammenspiel mit der Aufschrift »Tbc – dann zum Arzt« drängt sich allerdings die erste Deutung auf, die zugleich zu gesellschaftlicher Verantwortung aufruft. Da der dargestellte Mann hustet und blutigen Auswurf hat, geht es hier sicherlich um eine Verdeutlichung eines der sichtbarsten Symptome. Die Figur ist mager, bleich und in schlechter Verfassung – sie passt in die kulturell verfestigte Ikonografie eines an Schwindsucht erkrankten Menschen. Eine solche Metaphorik der Tuberkulose hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt: »An Tb[c] Leidende mögen als leidenschaftlich dargestellt werden, doch mangelt es ihnen charakteristischerweise an Vitalität, an Lebenskraft«54, konstatierte Susan Sontag. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Deutschland zu einer schweren Tuberkuloseepidemie. Die Erinnerung daran ist auch in nach 1945 verfassten Überlieferungen zu erkennen, so gibt es beispielsweise in Wochenschauen Bezüge auf die Situation in der frühen Weimarer Republik. In denselben Zeitraum fallen die ersten  – allerdings nicht unumstrittenen  – Impfungen gegen Tuberkulose.55 Seit den späten 1920er Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs beruhte die Tuberkuloseprophylaxe hauptsächlich auf einer Verbesserung der Ernährung, einem Klimawechsel sowie Werbung für den Impfschutz, insbesondere bei Kindern. Das entsprach auch der Botschaft jener Ausstellungen des Hygi-

53 | A. M. Moulin: Le corps face à la médecine, S. 28. (Übers. d. Verf.) 54 | Sontag, Susan: Krankheit als Metapher, übers. v. Karin Kersten u. Caroline Neubaur, München / W ien: Hanser 1978, S. 27. 55 | Vgl. K.-H. Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 114.

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ene-Museums aus der Zwischenkriegszeit. Noch zu Beginn der 1940er Jahre wurden Plakate gedruckt, die Mütter an die Impfpflicht erinnerten. Die Zunahme der Tuberkuloseerkrankungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich sowohl auf die schlechteren hygienischen Bedingungen und die Mangelernährung usw. zurückführen als auch auf die Einstellung des Impfprogramms. In der amerikanischen Besatzungszone wurden Tuberkuloseimpfungen erst Mitte 1947 wieder eingeführt, in einigen Ortschaften sogar erst ein Jahr später.56 In der sowjetischen Besatzungszone bzw. in der DDR wurden allgemeine Impfungen erst 1951 wieder eingeführt57, was erklärt, warum sich in den regionalen statistischen Jahrbüchern und Archivakten aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, vor allem auf Plakaten, in Wochenschauen usw., keine Informationen über Tuberkuloseimpfungen finden. In dieser Lage beschränkte man die Aufklärungsmaßnahmen wiederum auf eine Ansteckungsprophylaxe. Das hier abgebildete Plakat ist in dunklen Farben gehalten, der bedrohliche Eindruck verstärkt sich durch das Bild des kranken Menschen und die menschlichen Schatten im Hintergrund. Auch das großstädtische Motiv des Plakates ist typisch für die Ikonografie der Tuberkulose – eine Menschenmenge in öffentlichen Verkehrsmitteln. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, ähnliche Programme in den übrigen alliierten Ländern zu untersuchen. Das britische Gesundheitsministerium etwa initiierte während des Krieges das groß angelegte Aufklärungsprogramm »Coughs and Sneezes Spread Diseases«, das im Laufe der folgenden Jahrzehnte fortgeführt wurde. Oberstes Ziel des Programms war die Reduzierung der Krankmeldungen.58 Augenfällig sind die ähnliche Komposition und eine beinahe identische Farbpalette der Plakate. Die dunkelgelbe Farbe des Hintergrunds sowie des Gesichts des hustenden Mannes suggeriert künstliches Licht (sprich: einen Mangel an Tageslicht), das Gesicht des Mannes im Vordergrund ist bleich. Die Atmosphäre der Bedrohung wird – zumindest im Falle des deutschen Plakats – durch die großen schwarzen Flächen verstärkt. Anders allerdings als auf dem Bild aus der sowjetischen Besatzungszone, wo der Kranke im Vordergrund zu sehen ist, steht auf dem britischen Plakat ein gesunder Mann im Zentrum – nach seinem Anzug und seiner Krawatte zu urteilen, ist er wahrscheinlich ein Beamter, ein Vertreter sogenannter white collar-Berufe. Der hustende Mann im Hintergrund wird hingegen als »Feind der Öffentlichkeit« dargestellt. Um welche Infektionskrankheiten es sich handelt, wird nicht deutlich. 56 | Vgl. D. Ellerbrock, »Healing Democracy«, S. 423-428. 57 | Vgl. Romberg, Dorothee: Die Röntgenreihenuntersuchung (RRU) als Mittel der Tuberkuloseprävention in Deutschland nach 1945. Unveröffentlichte Dissertation, Köln 2011, S. 16. 58 | Vgl. D. Welch: Propaganda: Power and Persuasion, S. 140.

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Abbildung 2.7: Plakat aus der Kampagne »Coughs and Sneezes Spread Diseases«, ca. 1940, Großbritannien.

Quelle: The British Library Board, BS. 81 / 19.

Mochten grafisch gestaltete Plakate in den westlichen Besatzungszonen nur selten zum Einsatz kommen – entsprechende Aushänge enthielten hauptsächlich Textinformationen –, so wurde über Tuberkulose in der Wochenschau berichtet. Gegen Ende 1946 zeigte die Welt im Film (80 / 1948) moderne Röntgenapparate aus Hamburg, dank derer bis zu 200 Personen an einem einzigen Tag untersucht werden konnten.59 Zehn Prozent der Untersuchten wiesen pathologische Veränderungen auf. »Wie nach dem Ersten Weltkriege häufen sich auch nach diesem Kriege die Tuberkulose-Erkrankungen«, fasste der Kommentator zusammen. Ähnlich wie in dem zuvor angeführten Beitrag über Typhus stell59 | Zum Vergleich: Es gab in Berlin zur selben Zeit 24 Fürsorgestellen, die gleichmäßig über die vier Sektoren verteilt waren und insgesamt durchschnittlich ca. 700 Röntgenuntersuchungen täglich durchführten – unter der Annahme, dass sie nicht am Sonntag und an Feiertagen arbeiteten. Berechnet auf der Grundlage von: Berlin in Zahlen 19461947, S. 336.

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te auch dieses Material die Organisation der lokalen Gesundheitsbehörden in positivem Licht dar. Es zeigte ganze Familien (Vater, Mutter, zwei Kinder) bei der Untersuchung, allerdings erfährt man weder etwas zu Symptomen noch zu Ansteckungswegen. Ellerbrock argumentiert, dass die Tuberkulose bereits seit dem 19. Jahrhundert als »Nationalkrankheit« galt. Probleme bei der Eindämmung der Epidemie nach 1918 wurden der Regierung in der Weimarer Republik als Zeichen der Schwäche ausgelegt.60 Mehr noch – die in der Romantik verwurzelte Symbolik der Tuberkulose war Teil der nationalen Topik.61 Es ist anzunehmen, dass in den westlichen Besatzungszonen aus diesem Grund seltener über die Krankheitssymptome berichtet wurde, da ihr Auftreten als Akzeptanz des nationalistischen Gedankens und als Unfähigkeit der Besatzungsmächte ausgelegt werden konnte. Stattdessen wurde über neue Methoden bei der Diagnostizierung und Behandlung von Tuberkulose berichtet, was den Erfolg der gegenwärtigen Besatzungsmächte belegen sollte.

P enicillin Zu einem Durchbruch beim Kampf gegen die Infektionskrankheiten kam es erst mit der Entdeckung des Penicillins. Die Beschreibung der antibakteriellen Eigenschaften des Schimmelpilzes sowie die Entdeckung einer industriellen Produktionsmethode für das Medikament fiel in die 1930er Jahre und die erste Hälfte der 1940er Jahre. Zu Beginn wurde Penicillin zur Behandlung von Soldaten der westlichen Alliierten eingesetzt, zur allgemeinen Behandlung wurde es erst nach 1945 freigegeben. Die Entdeckung hatte (nicht nur in Deutschland) großen Anteil an der Eindämmung von Epidemien in der Nachkriegszeit. Über die Möglichkeiten der Nutzung des Penicillins berichtete die Presse bereits kurz nach Kriegsende. In der zweiten Ausgabe der Neuen Berliner Illustrierten von Ende 1945 finden wir beispielsweise einen Beitrag, der auf eingängige Weise die Wirkung des Antibiotikums sowie die Geschichte seiner Entdeckung schildert: Das Penicillin könnte diese Schwierigkeiten mit einem Schlage beheben. Bei geringster Giftigkeit für den Warmblüter zeigt es eine außerordentliche Kampfkraft gegen den Mikroorganismus mit dem Vorteil einer schnellen Ausscheidung. In einer Verdünnung bis zu einer Milliarde soll der Stoff bereits Wirkungen zeigen. 60 | Ellerbrock, Dagmar: Gesundheit und Krankheit im Spannungsfeld zwischen Tradition, Kultur und Politik: Gesundheitspolitik in der amerikanischen Besatzungszone 1945-1949, in: Woelck / Vögele, Geschichte der Gesundheitspolitik in Deutschland (2002), S. 313-346, hier S. 330. 61 | Vgl. S. Sontag: Krankheit als Metapher.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder Wirkungen wogegen? Gegen die meisten Infektionskrankheiten, gegen die Entzündungen der Lunge und Hirnhäute, gegen gonorrhoische Erkrankungen und gegen Blutvergiftungen, gegen Knochenmarkeiterungen und Gasphlegmone, Infektionen am Auge und im Nasen-Rachenraum, gegen Eiterungen nach Operationen, aber nicht gegen Tuberkulose.62

Der Beitrag war mit einer schematischen Zeichnung eines Penicillin-Pilzes sowie einer Kohlezeichnung illustriert, auf der ein Arzt das Präparat einem Patienten spritzt. Mit Sicherheit war es in der sowjetischen Besatzungszone gegen Ende 1945 schwierig, eine Fotografie von einem Antibiotikum zu erhalten, da es praktisch noch kaum verfügbar war. Das Bild eines über den Kranken gebeugten Arztes knüpfte allerdings an allgemeine Erfahrungen und Erwartungen der Bevölkerung an. Abbildung 2.8: Illustration aus einem Artikel zur Entdeckung von Penicillin.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1945), Nr. 2, S. 14.

Als Erstes fand Penicillin 1946 in der amerikanischen Besatzungszone Anwendung, einige Monate später (1947) schlossen sich die Ärzte in der britischen Besatzungszone an, als letzte die medizinischen Einrichtungen in der französischen Besatzungszone.63 Die ostdeutsche Wochenschau Der Augenzeuge 62 | H. S.: Ein neuer, mächtiger Bazillen-Töter, in: Neue Berliner Illustrierte (1945), Nr. 2, S. 14. 63 | Vgl. U. Lindner: Gesundheitspolitik in der Nachkriegszeit, S. 289 f.

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(38 / 1947) berichtete wiederum, dass man im Dresdner Laboratorium Madaus eine Penicillin-Produktion »nach amerikanischem Vorbild« für den Bedarf in der sowjetischen Besatzungszone in Auftrag gegeben hatte. Die Entscheidung über die Einführung der amerikanischen und britischen Entdeckungen fiel zudem mit dem 8. Mai 1946 zu einem symbolischen Zeitpunkt, dem ersten Jahrestag des Kriegsendes.64 Penicillin wurde auf zweierlei Weisen zu Propagandazwecken genutzt: Es weckte Hoffnung auf eine bessere Zukunft und belegte den Erfolg der Besatzungsmächte. In West- wie Ostdeutschland wurde über die effektive Produktion und die innovativen Labore berichtet. In einer früheren Ausgabe der Wochenschau Welt im Film (18 / 1945) erwähnte der Nachrichtensprecher, dass das Penicillin bisher für die am schwersten verwundeten Soldaten reserviert gewesen war. Die Filmaufnahmen zeigten Chemiker bei der Arbeit, die Substanzen aus verschiedenen Reagenzgläsern mischen. Solche Bilder wechselten sich ab mit Nahaufnahmen komplizierter Maschinen, in denen weitere Produktionsschritte abliefen. Die Struktur des oben erwähnten Beitrags in Der Augenzeuge war analog. In rein visueller Hinsicht ist es schwer, deutliche Unterschiede zwischen diesen Beiträgen auszumachen. In keinem der beiden Filme wurden Kranke gezeigt oder Ärzte, die das Präparat verabreichten, so dass die obige Illustration aus der Neuen Berliner Illustrierten eine große Ausnahme darstellte. Mochte Der Augenzeuge unterstreichen, dass das Präparat (»vor Ort«) in Dresden hergestellt wurde, so berichtete die Welt im Film, dass das Penicillin in einer französischen Fabrik nach amerikanischen und britischen Rezepten produziert wurde. Die Beiträge zeigten die Zusammenarbeit der westlichen Besatzungsmächte, doch war in ihnen keine Rede davon, dass die deutsche Bevölkerung von dieser Wohltat würde profitieren können. Erst einige Wochen später, im Januar 1946, zeigte die Welt im Film (35 / 1946) einen Beitrag über den ersten Penicillin-Transport nach Deutschland und über die Instruktion deutscher Ärzte durch ihre US-amerikanischen Kollegen. In all diese Berichte wurden Aufnahmen einzelner, Dutzender oder sogar Hunderter Flaschen mit dem Präparat montiert. Unabhängig von den Bemühungen der Besatzungsmächte, mit denen die deutsche Bevölkerung von der Verfügbarkeit des Penicillin überzeugt werden sollte, war die tatsächliche Möglichkeit, es zu erwerben, begrenzt – es wurde nur zur Behandlung Schwerstkranker eingesetzt. Zu Beginn des Jahres 1947 notierte Victor Gollancz, dass die Krankenhäuser in der britischen Besatzungszone nicht über ausreichend Penicillin verfügten und es nur in den schwersten Gonorrhö-Fällen anwandten. Der Reporter notiert auch eine interessante, wenn auch schwer zu verifizierende Vermutung: Die deutsche Zivilregierung soll Statistiken von Geschlechtskrankheiten erhöht haben, um mehr Penicillin zu er64 | Meldungen aus dem Gesundheitswesen, BA SAPMO DQ1 / 1524.

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halten.65 Die begrenzte Verfügbarkeit des Medikaments führte dazu, dass auf dem Schwarzmarkt der Handel mit einem falschen Präparat blühte. Schließlich präsentierte die Welt im Film (80 / 1946) die Ware der Schwarzmarkthändler, um die Bevölkerung vor dem Erwerb des falschen Penicillin zu warnen.66 In gewisser Weise war dies eine Konsequenz der früheren Propaganda, mithilfe derer – auch um die Erfolge der Besatzungsmächte zu demonstrieren – Hoffnungen auf die universelle Wirkung des Penicillin bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten geweckt worden waren. Prinzipiell waren die Wochenschauen das einzige visuelle Medium, in dem Penicillin gezeigt wurde. Auf Propagandaplakaten waren keine Antibiotika zu sehen (wenn auch in den Informationen über die Heilbarkeit einiger Krankheiten Anspielungen darauf zu finden waren). Illustrierte vermieden das Thema fast gänzlich – mit Ausnahme des bereits erwähnten Artikels in der Neuen Berliner Illustrierten. Seinen Weg in die Wochenschauen fand das Penicillin gerade aufgrund der besonderen Propagandafunktion des Mediums in allen Besatzungszonen.67 Ferner eignete sich der Film ausgezeichnet für die Darstellung des komplizierten Produktionsprozesses, er bot die Möglichkeit, viele unterschiedliche Gerätschaften und die Menschen, die sie bedienten, zu zeigen. Die beweglichen Bilder verstärkten die Botschaft von der Massenproduktion des Penicillin: Mithilfe der Filme ließ sich zeigen, wie Flüssigkeit aus einem Behälter in einen anderen floss oder wie sich Verpackungen mit zahlreichen Flaschen des Präparats über ein Fließband schoben. Die Aussagekraft wurde zusätzlich durch Montagetechniken verstärkt: Abwechselnd wurden Nah- und Detailaufnahmen (so das Etikett mit der Aufschrift »Penicillin«), halbnahe und halbtotale Aufnahmen (etwa die Chemiker bei der Arbeit, die großen Maschinen) gezeigt. Die Entdeckung des Penicillin stand im Mittelpunkt des Normalisierungsdiskurses: Sie versprach eine »Gesundung« der deutschen Gesellschaft. Ferner war sie ein wesentliches Legitimierungsinstrument der Besatzungsmächte. Und schließlich war sie ein ungewöhnlich wirksames Präparat, das – im Gegenteil zu vielen anderen Medikamenten – zum ersten Mal mit der Ankunft der Alliierten nach Deutschland kam.

65 | Gollancz, Victor: In Darkest Germany (The Record of a Visit), Hindsdale: Regnery 1947, S. 38. 66 | Interessanterweise wird dieses Thema auch in dem im geteilten Wien spielenden Film Der dritte Mann (The Third Man, 1949, Großbritannien) von Carol Reed angesprochen. 67 | Mehr dazu in: Gröschl, Jutta: Die Deutschlandpolitik der vier Großmächte in der Berichterstattung der deutschen Wochenschau 1945-1949, Berlin /  N ew York: De Gruyter 1997.

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S auberkeit und R einlichkeit Die prophylaktischen Maßnahmen der Besatzungsmächte gegen Infektionskrankheiten wurden auf interessante Weise durch einige Bilder aus der kommerziellen Werbung ergänzt. Gelegentlich beriefen sich Hersteller von Reinigungsmitteln auf die Gefahr von Krankheitserregern und die Notwendigkeit von Sauberkeit  und Desinfektion. Es ging den Produzenten darum, den bestehenden gesellschaftlichen Diskurs und existierende gesellschaftliche Ängste  – zu kommerziellen Zwecken – auszunutzen. Trotzdem müssen wir anmerken, dass wir bei unserer Recherche nach Werbeanzeigen für Hygieneprodukte und Reinigungsmittel in der Nachkriegspresse, Flugblättern, Broschüren usw. nicht viele Beispiele gefunden haben, in denen Abbildungen verwendet wurden. In größerer Zahl erschien solche Bildwerbung erst ab der Jahreswende 1947 / 1948. Die hier abgedruckten Anzeigen aus früherer Zeit stellen eher eine Ausnahme denn die Regel dar. Tatsächlich stachen sie besonders ins Auge; auf ihrer Grundlage lassen sich jedoch keine allgemeinen Schlüsse ziehen – insbesondere in Bezug auf die ersten Jahre nach dem Krieg, der in epidemiologischer und sanitärer Hinsicht schwersten Zeit. Es scheint, als kommerzialisierte sich dieser Lebensbereich erst, als die Lage mehr oder weniger stabil war. Die Mehrzahl der früheren Reklamen besaß ein rein typografisches Layout – so gaben etwa die Leo-Werke

GmbH aus Dresden den Druck folgender Bekanntmachung in Auftrag: »Chlorodont  – beugt der Übertragung epidemischer Krankheiten vor«, in lesbarer, serifenloser Schrift (der Abbildung 2.9: Reklame für das Körperpuder Jeho.

Quelle: Neue Filmwelt (1947), Nr. 4, S. 32.

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Produktname in Versalien, der Rest in gewöhnlichen Buchstaben). Unter diesem Titel stand die Adresse des Herstellers, die Anzeige war eingerahmt. Die Botschaft war simpel und berief sich auf die Ängste der deutschen Bevölkerung in allen Besatzungszonen – so haben wir, obgleich die Firma in Dresden ansässig war, dieselbe Anzeige auch in einigen Ausgaben der amerikanisch lizenzierten Wochenzeitschrift Sie des Jahres 1946 gefunden. Ähnlich gingen zahlreiche Schädlingsbekämpfungs- und Desinfektionsfirmen usw. vor, was von einem großen Bedarf dieser Art von Dienstleistung zeugt.68 Auch in Werbeanzeigen für Produkte der Firma Vasenol berief man sich auf die epidemische Lage der Nachkriegszeit, wenn auch weniger offensichtlich. Sie trugen ein Logo, das sich aus einem großen V und folgender Aufschrift zusammensetzte: »Im Dienste der Gesundheit.« Abbildungen 2.10 und 2.11: Reklame einer Schädlingsbekämpfungs­firma in Berlin aus dem Kinoprogramm der Kammerspiele Britz, 13.-19. Juni 1947 (links). Logo der Marke Vasenol, 1948.

Quelle: Deutsche Kinemathek, Sign. N1900-HPr26 (links). Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 14., S. 16.

Jedoch war Vasenol weder ein Medikament noch ein Desinfektionsmittel, sondern eine Marke für Cremes und Körperpuder (vgl. Kapitel I, Abb. 1.17). Das von uns gewählte Beispiel im ersten Kapitel zeigt eine nackte Frau, die sich (wohlgemerkt!) nach dem Waschen mit Vasenol einpudert.

68 | An dieser Stelle sei auf den Unterschied zwischen Werbeanzeigen für Produkte und Dienstleistungen hingewiesen. Während erstere in der deutschlandweiten Presse, die sich an einen breiten Rezipientenkreis richtete, gedruckt werden konnten (was auch häufig geschah), publizierten Dienstleister ihre Kleinanzeigen in der Lokalpresse, da ihre Tätigkeit mit einem konkreten Ort verbunden war (z. B. Firmensitz, Lieferkreis usw.) In dem von uns besprochenen Zeitraum gab es aber fast gar keine Lokalpresse, was sich auf die Komplexität des Lizenzsystems und den Papiermangel zurückführen lässt. Es reicht, daran zu erinnern, dass 1928 (dem letzten Jahr vor der Weltwirtschaftskrise) in Berlin 147 Zeitungen erschienen, während es gegen Ende 1947 gerade einmal 23 waren (Berlin in Zahlen 1946-1947, S. 369). Infolgedessen haben wir Dienstleistungsanzeigen vor allem in Kinoprogrammen, Broschüren lokaler Ämter usw. gefunden.

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Die schlechten Sanitärbedingungen und der Mangel an Leitungswasser, Bädern und Waschmitteln führten allerdings dazu, dass der Hygienestandard auf den des 19. Jahrhunderts sank. 1947 noch warb der Hersteller des Körperpuders Jeho etwa in einer die erwähnte Vasenol-Werbung vorwegnehmenden Ästhetik: »Pudern als Badersatz … Erproben Sie einmal die erfrischende Wirkung des Körperpuderns, wenn sich das gewohnte Bad heute nicht so regelmäßig einrichten läßt. Sie werden überrascht sein.« Was den Menschen damals eine (wohl mehr schlechte als rechte) Notlösung war, war aus hygienischer Sicht insofern problematisch, als das Pudern oder Eincremen eines unsauberen Körpers keine Bakterien abwusch, sondern nur eine Illusion von Frische darstellte. Das Versprechen von Sauberkeit und Gesundheit konnte so nicht eingelöst werden. In seiner Studie über die Hygienesitten der Aristokraten im Frankreich des 17. Jahrhunderts konstatierte Georges Vigarello, dass das Fehlen von Puder »ein Zeichen von Unschicklichkeit (von ›Unsauberkeit‹)«69 gewesen sei. Dies war sowohl mit einem visuellen wie olfaktorischen Eindruck verbunden, da das aromatisierte Puder, so Vigarello, auch als Parfüm diente. Eine Sauberkeit, die auf einem Abwaschen von Bakterien beruhte, ist erst eine Praktik des 20. Jahrhunderts.70 An diese Konzeption knüpften zahlreiche Hersteller von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre an – die zu Anfang des Kapitels besprochene Reklame von Sagrotan ist ein gutes Beispiel dafür. Bevor wir allerdings einige Werbeanzeigen für Reinigungsmittel näher betrachten, möchten wir auf die Bedingungen eingehen, unter denen viele Einwohner Nachkriegsdeutschlands leben mussten. Zeichnungen sauberer Wohnungen, putzender Frauen und in ordentlichen Zimmern spielender Kinder müssen im Kontext der Realität gesehen werden, die sie umgab. Die durchschnittliche Personenzahl in einer nutzfähigen Wohnung (Zimmer wie Küche eingeschlossen) betrug laut Nachkriegsstatistiken in nordrhein-westfälischen Städten 1,1 bis 2,8 Personen71 – in Berlin verhielt es sich ähnlich.72 Es fanden sich allerdings auch andere Gegebenheiten, wie sie der Reporter Stig Dagerman beschrieb:

69 | Vigarello, Georges: Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, übers. v. Linda Gränz, Frankfurt a. M.: Campus 1988, S. 104. 70 | Ebd., S. 239 ff. 71 | H.-U. Sons: Gesundheitspolitik während der Besatzungszeit, S. 87. 72 | Berlin in Zahlen 1946-1947, S. 178; Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 398 Familien, Berlin: Weidmann 1948, S. 40.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder Rauch, Kälte und Hunger sind in diesem Keller, und die Kinder, die völlig bekleidet geschlafen haben, gehen hinein ins Wasser, das ihnen fast bis zum Schaft der löchrigen Schuhe reicht, durch den dunklen Kellergang, wo Leute schlafen, die dunkle Treppe hi­ nauf, wo Leute schlafen, hinaus in den kalten, feuchten, deutschen Herbst.73

In derselben Zeit notierte der für die Times arbeitende Reporter Victor Gollancz: Sie führten mich in einige Kellerwohnungen. Wir stiegen zwei lange Treppen zu einigen fürchterlichen Zimmern hinunter. Selbstverständlich gab es dort kein Tageslicht und keinerlei Lüftung. Die Räume, die erst kürzlich vier Wochen lang unter Wasser gestanden hatten, wurden von zwei Frauen und fünf Kindern bewohnt, zwei verschiedenen Familien. Jeder Zoll Raum war mit Möbeln und Betten – zwei übereinander – vollgestopft. Als Klosett diente ein Kübel. Ich wagte mich in einen feuchten, unbenutzten Raum, der mit einem Vorhang abgeschlossen war. Der Geruch war so entsetzlich, daß ich auf dem Heimweg unentwegt Pastillen lutschen mußte. Eine der Frauen war schwanger. […] Wir gingen Keller für Keller durch […].74

Mochten Dagerman und Gollancz zwar Extremfälle beschreiben wie die Keller, die ihnen die Besatzungsmächte zum Beleg für den Sieg über Deutschland zeigten, so muss daran erinnert werden, dass in den meisten Städten die Anzahl an nutzbaren Wohnungen stark gesunken war (was zu einer Überbelegung der ohnehin schon oft zerstörten Unterkünfte führte). Im Allgemeinen gab es keinen Zugang zu Leitungswasser, Badezimmer waren eine Seltenheit, die Toiletten befanden sich im Hof, und in den Küchen, die vornehmlich als Wohnräumlichkeiten fungierten, gab es keine entsprechenden Möglichkeiten zur Aufbewahrung und Zubereitung von Lebensmitteln. Gleichzeitig zeigte eine der Tafeln der Ausstellung Volkskrankheiten (1947) des Dresdner Hygiene-Museums beispielsweise eine ordentliche Wohnung mit Balkon, in der eine in Schürze und Kopftuch gekleidete Frau aufräumt und der Mann sich erholt (vgl. Abb. 2.12). Neben der Prophylaxe gegen Tuberkulose erfüllt das Bild zugleich das »Normalisierungsziel« – es zeigt die saubere Wohnung eines anständigen Ehepaares (hier sei auf solche Details wie die intakten Fensterscheiben, eine Nähmaschine im Hintergrund und Blumen auf dem Balkon hingewiesen). Er liest 73 | Dagerman, Stig: Deutschland, Herbst 1946, in: Hans Magnus Enzensberger (Hg.), Europa in Ruinen. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944-1948, München: dtv 1995, S. 196-239, hier S. 198. 74 | V. Gollancz: In Darkest Germany, S. 77; hier in der deutschen Übersetzung eines Ausschnitts aus dem Vorwort seines Buches in der Sammlung: Gollancz, Victor: Im dunkelsten Deutschland, in: ders.: Stimme aus dem Chaos, übers. v. Werner Buhre, Adolf Hatfeld u. Günter Wagner, hg. v. Julius Braunthal, Nürnberg: Nest 1948, S. 213-241, hier S. 233.

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Abbildung 2.12: Tafel aus der Ausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1947.

Quelle: Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Inv.nr. 2014  /   9 48.58.

die Zeitung, sie räumt die Wohnung auf, wobei sie immer noch auf ihr Äußeres achtet (sie trägt Stöckelschuhe). Der Appell »Sauberkeit, Licht und Luft« als Schutz vor Tuberkulose kontrastiert mit den Beschreibungen der Kellerwohnungen von Dagerman und Gollancz. Der Hinweis, niemals trocken zu fegen oder Staub aufzuwirbeln, leitet sich aus der Überzeugung ab, dass die Stäbchenbakterien der Tuberkulose im Staub zu finden seien.75 Die Hersteller von Reinigungsmitteln nutzten die fatale Sanitärlage und die hohe Infektionsrate, um ihre Rückkehr auf den Markt anzukündigen. Auf den Bedarf solcher Produkte bezogen sich zahlreiche Werbeanzeigen, selbst wenn die einzige Waschsubstanz ohnehin Wasser war und Seife für besondere Gelegenheiten aufgespart wurde. »Mit Hahn gesunde Sauberkeit. Das ist die Forderung der Zeit«, verkündete ein Slogan der Firma Hahn. Die Reklame, die zeitgleich in der Frau von heute (sowjetische Besatzungszone) und der Sie (amerikanische Besatzungszone) abgedruckt worden war, 75 | Vgl. G. Vigarello: Histoire des pratiques de santé, S. 287.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

Abbildung 2.13: Reklame für das Waschpulver Hahn.

Quelle: Sie (1946), Nr. 18, S. 6.

stellt zwei Frauen bei der Wäsche dar. Das Wort »gesund« bezieht sich in erster Linie auf die epidemiologische Lage, und der zweite Satz suggeriert, dass die Gesundheit und Sauberkeit in dieser Zeit wichtiger sind als sonst. So wie im Fall der Sagrotan-Werbung richtet sich auch hier die Forderung nach Sauberkeit vor allem an Frauen. Liest man die Botschaft der Werbeanzeige direkt, so stellt sich das Reinigen (einschließlich der Desinfektion), das Wäschewaschen, Waschen und die Sorge um die Gesundheit und Hygiene der Kinder als Domäne der Frauen dar. Auf einer symbolischen Ebene lohnt es allerdings, die Frage zu stellen, ob die Reinheit der Frauen nicht stärker eingefordert wurde als die Reinheit der Männer? Auf dieses bereits seit Jahrhunderten präsente Problem – beispielsweise hinsichtlich der »Schande« des Menstruationsblutes76 – werden wir im Kapitel über die Darstellung und Symbolik von Geschlechtskrankheiten zurückkehren. Auf das mit Scham behaftete Problem des Schmutzes, mangelnder Frische oder unangenehmer Gerüche bezieht sich die Werbeanzeige des Deodorants Trimed (vgl. Abb. 2.14). Bemerkenswert ist wiederum die Tatsache, dass sich das Reinlichkeitsgebot im visuellen Raum an Frauen richtet. Der gesamte Körper der Frauen muss rein sein, wohingegen sich visuelle Repräsentationen der männlichen Hygiene auf die Rasur begrenzen – aus dieser Tatsache rühren auch die mannigfaltigen Reklamen für Rasierschaum, -wasser oder -klingen her (siehe hierzu Kapitel I). Ein Bart oder gar ein Schnurrbart war damals nicht nur unmodisch, sondern galt – der Ikonografie des Rasierens zufolge – als 76 | M. Douglas: Reinheit und Gefährdung, S. 160.

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Anzeichen der Vernachlässigung. Selbst die Heimkehrer wurden hauptsächlich mit glatt rasierter Haut dargestellt. Eine Ausnahme von dieser Regel ist der Protagonist des Spielfilmes Irgendwo in Berlin (1946, Regie: Gerhard Lamprecht, sowjetische Besatzungszone), der in der Szene der Rückkehr (und in keiner anderen) einen Dreitagebart trägt. Abbildungen 2.14 und 2.15: Reklame für das Deodorant Trimed (links). Reklame für Damenbinden der Marke Camelia.

Quelle: Sie (1946), Nr. 31, S. 12 (links). Filmpost Magazin (1948), Nr. 6, S. 41.

Im vorherigen Kapitel signalisierten wir schon, dass das Thema der Menstruation nicht umgangen wurde, was allerdings nichts Neues war. Werbeanzeigen für Damenbinden der Marke Camelia wurden bereits in den 1930er Jahren gedruckt und u. a. im Völkischen Beobachter publiziert.77 Ende 1947 kehrten sie in die deutsche Presse zurück, nicht in Tageszeitungen, sondern in Illustrierte und Frauenzeitschriften. Die Kontinuität des Produktes unterstrich der Slogan: 77 | In diesem Fall berufen wir uns auf die Ausgabe vom 29. Januar 1937. Mehr dazu: A. Schug: »Deutsche« Kultur und Werbung.

II.  Infektionskrankheiten: Läuse, Penicillin und Waschpuder

»Gepflegte Frauen wissen die Vorzüge der neuzeitlichen ›Camelia‹-Hygiene zu schätzen und vertrauen darum heute ebenso wie früher auf Camelia, die ideale Reform-Damenbinde.« Der Marktführer im Reinigungsmittelgeschäft – die Firma Henkel – verwies ebenfalls auf seine lange Unternehmenstradition. Eine Reklameanzeige präsentierte Etiketten gut bekannter Standardprodukte aus den Vorkriegsjahren sowie ein Bild der unzerstörten Fabrik im sächsisch-anhaltischen Genthin, wo das ostdeutsche Pendant zu Persil produziert wurde. Mit einem Bezug auf dieses Bild sowie auf Produkte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzeugte Henkel bei seinen Konsumenten ein Gefühl von Kontinuität. Erst ein Jahr nach dem Abdruck dieser Reklame (unser Beispiel stammt aus einer Ausgabe von 1948 der Zeitschrift Die Frau von heute, dem Organ des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone) wurde die Fabrik in VEB Waschmittelwerk Genthin umbenannt. Abbildung 2.16: Reklame für Reinigungsmittel der Marke Henkel.

Quelle: Die Frau von heute (1948), Nr. 15-16, S. 31.

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G esundheit durch A ufkl ärungstr aditionen und K ommerz Die Präsenz des Hygienediskurses in verschiedenen medialen Räumen – von Wochenschauen und Propagandaplakaten der Besatzungsmächte bis hin zu Werbeanzeigen – zeugt von der Bedeutung des Themas im Deutschland der Nachkriegszeit. Gleichzeitig trafen diese Botschaften auf einen deutschen Hygienediskurs, der auf eine langjährige Tradition bis ins 19. Jahrhundert zurückblicken konnte und der in der Zwischenkriegszeit noch einmal intensiviert wurde. Letztendlich haben wir keine Quellen gefunden, die davon zeugen würden, dass die deutsche Bevölkerung negativ auf die ihr auferlegten Hygienepraktiken reagiert hätte. Die Abwesenheit solcher Signale deuten wir als Beleg dafür, dass die Filme und Plakate über Infektionskrankheiten, mit Sauberkeitsappellen, Aufforderungen zur Desinfektion usw. als etwas vollkommen Normales betrachtet wurden und keine Kontroverse hervorriefen – selbst wenn sie von den Besatzungsmächten stammten. Interessant ist hingegen, dass sich die Praktiken von Wissenserwerb und -vermittlung in den westlichen und in der sowjetischen Besatzungszone unterschieden. Noch einmal sei ein wesentlicher Unterschied hervorgehoben: Nutzte man in den westlichen (insbesondere in der amerikanischen und britischen) Besatzungszonen hauptsächlich Textbotschaften, war das grundlegende Medium in der sowjetischen Besatzungszone das Bild. Tatsächlich gab es zwar sowohl in der Welt im Film als auch im Augenzeugen sporadische Beiträge zu epidemischen Bedrohungen, doch bediente man sich in den westlichen Besatzungszonen hauptsächlich schriftlicher Mitteilungen auf Anschlagtafeln oder Litfaßsäulen. In der sowjetischen Besatzungszone hingegen waren viele illustrierte Plakate, Broschüren und Flugblätter zu sehen, und in vielen Städten konnte man die Ausstellung Volkskrankheiten und ihre Folgen (ganz oder in Teilen) besuchen. Auf der Grundlage der verfügbaren Statistiken zu den Infektionsraten fällt es allerdings schwer, Schlüsse in Bezug auf die Wirkung einzelner Aufklärungsmaßnahmen zu ziehen. Im kommerziellen Bereich dagegen waren die Unterschiede nicht so deutlich. Reklamen für Reinigungsmittel, die »Gesundheit« und »Schutz vor Krankheiten« versprachen, waren sowohl in der westlichen als auch in der sow­jetischen Besatzungszone anzutreffen. Das Bedürfnis nach »Reinheit« gab es hier wie dort. Und obgleich die Hersteller von Reinigungsprodukten dieses Bedürfnis mit der Angst vor Infektionskrankheiten zu steigern versuchten, scheint es, dass die Hygienetraditionen eine ebenso wesentliche Rolle wie die damalige sanitäre Situation spielten. Die Mehrheit der Marken berief sich in ihren Werbeanzeigen nicht nur auf eine imminente epidemische Bedrohung, sondern auch (oder vor allem) auf ihre eigene Firmengeschichte und die Tatsache, dass sie bereits vor 1945 existiert hatten.

Abbildung 3.1: Plakat zu den Folgen von Geschlechtskrankheiten, 1946, sowjetische Besatzungszone.

Quelle: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-025-016.

III. Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

Die Prophylaxe von Geschlechtskrankheiten ist ein höchst interessantes Feld bei der Erforschung visueller Normalisierungspraktiken im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die wichtigsten Mechanismen der Aufklärungs­ maßnahmen lassen sich am Beispiel eines Bildes nachvollziehen, das 1946 in den Städten der sowjetischen Besatzungszone plakatiert wurde. Plakate wie dieses wurden in einer Auflage von bis zu 100.000 Exemplaren gedruckt1; zudem wurde dasselbe Motiv im Postkartenformat vervielfältigt.2 Im Vordergrund sieht man einen kranken Mann, über den sich ein Arzt beugt – man erkennt den Arzt an der typischen Gestalt mit Brille und nach hinten gekämmten Haaren. Beide Figuren scheinen sich im Schatten oder im Dunkeln aufzuhalten. Im Hintergrund sieht man eine glückliche Familie im gleißenden Licht (der Vater ist unschwer als Familienoberhaupt zu erkennen). Das Bild soll Hoffnung machen: »Jede Geschlechtskrankheit ist heilbar!« Die Eltern und Kinder machen einen wohlgenährten Eindruck, das Mädchen hält eine Puppe in der Hand, was auf einen Wohlstand schließen lässt, wie ihn die Mehrheit der Deutschen 1946 nicht kannte. Der kranke Mann ist nicht der gleiche wie der Familienvater – stattdessen scheint es, dass wir es mit zwei verschiedenen Situationen zu tun haben: Diejenigen, die an Geschlechtskrankheiten leiden, da sie sich auf flüchtige sexuelle Bekanntschaften einlassen, erfahren nicht ein solches Glück wie diejenigen, die ihrer Frau treu bleiben. Die Komposition des Plakats, insbesondere die der in gleißendes Licht gehüllten Familie, erinnert an Darstellungen der Dreifaltigkeit und knüpft an die biblische Ikonografie an. Einerseits korrespondiert dies mit der Tatsache, dass die unmittelbare Nachkriegszeit eine Zeit religiöser Erneuerung in Deutschland war, in der zahlreiche christliche Bezüge im öffentlichen Raum auf die

1 | Seuchenbekämpfung und Bekämpfung von Volkskrankheiten durch propagandistische Mittel (in Zahlen), BA SAPMO DQ1 / 957, Bl. 91. 2 | DHM, Sign. DG 56 /  2696a.

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Bilder der Normalisierung

moralische Krise Antwort geben sollten.3 Andererseits werden Fragen im Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr im religiösen Kontext in den Kategorien von Schuld und Sünde gesehen. Die Syphilis oder die Gonorrhö scheinen die Strafe für Morallosigkeit und das verdiente Leiden des Kranken zu sein. Diese Deutung entspricht außerdem der universellen, anthropologischen Erklärung von Krankheiten, wie Mary Douglas sie formuliert: »Es mag also so aussehen, als ob in einer Kultur mit vielfältigen Ansteckungs- und Reinigungsvorstellungen das Individuum im Griff stahlharter Denkkategorien sei, die durch Meidungsvorschriften und Strafen allseits abgesichert sind.«4 Der Propagandakampf gegen Geschlechtskrankheiten lässt sich, wie wir uns in diesem Kapitel überzeugen werden, hauptsächlich auf die Informationen zurückführen, was bzw. wer zu meiden ist und welche Strafe dem jeweiligen Individuum droht, wenn es der Versuchung erliegt. Der auf dieser Grundlage sich abzeichnende moralische Verhaltenskodex belohnte das Leben in einer traditionellen Familie, strafte aber alle vom konservativen Modell abweichenden Verhaltensweisen. Ferner trug der Kampf gegen Geschlechtskrankheiten auf zweierlei Weise zum Auf bau einer »Nachkriegsnormalität« bei: Er zielte in medizinischer Hinsicht auf die Gesundung der Bevölkerung ab und schuf präferierte Modelle für das Familienleben.

D ie epidemiologische L age Die Zunahme von Geschlechtskrankheiten nach dem Krieg war weder ein ausschließlich deutsches Problem (unten kommen wir auch kurz auf die Lage in Polen zu sprechen) noch beschränkte es sich auf den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg. Ähnliche Phänomene ließen sich auch zu anderen Zeiten nach der Beendigung von Kriegshandlungen beobachten; für das 20. Jahrhundert ist die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zu nennen (Plakate der damaligen Vorsorgekampagnen – wenn auch eher nichtssagend illustriert – waren beispielsweise in der Ausstellung zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs im Deutschen Historischen Museum zu sehen). Die unten angeführten epidemiologischen Daten gilt es daher in einem größeren Zusammenhang zu betrachten: Mit Sicherheit hatte die Infektionsrate unmittelbar nach 1945 bedeutend zugenommen – doch weder vor dem historischen Hintergrund noch im Vergleich zu anderen Ländern im Nachkriegseuropa war dies etwas Beson3 | Vgl. Eberan, Barbro: Luther? Friedrich »der Große«? Wagner? Nietzsche? Wer war an Hitler schuld? Die Debatte um die Schuldfrage 1945-1949, München: Minerva 1983, S. 47. 4 | Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, übers. v. Brigitte Luchesi, Berlin: Dietrich Reimer 1985, S. 17.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

deres. Neben der Tuberkulose gehörten die Geschlechtskrankheiten zu der Gruppe von Krankheiten, die sich kurz nach Kriegsende nur schwer eindämmen ließen. Den Aufklärungsmaßnahmen in der damaligen Ikonosphäre widmen wir viel Raum, da sie eine interessante Möglichkeit zur Reflexion über die visuelle Normalisierungspolitik darstellen. Sie riefen nicht nur zu Sauberkeit und Hygiene auf, sondern bezogen sich auch auf moralische Fragen, indem sie die Vorstellungen von einem »richtigen« Sexual- und Familienleben prägten. Tabelle 3.1: Häufigkeit des Vorkommens der Gonorrhö und Syphilis in den Jahren 1946 bis 1949. Anzahl von Krankheitsfällen auf 10.000 Einwohner. Gonorrhö

Syphilis

insgesamt

1946 SBZ

30,5

14,7

45,2

1947 SBZ

22,0

30,3

52,3

1948 SBZ

13,0

18,5

31,5

1949 SBZ

8,6

16,5

25,1

1946 West

51,7

20,4

72,1

1947 West

40,1

25,3

65,4

1948 West

28,8

21,4

50,2

1949 West

21,4

13,4

34,8

1946 Berlin

103,5

40,3

143,8

1947 Berlin

57,1

27,6

84,7

1948 Berlin

47,6

24,4

72,0

1949 Berlin

42,3

14,5

56,8

Diese Angaben stammen aus oder wurden auf der Grundlage folgender Publikationen berechnet: Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1948-1949, Berlin: o. V. o. J.; World Health Organisation (Hg.), Epidemiological and Vital Statistics Report, o. O. 19495; Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1954, Stuttgart /  K öln: Kohlhammer 1955; Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, Berlin: VEB 1957; Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938, Berlin 1939. Im Falle der Publikationen aus den 1950er Jahren wurden Referenzdaten herangezogen, anhand derer sich die Entwicklung der Krankheiten in den früheren Jahren aufzeigen lassen.

5 | NARA RG 260 / O MGUS, Shipment 5, Box 333-2, Folder 2 (Kopie aus dem Bundesarchiv Koblenz: BA Z45 /   F 5  /   3 33-2 /   2).

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Bereits der Vergleich der obigen Daten mit der Statistik anderer Infektionskrankheiten (vgl. Kapitel II) veranschaulicht die Dimension des Problems. Insbesondere in den westlichen Besatzungszonen und in Berlin wurden mehr Syphilis- und Gonorrhö- als Diphtherie- oder Typhus-Infektionen registriert. Paradoxerweise war das Problem der übrigen Infektionskrankheiten aus Sicht der Alliierten geringer, da die Soldaten gesund, wohlgenährt und überwiegend geimpft nach Deutschland kamen. Im Falle von Syphilis und Gonorrhö allerdings stellte ein guter Gesundheitszustand keinen Schutz dar (man kann auch die These riskieren, dass das Gegenteil der Fall war – starke und leistungsfähige Männer waren umso attraktiver); zudem gab es keinen Impfschutz. So wie im Falle anderer Infektionskrankheiten lohnt es sich auch hier, die obigen Daten mit der Lage in anderen Ländern zu vergleichen – etwa mit der in Polen, wo man nach dem Krieg ebenfalls eine epidemische Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten verzeichnete. 1945 berichtete man, dass zehn Prozent der Bevölkerung an Geschlechtskrankheiten litt, doch ist diese Zahl als deutlich zu hoch einzustufen. In vorsichtigen Angaben werden 50 bis 200 Syphilisoder Gonorrhö-Fälle auf 10.000 Personen genannt6, was ein erheblich größerer Prozentsatz ist als zur selben Zeit in Deutschland. Trotz ähnlich schlechter Lebensbedingungen und ebenso großer Migrationsbewegungen muss auf zwei fundamentale Unterschiede zwischen beiden Ländern hingewiesen werden: In Polen betraf der Krieg verschiedene Gesellschaftsschichten und – da es keine reguläre Armee gab – beide Geschlechter beinahe gleichermaßen, was zu einem etwas geringeren »Frauenüberschuss« als in der deutschen Bevölkerung führte 7; zudem war Polen nicht von militärischen Einheiten der westlichen Alliierten besetzt. Da die Soldaten der Roten Armee allgemein Furcht und Schrecken verbreiteten, begrenzte sich der Kontakt mit ihnen auf ein Minimum.8 Es kam »überall, wo sowjetische Einheiten auftauchten […] zu Beschlagnahmen, Raub und Diebstahl, Vergewaltigungen und selbst Morden.«9 Im Vergleich zu 6 | Vgl. Barański, Piotr: Walka z chorobami wenerycznymi w Polsce w latach 19481949, in: Marcin Kula (Hg.), Kłopoty z seksem w PRL. Rodzenie nie całkiem po ludzku, aborcja, choroby, odmienności, Warszawa: Wydawnictwo Uniwersytetu Warszawskiego 2012, S. 11-98, hier 21 ff. 7 | Bei genauerer Betrachtung lassen sich schwer allgemeine Thesen über den »Frauenüberschuss« in Deutschland und Polen formulieren, da die Lage sehr von der Altersgruppe und vom Wohnort (Stadt /  L and) abhängig war. Nach dem Zensus von 1946 fielen in Polen durchschnittlich 118 Frauen auf 100 Männer – in Großstädten war die Diskrepanz gewöhnlich größer. Vgl. Główny Urząd Statystyczny (Hg.), Powszechny Sumaryczny Spis Ludności z dn. 14.02.1946, Warszawa: Główny Urząd Statystyczny 1947, S. 1. 8 | Vgl. Zaremba, Marcin: Die große Angst. Polen 1944-1947. Leben im Ausnahmezustand, übers. v. Sandra Ewers, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, S. 117-122. 9 | Ebd., S. 119 f.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

Forschungen über die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone ist immer noch sehr wenig über die Situation in Polen nach dem Krieg bekannt. In Bezug auf die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten regen die oben dargestellten Unterschiede zu Überlegungen an. Da nämlich in Polen von Syphilis und Gonorrhö trotz des eingeschränkten Kontakts der Zivilbevölkerung mit den fremden Soldaten genauso viele oder sogar noch mehr Menschen als in Deutschland betroffen waren, gilt es abzuwägen, ob der Kausalzusammenhang zwischen diesen Epidemien und der Präsenz alliierter Soldaten an Rhein und Elbe tatsächlich so stark ist wie allgemein angenommen. Es scheint, als würden wir vorschnell die Sichtweise der amerikanischen Militärregierung übernehmen, die ein Fraternisierungsverbot einführte, um die eigenen Soldaten zu schützen. Aus den verfügbaren Statistiken geht hervor, dass die Mehrheit der an Gonorrhö Erkrankten deutsche Männer waren – obgleich sich diese Daten nur auf die gemeldeten Fälle beziehen und die Krankheitssymptome von Gonorrhö die Männer zu einem schnelleren Arztbesuch zwangen.10 Im Falle der Syphilis waren die Proportionen zwar umgekehrt, dennoch wurden in den Jahren 1946 bis 1948 zwischen 18 und 23 von 10.000 deutschen Männern in den westlichen Besatzungszonen positiv getestet.11 Mit Sicherheit hatte sich ein Teil von ihnen während des Krieges angesteckt12, der Rest hingegen infizierte sich wahrscheinlich nach der Heimkehr bei seinen Partnerinnen. Mit anderen Worten waren vor allem sexuelle Kontakte innerhalb der deutschen Bevölkerung für eine Verbreitung der Geschlechtskrankheiten verantwortlich. Das Kriegsende bedeutete nämlich nicht nur Hunger und fehlende Unterkünfte, sondern auch die Wiederaufnahme intensiver gesellschaftlicher Kontakte, ein Nachholen von Vergnügungen und last but not least die Verbreitung von Prostitution, an der sich nicht nur die alliierten Soldaten, sondern auch der männliche Teil der deutschen Bevölkerung erfreuten. In einem internen OMGUS-Bericht über Prostitution und Geschlechtskrankheiten in Deutschland heißt es:

10 | Smith, Barbara: The Rules of Engagement. German Women and British Occupiers 1945-1949 (= Theses and Dissertations (Comprehensive), Paper 1072, Waterloo 2009, http://scholars.wlu.ca/cgi/viewcontent.cgi?article=2071&context=etd (18.03.2016), S. 174. 11 | Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1954, S. 77. Die Angaben aus den Jahren 1946-1953 sind Referenzdaten. 12 | Vgl. u. a. zu sexuellen Kontakten zwischen deutschen Soldaten und polnischen Frauen während des Zweiten Weltkrieges: Röger, Maren: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt a. M.: Fischer 2015.

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Bilder der Normalisierung Die Militärregierung bemühte sich, die Prostitution zum Schutz der eigenen Bevölkerung zu kontrollieren, ignorierte dabei aber die deutsche Bevölkerung in dem naiven Glauben, dass der Brunnen kontaminiert bleiben kann, solange der Eimer gereinigt wird, mit dem man daraus schöpft. Das Ärgerliche dabei ist, dass niemand neue Ideen zu haben scheint. Wir mühen uns ab, Prostitution und Geschlechtskrankheiten mit den gleichen alten Gesetzen, Regeln und Regulierungen zu bekämpfen, die auch zu Hause nie gewirkt haben.13

Ein Sachverständiger von der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone berichtete allerdings schon im September 1946: So entstanden in allen Stadt- und Landkreisen in grosser Zahl öffentliche Behandlungsstellen für Geschlechtskranke, jetzt kurz Ambulatorien genannt. […] Darüber hinaus ist der Leiter des Ambulatoriums in seinem Betreuungsbereich für die planmässige Durchführung einer breit angelegten Volksbelehrung über Wesen und Gefahren der Geschlechtskrankheiten sowie deren Heilbarkeit und Vermeidbarkeit verantwortlich. Merkblatt- und Plakataufführung, Presse, Film und Rundfunk sowie öffentliche Vorträge sind die Mittel in dieser Aufklärungsaktion.14

Beide Berichte veranschaulichen die Unterschiede zwischen der Herangehensweise in den westlichen Besatzungszonen und der Strategie in der sowjetischen Besatzungszone: Waren die westlichen Alliierten am Schutz ihrer Soldaten interessiert (insbesondere die Amerikaner; die Strategie der Briten fiel – wenn auch auf die Prostitutionsbekämpfung konzentriert  – etwas differenzierter aus15), so organisierte man in der sowjetischen Besatzungszone Aufklärungsmaßnahmen für die gesamte Bevölkerung. Dieser Unterschied führte dazu, dass die Erziehungsmaßnahmen der verschiedenen Besatzungszonen schwer miteinander zu vergleichen sind. Aus diesem Grund und im Unterschied zu den übrigen Kapiteln haben wir uns entschieden, Bilder von Geschlechtskrankheiten, die in West- und Ostdeutschland verbreitet wurden, separat zu analysieren. Die verschiedenen Aufklärungsansätze lassen sich sowohl auf ideologische Botschaften zurückführen (die kapitalistische Sorge um das Wohl des Ein13 | Control of Venereal Diseases, EUCOM Circular No. 55, NARA RG 260 / O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46 (Kopie aus dem Bundesarchiv Koblenz: BA Z45 /   F15  /  115-2  /  4 6). (Übers. d. Verf.) 14 | Dr. Teller, die wichtigsten Massnahmen im Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten, in: Informationen über Gesundheitswesen, Gesundheitspolitik und Erziehung zur Volkshygiene, September 1946, BA SAPMO DQ1 /  957, Bl. 2. 15 | B. Smith: The Rules of Engagement, S. 155 ff.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

zelnen steht dem kommunistischen Schutz der Gemeinschaft gegenüber) als auch – und vor allem – auf unterschiedliche sexualwissenschaftliche Praktiken in beiden Teilen Deutschlands. In allen Zonen kam es zu sexuellen Kontakten zwischen deutschen Frauen und Soldaten16, doch der Umgang der Alliierten Militärregierungen mit diesem Problem unterschied sich voneinander. In Bezug auf alle Besatzungszonen lohnt es jedoch zu fragen, inwiefern die Verhältnisse zwischen Frauen, denen die Mittel zum Leben fehlten, und Soldaten, die ihnen Geld, Essen oder Kleidung boten, tatsächlich freiwillig waren und welche Schicksale diese Beziehungen prägten. Diese Themen werden ausführlich von Silke Satjukow und Rainer Gries in ihrer Studie über »Besatzungskinder« besprochen. Gleichzeitig waren sowohl in der sowjetischen Besatzungszone (was gut bekannt ist) als auch in den westlichen Besatzungszonen Vergewaltigungen ein Problem17, durch die zudem eine Verbreitung von Geschlechtskrankheiten begünstigt wurde. Die Militärführung verbot den Soldaten der Roten Armee den Kontakt mit deutschen Frauen; restriktiv wurden auch Deutsche behandelt, die es zu solchen Verhältnissen kommen ließen: »Die SMAD [Sowjetische Militäradministration Deutschlands] war dann besonders tatkräftig, wenn es um die medizinische Zwangsbehandlung, Bestrafung und, 1948 schließlich, Inhaftierung derer ging, die wissentlich einen Soldaten der Roten Armee infiziert hatten. Das ging nur mit Ärzten, die die infizierten Patienten namentlich meldeten.«18 Der Unterschied zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Strategie lässt sich treffend mit den Worten Norman Naimarks beschreiben: »Als der Bann der Fraternisierung im Westen gerade gelockert wurde, wurde er im Osten verhängt.«19 Infolgedessen richteten sich die Warnungen vor Geschlechtskrankheiten in den westlichen Besatzungszonen an die alliierten Soldaten, während sie in der sowjetischen Besatzungszone vor allem die Zivilbevölkerung erreichen sollten. Dies lässt sich auch an der Wahl der Sprache erken16 | Gries, Rainer /  S atjukow, Silke: »Bankerte!« Besatzungskinder in Deutschland nach 1945, Campus Verlag: Frankfurt a. M. /  N ew York 2015, S. 23-46. 17 | Vgl. Ebd. 18 | Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton / O xford: Princeton University Press 2007, S. 27. (Übers. d. Verf.) 19 | Naimark, Norman M.: About the »Russians« and About Us. The Question of Rape and Soviet-German Relations in the Soviet Zone of Occupation, in: The National Council for Eurasian and East European Research, Washington 1991, S. 4. [Projektbeschreibung]. (Übers. d. Verf.) Mehr dazu: in ders.: The Russians in Germany. The History of the Soviet Zone of Occupation 1945-1949, Cambridge: Harvard University Press 1995, S. 69-140; Grossmann, Atina: A Question of Silence: The Rape of German Women by Occupation Soldiers, in: October 72 (1995), S. 42-63.

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Bilder der Normalisierung

nen: So waren die Warnungen des Public Health Branch vorwiegend auf Englisch verfasst, die der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen hingegen auf Deutsch. Wie im Falle der Kampagnen gegen andere Infektionskrankheiten kommen auch bei den Geschlechtskrankheiten die meisten Bilder aus der sowjetischen Besatzungszone, da die westlichen Besatzungsmächte seltener visuelles Material nutzten. Der methodologischen Schwierigkeiten, die daraus hervorgehen, sind wir uns bewusst; so stellt sich etwa die Frage, wie kurze Dokumentarfilme, von denen nur eine Handvoll Kopien existierte, mit Plakaten in einer Auflagenzahl von über hunderttausend Exemplaren oder mit Spielfilmen zu vergleichen sind. Und doch haben wir uns dafür entschieden, den Großteil der gesammelten Bilder zu besprechen, wobei wir Ähnlichkeiten und Unterschiede der angewandten visuellen Poetiken und Argumentationsstrategien berücksichtigen. Die im Folgenden analysierten Bilder sind anderen Genres zuzuordnen als die in den übrigen Kapiteln – bedeutend seltener etwa finden wir hier Reklamen oder Fotografien und Zeichnungen aus illustrierten Zeitungen. Der überwiegende Teil der Beispiele sind Materialien, die von verschiedenen Organen der Besatzungsmächte oder in ihrem Auftrag gedruckt wurden. In diesem Sinne haben wir es überwiegend mit einer politischen Ikonografie zu tun.

A ufkl ärungsmassnahmen in den westlichen B esat zungszonen 1946 beobachtete Stig Dagerman auf dem Hamburger Bahnhof, in dem sich viele britische Soldaten bei der Durchreise aufhielten: »Auf großen Plakaten warnt eine junge Frau, deren Totenschädel schwach durch die Maske des Gesichts schimmert, vor Geschlechtskrankheiten. Man muß lernen, in jeder Frau, der man begegnet, den Tod zu sehen.«20 Der Reporter hatte wahrscheinlich ein im Auftrag des Londoner Gesundheitsministeriums gedrucktes und in Großbritannien bereits 1943 ausgehängtes Plakat vor Augen. Der Autor des Plakats präsentierte in einem stilistischen Rückgriff auf bereits verfestigte Ikonografien eine Prostituierte als Allegorie für Geschlechtskrankheiten – eine ähnliche Symbolik finden wir bereits Ende des 19.  Jahrhunderts. Die bekannten Grafiken des belgischen Künstlers Félicien Rops etwa zeigen »die Prostituierte [als] Allegorie der Syphilis«, »hinter [deren] stark geschminkte[m] Gesicht und dem bereits zahnlosen Lächeln ein Gespenst und

20 | Dagerman, Stig: Deutschland, Herbst 1946, in: Hans Magnus Enzensberger (Hg.), Europa in Ruinen. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944-1948, München: dtv 1995, S. 196-239, hier S. 232.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

Abbildung 3.2: Plakat zu Geschlechts­ krankheiten, ca. 1943, Großbritannien.21

Quelle: Science Museum London, Wellcome Images, Creative Commons, CC BY 4.0.

Totenkopf«22 hervorblickt. Mit dieser Art von visuellen Schemata stellten die Briten »die deutschen Frauen als böse und gefährlich«23 dar. Barbara Smith suggeriert, dass man nach dem Krieg schrittweise auf solche Aussagen verzichtete, als man sich bewusst wurde, dass sich die Situationen während des Krieges und im besetzten Nachkriegsdeutschland wesentlich voneinander unterschieden – insbesondere im Hinblick auf die Kontakte der deutschen Zivilbevölkerung mit den britischen Soldaten.24 21 | Der Plakattext lautet: »Die leichte Freundin verbreitet Syphilis und Gonorrhö, ohne korrekte Behandlung können diese zu Blindheit, Wahnsinn, Lähmung und vorzeitigem Tod führen. Wenn Du das Risiko eingegangen bist, lass Dich umgehend ärztlich behandeln. Die Behandlung ist kostenlos und vertraulich.« 22 | Quétel, Claude: Le Mal de Naples. Histoire de la syphilis, Paris: Seghers 1986, S. 273. (Übers. d. Verf.) 23 | B. Smith: The Rules of Engagement, S. 152. (Übers. d. Verf.) 24 | Ebd.

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In der amerikanischen Besatzungszone war das Soldatenmagazin Stars and Stripes das wichtigste Medium für die Warnung vor Geschlechtskrankheiten. Es machte den Slogan »Veronika, Dankeschön« (seltener »Veronika Deutscher«) als Auflösung der Abkürzung »VD« für venereal diseases, also Geschlechtskrankheiten, bekannt. Im Geiste der erwähnten Propaganda, die den alliierten Soldaten die deutschen Frauen verleiden sollten, übertrugen die »Veronikas« nicht nur Krankheiten, sondern waren insgeheim auch Nationalsozialistinnen: Der Name »Veronika« war somit zum Schlüsselbegriff für »fraternisierende« Frauen geworden, als, unmittelbar aus diesen Sexualkontakten resultierend, ein enormer Anstieg an Geschlechtskrankheiten unter amerikanischen Soldaten zu verzeichnen war. Die Militärführung reagierte schnell auf diese Gesundheitskrise und hängte in den Militärbasen Poster mit den Fotos, Namen und Adressen infizierter Frauen auf. Um Soldaten vor der Ansteckungsgefahr zu warnen, stellte die Militärführung auch große Plakatwände auf, die eine attraktive blonde Frau in einem Trenchcoat zeigten. Auf ihrer Brust waren die Buchstaben VD für venereal disease (Geschlechtskrankheit) zu lesen. Es dauerte nicht lange, bevor die Initialen »VD« als »Veronika, Dankeschön« in einem amerikanischen Schlagerhit mit gleichem Titel verewigt wurden. 25

Neben der auf dem Plakat dargestellten Frau ist ein amerikanischer Soldat zu sehen – sowie die Aufforderung: »Think it over.« Es gibt folglich keine Zweifel, dass die Kampagne an die Armee, nicht aber an die Zivilbevölkerung gerichtet war. Das beschriebene Plakat stammt aus dem Jahr 194826, was wiederum zeigt, mit welcher Verspätung die amerikanischen Besatzungsmächte auf das Problem der Geschlechtskrankheiten reagierten. Im Juli desselben Jahres gab ein Soldat zu: »Ich hatte Pech und habe mich vor über einem Jahr mit Gonorrhö angesteckt. Seitdem wird viel stärker auf Geschlechtskrankheiten kontrolliert als zuvor.«27 In dieser Zeit unternahm die Civil Administration Division in Absprache mit der Public Health Branch Schritte in Richtung einer Änderung

25 | Höhn, Maria: Amis, Cadillacs und »Negerliebchen«. GIs im Nachkriegsdeutschland, übers. von Karolina May-Chu, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2008, S. 212 f. 26 | Constab Devises Poster Series for VD Campaign, in: The Stars and Stripes vom 13.03.1948, S. 5; vgl. auch Ranke, Winfried u. a.: Kultur, Pajoks und Care-Pakete. Eine Berliner Chronik 1945-1949, Berlin: Nishen 1990, S. 225. 27 | The Stars and Stripes vom 10.07.1948, S. 3 (Übers. d. Verf.). Zur Rolle der Stars and Stripes im Kampf mit Geschlechtskrankheiten vgl. auch Elizabeth D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make? Women and Marital Status in Nazi and Postwar Germany, Berkeley u. a.: University of California Press 2003, S. 100 f.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

des seit 1927 existierenden und 1940 überarbeiteten Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Ein wichtiges Motiv der amerikanischen Besatzungsmächte war die Reduzierung der mit der Behandlung von Geschlechtskrankheiten und dem Ausfall der Soldaten verbundenen Kosten: Um die Ansteckungen in ihren eigenen Reihen zu reduzieren, verließ sich die Militärführung auf Maßnahmen, die von »moralischer Anweisung« über das Verteilen von Kondomen, die Entziehung von Ausgangspässen bis hin zu Militärgerichten reichten. Artikel in »Star and Stripes« warnten Soldaten vor dem Kontakt mit deutschen Frauen. 28

Abbildung 3.3: Plakat zu Geschlechtskrankheiten, 1946, Offenbach.

Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Unwille der Amerikaner und Briten bezüglich der Verbreitung von Plakaten, Broschüren oder Ausstellungen, die sich explizit an die deutsche Bevölkerung richteten, aus der Tatsache herrührte, dass sich diese Strategie während der Reeducation-Kampagne als ineffek28 | E. D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make?, S. 100. (Übers. d. Verf.)

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Bilder der Normalisierung

tiv erwiesen hatte. Die massive Konfrontation der deutschen Bevölkerung mit Bildern aus den Konzentrationslagern hatte nicht die erwartete Wirkung erzielt.29 Manchmal gab es jedoch einfache Bekanntmachungen, illustriert mit simplen Zahlenangaben und Diagrammen und gedruckt auf Initiative der lokalen Verwaltungen. Das hier abgedruckte Plakat (vgl. Abb. 3.3) stammt von Juli 1946. Die Legende zum Diagramm erläutert nicht, auf welche Region sich die dargestellten Daten beziehen. Falls es die Situation in allen drei westlichen Besatzungszonen betreffen sollte, so sind die Zahlen mindestens um ein zehnfaches zu gering. Viel wahrscheinlicher ist es daher, dass es beliebige Zahlen sind, die lediglich auf illustrative Weise Objektivität suggerieren und die Rezipienten von der Ernsthaftigkeit des Problems überzeugen sollen. Bis ins Jahr 1948 beruhten, wie bereits angedeutet, die Maßnahmen gegen eine Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in der amerikanischen und teilweise in der britischen Besatzungszone hauptsächlich darauf, gegen Prostitution vorzugehen. Das war natürlich keine neue Strategie. »Seit dem 16. Jahrhundert waren sich die Herrschenden darüber im Klaren, dass Prostituierte und ihre bevorzugten Freier, das Militär, zwei Seiten derselben Medaille bei der Verbreitung der Syphilis darstellten.«30 Um dem entgegenzuwirken, wurden im 19. Jahrhundert Sanitärkontrollen von Prostituierten eingeführt.31 In Deutschland wurde dies durch das Gesetz von 1927 geregelt, das man nach dem Zweiten Weltkrieg beibehalten hatte. In Anlehnung an eben dieses Gesetz wurden im April 1946 den Prostituierten in Bayern die Lizenzen entzogen.32 Natürlich verbesserte sich dadurch die epidemische Lage keinesfalls. Die deutsche Polizei überzeugte die Amerikaner sogar von der Schädlichkeit des Verbots und der Notwendigkeit, legale Bordelle wieder einzuführen, was eine Kontrolle der Prostitution erleichtert hätte.33 Frauen, die aufgrund von Geschlechtskrankheiten in Behandlung waren, mussten eine Erklärung unterschreiben, dass sie keinen 29 | Hierzu schreiben u. a.: Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin: Akademie 1998; Knoch, Habbo: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg: Hamburger Edition 2001; Weckel, Ulrike: Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart: Steiner 2012. 30 | C. Quétel: Le Mal de Naples, S. 283. (Übers. d. Verf.) 31 | Vgl. ebd., S. 259 ff. 32 | Office of Military Government for Bavaria APO 170, NARA RG 260 / O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46. 33 | Vgl. die Korrespondenz zwischen dem Kriminalsekretär Stroheimer, Polizei Stuttgart, und dem Military Government in Stuttgart NARA RG 260 / O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46.

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Geschlechtsverkehr mit Soldaten der amerikanischen Armee haben und das Gebiet von US-Army-Einrichtungen nicht betreten würden.34 Aus Sicht der amerikanischen Armee verschlechterte sich die Lage durch die Tatsache, dass sich viele Frauen gelegentlich prostituierten, indem sie sich von Zeit zu Zeit den Soldaten im Austausch gegen etwas Essbares oder gegen Kleidung hingaben.35 Andere Frauen wiederum sahen ihre Lebensweise nicht als Prostitution – sie waren jung, hatten keine festen Partner (siehe den erwähnten Frauenüberschuss in der deutschen Nachkriegsgesellschaft) und hatten den Krieg überlebt. Sie versuchten, so intensiv wie möglich zu leben und möglichst viel Vergnügen daraus zu ziehen. Die Präsenz der alliierten Soldaten, die ebenfalls jung waren, ihre Partnerinnen hinter dem Atlantik gelassen und im Krieg gekämpft hatten, vergrößerte diese Möglichkeiten nur. In diesem Kontext gilt es die Schicksale so mancher junger Frauen zu sehen, die aufgrund ihrer Sexualität, ihres familiären Hintergrunds, ihrer Geschlechtskrankheiten, ihres Verhaltens, ihrer Mobilität und ihrer wirtschaftlichen Autonomie von Beamten als Prostituierte betrachtet wurden.36 Das Kriterium der finanziellen Entschädigung für Sex spielte hier eine verhältnismäßig kleine Rolle. Besonders schwierig war die Lage in Berlin. Donna Harsch schätzt, dass in der geteilten Hauptstadt ungefähr 100.000 Prostituierte37 arbeiteten, was sich wiederum in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Gonorrhö- und SyphilisFällen widerspiegelte (vgl. Tab. 3.1). Ähnliche Probleme traten in den Hafenstädten Hamburg und Bremen auf, den Knotenpunkten auf dem Reiseweg der britischen und amerikanischen Soldaten. Der stellvertretende Direktor des Office of Military Government for Bremen, Cpt. Charles R. Jeff, berichtete im September 1948 an die Civil Administration Division: Die aktuellen Probleme mit den Geschlechtskrankheiten haben […] unmittelbar mit der hohen Zahl von unkontrollierten Prostituierten zu tun, die in Bremen wohnen oder die Gegend besuchen. Ihre Zahl wird gegenwärtig auf 300-500 geschätzt. Der Großteil von ihnen sind Landstreicherinnen ohne Arbeit oder ständigen Wohnsitz; viele von ihnen

34 | Statement, Program Against VD in the Augsburg Military Post, NARA RG 260 /  O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46. 35 | Vgl. D. Harsch: Revenge of the Domestic, S. 27. 36 | Freund, Michaela: Frauen, Prostitution und die Kontrolle weiblicher Sexualität in Hamburg in der Nachkriegszeit, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher: Regionalkultur 2002, S. 127-142, hier S. 128. 37 | D. Harsch: Revenge of the Domestic, S. 27.

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Bilder der Normalisierung sind aus der östlichen Zone Deutschlands gekommen, andere folgen den abziehenden Truppen. 38

Angesichts solcher Informationen erachteten die Besatzungsmächte (nicht nur die amerikanische), dass ein Vorgehen gegen Prostitution das erfolgreichste Mittel im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten sei. Die Polizei organisierte regelmäßig Razzien auf den Straßen, Bahnhöfen, in Bars usw. »Festgenommene Frauen werden zu medizinischen Kontrollen in kompetente Kliniken und Krankenhäuser geschickt; positiv Getestete werden sofort zur Behandlung dabehalten und ins Strafregister des Polizeipräsidiums aufgenommen«39, versicherte Ray Ashword, Vorsitzender des Public Safety Branch. Das, was in der bürokratischen Sprache verhältnismäßig unschuldig klingt, war in Wirklichkeit eine demütigende, an Vergewaltigung erinnernde Zwangsuntersuchung tausender Frauen.40 Obwohl Männer ebenfalls Träger von Geschlechtskrankheiten waren, wurden sie solchen Prozeduren nicht unterzogen. Elizabeth D. Heinemann führt die Erinnerungen einer 23-jährigen Frau an, die aus Freude, dass die Kriegsprohibition des Tanzens aufgehoben war, mit ihrer Mutter und einer Freundin einen Klub besuchte, nur um am Abend in einer Schlange zu einer gynäkologischen Untersuchung zu landen: »Bevor wir uns umsehen konnten, stand da draußen ein Lastwagen. […] Das war richtig schrecklich; sie wurden da wie Huren behandelt.« 41

Mit der Szene einer solchen Razzia beginnt der dreizehnminütige Film Feinde im Blut des Regisseurs Hans Mohaupt (1948 / 1949, britische Besatzungszone).42 38 | Brief von Charles R. Jeffs, Deputy Director Office of Military Government for Bremen an Civil Administration Division Public Safety Branch, 22 September 1948. NARA RG 260 /  O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46. (Übers. d. Verf.) 39 | Report Combatting Prostitution, Public Safety Branch, 13 September 1948. NARA RG 260 /  O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46. (Übers. d. Verf.) 40 | Vgl. auch E. D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make?, S. 101 f. Solche Praktiken wurden bereits im England des 19.  Jahrhunderts kritisiert: »Und tatsächlich, die Abolitionisten haben ein leichtes Spiel, zu zeigen, dass die Freier der Prostituierten bislang skandalöser und absurder Weise ignoriert worden waren: ›Wem nutzt es, einige unglückliche Frauen für eine kurze Zeit einzusperren, wenn sich gleichzeitig ungehindert neue Ansteckungsherde bilden können? Solange das Gesetz die Männer völlig außen vor lässt, werden neue Ansteckungsquellen entstehen …‹« Zit. n. C. Quétel: Le Mal de Naples, S. 292 f. (Übers. d. Verf.) 41 | E. D. Heinemann: What Difference Does a Husband Make?, S. 102. 42 | Feinde im Blut, Iris Filmproduktion GmbH, Regie: Hans Mohaupt, Buch: Karl Tramm. In diesem Fall nutzen wir eine Kopie aus dem Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 2226. Die

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Es ist Abend, vor einem Gebäude fährt ein Lastwagen vor. Polizisten öffnen den Laderaum und führen eine Gruppe von Frauen heraus. Aus dem Dialog erfahren wir, dass sie in einem Lokal festgenommen worden sind. Die Frauen beklagen sich, dass ihre persönliche Freiheit eingeschränkt werde, worauf ein Polizist erwidert, dies geschehe zum Schutz vor einer schrecklichen Krankheit. Einige Ärzte unterhalten sich im Behandlungsraum darüber, dass solche Razzien zwar nichts Angenehmes, aber notwendig seien. Da derartige Razzien in der britischen Besatzungszone große Kontroversen hervorriefen43, darf die Szene als Rechtfertigung solcher Maßnahmen gedeutet werden. Szenen von analogen Ereignissen im sowjetischen Sektor Berlins finden wir in dem DEFA-Film Straßenbekanntschaft (1948, Regie: Peter Pewas).44 Heutzutage würden wir solches Verhalten als Form von Gewalt und unmenschlicher Behandlung sowie den Generalverdacht der Prostitution Frauen gegenüber als unvereinbar mit der Unschuldsannahme betrachten. Schon damals scheint es notwendig gewesen zu sein, dass die Ärzte in Feind im Blut oder in Straßenbekanntschaft dem Publikum die Unverzichtbarkeit dieser Praktiken erläuterten. Die Präsenz von Kultur- und Aufklärungsfilmen über Geschlechtskrankheiten in den Kinos stellte noch keine Sittenkritik dar. Die Filme hatten in der deutschen Kinematografie Tradition.45 Bereits im Ersten Weltkrieg entstand der vierteilige Zyklus Es werde Licht! (1916-1918) von Richard Oswald. Die ersten drei Teile (1916-1917) erläutern in einer Spielfilmrahmenhandlung die medizinischen Ursachen und Folgen einer Ansteckung mit Syphilis. In den Jahren der Weimarer Republik entstanden weitere solche Filme (u. a. Falsche Scham, 1925 / 1926, Regie: Curt Thomalla, Nicolas Kaufmann); auch mangelte es im Repertoire der UFA nach 1933 nicht an ihnen (u. a. Schleichendes Gift, 1934, Regie: Ulrich Keyser; Opfer der Vergangenheit, 1937, Regie: Gernot Bock-Stieber).46 Gab es bei Oswald noch keine Darstellungen von Nacktheit47, so waren in dem 1919 Internet-Plattform filmportal.de gibt an, dass der Film von 1948 ist, die Beschriftung auf dem Band aus dem Bundesarchiv Filmarchiv nennt hingegen das Jahr 1949. 43 | B. Smith: The Rules of Engagement, S. 170. 44 | Mehr dazu im weiteren Teil des Kapitels. 45 | Zu den Anfängen der medizinischen Kulturfilme vgl. Osten, Philipp: Emotion, Medizin und Volksbelehrung. Die Entstehung des »deutschen Kulturfilms«, in: Gesnerus 66 (2009), S. 67-102; Bonah, Christian / L aukötter, Anja: Moving Pictures and Medicine in the First Half of the 20th Century. Some Notes on International Historical Development and the Potential of Medical Film Research, in: Gesnerus 66 (2009), S. 121-146. 46 | Einen genauen Überblick über die deutschen Aufklärungsfilme zu Geschlechtskrankheiten aus dem 20. Jahrhundert gibt: Thiessen, Rolf: Sex verklärt. Der Deutsche Aufklärungsfilm, München: Heyne 1995. 47 | Siegbert Salomon Prewer unterstreicht, dass Vertreter konservativer Kreise die Filme Oswalds als sittenwidrig betrachteten, obgleich sie sich in der Bevölkerung großer

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gedrehten Film Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen (Regie: Curt Thomalla, Nicolas Kaufmann) Nahaufnahmen von Geschlechtsorganen mit Geschwüren zu sehen. In dem im Auftrag der Deutschen und Schweizerischen Gesellschaft zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten produzierten Film Feind im Blut (1931) führte Walter Ruttmann wiederum die für seinen Stil typischen Animationen und Tafeln ein und perfektionierte die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte durch eine attraktive Spielfilmhandlung.48 In Titel und Form knüpfte der oben erwähnte Film von Mohaupt aus dem Jahr 1948 / 1949 an die Vorlage von Ruttmann an. Und auch der Semidokumentarfilm Reaktion: positiv aus dem Jahr 1948 (amerikanische Besatzungszone)49 erinnert mit der ganz ähnlichen Geschichte eines jungen Menschen und dessen Scham wegen seiner Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten an Ruttmanns Feind im Blut. Seit dem Film Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen, der, so der Regisseur Curt Thomalla, der »erste populärwissenschaftliche medizinische Lehrfilm [war], mit dem die Menschen erfolgreich über die Gefahren der Ansteckung mit den Geschlechtskrankheiten aufgeklärt wurden«50, nutzten alle folgenden Filme suggestive Bilder von kranken und deformierten Geschlechtsteilen. Die Präsentation vor der Kamera erfolgte mit Unterstützung von (ebenfalls im Film zu sehenden) Personen, die die Kranken so aufstellten, dass ihr Geschwür oder ihre Wunden am besten zu sehen waren. Diese Praktik war früheren Erfahrungen im Fotografieren von Patienten zu didaktischen Zwecken entlehnt; der bewegliche Charakter des Filmbildes änderte hier nicht viel. Die Kamera zeigte einen Ausschnitt vom Patienten, der in diesem Moment möglichst bewegungslos blieb. Seit der Einführung des Tons im Kino wurden diese Bilder von der belehrenden Stimme eines Sprechers begleitet. Er erfüllte diese Funktion wie ein Dozent, der seinen Studierenden eine Fotografie erläutert. Auf diese Weise gelangten die bisher ausschließlich Ärzten und Medizinadepten zugängliBeliebtheit erfreuten. Vgl. Prewer, Siegbert Salomon: Between Two Worlds. The Jewish Presence in German and Austrian Films 1910-1933, New York / O xford: Berghahn 2007, S. 73 f. 48 | Cowan, Michael: Walter Ruttmann and the Cinema of Multiplicity. Avant-Garde – Advertising – Modernity, Amsterdam: Amsterdam University Press 2013, S. 102-118; Sarasin, Philipp: Feind im Blut. Die Bedeutung des Blutes in der deutschen Bakteriologie, in: Christina von Braun /  C hristoph Wulf (Hg.), Mythen des Blutes, Frankfurt a.M: Campus 2007, S. 296-311, hier S. 297. 49 | Reaktion: positiv, K. S. Film, Berlin (West) [im Vorspann als K-Film], Regie: Karlheinz Schmidt, Produktion: 1948; Uraufführung: 1948. Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 280579. 50 | Zit. n. Gertiser, Anita: Ekel. Beobachtungen zu einer Strategie im Aufklärungsfilm zu Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten der 1920er Jahre, in: Figurationen 9 (2013), Nr. 1, S. 61-76, hier S. 61.

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chen Bilder in den öffentlichen Raum. Die Genauigkeit, mit der die Wunden und Geschwüre sowie die Details infizierter Geschlechtsteile präsentiert wurden, konnte beim Publikum Ekel hervorrufen. Es war kein Anblick, an den Personen außerhalb medizinischer Berufe gewöhnt waren: Dieser »klinische« Blick […] dominiert nicht nur die Art, wie die Merkmale präsentiert sind, sondern auch, wie die Zuschauer sie sehen. Die Großaufnahme drängt sich auf, zwingt das Publikum hinzuschauen, mit den Augen über die Oberflächen zu tasten und die taktile Beschaffenheit zu ergründen. […] Es ist also nicht allein das faktische Abbild der Symptome, vielmehr werden durch die visuelle Modellierung und Akzentuierung physischer Strukturen jene Merkmale hervorgehoben, welche die Ekelempfindungen auszulösen vermögen. 51

Es ist schwer, die Effektivität dieser Praktik abzuschätzen. Die Intention war es sicherlich, drastische Bilder zu zeigen, die das Publikum vom Geschlechtsverkehr mit flüchtigen Bekanntschaften abschrecken sollten. Gleichzeitig konnte der Anblick entstellter Körper ein Gefühl der Distanz hervorrufen; so mochte sich bei den Rezipientinnen und Rezipienten der Gedanke einstellen, dass sie so etwas Abstoßendes nicht treffen würde. Leider wissen wir nur wenig zur Rezeption der Filme in der Zwischen- wie in der Nachkriegszeit. Einzelne Zeugnisse der Entrüstung und Prostete gegen ihre Unsittlichkeit 52 geben wohl nicht das Gros der Meinungen wider. Brigitte J. Jahn gibt an, dass die Information Control Division den amerikanischen Film Fight Syphilis (1942, Regie: Owen Murphy) nach Deutschland importierte, um ihn der Zivilbevölkerung vorzuführen.53 Dieser Film konnte in propagandistischer Hinsicht nicht erfolgreich sein, da seine Protagonisten an Syphilis erkrankte Veteranen des Ersten Weltkriegs sowie zeitgenössische Soldaten waren, die sich mit Syphilis angesteckt hatten und die Krankheit im Heimatland verbreiteten. Im Deutschland des Jahres 1945 zeigte der Film somit degenerierte Besatzer und eine alliierte Großmacht, der eine Epidemie drohte. Während man sich vorstellen kann, dass dieser Film den Soldaten der amerikanischen Armee Angst vor der Rückkehr nach Hause oder vor den Konsequenzen der Krankheit für das Familienleben machte, so stellte er für das deutsche Publikum keinerlei 51 | Ebd. S. 68, 70. 52 | Vgl. u. a. das Protestschreiben von Vertretern des Jugendamtes und der Stadtschulbehörde München in dieser Angelegenheit an die Filmprüfstelle in Berlin, 21.01.1925. Die Korrespondenz ist einsehbar in den digitalisierten Sammlungen des Deutschen Filminstituts, http://www.difarchiv.deutsches-filminstitut.de/filme/ f035153.htm (04.05.2015). 53 | Jahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945-1953), Münster: Lit 1997, S. 280.

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Drohung dar. Auf sehr »sanfte« Weise zeigte der Film die Krankheitssymptome, ohne Aufnahmen von Wunden und Geschwüren zu zeigen, die die Rezipienten in Deutschland bereits aus früheren Kulturfilmen kannten. Im Kommentar des Sprechers fiel allerdings die Bezeichnung enemy in blood und es wurden Laborszenen und Tafeln präsentiert, auf denen der Ausbreitungsweg der Krankheiten präsentiert wurde. Folglich ist es sehr wahrscheinlich, dass die Produzenten des Filmes die deutschen Medizinfilme der Zwischenkriegszeit kannten. Es ist uns nicht gelungen, eindeutig festzustellen, ob die Kulturfilme der Zwischenkriegszeit in den deutschen Kinos der Nachkriegszeit gezeigt wurden (vgl. Kapitel II). Dafür würde die Tatsache sprechen, dass mehr oder weniger die Hälfte der nach 1945 gespielten Titel aus den 1930er und der ersten Hälfte der 1940er Jahre stammte (Stummfilme gehörten eher nicht dazu).54 Nicht alle Aufklärungsfilme aber waren für den Kinovertrieb bestimmt gewesen: Sie wurden vielmehr in Schulen und bei Wandervorführungen gezeigt. Ferner führte die Entdeckung und Massenproduktion des Penicillin dazu, dass die Heilmethoden, von denen in Ruttmanns Feind im Blut, Thomallas und Kaufmanns Falsche Scham oder Keysers Schleichendes Gift die Rede war, nicht mehr aktuell waren. Dieser letzte Film handelte in großem Maße von der positiven Wirkung des Medikaments Salvarsan im Kampf gegen die Syphilis. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es schrittweise von Antibiotika verdrängt. Selbst wenn die alten und neuen Filme nicht parallel gezeigt wurden, so muss davon ausgegangen werden, dass ein Großteil des erwachsenen Publikums sich an die früheren Vorführungen erinnern konnte. Am Beispiel der Tradition der Kulturfilme lässt sich erläutern, warum das Thema der Geschlechtskrankheiten in der von den Amerikanern und Briten produzierten Welt im Film so marginalisiert wurde. Die Aufklärungsfilme (als Subgenre der Kulturfilme) sind nämlich ein Feld, auf dem die Deutschen selbst über größere Erfahrung verfügten. Ferner richteten sich die Aufklärungsfilme – im Gegensatz zu den englischsprachigen Plakaten, die vor Geschlechtskrankheiten warnten – in deutscher Sprache an ihre Zuschauer. Amerikanische und britische Soldaten waren von diesen Aufklärungskampagnen also ausgeschlossen. Neben Mohaupts erwähntem Film Feinde im Blut entstanden in den Jahren von 1946 bis 1948 in den westlichen Besatzungszonen zwei weitere Aufklärungsfilme, in denen das Thema Geschlechtskrankheiten behandelt wurde: der einminütige Film Es ist leider so!55 (1946) sowie Reaktion: positiv (1948),

54 | Mehr dazu u. a. in: Saryusz-Wolska, Magdalena: Watching Films in the Ruins. Cinema-going in Early Post-war Berlin, in: Participations. Journal of Journal of Audience and Reception Studies 12 (2015), Nr. 1, S. 762-782. Siehe dort auch eine umfangreiche Bibliografie zu dieser Thematik. 55 | Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 28360.

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der im Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht 56 von der kleinen WestBerliner Firma K. S. Film (der Name geht auf die Initialen des Regisseurs Karlheinz Schmidt zurück) gedreht wurde. Der interessante Film Warnung vor Geschlechtskrankheiten (1948) wurde hingegen nicht fertiggestellt.57 Der Titel des ersten Nachkriegsfilms über Geschlechtskrankheiten ist dem Monolog eines Arztes entlehnt, in dem es u. a. heißt: »Es ist leider so! Sie haben sich angesteckt, aber es kann Ihnen geholfen werden.« Der Arzt wendet sich sowohl der Kamera als auch der Frau zu – die infizierte Person ist nämlich eine Frau. So versucht der Film sein Publikum davon zu überzeugen, dass nur in professionellen Arztpraxen Hilfe gesucht werden sollte. Diese Botschaft taucht in allen Beiträgen auf. Häufig geht sie mit der Versicherung einer anonymen Behandlung einher, was den Tatsachen widersprach, da alle Patienten mit positivem Testergebnis registriert und ihre Namen an die Polizei weitergegeben wurden.58 Die Arbeiten an Reaktion: positiv dauerten sehr lange. Jahn gibt an, dass im August 1947 bereits die fünfzehnte Fassung des Drehbuchs diskutiert wurde, der Film aber erst im Mai fertiggestellt wurde59, was »gemessen an der Dringlichkeit eines solchen Films bedauerlich spät«60 war. Der Film baut auf einer fiktiven Rahmenhandlung auf, in der sich ein junger Heimkehrer bei der Frau ansteckt, mit der er sich eine Wohnung teilt. Als er sich seiner Erkrankung bewusst wird, erhält er von einem Bekannten Medikamente. Kurz darauf lernt er seine zukünftige Frau kennen. Nach einiger Zeit kehrt das Geschwür zurück; der Protagonist ist entsetzt. Nachdem er seiner Frau die Wahrheit offenbart hat, die – wie sich herausstellt – schwanger ist, entscheiden sie sich dazu, zum Arzt zu gehen. Dieser wiederum hält einen Vortrag – sowohl für seine (im Film zu sehenden) Studierenden als auch für das Publikum. Es handelt sich dabei um ein Stilmittel, das Ruttmann bereits in Feind im Blut angewandt hatte. Die Autoren des Filmes nutzen auch Informationstafeln; so ist auf einer Tafel die Zeichnung einer Frau zu sehen, von der Pfeile in Richtung einiger Männer ausgehen, von welchen wiederum Pfeile zu anderen Frauen ausgehen usw. Eine Stimme 56 | B. J. Jahn: Umerziehung durch Dokumentarfilm?, S. 280 f. Der Film selbst gibt an, dass das Landesgesundheitsamt Berlin Auftraggeber war, wobei nicht auszuschließen ist, dass die Initiative von der Information Control Division oder der ihr zugehörigen Documentary Film Unit ausging. 57 | Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 26560. 58 | NARA RG 260 /  O MGUS, Shipment 15, Box 115-2, Folder 46, passim. 59 | Das Datum folgt den Angaben von Brigitte J. Jahn, die sich auf Dokumente des OMGUS beruft (B. J. Jahn: Umerziehung durch Dokumentarfilm?, S. 280). Laut filmportal.de fand die Premiere schon am 07.01.1948 statt, wahrscheinlich handelt es sich um das Datum der Vorführung für die Zensur. 60 | B. J. Jahn: Umerziehung durch Dokumentarfilm? S. 280 f.

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aus dem Off erläutert die Verbreitungswege der Krankheit. Interessant ist hierbei, dass ein analoges Schema in Fight Syphilis angewandt wurde – allerdings mit dem Unterschied, dass im amerikanischen Film der Mann das erste Kettenglied, die erste Ansteckungsquelle ist. In Reaktion: positiv geht die Bedrohung – wie auch in den restlichen Aufklärungsmaterialien – von der Frau aus, da sich der Protagonist in der Geschichte bei seiner promiskuitiven Mitbewohnerin angesteckt hat. Seine Promiskuität hingegen wird nicht thematisiert, im Gegenteil: Er wird als treuer und liebender Partner dargestellt. Eine solche Erzählkonstruktion unterstützte die Politik des Kampfes gegen Prostitution, der abendlichen Razzien und gynäkologischen Zwangsuntersuchungen. Die im weiteren Teil des Films gezeigten Nahaufnahmen von Geschwüren oder eine Animation von Spirochäten (dem Syphilisbakterium) sind aus den Filmen von Thomalla und Kaufmann sowie von Ruttmann bekannte Kunstgriffe. Von der Zellebene wird die Bedrohung auf die gesellschaftliche Ebene übertragen: Es werden gelähmte, blinde und psychisch kranke Patienten sowie missgebildete Säuglinge infizierter Frauen gezeigt. Am Ende des Films erfahren wir allerdings, dass das Kind der Protagonisten gesund ist (da sie sich entsprechend haben behandeln lassen) und ihre Familie gerettet werden konnte. In Reaktion: positiv werden bestimmte Aspekte aus den Kulturfilmen der Zwischenkriegszeit mit der für die Nachkriegszeit typischen Rhetorik kombiniert. Zu Letzterer gehört insbesondere die affirmative Darstellung der traditionellen Familie und die Sorge um das Schicksal künftiger Generationen. Der Protagonist ist nicht nur um sich selbst, sondern auch um sein Kind besorgt, das im Zentrum der letzten Filmszene steht. Die Heilung der Syphilis dient demnach vor allem dem Wiederauf bau einer gesunden Gesellschaft. Promiskuität ist insbesondere unter Frauen verfemt, als Rezept zum Glück hingegen erscheint gegenseitiges Vertrauen und eheliche Treue. Bemerkenswert ist, dass das Ehepaar eine elegante, geräumige Wohnung bezieht und allein bewohnt, von der es damals nicht viele gab. In positivem Licht wird auch das Gesundheitssystem dargestellt. Die Ärzte und Krankenpflegerinnen zeichnen sich durch große Kompetenz aus, haben Zugang zu Medikamenten und professionellen Gerätschaften, zeigen sich zuvorkommend und diskret, und der Protagonist des Films liegt in einem hellen und geräumigen Krankenzimmer, wo ihn auch seine Frau besuchen kann. In Wirklichkeit gehörte Diskretion zu den letzten Tugenden bei der Behandlung von Geschlechtskrankheiten, es fehlte häufig an Medikamenten, und die Krankenhäuser waren klein und überfüllt. Nichtsdestoweniger entwirft der Film das Bild einer idealen medizinischen Betreuung. Der Film Feinde im Blut entstand in Hamburg, etwa ein Jahr nach Reaktion: positiv. In der zweiten Hälfte des Jahres 1948 war die Erkrankungsrate bereits entschieden geringer als in früheren Jahren, so dass der Film (im besten Falle) eine Ergänzung zur bisherigen Prävention gegen Geschlechtskrankhei-

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ten darstellen konnte. Erste Maßnahmen der britischen Militärregierung, um die deutsche Bevölkerung davon zu überzeugen, sich im Falle einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten von professionellen Ärzten behandeln zu lassen, stammten Barbara Smith zufolge von 1946.61 Sie bezieht sich allerdings auf die Beschlüsse des War Office, ohne auf einzelne Beispiele dieser Maßnahmen einzugehen. Die lange Produktionsdauer von Feinde im Blut, die sich in der Rede des Arztes widerspiegelt, in welcher er die Infektionszahlen zu Beginn des Jahres 1947 nennt (also knapp zwei Jahre vor Produktionsende des Films), ist ein gutes Beispiel dafür, dass – ähnlich wie in der amerikanischen Besatzungszone – die Umsetzung solcher Beschlüsse keinesfalls zeitnah erfolgte. Der Filmarzt behauptet auch, dass sich Polizei und Ärzte hauptsächlich auf den Schutz der ansteckenden Personen konzentrieren – in der dazugehörigen Szene sehen wir Frauen in einem Lokal, vor dem Kino, auf der Straße. Anschließend blicken wir mit dem Arzt durch sein Mikroskop: Wir sehen Gonokokken, das Gonorrhö auslösende Bakterium, wir hören die Beschreibung der Symptome. Fachgerecht klopft der Arzt den Rücken der Patientin ab, es folgt eine Reihe von Bildern syphilitischer Geschwüre. Wir sehen von der Krankheit befallene Geschlechtsteile sowie deformierte Lippen oder Finger. Der Film zeigt Personen, die infolge einer Syphiliserkrankung an geistigen Beeinträchtigungen leiden. Der Arzt bezeichnet die Krankheit als »schleichendes Gift«  – eine Formulierung, die bereits in den 1930er Jahren geprägt worden war.62 Neben der 61 | Vgl. B. Smith: The Rules of Engagement, S. 158. 62 | Schleichendes Gift ist auch der Titel von gleich zwei Filmen zu Geschlechtskrankheiten. Der erste Film trägt den Untertitel Ein Kulturfilm von der wissenschaftlichen Erforschung der Syphilis, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von 1934 und war das Ergebnis einer gemeinsamen Produktion der UFA und des Pharmakonzerns Bayer. Neben Warnungen und Symptombeschreibungen werden die Geschichte des Kampfes gegen Syphilis sowie die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet der SalvarsanProduktion präsentiert. Vgl. Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 1835. Der zweite Film wurde 1946 in Österreich produziert. Rolf Thiessen behauptet zwar, dass der Film im selben Jahr auch in Deutschland gezeigt wurde, ohne allerdings eine Quelle für diese Information anzugeben; uns ist es nicht gelungen, diese These zu bestätigen. (R. Thiessen: Sex verklärt, S. 146.) Im Gegenteil fanden wir eine Fotografie von 1950, die ein Filmplakat zu Schleichendes Gift vor dem Kino Die Kurbel in Berlin zeigt: http://archiv2.fes.de/ objekt_start.fau?prj=fes&dm=Fotos&ref=199758#1 (29.04.2016). Das würde die Information auf filmportal.de bezüglich der westdeutschen Premiere von Schleichendes Gift im Jahr 1950 bestätigen. An dieser Stelle sei noch auf das Filmplakat an sich hingewiesen: Es zeigt eine nackte, kniende Frau, die ihr Haupt und ihre Hände emporstreckt. Um ihren Körper windet sich eine grüne Schlange. Die Anspielung auf den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies – insbesondere auf die Alleinschuld Evas – ist nur allzu offensichtlich; ein »Adam« ist nicht zu sehen, wohingegen die giftgrüne Farbe

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fortwährend aus dem Off zu hörenden Stimme des Arztes, der vor Ansteckung warnt und eventuelle Symptome beschreibt, sind weitere detaillierte Bilder und Animationen zu sehen. Es werden die Therapiemöglichkeiten besprochen (Penicillin) – mit der Einschränkung, dass das Medikament nur in Arztpraxen zu erhalten ist (in Wirklichkeit war es für die Behandlung im Krankenhaus reserviert). Zum Schluss blickt der Arzt in die Kamera und sagt: Ärzte und Beratungsstellen behandeln kostenlos, mit oder ohne Krankenschein, jeden Patienten unter vollkommener Geheimhaltung seines Namens. […] Der beste Rat ist jedoch: Lasst es nicht soweit kommen, denn selbst das wunderbarste Heilmittel kann euch das nicht wiedergeben, was die Krankheit in euch zerstört.

Der Film ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, obwohl er außerhalb unseres Forschungszeitraums gezeigt wurde. Erstens bestätigt allein die Tatsache, dass das Thema zu diesem Zeitpunkt aufgegriffen wurde, unsere vorherigen Beobachtungen: Die Propagandakampagne gegen Geschlechtskrankheiten lief in den westlichen Besatzungszonen verspätet an. Zweitens schaffen die Autoren von Feinde im Blut ein ähnliches Klima der Angst wie die Produzenten von Reaktion: positiv (vgl. die Animationen, Mikroskopbilder, Nahaufnahmen von Wunden und Verletzungen des Körpers, wie sie das erste Mal in den Kulturfilmen der Zwischenkriegszeit zum Einsatz kamen). Schon allein der Titel bezieht sich auf Ruttmanns Film von 1931. Und drittens schließlich zeigt Feinde im Blut, wie sehr die visuellen Praktiken der unterschiedlichen Besatzungszonen aufeinander Bezug nahmen. Im Film sehen wir drei Plakate an den Wänden des Wartezimmers. Das erste ist nur schwer zu erkennen, es enthält die Worte »Kampf« und »Geschlechtskrankheiten«. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um ein Plakat aus der sowjetischen Besatzungszone, zumal eine u. a. von der SED und der FDJ organisierte Vortragsreihe von 1946 den Titel »Kampf gegen Geschlechtskrankheiten« trug.63 Das zweite Plakat im Film lässt sich leicht identifizieren: Es war im Auftrag der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen gedruckt worden (sowjetische Besatzungszone). Es zeigt einen Arzt, der seine Hand auf die Schulter eines männlichen Patienten legt und ihm der Schlange wohl eine abschreckende Wirkung erzeugen soll. Interessant ist, dass das Plakat nicht an erotischen Darstellungsmustern spart, obgleich es doch eben vor den Folgen einer Krankheit warnen soll, mit der man sich in den überwiegenden Fällen bei einem erotischen bzw. sexuellen Kontakt infiziert. Es ist hingegen anzunehmen, dass, wie im ersten Kapitel dieses Buches angedeutet wurde, auch in diesem Fall das Weiblich-Sinnliche als Werbemittel herhalten musste. Das Plakat befindet sich u. a. in den Sammlungen des DHM, Sign. P 2002 / 12. 63 | Bundesarchiv Bildarchiv, Sign. B 285 Plak-025-019. Das Plakat ist online einsehbar unter: https://www.bild.bundesarchiv.de.

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in die Augen sieht, darunter: »Geschlechtskrankheiten sind ansteckend, aber heilbar. Geh sofort zum Arzt.«64 Abbildung 3.4: Screenshot aus Feinde im Blut, 1948 / 1949.

Quelle: Bundesarchiv Filmarchiv.

Im Falle des dritten Plakates ist es uns nicht gelungen, seine Provenienz festzustellen. Es ist als einziges in einer Nahaufnahme zu sehen und bezieht sich auf die kommenden Generationen, was ein übliches Schlagwort der damaligen Politik war. Man sieht ein Mädchen und einen Jungen, die auf einer Handfläche stehen. Im Hintergrund ist eine zweite Hand zu sehen. Es scheint, als versuchte sie, nach den Kindern zu greifen, anstatt sie zu beschützen – der Familienschutz war seit 1946 ein Leitmotiv der Kampagnen gegen Geschlechtskrankheiten in der sowjetischen Besatzungszone.

A ufkl ärungsmassnahmen in der sowje tischen B esat zungszone In der sowjetischen Besatzungszone waren die Maßnahmen gegen Geschlechtskrankheiten bedeutend intensiver als in den westlichen Zonen. Die Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen richtete ihre Botschaften an die allgemeine Zivilbevölkerung, nicht an die Soldaten der Roten Armee, was auf 64 | Bundesarchiv Bildarchiv, Sign. B 285 Plak-025-018. Das Plakat ist online einsehbar unter: https://www.bild.bundesarchiv.de.

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den ersten Blick zu sehen ist: Die Sprache der Präventionsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone war ausschließlich Deutsch. Die DEFA hatte mit Der Lebensbaum unseres Volkes (1947) zwar nur einen kurzen Aufklärungsfilm zu Geschlechtskrankheiten produziert 65, dafür entstand in ihren Studios aber der Spielfilm Straßenbekanntschaft (1948), in dem die Geschichte von drei kranken Frauen erzählt wird. Ferner hingen in den ostdeutschen Straßen einige Hunderttausend Plakate (u. a. das zu Beginn dieses Kapitel besprochene) und in den Kinos wurden vor der Spielfilmvorführung Dias mit Warnbotschaften gezeigt. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden begann seine Tätigkeit am 9. März 1946 mit einer Ausstellung zu Geschlechtskrankheiten. Bis Ende 1946 wurde die komplette Ausstellung oder eine von sieben kleineren Wanderausstellungen in bis zu 82 Ortschaften der sowjetischen Besatzungszone sowie in neun Berliner Stadtteilen gezeigt.66 Im Laufe der folgenden zwei Jahre fanden weitere Präsentationen statt.67 In großen Städten wie Leipzig, Magdeburg und Erfurt war die Ausstellung einige Wochen lang zu sehen, in kleineren Ortschaften nur einige Tage. Die großflächige Kampagne wurde von Radiosendungen, Vorträgen, Treffen mit Ärzten usw. begleitet, die aufgrund ihres vornehmlich nicht visuellen Charakters nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind. Die Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung war die erste Nachkriegsausstellung des Dresdner Museums, sie wurde noch vor der im vorherigen Kapitel besprochenen Ausstellung Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung fertiggestellt. Diese Tatsache veranschaulicht sowohl das Ausmaß des Problems als auch die ihm von der sowjetischen Besatzungsmacht zugemessene Bedeutung. Anlässlich der Ausstellungseröffnung am 9. März 1946 erinnerte der Präsident der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen Paul Konitzer daran, dass das »hygienische Wissen […] auf allen Wegen vermittelt werden [muss] in Schrift, Wort und Bild. Rundfunk und Film müssen ebenso eingespannt werden wie Schulen, Betriebe, Gewerkschaften, Parteien.«68 Die Autoren der Ausstellung waren sich über die Vermittlungskraft und die Spezifik des visuellen Mediums, dessen sie sich bedienten, vollkommen im Klaren: 65 | Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 309791. 66 | Besucherergebnisse der großen und mittleren Wanderausstellungen zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in den einzelnen Städten nach dem Wanderplan im Jahre 1946, Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Dresden, Nr. 13658. 67 | Bericht des Deutschen Hygiene-Museums Dresden über die Durchführung der Wanderausstellung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 1946, Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Dresden, Nr. 13658. 68 | Dr. med. Rudolf Neubert: Die Wanderausstellung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten [Bericht], Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Dresden, Nr. 13658, Bl. 1.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome Worin liegt ihr [der Ausstellung] Wert? Zunächst einmal darin, dass bei der visuellen Veranlagung der meisten Menschen ein gesehenes Bild viel mehr Eindruck macht und viel fester im Gedächtnis haftet, als das Wort allein. Auf den Tafeln der Ausstellung sind ja Bilder und Wort in einen erprobten Zusammenhang gebracht. Es sind die Mittel der Reklame, die hier einmal nicht für einen Gegenstand, den man verkaufen will, sondern für eine volkshygienische Forderung eingesetzt werden. 69

Der Schwerpunkt der Ausstellung lag auf den Ansteckungswegen und den Krankheitssymptomen. Die Behandlungsmethoden wurden hingegen nur am Rande erwähnt – vermutlich deshalb, da dies die Domäne der Ärzte war und bleiben sollte, um eine stets fachgerechte Therapie gewährleisten zu können (und auf diese Weise unprofessionelle oder gar gefährliche Eigenbehandlungen einzudämmen). Mithilfe von handgemalten Tafeln (im Museumsarchiv sind Schwarz-Weiß-Fotografien erhalten geblieben) und Wachsmodellen wurde über Prophylaxe und Früherkennung von Syphilis und Gonorrhö informiert. Die Ausstellung folgte drei Mottos: »Geschlechtskrankheiten sind ansteckend«, »Geschlechtskrankheiten sind vermeidbar«, »Geschlechtskrankheiten sind heilbar« 70, die auf drei Tafeln eingeführt wurden. Auf der ersten Tafel sind eine Frau und ein Mann zu sehen, die sich einander annähern (»ansteckend«), auf der zweiten eine Familie – ein Elternpaar mit drei Kindern (»vermeidbar«) – und auf der letzten ein Mann, der der Sonne entgegenblickt (»heilbar«). Unter diesen Bildern ist auf allen drei Tafeln eine Frauenfigur abgebildet: Auf den ersten beiden liegt sie als Bündel auf der Erde, auf dem letzten wird ihr von einem Arzt aufgeholfen. Diese Darstellung evoziert Assoziationen einer »gefallenen« Frau, der aber immer noch geholfen werden kann. Auf diese Weise entsteht eine positive, zukunftsorientierte Erzählung, aus der hervorgeht, dass die Treue gegenüber der Partnerin bzw. dem Partner sowie eine glückliche Familie einen Schutz vor der Krankheit darstellen. Sollte einer der Partner (eher die Frau) schwach werden, »fallen«, so gibt es immer noch eine Rettung. In dieser Hinsicht ist der gen Sonne gerichtete Blick des Mannes äußerst aussagekräftig. Ähnlich ließ sich auch das Ende der Ausstellung deuten, dessen Botschaft lautete: »Treue in der Liebe schützt vor Ansteckungen«. Auf der dazugehörigen Tafel sind mit Herzen umrahmte Bilder eines Liebespaars zu sehen.

69 | Ebd., Bl. 2. 70 | DHMD, K1175 A-F.

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Abbildung 3.5: Tafel aus der Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1946.

Quelle: DHMD, Inv.nr. 2013 /  4 83.99.

Aus heutiger Perspektive macht dieses Bild – wie übrigens viele andere Teile der Ausstellung – einen naiven, gar infantilen Eindruck. Diese Wirkung verstärkt sich durch das Ungeschick der Maler und Zeichner der Tafeln. Die scharfen Konturen, die Proportionen der Figuren, die schwierig zu entziffernde Mimik der Gesichter lassen vermuten, dass die Autoren zumindest einiger der Bilder Amateure waren. Wie im Falle der Infektionskrankheiten führte das Deutsche Hygiene-Museum Dresden bereits seit den 1920er Jahren Aufklärungskampagnen zu Geschlechtskrankheiten. Noch im Frühling 1946 wurden Exponate und Tafeln aus früheren Ausstellungen der Jahre 1919 / 1920 als Illustrationsmaterial bei Vorträgen zu Syphilis und Gonorrhö für ältere Jahrgänge in Schulen genutzt.71 Ein Teil der handgemalten Tafeln aus den Nachkriegsausstellungen war schließlich eine beinahe wortwörtliche Wiederholung des Materials aus der Zwischenkriegszeit:

71 | Meldungen aus dem Gesundheitswesen, 1. Juli 1946, BA SAPMO DQ1 / 1524, Bl. 5.

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Abbildungen 3.6 und 3.7: Tafeln aus der Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1946.

Quelle: DHMD, Inv.nr. 2013 /  4 83.4 (links). DHMD, Inv.nr. 2013 /  4 83.7.

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So werden etwa die Ärzte sehr ähnlich präsentiert, natürlich immer im weißen Kittel, mit nach hinten gekämmtem Haar und Brille.72 Nichtsdestoweniger war die Ausstellung von 1946 – obgleich sie inhaltlich und visuell an frühere Projekte aus der Weimarer Republik wie auch aus dem Nationalsozialismus anknüpfte – ein neues Unterfangen, da sie die spezifischen Lebensbedingungen des damaligen Zeitraums berücksichtigte. Alle Tafeln enthielten Illustrationen, doch die Botschaft der Ausstellung wurde hauptsächlich schriftlich vermittelt, was gewissermaßen im Widerspruch zu den von Rudolf Neubert oben angeführten Annahmen stand. Die hier beispielhaft aufgenommenen Bilder sprachen nicht für sich selbst. Der Anblick junger Menschen beim Bau eines Jugendheims, die Ruinen der Städte oder die Spaten rufen keine Assoziationen mit den thematisierten Krankheiten hervor. Das eigentliche Thema wird erst durch die Bildunterschriften deutlich. Folglich haben Abbildung 3.8: Tafel aus der Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1946.

Quelle: DHMD, Inv.nr. 2013 /  4 83.14. 72 | Am Rande sei darauf hingewiesen, dass das Museum bereits im Jahr 1944 die zweisprachige, deutsch-polnische Wanderausstellung Geißel des Lebens – Bicz życia anfertigen ließ. Die Ausstellung wurde im Generalgouvernement gezeigt und richtete sich sowohl an die deutschen Besatzer als auch an die polnische Gesellschaft.

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viele Tafeln einen eher symbolischen, wenn nicht gar abstrakten Charakter. Unter der Aufschrift: »Es muss Licht in das Dunkel. Die Krankheiten müssen sachlich und nüchtern betrachtet und praktisch bekämpft werden« ist etwa einzig ein Lichtstrahl und eine Hand abgebildet, die einen abgerissenen Stofffetzen umklammert. In ein- bis zweizeiligen Sätzen wird der Text auf ähnlich gestalteten Tafeln fortgeführt. Die Bilder zeigen die geläufigsten Ansteckungswege, also den Geschlechtsverkehr – selbst bei der nicht zu übersehenden anatomischen Ungenauigkeit ließen sie in Bezug auf den dargestellten Inhalt keinen Zweifel. Wie im Falle der späteren Ausstellungen über die Volkskrankheiten wurde zum Anfang der Ausstellung vor allem an die Emotionen der Rezipientinnen und Rezipienten appelliert. In Verbindung mit den abstrakten Bildern sollte der poetische Text das Publikum wohl auf den folgenden Inhalt der Ausstellung vorbereiten. Nach der eher emotionalen Einführung folgten rational-wissenschaftliche Argumente, die mit typischen Bildern aus der Medizin illustriert waren. Einige Tafeln zeigten schematische Zeichnungen von Geschlechtsorganen oder Darstellungen erkrankter Geschlechtsteile. Sie schöpften aus der wissenschaftlichen Ikonografie – in diesem Fall galt das Prinzip der Andeutung oder der Unterordnung des Bildes unter den Text nicht. Die Darstellungen von Geschwülsten, Abbildung 3.9: Fotografie von Moulagen aus der Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung, 1946.

Quelle: DHMD, Inv.nr. 2013 / 4 83.108.

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Geschwüren oder Ausschlägen zeigten unmittelbar verschiedene Krankheitsstadien, ähnlich wie in den Aufnahmen der oben besprochenen Aufklärungsfilme. Die radikalsten Exponate waren sogenannte Moulagen (Wachsmodelle) von Geschlechtsteilen mit pathologischen Veränderungen. Eben diese Modelle aber waren die größte Attraktion der Nachkriegsausstellungen. Die Schwarz-WeißAufnahmen ermöglichen es nicht, deren Wirkung nachzuvollziehen; es ist aber anzunehmen, dass die Moulagen Bedürfnisse befriedigten wie in einer anderen Zeit sogenannte Freak Shows. Die polnische Kulturwissenschaftlerin Anna Wieczorkiewicz schreibt etwa: Stellen wir uns die amerikanische Provinz zu Ende des 19. Jahrhunderts vor […]. Der Jahrmarkt hat begonnen. Menschen drängen sich zwischen den Ständen, bleiben einen Augenblick stehen, um langsam weiterzugehen. Sie schauen sich nach allen Seiten um, suchen ein bekanntes Gesicht, um zu plaudern, und unbekannte Gesichter, bei denen ihr Blick verweilen kann. Wir nähern uns einem Schuppen mit dem Schild Freak Show. Diese »Kuriositätenvorstellung« zog alle Aufmerksamkeit auf sich.73

Und nun stellen wir uns die ostdeutsche Provinz vor, wo sich ebenfalls Menschen, Ansässige ebenso wie Flüchtlinge und Heimkehrer, aufhielten. Viele dieser Menschen hatten ihre Familie verloren, ihr Alltag war ausgefüllt von der Suche nach Nahrung, Brennstoff und anderen grundlegenden Lebensmitteln, sie waren von der körperlichen Arbeit erschöpft. Sobald in so einer Stadt oder Ortschaft eine Wanderausstellung auftauchte, die noch dazu »pikantes« Material enthielt, war das eine Attraktion, zumal pornografisches Material – angesichts der Kontrolle der Besatzungsmächte über die Presse, die Fotografie und den Film – damals noch sehr schwer zugänglich war. Selbstredend stillte die Ausstellung Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung nicht ausschließlich die Sensationslust des Publikums. In den Jahren 1946 bis 1948 wurde sie von insgesamt 709.000 Personen besucht.74 Von März bis Dezember 1946 waren es über 375.000 Besucherinnen und Besucher, von denen 150.000 die volle Fassung, die in den größten Städten der sowjetischen Besatzungszone zu sehen war, besichtigen konnten.75 Nur ungefähr dreieinhalb Prozent der Besucherinnen und Besucher kamen aus freien Stücken (allein das waren fast 25.000 Personen) – das übrige Publikum sah die Ausstellung in organisierten Gruppen. In einigen Ortschaften gab es sogar keine andere Möglichkeit, die Ausstellung zu besuchen. Es ist schwer zu sagen, wie viele Perso73 | Wieczorkiewicz, Anna: Monstruarium, Gdańsk: Słowo / O braz terytoria 2009, S. 238. (Übers. d. Verf.) 74 | Information aus dem DHMD. 75 | Besucherergebnisse der großen und mittleren Wanderausstellungen.

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nen die Ausstellung freiwillig besuchten, aber es gilt anzunehmen, dass der Großteil verpflichtet war (oder sich fühlte), sie zu besichtigen. Allein im Jahr 1946 wurden über 111.000 Ausstellungsführer verkauft, 12.000 Broschüren von Dr. Linser über Geschlechtskrankheiten und 9.000 Broschüren zu Infektionskrankheiten.76 Die Ausstellung sollte den Besucherinnen und Besuchern nicht nur bestimmte Inhalte präsentieren, sondern es wurde auch ein reichhaltiges Begleitprogramm angeboten. Allein im ersten Jahr fanden 703 Vorträge statt, zur Führung durch die Ausstellung wurden Ärzte eingeladen. Der (temporäre) Einfluss der Ausstellung ließ sich auch an einer gestiegenen Patientenzahl in öffentlichen Behandlungsstellen messen – so berieten die Angestellten der örtlichen Beratungsstellen ungefähr doppelt so viele Patientinnen und Patienten wie sonst.77 Auch nach Beendigung der Ausstellung wurden in einzelnen Ortschaften Vorträge und Diskussionen organisiert, bei denen man an die vom Hygiene-Museum gezeigten Inhalte erinnerte. »Der Vorteil liegt dabei«, so schreibt Neubert, dass man eben an Gesehenes [Herv. im Orig.] anknüpfen und erinnern kann. Die Bilder steigen lebendig wieder auf, etwa das Bild des unglücklichen Säuglings mit angeborener Syphilis oder die Gegenüberstellung von der verwahrlosten und der gesunden Jugend.78

Unabhängig davon, ob der Besuch der Ausstellungen des Hygiene-Museums freiwillig war oder nicht, hatte er ein sowohl bildendes als auch emotionales Potenzial. Er stillte die natürliche und menschliche Neugier vor dem »Anderen« oder »Kranken«, insbesondere im Hinblick auf die Sexualität. Auf diese Weise konnte einer der grundlegenden Mechanismen der Inklusion von Sex in die moderne Kultur realisiert werden; hier sei etwa auf Michel Foucault verwiesen: Was zunächst heißt, daß das Gebiet des Sexes nicht mehr ausschließlich unter das Register der Verfehlung und der Sünde, des Exzesses oder der Überschreitung fallen wird, sondern unter das Regime des Normalen und des Pathologischen (das übrigens nur die Übertragung jenes Registers darstellt); zum ersten Mal definiert man eine dem Sexuellen eigene Krankhaftigkeit; der Sex erscheint als ein Feld hoher pathologischer Anfälligkeit: Spiegelungsfläche für die anderen Krankheiten, zugleich aber auch ein neuer

76 | Zusammenstellung der Besucherergebnisse, der Führer- und Bücherumsätze aller Wanderaustellungen zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 1946, Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Dresden, Nr. 13658. 77 | Bericht des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bl. 2. 78 | R. Neubert: Die Wanderausstellung, Bl. 17-18.

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Bilder der Normalisierung Brennpunkt der Beschreibung von Krankheiten – des Triebes, der Neigungen und der Bilder, der Lust, des Verhaltens.79

Die Ausstellungen des Hygiene-Museums präsentierten einen modernen und disziplinierten Körper, der zum Feld politischen Handelns wird und die Definition der Nachkriegsidentität mit vorantreibt. Die Gesundheitsprophylaxe ist als Teil einer breiter angelegten Strategie zum Wiederauf bau der Gesellschaft zu sehen. Die Tätigkeiten des Museums popularisierten das Ideal eines im sozialistischen Geiste zu körperlicher Arbeit fähigen Körpers und propagierten das traditionelle Partnerschaftsmodell, bestenfalls in Form der Ehe. Themen wie Homosexualität (was auch mit den vorherrschenden konservativen Werten und dem Erbe des Nationalsozialismus zu erklären wäre) oder – viel erstaunlicher – Verhütung wurden hingegen nicht angesprochen. Letzteres ist insofern interessant, als es den Soldaten nahe gelegt worden war, Präservative zum Schutz vor Syphilis oder Gonorrhö zu verwenden.80 Im besetzten Polen etwa war die Anwendung von Kondomen in den offiziellen Bordellen Pflicht; auch hatten sich die Soldaten nach dem Geschlechtsverkehr einer Desinfektion zu unterziehen.81 Nach dem Krieg allerdings verschwand dieses Thema aus dem öffentlichen Raum, obgleich intensive sexuelle Aktivitäten und Partnerwechsel nicht nur zu Ansteckungen mit Geschlechtskrankheiten, sondern auch zu ungewollten Schwangerschaften führten.82 Als einziges akzeptables Verhütungsmittel empfahl man, dem Partner bzw. der Partnerin gegenüber treu zu sein, was selbstverständlich die Rekonstruktion der traditionellen Gesellschaftsordnung begünstigte. Es ist anzunehmen, dass angesichts 79 | Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen, übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, S. 70. 80 | In Bezug auf Gebrauchsanweisungen von Kondomen durch Wehrmachtsoldaten im besetzten Frankreich vgl. C. Quétel: Le Mal de Naples, S. 300. 81 | Trotz einer solch starken Regulierung (insbesondere der Prostituierten, die sich unter Strafandrohung regelmäßig ärztlich untersuchen lassen mussten und das Bordell nur mit Erlaubnis verlassen durften) konnte einer Verbreitung von Geschlechtskrankheiten u. a. aufgrund der Truppenbewegungen nur schwer Einhalt geboten werden, vgl. M. Röger: Kriegsbeziehungen, S. 38-42 u. 46. 82 | R. Gries /  S . Satjukow: »Bankerte!«, passim; Plato, Alexander von: »Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen«. Erfahrungsstrukturen der Besatzungszeit, in: Als der Krieg zu Ende war. Vierzig Jahre danach – Analysen, Reflexionen, Erinnerungen, Düsseldorf: Landeszentrale für Politische Bildung 1985, S. 179-214, hier S. 196; Willenbacher, Barbara: Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegsfamilie, in: Martin Broszat / K lausDietmar Henke /  H ans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 26), München: Oldenbourg 1988, S. 595-618, hier S. 598 f.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

der verheerenden Auswirkungen des Krieges eine Steigerung der Geburtenrate durchaus beabsichtigt war. Das Thema der Familienplanung tauchte in der zeitgenössischen Presse äußerst selten auf, es spielte hauptsächlich am Rande der Diskussion zum Recht der Frauen auf Abtreibung eine Rolle.83 Im Gegensatz aber zur Aufklärungskampagne über Geschlechtskrankheiten wurde im Hinblick auf ungewollte Schwangerschaften nichts unternommen, was in der öffentlichen Ikonosphäre Spuren hinterlassen hätte. Den »normalisierenden« Aspekt der Prophylaxe von Geschlechtskrankheiten veranschaulichen die 1946 von der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen eingeführten Aufklärungsplakate am besten. Die größte Kampagne war das Programm »Kennt ihr euch überhaupt?«. Die Plakate zeigten etwa eine Frau und einen Mann an einem Cafétisch oder beim Tanzen mit warnenden Bildunterschriften. Im Gegensatz zu den direkten und medizinisch fundierten Botschaften der Ausstellungen des Hygiene-Museums war dieses Material so konstruiert, dass es nicht zu viel sagte – und vor allem nicht zu viel zeigte. Mochten die Museumsexponate in den Räumlichkeiten der Ausstellung »versteckt« gewesen sein, so hingen die Plakate im öffentlichen Raum, weshalb strengere Normen bei der Darstellung von Körpern und Sexualität für sie galten. In der Einführung zu diesem Kapitel haben wir gezeigt, dass die Familie und die Gefahr ihres Verlustes als wichtigste Konsequenz von Geschlechtskrankheiten vor Augen geführt wurden.84 Der Mann steckt sich bei der Frau an; er ist das Opfer, sie die Täterin. Diese Art von Bildern evozierte eine doppelte Verantwortung der Frauen – nicht nur hatten sie die Last des Alltagslebens in dem zerstörten Land zu tragen, sondern ihnen wurde auch noch die Verbreitung von Krankheiten zugeschrieben. In gleicher Weise propagierten die Bilder eine private Stabilisierung, sie entsprach dem Bedarf nach festen Werten und einer neuen moralischen Orientierung im gesellschaftlichen Leben. Nie zeig83 | Vgl. Grossmann, Atina: Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform 1920-1950, New York /  O xford: Oxford University Press 1995, S. 193 ff. In der Zeitschrift Welt der Frau sind wir auf eine interessante Diskussion zu den Änderungen im westdeutschen Abtreibungsgesetz getroffen: E. Adolf: Ehrfurcht des Lebens, in: Welt der Frau (1947), Nr. 7, S. 13 u. 30; Prof. Dr. Gaupp: Ehrfurcht vor dem Leben, in: Welt der Frau (1947), Nr. 8-9, S. 3-5; Dr. G. Stecker: Geburten-Planung? Eine amerikanische Lösung, in: Welt der Frau (1947), Nr. 8-9, S. 6-7. 84 | Auch in diesem Fall berief man sich auf eine bewährte Rhetorik. Eine der am weitesten gehenden Varianten war der Entwurf eines britischen Plakats von 1943, das ein kleines Kind zeigte, welches aus seinem Bettchen hervorlugt – als Verkörperung von Unschuld und Familienglück. Die Bildunterschrift lautete: »Er vertraut dir. Wirst du seine und deine Zukunft mit Geschlechtskrankheiten sabotieren?« Wellcome Library London, http://wellcomeimages.org/indexplus/image/L0025331.html (19.05.2015).

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ten die Bilder aber unmittelbar, dass jemand (aller Wahrscheinlichkeit nach der Mann) betrogen haben musste. Abbildung 3.10: Plakat zu Folgen von Geschlechtskrankheiten, 1946, sowjetische Besatzungszone.

Quelle: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-025-008.

Diese profamiliäre Botschaft findet man beispielsweise auf einem 1946 in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckten Plakat, auf dem die Frage »Lebensfreude oder Siechtum?« prangt. In der oberen Hälfte sind drei glückliche Menschen in der Natur zu sehen – Vater, Mutter, Kind –, im unteren Teil hingegen sitzt eine Frau neben einem kranken Mann. Es handelt sich offensichtlich um dasselbe Paar wie in der oberen Bildhälfte. Ihre klassisch trachtenähnliche Kleidung – auch die des Mädchens, die an das Rotkäppchen erinnert – lassen keinen Zweifel daran, dass es um die traditionelle deutsche Familie geht. Die Tatsache, dass diese Kleidung kostspielig war und nur zu besonderen Gelegenheiten getragen wurde, signalisiert eine gute materielle Situation der Familie. Insbesondere im Hinblick auf die unmittelbare Nachkriegszeit muss dies bemerkt werden, da neue, elegante Kleidung beinahe nicht zu bekommen war. Eine bestimmte Ungewissheit erzeugt hingegen die Darstellung des Mannes

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

im oberen Teil der Komposition, da seine Gestalt wie auch sein Gesicht ein wenig feminin wirken. Etwaige Schlüsse hinsichtlich einer (beabsichtigten) Androgynität – oder gar Homosexualität – dieser Figur sind allerdings nicht zu ziehen, sondern vielmehr der Unbeholfenheit des Zeichners zuzuschreiben.85 Nun stellt sich die Frage: Was genau zeigt dieses Plakat? Handelt es sich lediglich um gesundheitliche Prophylaxe oder auch um die Propagierung des Modells einer glücklichen, zugleich opferbereiten Familie? Die Frau neben dem Sessel ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Ehefrau, bereit zur Pflege ihres kranken, sie betrügenden Mannes (denn wie sonst hätte er sich mit einer Geschlechtskrankheit anstecken sollen?). Gleichzeitig macht sie einen gereizten und traurigen Eindruck. Das Plakat appelliert also an das Verantwortungsbewusstsein des Mannes und an die Aufopferungsbereitschaft der Frau. Beide sitzen vor einer fensterlosen, dunklen Wand, die einen Kontrast zu der hellgrünen Landschaft im oberen Teil des Plakats bildet. Ein Kind ist im unteren Teil nicht zu sehen; so hat die Krankheit das Paar seines Glückes beraubt und schadet der Familie. Die Figuren entsprechen den ästhetischen Konventionen der 1930er Jahre; so erfüllen insbesondere die blonde, elegant gekleidete Mutter und das Kind Vorstellungen von Familie und Mutterschaft aus der Vorkriegszeit (nicht zwingend aus dem Nationalsozialismus). Repräsentierte die nationalsozialistische Ikonografie den Körper des Anderen bzw. Fremden noch als Bedrohung, so ist das Andere hier unsichtbar; der Körper der Person (einer Frau vermutlich), bei der sich der Mann angesteckt hat, bleibt außerhalb des Bildes. Den Bedarf für solche Kampagnen erläuterte u. a. ein Artikel mit einer Fotoreportage in der Neuen Berliner Illustrierten. Die kurzen Texte zu den suggestiven Bildern erklärten die Notwendigkeit von Zwangsuntersuchungen bei Frauen (»Viele Harmlose müssen hier mit wirklich Gefährlichen stundenlanges Warten und die nächtliche Prozedur über sich ergehen lassen.«) Es sind Bilder einer Razzia zu sehen – Frauen, die in einen LKW steigen – und der Flur einer Ambulanz (vgl. Abb. 3.11). Die Zeitschrift druckte auch eine Bildreihe des Fotografen Gerhard Gronefeld ab, der hauptsächlich für Magazine in der amerikanischen 85 | Der Mangel an hinreichenden künstlerischen Fähigkeiten ist übrigens auf vielen Plakaten oder Flugblättern dieses Zeitraums in allen Besatzungszonen zu sehen. Man kann dies den beruflichen Einschränkungen für Zeichner und Maler, die ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen waren, sowie der Massenemigration von Künstlern vor dem Krieg zuschreiben. In der Folge wurde in den ersten Nachkriegsjahren Informations- und Propagandamaterial oft von Amateuren angefertigt. Über die Schwierigkeiten, Künstlerinnen und Künstler zu beauftragen, berichtet u. a. Herbert Sandberg, Verleger des Ulenspiegels. Vgl. Sandberg, Herbert: Vorwort, in: ders. /  G ünter Kunert (Hg.), Ulenspiegel. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Satire 1945-1950, Berlin: Eulenspiegel 1978, S. 5-7, hier S. 6.

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Abbildungen 3.11 und 3.12: Fotoreportage unter dem Titel Geißel der Nachkriegszeit.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 38, S. 4 f.

Besatzungszone arbeitete. Ein paar seiner Fotografien zeigen einen Berliner Bürgersteig von oben, höchstwahrscheinlich vom Fenster eines Mietshauses aus aufgenommen. In der Szene spricht eine Frau einen Mann an, und beide gehen gemeinsam weg. Die Bildunterschrift stellt sie als Prostituierte und ihn als Freier dar. Die Fotografien scheinen tatsächlich eine solche Rollenaufteilung zu suggerieren, obgleich andere Möglichkeiten natürlich nicht auszuschließen sind (etwa, dass sie sich kennen). Ferner ist die Komposition der Fotografie interessant: Die Darstellung des Ereignisses, das sicherlich nur wenig Zeit in Anspruch nahm, in acht Bildern ist ein Handgriff, der diese Fotoserie an eine kurze Filmszene erinnern lässt. Die Darstellung von oben lässt an ein Plakat der Kampagne »Kennt ihr euch überhaupt?« denken, auf dem ein Männerhut (und der ihn tragende Mann) aus der Vogelperspektive zu sehen ist. In der Ferne ist die Silhouette einer Frau abgebildet. Dass ihre Blicke sich treffen, signalisiert eine durchgehende Linie zwischen den beiden Figuren. Die folgende rechte Seite der hier besprochenen Ausgabe der Neuen Berliner Illustrierten zeigt eine Tafel mit Fotografien geschlechtskranker Frauen – der dazugehörige Titel lautet: »VD Hall of Fame«. Rechts neben der Tafel ist die Silhouette eines Mannes zu sehen, der die Fotografien dieser Frauen betrachtet. Die Bildunterschrift spricht vom »modernen Pranger« und »eine[r] rigorose[n] Bekämpfungsmethode der amerikanischen Besatzungstruppen in München«. Neben den Fotografien der Razzien und Arztpraxen scheint dieses Bild zu sagen: Andernorts ist es schlimmer, kranke Frauen werden dort noch stärker ge-

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brandmarkt. In der Bildunterschrift heißt es ausdrücklich, dass die amerikanischen Besatzungsmächte solche Praktiken anwenden, um ihre Soldaten vor Ansteckungen zu schützen. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass sich die Amerikaner nur um das Wohl der eigenen Leute sorgen, während den Sowjets die Gesundheit der ganzen Gesellschaft am Herzen liegt. Eine solche Botschaft in der Neuen Berliner Illustrierten diente nicht nur der Bildung im Hinblick auf Geschlechtskrankheiten, sondern auch dem ideologischen Kampf, da sie die sowjetischen Besatzungsmächte in einem besseren Licht darstellt als die westlichen. Ein umgekehrtes Beispiel für die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Geschlechtskrankheiten im Kalten Krieg war die Empörung der Redaktion der Wochenzeitschrift Sie (amerikanische Lizenz) über die Plakate der besagten Kampagne »Kennt ihr euch überhaupt?«.86 Die Sie bezog sich auf in öffentlichen Verkehrsmitteln ausgehängte Plakate (mit hoher Wahrscheinlichkeit meinte man die S-Bahn, deren gesamtes Netz dem sowjetischen Sektor unterlag). Die Plakattitel lauteten etwa »Geschlechtskrankheiten: Pech gehabt warum?« oder »Geschlechtskrankheiten: für eine Nacht voller Seligkeit« (der jeweils zweite Teil der Slogans war ein Zitat eines damals populären Schlagers). Die Plakate enthielten keine Abbildungen und machten einen viel »unschuldigeren« Eindruck als viele andere Aufklärungsmaßnahmen. Es scheint, als wäre das Ziel der Attacke nicht der Inhalt der Plakate selbst, sondern vielmehr die Art der prophylaktischen Erziehung in der sowjetischen Besatzungszone. Mag es heutzutage zwar unmöglich sein, eine Kausalverbindung zwischen der Kritik in der Sie und der ideologisch gefärbten Fotoreportage in der Neuen Berliner Zeitung nachzuweisen, so ist die zeitliche Übereinstimmung doch bemerkenswert. Beide Veröffentlichungen trennen kaum zwei Wochen (die Ausgabe der Sie erschien Ende August 1947, die Neue Berliner Zeitung Mitte September). Eventuelle Reaktionen der Leserinnen und Leser in Bezug auf dieses propagandistische Wortgefecht bleiben hingegen ausschließlich unseren Mutmaßungen und unserer Vorstellungskraft überlassen.

S trassenbek anntschaft Im Gegensatz zur britischen und amerikanischen Besatzungszone, wo zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten u. a. Aufklärungsfilme in der Tradition deutscher Kulturfilme gedreht wurden, setzte die DEFA auf Aufklärung durch Spielfilme. Als Kulturfilm könnte lediglich der 1947 gedrehte einminütige Film Der Lebensbaum unseres Volkes  bezeichnet werden, in dem »belegt« wurde, dass Frauen häufiger an Geschlechtskrankheiten erkrankten, was zukünftige Ge86 | N. N.: Schlager als Prophylaxe?, in: Sie 35 (1947), S. 4.

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nerationen und den Wiederauf bau der richtigen demografischen Struktur der deutschen Gesellschaft bedrohe. Gegen Ende desselben Jahres liefen bereits die Vorbereitungen zum Spielfilm Straßenbekanntschaft unter der Regie von Peter Pewas, so dass nicht verwundern darf, dass die DEFA dieses Thema nicht in anderen Produktionen »vermarktete«. Ursprünglich sollte ein anderes Team einen Aufklärungsspielfilm über Geschlechtskrankheiten drehen (Buch: Hanns H. Fischer, Regie: Erich Waschneck)87, dessen Arbeitstitel Falsche Scham lautete – genau wie der Titel des bekannten Aufklärungsfilms von 1925 / 1926.88 Schon die Idee der Aufklärung durch einen Spielfilm ist bemerkenswert, zumal diese Strategie für gewöhnlich mit dem Wiederaufbau der Kinematografie in der amerikanischen Besatzungszone konnotiert ist; so schrieb einer der OMGUS-Vertreter: »Wir können eine Nation nicht ins Kino zwingen. Unsere Aufgabe muss es daher sein, das Publikum mithilfe von Filmen anzuziehen, die es aufgrund ihrer eigenen Werte ansprechen, ohne dabei aber auf die Perspektive zu verzichten, die wir vermitteln möchten.« 89 Eine ähnliche Meinung äußerte Erich Pommer, der seit Juli 1946 die Position des Film Production Control Officers innehatte: »Eine geeignete Geschichte, aus der ein guter und unterhaltsamer Film gemacht wird, von deutschen Schauspielern vor deutschem Hintergrund gespielt, kann unseren Zielen mehr dienen als der beste Propaganda- oder Dokumentarfilm.«90 Im Falle von Straßenbekanntschaft wurde diese Strategie in der sowjetischen Besatzungszone angewandt, wenn auch heute schwer abzuschätzen ist, ob es sich dabei um eine bewusste Nachahmung amerikanischer Praktiken oder einfach um eine ähnliche Denkart handelte. Pewas’ Film wurde in allen Besatzungszonen gezeigt und erreichte ein Publikum von mehr als fünf Millionen Menschen91, was damals als eher durchschnittliches Ergebnis einzustufen war, zumal ein Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer mit Sicherheit an organisierten Vorführungen teilnehmen musste.

87 | Interessanterweise arbeiteten Fischer und Waschneck bereits von 1933 bis 1940 /  1944 sowie in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik zusammen. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre gibt es keine neuen Titel in ihrer Filmografie. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass die Leitung der DEFA eine Zusammenarbeit mit ihnen aus politischen Gründen beendete. Diese These müsste in Archivquellen verifiziert werden, was aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreitet. 88 | Vgl. Film und Fernsehen (1982), Nr. 2, S. 17-19, hier S. 18, BA Film SG1 / 16174I. 89 | Zit. n. Greffrath, Bettina: Gesellschaftsbilder der Nachkriegszeit. Deutsche Spielfilme 1945-1949, Pfaffenweiler: Centaurus 1995, S. 68. 90 | Zit. n. Jacobsen, Wolfgang: Erich Pommer. Ein Produzent macht Filmgeschichte, Berlin: Argon 1989, S. 143 f. 91 | N. N.: DEFA-Filmerfolge, in: National Zeitung vom 18.05.1951, Archiv der Akademie der Künste, Kurt-Maetzig-Archiv 18.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

Abbildung 3.13: Plakat zum Film Straßenbekanntschaft, 1948, westliche Besatzungszonen.

Quelle: Deutsches Filminstitut.

Die Bedrohlichkeit lässt sich bereits auf dem Plakat erkennen: Im Vordergrund ist das große (verstörte oder verzweifelte) Gesicht einer Frau zu sehen (die der weiblichen Hauptrolle in keinster Weise ähnelt), hinter ihrem Rücken lauert der schwarze Schatten eines Mannes, und im entfernteren Hintergrund sind weitere Männersilhouetten auszumachen. Die Farbpalette des Plakats unterstreicht den unheilvollen Eindruck zusätzlich, indem sie mit den Komplementär­farben Rot und Grün arbeitet: Die Frau im Vordergrund hat rotes (rotgefärbtes) Haar und einen knallrot geschminkten, vollen Mund, die sich vor dem giftgrünen Hintergrund mit den Silhouetten potenzieller Liebhaber abheben. Ein grüner Schimmer liegt auf der Stirn der Frau, was die Interpretation nahelegt, dass das »Gift« der Geschlechtskrankheit die Frau bereits befallen hat – aber eben auch von weiteren Liebhabern ausgeht. Im Gegensatz zu den damals allgegenwärtigen Botschaften, denen zufolge allein die Frau die Schuld an einer Ansteckung trägt, könnte dieses Plakat durchaus auch eine andere Lesart zulassen. Plakate für andere bekannte Filme des betreffenden Zeitraums wiesen ähnliche Kompositionen auf – insbesondere der erste deutsche Nachkriegsfilm Die Mörder sind unter uns (1946, Regie: Wolfgang Staudte, sowjetische Besatzungs-

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zone). Die Ähnlichkeit in der Komposition (das große Gesicht einer Frau im Vordergrund, eine kleine Männergestalt im Hintergrund) wiederholt sich allerdings nicht in der Handlung der Filme. Während Susanne in Staudtes Film den männlichen Protagonisten vor einer unüberlegten Tat bewahrt, sind in Straßenbekanntschaft die Frauen die Krankheitsträger. Straßenbekanntschaft wurde im Auftrag der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen gedreht92; im Vorspann des Filmes wird ein »sozialhygienischer« Film angekündigt. Er erzählt die Geschichte dreier Frauen. Erika und Marion erkranken aufgrund ihres Leichtsinns an Gonorrhö und Syphilis und stecken unwissentlich auch ihre mehr oder weniger zufälligen Partner an, die damit ihrerseits ansteckend sind (Erikas unbekannter Liebhaber war Marions Ehemann, sie wiederum hatte sich bei einem Fremden angesteckt). Die dritte Frau ist die Nebenrolle Annemie, die ganz genau weiß, dass sie krank ist, was sie jedoch nicht davon abhält, andere Frauen (u. a. Erika) zur Prostitution zu überreden. Die Strafe für ihr unmoralisches Handeln ist die Einsamkeit. In dieser Erzählung sind die Männer entweder Opfer verantwortungsloser Frauen oder sexsüchtige, unmoralische Wesen; so lässt einer der Männer auf einer luxuriösen Schieberparty verlautbaren: »Unter uns, Männer, was ist denn schon ein Weib? Ein Nachtisch nach dem Essen.« Annemie, die diesen Wortwechsel mitanhört, antwortet: »Wir werden schon dafür sorgen, dass den Herren der Nachtisch sehr teuer kommt.« Im wortwörtlichen Sinne geht es ihr um Schokolade oder Strumpfhosen, mit denen die Männer für den Sex »zahlen«. Wenn man zum Ende des Filmes erfährt, dass Annemie von ihrer Krankheit Abbildung 3.14: Screenshot aus Straßenbekanntschaft.

92 | Vgl. Jordan, Günter /  M ückenberger, Christiane: »Sie sehen selbst, sie hören selbst«. Eine Geschichte der DEFA von ihren Anfängen bis 1949, Marburg: Hitzeroth 1994, S. 160.

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

weiß, ändert das die Bedeutung ihrer Worte: Der Preis für die herablassende Behandlung der Frauen ist der Verlust der eigenen Gesundheit. Die Protagonistin Erika ist ein sechzehn- oder siebzehnjähriges Mädchen, das in einer Wäscherei als Büglerin arbeitet, was – wie wir aus den Filmdialogen erfahren – die richtige Tätigkeit für eine junge Frau sei. Das Motiv der Reinheit zieht sich durch den gesamten Film. In der Straße, in der sich die Wäscherei befindet, hängt eine Persil-Werbung an der Seitenwand eines der Mietshäuser. Es war eine von mehreren Persil-Werbungen dieser Größe, die im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit noch erhalten waren.93 In diesem Fall handelt es sich um eine von Kurt Heiligenstaedt entworfene Werbung, auf der eine Frau in schneeweißer Kleidung zu sehen ist, umgangssprachlich wurde sie weiße Dame genannt. Auch wenn sich die weiße Persil-Dame in allen ihren Varianten als modisch-weltläufige Gestalt präsentiert, so tritt sie dem Betrachter als isolierte Figur, weiß vor dunklem Grund, doch stets wie eine der Wirklichkeit enthobene Lichtgestalt aus einer anderen Welt entgegen. 94

Yasmin Doosry behauptet, dass sie auf diese Weise die Gestalt eines Geistes annimmt, ihr etwas Unheimliches innewohnt, sie zugleich aber auch sichtbarer wird.95 Obgleich das eine weitreichende Interpretation ist, passt sie in den Kontext des Films, in dem die Frauen eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen. Die von oben auf Erika herabblickende, äußerst große Silhouette der weißen Dame erinnert daran. Erst in den 1950er Jahren nahm die weiße Dame eine andere Gestalt an, die der Mode und der Weiblichkeitsvorstellung der damaligen Zeit stärker angepasst war.96 Und noch etwas ist an der Werbung bemerkenswert: Während die Nachkriegspresse nur sporadisch Persil-Werbung druckte (die wenigen Beispiele waren Teil der Sammelwerbungen des Henkel-Konzerns), brachten Wandmalereien wie jene im Film die ununterbrochene Kontinuität der Vor- und Nachkriegsikonografie zum Ausdruck. Nicht zufällig steht das Bild der weißen Dame in Pewas’ Werk in Verbindung mit einer Szene in der Wäscherei. In weiteren Szenen gibt es ähnliche Signale, so sagt 93 | Leh, Almut /  P lato, Alexander von: »Ein unglaublicher Frühling«. Erfahrene Geschichte im Nachkriegsdeutschland 1945-1949, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 1997, S. 53. 94 | Doosry, Yasmin: Persil bleibt Persil, in: G. Ulrich Großmann (Hg.), Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885-1965, Ostfildern: Hatje Cantz 2009, S. 244-254, hier S. 249. 95 | Ebd. 96 | Kriegeskorte, Michael: Werbung in Deutschland 1945-1965. Die Nachkriegszeit im Spiegel ihrer Anzeigen, Köln: Dumont 1992, S. 45.

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Erikas Freund Walter etwa: »Wichtig, dass man sich selbst ins Gesicht sehen kann, dass man sauber bleibt.« Und in einer anderen Szene sehen wir Erika, wie sie sich gründlich die Hände schrubbt. Es handelt sich also um dieselbe Reinheitssymbolik wie in den in Kapitel II besprochenen Werbeanzeigen, in denen sich die Sauberkeit sowohl auf die hygienische wie auch auf die moralische Sphäre bezog. Das Motiv der Reinheit zeigt sich auch im Handlungsstrang von Marion und ihrem Ehemann Herbert. Während er an der Front und später in Kriegsgefangenschaft war, lebte sie in Berlin und versuchte, die Einsamkeit, den Hunger, die Kälte und die Bombardements durchzustehen – so stellt sie es vor ihm zumindest dar. Nach einer angesichts seiner Rückkehr kurzwährenden Freude kommt es zur Krise. Es stellt sich heraus, dass Marion während des Krieges einen Liebhaber hatte, der ihr »nichts bedeutet« hat. Der enttäuschte Herbert findet in einem Moment der Schwäche Trost in Erikas Armen. Doch er ist keiner der Heimkehrer, von denen wir in Kapitel I geschrieben haben, die lediglich eine Belastung für die Frauen darstellten – so hilft Herbert etwa im Haushalt. Wenn Marion zur Arbeit geht, lüftet er die Wohnung, schrubbt den Boden und schlägt die Teppiche aus. Diese Ordnungspflege lässt sich als Wille zur Läuterung der Beziehung zwischen ihm und seiner Frau deuten. Herbert wird zum Gegenteil jener Männer stilisiert, die Frauen als Objekt betrachten; selbst als sich herausstellt, dass Marion an Syphilis erkrankt ist, hört er nicht auf, sich um sie zu kümmern. Eine der interessantesten Szenen des Filmes ist die Razzia, mithilfe derer die Frauen zur gynäkologischen Untersuchung gezwungen werden sollen. In einem Lokal treibt die Kriminalpolizei alle Frauen zusammen und lässt sie wie im Aufklärungsfilm Feinde im Blut auf einen Lastwagen steigen – die Ähnlichkeit zu Razzien in den von der Wehrmacht besetzten Ländern ist nicht von der Hand zu weisen. In Warschau war für solche Aktionen die Gestapo verantwortlich, mit dem Unterschied natürlich, dass die festgenommenen Personen nicht in Arztpraxen gebracht, sondern inhaftiert oder exekutiert wurden. Die visuelle Ähnlichkeit der Szene in Straßenbekanntschaft (Polizisten in Zivil, der mit Menschen beladene Lastwagen) mit (nicht nur) polnischen Darstellungen und Erinnerungen ist augenfällig. Es ist schwer zu sagen, inwiefern dies intendiert ist oder nicht – mit Sicherheit aber verstärkt es die Darstellung von Gewalt gegenüber Frauen. Dieses Problem wurde bereits im Frühjahr 1946, also zwei Jahre vor der Fertigstellung des Films, vom Zentralen Frauenausschuss sowie von der Leiterin der Abteilung »Mutter und Kind« der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone angesprochen. Beide Frauenorganisationen forderten entsprechende Razzien für Männer.97 Der Appell verhallte allerdings ungehört. Angesichts der Razzia und berechtigter Pro97 | N. N.: Razzia auch gegen Männer, in: Für Dich (1946), Nr. 14, S. 5.

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teste der Frauen überzeugt die Argumentation des Filmarztes, warum solche Maßnahmen notwendig seien, nicht. Auf die Frage von Erikas Freund Walter, warum nicht auch Männer solchen Untersuchungen unterzogen werden, führt der Arzt Statistiken an und die Unmöglichkeit, alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem Geschlecht zu untersuchen. Er spricht auch von einer angeblich größeren Freizügigkeit der Frauen. Seine Argumente sind allerdings ziemlich schwach – auch Walter überzeugen sie nicht. Im Grunde genommen hält Straßenbekanntschaft die Zweifel im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der ausschließlichen Untersuchung von Frauen und der drakonischen Umsetzung dieser Maßnahmen aufrecht. Obgleich sich die Maßnahmen im Film als wirksam und notwendig erweisen (nachdem Erika erfährt, dass sie krank ist, lässt sie sich medizinisch behandeln), empfindet die Protagonistin die Art der Behandlung als demütigend. In vielen Rezensionen wurde hervorgehoben, dass die Geschichte in Straßenbekanntschaft nicht überzeuge, der Film dafür aber in visueller Hinsicht imponiere: »Ganze Bildfolgen hindurch überrascht und erfreut immer wieder eine atmosphärische Dichte, wie man sie in besten französischen Filmen findet.«98 Tatsächlich sind in diesem Film Anleihen aus dem französischen poetischen Realismus99 oder dem frühen italienischen Neorealismus100 erkenn98 | Melis: Kennt ihr euch überhaupt? DEFA-Premiere: Straßenbekanntschaft im »Prater«, in: Neues Deutschland vom 15.04.1948 (Pressestimmen zum Film Straßenbekanntschaft, BA Film SG1 /  16174I). Der Titel der Rezension ist zugleich auch der Titel der oben erwähnten Kampagne gegen Geschlechtskrankheiten. 99 | Der poetische Realismus in Frankreich ist eine kinematografische Richtung aus den 1930er Jahren, die u. a. solche Regisseure wie Marcel Carné, Jean Renoir, Julien Duvivier oder – zum Teil – Jean Vigo prägten. Die bekanntesten Filme sind Hafen im Nebel (1938, Regie: Marcel Carné) und Die große Illusion (1937, Regie: Jean Renoir). 100 | Der Neorealismus ist eine italienische kinematografische Richtung aus den 1940er Jahren und vom Beginn der 1950er Jahre. Als Schlüsselwerke dieser Richtung gelten Robert Rossellinis Rom, offene Stadt (1946), Paisà (1946), Deutschland im Jahre Null (1948), die Filme von Vittoria de Sica unter dem Titel Fahrradliebe (1948) oder Das Wunder von Mailand (1951). Einige Forscherinnen und Forscher zählen auch die frühen Filme Federico Fellinis wie Die Müßiggänger (1953) oder La strada (1954) zum Neorealismus. Auf die Verschwägerung des deutschen Nachkriegskinos mit dem italienischen Neorealismus verweist u. a. Shandley, Robert R.: Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit, übers. v. Axel Meier, Berlin: Pathas 2010, S. 78 ff. Im Falle des Neorealismus und des deutschen Nachkriegskinos fällt es schwer, von Inspirationen zu sprechen, es wäre hingegen treffender, auf eine parallele Entwicklung zu verweisen. Die Ähnlichkeiten einiger Filme resultieren vielmehr aus einer geteilten Erfahrungsgemeinschaft (etwa die schlechten Lebensbedingungen der Protagonisten, der Fokus auf Frauen- und Kinderfiguren und arme Leute). Eine ähnliche Stilistik, insbesondere die Vielfalt

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bar. Es ist durchaus anzunehmen, dass dies mehr als beabsichtigte Kunstgriffe waren, da sich Pewas inmitten der Arbeiten an seinem Film mit Roberto Rossellini traf.101 Eine wichtige Rolle spielen beispielsweise die (für den poetischen Realismus typischen) Fenster und Spiegel. Fast in jedem Raum ist ein Fenster zu sehen und durch das Fenster ein Teil der Stadt – Häuser und Ruinen. Die Protagonisten unterhalten sich neben den Fenstern, öffnen sie, blicken durch sie hindurch, rufen hinaus usw. Solche Szenen kann der Kameramann Georg Bruckbauer mit einer großen Tiefenschärfe der Bilder unterstreichen: In gleicher Schärfe sind sowohl die Gegenstände und Personen im Vordergrund als auch im Hintergrund, jenseits des Fensters, zu sehen. Dies war ein populärer Kunstgriff im Kino der 1940er Jahre, mit dem die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Ereignisse unterstrichen werden konnte. In Straßenbekanntschaft erweitert sich auf diese Weise der enge Raum der Wohnungen, in denen sich die Handlung des Films abspielt. Die Fenster signalisieren, dass sich die Welt nicht auf die klaustrophobischen Beziehungen begrenzt, in denen die Hauptfiguren des Films leben. Die Spiegel hingegen kommen hauptsächlich in Dialogszenen vor. Der Blick in den Spiegel hat auch moralische Bedeutung – Walter zufolge ist es entscheidend, »dass man sich selbst ins Gesicht sehen kann«. Der Spiegel wird hier zum Reflex innerer Verfassung: der trübe Spiegel bei Erikas Eltern: »Man kann nicht einmal sein Gesicht darin sehen.« In der halbzerbombten Wohnung des Journalisten: »Der ist ja kaputt …«. Die Verführungsszene wird vor einem Spiegel, mit Hilfe des Spiegels eröffnet.102

Solche Kunstgriffe, für das Kino des betreffenden Zeitraums charakteristisch, zeugen von den hohen Ambitionen der Filmschaffenden. Sie zeigen auch, dass es ihnen trotz der ungünstigen Gegebenheiten möglich war, mit internationalen Entwicklungen Schritt zu halten. Im Falle von Straßenbekanntschaft trägt der künstlerische Anspruch allerdings zu einer gewissen Verwirrung des Publikums bei. Die Stilistik des Films widerspricht nämlich seinem pragmatischen Ziel und seiner bodenständigen Thematik, was auch zeitgenössische Kritiker anmerkten. Man warf Pewas vor, dass er nicht an die Tradition der Aufklärungsfilme angeknüpft hatte: »Das ist die Quintessenz eines Films, der ein Aufklärungsfilm sein könnte. Könnte! Wenn er nämlich den Mut hätte, rück-

der Freilichtaufnahmen, geht auf die Zerstörungen der Filmindustrie, die technischen Einschränkungen der Nachkriegszeit zurück usw. 101 | Vgl. R. Shandley, Trümmerfilme, S. 210. 102 | Film und Fernsehen (1982), Nr. 2, S. 19 (Ausschnitt in: BA Film SG1 / 16174I).

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

sichtslos offen zu sein, kraß, grell, direkt«103, schrieb ein Rezensent des NachtExpress, und ein Kritiker des Tagesspiegels beklagte: »Es wäre dienlicher gewesen, hätte man einen wissenschaftlich sorgfältig gearbeiteten, klinisch exakten, echten Aufklärungsfilm gedreht.«104 Es scheint folglich, dass das Vorhaben einer unterhaltsamen Aufklärung bei dem an frühere Medizinfilme wie Es werde Licht!, Falsche Scham oder Feind im Blut gewöhnten Publikum nicht gut ankam, da die für Aufklärungsfilme charakteristischen Merkmale fehlten. Diesen entsprach allein die kurze und wenig überzeugende Ausführung des Arztes über die Notwendigkeit der Untersuchung zufällig angehaltener Frauen; es fehlt darin allerdings an zuverlässigen Informationen zu Krankheitssymptomen, an Aufnahmen von Geschwüren und Ausschlägen, Animationen von Bakterien usw. Die Mehrzahl der Rezensenten bemängelte dies und unterstrich, dass der Film so von seinem grundlegenden Ziel abkomme. Das Neue Deutschland verteidigte die Strategie mit dem Argument, dass »es kein Aufklärungsfilm im rein medizinischen Sinne, sondern ein Spiegelbild der Zeit«105 sei, und in der Frau von heute wurde der Film für seine Diskretion gelobt106; doch waren dies eher vereinzelte Stimmen. Die Schlussszenen in Straßenbekanntschaft, in denen sich Herbert fürsorglich um seine kranke Frau kümmert (die umgekehrte Rollenverteilung im Vergleich zu den Plakaten aus der Kampagne gegen Geschlechtskrankheiten ist bemerkenswert) und Erika den Heiratsantrag von Walter annimmt, lassen keine Zweifel: Das Rezept für ein gesundes und glückliches Leben ist eine stabile und treue Beziehung. Auf diese Weise unterstützt der Film die im damaligen Gesundheitsdiskurs dominierende Erzählung vom Wiederauf bau traditioneller Familien als Grundlage für die gesellschaftliche Ordnung. Gesunde Frauen und Männer waren das Fundament der zukünftigen Gesellschaft. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ein wenig früher schon der oben genannte Film Der Lebensbaum unseres Volkes gezeigt worden war, in dem Geschlechtskrankheiten als lebensbedrohlich für die Gesellschaft im biologischen Sinne dargestellt wurden. Die Autoren dieses Kurzfilmes zeigten demografische Diagramme, aus denen hervorging, dass der Krieg einen bedeutenden Verlust in den Jahrgängen im gebärfähigen Alter mit sich gebracht hatte. Frauen, die sich (und andere) darüber hinaus noch mit Geschlechtskrankheiten ansteckten, verbreiteten Unfruchtbarkeit, die wiederum dem gesellschaftlichen Wiederauf bau nach dem

103 | H. H.: Straßenbekanntschaft, in: Nacht-Express vom 15.04.1948 (Ausschnitt in: BA Film SG1  /  16174I). 104 | Pressestimmen zum Film Straßenbekanntschaft, BA Film SG1 / 16174I. Hier eine Abschrift aus Der Tagesspiegel vom 15.04.1948. 105 | Melis: Kennt ihr euch überhaupt?. 106 | H. B.: Straßenbekanntschaft, in: Die Frau von Heute (1948), Nr. 9, S. 33.

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Krieg entgegenwirkte. In Straßenbekanntschaft wurde dies nicht so direkt formuliert, das Problem der kollektiven Verantwortung wird gleichwohl deutlich.

I nkohärenzen der I konosphäre Letztlich ließ sich die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten eindämmen, doch ist es schwer einzuschätzen, ob dieser Erfolg der Propaganda oder eher dem Penicillin zuzuschreiben war. Es ist nicht auszuschließen, dass auch das Schema der traditionellen Familie, um das die Besatzungsmächte so kämpften, tatsächlich eine bedeutende Rolle spielte. Die Deutschen gingen neue, dauerhafte Bindungen ein, und dank einer Verbesserung der Lebensbedingungen mussten sich weniger Frauen prostituieren. Die Bestimmung präziser Kausalitäten zwischen diesen Prozessen würde allerdings noch genauere Forschungen erfordern. Für uns ist hingegen wichtig, dass die Veränderungen von visuellen Praktiken begleitet wurden, die ihrerseits wiederum die Vorstellungen von den Geschlechtskrankheiten prägten. In der sowjetischen Besatzungszone verlief, wie wir bereits erwähnt haben, die Aufklärungskampagne besonders intensiv, obgleich (oder auch: weshalb) die Infektionsrate dort niedriger als in den westlichen Zonen war. Der Umfang der Kampagne war bemerkenswert. Plakate wurden in einer Auflage von einigen Hunderttausend Exemplaren gedruckt, obwohl Papier nach wie vor Mangelware war. Die Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums tourte zwei Jahre lang durch die meisten ostdeutschen Städte und kleineren Ortschaften. Ihre Organisatoren scheuten keine logistischen Mühen, um die Ausstellungstafeln trotz der sehr schlechten Infrastruktur zu transportieren oder Ausstellungsräume in zerstörten Räumlichkeiten einzurichten. All das ergab zusammen mit anderen Botschaften in der öffentlichen Ikonosphäre ein inkohärentes Gesamtbild. Einerseits sicherten die Filme und Plakate Anonymität in der Therapie und die berufliche Schweigepflicht des behandelnden Arztes zu, andererseits war allseits bekannt, dass kranke Patientinnen und Patienten namentlich registriert wurden. Die Fotoreportage in der Neuen Berliner Illustrierten zeigte Bilder erkrankter Frauen, die in Münchner Kasernen aushingen (vgl. Abb. 3.11), mit der Reportage sollten auch die Praktiken der amerikanischen Besatzungsmacht angeprangert werden. Indes fürchtet sich Erika, Protagonistin des Filmes Straßenbekanntschaft, dass sie wegen ihrer Erkrankung von der Polizei aufgegriffen werden könnte. Mehr noch, ihr Freund verlässt sich beinahe darauf, in der Hoffnung, dass Erika zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht wird. Die Besatzungsmächte und die zivilen Verwaltungen mischten sich folglich in die intimsten Bereiche des Lebens ihrer Bürger ein, die wiederum Scham und Angst verspürten. Visuelle Repräsentationen

III.  Geschlechtskrankheiten: Veronikas, Spirochäten und keine Kondome

wohlwollender Ärzte, die ihren Patientinnen und Patienten Verständnis entgegenbringen, konnten daran nichts ändern. Die Inkohärenz der visuellen Botschaften offenbarte sich nicht nur in Details der Aufklärungskampagnen, sondern auch im Verhältnis zu anderen Komponenten der Ikonosphäre. Wie nämlich ist die Gleichzeitigkeit von Bildern, die zu Treue und einem Leben in traditionellen Familienstrukturen aufrufen, und Reklamen zu deuten, die emanzipierte und sexuell befreite Frauen zeigen? Im ersten Kapitel war Werbung für Schminke, Parfüm oder Unterwäsche zu sehen, die Bilder von sinnlichen Frauen in Erwartung eines Mannes zeigen. In ihnen sah man nicht die treue (Ehe)Frau, die ihrem (Ehe)Mann gefallen möchte. Die öffentliche Ikonosphäre bot den Rezipientinnen und Rezipienten unterschiedlichste Bilder und Identifikationsmuster an. Sex wurde als etwas Verbotenes, Unmoralisches dargestellt, das höchstens im Rahmen der Ehe und zu Fortpflanzungszwecken (also zum Wiederauf bau der vom Krieg zerstörten Gesellschaft durch eine neue Generation) zulässig war. In offiziellen Darstellungen wurde außereheliche Sexualität als Sünde bewertet (was beispielsweise in den religiösen Bezügen des Plakates zu Beginn dieses Kapitels sichtbar wurde: Die »heilige« Familie ist von strahlendem Glanz umgeben, während der kranke Mann in dunklem Schatten liegt). Die kommerziellen Werbebotschaften enthielten hingegen Bezüge auf Sexualität in den Kategorien von Lust und Zerstreuung. Die parallele Präsenz dieser beider Ordnungen war – selbstredend – nichts Außergewöhnliches, das ausschließlich Deutschland in der Nachkriegszeit betroffen hätte. Es handelte sich um ein für Kulturen der Moderne verbreitetes Phänomen – und zeugt eher von der »Normalität«, als von der Singularität der damaligen deutschen Ikonosphäre.

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Abbildung 4.1: Lebensmittelreklame der Firma Deubel.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 1, Umschlagrückseite.

IV. Ernährung: Kartoffeln, Knäckebrot und Trockenmilch

Auf der Umschlagrückseite der ersten Ausgabe des Frauenmagazins Die Frau von heute (zu diesem Zeitpunkt war es das Presseorgan der Frauenausschüsse in der sowjetischen Besatzungszone) prangte eine Werbeanzeige der Firma Deubel. Eine Frau richtet ihren Blick unmittelbar auf den Betrachter, und ihre linke Hand scheint sowohl auf den Tisch und die darauf platzierten Produkte als auch auf den Rezipienten zu weisen. Dieses Bild legt ein gewisses Paradoxon in Bezug auf Presseillustrationen in der sowjetischen Besatzungszone offen. Im Gegensatz zu den sozialistischen Heldinnen auf den Umschlägen von Frauenzeitschriften zeigten Werbeanzeigen und eher marginale Abbildungen (etwa Moderatgeber in den Magazinen) oft sinnliche Frauen und Repräsentantinnen des Bürgertums. Die im Hintergrund sichtbaren Küchenmöbel, das gepflegte Aussehen der dargestellten Frau sowie ihre Kleidung suggerieren, dass wir es mit einer Hausfrau zu tun haben. Ihre Klassenzugehörigkeit lässt sich anhand der geräumigen und mit Keramikfliesen ausgelegten Küche, der damals modischen Anrichte (ähnliche Modelle finden wir in Ratgebern zur Innenraumgestaltung), des reichlich gedeckten Tisches und des von der Frau getragenen Schmuckes erkennen. Die Umschlagvorderseite derselben Ausgabe der Frau von heute hingegen zeigt eine lächelnde und rüstige Verkehrslotsin. Im Vordergrund sehen wir ihr Gesicht und ihre Hand, in der sie eine Straßenkelle hält, im Hintergrund überqueren mehrere Personen die Straße. In derselben Zeitschrift haben wir es auf der Vorder- und Rückseite des Umschlags mit zwei völlig unterschiedlichen Frauenfiguren zu tun – einer Arbeiterin und einer (eher nicht erwerbstätigen) Hausfrau. In der Frau auf der Umschlagvorderseite erkennt man die ideologischen Vorstellungen der sozialistischen Geschlechterund Berufsrollen, die Figur in der Werbeanzeige dagegen entspringt der kommerziellen Perspektive der Firma Deubel. Reklamen für Lebensmittelprodukte bezogen sich auf eine verlorene bzw. eine Traumwelt, in der man sich satt essen konnte. Aus diesem Grund gab Michael Wildt seiner Studie zu Alltagsleben und Ernährung im Hamburg der Nachkriegszeit den passenden Titel Der Traum vom Sattwerden. Die hier abge-

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druckte Reklame scheint eine hervorragende Illustration dieses Traums darzustellen, denn die auf dem Bild zu sehenden Kekse, Backaromen, der Zwieback und das Backpulver kontrastieren mit Narrationen von Hunger und Versorgungsschwierigkeiten in den ersten Nachkriegsjahren. Es geht zwar um gut aufzubewahrende Produkte oder (Back-)Zutaten, die Form der Präsentation aber lässt auf einen allgemeinen Wohlstand schließen. Um von Zusätzen wie Backpulver Gebrauch machen zu können, benötigt man Mehl, Zucker, Eier oder auch Milch – und insbesondere die letzteren Zutaten waren nur schwer erhältlich. Im Frühling 1946, in dem Moment, als die oben zu sehende Reklame zum ersten Mal erschien, stand mehr als der Hälfte der Einwohner von Leipzig – dem Hauptsitz der Firma Deubel  – eine der beiden schlechtesten Kategorien von Lebensmittelkarten zu: 43 Prozent mussten sich mit Karten der Gruppe V zufrieden geben und 19 Prozent mit Karten der Gruppe IV. In der Praxis bedeutete dies, dass sie um die 1.000 Kalorien täglich zu sich nahmen (in den Sommermonaten etwas mehr) und bei optimaler Versorgungslage »250 g Brot, 20 g Fleisch, 7 g Fett, 15 g Nährmittel und 15 g Zucker«1 erhalten konnten. Die wenigen Personen, denen mit der Gruppe I die besten Lebensmittelkarten zustanden (u. a. Schwer- und Schwerstarbeiter sowie Leiter der antifaschistischen Organisationen2), erhielten mehr oder weniger die doppelte Ration. Ferner hatten alle Leipziger Anspruch auf 30 g Marmelade, 17,85 g Quark und 400 g Kartoffeln.3 Es gilt zu betonen, dass dies sogenannte Soll-Rationen waren, die sich 1 | Gries, Rainer: Die Rationen-Gesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität. Leipzig, München und Köln nach dem Kriege, Münster: Westfälisches Dampfboot 1991, S. 100. 2 | Während in der sowjetischen Besatzungszone das System der Lebensmittelkarten mit dem Beruf und der politischen Position korrelierte, hing die Lebensmittelkartenzuteilung im Westen von Alter, Geschlecht und Familienstand ab. Mehr dazu in: Pence, Katherine: Labours of Consumption. Gendered Consumers in Post-war East and West German Reconstruction, in: Lynn Abrams / E lizabeth Harvey (Hg.), Gender Relations in German History. Power, Agency and Experience from the Sixteenth to the Twentieth century, London: Routledge 1996, S. 211-288, hier S. 214 f. 3 | Ebd., S. 101. Die Literatur zur Hungerkrise der Nachkriegszeit und ihren lokalen Facetten ist äußerst umfangreich. Neben der erwähnten Studie von Michael Wildt (Der Traum vom Sattwerden. Hunger und Protest, Schwarzmarkt und Selbsthilfe, Hamburg: VSA 1986), sind u. a. folgende Arbeiten zu nennen: Heibel, Jutta: Vom Hungertuch zum Wohlstandsspeck. Die Ernährungslage in Frankfurt am Main 1939-1955, Frankfurt a. M.: Kramer 2002; Christa Keller-Teske (Hg.), Mangeljahre. Lebensverhältnisse und Lebensgefühl im Landkreis Stade, 1945-1949, Stade: Stadtarchiv 1989; Rothenberger, KarlHeinz: Die Hungerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Ernährungs- und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz 1945-1950, Boppart: Boldt 1980; Jürgen Schmidt (Hg.), Rote Rüben

IV.  Ernährung: Kar tof feln, Knäckebrot und Trockenmilch

wesentlich von den Ist-Rationen unterschieden, so waren vor allem Quark und Kartoffeln Mangelware. Seit Kriegsende bis zur Währungsreform im Jahr 1948 war Leipzig mehrere Male von der Kartoffelkrise betroffen. Es mag sein, dass es manchmal gelang, Kekse, Zwieback und Kuchenzutaten zu erstehen, aber mit Sicherheit waren das keine Produkte, die tagtäglich konsumiert wurden. Die Lektüre von Kochrezepten in Frauenzeitschriften zeigt, dass Backgerichte eher zu besonderen Anlässen serviert wurden. In der Reklame der Firma Deubel hingegen werden solche Produkte als täglich verfügbare Grundnahrungsmittel dargestellt. Das Bild setzt aus der Vorkriegszeit (damit ist sowohl die Zwischenkriegszeit als auch die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gemeint) bekannte Motive fort, als sich Marken wie Schördinger (ein österreichischer Lebensmittelproduzent), Lux, Persil oder Ata Darstellungen von Frauen in häuslicher Umgebung bedienten, die stolz ihre weiße Wäsche, frisch gespültes Geschirr oder üppige Einkäufe präsentierten.4 Der Werbekunstgriff mit dem Bild der ob ihrer Einkäufe und ihres sauberen Haushalts zufriedenen Hausfrau wurde auch in späteren Jahren weiter angewandt – in den 1950er Jahren erkennen wir ihn in Werbekampagnen solcher Firmen wie Rama5 oder Fewa6. Insofern Waschpulver oder grundlegende Lebensmittelprodukte in einer Zeit verhältnismäßigen Wohlstandes tatsächlich verfügbar waauf dem Olivaer Platz. Quellen zur Ernährungskrise in der Nachkriegszeit Berlins 19451949, Münster: Lit 2008; Stiel, Thiemo: Versorgungslage im Göttingen der Nachkriegszeit, in: Maren Büttner /  S abine Horn (Hg.), Alltagsleben nach 1945. Die Nachkriegszeit am Beispiel der Stadt Göttingen, Göttingen: Universitätsverlag 2010, S. 131-160; Trittel, Günter J.: Hunger und Politik. Die Ernährungskrise in der Bizone (1945-1949), Frankfurt a. M.: Campus 1990. Darüber hinaus werden die Probleme des Hungers und der mangelnden Versorgung in unzähligen Ego-Dokumenten dargestellt. Zu nennen seien u. a. Domansky, Elisabeth / d e Jong, Jutta: Der lange Schatten des Krieges. Deutsche Lebens-Geschichten nach 1945, Münster: Aschendorff 2000; Annette Kuhn / D oris Schubert (Hg.), Frauen in der Deutschen Nachkriegszeit, Bd. 1-2, Düsseldorf: Schwann 1986; Meyer, Sibylle / S chulze, Eva: Von Liebe sprach damals keiner. Familienalltag in der Nachkriegszeit, München: C. H. Beck 1985. 4 | Vgl. Faulstich, Werner: Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, München: Fink 2012, S. 199 f.; G. Ulrich Großmann (Hg.), Plakativ! Produktwerbung im Plakat 18851965, Ostfildern: Hatje Cantz 2009, S. 136, 138, 141, 223, 225, 235; Peter Hedlinger (Hg.), Alle mögen’s weiß. Schätze aus der Henkel-Plakatwerbung (= Schriften des Werkarchivs, Sonderband 1), Düsseldorf: Henkel KGaA 1987, S. 40-62. 5 | Joachim Kellner / U lrich Kurth /  Werner Lippert (Hg.), 1945 bis 1995. 50 Jahre Werbung in Deutschland, Ingelheim: Westermann 1995, S. 53; Wildt, Michael: Die Zeichen des Geschmacks, in: Geschichtswerkstatt (1987), Nr. 12, S. 43-48, hier S. 46. 6 | Vgl. W. Faulstich: Mediengeschichte, S. 200; Kellner /  K urth /  L ippert, 1945 bis 1995 (1995), S. 35.

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ren, erfüllten diese Werbeanzeigen in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre vielmehr eine zukunftsorientierte Funktion: Sie gaben eine heile Welt vor, in der es ein ausreichendes Angebot an Nahrungsmitteln geben würde. Im Alltag der unmittelbaren Nachkriegszeit hingegen waren Einkäufe mit großen Anstrengungen verbunden, die Auswahl einer bestimmten Marke war daher eine eher zweitrangige Angelegenheit. Die Reklame der Firma Deubel ist als in vielerlei Hinsicht universal zu betrachten: Sie illustriert den »Traum vom Sattwerden« und die Vorstellung eines »normalen« bürgerlichen Haushalts, in dem es an nichts fehlt und um den sich die Frau kümmert. Keinesfalls aber lässt sich von einer neuen Qualität in der visuellen Kultur Deutschlands, einem Bruch oder einem ästhetischen Neuanfang sprechen. Im Gegenteil – die Werbeanzeige stellt eine Fortsetzung von aus früheren Epochen bekannten Mustern dar und wird sich so auch in den Folgejahren perpetuieren. Für die unmittelbare Nachkriegszeit sind nur die beworbenen Produkte charakteristisch – sie verderben nicht schnell und lassen sich gut auf bewahren.

D ie P olitisierung der »M agen -F r age « Wie kaum ein anderes Thema fügt sich die Ernährung in die politischen Diskurse der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Alice Weinreb formuliert zusammenfassend: […] weder militärische noch medizinische Strategen, die sich für die Hungerzeit im Nachkriegsdeutschland rüsteten, hatten erwartet, den Deutschen zu helfen, zumal Letztere allgemein als Urheber und nicht als Opfer des Hungers gesehen wurden. Innerhalb weniger Monate nach der Niederlage Deutschlands allerdings waren die westlichen Alliierten zu dem neuen Konsens gelangt, dass »das Problem in Deutschland tatsächlich ein Ernährungsproblem« war. […] Seit der Kapitulation hatte sich das deutsche Selbstverständnis beinahe ausschließlich auf die Magen-Frage konzentriert […]. Im Zuge der Besatzung lernten die westlichen Alliierten, erst die Amerikaner und dann die Briten, diese Perspektive zu teilen.7

Ein gutes Beispiel für den politischen Umgang mit dem Thema Essen ist die Darstellung der städtischen Kleingärten, die als Ikonen dieser Zeit zu betrachten sind. Fotografien der Berliner Bevölkerung beim Setzen von Kartoffeln im 7 | Weinreb, Alice: For the Hungry Have No Past nor Do They Belong to a Political Party. Debates over German Hunger after World War II, in: Central European History 45 (2012), S. 50-78, hier S. 51. (Übers. d. Verf., Herv. im Orig. Weinreb nutzt den deutschen Begriff Magen-Frage auch im Englischen.)

IV.  Ernährung: Kar tof feln, Knäckebrot und Trockenmilch

Tiergarten werden bis heute zu kommerziellen Zwecken (beispielsweise als historische Postkarten in Souvenirläden) und in historiografischen Abhandlungen8 reproduziert: Was der Arzt Daniel Schreber im 19. Jahrhundert ins Leben rief, um die Arbeiterschaft aus den grauen Mietskasernen in die Natur zu bringen, erhielt im Krieg und in der Nachkriegszeit eine überlebenswichtige Bedeutung: die Kleingärten. Wo nur irgendein Stückchen freies Land zu bebauen war, verwandelte er sich in einen Gemüseacker. 9

12,5 Prozent der von Hilde Thurnwald untersuchten Berliner Familien unterhielt solche Schrebergärten10; Paul Steege gibt sogar an, dass 26,5 Prozent der Berlinerinnen und Berliner Zugang zu Gemüse und Obst aus eigenem Anbau hatte.11 Unabhängig vom tatsächlichen Prozentsatz (der Unterschied kann sich auch aus der Jahreszeit ergeben), muss beachtet werden, dass frische oder eingemachte Lebensmittel hauptsächlich Tauschware12 darstellten und so eine größere Abnehmerzahl fanden. In Analogie zu anderen Motiven im Kanon des kulturellen und visuellen Gedächtnisses zur frühen Nachkriegszeit in Deutschland (wie den Trümmerfrauen13 oder der Luftbrücke14) waren Bilder (Fotografien oder Filmszenen) von Schrebergärten oder Gemüsebeeten höchst politisch. Der zum Kartoffelacker umfunktionierte Tiergarten war Thema in Wochenschauen (u. a. Welt im Film, 52 / 1946) und Dokumentarfilmen. Neben dem im weiteren Teil des Kapitels besprochenen Film Hunger (1948, amerikanische Besatzungszone) bediente sich

8 | Vgl. u. a. Benz, Wolfgang: Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik und die Entstehung der DDR 1945-1949, Berlin: Metropol 2009, S. 109; Schmidt, Rote Rüben (2008), Umschlagabbildung. 9 | M. Wildt: Der Traum vom Sattwerden, S. 87. 10 | Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 398 Familien, Berlin: Weidmann 1948, S. 50. 11 | Steege, Paul: Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin, 1946-1949, Cambridge /  N ew York: Cambridge University Press 2007, S. 52. 12 | Ebd. 13 | Zur Konstruktion der Erinnerung an die Trümmerfrauen in der späteren Bundesrepublik und der DDR vgl. Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Essen: Klartext 2014, S. 277-374. 14 | Zur Nachkriegsikonografie in Bezug auf die Luftbrücke während der Blockade West-Berlins und dem kollektiven Gedächtnis vgl. Betscher, Silke: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten, Essen: Klartext 2013, S. 305-362.

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bereits Kurt Maetzig in Berlin im Auf bau (1946, sowjetische Besatzungszone) episodischer Aufnahmen von städtischen Kleingärten. Abbildung 4.2: Titelbild der Neuen Berliner Illustrierten.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 12.

Ende April druckte die Neue Berliner Illustrierte auf dem Titelbild eine Fotografie von acht Frauen und Männern, die eine Fläche unweit des Brandenburger Tors umgruben. Die Personen auf der Fotografie reihen sich in den Diskurs des Wiederauf baus, der gemeinsamen Arbeit zum Zwecke der zumindest teilweisen Rückkehr zur Normalität ein – in diesem Fall: der Verbesserung der Lebensmittelversorgung. Interessant ist die Perspektive der Fotografie: Im Vordergrund sind arbeitende Menschen zu sehen. Daran, dass sie so eng beisammen stehen, erkennt man die Inszenierung der Situation (unter gewöhnlichen Umständen würden sie sich einander im Weg stehen). Ihre Kleidung – die Männer tragen Krawatten, die Frauen Kostüme und elegante Schuhe – eignet sich ebenfalls nicht für diese Art von Tätigkeit, zumal sie damals allzu kostbar war, um bei körperlichen Arbeiten beschmutzt oder beschädigt zu werden. Das Umgraben von nur einer Feldreihe lässt zusätzlich darauf schließen, dass die Menschen sich für das Foto entsprechend aufzustellen und zu graben hatten. Für

IV.  Ernährung: Kar tof feln, Knäckebrot und Trockenmilch

die Aufnahme wurde eine solche Perspektive gewählt, dass im Hintergrund das Brandenburger Tor – in seinem damaligen, zerstörten Zustand eine Ikone für den deutschen Untergang schlechthin – zu sehen ist. Hätte sich der Fotograf ein wenig nach rechts bewegt und seine Kamera unmittelbar auf die grabenden Menschen gerichtet, so hätten der zerstörte Reichstag und das neu errichtete Sowjetische Ehrenmal im Hintergrund zwei vollkommen andere Symbole in den Fokus gerückt. Bemerkenswert ist ferner, dass die Fotografie auf dem Titelblatt der Neuen Berliner Illustrierten die Berliner Bevölkerung auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors zeigt. Auf diese Weise wird das Alltagsproblem der Ernährungsfrage auf die Ebene der Politik und der Abrechnung mit der Vergangenheit gehoben. Es soll hier betont werden, dass städtische Kleingärten ein zonenübergreifendes Phänomen und visuelles Motiv waren. Die halbmonatlich erscheinende, von der amerikanischen Besatzungsmacht herausgegebene Zeitschrift Heute lobte 1947 die Deutschen für ihre Tüchtigkeit: »So kann aus der Not eine Tugend werden.«15 Den kurzen Artikel illustrierten zwei Fotografien: eine große, auf der ein gut organisierter Garten mit verschiedenen Beeten zu sehen war, sowie eine kleine, auf denen ein amerikanischer Soldat Kindern bei der Ernte von Salat oder Radieschen hilft. Abbildung 4.3: (Re-)Education in Form von Hilfe zur Selbsthilfe; so lobt die Redaktion der Zeitschrift den Gemüseanbau als »ertragreiche« Idee der amerikanischen Besatzungskräfte.

Quelle: Heute (1947), Nr. 38, S. 9.

15 | N. N.: Jedes Fleckchen Erde …, in: Heute (1947), Nr. 38, S. 9.

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Ein Jahr früher druckte die Heute (1946, Nr. 7 u. 17) zweimal einen umfangreicheren Text über Kleingärten im zerstörten London, ebenfalls mit zahlreichen Illustrationen. Ohne Bildunterschrift und ohne die bekannten Londoner Silhouetten (beispielsweise die St Paul’s Cathedral) ließe sich nur schwer erkennen, dass es sich um Bilder aus Großbritannien und nicht aus Deutschland handelt. Diese Bilder sollten vermutlich belegen, dass das Problem des Hungers kein ausschließlich deutsches war und dass in den von den Deutschen während des Krieges zerstörten Ländern ebenfalls Nahrungsmittelknappheit herrschte. Die Lage in Deutschland war keineswegs singulär. Es scheint also, dass die Fotografien von Menschen bei der Gemüsesaat und -ernte in der deutschen illustrierten Presse Teil eines Diskurses waren, mithilfe dessen die Besatzungsmächte ihre Präsenz legitimierten und ihre Rolle als Versorger dieses geschundenen Landes inszenierten. Der Aspekt der »Hilfe« ist auf der Fotografie der Kinder mit dem amerikanischen Soldaten bei der Gemüseernte besonders deutlich. Würde ihn die Fotografie anders als in hockender Haltung mit einem Salatkopf oder einem Bund Radieschen in der Hand, beispielsweise aufrecht stehend, zeigen, so könnte sie den Eindruck erwecken, als würde er die Kinder bei ihrer Arbeit beaufsichtigen. So aber sehen wir einen gutmütigen Onkel, der sich zu den Kindern hinablässt und dieselben Tätigkeiten wie sie ausführt. Dieses Bild illustriert auf ausgezeichnete Weise die Bemerkung von Margaret Mead aus dem Jahr 1943 an die amerikanischen Entscheidungsträger, die die zukünftige Besatzung Deutschlands planten: »Spürt ein Volk, dass seine Lebensmittelversorgung in der Hand einer Autorität liegt, so wird es diese ein Stück weit als elterliche Autorität empfinden.«16 Historische Abhandlungen zur Lebensmittelversorgung im Nachkriegsdeutschland belegen die legitimierende Rolle dieser Politik.17 Es ist folglich nicht verwunderlich, dass sie in der damaligen visuellen Kultur sowie in Propagandapraktiken perpetuiert wurde. Das bekannteste Beispiel für diese (wenn auch erst bedeutend später popularisierte) Herangehensweise sind die Fotografien der Rosinenbomber, die allerdings außerhalb des von uns untersuchten 16 | Zit. n. Grossmann, Atina: Grams, Calories, and Food. Languages of Victimization, Entitlement, and Human Rights in Occupied Germany 1945-1949, in: Central European History 44 (2011), S. 118-148, hier S. 118 f. Das Original in: Mead, Margaret: Food and Feeding in Occupied Territory, in: The Public Opinion Quarterly 7 (1943), Nr. 4, S. 618628, hier S. 619 f. (Übers. d. Verf.) 17 | Vgl. u. a. A. Grossmann: Grams, Calories, and Food; R. Gries: Rationen-Gesellschaft; A. Weinreb: For the Hungry Have No Past; Farquharson, John E.: The Western Allies and the Politics of Food Agrarian Management in Postwar Germany, Doer: Berg 1985; Slaveski, Filip: The Soviet Occupation of Germany. Hunger, Mass Violence, and the Struggle for Peace 1945-1947, New York: Cambridge University Press 2013, S. 85-102.

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Zeitraums liegen. In ähnlichem Sinne deutet Jennifer Fay die Wochenschau Welt im Film aus der Zeit der Blockade und weist auf die hohe Anzahl von Essensszenen hin, die »nicht nur als fetischistische visuelle Erinnerungen an die amerikanische Hilfe dienen, sondern, da Hunger mit der sowjetischen Unterdrückung verbunden war, Essen als entschieden politischen Akt darstellen.«18 Wesentliche Bedeutung für die Stellung von Essen und Hunger im politischen Diskurs hatten auch mediale Botschaften, in deren Mittelpunkt die Lebensmittelversorgung der Deutschen stand (so etwa Fotografien von CAREoder seltener Pajok-Paketen19) und die die Lage in Deutschland mit der im Rest der Welt verglichen – nicht nur mit den alliierten Ländern, wie die Beispiele der Fotografien von Londoner Kleingärten zeigten. Das OMGUS gab bereits im August 1946 die Dreharbeiten für einen »Hunger-Film«20 in Auftrag. Erst 1948 entstand ein von den amerikanischen und britischen Besatzungsmächten bestellter Film, der den schlichten Titel Hunger trug21, »da mittlerweile eine bizonale Informationskampagne zur Ernährungssituation geplant war.«22 Die Produktion des Filmes übernahm K. S.-Film, dieselbe Firma, die für Reaktion: positiv – einen Film über die verheerenden Folgen von Syphilis, den wir in Kapitel III besprochen haben – verantwortlich zeichnete; das Drehbuch schrieb der seinerzeit bekannteste Filmkritiker Friedrich Luft. Der elfminütige Film weist die typische Reeducation-Rhetorik der Alliierten auf, mit der den Deutschen ihre eigene Schuld vor Augen gehalten werden sollte. Er beginnt mit Bildern hungernder Menschen auf der Welt, es sind abgemagerte Kinder auf der Straße zu sehen, während der Kommentator aus dem Off sagt: »Nein, das ist 18 | Fay, Jennifer: Becoming Democratic. Satire, Satiety, and the Founding of West Germany, in: Film History 18 (2006), S. 6-20, hier S. 17. (Übers. d. Verf.) 19 | Der Begriff »Pajok-Pakete« (russ. паёк  – Ration, Verpflegung) bezieht sich auf Hilfspakete mit Lebensmitteln, die von der SMAD an die Bevölkerung verteilt wurden. Es handelt sich dabei allerdings um eine wesentlich kleinere Maßnahme als die westlichen CARE-Pakete, die hauptsächlich von Privatspendern finanziert wurden. Auch sowjetische Offiziere in der SBZ wurden von der Roten Armee mit »Pajoks« versorgt. Vgl. Ranke, Winfried u. a.: Kultur, Pajoks und Care-Pakete. Eine Berliner Chronik 1945-1949, Berlin: Nishen 1990, S. 12 f. 20 | Jahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945-1953), Münster: Lit 1997, S. 282. 21 | Hunger, Produktion: K. S. Film (West Berlin), Documentary Film Unit, 1948, Regie: Karlheinz Schmidt; hier in einer Kopie aus dem Bundesarchiv Filmarchiv, Sign. 115653. Den Informationen auf filmportal.de zufolge dauert Hunger 13 Minuten, die Kopie im Bundesarchiv Filmarchiv hingegen dauert nur 11 Minuten. Es ist schwer zu sagen, ob es sich um eine falsche Angabe handelt, oder ob die uns zur Verfügung gestellte Kopie gekürzt ist. 22 | Jahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm?, S. 283.

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nicht Stuttgart. Das ist Lodz in Polen.« Im Hintergrund zu anderen, ähnlichen Aufnahmen hören wir entsprechend: »Nein, das ist nicht München, das ist Neapel, Italien.« Im Weiteren sind Szenen aus Griechenland und Frankreich zu sehen, wie Menschen in langen Schlangen vor Geschäften anstehen, schreien, im Müll wühlen. Jeder einzelnen dieser Szenen geht ein ähnlicher Kommentar voraus, der den Eindruck widerlegt, es handele sich um Bilder aus einer deutschen Stadt. Die Autoren des Filmes lassen keinen Zweifel daran, dass der Hunger zu dieser Zeit ein globales Phänomen sei. Den Satz »Es ist die Welt. Und die Welt hat Hunger« untermalen Szenen schwarzer Kinder. Im Folgenden ist zu hören: Deutschland ist nur ein Teil dieser Welt, denn der Hunger kennt keinen Unterschied zwischen Besiegten und Siegern. […] Hunger ist eine der Folgen des deutschen Krieges. Im Kriege kommen auch Kalorien um, genau wie Menschen. Und dieser Krieg war lang. […] Aber Deutschlands Nahrungssorgen gehen auf die Zeit vor dem Krieg zurück. Auf die Zeit, sagen wir mal 1936. Deutschland produzierte schon damals nicht genug Nahrungsmittel.

Brigitte J. Jahn zufolge betont der Film auf diese Weise, dass die schlechte Versorgungslage nicht Schuld der Alliierten sei, sondern allein der Deutschen, die den Krieg herbeigeführt hatten. Mehr noch fungieren Bilder von hungernden Menschen in anderen Teilen der Welt als Argument, dass die deutsche Erfahrung keine Ausnahme darstelle und der Nahrungsmangel in Polen, Italien, Griechenland oder Afrika eine Konsequenz des von den Deutschen initiierten Krieges sei. Bilder von der Ernte sind mit folgender Information unterlegt: »Die Welt hat zu wenig. […] Es reicht nicht für alle.« Es erscheinen Diagramme, die belegen sollen, dass die Weltbevölkerung wächst, während es immer weniger Ackerboden gibt. In Anbetracht dieser Tatsache müssen die Deutschen selbst ihre Lebensmittelindustrie auf bauen, indem sie sich auf den Anbau kalorienreicher Pflanzen wie Zuckerrüben und Kartoffeln konzentrieren sowie auch jedes noch so kleine Stück Erde, sogar in den Städten, für Ackerbau nutzen (hier werden die bereits erwähnten Aufnahmen der Gemüsegärten im Tiergarten gezeigt). Der Kommentator fügt hinzu, dass der Hunger ein globales Problem sei, weshalb jede ausländische Lebensmittellieferung für die Deutschen bedeute, dass es einem anderen ebenso (oder gar noch stärker) bedürftigen Volk an Essen mangeln werde. Den Film krönt der Satz: »Der Hunger muss bekämpft werden genau wie in Deutschland [hier sind Aufnahmen aus verschiedenen deutschen Städten zu sehen], wie im Rest der Welt [hier wiederum Szenen aus unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt].«

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Die propagandistische Botschaft von Hunger ist offensichtlich und kommt – ähnlich wie im Fall der Filme über Geschlechtskrankheiten – verspätet.23 Die Premiere des Filmes fand am 4. März 1948 statt 24, also ungefähr drei Monate vor der Währungsreform, die rasch dazu führte, dass sich die Lebensmittelversorgung in den westlichen Besatzungszonen merklich verbesserte. Jahn belegt zudem, dass die Rezeption des Filmes sehr negativ war.25 Die Zuschauerinnen und Zuschauer glaubten nicht, dass andere Nationen mehr am Hunger litten als sie selbst, zumal die Medien in den vorangegangenen Jahren über Überschüsse Abbildung 4.4: Grafische Darstellung aller Länder, die Getreide importieren (gestreifte Flächen) und exportieren (dunkle Flächen). Mitteldunkle Flächen markieren Länder, die keinen Zuschuss benötigen (interessanterweise betrifft dies neben einigen anderen Staaten die gesamte Sowjetunion). Bemerkenswert ist zudem, dass der Getreidebedarf der meisten afrikanischen Länder nicht angegeben werden konnte.

Quelle: Heute (1946), Nr. 10, S. 4 f. 23 | Es scheint, dass die langen Diskussionen zur Form einzelner Dokumentar- und Propagandafilme ein großes Problem für die amerikanischen und britischen Besatzungsmächte darstellten. Sie führten nicht nur zu einer späten Auseinandersetzung mit wichtigen Themen, sondern – in besonders gewichtigen Fällen – wurden diese Filme komplett zurückgehalten, wie die bekannte Geschichte des Films Memory of the Camps illustriert, der erst in den 1980er Jahren (unvollständig) gezeigt wurde. Vgl. Weckel, Ulrike: Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart: Steiner 2012, S. 130-151. 24 | Vgl. B. J. Jahn, Umerziehung durch Dokumentarfilm?, S. 284. 25 | Ebd., S. 285.

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in der Lebensmittelproduktion und gezielte Entsorgungen von Kartoffel- oder Maisernten durch die Amerikaner berichtet hatten (s. im weiteren Verlauf des Kapitels Abb. 4.13). Angesichts dieser Rezeption wurde der Film bald nicht mehr in den Kinos gezeigt. Als die OMGUS-Vertreter den Bedarf zur Produktion eines »Hunger-Filmes« in Deutschland äußerten, brachte die Heute ähnliches Material. In der Ausgabe vom August 1946 war eine zweiseitige Karte abgedruckt, auf der der »Hunger in der Welt« nach dem Getreidebedarf der einzelnen Länder dargestellt war. Die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Argentinien wurden als Getreideexporteure, Deutschland, Frankreich und Großbritannien hingegen als -importeure präsentiert. Der Text unter der Karte führt dazu weiter aus, dass der Hunger ein globales Problem sei, das sich in den kommenden Monaten (im Herbst des Jahres 1946) noch zuspitzen könnte. Laut Silke Betscher hatten Karten im deutschen öffentlichen Diskurs während des Zweiten Weltkriegs ein wichtiges Propagandamedium dargestellt und behielten diesen Status auch nach 1945 bei.26 Ihrer Argumentation zufolge wurden Karten in der britischen Besatzungszone (etwa im Spiegel) häufiger als in der Heute angewandt,27 also der für deutsche Leserinnen und Leser herausgegebenen Zeitschrift des OMGUS. Der schematische Charakter der Abbildung bestätigt ihren rhetorischen Wert, um mit den Worten Karl Schlögels zu sprechen, der betont, dass Karten nie die Wahrheit zeigen, sondern sie verbergen, da man »auswählen, […] Prioritäten setzen und entsprechend anderes verdrängen, zusammenfassen, reduzieren [muss].«28 Hier nun wurde das Kriterium des Getreideimportes bzw. -exportes ausgewählt, es wurden die Unterschiede zwischen den Ländern in einzelnen Kategorien verdrängt und reduziert, und alles auf die unmissverständliche Botschaft reduziert, dass die Deutschen von den alliierten Besatzungsmächten zwar abhängig (dass die Sowjetunion auch Getreide ausführte, lässt sich aus der Karte allerdings nicht ablesen), mit ihrer Lage gleichzeitig aber nicht alleine waren. Solche Botschaften wie die dieser Karte oder des Filmes Hunger verband die Tatsache, dass sie von Hunger und Nahrung sprachen, ohne das Essen selbst zu zeigen. Besonders in der sowjetischen Besatzungszone wurde im Zusammenhang mit politisch aufgeladenen Botschaften zum Thema Hunger häufig der Anblick von Ernten und Getreide gezeigt. Zeitschriften wie die Neue Berliner Illustrierte oder die Illustrierte Rundschau (das sowjetische Pendant zur Heute, herausgegeben von der SMAD29) druckten regelmäßig Fotoreportagen von Getrei26 | Vgl. S. Betscher: Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 36 f. 27 | Vgl. ebd., S. 249. 28 | Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Frankfurt a. M.: Fischer 2006, S. 101. 29 | Vgl. S. Betscher, Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 66.

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defeldern, Traktoren, Bauern bei der Begutachtung des Getreidekorns usw.30; sporadisch fanden sich ähnliche Beiträge auch in der Heute.31 Abbildung 4.5: Fragment der Fotoreportage Brot für ein ganzes Jahr.

Quelle: Illustrierte Rundschau (1946), Nr. 4, S. 12 f.

Als beispielhaft für diese Fotoreportagen kann etwa ein Erntebericht aus einer Ausgabe der Illustrierten Rundschau vom Sommer 1946 gelten, in dem zahlreiche Fotografien fleißig beackerter Felder eine erfolgreiche Ernte (und folglich weniger Hunger) signalisieren sollen. Den großen Bedarf und auch die Sehnsucht (nicht nur) nach Brot fasst die blumig formulierte Bildunterschrift des angeführten Ausschnitts zusammen: »Denkt sie an das lockere und süße Weißbrot oder an den Kuchen aus dieser Weizengarbe? Solcher Aussicht steht das 30 | Vgl. u. a. Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 20, S. 4 f.; Illustrierte Rundschau (1949), Nr. 15 (hierzu: S. Betscher, Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 164). 31 | Vgl. Heute (1948), Nr. 67, S. 16.

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fröhliche Gesicht bei der anstrengenden Arbeit gut an.« Die Botschaft von einer reichlichen Nahrungsmittelversorgung bekräftigt einige Seiten weiter in derselben Ausgabe ein Artikel über die Erhöhung der Lebensmittelrationen in der sowjetischen Besatzungszone. »Hier geschieht alles, um die Entwicklung der Landwirtschaft zu fördern und dadurch die Ernährungslage zu verbessern«, beteuert der Autor dieses Artikels. Entsprechende Darstellungen kamen auch in zahlreichen Wochenschauen aller Besatzungszonen32 und in vielen Aufnahmen von Hunger zum Einsatz. Aus politischer Sicht ist die Verfügbarkeit von Getreide im Hinblick auf die Ernährung der Bevölkerung natürlich zentral. Der Mensch kann sich an Fotografien von Roggen- und Weizenähren aber nicht sattessen, es ist auch schwer, ihm ein Bild von Traktoren anstelle der täglichen Portion Brot vorzusetzen. Man muss annehmen, dass diese Strategie bei einzelnen Leserinnen und Lesern oder Zuschauerinnen und Zuschauern keine Wirkung zeigte. Diese Hypothese bestätigt etwa die negative Rezeption des Filmes Hunger. Die Abhängigkeit der Deutschen von ihren Besatzern wurde auch in visuellem Material zu Lieferungen von CARE-Paketen thematisiert, in denen die politische (»Hilfslieferungen als antikommunistische Abwehrmaßnahme«33) mit der familiären Symbolik verwoben wurde, wie wiederum Silke Betscher schreibt: Den Bildern von individueller Kinderernährung und von ab 1946 organisierten kollektiven Kinderspeisungen liegen unverkennbar maternalistische Gendersemantiken zugrunde und die Nahrungsgeschenke symbolisieren das archaische Grundprinzip der nährenden Mutter. 34

Betschers Analyse der Ikonografie der CARE-Pakete belegt die eingangs angeführte These von Margaret Mead über die »elterliche Autorität« der Besatzungsmächte und hebt zugleich hervor, dass Kinder als das universelle Motiv dieser Bilder herhalten mussten. In dieser Hinsicht ist es lohnenswert, eine der wenigen Illustrationen aus der Heute näher zu betrachten, die Betscher nicht in ihre Untersuchung aufgenommen hat. Der entsprechende Artikel ist vom Mai 1947, als eine Aktion privater Spenden der Amerikaner begann, die vom Cooperative for American Remittances to Europe (CARE) geleitet wurde. Bisher stammten die Lebensmittellieferungen für Deutschland aus Armeevorräten, wie die Redaktion der Zeitschrift betont, neue Spenden hingegen trafen über Sendungen amerikanischer Bürgerinnen und Bürger ein. 32 | Vgl. u. a. Welt im Film 16 / 1945; Der Augenzeuge 14 / 1946; Der Augenzeuge 129  / 1948. 33 | S. Betscher, Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 299. 34 | Ebd.

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Abbildung 4.6: Informationen zum CARE-Paket.

Quelle: Heute (1947), Nr. 35, S. 20.

Anleitungen zum Erhalt eines solchen Pakets richteten sich vor allem »an die weibliche Leserschaft«.35 Die hier abgedruckte Seite aus der Heute ist insofern interessant, als sie einzelne Produkte mit einer detaillierteren Beschreibung präsentiert – generell wurden in der Presse der westlichen Besatzungszonen nur Bilder von Paketen oder von Menschen, die selbige auspacken, veröffentlicht. Im Artikel heißt es auch, dass ein ganzes Paket insgesamt 40.000 Kalorien enthält (diese Information finden wir auch in der Wochenschau Welt im Film aus demselben Zeitraum). Ferner suggeriert die Abbildung in der Heute eine große Lebensmittelvielfalt in der Lieferung: Mehl, Trockenmilchpulver, Fett (!), Fleischkonserven, Kaffee, Zucker, Trockenfrüchte oder Schokolade. Das große Bild links zeigt eine Nahaufnahme eines essenden Kindes, das von seinem vollen Teller emporschaut, als würde es die Produkte auf dem Paket betrachten, was wiederum den Eindruck entstehen lässt, dass es gerade das zu sich nimmt, was in den amerikanischen Spenden übersandt wurde. Es besteht kein Zweifel daran, dass dies eine der vielen Strategien zur Amerikanisierung

35 | Ebd., S. 298.

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der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft war – ein Versuch, sie von der Attraktivität der Vereinigten Staaten und des American way of life zu überzeugen. Das CARE und die Pajok-Pakete waren nicht die einzigen Formen organisierter Lebensmittellieferungen für die Deutschen (und das ohne Einschränkungen hinsichtlich der Besatzungszonen, da einige CARE-Pakete auch in die sowjetische Besatzungszone versandt wurden).36 Der Ernährung von Flüchtlingen und DPs nahm sich die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) an37, und unabhängig davon organisierten die Besatzungsmächte Schulspeisungen für Kinder.38 Es waren aber die CARE-Pakete, die in der visuellen Kultur der unmittelbaren Nachkriegszeit einen besonderen Platz einnahmen. Die Presse der amerikanischen Besatzungszone, vor allem die Heute, druckte häufig Fotografien solcher Pakete ab. Mindestens acht Ausgaben der Wochenschau Welt im Film aus den Jahren 1946-1948 widmeten sich diesem Thema. In der Wochenschau vom 11. Juni 1946 (55 / 1946) ist beispielsweise die Rede davon, dass die ersten hundert CARE-Pakete für Europa von Präsident Truman gestiftet wurden. Aufnahmen von Paketen, die aus Schiffen entladen wurden, wechselten sich mit Aufnahmen einer Rede des Präsidenten ab. Die Wochenschau gibt auch an, dass der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten Herbert Hoover um die Welt reiste, um die globale Ernährungskrise zu lösen. Mit der suggerierten Antwort auf die Frage, wem sich die Deutschen für ihre Nahrung dankbar zeigen sollten, wird hier nicht hinter dem Berg gehalten. Interessant ist, dass der Versorgungsdiskurs in der Presse der sowjetischen Besatzungszone mit Ausnahme von Fotografien der Getreideernten nur eine marginale Rolle spielte – diese Beobachtung Betschers können wir nur bestätigen.39 Die sowjetischen Pajoks hatten nie solch einen symbolischen Wert wie die CARE-Pakete. Das Problem des Lebensmittelmangels wurde in der sowjetischen Besatzungszone über Fotografien und Filmaufnahmen von Getreide, industriell hergestellten Produkten oder politischen Debatten zu dieser Angelegenheit visualisiert. Der Anblick von Konserven oder einzelnen Mehlpackungen war in der visuellen Kultur Ostdeutschlands nur selten. Unterdessen scheint es, dass die amerikanische Strategie rhetorisch wirkungsmächtiger war: So ist es viel einfacher, sich mit einer Besatzungsmacht zu identifizieren, die konkrete Produkte präsentiert, welche der deutschen Hausfrau bekannt waren, als mit einer, die Versprechungen ablegt, welche lediglich mit abstrakten Illustrationen eingefahrener Ernten in den fernen Regionen der Sowjetunion unterlegt sind.

36 | Vgl. ebd., S. 297. 37 | Mehr dazu in: A. Grossmann: Grams, Calories, and Food. 38 | M. Wildt: Der Traum vom Sattwerden, S. 79-83. 39 | S. Betscher: Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 301.

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B asisproduk te und kochen » ohne « Nicht nur in den Informationen zum Nährwert eines CARE-Pakets, sondern auch im Alltag der Deutschen gehörte das Wort »Kalorien« zu wichtigsten Begriffen der Nachkriegszeit40: »Von Kalorien wird in unseren Tagen sehr viel gesprochen und geschrieben. Nicht alle wissen, worum es sich dabei eigentlich handelt. […] Nun wird z. Zt. von Kalorien zumeist im Zusammenhang mit der menschlichen Ernährung gesprochen«41, schrieb 1946 Dr. Otto Weddigen im Regenbogen und erklärte den Leserinnen der Zeitschrift, was Kalorien sind, welche Lebensmittel am kalorienreichsten sind und welche Stoffe der menschliche Körper braucht. Die Kalorienversorgung hing von der Besatzungszone, der Lebensmittelkartenkategorie oder der Jahreszeit ab, aber – wie bereits zu Beginn dieses Kapitel geschrieben – es ist davon auszugehen, dass Erwachsene durchschnittlich mit Mühe gerade einmal etwas mehr als 1.800 Kalorien täglich zu sich nehmen konnten.42 Abbildung 4.7: Karikatur von Horst von Möllendorf.

Quelle: Sie 5 (1947), S. 12. 40 | Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, München: C. H. Beck 2008, S. 951. 41 | Weddigen, Otto: Was sind Kalorien?, in: Der Regenbogen (1946), Nr. 6, S. 17. 42 | Der Zeitzeuge Victor Gollancz gibt an, dass der durchschnittliche Einwohner der britischen Besatzungszone 1.550 Kalorien aß, vgl. Gollancz, Victor: In Darkest Germany (The Record of a Visit), Hindsdale: Regnery 1947, S. 36. Ähnliche Angaben machen in späteren, sozialhistorischen Arbeiten M. Wildt: Der Traum vom Sattwerden, passim;

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Im Allgemeinen und im Gegensatz zur heutigen Konnotation dieses Wortes galten Kalorien als etwas Erstrebenswertes. Dieses Phänomen kommentierte u. a. der damalige Zeichner Horst von Möllendorff mit der Karikatur eines Jungen beim Anblick eines Tellers Suppe: »Müssen wir denn immer Kalorien essen, können wir nicht auch mal ein schönes Stück Torte essen?« Die Einfachheit der Küchenausstattung ist bemerkenswert – der Suppentopf steht auf einem primitiven Herd und der Tisch ist bis auf einen Teller und einen Löffel leer. Entsprechend erstaunt die mit der Kargheit des Wohnraumes kontrastierende Leibesfülle der Mutter, wobei es eher unwahrscheinlich scheint, dass von Möllendorff damit zu suggerieren beabsichtigte, dass die Frau zu viel esse. Ihre Charakteristik ist vielmehr dem individuellen Stil des Zeichners geschuldet, der häufig »rundliche« Figuren schuf, von denen damals gesagt wurde, sie seien »Stehaufmännchen«.43 Im Zusammenhang mit den stets ersehnten Kalorien ist es interessant, Abbildungen von Kochrezepten in Frauenzeitschriften und Illustrierten zu betrachten. Für gewöhnlich konzentrierten sie sich darauf, wie Gerichte ohne die erforderlichen Zutaten vorzubereiten seien: »Silversterkarpfen ›ohne‹« lautete der Titel einer Kolumne mit Rezepten in der Neujahrs-Ausgabe der Neuen Berliner Illustrierten von 1945. Einige Monate später berichtete die Wochenzeitschrift von den Möglichkeiten zur Herstellung fleischloser Wurst: Als Alternative diente Fisch, der in den Küstenregionen Deutschlands verhältnismäßig erhältlich war (oder zumindest sein sollte).44 Der grundlegende Vorteil der Fischwurst war, dass sie ohne Lebensmittelmarken verkauft wurde. Es gab auch Rezepte für Apfelkuchen ohne Teig (Mürbeteig basiert auf Fett, das in der damaligen Zeit die Mangelware schlechthin war)45, fleischlose Frikadellen und Pasteten46 oder Leckereien aus Eicheln.47 Auf den Schwarz-Weiß-Bildern sehen all diese Gerichte »normal« aus: Der Apfelkuchen ist mit Puderzucker bestäubt, die Frikadellen sind ideal rund und schwimmen in einer nicht näher definierten Sauce, und das Eichel-Gebäck unterschied sich nicht von gewöhnlichen Plätzchen. Die Fotografien und Zeichnungen solcher Mangel-Rezepte präsentierten die Gerichte auf elegantem Porzellan und dekorierten Tischen. Erinnerten die Zutaten (und sicherlich auch der Geschmack) dieser Gerichte unaufhörlich an den Mangel grundlegender Nahrungsmittel, so sollte ihr Anblick hingegen eine relative Normalität und Wohlstand suggerieren. Ein gedeckter Tisch hatte R. Gries: Die Rationen-Gesellschaft, passim; H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 951. 43 | N. N.: Als Herr Reman frech geworden [war], in: Der Spiegel (1949), Nr. 40, S. 36. 44 | N. N.: Wurst ohne Marken, in: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 31, S. 15. 45 | Die Frau von Heute (1946), Nr. 21, S. 25. 46 | Der Regenbogen (1947), Nr. 7, S. 25. 47 | Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 36, S. 15.

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Abbildung 4.8: Begleitfotografie zum Rezept für Eichel-Gebäck.48

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 36, S. 15.

wie in vielen Kulturen und Epochen ein großes symbolisches Potenzial und kontrastierte mit anderen, Hunger und Armut suggerierenden Bildern, die in der Ikonosphäre der deutschen Nachkriegszeit präsent waren – etwa Fotografien von Kindern, die aus Armeekochgeschirr aßen (z. B. Titelblatt der Sie, 1946, Nr. 38), oder Filmszenen, in denen sich die Protagonisten über eine bescheidene Schale auf dem Küchentisch beugen. Wir finden sie beispielsweise in Irgendwo in Berlin (1946, Regie: Gerhard Lamprecht, sowjetische Besatzungszone) oder … und über uns der Himmel (1947, Regie: Josef von Báky, amerikanische Besatzungszone). In diesem letzten Film, wie auch in Die Mörder sind unter uns (1946, Regie: Wolfgang Staudte, sowjetische Besatzungszone), deutet sich die schrittweise Verbesserung der Lage der Protagonisten sowohl durch vielfältigere Nahrungsmittel als auch durch einen Wechsel des Geschirrs an. In den zerstörten Städten war Porzellan keine Selbstverständlichkeit. Viele Services hatten die Bombardierungen nicht überstanden, andere trafen schnell auf den Schwarzmarkt. Anzeigen lokaler Antiquariate, in denen der Ankauf von Porzellan beworben wurde, spiegeln diesen Umstand sehr gut wieder. Aus anthropologischer Sicht haben wir es mit einer durchaus interessanten Situation zu tun. Die Unzugänglichkeit vieler Produkte zwang die Deutschen dazu, kulinarisch in die Vormoderne zurückzukehren, in der die Ernährung stark von der Jahreszeit und dem regionalen Pflanzenangebot abhing, was sich im Berlin der Nachkriegszeit an den erwähnten Gerichten aus Eicheln und Brennnesseln widerspiegelt. Eine Großzahl von Zeitschriften klärte über Ein48 | Die Bildunterschrift lautet: »Gastfreundschaft ohne Rationenschwund: Der Besuch wird mit Eichelkeksen und Eichelkonfekt bewirtet. Und es schmeckt!«

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machmöglichkeiten für den Herbst und Winter auf, wie Kohl einzusäuern oder Obst und Gemüse in Essig einzulegen seien.49 Abbildung 4.9: Rechts außen eine Werbeanzeige des Tausch Eck des Westens, in dem Kristall und Porzellan verkauft und alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Kleidung, Schuhe oder auch Fahrräder getauscht werden können. Links außen eine Uhu-Werbung – zur Reparatur kriegsbeschädigten Geschirrs.

Quelle: Die Frau von heute (1948), Nr. 18, S. 31.

In den Sommermonaten wurden auch Werbeanzeigen für Einmachgläser und entsprechende Ratgeber gedruckt – mit unmittelbarem Bezug auf die aktuelle Lage, wie auf einigen Anzeigen zu lesen ist: »Wie wertvoll ist der Inhalt im Winter und wie wichtig, daß nichts verdirbt – gerade heute.« Das Weckglas wird von der kleinen Figur eines Koches mit einem Beil in der Hand geschützt. Marmeladen- und Konservenwerbung trat erst am Vorabend der Währungsreform in der westlichen Presse auf.50 Davor mussten deutsche Hausfrauen selbst für solche Produkte sorgen – so sie Zugang zu den entsprechenden Zutaten hatten. Eine Herausforderung war die Zubereitung von Gerichten zu Weihnachten, Silvester und Ostern, zumal die wichtigsten christlichen Feiertage in den Winter und den frühen Frühling fallen, wenn es nur wenige frische, regionale Produkte gibt. Außerdem mangelte es – wie wir bereits schrieben – hauptsächlich an Fett 51 (in vielen Spielfilmen dieses Zeitraums ist zu sehen, wie die Protagonisten Butter beinahe zum Fetisch erheben) und Fleisch, so dass diese Produkte nur zu besonderen Anlässen gegessen wurden. Ratgeber für die Zubereitung untypischer Pflanzen oder für die unkonventionelle Nutzung einiger Produkte zeigten auch, dass viele Hausfrauen unter solch einfachen Bedingungen nicht kochen konnten, obwohl die Mangelversorgung bereits in den letzten zwei Kriegsjahren immer stärker zu spüren gewesen war. Damals 49 | N. N.: Im Sommer ist das Kochen doch leichter, in: Die Frau von Heute (1948), Nr. 10, S. 25. 50 | Vgl. die Reklame für die Firma Winsenia, in: Constanze (1948), Nr. 6, S. 21. 51 | H. Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 48.

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Abbildungen 4.10 und 4.11: Friko-Werbung (links). Reese-Werbung.

Quellen: Der Regenbogen (1946), Nr. 7, S. 25 (links). Der Regenbogen (1947), Nr. 8, S. 23.

erschien sie allerdings als bloß vorübergehender Zustand – alle konnten sich noch gut daran erinnern, dass »die Deutschen in der Vorkriegszeit eine Durchschnittsmenge von 3.000 Kalorien pro Tag hatten konsumieren dürfen, inklusive einer beträchtlichen Menge an Alkohol, großer Mengen an Brot und Kartoffeln sowie erstaunlicher 106 Gramm Fett  – stets Kennzeichen einer reichhaltigen Ernährung.«52 Selbst wenn diese Diagnose nicht alle Gesellschaftsschichten einschließt, erkennt man in vielen Medienberichten die Hoffnung, dass die Lage schnell zur ehemaligen Norm zurückkehren würde. Üppig und elegant gedeckte Tische auf Fotografien und Zeichnungen in Frauenzeitschriften illustrierten »den Traum vom Sattwerden«, selbst wenn sie nur recht provisorische Leckerbissen zeigten. Kochrezepte spiegelten die Trennung in Alltags- und Festtagsgerichte wider. Der Silvesterkarpfen wurde »aus Kartoffel, Mehl und Pastetengewürz [zubereitet], zu etwa handtellergroßen Karpfen geformt, die in einer Pfanne ohne Fett auf beiden Seiten gebacken«53 wurden. Die Illustration zu diesem Rezept zeigte kleine Fische aus Teig, umgeben von den Zutaten, aus denen sie hergestellt worden waren. Feiertagsrezepte beinhalteten auch eine Verfeinerung alltäglicher Lebensmittel: So wurde empfohlen, Zucker in Form von Karamell zu servieren und Kartoffel zu Knödeln oder Reibekuchen zu verarbeiten, damit

52 | A. Grossmann: Grams, Calories, and Food, S. 124. (Übers. d. Verf.) Die gleichen Daten gibt auch folgender Artikel an: Dr. H. W. Bansi: Brot allein tut’s nich, in: Constanze (1948), Nr. 4, S. 18. 53 | Silvesterkarpfen »ohne«, in: Neue Berliner Illustrierte (1945), Nr. 8, S. 15.

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sie weniger gewöhnlich aussähen.54 Die auf den Fotografien zu sehenden Gerichte wurden mit Fichtenzweigen, Sternen und Schleifen dekoriert, und neben dem Teller war – gut sichtbar – Silberbesteck platziert. Alltägliche Rezepte basierten allgemein auf denselben Lebensmitteln (Kartoffeln, Brot, einzelne Zusätze), ihre Autorinnen und Autoren aber konzentrierten sich vor allem auf eine schnelle Zubereitung der sättigenden Mahlzeiten, wobei so wenig Energie wie möglich verbraucht werden sollte. Die dazugehörigen Illustrationen zeigten einen Teller Suppe oder einen einfachen Topf. Alle Rezepte waren ähnlich abwechslungsarm, nur die Art, wie sie serviert wurden, spiegelte die Unterschiede zwischen Alltag und Feiertag wider. Dies lässt sich als eine der Nachkriegspraktiken der Normalisierung deuten: Obwohl die Zeiten schwer und der Zugang zu vielen Lebensmitteln begrenzt war, wurde zu besonderen Gelegenheiten suggeriert, »etwas aus dem Nichts« zu kochen. Das wichtigste Lebensmittel – sättigend und kalorienreich – waren Kartoffeln, in dieser Hinsicht hatte sich seit dem Krieg nicht viel geändert. Im Laufe von mehr oder weniger zwei Jahren vor und nach der Kapitulation55 blieb die Kartoffel das grundlegende Nahrungsmittel der Deutschen, was sich verschiedentlich in der visuellen Kultur widerspiegelte. In den Tageszeitungen fanden sich Fotografien von Menschen, die Kartoffelsäcke schleppten oder die Rationen der Besatzungszonen sortierten (so beispielsweise bereits in der Berliner Zeitung vom 11. August 1945), die Wochenschauen berichteten von weiteren Kartoffellieferungen auf den deutschen Markt (etwa in der Welt im Film, 78 / 1946), in Frauenzeitschriften wurden Rezepte für entsprechende Gerichte abgedruckt, und in den Illustrierten gab es satirische Kommentare zu diesem Thema. Die beiden Beispiele (Abb. 4.12 und 4.13) aus der in der sowjetischen Besatzungszone herausgegebenen Wochenzeitschrift Neue Berliner Illustrierte zeigen, auf welche Weise die Versorgungsmängel in den Diskurs des Kalten Krieges integriert wurden.

54 | Weihnachtsschmaus und Silvestergedeck, in: Die Frau von heute (1946), Nr. 21, S. 25. 55 | Der Meinung vieler Historiker zufolge gilt es, den Zeitraum von 1943 bis 1948 als eine Einheit im Sinne einer Zeit des Mangels zu sehen, in dem 1945 gar nicht als deutliche Zensur hervorsticht. Vgl. Martin Broszat /  K laus-Dietmar Henke / H ans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München: Oldenbourg 1988. Diese These vertritt in etwas abgewandelter Form auch der britische Historiker Keith Lowe in seinem viel besprochenen Buch: Der wilde Kontinent. Europa in den Jahren der Anarchie 1943-1950, übers. v. Stephan Gebauer und Thorsten Schmidt, Stuttgart: Klett Cotta 2014.

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Abbildungen 4.12 und 4.13: Karikaturen.

Quellen: Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 3, Umschlagrückseite (links). Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 19, S. 11.

In beiden Fällen dient die Kartoffel als Vorwand zur Kritik am Westen. In der Zeichnung mit dem Dieb, der seine Beute aus dem Sack schüttet, wendet sich seine Frau mit folgenden Worten an ihn: »Ganz nett, George, aber wo sind die Kartoffeln?« Der Name George suggeriert, dass es sich bei dem Dieb um einen Amerikaner oder einen Briten handelt. Die zweite, chronologisch frühere und aus der sowjetischen Presse nachgedruckte Zeichnung ist da direkter. Der Aufschrift in der rechten oberen Ecke zufolge würden die Amerikaner die Kartoffeln, für die es keine Nachfrage gegeben habe, wegwerfen. Die besorgte Frau fragt also den riesigen und fettleibigen Mann, der die Kartoffelsäcke ins Meer oder in den Fluss schüttet: »Und wie bringen Sie das Wasser dann zum Kochen, Mister Sam?« Die Amerikaner werden auf diese Weise als unpraktisch und verschwenderisch dargestellt, und die Nahrung erweist sich als Spielball im Diskurs des Kalten Krieges – ihr Mangel ist eine der in diesem Zusammenhang wirksamsten Waffen.56 Das Nahrungsmittel hingegen, das wohl am stärksten politisiert wurde, war Brot. Konnte es zwar mancherorts und zu mancher Zeit in den drei unmittelbaren Nachkriegsjahren dazu kommen, dass es nicht genug davon gab, war Brot 56 | Zum Thema Hunger als Waffe vgl. Dünnebier, Anna /  P aczensky, Gerd von: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, München: Orbis 1994, S. 413 f.

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im Vergleich zu anderen Nahrungsmitteln verhältnismäßig leicht erhältlich. Daher empfahl man oft, beispielsweise Kuchenboden oder herzhaftes Gebäck aus eingeweichtem Brot statt aus Mehl zuzubereiten. Die Vereinnahmung von Brot im kommerziellen oder politischen Diskurs hängt mehr mit seiner kulturellen Bedeutung als mit seiner realen Ab- bzw. Anwesenheit auf dem Markt zusammen. Es ist gemeinhin das Symbol für Nahrung schlechthin, und in diesem (übertragenen) Sinne bezieht sich auch eine Reklame von Milupa auf das Grundnahrungsmittel, in dem es »Pauly’s Nährspeise« als »nicht neu[,] aber wichtiger denn je«, sogar als »tägliche[s] Brot der Kleinen« bewirbt. Abbildung 4.14: Reklame der Kindernahrung Milupa.

Quelle: Frauenwelt (1948), Nr. 5-6, S. 35.

Auf diese symbolische Wirkungskraft von Brot beriefen sich auch die Kampagnen für die Kommunalwahlen im Herbst 1946. Der schwedische Reporter Stig Dagerman schrieb von einem KPD-Plakat, dass es den »berühmtesten deutschen Laib […] zusammen mit einem scharfen Messer«57 darstellte. Der Reporter machte sich hier eine gewisse Übertreibung zunutze: Das Plakat wurde in Frankfurt am 57 | In der deutschen Übersetzung der Reportage von Stig Dagerman ist die Passage mit diesem Ausschnitt ausgelassen. (Dagerman, Stig: Deutschland, Herbst 1946, in: Enzensberger, Hans Magnus (Hg.), Europa in Ruinen. Augezeugenberichte aus den Jahren 1944-1948, München: dtv 1995, S. 196-239, hier S. 207). In diesem Fall zitieren wir aus der polnischen Übersetzung: Dagerman, Stig: Niemiecka jesień. Reportaż z podróży po Niemczech, übers. v. Irena Kowadło-Przedmojska, Wołowiec: Czarne 2012, S. 41. Interessant ist in diesem Zusammenhag das Plakat zum Film Unser täglich Brot

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Abbildungen 4.15 und 4.16: Wahlplakat der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1946 (links). Titelbild der Sie.

Quellen: Bundesarchiv, Sign. Plak 102-003-002 (links). Sie (1946), Nr. 12.

Main in einer Auflage von 5.000 Exemplaren gedruckt (was damals keine besonders hohe Zahl war)58 und vor allem in Hessen verbreitet. Die Frau auf dem Bild trägt eine Schürze, so dass wohl auf eine Hausfrau zu schließen ist, sie hat dunkle Ringe unter den Augen, was auf ihre Erschöpfung verweist, und die Tatsache, dass sie den Laib an sich presst, verdeutlicht wiederum den (symbolischen) Wert des Brotes. Acht Monate vor den Wahlen wurde auf dem Titelblatt der Wochenzeitschrift Sie eine Fotografie von Gerhard Groenefeld im Großformat gedruckt, (1949, Regie: Slatan Dudow), das einen Mann auf einem Traktor aus einem Laib Brot darstellt. 58 | Informationen zur Auflage und Druckort sind in der Regel in kleiner Schrift im unteren Teil des Plakats angegeben. Trotz Schwierigkeiten bei der Papierlieferung erreichten die Auflagen von Wahlplakaten bis an die 30.000, zuweilen auch 40.000 Exemplare (vgl. Wasmund, Klaus: Politische Plakate aus dem Nachkriegsdeutschland. Zwischen Kapitulation und Staatsgründung 1945-1949, Frankfurt a. M.: Fischer 1986, S. 207 ff.), was dank verhältnismäßig kleinen Formaten möglich war (ebd., S. 17). Das Plakat der KPD mit der Frau und dem Brotlaib in der Hand hat im Original etwa eine Höhe von 60 cm.

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auf der eine Frau zu sehen ist, die ebenfalls einen Kittel trägt und das Brot auf ähnliche Weise schneidet. Der Brotlaib ist ein wenig kleiner; im Gegensatz zur Gestalt auf dem KPD-Plakat blickt die Frau auf das Brot. Die Bildunterschrift lautet: »Mutterns Hände. Alle Arbeit, die sie leisten, spricht aus ihnen, wenn sie der Familie das Brot zuteilen. Den Müttern ist die heutige Nummer vorwiegend gewidmet.« In der Mitte des Hefts, auf der siebten Seite, war das Bild noch einmal abgedruckt (in etwas kleinerem Format) als Illustration des Gedichts Mutterns Hände von Kurt Tucholsky. Es ist schwer zu sagen, ob das KPD-Plakat bewusst an die Fotografie von Groenefeld anknüpfte; die Autoren des Plakats konnten sich eher nicht darauf verlassen, dass die Rezipienten beide Bilder miteinander in Verbindung bringen würden. Die erwähnte Ausgabe der Sie war vom Februar 1946, erschien in Berlin und wurde hauptsächlich dort gelesen (das Gedicht von Tucholsky ist ebenfalls im Berliner Dialekt geschrieben); Abbildung 4.17: Illustration zusätzlicher Lebensmittellieferungen.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 27, S. 4.

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das KPD-Plakat hingegen hing in Hessen. Es handelt sich also vielmehr um die Nutzung derselben Figur, mit der Bescheidenheit, gar Armut (der an den Körper gedrückte Brotlaib ist etwas sehr wertvolles) und Familienwerte (die Mutter schneidet ihn für ihre Kinder) konnotiert sind. In der christlichen Kultur ist die Symbolik des Brotes darüber hinaus so stark, dass diese Bilder mit Sicherheit stärkere Emotionen als beispielsweise der Anblick einer Frau (bzw. Mutter) beim Kochen von Kartoffeln oder Suppe hervorrufen. Der Symbolik des Brotes bedienten sich auch Pressebeiträge, deren Ziel es war, die Besatzungsmächte in positivem Licht darzustellen. Im Sommer 1946 druckte die Neue Berliner Illustrierte beispielsweise Fotografien von Lagern voller Brot, Milch, Getreideprodukte und Kartoffeln sowie Bilder von vielen Kilogramm Fett und Metzger bei der Arbeit.59 Unter den Fotografien waren eine Information über die Anhebung von Lebensmittelrationen und ein Auszug aus einem Dankbrief an Marschall Wassilli Solowski abgedruckt. Die Zeitung schwieg allerdings, was die Tatsache betraf, dass eine Anhebung der monatlichen Brotlieferung um 15.000 Tonnen für die gesamte sowjetische Besatzungszone umgerechnet nur ungefähr ein Kilogramm mehr pro Einwohner erbrachte. Die Fotografien von bis an die Decke mit Brotlaiben gefüllten Lagern sollten selbstverständlich ein besseres Bild von der Realität zeichnen. Ähnliche Nachrichten waren in den westlichen Besatzungszonen zu beobachten. Zu Anfang des Jahres 1948 veröffentlichte die Heute Informationen über die Lebensmittellieferungen aus den Vereinigten Staaten an Deutschland.60 In der linken oberen Ecke von Abb. 4.18 ist das große Bild eines geteilten Brotlaibes zu sehen; über dem größeren Teil steht »2 / 3 USA« und über dem kleineren »1 / 3 eigene Ernte«. Der dazugehörige Text besagte: Wird einem Sterbenskranken das Leben durch Blutzufuhr gerettet, so ist dies in erster Linie das Verdienst des Blutspenders. Wird eine solche Zufuhr häufig wiederholt, kann der Patient dazu kommen, sie als selbstverständlich hinzunehmen. Ein Verzicht auf die Zufuhr wird erst mit fortschreitender Genesung möglich. Würde die Zufuhr vorher aufhören, so sähe sich der Patient wieder im Zustande des Verfalls. Deutschland ist in der Lage dieses Kranken. Was ihm von außen zugeführt wird, dient seiner Lebenserhaltung. In Zahlen wird deutlich, was ihm das Leben sichert.

Auf diese Weise inszenierten sich die Amerikaner – wohlgemerkt nicht nur in diesem Kontext – in der Rolle des Lebensretters, dem die Deutschen ihre Existenz zu verdanken hatten. Das obere Zitat ist umso bemerkenswerter, als es sich in Verbindung mit der Fotografie des geteilten Brotes auf die grundlegenden 59 | N. N.: Wer bekommt jetzt erhöhte Rationen?, in: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 27, S. 4. 60 | N. N.: Brot für vierzig Millionen, in: Heute (1947), Nr. 53, S. 14 f.

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Abbildung 4.18: Grafische Darstellung ergänzender Lebensmittellieferungen aus den Vereinigten Staaten.

Quelle: Heute (1948), Nr. 53, S. 14 f.

Topoi der christlichen Kultur beruft – Brot und Blut. Diese Zusammenstellung vergrößert die symbolische Kraft des Brotes, das hier als lebensnotwendig und unersetzlich dargestellt wird. Häufig war auch Knäckebrot als haltbarerer Ersatz gewöhnlichen Gebäcks zu sehen. Die Wochenschau Der Augenzeuge (25 / 1946) berichtete beispielsweise über die Erneuerung der Knäckebrotproduktion in den Werken in Burg bei Magdeburg. Die Sprecherin überzeugte das Publikum, dass Knäckebrot im Hinblick auf die Nahrhaftigkeit normales Gebäck ersetzen könne, merkte aber an, dass die Produktion im November 1946 nur zur Sättigung der Bedürfnisse Sachsens reichte. 1947 erschienen Werbeanzeigen von Krafts Knäckebrot u. a. in der westlichen Presse. Das hier abgedruckte Beispiel stammt aus der Sie – und kündigt an: »In Berlin gibt’s wieder Knäcke.« Die Knäckebrot-Reklamen anderer Firmen unterstrichen auch seine Haltbarkeit sowie seine gute Verträglichkeit (so etwa das Märkische Knäckebrot).61 Offenbar mussten die Deutschen noch an das Knäckebrot herangeführt werden. Das Knäckebrot passt in die Art von Lebensmittelwerbungen der Nachkriegszeit, in der mehrheitlich haltbare Produkte vorkamen, die nicht schlecht 61 | Die Frau von heute (1948), Nr. 23, S. 31.

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Abbildung 4.19: Reklame für Krafts Knäckebrot.

Quelle: Sie (1947), Nr. 35, S. 12.

Abbildung 4.20: Reklamen der Firmen Döhler und Dr. Oetker.

Quelle: Der Regenbogen (1946), Nr. 11, S. 27.

werden konnten und den besten Ersatz für normale Nahrung darstellten. Hervorragend wird dies am Beispiel der zu Beginn dieses Kapitels besprochenen Reklame der Firma Deubel sichtbar. Entschieden am häufigsten wurden Backpulver und -mischungen (darunter auch Kuchenmischungen) sowie Pudding

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Abbildung 4.21: Reklame der Firma Max Wiecha.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1947), Nr. 28, S. 5.

Abbildung 4.22: Reklame der Firma Vogel.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 18, S. 14.

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pulver, also Stärke, beworben. Neben ihrer Haltbarkeit ist ein weiterer Vorteil dieser Produkte, dass sie das Volumen des Gebäcks vergrößerten, was die Illusion von Überfluss schuf – so ist der Teller bis über den Rand mit Keksen nach Rezepten von Dr. Oetker gefüllt und der Tisch mit einem Gugelhupf der Firma Vogel ist ebenso üppig und elegant gedeckt wie die Tische aus den oben bereits besprochenen Rezeptillustrationen. In Anbetracht der eher mittelmäßigen Verfügbarkeit von Mehl und Zucker machte es das Backpulver möglich, Kuchen zu backen, die groß genug und essbar waren, ohne bzw. mit ganz wenig Eiern, Milch oder Fett. Einige Firmen boten zudem spezielle Rezeptheftchen an, die noch aus der Zwischenkriegszeit bekannt waren, nun aber – wie auch in der Werbeanzeige von Dr. Oetker – den Bedingungen der gegenwärtigen Versorgungslage angepasst waren. Backmischungen, -aromen oder Puddingpulver waren ohne Lebensmittelmarken erhältlich. Mit Sicherheit waren sie auch nicht in jedem Laden zu bekommen, aber in Verbindung mit den bescheidenen Lebensmittelrationen erlaubten sie es der deutschen Bevölkerung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, ihre Mahlzeiten zu variieren. Ferner wurden – hauptsächlich zu besonderen Anlässen verzehrte – Süßigkeiten mit Wohlstand und Friedenszeiten assoziiert. Im Gegensatz zu Fotografien von Kartoffeln oder Brot, die die ärmliche Ernährung und Abhängigkeit der Deutschen von den Besatzungsmächten charakterisierten, waren Kuchen und Pudding Teil des Normalisierungsdiskurses. Die Ersatz-Kultur erwies sich als erstaunlich langlebig. Es wundert nicht, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit Reklamen für Knäckebrot oder Backmischungen dominierten, doch soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, Abbildung 4.23: Reklame für Käse der Marke Velveta.

Quelle: Der Regenbogen (1948), Nr. 6, S. 21.

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dass sich diese Lebensmittel auch nach der Währungsreform in der Werbekultur hielten – es entwickelte sich dann nur eine größere Markenvielfalt. Im Sommer 1948 tauchten beispielsweise Werbungen der Schmelzkäsemarke Velveta auf (streng genommen kehrten sie wieder). Sie wurde bereits zu Kriegszeiten beworben, da sie »den Käse und die Butter [ersetzte], die es sowieso nicht gab.«62 In den Jahren 1945 bis 1948 war Schmelzkäse auf Lebensmittelmarken erhältlich (dies ist z. B. auf Bildern von Lebensmittelrationen in Nordrhein-Westfalen in der Neuen Berliner Illustrierten zu sehen63) – es gab also keinen Bedarf an zusätzlicher Werbung. 1949 kehrten die Reklamen für Suppengewürz, Brühwürfel oder Tomatenmark der Firma Maggi wieder. Sie glichen ihren Zwischenkriegsvorgängern beinahe vollkommen.64 Abbildung 4.24: Maggi-Werbung.

Quelle: Der Regenbogen (1949), Nr. 4, S. 23.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Maggi-Reklamen den stärksten Wiedererkennungswert aus der Zwischenkriegszeit in Deutschland 62 | Kriegeskorte, Michael: 100 Jahre Werbung im Wandel, Köln: Dumont 1995, S. 105. 63 | Neue Berliner Illustrierte (1948), Nr. 3, S. 2. 64 | Großmann, Plakativ! (2009), S. 155.

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hatten, wenn auch nur deswegen, dass sie bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts stets die Werbeseiten von Zeitungen und Zeitschriften ausgefüllt hatten. Zu Beginn zeigten sie wohlhabende Haushalte, in denen Maggi-Produkte verwendet wurden – »Arbeiterfamilien, die mit Maggis Erfindungen eine bezahlbare Volksnahrung erhalten sollten, treten als Käufergruppe nicht in Erscheinung. Ihnen wird mit Bildern eines komfortablen Lebens eine bessere, sattere Zukunft versprochen.«65 Mit der Zeit blieben nur die Maggiflaschen und Gewürzpackungen auf den Reklamen, die bürgerliche Umgebung verschwand. Es scheint aber, dass die Konnotation von Maggi und Komfort in der Erinnerung der Konsumenten geblieben ist. Paradoxerweise kam der Firma die eingeschränkte Ernährungslage nach dem Zweiten Weltkrieg entgegen: »Der sparsame Umgang mit Nahrungsmitteln war eine Überlebensstrategie der Hungerjahre. Hausfrauen versuchten aus einfachen Lebensmitteln schmackhafte Speisen zuzubereiten und diese mit Zusatzstoffen zu strecken.«66 Die Darstellung ausschließlich der Würzflasche und der Brühwürfel bewährte sich auch in den folgenden Jahren als Werbestrategie von Maggi. In diesem Sinne lässt sich die hier angeführte Abbildung sowohl als Anknüpfung an bekannte Reklamemuster als auch als Ankündigung von späteren PR-Strategien lesen. Der visuelle Kontrast bei der Gegenüberstellung von Reklamen der Marken Deubel (Abb. 4.1), Dr. Oetker, Velveta oder Maggi mit Propagandabotschaften von Brot- und Kartoffellieferungen ist noch aus einem anderen Grund typisch für das Deutschland der Nachkriegszeit – er illustriert die große Stratifikation der Gesellschaft. Hierzu Paul Steege: Die Annahme eines absoluten Mangels an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln im Deutschland der Nachkriegszeit fand in der individuellen Praxis ihren Kontrapunkt, in der sich zeigte, dass alles – sogar die luxuriösesten oder extravagantesten Waren – in der Stadt erstanden werden konnte, für einen entsprechenden Preis natürlich. 67

Atina Grossmann hingegen belegt, dass hauptsächlich die DPs keinen Zugang zu nicht rationierten Produkten hatten; die Deutschen allerdings »litten kaum unter Hunger«68:

65 | Ebd., S. 156. Zur Geschichte von Maggi sowie zur Popularität des Produktes in der Nachkriegszeit vgl. auch: Wildt, Michael: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg: Ergebnisse 1994, S. 164 f. 66 | Großmann, Plakativ! (2009), S. 156. 67 | P. Steege: Black Market, Cold War, S. 40. (Übers. d. Verf.) 68 | A. Grossmann: Grams, Calories, and Food, S. 131. (Übers. d. Verf.)

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Bilder der Normalisierung Die meisten Deutschen brauchten sich nicht nur auf offizielle Rationen zu verlassen. Im Gegensatz zu den DPs, die tatsächlich von den Lieferungen innerhalb der Lager abhängig waren, vor allem in der ersten Zeit, hatten die Deutschen Zugang zu nicht rationierter und frischer Nahrung. Als »Eingeborene« oder sogar als ethnisch deutsche Flüchtlinge konnten sie viel einfacher von Kontakten auf dem Land oder von freundlichen Lebensmittelhändlern profitieren. 69

Die oben angeführten Arbeiten von Michael Wildt, Rainer Gries oder Paul Steege, auf welche sich Grossmann beruft, zeigen, dass sie die Bedeutung der ethnischen Herkunft in dieser Differenzierung etwas überschätzt. Viele Deutsche waren ebenfalls auf grundlegende Lebensmittelrationen angewiesen. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es in der Nachkriegsgesellschaft viele Personen gab, die die schwierige Lage ausnutzten, um sich selbst zu bereichern – insbesondere auf dem Schwarzmarkt. Während sich die Mehrheit hauptsächlich von Brot und Kartoffeln ernährte, setzte sich eine Minderheit an üppig gedeckte Tische. Diese Disparität veranschaulichen die Frauenfiguren auf dem KPD-Plakat einerseits und der Werbeanzeige der Firma Deubel andererseits. Auch Spielfilme griffen dieses Thema auf. In … und über uns der Himmel oder in Straßenbekanntschaft (1948, Regie: Peter Pewas, sowjetische Besatzungszone) sehen wir Szenen prachtvoller Empfänge, auf denen es Süßigkeiten und Alkohol in Hülle und Fülle gibt. Die Gäste dieser Empfänge besinnen sich schließlich und kehren auf den Weg eines bescheidenen Lebens zurück – oder aber sie erhalten ihre Strafe. Der Zugang zu nicht alltäglicher Nahrung wurde in diesen Jahren oft mit Kriminalität assoziiert, so dass die Rollen der Schieber und Zuhälter vor allem von korpulenten Schauspielern verkörpert wurden. Diese Assoziationen nutzten auch Karikaturisten und Autoren satirischer Zeichnungen: Die Bösen (Nationalsozialisten, Imperialisten usw.) wurden als übergewichtige Männer dargestellt, oft waren sie dabei zu beobachten, wie sie es sich bei Tisch gutgehen ließen, die gewöhnlichen (unschuldigen) Deutschen hingegen waren dünne, zerbrechliche Gestalten.70

69 | Ebd. 70 | Aus pragmatischen Gründen führen wir dieses Thema hier nicht weiter aus und führen auch keine gründlichere Analyse der Karikaturen und satirischen Zeichnungen durch. Mit Sicherheit verdienen diese Bilder eine eingehendere Untersuchung. Die hier erwähnte Tendenz lässt sich in vielen Karikaturen der damaligen Zeitungen und Zeitschriften nachvollziehen. Vgl. u. a. Günter Kunert / H erbert Sandberg (Hg.), Ulenspiegel. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Satire. Eine Auswahl 1945-1950, Berlin: Eulenspiegel 1978, sowie die digitalisierten Bestände des Simpls, http://digi.ub.uni-heidelberg. de/diglit/simpl (23.03.2016).

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E rnährung der K inder Ein wichtiges und oft thematisiertes Problem der unmittelbaren Nachkriegszeit waren unterernährte Kinder. Im ersten Kapitel schrieben wir bereits, dass Kinder eine besondere Rolle innehatten – sie verkörperten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.71 Ihr schlechter gesundheitlicher Zustand war also ein besonderer Grund zur Sorge  – zumindest wurde dies in der Ikonosphäre so dargestellt. Abbildung 4.25: Rachitis-Plakat, 1947, sowjetische Besatzungszone.

Quelle: Bundesarchiv, Sign. B 285 Plak-026-019.

In der sowjetischen Besatzungszone gab die Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen beispielsweise den Druck von Plakaten in Auftrag, auf denen vor Rachitis gewarnt wurde – einer Krankheit, deren Hauptursachen ein Mangel an Tageslicht und entsprechender, Vitamin-D-reicher und eisenhaltiger Nahrung, also Fleisch, Fisch, Fett und Milch, ist. Der magere Junge mit den 71 | Mehr dazu in Fisher, Jaimey: Disciplining Germany. Youth, Reeducation and Reconstruction after the Second World War, Detroit: Wayne State University Press 2007.

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hervorstehenden Rippen (ein charakteristisches Krankheitszeichen) vor dem in Ruinen liegenden Hintergrund stellt einen deutlichen Gegensatz zu den Bildern gesunder und lächelnder Kinder auf Lebensmittelreklamen dar. Das Plakat macht auf die Initiative der Mütterberatungsstellen in der sowjetischen Besatzungszone aufmerksam, in denen u. a. zu Fragen bezüglich der Gesundheit und Ernährung von Kindern informiert wurde.72 Häufig gab es auch unmittelbare Aufrufe an die Bevölkerung, den Kindern zu helfen – in einigen Fällen blieben sie auf verhältnismäßig allgemeiner Ebene, wie etwa eine Briefmarke von 1946 aus der sowjetischen Besatzungszone. Abbildungen 4.26 und 4.27: Briefmarke, 1946, sowjetische Besatzungszone (links). Plakatentwurf zur Hilfsaktion »Rettet das Kind«, französische Besatzungszone. Autor: Heinz Lohmar.

Quellen: Wikimedia Commons (links). Deutsches Historisches Museum, Sign. P84/140.1.

Sie stellt ein Kind in der Hand eines Erwachsenen dar, und der nebenstehende Appell »Helft den Kindern« kann sich sowohl auf die Lage der vielen Kriegswaisen und obdachlosen Familien beziehen als auch auf unterernährte Kinder. Solche Aktionen gab es viele – so zeichnet etwa Susanne, die Protagonis-

72 | Vgl. Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton /  O xford: Princeton University Press 2007, S. 141.

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tin des Filmes Die Mörder sind unter uns, ein Plakat für die Hilfsaktion »Rettet die Kinder«.73 Interessante Beispiele stammen auch aus der französischen Besatzungszone, wo – wie viele Forscherinnen und Forscher bestätigen – die Lage außergewöhnlich schwierig war 74: Das Plakat »Rettet das Kind, helft durch Freitisch« ist Teil einer emotionalen Hilfskampagne aus Ludwigshafen. Neben diesem Bild umfasste sie auch ein Plakat, auf dem ein Kind in der Umarmung seiner Mutter vor einem Friedhof zu sehen ist; die dazugehörige Bildunterschrift lautet: »Zuviel schon der Toten. Rettet das Kind.« Im Falle der hier angefügten Abbildung wiederholt sich das Motiv der auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesenen Kinder – dies ist an den Händen zu erkennen, die ihnen einen Teller Suppe reichen. Die Kinder sind abgemagert, traurig, haben Ringe unter den Augen und sehen sich hungrig nach einer Mahlzeit um. Bemerkenswert ist, dass zwei Kinder dargestellt sind, wohingegen auf dem Tisch nur ein Teller mit einem Löffel steht. Das Mädchen und der Junge scheinen – gleichsam Geister – über dem Tisch zu schweben. Natürlich lässt sich die Darstellung auf unterschiedliche Weise deuten, etwa, als wäre die Hilfe für sie schon zu spät gekommen, doch ist das in diesem Fall wohl eher auf die mangelnden Fertigkeiten des Zeichners zurückzuführen als auf die tatsächliche Intention. Das aus den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums stammende Bild ist handgemalt, was bedeuten kann, dass es sich um eine Skizze eines später zu druckenden Plakates handelte oder dass es in dieser Form auf Ankündigungstafeln gehängt wurde. Dies ist nichts Verwunderliches, es war eine in den ersten Friedensmonaten häufige Praktik, die etwa auch in der erwähnten Filmszene aus Die Mörder sind unter uns zu sehen ist. Bilder hungriger Kinder waren auch Teil der Propaganda in der amerikanischen Besatzungszone. Die Heute druckte regelmäßig Fotografien von Kindern bei der Schulspeisung; auf vielen von ihnen sind Jungen und Mädchen zu sehen, wie sie Mahlzeiten, die ihnen von amerikanischen Soldaten gebracht wurden, zu sich nehmen. 73 | In Anbetracht der Mutter-Kind-Thematik stellt Hester Baer die These auf, dass das von Susanne mit Kohle gezeichnete Plakat an das Schaffen von Käthe Kollwitz anknüpft. Vgl. Baer, Hester: Dismantling the Dream Factory. Gender, German Cinema and the Postwar Quest for a New Film Language, New York /  O xford: Berghahn 2009, S. 34. Tatsächlich handelt es sich um das Plakat zu einer Aktion des Vereins »Opfer des Faschismus«, während derer die Berliner Kinder zu Weihnachten 1945 beschenkt wurden und das in jener Zeit auch in den Berliner Straßen gehangen hatte. Vgl. Weckel, Ulrike: »Die Mörder sind unter uns« oder: Vom Verschwinden der Opfer, in: WerkstattGeschichte (2000), Nr. 25, S. 105-115, hier S. 107. Mehr zur Aktion »Rettet die Kinder« in: Ranke, Winfried u. a.: Kultur, Pajoks und Care-Pakete, S. 92-94. 74 | H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 951.

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Abbildung 4.28: Fotografie und Erläuterung zur Titelbildwahl der Heute.

Quelle: Heute (1947), Nr. 47, Titelbild u. S. 2.

Besondere Aufmerksamkeit verdient das Titelbild der Heute vom 1. November 1947, auf der das Gesicht eines Schulkindes prangt. Auf der dritten Seite der Zeitschrift besagt die dazugehörige Bildunterschrift: »Ob es heute wieder Kakao gibt? Sehr ernst und erwartungsvoll blickt das Mädchen aus großen Augen – während ein anderes sein tägliches Schulfrühstück schon bekommen hat und es beinahe andächtig verzehrt.« Über der Bildunterschrift war eine zusätzliche, kleine Fotografie eines anderen Mädchens zu sehen, das in beiden Händen einen Becher (vermutlich) mit Kakao hält. Das Titelbild der Heute ist ein interessantes Beispiel dafür, wie an die Emotionen der Leserschaft appelliert wurde. Die großen Augen und der traurige, erwartungsvolle Gesichtsausdruck des Mädchens konnten durchaus die Aufmerksamkeit von Passanten an Zeitungsständen auf sich ziehen und Mitleid erregen. Das Mädchen schaut nach oben, aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Erwachsenen hin. Im Kontext der vielen anderen Bilder, die die schwierige Lage der Kinder thematisierten, scheint vom ersten Blick an klar zu sein, dass das Mädchen auf etwas wartet – dies kann Essen sein, ein Transport zu den Eltern, von denen sie auf der Flucht getrennt worden war, oder ihre Übergabe an eine neue Familie. Das waren Motive, mit denen Bilder von Kindern in der öffentlichen Ikonosphäre am häufigsten in Verbindung gebracht wurden. Im Endeffekt offenbart sich die Bedeutung des Bildes erst in der Zusammenstellung mit der dazugehörigen Bildunterschrift, die im Innenteil der Zeitschrift zu finden

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war, wofür die Leserin oder der Leser sie öffnen musste. Das war eine gängige Handhabe der Heute, in der oft vieldeutige, aufmerksamkeitsheischende Fotografien auf dem Titelblatt, die Erläuterungen allerdings erst auf der dritten Seite gedruckt wurden. Natürlich können wir nicht wissen, ob gerade dieses Mädchen tatsächlich auf ihr Frühstück wartete – die Fotografie hätte genauso gut unter anderen Umständen gemacht worden sein können –, doch die Bildunterschrift und die Kombination mit der zweiten Fotografie des Kindes mit dem Becher in der Hand stellen die intendierte Bedeutung her. Unabhängig von den tatsächlichen Umständen der Entstehung des Bildes ist es eines von vielen Beispielen für die Selbstinszenierung der Besatzungsmächte in der Rolle fürsorglicher Beschützer, die die Bedürfnisse der Kleinsten erfüllen. Mit Ausnahme des Rachitis-Plakates, das vor allem eine abschreckende Funktion erfüllte (es fehlt eine präzise Beschreibung der Krankheitssymptome wie auch Ratschläge zur Vorbeugung – es ist nur das Wort »Mütterberatungsstellen« zu lesen, allerdings ohne Kontaktdaten), enthielten die übrigen Abbildungen hungriger Kinder keine drastischen oder abstoßenden Bilder. Ihr Ziel war es nämlich zu zeigen, dass sich die Kinder tatsächlich in guten Händen befanden und Nahrung erhielten, die ihnen die Besatzungsmächte zusicherten. Aus diesem Grunde lohnt es sich nicht nur, auf häufige Motive der öffentlichen Ikonosphäre Deutschlands der frühen Nachkriegszeit zu verweisen, sondern auch auf solche, die seltener zu sehen waren. Hierzu gehören beispielsweise Fotografien abgemagerter und unterernährter Kinder mit einem Hungerödem. Gegen Ende des Krieges bis in den Winter (1946 / 1947) ließen die Alliierten wie auch die westlichen Reporter solche Bilder zu Dokumentationszwecken anfertigen, allerdings ohne sie zu veröffentlichen. So fotografierte etwa Gollancz beinahe verhungerte Kinder in Hamburg, veröffentlichte sie aber nur in der Buchausgabe seiner Reportagen.75 Die abgemagerten, nackten Kinder, das Gesicht der Kamera zugewandt und eines neben dem anderen stehend, erinnern an die Menschen in den von den alliierten Soldaten befreiten Konzentrationslagern. Es darf also nicht verwundern, dass in allen Besatzungszonen die für die Medien zuständigen Offiziere sowie die Herausgeber der lizenzierten Zeitschriften solche Bilder nicht veröffentlichen wollten – weder in der deutschen noch in der ausländischen Presse. Sie evozierten einen Eindruck, der suggerieren konnte, dass die Deutschen und insbesondere die Kinder Opfer von Krieg und Besatzung sind. In der Zusammenfassung seines Beitrags schrieb auch Gol­lancz in The Daily Herald: »Und nun, so mutmaße ich, wird jemand, der sich für einen Engländer im wortwörtlichen Sinne wie auch nur durch den Zufall der Geburt hält, sagen: ›Sie sind selbst dafür verantwortlich.‹ Auch die Babys?« 76

75 | V. Gollancz: In Darkest Germany, Abb. 6-7. 76 | Ebd., S. 55. (Übers. d. Verf.)

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Parallel zu den Darstellungen hilfsbedürftiger Kinder gab es in der Ikonosphäre aber auch Bilder von rundlichen und fröhlichen Babys, besonders in Reklamen für Trockenmilchpulver, worauf wir bereits im ersten Kapitel im Kontext der Mutterfiguren hingewiesen haben. An dieser Stelle soll nun auf die Visualisierung des Essens eingegangen werden. Neben den oben erwähnten Instantprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln stellte die Milch für Kinder eines der am häufigsten beworbenen Lebensmittel dar. Erneut zeigt sich, dass sich die Wirtschaft einer ganz anderen Rhetorik bediente als die Politik. Die Abbildung wohlgenährter Kinder in der Werbung hatte einerseits mit ihrer Symbolkraft zu tun, andererseits resultierte dies aus der pragmatischen Tatsache, dass Mütter in allen Besatzungszonen Lebensmittelmarken für Trockenmilchpulver erhielten. Dieses wurde auch zu anderen Zwecken als nur zur Ernährung von Kindern genutzt: »Für die Teigbereitung muß die angerührte Trockenmilch nicht einmal aufgekocht werden, wohl aber muß sie längere Zeit angerührt stehen« 77, lesen wir auf den Ratgeberseiten der Monatszeitschrift Der Regenbogen. Gleichwohl war Milchpulver kein leicht erhältliches Produkt, es aufzutreiben war mit großen Anstrengungen verbunden, wie Victor Gollancz schrieb, als er Deutschland im Jahr 1946 bereiste. Abbildung 4.29: Reklame für den Pudding der Marke Vogeley.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1946), Nr. 35, S. 11.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde der Pudding der Marke Vogeley mit Milchpulver hergestellt. Der grundlegende Vorteil dieser Milch war ihre Haltbarkeit, obwohl in der Werbung vor allem ihr für die Kindesentwicklung förderlicher Nähr77 | Der Regenbogen (1946), Nr. 7, S. 20.

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Abbildung 4.30: Reklame für das Trockenmilchpulver der Marke Hipp.

Quelle: Der Regenbogen (1946), Nr. 7, S. 26.

wert hervorgehoben wurde. Das war auch die Logik von Werbeanzeigen bekannter Marken wie Hipp, Mondamin oder Brockma, einem kalorienreichen Nährpräparat (vgl. Abb. 4.31 und 4.32). Die Reklamen von Hipp und Brockma zeigen zufriedene und wohlgenährte Kinder, die Werbeanzeige von Mondamin präsentiert wiederum ein volles Milchfläschchen und einen Teller Brei. Es handelt sich natürlich um universelle, bis heute verwendete Motive – mit dem Unterschied allerdings, dass gegenwärtig

der Schwerpunkt auf der Gesundheit liegt (wir erfahren von der Anreicherung der Lebensmittel um Vitamine und Mineralstoffe, von dem wohltuenden Einfluss auf die Abwehrkräfte des Kindes usw.), während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Nährwert der Kindernahrung im Mittelpunkt stand. Sie sollte vor allem eine entsprechende Kalorienmenge enthalten und eine Gewichtszunahme des Kindes begünstigen. Ferner unterstreichen die Hersteller ihre langjährige Tradition. In der rechten unteren Ecke der Reklame von Mondamin finden wir etwa die Information, dass es die Marke bereits seit 50 Jahren gab. Dabei ging Hipp am weitesten: Schon an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war auf der Verpackung von Zwiebackmehl, einem der ersten HippProdukte, ein Kind zu sehen, das seine Hände nach oben in Richtung der Aufschrift »Soo groß« streckt. In den Folgejahren zierte es weitere Erzeugnisse von Hipp. Mithilfe dieses Bildes schuf die Firma ein Gefühl von Tradition und Sicherheit und überzeugte die Mütter davon, dass sie die Ernährung ihrer Kinder erfahrenen Händen anvertrauten. Gleichzeitig versicherten Bezüge auf die Geschichte der Firma oder auf die visuelle Kultur der Vorkriegszeit, dass die Konsumentinnen und Konsumenten mit deutschen und nicht mit alliierten Unternehmen zu tun hatten. Dies trug sicherlich auch zur Erneuerung des Vertrauens in die Marke bei, was insbesondere im Falle von Nahrungsmitteln für Kinder von Bedeutung ist.

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Abbildungen 4.31 und 4.32: Reklame für das Trockenmilchpulver der Marke Mondamin (links). Reklame für das Nährpräparat Brockma.

Quellen: Constanze (1948), Nr. 1, S. 7 (links). Neue Filmwelt (1947), Nr. 2, S. 34.

N icht für O t to N ormalverbr aucher In Anbetracht der Selbstdarstellung der Besatzungsmächte als Versorger der deutschen Gesellschaft sowie der symbolischen Bedeutung von Kinderfiguren könnte man die These riskieren, dass sich sowohl die westlichen Alliierten als auch die Machthaber in der sowjetischen Besatzungszone metaphorisch als »Eltern« inszenierten. So setzten sie beinahe wortwörtlich die weiter oben bereits zitierte Empfehlung von Margaret Mead in die Tat um: »Spürt ein Volk, dass seine Lebensmittelversorgung in der Hand einer Autorität liegt, so wird es diese ein Stück weit als elterliche Autorität empfinden.« Der Diskurs zum Wiederauf bau der Familienstrukturen schleicht sich hier gewissermaßen durch die Hintertür in den strikt politischen Diskurs ein. Daraus folgt nicht, dass das Thema Ernährung in kommerziellen Diskursen nicht aufgegriffen worden wäre – im Gegenteil: Die Lebensmittelhersteller nutzten den Hunger der Deutschen, um eine für den Zeitraum spezifische Produktpalette zu bewerben, nämlich haltbare, über zusätzliche Kartenrationen oder auch ohne Karten erhältliche Lebensmittel. Die parallele Existenz von Bildern politischer und kommerzieller Provenienz, die völlig unterschiedliche Weltvorstellungen präsentierten, wird bereits auf der zu Beginn dieses Kapitels

IV.  Ernährung: Kar tof feln, Knäckebrot und Trockenmilch

besprochenen Werbung der Firma Deubel sichtbar, die in der Zeitschrift Die Frau von heute direkt neben klassischen Abbildungen sozialistischer Frauen gedruckt wurde. Im Gegensatz zu den Inhalten, die von den Besatzungsmächten stammten und oft auf den Kontext des verlorenen Krieges und der neuen politischen Situation verwiesen, hoben kommerzielle Bilder die Kontinuität der Wirtschaft hervor. Die Reklamen unterstrichen auf diese Weise, dass die Firmen und Marken, für die geworben wurde, der schwierigen Situation zum Trotz immer noch auf dem Markt präsent waren. Sicherlich nicht zu Unrecht meint Rainer Gries in dieser Strategie eine Verknüpfung kommerzieller und politischer Intentionen zu bemerken: Aus der Sicht der Werbeleute waren in solcher Situation die Markenprodukte gefordert, die nicht nur dem materiellen Manko abhelfen konnten, sondern denen die staatstragende Aufgabe zukommen sollte, die Enttäuschungen über das geistig-moralische Vakuum hinüberzuretten. Die zweite deutsche Nachkriegsgeschichte in diesem Jahrhundert bestätigt diese Erfahrungen auf eindrucksvollste Weise: Markenartikel bauen zwar das »öffentliche Vertrauen« in erster Linie ganz eindeutig für sich selbst auf. Darüber hinaus aber gewinnt mit den Produkten und ihrer Platzierung das »öffentliche Vertrauen« in Staat und Gesellschaft.78

Im Hinblick auf die alltägliche Ernährungsfrage (auf politischer und wirtschaftlicher Ebene) markierte die Währungsreform eine Wende; in den Geschäften der westlichen Besatzungszonen tauchten von einem Tag auf den anderen Lebensmittel auf. Eine Redewendung aus der damaligen Zeit funktioniert noch bis heute – der Begriff des »Otto Normalverbrauchers« aus dem Film Berliner Ballade (1948, Regie: Robert Stemmle, amerikanische Besatzungszone). Der Protagonist, ein Mann mit ebensolchem Vor- und Nachnamen, ist ein Heimkehrer, dem die Rationen aus seinen Lebensmittelkarten zum Leben ausreichen müssen. Die übrigen Berliner Einwohnerinnen und Einwohner, die es geschafft haben, sich in der zerstörten Stadt einzuleben, haben bereits ihre geheimen Nahrungsquellen, er aber muss mit dem Existenzminimum auskommen – er kann lediglich die »Norm« verbrauchen.

78 | R. Gries: Rationen-Gesellschaft, S. 333.

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Abbildung 5.1: Einrichtungsvorschlag eines Raumes von 50 Quadratmetern.

Quelle: Heute (1946), Nr. 25, S. 17.

V. Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Der »Wiederauf bau« war eines der dominanten Themen in den deutschen Medien der Nachkriegszeit. Im Bereich des Häuslichen richtete sich dieser Diskurs nicht nur auf den materiellen Wiederauf bau, die Wiederherstellung von Bausubstanz, sondern auch auf den Bereich, den man als »Heim« oder »Haushalt« bezeichnen könnte. Ein Kontrapunkt zu den Bildern der Zerstörung oder zum Fortschritt beim Bau neuer Häuser waren Entwürfe gemütlicher Wohnungen für die ganze Familie. Es wurden zahlreiche Beiträge publiziert, wie man wenig Raum effektiv nutzen könne; einige Zeitschriften – allen voran die konservative Münchner Monatszeitschrift Der Regenbogen sowie die alle zwei Wochen erscheinende Heute, herausgegeben von der amerikanischen Militärregierung – druckten spezielle Mustervorschläge, wie die Wohnzimmer- oder Küchenmöbel am besten aufzustellen seien. Diese Bilder waren allerdings eher Imagination und Zukunftsversprechen, da in den ersten Jahren nach dem Krieg nur wenige Familien über eine Wohnung mit Küche, Bad und separaten Schlafzimmern für Eltern und Kinder verfügten. Das hier gezeigte Schema einer Wohnung illustriert die Mechanismen des Normalisierungsdiskurses. Es ist für eine Familie mit drei Kindern ausgelegt: Im Schlafzimmer der Eltern steht ein Kinderbettchen, die älteren zwei Kinder haben eigene Zimmer. Ein wichtiger Bestandteil des Familienlebens sind die gemeinsamen Mahlzeiten – in der Musterwohnung sehen wir einen zentralen Raum, in dem der Essbereich mit Esstisch und der für deutsche Innenräume typischen Sitzecke einen gesonderten Platz einnehmen. (In dem von uns untersuchten Zeitraum war die Sitzecke eine besonders populäre Lösung, da es an Raum für einen Einzeltisch und ein Kanapee fehlte.)1 Beachtenswert sind auch die Fenster: Unter der Voraussetzung, dass es sich um eine Wohnung in 1 | Vgl. Becher, Ursula A. J.: Geschichte des modernen Lebensstils. Essen – Wohnen – Freizeit – Reisen, München: C. H. Beck 1990, S. 146. In Bezug auf die frühe DDR vgl. Zachmann, Karin: Managing Choice. Constructing the Socialist Consumption Junction in the German Democratic Republic, in: dies. /  R uth Oldenziel (Hg.), Cold War Kitchen.

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Bilder der Normalisierung

einem Mietshaus oder Mehrfamilienhaus handelt (in der Bildunterschrift ist von 50 Quadratmetern die Rede), ist es eher unwahrscheinlich, dass der Fensterlauf von der Eingangstür unterbrochen wird. Eine solche Raumplanung ist nur in einem Einfamilienhaus zu beachten (und solche Häuser sind in der Regel bedeutend größer) oder in Gebäuden, die man über eine Außengalerie betreten kann, von der nacheinander die Eingangstüren zu den jeweiligen Wohnungen abgehen. In »gewöhnlichen« Mietshäusern grenzt die Wand mit der Eingangstür an das Treppenhaus an. Es scheint auch wenig wahrscheinlich, dass in einem Mehrfamilienhaus acht Fenster auf so kleiner Fläche eingebaut worden wären. Im Wohnzimmer ist zudem ein Kamin eingeplant – was nun wirklich eine Seltenheit in einem Mietshaus darstellt. Untypisch für die damalige Mietshausarchitektur ist auch, dass es keine Heizöfen gibt. Insofern haben wir es mit dem Entwurf eines kleinen Einfamilienhauses von der Grundfläche einer gewöhnlichen Mietshauswohnung zu tun. Mag er auch wenig mit der Realität gemein gehabt haben, korrespondierte er doch mit den Träumen der Deutschen nach dem Krieg: Nicht das Hochhaus als Symbol des modernen, amerikanisch geprägten Lebensstils war das Wohnideal, das Meinungsumfragen ermittelten, sondern das Einfamilienhaus in den grünen Außenbezirken der Stadt. […] Das Einfamilienhaus als Leitbild hatte nur Sinn, wenn auch die Familie weiterhin als Norm sozialen Lebens gelten sollte. 2

Natürlich sind wir heutzutage nicht in der Lage zu sagen, inwiefern sich dieses Ideal auf die Darstellungen und Ratschläge in der Presse auswirkte und inwiefern diese Ratschläge ihrerseits die Bedürfnisse der Deutschen nach dem Krieg prägten. Zweifelsohne gab es aber komplexe Verbindungen zwischen den öffentlich zugänglichen Bildern und den gesellschaftlichen Vorstellungen vom idealen Haus. In welcher Beziehung zur Realität steht die hier besprochene Abbildung? In der Annahme, dass das Schema einem kleinen (Reihen)Haus für eine fünfköpfige Familie entspricht, übersteigen die angegebenen 50 Quadratmeter den einer solchen Familie zustehenden Raum – 1946 betrug er in der amerikanischen Besatzungszone 7,6 Quadratmeter pro Erwachsenem.3 Der Großteil der Familien, die 50 Quadratmeter bewohnten, musste folglich mit Mitbewohnern zusammenleben und hatte etwa ein bis zwei Zimmer für sich zur Verfügung. Mithilfe einer skizzenhaften Zeichnung beschreibt Victor Gollancz die EinAmericanization, Technology and European Users, Cambridge: MIT Press 2009, S. 258284, hier S. 267 (insbesondere die Abbildung und die Bildunterschrift). 2 | U. A. J. Becher: Geschichte des modernen Lebensstils, S. 144. 3 | Schulz, Günther: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957, Düsseldorf: Droste 1994, S. 44.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Zimmer-Unterkunft einer dreiköpfigen Familie, in der ein Bett, zwei Stühle und ein Herd stehen, zwischen den Möbeln bleiben drei Quadratmeter Freiraum.4 Die Lage verbesserte sich in den 1950er Jahren: »Typisch für den Massenwohnungsbau jener Jahre waren Grundrisse, die neben kleiner Küche, Duschbad und WC ein Wohnschlafzimmer und eigene, wenn auch extrem kleine Kinderzimmer aufwiesen.«5 Mag der Wohnungsentwurf in der Heute den Realien der zweiten Hälfte der 1940er Jahre nicht entsprochen haben, so nahm er doch Phänomene vorweg, die in der Bundesrepublik der 1950er durchaus erreichbar waren. Diese Träume konnten folglich Realität werden. Während der Plan im Hinblick auf Fläche und Zimmeranzahl die künftigen Veränderungen vorwegnahm, stellte die Suggestion, dass es sich um ein freistehendes Einfamilienhaus handelt, eine Rückkehr zu Idealen aus dem 19. Jahrhundert dar: Die frühe deutsche Wohnungsreformbewegung […] machte das Einfamilienhaus (anstelle von Wohnungen) zu ihrem wichtigsten Ziel. […] Das Eigenheim wurde für die Grundlage eines ziemlich normalen Familienlebens und einer wirtschaftlich stabilen, politisch ruhigen Arbeiterschicht gehalten. 6

Bis in die 1960er Jahre der Bundesrepublik gelang es nicht, dieses Modell massenhaft umzusetzen.7 Nichtsdestoweniger suggeriert der Entwurf aus der Heute, dass man in einer 50-Quadratmeter-Wohnung eine Lebensqualität wie in einem Einfamilienhaus erlangen könne – mit einem Kamin im Wohnzimmer und einem Gartenzugang. In den Medien der unmittelbaren Nachkriegszeit war dies kein Einzelfall: In anderen Zeitschriften wurden ebenfalls Beiträge über die Vorteile eines Lebens im Eigenheim gedruckt; ein populärer Slogan lautete: »Kleines Haus – großes Glück«.8 In ihren Ratschlägen, wie ein kleines 4 | Gollancz, Victor: In Darkest Germany (The Record of a Visit), Hindsdale: Regnery 1947, S. 60 f. 5 | Schildt, Axel: Freizeit, Konsum und Häuslichkeit in der »Wiederaufbau«-Gesellschaft. Zu Modernisierung von Lebensstilen in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre, in: Hartmut Kaelbe /  J ürgen Kocka / H annes Siegrist (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt a. M. /  N ew York: Campus 1997, S. 327-348, hier S. 332. 6 | Teuteberg, Hans J. / W ischermann, Clemens: Germany, in: Colin G. Polley (Hg.), Housing Strategies Europe 1900-1930, Leicester u. a.: Leicester University Press 1992, S. 240-267, hier S. 246. (Übers. d. Verf.) Über die Wohnungsreformen des 19.  Jahrhunderts schreibt aus der Perspektive der kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen auch U. A. J. Becher: Geschichte des modernen Lebensstils, S. 128 ff. 7 | Ebd. 8 | S. Gehrke: Kleines Haus – großes Glück, in: Sie (1946) Nr. 16, S. 6.

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Bilder der Normalisierung

Heim einzurichten war, gaben die Autorinnen und Autoren allerdings keine Antwort auf die wichtigsten Fragen: wie ein eigenes Grundstück erwerben, woher Baumaterial nehmen? Im Allgemeinen hieß es nur, dass es schwierig sei. Die Tatsache, dass solche Anleitungen in Illustrierten gedruckt wurden und nicht etwa in professionellen Technikzeitschriften (in diesen haben wir recherchiert und kein einziges Beispiel gefunden), lässt auch vermuten, dass wir es mit einer gewissen Illusion zu tun haben, mit Träumen und nicht mit realen Entwurfsvorschlägen. Aus diesem Grunde schreiben wir ihnen eine große Bedeutung im Normalisierungsdiskurs der Nachkriegszeit zu.

W ohnen Es ist kein Zufall, dass wir uns hier auf die illustrierte, hauptsächlich an Frauen gerichtete Presse konzentrieren. Es scheint, dass die Innenraumratgeber dafür vorgesehen waren, in der häuslichen Abgeschiedenheit, im Privaten angesehen zu werden, da eben dort Träume von einem gemütlichen Eigenheim ihren Anfang nahmen, das nur mit den engsten Familienmitgliedern geteilt werden sollte. In anderen Bereichen der öffentlichen Ikonosphäre – zum Beispiel auf Plakaten oder in Wochenschauen – waren Entwürfe von häuslichen Innenräumen nur selten zu sehen. Messen oder Ausstellungen für Haushaltsgeräte und Möbel gab es erst seit den 1950er Jahren – sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR.9 Noch auf der Messe Hannover im Jahr 1948 wurden Produkte der Möbelindustrie ausschließlich als Exportware für den Markt in Holland, Belgien und der Schweiz präsentiert, was Deutschland Devisenzuflüsse bescheren sollte.10 In einigen der in Deutschland gedrehten Spielfilme berücksichtigten die Drehbuchautoren zwar die Wohnungen der Protagonisten, doch blieben Szenen in Wohn-, Ess- oder Schlafzimmern immer noch eine Seltenheit. In den bekanntesten Filmen, die zeitgenössische Handlungen zeigten, wie etwa in Die Mörder sind unter uns (1946, Regie: Wolfgang Staudte, sowjetische Besatzungszone), Irgendwo in Berlin, (1946, Regie: Gerhard Lamprecht, sow­jetische Besatzungszone) oder …und über uns der Himmel (1947, Regie: Josef von Báky, amerikanische Besatzungszone) begrenzten sich die Innenaufnahmen hauptsächlich auf die spartanische Wohnküche. Nicht ohne Grund gelten die Trümmerfilme,

9 | Mehr dazu in Castillo, Greg: The American »Fat Kitchen« in Europe. Postwar Domestic Modernity and Marshall Plan Strategies of Enchantment, in: Oldenziel / Z achmann, Cold War Kitchen (2009), S. 33-57. 10 | Borgmann, Karl: Deutsche Möbel – sehr gefragt, in: Die Welt vom 22.05.1948, S. 2 (= Sonderbeilage zur Exportmesse Hannover).

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

in denen Bilder der Zerstörung, von Ruinen und viele Außenszenen dominieren, als typisches Genre des deutschen Nachkriegskinos.11 Die im weiteren Verlauf des Kapitels analysierten Wohnungsratgeber funktionierten also in einer Ikonosphäre, in der Außenaufnahmen von Häusern überwogen. Die Fotografen (und auch die Kameramänner der Wochenschauen) überschritten nur selten die Schwelle zu privaten Wohnungen; nur sporadisch zeigten sie provisorische Unterkünfte wie Nissenhütten (Blechbaracken mit halbrundem Profil).12 Bis 1948 erschienen Fotografien von Ruinen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen regelmäßig in der deutschen Presse.13 Diese Strategie führten zuerst – alliierte wie deutsche – Fotografen ein, die das Ausmaß der Zerstörung dokumentierten. Die Praxis war selbstverständlich nur eine Ergänzung allgemeiner Bestandsaufnahmen. 1948 gab Hilde Thurnwald an, 11 | Shandley, Robert R.: Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit, übers. v. Axel Meier, Berlin: Pathas 2010, S. 10. 12 | Vgl. Durth, Werner: Vom Überleben. Zwischen totalem Krieg und Währungsreform, in: Ingeborg Flagge (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 5: 1945 bis heute: Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1999, S. 17-80, hier S. 50. In der Welt im Film (86 /  1947) ist beispielsweise ein kurzer Beitrag zu diesem Thema enthalten, aber die drei bis vier Sekunden langen Innenaufnahmen in Nissenhütten zeigen Modellbeispiele, in denen noch niemand wohnt. Der übrige Teil des Films zeigt eine britische Delegation, die das Ruhrgebiet besucht und sich mit den Fortschritten im Wohnungsbau bekannt macht. 13 | Von der Straße aus zu sehende Ruinen finden wir in den Arbeiten solch bekannter Fotografen wie Robert Capa, Margaret Bourke-White, Fritz Eschen, Richard Peter, Hermann Classen, Gerhard Gronefeld, Abraham Pisarek oder Otto Donath. Vgl. die Fotografien in den Alben: Robert Capa /  D iethart Kerbs (Hg.), Sommertage, Friedenstage Berlin 1945, Berlin: Nishen 1986; Sean Quimby (Hg.), Margaret Bourke-White. Moments in History, Madrid: La Fabrica 2013; Mathias Bertram /  J ens Bove (Hg.), Fritz Eschen. Berlin unterm Notdach. Fotografien 1945-1955, Leipzig: Lehmstedt 2010; Peter, Richard: Dresden – eine Kamera klagt an, Dresden: Dresdner Verlagsgesellschaft 1949; Classen, Hermann: Gesang im Feuerofen. Köln – Überreste einer alten deutschen Stadt, Düsseldorf: Schwann 1947. Die Fotografien von Gerhard Gronefeld und Otto Donath befinden sich u. a. in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums; viele Fotografien von Abraham Pisarek lassen sich in der Deutschen Fotothek in Dresden finden. Mehr zur fotografischen Dokumentation der Ruinen schreiben Barnouw, Dagmar: Germany 1945. Views of War and Violence, Bloomington / I ndianapolis: Indiana University Press 1996; Glasenapp, Jörn: Die deutsche Nachkriegsfotografie. Eine Mentalitätsgeschichte in Bildern, Paderborn: Wilhelm Fink 2008, S. 100-134; Reichhardt, Hans J.: »… raus aus den Trümmern«. Vom Beginn des Wiederaufbaus 1945 in Berlin, mit Fotografien von Carl Weinrother und Abraham Pisarek, Berlin: Transit 1988; Derenthal, Ludger: Trümmer und Aufbaujahre. Fotografie im sich teilenden Deutschland, Marburg: Jonas 1999.

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Abbildung 5.2: Fotografie von Otto Donath.

Quelle: Für Dich (1947), Nr. 18, S. 1.

dass nur acht Prozent ihrer Berliner Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer in Häusern wohnten, die unbeschadet geblieben waren. Gleichwohl muss diese Zahl kritisch betrachtet werden. Im Berliner Statistischen Jahrbuch lesen wir, dass 1946 im Vergleich zu den Daten von Beginn des Jahres 1943 39,3 Prozent an Wohnraum verloren gegangen war.14 14 | Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Groß-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1945-1947, Berlin: o. V. 1949, S. 185.

Dies war ein sehr hoher Prozentsatz, der nur mit den am stärksten zerstörten deutschen Städten vergleichbar war. Allgemeinen Schätzungen zufolge war 25 Prozent des Wohnraums im gesamten Land teilweise und 16 Prozent vollständig zerstört.15 Die übrigen Wohnungen waren zwar nutzfähig, doch wohnten in ihnen bedeutend mehr Menschen als vor dem Krieg. Viele der Ruinenfotografien wurden in der illustrierten Presse abgedruckt. Als Beispiel soll uns hier eine Fotografie von Otto Donath dienen, die auf dem Titelblatt der Wochenzeitschrift Für Dich (sowjetische Besatzungszone) erschien. Sie ist in vielerlei Hinsicht interessant: Die Aufnahme eines Hauses, dessen Seitenwand nicht mehr vorhanden ist, gewährt Einblick in den fatalen Zustand der Wohnungen; so sehen wir Zimmer, in denen weder Wände noch Möbel erhalten sind. Im Vordergrund sind Kinder zu sehen, die an diesem gefährlichen Ort spielen. Letztlich bettet die Bildunterschrift diese Szene in den für die sowjetische Besatzungszone typischen ideologischen Rahmen ein: »Mütter, eure Kinder spielen ihre heiteren Spiele vor den grauenvollen Ruinen des Hitlerkrieges. […] Eure politische Haltung allein kann uns helfen den Frieden der Welt zu erhalten.« In diesem Kontext muss man an die Bilder und Darstellungen von Victor Gollancz denken, die auch das Innenleben deutscher Häuser zeigten, nur funktionierten sie nicht in der öf15 | Vgl. G. Schulz: Wiederaufbau in Deutschland, S. 33.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

fentlichen Ikonosphäre Deutschlands. Gollancz schrieb für britische Zeitungen und den Großteil seiner Fotografien machte er ausschließlich zu Dokumentationszwecken; er publizierte sie schließlich in seinem Reportageband In Darkest Germany. Viele der von ihm besichtigten Wohnungen waren Kellerräume. Ein flüchtiger Blick auf die Bilder lässt erkennen, weshalb sie nicht im öffentlichen Raum zirkulierten: Der Anblick einer neunköpfigen Familie, die ein einziges Zimmer bewohnte, Frauen in zerstörten Küchen, Kinder unter kahlen Wänden oder die Innenansicht einer Nissenhütte konnten Vorstellungen der Deutschen von sich selbst als Opfer des Krieges verstärken. Die dramatische Wohnungslage betraf vor allem die Kinder: »Knapp 42 % der Schüler [in Bremen] hatten kein eigenes Bett zu Verfügung.«16 Ein ähnliches Bild ergibt sich auch aus Berichten anderer Zeitzeugen: »Wir lebten auf zwei Räumen und einer Küche. Da waren mein Bruder, der kam aus der Gefangenschaft zurück, meine Schwägerin, die Eltern meiner Schwägerin, das waren vier Personen und wir waren fünf. Wir lebten dann mit in diesen Räumen.«17 Gollancz richtete sein Objektiv auf die dramatischsten Ereignisse, er zeigte Nahaufnahmen baufälliger Wände, enger Holzpritschen, auf denen mehrere Menschen Platz finden mussten, oder schlichter Küchen, in denen kein Essen zu finden war. Von den Fotografien blicken einem die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Häuser entgegen, die offenbar dazu aufgefordert worden waren, sich entsprechend für das Bild aufzustellen. Aus vielen dieser Bilder spricht eine symbolische Gewalt: Es wird deutlich, dass den Bewohnern nicht einmal die Gelegenheit (oder die Zeit) gegeben wurde, um die privatesten Gegenstände zu verstecken. Einige Bilder lassen mutmaßen, dass in dem fotografierten Raum kurz zuvor eine Durchsuchung stattgefunden hatte (die Bettwäsche ist durchwühlt, die Matratzen liegen schief und die Schranktüren stehen offen). Dennoch stellen die Bilder ein interessantes visuelles Material dar, das Bereiche des Alltagslebens in den Städten der Nachkriegszeit dokumentiert; sie zeigen auch, wie realitätsfern die Wohnungsratgeber in der Presse der Jahre 1946 / 1947 waren. In diesem Zusammenhang sei eine satirische Zeichnung von Horst von Möllendorff angeführt. Es wäre keine Übertreibung zu behaupten, dass sie in vielem der Fotografie von Gollancz ähnelt: eine Einzimmerwohnung, scheinbar zufällig aufgestellte Möbel, ein Raum, der viele Funktionen bündelt: Kü16 | Niehuss, Merith: Familie, Frau und Gesellschaft. Studien zur Strukturgeschichte der Familie in Westdeutschland 1945-1960, Göttingen: V&R 2001, S. 57. Niehuss zeigt auch, dass sich die Situation langsam verbesserte. Noch Mitte der 1950er Jahre wohnten viele Menschen in den Kellern zerstörter Häuser – es sei noch hinzugefügt, dass es um Räumlichkeiten geht, die nicht als Wohnungen vorgesehen waren. Ebd., S. 59. 17 | Domansky, Elisabeth /  d e Jong, Jutta: Der lange Schatten des Krieges. Deutsche Lebens-Geschichten nach 1945, Münster: Aschendorff 2000, S. 276.

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che, Ess-, Wohn-, Schlaf- und Badezimmer, Waschraum und Kinderzimmer. Mit der Satirikern eigenen Ironie treibt von Möllendorff die Situation auf die Spitze: Das Fenster ist mit Brettern einer alten Holzkiste vernagelt, auf denen noch die Aufschrift »Vorsicht Glas« zu lesen ist, und der Mann – wie wir aus dem Dialog der beiden Frauen erfahren – schreibt ein Buch über Wohnkultur. Hauptfigur dieser Szene ist also ein Intellektueller, der ohne seine mit Büchern gefüllten Regale, einen eigenen Schreibtisch, eine Schreibmaschine usw. auskommen muss. Dies ist eine offensichtliche Spitze gegen den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen im Nachkriegsdeutschland. Diese Zeichnungen (der satirische Kommentar von Möllendorffs zur Wohnungslage war nicht der einzige, der auf den letzten Seiten der Illustrierten erschien) dienten einer Art comic relief, um den Leserinnen und Lesern die Gelegenheit zu geben, sich abzureagieren. Abbildung 5.3: Zeichnung von Horst von Möllendorff. »›Woran arbeitet dein Mann?‹ – ›Er schreibt ein Buch über Wohnkultur‹«.

Quelle: Sie (1947), Nr. 10, S. 12.

Solche Satirebilder und die zahlreichen Fotografien von Ruinen kontrastierten mit den idealisierenden Ratgebern, die häufig in denselben Zeitschriftentiteln erschienen; so war die illustrierte Presse das Medium zur Vermittlung schwärmerischer Innenraumvorstellungen. Das zu Anfang des Kapitels besprochene Beispiel stellt hier keine Ausnahme dar. Die Ratgeber knüpften an Vorstellungen bürgerlichen Wohnens an, die noch aus der Vorkriegszeit bekannt waren, und entwarfen gleichzeitig bestimmte Zukunftsvisionen. Indem sie eine Funktionswohnung für die Familie präsentierten, verstärkten sie die Aufteilung in

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private und öffentliche Lebensbereiche, in das Intim- und das Berufsleben. Im Lichte der hier angeführten Abbildungen darf nicht verwundern, dass ein »eignes Heim, die Wertschätzung des ›Propre von Wohnung, Haus und Garten‹«18, bereits zu Beginn der 1950er Jahre zu den wichtigsten Bedürfnissen der Deutschen avancierten – insbesondere in der Bundesrepublik. Die Mehrzahl der hier analysierten Ratgeber konzentrierte sich darauf, eine Wohnung so einzurichten, dass in ihr so viele Personen wie möglich Platz fanden. Die Aufteilung in der oben besprochenen Abbildung, in der im größten Zimmer ein Tisch steht, es aber keinen Platz zum Schlafen gibt, ist eher untypisch. In den meisten Ratgeberrubriken der damaligen deutschen Presse wird hingegen suggeriert, auch im Esszimmer ein Bett unterzubringen (auf welchem man sowohl sitzen als auch schlafen kann), da so noch Platz für eine weitere Person im Haushalt geschaffen wird. Auch Entwürfe echter Zweiraumwohnungen (Wohnküche plus Zimmer), die nach dem Krieg mit dem Gedanken an vierköpfige Familien gebaut wurden, sahen vor, dass ein Kind bei den Eltern im Zimmer, das andere in der Küche schlafen würde.19 Die Notwendigkeit einer möglichst effektiven Raumnutzung führte dazu, dass aus den deutschen Wohnungen Wohn- und Esszimmer verschwanden. In Innenraumratgebern war häufig die Rede von einem sogenannten Wohn-Essraum, der gleichzeitig als Schlafzimmer fungierte (kaum denkbar in bürgerlichen Wohnungen der Vorkriegszeit). In einer der frühen Ausgaben des Regenbogen wurden sogar Anleitungen zur eigenen Möbelanfertigung gedruckt. Im Gegenteil zu den Kochrezepten oder Nähanleitungen, die sich unmittelbar an die weibliche Leserschaft der Zeitschrift richteten, war die Beschreibung von Tischlerarbeiten in unpersönlicher Form gehalten – es ging daraus nicht hervor, ob diese Arbeiten von Frauen oder Männern ausgeführt werden sollten: Der Wunsch, eigene Möbel zu besitzen, ist derzeit für viele von uns unerfüllbar. Es sei daher im folgenden gezeigt, wie man sich selbst auf eine einfache Weise mit Hammer, einer Hand voll Nägel und einer Säge etwas zusammenbauen kann, was uns fürs erste helfen kann. 20

Neben der Anleitung und entsprechenden technischen Zeichnungen zu den einzelnen Schritten stellte die dazugehörige Abbildung das Endergebnis der ei18 | Vgl. Holtmann, Everhard: Neues Heim in neuer Heimat. Flüchtlingswohnungsbau und westdeutsche Aufbaukultur der beginnenden fünfziger Jahre, in: Axel Schildt / A rnold Sywottek (Hg.), Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. / N ew York: Campus 1988, S. 360381, hier S. 361. 19 | M. Niehuss: Familie, Frau und Gesellschaft, S. 146 f. 20 | N. N. : Behelfsmöbel selbstgemacht!, in: Der Regenbogen (1946), Nr. 4, S. 18.

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genen Handarbeit dar: ein gemütliches und reinliches Zimmer mit einem Bett (gleichzeitig auch Sofa), einem Tisch, drei Stühlen und Regalen. Ohne Zweifel hatte die effektive Raumnutzung und die Kombination unterschiedlicher Funktionen in einem Raum ihre Ursache im Wohnungsmangel, der wiederum auf die Zerstörungen in den Städten und den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen zurückging. Das war allerdings kein völlig neuer Trend im deutschen Bauwesen. Adelheid von Saldern konstatiert: Im Zuge aufkommender Rationalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche, vor allem in den 1920er Jahren, verschärfte sich das Verdikt gegen die »gute Stube«. Die kleinen Wohnungen sollten funktional sein, der Raum bis zum letzten nach wohldurchdachten Plänen genutzt werden. Der soziale Wohnungsbau, der schon in den 1920er Jahren zum Durchbruch kam, ließ jeglichen nicht voll ausgenutzten Raum überdies als unverantwortliche Ressourcenverschwendung erscheinen. 21

An die Tradition des Bauwesens der Zwischenkriegszeit knüpften die hier besprochenen Innenraumratgeber nur selten direkt an. Vielmehr wurde die Singularität des historischen Moments unterstrichen, wobei die Realien nur zum Teil eine Rolle spielten. Sporadisch bemerkten die Verfasserinnen und Verfasser dieser Innenraumratgeber, dass es notwendig sei, die Wohnung mit fremden Menschen zu teilen (was in Wirklichkeit sehr häufig der Fall war). In der Regel wurden Entwürfe für Einfamilienwohnungen – für zwei Eltern und Kinder – dargestellt, die allerdings den Gegebenheiten der Zeit angepasst waren. Edmund Meier-Oberist schrieb: Die Familien finden hier keinen ausreichenden Platz. Die Kinder streben allzu oft aus dem Kreis der Familie fort, anstatt sich zu ihr hingezogen zu fühlen. Der Vater hat keinen Raum mehr für seine Liebhabereien, für seine Werkbank, seine Bücher. Die Mutter muß ihre Hausschneidereien mit Freundinnen aufgeben, kann ihrer Gymnastik nicht mehr ungestört nachgehen, weil die Wohnung dergleichen einfach unmöglich macht. Die winzige Küche beengt Hausfrauen und läßt nicht einmal die Einrichtung eines täglichen Eßplatzes für die ganze Familie zu. 22

21 | Saldern, Adelheid von: Von der »guten Stube« zur »guten Wohnung«. Zur Geschichte des Wohnens in der Bundesrepublik Deutschland, in: Archiv für Sozialgeschichte (1995), Nr. 35, S. 227-254, hier S. 227. Mehr dazu in: Zinn, Hermann: Entstehung und Wandel bürgerlicher Wohngewohnheiten und Wohnstrukturen, in: Lutz Niethammer (Hg.), Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal: Hammer 1979, S. 13-27. 22 | Meier-Oberist, Edmund: Kulturgeschichte des Wohnens im abendländischen Raum, Hamburg: Ferdinand Holzmann 1956, S. 323.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Obgleich der Autor ein Kenner der Wohngeschichte und zugleich Zeitzeuge der neuesten Geschichte war, stellte er das Muster nicht in Frage, demzufolge eine Nachkriegswohnung (selbst wenn sie wirklich viel zu klein war) für eine komplette Zwei-Generationen-Familie gedacht war. Diese Ordnungsmäßigkeit lässt sich in Entwürfen aus unterschiedlichen Illustrierten aller Besatzungszonen nachvollziehen. Bereits die erste Ausgabe der Frau von heute (sowjetische Besatzungszone) brachte einen Beitrag zu Nutzungsmöglichkeiten einer Einzimmerwohnung für eine Familie mit Kind. Dieses Beispiel ist von besonderem Interesse, da es nicht nur ein Wohnungsschema zeigt, sondern auch zwei unterschiedliche Einrichtungsvorschläge – eine empfohlene und eine eher ungünstige (vgl. Abb. 5.5). Abbildung 5.4: Vier Wohnungsbeispiele.

Quelle: Heute (1947), Nr. 32, S. 18 f.

Die Zeitschriften der amerikanischen Besatzungszone wie die Heute oder Der Regenbogen präsentierten wiederum oft Einrichtungsmöglichkeiten für Familien, die sich aus einem Elternpaar und einer unterschiedlichen Anzahl von Kindern zusammensetzten. Bedeutend umfangreicher als die sonst kurzen Bildunterschriften und Erläuterungen in der Heute wurden die Abbildungen im Artikel »Praktisch denken, besser wohnen« aus der Frau von heute beschrieben. Die Verwandlung der Wohnung wird nach dem Vorher-Nachher-Schema beschrieben; es ist zu lesen, wie die dreiköpfige Familie dieses Zimmer einzurichten habe. Unerwähnt bleibt allerdings, dass dies den Erwerb neuer Möbel bedeutete, was im Januar 1946 an Unmöglichkeit grenzte. Nichtsdestoweniger propagiert der Beitrag auf interessante Weise »praktisches Denken« und einen simplen und funktionalen Stil. Den ideologischen Zusammenhang dieser Art von Botschaft bestärkt der erste Satz in der Beschreibung: »Wir müssen zusammenrücken. Der von Hitler begonnene Bombenkrieg gegen offene Städte hat uns arm gemacht an Wohnraum.« Den Leserinnen wird suggeriert, wem sie ihre Lage zu verdan-

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ken haben, obgleich die meisten von ihnen mit Sicherheit wussten, dass nicht Hitler deutsche Städte bombardieren ließ. Doch nicht nur der Wohnungsmangel wird hier ideologisiert: »Da wir Strom sparen wollen, entfernen wir den ›feudalen‹ Kronleuchter und basteln aus einem Reifen, einem Bogen Ölpapier eine geschmackvolle, moderne Deckenbeleuchtung.« Dieses Zitat veranschaulicht, inwiefern die Wohnungseinrichtung zum Politikum werden kann. Der schmuckvolle Lampenschirm der Zwischenkriegszeit wird nicht als »hässlich« oder »schwer« beschrieben, sondern als »feudal«, da er den Stil des wohlhabenden Bürgertums repräsentiert – der im Sozialismus abgelehnten Gesellschaftsklasse. Indem den Deutschen suggeriert wurde, wie sie zu wohnen haben, schoben die Redaktionen der von den Besatzungsmächten kontrollierten bzw. lizenzierten Zeitschriften ihnen bestimmte ideologische Modelle unter. Abbildung 5.5: Ratgeber zur Einrichtung einer Einzimmerwohnung für eine dreiköpfige Familie.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 1, S. 29.

Die Raumnutzung in der Beispielwohnung in der Frau von heute sagt auch viel über das präferierte Familienmodell aus. Das Ehebett ist in zwei Betten geteilt, und das Kinderbett wurde in ein Sofa umgewandelt, auf dem nachts der Spross der Familie schlafen konnte. Es scheint, als sei die effektive Nutzung des kleinen Raumes wichtiger als die zwischenmenschlichen Bedürfnisse in der Ehe:

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Die Privatsphäre der einzelnen Familienmitglieder wird zugunsten einer möglichst platzsparenden Einrichtung des Zimmers aufgegeben. Einige Autorinnen und Autoren suggerieren, dass der Fokus auf den Funktionalismus und eine maximale Raumnutzung in den ostdeutschen Entwürfen ein Ergebnis des Antiamerikanismus sei und eine Form von Kritik am kapitalistischen Lebensstil darstelle.23 In Bezug auf das Design und die Architektur in der DDR ist diese Bemerkung sicherlich eine Überlegung wert, doch lassen sich in den ersten Jahren nach dem Krieg ebenso spartanische und zugleich funktionale Entwürfe auch in der Presse der westlichen Besatzungszonen finden. Ein wesentlicher Unterschied ist hingegen in den suggerierten Modellen des Familienlebens zu sehen. Die Einrichtungsvorschläge für traditionelle Zwei-Generationen-Familien, aus denen weitere Verwandte ausgeschlossen waren (Großeltern, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins usw.), prägten auch die Vorstellungen von der idealen Nachkriegsfamilie. Ratschläge zur Gestaltung privater Räume geben – gewissermaßen nebenbei – Hinweise auf die Privatsphäre. Aus dem Wohnungsplan lässt sich mehr herauslesen, als wer (mit wem) in welchem Zimmer zu schlafen habe. Die Entwürfe in der Heute und im Regenbogen lassen auch sichtbar werden, dass die Bewohner ihre Mahlzeiten gemeinsam an dem mittig platzierten Tisch zu verzehren sowie ihre Freizeit gemeinsam im Wohnzimmer zu verbringen haben. Die Anweisung, im Rahmen der Möglichkeiten ein separates Schlafzimmer für die Eltern und einen Platz für einen großen Tisch einzurichten, ist ein deutliches Signal, für welche Familien die gegebene Wohnung entworfen wurde. Die Darstellung funktionaler Wohnungen für Ehepaare mit Kindern in der Presse konnte den Eindruck erwecken, dass es für solche Familien leichter sein würde, eine eigene Wohnung zugeteilt zu bekommen. Die erwähnten Ratgeber suggerierten einen Kausalzusammenhang zwischen Familienglück und einem freundlichen Raum zum Leben. Unerwähnt ließen sie hingegen, ob eine funktional entworfene Wohnung gelungene Familienverhältnisse begünstigte, oder ob ein Leben im Rahmen einer traditionellen Familie die Chancen für die Zuteilung einer entsprechenden Wohnung erhöhen würden. Aus dieser Perspektive betrachtet, stellten Ratgeber zur Einrichtung privater Räumlichkeiten einen wichtigen Teil des Normalisierungsdiskurses dar: Sie schufen eine Vorstellung von idealen Familien in funktionalen und für sie bestimmten Häusern, sie erweckten den Eindruck einer heilen Welt, in der materielle und gesellschaftliche Fragen keine Probleme bereiteten – es gibt keine zerstörten Wände mehr, keine zerschlagenen Fenster, keine verwaisten Kinder, keine verwitweten Frauen. In den Ratgebern westlicher Zeitschriften ist  – neben einer effektiven Raumnutzung – die Gemütlichkeit ebenso wesentlich. Ein Beispiel hierfür ist 23 | Vgl. G. Castillo: The American »Fat Kitchen« in Europe, S. 36 f.

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Bilder der Normalisierung

eine Anweisung im Regenbogen für die Einrichtung einer Sitzecke im Dachgeschoss: Sehen Sie, hier in diese gebrochene Ecke Ihres Gemachs werden wir die Sitzecke bauen. Das Bett mit seinem häßlichen großen Holzgestell ist nur ein kalter weißer Fleck und ein durchaus überflüssiges Möbel. Nehmen Sie die Matratze heraus, lassen Sie vier kurze Beine darunter befestigen und fertig ist die Couch. Mit einer hübschen Decke belegt wird sie den Mittelpunkt Ihrer Sitzecke bilden. 24

Abbildung 5.6: Bebilderung eines Artikels zur Gestaltung einer gemütlichen Sitzecke.

Quelle: Der Regenbogen (1946), Nr. 11, S. 17.

Hierin drückt sich nicht nur funktionales Denken aus, sondern auch der Versuch, internationale Trends im Design der frühen Nachkriegszeit nachzuahmen. Im Folgenden allerdings rät die Verfasserin oder der Verfasser, die Kommode »im volkstümlich-bäuerlichen Stil« zu bemalen, was einen gewissen Kontrapunkt zur Beschreibung der Sitzecke darstellt. Den gesamten Text zeichnen Begriffe wie »Harmonie«, »Atmosphäre« und »Einheit« aus. In der linken oberen Ecke ist eine Abbildung abgedruckt, auf der das Endergebnis zu sehen ist. In anderen Ausgaben des Regenbogen finden wir wiederum Anleitungen zum Häkeln, mit deren Hilfe man (frau) selbst Tischdeckchen oder Wandteppiche herstellen konnte. Ähnliche Anleitungen waren auch in der alle zwei Wochen erscheinenden Nürnberger Zeitschrift Frauenwelt zu finden. 24 | M. Eisner: Gemütlichkeit mit wenig Mitteln, in: Der Regenbogen (1947), Nr. 11, S. 17.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Die idealisierten Innenräume aus den Wohnungsratgebern bedienten sich Zeichnungen und technischer Skizzen. Anders als in den folgenden Jahren, als die Zeitschriften Fotografien eleganter Innenräume zeigten (was bis heute so geblieben ist), suggerierten die Bilder in den Zeitschriften der unmittelbaren Nachkriegszeit keine Authentizität (dabei konnten Fotografien dies bewerkstelligen), sondern sie legten bestimmte Ideen nahe, die ohnehin schwer umzusetzen waren. Reale Wohnungen wurden – um es nochmals zu sagen – viel seltener visualisiert. Die damalige lokale Lage kennen wir vor allem aus schriftlichen Quellen: aus Archivdokumenten, Pressenotizen, Erinnerungen und Tagebüchern sowie aus der zeitgenössischen Fachliteratur. Neben diesen Daten gibt es verhältnismäßig wenig Fotografien oder Skizzen, die die Wohnungslage in der Nachkriegszeit illustrieren; von diesen fand nur eine verschwindend geringe Anzahl ihren Weg in die Medien. Stattdessen wiesen Frauenzeitschriften ihre Leserinnen in unterschiedlichsten Zeichnungen an, wie eine enge Wohnung einzurichten sei und welche Lösungen in der Zukunft zu erwarten seien.

K ochen Die Küche ist ein besonderer Ort: Überwiegend ist sie der (im symbolischen Sinne) zentrale und (im wortwörtlichen Sinne) wärmste Raum des Hauses.25 In der Küche werden die gemeinsamen Mahlzeiten zubereitet, dort läuft auch ein beträchtlicher Teil des Familienlebens ab. Mögen Bilder der Küche zwar viele Analogien zu Bildern von Lebensmitteln aufweisen, haben wir uns doch entschieden, sie in der Analyse zu trennen: Während wir über Nahrungsmittel aus der Sicht der Essenden schreiben, möchten wir nun die Perspektive derjenigen einnehmen, die die Mahlzeiten zubereiten (im untersuchten Zeitraum waren dies ausnahmslos Frauen26); oder um es mit einer lapidaren Bemerkung nach B. W. Higman zusammenzufassen: »Während alle aßen, kochten nicht alle.«27 25 | Eine kurze Übersicht dieser Problematik in historischem Kontext findet sich u. a. in: Hanisch, Ruth / W idrich, Mechtild: Architektur der Küche. Zur Umwertung eines Wirtschafstraums in der Europäischen Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Reinhard Eisendle /  H erbert Lachmeyer /  E lfie Miklautz (Hg.), Die Küche. Zur Geschichte eines architektonischen, sozialen und imaginativen Raums, Köln / Weimar / W ien: Böhlau 1999, S. 17-47; Silberman, Alfons: Die Küche im Wohnerlebnis der Deutschen. Eine soziologische Studie, Opladen: Leske+Budrich 1995, S. 11-28. 26 | In dieser Hinsicht ist es lohnenswert, eine Abbildung von Männern, die im Haushalt helfen, genauer in den Blick zu nehmen (Abb. 5.15) – sie tragen Heizholz, räumen auf und spülen das Geschirr, nur kochen sie nicht. 27 | Higman, B. W.: How Food Made History, Oxford: Wiley and Blackwell 2012, S. 143. (Übers. d. Verf.)

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Bilder der Normalisierung

Im Nachkriegsmodell der Hausfrau meint Greg Castillo eine neue Qualität auszumachen und betont, dass diese Figur als ebenso wichtig für die Vorstellungen von der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu erachten sei wie die Trümmerfrau oder das Ami-Liebchen: »Jede Beschreibung der Nachkriegshäuslichkeit in der deutschen Desasterzone müsste vollkommen neuen Grundannahmen folgen – einer weiblichen Subjektivität, die arm, mobil und unendlich anpassungsfähig war.«28 Es handelt sich also um eine dauerhafte, aber in einem neuen Zusammenhang und vor neuen Herausforderungen stehende Figur. Viele Historiker betonen, dass der Erhalt und der Wiederauf bau der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung von den Hausfrauen geschultert wurde. Laut Merith Niehuss war »die Leistung der Hausfrauen […] allzu oft wichtiger für das Auskommen ihrer Familien als die der geldverdienenden Männer.«29 In Familien, wo die Männer nicht arbeiteten oder es sie einfach nicht gab, war die existenzielle Rolle der Frauen, die Haus- mit Erwerbsarbeit verbanden, noch größer. Dennoch ist die Hausfrau im Gegensatz zur Trümmerfrau oder dem Ami-Liebchen nicht zur Ikone der frühen Nachkriegszeit geworden. Im gesellschaftlichen Bewusstsein ist diese Figur viel stärker mit den 1950er Jahren konnotiert, da die Möglichkeit, sich auf Hausarbeit zu beschränken, als Privileg galt (zumal die Männer angeblich für die ganze Familie arbeiten gingen).30 Diese Betrachtungsweise stammte wiederum aus den 1940er Jahren, als es absolut notwendig war, dass Frauen zwei Verpflichtung nachkamen – als Arbeiterin und als Hausfrau. Nicht weniger als das Essen selbst bzw. sein Mangel ist die Küche Teil des politischen Diskurses. Ruth Oldenziel und Karin Zachmann erinnern an das Gespräch zwischen Nikita Chruschtschow und Richard Nixon während der American National Exhibition in Moskau im Juli 1959 u. a. vor einer Einbauküche der Firma General Electric und belegen, dass dies ein hervorragend inszenierter PR-Coup war: »Andere Staatsmänner des Kalten Krieges wie Winston Churchill (Großbritannien), Ludwig Erhard (Bundesrepublik Deutschland) und

28 | G. Castillo: The American »Fat Kitchen«, S. 36. (Übers. d. Verf.) 29 | Niehuss, Merith: Die Hausfrau, in: Ute Frevert / H einz-Gerhard Haupt (Hg.), Der Mensch des 20. Jahrhunderts, Essen: Magnus 1999, S. 45-65, hier S. 53. 30 | Über die tatsächliche Situation vieler Hausfrauen in den 1950er Jahren schreibt Michael Wildt und belegt, dass viele von ihnen in Wirklichkeit mit doppelten Verpflichtungen belastet waren und ihre Arbeitszeit mit Haus- und Berufsarbeit insgesamt häufig über 16 Stunden am Tag betrug. Vgl. Wildt, Michael: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren (= Forum Zeitgeschichte, Band 3), Hamburg: Ergebnisse 1994, S. 126-131.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Walter Ulbricht (DDR) hielten Küchengeräte ebenfalls für die Bauteile des Gesellschaftsvertrags zwischen Bürgern und Staat.«31 Die Politisierung wird zunächst in der sowjetischen Besatzungszone sichtbar. Erinnern wir uns an die Werbeanzeige der Firma Deubel von 1946 aus dem vorherigen Kapitel (Abb. 4.1) – sie stellt eine Frau in weißer Schürze vor einem mit Lebensmitteln bedeckten Tisch dar. Hinter ihrem Rücken sehen wir eine elegante Küchenanrichte und eine getäfelte Wand. Mag es sich um eine ikonografische, in der Geschichte der deutschen Werbung gefestigte Konvention handeln (dies sei an dieser Stelle hervorgehoben), so finden wir in anderen, nichtkommerziellen Illustrationen ähnliche Motive. Abbildung 5.7: Ratgeber für Hausfrauen.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1945), Nr. 2, S. 13.

In einer der ersten Ausgaben der Neuen Berliner Illustrierten, die gegen Ende des Jahres 1945 erschien, lesen wir einen Ratgeber für Hausfrauen: wie Pfannkuchen mit möglichst wenig Fett braten; wie Marmelade einkochen, wenn nur 31 | Oldenziel, Ruth /  Z achmann, Karin: Kitchens as Technology and Politics. An Introduction, in: dies., Cold War Kitchen (2009), S. 1-30, hier S. 3. (Übers. d. Verf.)

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wenig Zucker zur Verfügung steht; wie Mahlzeiten aufwärmen, ohne Heizmittel zu verbrauchen. Den meisten Raum nahmen hier Fotografien von zwei Frauen bei der Zubereitung von Mahlzeiten oder beim Einkochen ein. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Fotografien inszeniert sind: In der Küche herrscht Ordnung, es sind lediglich solche Produkte zu sehen, die für die Zubereitung der genannten Gerichte vorgesehen sind. Beide Frauen verfügen über eine gut ausgestattete Küche: auf der unteren Fotografie etwa über einen Fleischwolf und eine Waage, auf der oberen über einen Gasherd. Die Botschaft aus diesen Bildern lautet, dass die deutschen Frauen gut mit der Lebensmittelknappheit zurechtkamen – sie sind nicht nur tüchtig, sondern haben auch entsprechende Geräte zur Hand. Der provisorische Heizofen in der rechten unteren Ecke des Bildes – aus einer mit alten Zeitungen ausgelegten Holzkiste gefertigt – erklärt sich nicht über den Mangel einer Herdplatte oder eines Ofens, sondern über die Notwendigkeit, Kohle zu sparen. Die Fotografien lassen sich auch als Ausdruck einer gewissen Kontinuität lesen – ohne die Bildunterschriften, in denen der Mangel bestimmter Zutaten kommentiert wird, ließe sich nicht sagen, dass sie 1945 gemacht worden sind (es wäre auch möglich, dass sie schon früher entstanden waren, aber erst zu dem gegebenen Zeitpunkt gedruckt wurden). In ihren Küchen haben die Frauen Gerätschaften zur Verfügung, die ebenso gut in Wohnungen früherer wie auch späterer Jahrzehnte passen würden. In diesem Sinne signalisieren die Herausgeberinnen und Herausgeber der Zeitschriften ihren Leserinnen, dass sich die Lage trotz des allgemeinen Zusammenbruchs unter Kontrolle befindet. Eine ähnliche Botschaft geht aus einer Reportage über zeitgenössische Familien in der Frau von heute (1947, Nr. 4) hervor. Daneben prangt das Bild einer Hausfrau, die »mit Stolz in der freundlichen Küche ihren durch die Hilfe vieler Leute gefüllten Geschirrschrank«32 zeigt. Tüchtigkeit und gegenseitige Unterstützung gehörten zu den wichtigsten Tugenden der Frauen in dieser Zeit. In den westdeutschen Medien hingegen schöpfte das Modell der Hausfrau in größerem Maße aus amerikanischen Vorbildern.33 Lob für die hohe Qualität des alltäglichen Lebens hinter dem Atlantik begegneten die Leserinnen der Presse in den westdeutschen Besatzungszonen lange bevor vergleichbare Produkte auf dem deutschen Markt erhältlich waren. Hinsichtlich der Gestaltung von Modellen für die Zukunft sind die Illustrationen zum Text Die Küche von morgen aus der Heute vom Juli 1947 eine nähere Betrachtung wert. Sie führten 32 | H.: Familie Moratz – die neuen Alt-Berliner. Die vor einem Jahr – und heute, in: Die Frau von heute (1947), Nr. 4, S. 17. 33 | Vgl. Wildt, Michael: Technik, Kompetenz, Modernität. Amerika als zwiespältiges Vorbild für die Arbeit in der Küche 1920-1960, in: Alf Lüdtke /  I nge Marßollek / A delheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20.  Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner 1996, S. 78-95.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Abbildung 5.8: Entwurf der Küche der Zukunft.

Quelle: Heute (1947), Nr. 39, S. 20.

die Entwicklungen des US-amerikanischen Design und der Innenarchitektur vor Augen – und waren gleichsam Teil der wichtigsten Selbstinszenierungsmechanismen Amerikas. Erstens stellen sie die »Wohnung als Ort der Konstituierung der bürgerlichen Kleinfamilie« dar (das Gleiche lässt sich auch von dem zu Beginn dieses Kapitels besprochenen Wohnungsentwurf sagen), zweitens werden die Vereinigten Staaten »als pluralistische Gesellschaft konstruiert, deren Klassenhierarchien als durchlässig erscheinen«, und drittens stellt die Küche der Zukunft eine Art »Technikutopie« dar, die die Übermacht der Vereinigten Staaten untermauert.34 Diese Bedeutungsmöglichkeiten gehen aus dem Spannungsverhältnis zwischen Text und Bildern hervor. In der Bildunterschrift ist zudem zu lesen: Die überwältigende Mehrzahl auch der gutgestellten amerikanischen Hausfrauen kennt seit jeher weder ein Hausmädchen noch eine Köchin, sondern besorgt den ganzen Haushalt allein – allenfalls mit Hilfe der Kinder oder des Mannes. Der brave Ehemann beim 34 | Vgl. Betscher, Silke: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle KalteKriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten, Essen: Klartext 2013, S. 77-80.

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Bilder der Normalisierung Geschirrabtrocknen ist eine klassische Figur unzähliger Witze. Die amerikanische Technik hat sich daher immer bemüht, der Frau die Arbeit im Haushalt zu erleichtern; und sie geht jetzt daran, auch die Küche – die in den meisten Wohnungen zugleich der Eßraum ist – so rationell wie möglich zu gestalten.

Den egalitären Charakter der US-amerikanischen Gesellschaft betont überdies die Erwähnung, dass die amerikanischen Frauen selbst mit der Hausarbeit zurechtkamen – zur Hilfe war ihnen die »amerikanische Technik«. Gewissermaßen am Rande wird eine Information zu Kindern und Ehemann eingeflochten – den konstitutiven Elementen einer »bürgerlichen Kleinfamilie«. Die detaillierte Aufzählung der Zubereitungsschritte einer Mahlzeit in verschiedenen Küchentypen (untere Zeichnungen) zeugt von der damaligen wissenschaftlichen Herangehensweise an alltägliche Tätigkeiten. Die Küche der Zukunft, die nicht nur herausragend entworfen, sondern auch mit modernen Gerätschaften wie Elektroherd, Ofen mit Glasscheibe, Kühlschrank und Gefriertruhe ausgestattet ist, sei aber selbst noch nicht in den Vereinigten Staaten erhältlich. Die Notwendigkeit, warten und sich mit Ankündigungen begnügen zu müssen, verbindet die Erfahrung der Amerikanerinnen und der Deutschen – mit dem Unterschied, dass letztere mit einer Unzugänglichkeit viel grundlegenderer Produkte zurechtkommen mussten. Material zur Küche der Zukunft wurde auch in Medien der britischen Besatzungszone gedruckt – in der April-Ausgabe der Constanze (1948, Nr. 2) etwa kündete ein Beitrag die Neuigkeiten der Haushaltsmesse in London an. Es ist das Bild einer Frau in einer Küche zu sehen, in der weiße Möbel und moderne Geräte stehen, und die Bildunterschrift lautet: »Eine Filmkulisse? Nein, sondern das Modell einer Küche im Atomzeitalter. Es war kürzlich auf einer Londoner Ausstellung zu sehen, die an praktischen Beispielen darstellte, wie die Atomenergie für friedliche Zwecke zu verwerten ist.«35 Auf diese Weise wurden Angelegenheiten des Haushaltslebens in den Diskurs der globalen Politik eingeflochten. In den kommenden Monaten nahm die Strategie, Gegenstände des täglichen Gebrauchs in den ideologischen Disputen des Kalten Krieges auszunutzen, sogar noch zu: In seinem Kampf, europäisches Konsumentenverhalten zu entfesseln, etablierte das ERP [European Recovery Program, der sogenannte Marshall-Plan] eine neue »Heimatfront« in der Schlacht um die europäischen Herzen und Gemüter, indem es die amerikanische »fat kitchen« als Propagandaressource für die Fantasie von Gemütlichkeit mobilisierte. 36

35 | Helgrö. [Abk.]: Märchenhaushalt 1948, in: Constanze (1948), Nr. 2, S. 7. 36 | G. Castillo: The American »Fat Kitchen«, S. 38. (Übers. d. Verf.)

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

Abbildung 5.9: Fotografie einer amerikanischen Küche.

Quelle: Der Regenbogen (1948), Nr. 11, S. 24.

Dieses Konzept brachte auch die Ausstellung »So wohnt America« hervor, 1949 in Frankfurt am Main präsen-

tiert  – allerdings vor einem verhältnismäßig zahlenschwachen Publikum.37 Im November 1948 lobte die Redaktion des Regenbogen amerikanische Küchen. Ähnlich wie in der Constanze nutzten die Autoren des Beitrags Fotografien anstelle von Zeichnungen, was vermutlich beweisen sollte, dass es solche Räumlichkeiten tatsächlich gab. Ein Blick auf diese Fotografien mit den Augen einer deutschen Leserin aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre lässt auf zwei Aspekte aufmerksam werden. Zum einen handelt es sich um eine Einbauküche, damals ein Synonym für Luxus und Modernität. Noch 1951 erklärten nur 1,9 Prozent der Frauen in der Bundesrepublik, dass sie eine Einbauküche hatten.38 1948 hingegen hatten viele Wohnungen keine eigenen Küchen, und die Bewohnerinnen und Bewohner zahlreicher Mietshäuser mussten die Küche miteinander teilen  – einen satirischen Kommentar dieses Zustandes sehen wir auf einer Zeichnung der ostdeutschen Frau von heute (vgl. Abb.  5.10). Eine Vision von maßgefertigten, den Bedürfnissen der Hausfrau angepassten Möbeln musste daher mit außergewöhnlichem Wohlstand in Verbindung gebracht werden. Dieser Eindruck rührte aus der Tatsache her, dass in dieser typischen Arbeitsküche (im Gegensatz zur Wohn- oder Esskü37 | Ebd., S. 39. 38 | M. Wildt: Technik, Kompetenz, Modernität, S. 85; ders.: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«, S. 139.

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che) Mahlzeiten nur zubereitet, nicht aber gegessen werden konnten – es ist in ihr kein Platz für einen Tisch, an dem die ganze Familie Platz fand, vom Bett und anderen Möbeln ganz zu schweigen. Diese Küche ist also das »Königreich der Frau«, von dem die übrigen Familienmitglieder ausgeschlossen sind. Die Fotografie einer über eine Schublade gebeugten Hausfrau scheint diese Annahme zu bestätigen. Abbildung 5.10: Humorvoller Ratgeber zur gemeinsamen Nutzung einer Küche.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 9, S. 4.

Eine große Erleichterung war der – in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre ebenfalls selten anzutreffende – Elektroherd39, der die Frauen vom Kohleschleppen befreite. Aus der Perspektive einer deutschen Leserin, insbesondere in WestBerlin, das im November 1948 immer noch über die Luftbrücke versorgt wurde und von dauerhaften Stromsperren geplagt war, muss der Anblick von Elektroherden wohl eine bessere Zukunft versprochen haben. Obwohl es bereits in den 1930er Jahren Werbekampagnen für Elektroherde gab (eingeführt etwa von der Firma Siemens40), wurden sie erst in den 1950er Jahren zu einem Massen39 | 1950 besaßen in der Bundesrepublik nur sieben Prozent alle Haushalte eine Elektroküche. M. Wildt: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«, S. 144. 40 | Mehr dazu in: Heßler, Martina: »Mrs. Modern Woman«. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung, Frankfurt a. M. / N ew York: Campus 2001, S. 171-194.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

phänomen in der Bundesrepublik – die Werbung lobte den Komfort dieser Gerätschaften und erklärte sie zur Grundlage »des modernen Lebens«.41 Es fällt hingegen schwer, aus den hier angefügten Illustrationen Emanzipationsdiskurse herauszulesen, wie sie anderen Erfindungen anhafteten, etwa der Näh- oder der Waschmaschine.42 Die hier präsentierten Frauen machen vielmehr den Eindruck, als seien sie in ihren Küchen eingesperrt, was ebenfalls Teil bestehender Diskurse war: »Daß die Werbung für elektrische Haushaltsgeräte Frauen abbildete, die nicht erwerbstätig, sondern allein und unbezahlt für den Haushalt zuständig waren, war lange Zeit selbstverständlich und blieb bis in die 70er hinein unkommentiert«.43 Um auf die Auffälligkeiten der amerikanischen Küche aus dem Regenbogen zurückzukommen, so scheint sie auch an der sogenannten Frankfurter Küche, in der sich der Funktionalismus in der Architektur der 1920er Jahre spiegelte, angelehnt zu sein.44 In der Abbildung ist in die kürzere Wand gegenüber der Tür ein Fenster eingesetzt; links und rechts stehen geschlossene Küchenschränke mit vielen Schubladen und einer großen Arbeitsplatte. Die Vorstellung, in einem solchen Raum zu kochen, stellte einerseits den Wunsch nach einer besseren, pro-amerikanischen Welt dar, andererseits war sie Teil bereits bestehender Traditionen. Selbst wenn die entschiedene Mehrheit der Frauen in der Zwischenkriegszeit keine Frankfurter Küche zur Verfügung gehabt hatte, ist doch sehr wahrscheinlich, dass sie Beschreibungen oder Bilder von ihr kannten. Ein weiteres Mal zeigt sich hier, dass die Spezifik des visuellen Normalisierungsdiskurses auf einer kompetenten Verflechtung idealisierter Imaginationen eines zukünftigen Lebens mit bestehenden Traditionen und Erfahrungen der deutschen Gesellschaft beruhte. Die Bilder westlicher Küchen in der westdeutschen Presse lassen sich als Bestandteil einer Politik verstehen, die die Demokratie mithilfe einer liberalen Wirtschaft und Wohlstandsversprechungen einzuführen beabsichtigte. Erica Carter argumentiert, dass diese Strategie vor allem darauf abzielte, den Konsum der Frauen anzuregen. So gesehen stellten die Hausarbeit und die damit verbundenen wirtschaftlichen Entscheidungen (wie die Einrichtung der Kü41 | Doosry, Yasmin: Das bisschen Haushalt. Die Technisierung des weiblichen Haushalts, in: G. Ulrich Großmann (Hg.), Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885-1965, Ostfildern: Hatje Cantz 2009, S. 190-226, hier S. 203. 42 | Hausen, Karin: Große Wäsche, in: Geschichte und Gesellschaft 13 (1987), S. 273303, hier S. 275. 43 | M. Heßler: »Mrs. Modern Woman«, S. 179. 44 | Vgl. ebd., S. 263-307; Heßler, Martina: The Frankfurt Kitchen. The Model of Modernity and the »Madness« of Traditional Users 1926 to 1933, in: Oldenziel / Z achmann, Cold War Kitchen (2009), S. 163-194; M. Wildt: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«, S. 132-137.

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che, der Kauf von Küchengeräten, Lebensmitteln usw.) einen Beitrag zum Wiederauf bau der Nation dar.45 Illustrationen moderner Küchen suggerierten den Leserinnen die Richtung, in welche sich die westdeutsche Gesellschaft entwickeln sollte. Die selbstständige, tüchtige und zugleich wohlhabende Amerikanerin (seltener die Britin) wurde zum Vorbild für die deutschen Frauen stilisiert. Es lohnt sich zu fragen, (in)wie(fern) die ideologisierten Vorschläge für ein ideales Heim von den Leserinnen der Heute, des Regenbogen oder der Constanze rezipiert wurden. Eine mögliche Lesart schlägt Michael Wildt vor: Auf den ersten Blick wird die Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit durch die materiellen Verhältnisse bestimmt, durch den schmalen Geldbeutel, der die Anschaffung einer neuen »amerikanischen« Küche (noch) nicht erlaubte. Aber mir scheint sich darin der Abstand zum Ideal nicht allein zu erschöpfen. Die Wünsche der »einfachen Leute« nach einer Wohnküche, weil sich hier die Familie tagsüber aufhält, verweisen auf andere Bedürfnisse, die nach Sicherheit strebten und sich nicht nach dem Neuen, »Amerikanischen« zuneigen wollten. Nach all den Jahren der Anspannung, der Ängste und extremen Situationen erlangte das (schon wieder) Neue, Unbekannt nicht sofort ungeteilte Zustimmung. 46

Für seine Mutmaßungen gibt Wildt zwar keine empirischen Belege an, doch scheinen sie sehr wahrscheinlich zu sein. Aus anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wissen wir, dass die amerikanische Reeducation- und Demokratisierungspolitik nicht immer Erfolge vorweisen konnte. Die Widerstandsmechanismen der deutschen Gesellschaft gegenüber den aus den Vereinigten Staaten kommenden Botschaften beschreiben u. a. Ulrike Weckel (am Beispiel der Rezeption von Dokumentationsfilmen befreiter Konzentrationslager) sowie Jennifer Fay (in Bezug auf Hollywood-Spielfilme, die nach 1945 in deutschen Kinos vorgeführt wurden).47 Die Hypothese, dass die deutschen Leserinnen in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre eher Irritation als Begeisterung empfanden, wenn sie Zeichnungen und Fotografien von idealen ausländischen Küchen betrachteten, lässt sich daher nur schwer von der Hand weisen.

45 | Carter, Erica: How German is She? Postwar West German Reconstruction and the Consuming Woman, Ann Arbour: University of Michigan Press 1997, S. 45-76. 46 | M. Wildt: Technik, Kompetenz, Modernität, S. 86. 47 | Weckel, Ulrike: Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart: Steiner 2012; Fay, Jennifer: Theatres of Occupation. Hollywood and the Reeducation of Postwar Germany, MinneapolisLondon: University of Minnesota Press 2008.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

P ut zen und W aschen Die Visualisierung von Ordnung und Sauberkeit im Haushalt besprechen wir analog zum Themenbereich Essen und Kochen unabhängig von Bildern der persönlichen Körperhygiene; hierfür sei auf Kapitel II dieses Buchs verwiesen. Die separate Untersuchung der Bilder rührt, ähnlich wie im Hinblick auf Kochen und Essen, aus unterschiedlichen Darstellungszusammenhängen her; so betreffen Bilder von Reinigungsmitteln zwar auch den Hygienediskurs, sie sind aber nicht unmittelbar mit der Gesundheit verbunden wie etwa Bilder von Infektionskrankheiten. Beide Sphären aber – die Reinheit des Körpers und des Haushalts  – sind Teil der Normalisierungsidee: Das Reinheitsgebot hat immer auch moralischen Wert.48 Mary Douglas beschreibt dies folgendermaßen: Wenn wir gegen den Schmutz ankämpfen, tapezieren, dekorieren und aufräumen, treibt uns nicht die Sorge, wir könnten andernfalls krank werden, sondern wir verleihen unserer Umgebung dadurch, daß wir sie unseren Vorstellungen angleichen, eine neue, positive Ordnung. 49

Die im Folgenden angeführten Bilder beziehen sich nicht auf die epidemische Situation im Deutschland der Nachkriegszeit oder die Bedrohung durch unsichtbare Mikroben. Sie behandeln die Ordnung zu Hause und illustrieren zugleich auch Vorstellungen von neuen Konsumordnungen, einer idealen Familie und den gesellschaftlichen Rollen von Frauen und Männern, insbesondere die kulturelle Bedeutung der »kleinbürgerlichen Familie«. In den ersten Monaten nach Kriegsende waren in den Frauenzeitschriften zahlreiche Ratschläge zu lesen, wie etwa die Wohnung aufzuräumen sei, ohne die kostbare Seife zu verschwenden und zu viel Wasser zu verwenden. Werbeanzeigen für Reinigungsmittel wurden zunehmend mehr gedruckt – in dem Maße, wie sich die Versorgungslage verbesserte. Die doppelte – hygienische wie symbolische – Konnotation des Wortes »Sauberkeit« war bereits in den ersten Bildern sichtbar. In der Reklame der Firma Richard Falk lesen wir: Dein Wohnraum soll stets sauber sein – und ist er zeitbedingt auch klein. RF hilft jedem beim Bestreben zur Sauberkeit in seinem Leben. 48 | Vgl. Vigarello, Georges: Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, übers. v. Linda Gränz, Frankfurt a. M.: Campus 1988, S. 228. 49 | Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, übers. v. Brigitte Luchesi, Berlin: Dietrich Reimer 1985, S. 13.

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Bilder der Normalisierung

Abbildung 5.11: Reklame für Putzmittel der Marke Falk.

Quelle: Der Regenbogen (1946), Nr. 12, S. 24.

Die Abbildung zeigt eine Frau, die den Boden in einer Ein-ZimmerDachwohnung wischt. Die Wohnung enthält ein Bett, einen Tisch, einen Ofen, einen Schrank und eine Anrichte  – die Enge und Multifunktionalität des Raums spiegelt zweifelsohne die schwierige Wohnungslage der Nachkriegszeit. Die glänzenden Dielen hingegen, die Ordnung auf dem Herd, das bezogene Bett und die gleichmäßig platzierten Dosen auf der Anrichte sowie der reinliche Anblick der Frau  – angesichts des Erscheinungsdatums der Reklame im

Dezember 1946, als die Temperaturen außergewöhnlich niedrig waren, sind das Sommerkleid und die Stöckelschuhe bemerkenswert  – sollen vom Kauf des Waschpulvers Falk überzeugen (sofern es überhaupt verfügbar war). Dieses Bild suggeriert, dass ein sauberer Haushalt gleichbedeutend mit einem reinen Leben ist – im wortwörtlichen wie übertragenen Sinne – und illustriert auf diese Weise ausgezeichnet den oben angeführten Kommentar von Douglas. Drei Jahre nach Kriegsende wurden Werbeanzeigen für Reinigungsmittel bereits massenhaft gedruckt – und zwar unabhängig von der Besatzungszone. Das Reinigungsmittel Ata etwa war auf dem deutschen Markt schon lange vor dem Krieg bekannt gewesen, so dass 1948 in der Werbeanzeige in der Frau von heute weder erläutert werden musste, dass es sich um Scheuerpulver handelte, noch die Verpackung präsentiert werden musste, wie dies noch zwanzig Jahre zuvor der Fall gewesen war. Zwei andere Elemente der Reklame fallen allerdings ins Auge  – der Name der Persil-Werke in Genthin (einer Ortschaft in Sachsen-Anhalt) sowie die Aufschrift »Reinlichkeit bringt Lebensfreude«. Die Information, dass das Waschpulver in Genthin hergestellt wird, zeigt, dass es sich um ein lokales Produkt handelt, nicht um einen Export aus dem Westen, und in diesem Sinne hat es politische Bedeutung. Der Slogan im oberen Teil der Reklame bezieht sich hingegen auf etwas, das wir zu Beginn dieses Unterkapitels angesprochen haben  –

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Abbildungen 5.12 und 5.13: Reklame für das Reinigungsmittel Ata, 1948 (links). Reklame des Reinigungsmittels Ata, 1928.

Quellen: Die Frau von heute (1948), Nr. 3, S. 25 (links). Peter Hedlinger (Hg.), Alle mögen’s weiß. Schätze aus der Henkel-Plakatwerbung (= Schriften des Werkarchivs, Sonderband 1), Düsseldorf: Henkel KGaA 1987, S. 52.

Reinheit hat eine gesellschaftliche und eine ethische Dimension. Es geht nicht nur um die unmittelbar nach Kriegsende vorherrschende Botschaft, dass Schmutz als Gegensatz zur Sauberkeit eine Bedrohung für den Körper und die Gesundheit der Familie darstellt. Dieses Mal ist es eine lediglich positive Projektion, in der Ordnung mit Freude konnotiert wird. Eine ähnliche Botschaft sandte auch die Ata-Reklame von 1928 aus; zwar enthielt sie bedeutend weniger Text und wandte sich in größerem Maße über Bilder an ihre Rezipientinnen, doch stellte sie ebenso die Zufriedenheit der Frau angesichts der Sauberkeit um sie herum heraus. Ihr an den Betrachter gerichtetes Lächeln drückt nicht nur Zufriedenheit aus, sondern auch Stolz angesichts der gut ausgeführten Aufgaben. In einem vollkommen anderen Geiste waren wiederum die Werbungen für Produkte der Firma Emil Hahn gehalten – die Nauener Seifenfabrik bestand seit 1924, in der DDR wurde sie verstaatlicht und nach der Wende geschlossen.50 Auf der Abbildung sind zwei Frauen zu sehen (oder zwei Verkörperungen derselben Gestalt): Die eine schrubbt den Boden auf Knien, die andere putzt die Tür. 50  |  http://www.ddr-duftmuseum-1949-1989.de/seifen-hahn-nauen  /  (06.11.2015).

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Abbildung 5.14: Reklame für das Scheuerpulver Hahn.

Quelle: Illustrierte Rundschau (1948), Nr. 8, S. 26.

Beide machen den Eindruck hart arbeitender Frauen, doch die Mühe, so die Werbeanzeige, soll sich auszahlen: Scheuern und Wischen soll den alten Glanz auffrischen. Eine solche Formulierung verweist auf den Nachkriegskontext, auf die Notwendigkeit, die verlorene Ordnung wiederherzustellen. So wie Susanne Wallner, Protagonistin des ersten Nachkriegsspielfilms Die Mörder sind unter uns, in ihrer Wohnung umhergeht, fegt, putzt und aufräumt, um am Ende das Leben einer glücklichen Frau neben ihrem geschätzten Mann zu führen51, lässt sich auch in dieser Reklame ein Bezug auf den Nachkriegsdiskurs des Wiederauf baus herauslesen. Im Unterschied aber zur ikonischen Trümmerfrau, die in Hose und Kopftuch Trümmer von den Straßen deutscher Städte räumt, sind die hier gezeigten Frauen in Kleider und Schürzen gekleidet, und ihre Arbeit beschränkt sich auf den häuslichen Raum. Das Thema Hausarbeiten war oft ein Vorwand zu größeren Überlegungen einer Neuverhandlung von Geschlechterrollen. Neben dem Material, in dem das Aufräumen als natürliche und nicht zu bezweifelnde Pflicht der Frauen dargestellt wird, gab es sporadisch auch Aufrufe zu einem größeren Engagement der Männer, wie der Beitrag »Kameradschaft in Haus und Küche« von Rita Öhquist im Regenbogen zu Beginn des Jahres 1947 zeigt.

51 | Mehr dazu in: Weckel, Ulrike: »Die Mörder sind unter uns« oder: Vom Verschwinden der Opfer, in: Werkstatt Geschichte 25 (2000), S. 105-115.

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Abbildung 5.15: Illustrationen zum Artikel von Rita Öhquist Kameradschaft in Haus und Küche. Autor: Horst Hofmann.

Quelle: Der Regenbogen (1947), Nr. 1, S. 24.

Der Publikationsort verdient besondere Beachtung, da die Monatszeitschrift ein über die Maßen traditionelles Geschlechterverhältnis propagierte. Die Illustrationen zum Artikel aber zeigen Männer, die Holz tragen, aufräumen und in der Küche helfen, allerdings ergänzt der Text sie um eine wichtige Information: Es zeigt sich, dass das Postulat der Hilfe im Haus Männer betrifft, die keine Erwerbsarbeit haben und somit nicht ihren grundlegenden Pflichten des Geldverdienens nachkommen. In so manchen Häusern ist der Mann heute ohne Stellung; alles liegt auf der Frau: neben der Sorge für Kinder und Haushalt auch das Verdienen. Da kann sich der Mann weitgehend einschalten in allen weiblichen praktischen Arbeiten, genauso wie seit

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Bilder der Normalisierung Jahren Millionen von Frauen mit Selbstverständlichkeit Mannesarbeiten und -pflichten übernahmen. 52

Die Abbildungen zeigen Ausnahmesituationen, in denen es ohnehin schon zu einem Rollentausch gekommen ist – wenn auch aus anderen Gründen. Mit einer ähnlichen Situation haben wir es im Film Straßenbekanntschaft (1948, Regie: Peter Pewas, sowjetische Besatzungszone) zu tun, in dem der Heimkehrer sich um den Haushalt kümmert, da seine Frau krank ist. Im Grunde genommen verstärken Bilder von Männern bei der Hausarbeit die traditionelle Ordnung nach dem gleichen Prinzip, demzufolge die Ausnahme die Regel bestätigt. Ähnlich wie im Fall der oben besprochenen Küchenillustrationen teilt sich auch die Welt der Hausarbeit in der Ikonosphäre der Nachkriegszeit in zwei Bereiche: erstens in einen traditionellen, in dem die Mehrzahl der Tätigkeiten in Handarbeit ausgeführt wird, sowie zweitens in einen modernen, in dem die Hausfrauen Abbildung 5.16: Reklame für das Waschpulver Henko.

Quelle: Die Frau von heute (1948), Nr. 2, S. 24. 52 | Öhquist, Rita: Kameradschaft in Haus und Küche, in: Der Regenbogen (1947), Nr. 1, S. 24.

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Elektrogeräte zur Hand haben. Im ersten Bereich waschen die Frauen ihre Wäsche in Holztonnen und müssen dafür auch Wasser tragen – dies ist sowohl auf der Reklame der Firma Emil Hahn zu sehen, die wir bereits besprochen haben (s. Kap. II, Abb. 2.13), als auch auf der Werbeanzeige des Waschpulvers Henko, das ebenfalls in den Persil-Werken in Genthin hergestellt und deshalb mit dem gleichen Slogan wie das Waschpulver Ata beworben wurde. Die Welt, in der Hausarbeiten per Hand mithilfe von seit Jahren bekannten Reinigungsmitteln ausgeführt werden, charakterisiert vor allem den visuellen Raum der sowjetischen Besatzungszone – sie spiegelt sowohl die Realität, in der die meisten Haushalte weder elektrische Geräte noch fließend Wasser hatten, als auch eine Form des Traditionsbezugs wider. In der Ikonosphäre der westlichen Besatzungszonen gab es hingegen viele automatische Geräte wie Waschmaschinen und Staubsauger zu sehen, die den Frauen bei der Hausarbeit helfen sollten. Diese Bilder beschworen die Moderne und signalisierten, dass das Nachkriegsdeutschland auf technologischer Ebene in Kürze wieder Schritt halten würde mit anderen westlichen Ländern – in einer Gesellschaft mit einer reichen industriellen Tradition musste eine solche Rhetorik auf fruchtbaren Boden fallen. Es muss allerdings auch betont werden, dass – ähnlich wie im Fall der Elektroherde – in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre keines dieser Geräte eine technologische Neuheit war, obwohl die Werbung solche Behauptungen aufstellte. Die Geschichte der Waschmaschine reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück (einige Studien nennen sogar Erfindungen aus dem 18. Jahrhundert, mit denen das Wäschewaschen erleichtert werden sollte), doch erst in der Zwischenkriegszeit waren automatische Waschmaschinen erhältlich.53 In dem oben erwähnten Artikel zur Londoner Messe für Haushaltsgeräte lesen wir: Für uns noch nicht, aber für englische und amerikanische Hausfrauen wäscht, spült und trocknet [aller Wahrscheinlichkeit nach geht es um die Schleuderfunktion] diese neue elektrische Waschmaschine fünf Kilo Wäsche in 40 Minuten. Man braucht nur Wäsche und Seifenpulver in den Apparat zu tun und den Strom einzuschalten. 54 53 | Y. Doosry: Das bisschen Haushalt, S. 225; K. Hausen: Große Wäsche, S. 296. 54 | Helgrö. [Abk.], Märchenhaushalt 1948. Das Zitat muss in einer etwas breiteren Perspektive betrachtet werden, als es der von uns gewählte historische Rahmen erlaubt: So handelt es zwar von britischen und amerikanischen Hausfrauen, doch muss ihr Vorbild nicht unbedingt auf den Kontext der alliierten Besatzung Deutschlands verweisen. Die Vereinigten Staaten waren damals Vorreiter in den modernen Haushaltstechnologien, und amerikanische Gerätschaften wurden auch in den Medien anderer westlicher Länder besprochen. Mehr dazu: Beltran, Alain /  C arré, Patrice A.: Elektrohaushaltsgeräte und Telefon. Zur Sozialgeschichte des Konsums in Frankreich 1920-1980, in: Kaelble /  K ocka /  S iegrist, Europäische Konsumgeschichte (1997), S.  349-363.

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Tatsächlich waren an der Wende von den 1940er zu den 1950er Jahren elektrische Waschmaschinen eine Seltenheit – in der DDR besaßen vor 1949 nur 0,5 Prozent aller Haushalte diesen Haushaltshelfer; in der Bundesrepublik waren es mit 2 Prozent etwas mehr, wobei diese Zahl in den kommenden drei Jahren um mehr als fünf Prozentpunkte zunahm.55 Zehn Jahre später war die Fotografie des weißen Gehäuses mit der runden Tür keine Zukunftsvision mehr, sondern die visuelle Repräsentation eines realen Angebots. Die symbolische Bedeutung von Waschmaschinen geht allerdings über die Sphäre der Hausarbeit hinaus. Heben Waschpulver-Reklamen vor allem Sauberkeit und Hygiene hervor (in diesem Kontext sind Versicherungen von schneeweißer Unterwäsche als Attribute der medizinischen, sterilen Welt wesentlich)56, so bedeutet eine automatische Waschmaschine die Emanzipation der Frau und Modernität. Bei einem genaueren Blick auf die Illustrationen und die Texte, mit denen sie in den Zeitschriften umgeben sind, zeigt sich allerdings, dass die Emanzipation nur vorgeblich ist – die Zeit, die die Frau dank der Waschmaschine gewinnt, soll sie der Vervollkommnung anderer Hausarbeiten widmen, erst dann ihrem eigenen Vergnügen (beispielsweise der Lektüre von illustrierten Zeitschriften). Dass ihr damit eine Verbindung von Familie und Erwerbsarbeit einfacher fallen würde, davon ist in den Beiträgen keine Rede. Von großer Bedeutung ist auch der Modernisierungskontext. Elektrische Waschmaschinen sind der Inbegriff fortschrittlicher Technologie, die Einzug in die deutschen Häuser zu halten beginnt. Forscherinnen und Forscher wie Alf Lüdtke oder Silke Betscher unterstreichen, dass der Diskurs der Moderne, in dem sich die symbolische Übermacht der Vereinigten Staaten und Großbritanniens manifestiert, mithilfe von Bildern von Militär- oder Kommunikationstechnologie umgesetzt wurde – am häufigsten handelte es sich um Fotografien von Flugzeugen.57 Es scheint, als hätten Bilder von Gerätschaften wie Elektroherden, Kühlschränken (insbesondere auch Gefriertruhen) oder schließlich

55 | Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family and Communism in the German Democratic Republic, Princeton /  O xford: Princeton University Press 2007, S. 183; Abelshauser, Werner: Die langen fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 1949-1966, Düsseldorf: Schwann 1987, S. 87. 56 | K. Hausen: Große Wäsche, S. 276. 57 | Lüdtke, Alf: Ikonen des Fortschritts. Eine Skizze zu Bild-Symbolen und politischen Orientierungen in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland, in: ders. / M arßollek /  v on Saldern, Amerikanisierung (1996), S. 199-210; S. Betscher, Von großen Brüdern und falschen Freunden, S. 77-86. Martina Heßler betont, dass militärische Vergleiche in der Werbung für Elektrogeräte in Deutschland bereits in den 1930er zu sehen waren. Die »Elektrofront« sollte die Frauen nämlich auf den Krieg vorbereiten. Vgl. M. Heßler: »Mrs. Modern Woman«, S. 344.

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auch Waschmaschinen eine ähnliche Rolle gespielt – mit dem Unterschied allerdings, dass sie in für Frauen bestimmten Medien visualisiert wurden. Reklamen für  – anfangs noch manuelle, nicht elektronische  – Staubsauger wiederum finden wir in der deutschen visuellen Kultur noch vor dem Ersten Weltkrieg.58 1923 präsentierte Siemens eine Staubsaugerwerbung, auf der eine Mutter mit Kind in einem bürgerlichen Wohnzimmer zu sehen war59; Mitte der 1920er Jahre eröffnete die Firma Electrolux ihre erste Filiale in Deutschland und führte ihre wichtigsten Produkte, darunter elektrische Staubsauger, auf den deutschen Markt ein. In der frühen Nachkriegszeit waren solche Geräte allerdings schwer zugänglich, im Hinblick auf die häufigen Unterbrechungen in der Stromlieferung auch nur eingeschränkt zu nutzen. Gegen Ende 1945 wandte sich der Leiter des Hauptamtes für Energie- und Versorgungsbetriebe in Berlin an die Besitzerinnen (und Besitzer) von Staubsaugern: Denken Sie stets daran, daß die meisten unserer Mitbürger keine derartigen Hilfsmittel zur Verfügung haben und ihre Wohnungen trotzdem sauber halten, und schließlich: wer wußte früher etwas vom Staubsauger? Darum wollen wir alle jetzt vorübergehend auf den Gebrauch derartiger Geräte, die nicht unbedingt erforderlich sind, sondern nur zur Arbeitserleichterung dienen, verzichten.

Abbildung 5.17: Information zum Stromsparen.

Quelle: Neue Berliner Illustrierte (1945), Nr. 3 , S. 11.

58 | Y. Doosry: Das bisschen Haushalt, S. 216. 59 | M. Heßler: »Mrs. Modern Woman«, S. 173.

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Auf der Zeichnung sehen wir eine Frau beim Staubsaugen noch vor sechs Uhr morgens  – so bezieht sich die Abbildung auf das Staubsaugverbot zwischen sechs Uhr morgens und 22 Uhr abends. Davon, wie sehr sich die Situation im Laufe der folgenden vier Jahre geändert hat, zeugt eine Werbeanzeige vom Januar 1949 im Regenbogen (in dieser Zeit wurde sie auch in anderen Zeitschriften abgedruckt), auf der wir lesen können: »Einen Staubsauger sollte man haben …« Abbildung 5.18: Reklame für Staubsauger der Marke Electrostar.

Quelle: Der Regenbogen (1949), Nr. 1, S. 27.

Eine Frau ist zu sehen, die auf Knien den Boden schrubbt und von einem Staubsauger träumt (ihr Traum wird mit einer Gedankenblase angedeutet, in der ein Staubsauger schwebt). Es ist lohnenswert, diese Figur der Gestalt aus der Werbung der Firma Hahn aus der sowjetischen Besatzungszone gegenüberzustellen (Abb. 5.14). Die Frau scheint keine Alternative zum Scheuern des Bodens zu haben – einzig das neue Scheuermittel scheint ihr die Arbeit erleichtern zu können. Die Figur aus dem Regenbogen hingegen befindet sich in einer eleganten Wohnung (davon zeugen der Teppich, die Anrichte mit der Vase und die Steckdose), und die Werbung suggeriert, dass es zur Erfüllung dieses Traumes ausreiche, in einem entsprechenden Geschäft nach einem Staubsauger zu fra-

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gen. Der Hersteller wendet sich an die dargestellte Figur wie an eine unerfahrene Person und macht sie in der Bildunterschrift darauf aufmerksam, dass es beim Kauf eines Staubsaugers darauf zu achten gelte, »einen richtigen, guten, mit starker Saugleistung und praktischem Zubehör« auszuwählen. Mochte der Staubsauger nach Kriegsende noch als Extravaganz präsentiert werden (Neue Berliner Illustrierte), so stellt er vier Jahre später in der Bundesrepublik ein Gerät dar, dessen Erwerb mit der Notwendigkeit gerechtfertigt wird, den Alltag der Frauen zu erleichtern (Der Regenbogen). Auch Erica Carter beruft sich auf Staubsaugerwerbungen als Illustration der Normalisierungsprozesse, insbesondere der Rückkehr des Patriarchats, der erneuten Abschiebung der Frauen in den häuslichen Bereich und der Machtübernahme der Männer. Die Forscherin führt nach Doris Schubert eine Werbeanzeige für den Staubsauger der Marke Progress von 1949 aus der Frauenwelt an.60 Im Unterschied zu den übrigen hier angeführten Abbildungen wird ein Mann im Anzug dargestellt – er geht in die Grätsche, hat die Hände he­ rausfordernd hinter dem Rücken zusammengelegt, und auf den Augen eine Augenbinde. Der Werbeslogan lautet: »Nicht blind sein beim Einkauf. Ein kluger Mann vergleicht, wägt ab und wählt als Helfer im Haushalt. Progress. Die Sonne der Hausfrau.«61 Carter zufolge sei es undenkbar, dass dieser Mann […] sich zu morgendlichem Aufräumen herabließe; schneidig, lächelnd und im Anzug ist er fürs Geschäft gekleidet. Die Botschaft von Bild und Text lautet, dass die Männer im Haushalt (allenfalls) eine leitende Funktion haben; in den Mann wurde Wissen investiert (er ist »klug«), er verfügt über die kognitiven Fähigkeiten (abzuwägen), die Voraussetzungen für ein gutes Urteilsvermögen sind. Am wichtigsten aber ist, dass der Mann im Konsumprozess Autorität in der Entscheidungsfindung genießt. 62

Auf diese Weise wird der Staubsauger zu einer der Normalisierungsikonen – sowohl auf technologischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Frauen und Männer zum Kauf dieses Produkts anzuregen, signalisiert Wohlstand – Strom im Haus ist eine Selbstverständlichkeit geworden, so dass sich immer mehr Haushalte eine solche Ausgabe erlauben können. Gleichzeitig verfestigt die »Staubsaugerikonografie« den Platz der Frau im Haus, die den Boden schrubbt (dank des Staubsaugers kann sie sich zumindest endlich aufrichten) und sich dem wirtschaftlichen Diktat des Mannes ergibt. Carter verfolgt diese Entwicklung bis in die 1960er Jahre, indem sie Werbefotografien von Staubsaugern prä60 | E. Carter: How German is She?, S. 48-51. Hier führt Carter eine Passage aus folgendem Buch an: Annette Kuhn /  D oris Schubert (Hg.), Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, Bd. 1: Frauenarbeit 1945-1949, Düsseldorf: Schwann 1984. 61 | E. Carter: How German is She?, S. 49. 62 | Ebd., S. 50. (Übers. d. Verf.)

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sentiert, die die Frauen vom Kehren, Wischen und Teppichschlagen »befreien«, um ihnen mehr Zeit für andere Pflichten zu geben, sich um die Kinder zu kümmern, eine gute Ehefrau zu sein.63 Die Automatisierung der Hausarbeiten ist mit bestimmten Konsumentscheidungen verbunden. Hier muss die These Carters wiederholt werden, dass die Demokratisierung der westlichen Besatzungszonen und später der Bundesrepublik über eine Stärkung der Wirtschaft des freien Marktes stattfand. Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess nahmen die Bedürfnisse der Frauen und ihre Konsumentscheidungen ein. Aus diesem Grund finden wir Zeugnisse für den Normalisierungsdiskurs auch so oft in der Werbung – generell in Frauenzeitschriften. In ihren Ausführungen begrenzt sich Carter zwar auf Westdeutschland, Spuren dieser Rhetorik sind aber auch in der sowjetischen Besatzungszone aufzufinden, auch wenn dort der Konsum abseits des Diskurses des freien Marktes und einer liberalen Wirtschaft funktionierte. Gleichwohl sah man nicht nur in der Arbeit der Frauen, sondern auch in ihren Konsumentscheidungen eine Unterstützung der ostdeutschen Ökonomie – was etwa die Werbeanzeigen aus der Frau von heute belegen. Der private Konsum der Frauen wurde mit Schlagwörtern aus der sozialistischen Politik in die DDR der 1950er und 1960er Jahre integriert. Als etwa Ende der 1950er Jahre die Grundzüge der sozialistischen Werbung formuliert wurden, wollte man Werbung als »bewußtseinsbildend und [als] ›Träger sozialistischer Ideologien‹«64 verstanden wissen (obgleich selbst dann noch ein »Rückgriff auf alte Wertmuster und feste Gestaltungsmerkmale«65 sowie traditionelle Geschlechterrollenvorbilder aus den 1930er und 1940er Jahren nicht zu übersehen war). In dem von uns besprochenen Zeitraum sind bereits erste Anfänge dieses Prozesses zu bemerken – in Werbungen und Presseillustrationen sehen wir Hausfrauen, die mit ihrer Arbeit und ihren Einkäufen zum Aufbau des neuen Gesellschaftssystems beitragen sollen, denn – ähnlich wie in den Westzonen – blieben sie auch in der sowjetischen Besatzungszone »bis in die 1950er Jahre die primären Kaufkräfte im Haushalt«.66 Schon in der zweiten Ausgabe der Frau von heute lesen wir beispiels63 | Vgl. ebd., S. 60 f. 64 | Tippach, Simone: Nymphenbad oder Wäschetrog? Exkurs zur Werbung in den fünfziger Jahren, in: Merkel, Ina: … und du, Frau an der Werkbank. Die DDR in den 50er Jahren, Berlin: Elefanten 1990, S. 118-141, hier S. 123; vgl. auch Harsch, Donna: Revenge of the Domestic. Women, the Family and the Communism in the German Democratic Republic, Princeton /  O xford: Princeton University Press 2007, S. 177-197. 65 | S. Tippach: Nymphenbad oder Wäschetrog?, S. 124. 66 | Pence, Katherine: Labours of Consumption. Gendered Consumers in Post-war East and West-German Reconstruction, in: Lynn Abrams / E lisabeth Harvey (Hg.), Gender Relations in German History. Power, Agency and Experience from the Sixteenth to the Twentieth Century, London /  N ew York: Routledge 1996, S. 211-239, hier S. 231.

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weise den fiktiven Dialog zweier Frauen über die Genossenschaftsläden »Konsum«. Frau Hoffmann erläutert Frau Weber die Funktionsprinzipien der Genossenschaft und bekräftigt ihre demokratischen Grundlagen.67 Auf diese Weise erscheinen einfache Einkäufe als politischer Akt. Trotz Propagandainformationen zur guten Ausstattung der Genossenschaft »Konsum«, fällt es schwer, ihnen eine normalisierende Rolle zuzuschreiben, da in diesem Modell Einkäufe immer noch mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden waren: Man musste der Genossenschaft beitreten und – was das fiktive Gespräch in der Frau von heute verschweigt – Lebensmittelkarten zur Verfügung haben, was alles dazu beitrug, dass der Handel auf dem Schwarzmarkt blühte.68 Erst die 1948 geöffneten staatlichen Kaufhäuser HO (Handelsorganisation) boten den deutschen Frauen in der sowjetischen Besatzungszone einen Ersatz für »normale« Einkäufe.69

N ähen und S tricken Da in der frühen Nachkriegszeit die meiste Kleidung individuell genäht und umgearbeitet werden musste, bietet es sich an, diese Tätigkeit als eine der Hausarbeiten zu betrachten. Nicht selten kam es auch dazu, dass Frauen zu Hause gewissermaßen zum Erwerb nähten – dies illustrieren zahlreiche Kleinanzeigen aus der betreffenden Zeit, die folgenden stammen aus dem Kinoprogramm Abbildung 5.19: Ausschnitt aus dem Programm des Kino Palladium in Berlin, Februar 1948.

Quelle: Deutsche Kinemathek, Sign. N3360-HPr-01-01. 67 | C. K.: Der Konsum kommt wieder, in: Die Frau von heute (1946), Nr. 2, S. 23. 68 | Vgl. K. Pence: Labours of Consumption, S. 228. 69 | Vgl. D. Harsch: Revenge of the Domestic, S. 178 f.

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Palladium vom Februar 1948: »Handgestrickte Pullover, Jacken, Kleider, Kostüme und Mäntel liefert Ihnen Maßatelier Erna Oppermann«; »Damenbekleidung wird aus Eigentumsstoffen hergestellt von FA Antonie Brause […]. Heimarbeiterinnen werden jederzeit noch eingestellt«; »Achtung wir nehmen laufend an: zum Färben Herren- und Damengarderobe, Spezial-Seide und Meterware«; »Nehme in Kommission: Kleider, Mäntel, Kostüme, sämtliche Unterwäsche und Schuhe«. Folglich lohnt es sich, nach den Bildern zu fragen, die Nähen, Stricken und Häkeln als weibliche Hausarbeit illustrieren. Die damalige Mode möchten wir nicht als solche thematisieren, insbesondere da die Literatur zum Thema Kleidung in der Kriegs- und Nachkriegszeit umfangreich ist.70 Uns interessiert hingegen die Art und Weise der Visualisierung von Tätigkeiten wie dem Nähen und der Fertigung von Kleidung. Eine ähnliche Studie verfasste Mila Ganeva in Bezug auf zwei Trümmerfilme – Die Mörder sind unter uns und … und über uns der Himmel. Sie bemerkt ein normalisierendes Potenzial in der Kleidung, die die Protagonistinnen tragen, nähen und entwerfen: Mode bedeutet sowohl hoffnungsvolle Erholung und eine Sehnsucht nach Normalität, als auch eine narzisstische Hingabe in scharfem Kontrast zu harter und ehrlicher Arbeit. […] Indem sie permanent die gut sitzende, nun an die gegenwärtige Situation angepasste Kleidung aus besseren Zeiten einer intakten Frau zeigen, erzeugen die fiktiven Filmfiguren ansprechende und eskapistische Bilder von Normalität und Hoffnung.71

Wir beschränken uns hier darauf, diese Hypothese zu bekräftigen und sie mit zusätzlichen Beispielen zu stützen. Eine beträchtliche Rolle bei der Popularisierung von Bildern eleganter Filmstars spielten Filmzeitschriften. Magazine wie das Filmpost-Magazin (amerikanische Besatzungszone), Neue Filmwoche (sowjetische Besatzungszone) oder Film-Echo (französische Besatzungszone) druckten regelmäßig Neuigkeiten aus dem Leben der Stars; insbesondere das Filmpost-Magazin brachte simple, kurze und reich illustrierte Beiträge. Ferner zierten glamouröse Frauen Filmplakate und -broschüren zu einzelnen Titeln, die als Sonderausgaben des Illustrierten Film-Kuriers, der Illustrierten Film Re70 | Vgl. u. a. Summers, Julie: Fashion on the Ration. Style in the Second World War, London: Profile 2015; Sywottek, Julia: »Darf man jetzt von Mode sprechen?« Bekleidung und Textilwirtschaft im Nachkriegsdeutschland, Hildesheim: Arete 2014; Stitziel, Judd: Fashining Socialism. Clothing, Politics and Consumer Culture in East Germany, New York / O xford: Berg 2005; Trojanowski, Krzysztof: Moda w okupowanej Francji i jej polskie Echa, Warszawa: PWN 2014; Ganeva, Mila: Fashion Amidst the Ruins. Revisiting the Early Rubblefilms »And the Heavens Above« (1947) and »The Murderers are Among Us« (1946), in: German Studies Review 37 (2014), Nr. 1, S. 61-85. 71 | M. Ganeva: Fashion Amidst the Ruins, S. 80 f.

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vue, der Film-Bühne oder des Film von heute herausgegeben wurden. Im Falle von ausländischen Filmen fungierten diese Broschüren zusätzlich als Werbeträger bestimmter Modelle aus den alliierten Ländern; so etwa das hier platzierte Beispiel der Sonderausgabe des Illustrierten Film-Kuriers anlässlich der Deutschlandpremiere des Films Das Haus der Lady Alquist (1944) von George Cukor mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle. Abbildung 5.20: Ausschnitt aus der Broschüre Illustrierter Film Kurier zu Ingrid Bergman; Publikation anlässlich der Deutschlandpremiere von Das Haus der Lady Alquist von Juli 1947.

Quelle: Deutsche Kinemathek, Sign. N4176_SP039.

Ingrid Bergman war damals eine noch unbekannte Schauspielerin in Deutschland, da der Film, mit dem sie ihren bislang größten internationalen Erfolg erlebt hatte, Casablanca (1941, Regie: Michael Curtiz, USA), nicht in den Kinos des Dritten Reiches vorgeführt worden war. Mit dem Film Das Haus der Lady Alquist sollte schließlich ihr Status als Hollywoodstar im Nachkriegsdeutschland gefestigt werden. Jennifer Fay bemerkt darüber hinaus auch politische Gründe für die intensive Werbekampagne des Filmes, betont aber, dass die Ziele der amerikanischen Reeducation in diesem Falle verfehlt wurden, da das Publikum den Film auf seine eigene Weise deutete: Ebenso könnten wir sagen, dass Das Haus der Lady Alquist seinen deutschen Zuschauern ein nationales Drehbuch weiblicher Viktimisierung und autoritärer Manipulation bie-

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Bilder der Normalisierung tet […]. Die Protagonistin nimmt die Rolle einer rehabilitations- und schutzbedürftigen Person an.72

Für die öffentliche Zirkulation von Bildern schöner, elegant gekleideter Frauen hatte die Presse eine ebenso große Bedeutung wie das Kino. Ihre Rolle wird insbesondere dann deutlich, wenn wir uns bewusst machen, dass die erste Ausgabe des Berliner Modeblatts bereits im Oktober 1945 erschien73, also früher als die meisten Frauenzeitschriften.74 Zur selben Zeit gab der Otto-Beyer-Verlag wieder Hefte mit Schnittmustern heraus.75 Abbildungen 5.21 und 5.22: Moderatgeber.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 1, S. 22 (links). Sie (1947), Nr. 1, S. 10. 72 | J. Fay: Theatres of Occupation, S. 163, 168. (Übers. d. Verf.) Fay analysiert Hollywoodfilme, die im Deutschland der Nachkriegszeit gezeigt wurden, im Lichte der Demokratisierungspolitik. Die Frage der Gestaltung von Vorstellungen von Geschlechterrollen durch diese Filme würde nach einer separaten Studie verlangen. Die Autorin nimmt sich dieses Themas nur insofern an, als es mit streng genommen politischen Maßnahmen zu tun hat. 73 | Ebd., S. 72. Vgl. auch Hans J. Reichhardt: »… raus aus den Trümmern …«, S. 130. 74 | Nach: Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main (Hg.), Deutsche Bibliographie. Zeitschriften 1945-1952, Frankfurt a. M.: Buchhändler Vereinigung GmbH 1958. 75 | J. Sywottek: »Darf man jetzt von Mode sprechen?«, S. 29.

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Ferner enthielt der Großteil der Frauenzeitschriften, unabhängig von der Besatzungszone, Rubriken mit Moderatgebern, in denen Zeichnungen eleganter Kleider vorherrschten  – die realen Schwierigkeiten des Alltagslebens fanden verhältnismäßig weniger Beachtung. Mit der Zeit gab es auch Zeichnungen modischer Schnitte, deren Autorinnen und Autoren die Mangelversorgung nach dem Krieg nur theoretisch berücksichtigten  – so wurden vornehmlich Rockschnittmuster gedruckt oder figurbetonte Kleider, Blusen und Mäntel. Auf der linken Seite des Nachdruckes aus der Frau von heute von Anfang 1946 sind zwei kleine Gestalten zu sehen – eine Trümmerfrau (mit einem Eimer in der Hand, in Hose und Kopftuch) sowie eine Bäuerin (mit einer Getreideschüssel), im Vordergrund aber stehen elegante Damen, die keine körperlichen Arbeiten ausüben (die Frau in der rechten unteren Ecke etwa hat lackierte Nägel). Das Magazin, damals Organ der Frauenausschüsse in der sowjetischen Besatzungszone, gab seinen Leserinnen folglich widersprüchliche Signale: Einerseits propagierte es sozialistische Ideale und sozrealistische Modelle von Weiblichkeit, andererseits druckte es Ratgeber und Werbeanzeigen, die konservativen Vorstellungen von Attraktivität entsprachen. Dies geschah ungeachtet dessen, dass Schönheitspflege aus offiziellen Medienbotschaften verbannt war: »Schmuck und Kosmetika sind keine Blüte der neuen Industrie« verkündet der Erzähler in dem DEFA-Dokumentarfilm Berlin im Auf bau (1946) von Kurt Maetzig. Musterzeichnungen aus der Sie (amerikanische Besatzungszone) hingegen zeigen Kleider, die das »Attraktive mit dem Nützlichen« verbinden, also sowohl warm (so der Begleittext) als auch elegant sind. Das Bild verstärkt die Frage des Warmen und Kalten, da beide Frauen sich am Ofen wärmen, und unter ihren Füßen liegen Kohlenstücke. Diese Darstellung bezieht sich auf die damalige Realität, zumal der Ratgeber im Januar 1947 publiziert wurde, in einem außergewöhnlich harten Winter. Hierauf bezog sich auch der Nähtipp, der mehr oder weniger zur selben Zeit in der Heute erschien, wie aus einer Decke aus einem winterlichen CARE-Paket ein Mantel anzufertigen war. Daneben waren Bilder von Frauen und Mädchen zu sehen, die mit Stolz ihre neue Kleidung präsentierten.76 Interessant ist, dass die Tätigkeiten zur Fertigung solcher Kleidung oder auch Nähmaschinen nur sehr selten visualisiert wurden. Da diese Geräte schon lange bekannt waren und massenhaft genutzt wurden, ließen sie sich nicht in den Modernisierungsdiskurs der Medien in den westlichen Besatzungszonen einfügen. Sie hatten nicht dieselbe politische Bedeutung wie Elektroherde, Waschmaschinen oder Staubsauger. Bilder von über Nähmaschinen gebeugten Frauen finden wir nur in einzelnen Spielfilmen (u. a. in … und über uns der Himmel), in Wochenschauen und sporadisch in der illustrierten Presse. Eine der wenigen solchen Fotografien in der Neuen Berliner Illustrierten (1945, Nr. 5) 76 | N. N.: Mode streckt sich nach der Decke, in: Heute (1947), Nr. 37, S. 17.

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diente der Bestätigung, dass in Berlin wieder Nähschulen und -werke tätig waren – mit Hausarbeit hatten sie nichts zu tun. Folglich hatte die Mehrheit der Modeillustrationen einen allgemeinen Journalcharakter  – ohne besondere Anfertigungsanleitungen oder Schnittschablonen. Nur in wenigen Zeitschriften wurden Informationen gedruckt, wo Schnittmuster zu einzelnen Vorschlägen erhältlich waren. Im Falle der Frau von heute war dies u. a. die Zuschneiderschule am Oranienburger Tor in Berlin.77 Leserinnen aus anderen Städten hatten somit keine Möglichkeit, die Schablonen zu kaufen. Dies alles suggeriert, dass die Bilder keine anleitende Funktion hatten, sondern eher ein visuelles Vergnügen, modische, wenn auch unzugängliche Kleidung zu betrachten. Ähnlich wie die Kostüme der Filmprotagonistinnen, von denen Ganeva schrieb, ermöglichten diese Bilder den Leserinnen der Zeitschriften, in eine Traumwelt zu entkommen und Vorstellungen von einer besseren Zukunft zu entfalten. Ganevas Perspektive ist breiter angelegt als die These eines anderen Forschers der Nachkriegsmode, Judd Stitziel: Während die Bilder in Zeitungen und Magazinen angeblich als »Inspirationsquelle« für Industrie, Handel und Konsumenten dienten, gaben Schnittmuster implizit zu, dass die Konsumenten selbst fertigen mussten, was die Industrie der DDR [und der sowjetischen Besatzungszone] nicht herstellen konnte.78

Es fällt allerdings schwer, in diesem Zusammenhang von einer Singularität Ostdeutschlands zu sprechen, da Nähschablonen auch in den westlichen Besatzungszonen und später in der Bundesrepublik bekannt waren. Dank ihnen erfuhren Magazine wie Burda ihren großen Erfolg – und das in einer wirtschaftlichen Gründerzeit. Nähen, Umarbeiten, Reparaturen, Stricken usw. stellten in der (nicht nur unmittelbaren) Nachkriegszeit sowohl im Westen als auch im Osten beliebte Beschäftigungen von Frauen dar. Der Unterschied beruhte Stitziel zufolge höchstens darauf, dass sie in der DDR eine Notwendigkeit, in der Bundesrepublik hingegen ein Vergnügen und das Ideal einer »praktischen« Hausfrau darstellten. Die Funktion der Modejournalzeichnungen – abgesehen von den Schablonen – scheint folglich komplexer zu sein, als aus den Behauptungen Stitziels hervorgeht. Es ging um etwas mehr als nur um Inspirationen; ihnen fiel nämlich dieselbe Rolle wie den Innenraumratgebern zu – sie schufen eine Illusion von Normalität, in der sie die Mühen, mit denen die Deutschen sich nach dem Krieg herumschlagen mussten, gerade so andeuteten. So wie es im Falle der Beiträge zu einer effektiven Wohnraumnutzung keine Abbildungen gab, 77 | Vgl. Die Frau von heute (1946), Nr. 20, S. 21. 78 | J. Stitziel: Fashioning Socialism, S. 50. (Übers. d. Verf.)

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die beispielsweise Frauen mit einem Hammer in der Hand zeigten, so gab es auch keine Modebilder von Hausfrauen beim Stricken und Nähen. In den Vordergrund rückten hingegen Fertigprodukte  – funktionale Wohnungen und praktische Kleider, die übrigens ein lang andauerndes Leitmotiv in Frauenzeitschriften darstellten, nicht nur in Deutschland. In den Beiträgen lesen wir zwar von den Schwierigkeiten beim Materialerwerb, von der Notwendigkeit, alte Kleidung umzuarbeiten usw., aber den Autorinnen und Autoren dieser Texte scheint es immer zu gelingen, diese Mühen zu überwinden – und an den Kleidern, Röcken und Blusen in den Illustrationen ist überhaupt nicht zu erkennen, dass ihr Material »wiederverwertet« worden war. In der ersten Ausgabe der Frau von heute lesen wir im Begleittext zu einer der weiter oben besprochenen Abbildungen (Abb. 5.21): »Heute haben wir in Deutschland, dafür hat Hitlers Raubkrieg gesorgt, weder Rohstoffe noch eine verarbeitende Industrie, die die Grundlage für eine Mode sein könnten.« 79 Es sei noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass es sich hier um dieselbe Rhetorik handelt, die die Redaktion der Zeitschrift auch im Hinblick auf die Innenraumratgeber anwandte: Die Schuld an der schwierigen Lage trägt Hitler. Die politische Beeinflussung der Modeikonografie begrenzte sich natürlich nicht ausschließlich auf Propagandaslogans. Julia Sywottek betont, dass die FrauenAbbildung 5.23: Ratgeberrubrik für Leserinnen.

Quelle: Der Regenbogen (1948), Nr. 5, S. 19. 79 | Gertrud Berger: Frau Mode – entschleiert, in: Die Frau von Heute (1946), Nr. 1, S. 23.

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zeitschriften der Nachkriegszeit Veränderungen in der Mode in anderen Ländern mit einer gewissen Verspätung (ungefähr von einem Jahr) rezipierten. Natürlich wurde die Pariser oder Londoner Mode oft als unpraktisch oder dekadent belächelt. Die Heute ironisierte sogar: »Und wenn die Regierungen der Welt sich einige Zeit darauf konzentrieren würden, jeder Frau einen neuen Hut, ein neues Kleid und ein paar Schuhe zu verschaffen, dann würde vielleicht unmerklich mit der Mode der Friede in die Gemüter kommen.« 80 Mehr oder weniger bis 1948 überwogen Illustrationen, in denen sich die Modemuster aus der Zwischenkriegszeit  – eine »strenge Silhouette mit stark betonter Schulterpartie und kurzen Röcken«81  – fortsetzten. Angesichts der Stoff knappheit und der Notwendigkeit, aus dem, was da war, etwas Neues herzustellen, erwies sich das Postulat kurzer Röcke bis unters Knie als außergewöhnlich adäquat für seine Zeit. Häufig wurden auch Zeichnungen von Blusen und Mäntel mit großen Taschen, ja sogar mit Epauletten, gedruckt, was als Folge der Tatsache zu verstehen ist, dass Kleidungsstoffe aus alten, umgefärbten Uniformen gewonnen wurden.82 Erst 1948 popularisierte sich in der visuellen Nachkriegskultur der New Look: Die Röcke wurden länger 80 | N. N.: Pariser Modefrühling, in: Heute (1947), Nr. 34, S. 21. 81 | J. Sywottek: »Darf man jetzt von Mode sprechen?«, S. 95. 82 | Vgl. ebd., S. 16-21.

und glockenförmiger (wofür eine größere Stoffmenge nötig war), dagegen wurden die Schultern und Ärmel enger (man musste schon keine Blusen aus alten Uniformen mehr nähen). Zeugnisse solcher Veränderungen Abbildung 5.24: Ratgeberrubrik für Leserinnen.

Quelle: Die Frau von heute (1946), Nr. 12, S. 24.

V.  Haushalt: Einbauküche, Staubsauger und selbstgenähte Kleider

waren in Zeitschriften sowohl der sow­jetischen als auch der westlichen Besatzungszonen zu entdecken. Gegen Ende des besprochenen Zeitraums verschwanden die Bezüge auf die Nachkriegsrealien und Schwierigkeiten des Alltagslebens beinahe vollkommen aus den Modeillustrationen. Als Beispiel mögen hier die Modeseiten aus der Constanze an der Wende von Mai zu Juni 1948 dienen – in dem Moment also, der die Endzäsur unserer Analyse markiert. Die dazugehörige Überschrift lautete: »Ich ziehe Constanze an – ich ziehe Constanze aus« (das Pronomen »ich« bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den auf der Abbildung dargestellten Mann). Dieser Kunstgriff erlaubt es, sowohl Blusen, Röcke, Kleider und Hüte als auch – insbesondere – Unterwäsche zu zeigen. Dass dies kein Einzelfall war, zeigen etwa die im ersten Kapitel dieses Buches besprochenen Büstenhalter oder Strumpf bänder. Obgleich es nur wenige Bilder von nähenden Frauen in der öffentlichen Ikonosphäre gab und die Journalzeichnungen mehr zur Inszenierung einer heilen Welt dienten als zur praktischen Anleitung bei der Kleideranfertigung, tauchten hin und wieder praktische Ratgeber für kleine Änderungen auf: Hosen kürzen, Unterwäsche auf bessern (das verhältnismäßig häufigste Motiv), Kleidung verzieren. Abbildung 5.25: Modeseiten.

Quelle: Constanze (1948), Nr. 6, S. 10.

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Im Gegensatz zu ganzen Kleidern oder Mänteln, die eher von Schneiderinnen oder sehr geschickten Hausfrauen genäht wurden, waren das Tätigkeiten, die man dem Großteil der damaligen Leserinnen zumuten konnte. Auf manchen Abbildungen wurde beispielsweise eine Nadel mit Faden dargestellt – ein Zeichen, das offensichtlich signalisieren sollte, dass die gegebenen Kleidungsstücke selbst hergestellt werden konnten. Im Vergleich zu den beinahe unzähligen Modejournalzeichnungen in jeder Ausgabe vieler Frauenzeitschriften stellten solche Rubriken allerdings nur einen kleinen Bruchteil aller Modebilder dar. Es gab in den Zeitschriften auch – wenn auch nicht sonderlich oft – Ratgeber zum Häkeln und Sticken, allerdings traten sie nur selten im Zusammenhang mit der Kleidungsfertigung auf. Im Allgemeinen wurden Tipps zur Verzierung von Geschenken für eine nahestehende Person oder zur Dekoration des Haushalts gedruckt (Tischdeckchen, Servietten, Wandteppiche usw.). Abbildung 5.26: Ratgeberrubrik für Leserinnen.

Quelle: Sie (1945), Nr. 2, S. 5.

Das hier präsentierte Beispiel ist ein außergewöhnlich frühes, da es bereits von Dezember 1945 stammt. Es handelt sich folglich um einen Bereich, in dem wir Parallelen zur Wohnungseinrichtung finden, die sich insbesondere um die Herstellung einer gemütlichen Atmosphäre für die ganze Familie drehten, um

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die Schaffung warmer (im wortwörtlichen wie auch übertragenen Sinne) und freundlicher Innenräume, die sich vom unangenehmen Äußeren absetzten. Letztlich sei noch erwähnt, dass die Münchner Monatszeitschrift Der Regenbogen etwa auch Ratgeber für eine Aufhübschung von Dirndln abdruckte. Zum einen scheint es, dass es sich damals um ein Luxusproblem handelte – insbesondere, da Dirndl sehr teuer (wenn man sie käuflich erwarb) oder arbeitsaufwändig waren (wenn man sie in Handarbeit herstellte). Zum anderen aber konnte angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Deutschen Osten traditionellen bayrischen Mustern eine nicht zu unterschätzende, symbolische Bedeutung anhaften. Hieß es im Vorwort dieses Buches nach Bernhard Waldenfels, dass die »Normalisierung« der Nachkriegszeit sich einem Traditionalismus annähert 83, so lassen sich Vorschläge zur selbstständigen Verzierung bayrischer Trachtenkleidung als hervorragendes Beispiel dafür lesen.

Z wischen Tr adition und M oderne Die Visualisierung des Haushalts ist ein Bereich, in dem Normalisierungsdiskurse besonders sichtbar werden. Die Vorstellung davon, wie zu wohnen, kochen, putzen oder nähen sei, ist zugleich eine Projektion erwünschter Lebensund Familienmodelle. In solchen Bildern wird die Rollenverteilung in der Familie besonders klar. So geht es nicht allein darum, dass Frauen alle Haushaltsaufgaben übernehmen sollen, was damals (unabhängig von der Nachkriegssituation) selbstverständlich war, sondern auch um die Frage, wie die Familie definiert wird (Kinder sind als Zukunftsgarantie zweifelsohne vorgesehen, nicht mehr aber die Großeltern und weiter entfernte Verwandte, die – angesichts der Wohnungsmuster für drei bis vier Bewohner – aus der Kernfamilie ausgeschlossen werden) sowie in welcher Verbindung die Familienmitglieder zueinander stehen – ob sie gemeinsam schlafen, speisen und die Freizeit verbringen. Da es sich um einen stark industrialisierten Bereich handelt, insbesondere im Hinblick auf die Elektrogeräte, darf die starke Politisierung des visuellen Haushaltsdiskurses nicht verwundern. Demnach ist weder die eigene Küche noch das eigene Wohnzimmer ein ausschließlich privater Bereich. Die Figuren auf den Abbildungen bekennen sich – direkt oder indirekt – zu bestimmten Ideologien, sei es durch die Faszination für eine amerikanische Einbauküche oder durch die Zustimmung zur These, dass an der Zerstörung des Wohnraums Hitler die Schuld trage. In dieser Perspektive ist selbst das Neueinrich83 | Waldenfels, Bernard: Grenzen der Normalisierung. Studien zur Phänomenologie des Fremden, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 3.

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ten des eigenen Wohnzimmers – insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone – ein antifaschistischer Akt. Die Normalisierung des Haushalts erfolgte durch eine geschickte Verbindung gut bekannter Traditionen und neuer, aus den alliierten Ländern stammender Konzepte. Die Abbildungen von Frauen in modernen Einbauküchen oder beim Staubsaugen mit den neuesten Modellen erinnerten jedoch stets daran – meistens in der Bildunterschrift oder im Kommentar, dass solche Errungenschaften in der unmittelbaren Nachkriegszeit der deutschen Hausfrau (noch) unzugänglich waren. Denn Zeichnungen von eleganten Damen in gemütlichen und geputzten Wohnungen hatten mit der damaligen Realität tatsächlich wenig zu tun. Sie waren eine Erinnerung an die Vergangenheit und zugleich ein Wunsch für die Zukunft.

Fazit Die visuelle Kultur im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit formte sich in einem Spannungsverhältnis zwischen vielen, auf den ersten Blick sich gegenseitig ausschließenden Faktoren. Christoph Kleßmann bemerkt zwei für den besprochenen Zeitraum charakteristische Tendenzen, die seines Erachtens »als schwer miteinander vereinbar scheinen«1: Einerseits waren Symptome der Desorganisation unübersehbar (z. B. an erhöhten Scheidungsraten und Kriminalitätsziffern von Jugendlichen ablesbar). Anderseits haben empirische Untersuchungen auch die These bestätigt, daß sich die Familie in einer zusammengebrochenen politischen und wirtschaftlichen Gesamtordnung als »Stabilitätsrest« erwies, indem angesichts der äußeren Bedrohung Erhaltung und Zusammenarbeit der Familie zum »Ziel der sozialen und individuellen Bedürfnisse und Verhaltensweisen gemacht« wurden. 2

Tatsächlich spiegeln sich sowohl die Desorganisation als auch die Stabilität in der visuellen Kultur der Nachkriegszeit wider, aber die einzelnen Bilder belegen, dass sich diese Phänomene nicht gegenseitig ausschlossen. Repräsentationen von Desorganisation erfolgten mit dem Zweck einer Stabilisierung; so zielten beispielsweise Bilder von Geschlechtskrankheiten auf die Treue in der Ehe ab, und in allen Zonen kritisierten die Besatzungsmächte die Prostitution, indem sie die Frauen auf das Modell von Kinder, Küche, Kirche reduzierten.3 Die katholische Monatszeitschrift Regenbogen nahm diesen Slogan übrigens wortwörtlich. Es handelte sich dabei um eine insofern paradoxe Strategie, als das konservative Frauenmodell in den 1930er Jahren zum Erfolg der nationalsozia1 | Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 19451955, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1991, S. 57. 2 | Ebd. Das Zitat im Zitat stammt aus: Schelsky, Helmut: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Stuttgart: Enke 1954, S. 13. 3 | Paletschek, Sylvia: Kinder – Küche – Kirche, in: Etienne François / H agen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München: C. H. Beck 2001, S. 419-433.

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listischen Politik beigetragen hatte4 und sich in den 1950er Jahren vor allem in der Bundesrepublik etablierte. Neben Desorganisation und Stabilität ist das zweite Begriffspaar, das einen Rahmen für die in diesem Buch analysierten Bilder darstellt, die Tradition und die Moderne. Im fünften Kapitel schrieben wir in Bezug auf Bilder von Haushaltsgeräten, dass die Spezifik des visuellen Normalisierungsdiskurses auf einer kompetenten Verflechtung idealisierter Imaginationen eines zukünftigen Lebens mit bestehenden Traditionen und Erfahrungen der deutschen Gesellschaft beruhte. Dieser Mechanismus wird in unterschiedlichem Maße auch in Visualisierungen von Ernährungs- und Gesundheitsthemen sichtbar. Bilder spartanischer, beinahe aus dem Nichts zubereiteter Gerichte sind so inszeniert, dass sie an traditionelle Mahlzeiten erinnern. Den visuellen Gesundheitsdiskurs hingegen prägten Fotografien oder Filme, die damals moderne medizinische Gerätschaften präsentierten. Das visuelle Versprechen von »Normalität« beruhte auf einem Gefühl von Kontinuität, auf der Suggestion, dass die Schwierigkeiten der Gegenwart ein Übergangszustand sind und das »normale« Leben in der Zukunft dem der Vergangenheit ähneln, zugleich aber besser sein würde. Die hier angeführten Dichotomien wurden von den Interessen der alliierten Besatzungsmächte und der deutschen Bevölkerung sowie der Politik und der Wirtschaft (auch wenn sich diese oft gegenseitig widersprachen) überlagert. Mochten die Besatzungsmächte und die Gesundheitsämter angesichts der sich ausbreitenden Geschlechtskrankheiten auch sexuelle Enthaltsamkeit beschwören, so gaben Unternehmer gleichzeitig Werbungen für Schminke, Parfüm und Unterwäsche in Auftrag, in denen Frauen recht eindeutig als Objekt der Begierde dargestellt wurden. In einigen Fällen aber ergänzten sich diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Bilder (unterschiedlicher Interessegemeinschaften): Presseartikel in Zeitschriften wie der Heute oder der Neuen Berliner Illustrierten sowie in den Wochenschauen Welt im Film und Der Augenzeuge thematisierten den Hunger, indem sie den Beitrag der Besatzungsmächte für die Lebensmittelversorgung – insbesondere der Kinder – unterstrichen. Frauen-, Jugend- und sogar Filmzeitschriften waren voll von Werbeanzeigen für Kindernahrung. Dem Anschein zum Trotz kristallisiert sich daraus eine ziemlich kohärente Botschaft, die ein Ende des Hungers verspricht. Im ersten Fall machten Regierungsvertreter dieses Versprechen; im zweiten Fall die Lebensmittelindustrie. Die Bilder des Normalisierungsdiskurses enttäuschen zwar als historische Quellen, wenn man versucht, mit ihnen die Richtigkeit von Fakten in Archiven und Egodokumenten zu illustrieren oder zu belegen. Insbesondere die 4 | Der Slogan KKK selbst war Gegenstand von Satire in der britischen und amerikanischen Besatzungszone (ebd., S. 425).

Fazit

Werbung stand in einem interessanten Missverhältnis zu Narrativen von der Schwierigkeit, in der frühen Nachkriegszeit Grundnahrungsmittel erwerben zu können – und das auf Lebensmittelmarken. Aus den Reklamebildern der frühen Nachkriegszeit gehen keine Informationen darüber hervor, wann die Produkte wieder erhältlich sein würden.5 Abbildungen von Brühwürfeln, Backzutaten, Süßigkeiten oder Nährpräparaten für Kinder machten im Allgemeinen unerfüllbare und realitätsferne Versprechungen. Die Tatsache aber, dass diese Bilder nicht die »Wirklichkeit« wiedergaben (dies tut Werbung übrigens nie), bedeutet nicht, dass sie die Unwahrheit sagten: »So lange die historische Lesart korrekt ist, ergiebig, geistreich und quellengebunden ist und sich auf ›Bilder‹ unterschiedlicher Couleur stützt, macht es nichts, ob die Bedeutung ›korrekt‹ ist«6, behauptet Michael Ann Holly in ihrer Diskussion mit Mieke Bal. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Horst Bredekamp, wenn er über oberflächlich »unwahre« Bilder spricht: »Was sie dagegen dokumentieren, ist der Wille, eine solche [Szene] im Bild zu überliefern. Sie verweisen auf etwas, was es möglicherweise niemals gegeben hat, was sich aber ereignet haben könnte. Sie bilden die Spur einer wahren Fiktion.« 7 Folglich geben diese Bilder nicht die jeweilige Welt wieder, sondern sie erschaffen eine bestimmte Vision von ihr. Die Arbeit mit visuellen Praktiken der Massenkultur eröffnet auch einen Raum für die Reflexion zum Thema historischer Narrative und ihrer Diskurse. »›Geschichte‹ ist ein Konzept, auf das man sich nur selten in zeitgenössischen visuellen Studien beruft; und falls doch, so fällt die Distanz zwischen den historischen Horizonten zu schnell zusammen«8, schreibt Holly. Auf alte Texte und Bilder legen wir neue Begriffsnetze, die in späteren Epochen geprägt wurden. Die Mehrheit der Vorstellungen von den wichtigsten Themen und Motiven der Nachkriegsepoche entspricht nämlich unserer gegenwärtigen Perspektive. Unser heutiges Wissen, zeitgenössische Wertesysteme und letztlich auch aktuelle Wissenschaftstrends entscheiden darüber, was in der Analyse von historischem Material als wesentlich und bemerkenswert erscheint. Die Proportionen des professionellen und populären historiografischen Diskurses reflektieren somit nicht die Themenverteilung in dem von uns besprochenen Zeitraum – 5 | Zu Werbung als historischer Quelle vgl. Heßler, Martina: »Mrs. Modern Woman«. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung, Frankfurt a. M. / N ew York: Campus 2001, S. 150-154. 6 | Holly, Michael Ann: Responses to Mieke Bal’s »Visual Essentialism and the Object of Visual Culture« (2003): Now and then, in: Journal of Visual Culture 2 (2003), S. 238242, hier S. 241. (Übers. d. Verf.) 7 | Bredekamp, Horst: Bildakte als Zeugnis und Urteil, in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin /  M ainz: von Zabern 2004, S. 29-66, hier S. 47. 8 | M. A. Holly: Responses, S. 240. (Übers. d. Verf.)

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im Hinblick auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre spiegelt sich dies etwa an der vergleichbar großen Zahl von Studien zu den verschiedenen Facetten der Trümmerfrauen wider. Die Bilder, die zur Konstruktion dieser Figur gedient hatten, waren in der visuellen Kultur der frühen Nachkriegszeit in Deutschland gar nicht besonders sichtbar gewesen: Im Vergleich zu anderen Motiven wurden Fotografien von Frauen bei der Enttrümmerung deutscher Städte nur sporadisch gedruckt. Die bekannteste Figur der Nachkriegszeit, die sich für den Wiederauf bau der deutschen Städte aufopferte, ist in den letzten Jahren als politischer Mythos dekonstruiert worden.9 In großem Maße auf Fotografien basierend, illustriert dieser Mythos die Falle der »fotografischen Wahrheit«.10 Ein zusätzliches Problem ist das Fokussieren bestimmter Arbeiten auf einzelne Medien oder Motive. In der Forschung wird generell die Tatsache unbeachtet gelassen, dass die Rezipientinnen und Rezipienten unterschiedliche Filme und Zeitschriften lasen, Plakate betrachteten oder Briefmarken sammelten (ein damals sehr beliebter Zeitvertreib). Der multimediale Charakter der Rezeption, die Überlagerung von Motiven und die gegenseitigen Bezüge von Bildern aus derselben Ikonosphäre – all dies sind an sich äußerst interessante (Forschungs)Themen, die eine eigene Bearbeitung verdienen. Die gegenseitige Durchdringung von Themen und ihr Übergang von einem in ein anderes Medium lassen sich mithilfe der Kategorie der Konvergenzkultur nach Henry Jenkins beschreiben.11 Zwar bezog er sich auf die Situation, die im Zeitalter der elektronischen und digitalen Medien entstanden war, doch das Phänomen einer gegenseitigen Durchdringung von Medien lässt sich bereits in früheren Epochen beobachten. Die Konzeption von Propagandakampagnen (beispielsweise im Bereich der Gesundheitsprophylaxe) auf der Basis von Dokumentar- und Spielfilmen, Ausstellungen, Plakaten, Flugblättern, Radiosendungen oder Expertenvorträgen ist ein hervorragendes Beispiel für eine bewusste Nutzung der Möglichkeiten, die die Koexistenz unterschiedlicher Medien bietet. Nicht immer handelte es sich dabei um gut aufeinander abgestimmte Aktivitäten. Es kam vor, dass sich eine Konvergenz aus einer gegenseitigen Wechselwirkung von auf den ersten Blick voneinander unabhängigen Bildern ergab, was etwa das Beispiel der Gleichzeitigkeit von Ernährungspropaganda der Regierung(en) und Lebensmittelwerbung zeigt. Diese Abhängigkeiten wären für uns allerdings nicht greif bar gewesen, wenn wir uns nur auf 9 | Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegsund Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Essen: Klartext 2014. 10 | Sturken, Marita /  C artwright, Lisa: Practices of Looking. An Introduction to Visual Culture, New York / O xford: Oxford University Press 2009, S. 16-22. (Übers. d. Verf.) 11 | Jenkins, Henry: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide, New York: New York University Press, London 2006.

Fazit

eine – wenn auch detaillierte – Analyse einzelner Pressetitel oder Filmgenres begrenzt hätten. Im Hinblick auf Bilder und Darstellungen vom Ende des Zweiten Weltkriegs stellt Bredekamp fest: »Diese haben sich aufeinander bezogen, in Motiven und Techniken durchdrungen und in numerisch nicht mehr erfaßbaren Mengen durch alle nur denkbaren Reproduktionsmittel von Plakaten bis zu Briefmarken verbreitet.«12 Eine solche Multiplizierung vergrößert die aktive Macht der Bildakte. Im Konzept der Bildakte selbst, so sei noch einmal gesagt, knüpfte Bredekamp an die Theorie der Sprechakte nach John Austin an. Diese Analogie führte der dänische Forscher Søren Kjørup ein, als er Ende der 1970er Jahre den Begriff der pictorial speech acts prägte13; die Kategorie des »Aktes« im Hinblick auf das Bild wandte allerdings bereits 1961 Henri Lefebvre an (l’image est acte), und Philippe Dubois, Fotograf und Visualitätstheoretiker, nahm diese Kategorie 1990 als acte iconique auf. Ein Jahrzehnt später bezeichnete Gottfried Boehm das Bild als »Tatsache und Akt«.14 Die Metapher von Bredekamp reicht jedoch weiter – Bilder sind ihm zufolge nicht nur performative Kommunikationszeichen, sondern autonome Akteure.15 Das Potenzial der Bilder beschränkt sich nicht lediglich auf die Repräsentation, sondern sie verfügen auch über die Kraft, die sie umgebende Welt zu beeinflussen. Die deutsche visuelle Kultur der unmittelbaren Nachkriegszeit trug aktiv zur Gestaltung der deutschen Nachkriegsgesellschaften bei – dies war die These, der wir in diesem Buch gefolgt sind. Tatsächlich bot die Ikonosphäre allerhand Vorstellungen von gut funktionierenden Gesellschaftsstrukturen auf allen Ebenen. Mochten diese Prozesse in den jeweiligen Besatzungszonen zwar unterschiedlich verlaufen (zwischen den westlichen und der sowjetischen Besatzungszone lassen sich etwa wesentliche Unterschiede ausmachen), so verbindet sie doch die Präsenz von Bildern präferierter Geschlechter- und Familienrollen. Auf diese Weise wurden die dominierenden Gesellschaftsmodelle im wortwörtlichen Sinne »sichtbar«. Die Bilder des Normalisierungsdiskurses offenbaren die »Kluft zwischen Realität und Selbsteinschätzung. Die Menschen hielten trotz veränderter Wirklichkeit an alten Idealen und Illusionen fest.«16 Die Reklamen, Presseillustra12 | H. Bredekamp: Bilder als Zeugnis und Urteil, S. 57. 13 | Kjørup, Søren: Pictorial Speech Acts, in: Erkenntnis 12 (1978), Nr. 1, S. 55-71. 14 | Zum Konzept Lefebvres, Dubois’ und Boehms vgl. Bredekamp, Horst: Theorie des Bildaktes, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010, S. 48. 15 | Ebd., S. 51. 16 | Willenbacher, Barbara: Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegsfamilie, in: Martin Broszat / K laus-Dietmar Henke /  H ans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München: Oldenbourg 1988, S. 595-618, hier S. 618.

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tionen, Plakate, Spiel- und Dokumentarfilme spielten eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Illusion. Für den Wiederauf bau traditioneller Familienstrukturen und Geschlechterrollen ist die Rolle der Bilder als »Quasi-Akteure« (W. J. T. Mitchell) daher schwer zu überschätzen. Es geht hier um eine performative, visuelle Botschaft, die bewährte Lebensmodelle in grundlegenden Gesellschaftsbereichen präsentiert. Ein schrittweiser Ausgleich der demografischen Disproportionen, der Druck, eine Familie zu gründen und Kinder zu gebären, ging nicht ausschließlich aus moralischem Zwang hervor. Auf diese Weise wurden die Rahmen(bedingungen) einer »normalen« Gesellschaft rekonstruiert. Maßnahmen zur Gesundheitsprophylaxe, Pressefotografien glücklicher Ehen oder Reklamen mit Bildern fröhlicher Mütter und satter Kinder stellten einen wesentlichen Beitrag zum Normalisierungsprozess dar – sie ermunterten nicht nur zur Nachahmung dieser Modelle, sondern suggerierten auch ihre tatsächliche Realisierung. Die Repräsentationen von Frauen in der Presse oder im Kino nach 1945 stellten diese allgemein in einer von drei Rollen dar – als Mutter und Ehefrau, als Hausfrau (zurecht betont Greg Castillo, dass dieser wichtigen Figur der Nachkriegszeit zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird17) oder als Verführerin, die einen Mann erwartete. In diesem Sinne erhielten die visuellen Kulturen der Nachkriegszeit den status quo ante bellum aufrecht. Gleichzeitig blieb diese Tatsache unbeachtet, da diese Bilder als Teil vorherrschender Diskurse beinahe durchsichtig waren und in der Masse anderer Botschaften mit ähnlichem Inhalt untergingen. In Anbetracht ihrer »Normalität« fielen sie nicht weiter auf (was man von den Trümmerfrauen nicht behaupten kann) und übten durch ihre Alltäglichkeit und starke Präsenz in der Ikonosphäre der deutschen Nachkriegszeit dennoch eine nicht zu unterschätzende Wirkung aus, indem sie dazu beitrugen, die Normalisierung des Gesellschaftslebens und der Geschlechterrollen zu forcieren.

17 | Castillo, Greg: The American »Fat Kitchen« in Europe. Postwar Domestic Modernity and Marshall Plan Strategies of Enchantment, in: Oldenziel / Z achmann, Cold War Kitchen (2009), S. 33-57, hier S. 36.

Anhang

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Z eitschrif tenverzeichnis • • • • • • • • • • • • •

Berliner Zeitung Constanze Film-Echo Filmpost-Magazin Die Frau von heute Frauenwelt Für Dich Heute Horizont Illustrierte Rundschau Neue Berliner Illustrierte Neue Filmwelt Die neue Filmwoche

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Neue Zeitung Neues Deutschland Regenbogen Sie Der Simpl Der Spiegel Süddeutsche Zeitung Tägliche Rundschau Technik und Co. Ulenspiegel Welt der Frau Die Welt

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F ilmverzeichnis Spielfilme Hafen im Nebel (Le Quai des brumes), 1938, F, Regie: Marcel Carné. Casablanca, 1941, USA, Regie: Michael Curtiz. Das Haus der Lady Alquist (Gaslight), 1944, USA, Regie: George Cukor. Eine auswärtige Affaire (A Foreign Affair), 1945, USA, Regie: Billy Wilder. Oh, Susanne (The Affairs of Susan), 1945, USA, Regie: William A. Seiter. Rom, offene Stadt (Roma città aperta), 1945, IT, Regie: Roberto Rossellini. Irgendwo in Berlin, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Gerhard Lamprecht. Die Mörder sind unter uns, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Wolfgang Staudte. Paisà, 1946, IT, Regie: Roberto Rossellini. Schleichendes Gift, 1946, AT, Regie: Hermann Wallbrück. Die große Illusion (La Grande Illusion), 1947, F, Regie: Jean Renoir. … und über uns der Himmel, 1947, DE (amerikanische Besatzungszone), Regie: Josef von Báky. Zwischen Gestern und Morgen, 1947, DE (amerikanische Besatzungszone), Regie: Harald Braun. Berliner Ballade, 1948, DE (amerikanische Besatzungszone), Regie: Robert Stemmle. Deutschland im Jahre Null (Germania anno zero), 1948, IT, Regie: Roberto Rossellini. Fahrraddiebe (Ladri di biciclette), 1948, IT, Regie: Vittorio de Sica. Straßenbekanntschaft, 1948, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Peter Pewas. Der dritte Mann (The Third Man), 1949, GB, Regie: Carol Reed. Liebe 47, 1949, DE (britische Besatzungszone), Regie: Wolfgang Liebeneiner. Das Wunder von Mailand (Miracolo a Milano), 1951, IT, Regie: Vittorio de Sica. Die Müßiggänger (I vitelloni), 1953, IT, Regie: Federico Fellini. La strada, 1954, IT, Regie: Federico Fellini. Der dritte Teil der Nacht (Trzecia część nocy), 1971, PL, Regie: Andrzej Żuławski.

Dokumentar-, Kultur- und Werbefilme Es werde Licht!, 1916-1918, DE, Regie: Richard Oswald. Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen, 1919, DE, Regie: Curt Tomalla, Nicolas Kaufmann. Falsche Scham, 1925 / 26, DE, Regie: Curt Tomalla, Nicolas Kaufmann. Feind im Blut, 1931, DE, Regie: Walter Ruttmann.

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Opfer der Vergangenheit, 1937, DE, Regie: Gernot Bock-Sieber. Fight Syphilis, 1942, USA, Regie: Owen Murphy. Berlin im Auf bau, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Kurt Maetzig. Dresden, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Richard Groschopp. Es ist leider so!, 1946, DE (britische Besatzungszone [?]), Regie: N. N. Fleckfieber droht!, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Hans Cürlis. Seuchengefahr, 1946, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: Hans Cürlis. Der Lebensbaum unseres Volkes, 1947, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: N. N. Die verblüffende Neuheit, 1947, DE (sowjetische Besatzungszone), Regie: N. N. Hunger, 1948, DE (amerikanische Besatzungszone), Regie: Karlheinz Schmidt [?]. Reaktion: positiv, 1948, DE (amerikanische Besatzungszone), Regie: Karlheinz Schmidt. Feinde im Blut, 1948 / 1949, DE (britische Besatzungszone), Regie: Hans Mohaupt.

Wochenschauen Der Augenzeuge: 11 / 1945, 17 / 1945, 25 / 1946, 38 / 1947, 62 / 1947, 89 / 1948, 94 / 1948, 95 / 1948, 107 / 1948, 115 / 1948, 120 / 1948, 122 / 1948, 128 / 1948 Welt im Film: 18 / 1945, 35 / 1946, 43 / 1946, 52 / 1946, 62 / 1946, 78 / 1946, 80 / 1946, 86 / 1947, 93 / 1947, 178 / 1948, 178 / 1948, 236 / 1949

Histoire Dietmar Hüser (Hg.) Populärkultur transnational Lesen, Hören, Sehen, Erleben im Europa der langen 1960er Jahre Januar 2017, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3133-3

Marcel Reinold Doping als Konstruktion Eine Kulturgeschichte der Anti-Doping-Politik Dezember 2016, 400 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3761-8

Stefan Poser Glücksmaschinen und Maschinenglück Grundlagen einer Technik- und Kulturgeschichte des technisierten Spiels Dezember 2016, ca. 402 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3610-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Heidi Sack Moderne Jugend vor Gericht Sensationsprozesse, »Sexualtragödien« und die Krise der Jugend in der Weimarer Republik November 2016, 490 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3690-1

Martin Schmitt Internet im Kalten Krieg Eine Vorgeschichte des globalen Kommunikationsnetzes September 2016, 250 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3681-9

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.) Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie August 2016, 296 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3021-3

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