Bilder der Liebe: Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit [1. Aufl.] 9783839418697

Der Liebesdiskurs der Frühen Neuzeit nimmt eine wichtige Position in zahlreichen literarischen und künstlerischen Werken

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German Pages 340 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Bilder der Liebe. Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse Eine Einführung
Adam als Liebespartner. Zur Konstruktion eines neuen Männlichkeitsideals in Sündenfalldarstellungen des frühen 16. Jahrhunderts
Raffael und das Bildnis der Ehefrau. Liebessemantik und aequalitas in der Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts
Ehe, Ehre, Keuschheit. Artemisia Gentileschis Susanna und die beiden Alten
Liebe und Ehe. Bürgerliche Utopie in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts
Heterotopien der Liebe. Bilder illegitimen Begehrens, Standortfragen und die verborgenen Liebesdiskurse der Marquise de Pompadour
Bildbegehren und Texterotik. Ambivalente Lektüren weiblicher Aktdarstellungen in der Frühen Neuzeit
Geschlechternorm und Liebesdiskurs aus weiblicher Sicht. Tullia d’Aragona, Louise Labé und Gaspara Stampa
Homoerotisches Begehren im italienischen Jünglingsporträt des Cinquecento. Parmigianinos Bildnis eines jungen Mannes im Louvre
Give and Take. Michelangelo and the Drawings for Tommaso de’Cavalieri
Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester. Kunsthistorische Forschung zur Homoerotik zwischen Frauen
Autorinnen und Autoren
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Bilder der Liebe: Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit [1. Aufl.]
 9783839418697

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Doris Guth, Elisabeth Priedl (Hg.) Bilder der Liebe

Image | Band 29

Doris Guth, Elisabeth Priedl (Hg.)

Bilder der Liebe Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit

Der Druck dieser Publikation wurde gefördert durch die Akademie der bildenden Künste Wien, der Kulturabteilung der Stadt Wien, der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste, das Kulturreferat des Landes Burgenland sowie Context XXI – Verein für Kommunikation und Information.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Lektorat & Satz: Christa Leutgeb Korrektorat: Jan Wenke, Leipzig Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Lucas Cranach d.Ä., Adam und Eva im Paradies (Sündenfall), bpk/Gemäldegalerie SMB/Jörg P. Anders (Detail) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1869-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Bilder der Liebe Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse Eine Einführung Elisabeth Priedl und Doris Guth ................................................................... 7

Adam als Liebespartner Zur Konstruktion eines neuen Männlichkeitsideals in Sündenfalldarstellungen des frühen 16. Jahrhunderts Verena Krieger ............................................................................................... 29

Raffael und das Bildnis der Ehefrau Liebessemantik und aequalitas in der Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts Birgit Witte ..................................................................................................... 

Ehe, Ehre, Keuschheit Artemisia Gentileschis Susanna und die beiden Alten Elisabeth Priedl .............................................................................................. 99

Liebe und Ehe Bürgerliche Utopie in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts Daniela Hammer-Tugendhat ......................................................................

Heterotopien der Liebe Bilder illegitimen Begehrens, Standortfragen und die verborgenen Liebesdiskurse der Marquise de Pompadour Claudia Denk ............................................................................................... 147

Bildbegehren und Texterotik Ambivalente Lektüren weiblicher Aktdarstellungen in der Frühen Neuzeit Ulrich Pfisterer............................................................................................. 191

Geschlechternorm und Liebesdiskurs aus weiblicher Sicht Tullia d’Aragona, Louise Labé und Gaspara Stampa Silke Segler-Meßner .....................................................................................

Homoerotisches Begehren im italienischen Jünglingsporträt des Cinquecento Parmigianinos Bildnis eines jungen Mannes im Louvre Andreas Plackinger ..................................................................................... 241

Give and Take Michelangelo and the Drawings for Tommaso de’Cavalieri Lisa K. Regan................................................................................................ 271

Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester Kunsthistorische Forschung zur Homoerotik zwischen Frauen Doris Guth.................................................................................................... 301

Autorinnen und Autoren ................................................... 333

Bilder der Liebe Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse Eine Einführung ELISABETH PRIEDL UND DORIS GUTH

D ER LITERARISCH - PHILOSOPHISCHE L IEBES - UND G ESCHLECHTERDISKURS »Wenn wir über die Liebe reden, müsst ihr darunter das Verlangen nach der Schönheit verstehen« (Ficino 2004: 27), lautet die zentrale These in Marsilio Ficinos Symposiumskommentar »De amore«.1 Liebe und Schönheit bilden demnach theoretisch das Idealpaar der Renaissance, das sich auf den ersten Blick in den vielen Liebesdarstellungen der Frühen Neuzeit manifestiert. Diese durch die neuplatonische Literatur verursachte Sublimierung der Liebe und des Liebesaktes führte mitunter zu abenteuerlicher Metaphorisierung und Allegorisierung der Liebe und des Sexualaktes in den künstlerischen Darstellungen und durch die Kunstgeschichte (Stichwort: »Himmlische und Irdische Liebe« von Tizian). Der Imagination der Künstler_innen und der Betrachter_innen wurde 1 | Vgl. Ficino, Marsilio: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (lateinisch/ deutsch, herausgegeben von Paul R. Blum), Hamburg 2004. Der Kommentar wurde 1468/69 niedergeschrieben und 1484 zusammen mit der Phaidros-Übersetzung publiziert. Vgl. dazu auch Glanzmann, Sibylle: Der einsame Eros. Eine Untersuchung des Symposion-Kommentars »De amore« von Marsilio Ficino, Tübingen 2006. Einen fundierten Überblick über die Rezeption und Transformation der Liebestheorie Platons in der Renaissance bietet Ebbersmeyer, Sabrina: Sinnlichkeit und Vernunft, München 2002. Zum Schönheitsbegriff im Neuplatonismus vgl. Jäger, Michael: Die Theorie des Schönen in der italienischen Renaissance, Köln 1990, S. 48-56.

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ein breiter Spielraum eingeräumt, der ebenfalls von der Neuplatonik mitgeprägt war, denn als das Objekt der Liebe wurde nicht eine reale Person (ob männlich oder weiblich) postuliert, sondern »die Gestalt, die der Geist erzeugt hat«.2 Der literarisch-philosophische Diskurs über die Liebe dominierte lange das kunsthistorische Nachdenken über die Liebesdarstellungen, sodass ein relativ homogenes Bild von humanistisch geprägter Hermeneutik den Blick auf die soziokulturelle Faktenlage verstellte. Die Facetten von Liebesangelegenheiten sind und waren aber viel weitreichender und spiegeln auch vielfältige gesellschaftliche, juristische und medizinische Aspekte einer Kultur wider. Für die Renaissance schienen die Liebesverhältnisse aus einer positivistischen Sicht ein egalitäres Verhältnis angenommen zu haben, die Jakob Burckhardt geneigt war, als »modern« zu bezeichnen, weil sie anscheinend der Entwicklung des Individuums, auch des weiblichen, theoretisch viel Raum einräumten.3 Dies galt für Burckhardt aber nicht nur für »legitime« heterosexuelle Liebesbeziehungen, sondern ebenso für »illegitime«: »Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilen einen scheinbaren Aufschwung, als wollte sich das Verhältnis der alten Athener zu ihren Hetären erneuern.« (Burckhardt 1928: 372) In dieser Aussage spiegelt sich klar das kulturelle Bezugssystem der italienischen Renaissance wider: die Antike. Mit dem humanistischen Bildungsideal und durch das Studium antiker Texte verbreiteten sich in der gebildeten Oberschicht der Renaissancegesellschaft vermehrt auch Abhandlungen über die Liebe, was auf den ersten Blick ebenfalls ein egalitäres Geschlechterverhältnis in der italienischen Renaissance suggerieren könnte. Trotz der Entfaltungsmöglichkeiten auch der Frauen innerhalb der humanistischen Kultur und in den höfischen Gesellschaften, fungierten diese jedoch weiter als Schattenbild des Männlichen.4 Das Prinzip der Ungleichheit der Geschlechter 2 | Vgl. M. Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl, S. 291: »Was also, mein Freund, liebst du überhaupt? Eine äußere Oberfläche, ja nur ein wenig Farbe, ein geringfügiger Widerschein von Licht und Schatten reißt dich dahin. Dich täuscht wohl eine bloße Einbildung, so dass du vielmehr den liebst, welchen du im Traume, als den du wirklich siehst. […] Du weißt wohl, dass du seinen Besitz nicht der Vortrefflichkeit der außerweltlichen Körper, sondern deinem Geiste verdankst. Liebe also die Gestalt, welche dein Geist erzeugt hat«. 3 | Vgl. Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien, Leipzig 1928, S. 368-367. 4 | Vgl. Segler-Meßner, Silke: »Von der Entdeckung der Selbstbestimmung zur Diskussion über die Stellung der Frau: Der Wandel der Geschlechterbeziehungen in der italienischen Renaissance«, in: Anne-Marie Bonnet/Barbara Schellewald

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war in vielen Bereichen durch tief verwurzelte Traditionen determiniert und blieb bis ins 18. Jahrhundert weitgehend bestehen, sodass die allgemein bekannte und provokante Frage von Joan Kelly-Gadol »Did Women have a Rennaissance?« nur negativ beantwortet werden konnte.5 Trotz der zunehmenden Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen, nicht nur im Rahmen einer höfischen, sondern auch vermehrt innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft, blieb die Frau ein defizitäres Modell des bestimmenden, männlichen Subjekts, die de jure und de facto unter der uneingeschränkten Verfügungsgewalt des Mannes stand.6 Aufschlussreich für die Frühe Neuzeit ist nun, dass diese scheinbare Grundlage der Geschlechterordnung, die biologische Differenz zwischen Mann und Frau, anders betrachtet wurde. Bis ins 18. Jahrhundert hinein ging die herrschende Meinung der Medizin davon aus, dass es nur ein biologisches Geschlecht gäbe, d.h. Frauen und Männer würden anatomisch über die gleichen Genitalien verfügen, die nur einmal nach innen, einmal nach außen gestülpt wären. Dadurch, dass das Geschlecht der Frau vermeintlich nach innen gekehrt war, galt sie als unvollkommene Spielart des Männlichen. Diese Sichtweise wurde vom Historiker Thomas Lacqueur in seiner Studie über die anatomisch-philosophischen Geschlechterentwürfe seit der Antike bis zur Moderne als das Ein-Geschlechter-Modell bezeichnet.7 Obwohl Heinz Jürgen Voß diese einheitliche Darstellung des EinGeschlechter-Modells kritisiert und mehr Diversität in den Quellen (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln u.a. 2004, S. 7-36. 5 | Vgl. Kelly-Gadol, Joan: »Did Women have a Renaissance?«, in: Renate Bridenthal/Claudia Koonz (Hg.), Becoming visible. Women in European History, London/Boston 1977, S. 137-164. Zu den sozialen Rahmenbedingungen und Lebensräumen von Frauen in der Renaissance siehe King, Margaret L.: Frauen in der Renaissance, München 1998. 6 | Diese Ungleichheit der Geschlechter wird auf philosophischer Ebene mit den Schriften Aristoteles’ über die »männliche Form« und die »weibliche Materie« begründet, auf theologischer Ebene in der Genesisexegese des Paulus, im Bereich der Medizin in den Lehren Galens und auf juristischer Ebene aus den Verfügungen des kanonischen und zivilen Rechts abgeleitet. Zu den platonischen und aristotelischen Ursprüngen der Geschlechterungleichheit siehe Sissa, Giulia: »Platon, Aristoteles und der Geschlechterunterschied«, in: Pauline Schmitt Pantel (Hg.), Antike (Geschichte der Frauen, Bd. 1, herausgegeben von Georges Duby und Michelle Perrot), Frankfurt/New York 1993, S. 67-102. 7 | Vgl. Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt/M. 1992. Siehe dazu auch Spannbauer, Christa: Das verqueere Begehren, Würzburg 1999, S. 14-18.

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sieht,8 zeigt diese Sichtweise auf den Geschlechtskörper exemplarisch die Grundprämissen der Gender Studies auf: Wenn es wechselnde Konzeptionen vom Ein- zum Zwei-Geschlechter-Modell gibt, dann existiert die vermeintliche Natürlichkeit der Körper nicht. Sie wird in den Gender Studies durch prozessuale Herstellungsverfahren ersetzt, die durch die jeweils herrschenden kulturellen, sozialen und politischen Kräfte verhandelt werden. Diese kulturellen Praktiken schließen also nicht nur das soziale Geschlecht mit ein, sondern reichen bis zur Materialität der Körper. Die historische Geschlechterforschung, die diesen Konstrukten nachgegangen ist, hat in den letzten Jahrzehnten aufschlussreiche Beiträge in dieser Hinsicht geleistet, indem sie vor allem einer Methoden übergreifenden Prämisse folgte: der Einbeziehung und kritischen Reflexion des Begriffs »Geschlecht« als historisch-soziale Kategorie.9 Diese umfasst alle Aspekte der Geschlechterkonstruktion – auch das Erlernen geschlechtsspezifischen Gefühlslebens. Gefühle wie die Liebe sind abseits individueller Ausprägung und individuellen Erlebens in ein soziales Regelwerk des Erlaubten und Tolerierten bzw. Unerlaubten und Verbotenen eingebettet. Politische, religiöse und kulturelle Faktoren legen fest, wie Liebe definiert wird und wie diese die Geschlechterordnung mitbestimmt. Anhand von Liebesgeschichten lassen sich also auch Geschlechtergeschichten skizzieren, deren Lesbarkeit in den Kunstwerken der Frühen Neuzeit im Zentrum der Tagung »Questioni d’amore. Liebes und Geschlechterverhältnisse in der bildenden Kunst der Frühen Neuzeit« an der Akademie der bildenden Künste Wien, im März 2010, stand. Aus deren Beiträgen, die auf den Pionierarbeiten der Gender Studies aufbauen, ist vorliegender Sammelband entstanden, der durch relevante Aspekte erweitert wurde.10 8 | Vgl. Voß, Heinz-Jürgen: Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive, Bielefeld 2010; vor allem Kapitel 1 und 2. 9 | Vgl. Wunder, Heide: »Frauen- und Geschlechtergeschichte«, in: Günther Schulz et al. (Hg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven (= Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 169), Wiesbaden 2004, S. 305-325, sowie Wiesner-Hanks, Merry E.: Gender in History, Oxford 2001. 10 | Siehe dazu Schade, Sigrid/Wenk, Silke: »Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz«, in: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hg.), Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, S. 340-407. Im Bereich der visuellen Repräsentation von Geschlechterverhältnissen waren es vor allem die seit 1982 in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Kunsthistorikerinnen-Tagungen, die hier wesentliche Anstöße für die Forschungen eingeleitet haben und durch die Publikation der Tagungsbeiträge

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Wie wichtig der Liebesdiskurs für die Geschlechterverhältnisse war, belegt auch die enorme Fülle an Texten, die sich damit beschäftigten: Vom Spätmittelalter bis ca. 1625 lassen sich von Italien, über Frankreich bis nach England über 800 Titel zum Thema »Liebe« nachweisen, worin auf unterschiedliche Art und Weise die Geschlechterverhältnisse ausverhandelt werden.11 Unter den Vorzeichen der Querelles des femmes meldeten sich seit Christine de Pizan auch vermehrt Schriftstellerinnen zu Wort, welche diese Diskussion und ihre Rollenzuweisungen nicht einfach männlichen Autoren überlassen wollten bzw. sich gezwungen sahen, auf eindeutig misogyne Schriften zu reagieren.12 Das heisst auch, dass feministische Diskussionen nicht erst im 20. Jahrhundert geführt wurden und Frauen bereits im 15. Jahrhundert zur Feder griffen, um sich als Autorinnen Gehör und Öffentlichkeit zu verschaffen.13 Wenn Edith Saurer für das 20. Jahrhundert feststellte, dass eine Geschichte der Geschlechterbezie-

fundierte Grundlagen lieferten. Vgl. dazu die Publikationen, die aus diesen Tagungen hervorgingen: Falkenhausen, Susanne von/Förschler, Silke/Reichle, Ingeborg/Uppenkamp, Bettina (Hg.): Medien der Kunst: Geschlecht, Metapher, Code (= Beiträge der 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Berlin 2002), Marburg 2004; Hoffmann-Curtius, Kathrin/Wenk, Silke (Hg.): Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit (= Akten der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Tübingen 1996), Marburg 1997; Lindner, Ines/Schade, Sigrid/Wenk, Silke/Werner, Gabrielle (Hg.): Blick-Wechsel, Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte (= Beiträge der 4. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Berlin 1988), Berlin 1989; Barta, Isebill/Breu, Zita/Hammer-Tugendhat, Daniela/Jenni, Ulrike/ Nierhaus, Irene/Schöbel, Judith (Hg.): Frauen-Bilder, Männer-Mythen, Kunsthistorische Beiträge (= Beiträge der 3. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Wien 1986), Berlin 1987. 11 | Vgl. Kelso, Ruth: Doctrine for the Lady of the Renaissance, Urbana 1956; spezifisch zu den Liebestraktaten der italienischen Renaissance siehe Lorenzetti, Paolo: La bellezza e l’amore nei trattati del Cinquecento, Pisa 1917, und Zonta, Giuseppe: Trattati d’Amore del Cinquecento, Bari 1912. 12 | Vgl. S. Segler-Meßner: Von der Entdeckung der Selbstbestimmung zur Diskussion über die Stellung der Frau, S. 7-36. Zu den italienischen und französischen Querelle des femmes des 15. bis 17. Jahrhunderts siehe u.a. Zimmermann, Margarete: »Vom Streit der Geschlechter«, in: Bettina Baumgärtel/Silvia Neysters (Hg.), Die Galerie der Starken Frauen. Regentinnen, Amazonen, Salondamen, München 1995, S. 14-33, und Hassauer, Friederike (Hg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der »Querelle des femmes« zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008. 13 | Vgl. Jordan, Constance: Renaissance Feminism. Literary Texts and Political Models, Ithaca/London 1990.

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hungen nicht ohne die Frage nach der Liebe geschrieben werden kann,14 so gilt dies in vollem Umfang auch für die Frühe Neuzeit und darüber hinaus: Sowohl die brennenden Fragen in den Liebesverhältnissen als auch die gesellschaftlichen Veränderungen durch vermehrte Bildungsmöglichkeiten versetzten Frauen in die Lage, sich partiell in den Liebesdiskurs aktiv sprechend und schreibend einzubringen. Hier ist explizit auf den Unterschied zwischen dem Sprechen über die Liebe als Ausweis sozialer Fertigkeit innerhalb einer höfischen Gesellschaft und der Liebe aus Ausdruck von Gefühlen hinzuweisen. Die petrarkistische Liebeslyrik zählte zum Ausbildungskanon von jungen adeligen Frauen, wodurch aus einem Fundus an literarischen Formen geschöpft werden konnte und somit das Sprechen über die Liebe zu den wichtigsten Elementen der höfischen Unterhaltung avancierte. Dabei handelte es sich aber, laut Silke Segler-Meßner, in den wenigsten Fällen um das Sprechen über die Liebe als Ausdruck von Gefühlen, sondern um eine Geste der Wertschätzung und Ehrerbietung innerhalb eines bestimmten sozialen Systems und somit einer gesellschaftlichen Erwartung. Die Liebeserklärung an eine Dame sollte ihr und ihrer Umwelt beweisen, dass man sie ihres Ranges und Status wegen einer solchen Liebe für würdig hielt. Somit wird das petrarkistische Grundmuster, das die reale oder imaginäre Distanz des/ der Schreibenden zum Objekt seiner Verehrung als Motiv des Schreibens behandelt, zu den Forderungen eines höfischen Rituals, wobei aber das scheinbar Intime der sprachlichen Annäherung unter den Vorzeichen der Unverbindlichkeit steht. Es waren zuerst Dichterinnen, wie Vittoria Colonna oder Gaspara Stampa, die sich hier stark engagierten. Im Jahr 1547 kam es jedoch einer Sensation gleich, als sich eine Schriftstellerin in den Liebesdiskurs auf theoretisch-philosophischer Ebene einbrachte: Tullia d’Aragona setzte sich in ihrem Werk Dialogo della infinitá di amore mit dem Thema Liebe in der platonischen Liebestheorie auseinander, machte aber sehr deutlich, dass sie selbstbewusst gegen die postulierte Inferiorität der Frau eintritt und dass sie sich in ihren Ausführungen mehr auf die »Autorität der Erfahrung« stützt als auf alle Begründungen der Philosophen.15 Die intel-

14 | Vgl. Saurer, Edith: »Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus«, in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 8/1 (1997), S. 6-21. 15 | Vgl. D’Aragona, Tullia: Dialog über die Unendlichkeit der Liebe (aus dem Italienischen von Martin Haag), Tübingen 1988. Zur Biografie Tullia d’Aragonas vgl. Osols-Wehden, Irmgard (Hg.): Frauen der italienischen Renaissance. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen, Darmstadt 1999, S. 51-64; Antes, Monika: Die

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lektuelle und sexuelle Gleichheit von Mann und Frau, die an kritischen Punkten explizit formuliert wird, ist Grundtenor und Voraussetzung für ihre Definition der ehrenhaften Liebe, an der auch die gefühlsmäßigen Fähigkeiten beider Liebenden Anteil haben. Auf diese selbstbewusste Stellungnahme im Liebesdiskurs wurde prompt, wie allgemein bekannt ist, mit Zweifeln über eine weibliche Autorenschaft und trotz ihres hohen Bildungsstandes mit sozialer Ächtung der Autorin reagiert, was sehr viel über die prekäre Situation einer hoch angesehenen Kurtisane, wie es Tullia d’Aragona war, aussagt.16 Diese Auseinandersetzung demaskiert auch deutlich die ambigue Moralvorstellung des 16. Jahrhunderts, die zum einen das Aufblühen des antiken Hetärenwesens lobte (und deren visuelle Repräsentation in unzähligen Kunstwerken dokumentiert ist), zum anderen aber die Kurtisanen je nach Aktualität und Anlass von den Höfen und Salons durch repressive Gesetzgebung an den Rand der Gesellschaft drängte. Im Beitrag von Silke Segler-Meßner geht es anhand von Analysen dreier Schriftstellerinnen, Tullia d’Aragona, Louise Labé und Gaspara Stampa, um die Ambiguität weiblichen Schreibens in der Renaissance. Denn um überhaupt gehört zu werden, müssen die Autorinnen zunächst einer spezifisch weiblichen Rollenerwartung Rechnung tragen, um im Spannungsfeld männlicher Normierungsversuche die Möglichkeiten einer Revision geschlechtsspezifischer Topoi zu verhandeln.

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Das außergewöhnlich hohe Aufkommen von Liebesthemen in Dichtung, Literatur und Philosophie spiegelt sich in der bildenden Kunst der Renaissance wider. Allein die weite Verbreitung von Darstellungen der Venus bzw. von liegenden weiblichen Akten, die von Italien ihren AusKurtisane Tullia d’Aragona, Tübingen 2006; S. Ebbersmeyer: Sinnlichkeit und Vernunft, S. 203-207. 16 | Zur sozialen Lage der Kurtisanen in der Renaissance: Kurzel-Runtscheiner, Monica: Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 2001; M. Antes: Die Kurtisane Tullia d’Aragona, S. 72. Zweifel über ihre Autorenschaft sowie der Vorwurf, dass sich Tullia d’Aragona als Autorin nur deswegen profilieren wollte, um ihre Identität als Kurtisane zu verschleiern, tauchen selbst in der Literaturkritik des 20. Jahrhunderts auf, wie bei Croce, Benedetto: »Posia popolare e Poesia d’arte«, in: ders., Scritti di Storia letteraria e politica 28, Bari 1967, S. 414.

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gang nimmt, bezeugt dieses vitale Interesse. Diese Bilder, die ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der mythologischen Figur der Venus in Deckung gebracht wurden, sind in der Renaissance omnipräsent. Als paradigmatische Verkörperung eines humanistischen Leitthemas erscheinen sie in vielfältigen Ausprägungen, wobei man nicht extra darauf hinweisen muss, dass die Ausführungen dieser Bildnisse im 15. und 16. Jahrhundert vorwiegend in männlichen Händen lagen. »Wer über Venus redet, wird früher oder später über Männer reden müssen; und wer über die in der frühen Neuzeit Italiens entstandenen Bilder der Venus schreibt, wird früher oder später über Widersprüche schreiben müssen.« (Flemming 2001: 25) Die Gestalt der Venus als Projektion und Imagination von männlichen Autoren bündelt gleichzeitig virulente Fragen der Geschlechterverhältnisse in unterschiedlichen Kontexten. Neben dem Konflikt zwischen männlichem Begehren und den Moralvorstellungen einer Gesellschaft wird gleichzeitig die Projektion über Weiblichkeit und auch über Geschlechterverhältnisse verhandelt. Victoria von Flemming lokalisiert im 16. Jahrhundert den Beginn eines Prozesses, den sie als männlichen Konflikt »von selbst verordneter und zu gesellschaftlicher Norm erklärter Moral und der Neubewertung eines ihr zuwider laufenden sexuellen Begehrens« (ebd.) beschreibt. Die Spannungen zwischen sexueller Attraktion und moralisch richtigem Verhalten sind auch in einem belehrenden Schwank von Valentin Schumann aus dem Jahr 1559 über eine weibliche Aktdarstellung virulent. Neben zwei weiteren italienischen Texten aus dem 16. bzw. 17. Jahrhundert steht dieser nördlich der Alpen entstandene Schwank im Zentrum von Ulrich Pfisterers Beitrag über Bild-Begehren und TextErotik, welcher eine ambivalente Lektüre weiblicher Aktdarstellungen anbietet sowie die imaginative Projektion über die liebend-erotische Überwindung der Bildgrenzen hinaus darlegt. Diese Analysen erweitern das Spektrum bisheriger Funktionen der Aktdarstellungen in ganz unterschiedliche Richtungen: »Das Verwendungsspektrum dieser Darstellungen scheint dabei potenziell unbegrenzt – von der Repräsentation zur sexuellen Stimulation, vom Geschenk zum Fetisch, vom Tugendappell zum Objekt sexueller Aufklärung«, so Pfisterer im vorliegenden Band. Neben dem breiten Aufkommen von Venus- bzw. weiblichen Aktdarstellungen in der Renaissance innerhalb kürzester Zeit ist auch ein enormes Interesse an weiteren mythologischen und biblischen Liebespaardarstellungen in der Kunst festzustellen, anhand derer eine zunehmende

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Erotisierung abzulesen ist.17 Dieses Phänomen trifft auch auf die Darstellungen der biblischen Ureltern Adam und Eva zu: Die im Zuge der Privatisierung der Rezeption entstandenen neuen ästhetischen Bedürfnisse gingen einher mit einer Sexualisierung der Paradiesszene, die selbstredend ein beträchtliches Potenzial als Bildgelegenheit für Aktdarstellungen bot.18 Immer mehr wurden die Darstellungen des Ur-Paares aus den Erzählungen isoliert und somit den Akten respektive der Körperlichkeit und den Möglichkeiten der Relation von Weiblichkeit und Männlichkeit große Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser Prozess der zunehmenden Erotisierung wird im Beitrag von Verena Krieger thematisiert. Durch die dezidierte Umdeutung der biblischen Erzählung als sexuellen Akt konnte die Ursünde als Sexualdelikt deklariert werden.19 Im Gegensatz zu einigen mythologischen Szenerien, aus welchen das Verschwinden »der männlichen Protagonisten aus dem Feld der Repräsentation« (Hammer-Tugendhat 2009: 15) festzustellen ist, ist dies bei der Darstellung des Sündenfalls nur eingeschränkt möglich, was dazu führte, dass Adam selbst als sexuelles Wesen und auch als aktiver Sexualpartner von Eva stilisiert werden konnte. Verena Krieger untersucht in ihrem Beitrag die vielfältigen Möglichkeiten der Adamdarstellungen: Adam als leidendes Opfer, als zärtlicher Liebhaber und als sexueller Delinquent. Diese Abhandlung muss auch vor dem sozialgeschichtlichen und theologischen Hintergrund der Institution Ehe betrachtet werden, der im Laufe des 16. Jahrhunderts eine immer größere Bedeutung zuwuchs.

17 | Vgl. zum Phänomen des »Verschwindens« der männlichen Protagonisten die fundamentalen Untersuchungen von Daniela Hammer-Tugendhat; zuletzt: Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln u.a. 2009; dies.: »Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians«, in: Daniela Erlach/Markus Reisenleitner/Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. u.a. 1994, S. 367-446. 18 | Vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Jan von Eyck: Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz«, in: Anja Zimmermann (Hg.), Kunstgeschichte und Gender, Berlin 2006, S. 73-97. 19 | Vgl. Ebbersmeyer, Sabrina: »Zwischen Imitation und Subversion. Der Dialog über die gleiche bzw. ungleiche Sünde Adams und Evas von Isotta Nogarola (1418–1466)«, in: Bodo Guthmüller (Hg.), Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance, Wiesbaden 2004, S. 105-121.

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»L EGITIME « L IEBESVERHÄLTNISSE : D IE E HE UND IHRE BILDLICHE R EPRÄSENTATION Obwohl die katholische Kirche seit dem 13. Jahrhundert versuchte, den sakramentalen Charakter der Ehe zu stärken, blieb eine vor kirchlichen Zeugen geschlossene Ehe weiterhin Angelegenheit eines bestimmten Standes, der aus genealogischen und erbrechtlichen Gründen auf die Sichtbarmachung der Ehe angewiesen war.20 Diese adeligen und bürgerlichen Ehen als auch diverse Formen von Konkubinaten sind oft gut dokumentiert und stellen in Form von Ehepaar- bzw. Verlobungsbildnissen ein zentrales Thema in der frühneuzeitlichen Porträtkunst dar. Zahlreiche Porträts wurden zum Zweck der Eheanbahnung der herrschenden Klasse kreuz und quer durch Europa geschickt.21 Eines dieser Porträts hat Birgit Witte zum Ausgangspunkt ihrer Analysen über die Liebessemantik in der Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts genommen. Das Bildnis einer jungen, aus wohlhabendem Hause stammenden Frau ist höchstwahrscheinlich Raffael zuzuschreiben. Auf mehreren Ebenen entspricht das offensichtlich (be-)werbende Bildnis der jungen Frau den Idealen einer zukünftigen Ehefrau. Welche spezielle Rolle das Knotenmotiv dabei spielt, das mehrfach im Gemälde aufscheint, wird ebenso thematisiert wie der Einfluss des literarischen Liebesdiskurses auf diverse Ehepaarporträts von Raffael und Tizian. Zahlreiche Studien zur Ehe in der Frühen Neuzeit stützen sich auf gut dokumentierte Verträge adeliger und gutbürgerlicher Ehegemeinschaften. Damit entstand ein nahezu monolithisches Bild der Ehe, wobei die vielen anderen Möglichkeiten sozial akzeptierter und eingeübter Formen des Zusammenlebens von Mann und Frau marginalisiert wurden. Nach neuestem Forschungsstand dürften aber »wilde« Formen der Ehe viel weiter verbreitet gewesen sein als lange angenommen.22 Hier zeigt sich deutlich die Diskrepanz zwischen

20 | Vgl. Müller, Maria E. (Hg.): Eheglück und Liebesjoch. Bilder von Liebe, Ehe und Familie in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Weinheim/Basel 1988. 21 | Zum Eheporträt vgl. Hinz, Berthold: »Studien zur Geschichte des Ehepaarbildnisses«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaften 19 (1974), S. 139-218, und Faby, Everett: »The Marriage Portrait in the Renaissance or Some Women Named Ginevra«, in: Andrea Bayer (Hg.), Art and Love in Renaissance Italy, Ausstellungskatalog: The Metropolitan Museum of Art, New York/New Haven/London 2009, S. 17-27. 22 | Vgl. Cristellon, Cecilia: »Public Display of Affection: The Making of Marriage in the Venetian Courts before the Council of Trent (1420-1545)«, in: Sara F. Matthews-Grieco (Hg.), Erotic Cultures of Renaissance Italy, Farnham 2010,

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gesellschaftlichen Praktiken und institutionellen Normierungsversuchen vonseiten kirchlicher und weltlich-juridischer Körperschaften. Obwohl immer wieder Versuche unternommen wurden, auch Eheangelegenheiten durch eine verordnete Zeugenschaft offiziell zu machen, dürften inoffizielle Formen des Zusammenlebens, vor allem in sozial weiter unten stehenden Schichten, häufig vorgekommen sein. Der große Paradigmenwechsel für die Bedeutung der Ehe mit weitreichenden Konsequenzen für den sozialen Status der Frauen fand mit Martin Luther statt, der sich gegen die Sakramentalität der Ehe wandte.23 Nach Auffassung der Reformation war die Ehe eine weltliche Institution, und folglich wurden nach der Reformationsordnung eigene Ehegerichte eingesetzt. Dies stellte einen weiteren Versuch dar, die sogenannten Winkelehen zu verhindern, indem das Öffentlichmachen und das Zeugenerfordernis zumindest auf der normativen Ebene eingeführt wurden.24 Heimliche Eheschließungen waren dennoch bis zum 16. Jahrhundert weit verbreitet.25 Nicht wenige Fälle von sexueller Gewalt, die im 16. Jahrhundert vor diversen gerichtlichen Instanzen verhandelt wurden, zeugen von der anhaltenden Praxis, dass Ehen heimlich, ohne Zeugen und ohne Einwilligung der Eltern und mitunter durch ein Vergewaltigungsdelikt begründet wurden.26 Der geläufige deutsche Begriff Vergewaltigung trifft in diesem Zusammenhang auch nicht exakt den damaligen rechtlich reS. 173-197; Seidel Menchi, Silvana/Quaglioni, Diego (Hg.): Trasgressioni. Seduzione, concubinato, adulterio, bigamia, Bologna 2004, S. 7-18. 23 | Vgl. Lorenz, Dagmar: »Vom Kloster zur Küche: Die Frau vor und nach der Reformation Dr. Martin Luthers«, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1985, S. 7-35. 24 | Vgl. Burghartz, Susanna: »Verführung oder Vergewaltigung? Reden über sexuelle Gewalt vor dem Basler Ehegericht in der Frühen Neuzeit«, in: Bettina Dausien/Martina Herrmann/Mechtild Oechsle/Christiane Schmerl/Marlene Stein-Hilbers (Hg.), Erkenntnisprojekt Geschlecht. Feministische Perspektiven verwandeln Wissenschaft, Opladen 1999, S. 325-344. 25 | Vgl. Vogt-Lüerssen, Maike: Der Alltag im Mittelalter, Mainz-Kostheim 2001, S. 112-114. Verwiesen sei hier auf die bekannte Rede des Franziskanermönchs Berthold von Regensburg († 1272), der immer wieder gegen diese Winkelehen wetterte und sich explizit an Frauen wandte: »Man soll auch in den Winkeln keine Ehe haben oder machen. Darum, ihr Frauen […] so hütet euch vor der Winkelehe. Wer euch vor den Leuten die Ehe nicht geloben will, dessen Gelübde sollt ihr in dem Winkel nimmer annehmen […] denn er will euch betrügen.« (zit. nach VogtLüerssen 2001: 113) 26 | In einigen reformierten Städten wurden mit dem Durchbruch der Reformation 1529 nicht nur die Reformationsordnung, sondern auch Ehegerichte einge-

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levanten Tatbestand des Stuprums – d.h. Geschlechtsverkehr mit einer unbescholtenen Frau im Sinne von Unzucht.27 Fälle von Stuprum wurden an italienischen Gerichten sowohl an säkularen als auch an kirchlichen Instanzen oft verhandelt, besonders in den Jahren, bevor das Konzil von Trient hier härter durchzugreifen versuchte. Ein besonders aufsehenerregender Fall ereignete sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Rom, als sich der Vater der jungen Malerin Artemisia Gentileschi an das päpstliche Gericht wandte, um die Vergewaltigung seiner Tochter anzuzeigen. Der Beitrag von Elisabeth Priedl setzt sich mit diesem Prozess im Zusammenhang mit den Vorstellungen von Ehe sowie den Tugenden der Ehre und Keuschheit auseinander und wirft ein neues Licht auf den sozialgeschichtlichen Kontext dieses Falls. Wie sehr sich der Zugang zum Thema Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts wandelte, zeigt eindrücklich der Beitrag von Daniela Hammer-Tugendhat anhand des bekannten Gemäldes von Rembrandt van Rijn, der sogenannten »Judenbraut«. In den bürgerlichen, weitgehend kalvinistisch geprägten Niederlanden des 17. Jahrhunderts wurde, so Hammer-Tugendhat, in Ansätzen eine Konzeption von Ehe entwickelt, die mit gewissen Variationen bis weit in die Moderne gültig blieb. Dabei handelte es sich um die Vorstellung einer affektiven Beziehung, einer Verbindung von Liebe und Ehe, die auf gegenseitiger Pflicht und Verantwortung, auch bezüglich der gemeinsamen Kinder, beruhte und damit die Grundlage eines sozialen Gefüges darstellte. Dieses neue Verständnis wird auch durch umfangreiche Schriften in den Niederlanden dokumentiert.

»I LLEGITIME « L IEBESVERHÄLTNISSE UND IHRE VISUELLEN C ODIERUNGEN Bevor sich dieses Konzept der affektiven Liebesbeziehung vermehrt durchsetzen konnte, blieb die arrangierte Ehe in bestimmten Gesellschaftskreisen, verbunden mit ökonomischen, sozialen und politischen Interessen, im Vordergrund. Parallel dazu existierten verschiedene Formen »illegitimer« Liebesverhältnisse. Eine Spielart davon stellt die gesellsetzt, die sowohl aus weltlichen als auch aus geistlichen Richtern bestanden. Vgl. S. Burghartz: Verführung oder Vergewaltigung?, S. 325-342. 27 | Zum Tatbestand des Stuprums im 16. Jahrhundert vgl. Koch, Elisabeth: Maior dignitas est in sexu virili. Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1991, S. 91-99.

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schaftlich weit verbreitete Praxis des Konkubinats dar, die erst im Falle einer Öffentlichmachung bzw. Skandalisierung in einer breiten Öffentlichkeit disziplinarische Maßnahmen mit sich brachte. Im Beitrag von Claudia Denk wird das heikle Thema der Standortfragen dieses verborgenen Liebesdiskurses sowie seine Schutzstrategien am Beispiel der Mätresse des französischen Königs Ludwig XV., Marquise de Pompadour, behandelt. Die Autorin wirft die bislang noch nicht gestellte Frage auf, inwiefern mit den beiden gegenläufigen Entwicklungen – dem neuen normativen eherechtlichen Rahmen seit dem Konzil von Trient einerseits und den weiterhin gepflogenen außerehelichen Beziehungen andererseits – eine sorgfältige Ausdifferenzierung der Sozialräume einherging, in welchen Repräsentationen illegitimen Begehrens gezeigt werden konnten oder, aufgrund der zu befürchtenden Sanktionen, verborgen werden mussten.

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Nicht nur, dass viele »illegitime« heterosexuelle Liebesverhältnisse unter dem Deckmantel von mythologisch-allegorischen Darstellungen maskiert wurden, auch die gleichgeschlechtliche Liebe, die durch die herrschende Gesetzeslage des Sodomieverbots streng geahndet wurde, musste sich diverser Codes bedienen, die nur von adressierten Eingeweihten als solche verstanden werden konnten. Lange wurde die homoerotische Liebe in der Renaissance von der Kunstgeschichte marginalisiert und unter der Vorherrschaft der platonischen Liebestheorie metaphysisch interpretiert. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wahrscheinlich die Ganymedzeichnung Michelangelos, die unter dem Einfluss gelehrter ikonologischer Anleitung als Apotheose der christlichen Seele interpretiert wurde. Somit konnte das Verhältnis zwischen Michelangelo und Tommaso de’Cavalieri rein auf die platonische Lehrer-Schüler-Ebene transferiert werden, ohne die Möglichkeiten eines homosozialen Begehrens berücksichtigen zu müssen. Lisa K. Regan stellt diese These in ihrem Beitrag infrage, indem sie den mehr als verbindlichen Charakter eines Geschenkes im frühen Cinquecento analysiert. Nicht nur der Akt des Schenkens, sondern auch eine Geschenkannahme kreierte eine gegenseitige Verbindlichkeit, die weit über unsere gegenwärtigen Gepflogenheiten hinausging. Dieser Blick auf Kunstwerke, der ihre möglichen homoerotischen Implikationen fokussiert, ist erst durch die historischen Untersuchungen der Gender Studies und Queer Studies möglich geworden, da diese nicht nur

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die Gesellschaft der Frühen Neuzeit in Italien als eine patriarchal organisierte, sondern auch als eine homosozial dominierte decodierten.28 Das Konzept der Homosozialität beschränkte sich jedoch nicht allein auf soziale Kontakte einer männlich dominierten Gesellschaft, sondern umfasste auch verschiedene Stufen von emotionalen und sexuellen Aspekten, wie in der Studie von Eve Kosofsky Sedgwick für das 19. Jahrhundert exemplarisch dargelegt wurde.29 Zu dieser spezifischen Lage trug der Umstand bei, dass sich junge Männer erst relativ spät verheiraten konnten, sowie ein philosophischer Überbau, der »Männerfreundschaften« mit dem theoretisch-philosophischen Liebesdiskurs aufs Engste verband.30 Was die Kunstproduktion der Renaissance sowie die Kunstwissenschaft betrifft, so lüftet sich der »Mantel des Sokrates« (Pfisterer 2008: 343) nach und nach, unter dem der Philosoph mit dem schönen Alkibiades eine gemeinsame Nacht verbracht haben soll, angeblich tugendhaft und keusch, trotz aller fleischlichen Versuchungen. Untersuchungen für Venedig und Florenz haben gezeigt, in welch verbreitetem Ausmaß sexuelle Praktiken zwischen Männern gepflogen wurden, welchen Alters die involvierten Personen waren und wie die Codes gleichgeschlechtlicher erotischer Anbahnungen entschlüsselt werden konnten. Die Ergebnisse widersprechen der These einer massiven Marginalisierung der männlichen Homoerotik eindeutig.31 Die Bandbreite der subversiven Ausdrucksmöglichkeiten des gleichgeschlechtlichen männlichen Begehrens 28 | Der Begriff der Homosozialität wurde vom Soziologen Jean Lipman-Blumen 1976 in die Geschlechterforschung eingeführt. Vgl. Lipman-Blumen, Jean: »Toward a Homosocial Theory of Sex Roles«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 1 (1976), S. 15-31. Vgl. auch Meuser, Michael: Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit, auf: http://www.ruendal.de/ aim/pdfs/Meuser.pdf vom 23.02.2011. 29 | Vgl. Kosofsky Sedgwick, Eve: Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire, New York 1985, S. 1-20. Zur Bedeutung dieser Arbeit für die aktuellen Queer Studies vgl. Barber, Stephen M./Clark, David L. (Hg.): Regarding Sedgwick: Essays on Queer Culture and Critical Theory, New York/London 2002. 30 | Sehr fundiert mit zahlreichen Quellen zum semantisch weiten Thema von Männerfreundschaften siehe Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008; die Ambivalenz zwischen Freundschaft und Liebe wird besonders deutlich im Kapitel 10, S. 258-286: »Amor amicitiae«: Männerfreundschaft zwischen Ideal und Skandal. 31 | Vgl. Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros. Sex Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York/Oxford 1985, und Rocke, Michael: Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York/Oxford 1996.

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war groß. Durch die Einbeziehung des wichtigen Bereichs des sogenannten Kunsthandwerks in die kunstwissenschaftlichen Analysen zeigt sich immer deutlicher, wie weit verbreitet die Darstellungen eines solchen Begehrens waren. Viele Freundschaftsgaben lassen sich unterdessen als Liebesgaben titulieren, von bestimmten Porträts über Medaillen bis hin zu Kunstobjekten wie Maiolika-Arbeiten oder Glaspokale. Oft ist es die Verwendung einer spezifischen Ornamentik, z.B. auf der Rückseite eines Bildes oder auf der Rahmung, die auf ein gleichgeschlechtliches, immer auch verbotenes, Liebesverhältnis hinweist.32 In den Möglichkeiten, Illegales und Verbotenes zum Ausdruck zu bringen, zeigt sich auch das große Potenzial der bildenden Künste, denn worüber man offiziell nicht sprechen durfte, das konnte doch gezeigt werden.33 Dass sich homoerotisches Begehren oft gar nicht maskieren musste, sondern unter dem Konzept der Homosozialität mitunter aufs Engste mit der hegemonialen männlichen Macht in Einklang gebracht werden konnte, zeigt sich anschaulich an den mehrdeutig angelegten Botschaften in hochoffiziellen politischen Werken, wie Adrian W.B. Randolph anhand von Donatellos Bronze-David zeigen konnte.34 Die Skulptur des jugendlichen David erweist sich nach Randolph als so reich an Interpretationsebenen, dass sie sowohl als offizielles Symbol der Macht der Medici interpretiert werden kann als auch, unter soziokulturellen Aspekten betrachtet, als Monument der gängigen Homosozialität in Florenz. Diffiziler gestalten sich die Analysen und Klassifizierungen zahlreicher anonymer Männer- oder Jünglingsporträts, die ebenfalls im Rahmen der gesellschaftlichen Normierung von Männlichkeit und der bewussten Überschreitung dieser Norm zu verhandeln sind.35 Andreas Plackinger behandelt in seinem Beitrag über ein Parmigianino zugeschriebenes Jünglingsporträt aus dem Louvre diese Normüberschreitung. Er themati32 | Vgl. U. Pfisterer: Lysippus und seine Freunde, S. 287-342. 33 | Beispiele dafür, wie Kunstwerke eine herrschende patriarchale Ideologie umgehen können, gibt es auch aus der mittelalterlichen Kunst. Vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Aspekte der subversiven Funktion von Kunst«, in: Becher, Ursula A.J./Rüsen, Jörn: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt/M. 1988, S. 150-173. 34 | Vgl. Randolph, Andrian W.B.: »Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der frühen Neuzeit, Köln u.a. 2004, S. 35-52. 35 | Vgl. Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts – Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten/Berlin 2006.

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siert die subtilen Qualitäten des Porträts – sowohl über den Diskurs von Schönheit und Affekt als auch über die Identifizierung als lyrisches Männerporträt hinausreichend. Das ambigue Spiel von Geschlechtlichkeit und spezifischer Repräsentationsform charakterisiert dieses Porträt, welches sich weiterhin durch seine performative Souveränität auszeichnet. Während sich eine zunehmende Zahl von Kunsthistoriker_innen mit der Homoerotik zwischen Männern beschäftigt, bleiben viele Fragen nach der Repräsentation weiblicher Homoerotik in Kunstwerken weitgehend offen. Historische und literaturwissenschaftliche Studien belegen aber auf der Basis von juristischen, literarischen, medizinischen sowie theologischen Texten eindeutig die weite Verbreitung sexueller Praktiken zwischen Frauen im 16. und 17. Jahrhundert.36 Selbst der Dildo, der mitunter zum gemeinsamen Gebrauch Verwendung fand, war so bekannt, dass er in Wörterbüchern des 16. Jahrhunderts Erwähnung fand.37 Doris Guth geht in ihrem Text der kunsthistorischen »Zurückhaltung« nach und fragt nach den Gründen für die heterosexuelle Überbetonung. Das Verhältnis zwischen hierarchischer Geschlechterdifferenz und normativer Heterosexualität ist konstituierend für das Sagbare als auch für das Unsagbare. Neben einer queeren, wissenschaftskritischen Analyse des Forschungsstands zeigt die Autorin exemplarisch anhand der Rezeptionsgeschichte des Bildnisses Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester die »Ambivalenzen der Sichtbarkeit« (Schaffer 2008) weiblicher Homoerotik auf.

36 | Vgl. u.a. Brown, Judith: »Lesbian Sexuality in Renaissance Italy: The Case of Sister Benedetta Carlini«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 9/4 (1984), S. 751-758; Simons, Patricia: »Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture: Diana und Other Cases of Donna con Donna«, in: Whitney Davis (Hg.), Gay and Lesbian Studies in Art History, Binghamton 1994, S. 81-122; Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros. Sex, Crimes and Sexuality in Renaissance Venice, New York/Oxford 1985; Crompton, Louis: »The Myth of Lesbian Impunity. Capital Laws from 1270 to 1791«, in: Journal of Homosexuality 1-2 (1980/81), S. 11-25; Traub, Valerie: »The (In)significance of Lesbian Desire in Early Modern England«, in: Susan Zimmerman (Hg.), Erotic Politics: Desire on the Renaissance Stage, New York 1992, S. 150-169; Fadermann, Lilian: Köstlicher als die Liebe der Männer. Romantische Freundschaft und Liebe zwischen Frauen von der Renaissance bis heute, Zürich 1990; Crawford, Katherine: The Sexual Culture of the French Renaissance, Cambridge 2010. 37 | Vgl. Simons, Patricia: The Cultural History of »Seigneur Dildoe«, in: Allison Levy (Hg.), Sex Acts in Early Modern Italy. Practice, Performance, Perversion, Punishment, Farnham u.a. 2010, S. 78.

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Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu diesem Band und die produktive Zusammenarbeit. Ebenso danken wir jenen Personen und Institutionen, deren finanzielle und organisatorische Unterstützung die Veröffentlichung möglich gemacht haben: der Akademie der bildenden Künste, hier im Besonderen dem Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften (Felicitas Thun-Hohenstein, Sabeth Buchmann und Ruth Sonderegger), der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste (Sylvia Eisenburger-Kunz), der Magistratsabteilung 7 der Stadt Wien für Wissenschafts- und Forschungsförderung (Hubert Christian Ehalt, Angelika Lantzberg), dem Land Burgenland (Helmut Bieler und Pia Bayer) sowie dem Verein Context XXI, insbesondere Heide Hammer. Danke auch an Christa Leutgeb, deren Lektorat und Layout die Textund Bildbeiträge erst zu einem Buchmanuskript formte, und Christine Jüchter vom transcript Verlag für die konstruktive Zusammenarbeit.

L ITERATUR Antes, Monika: Die Kurtisane Tullia d’Aragona, Tübingen 2006. Barber, Stephen M./Clark, David L. (Hg.): Regarding Sedgwick: Essays on Queer Culture and Critical Theory, New York/London 2002. Barta, Isebill/Breu, Zita/Hammer-Tugendhat, Daniela/Jenni, Ulrike/Nierhaus, Irene/Schöbel, Judith (Hg.): Frauen-Bilder, Männer-Mythen (= Beiträge der 3. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Wien 1986), Berlin 1987. Brown, Judith: »Lesbian Sexuality in Renaissance Italy: The Case of Sister Benedetta Carlini«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 9/4 (1984), S. 751-758. Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien, Leipzig 1928 (18691). Burghartz, Susanna: »Verführung oder Vergewaltigung? Reden über sexuelle Gewalt vor dem Basler Ehegericht in der Frühen Neuzeit«, in: Bettina Dausien/Martina Herrmann/Mechtild Oechsle/Christiane Schmerl/Marlene Stein-Hilbers (Hg.), Erkenntnisprojekt Geschlecht. Feministische Perspektiven verwandeln Wissenschaft, Opladen 1999, S. 325-344. Crawford, Katherine: The Sexual Culture of the French Renaissance, Cambridge 2010. Cristellon, Cecilia: »Public Display of Affection: The Making of Marriage in the Venetian Courts before the Council of Trent (1420-1545)«, in:

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Sara Matthews-Grieco (Hg.), Erotic Cultures of Renaissance Italy, Farnham 2010, S. 173-197. Croce, Benedetto: Scritti di Storia letteraria e politica 28, Bari 1967. Crompton, Louis: »The Myth of Lesbian Impunity. Capital Laws from 1270 to 1791«, in: Journal of Homosexuality 1-2 (1980/81), S. 11-25. D’Aragona, Tullia: Dialog über die Unendlichkeit der Liebe (aus dem Italienischen von Martin Haag), Tübingen 1988. Ebbersmeyer, Sabrina: Sinnlichkeit und Vernunft, München 2002. Ebbersmeyer, Sabrina: »Zwischen Imitation und Subversion. Der Dialog über die gleiche bzw. ungleiche Sünde Adams und Evas von Isotta Nogarola (1418-1466)«, in: Bodo Guthmüller (Hg.), Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance, Wiesbaden 2004, S. 105-121. Erlach, Daniela/Reisenleitner, Markus/Vocelka, Karl (Hg.): Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. u.a. 1994, S. 367-446. Faby, Everett: »The Marriage Portrait in the Renaissance or some Women named Ginevra«, in: Andrea Bayer (Hg.), Art and Love in Renaissance Italy, Ausstellungskatalog The Metropolitan Museum of Art, New York/New Haven/London 2009, S. 17-27. Fadermann, Lilian: Köstlicher als die Liebe der Männer. Romantische Freundschaft und Liebe zwischen Frauen von der Renaissance bis heute, Zürich 1990. Falkenhausen, Susanne von/Förschler, Silke/Reichle, Ingeborg/Uppenkamp, Bettina (Hg.): Medien der Kunst: Geschlecht, Metapher, Code (= Beiträge der 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Berlin 2002), Marburg 2004. Ficino, Marsilio: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (lateinisch/ deutsch, herausgegeben von Paul R. Blum), Hamburg 2004. Flemming, Victoria von: »Schön – aber böse. Venus, die Männer und die Psychoanalyse«, in: Ekkehard Mai (Hg.), Faszination Venus. Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel, Köln 2001, S. 25-33. Flemming, Victoria von: Arma Amoris. Sprachbilder und Bildsprache der Liebe, Mainz 1996. Glanzmann, Sibylle: Der einsame Eros. Eine Untersuchung des Symposion-Kommentars »De amore« von Marsilio Ficino, Tübingen 2006. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Aspekte der subversiven Funktion von Kunst«, in: Ursula A.J. Becher/Jörn Rüsen (Hg.), Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt/M. 1988, S. 150-173.

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Hammer-Tugendhat, Daniela: »Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians«, in: Daniela Erlach/Markus Reisenleitner/Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. u.a. 1994, S. 367-446. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Jan von Eyck: Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz«, in: Anja Zimmermann (Hg.), Kunstgeschichte und Gender, Berlin 2006, S. 73-97. Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln u.a. 2009. Hassauer, Friederike (Hg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der »Querelle des femmes« zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008. Hinz, Berthold: »Studien zur Geschichte des Ehepaarbildnisses«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaften 19 (1974), S. 139-218. Hoffmann-Curtius, Kathrin/Wenk, Silke (Hg.): Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit (= Beiträge der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Tübingen 1996), Marburg 1997. Jäger, Michael: Die Theorie des Schönen in der italienischen Renaissance, Köln 1990. Jordance, Constance: Renaissance Feminism. Literary Texts and Political Models, Ithaca/London 1990. Kelly-Gadol, Joan: »Did Women have a Renaissance?«, in: Renate Bridenthal/Claudia Koonz (Hg.), Becoming Visible. Women in European History, London/Boston 1977, S. 137-164. Kelso, Ruth: Doctrine for the Lady of the Renaissance, Urbana 1956. King, Margaret L.: Frauen in der Renaissance, München 1998. Koch, Elisabeth: Maior dignitas est in sexu virili. Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1991. Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts – Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten/Berlin 2006. Kosofsky Sedgwick, Eve: Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire, New York 1985. Kurzel-Runtscheiner, Monica: Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 2001. Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt/M. 1992. Lindner, Ines/Schade, Sigrid/Wenk, Silke/Werner, Gabrielle (Hg.): BlickWechsel, Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in

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Kunst und Kunstgeschichte (= Beiträge der 4. KunsthistorikerinnenTagung in Berlin 1988), Berlin 1989. Lipman-Blumen, Jean: »Toward a Homosocial Theory of Sex Roles«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 1 (1976), S. 15-31. Lorenz, Dagmar: »Vom Kloster zur Küche: Die Frau vor und nach der Reformation Dr. Martin Luthers«, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1985, S. 7-35. Lorenzetti, Paolo: La bellezza e l’amore nei trattati del Cinquecento, Pisa 1917. Meuser, Michael: »Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit«, auf: http://www.ruendal.de/aim/pdfs/Meuser.pdf vom 23.02.2011. Müller, Maria E. (Hg.): Eheglück und Liebesjoch. Bilder von Liebe, Ehe und Familie in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Weinheim/ Basel 1988. Osols-Wehden, Irmgard (Hg.): Frauen der italienischen Renaissance. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen, Darmstadt 1999, S. 51-64. Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008. Randolph, Andrian W.B.: »Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der frühen Neuzeit, Köln u.a. 2004, S. 35-52. Rocke, Michael: Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York/Oxford 1996. Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros. Sex Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York/Oxford 1985. Saurer, Edith: »Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus«, in: L’Homme 8/1 (1997), S. 6-21. Schade, Sigrid/Wenk, Silke: »Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz«, in: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hg.), Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, S. 340-407. Schaffer, Johanna: Ambivalenzen der Sichtbarkeit, Bielefeld 2008. Segler-Meßner, Silke: »Von der Entdeckung der Selbstbestimmung zur Diskussion über die Stellung der Frau: Der Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Italienischen Renaissance«, in: Anne-Marie

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Bonnet/Barbara Schellewald (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln u.a. 2004, S. 7-36. Seidel Menchi, Silvana/Quaglioni, Diego (Hg.): Trasgressioni. Seduzione, concubinato, adulterio, bigamia, Bologna 2004, S. 7-18. Simons, Patricia: »Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture: Diana and other Cases of Donna con Donna«, in: Whitney Davis (Hg.), Gay and Lesbian Studies in Art History, Binghamton 1994, S. 81-122. Simons, Patricia: »The Cultural History of ›Seigneur Dildoe‹«, in: Allison Levy (Hg.), Sex Acts in Early Modern Italy. Practice. Performance. Perversion. Punishment, Farnham u.a. 2010, S. 77-91. Sissa, Giulia: »Platon, Aristoteles und der Geschlechtsunterschied«, in: Pauline Schmitt Pantel (Hg.), Antike (Geschichte der Frauen, Bd. 1, herausgegeben von Georges Duby und Michelle Perrot), Frankfurt/ New York 1993, S. 67-102. Spannbauer, Christa: Das verqueere Begehren, Würzburg 1999. Traub, Valerie: »The (In)significance of Lesbian Desire in Early Modern England«, in: Susan Zimmerman (Hg.), Erotic Politics: Desire on the Renaissance Stage, New York 1992, S. 150-169. Vogt-Lüerssen, Maike: Der Alltag im Mittelalter, Mainz-Kostheim 2001. Wiesner-Hanks, Merry E.: Gender in History, Oxford 2001. Wunder, Heide: »Frauen- und Geschlechtergeschichte«, in: Günter Schulz et al. (Hg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven (= Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 169), Wiesbaden 2004, S. 305-325. Zimmermann, Margarete: »Vom Streit der Geschlechter«, in: Bettina Baumgärtel/Silvia Neysters (Hg.), Die Galerie der Starken Frauen. Regentinnen, Amazonen, Salondamen, München 1995, S. 14-33. Zonta, Giuseppe: Trattati d’Amore del Cinquecento, Bari 1912.

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Adam als Liebespartner Zur Konstruktion eines neuen Männlichkeitsideals in Sündenfalldarstellungen des frühen 16. Jahrhunderts 1 VERENA K RIEGER

In den bildenden Künsten um 1500 wird die Genesiserzählung vom Sündenfall der Ureltern nördlich wie südlich der Alpen zu einem der wichtigsten bildlichen und literarischen Sujets. War das Motiv bis ins 15. Jahrhundert hinein fast ausschließlich als Teil zyklischer Genesisillustrationen verbildlicht worden, eingebunden in die Erzählung von der Schöpfung bis zur Vertreibung aus dem Paradies, so wird es nun aus dem narrativen Kontext herausgelöst und zu einem autonomen Bildgegenstand. Die Darstellung wird diesseitig und naturalistisch, das Sujet erfährt vielfältige ikonografische Neuerungen.2 1 | Dieser Beitrag ist Teil einer umfangreicheren Studie »Der Sündenfall als Sexualdelikt. Adam und Eva in der Kunst um 1500«, die voraussichtlich im Jahr 2012 bei Böhlau erscheinen wird. Für Hinweise und Gespräche danke ich Antje von Graevenitz, Sergius Kodera, Sabine Poeschel, Erwin Pokorny und Gregor J.M. Weber. Mein ganz besonderer Dank gilt Daniela Hammer-Tugendhat. 2 | Zur Ikonografie von Adam und Eva und insbesondere des Sündenfalls vgl. Kirchner, Josef: Die Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst, Stuttgart 1903; Flemming, Johanna: Die Ikonographie von Adam und Eva in der Kunst vom 3. bis zum 13. Jahrhundert, Jena 1953; Esche, Sigrid: Adam und Eva. Sündenfall und Erlösung, Düsseldorf 1957; Schade, Herbert: »Adams großes Gesicht«, in: Das Münster 11 (1958), S. 375-387; Vetter, Ewald M.: »Necessarium Adae peccatum«, in: Ruperto Carola 39 (1966), S. 144-181; Trapp, Joseph Burney: »The Iconography of the Fall of Man«, in: Constantinos Apostolos Patrides (Hg.), Approaches to Paradise Lost, Toronto 1968, S. 223-265; Röhrich, Lutz: Adam und Eva. Das erste Menschenpaar in Volkskunst und Volksdichtung, Stuttgart 1968; Schade, Herbert: »Art. Adam und

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Der Kontext dieser Entwicklung ist bekannt: Die neuen Bildmedien Tafelbild und Druckgrafik erlauben die Produktion und Distribution von Darstellungen der biblischen Historie für eine breitere Öffentlichkeit und bewirken zugleich eine Privatisierung der Rezeption. Neben die repräsentative und die moralisch-didaktische Funktion der bildenden Künste tritt der ästhetische Genuss. Genährt durch Antikenrezeption und Humanismus entsteht ein neues Interesse an allen Aspekten des menschlichen Daseins. Dabei erlangt die Geschichte von Adam und Eva im Paradies für die sich neu herausbildende Anthropologie paradigmatische Bedeutung. Parallel dazu werden Malerei und Grafik zu den zentralen Medien, in denen diese Geschichte nicht nur als exemplarisches Menschheitsdrama behandelt, sondern auch mit neuen Sinngehalten ausgestaltet wird. An den Ureltern werden Zuschreibungen der physiologischen und psychologischen Geschlechtscharakteristiken bildlich manifestiert und »vernatürlicht«3, an ihnen wird die Beziehung zwischen Mann und Frau thematisiert.4 Nicht zuletzt bietet die Paradiesszene eine GelegenEva«, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1, Freiburg 1968, S.  41-70; Werckmeister, Otto Karl: »The Lintel Fragment Representing Eve from SaintLazare, Autun«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes XXXV (1972), S. 1-30; Hofstätter, Hans: »Adam und Eva«, in: Das Münster 32 (1980), S. 67-70, S. 159-163, S. 249-252; Erffa, Hans Martin von: Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, Bd. 1, München 1989, S. 162-186. Zur Sündenfalldarstellung in der Frühen Neuzeit vgl. Gorsen, Peter/Kuder, Ulrich: »Rückblick auf ein ruiniertes Menschenpaar: Adam und Eva in der Kunstgeschichte«, in: Gislind Nabakowski/Helge Sander/Peter Gorsen (Hg.), Frauen in der Kunst, Bd. 2, Frankfurt/M. 1980, S. 178-189; Russel, Helen Diane/Barnes, Bernadine Anne: Eva/Ave: Woman in Renaissance and Baroque Prints, Ausstellungskatalog, Washington 1990, S. 113f.; Bark, Sabine: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Das Thema des Sündenfalls in der altdeutschen Kunst 1495-1545, Frankfurt/M. 1994; Siefert, Katharina: Adam und EvaDarstellungen der deutschen Renaissance, Karlsruhe 1994. 3 | Hammer-Tugendhat, Daniela: »Jan van Eyck – Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz«, in: Detlef Hoffmann (Hg.), Der nackte Mensch. Zur aktuellen Diskussion über ein altes Thema, Marburg 1989, S. 80-99, erneut in: Anja Zimmermann (Hg.), Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin 2006, S. 73-97, hier S. 90. Zur »Vernatürlichung« der Geschlechterdifferenz siehe dies.: »Körperbilder – Abbild der Natur. Zur Konstruktion von Geschlechterdifferenz in der Aktkunst der Frühen Neuzeit«, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 5 (1994), S. 45-58. 4 | Gerade in der Frühen Neuzeit dient das Thema als Anlass, die partnerschaftlichen Beziehungen von Mann und Frau zu reflektieren. Vgl. u.a. Pleij, Herman: »Arbeitsteilung in der Ehe. Literatur und soziale Wirklichkeit im Spätmittelalter«, in: Maria E. Müller (Hg.), Eheglück und Liebesjoch. Bilder von Liebe, Ehe

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heit zur Darstellung männlicher und weiblicher Akte. Der Akt wird im ausgehenden 15. Jahrhundert zu einem wichtigen neuen Sujet, das die im Zuge der Privatisierung der Rezeption entstehenden neuen ästhetischen Bedürfnisse erfüllt. Dabei führt das gesteigerte Interesse an schönen, vor allem weiblichen Akten dazu, dass seit dem frühen 16. Jahrhundert in Historienbildern mitunter auch solche Protagonistinnen nackt dargestellt werden, die – wie z.B. die alttestamentarische Heldin Judith – von der biblischen Textvorlage her eigentlich bekleidet sein müssten und auch in der Bildtradition zuvor stets bekleidet dargestellt worden sind.5 Die Art und Weise der Präsentation von Akten hat geschlechtsspezifische Züge: Während bei männlichen Akten wie etwa bei Michelangelos David die Nacktheit als ein Rückgriff auf die Antike gilt und ein Mittel zur Heroisierung ist, dienen weibliche Akte primär der erotischen Schaulust.6 Biblische und mythologische Heldinnen werden in einer voyeuristischen Perspektive männlichen Betrachtern als imaginäres Sexualobjekt präsentiert.7 Auch die alttestamentarische Geschichte vom Sündenfall Adams und Evas erfährt in der bildenden Kunst eine zunehmende Erotisierung. Diese Entwicklung wird in Darstellungen des Hoch- und Spätmittelalters vorbereitet, die – was zuvor nicht der Fall war – die Geschlechtsmerkmale Adams und Evas betonen. Insbesondere Evas Weiblichkeit wird seit dem 14. Jahrhundert durch ausgeprägte Brüste und schönes langes Haar unterstrichen. Diese Hervorhebung der Geschlechtlichkeit Evas und Adams und Familie in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Weinheim/Basel 1988, S. 105-123; Hinz, Bertold: »Baldung und Dürer: nackte Figuren und ihre Bildgelegenheiten«, in: Bodo Brinkmann (Hg.), Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Frankfurter Städel, Petersberg 2007, S. 203-233. 5 | Vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Judith und ihre Schwestern«, in: Annette Kuhn/Bea Lundt (Hg.): Lustgarten und Dämonenpein. Konzepte von Weiblichkeit in MA und früher Neuzeit, Dortmund 1997, S. 343-385, hier S. 361-367. 6 | Vgl. Kleinspehn, Thomas: Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek 1980; ders.: »Schaulust und Scham: Zur Sexualisierung des Blicks«, in: Detlef Hoffmann (Hg.), Der nackte Mensch, Marburg 1989, S. 31-50. 7 | Zur um 1500 entstandenden voyeuristischen Bildstruktur vgl. Schade, Sigrid: »Zur Genese des voyeuristischen Blicks. Das Erotische in den Hexenbildern Hans Baldung Griens«, in: Cordula Bischoff et al. (Hg.), Frauen – Kunst – Geschichte. Zur Korrektur des herrschenden Blicks, Gießen 1984, S. 98-110; Hammer-Tugendhat, Daniela: »Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians«, in: Daniela Erlach/Markus Reisenleitner/Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1994, S. 367-446; D. Hammer-Tugendhat: Judith und ihre Schwestern, S. 343-385.

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sowie die damit verbundene latente Erotisierung der Szene dienen dazu, den Aspekt der Sündhaftigkeit schärfer hervorzuheben und diesen an Eva zu koppeln.8 Denn das Sinnliche erhält im Spätmittelalter immer mehr die Funktion, das Böse schlechthin zu repräsentieren, und zugleich wird es – antikes Gedankengut radikalisierend – explizit mit dem weiblichen Geschlecht identifiziert. So wird die weibliche Personifikation der Luxuria (Wollust) immer mehr in eine Negativfigur umgewandelt; in der nun bezeichnenderweise nackt dargestellten Figur der Hexe wird die erotische Anziehungskraft untrennbar an das Dämonisch-Böse gekoppelt9 – und Eva wird in Schrift wie Bild als die Hauptschuldige an der Ursünde dargestellt.10 Das visuelle Herausstellen ihrer Weiblichkeit und Schönheit steht also wesentlich im Dienste einer misogynen Aussage. In der Kunst um 1500 wird die Erotisierung des Sündenfalls nicht nur erheblich weiter getrieben, sondern sie erhält auch eine ganz neue Funktion. Eine Initialzündung für diese Entwicklung stellen nördlich der Alpen Dürers Kupferstich (1504) und seine großformatigen Bildtafeln von 1507 (Abb. 1) dar, die Adam und Eva in jenem Augenblick vor dem Sündenfall zeigen, der den paradiesischen Zustand ebenso enthält wie die Vorausahnung der bitteren Konsequenzen. Die Nacktheit von Adam und Eva erhält hier eine neue Bedeutung. Zwar waren die Ureltern im Paradies schon immer nackt dargestellt worden, Dürer aber hat ihrer Nacktheit den Charakter idealer irdischer Schönheit gegeben.

8 | In der mittelalterlichen Kunst dient die Betonung der Geschlechtsmerkmale nicht zwingend der Markierung des Geschlechts einer Figur, sondern ist kontextabhängig in ihrer Bedeutung; insbesondere kann sie der Hervorhebung der Sünde dienen. Vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Venus und Luxuria. Zum Verhältnis von Kunst und Ideologie im Hochmittelalter«, in: Ilsebill Barta et al. (Hg.), Frauen, Bilder, Männer, Mythen. Kunsthistorische Beiträge, Berlin 1987, S. 13-34, insbesondere S. 19; Büttner, Silke: »Irritationen. Überlegungen zur Erforschung von Differenzierungspraktiken in der mittelalterlichen Kunst«, in: Karl Brunner/ Andrea Griesebner/Daniela Hammer-Tugendhat (Hg.), Verkörperte Differenzen, Wien 2004, S. 209-235, hier S. 215 und S. 225. 9 | Vgl. Flemming, Victoria von: »Die schöne Böse. Eine Weiblichkeitskonstruktion in Literatur und bildender Kunst der Frühneuzeit Italiens«, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit (herausgegeben von Klaus Reichert) 1/2 (1997), S. 279-341; Zika, Charles: The Appearance of Witchcraft. Print and Visual Culture in Sexteenth-Century Europe, London 2007. 10 | Vgl. Held, Jutta: »Die ›Weibermacht‹ in Bildern der Kunst von der frühen Neuzeit bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts«, in: Tendenzen 152 (1985), S. 45-56, hier S. 46ff.; S. Schade: Zur Genese des voyeuristischen Blicks, S. 98-110; D. HammerTugendhat: Venus und Luxuria, S. 13-34.

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Abbildung 1: Albrecht Dürer, Adam und Eva, 1507, 2 Tafeln Eichenholz Während es sich beim Kupferstich eher um eine im Bemühen um ideale Proportion errungene abstrakte ästhetische Schönheit handelt,11 hat die Schönheit des Urelternpaares bei den gemalten Bildtafeln durchaus erotischen Charakter: Verhalten, aber klar erkennbar, tritt dieser zum Vorschein an Adams geöffneten Lippen und geröteten Wangen sowie seinem sehnsüchtigem Blick zu Eva. 11 | Zur Debatte um erotische und antierotische Momente in Dürers Aktkunst und speziell seinen »Adam und Eva«-Darstellungen vgl. Fredel, Jürgen: »Ideale Maße und Proportionen. Der konstruierte Körper«, in: Ilsebill Barta-Fliedl/ Christoph Geissmar (Hg.), Die Beredsamkeit des Leibes. Zur Körpersprache in der Kunst, Salzburg/Wien 1992, S. 11-42; Hinz, Berthold: »Nackt/Akt – Dürer und der ›Prozess der Zivilisation‹« in: Städel Jahrbuch 14 (1993), S. 199-230; Bonnet, Anne-Marie: »Akt« bei Dürer, Köln 2001, S. 273 u. passim; Hinz, Berthold: Aphrodite. Geschichte einer abendländischen Passion, München/Wien 1998, S. 202-224; Schoen, Christian: Albrecht Dürer: Adam und Eva. Die Gemälde, ihre Geschichte und Rezeption bei Lucas Cranach d. Ä. und Hans Baldung Grien, Berlin 2001.

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Hier sind Adam und Eva nicht nur durch die Charakterisierung ihrer körperlichen Eigenschaften als Mann und Frau gekennzeichnet, sondern sie treten auch in eine erotische Beziehung zueinander. In den folgenden Jahren wird nicht nur Dürer selbst, sondern es werden auch andere Künstler diesbezüglich immer deutlicher und bewirken durch Körperhaltung, Berührungen, Blickbeziehungen und kompositorische Elemente eine unmissverständliche Sexualisierung des Sündenfalls. Diese sexuelle Aufladung, ja Gleichsetzung der Ursünde mit einem geschlechtlichen Akt, stellt eine dezidierte Umdeutung der biblischen Erzählung dar.12

A DAM – P ROTOTYP DES M ANNES ALS G ESCHLECHTSWESEN Wenn die »Adam und Eva«-Bilder um 1500 im Kontext einer allgemeinen Erotisierung und voyeuristischen Gestaltung mythologischer, historischer oder biblischer Sujets stehen, so unterscheiden sich die Sündenfalldarstellungen gegenüber den anderen Bildern durch ein wesentliches Charakteristikum: Während in vielen zeitgenössischen Historienbildern erotischen Inhalts ein »Auszug des männlichen Protagonisten aus dem erotischen Bild« (Hammer-Tugendhat 1994: 394) zu beobachten ist, insofern die an der Handlung beteiligten Männer bis zur Unkenntlichkeit verkleinert sind oder gar völlig aus dem Blickfeld verschwinden, ist dies

12 | Nur sehr selten wurde die biblische Erzählung von christlichen Theologen sexuell gedeutet, und diese Interpretation hat sich nie durchsetzen können; vgl. Scheffczyk, Leo: Urstand, Fall und Erbsünde. Von der Schrift bis Augustinus (= Handbuch der Dogmengeschichte II/3 a,1), Freiburg/Basel/Wien 1981, insbesondere S. 218-229. Vielmehr fand die Sexualisierung des Sündenfalls hauptsächlich in der bildenden Kunst statt. Dieses Faktum ist vielfach beobachtet und meist mit der Wendung ins Diesseitige und dem wachsenden Einfluss des Humanismus im 16. Jahrhundert erklärt worden, so u.a. von K. Siefert: Adam und Eva-Darstellungen der deutschen Renaissance, S. 13-21; S. Bark: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies, S. 85-100, sowie zuletzt B. Brinkmann (Hg.): Hexenlust und Sündenfall, S. 203-233. Dem ist nicht zu widersprechen, doch ist die Radikalität dieser Umdeutung m.E. noch nicht hinreichend gewürdigt und die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung bislang nicht befriedigend beantwortet worden. Meine angekündigte Studie zum »Sündenfall als Sexualdelikt« soll diese Lücke füllen, indem sie u.a. die konkreten Bildmittel, mittels derer solche erotische Evidenz hergestellt wird, genauer analysiert und das Verhältnis von bildlicher Innovation und zeitgenössischem theoretischem Diskurs einer neuen Sichtung unterzieht.

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bei der Darstellung des Sündenfalls nur eingeschränkt möglich. Ganz kann Adam sich nicht aus dem Sündenfall davonstehlen! Auch wenn die erotisch aufgeladenen »Adam und Eva«-Bilder für den männlichen Betrachter gemacht sind, so zeigen sie doch auch den nackten Mann selbst als sexuelles Wesen und als Partner der Frau. Ein sozialgeschichtlicher Grund hierfür ist vermutlich der Bedeutungszuwachs der ehelichen Beziehung. Während im Mittelalter zahlreiche Menschen ehelos und ohne legitime Kinder waren, weil sie in klösterlichen Verbänden lebten oder aufgrund ihrer Besitzlosigkeit nicht heiraten konnten, hat sich im 15. und 16. Jahrhundert die Ehe als Lebensform stark verbreitet. Mann und Frau mussten nun als »Arbeitspaar« (vgl. Wunder 1992: 57) ihren Lebensunterhalt gemeinsam erwirtschaften. Damit wurden die innerehelichen Machtverhältnisse und die Geschlechterrollen zunehmend zum Thema, was sich vor allem im Anwachsen der Ehetraktatsliteratur ausdrückt. Mit der ehelichen Beziehung erfährt auch die sexuelle Beziehung von Mann und Frau eine Neubestimmung. Gerade die sexualisierte Darstellung des Sündenfalls bietet den Künstlern der Frühen Neuzeit eine Gelegenheit, Adam als den Prototyp des Mannes als Geschlechtswesen zu behandeln. Hier tritt Adam in etlichen Darstellungen keineswegs nur als inaktive Randfigur oder Kumpan des Betrachters bei einer voyeuristischen Präsentation Evas auf, sondern als aktiv Handelnder und Beteiligter – und dies mitunter auch in sozial problematischer Weise. Betrachtet man die Sündenfallbilder unter diesem Gesichtspunkt, findet man ein breites Spektrum an Varianten männlichen Rollen- und Sexualverhaltens. Mit ihrer naturalistischen Darstellung der Geschlechter und der variantenreichen Ausgestaltung der Interaktion zwischen Adam und Eva im Handlungsvollzug der biblischen Geschichte können die Sündenfallbilder des frühen 16. Jahrhunderts als erstrangige Quellen für die Erschließung der frühneuzeitlichen Anthropologie der Geschlechter gelten. Dabei leisten sie jedoch weit mehr als nur die bildliche Dokumentierung der sich neu konstituierenden bzw. transformierenden Geschlechterrollen, vielmehr ist davon auszugehen, dass sie für die Herausbildung und Verbreitung dieser Rollenbilder eine aktive Rolle innehatten. Nicht nur boten diese Bilder in motivischer wie gestalterischer Hinsicht völlig neue, ungewohnte Seherlebnisse, sie erschlossen ihren Betrachtern und Betrachterinnen auch eine bis dato in Bildern nicht vorhanden gewesene Fülle möglicher Handlungs- und Verhaltensweisen in der zwischengeschlechtlichen Interaktion. Damit führten sie zugleich mögliche Vorbilder vor Augen, wobei die vorbildhafte oder gar normative Wirkung der Bilder

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auch ex negativo mittels der Repräsentation abschreckender oder negativ besetzter Beispiele funktionieren konnte. Im Folgenden werde ich der Frage nachgehen, welche Konsequenzen die Erotisierung des Sündenfalls in der Kunst um 1500 für die Darstellung Adams hat und welches – in einem soziologischen Terminus gesprochen – männliche role model er in der Frühen Neuzeit verkörpert. Mit welchen Charakteristiken wird der Urvater der Menschheit, der nun vermittels der neuen Darstellungsweise dezidiert als Ur-Mann und folglich als Geschlechtswesen aufgefasst wird, belegt? Welche spezifische Rolle im Vollzug des Sündenfalls und welcher Schuldanteil werden ihm zugeschrieben? Und nicht zuletzt: Wie wird seine Sünde charakterisiert? Adam erfährt traditionell viel weniger Beachtung als Eva, wenn es um den Sündenfall geht. Dies ist exemplarisch für die Wissenschaftsgeschichte: Während die Geschlechterforschung in Bezug auf Weiblichkeitsentwürfe in der Kunst inzwischen weit entwickelt ist, steht sie in Bezug auf Männlichkeitskonzepte noch immer relativ am Beginn. Gleichwohl gibt es einige grundlegende Studien zum Männerbild seit dem Mittelalter.13 Ein wichtiger und viel diskutierter theoretischer Ansatz ist das Konzept der »Hegemonialen Männlichkeit« von Robert W. Connell. Ausgehend von der Prämisse, dass Männlichkeitsideale historisch wandelbar sind, formuliert er die Annahme, dass innerhalb einer bestimmten historischgesellschaftlichen Konstellation zwar eine Vielfalt verschiedener Männlichkeiten existiert, letztlich aber ein von einer gesellschaftlichen Elite formuliertes Ideal von Männlichkeit vorherrscht.14 Dieses manifestiere sich primär in körperlichen Praktiken und dem interaktiven Ausagieren von Geschlechterbeziehungen. Connell selbst hat seinen soziologischen An13 | Vgl. u.a. Dinges, Martin (Hg.): Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998; Fend, Mechthild: Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750-1830, Berlin 2003; Benthien, Claudia/Stephan, Inge (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2003; Fend, Mechthild/Koos, Marianne (Hg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln 2004; Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts. Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten/Berlin 2006; Hammer-Tugendhat, Daniela: »Zur Darstellung von Männlichkeit«, in: dies, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 99-134 (hier auch weitere Literatur). 14 | Vgl. Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999.

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satz auch um eine historische Dimension erweitert und die Entstehung des modernen Männlichkeitskonzeptes in der Frühen Neuzeit verortet. Seine Theorie wurde weit über die Soziologie hinaus intensiv rezipiert und hat sich, teils differenziert und modifiziert, als fruchtbar auch für die historische und kunsthistorische Genderforschung erwiesen.15 Auf ihrer Grundlage lassen sich die »Adam und Eva«-Bilder der Frühen Neuzeit daraufhin untersuchen, welche männlichen Rollenbilder und welches dominierende Männlichkeitsideal sie für ihre Zeit zum Ausdruck bringen. Im Folgenden werde ich aus der Fülle der Darstellungen gezielt solche herausgreifen, die ikonografisch innovativen Charakter aufweisen. Solche Innovationen sind in den Sündenfalldarstellungen um 1500 in großer Zahl zu beobachten: Das traditionelle Schema der links und rechts des Paradiesbaumes stehenden Ureltern wird überwunden und durch eine große Variationsbreite von Gesten, Handlungen, Interaktionen und Attributen bereichert. Dabei fällt auf, dass gerade jene motivischen Neuerungen, die die Charakterisierung und Interaktion der Geschlechter betreffen, in der Regel nördlich wie südlich der Alpen und gleichermaßen in verschiedenen Medien auftauchen, in katholischem wie in protestantischem Milieu, und auch unabhängig davon, ob es sich um kirchliche oder bürgerliche Auftraggeber handelt. Mit Blick auf das durch Adam repräsentierte Männlichkeitskonzept stellt sich heraus, dass nicht nur ein einziger Typus von Männlichkeit auftritt, sondern eine Reihe verschiedener Typen. Diese stehen gleichwohl, wie sich zeigen wird, in einem inhärenten Zusammenhang und bilden verschiedene Facetten eines sich um 1500 in der visuellen Kultur anscheinend neu formierenden hegemonialen Männlichkeitskonzepts.

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Ein verbreiteter Typus ist Adam als Opfer Evas. Hierfür haben sich südlich und nördlich der Alpen unterschiedliche Varianten ausgebildet. Antonio Rizzos in den 1470er Jahren entstandene überlebensgroße Skulpturen am Dogenpalast in Venedig zeigen einen leidenden Adam, der theatralisch die Hand erhebt; sein Schuldbewusstsein wird kontrastiert mit der dumpf

15 | Eine kritische Übersicht über die Diskussion gibt Dinges, Martin: »›Hegemoniale Männlichkeit‹ – Ein Konzept auf dem Prüfstand«, in: ders. (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/M. 2005, S. 7-33.

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in ihrer Sinnlichkeit verharrenden Eva und impliziert eine tendenzielle Ent-Schuldung Adams.16 Ähnlich verhält es sich bei den monumentalen frei stehenden Aktstatuen von Matteo Civitale im Dom von Genua (1496/1501), bei denen der schmerzverzerrt und reuevoll gen Himmel schauende Adam einer mit leerem Blick im Diesseits verharrenden Eva gegenübersteht.17 Auch Filippino Lippis etwa zeitgleich entstandenes Deckenfresko in Santa Maria Novella (Abb. 2) zeigt einen gequält blickenden Adam, dessen Gegenüber zudem – ikonografisch ein Sonderfall – einzig eine Schlange mit Frauenkopf ist.18 Im Norden Europas tritt der Typus des theatralisch gen Himmel Blickenden dagegen nur selten in Erscheinung. Dürer, der während seiner beiden Aufenthalte in Venedig Rizzos Aktstatuen studieren konnte, hat ihn in gemäßigter Form aufgegriffen und mit der subtilen Doppeldeutigkeit des leidenden und des leidenschaftlichen Ausdrucks versehen (vgl. Abb. 1). Doch obgleich seine monumentalen Bildtafeln von 1507 mit den lebensgroßen Aktdarstellungen von Adam und Eva epochale Bedeutung erlangten und Dürer das Motiv in seiner kleinen Holzschnittpassion (1511) erneut verwendete, hat sich die Pathetik des mit zurückgeworfenem Kopf aufwärts blickenden Adam nördlich der Alpen nicht durchsetzen können.

16 | Vgl. auch Huse, Norbert/Wolters, Wolfgang: Venedig. Die Kunst der Renaissance, München 1996, 157f. 17 | Die beiden Statuen sind Teil eines Zyklus von insgesamt sechs Statuen; sie stehen in Nischen, sind aber wie Freiplastiken ausgearbeitet. Vgl. Harms, Martina: Matteo Civitali. Bildhauer der Frührenaissance in Lucca, Münster 1995, S. 126-140, insbesondere S. 136-139 und Abb. 52 und 53. 18 | Vgl. Lippi, Filippino: Adam mit der Schlange, Fresko im Gewölbezwickel der Cappella Strozzi, S. Maria Novella, Florenz, 1489-1502. Adam ist hier als Urvater zusammen mit den Erzvätern Abraham, Jacob und Noah dargestellt; der Baum der Erkenntnis mit der Schlange dient ihm als Attribut. Es handelt sich hier also nicht um eine Darstellung der Sündenfallszene, doch sind die Motive des leidend blickenden Adam und der Schlange mit Frauenkopf der Sündenfallikonografie entlehnt. Die Gestaltung des Gewölbes ist ungewöhnlich, denn traditionell ist dieser Ort den Evangelisten oder Kirchenvätern vorbehalten. Vgl. Röttgen, Steffi: Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, Bd. II. Die Blütezeit 1470-1510, München 1997, S. 234. Russell Sale (Filippino Lippi’s Strozzi Chapel in Santa Maria Novella, New York/London 1979, S. 196f.) sieht in der Schlange ein Mischwesen von Eva und der Versucherin. Dem widerspricht Imig, Andrea: Luzifer als Frau? Zur Ikonographie der frauengestaltigen Schlange in Sündenfalldarstellungen des 13. bis 16. Jahrhunderts, Hamburg 2009, S. 138.

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Abbildung 2: Filippo Lippi, Adam, neben ihm der Baum der Erkenntnis mit der Schlange, 1489-1502 Doch auch im Norden werden Adam und Eva traditionell mit unterschiedlichem geistigen und emotionalen Ausdrucksgehalt dargestellt. Dabei erscheint Adam stets als der Nachdenkliche im Gegensatz zur bewusst- und bedenkenlosen Eva. So etwa in Lucas Cranachs Holzschnitt von 1509 (Abb. 3), der Adam sitzend unter dem Baum der Erkenntnis zeigt, wie er kurz davor ist, in den Apfel hineinzubeißen. Die demonstrative Nähe des Apfels zu Evas Brust, die beide bildlogisch miteinander verknüpft sind, gibt der Szene einen dezidiert erotischen Charakter. Doch trotz der idyllischen Szene verleiht eine Stirnfalte Adam einen sorgenvollen Blick, der zum Ausdruck bringt, wie sehr er sich der prekären Situation und ihrer bedrohlichen Konsequenzen bewusst ist. Hier steht die Darstellung von Adam und Eva im Kontext des »Weibermacht-Topos«, der um 1500 einen Höhepunkt an Popularität erfährt.19 Anhand von biblischen oder mythologischen Historien wird das Ge-

19 | Vgl. Schneider, Jenny: »Die Weiberlisten«, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 20 (1960), S. 147-157; J. Held: Die »Weibermacht« in Bildern der Kunst von der frühen Neuzeit bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 45-56; Smith, Susan L.: The Power of Women. A Topos in Medieval Art and Literature, Philadelphia 1995.

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Abbildung 3: Lucas Cranach, Sündenfall, 1509 schlechterverhältnis dahin gehend thematisiert, dass Männer Gefahr laufen, von Frauen unterjocht und der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, insbesondere, wenn sie sich durch Liebe oder sexuelles Begehren an sie binden. In drastischer Weise geschieht dies in einer verloren gegangenen Zeichnung aus der Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä. (1525): Eva steckt den Apfel in Adams Mund, dieser wirkt passiv und unterlegen, ja geradezu lächerlich – ein Pantoffelheld.20 In einem Holzschnitt von Lucas van Leyden aus 1516-19 (Abb. 4) wird diese Aussage noch gesteigert: Eva lehnt schlangengleich und verschlagen blickend am Baum und reicht Adam den Apfel, der ihn mit angstgeweiteten Augen – hinter ihm ist die Vertreibung aus dem Paradies zu sehen – und dennoch er-

20 | Vgl. Lucas Cranach d.  Ä. oder Cranach-Werkstatt, Zeichnung, 1525, ehem. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett.

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Abbildung 4: Lucas van Leyden, Der Sündenfall, ca. 1516-19 geben annimmt.21 Das Motiv des sitzenden Adam ist von Cranach (vgl. Abb. 3) übernommen, der diese Neuerung eingeführt hatte. Während esdort erotisch konnotiert ist, erfährt es hier eine negative Wendung, insofern es Adams Unterlegenheit unterstreicht. Eva wird als aktive Verführerin dargestellt und Adam in einer lächerlichen und erniedrigten Position. Die Darstellung Adams als Opfer Evas wird zwar erleichtert durch den Umstand, dass Adam nach der schriftlichen Überlieferung den Apfel durch Eva gereicht bekam. Doch in der älteren Bildtradition wurde er nicht als inaktives Opfer, sondern als gemeinschaftlich mit Eva Handelnder dargestellt. Erst seit dem späten Mittelalter wird Evas größere Schuld

21 | Zu den Sündenfallbildern von Lucas van Leyden vgl. auch Silver, Larry /Susan Smith: »Carnal Knowledge: The Late Engravings of Lucas van Leyden«, in: Nederlands Kunsthistorik Jaarboek (1978), S. 239-298.

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bildlich hervorgehoben.22 Durch die Pointierung von Evas Aktivität und Adams Passivität wird nicht nur die Schuldfrage zu Eva hin verschoben, sondern auch die Gefahr betont, die einem Mann droht, sobald er sich auf eine Frau einlässt. Die erotische Konnotierung des Sündenfalls dient hier als Element einer misogynen Bildkampagne. Doch bleibt diese Auffassung der Geschlechterrollen von Adam und Eva keineswegs unwidersprochen; vielfach wird der Sachverhalt mit ganz anderer Tendenz dargestellt.

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Hans Baldung Griens Holzschnitt lapsus humanae generis von 1511 (Abb. 5) zeigt Adam unverkennbar als Liebhaber Evas. Adam und Eva stehen einander zärtlich umgreifend versetzt hintereinander, wodurch Eva den Betrachtern sinnlich präsentiert wird – ein Beispiel dafür, wie die voyeuristische Bildgestaltung auch in der Darstellung des Sündenfalls zur Anwendung kommt.23 Eva reicht Adam den Apfel, er greift nach ihrer Brust, was durch die Blickrichtung der Schlange zusätzlich unterstrichen wird. Brust und Apfel werden damit analogisiert. Dass der lapsus humanae generis, so die Tafelinschrift, ein sexueller Vorgang ist, wird symbolisch unterstrichen durch den dunklen Waldhintergrund und durch die Hasen.24 Eva schaut kokett, Adam melancholisch, er ist reflexiver Hauptakteur.

22 | Vgl. J. Held: Die »Weibermacht« in Bildern der Kunst von der frühen Neuzeit bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 45-56. 23 | Es gibt weitere Beispiele dafür, wie Adam Eva dem männlichen Betrachter als erotisches Objekt präsentiert, während er selbst in den Hintergrund tritt bzw. als Identifikationsobjekt des Betrachters dient, ja mit diesem sogar einen einvernehmlichen Blickkontakt herstellt. Die kompositorische Anlage ist dabei sehr heterogen, so wird beispielsweise im Relief von Ludwig Krug von 1514 (Staatliche Museen zu Berlin) die frontale Ansicht des weiblichen Akts durch die Gegenüberstellung mit der Rückenansicht Adams betont, ebenso im Holzrelief von Meister I.P. (1525) in Gotha, Kunstsammlungen zu Weimar; Hans Baldung Griens erwähnter Holzschnitt von 1511 und sein um 1531/33 datiertes Ölgemälde (Lugano, Sammlung Thyssen Bornemisza) präsentieren Eva vor Adam stehend; bei Frans Floris (1560, Florenz, Palazzo Pitti) sitzt sie auf Adams Schoß und streckt die Arme so zurück, dass ihre Brüste zur Geltung kommen. 24 | Zu Baldungs »Adam und Eva«-Darstellungen vgl. u.a. Gagel, Hanna: »Wie unvernünftig ist Evas Bedürfnis nach sinnlicher Erkenntnis? Wie unvernünftig sind Baldungs Frauen?«, in: Cordula Bischoff et al. (Hg.), Frauen – Kunst – Geschichte, S. 79-97; Knappe, Karl-Adolf: »›Der Fall des Menschengeschlechtes‹. Zu Hans Bal-

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Abbildung 5: Baldung Grien, Der Sündenfall, 1511 Auch in zahlreichen Gemälden Lucas Cranachs werden Adam und Eva als harmonisches Liebespaar gezeigt, das soeben im Begriff ist, gemeinsam die Ursünde zu begehen. Adam erscheint hier als zärtlicher Liebhaber, der mit Eva in harmonischem Einvernehmen handelt. Die Schlange tritt in solchen Darstellungen meist in den Hintergrund, ist eher klein und nicht aktiv in die Handlung involviert. Mitunter fehlt sie sogar ganz. So verhält es sich bei Jan Gossaerts undatierter Zeichnung aus der Wiener Albertina (Abb. 6), die ganz die zärtliche Begegnung in den Vordergrund stellt. Adam legt ein Bein über Evas Bein – das Motiv ist aus Italien importiert, wo es im 16. Jahrhundert als Anspielung auf Geschlechtsver-

dung Grien«, in: Kunstspiegel 4 (1981), S. 237-259; Koch, Robert A.: Hans Baldung Grien. Eve, The Serpent and Death, Ottawa 1974.

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kehr diente25 –, und beide gemeinsam halten einträchtig den Apfel in den Händen.26 In allen genannten Werken sind sinnliche Umarmung und der Griff nach dem Apfel eins. Dabei fällt auf, dass Adam meist sogar die aktivere Rolle innehat – in der Liebesbeziehung ebenso wie beim Griff nach der verbotenen Frucht.

Abbildung 6: Jan Gossaert, Adam und Eva, undatiert

25 | Vgl. Steinberg, Leo: »The Metaphor of Love and Birth in Michelangelo’s Pietas«, in: Theodore Bowie/Cornelia v. Christenson (Hg.), Studies in Erotic Art, New York 1970, S. 231-335, insbesondere S. 240ff. und S. 272-275; Orchard, Karin: Annäherungen der Geschlechter. Androgynie in der Kunst des Cinquecento, Münster/Hamburg 1992, S. 86-92. 26 | Zu Gossaerts »Adam und Eva«-Darstellungen vgl. Schwarz, Heinrich: »Jan Gossaert’s Adam and Eve Drawings«, in: Gazette des Beaux-Arts 6 (1953), S. 145-168; Mensger, Ariane: Jan Gossaert. Die niederländische Kunst zu Beginn der Neuzeit, Berlin 2002, S. 136-148. Mensger weist darauf hin, dass diese Zeichnungen ähnlich wie die zeitgleich auftretenden Kleinstatuetten von Ludwig Krug u.a. nicht für den Gebrauch im religiösen Kontext, sondern als Sammlerstücke konzipiert wurden (vgl. S. 147f.).

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ALS DOMINANTER

ALS

L IEBESPARTNER

S EXUALPARTNER

Ein prominentes Beispiel für diese doppelte Dominanz Adams ist Michelangelos Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle (Abb. 7). Eva räkelt sich lasziv zu Adams Füßen, was Heinrich Wölfflin folgendermaßen kommentiert: »Im faulen Herumliegen des Weibes, will er sagen, erwachsen die sündlichen Gedanken.« (Wölfflin 1983: 75) Leo Steinberg deutet Evas vulgär gestreckten Mittelfinger auf der Diagonale zwischen ihrem und Adams Geschlecht als Hinweis auf ihre sexuelle Beziehung.27 John Phillips geht noch einen Schritt weiter und schließt aus Evas ungewöhnlicher Pose, dass sie gerade bei der oralen Kopulation mit ihrem Mann unterbrochen worden oder aber dabei sei, sich dieser zuzuwenden, wobei diese

Abbildung 7: Michelangelo, Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies, 1508-12

27 | Vgl. Steinberg, Leo: »Eve’s idle hand«, in: The Art Journal 35 (1976), S. 130-135.

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als »eine Metapher für das Essen der verbotenen Frucht« (Phillips 1987: 75) diene. Bemerkenswert ist dabei, dass hier das Steh- und Sitzverhältnis genau umgekehrt ist wie in den Holzschnitten von Cranach (vgl. Abb. 3) und Lucas van Leyden (vgl. Abb. 4): Adam steht in einer ausgesprochen dominanten Haltung am Baum und greift – auch sein Finger in einer vulgären Pose – dynamisch in Richtung der Schlange, offensichtlich will er entgegen dem Bibeltext den Apfel ohne Umweg über Eva erlangen. Dasselbe ist der Fall bei Jan Gossaerts Gemälde (Abb. 8), in dem Adam und Eva Arm in Arm seitlich des inkriminierten Baumes stehen.

Abbildung 8: Jan Gossaert, Adam und Eva, 1511 Auch hier nimmt Adam eine selbstbewusste und dominante Haltung ein, wie in Michelangelos Fresko ist sein Genital sichtbar. Vor allem aber greift er selbst nach dem Apfel und wird damit zum Hauptakteur des Geschehens, während Eva auf die Rolle der passiven Zuschauerin verwiesen wird. Diese Umkehrung der Rollen ist bereits vorbereitet in Dürers Kupferstich von 1504, wo Adam im Gegensatz zu Eva mobilisiert und raum-

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greifend wird; seine Hand schwebt zwischen Frucht und Evas Geschlecht, greift allerdings ins Leere. In Hans Baldung Griens Holzschnitt (1511) greift er dann direkt nach der Frucht (vgl. Abb. 5). Adams führende Rolle beim Begehen der Ursünde ist ein Bruch mit der ikonografischen Tradition und ebenso ein Verstoß gegen die Textvorgabe, wonach er die verbotene Frucht von Eva überreicht bekommt. Entscheidend dabei ist, dass Adam den aktiven, dominanten Part gleich in doppelter Hinsicht übernimmt: Er greift gleichermaßen nach dem Apfel wie nach Evas Brust. Hier wird ein neues Rollenvorbild für den Mann formuliert, der eindeutig als aktiv und überlegen gekennzeichnet wird (und damit einhergehend natürlich auch das entsprechende passive, objekthafte Rollenvorbild für die Frau). Besonders deutlich wird dieser normative Charakter der vorgeführten Sexualrollen, wenn man die positiven exempla mit Negativbeispielen kontrastiert. Indem diese Adam in Situationen präsentieren, die dem Männlichkeitsideal gerade nicht entsprechen, bestätigen sie dieses ex negativo. Dies ist dort der Fall, wo Adam als Liebhaber durch einen überlegenen Sexualkonkurrenten ausgestochen wird und folglich sein Dominanzziel verfehlt; aber auch dort, wo er die angestrebte sexuelle Dominanz übertrieben ausagiert und damit zum sozialen Ärgernis wird.

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ALS UNTERLEGENER

S EXUALKONKURRENT

Die männliche Dominanzrolle muss immer erneut errungen und aufrechterhalten werden, sie ist potenziell ständig bedroht, nicht zuletzt auch durch Konkurrenten. Diese Bedrohtheit männlicher erotischer Wünsche findet in Sündenfalldarstellungen des 16. Jahrhunderts gelegentlich Ausdruck. Eine Tafel, Sündenfall (Mitte 16. Jahrhundert), von Jan van Scorel28 (Abb. 9) in Innsbruck zeigt eine männliche Schlange mit dem Kopf eines Satyrs. Ähnlich hat auch Georg Pencz die Schlange satyrhaft dargestellt.29 Damit wird nicht nur auf die sexuelle Triebhaftigkeit verwiesen, sondern auch auf den Teufel, denn die Gestalt des Teufels in der christlichen Kunst ist eine Umgestaltung des heidnisch-mythologischen Satyrs, wodurch einmal mehr die Verteufelung der sinnlichen Triebe zum Aus-

28 | Laut Gregor J.M. Weber (unveröffentlichtes Manuskript) hat diese unkonventionelle Darstellung nur wenig Nachahmung gefunden. 29 | Vgl. Ehrenstein, Theodor: Das Alte Testament im Bilde, Wien 1923, fig. 117.

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Abbildung 9: Jan van Scorel, Der Sündenfall, Mitte 16. Jahrhundert druck gebracht wird.30 Diese Identifizierung der Schlange mit dem Teufel entspricht zwar nicht der Genesiserzählung, liegt aber auf der Linie der gängigen christlichen Deutung. Bei Jan van Scorel steht Eva als Rückenakt in der Mitte zwischen dem Verführer und Adam. Die körperliche Nähe evoziert eine erotische Konstellation, in der die Frau zwischen zwei Männern steht. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die komplexe Gestaltung der Arm- und Handbewegungen aller drei Dargestellten: Nicht nur überschneidet Evas rechter Arm direkt Adams Genital, sondern beider Hände sind auch so ineinandergefügt, dass eine augenfällige Andeutung eines Sexualverkehrs entsteht. Wie in einer Tanzhaltung vollzieht das Paar einvernehmlich in einer doppelten Bewegung zugleich seine sexuelle Verbindung und den

30 | Für diesen Hinweis danke ich Daniela Hammer-Tugendhat, die zu diesem Thema den Vortrag »Satyr und Teufel. Antike Mythen als Legitimation der Repräsentation von Sexualität in einer christlichen Kultur« (Universität zu Köln, 05.05.2011) gehalten hat.

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gemeinsamen Griff nach der verbotenen Frucht. Das erotisch aufgeladene Ineinandergreifen der Hände, in einer Abwärtsbewegung in die verschattete Partie von Adams Unterleib, geschieht, während ihr Blick hinauf zur Frucht des Baumes der Erkenntnis in helles Licht getaucht ist. Bemerkenswert dabei ist, dass Eva nicht nur in enger körperlicher Verbindung mit Adam steht, sondern gleichzeitig auch ihr Arm sich mit dem des teuflischen Versuchers überschneidet. In der planimetrischen Anordnung wird so die Möglichkeit einer erotischen Beziehung von Eva mit der Schlange angedeutet, verstärkt durch den Umstand, dass die in Richtung Adams gestreckten Finger des Versuchers Hörner bilden, was doppeldeutig lesbar ist – als Hinweis auf die Sündhaftigkeit des Griffs nach der verbotenen Frucht ebenso wie als Hinweis auf eine »Hörnung« Adams. Auch in einem römischen Fresko von Girolamo Sicciolante da Sermoneta (Abb. 10) ist der Verführer männlich. Hier tritt er jedoch nicht teufelsartig in Erscheinung, sondern als ein attraktiver muskulöser Mann mit sichtbarem Genital – erst seine Beine münden im Schlangencorpus. Deutlicher noch als bei Scorel ist die zentral platzierte venusgleiche Eva zwischen beiden Männern hin- und hergerissen. Nicht zufällig ist gerade ihr Unterleib dem Verführer zugewandt, während sie sich mit Kopf und Oberkörper ihrem Gefährten zuwendet. Geradezu hypnotisiert von ih-

Abbildung 10: Girolamo Sicciolante da Sermoneta, Adam und Eva, 1560

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rem Blick übernimmt Adam von ihr die verbotene Frucht. Dabei liegen die befehlerische Armbewegung des Verführers und die annehmende Greifbewegung Adams korrespondierend auf einer schrägen Linie, die durch Evas in beide Richtungen weisenden Arme und ihren Oberkörper mit den nackten Brüsten komplettiert und vermittelt wird. Ist die Schlange männlich dargestellt, erhält die Sexualisierung des Sündenfalls eine ganz andere Bedeutung: Dann nämlich besteht Evas Sünde nicht mehr darin, mit Adam, sondern mit der Schlange Unzucht begangen zu haben. Tatsächlich wird in verschiedenen apokryphen Schriften der antiken jüdischen Literatur berichtet, dass Eva vor dem Apfelessen sexuellen Verkehr mit einem Dämon gehabt habe, der sich daraufhin in die Schlange verwandelte.31 Das hebräische Wort für Schlange ist männlich, und zudem galt die Schlange als Symbol für die männliche Sexualkraft.32 Überhaupt ist die Schlange ein multivalentes Symbol mit ursprünglich durchaus positiver Bedeutung; so galt sie in frühen Kulturen als Zeichen nicht nur der weiblichen Fruchtbarkeit, sondern auch des männlichen Genitals.33 Tritt nun in den Sündenfallbildern die Schlange in männlicher Gestalt auf, was ab dem 16. Jahrhundert vermehrt der Fall ist, verändert sich die Konstellation grundlegend. Einerseits wird – wie die Bilder Jan van Scorels und Sicciolantes zeigen – die neu errungene dominante Rolle Adams im Prozess des Sündenfalls bestätigt, denn in beiden Fällen richtet sich der Versucher in Blick und weisender Armbewegung direkt an den männlichen Part des Urelternpaars. Gleichzeitig jedoch entsteht für Adam eine potenziell bedrohliche Konstellation, denn nun steht er, wie Evas uneindeutige Haltung in der prekären ménage a trois zum Ausdruck bringt, in der Gefahr, durch einen überlegenen Ne31 | Vgl. J. Kirchner: Die Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst, S. 20 und S. 37; Phillips, John A.: Eva. Von der Göttin zur Dämonin, Stuttgart 1987, S. 70; Flasch, Kurt: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, München 2004, S. 83f. 32 | Laut Helen Schüngel-Straumann steht die Schlange auch für den kanaanäischen Fruchtbarkeitskult, in dem sie als Symbol für die sexuelle Kraft des Baal diente. Da dieser der mächtige Gegenspieler Jahwes, des Gottes Israels, war, ist die Erzählung möglicherweise auch als eine Spitze gegen den Baalskult zu verstehen, und die Charakterisierung der Schlange als ein von Gott geschaffenes Tier diente folglich dazu, diesen auf einen untergeordneten Platz zu verweisen. Siehe Schüngel-Straumann, Helen: »›… Und sie erkannten, dass sie nackt waren‹ (Gen 3,7). Die Frau in den Erzählungen von Genesis 2 und 3«, in: D. Hoffmann (Hg.), Der nackte Mensch, S. 117-132, hier S. 126f. 33 | Vgl. Rowland, Beryl: »Snake«, in: ders., Animals with Human Faces. A Guide to Animal Symbolism, London 1974, S. 142-147.

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benbuhler ausgestochen zu werden. Das Dominanzideal der männlichen Sexualität ist als labil und potenziell gefährdet dargestellt.

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ALS SEXUELLER

D ELINQUENT

Auch von einer anderen Seite her wird das Dominanzideal problematisiert, nämlich dort, wo es übersteigert auftritt. So ist es in einem Holzschnitt Hans Baldung Griens von 1519 der Fall, der die Konstellantion eines früheren Blattes von 1511 (vgl. Abb. 5) wiederholt – d.h. Adam steht, Eva umfassend, leicht versetzt hinter ihr –, die erotische Szene jedoch ins Negative wendet. Durch die niedrige Stirn und das verschattete Gesicht erhält Adam einen dämonisch-triebhaften Ausdruck, er greift nach Evas linker Schulter und schränkt ihren Bewegungsspielraum durch das vor-

Abbildung 11: Hans Baldung Grien, Adam und Eva, 1519

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geschobene rechte Bein ein. Eva blickt unwillig, scheint sich dem Zugriff entziehen zu wollen. Obwohl sie zwei Äpfel in Händen hält, ist vom Sündenfall wenig zu sehen, da die Schlange fehlt. Die Darstellung ist konzentriert auf Adams aggressive Triebhaftigkeit. Wenn Adams sexueller Trieb solche Dominanz erhält, ist die Harmonie der Geschlechter gestört. Adams Sünde besteht hier in seinem übergroßen und gegen gesellschaftliche Normen verstoßenden sexuellen Begehren. Der bildlichen Darstellung entspricht eine analoge gesellschaftliche Entwicklung: Im 16. Jahrhundert werden männliche Verhaltensweisen zunehmend als soziales Problem thematisiert – z.B. das Trinken von Alkohol, Kämpfe und Prügeleien. Stadträte, Kirchen und Zünfte bemühen sich darum, solche sozialen Ereignisse unter Kontrolle zu kriegen. Insbesondere Trunkenheit als Ursache zahlreicher Missstände wird seit der Reformation noch intensiver bekämpft.34 Das Paradox liegt darin, dass es sich bei diesen Handlungen einerseits um Kernelemente »männlichen Verhaltens« und »männlicher Ehre« handelt, sie andererseits aber als Bedrohung für die soziale Ordnung gelten, die es folglich zu bekämpfen und zu reglementieren gilt. Dieselbe Ambivalenz können wir in den Sündenfalldarstellungen des 16. Jahrhunderts hinsichtlich des männlichen Sexualverhaltens feststellen. Einerseits erscheint aktives und dominantes Begehren als unverzichtbarer Bestandteil der Männerrolle. Dies wird uns durch den dominanten Adam vor Augen geführt, aber auch ex negativo in den »Weibermacht«Darstellungen, die den passiv von Eva den Apfel empfangenden Mann – also Adam, wie er zuvor jahrhundertelang dargestellt worden ist! – lächerlich machen. Andererseits erscheint das männliche Begehren als bedrohlich und negativ, sobald es nicht mehr in kontrollierten Bahnen verläuft. In der zeitgenössischen medizinischen Literatur wird der Sexualtrieb, hierin auf den mittelalterlichen Lehren und Galenus basierend, als faktisch gegeben vorausgesetzt. Jedoch findet im 16. Jahrhundert eine argumentative Verschiebung statt, die auch eine tendenzielle Neubestimmung der Sexualcharaktere der Geschlechter hervorbringt. In Schriften wie in Bildern wird nun dem Sexualtrieb von Mann und Frau eine unterschied-

34 | Vgl. Roper, Lyndal: »Männlichkeit und männliche Ehre«, in: Journal Geschichte 1 (1990), S. 28-37; Müller, Maria E.: »Naturwesen Mann. Zur Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft in Ehelehren der Frühen Neuzeit«, in: Heide Wunder/Christina Vanja (Hg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt/M. 1991, S. 43-68.

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liche Struktur zugeschrieben: Der Mann ist der aktive Part, die Frau das passive, verlockende Objekt. Sofern sie überhaupt den Blick erhebt, ist er kokett auf Adam oder die Betrachtenden gerichtet. Während im Mittelalter noch die Sexualkraft der Frau als der des Mannes überlegen galt, was als höchst beunruhigend empfunden wurde und Grundlage für die Dämonisierung der Frau war,35 wird in der medizinischen und Ehetraktatsliteratur des 16. Jahrhunderts primär der Sexualtrieb des Mannes zum Thema. Dieser wird ausdrücklich akzeptiert, was im Einzelfall selbst den Einsatz potenzsteigernder Mittel einschließt, wohingegen bei Frauen nach wie vor empfohlen wird, das sexuelle Bedürfnis zu dämpfen.36 Zugleich gelten Affekte und Triebe des Mannes als chaotisch und unberechenbar und bedürfen der sozialen Kontrolle. In den Ehelehren des 16. Jahrhunderts wird daher der Ehefrau die Aufgabe zugewiesen, mäßigend und zivilisierend auf den Ehemann einzuwirken, wenngleich sie dies mit höchst subtilen Mitteln und auf der Basis prinzipieller Unterordnung zu bewerkstelligen hat.37 Dass der Mann sein Begehren durch den Griff nach der Frucht bzw. Brust realisiert, ist also sozial akzeptiert und gilt als Bestandteil männlicher Identität. Doch da übermäßig aggressives Sexualverhalten des Mannes soziale Probleme hervorbringt, bedarf seine Triebhaftigkeit gesellschaftlicher Kontrolle. Sprechenden Ausdruck findet dies in einem Holzschnitt von Lucas Cranach von ca. 1522 (Abb. 12): Im Bildzentrum befindet sich Eva annähernd in Umarmung mit der weiblichen vollbusigen Schlange. Von links kommt Erzengel Gabriel in der zeitgenössischen Kleidung eines Landsknechts mit siebenschwänziger Katze und warnend-drohender Geste. So wie Eva und die Schlange parallelisiert sind, bildet der ErzengelLandsknecht das Gegenstück zum nackten Adam, der sich verschämt am rechten Bildrand herumdrückt. Dem triebverfallenen, verschämten und unterlegenen Mann steht der uniformierte, bewaffnete und überlegene Mann gegenüber. Cranach hat bekanntlich eng mit Luther zusammengearbeitet, und dieser Holzschnitt kann wohl als Dokument der reformatorischen Auf-

35 | Vgl. Lorenz, Dagmar: »Die Frau vor und nach der Reformation Dr. Martin Luthers«, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1980, S. 7-35, hier: S. 13f. 36 | Vgl. Walter, Tilmann: Unkeuschheit und Werk der Liebe. Diskurse über Sexualität am Beginn der Neuzeit in Deutschland, Berlin/New York 1998, S. 381ff. 37 | Beispiele bringt M.E. Müller: Naturwesen Mann, S. 43-68.

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Abbildung 12: Lucas Cranach, Der Sündenfall, um 1522 fassung des Sündenfalls gewertet werden.38 Luther hat den Sündenfall teilweise völlig neu gedeutet. Als Erster hat er Adams und Evas Schuld gleich hoch bewertet (vorher galt Evas Schuld stets als größer). Zugleich hat er die unschuldige Nacktheit im Paradies aufgewertet und sogar in Maßen den Sexualtrieb rehabilitiert. Luther interpretierte den Sündenfall ausschließlich als Vergehen des Ungehorsams.39 Auch wenn er den Sexualtrieb genauso wie Augustinus als durch die Ursünde diskreditiert sieht, dämonisiert er ihn nicht so sehr wie dieser. Stattdessen sah er die Notwendigkeit, die Sexualität einerseits als zur menschlichen Natur gehörig zu akzeptieren und andererseits gesellschaftlich zu disziplinieren. Ausdrücklich sprach er von der notwendigen Kontrolle des Sexualtriebs

38 | Vgl. Hofmann, Werner (Hg.): Luther und die Folgen für die Kunst, Ausstellungskatalog Hamburger Kunsthalle, München 1983; Weimer, Christoph: Luther, Cranach und die Bilder, Stuttgart 1999. 39 | Vgl. Walch, Johann Georg (Hg.): Martin Luther. Sämtliche Schriften, Bd. 1 (18801), Nachdruck der 2. überarbeiteten Auflage, Groß Desingen 1986, S. 180f.

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durch Kirche und Polizei, also durch geistliche und weltliche Obrigkeit40 – genau diese wird in Cranachs Holzschnitt durch den Landsknecht repräsentiert. Dabei weist die bildliche Darstellung eine wichtige Abweichung gegenüber der Genesiserzählung auf: Der Erzengel tritt hier bereits vor dem Fall in Erscheinung und warnt eindrücklich vor der Fehlhandlung, anstatt erst nach erfolgter Sünde Adam und Eva mit dem Schwert aus dem Paradies zu vertreiben. An seiner primär mahnenden und warnenden Funktion wird der besondere didaktische Auftrag des Blattes im Sinne des Protestantismus deutlich.

A DAMS ALS H ELD : D IE R ÜCKVERWANDLUNG

IN

H ERKULES

Auf den ersten Blick wirkt es schwierig, aus den Adamdarstellungen in den Sündenfallbildern des 16. Jahrhunderts ein konsistentes Männlichkeitsideal zu extrahieren, denn die vor Augen geführten Männlichkeitsbilder scheinen äußerst heterogen, ja gegensätzlich zu sein. Sie bewegen sich zwischen den Polen eines von der erotischen Eva dominierten, schwachen, ja geradezu lächerlichen Pantoffelhelden und eines aktiven und dominanten Sexualpartners, der ohne große Aufforderung selbst nach dem Apfel bzw. der Brust als Objekten seines Begehrens greift. Doch handelt es sich nur vordergründig um einen Widerspruch, denn der unterlegene und der dominante Adamtypus bestätigen sich wechselseitig – sie fungieren komplementär als negatives und positives Männlichkeitsideal. Hinzu kommt, dass die Darstellungen des dominanten Adam gegenüber den »Weibermacht«-Darstellungen des schwachen, unterlegenen Adam in der Opferrolle im 16. Jahrhundert tendenziell quantitativ vorherrschend sind. Es wird also weniger Eva als aktive Verführerin thematisiert (dieser Aspekt steht in Darstellungen des 14. und 15. Jahrhunderts noch im Vordergrund) als vielmehr Adams sexuelle Dominanz und seine aktive Rolle im Sündenfall. Im in sexueller wie jeder anderen Hinsicht aktiv handelnden Adam der Sündenfallbilder des frühen 16. Jahrhunderts kann man also durchaus den sich in jener Zeit konstituierenden »hegemonialen Typus von Männlichkeit« (Connell 1999: 210) erkennen, der ungeachtet aller Differenzierungen und Variationen für die Moderne charakteristisch wurde. Dabei ist bemerkenswert, dass in demselben Maße, wie Adams Anteil an der Ursünde gesteigert wird, zugleich 40 | Vgl. J.G. Walch (Hg.): Martin Luther, S. 206.

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der Aspekt der Sünde und der katastrophische Charakter selbiger eine deutliche Relativierung erfährt, was unter anderem daran zu erkennen ist, dass die Schlange in der Handlung vielfach keine aktive Rolle mehr spielt und als reines Attribut fungiert, nur sehr klein ist oder sogar ganz aus dem Bild verschwindet. Die neue Dominanz Adams im Sündenfall erhöht also keineswegs seinen Anteil an der Schuld. Vielmehr gleicht sich der nach der verbotenen Frucht greifende Adam dem Herkules an, der die Äpfel der Hesperiden erringt – also eine Heldentat vollbringt. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Ikonografie der Szene von Adam und Eva im Paradies genetisch vor allem auf spätantike Darstellungen von Herkules bei den Hesperiden zurückzuführen ist. Denn aus diesem Zusammenhang stammt das Motiv des von einer Schlange oder einem Drachen beschützten Baumes.41 Es gibt zwei Versionen der Erzählung von der (je nach Zählung) elften bzw. zwölften Arbeit, die Herkules für Erystheus vollbringen musste. Nach der ersten Version überredete er Atlas, die Äpfel für ihn zu holen, nach der zweiten drang er selbst bei den Hesperiden ein, tötete die Wache haltende Schlange Ladon und raubte die Äpfel. In der antiken Vasenmalerei wurde überwiegend die letztere Version dargestellt, in der Spätantike verlor die Szene jedoch ihren Kampfcharakter und erhielt einen friedlichen, geradezu erotischen Charakter.42 Die frühchristliche Kunst adaptierte das Motiv des Baums mit Schlange, neben dem ein Mann (Herkules) und eine oder mehrere Frauen (die Hesperiden) stehen, und verlieh ihm die neue ikonografische Bedeutung der Paradiesszene. Dieser Transformationsprozess findet im 16. Jahrhundert erneut statt, nun aber in umgekehrter Richtung. Das entscheidende Bindeglied hierfür stellt Michelangelos Adam (vgl. Abb. 7) in der Sixtinischen Kapelle dar; zweifellos ein Höhepunkt des herkulischen Adams. Ihn nahm sich Rosso Fiorentino, der 1524/25 in Rom war und Michelangelos Fresken studierte und der gleichzeitig an den Zeichnungsvorlagen für einen gestochenen Herkuleszyklus arbeitete, zum Vorbild für eine Darstellung des Herkules, der die Äpfel der Hesperiden raubt (Abb. 13).43 41 | Vgl. S. Esche: Adam und Eva, S. 11. 42 | Vgl. Brommer, Frank: Herakles. Die 12 kanonischen Taten des Helden in antiker Kunst und Literatur, Darmstadt 1986; Wünsche, Raimund (Hg.): Herakles – Herkules, Ausstellungskatalog. Staatliche Antikensammlungen München, München 2003, S. 156-161. 43 | Vgl. auch den Kommentar in Unverfehrt, Gerd (Hg.): Zeichnungen von Meisterhand, die Sammlung Uffenbach aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen, Göttingen 2000, S. 58.

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$EELOGXQJ5RVVR)LRUHQWLQR+HUNXOHVUDXEWGLHbSIHO  GHU+HVSHULGHQXP Eine solche Umcodierung des Motivs war nur möglich aufgrund der Heroisierung Adams in der Kunst des 16. Jahrhunderts. So verwandelte sich rund 1500 Jahre, nachdem Adam aus Herkules hervorgegangen ist, Adam wieder in Herkules zurück! Eine Pointe dabei ist, dass gerade diese Tat des Herkules in der Renaissance kaum je verbildlicht wurde – in den bedeutenden Herkuleszyklen in Florenz, Rom und Mantua ist sie durchweg ausgelassen.44 Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass für den Apfelraub keine heroische Bildtradition überliefert war. Die kämpferischen Darstellungen der älteren Vasenmalerei hat man wohl kaum gekannt. Nachweislich bekannt war hingegen ein Relief aus der Villa d’Este in Tivoli, das

44 | So in den Zyklen von Mantegna im Palazzo Ducale in Mantua, Peruzzi in der Villa Farnesins in Rom, A. Carracci im Palazzo Farnese in Rom, Giulio Romano im Palazzo del Tè in Mantua und auch in Antonio Pollaiuolos Tafeln in den Uffizien.

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sich seit dem 18. Jahrhundert in der römischen Villa des Kardinals Albani befindet. Es zeigt Herkules nicht in einer kämpferisch zugreifenden Pose, sondern vor dem von einer Schlange umringelten Baum friedlich sitzend, die Äpfel von den Hesperiden in Empfang nehmend, wobei zwischen ihm und der jungen Hesperide rechts eine erotische Spannung angedeutet ist. Dies rekurriert auf eine ältere Mythentradition (für die zwar keine literarische Quelle überliefert ist, jedoch Zeugnisse der Vasenmalerei), wonach Herkules sich in eine junge Hesperide verliebte und sich zwischen dieser Liebe und der Aufnahme in den Kreis der olympischen Götter entscheiden musste; im Werk ist der Moment der getroffenen Entscheidung dargestellt.45 Dieses Hesperidenrelief, die römische Kopie eines griechischen Werks aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, war seit dem 15. Jahrhundert in Rom für Künstler zugänglich und wurde mehrfach abgezeichnet.46 Wenn Rosso Fiorentino für seinen Herkules (vgl. Abb. 13) nicht dieses ikonografisch gebotene Vorbild, sondern stattdessen Michelangelos Adam adaptierte, handelte es sich also um eine dezidierte Entscheidung. Zweifellos unternahm er dies zu dem Zweck, die eher unspektakuläre, ja geradezu idyllische Hesperidenszene zu re-dramatisieren. Denn auf diese Weise gelang es ihm, sie den anderen, durchweg hochdramatischen Blättern der Serie von Herkulestaten anzugleichen, die Giovanni Jacopo Caraglio 1524 nach Rossos Vorlagen gestochen hat. Der Kunstgriff hat indes nichts geholfen, denn die Zeichnung wurde nicht als Stich umgesetzt, und es blieb bei einem sechsteiligen Zyklus. Neben der missglückten Schulter des Herkules dürfte der wichtigere Grund darin liegen, dass die Darstellung ikonografisch allzu ungewöhnlich und folglich nicht mehr entzifferbar war. Letztlich ist das Blatt so nachdrücklich in Vergessenheit 45 | Das Relief wird wegen stilistischer Ähnlichkeiten zur Ara Pacis auf die ersten Jahrzehnte der Kaiserzeit datiert. Teile (die linke Hesperide und das Gesicht des Herkules) sind ersetzt und das gesamte Werk wurde im 18. Jahrhundert überarbeitet. Hinsichtlich seiner Funktion gibt es unterschiedliche Deutungen. Vgl. Cain, Hans-Ulrich: »Nr. 127 Hesperidenrelief«, in: Peter C. Bol (Hg.), Forschungen zur Villa Albani (= Katalog der antiken Bildwerke, Bd. 1), Berlin 1988, S. 198-404, Taf. 228. 46 | Schon Pirro Ligorio, der es in Monte Giordano in Rom sah, wo es über dem Eingang des Hauses seines Patrons Cardinal d’Este eingemauert war, deutete die Szene als Hersperidengeschichte. Die früheste Zeichnung stammt von Pisanello (abgebildet bei Schmitt, Annegritt: »Gentile da Fabriano und der Beginn der Antikennachzeichnung«, in: Münchener Jahrbuch für Kunstgeschichte XI (1960), S. 91-151), eine weitere von Girolamo da Carpi. Vgl. Bober, Phyllis Pray/Rubinstein, Ruth: Renaissance Artistes and Antique Sculpture. A Handbook of Sources, London 1986, S. 174f., Nr. 138a.

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geraten, dass es auch in der einschlägigen Rossoliteratur keine Erwähnung findet.47 In unserem Zusammenhang aber ist das gescheiterte Unterfangen deshalb von besonderem Interesse, weil dieser (meines Wissens einmalig gebliebene) Fall einer Rückwirkung der Adamikonografie auf die Herkulesikonografie belegt, wie sehr im 16. Jahrhundert die Heldenhaftigkeit Adams in den Vordergrund rückte. Worin aber besteht die Heldentat des Adam? Wie bereits erwähnt, verliert der Sündenfall im Denken der Humanisten seinen negativen Charakter und wird neu gedeutet als Auftakt der menschlichen Kulturgeschichte. Schon in der mittelalterlichen Osterliturgie wurde der Sündenfall als felix culpa besungen, da er die Heilsgeschichte überhaupt erst ermöglicht hat. In der Renaissancetheologie gilt die Ursünde als Voraussetzung für die Inkarnation Gottes in Jesus Christus. Das Attribut felix wird wichtiger, die culpa tritt in den Hintergrund. Odo Marquard hat dies als »Positivierung des Sündenfalls«48 bezeichnet. Genau dasselbe sagen auch die Bilder: Je deutlicher Adams aktiver Anteil am Sündenfall betont wird, desto mehr tritt dessen positiver Charakter hervor. Adam avanciert damit zum Helden im welthistorischen Drama der Heilsgeschichte – ganz im Gegensatz zu Eva, der eine vergleichbare »Positivierung« niemals zuteil wurde.

L ITERATUR Bark, Sabine: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Das Thema des Sündenfalls in der altdeutschen Kunst 1495-1545, Frankfurt/M. 1994. Benthien, Claudia/Stephan, Inge (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/ Weimar/Wien 2003. Bober, Phyllis Pray/Rubinstein, Ruth: Renaissance Artistes and Antique Sculpture. A Handbook of Sources, London 1986. 47 | Vgl. Carroll, Eugene A.: The Drawings of Rosso Fiorentino, 2 Bde. New York 1976; ders.: Rosso Fiorentino: Drawings, Prints and Decorative Arts, Ausstellungskatalog National Gallery of Art Washington, Washington 1987. 48 | Vgl. Marquard, Odo: »Felix culpa? – Bemerkungen zu einem Applikationsschicksal von Genesis 3«, in: Manfred Fuhrmann (Hg.), Text und Applikation: Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch (= Poetik und Hermeneutik, IX) München 1981, S. 53-71, hier S. 54. Marquard setzt den Beginn dieser Tendenz zur Positivierung erst bei Leibniz an, jedoch kann man ihn unzweifelhaft bereits in der Philosophie der Renaissance verorten.

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Raffael und das Bildnis der Ehefrau Liebessemantik und aequalitas in der Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts BIRGIT WITTE

I. D IE B RAUT IM B ILD. PORTRÄTKONZEPTION UND FÜRSTENHOCHZEIT IN U RBINO 1505, drei Jahre bevor Baldassare Castiglione mit der Arbeit an seinem Libro del Cortegiano beginnen sollte, werden in Urbino mehrere Entwicklungen absehbar: Bereits seit einiger Zeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Herzogs Guidobaldo, zudem würde er aller Wahrscheinlichkeit nach ohne einen Erben bleiben. Die Kinderlosigkeit von Guidobaldo und Elisabetta da Montefeltro verleitete dementsprechend bereits in den ersten Jahren des Cinquecento zu Spekulationen um die Nachfolgeregelung für den Herzogthron in Urbino, die gerade für diese Generation immer dringlicher wurde, wollte man das Herrschaftsgebiet nicht an einen fremden Potentaten verlieren. Familienbande bestanden bereits zu den im benachbarten Senigallia residierenden Della Rovere, und so verwundert es nicht weiter, dass sich aus Rom Papst Julius II. della Rovere in die urbinatische Machtpolitik einbrachte.1 Sein Neffe, Francesco Maria, verkehrte bereits seit einiger 1 | Durch die Heirat von Giovanni della Rovere mit Giovanna di Montefeltro wurden bereits 1474 erste Bande zwischen Senigallia und Urbino geknüpft; Guidobaldo da Montefeltro war der Bruder Giovannas und damit Onkel Francesco Marias, des Sohnes Giovanni della Roveres. Zum Vergleich (auch des folgenden historischen Kontextes): Verstegen, Ian: »Francesco Maria and the Duchy of Urbino, between Rome and Venice«, in: ders. (Hg.), Patronage and Dynasty. The Rise of the Della Rovere in Renaissance Italy, Dexter 2007, S. 141-160.

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Zeit regelmäßig am Hof in Urbino und pflegte eine enge Beziehung zum Herzogspaar. Julius II. verstand diesen Kontakt zu nutzen und bemühte sich mit Nachdruck um die Adoption seines Neffen Francesco durch Guidobaldo. Der päpstliche Plan sollte aufgehen: Francesco Maria della Rovere beerbte 1508 den Herzog von Urbino. Doch entstammte der päpstliche Schützling eben nicht der direkten Blutslinie der Montefeltro, und so betätigte sich der Papst zudem als Hochzeitsvermittler, um seinen Neffen zusätzlich machtpolitisch möglichst aussichtsreich zu vermählen. Dabei fiel seine Wahl sicherlich nicht zufällig auf den Hof in Mantua: Die damals gerade zehnjährige Eleonora Gonzaga, Tochter Isabella d’Estes, war eine wünschenswerte Kandidatin, die zudem die bereits bestehenden Bande zwischen den beiden Höfen weiter stärken konnte.2 Im Jahre 1509 ging auch dieser päpstliche Plan auf, als am 25. Dezember die Hochzeit zwischen Francesco Maria della Rovere und Eleonora Gonzaga gefeiert wurde. Begonnen aber hatte alles mit einem Porträt der Braut. Dieses hatte Julius II. offensichtlich persönlich in Mantua angefordert, wie einem Brief der Hofdame Emilia Pia an Isabella d’Este vom 10. März 1505 zu entnehmen ist.3 In ihrem Schreiben erwähnt diese eine nicht näher spezifizierte Porträtzeichnung sowie den Umstand, dass die Mutter des Bräutigams die Braut jedoch leider nicht zu Gesicht bekommen habe. Vor allem aber sei man darüber verärgert, dass kein gemaltes Bildnis der Eleonora angefertigt worden sei: »El retracto de Mad. Lionora subito che ’l Papa l’intense bisognò mandarlo a Roma, e Mada Prefetessa non lo potè vedere: bene è vero che questi de qua se sirano acontentati el fusse stato de colore.«4 Der Wunsch des Papstes nach einem auf Leinwand oder einer Tafel ausgeführten Gemälde, in jedem Fall aber offensichtlich nach einem farbigen Porträt, veranlasste Isabella d’Este in einem Antwortschreiben vom 29. April 1505 zu rechtfertigen, dass sie schon längst ein solches Bildnis versandt hätte, wenn nur ein geeigneter Maler zur Hand gewesen wäre. Nun jedoch erwarte sie einen aussichtsreichen Kandidaten und sei bemüht, dem Wunsch aus Rom baldmöglichst zu entsprechen: »[H]averia

2 | Erste verwandtschaftliche Bande bestanden in dieser Richtung bereits in der Vermählung der Tante Eleonoras, Elisabetta Gonzaga, mit Guidobaldo da Montefeltro; vgl. ebd., S. 145f. 3 | In Teilen ediert bei Luzio, Alessandro/Renier, Rodolfo: Mantova e Urbino. Isabella d’Este ed Elisabetta Gonzaga nelle relazione famigliari e nelle vicende politiche, Turin/Rom 1893. 4 | Ebd., S. 164f.

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mandato il retracto de la Elionora a V. S., come la mi ricerca, quando fusse stato qui pictore che sapesse ben collorire. Expectandone uno, subito lo farò et mandarollo a V. E.«5 Wer der Urheber sowohl der vorangegangenen Zeichnung als auch des vermutlich später als Gemälde angefertigten Porträts war, ist derzeit ebenso wenig geklärt, wie auch beide Werke bisher nicht eindeutig identifiziert werden konnten.6 Der erhaltene Briefwechsel jedenfalls stellt eine der wenigen schriftlichen Quellen dar, die ein um 1500 weit verbreitetes Phänomen veranschaulicht: das Versenden von Bildnissen der potenziellen Ehepartner an den jeweilig interessierten Hof. Von besonderer Bedeutung ist hier zudem, dass offensichtlich eine feste Vorstellung darüber herrschte, wie ein solches Porträt auszuführen sei, um das Aussehen der Braut möglichst genau wiederzugeben. Das Bild sollte unbedingt farbig sein und von einem Maler ausgeführt werden, der sein Handwerk bestens beherrscht, »che sapesse ben collorire«. Der Typus des Brautporträts, wie er an den europäischen Höfen um 1500 üblich war, setzte einige Spezifika voraus, die nahelegen, dass es sich um ein kleinformatiges Porträt im Büstenausschnitt gehandelt haben dürfte, welches zum Transport üblicherweise zusätzlich mit einer ledernen oder textilen Schutzhülle, mit einem Klapp- oder Schiebedeckel und aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit einer bemalten Rückseite versehen war.7 Das Bildnis der angehenden Braut scheint jedenfalls mit nicht allzu großer Verzögerung angefertigt worden zu sein, zumindest lässt sich keine weitere Nachfrage im Briefverkehr zwischen den Höfen finden.8 Aus dem Besitz Julius II. hat sich aber ein kleinformatiges, heute in Florenz

5 | Ebd., S. 165. 6 | Einen ersten Identifizierungsvorschlag legte John Shearman vor, der ein Porträt der Eleonora Gonzaga vermutete und das Bildnis gleichzeitig dem jungen Raffael zuschrieb. Seine Argumente wurden von Fert Sangiorgi weiter untermauert. Vgl. Shearman, John: »Raphael at the Court of Urbino«, in: Burlington Magazine 112 (1970), S. 72-78; Sangiorgi, Fert (Hg.): Documenti urbinati. Inventari del Palazzo Ducale (1582-1631), Urbino 1976. 7 | Einige einschlägige Beispiele sind versammelt bei Dülberg, Angelika: Privatporträts. Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1990, S. 31-45. 8 | Luzio und Renier bemerkten hierzu, dass sicherlich mehrere Porträts Eleonoras angefertigt worden seien, etwa von Francesco Bonsignori. Ob diese jedoch dem Versand dienten, bleibt ungewiss. Des Weiteren habe Lorenzo Costa kurz vor 1508 ein Bild der jungen Braut gemalt, das jedoch nicht diesen Ereignissen um 1505 zugeordnet werden kann, vgl. A. Luzio/R. Renier: Mantova e Urbino, Anm. 1, S. 165.

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Abbildung 1a: Porträt eines Mädchens, ca. 1505 verwahrtes Bildnis erhalten, das möglicherweise mit den skizzierten Ereignissen verbunden werden kann (Abb. 1a).9 9 | Mit der Zuschreibung des Bildnisses an Raffael durch John Sherman stellt sich die Frage, wie der erst 22-jährige Maler dieses Bildnis hätte anfertigen können, hielt er sich doch in diesen Jahren nachweislich nicht in Mantua auf, sondern im Umkreis Urbinos. Jedoch erscheint die These Shearmans durchaus plausibel, dass Raffael aufgrund des dringenden Wunsches Julius II. von der Mutter des Bräutigams in Urbino selbst mit einem farbigen Bildnis beauftragt wurde und dementsprechend mit der Zeichnung als Vorlage arbeitete – wenn er denn der Urheber war. Zur Zuschreibung an Raffael siehe J. Shearman: Raphael at the Court of Urbino, 1970. Die heftige, von Shearman ausgelöste Zuschreibungsdebatte verstummte abrupt, als die Tafel, damals im Bostoner Museum of Fine Arts aufbewahrt, als illegal erworbenes Kunstwerk identifiziert und dem italienischen Staat zurückgegeben wurde. Gegen die Abschreibung bzw. gar die Annahme einer Fälschung argumentiert zusammenfassend Lyndel Prott mit der Bemerkung, die Hand Raffaels sei trotz des

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Vor dem hier skizzierten Hintergrund sollen im Folgenden vor allem zwei Aspekte frühneuzeitlicher Porträtkonzeption vorgestellt werden. Zum einen gilt es zu zeigen, dass bereits zu Beginn des Cinquecento das Ideal der ehelichen Liebe nicht nur den Diskurs um die Gemeinschaft der Geschlechter beherrschte, sondern dass diese literarischen Entwürfe gerade im Medium des (Be-)Werbungsbildnisses im Allgemeinen und im Brautporträt im Speziellen reflektiert wurden. Zum anderen gilt es in einem zweiten Schritt herauszustellen, inwiefern Bildnisse bereits verheirateter Paare auf diese insbesondere im höfischen Kontext diskutierten Konzepte reagierten. Zu fragen ist hier nach den Parametern und den Wirkmechanismen eines ehelichen self-fashionings, zunächst anhand Raffaels Pendantbildnissen des bürgerlichen Ehepaares Agnolo und Maddalena Doni und abschließend in der Analyse von Tizians Porträts des urbinatischen Herzogpaares Francesco Maria della Rovere und Eleonora Gonzaga. Das zur Diskussion gestellte Bildnis, das zumindest vom Typus her dem eines Brautporträts entspricht und im Folgenden, zunächst unabhängig einer spezifischen Zuordnung, als solches behandelt werden soll, zeigt ein junges, reich geschmücktes Mädchen, das seinen Blick direkt auf den Betrachter gerichtet hat. Die Darstellung nahezu en face betont die Jugendlichkeit des Mädchens und hebt den zarten Ton des Inkarnats hervor. Die camicia sowie das Übergewand mit den angeknoteten Ärmeln, der Schmuck und das offen auf den Rücken fallende Haar weisen die Dargestellte als eine unverheiratete junge Frau aus wohlhabendem Hause aus, gekleidet nach der Mode Italiens um 1500.10 Neben der vermutlich aus geschliffenen Korallen bestehenden Halskette fallen insbesondere die beiden goldenen Ketten des Mädchens ins Auge: eine schmale, die zwischen camicia und Übergewand verschwindet, und eine dichter geflochtene, die auf Brusthöhe zu einem Knoten geschlungen ist. Noch weitere schlechten Erhaltungszustandes der Tafel und einigen Übermalungen durchaus noch zu erkennen. Vgl. Prott, Lyndel V. et al.: »Law and the cultural heritage, Bd. 3, Movement«, in: The American Journal of International Law 85 (1991), S. 737-742. Die aktuelle Forschung folgt der Zuschreibung an Raffael nicht mehr, vgl. Meyer zur Capellen, Jürg: Raphael. A Critical Catalogue of his Paintings, Bd. I. The beginnings in Umbria and Florence, Landshut 2001, S. 318. 10 | Für einen Überblick zur zeitgenössischen Mode siehe vor allem Zuffi, Stefano: Dettagli di stile. Moda, costume e società mella pittura italiana, Mailand 2004, und Salsi, Claudio: »La moda ›alla lombarda‹ del XV secolo. Esempi nella Stampa Prevedari della Civica Raccolta A. Bertarelli di Milano«, in: Laura Dal Prà/Paolo Peri (Hg.), Dalla testa ei piedi. Costume e moda in età gotica, Trient 2006, S. 159-171.

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Details durchbrechen die ansonsten vollkommen gleichmäßig angelegte Komposition. Zum einen fällt das offenbar aus einer goldenen Kordel bestehende, kettenartig geflochtene Haarband an der rechten Kopfseite in zwei schmalen, zopfartigen Schnüren herab, deren untere Enden sich gelöst haben und beinahe bis auf die Schulter reichen. Zum anderen ist die durchscheinende camicia links etwas herabgeglitten und gibt so den Blick auf die zarte Haut des Mädchens frei. Diese scheinbare Nachlässigkeit erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als bewusste Inszenierung, denn der direkte Blick des Mädchens begegnet dem des Betrachters, wenn dieser seine Augen von ihrer Schulter löst. Doch ist dies kein tadelnder Blick, der den Betrachter zu einem ertappten Voyeur degradieren würde, sondern der einer jungen Frau, die, mit leicht geröteten Wangen, ganz gezielt in dieser unschuldig anmutenden Weise präsentiert wird. Die Darstellung verzichtet weiterhin auf stärker erotisierende Details, etwa einer gänzlich entblößten Brust, wie es zahlreiche Frauenbildnisse des Cinquecento im Modus en deshabille vorführen und die in der Forschung vordergründig im Kontext der Kurtisanendarstellung diskutiert werden.11 Das Bildnis des jungen Mädchens entzieht sich diesem Diskurs. Wenig wahrscheinlich ist es zudem, sich alternativ das Bildnis einer Geliebten vorzustellen, wie sie in der Tradition Petrarcas etwa Lorenzo de’ Medici sowie Bernardo und Pietro Bembo in zahlreichen Sonetten besangen. Die Dargestellte scheint vor allem aufgrund ihrer Jugendlichkeit auch in dieses Genre nicht wirklich hineinzupassen, sodass als Adressat hier eigentlich nur ein zukünftiger Ehemann infrage kommt.12 Die

11 | Vgl. dazu Lüdemann, Peter: Virtus und Voluptas. Beobachtungen zur Ikonographie weiblicher Aktfiguren in der venezianischen Malerei des frühen Cinquecento, Berlin 2008, insbesondere S. 193-278. Zu der in der Forschung diskutierten Problematik, in jedem entblößten Frauenporträt eine Kurtisane zu vermuten, vgl. Goffen, Rona: »Bellini’s Nude with Mirror«, in: Venezia Cinquecento 1 (1991), S. 185-199. »[I]f she’s not the Virgin – she must be a whore« (ebd., S. 185); und ausführlicher siehe Talvacchia, Bette: Taking Positions. On the Erotic in Renaissance Culture, Princeton 1999, S. 101-124. 12 | Zu Lorenzo de’ Medici, der ein Porträt seiner angebeteten Lucrezia Donati malen ließ, siehe Musacchio, Jacqueline Marie: »Wifes, Lovers and Art in Italian Renaissance Courts«, in: Andrea Bayer (Hg.), Art and Love in Renaissance Italy, New Haven/London 2008, S. 128-141; zu Bernardo Bembos Bildnis der Ginevra Benci vgl. Fletcher, Jennifer: »Bernardo Bembo and Leonardo’s Portrait of Ginevra de’ Benci«, in: Burlington Magazine 131 (1989), S. 811-816; einen weiteren Überblick der in dieser Tradition anzusiedelnden Bildnisse bietet Zapperi, Roberto: Das Bildnis der Geliebten. Geschichten der Liebe von Petrarca bis Tizian, München 2007.

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im Bild nur angedeutete Erotik entspricht viel eher den Vorstellungen einer prämaritalen, tugendhaften Inszenierung einer für den Gatten reservierten, zögerlich-jungfräulichen Erotik. Hinzu kommt die oben schon angesprochene Form des Bildes: Der Eindruck, es handelt sich hier um ein zum Versand angefertigtes mobiles Bildnis, wird durch den Umstand verstärkt, dass auch die Rückseite der Tafel eine Bemalung aufweist. Diese zeigt ein zu einer komplizierten, netzartigen Struktur verwobenes, mit großer Wahrscheinlichkeit auf Entwürfen Leonardos basierendes Knotenmuster, das in den vier Tafelecken von kleineren Knotenverschlingungen gerahmt wird (Abb. 1b).13

Abbildung 1b: Rückseite von »Porträt eines Mädchens« Leonardo hatte vermutlich während seiner Zeit am mantuanischen Hof verschiedene, heute als nodi bezeichnete ornamentale Stiche geschaffen, die kurz darauf von Dürer ins Medium des Holzschnitts übertragen und mit »knodn« betitelt wurden.14 Die weitere Verbreitung dieser Kopien 13 | Zur Invenzione Leonardos siehe Feser, Sabine (Hg.): Giorgio Vasari. Das Leben des Leonardo da Vinci, Berlin 2006, S. 60, Anm. 20, sowie Borsi, Stefano: »Un groviglio da sciogliere. I ›nodi‹ di Leonardo«, in: Art e Dossier 14 (1999), S. 12-16. 14 | Zu Dürer, der diese mäandernden Schleifen wahrscheinlich während seines Aufenthalts in Venedig gesehen, kopiert und seine Vorlage dann auch erstmals als »knodn« bezeichnet hatte, siehe Costello, Eileen Elisabeth: »Knot(s) Made by Hu-

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dürfte das Motiv auch über die Grenzen Mantuas hinaus bekannt gemacht haben, jedenfalls findet sich ein nach dem gleichen Prinzip geschlungener Knoten etwa 1530 auf einem Blatt aus Nicolò di Aristotile de’Rossis Anweisungen für weibliche Handarbeit, dem Esemplario di lavore, als druckgrafische Vorlage für Stickereien (Abb. 2).

Abbildung 2: Knotenmotiv, Stickereivorlage Anstatt der kleinen Einzelknoten, die bei Leonardo und Dürer das Hauptmotiv rahmen, sind die vier Ecken hier mit unterschiedlichen (Liebes-) Symbolen besetzt. Neben den Bildzeichen des entflammten, von Schwert und (Blick-)Pfeil durchbohrten Herzens ist die dextrarum iunctio (ineinander gelegte Hände), die als Freundschaftssymbol, aber vor allem auch man Hands. Copying, Invention, and Intellect in the Work of Leonardo da Vinci and Albrecht Dürer«, in: Athanor 23 (2005), S. 25-33. Das Motiv wurde offenbar auch für andere Kontexte und Bildentwürfe übernommen, etwa für Intarsienarbeiten oder Entwürfe ornamentalen Fußbodendesigns, vgl. dazu Dalli Regoli, Gigetta: »Order and Fantasy. Fra’ Domenico de’ Fossi and Leonardo«, in: Achademia Leonardo Vinci 1 (1988), S. 15-22. Zur Verwendung von Leonardos Knotenmotiv in einer Vielzahl von (druckgrafischen) Medien, Titelblättern etc. siehe Pedretti, Carlo: »Nec ense«, in: Achademia Leonardo Vinci 3 (1990), S. 82-90, und Bambach Cappel, Carmen: »Leonardo, Tagliente, and Dürer. ›La scienze de far di groppi‹«, in: Achademia Leonardo Vinci 4 (1991), S. 72-98, mit ausführlicher Bibliografie.

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als Merkmal der rechtmäßigen Eheschließung eine weit verbreitete Synekdoche war, von besonderer Bedeutung.15 Diese Reminiszenz lässt daher vermuten, dass auch die Knoten Leonardos und Dürers mehr sind als reine Ornamentvorlagen und schon für sich – ohne die expliziten Liebessymbole in den Ecken – durchaus als Allusionen auf die Verstrickungen der Liebe verstanden werden konnten.16 Die Rückseite des Florentiner Porträts liefert dem Betrachter damit eine Art Lesefolie für die Vorderseite, und zugleich bildet der so geschaffene Sinnzusammenhang eine Aufladung und Verdichtung der Bildaussage insgesamt.17 Unter Verwendung des bereits im ersten Drittel des Cinquecento als Liebes- und Ehesymbol verstandenen Knotens wird dieser Liebescode auf das Porträt projiziert. Die Struktur des hier besonders oft und kunstvoll zu einer Kreisform verschlungenen Bandes erinnert in sei15 | Gerade das Motiv von ornamentalen Knoten in Verbindung mit Liebessymbolen, die zwar nicht direkt eine Handarbeit zieren, aber doch als Dekoration aus Blumen verwendet werden, findet sich auch sinnlich-erotisch aufgeladen in Pietro Aretinos Sei giornate. Dort wird am ersten Tag ein sorgsam gedeckter Tisch beschrieben, auf dem in den vier Ecken aus verschiedenen Blumen unterschiedliche Liebessymbole, die denen auf Nicolò de’Rossis Vorlagenblatt sehr stark ähneln, wiedergegeben werden: »Ora l’altra monica aveva in ogni quadro della tavola ritratto una cosa bella: nel primo fece il nodo Salomone di viole mammole; nel secondo il laberinto di fiori di sambuco, nel terzo un core di rose incarnatetrapasato da un dardo che era del gambo d’un garofano, e la sua boccialo servia per ferro: che, mezza aperta, parea tinta nel sangue del core; e sopra d’esso, di fiori di bugalossa sveva ritratti i suoi occhi lividi per il piangere, e le lagrime che versavano erano di quei bottoncini di aranci spuntati pur allora per le cime dei rami loro; nell’ultimo aveva fatto due mani di gelsomini congiunte insieme, con un fides di viole gialle.« (Romano 1991: 54) 16 | Gleichzeitig scheint aber auch der Übergang vom Verständnis eines Liebeszum Freundschaftsknoten – und umgekehrt – ein fließender gewesen zu sein; jedenfalls sprach schon Cicero vom »nodus amicitiae« und auch Leon Battista Alberti verwendet diese Metapher im vierten, der Freundschaft gewidmeten Buch seiner Libri della famiglia als Sinnbild für die emotionale Verbindung zweier Seelen im Allgemeineren, vgl. Cicero: De Amicitiae, 51 (Trimborn, Wilhelm: Cicero. Laelius de amicitia, Münster 2001, S. 21); Romano, Ruggiero/Tenenti, Alberto (Hg.): Leon Battista Alberti. I libri della famiglia, Turin 1969, S. 377. Zur dezidierten Anwendung des Symbols im Kontext von Freundschaft, Freundschaftsbild und Freundschaftsgaben siehe Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008, S. 328f. 17 | Verweisfunktion und Zusammenspiel von sinnstiftenden Porträtdeckelbemalungen behandelt ausführlich Baader, Hannah: »Anonym: ›Sua ciuqua Persona‹. Maske, Rolle, Porträt (ca. 1520)«, in: Rudolph Preimesberger/Hannah Baader/ Nicola Suthor (Hg.), Porträt, Berlin 1999, S. 239-245.

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ner Knotenform nicht nur an die spätestens mit Petrarca zu einem festen Motiv im Standardrepertoire literarischer Liebesmetaphern gewordenen nodi, sondern auch an das von Bembo besungene, durch Amor ausgeworfene Netz, in dem sich der Liebende verfängt.18 Es bleibt also zunächst festzuhalten, dass in Bezug auf diese Tafel viel für eine Anfertigung als leicht zu transportierendes, aussagekräftiges, geradezu verführendes und fesselndes Bild spricht, das dem zukünftigen Gatten zugestellt werden sollte.

II. P ETRARCA , NODI D ’AMORE UND DER L IEBESDISKURS IM FRÜHEN C INQUECENTO In die Richtung eines mit Liebessymbolik aufgeladenen Brautbildnisses (vgl. Abb. 1) verweist schließlich auch die Wiederholung des Knotenmotivs auf der Vorderseite des Bildes: einmal in Form der auf Brusthöhe verschlungenen goldenen Kette, aber vor allem auch in Form des eigenartig anmutenden Kopfschmucks des Mädchens. Das Haarband zieren vier gleichmäßig verteilte goldene Knoten. Ein Fünfter, an der Schläfe, sticht aber besonders hervor, da er sich an einem Ende gelöst zu haben scheint und so das Arrangement des sorgfältig frisierten Haares stört. Die italienische Liebeslyrik verband das um 1500 längst etablierte Motiv der von Amor geknüpften Liebesknoten und -ketten bezeichnenderweise ausdrücklich mit dem offenen, meist goldblonden Haar, aus dessen Strähnen die nodi d’amore metaphorisch geflochten wurden und in denen sich eine Vielzahl von Poeten verfing. Dieser Kombination aus den schönen Augen der Angebeteten, dem blonden Haar und dem geknüpften, goldenen Liebesknoten erlag bereits Petrarca selbst: »[S]on questi i capelli biondi e l’aureo nodo / dich’ io ch’ancor amor mi stringe e quei belli occhi / che fur mio sol?« (zit. nach Santagata 1999: 1354).19 18 | »Di que’ bei crin, che tanto più sempre amo, / quanto maggior mio mal nasce da loro, / sciolto era il nodo, che del bel tesoro / m’asconde quel, ch’io più di mirar bramo; / e ’l cor, che ’ndarno or, lasso, a me richiamo, / volò subitamente in quel dolce oro,[...] / intanto il cor mi fu legato e tolto.« (Dionisotti 1978, S. 523f.) Zu Liebesknoten und Netz siehe Art. »Nodo«, in: Salvatore Battaglia/Giorgio Barberi Squarotti (Hg.), Grande Dizionario della lingua italiana, Bd. XI, Turin 1981, S. 486-496, hier S. 491. 19 | Amors geflochtener Liebesknoten ist hier aufs Engste mit der schönen Erscheinung der Frau verknüpft, deren (imaginäres) Bildnis dem Dichter in letzter Instanz auch den Tod nicht scheuen lässt, bliebe die Angebetete nur anwesend

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Die Positionierung des jungen Mädchens im Porträt, mit ihrem fest auf den Betrachter gerichteten Blick, und vor allem der so auffällig in Szene gesetzte Haarschmuck, mit seiner filigranen und gleichzeitig metallisch anmutenden Struktur, weist eine auffällige Nähe zu Petrarcas goldenen Liebesknoten und dessen Allusion auf das Haar der Geliebten auf. Noch eindeutiger wird die Bildaussage vor dem Hintergrund, dass geknotete Bänder und Schleifen bereits in der frühen Neuzeit als Liebesgaben dienten, für die im 16. Jahrhundert in den Niederlanden sogar eigens kleine silberne Döschen, sogenannte Knotterdoosjen, gefertigt wurden.20 Vor allem aber wurden solche geknoteten Bänder auch während des Hochzeitsritus um den Kopf der Braut geschlungen.21 Wenn die mit Metaphern beladenen nodi im Tre- und Quattrocento gerade in der italienischen Lyrik eine zentrale Rolle in ihrer Verweisund wendete sie ihre Augen nicht von ihm ab, wie es nur eines der zahlreichen Beispiele des Tre- und Quattrocento vorführt: »[T]olta m’è poi / i que’ biondi capelli, / lasso, la dolce vista; / e ’l volger de’ duo lumi honesti et belli / col suo fuggir m’atrista: / ma perché ben morendo honor s’ acquista, / per morte né per doglia / non vo’ che da tal nodo Amor mi scioglia« (Santagata 1999: 1109). 20 | Mehrere Beispiele, welche die Tradition der verschenkten Braut- und Liebesschleifen gerade im Europa des 16. Jahrhunderts belegen, finden sich bei De Jongh, Eddy (Hg.): Portretten van echt en trouw. Huwelijk en bezin in de Nederlandse kunst van de zeventiende eeuw, Zwolle/Haarlem 1986, sowie bei Zischka, Ulrike: Zur sakralen und profanen Anwendung des Knotenmotivs als magisches Mittel, Symbol oder Dekor. Eine vergleichend-volkskundliche Studie, München 1977, S. 67. Nicht zuletzt sei in Bezug auf nordalpine Traditionen und Darstellungsmodi von Liebespaaren auf das »Gothaer Liebespaar« verwiesen, das in der Forschung zwar noch immer kontrovers diskutiert wird, aber doch zumindest den Moment des Schenkens einer Liebesgabe in Form eines »Schnürlins« deutlich in Szene setzt; vgl. v.a. Hess, Daniel: Das Gothaer Liebespaar. Ein ungleiches Paar im Gewand höfischer Minne, Frankfurt/M. 1996. Die sich an diesen Interpretationsvorschlag anschließende Diskussion zeigt sich etwa bei Kratz, Bernd: »›Vnbyllich het sye eß gedan‹. Die Inschrift des ›Gothaer Liebespaar‹-Gemäldes«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 63 (2000), S. 120-132, und Niehr, Klaus: »Mimesis, Stilisierung, Fiktion in spätmittelalterlicher Porträtmalerei. Das sogenannte Gothaer Liebespaar«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 25 (1998), S. 79-104. 21 | Vgl. U. Zischka: Zur sakralen und profanen Anwendung des Knotenmotivs als magisches Mittel, S. 69. Schließlich hat sich eine Medaille des Jean Marende erhalten, die die Stadt Lyon 1502 zu Ehren Philiberts von Savoyen und seiner Frau Margarethe von Österreich anfertigen ließ. Der Avers zeigt die Büstenausschnitte des königlichen Paares, das sich einander zugewandt hat; der Hintergrund ist angefüllt mit Maßliebchenblüten und zahlreichen Knoten, beides Elemente, die als Liebesmetaphern zu werten sind und die Verbindung des Paares feiern. Eine historische Einordnung der Medaille bietet Bernhart, Max: Medaillen und Plaketten. Ein Handbuch für Sammler und Liebhaber, Braunschweig 1966, S. 59.

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funktion auf das von Amor gebundene Herz des Liebenden spielten und darüber hinaus die dadurch ausgelösten, bittersüßen Liebesqualen versinnbildlichten, so reflektiert dies das bereits in der Antike greifbare Verständnis des goldenen Bandes der Venus, das die Liebenden aneinander fesselt.22 Im Gefolge dieser langen Tradition wird schließlich Pietro Bembo in seiner Adaption und Modellierung der bei Petrarca vorgefundenen Vorstellungen dieses Band ebenfalls als Schlingen und Netz verstehen, die ihn – allerdings im Unterschied zu Petrarca – an eine lebende, reale Geliebte binden und die ihn sehnsüchtig und freiwillig in den von Amor fest geknüpften Fesseln schmachten lassen. »Tanto è ch’assenzo e fedele e rodo e suggo, / ch’ormai di lor mi pasco e nodrisco, / e son sì avezzo al foco, ond’io mi struggo, / che volontariamente ardo e languisco. […] E fo come augellin, che si fatica / per uscire de la rete, ov’egli è colto; / ma quanto più scuote, e più s’intrica.« (zit. nach Dionisotti 1978: 597f.) Bembo, dessen gesammelte Rime Liebesbeziehungen zu verschiedenen Frauen thematisieren, beschreibt seine Situation wiederholt als die eines Gefangenen Amors, gebunden in lacci, nodi und rete, die aus Perlen, Gold und Edelsteinen bestehen.23 Stets aber hat er dabei das Gesicht der Geliebten vor Augen, sei es in seiner Imagination oder sei es als tatsächliches Porträtbildchen, wie es sich – so ist es zumindest dem Briefwechsel Bembos zu entnehmen – in seinem Besitz befunden hat.24 Aus der Zeit um 1501, also zeitgleich zu seiner Arbeit an der Edition der Canzoniere Petrarcas, stammen die ersten Briefe und Gedichte an Maria Savorgnan, einer Witwe aus Venedig, zu der Bembo ein leidenschaftliches, heimli-

22 | Den antiken Brauch behandelt etwa Eitrem, Sam: Art. »Bindezauber«, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 380-384, hier Sp. 381; weiterhin Montagnani, Cristina (Hg.): »I territori del Petrarchismo, Frontiere e sconfinamenti«, in: Floriana Calitti et al. (Hg.), Petrarca, Petrarchismi. Modelli di poesia per l’Europa, Rom 2005 sowie Van den Bossche, Bart: »›Quegli amori che son dolci senza amaritudine‹. The Petrarchist Bembo and the Book of the Courtier«, in: Karl A. E. Enenkel/Jan Papy (Hg.), Petrarch and his Readers in the Renaissance, Boston 2006, S. 193-208. Zur bereits in der Antike bezeugten Verwendung der Knotenmetapher für die Fesseln der Liebe siehe S. Battaglia/ G. Barberi Squarotti (Hg.): Grande Dizionario della lingua italiana, S. 448. 23 | So etwa Rima LXII: »[…] Né fia per tutto ciò, che quella voglia, / che con sì forte laccio il cor mi strinse, / quando primieramente Amor lo vinse, / rallenti il nodo suo, non pur discioglia, / mentre in pìe si terra questa mia spoglia; / ché la radice, onde ’l mio dolor nasce, / in guisa nutre e pasce / l’anima, che di lui mai non mi pento, / anzi son di languir sempre contento.« (zit. nach Dionisotti 1978: 567f.) 24 | Vgl. Anm. 27.

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ches Liebesverhältnis unterhielt.25 Anders als das literarische Sehnen Petrarcas nach einer Imagination, nach einer unerreichbaren Idealgestalt, handelt es sich hier also um eine reale Situation, die in aller Konsequenz ausgelebt wurde. Damit entfernt sich Bembo von seinem Vorbild, für den die Angebetete immer ein sublimes, unerreichbares Wesen blieb, das nur aus der Ferne verehrt werden konnte. Wie weit Bembo bereit war, Petrarcas Konstrukt Realität werden zu lassen, bezeugt nicht zuletzt sein Auftrag an Giovanni Bellini, ihm das Bildnis seiner Geliebten zu malen. Vorbild war mit einiger Sicherheit das von Petrarca besungene Bildnis der Laura.26 Mit dem Porträt der Maria Savorgnan erfährt die Adaption des petrarkistischen Liebesmodells jedoch einen entscheidenden konzeptionellen Wandel.27 Es handelt sich um das Bild einer realen und lebenden Person, das den liebenden Betrachter dazu verführt, mit ihm zu sprechen, und das vor allem seinen ardor, sein 25 | Die Person Bembos, dessen Leben und Schaffen sowie dessen verschiedene Liebschaften behandelt ausführlich Kidwell, Carol: Piero Bembo. Lover, Linguist, Carsinal, Montreal et al. 2004, S. 24-70. 26 | Bellinis Bildnis der Maria Savorgnan für Pietro Bembo wird im Briefwechsel der Liebenden erwähnt, zunächst begleitet ein Schreiben Marias das Bildnis selbst. »Vi mando el retrato, non sta bene; pur vi lo ricomando.« (Dionisotti 1950: 8) Bembo antwortet seinerseits mit einer Eloge, in der er von der Wirkmacht des Bildes schreibt, das in seiner Doppelung des Antlitzes der Geliebten auch seine Liebe selbst zu verdoppeln vermocht habe: »Piacemi che mi siate raddoppiate per cortesia della vostra imagine, la qual m’era però anco nel cuore, sì come da jeri in qua in me s’è raddoppiato quello ardore, che io non credea che potesse pur crescere in parte alcuna, non che raddoppiare.« (ebd.: 78) Kurz darauf wird Bembo zudem sein berühmtes Gedicht auf das Bildnis der Geliebten verfassen, in dem er unter anderem darüber klagt, dass das Porträt nicht auf seine Ansprache reagiere: »O imagine mia celeste e pura, / che splendi più che ’l sole agli occhi miei, / e mi rassembri ’l volto di colei, / che scolpita ho nel cor con maggior cura, // credo che ’l mio Bellin con la figura / t’abbia dato il costume anco di lei, / che m’ardi, s’io ti miro, e per te sei /freddo smalto, a cui giunse alta ventura. // E come donna in vista dolce, umile, / ben mostri tu pietà del mio tormento; / poi, se mercé ten’ prego, non rispondi. // In questo hai tu di lei men fero stile, / né spargi sì le mie speranze al vento,/ ch’almen, quand’io ti cerco, non t’ascondi.« (Dionisotti 1978: 521f.) 27 | Zur Diskussion um das imaginäre Bildnis der Laura siehe Bevilacqua, Alessandro: »Simone Martini, Petrarca, i ritratti di Laura e del poeta«, in: Bollettino del Museo Civico di Padova 68 (1979), S. 107-150; Trapp, Joseph B.: »Petrarch’s Laura. The Portraiture of an Imaginary Beloved«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 64 (2001), S. 55-192. Zum Petrarkismus im 16. Jahrhundert siehe Schneider, Ulrike: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento. Transformationen des lyrischen Diskurses bei Vittoria Colonna und Gaspara Stampa, Stuttgart 2007, S. 17-47.

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sinnliches Begehren, zur angebeteten Frau zu verdoppeln vermag.28 Die Geliebte bleibt also nicht eine unerreichbare, mittels eines literarischen Topos konstruierte Imagination. Ihr Porträt hat in diesem Fall mit seiner interaktiven Kompetenz eine Verlebendigung erfahren. Das Thema des so überzeugend gemalten Bildnisses oder des so perfekt-verführerisch geschaffenen Kunstwerkes, das beim Betrachter Affekte der unterschiedlichsten Art hervorruft, in der überwiegenden Zahl der Fälle aber Liebe entfacht, war freilich ebenfalls seit der Antike bekannt.29 Dennoch waren es sowohl die künstlerische Virtuosität als auch die von Amor verursachte Liebesimagination, die dazu führten, dass das Bildnis der Angebeteten plötzlich lebendig erschien oder zumindest der Erwartung unterlag, auf die Ansprache des Liebenden zu antworten. Gerade um 1500 erweisen sich diese Parameter als hochaktuell, und auch Bembo zeigte sich mit seinem Aufgreifen und Übertragen dieser Denkmodelle in den Bereich der Malerei dieser Aktualisierung verpflichtet. Festzuhalten bleibt: Sowohl die Metapher des Knotens Amors als auch dessen Schlingen und Netz waren um 1500 bereits etablierte Bildmetaphern, die im Medium des Porträts zu einer Aufladung des Bildnisses mit liebessemantischen Strukturen beitragen konnten und dieses somit aus allgemeinen, aus der Antike überlieferten Künstlertopoi lösten und realer verorteten. Ganz ähnlich wie das in der Dichtung heraufbeschworene Porträt der Geliebten generiert auch die in der Liebeslyrik beschriebene Verführungskraft und Wirkmacht eines Bildnisses neue visuelle Codierungen und Darstellungsstrategien. In Übertragung auf das haptisch greifbare Porträt entwickelt dies eine Bildwirkung, die sowohl Modelle literarisch-affektiven Liebessehnens als auch die Metapher von Liebesknoten und -kette aus dem Kontext des petrarkistischen Liebesrituals zu einer unerreichbaren Dame herausnimmt und gezielt in den der Eheschließung einbringt und für sich fruchtbar macht.30 Mit dieser 28 | Vgl. Anm. 27. 29 | Vgl. etwa zum Mythos der von Praxiteles geschaffenen Venusstatue Hinz, Berthold: Aphrodite. Geschichte einer abendländischen Passion, München 1998. Zur Tradierung der Vorstellung von Liebesaffekt und Kunstwerk vgl. Hersey, George L.: Falling in Love with Statues. Artificial Humans from Pygmalion to the Present, Chicago u.a. 2009. 30 | Noch deutlicher wird die Inanspruchnahme trecentesker Liebeslyrik durch die Porträtmalerei in Andrea del Sartos Bildnis eines Mädchens mit Gedichtband, auf dem die Dargestellte auf die ersten Zeilen in einem aufgeklappten Büchlein deutet, die als zwei Sonette Petrarcas ausgemacht werden konnten: »Ite, dolci penser’, parlando fore / di quello ove ’l bel guardo non s’estende: / se pur sua asprezza o mia stella n’offende, / sarem fuor di speranza et fuor d’erore.« und »L’opera è sì

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Genese vermag das gemalte Bildnis schließlich die Grenzen von Zeit und Ort zu negieren und den Betrachter gleichermaßen mit Blick und Liebesknoten zu binden.

III. (VER -)B INDUNGEN : L IEBESKNOTEN UND DIE P RÄSENZ DER G ELIEBTEN In einem in der Carmina Burana überlieferten Gesang verbinden sich die beiden Elemente des Liebesknotens und der Vergegenwärtigung der Geliebten auf eindringliche Weise: »In absentem ardeo; / Venus enim aurea, / nectit corda laqueo. / corporis distantia / merens tamen gaudeo / absentis presentia / nil proponens temere / diligebam tenere, / quam sciebam degere / sub etate tenera, / nil audens exigere / preter mentis federa.«31 Die Negierung der Distanz und das damit unterbreitete Paradoxon des anwesenden Körpers der eigentlich abwesenden Angebeteten lagen bereits der bei Plinius wiedergegebenen Legende vom Ursprung der Malerei zugrunde.32 Der hier zitierte Gesang reiht sich somit in diese Tradition ein und altera, sì leggiadra et nova / che mortal guardo in lei non s’assecura: / tanta negli occhi bei for di misura / par ch’Amor et dolcezza et gratia piova«. (Canz. 153, 154; zit. nach Santagata 1999: 719, 722) Die dargestellte Unbekannte lässt damit zwar den Dichter in seinem Werk sprechen, beansprucht den Inhalt seiner Verse aber für sich bzw. suggeriert eine Parallele zwischen der besungenen, aber unerreichbaren Geliebten Petrarcas und sich selbst. Damit ist Petrarcas Geliebte im spielerischen Umgang zwischen poesia und pictura im Medium der Malerei greifbar und zu einer realen Figur geworden, die die in der literarischen Vorlage charakteristische, unüberwindbare Distanz zwischen den Liebenden dahin gehend modelliert, dass sie nun im Porträt mit ihrem Augenaufschlag auf den Betrachter reagiert und tatsächlich greifbar erscheint. 31 | »Ich brenne für die Entfernte, / denn Venus verknüpft die Herzen / mit einem goldenen Band, / auch wenn der Körper fern ist. / Trauernd freue ich mich dennoch / an der Anwesenheit der Abwesenden. / Nichts nahm ich mir vorschnell vor / und liebte rücksichtsvoll und zart, / sie, die ich noch / in zartem Alter wusste, / und wagte nichts zu fordern / als des Herzens Bund.« Aus: Bernt, Günter (Hg.): Carmina Burana, Lateinisch/Deutsch, Stuttgart 1992, 167 I,1-II,1. 32 | Zu dieser viel zitierten, bei Plinius beschriebenen Geschichte der Tochter des Butades, die, bevor ihr Geliebter von ihr ging, dessen Schattenumriss an die Wand zeichnete (Plinius, Naturalis Historia, 35), siehe Boehm, Gottfried: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985. Zur Tradierung des Ursprungsmythos in der kunsttheoretischen Literatur siehe vor allem Wolf, Gerhard: »The Origins of Painting«, in: Res 36 (1999), S. 60-78, und ders.: »›Arte superficiem illam fontis amplecti‹. Alberti, Narziß und die Erfindung der Malerei«, in: Christine Göttler/Ulrike Müller

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antizipiert zudem Leon Battista Albertis gleichermaßen berühmte wie viel zitierte Ausführungen zur Malkunst, die freilich frei von liebesmetaphorischen Implikationen sind. Dennoch beladen sie gerade das Medium des Porträts mit einer Wirkmacht, die abwesende Personen anwesend und vor allem lebendig erscheinen lassen.33 Albertis Aktualisierung dieser Sicht einer divinen Bild-Kraft im Cinquecento bildet den mentalitätsgeschichtlichen und kunsttheoretischen Hintergrund, der Rückschlüsse über Intention und Umgang nicht nur mit dem Porträt einer fernen Geliebten, sondern auch mit dem einer abwesenden Braut erlaubt. Dieses Verständnis spiegelt sich in weiteren frühen kunsttheoretischen Überlegungen, die dem Maler eine gottgleiche Virtuosität und vor allem dem Porträt eine Wirkmacht attestieren, die den Betrachter glauben oder zumindest wünschen lässt, die dargestellte Person sei lebendig und reagiere auf den Betrachter. Diese Erwartungshaltung einer von (imaginativer) Lebendigkeit gespeisten Interaktion zwischen Porträt und Betrachter, wie sie am Beispiel Bembos aufschien, formulieren um 1500 sowohl Leonardo da Vinci als auch Baldassare Castiglione explizit für die Kunsttheorie des Cinquecento, die sich damit mit dem zeitgenössischen Liebesdiskurs überlagert. Das Nebeneinander beider Diskurse wird vereint und in wechselseitiger Fruchtbarmachung zusammengeführt. Leonardo beschrieb bereits in seinem Libro dell’arte, die auf das Können des Malers zurückzuführende Verführungskraft der Malerei sei gerade Liebenden zuträglich, da vor allem das Herz des von Amors Pfeil Getroffenen vom Bildnis der geliebten Person bewegt werden könne: »Con questa si muovono li amanti verso li simulacri della cosa amata« (Ludwig 1882: 18). Die zweite Referenz aus der Feder Castigliones berichtet davon, wie dessen junge Ehefrau Ipollita während seiner Abwesenheit mit seinem von Raffael gemalten Porträt spricht, scherzt, ja, gar eine Reaktion des Bildnisses bemerken will – ebenso, wie auch der kleine Sohn in kindlichem Gebrabbel zum Vater im Bild spricht.34 Hofstede (Hg.), Diletto e Maraviglia. Ausdruck und Wirkung in der Kunst von der Renaissance bis zum Barock, Emsdetten 1998, S. 10-39, sowie Stoichita, Victor I.: A Short History of the Shadow, London 1997. 33 | »Die Malerei birgt in sich eine göttliche Kraft und leistet nicht nur, was man der Freundschaft nachsagt, die abwesende Menschen gegenwärtig macht; vielmehr lässt sie die Verstorbenen nach vielen Jahrhunderten noch wie lebend erscheinen, sodass sie mit großer Bewunderung für den Künstler und mit vielem Genuss wiedererkannt werden.« (Bätschmann/Gianfreda 2002: 101) 34 | »Sola tuos vultus referens, Raphaelis imago / picta manu, curas allevat usque meas. / Huic ego delicias facio, arrideoque / iocorque, / alloquor, & tanquam red-

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Wurden mit dem Einzelporträt einer (geliebten) Person also bestimmte Wirkmechanismen und Intentionen verbunden, die, auf der Kraft der Liebe und ihrer bildlichen Metaphern aufbauend, das Gegenüber zu Affektbezeugungen verleiten konnten, so verschiebt sich im Fall von Pendantporträts diese Interaktion. Bezugspunkt ist zunächst das im Pendant erscheinende, gemalte Gegenüber, auf den der jeweilig Porträtierte in Korrelation gesetzt wird. Erst in dritter Instanz tritt der Betrachter hinzu, dem somit eine gezielte Inszenierung des innerbildlichen Paares vor Augen gestellt wird. Darstellungsstrategien und Bildkonzepte scheinen auch hier auf gesellschaftlichen Idealen zu basieren – Ideale, die zwar nicht in erster Linie auf Konzepte ehelicher Liebesvorstellungen rekurrieren, die aber zumindest das in den Amor-Diskurs um 1500 eingebettete Thema einer (neuen) Geschlechterbewertung reflektieren dürften. Wenn daher zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Pendants konzipierte Gattenporträts entstehen, wird im Folgenden zu untersuchen sein, wie sich vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Neubewertung der Geschlechter und ihres Zusammenlebens diese Ehepaare im Medium des Bildes inszenieren.

IV. DAS E HEPAAR

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IM B ILD . R AFFAEL UND G ESCHLECHTERDISKURS

In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts erhält der nunmehr von Urbino nach Florenz übergewechselte Raffael den Auftrag zu zwei Porträts. Der wohlhabende Florentiner Kaufmann und Kunstsammler Agnolo Doni lässt seine Frau Maddalena sowie sich selbst von dem noch jungen Maler in Pendantbildnissen porträtieren (Abb. 3). Im Vergleich zu den Bildnissen, mit denen der Künstler in Urbino aufgewachsen war, allen voran Piero della Francescas Porträtdiptychon des Federico da Montefeltro und seiner Gattin Battista Sforza, fallen gleich mehrere Unterschiede ins Auge. dere / verba queat, / assensu, nutuque mihi saepe illa / videtur, / dicere velle aliquid, & tua verba loqui. / Agnoscit, balboque patrem puer ore /s alutat, / hoc solor longos, decipioque dies.« Diese Zeilen wurden erstmals in der Sammlung Carmina quinque illustrium poetarum, Venedig 1548, S. 48, veröffentlicht, später dann ebenfalls in: Lettere del Conte Baldassar Castiglione ora per la prima volta date in luce e con Annotazioni storiche illustrate, Padua 1769, i, S. 74. Vgl. weiterhin Shearman, John: Only connect … Art and the Spectator in the Italian Renaissance, Princeton 1992, S. 135f.

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Abbildung 3: Raffael, Porträt des Agnolo Doni und der Maddalena Strozzi Doni, ca. 1506 Raffael zeigt das Ehepaar Doni in starker Nahaufnahme, vermutlich auf einem Balkon sitzend, vor einem tiefen, sich in der Ferne in dunstigem Licht verlierenden Landschaftsprospekt, der in seiner Anlage mit der in der Mitte der Bildnisse verlaufenden Horizontlinie, dem milchig gehaltenen, von einigen Wolken durchzogenen Himmel und der hügeligen Landschaft als ein gemeinsamer Bildraum zu verstehen ist. Auch scheinen beide Portraitierten ihre Unterarme auf ein und derselben Balustrade abgestützt zu haben, die leichte Drehung der Körper richtet das Ehepaar aufeinander aus und stellt es in ein innerbildliches Bezugssystem, das den Zwischenraum der eigentlich getrennt gerahmten Bildnisse überwindet. Dies wird man sich in seiner Wirkung noch um einen Schritt intensiviert vorstellen dürfen, wenn nämlich die ursprünglich mit aller Wahrscheinlichkeit miteinander verbundenen Tafeln in ihrer Form als Scharnierdiptychon in nicht zur Gänze aufgeklappter Position aufgestellt wurden. Weder liegt diesem Bildkonzept ein vor allem in den Niederlanden häufig visualisierter, religiös-devotionaler Gedanke zugrunde, noch besteht eine etwa mittels Größenunterschied versinnbildlichte Hierarchie der Geschlechter. Die austarierte und aufeinander bezogene Positionierung des Ehepaares ist vielmehr als Demonstration eines Nebeneinanders und von Zusammengehörigkeit zu verstehen. Vor allem aber unterscheidet sich die Darstellung der Gatten im Dreiviertelporträt als Halbfiguren von der sich noch am Medium der Medaille orientierenden Bildfindung

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eines Piero della Francesca, dessen Pendantporträts des urbinatischen Herrscherpaares eher deren herzoglichen Rang sowie den machtpolitischen Status demonstrieren. Bei Raffaels bürgerlichem Ehepaar geht es dagegen, wie im Folgenden gezeigt werden soll, vielmehr um das zwischenmenschliche Verhältnis von Mann und Frau im Allgemeinen und die ausgeglichene Verbindung eines Ehepaares im Besonderen.35

V. U RBINO UND DIE Ü BERWINDUNG DES » VERLORENEN PARADIESES « Gegen Ende des 15. Jahrhunderts war die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter insbesondere auch im höfischen Bereich Gegenstand zahlreicher Diskurse. Der Ferrareser Jurist Bartolomeo Goggio etwa vertrat gegen 1490 in seinem Traktat De laudibus mulierum die Meinung, dass die Frau nicht natürlicherweise unvollkommener sei als der Mann (»come per natura non sono inferiore a lui«).36 Damit bezog er eine klare Gegenposition zu der an Theophrast orientierten und weit verbreiteten Auffassung der weiblichen Minderwertigkeit und der damit einhergehenden, klaren hierarchischen Abstufung der Geschlechter. Goggio legt ausführlich dar, dass, ausgehend vom göttlichen Schöpfungsakt, keinerlei Beweise zu finden seien, die die Auffassung einer materiellen Differenziertheit der Geschlechter zuließen.37 Im Gegenteil 35 | Vgl. Steingräber, Erich: »Anmerkungen zu Raffaels Bildnissen des Ehepaars Doni«, in: Wilhelm Schlink/Martin Sperlich (Hg.), Forma et subtilitas. Festschrift für Wolfgang Schöne zum 75. Geburtstag, Berlin/New York 1986, S. 77-88, hier S. 86. 36 | Zu Goggios, Eleonora Gonzaga gewidmetem Text siehe Fahy, Conor: »Three Early Renaissance Treatises on Women«, in: Italian Studies 11 (1956), S. 30-55, hier S. 33, und Benson, Pamela Joseph: The Invention of the Renaissance Woman. The Challenge of Female Independence in the Literature and Thought of Italy and England, University Park 1992, S. 45-64. Die bereits in Franceso Barbaros’ Traktat De re uxoria zu beobachtende Abschwächung der mit der Schrift des Hl. Hieronymus, Adversus Iovinianum, transportierten Abwertung von Frau und Ehe behandelt Lentzen, Manfred: »Frühhumanistische Auffassungen über Ehe und Familie. Francesco Barbaro – Matteo Palmieri – Leon Battista Alberti«, in: Ute Ecker (Hg.), Saeculum tamquam aureum. Internationales Symposium zur italienischen Renaissance des 14.–16. Jahrhunderts am 17./18. September 1996 in Mainz, Hildesheim 1997, S. 379-394. 37 | Zur Auslegung des Sündenfalls in der Frühen Neuzeit als Initialmoment für zivilisatorischen Fortschritt und der sich im Sinne einer felix culpa entwickelnden Wissenschaft und Kunst (ein Grundgedanke, der bereits im Trecento

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– beide seien vom selben Schöpfer auf dieselbe Art und Weise geschaffen und mit derselben Natur, bestehend aus Körper und Seele, ausgestattet worden, sodass keine Berechtigung in einer hierarchischen Überordnung des Mannes über die Frau liege.38 Der Autor folgt mit seiner Darstellung freilich einem bereits seit langer Zeit geführten Diskurs, der, insbesondere unter den Kirchenvätern, zu einer Auslegung des Sündenfalls im Sinne einer felix culpa bzw. einer Rehabilitierung Evas in Fragen von Schuldzuweisung und Verantwortlichkeit für die Vertreibung aus dem Paradies tendierte.39 In humanistischen Kreisen des ausgehenden 15. Jahrhunderts waren es zudem der aus Bologna stammende Sabadino degli Arienti sowie der um 1503 am Hofe Urbinos bestens bekannte Bernardino Cacciante, die das Bild einer idealen Ausgeglichenheit zwischen Mann und Frau, insbe-

greif bar ist, etwa im Bildkonzept der Relieftafeln Andrea Pisanos am Florentiner Domcampanile) siehe Harrison, Peter: The Fall of Man and the Foundations of Science, Cambridge et al. 2007, sowie Schreiner, Klaus: »Si homo non pecasset … Der Sündenfall Adams und Evas in seiner Bedeutung für die soziale, seelische und körperliche Verfasstheit des Menschen«, in: ders./Norbert Schnitzler (Hg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 4184; für einen weiter gespannten Zeitraum siehe ders.: »Das verlorene Paradies – Der Sündenfall in Deutungen der Neuzeit«, in: Richard Dülmen (Hg.), Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000, Wien/ Köln/Weimar 1998, S. 42-71, insbesondere S. 52-54. Zum Programm des Florentiner Campanile vgl. Simi Varanelli, Emma: Artisti e dottori nel medioevo. Il campanile di Firenze e la rivalutauzione delle »arti belle«, Rom 1996. Zur Genese von Wissenschaft und Malerei aus dem Sündenfall in der Kunsttheorie des Trecento siehe Baader, Hannah: »Sündenfall und Wissenschaft. Zur Verschriftlichung künstlerischer Techniken durch Cennino Cennini«, in: Wolf-Dietrich Löhr/Stefan Weppelmann (Hg.), Fantasie und Handwerk. Cennino Cennini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco, München 2008, S. 121-131. 38 | »Non scio intendere quanto ad queste parte de che è dicto el maschio essere superiore a la femina.« (Fahy 1956: 33) In letzter Instanz legt Goggio den Sündenfall als gottgewolltes Werk aus, spricht ihm jegliche negativen Resultate ab und impliziert, dass das außerparadiesische Dasein des Menschen, heilsgeschichtlich vorprogrammiert, sein natürliches sei und letzten Endes nur die durch Eva herbeigeführte Erkenntnis von Gut und Böse dem Menschen überhaupt seinen Intellekt verliehen habe: »[P]er lei se aperse glochi de lo Intellecto al homo el quale subito che manzato hebe sel pomo, cognoscete el bene et male […] me la quale cognitione consiste la razone« (ebd.: 36). 39 | Vgl. insbesondere K. Schreiner: Si homo non pecasset …, mit zahlreichen Beispielen und weiterführender Literatur.

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sondere innerhalb der Ehe, konstruierten.40 Auch diese beiden Autoren reflektieren damit den Diskurs um Evas Griff nach dem Apfel und die kontrovers diskutierte Frage nach den sich daraus ergebenden sozialen Hierarchien sowie der nunmehr verlustig gegangenen paradiesischen Gemeinschaft der Liebe.41 Bereits um 1500 hatte zudem Mario Equicola die nicht vorhandene Geschlechterdifferenz zum Inhalt seiner Schrift De mulieribus gemacht.42 Abgesehen von ein paar kleinen Details, die aber in dieser Form schließlich zur Fortpflanzung notwendig seien, bestünde auch nach Equicolas Formulierung keinerlei Unterschied zwischen Mann und Frau.43 Um diese These weiter zu untermauern, schließt der Autor mit aus Giovanni Boccaccios De claris mulierbus entnommenen Darstellungen einiger donne illustre und nicht zuletzt mit dem Beispiel dreier Zeitgenossinnen, deren Eigenschaften und Verdienste sie ihren Ehemännern als ebenbürtig erscheinen lassen.44 Castigliones Libro del Cortegiano schließlich reiht sich mit seinem Entstehungszeitraum im ersten Drittel des Cinquecento in die von Cacciante, Sabadino degli Arienti und Equicola vorgegebene Tradition weiblicher Lobpreisungen insofern ein, als dass der Autor im dritten Buch seines Werkes ausführlich auf die Tugenden und entsprechend durchweg positiven Eigenschaften der Hofdame zu sprechen kommt.45 Castigliones Cortegiano, so formuliert es das dritte Buch, ist nach Aussage Cesare 40 | Zu Person und Werk Cacciantes siehe Martini, Mario: Bernardino Cacciante Aletrinate. Contributo alla storia dell’umanesimo, Sora 1982; das Genre des »Frauenlobs« im höfischen Kontext behandelt Kolsky, Stephen: The Ghost of Boccaccio. Writings on Famous Women in Renaissance Italy, Turnhout 2005. 41 | Vgl. K. Schreiner: Si homo non pecasset …, S. 50. 42 | Vgl. C. Fahy: Three Early Renaissance Treatises on Women, S. 37-40; zu Equicola im Besonderen vgl. Kolsky, Stephen: Mario Equicola. The Real Courtier, Genf 1991. 43 | Ähnlich wie Goggio argumentiert auch Equicola mit dem Schöpfungswerk Gottes und der Auslegung der Erschaffung zweier gleichrangiger Menschen in der Genesis. Diese Sicht findet sich unter den Exegeten bereits etwa bei Hugo von St. Viktor: De sacramentis christianae fidei, lib. I, p.6, c.35, in: Migne PL 176, Sp. 284. 44 | Bereits in seinem nur wenige Jahre vorher entstandenen Libro de Natura de Amore (1495/6) hatte der Autor der Frau die besondere Charaktereigenschaft der Liebe zum (Ehe-)Mann attestiert. Seiner jüngeren Schrift verleiht er zusätzliche Autorität, indem er auf Platon und Aristoteles verweist, die, so Equicola, in ihren Werken ebenfalls keine Unterscheidung der Geschlechter vornähmen; vgl. C. Fahy: Three Early Renaissance Treatises on Women, 1956. 45 | Das im dritten Buch des Cortegiano thematisierte Geschlechterverhältnis behandelt Kolsky, Stephen: »Women through men’s eyes. The third book of Il Corte-

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Gonzagas aber vor allem erst dann wirklich vollkommen, wenn ihm eine Frau mit Liebe und Wohlgefallen zur Seite steht. »[P]erché come corte alcuna, per grande che ella sia, non po aver ornamento o splendore in sé, né allegria senza donne, né cortegiano alcun essere aggraziato, piacevole o ardito, né far mai opera leggiadradi cavalleria, se non mosso dalla pratica e dall’amore e piacer di donne, cosí ancora il ragionar del cortegiano è semore imperfettissimo, de le donne, interponendovisi, non danno lor parte di quella grazia, con la quale fanno perfetta ed adornano la cortegiana.« (Barberis 1998: 259f.)

Diese Aussage findet sich eingebettet in einen Disput, der die Gleichwertigkeit der Geschlechter thematisiert und in dem ein weiterer Sprecher, Giuliano, in seiner Verteidigungsrede schließlich zu dem Schluss kommt, dass sich die Frau in vielen ihrer Tugenden als dem Manne überlegen auszeichne. Letzten Endes habe es die göttliche Schöpfung gleichsam wie die Natur aber vorgesehen, dass keines der beiden Geschlechter dem anderen unterlegen sei, sondern dass vielmehr die Erschaffung nur eines Geschlechtes allein, in diesem Fall des männlichen, eine gewisse Nachlässigkeit und damit Unvollkommenheit bedeute: »È ben vero che la natura intende sempre produr le cose più perfette e però intende produr l’omo in specie sua, ma non più maschio che femina; anzi, se sempre pruducesse maschio, faria una imperfezione« (ebd.: 273). Castigliones Konzept des idealen Zusammenschlusses der Gatten gipfelt schließlich in der Aussage, dass die Frau mit ihren vielen lobenswerten Eigenschaften den Ehemann erst komplettiere, so wie dieser vice versa ihren Gegenpart darstelle. Allein diese von Liebe getragene eheliche Gemeinschaft erzeuge für das Paar selbst, aber auch für die Nachkommenschaft, zu der die Gattin den gleichen und vor allem gleichwertigen Teil beitrage wie der Mann, eine absolute Vollkommenheit.46 Zur jeweiligiano«, in: ders.: Courts and Courtiers in Renaissance Northern Italy, Aldershot/ Burlington 2003, S. 41-91. 46 | »Ma la donna non ricevo lo essere dall’omo, anzi così come essa è fatta perfetta da lui, essa ancor fa perfetto lui; onde l’una e l’altro insieme vengono a generare, la qual cosa cosa far non possono alcun di loro per se stessi. La causa poi dell’amor perpetuo della sonna verso ’l primo con cui sia state […] darò […] alla fermezza e stabilità della donna ed alla instsbilità dell’omo.« (Barberis 1998: 274f.) Auch in Bezug auf die Zeugung gilt eine gegenseitige, an die frühneuzeitliche Humoraltheorie angelehnte, aber in diesem Fall zugunsten der Frau aufgewertete Komplettierung: »Perchè essendo il maschio calido, naturalmente

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gen Vervollständigung des anderen Geschlechtes ist in Castigliones Darstellung aber vor allem eine Tugend von zentraler Bedeutung: das Beherrschen der Kunst der Liebe. Denn ohne diese, so scheint es, muss der Hofmann scheitern.47 Es ist dieser historische und literarische Kontext, in dem Raffael seine Pendantporträts des Agnolo und der Maddalena Doni schuf und in denen sich die Ehefrau auf gleicher Augenhöhe ihrem Gemahl gegenüber findet. Die Porträts der Donis weisen in ihrer bildkompositorischen Anlage eine Reminiszenz auf dieses Prinzip der aequalitas auf. Zudem lässt die Konzeption Raffaels beide Ehepartner als in symmetrischer Weise aufeinander abgestimmt auftreten, sie sind einander zugewandt und in eine Landschaft eingebettet, vor der das Paar selbstbewusst aus dem Bild herausblickt. Eine solche Symmetrie, oder besser gesagt, ein spiegelbildlich angelegtes Verhalten der Gatten zueinander, in einem als real existierende Umgebung zu lesenden, kultivierten Raum positioniert, kristallisierte sich in der ersten Hälfte des Cinquecento zu einem Topos heraus. Antonio Brucioli formulierte etwa in seinem 1537 gedruckten, Francesco Maria della Rovere gewidmeten Dialoghi, dass der Mann seine Frau ebenso liebevoll behandeln solle wie sie ihn. Auch sie solle die Kunst dieses reflektierenden Verhaltens beherrschen, sodass ihre Ehe von perfekter Harmonie gekennzeichnet sei.48 Raffaels Pendantbildnisse dürften in der Kenntnis dieser Spiegelmetapher eines idealen Ehepaares entstanden sein und stellen damit einen visuellen Entwurf dar, der sich aus der bei Hofe gepflegten literarischen Tradition speist und zudem in seiner Bildanlage auf diese ideale Art der Verbundenheit von Mann und Frau reagiert.

VI. TIZIAN UND DAS HÖFISCHE E HEPAAR ALS K UNSTWERK 26 Jahre nach seiner Hochzeit mit Eleonore Gonzaga schließlich lässt sich Francesco Maria della Rovere mit dieser zusammen von Tizian in zwei Pendantbildnissen porträtieren (Abb. 4). In einem Innenraum stehend, präsentiert sich der Herzog in voller Rüstung, seine Linke umgreift das mächtige Schwert, während seine in den Betrachterraum vorstoßende

da quella qualità piglia la leggerezza, il moto e la instabilità, e, per contrario, la donna dalla frigidità, la quiete e gravità ferma e più fisse impressioni.« (ebd.: 275) 47 | Vgl. ebd.: 294-297. 48 | Vgl. Brucioli, Antonio: Dialoghi. Della morale philosophia, Venedig 1537, S. 11f.

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Abbildung 4: Tizian, Porträt des Francesco Maria della Rovere und der Eleonora Gonzaga, 1536/37 rechte Faust energisch den prunkvollen Kommandostab, der mit dem Markuslöwen Venedigs und das eigene Wappen zeigenden Plaketten verziert ist, in seine Hüfte stemmt. Seine Pose betont gleichsam Machtanspruch wie militärische Aktivität und verrät eine Reminiszenz an das heute nur noch in Kopie erhaltene Porträt Karls V. von der Hand Tizians.49 Im Gegensatz zur Darstellung des spanischen Monarchen sind hier jedoch weitere Machtzeichen in Form der Kommandostäbe des Kirchenstaats und jenem von Florenz im Hintergrund aufgestellt. Dazwischen ist der Ast einer Eiche (rovere) mit dem Motto »se sibi« als Rückverweis auf den Porträtierten zu sehen, der sich so in einer Reihe mit den mächtigen Kräften seiner Zeit, dem spanischen Königshaus, Venedig, Florenz sowie dem Kirchenstaat, zeigt.50 Zu dieser Darstellung militärischer Präsenz, die damit ganz der bei Castiglione postulierten Hauptbeschäftigung eines Hofmannes, der Ausübung des Waffenhandwerks, folgt, entstand etwa zeitgleich Tizians Porträt der Ehefrau Francesco Marias. Eleonoras Inszenierung stellt das genaue Gegenteil des mit wehrhafter Aktion beladenen Bildnisses ihres Gatten dar. Sie ist sitzend und in ruhiger Haltung gezeigt; das treue Hündchen auf dem Tisch scheint ihre innere Gemütslage zu reflektieren, die auch angesichts der unter dem Fenster stehenden Uhr, und damit 49 | Vgl. Sunderland Wethey, Alice/Wethey, Harold E.: »Titian. Two Portraits of Noblemen in Armor and their Heraldry«, in: Art Bulletin 62 (1980), S. 76-96, hier S. 78. 50 | Vgl. ebd. S. 79.

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dem Verweis auf die vergehende Zeit, nicht in Unruhe zu geraten scheint. Auch sie hat den Blick auf den Betrachter gerichtet, jedoch wohnt diesem längst nicht die energische Intensität inne, wie dem Francesco Marias. Als Pendantporträt zu dem ihres Ehemannes verbindet nicht nur das bereits besprochene Ketten- und Knotenmotiv die Ehefrau symbolisch mit ihrem Gatten. Gerade in der Zusammenschau der beiden aufeinander ausgerichteten Bildnisse entsteht eine signifikante Balance: Während die Darstellung des Ehemannes eine vita activa ausdrückt, herrschen in der seiner Gattin eher Motive vor, die das Gegenstück, eine vita passiva oder contemplativa, auszeichnen. Erst in der Verbindung beider Porträts generiert sich jedoch das Gesamtkonzept, ein Ausgleich der Temperamente zur vita perfectissima, wie in Castigliones Schrift so emphatisch vorgeführt. Die Ehegatten komplettieren einander nicht nur durch den Modus des Pendantporträts an sich, sie bilden vor allem nur in ihrer sozialen Gemeinschaft die im Hofmann idealisierte Vollkommenheit und Gleichheit der Geschlechter. Damit erinnert die Darstellung einmal mehr an die Ausführungen Bartolomeo Goggios, dass eben der dem aktiven Part des Mannes im Leben gegenüberstehende Part der Frau ein passiver, aber nicht minderwertiger sei.51 Raffael und Tizian präsentieren somit neu geschaffene, eheliche Identitäten, die im Format des aufeinander bezogenen Bildpaares, in ihrer Gegenüberstellung und vor allem in ihrer Verbindung die Ideale der männlichen vita activa und der weiblichen vita passiva zu einer für das eheliche Leben reservierten und von Gattenliebe gekennzeichneten vita perfectissima vorführen.

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A BBILDUNGEN Abb. 1a: Porträt eines Mädchens, norditalienisch, Vorderseite, ca. 1505, Öl auf Holz, 27 × 21,5 cm, Florenz, Sopraintendenza Beni Artistiici e Storici (Depot). Aus: John Shearman, Raffael at the court of Urbino, in: Burlington Magazine 112 (1970), S. 72. Abb. 1b: Rückseite von »Porträt eines Mädchens«, norditalienisch, ca. 1505, Öl auf Holz, 27 × 21,5 cm, Florenz, Sopraintendenza Beni Artistiici e Storici (Depot). Aus: Dülberg, Angelica: Privatporträts. Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1990, Tafel 63. Abb. 2: Knotenmotiv, Stickereivorlage aus Nicolò di Aristotile de’ Rossi: Esemplario di lavori, dove le tenere fanciulle & altre donne nobili potranno facilmente imparare il modo & ordine di lavorare e cuscire e raccamare, & finalmente far tutte quelle gentillezze & lodevoli opere, le quali pò fare una donna virtuosa con laco in mano, con li suoi compasse & misure, Venedig 1530. Aus: Zischka, Ulrike: Zur sakralen und profanen Anwendung des Knotenmotivs als magisches Mittel, Symbol oder Dekor. Eine vergleichend-volkskundliche Untersuchung, München 1977, Abb. 177. Abb. 3: Raffael, Porträt des Agnolo Doni, ca. 1506, Öl auf Holz, 65 × 45,7 cm, Florenz, Palazzo Pitti, Galleria Palatina, Inv.nr. 1912 n. 61 und der Maddalena Strozzi Doni, ca. 1506, Öl auf Holz, 65 × 45,8 cm, Florenz, Palazzo Pitti, Galleria Palatina, Inv.nr. 1912 n. 59. Aus: Chiarini, Marco/Padovani, Serena: La Galleria Palatina e gli Appartamenti Reali di Palazzo Pitti, Bd. 1. Florenz 2003, S. 85.

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Abb. 4: Tizian, Porträt des Francesco Maria della Rovere, 1536, Öl auf Leinwand, 114 × 103 cm, Florenz, Uffizien, Inv.nr. 1890 n. 9263, und der Eleonora Gonzaga, 1536/37, Öl auf Leinwand, 114 × 103 cm, Florenz, Uffizien, Inv.nr. 1890 n. 919. Aus: Gli Uffizi. Catalogo generale. Florenz 1980, S. 548.

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Ehe, Ehre, Keuschheit Artemisia Gentileschis Susanna und die beiden Alten ELISABETH PRIEDL

Ausgerechnet ein aufsehenerregender öffentlicher Prozess über ihre Vergewaltigung stand am Beginn einer der schillerndsten Karrieren einer Künstlerin der Frühen Neuzeit: Artemisia Gentileschi, die Malerin, die ihren biblischen und mythologischen Heldinnen eine nie zuvor gesehene physische und psychische Präsenz verlieh, wurde als junge Frau selbst Opfer im doppelten Sinne: zum einen Opfer der Vergewaltigung durch ihren Lehrer und Freund ihres Vaters, Agostino Tassi, im Mai des Jahres 1611, zum anderen in dem spektakulären Prozess ab März des darauffolgenden Jahres, in dem Artemisias Privatleben nicht nur einer breiten Öffentlichkeit preisgegeben wurde, sondern sie dem Gericht ihre Unschuld, auch unter Folter, beweisen musste.1

1 | Nach der überaus erfolgreichen Karriere als Malerin geriet ihre Arbeit nach ihrem Tod bald ins Vergessen. Erst durch eine feministische Ausstellungspraxis und Kunstgeschichtsforschung wurde ihr Werk in den späten 1970er Jahren wieder verstärkt beachtet. Vgl. dazu Harris, Ann Sutherland/Nochlin, Linda: Women Artists 1550–1950, Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung in Los Angeles, New York 1976, S. 118-124; mehrere Aufsätze und Bücher von Mary D. Garrard, besonders Garrard, Mary D.: Artemisia Gentileschi. The Image of the Female Hero in Italian Baroque Art, Princeton 1989; in diesem Buch sind auch die Prozessakten vom Lateinischen bzw. Italienischen ins Englische transkribiert. Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in Wachenfeld, Christa (Hg.): Die Vergewaltigung der Artemisia. Der Prozess, Freiburg 1992. Die Prozessakte der Causa Gentileschi wurden erstmals auf italienisch publiziert von Menzio, Eva: Atti di un processo per stupro (= Edizione delle Donne 36), Mailand 1981. Einen umfassenden Catalogue Raisonné der Werke und Dokumente erstellte Bissell, R. Ward: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, Pennsylvania 1999. Neuestens:

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Zum Zeitpunkt der Vergewaltigung war Artemisia gerade noch siebzehn Jahre alt, also im heiratsfähigen Alter, und der Prozess galt nicht ihrer Person als Opfer, sondern der Verletzung der Familienehre, wie der Vater Orazio Gentileschi als Kläger in einer Petition an Papst Paul V. klar darlegte.2 Er betont darin, dass »dergleichen eine so niederträchtige Tat darstellt, die dem armen Bittsteller solch schwere Kränkung und großen Schaden zugefügt hat« (Walchenfeld 1992: 44), dass er nicht umhin kann, sich Seiner Heiligkeit zu Füßen zu werfen und ihn im Namen Christi anzuflehen, »gegen eine so scheußliche Untat vorzugehen, und diejenigen, die es verdienen, vor den Richter zu bringen« (ebd.). Ziel der Anklage war Agostino Tassi, der Freund Orazios, den dieser als Lehrer seiner Tochter engagiert hatte. Der Tatbestand der Vergewaltigung lag ein knappes Jahr zurück, und seitdem unterhielt Artemisia mit Agostino Tassi ein Liebesverhältnis, das erst endete, als klar wurde, dass Agostino Artemisia nicht heiraten wollte, wie er es mehrere Male versprochen hatte. Erst dann wandte sich der Vater Orazio an den Papst, auch weil der päpstliche Furier Cosimo Quorli, ein Unteroffizier der päpstlichen Garde, ebenfalls an diesem »schändlichen Geschäft« beteiligt war.3 Artemisia sagte im Laufe des Prozesses aus, dass sie »später [nach der Vergewaltigung] mehrfach liebevoll seinen [Agostinos] Wünschen nachgab, auch weil er sein Versprechen [sie zu heiraten] mehrmals wiederholte« (ebd.: 53).4 Erst im Rahmen der Gerichtsverhandlung wurde es für Artemisia zur Gewissheit, dass Agostino Tassi bereits verheiratet war, oder besser gesagt verwitwet, denn er hatte seine Ehefrau bekannterweise Contini, Roberto/Solinas, Francesco (Hg.): Artemisia Gentileschi. Storia di una Passione, Ausstellungskatalog Palazzo Reale, Mailand 2011. 2 | Zur Petition des Vaters an Papst Paul V. siehe C. Wachenfeld: Die Vergewaltigung der Artemisia, S. 44; M.D. Garrard: Artemisia Gentileschi, S. 410; R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 137. 3 | Vgl. C. Wachenfeld: Die Vergewaltigung der Artemisia, S. 43-48. Orazio Gentileschi bezeichnet den Furier Cosimo Quorli als Anstifter, was auch von einem Zeugen während des Prozesses bestätigt wurde. Mithilfe seiner Ehefrau soll Cosimo Agostino Tassi mehrmals Gelegenheiten verschafft haben, Artemisia heimlich zu treffen. Dabei kam auch zur Sprache, das Quorli selber versucht haben soll, Artimisia – erfolglos – zu verführen. Quorli dürfte aber laut den Gerichtsprotokollen vor Prozessbeginn gestorben sein (vgl. ebd.: 65-71). 4 | Weiterhin sagte Artemisia aus: »Und ich war mir ganz sicher, dass Agostino sein Heiratsversprechen halten würde, weil er jedes Mal, wenn sich die Möglichkeit zu einer anderen Heirat ergab, dafür sorgte, dass sie nicht zustande kam.« (ebd.: 53)

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ermorden lassen und dann ein Verhältnis mit seiner Schwägerin unterhalten. Sein Eheversprechen an Artemisia diente ihm gewissermaßen nur als Mittel zum unehrenhaften Zweck.5 Das Urteil des Prozesses ist nicht bekannt, Agostino kam aber aus der Untersuchungshaft frei, und Artemisia wurde im November 1612 mit dem Florentiner Maler Pietro Antonio Stiattesi verheiratet, mit dem sie gemeinsam Rom verließ und nach Florenz ging.6 Mehrere zentrale Aspekte lassen sich hinsichtlich Liebe und Ehe aus den Prozessakten rekonstruieren. Erstens: Artemisia war zum Zeitpunkt ihrer Vergewaltigung noch Jungfrau, was ein wichtiger Punkt in der Anklage war, denn mit dem Verlust der Jungfrauenschaft verschlechterte sich der »Wert« einer jungen Frau am Heiratsmarkt enorm. Jungfräulichkeit war eines der kostbarsten Güter, über das die Familien (im Falle Artemisias ihr Vater) mit Argusaugen wachten, um die Heiratschancen der Töchter und den Ruf der Familie zu wahren.7 Je jünger und unschuldiger die Mädchen waren, desto größer war die Chance, diese gut zu verheiraten. Studien aus dem Florenz des 15. Jahrhunderts haben gezeigt, dass sogar schon Zehnjährige gute »Chancen« hatten, innerhalb der nächsten fünf Jahre verheiratet zu werden. Ab einem Alter von 15 Jahren wurden 88 Prozent der florentinischen Mädchen binnen der nächsten fünf Jahre verheiratet, wogegen die meisten Männer, die Ehen eingingen, zwischen 20 und 35 Jahre alt waren.8 Je älter und reifer die Mädchen wurden, desto schwieriger war es anscheinend, eine Ehe zu arrangieren, was sich auch im zweiten Buch der Libri della famiglia Leon Battista Albertis widerspiegelt, wonach Frauen noch im jugendlichen Alter (età fanciullesca) verheiratet werden sollten,

5 | Am 14.05.1612 kam es zur Gegenüberstellung Artemisias und Agostinos, während der Artemisia auf die Frage Agostinos »Hattet Ihr gehofft, mich zu heiraten?« folgendes antwortete: »Ich hatte gehofft, Ihr würdet mein Ehemann, doch nun habe ich diese Hoffnung nicht mehr, denn ich weiß jetzt, dass Ihr verheiratet seid. Vor zwei oder drei Tagen habe ich erfahren, dass Ihr verheiratet seid.« (ebd.: 125) 6 | Vgl. ebd., S. 23; M.D. Garrard: Artemisia Gentileschi, S. 34; R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 139. 7 | Zur Sorge der Väter, ihre Töchter im Florenz des 15. Jahrhunderts jungfräulich zu verheiraten, vgl. Molho, Anthony: »Deception and Marriage Strategy in Renaissance Florence: The Case of Women’s Ages«, in: Renaissance Quarterly 41 (1988), S. 193-217. »It was imperative, to ›place‹ one’s daughters in marriage very soon following their possible exposure to sexual activity. The risk to the family’s honor would thus be eliminated, or, in any case, transferred onto their new household, those of their husbands.« (Molho 1988: 210) 8 | Vgl. ebd., S. 204-205.

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weil sie noch schüchtern, lernwillig und formbar waren und sich somit in die Familie des künftigen Ehemannes besser integrieren würden.9 Diese Tatsache war dem Vater Orazio offensichtlich sehr bewusst, zumal im Laufe des Prozesses mehrmals zur Sprache kam, dass sich Orazio bereits um einen geeigneten Ehemann für Artemisia umsah, was wiederum der Liebhaber Agostino zu verhindern wusste. Zum Schutz seiner Tochter wechselte Orazio sogar die Unterkunft. Artemisia hatte sich mit den Töchtern der Nachbarin Tuzia Medaglia angefreundet, und Orazio bot der Familie nun an, mit ihm, Artemisia und ihren drei Brüdern zusammen ein gemeinsames Haus zu beziehen, damit Artemisia ein wenig Zerstreuung fände, »da sie ja immer allein war und niemanden hatte« (Wachenfeld 1992: 59). Tuzia wurde von Orazio auch angehalten »auf sein Töchterchen zu achten« (ebd.), und er ließ sich darüber unterrichten, wer in seiner Abwesenheit in das Haus kam. Zu diesem Zweck ließ er auch eine Verbindungstreppe zwischen den beiden Appartements einrichten, nicht ahnend, dass genau diese die Gefahr für seine Tochter erhöhte, denn Agostino verschaffte sich über die Wohnung Tuzias und über diese Treppe Zugang zur Wohnung der Gentileschis und zum Schlafzimmer Artemisias. Der Verlust der Jungfräulichkeit von Mädchen im heiratsfähigen Alter stellte im 16. Jahrhundert ein schwerwiegendes, auch strafrechtlich relevantes Problem für die Familienverbände dar, da wirtschaftliche und soziale Belange im Vordergrund standen und die Heiratsstrategien der Familien, die auf der sexuellen Integrität der Frauen aufbauten und diese voraussetzten, somit vereitelt werden konnten.10 Das Keuschheitsideal (castitas) war somit doppelt verankert, zum einen gesellschaftlich und zum anderen durch den Tugendkanon der katholischen Kirche seit dem Mittelalter. Philosophisch betrachtet galt Liebe als Ausdruck von Gefühlen als Krankheitsbild, was sich auch im neuplatonischen Liebesideal eines Marsilio Ficino niederschlägt. Körperliches Begehren, die Lust zum Beischlaf, versteht Ficino gleichsam als Gegensatz zur wahren Liebe; das emphatische, auf Gefühlen beruhende Verliebtsein beschreibt er als »krankhaften Wahn«, den es zu heilen gilt. Die Faszination Liebe bewirkt, laut Ficino, eine Verderbnis des Blutes, welche das Herz mit schweren Beklemmun-

9 | Vgl. Alberti, Leon Battista: I libri della famiglia (herausgegeben von Cicil Grayson), Bari 1960, S. 111. 10 | Vgl. Koch, Elisabeth: Maior dignitas est in sexu virili. Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1991, S. 105-109.

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gen bedrückt, den Brand in den Adern nährt und somit mit verborgener Glut die Gliedmaßen erhitzt.11 Von Fieber spricht auch Artemisia in ihrer Vernehmung, als sie über den Verlauf der Vergewaltigung berichtet. Agostino legte, laut ihrer Aussage, seinen Kopf auf ihre Brust, worauf sie ihm sagte, dass es ihr übel sei und sie bestimmt Fieber habe. »Ich habe bestimmt mehr Fieber als Ihr« (Wachenfeld 1992: 51), war die Antwort Agostino Tassis. Zweitens: Nachdem Agostino Tassi »seine Sache beendet hatte« (ebd.: 53), versprach er der verstörten Artemisia, die ihn danach mit einem Messer attackiert hatte, sie zu heiraten. Dieses und weitere Eheversprechen führten dazu, dass Artemisia Agostino nun als den Mann betrachtete, der sie heiraten wollte, da er sie ja entehrt hatte, und dessen Wünschen sie »später mehrfach liebevoll nachgab, auch weil er sein Versprechen mehrmals wiederholte« (ebd.). Diese Aussage von Artemisia zeigt aber auch, dass sie selber eine Ehe mit dem um 15 Jahre älteren Agostino Tassi eingehen wollte. Dieser Sachverhalt mag heute mehr als erstaunen, zeigt aber, dass es noch im 16. und frühen 17. Jahrhundert einen Konsens darüber gab, dass Ehen durch Copulatio als rechtskonform galten, ob diese nun gewaltsam herbeigeführt wurden oder auch nicht. Seit dem frühen 13. Jahrhundert gab es Verordnungen der katholischen Kirche, die versuchten, eine aus kirchlicher Sicht ideale Eheschließung durchzusetzen, indem es ein öffentliches Aufgebot und eine priesterliche Segnung geben sollte, die allerdings keine Gültigkeitsvoraussetzung für eine echte Ehe waren. Heimliche Eheschließungen waren bis zum 16. Jahrhundert »groß in Mode«.12 Nicht wenige Fälle von sexueller Gewalt, die im 16. Jahrhundert vor diversen gerichtlichen Instanzen verhandelt wurden, zeugen von der anhaltenden Praxis, dass Ehen heim-

11 | Vgl. Ficino, Marsilio: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (lateinisch/ deutsch herausgegeben von Paul R. Blum), Hamburg 2004, Kapitel 11: »Wie man sich von den Banden der gemeinen Liebe befreit«, S. 345. Ficino studierte als Sohn eines geschätzten Chirurgen und Leibarztes von Cosimo de’ Medici an der Universität von Pisa Philosophie und Medizin, was seine Kenntnisse über die körperlichen Auswirkungen der Krankheit Liebe zu legitimieren schien. 12 | Vgl. Vogt-Lüerssen, Maike: Der Alltag im Mittelalter, Mainz-Kostheim 2001, S. 112ff. Verwiesen sei hier auf die bekannte Rede des Franziskanermönchs Berthold von Regensburg († 1272), der immer wieder gegen diese Winkelehen wetterte und sich explizit an Frauen wandte: »Man soll auch in den Winkeln keine Ehe haben oder machen. Darum, ihr Frauen […] so hütet euch vor der Winkelehe. Wer euch vor den Leuten die Ehe nicht geloben will, dessen Gelübde sollt ihr in dem Winkel nimmer annehmen […] denn er will euch betrügen« (zit. nach ebd.: 113).

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lich, ohne Zeugen, ohne Einwilligung der Eltern und mitunter durch Vergewaltigung begründet wurden.13 Der geläufige deutsche Begriff Vergewaltigung trifft in diesem Zusammenhang auch nicht den damaligen rechtlich relevanten Tatbestand des Stuprums.14 Die Causa Gentileschi zeigt deutlich, dass vor Gericht nicht der gewaltsame sexuelle Übergriff auf die junge Frau im Mittelpunkt stand, sondern das Delikt des Stuprums, also der Geschlechtsverkehr mit einer unbescholtenen Frau, auch im Sinne von Unzucht. Orazio spricht in der Petition an den Papst auch von »der großen Schande«, welche dem »armen Bittsteller«, also dem Vater, nicht der geschändeten Tochter, aus dieser »niederträchtigen Tat« zugefügt wurde. Fälle von Stuprum wurden an italienischen Gerichten, und zwar sowohl an säkularen als auch an kirchlichen Instanzen, nicht selten verhandelt, besonders in den Jahren, bevor das Konzil von Trient hier härter durchzugreifen versuchte. Informelle Eheschließungen und Formen des Zusammenlebens waren vor allem in den unteren Gesellschaftsschichten weit verbreitet, wie neuere Studien gezeigt haben.15 Formale Eheschließungen waren aus genealogischen Gründen besonders in gutbürgerlichen und adeligen Kreisen erforderlich und etabliert. Diese Ehen (und zum Teil auch diverse Formen von Konkubinaten) sind oft auch gut dokumentiert und dominierten lange auch den monolithischen Blick der (kunst-)historischen Forschung zum Thema Ehe in der Frühen Neuzeit. Erst das aufschlussreiche Feld der Erforschung von Gerichtsakten und Protokollen von Kriminal- und Ehegerichten, welche seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der frühneuzeitlichen Geschlechtergeschichte bildet, machte deutlich, wie weit verbreitet und wie gesellschaftlich tief verwurzelt auch eheähnliche Gemeinschaften, Kohabitation und Bigamie waren. Durch die im Laufe des 16. Jahrhunderts strenger gewordenen Ehegesetze, sowohl von 13 | In einigen reformierten Städten wurden mit dem Durchbruch der Reformation 1529 nicht nur die Reformationsordnung, sondern auch Ehegerichte eingesetzt, die sowohl aus weltlichen als auch aus geistlichen Richtern bestanden. Vgl. Burghartz, Susanna: »Verführung oder Vergewaltigung? Reden über sexuelle Gewalt vor dem Basler Ehegericht in der Frühen Neuzeit«, in: Bettina Dausien et al. (Hg.), Erkenntnisprojekt Geschlecht. Feministische Perspektiven verwandeln Wissenschaft, Opladen 1999, S. 325-342. 14 | Zum Tatbestand des Stuprums im 16. Jahrhundert vgl. E. Koch: Maior dignitas est in sexu virili, S. 91-99. 15 | Vgl. Cristellon, Cecilia: »Public Display of Affection: The Making of Marriage in the Venetian Courts before the Council of Trent (1420–1545)«, in: Sara F. Matthews-Grieco, Erotic Cultures of Renaissance Italy, Farnham/Burlington 2010, S. 173-198.

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kirchlicher (protestantischer und katholischer) Seite als auch von säkularen Gerichten gefördert, wurden diese traditionellen und gängigen Liebesverhältnisse kriminalisiert und marginalisiert.16 So wurde auch deutlich, dass es sich bei Stuprum um eine geläufige Praxis des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und der Eheanbahnung handelte. Vor Gericht gelangten diese Vorkommnisse nur in dem Fall, in dem der Prozess der Eheschließung unterbrochen wurde, das heißt, wenn sich ein Mann weigerte, sein Eheversprechen zu halten.17 In einer Untersuchung von Susanna Burghartz über unterschiedlich gelagerte Vergewaltigungsprozesse vor dem Basler Ehegericht wird deutlich, dass sexuelle Übergriffe durch ein Eheversprechen begünstigt wurden. So sah sich zum Beispiel auch die Dienstmagd Anna Schultheis jedes Mal, wenn sie nach der einstigen Vergewaltigung durch den Sohn ihrer Arbeitgeber von diesem »beschlafen« wurde, »so oft es ihm gefiel«, als Frau, die in den »ehelichen Werken Gehorsam geleistet« (Burghartz 1999: 329f.) hatte; sie also nach ihrem Dafürhalten mit dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs nach vorhandenem Eheversprechen lediglich ihre Gehorsamspflicht als Ehefrau erfüllt hatte, wie sie in dem Prozess vor dem Basler Ehegericht 1540 aussagte. Anna Schultheis klagte auf Durchsetzung des Eheversprechens und kam vor Gericht auch zu ihrem Recht, da zwischen den beiden, auch ohne Anwesenheit von Zeugen, laut Gericht ein gültiges Eheversprechen vorlag und Anna »nicht seine Hure, sondern seine Ehefrau war« (ebd.: 330). Aufschlussreich sind auch die Anklage- bzw. die Verteidigungsstrategien in diversen Prozessen, da Männer mit dem Argument, sie seien von den Frauen »verführt« worden, sich den Ansprüchen auf Schadenersatzzahlungen für den Verlust der Jungfräulichkeit oder »Wiedergutmachung« durch Heirat entziehen konnten. 16 | Auch die Homosexualität bzw. Homosozialität im Italien des 16. Jahrhunderts, die in der kunsthistorischen Forschung lange marginalisiert worden war, verdankt seine Bewusstwerdung der Erforschung und Auswertung von Gerichtsakten wie jene der florentinischen Ufficiali di notte. Vgl. Rocke, Michale: Forbidden Friendships: Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York/Oxford 1996 sowie Randolph, Adrian W.B.: »Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick, Köln 2004, S. 35-51. 17 | Vgl. C. Cristellon: Public Display of Affection, S. 179: »Court records reveal that Stuprum was hardly an unusual event, but rather a current practice like the common-law marriages […]. It only became a problem from the moment the marriage process was interrupted, that is, when the groom did not keep the promise that had allowed him access to the girl.«

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Durch die Reformation kam es zwar auch zu einer umfassenden Erneuerung des Eherechts, das heißt, dass Eheangelegenheiten der geistlichen Jurisprudenz entzogen wurden und in reformierten Städten an eigenen Ehegerichten verhandelt wurden. Die von Burghartz analysierten Prozesse und Urteile zeigen aber, dass diese zum Teil noch auf den kanonischen Grundlagen beruhten, Frauen aber durch das Gewaltargument aus der Verantwortung für unerlaubte Sexualität (Unzucht) enthoben werden konnten. Relevant für die Geltungmachung von Rechtsansprüchen vor den Ehegerichten waren, laut Burghartz, die zentralen Argumente von Verführung versus Gewalt, die zugleich die Wahrnehmung von männlicher und weiblicher Sexualität wesentlich prägten: männlicher Wille und weibliche Ehre. Diese Asymmetrie im Geschlechterverhältnis begreift den Geschlechtsverkehr als Resultat des männlichen Willens und des darauffolgenden weiblichen Konsenses. Dieses Phänomen der Vermischung von Gewaltanwendung und »Heiratsabsicht« ist für verschiedene europäische Gesellschaften konstatiert worden, so z.B. auch für das Venedig des ausgehenden 15. Jahrhunderts, wo Vergewaltigungen vor allem in sozialen Unterschichten als Form der »Liebeswerbung« angesehen wurden.18 Susanna Burghartz folgert aus ihren Untersuchungen, dass sexuelle Gewalt im Kontext der Eheanbahnung noch im 16. Jahrhundert »normal« und auch »weitgehend akzeptiert war« (Burghartz 1999: 332). Der Tatbestand der Copulatio galt bereits im altrömischen (und teilweise auch in der altkirchlichen) Auffassung als ehestiftend und wurde erst durch das Eheritual unter Anwesenheit von Zeugen abgelöst.19 Trotz des Bestrebens der kirchlichen Instanzen, diese heimlichen »Winkelehen« zu verhindern, waren sie vom 14. bis zum 16. Jahrhundert doch weit verbreitet. Auf das Zustandekommen einer Ehe durch Copulatio referieren seit der Antike unterschiedliche Rechtsmodelle, welche für einen gewaltsam erzwungenen Geschlechtsverkehr entweder die Todesstrafe, einen nicht unbeachtlichen Geldbetrag als Schadenersatzzahlung für den 18 | Vgl. Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros: Sex Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York 1985. Susan Brownmiller sieht in der gewaltsamen Entführung und Vergewaltigung einer Frau die früheste Form einer Verbindung zum Zweck der Paarung, die wir heute als »Ehe« kennen. Brautraub galt noch lange als akzeptabler Weg des »Brauterwerbs«. Reste dieser Ideologie von gewaltsamer Entführung und Eheschließung lokalisiert Susan Brownmiller noch immer in Sitten und Bräuchen Siziliens und einiger Gegenden Afrikas. Vgl. Brownmiller, Susan: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 24. 19 | Vgl. M. Vogt-Lüerssen: Der Alltag im Mittelalter, S. 112ff..

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Verlust der Jungfräulichkeit der Frau oder als Alternative eine Eheschließung mit dem Opfer vorsahen. Ein Vergewaltiger konnte also dadurch seiner Strafe entgehen, indem er die Frau – ohne eine Mitgift zu erhalten – zur Ehefrau nahm.20 Schon das Alte Testament sah in der Bundesverordnung des Buches Moses eine Wiedergutmachung der Vergewaltigung einer ledigen Frau vor, die auch noch nicht verlobt war, und zwar durch eine finanzielle Entschädigung an den Vater und einer Heirat des Täters mit dem Opfer.21 Auf die biblisch verankerte Figur des Verführers/Vergewaltigers griff auch die Reformationsordnung von 1529 zurück, die verlangte, dass Männer, welche sich Frauen in verführerischer Absicht näherten, ohne von den Frauen dazu »angereizt« worden zu sein, diese Frauen heiraten mussten.22 Konnten diese aber nachweisen, dass weibliche Verführung mit im Spiel war, verloren Frauen beinahe alle Rechte auf Entschädigung und Rehabilitierung. Auf diesem Verführungsparagrafen konnte somit eine erfolgreiche Verteidigung der Täter aufgebaut werden. Das »Verführungsargument« lässt sich auch in den künstlerischen Repräsentationen des 16. Jahrhunderts in diversen Vergewaltigungsszenen nachweisen. Weibliche Opfer von männlicher Gewalt wurden zunehmend als Verführerinnen dargestellt, auch wenn es sich den Quellen nach eindeutig um keine Verführung vonseiten der Frauen handelte. Bekannte Beispiele hierfür sind Lucretia und Susanna, die im 16. Jahrhundert zu Prototypen 20 | Vgl. Doblhofer, Georg: Vergewaltigung in der Antike, Stuttgart/Leipzig 1994. Doblhofer untersucht in seiner Arbeit rund 65 antike Autoren unterschiedlichster Art wie Geschichtsschreiber, Redner, Verfasser von Komödien, Mythografen, Philosophen, Lyriker, Tragiker, Epiker, aber auch römische Rechtstexte. Laut Doblhofer gibt es kaum Belege für den Vollzug der schwersten Strafe, nämlich der Todesstrafe. Weit häufiger wurden in der Antike Geldstrafen verhängt, die sehr unterschiedlich ausfallen konnten und vor allem vom Status des Opfers abhängig waren (vgl. ebd.: 52-63). 21 | Siehe 5. Buch Moses, 22, 28f: »Trifft ein Mann eine nicht verlobte Jungfrau, und wird er dabei ertappt, wie er sie ergreift und ihr beiwohnt, so zahle der Mann, der ihr beigewohnt hat, dem Vater des Mädchens fünfzig Silberstücke. Er muß sie sich ferner zur Frau nehmen, weil er sie missbraucht hat. Er darf sie nicht entlassen, solang er lebt.« Für die Vergewaltigung einer verheirateten Frau sieht die Bundesordnung Moses sowohl die Steinigung des Vergewaltigers als auch die des Opfers vor, ebenso wie bei der Vergewaltigung einer verlobten jungen Frau, falls diese nicht durch Schreie auf ihre verhängnisvolle Lage aufmerksam gemacht hatte. Zu den strafrechtlichen Regelungen für Vergewaltigung im 16. Jahrhundert siehe grundlegend E. Koch: Maior dignitas est in sexu virili, S. 91-99. 22 | Vgl. S. Burghartz: Verführung oder Vergewaltigung, S. 327.

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von schönen, verführerischen Frauen, oft in Anlehnung an den antiken Venustypus, stilisiert wurden. Zurück zur Causa Gentileschi: Vor dem kirchlichen Gericht argumentierte Agostino Tassi zwar nicht mit dem Argument, dass er von Artemisia verführt worden sei, sondern er bestritt die Vergewaltigung und sein darauffolgendes Verhältnis mit Artemisia gänzlich. So konnte er vermeiden, vom Gericht zur Ehe oder zu Schadenersatzzahlungen gezwungen zu werden, was bei der bekannten Beweislage leicht hätte eintreten können. Er versuchte aber mit allen Mitteln, Artemisia als stadtbekannte »Hure« und Lügnerin darzustellen, um ihre Glaubwürdigkeit zu unterwandern; er berichtete dem Gericht über einige Affären Artemisias mit weiteren Männern. Obwohl sich keine dieser Anschuldigungen gegen Artemisia erhärten ließen, gab es für die Tochter von Orazio keine andere ehrbare Lösung, als den Ort ihrer Schande, sprich Rom, zu verlassen. Für Agostino Tassi hatte der Prozess keine Konsequenzen irgendwelcher Art, weder strafrechtlicher noch beruflicher Natur, wogegen der Prozess für Artemisia offensichtlich eine Schlüsselrolle sowohl in ihrem Privatleben als auch für ihr künstlerisches Schaffen darstellte. In keinem anderen Werk einer Künstlerin des 17. Jahrhunderts finden sich derartig viele biblische und mythologische Heldinnen, die mit einem vergleichbaren physischen und psychischen Einfühlungsvermögen gestaltet wurden: Judith, Susanna, Lucretia, Magdalena, Minerva und Cleopatra werden im Werk Artemisias mehrfach dramatisch und drastisch in Szene gesetzt und von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern immer wieder im Zusammenhang mit der Biografie der Künstlerin thematisiert. Bereits im ersten datierten und signierten Bild Susanna und die beiden Alten aus dem Jahr 1610 spiegelt sich (vor allem seit dem signifikanten Aufsatz von Mary D. Garrard23) für manche Biografen und Biografinnen Artemisias die volle Misere dieser frühen Vergewaltigung wider (Abb. 1).24 Obwohl das Gemälde auf das Jahr vor der dokumentierten Vergewaltigung datiert ist, dient es Garrard sogar als Entlastungszeugnis, welches die Aufrichtigkeit der Aussagen Artemisias vor dem Tribunalund ihre Unschuld beweisen würde, weil sich Susanna, alias Artemisia, dermaßen angeekelt von den beiden Alten abwendet. Wie Susanna ertrug Artemisia die sexuelle Belästigung von Männern, um ihre Ehre zu

23 | Vgl. Garrard, Mary D.: »Artemisia and Susanna«, in: Norma Broude/Mary D. Garrard (Hg.), Feminism and Art History. Questioning the Litany, New York 1982, S. 147-171. 24 | Vgl. A. Harris Sutherland/L. Nochlin: Women Artists, S. 120.

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Abbildung 1: Artemisia Gentileschi, Susanna und die beiden Alten, 1610 verteidigen.25 Garrard stellt bei dem jüngeren der beiden Alten auf der linken Seite des Bildes sogar eine gewisse Porträthaftigkeit fest, da dieser Männertypus einzigartig im Werk Artemisias sei, womit sie die Möglichkeit eines Porträts von Agostino Tassi suggeriert. Auch die Möglichkeit eines Selbstporträts von Artemisia als Susanna wurde in der Literatur diskutiert.26 25 | Vgl. M.D. Garrard: Artemisia and Susanna, S. 164: »Looked at from this perspective, the painting of Susanna and the Elders may literally document Artemisas’s innocence and honest testimony in the trial. Susanna, like Artemisia, endures sexual persecution at the hands of two men for the sake of preserving her respectability.« 26 | Vgl. Berti, Luciano: »Artemisia da Roma tra i fiorentini« in: Roberto Contini/ Gianni Papi/Luciano Berti (Hg.), Artemisia, Ausstellungskatalog Casa Buonarotti, Rom 1991, S. 21.

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Um diese Thesen der direkten Übersetzung der eigenen schmerzhaften Erfahrungen der Malerin im Bild der Susanna zu unterstützen, wurde mitunter auch die Möglichkeit diskutiert, dass das Bild nach der Vergewaltigung 1611 entstanden, dann aber in das Jahr 1610 zurückdatiert worden sei.27 Die Parallelisierung der Figur der Susanna als Opfer männlicher Bedrängnis und der Malerin Artemisia erstreckt sich entlang der Linie von subjektiver Erfahrung und der Bewältigung derselben. Sie ruft eine vergleichbare Verknüpfung von Biografie und Werk in Erinnerung, die im Zusammenhang mit weiblicher Kreativität von feministischer Kritik als männliches Stereotyp in der Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts verurteilt wird: Giorgio Vasari unterstellt der Bildhauerin Properzia de’ Rossi, der er als einziger Frau in der ersten Ausgabe seiner 1550 erschienenen Viten ein eigenes Kapitel widmet, dass sie sich allein aus verschmähter Liebe mit dem Thema Joseph und Potiphars Frau beschäftigt habe. Dieses wäre entstanden, »da die arme Frau zu jener Zeit in einen hübschen Jüngling unsagbar verliebt war, der sich wenig um sie zu kümmern schien« (Vasari 2007: 130).28 Vasari spielt nicht nur auf eine unglückliche Liebesbeziehung an, er klassifiziert diese gewissermaßen als zentralen Beweggrund für die Kreativität der Künstlerin schlechthin, ungeachtet dessen, dass dieses Relief Teil eines mehrteiligen Fassadenprogramms der Kirche San Petronio in Bologna war. Vasari kann es nicht lassen, darauf hinzuweisen, dass es der Künstlerin schien, »dass sie mit [der Darstellung] dieser Gestalt aus dem Alten Testament ihre glühende Leidenschaft zum Teil abgekühlt hatte« (ebd.). Obwohl Garrard auch die Quellen und Vorbilder für die Susannendarstellung Artemisias im zeitgenössischen künstlerischen Umfeld erörtert, meint sie dennoch, dass nur Artemisia als Frau diese einmalige und, aus weiblicher Sicht, verständnisvolle Version des Susannenthemas hervorbringen konnte.29 Die Vergewaltigung von Artemisia wird gewissermaßen zum konstituierenden Akt der amerikanischen feministischen 27 | Vgl. R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 396, Anm. 56. 28 | Über den »Sonderfall« der weiblichen Kreativität in den Viten Vasaris und deren Abgrenzung vom Kanon der männlichen Kreativität vgl. Christadler, Maike: Kreativität und Geschlecht. Giorgo Vasaris »Vite« und Sofonisba Anguissolas Selbstbildnisse, Berlin 2000. 29 | »The simple fact that Artemisia Gentileschi was female is sufficient to explain her uniquely sympathetic treatment of the Susanna theme.« (Garrard 1982: 162) Francis Haskell kritisiert diese Interpretation folgendermaßen: »Much more

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Kunstgeschichtsschreibung in den 1980er Jahren, indem sie symbolisch für die Vergewaltigung von Künstlerinnen durch eine männlich dominierte Kunsttheorie und Kunstgeschichte wurde.30 Das Gemälde der Susanna mit den beiden Alten wurde nicht nur zum Kronzeugen der Entlastung erklärt, sondern gleichzeitig auch als Rächer des Tatbestandes der Vergewaltigung und als Ankläger gegen männliche Gewalt überhaupt interpretiert. Dies ist insofern problematisch, da das Gemälde zweifellos vor dem Jahr der Vergewaltigung durch Tassi datiert und signiert wurde.

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Trotz der eindeutigen Signatur wurde anfänglich eine weibliche Autorenschaft des Bildes bezweifelt, auch wegen der frühen Datierung im Jahr 1610. Artemisia war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt, und es war vor allem der Einfluss und/oder der künstlerische Anteil des Vaters Orazio Thema der Diskussionen.31 Die Hauptargumente für die Autorenschaft der jungen Malerin waren die unorthodoxe und innovative ikonografische, sprich feministische Interpretation des biblischen Themas, die nur von einer Frau so nachempfunden werden könne und die auf der spezifisch naturalistischen Darstellung des weiblichen Körpers sowie der ungewöhnlich heftigen Abwehrhaltung den beiden Alten gegenüber beruhe. Susanna, die schöne und gottesfürchtige Frau Jojakims und Tochter Helkias, musste beinahe mit ihrem Leben dafür bezahlen, dass sie der Begierde der beiden Ältesten, welche zugleich als Richter des jüdischen Volkes während der Babylonischen Gefangenschaft bestellt waren, nicht nachgegeben hat.32 Die Geschichte ist bekannt: Die beiden Alten lauerten der jungen Frau im Garten auf, während Susanna im Begriff war, ein important is the fact that there is little evidence to suggest that artists actually wanted to express their personalities or even their feelings.« (Haskell 1989: 36f.) 30 | Valeska von Rosen meint zu dieser undifferenzierten Interpretation: »Leider weitgehend unreflektiert, was den Transfer anachronistischer Denk- und Deutungsmuster auf ältere Epochen betrifft, wurde das Bild im Sinne der modernen Ausdrucksästhetik, kombiniert mit psychoanalytischen Axiomen, mit einem Ereignis in Artemisia Gentileschis Leben in Verbindung gebracht, und zwar ihrer – wie es heißt – Vergewaltigung durch Agostino Tassi. Sie soll Artemisia in diesem Gemälde zum Ausdruck gebracht, ja künstlerisch verarbeitet, haben.« (Rosen 2008: 20) 31 | Zusammenfassend zur Zuschreibungsdebatte vgl. R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 3-6 und S. 187ff. 32 | Vgl. Buch Daniel 13,1-64.

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Bad zu nehmen. Beide hatten ihretwegen Liebeskummer33 und mussten sich ihre Leidenschaft eingestehen, als sie sich gegenseitig bei der heimlichen Beobachtung ertappten. So beschlossen sie, Susanna gemeinsam zu erpressen, indem sie sich im Garten versteckten und Susanna damit bedrohten, einen Ehebruch mit einem Jüngling zu bezeugen, falls sie ihrer heftigen Begierde nicht nachgebe und ihnen zu Willen sei. Susanna sprach daraufhin: »Drangsal kommt mir von allen Seiten. Tue ich dies, dann ist der Tod mir gewiß; tue ich es nicht, so werde ich euren Händen nicht entrinnen. Doch lieber ist es mir, es nicht zu tun und in eure Hände zu fallen, als vor dem Herrn zu sündigen.« (Daniel 13,22f.) Susanna ruft nun laut um Hilfe, die beiden Alten tun dasselbige und machen ihre Drohung der Anklage wahr, womit Susanna als Ehebrecherin das Todesurteil gewiss gewesen wäre, wäre nicht der jugendliche Prophet Daniel auf den Plan getreten und hätte die beiden Alten durch ein Kreuzverhör der Falschaussage überführt. Daraufhin wurden die beiden Alten zum Tod durch Steinigung verurteilt, der Strafe, die Susanna als Ehebrecherin zugekommen wäre. Im Gegensatz zum Tatbestand des Stuprums wurde Susanna als verheiratete Frau wegen adulteriums (Ehebruch) angeklagt. Im Alten Testament (und auch im römischen Recht) wurde bei adulterium die Todesstrafe für beide Ehebrechenden gefordert. Unabhängig von der Schuldfrage und davon, ob eine Frau vergewaltigt wurde oder nicht, galt der Ehebruch als Verbrechen gegen den Ehemann und die soziale Ordnung. Dabei machte es kaum einen Unterschied, ob eine Ehe durch erzwungenen Geschlechtsverkehr oder Ehebruch verletzt wurde.34 Susanna, dermaßen von den beiden Alten bedrängt, machte in dieser Situation nun das einzig Richtige, das sie bei einer Anklage entlasten konnte: Sie schrie laut, denn das laute Schreien wurde (auch noch im 16. Jahrhundert) als direkter Ausdruck für Gewalt, die einer Frau angetan wurde, vor Gericht anerkannt, weil dieses auch von Zeugen bestätigt

33 | Vgl. ebd. 13,11. 34 | Vgl. G. Doblhofer: Vergewaltigung in der Antike, S. 76. Doblhofer weist darauf hin, dass viele antike Autoren für Verführung und Vergewaltigung dasselbe Wort verwenden. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auch auf die Verwendung des Begriffs adulterium in der Lucretiageschichte, womit keineswegs die Absicht verbunden war, Lucretia zu verleumden, sondern nur ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Ehe, gleich wie bei einem Ehebruch, irreparabel verletzt wurde.

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werden konnte.35 Durch das Schreien konnte sich Susanna zwar vor dem Übergriff schützen, der Prozess gegen sie fand trotzdem statt, auch weil das Volk den beiden Alten anfänglich mehr Glauben schenkte als den Aussagen einer Frau – bis zu dem Moment, in dem die göttliche Gnade durch das Auftreten des Propheten Daniel in das Anklageverfahren gewissermaßen eingriff. Damit wurden Susannas Ruf und die Familienehre rehabilitiert. Die beiden Eltern »Helkia und seine Gattin lobten Gott um ihrer Tochter Susanna willen, gemeinsam mit Jojakim, ihrem Manne, und alle Verwandten, weil nichts Schandbares an ihr gefunden wurde« (Daniel 13,63). War im 15. Jahrhundert noch die Darstellung des umfangreichen Zyklus der Geschichte gängig, so erfolgte im Laufe des 16. Jahrhunderts, besonders in Venedig, die Isolierung des »Belauschungsthemas« mit der badenden Susanna und den beiden Alten als Kabinettbilder für den privaten Bereich.36 Ist Susanna in den älteren Zyklen noch als keusche und bekleidete Badende dargestellt (z.B. Pinturicchios Fresko Susanna und die beiden Alten im Appartamento Borgia, Vatikan 1492-96), wird sie seit dem frühen 16. Jahrhundert dem Typus der kauernden Venus angepasst, wie das frühe Tafelbild Lorenzo Lottos von 1517 belegt (Abb. 2).37 Dieser Typus zeichnet sich dadurch aus, dass sich eine nackte, hockende Frauengestalt, meistens im Profil (wie im Stich von Marcantonio Raimondi von 1505/06), so über ihre Schulter nach hinten dreht, dass durch die entgegengesetzte Blickrichtung eine Drehbewegung des Körpers entsteht, wobei sie mit ihren beiden Armen sowohl die Scham als auch die Brüste bedeckt. Ihre Aufmerksamkeit gilt in einigen Fällen einem hinter ihr platzierten kleinen Amor. 35 | Zu den strafrechtlichen Bestimmungen im 16. Jahrhundert vgl. E. Koch: Maior dignitas est in sexu virili, S. 100 sowie S. Burghartz: Verführung oder Vergewaltigung, S. 333. In einem von Susanna Burghartz recherchierten Prozess kommt von einer jungen Frau, Anna Schwingdenhammer, auch zur Sprache, dass es ihr ergehe wie der biblischen Susanna, gegen die ebenfalls falsches Zeugnis abgelegt worden sei (vgl. ebd.: 338). 36 | Zur Aufsplitterung der Susannengeschichte in zwei Wirkungsbereiche, die Kabinettbilder im privaten Bereich und das Gerechtigkeitsbild, vor allem in Rathäusern, vgl. Herrmann, Michaela: Vom Schauen als Metapher des Begehrens. Die venezianischen Darstellungen der Susanna im Bade im Cinquecento, Marburg 1990. 37 | Vgl. M. Herrmann: Vom Schauen als Metapher des Begehrens, S. 16-25; Baumgärtel, Bettina/Neysters, Silvia (Hg.): Die Galerie der Starken Frauen. Die Heldin in der französischen und italienischen Kunst des 17. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog, Düsseldorf 1995, S. 245-329; Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 42-50.

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Abbildung 2: Lorenzo Lotto, Susanna und die beiden Alten, 1517 Diese so arrangierte Ambivalenz von Schönheit, Freizügigkeit und Keuschheit wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts zum Prototypen einer schönen, verführerischen Frauengestalt, die nun in unzähligen Varianten auf die Repräsentation von biblischen und mythologischen Frauengestalten angewendet werden konnte. Durch die Identifikation der alttestamentarischen Susanna mit der kauernden Venus »wird dem Schauen und Betrachten als Ausdruck sinnlichen Begehrens in der Susannengeschichte nun der thematische Vorrang eingeräumt und damit ihre Bedeutung verändert« (Herrmann 1990: 21). In der Folge kann auch der Betrachter als männliches Subjekt so konzipiert werden, dass sein Begehren im Blick auf die halb nackte Frau sublimiert wird.38 Aus der schönen und keuschen Susanna wurde eine verführerische Frauengestalt, deren Keuschheit durch eine ambivalente Pose infrage 38 | Vgl. D. Hammer-Tugendhat: Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 45.

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Abbildung 3: Annibale Carracci, Susanna und die beiden Alten, ca. 1590/95 steht. Dieser Tradition schließt sich auch Annibale Carracci in seinem bekannten Stich an (Abb. 3), der wohl zu Recht als Vorläufer der Susanna Artemisias betrachtet wird.39 Aus der Figur der kauernden Venus wurde ein Sitzmotiv, und zur Verdeckung des Körpers zieht die Susanna Annibale Carraccis ein Tuch herbei, welches sie gerade über ihre Scham und den Bauch ziehen kann; ihre üppige Körperlichkeit wird zusätzlich betont. Die Darstellung gehört trotz oder gerade wegen des Versuchs, Susannas Nacktheit zu verbergen, in das Genre der Verführungsbilder. Der Zeitpunkt ist so gewählt, dass Susanna die beiden Alten, welche unter Verwendung anschaulicher Gesten auf sie einreden, wahrnimmt. Einer der beiden zeigt auf das Gartentor, das verschlossen ist, um anzudeuten, dass es kein Entrinnen gibt. Die Gestik des anderen lenkt den Blick durch das Vorstrecken der Handfläche und den Verweis auf sich selber auf seine fatale Forderung. Susannas Reaktion auf dem Stich ist verhalten, sie hat 39 | Vgl. M.D. Garrard: Artemisia and Susanna, S. 155; dies.: Artemisia Gentileschi, S. 190; R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 4.

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anscheinend keine große Eile sich zu verhüllen, auch deshalb, weil sie noch durch ein weiteres Gartentor von den beiden Eindringlingen geschützt ist. Obwohl im Alten Testament kein Wort über ein Erschrecken oder eine heftige Reaktion Susannas berichtet wird, kann diese stoische Ruhe als ambivalente Reaktion gedeutet werden und bietet somit auch den Betrachterinnen und Betrachtern gewissermaßen einen Zeitvorsprung, die badende, nackte Frau betrachten zu können. Die Susannenfigur Artemisias reagiert hier vollkommen anders: Sie ist dezentral auf einer blanken Steinbank sitzend dargestellt, die beiden Alten stehen direkt hinter ihr und neigen sich gestikulierend über die hohe Steinbrüstung, sodass Susanna ihren Kopf wegdrehen muss, um Distanz zu ihnen zu schaffen. Susanna scheint sich mit jeder Faser ihres Körpers gegen den konspirativen Übergriff zu wehren, mit einer heftigen Drehbewegung wendet sie sich ab, ihre Wangen sind vor Aufregung gerötet, und auch die Abwehrstellung ihrer Arme spricht eine eindeutige Sprache. Ihre Haltung signalisiert, im Gegensatz zur Susanna Annibale Carraccis, dass sie über jeden Zweifel erhaben ist. Auch den Betrachtenden wird eindeutig zu verstehen gegeben, dass sich diese nackte junge Frau weder betrachten noch erpressen lassen will. Die ikonografischen Wurzeln dieses Abwehr- oder Schreckensgestus sind bekannt: Über Michelangelos Vertreibung aus dem Paradies in der Sixtinischen Kapelle wurde ein antikes Motiv eines Orestsarkophags aus dem 2. Jahrhundert in Rom aktiviert. Orazio Gentileschi verwendete diesen Gestus selber bei der Darstellung seines David, der Goliath tötet (1605-10, Dublin, National Gallery of Ireland). Auch im künstlerischen Gentileschiumfeld wird dieser Abbildungsmodus z.B. von Cavaliere d’Arpino (Diana und Actaeon, im Budapester Nationalmuseum) rezipiert, worauf R. Ward Bissell hinweist.40 Dass sich aber bereits die Susanna Lorenzo Lottos (vgl. Abb. 2) mit einer eindeutigen Abwehrhaltung gegen den Angriff der beiden Alten wendet, indem sie den Angreifern den gestreckten rechten Arm mit geöffneter Handfläche entgegenstreckt und den Kopf so abwendet, dass es keinen Blickkontakt mit den beiden Alten gibt, wird in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Für Bissell kommt Rubens Susanna (Abb. 4) aus seinen römischen Jahren in der Galleria Borghese als wahrscheinliches Vorbild für die Su-

40 | Vgl. R.W. Bissell: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, S. 4 und Abb. 9, 14, 16.

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Abbildung 4: Peter Paul Rubens, Susanna und die beiden Alten, vor 1608 sanna Artemisias infrage,41 was insofern seine Berechtigung hat, als es sich hier um eines der wenigen hochformatigen Darstellungen dieses Themas im römischen Umfeld handelt und Susannas sehr betonter Körper so in den Bildvordergrund gesetzt ist, dass die beiden Alten nur oberhalb von Susanna positioniert werden können, wodurch die psychische Bedrückung und die physische Bedrohung der jungen Frau eindrücklich dargestellt werden. Die beiden Alten stehen in Rubens’ Bild auch schon ganz in der Nähe Susannas. Der eine, der sie durch die Gestik zum Schweigen auffordert, ist direkt hinter ihr zu sehen, der andere, auf sich weisende, direkt neben ihr. Obwohl die Susanna Rubens’ wenig bedeckt ist, zieht sie ein weißes

41 | Vgl. ebd., S. 5.

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Tuch nur über ihren rechten Oberschenkel im Hintergrund und über ihren linken Arm, wodurch ihr restlicher Körper ungeschützt bleibt. Das Entsetzen ist ihr durch die geröteten Wangen und den verzweifelt nach oben gerichteten Blick buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch Rubens kann man hier trotz der freizügigen Präsentation des weiblichen Aktes ein tatsächliches Verständnis für die Nöte und Ängste der bedrohten Frau bescheinigen. D.h., auch er lenkt das Augenmerk in seiner Darstellung (im Gegensatz zur venezianisch-oberitalienischen Tradition) weg von der verführerischen Venusikonografie und hin zu einer affektbetonten Malerei. Was den fundamentalen Unterschied zu den »Verführungsbildern« ausmacht, ist der verweigerte Blickkontakt Susannas zu den beiden Alten; was, wenn auch in zwei unterschiedlichen Modi, sowohl in Rubens als auch in Artemisia Gentileschis Darstellung von enormer Bedeutung ist. Es gibt weder einen Blickkontakt zu den beiden Alten noch zu den Betrachterinnen und Betrachtern, sondern der abgewendete Blick gilt allein dem Ausdruck der inneren Bewegtheit der Susannenfigur. In der zahlreichen Literatur zu den Susannendarstellungen des späten Cinquecentos und insbesondere in der Diskussion um die Susanna Artemisia Gentileschis wird allerdings eine bedeutende Verkörperung dieses Themas im römischen Umfeld komplett ignoriert: das Fresko Susanna mit den beiden Alten von 1598 in der Kirche von Santa Susanna in Rom, gemalt von Baldassare Croce (Abb. 5).42 Bedeutend ist dieses Fresko auch deswegen, weil es sich hier nicht um eine isolierte Darstellung des Themas handelt, sondern um einen umfangreichen Zyklus in einer römischen Kirche und um den ersten großen Susannenzyklus seit dem Mittelalter. Die Auskopplung der einen Szene aus dem Erzählzusammenhang war ja die Bedingung dafür, dass Susanna gewissermaßen zur Verführerin der beiden Alten wie auch der Betrach-

42 | Zum Ausstattungszyklus im Langhaus von Santa Susanna vgl. Jones, Pamela M.: Altarpieces and Their Viewers in the Churches of Rome from Caravaggio to Guido Reni, Farnham/Burlington 2008, S. 31-38; Priedl, Elisabeth: Die beiden Susannen des Kardinal Girolamo Rusticucci. Zum didaktischen Bildprogramm von Santa Susanna in Rom. Dissertation Universität Wien, Wien 2004; Ganz, David: Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580-1700, Petersberg 2003, S. 198-223; Steinemann, Holger: Baldassare Croce. Ein Maler der katholischen Reform, Diplomarbeit Universität Stuttgart, Stuttgart 1995, S. 5-34, auf: http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/1999/364/ vom 26.09.2011; Affanni, Anna Maria/Cogotti, Marina/Vodret, Rossella: Santa Susanna e San Bernardo alle Terme, Rom 1993, S. 28-35.

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Abbildung 5: Baldassare Croce, Susanna und die beiden Alten, 1598 tenden gemacht werden konnte. In Santa Susanna ist die »Belauschungsszene« wieder rekontextualisiert und die Bedeutung Susannas als tugendhafte Ehefrau in vollem Umfang berücksichtigt. Die Geschichte aus dem Buch Daniel ist im gesamten Langhaus der Kirche ausgebreitet und erstreckt sich über sechs Szenen im Uhrzeigersinn, beginnend an der rechten Langhausseite mit der Darstellung von Susanna und den beiden Alten, gefolgt von der Anklage Susannas, dem Inerscheinungtreten des Propheten Daniel, dem Kreuzverhör der beiden Alten, ihrer Steinigung und dem Dankgebet der Familie Susannas. Obwohl auch für Baldassare Croce der Stich von Annibale Carracci (vgl. Abb. 3) als Vorlage ausschlaggebend gewesen sein dürfte, bricht der bolognesische Maler komplett mit der Tradition des Verführungsbildes,

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was naturgemäß auch mit dem öffentlichen Ort eines Kirchenraumes und dem Auftraggeber, Titularkardinal Girolamo Rusticucci, zu tun hatte.43 Die Darstellung einer beinahe nackten weiblichen Gestalt in einer nachtridentinischen römischen Kirche war alles andere als selbstverständlich und nur unter besonderen Voraussetzungen möglich.44 Nebst dem »heiklen« Sujet der Susanna mit den beiden Alten gehörte die gesamte Geschichte aus dem Buch Daniel zu den umstrittensten Stoffen aus dem Alten Testament.45 Für die Diskussion innerhalb der römischkatholischen Kirche setzte das Konzil von Trient in seiner 4. Session vom 8. April 1546 einen Markstein, indem es bestimmte, welche Bücher als kanonisch zu gelten haben. Unter ihnen befand sich auch das Buch Daniel, mit all seinen Teilen, also auch mit der Susannenerzählung.46 Erst durch diese offizielle Stellungnahme des Konzils wurde es möglich, dass einem traditionell umstrittenen Stoff derartig viel Raum, in Santa Susanna gar eine Wandfläche, eingeräumt werden konnte. Croce setzt die Figur der Susanna zentral und beinahe frontal ins Bild. Ihren mächtigen, leicht schräg ins Bild gesetzten Körper verdeckt sie nur teilweise mit einem hellblauen Tuch. Ihre Haltung ist derjenigen43 | Girolamo Rusticucci war nicht nur Titularkardinal der Kirche von Santa Susanna und Auftraggeber des Susannenzyklus, sondern auch Generalvikar von Rom. Von Papst Clemens VIII. wurde er 1592 zum Covisitator der römischen Pastoralvisiten bestellt, welche auf die korrekten, nachtridentinischen Kirchenausstattungen in Rom achteten, vgl. E. Priedl: Die beiden Susannen des Kardinal Girolamo Rusticucci, S. 127; H. Steinemann: Baldassare Croce, S. 23. 44 | Von großer Bedeutung sind im späten 16. Jahrhundert die Abhandlungen über die korrekten nachtridentinischen Bildvorschriften in Kirchen. Da Bildertheologen beinahe alle Darstellungen nackter Menschen als obszön betrachteten, wurde sogar die Erschaffung solcher Bilder schon als lasziver Missbrauch gewertet. Vgl. E. Priedl: Die beiden Susannen des Kardinal Girolamo Rusticucci, S. 188f.; H. Steinemann: Baldassare Croce, S. 12f.; Hecht, Christian: Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabrielle Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997, S. 269. 45 | Grundsätzlich ging es seit dem Disput zwischen Origines und Julius Africanus um die Authentizität der Geschichte, weil diese nicht Bestandteil des hebräisch-aramäischen Danielbuches war, also nicht der »Hebraica Veritas« entsprach. Zu den Theologen, welche die Geschichte der Susanna als Teil des Buches Daniel ablehnten, gehörte auch Luther, der die Susannengeschichte nicht in seine Bibelübersetzung aufgenommen hatte. Vgl. Engel, Helmut: Die Susanna-Erzählung. Einleitung, Übersetzung und Kommentar zum Septuaginta-Text und zur Theodotin-Bearbeitung, Freiburg u.a. 1985. 46 | Vgl. Jedin, Hubert: Geschichte des Konzils von Trient, Bd. II, Freiburg 1957, S. 42f.

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der Susanna Carraccis nachempfunden, jedoch weitaus maskuliner und weniger weiblich-naturalistisch dargestellt. Sie zieht das Tuch dermaßen über den Oberkörper, dass ihr kräftiger Arm den Busen komplett verdeckt. Auch die Brunnenanlage auf der rechten Bildseite ist von Annibale Carracci in reduzierter Art und Weise übernommen, die beiden Alten kommen ebenfalls hinter Susannas Rücken zu stehen und gestikulieren aussagekräftig. Der wildwuchernde Garten auf Carraccis Stich, den Garrard als Garten der Lüste definiert, ist zugunsten eines hortus conclusus gewichen, der die theologischen Allegorien des Themas verdeutlicht. Was aber den Bruch mit der Tradition des Cinquecento so eindeutig macht, ist der Blick Susannas, der nach oben gerichtet ist und somit das »Augenspiel« zwischen Susanna und den beiden Alten, aber auch mit den Betrachterinnen und Betrachtern unterbindet. Diesen himmelnden Blick greifen in der Folge nun verschiedene Künstler auf, so auch Rubens in seiner Susannendarstellung von 1707/08 und vor diesem bereits Domenichino in dem Gemälde des Palazzo Doria-Pamphilj aus dem Jahr 1603 (Abb. 6) sowie Sisto Badalocchio aus dem Jahr 1609 (Sarasota, The John and Mable Ringling Museum of Art).47 Obwohl es doch eindeutige Unterschiede gibt, stellt das Gemälde Domenichinos aus dem Jahr 1603 für Ann Sutherland Harris die primäre Quelle für die Susanna Artemisia Gentileschis aus dem Jahr 1610 dar, und zwar nicht aufgrund des Susannentypus, der sich ja wesentlich unterscheidet, sondern aufgrund der räumlichen Disposition zwischen den Dargestellten, die durch eine bedeutsame Steinbalustrade getrennt sind.48 Domenichino bezieht sich mit seiner Interpretation des Susannenthemas nun eindeutig auf das Fresko Croces: Signifikant sind die beinahe frontalen Dispositionen der Figuren, das Verbergen des Busens durch den rechten ausgestreckten Arm und der Blick nach oben, der signalisiert, dass Hilfe in dieser ausweglosen Situation nur von »oben« kommen kann.

47 | Vgl. M.D. Garrard: Artemisia and Susanna, S. 149; dies.: Artemisia Gentileschi, S. 190. 48 | Vgl. Sutherland Harris, Ann: »Artemisia Gentileschi: ›The Literate Illiterate or Learning from Example‹«, in: Sible de Blaauw et al. (Hg.), Docere, Delectare, Movere. Affetti, Devozione e Retorica nel Linguaggio Artistico del Primo Barocco Romano, Rom 1998, S. 105-120. Siehe ebd. S. 111: »The austerity of the composition, which isolates the woman in front of the stone wall surrounding the mountain, over which the elders have already begun to clamber, is close to Artemisia’s conception (and was, I think, one of her primary visual sources, with Annibale’s print).«

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Abbildung 6: Domenichino, Susanna und die beiden Alten, 1603 Croce wählt in seiner Darstellung den Moment des Gottvertrauens der Susanna, das sich durch den Hilfe suchenden Blick gen Himmel manifestiert. Susanna hat die bedrohliche Aufforderung der beiden Alten bereits vernommen, sie weiß um die Gefahr und wendet sich himmelwärts zur zentralen Figur der Gottesmutter. In der Kirche von Santa Susanna werden mehrere Blickrichtungen nach oben, z.B. auch in der Darstellung des Dankgebetes von Susanna und ihrer Familie, in der Figur der Maria gebündelt, die sich im Zentrum der Holzdecke der Kirche befindet. D.h. auch, dass der erneute Paradigmenwechsel von der verführerischen Susanna zur keuschen Susanna theologisch motiviert war. Das kann man an den genannten Beispielen feststellen, in welchen Susannas Blick Hilfe suchend nach oben gerichtet ist, nicht aber in der Susannendarstellung Artemisias von 1610, wohl aber in ihrer späteren Version des Themas von 1622 (Abb. 7).49 In diesem Gemälde orientiert sich Artemisia offensichtlich an der Darstellung Baldassare Croces aus Santa Susanna, was man an dem gehoben nen Kopf und dem himmelwärts gerichteten Blick festmachen kann, aber auch an der Übernahme des Motivs des Brunnens: ein kleiner Putto, der auf dem Rücken einer Schildkröte reitet. Die Darstellung Croces in der Kirche von Santa Susanna darf meines Erachtens in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, da es sich 49 | Vgl. Garrard, Mary D.: Artemisia Gentileschi around 1622. The Shaping and Reshaping of an Artistic Identity, Berkeley/Los Angeles/London 2001.

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Abbildung 7: Artemisia Gentileschi, Susanna und die beiden Alten, 1622 um einen öffentlich zugängigen Ort handelt, welchen bereits die junge Artemisia Gentileschi aufgesucht haben könnte, da Kirchenbesuche durchaus zum decorum vitae von jungen Frauen gehörte und als gesellschaftlich akzeptiert betrachtet werden können. Somit hätte die junge Malerin ein Vorbild vor Augen gehabt, welches bereits mit der Tradition des »Verführungsbildes« gebrochen hatte, auch wenn sie selber das Thema noch weiterentwickelte. Dieses leicht zugängige Fresko in der Kirche würde auch die Spekulationen darüber entbehrlich machen, wo Artemisia (und Orazio) welches Ölgemälde mit dem Susannenthema, z.B. jenes von Rubens oder Dominichino, oder den Stich von Annibale Carracci, gesehen haben könnte. Erst durch die Integration des Buches Daniel in den Kanon der heiligen Bücher durch das Konzil von Trient und durch die Reintegration der Darstellung der Susanna mit den beiden Alten in den erzählerischen Gesamtzusammenhang wurde es ermöglicht, dass die vorbildhafte Keuschheit der Susanna als Kern der Deutung zu einer revidierten Ikonografie

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des beliebten Sujets geführt hatte. In dieser erneuerten Tradition muss auch das Susannengemälde Artemisias betrachtet werden.

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A BBILDUNGEN Abb. 1: Artemisia Gentileschi, Susanna und die beiden Alten, 1610, Öl auf Leinwand, 170 × 121cm, Pommersfelden, Graf von Schönborn Kunstsammlung. Aus: Bissell, R. Ward: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, Pennsylvania 1999, Farbtafel 1. Abb. 2: Lorenzo Lotto, Susanna und die beiden Alten, 1517, Öl auf Holz, 66 × 50 cm, Florenz, Uffizien. Aus: Herrmann, Michaela: Vom Schauen als Metapher des Begehrens. Die venezianischen Darstellungen der Susanna im Bade im Cinquecento, Marburg 1990, S. 85, Abb. 8. Abb. 3: Annibale Carracci, Susanna und die beiden Alten, ca. 1590/95, Kupferstich, Washington D.C., National Gallery of Art, Ailsa Mellon Bruce Fund. Aus: Bissell, R. Ward: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, Pennsylvania 1999, Abb. 7.

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Abb. 4: Peter Paul Rubens, Susanna und die beiden Alten, vor 1608, Öl auf Leinwand, 94 × 67 cm, Rom, Galleria Borghese. Aus: Bissell, R. Ward: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art, Pennsylvania 1999, Abb. 11. Abb. 5: Baldassare Croce, Susanna und die beiden Alten, 1598, Fresko, Rom, Kirche von Santa Susanna. Aus: Elisabeth Priedl, Privatarchiv. Abb. 6: Domenichino, Susanna und die beiden Alten, 1603, Öl auf Holz, 56,8 × 86,1 cm, Rom, Galleria Doria-Pamphili. Aus: Sutherland Harris, Ann: »Artemisia Gentileschi: The Literate Illiterate or Learning from Example«, in: Sible de Blaauw/Pieter-Matthijs Gijsbers/Sebastian Schütze/Bert Treffers (Hg.), Docere, Delectare, Movere. Affetti, Devozione e Retorica nel Linguaggio Artistico del Primo Barocco Romano, Rom 1998, S. 111, Abb. 3. Abb. 7: Artemisia Gentileschi, Susanna und die beiden Alten, 1622, Öl auf Leinwand, 162 × 123 cm, Stamford, Burghley House. Aus: Garrard, Mary D.: Artemisia Gentileschi Around 1622. The Shaping and Reshaping of an Artistic Identity, Berkeley/Los Angeles/ London 2001, Tafel 6.

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Liebe und Ehe Bürgerliche Utopie in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts DANIELA HAMMER-TUGENDHAT

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ALS INDIVIDUELL ERFAHRENE

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Wie lässt sich Liebe darstellen? Liebe ist eine Emotion, wir würden heute sagen: ein Gefühl. Im 17. Jahrhundert sprach man von Gemütsbewegung oder in der seit der Antike überlieferten Begrifflichkeit von Affekt.1 Es gibt Affekte, die sich in der Mimik und in Gesten darstellen lassen: Zorn, Angst, Erschrecken, Verwunderung, ja sogar Hass, Aggression. Man denke etwa an Rembrandts frühe Grafiken mit Selbstporträts in solch unterschiedlichen Affektzuständen. Aber Liebe? Gemeint ist hier die innere, emotionelle Erfahrung von Liebe, nicht entsprechende Handlungen wie Liebesakte, Küsse oder Umarmungen. Natürlich gibt es auch Motive, die auf Liebe verweisen, wie das Herz oder die Rose. Die Liebe kann als die Liebesgöttin Venus oder als Allegorie personifiziert werden. Aber wie lässt sich die Liebe als innere Erfahrung visualisieren? Ich meine, Rembrandt hat diese subjektive Erfahrung von Liebe in seinem Werk, das unter dem Titel Die Judenbraut (Abb. 1) bekannt ist, dargestellt. Es ist ein Spätwerk, sehr wahrscheinlich zwischen 1665 und 1667 entstanden. Der traditionelle Titel Judenbraut ist unrichtig und

1 | Vgl. Grimm, Hartmut: »Affekt«, in: Karl-Heinz Barck et al. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart/Weimar 2000, S. 16-49; Scheer, Brigitte: »Gefühl«, in: ebd., Bd. 2, 2001, S. 629-660; Hammer-Tugendhat, Daniela/Lutter, Christina: »Emotionen im Kontext. Eine Einleitung«, in: dies. (Hg.), Emotionen. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Bielefeld 2010.

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Abbildung 1: Rembrandt, sogenannte Judenbraut, um 1665-1667 irreführend; ein Amsterdamer Kunsthändler aus dem frühen 19. Jahrhundert sah in dem Bild einen jüdischen Vater mit seiner Tochter an deren Hochzeitstag. Seither entstanden mehrere Interpretationen: Rembrandts Sohn Titus und seine Braut, diverse Paare aus dem Alten Testament, wie Abraham und Sarah oder Boas und Ruth. Die am wahrscheinlichsten zutreffende Vermutung ist die Geschichte von Isaak und Rebekka, wie sie in Genesis 26,8 beschrieben ist.2 Diese Deutung wird durch eine Rembrandtzeichnung unterstützt (Abb. 2). Die Entwurfszeichnung zu dem Gemälde zeigt Isaak und Rebekka, wie sie von König Abimelech belauscht werden; die Zeichnung geht (vielleicht) auf ein Fresko von Raffael in den Loggien des Vatikans zurück, das Rembrandt über die Vermittlung der Grafik bekannt sein konnte.3 Rembrandts Vorgehensweise wird hier deutlich: Er geht durchaus von Vorbildern aus und verändert sie dann in seiner spezifischen Weise – die Szene wird aus dem konkreten Erzählzusammenhang herausgelöst (hier dem alttestamentarischen, in anderen Beispielen einem 2 | Siehe u.a. Fuchs, R. H.: »Het zogenaamde Joodse Bruidje en het probleem van de ›voordracht in Rembrandts werk«, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 82 (1969), S. 482-493; Alpers, Svetlana: Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt, Köln 2003 (1989), S. 29ff.; Pächt, Otto: Rembrandt (herausgegeben von Edwin Lachnit), München 1991, S. 164ff.; Tümpel, Christian: Rembrandt. Mythos und Methode, Königstein/Taunus 1986, S. 351 und S. 355. 3 | Abbildung siehe z.B. Pächt 1991, S. 165, Abb. 121.

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Abbildung 2: Rembrandt, Isaak und Rebekka mythologischen).4 Er eliminiert die Handlung sowie motivische oder allegorische Verweise, entzeitlicht das Historienbild und verallgemeinert die Beziehung zwischen den Personen. So sind es eben nicht mehr Boas und Ruth, Abraham und Sarah oder Isaak und Rebekka. Das Entscheidende ist nicht die Auffindung einer möglichen Vorlage, die Definition eines Themas, einer traditionellen Ikonografie (Isaak und Rebekka), sondern im Gegenteil zu verstehen, dass Rembrandt gleichsam auf die prinzipielle Struktur, die anthropologische Essenz einer Geschichte fokussiert. Gleichzeitig verleiht er den Protagonisten porträthafte Züge, deswegen der Versuch vieler Kunsthistoriker, die Dargestellten zu identifizieren, beispielsweise als Titus und seine Braut. Das biblische Geschehen wird so verlebendigt; umgekehrt wird in den lebenden Personen das Gleichnishafte aufgespürt. Was bleibt, ist die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau. Ob tatsächlich ein Stich nach Raffael (oder seiner Schule) Rembrandt inspirierte, bleibe dahingestellt. Festmachen können wir jedenfalls die Abweichungen des Gemäldes gegenüber der Zeichnung. Alle genrehaften Züge wie die voyeuristische Figur und der Tisch mit den Gefäßen wurden getilgt zugunsten eines engen Bildausschnitts. Hinter dem Paar bleibt lediglich die Andeutung eines architektonischen Elementes, dessen bogenartiger Schatten die Verbindung der beiden Figuren verstärkt. Am 4 | Vgl. C. Tümpel: Rembrandt, S. 351 und S. 355.

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rechten Bildrand ist eine Pflanze zu erkennen. Das Sitzmotiv, im Röntgen offensichtlich stärker sichtbar, ist so zurückgenommen, dass man kaum mehr ausnehmen kann, dass die junge Frau auf dem Knie des Mannes sitzt. Das Profil in der Zeichnung ist in ein Dreiviertelprofil umgewandelt – das ist entscheidend: Der Blick des Mannes richtet sich nicht mehr auf die Frau, nicht auf das Objekt seiner Zuneigung, sondern er schaut gleichsam in sich selbst. Ebenso ist ihr Blick nicht auf ihn gerichtet. Die Liebesbeziehung wird wohl durch eine Umarmung gekennzeichnet, er hat seinen linken Arm um ihre Schulter gelegt, seine rechte Hand berührt ihre Brust, sie wiederum berührt mit den Fingern ihrer Hand die seine, während sie ihre rechte Hand vor ihren Schoß hält. Berührung ja, aber so zart, dass sie kaum wie eine körperliche Berührung wirkt: Seine Hand ist ausgestreckt (er greift nicht nach ihrem Busen), ein Schatten lässt die Hand wie vor ihrem Körper schweben. Das Haptische, Taktile wird gleichsam ins Farbmaterial verschoben: in den pastosen, mehrschichtigen Farbauftrag. Rembrandt hat nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit dem Spachtel und teils wohl mit den Händen gearbeitet.5 Zu sehen sind mehrere, unterschiedlich farbige Schichtungen in offener Manier übereinandergelagert, teils plastische Farbklumpen bildend, teils nur zarte Lasuren. Die Schichten wirken hier wie die unauslotbare Tiefe der Emotion, die von innen kommt und von innen strahlt.6 Die Farbe verstärkt diesen Eindruck: das leuchtende Rot und das warme Gold. Die beiden Figuren bilden ein perfektes Dreieck; die bogenförmige Führung der Arme und Hände akzentuiert die Verbindung. Trotz der kompositionellen und gestischen Verschränkung stehen jedoch beide für sich; vor allem der bei beiden nach innen zentrierte Blick evoziert den Eindruck von Liebe als je individuell gefühlte Erfahrung im Inneren des Subjekts. In Rembrandts Bild wird der Eindruck von Liebe somit nicht nur durch das Motiv der Umarmung erreicht, sondern durch die gesamte ästhetische Inszenierung; Liebe wird hier buchstäblich in Form, Farbe

5 | Vgl. Wetering, Ernst van de: Rembrandt. The Painter at Work, Amsterdam 1997. 6 | Der offene, pastose, mehrschichtige Farbauftrag ist charakteristisch für Rembrandts Spätwerk, er kann aber auch anders semantisiert werden: Im Bild Selbstmord der Lucretia (1666, Minneapolis) evoziert diese Maltechnik den Eindruck des Sterbens. Siehe dazu Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/ Wien 2009, insbesondere S. 79ff.

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und Licht (hell-dunkel) übersetzt. Rembrandt versuchte, das Unsichtbare sichtbar zu machen, die unsichtbare Emotion Liebe zu visualisieren: durch die Herauslösung aus dem Narrativ, die Reduktion auf das Paar, die kompositionelle Verschränkung, die Gesten, den nach innen zentrierten Blick, durch die Farben (Rot und Gold), deren Schichtung und Leuchtkraft. Man könnte an Descartes’ Ausführungen in seiner 1649 in Amsterdam erschienenen Schrift Les passions de l’âme denken; in seiner Affektenlehre schreibt er auch über die Liebe. Bezeichnenderweise erwähnt er keine äußerlichen Anzeichen wie beim Zorn, beim Erschrecken oder anderen Affekten. Die Effekte der Liebe sind – im Unterschied zu den anderen von ihm so genau geschilderten Affekten – am Körper nicht ablesbar. Er beschreibt in diesem Zusammenhang einen stärkeren, aber gleichmäßigen Pulsschlag und eine süße Wärme in der Brust.7 Darüber hinaus hat sich Descartes in seiner Abhandlung über die Leidenschaften der Seele gegen die herkömmliche Trennung von Liebe als Wohlwollen und Liebe als Begehren gewandt (amour de bienvueillance et amour de concupiscence); beide seien in ihrem Wesen gleich, nur in ihren Wirkungen verschieden.8 Mir erscheint mit dieser Überwindung der alten theologischen Dichotomie von Eros und Agape und der damit verbundenen Verurteilung sinnlicher Liebe die Möglichkeit einer neuen Definition von Liebe gegeben. Selbstredend meine ich nicht, dass Rembrandt Descartes’ Abhandlung illustriert; es ist höchst unwahrscheinlich, dass er diese in Französisch geschriebene Schrift gekannt hat. Der Philosoph und der Künstler haben zur selben Zeit in der derselben Stadt, Amsterdam, gelebt. Die gemeinsame Lebens- und Erfahrungswelt in der bürgerlichen und damals wohl liberalsten Stadt der abendländischen Welt ist der Kontext, der die analogen Strukturen in Kunst und Philosophie ermöglichte. Die spezifischen Formulierungen über die Liebe sind aber auch nur zu verstehen, wenn man sie innerhalb des umfassenden Emotionsdiskurses begreift, der damals von Philosophen wie Descartes, Spinoza, Mallebranche oder Hobbes geführt wurde und Dichtung, Musik und bildende Kunst beherrschte. Ähnlich wie bei Rembrandt wurden Emotionen aus dem moralisierenden theologischen Diskurs gelöst und in neuer Weise als inne-

7 | Vgl. Descartes, René: Die Leidenschaften der Seele (französisch/deutsch, herausgegeben und übersetzt von Klaus Hammacher), Hamburg 1996, Art. 97. 8 | Ebd., Art. 81.

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res, subjektives und komplexes Phänomen beschrieben; damit lässt sich ein neues Verständnis für psychische Prozesse erkennen.9 Vermeer ging in der Interiorisierung von Emotion noch einen Schritt weiter als Rembrandt: Er thematisierte die Unsichtbarkeit von Liebe, die am Körper nicht ablesbar ist, weder in Gesten noch in der Mimik. Er zeigte, dass Liebe eine im Inneren des Subjekts verborgene, intime, individuelle Emotion ist.10 Diese Interiorisierung von Emotion – und es ist vor allem die Liebe – lässt sich erst im Spätwerk von Rembrandt, in Werken von Ter Borch nach der Jahrhundertmitte und dann bei Vermeer seit den späten 1650er Jahren feststellen. In Vermeers frühesten Werken wie der Kupplerin oder auch noch in Offizier und Junge Dame ist das noch nicht der Fall.11 Aber bereits in Briefleserin am Fenster von 1657 finden wir diese Form der Interiorisierung von Emotion (Abb. 3). Das wird deutlicher, wenn man Vermeers Bild mit Werken desselben Themas aus den dreißiger Jahren vergleicht, wie etwa mit den Versionen von Dirck Hals.12 Hier spricht der Körper, was in der Seele vorgeht. In der einen Version zerreißt eine Frau in dramatischem Gestus einen Brief, der Ton des Bildes ist düster; in einer anderen hingegen lächelt eine rundliche Frau den Betrachter an, heiter einen Brief in Händen haltend, helle Farben korrespondieren mit der harmonischen Komposition. Das Meeresbild im Hintergrund verstärkt den jeweiligen Ausdruck: Dramatischer Sturm in dem einen, ruhige See in dem anderen Werk. Bei Vermeer können wir im Malprozess nachvollziehen, wie explizite Verweise, in diesem Fall allegorischer Natur, buchstäblich verhüllt wurden. Vermeer hatte ursprünglich an der Rückwand das Bild eines Amors geplant, das er dann aber mit einem Vorhang verdeckt hat.13

9 | Mir ist bewusst, dass die hier gebotene Textlänge diese hochkomplexe Materie fast bis zur Unverständlichkeit verkürzt. Ich verweise auf das Kapitel »Affekt/Emotion/Imagination« in: D. Hammer-Tugendhat: Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 259-299, insbesondere S. 271-278 (mit weiterführender Literatur). 10 | Vgl. ebda S. 278ff. 11 | Vgl. Salomon, Nanette: »Vermeer’s Women: Changing Paradigms in Midcareer«, in: Dies., Shifting Priorities. Gender and Genre in Seventeenth-Century Dutch Painting, Stanford 2004, S. 106-116. 12 | Vgl. D. Hammer-Tugendhat: Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 262f., Abb. 129 und 130. 13 | Im Röntgenfoto gut sichtbar (vgl. D. Hammer-Tugendhat, Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 280, Abb. 136). Das Bild des Amor geht offensichtlich auf ein Original von van Everdingen zurück, das sich wohl im Besitz von Vermeer befunden hat. Vermeer hat diesen Amor in unterschiedliche Werke als Bild im Bild in-

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Abbildung 3: Vermeer, Briefleserin am Fenster, um 1657 Das Wissen um die Tradition der Bilder mit Brief lesenden Frauen war bereits genügend verankert, sodass auf einschlägige Attribute oder allegorische Zeichen der Liebe verzichtet werden konnte.14 Die junge Frau liest mit dem Ausdruck höchster Aufmerksamkeit, was durch die niedergeschlagenen Augen und die leicht geöffneten Lippen vermittelt wird. Aber von ihren konkreten Gefühlen erfahren wir nichts. Anders als bei Hals wissen wir nicht, ob der Brief gute oder schlechte Nachrichten enthält. Der aufrechte Körper mit den streng rechtwinklig abgebogenen Armen tegriert. Siehe dazu Gaskell, Ivan: »Vermeer and the Limits of Interpretation«, in: ders. (Hg.), Vermeer Studies, New Haven/London 1998, S. 225-233. 14 | Zur Darstellung von Frauen mit Liebesbriefen, einem Lieblingsthema holländischer Malerei zwischen 1630-1670, siehe u.a. mit weiterführender Literatur Sutton, Peter et al (Hg.): Love Letters. Dutch Genre Paintings in the Age of Vermeer, Ausstellungskatalog, Dublin/London 2003. Zur Geschlechterasymmetrie innerhalb der Briefkultur siehe D. Hammer-Tugendhat: »Das Geschlecht der Briefe«, in: dies., Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 251-258.

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signalisiert Kontrolle. Sie zeigt weder durch ihre Gestik noch durch ihre Mimik, was in ihrem Inneren vorgeht. Was vermittelt wird, ist die Emotion von Liebe als ein intimes, individuelles, im Inneren des Subjekts verborgenes Gefühl. Dieser Eindruck wird durch die Komposition verstärkt: Einerseits ist es der Blick in ein intimes Interieur, der Nähe suggeriert. Dieser Eindruck wird dadurch gesteigert, dass sich die Betrachter im gleichen Raum wähnen wie die Figur, was durch Weglassen des Bodens, der Decke und der Seitenwand erreicht wird. Andererseits aber wird die weibliche Figur durch ihre Kleinheit in dem Raum wiederum entrückt. Zusätzlich bildet der Tisch mit dem aufgebauschten Teppich und der gekippten Fruchtschale buchstäblich eine Barriere. Diese Inszenierung von Nähe und Ferne, von Intimität und Unzugänglichkeit verstärkt den Effekt, dass die Emotion der dargestellten weiblichen Figur als im Inneren des Individuums verborgen und für andere nicht sichtbar erfahren werden kann. Ein weiteres Werk von Vermeer mit einer etwas anders gelagerten Thematik möge dies unterstreichen: Die Musikstunde, etwa zwischen 1662 und 1664 entstanden (Abb. 4). Ich beschränke mich lediglich auf den Aspekt der Repräsentation von Liebe, ohne auf die Komplexität des Bildes einzugehen, wie etwa die Verbindung von Musik und Malerei. Liebe wird hier nicht als Umarmung, als körperliche Beziehung, nicht in Gesten oder Berührungen dargestellt, auch nicht durch allegorisches Beiwerk, sondern als intime Emotion zwischen zwei Menschen, die durch Tisch, Stuhl und Viola da Gamba von der Umwelt (auch von uns) abgeschirmt sind; deren Emotion ist gleichsam als Stimmung im ganzen Raum spürbar. Symptomatisch ist nun, dass die Frau als Rückenfigur konzipiert ist, ihre aufrechte, strenge Haltung wird durch das Muster auf dem Rücken ihrer Bluse betont, welches die Senkrechte ihrer Wirbelsäule akzentuiert. Es ist der Spiegel hinter dem Virginal, der gleichsam ihr Inneres offenbart. Der Spiegel zeigt eine Drehung ihres Kopfes, welche die nur angedeutete Neigung übertreibt. Der Spiegel spiegelt somit nicht bloß die sichtbare Realität, sondern ihre innere Zuneigung.15 Der männliche Protagonist wiederum verrät durch keine körperlichen Gesten, was in

15 | Spiegel dienen in der angeblich so mimetischen holländischen Malerei selten bloß als Abbild sichtbarer Wirklichkeit. Zur Semantik von Spiegeln in der holländischen Malerei: D. Hammer-Tugendhat: Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 175-191. Im Spiegel der Musikstunde ist auch der Fuß der (unsichtbaren) Staffelei zu sehen, Zeichen des Malers Vermeer und der Selbstreflexivität seiner Malerei.

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Abbildung 4: Vermeer, Die Musikstunde, 1662–1664 seiner Seele vorgeht, lediglich sein Blick ruht auf der Frau. Rembrandt setzte alles daran, Emotionen wie die Liebe an konkreten Individuen darzustellen und für uns empathisch nachvollziehbar zu machen. Das unsichtbare Innere sollte sichtbar gemacht werden. Bei Vermeer realisieren wir, dass Emotion – die Liebe – im Individuum verborgen, unsichtbar ist. Wir können nicht wissen, was im Anderen vorgeht. Die Unbestimmtheit evoziert die Imagination der Rezipientinnen und Rezipienten. Letztlich ist es unsere eigene Fantasie, wenn wir die Beziehung zwischen Mann und Frau in diesem Bild mit Liebe assoziieren. Ich meine, dass die holländische Malerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen Beitrag zur Bildung einer spezifisch bürgerlichen Emotionskultur geleistet hat, eine Form von Subjektivierung, die im Allgemeinen in einer sprachzentrierten Forschung erst im 18. Jahrhundert diagnostiziert wird.16

16 | Dazu ausführlich D. Hammer-Tugendhat, Das Sichtbare und das Unsichtbare.

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FAMILIE

In den bürgerlichen, weitgehend calvinistisch geprägten Niederlanden des 17. Jahrhunderts wurde in Ansätzen eine Konzeption von Ehe entwickelt, die mit gewissen Variationen bis weit in die Moderne gültig blieb. Es ist die für uns geläufige, aber keinesfalls selbstverständliche Vorstellung einer Verbindung von Liebe und Ehe.17 Gegenwärtig erleben wir die Auflösung dieses Musters – Ehe wird immer weniger als gültige Lebensform angesehen.18 Ein umfangreiches Schrifttum in den Niederlanden dokumentiert eindrucksvoll die neue Bedeutung der (Klein-)Familie, die auf affektiver Beziehung, auf gegenseitiger Verantwortung und Pflicht, vor allem auch zur Erziehung der gemeinsamen Kinder und als Fundament des sozialen Gefüges gegründet ist – so bereits bei Dirck Volckertsz., Coornhert († 1590), dann etwa bei Johan van Beverwijck und natürlich bei Jacob Cats, dessen Werk Huwelijk (Ehe), um 1625 erschienen, so etwas wie ein Bestseller war und zum Bestand fast jeden bürgerlichen Haushalts gehörte.19 In der Kunst zeigt sich diese neue Bedeutung von Ehe und Kleinfamilie in der Ausbildung des Familienbildes seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, man denke an die Werke von Heemskerck, Frans Flo-

17 | Selbstredend wurden Ehen in der Realität immer noch weitgehend von den entsprechenden Familien gestiftet und die soziale Zugehörigkeit blieb ausschlaggebend. Siehe u.a. Wunder, Heide: Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, insbesondere S. 65-88. 18 | Vgl. Sieder, Reinhard: Editorial zu »Liebe: Diskurse und Praktiken«. in: Liebe: Diskurse und Praktiken. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 18 (2007), herausgegeben von Reinhard Sieder/Franz X. Eder/Daniela Hammer-Tugendhat, S. 5-12. 19 | Vgl. Gemert, Lia van: »Johan van Beverwijck als ›instituut‹«, in: De zeventiende eeuw 8 (1992), S. 99-106; Sneller, Agnes A.: »Reading Jacob Cats«, in: Els Kloek/Nicole Teeuwen/Marijke Huisman (Hg.), Women of the Golden Age. International Debate on Women in Seventeenth-Century Holland, England and Italy, Hilversum 1994, S. 21-34; dies.: Met man en macht. Analyse en interpretatie van teksten van en over vrouwen in de vroegmoderne tijd, Kampen 1996, insbesondere S. 170ff.; Loonen, T.: »De vrouw in het werk van Cats. Erasmiaanse inspiratie. De zeventiende eeuwse discussie«, in: Bulletin van de Koninglijk zeeuwsch genootschap der wetenschappen-werkgroep historie en archeologie 28 (1978), S. 26-46; Cats, Jacob: Huwelijk (herausgegeben von Agnes A. Sneller), Amsterdam 1993; Frijhoff, Willem/Spies, Marijke: 1650: Hard-Won Unity. Dutch Culture in a European Perspective, Bd. I., Assen 2004, insbesondere S. 19, S. 77f. und S. 531-583.

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Abbildung 5: Rembrandt, Familienbild, um 1668 ris, Pieter Pietersz. und anderen.20 Die Familie wird bei der gemeinsamen Mahlzeit gezeigt, beim Musizieren, beim Spaziergang. Immer kommt dem Vater eine gewisse Vormachtstellung zu, allemal ist es er, der auf der linken Seite des Bildes (in der »Realität« auf der rechten) platziert ist, der meist etwas höher steht und der aus dem Bild den Kontakt mit den Betrachterinnen und Betrachtern aufnimmt. Rembrandt steht mit seinem Braunschweiger Familienbild durchaus in dieser Tradition (Abb. 5). Zu Recht ist in diesem Zusammenhang auch auf das bedeutende Werk von Heemskerck (um 1530) verwiesen worden (Abb. 6). Rembrandts Gemälde ist ein Spätwerk, sehr wahrscheinlich um 1668 entstanden. Wir wissen nicht, ob es ein Auftrag für eine konkrete Familie war oder ob Rembrandt ein Idealbild einer Familie entwarf.21 Diese Unklarheit ist

20 | Vgl. Smith, David R.: Masks of Wedlock, Ann Arbor 1982; Jongh, Eddy de: Portretten van echt en trouw, Ausstellungskatalog, Frans-Hals-Museum, Haarlem 1986; Olbrich, Harald/Möbius, Helga: Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Leipzig 1990, S. 89ff. 21 | Vgl. Gatenbröcker, Silke: Familienglück. Rembrandt und sein Braunschweiger Meisterwerk, Ausstellungskatalog, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Petersberg 2006, S. 15. Da das Gemälde bereits 1737 in Salzdalum, dem Schloss der Braunschweiger Herzöge, nachweisbar ist, wäre es, wenn es denn in der Tat ein Auftragswerk gewesen ist, von den ursprünglichen Auftraggebern bald

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Abbildung 6: Maerten van Heemskerck, Bildnis der Familie des Pieter Jan Foppesz., um 1530 symptomatisch.22 Die verallgemeinerten Gesichtszüge der Dargestellten bei Heemskerck, die sich ähnlich in Rembrandts Historienbildern – man denke etwa an die weibliche Figur in der Judenbraut oder an die Mutter im Kasseler Isaaksegen – wiederfinden, sprechen gegen ein konkretes Familienporträt. Aufschlussreich ist der Vergleich mit zeitgenössischen

wieder verkauft worden und nicht, wie sonst üblich, längere Zeit in Familienbesitz geblieben. Vielleicht aber wurde das Bild von den Auftraggebern nicht akzeptiert, wie Brückner, Christel: Rembrandts Braunschweiger »Familienbild«. Seine thematische Figuren- und Farbkomposition und die Kunst Italiens, Hildesheim/ Zürich/New York 1997, S. 53 vermutet. Die Ähnlichkeit der Mutter mit anderen weiblichen Figuren in Rembrandts Spätwerk wie etwa der Judenbraut, spräche wiederum dafür, in dem Gemälde eine freie Arbeit zu vermuten. Dafür spricht auch die intensive Auseinandersetzung mit dem Familienbild von Maerten van Heemskerck. Dazu auch Gatenbröckers richtiger Hinweis, dass Rembrandt hier seine Erfahrungen mit dem Gruppenbild und den Historienbildern verbindet, siehe S. Gatenbröcker, FAmilienglück, S. 18. 22 | Gatenbröcker dazu: »[I]nwieweit sich in Rembrandts Werken über seine Selbstbildnisse hinaus persönliche Ansichten und Gefühle ausdrücken. Für das Braunschweiger Familienbild scheint hier eine positive Antwort möglich. Rembrandt entfernt sich von den realen – zufälligen – Gegebenheiten seines eigenen Familienlebens und offenbart eine grundsätzliche, individuelle Vision von Familienglück« (Gatenbröcker 2006: 17).

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Künstlern, bei denen diese Unsicherheit undenkbar wäre. Bei Nicolaes Maes, Gabriel Metsu oder Caspar Netscher wird klar unterschieden zwischen auf Repräsentation ausgerichteten Familienporträts und Genrebildern mit häuslichen Szenen. Bei der Veröffentlichung eigener Privatheit wurde streng auf die Etikette geachtet und das eigentlich Private eben gerade nicht preisgegeben.23 Rembrandt hat am Ende seines Lebens und nach dem Tod seiner eigenen Familie24 eine Idealvorstellung von Familie entworfen. Dieses Ideal wird nun als ganz und gar profane und nicht mehr als sakrale Familie gedacht, wie früher etwa im Bild der Heiligen Familie in Frankfurt oder entsprechenden Radierungen. Die Veränderungen gegenüber der Tradition der Familienporträts sind wieder bezeichnend; als (beliebiges) Vergleichsbeispiel kann das zeitgleiche Familienporträt von Caspar Netscher herangezogen werden (Abb. 7). Rembrandt eliminiert alle genrehaften oder allegorischen Verweise und

Abbildung 7: Caspar Netscher, Familienbild eines Juristen, 1667

23 | Die Vermischung der Gattungen, hier die Verbindung von Porträt und Genrebild, ist charakteristisch für Rembrandt. Vgl.: O. Pächt: Rembrandt, 1991. 24 | Nach dem frühen Tod seiner Frau Saskia und drei ihrer gemeinsamen Kinder starb auch seine Lebensgefährtin Hendrickje (1663) und 1668 sein nunmehr einziger Sohn Titus. Nur Cornelia, die Tochter mit Hendrickje, überlebte Rembrandt.

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verzichtet auf die Konkretisierung des Raums.25 Die Familienbande werden nicht durch eine verbindende Handlung wie eine Mahlzeit, Musizieren oder Spaziergang begründet. Dennoch ist es kein additives zusammenhangloses Nebeneinander von Einzelporträts wie bei einem typischen Familienporträt von Nicolaes Maes von 1659.26 Repräsentation, die gerade in den Ehe- und Familienporträts in der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhunderts ein zentrales Anliegen der elitären Oberschicht war, spielt kaum eine Rolle. In dem dunklen gegenstandslosen Raum gibt es nichts als diese Familie. Die Hierarchie zwischen den Geschlechtern ist abgemildert. Aber auch bei Rembrandt ist es der Mann, der auf der linken Bildseite positioniert ist, etwas größer als die sitzende Frau, und es ist sein Blick, der aus dem Bild geht, allerdings ist es ein diffuser Blick. Der Blick der Frau ist auf ihr jüngstes Kind auf ihrem Schoß gerichtet, aber auch ihr Blick ist wie nach innen gewandt. Lediglich dieses kleine Kind schaut lebhaft aus dem Bild auf die Betrachterinnen und Betrachter.27 Hierin unterscheidet sich Rembrandts Bild auch von dem Familienporträt von Karel Dujardin, das vielleicht wenige Jahre vorher entstanden und dem engen Bildausschnitt durchaus verwandt ist (Abb. 8). Bei Dujardin fokussiert der Mann mit klarem Blick die Betrachtenden, seine Gemahlin hingegen ist in ihrer Haltung, Kopfwendung und ihrem Blick ganz und gar auf ihn bezogen. Mann und Frau sind auch in Rembrandts Version durchaus geschlechtsspezifisch differenziert: sie weit ausladend, mit prächtigen, farbenfrohen Gewändern; er praktisch körperlos, das Schwarz seines Gewandes verschwimmt mit dem dunklen Hintergrund. Man fühlt sich an den Ausspruch von Jacob Cats erinnert: »Der Mann soll nicht denken, dass er über seine Frau wie ein Fürst über seine Untertanen gestellt sei oder wie ein Wächter über sein Vieh, sondern wie die Seele über den Körper, die miteinander über ein unzertrennliches Band natürlicher Freundschaft verbunden sind.« (zit. nach Loonen 1978: 34, Übersetzung D.H.-T.) Allerdings hält das Familienoberhaupt eine rote Blume in der Hand, eine Nelke oder Rose, das ist außergewöhnlich. Weitere Blumen befinden sich in dem Korb, den die Älteste der Mutter darreicht. 25 | Vielleicht war in dem jetzt stark abgedunkelten Hintergrund eine Gartenlaube angedeutet. 26 | Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen; Abb.: S. Gatenbröcker: Familienglück, S. 55. 27 | In der Hand hält es eine Kinderrassel (Rinkelbel), wie z.B. deutlich auf einem Frauenbildnis mit Kind von Ludolf de Jongh von ca. 1650-1660 zu sehen ist. Vgl. ebd., S. 48, Abb. Kat. 13.

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Abbildung 8: Karel Dujardin, Familienbild, 1660er Jahre Nelken und Rosen sind seit dem Mittelalter Zeichen der Liebe und Treue; Rembrandt hatte Saskia in dem Bildnis von 1641 eine rote Nelke in die Hand gegeben. In etlichen holländischen Familienporträts assoziieren Blüten und Blumenkörbe in Anklang an das pastorale Genre die Fruchtbarkeit der Natur. Im Allgemeinen werden jedoch die Blumen lediglich Kindern und Personen weiblichen Geschlechts zugeordnet – wie auch in Netschers Familienporträt (vgl. Abb. 7) –, aber nie den männlichen Protagonisten. Descartes beschreibt in Les passions de l’âme die Liebe eines guten Vaters zu seinen Kindern als die reinste Form der Liebe: »Wogegen die Liebe eines guten Vaters zu seinen Kindern so rein ist, dass er nichts von ihnen zu erhalten begehrt und sie nicht anders erhalten28 will, als er sie hat, noch mehr mit ihnen verbunden [sein will], als er schon ist. Da er sie aber betrachtet, wie andere sich selbst, ja sogar mit mehr Sorgfalt, denn da sie 28 | Im französischen Original steht posseder, das ich mit haben übersetzen würde.

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sich ihm darstellen, als er selbst und er mit ihnen ein Ganzes bildet, wovon er nicht der beste Teil ist, bevorzugt er oft ihre Interessen gegenüber den seinen und fürchtet nicht, sich aufzugeben, um sie zu retten.« (Descartes 1996: Art. 82)

Was Rembrandts Familie in diesem Bild zusammenhält, sind keine äußeren Zwänge, keine Abstammungslogik von Familienhierarchien, keine Großfamilie, ja scheinbar nicht einmal ein gemeinsames Heim oder gemeinsame Handlungen. Es ist einzig und allein die Liebe: die Blicke, die zarten Berührungen, die Zuwendungen, das Auftauchen und Versinken in einem allen gemeinsamen dunklen Grund, die warmen ineinander übergehenden Farben, welche die Körper fast zu einem einzigen Gebilde verschmelzen lassen. In Rembrandts Werk wird die Quintessenz dieser neuen bürgerlichen Konzeption von Liebe und Ehe repräsentiert: das utopische (wenn nicht gar illusionäre) Ideal vollkommener harmonischer Einheit von Liebe, Ehe und Familie.

L ITERATUR Alpers, Svetlana: Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt, Köln 2003 (1989). Brückner, Christel: Rembrandts Braunschweiger »Familienbild«. Seine thematische Figuren- und Farbkomposition und die Kunst Italiens, Hildesheim/Zürich/New York 1997. Cats, Jacob: Huwelijk (1625 herausgegeben von Agnes A. Sneller), Amsterdam 1993. Descartes, René: Traité sur les passions de l’âme. Die Leidenschaften der Seele (französisch/deutsch, herausgegeben und übersetzt von Klaus Hammacher), Hamburg 1996. Frijhoff, Willem/Spies, Marijke: 1650: Hard-Won Unity. Dutch Culture in a European Perspective, Bd. I, Assen 2004. Gaskell, Ivan: »Vermeer and the Limits of Interpretation«, in: ders. (Hg.), Vermeer Studies, New Haven/London 1998. Gatenbröcker, Silke: Familienglück. Rembrandt und sein Braunschweiger Meisterwerk, Ausstellungskatalog, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Petersberg 2006. Gemert, Lia van: »Johan van Beverwijck als ›instituut‹«, in: De zeventiende eeuw 8 (1992), S. 99-106. Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009.

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Hammer-Tugendhat, Daniela/Lutter, Christina (Hg.): Emotionen. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Bielefeld 2010. Jongh, Eddy de: Portretten van echt en trouw, Ausstellungskatalog, FransHals-Museum, Haarlem 1986. Loonen, T.: »De vrouw in het werk van Cats. Erasmiaanse inspiratie. De zeventiende eeuwse discussie«, in: Bulletin van de Koninglijk zeeuwsch genootschap der wetenschappen-werkgroep historie en archeologie 28 (1978), S. 26-46. Olbrich, Harald/Möbius, Helga: Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Leipzig 1990. Pächt, Otto: Rembrandt (herausgegeben von Edwin Lachnit), München 1991. Salomon, Nanette: »Vermeer’s Women: Changing Paradigms in Midcareer«, in: dies.: Shifting Priorities. Gender and Genre in SeventeenthCentury Dutch Painting, Stanford 2004, S. 106-116. Sieder, Reinhard: Editorial zu »Liebe: Diskurse und Praktiken«. in: Liebe: Diskurse und Praktiken. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 18 (2007), herausgegeben von Reinhard Sieder/Franz X. Eder/Daniela Hammer-Tugendhat, S. 5-12. Smith, David R.: Masks of Wedlock, Ann Arbor 1982. Sneller, Agnes A.: Met man en macht. Analyse en interpretatie van teksten van en over vrouwen in de vroegmoderne tijd, Kampen 1996. Sneller, Agnes A.: »Reading Jacob Cats«, in: Els Kloek/Nicole Teeuwen/ Marijke Huisman (Hg.), Women of the Golden Age. International Debate on Women in Seventeenth-Century Holland, England and Italy, Hilversum 1994, S. 21-34. Sutton, Peter/Jensen Adams, Ann/Vergara, Lisa/Bruce Museum of Arts and Science, Greenwich/National Gallery of Ireland (Hg): Love Letters. Dutch Genre Paintings in the Age of Vermeer, Ausstellungskatalog, Dublin/London 2003. Tümpel, Christian: Rembrandt. Mythos und Methode, Königstein/Taunus 1986. Wetering, Ernst van de: Rembrandt. The Painter at Work, Amsterdam 1997. Wunder, Heide: Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992

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A BBILDUNGEN Abb. 1: Rembrandt, sogenannte Judenbraut, um 1665-1667, Öl/Leinwand, 121,5 × 166,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Aus: Pächt, Otto: Rembrandt, München 2005, Farbtafel 40. Abb. 2: Rembrandt, Isaak und Rebekka, Feder und Bister, 14,5 × 18,5 cm, Privatslg. DA. Aus: Pächt, Otto: Rembrandt, München 1991, S.165. Abb. 3: Jan Vermeer, Briefleserin am offenen Fenster, um 1657, Öl auf Leinwand, 83 × 64,5 cm, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister. Aus: Wheelock, Arthur K. (Hg.): Vermeer. Das Gesamtwerk, Darmstadt 1995, S. 73. Abb. 4: Jan Vermeer, Die Musikstunde, um 1662-1664, Öl auf Leinwand, 74 × 64,5 cm, London, The Royal Collection Her Majesty Queen Elizabeth II. Aus: Wheelock, Arthur K. (Hg.): Vermeer. Das Gesamtwerk, Darmstadt 1995, S. 129. Abb. 5: Rembrandt, Familienbild, um 1668, Öl/Leinwand, 126 × 167 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum. Aus: Schama, Simon: Rembrandt’s Eyes, New York 2000, S. 664. Abb. 6: Maerten van Heemskerck, Bildnis der Familie des Pieter Jan Foppesz., um 1530, Öl auf Eichenholz, 119 × 140 cm, Kassel, Staatliche Gemäldegalerie Schloss Wilhelmshöhe. Aus: Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei, München 2002, S. 135. Abb. 7: Caspar Netscher, Familienbild eines Juristen, 1667, Öl auf Leinwand, 83,6 × 90,5 cm, Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen. Aus: Gatenbröcker, Silke: Familienglück. Rembrandt und sein Braunschweiger Meisterwerk; Ausstellung im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 21. September - 17. Dezember 2006, S. 57. Abb. 8: Karel Dujardin, Familienbild, 1660er Jahre, Öl auf Leinwand, 136,5 × 108 cm, Brüssel, Königliche Museen für Schöne Künste. Aus: Gatenbröcker, Silke: Familienglück. Rembrandt und sein Braunschweiger Meisterwerk; Ausstellung im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 21. September - 17. Dezember 2006, S. 53.

Heterotopien der Liebe Bilder illegitimen Begehrens, Standortfragen und die verborgenen Liebesdiskurse der Marquise de Pompadour CLAUDIA DENK

»Wenn Verordnungen kaum direkte Strafen gegen diejenigen aussprechen, die in einem Konkubinat leben, dann deshalb, da diese Formen illegitimer Beziehungen meist verborgen sind, & der ministere publique üblicherweise nur Maßnahmen gegen den Ehebruch einleitet, wenn er einen öffentlichen Skandal auslöst«1 (Diderot/d’Alembert 1966: 831), heißt es im Artikel »concubinage« der seit 1751 erschienenen Encyclopédie Denis Diderots und Jean le Rond d’Alemberts zum Verhältnis von Strafverfolgung und verborgen gelebter, außerehelicher Geschlechterbeziehung.2 Obwohl die hier angesprochenen Zusammenhänge zwischen einer illegitimen Geschlechterbeziehung, ihrer Öffentlichmachung bzw. Skandalisierung und einer daraus resultierenden Strafverfolgung rückblickend nur schwer zu rekonstruieren sind, bestätigen etwa Untersuchungen von rechtshistorischer Seite zu Klerikerkonkubinaten des 15. und 16. Jahrhunderts solche kausalen Abhängigkeiten. Disziplinarische Maßnahmen 1 | »Si les ordonnances n’ont point prononcé directement de peines contre ceux qui vivent en concubinage, c’est que ces sortes de conjonctions illicites sont le plus souvent cachées, & que le ministere public n’a pas coûtume d’agir pour réprimer la débauche, à moins qu’elle n’occasinne un scandale public.« (ebd.). 2 | Die hier verfolgte Perspektivierung auf die Orte der medialen Diskurse illegitimer Liebe wurde bereits ansatzweise im Rahmen des interdisziplinären DFGNetzwerks Liebessemantik erprobt, dort allerdings mit Schwerpunktsetzung auf performative Aspekte; vgl. Denk, Claudia: »Illegitime Liebe«, in: Kirsten Dickhaut (Hg.), Liebessemantik – Frühneuzeitliche Repräsentationen von Liebe in Italien und Frankreich (= culturae 5), Wiesbaden (geplant für 2012).

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erfolgten erst dann, wenn ein Gerücht eine größere Öffentlichkeit erreichte, andernfalls sah man vonseiten der kirchlichen Disziplinargewalt offenbar keinen Anlass, dagegen vorzugehen.3 Mit der Aufwertung der christlichen Ehe zur einzigen rechtlich anerkannten Partnerschaftsform erfuhr die soziale und rechtliche Verortung der Liebe mit dem ausgehenden Mittelalter eine Aufspaltung in den ehelichen, legitimen und den außerehelichen, illegitimen Bereich.4 Welche Bedeutung die illegitimen heterosexuellen Liebesbeziehungen in der Frühen Neuzeit besaßen, zeigt sich darin, dass sie zu einer gesellschaftlichen Praxis mit ausgesprochen öffentlicher Evidenz werden konnten. Neben den aus dem diesbezüglich liberaleren Mittelalter stammenden Konkubinen brachte die Frühe Neuzeit mit den sich institutionalisierenden Mätressen und Kurtisanen neue Sozialtypen hervor.5 In der Umkehrung

3 | Vgl. Lück, Heiner: »Zwischen Rechtsgebot und Begierde«, in: Andreas Tacke (Hg.), »… wir wollen der Liebe Raum geben.« Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500 (= Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, herausgegeben von Katja Schneider, Bd. 3: Vorträge der III. Moritzburg-Tagung, Halle/Saale), Göttingen 2006, S. 93-108, insbesondere S. 107f. 4 | Diese folgenreiche, soziale und rechtliche Differenzierung der Liebesmilieus wurde in der Forschung noch kaum diskutiert. Einen wichtigen Schritt leistete Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros. Sex, Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York/Oxford 1985, S. 10f. und ders.: »Marriage, Love, Sex, and Renaissance Civic Morality«, in: James Grantham Turner (Hg.), Sexuality and Gender in Early Modern Europe. Institutions, Texts, Images, Cambridge 1993, S. 10-29, insbesondere S. 11ff. 5 | Zur Bildung der Kurtisanen in Anlehnung an das griechische Hetärenwesen und in Unterscheidung zu Prostituierten vgl. Kurzel-Runtscheiner, Monica: Töchter der Venus. Die Kurtisanen Roms im 16. Jahrhundert, München 1995, S. 16ff. Etwa zeitgleich erfolgte in Frankreich die beginnende Institutionalisierung des königlichen Mätressenwesens, vgl. Plogsterth, Ann Rose: The Institution of the Royal Mistress and the Iconography of Nude Portraiture in Sixteenth-Century France, Dissertation Columbia University, New York 1991, S. 17ff. Sigrid Ruby setzt die Institutionalisierung erst für die Zeit des französischen Absolutismus an; vgl. Ruby, Sigrid: Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance, Freiburg 2010. Zur Vorbildfunktion der späteren französischen Mätressen vgl. Oßwald-Bargende, Sybille: Die Mätresse, der Fürst und die Macht. Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 32), Frankfurt/M. 2000, insbesondere S. 95ff. Zur Analyse der Begriffe »Konkubine«, »Kurtisane« und »Mätresse«, deren ursprüngliche Bedeutung, topografische Zuordnung und heutige Implikationen vgl. Trauth, Nina: »Die Interessen der Mätressenforschung. Methodische Überlegungen zur Analyse

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der Geschlechterrollen hatten auch die Vertreterinnen der adeligen bzw. höfischen Oberschichten Liebhaber,6 die jedoch aufgrund des höheren Geheimhaltungsgebotes heute nur schwer greifbar sind.7 Vor der Wende zum 16. Jahrhundert zog die soziale Praxis außerund vorehelicher Beziehungen kaum Sanktionen nach sich.8 Wurden seitens der Amtskirche im frühen und hohen Mittelalter Konkubinate in der Tradition des antiken Rechtsinstituts als zweite Eheform akzeptiert,9 so erfolgte im Zuge der verbindlichen Durchsetzung des kanonischen Eherechts ein grundlegender Wandel. Die Kirche setzte das kanonische Eheschließungs-, Ehehindernis- und Ehescheidungsrecht als für die Sozialgestalt der Ehe maßgebliches Recht durch10 und erhob die Ehe zum Sakrament, womit sie als Teil der göttlichen Ordnung definiert wurde. Durch die Festlegungen des Konzils von Trient erhielt die hier vor allem

des Mätressenporträts«, in: A. Tacke: »… wir wollen der Liebe Raum geben«, S. 127-157. 6 | Zum cavlier servente oder cicisbeo vgl. etwa Matthews-Grieco, Sara F.: »Körper, äußere Erscheinung und Sexualität«, in: Georges Duby/Michelle Perrot (Hg.), Geschichte der Frauen (= Bd. 3: Frühe Neuzeit, herausgegeben von Arlette Farge/ Natalie Zemon Davis), Frankfurt/M. 2006 (19911), S. 61-103, hier S. 86ff., insbesondere S. 99. 7 | Zum größeren Geheimhaltungsgebot als geschlechtsspezifisches Merkmal, vgl. N. Trauth: Die Interessen der Mätressenforschung, S. 142, Anm. 53. Oßwald-Bargende gibt in »Die Mätresse, der Fürst und die Macht« auf Seite 100f. zu bedenken, dass vor allem regierende Fürstinnen mit entsprechenden Handlungsspielräumen sich solche Freiheiten herausnehmen konnten – vgl. etwa die Beziehung von Marie-Antoinette und Comte Axel Fersen, in: Lever, Evelyne: C’est Marie-Antoinette, [o.O.] 2006, S. 192ff. und S. 230ff. 8 | Vgl. Widder, Ellen: »Skandalgeschichte oder Forschungsdesiderat«, in: A. Tacke »… wir wollen der Liebe Raum geben«, S. 38-91, hier S. 84; vgl. auch Bumke, Joachim: »Liebe und Ehebruch in der höfischen Gesellschaft«, in: Rüdiger Krohn (Hg.), Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, München 1983, S. 25-45. 9 | Vgl. Becker, Hans-Jürgen: »Konkubinat«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München/Zürich 1991, Sp. 1335 und Esmyol, Andrea: Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter, Köln u.a. 2002, mit einer kritischen Diskussion des älteren Forschungsstandes. 10 | Vgl. Brundage, James A.: Sex, Law and Marriage in the Middle Ages, Great Yarmouth 1993; Schwab, Dieter: Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (= Schriften zum Deutschen und Europäischen Zivil-, Handels- und Prozessrecht 45), Bielefeld 1967, S. 15-32 und Ariès, Philippe: »Die unauflösliche Ehe«, in: Ders./André Béjin (Hg.), Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland, Frankfurt/M. 1984 (19821), S. 176-197.

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interessierende katholische Ehelehre weitere Impulse und die Ehe wurde in ihrer Vorrangstellung vor anderen Partnerschaftsformen gefestigt.11 Theoretisch waren in den katholischen Gebieten dem Eherecht als ius divinum bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert alle, unabhängig von Stand und Rang, unterworfen – ohne Ausnahme, und wie sich zeigen wird, auch die machtvollen Mätressen der französischen Könige und diese selbst.12 Wichtig ist für unseren Zusammenhang, dass in einer Gegenbewegung zu den veränderten ethisch-moralischen und eherechtlichen Normen gerade die Oberschichten, mit denen die literarischen und bildlichen Diskurse illegitimen Begehrens zuallererst zu verbinden sind, an der Praxis der außerehelichen Beziehungen festhielten.13 Als Kompensation ihrer familienstrategischen Pflichtehen verblieben außereheliche Beziehungen in der Frühen Neuzeit eine wesentlich mit dem oberschichtlichen Milieu zu verbindende Beziehungsform. In der uns hier interessierenden Perspektive wirft dies die zentrale, bislang noch nicht gestellte Frage auf, inwiefern mit den beiden gegenläufigen Entwicklungen – dem neuen normativen eherechtlichen Rahmen einerseits und den weiterhin gepflegten außerehelichen Beziehungen andererseits – eine sorgfältigere Ausdifferenzierung der Sozialräume einherging, in denen Repräsentationen illegitimen Begehrens gezeigt werden konnten oder, aufgrund der zu befürchtenden Sanktionen, verborgen werden mussten. Waren die strafrechtlichen und sozialen Disziplinierungsmaßnahmen illegitimer Bezie-

11 | Vgl. Walch, Agnès: La spiritualité conjugale dans le catholicisme français XVIe-XXe siècle, Paris 2002; Gaudemet, Jean: Le mariage en Occident. Les mœurs et le droit, Paris 1997, insbesondere S. 141ff., und Lettmann, Reinhard: Die Diskussion über die klandestinen Ehen und die Einführung einer zur Gültigkeit verpflichtenden Eheschließungsform auf dem Konzil von Trient (= Münsterische Beiträge zur Theologie, Bd. 31), Münster 1967. 12 | Vgl. zu der komplexen Frage, ab wann und wie die Veränderungen in der Realität griffen, und zu der Schwierigkeit ihrer Beantwortung E. Widder: »Skandalgeschichte oder Forschungsdesiderat«, S. 86ff. Zu den vier maßgebenden gesellschaftlichen »Entwicklungsmomenten«, die zum Vorsprung der Ehe vor anderen Partnerschaftsformen führten, vgl. Heinig, Paul-Joachim: »›Omnia vincit amor‹ – Das fürstliche Konkubinat im 15./16. Jahrhundert«, in: Cordula Nolte/Karl-Heinz Spieß/Ralf-Gunnar Werlich (Hg.), Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter (= Residenzforschung, Bd. 14), Stuttgart 2002, S. 277-314, hier S. 278f. 13 | Vgl. ebd., S. 286, und Heinig, Paul-Joachim: »Fürstenkonkubinat um 1500 zwischen Usus und Devianz«, in: A. Tacke, »… wir wollen der Liebe Raum geben«, S. 11-37, insbesondere S. 26, sowie Lesemann, Silke: »Liebe und Strategie. Adelige Ehen im 18. Jahrhundert«, in: Historische Anthropologie. Kultur. Gesellschaft. Alltag 8 (2000), S. 189-207.

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hungen wesentlich von ihrem Öffentlichkeitsgrad abhängig,14 so musste dies unmittelbare Folgen für ihre textlichen und bildlichen Repräsentationen haben. Da jede Form der Medialisierung eine potenzielle Publikmachung der zum strafbewehrten Tatbestand erhobenen außerehelichen Geschlechterbeziehung mit sich brachte, stellt sich die grundlegende Frage, welche Schutzstrategien entwickelt wurden. Die ausgebildeten Schutzstrategien erschwerten aber nicht nur den damaligen Disziplinargewalten den Zugriff auf die hinter den Visualisierungen stehenden realen illegitimen Verbindungen. Auch dem wissenschaftlichen Zugang schufen sie ein kaum lösbares methodisches Problem. Es besteht darin, dass gerade die allegorisierende, vielfach auch platonisierende Bildsprache eine sichere Identifikation der aus dem illegitimen Liebesmilieu hervorgebrachten Visualisierungen verhindert. Die Bildnisse von Kurtisanen und Mätressen lassen sich in der Folge oft nicht eindeutig bestimmen, zumal auch die Sekundärquellen zu den dargestellten Personen, die Auftragsbriefe und Inventare, auffällig schweigsam sind.15 Einer der berühmtesten Fälle ist die sogenannte Venus von Urbino (Abb. 1). In ungebrochen reger Diskussion hat die Forschung angesichts dieses Bildes, das durch seinen Rückgriff auf Giorgiones typenbildende Venus auf die Göttin der Liebe und Schönheit anspielt, größtmöglich divergierende Positionen eingenommen und spiegelt damit möglicherweise gerade jene, zu ihrer Zeit aus schutzstrategischer Perspektive beabsichtigte Deutungsvielfalt wider.16 14 | Zum neuen Geheimhaltungsgebot vgl. S. F. Matthews-Grieco: Körper, äußere Erscheinung und Sexualität, S. 98ff. Für das oberschichtliche Milieu in Frankreich vgl. Grimmer, Claude: La femme et le bâtard. Amours illégitimes et secrètes dans l’ancienne France, Paris 1983, S. 119-171, hier S. 196ff. P.-J. Heinig führt in »Omnia vincit amor« auf Seite 308f. an, dass die Landesfürsten mit der Trennung von Privatem und Öffentlichem reagierten. 15 | So werden etwa in den zeitgenössischen Auftragsbriefen die dargestellten Kurtisanen nicht bei ihrem Namen genannt; vgl. Zapperi, Roberto: »Alessandro Farnese, Giovanni della Casa and Titian’s Danae in Naples«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 54 (1991), S. 159-171, hier S. 161. 16 | Die verschiedenen Standpunkte der Forschung (eheliche Treue, Pin-up, Kurtisane etc.) diskutiert Daniela Bohde in: »Haut, Fleisch und Farbe. Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians« (Zephir, Bd. 3), Berlin 2002, S. 127-148. Daniel Arasse (»La femme dans le coffre – La Vénus d’Urbin de Titien«, in: ders., On n’y voit rien. Descriptions, Paris 2000, S. 107-153, insbesondere S. 115) hat in einem fiktiven, vor dem Gemälde stattfindenden Dialog über die Unmöglichkeit einer eindeutigen Aussage zu Inhalt und Funktion reflektiert. Seine Überlegungen sind für unseren Zusammenhang vor allem deshalb interessant, da er auf den ursprünglich intimen Kontext des Bildes verweist und betont, dass es erst durch die Öffentlich-

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Abbildung 1: Tizian, Venus von Urbino, 1538 Die werkimmanenten Schutzstrategien, die in einer ambivalenten, zwischen Keuschheit und Verführung angesiedelten Codierung liegen konnten oder durch allegorisierende Rückgriffe auf Mythologie, Geschichte und Philosophie den sensus litteralis verschleierten, wurden in der Forschung bereits verschiedentlich analysiert.17 Demgegenüber blieben die werkkontextualen Schutzstrategien noch weitgehend unbeachtet.

machung ins Obszöne umschlage. Peter Lüdemann (Virtus und Voluptas. Bebachtungen zur Ikonographie weiblicher Aktfiguren in der venezianischen Malerei des frühen Cinquecento, Berlin 2008, S. 159ff.) stellt das Gemälde schließlich wieder in den weiteren Zusammenhang von epithalamia bzw. Hochzeitsbildern. 17 | Vgl. Hempfer, Klaus W.: »Allegorien als interpretatives Verfahren in der Renaissance. Dichterallegorese im 16. Jahrhundert«, in: ders./E. Straub (Hg.), Italien und die Romania in Humanismus und Renaissance. Festschrift für E. Loos, Wiesbaden 1983, S. 51-75, insbesondere S. 60f., und Grendler, Paul F.: The Roman Inquisition and the Venetian Press. 1540–1605, Princeton 1977, S. 158. Patricia Simons (»Portraiture, Portrayal and Idealization: Ambiguous Individualism in Representations of Renaissance Women«, in: Alison Brown (Hg.), Language and Images of Renaissance Italy, Oxford 1995, S. 263-311, hier S. 278ff.) kann nachweisen, dass das Attribut des Hermelins in Leonardos Bildnis Frau mit Hermelin (Krakau, Nationalmuseum) als »multivalent emblem« fungiert. Victoria von Flemming (Arma Amoris. Sprachbild und Bildsprache der Liebe [= Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 6], Mainz 1996, S. 169ff.) führt als berühmtes Beispiel Berninis Apollo und Daphne-Gruppe mit ihrer »entlastenden« Inschrift an.

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Eine der grundlegenden Fragen ist dabei diejenige nach den Orten, an denen solche, den eherechtlichen Normen, aber auch den Konventionen der Schicklichkeit entgegenstehenden Repräsentationen zu sehen waren, zumal die Bilder in ihrer heutigen musealen Präsentation ihrer ursprünglichen räumlichen Kontexte beraubt sind.18 Man wird nicht zu weit gehen, wenn man die primären räumlichen Kontexte und ursprünglichen Kommunikationssituationen als konstituierende Bestandteile der medialen Diskurse begreift. Ihre spezifischen Bedingungen, so die hier entwickelte These, machten in vielen Fällen die textlichen und bildlichen Darstellungen illegitimen Begehrens überhaupt erst möglich. Michel Foucaults Ausführungen zu den Heterotopien schärfen dabei den Blick für jene gesellschaftlichen Gegenräume, die anderen Regularien folgten, da sie jenseits der öffentlichen, sozialen und rechtlichen Kontrolle lagen.19 Seine Überlegungen einschließend soll hier gefragt werden, inwiefern die illegitimen Liebesdiskurse ihren Ort zunehmend in solchen gesellschaftlichen Gegenräumen fanden, denen angesichts des sich durchsetzenden Ausschließlichkeitsanspruchs des christlichen Ehemodells eine wichtige Schutzfunktion zukam.

I. VERBORGENE L IEBE : G EHEIMHALTUNGSGEBOT UND STANDORTFRAGEN Grundsätzlich stoßen Standortfragen freilich auf methodische Probleme, da über die ursprünglichen Aufstellungssorte der frei beweglichen Tafelbilder insbesondere für die frühe Zeit nur wenig bekannt ist. Etwa zu den mit den Mätressen der französischen Könige der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts oft verbundenen freizügigen Aktporträts lassen sich die ursprünglichen Standorte und damit ihre Adressaten kaum mehr

18 | Im Zusammenhang der medialen Diskurse illegitimen Begehrens erhält das von Wolfgang Kemp formulierte methodische Plädoyer, »dass der originäre Kontext und damit das Kunstwerk in seiner Ortsbeziehung und Situationsbindung wieder in ihr Recht gesetzt werde« (Kemp 1991: 89f.), besondere Relevanz. Auch Jutta Held und Norbert Schneider (Grundzüge der Kunstwissenschaft. Gegenstandsbereiche – Institutionen – Perspektiven, Köln u.a. 2007, S. 380ff.) betonen im Sinne Kemps die Wichtigkeit dieses »ersten empirischen Kontextes«. 19 | Vgl. Foucault, Michel: Die Heterotopien. Les hétérotopies. Der utopische Körper. Le corps utopique. Zweisprachige Ausgabe, Frankfurt/M. 2005 (20041), S. 7-37; siehe S. 11 zu den Bordellen als Heterotopien.

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bestimmen.20 Trotz ungünstiger Überlieferungstraditionen und unbefriedigender Forschungslage erscheint eine solche topografische Perspektive dennoch lohnenswert, wenn es um eine Neueinschätzung der heute allgemein verfügbaren Liebesbilder geht, gilt es doch, ihre ursprüngliche »Kommunikationssituation«21 und ihre entstehungsbedingten Wirkungszusammenhänge zu berücksichtigen, die möglicherweise nur eine Betrachterin bzw. einen Betrachter oder einen nur geringfügig erweiterten Adressatenkreis umfassten. Gerade für Italien, wo sich aufgrund des Kurtisanenwesens eine reiche Tradition illegitimer Liebesdiskurse entwickelte, lassen sich durchaus Indizien für einen höchst diskreten Umgang mit solchen Bildern finden: So wissen wir etwa, dass die bereits erwähnte Venus von Urbino (vgl. Abb. 1), die trotz anhaltender Diskussion wohl eher in einem illegitimen Liebeskontext zu verorten ist, in der guardaroba des Palastes in Pesaro hing.22 Solche als privat zu bezeichnende Räume lassen sich in unserem Zusammenhang als Heterotopien begreifen. Der Kunstliebhaber und päpstliche Leibarzt Giulio Mancini forderte in seinen Considerazioni sulla pittura (1619) für erotisierende Bilder eine Aufbewahrung an unzugänglichen Orten, in Hinterzimmern oder Gartengalerien, wobei die besonders lasziven Darstellungen zudem bedeckt

20 | Zu denken ist etwa an das traditionell mit den Favoritinnen Heinrichs IV., mit Gabrielle d’Estrées und einer ihrer Schwestern oder mit ihrer Nachfolgerin, der Herzogin von Villars, verbundene Doppelportrait Dames au bain (um 1599, Paris, Musée du Louvre). Wie wenig gesichert die Identifizierung der Dargestellten und wie wenig über den Entstehungszusammenhang bekannt ist, wurde von Sigrid Ruby herausgearbeitet, vgl. dies.: »Die Mätresse als Günstling am französischen Hof des 16. Jahrhunderts. Zur Portraitkultur von Anne de Pisseleu und Diane de Poitiers«, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hg.), Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert (= Residenzforschung, Bd. 17), Ostfildern 2004, S. 495-513, insbesondere S. 498. 21 | Zur Bedeutung der Kommunikationssituation gerade beim »Sprechen« über den Ehebruch vgl. Schnell, Rüdiger: Darstellung und Bewertung des Ehebruchs in der mittelalterlichen Literatur, in: INTAMS review 6 (2000), S. 227-237. 22 | Vgl. Ost, Hans: »Tizians sogenannte ›Venus von Urbino‹ und andere Buhlerinnen«, in: Justus Müller Hofstede/Werner Spies (Hg.), Festschrift für Eduard Trier zum 60. Geburtstag, Berlin 1988, S. 129-149, S. 140f. Genannt sei auch Tizians Danae (Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte). Mit diesem Gemälde hatte Tizian die nur namentlich bekannte Kurtisane Angela im Auftrag von deren Klienten Kardinal Alessandro Farnese porträtiert, der das Gemälde wohl in seiner camera propria aufbewahrte; vgl. hierzu Hope, Charles: »A Neglected Document about Titian’s ›Danae‹ in Naples«, in: Arte Veneta 31 (1978), S. 188f. und R. Zapperi: Alessandro Farnese, Giovanni della Casa and Titian’s Danae in Naples.

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aufbewahrt und nur einer »persona confidente e non scrupolosa« gezeigt werden sollten.23 Einiges spricht dafür, dass der seit der Renaissance gebräuchliche Schutzdeckel von Bildern, der bemalte coperto aus Holz oder, wie im Veneto, das timpano aus Stoff, die Funktion besaß, Bilder illegitimen Begehrens räumlich auszugliedern und ihre Zugänglichkeit einzuschränken. Dies betraf Aktdarstellungen, welche die Wollust erwecken konnten,24 oder Bildnisse von Kurtisanen und Geliebten.25 Baldassare Castiglione etwa versteckte hinter einem als Schutzdeckel dienenden Spiegel das von Raphael gemalte Bildnis seiner Verehrten, Elisabetta Gonzaga (Abb. 2).26

23 | Diese besonderen Vorkehrungen sollte nach Mancini insbesondere ein Familienvater treffen; zu den Personen des Vertrauens zählte er auch die Ehefrau. »[I]n casa d’un gentilhuomo privato di distintione d’appartamenti e di varietà di famiglia si osserverà questo modo: […] Doppo si consideraranno le pitture […] le lascive, comme Veneri, Marte, tempi d’anno e donne ignudi, nelle galarie di giardini e camare terrene ritirate; le deità nelle camare più terrene, ma più communi, e le cose lascive affatto si metteranno ne’ luoghi ritirati, e, se fusse padre di fameglia, le terrà coperte, e solo alle volte scoprirle quando vi anderà con la consorte o persona confidente e non scrupolosa.« (Mancini 1956: 143) Vgl. zu dieser Quelle auch Röttgen, Herwarth: Caravaggio. Der irdische Armor oder der Sieg der fleischlichen Liebe, Frankfurt/M. 1992, S. 7; hier findet sich der zusätzliche Hinweis auf Sandrart, der in seiner Teutschen Academie schreibt, er habe dem Marchese Vincenzo Giustiniani den Rat gegeben, Caravaggios Armor mit einem Vorhang zu bedecken. 24 | Angelica Dülberg (Privatporträts. Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1990, S. 45ff.) führt in ihrer Auswertung von Lottos Rechnungsbuch weitere Venusdarstellungen mit timpani an. Verwiesen sei auch auf spätere Beispiele: Im Nachlassinventar der Madame Du Barry heißt es in einer Anmerkung zu dem Gemälde einer nackten Frau: »Ce tableau est couvert d’un rideau de tafetas verd« (Vatel 1883: 121). Den Comptes des bâtiments ist zu entnehmen, dass Louis de Boulogne le Jeune ein Aktgemälde der antichambre du Roy à Fontainebleau übermalen sollte; vgl. Denand, Louis: »Les estampes dites ›découvertes‹ et ›couvertes‹«, in: Gazette des Beaux-Arts N.F. 6 (1967), S. 225-238, hier S. 235, Anm. 5. 25 | Von einem timpano war auch Tizians sogenannte Bella (1536, Florenz, Palazzo Pitti, Galeria Palatina) bedeckt, die von Francesco Maria della Rovere in Auftrag gegeben wurde; vgl. A. Dülberg: Privatporträts, S. 45. Im Inventar der Venezianerin Angelica Leoncini wird ein von einem Schutzdeckel bedecktes Bildnis erwähnt, das mit demjenigen ihrer älteren Schwester, der Kurtisane Guilia, identifiziert wird; vgl. Santore, Cathy: »Julia Lombardo, ›Somtuosa Meretrize‹: A Portrait by Property«, in: Renaissance Quarterly 41 (1988), S. 44-83. 26 | Das Bildnis wird mit demjenigen der Elisabetta Gonzaga der Uffizien identifiziert, vgl. Shearman, John: Only Connect … Art and the Spectator in the Italien Renaissance. The A.W. Mellon Lectures in The Fine Arts 1988, Washington 1992, S. 136.

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Abbildung 2: Raphael, Bildnis der Elisabetta Gonzaga, ca. 1504

An dieser Stelle sollen weniger die suggestiven Rezeptionsmöglichkeiten diskutiert werden, die sich durch die Überlagerung des Bildnisses der Geliebten mit dem Spiegelbild des Liebenden ergaben, und ebenso wenig die mit dem Spiegel metaphorisch verbundene Bedeutung des Begehrens.27 Anstelle dessen soll hier die Frage aufgeworfen werden, inwiefern dieser Spiegelmechanismus nicht auch als Resultat ehe- und standesrechtlicher Verstöße zu bewerten ist, handelt es sich bei der verehrten Elisabetta Gonzaga doch um die Ehefrau von Castigliones Dienstherrn Guidobaldo da Montefeltro. Auch Texte konnten an solchen, der rechtlichen und sozialen Kontrolle entzogenen, anderen Orten verborgen werden. Castigliones Biograf Antonio Beffa Negrini berichtet, dass dessen Schwiegertochter hinter dem prachtvollen Spiegel nicht nur das Bildnis der Elisabetta entdeckt 27 | Diesen Interpretationsstrang verfolgen Cranston, Jodi: The Poetics of Portraiture in the Italien Renaissance, Cambridge 2000, S. 163-167, sowie Bolzoni, Lina: Poesia e ritratto nel Rinascimento, Rom 2008, S. 55ff. und S. 221ff.

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haben soll, sondern auch zwei von ihm an sie gerichtete Sonette, die entsprechend ihrer Auffindungsgeschichte als Sonetti del specchio bezeichnet werden.28 Dass das Verbergen solcher medialer Liebeszeugnisse zur realen illegitimen Lebens- und Liebespraxis gehörte, legt schließlich ein Sonett Aretinos nahe. Der spanische Gesandte in Venedig, Diego Hurtado de Mendoza, hatte bei Pietro Aretino ein Sonett zu einem von Tizian gemalten Bildnis seiner Geliebten in Auftrag gegeben. Das Bildnis bewahrte er, wie dem begleitenden Anschreiben unmissverständlich zu entnehmen ist, gleich einer Reliquie hinter einer Hülle verborgen. »[I]l Sonetto che mi avete fatto comporre sopra il ritratto del quale monstrate solamente lo invoglio di seta, che lo ricopre a guisa di reliquia« (Aretino 1997ff.: 433f.).29 In der Forschung wird Aretinos Sonett bislang vor allem als Beleg für den in der Kunsttheorie der Renaissance formulierten Paragone zwischen Natur und Kunst angeführt. Darüber hinaus gewährt es Einblicke in den konkreten Umgang mit solchen Liebesbildern. Es reflektiert, indem es um die Motive des Heimlichen und des Geheimnisses, des Verbergens und Entblößens kreist, überaus facettenreich das mit einer außerehelichen Liebesbeziehung verbundene neue Geheimhaltungsgebot. So wird schon in der ersten Strophe von dem heimlichen Wettstreit zwischen Tizian und Armor gesprochen, die mit Pinsel bzw. Pfeil das Bildnis einer schönen Frau malen, um es dem Herrn Mendoza zu weihen. Nachdem in der zweiten Strophe der »geheime« Aufbewahrungsort der beiden Bildnisse, das Gemach bzw. das Herz, angeführt wird, beschreibt die dritte Strophe die weiteren Schutzmaßnahmen, denn Mendoza würde das Bildnis nur drinnen entblößen und die Erscheinung (seiner Geliebten) draußen verbergen. Das Fazit der erfolgreichen Kunst des Verbergens gibt die vierte Strophe, denn auf diese Weise wisse niemand, wer der Anlass von Mendozas Liebesfeuer sei. 28 | Vgl. Antonio Beffa Negrini: Elogi historici di alcuni personaggi della famiglia Castigliona, Mantua 1606, zit. nach L. Bolzoni: Poesia e ritratto nel Rinascimento, S. 221: »Con un ritratto di bellissima e principalissima Signora, di mano di Raffael Sanzio da Urbino […] dietro ad un grande e bellissimo specchio, che si poteva aprire e chiudere da chi sapeva l’artificio; dove, scritti di sua mano dell’anno 1517, furono ritrovate del 1560, dalla contessa Caterina Mandella, che fu poi sua nuora, nel far rinovar la logora cassa dello specchio e tergere la luce di quello.« Wahrscheinlich entstanden die beiden Sonette während einer diplomatischen Reise nach London im Jahr 1506. Gedankt sei an dieser Stelle Bernhard Huss, Erlangen, für Hinweise zur Literatur und Nadia Salafia, München, für Anregungen zum Quellenverständnis. 29 | Aretino, Pietro: Lettere (Bd. 2, herausgegeben von Paolo Procaccioli), Rom 1998, S. 433f., Brief Nr. 441.

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Furtivamente Tiziano e Amore, Presi a gara i pennelli e le quadrella, Due essempi han fatto d’una Donna bella, E sacrati al Medozza, aureo Signore. Ond’egli altier di sí divin favore, Per seguir cotal Dea come sua Stella, Con cerimonie apartenenti a quella, L’uno in camera tien, l’altro nel core. E mentre quella effigie e questa imago, Dentro a sé scopre, e fuor cela ad altrui, E in ciò che piú desia, meno appar vago, Vanta il secreto che s’asconde in lui; Che s’ognun è del foco suo presago, Ardendo poi non sa verun di cui.« (Arentino 1998: 433f.)30

Ein wichtiger Aspekt für die hier verfolgte Fragestellung nach den Orten der Bilder illegitimen Begehrens liegt darin, dass neben dem außerehelichen triebbestimmten Verhältnis der Geschlechter auch der triebgeleitete Umgang mit Bildern und Texten als illegitimes, deviantes Verhalten verurteilt wurde.31 Mit dem tridentinischen Bilderdekret sollten deshalb nicht nur Forderungen laut werden, indezente Bilder aus den Kirchen zu entfernen, sondern, was leicht übersehen wird, auch aus den Profanbauten. Schon Kardinal Gabrielle Paleotti und Carlo Borromeo etwa bezogen das Bilderdekret auch auf private Wohnhäuser.32 Antoine de Laval 30 | Zu der wichtigen Paragoneinterpretation vgl. Koos, Marianne: »Amore Dolce-Amaro. Giorgione und das ideale Knabenbildnis der venezianischen Malerei«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 113-174, insbesondere S. 147. Heiner Borggrefe (»Tizians ruhende Göttinnen und Dienerinnen der Liebe«, in: A. Tacke, … wir wollen der Liebe Raum geben, S. 403) hat das Gedicht bereits in den hier diskutierten Zusammenhang eherechtlicher Normverstöße gestellt. 31 | Vgl. Hecht, Christian: Katholische Bildertheologie im Zeitalter der Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabrielle Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997, S. 269ff. 32 | Vgl. A.R. Plogsterth: The Institution of the Royal Mistress and the Iconography of Nude Portraiture in Sixteenth-Century France, S. 89ff., mit Verweis auf Paleotti, Gabrielle: Archiepiscopale Bononiense, sive de Bononiensi ecclesiae administratione, Rom 1594, 3. Buch; Borromeo, Carlo: Instructiones fabricae et

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wendete es schließlich in Des peintures convenables aux basilique et palais du Roi (1600) dezidiert auch auf die Schlösser der französischen Könige an: »Les maisons et palais des Rois […] sont des édifices si augustes, si vénérables, si sacrés, que c’est espèce de pollution et de sacrilège d’y voir quelque chose de profane, de vain, de mensonger et d’impudique« (zit. nach Chastel 1972: XXVII). Welche Konsequenzen diese normativen Festlegungen zum richtigen Bildgebrauch haben konnten, lässt sich insbesondere an den Maßnahmen ablesen, die ergriffen wurden, wenn illegitime Liebesbilder in Räume größerer Öffentlichkeit gelangten. Zumindest durch schriftliche Quellen sind uns einige Fälle in nachtridentinischer Zeit bekannt, wonach im Bereich der halböffentlichen fürstlichen Sammlungen indezente Bilder mit »entschärfenden« Kopien zu ihrem Schutz bedeckt wurden.33 Als Tizians Venus von Urbino (vgl. Abb. 1) in der Galerie der Uffizien ausgestellt und damit für Durchreisende zugänglich wurde, unterwarf man es ebenfalls der vorsorglichen Zensur. Um die Gefahr eines Umschlagens der Augenlust in Wollust zu bannen,34 wurde bei der Aufstellung das Gemälde so überdeckt, dass nur der Kopf und ein bereifter Arm zu sehen war. Die supellectilis ecclesiasticae, Mailand 1577, 1. Buch, Kap. 17. Die Verbannung indezenter Darstellungen aus den profanen Bereichen thematisiert Paleotti auch in mehreren Mahnbriefen; vgl. Steinemann, Holger: Eine Bildtheorie zwischen Repräsentation und Wirkung. Kardinal Gabrielle Paleottis »Discorso intorno alle imagini sacre e profane« (1582), Hildesheim u.a. 2006, S. 432. 33 | Zwei Beispiele seien erwähnt: Nach dem Bericht des Florentiner Hofbibliothekars Alessandro Segni wurde Corregios Ganymed in der kaiserlichen Sammlung in Wien ebenfalls von einer Kopie verdeckt, vgl. Tipton, Susan: »Correggio unter Verschluss: Alessandro Segni besucht Wien im Winter 1666/1667 und besichtigt die kaiserliche Sammlung«, in: Wolfgang Augustyn/Iris Lauterbach (Hg.), Rondo. Beiträge für Peter Diemer zum 65. Geburtstag, München 2010, S. 145-157, hier S. 150. In der Kammergalerie von Maximilian I. von Bayern befand sich nach Inventaren von 1607 und 1641/42 Dürers Lukretia (Alte Pinakothek), die von einer »zensierten« Lukretia mit aufgemaltem Schleier Cranachs d.Ä. überdeckt war; vgl. Bachtler, Monika/Diemer, Peter/Erichsen, Johannes: »Die Bestände von Maximilians Kammergalerie. Das Inventar von 1641/1642«, in: Hubert Glaser (Hg.), Quellen und Studien zur Kunstpolitik der Wittelsbacher vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, München/Zürich 1980, S. 191-153, hier S. 236. 34 | Vgl. Ludovico Dolces Brief an Alessandro Contarini, der die erotisierende, zur Masturbation stimulierende Wirkung solcher Gemälde behandelt; zit. nach Goffen, Rona: »Renaissance Dreams«, in: Renaissance Quarterly 40 (1987), S. 682-706, hier S. 692. Zur Konstruktion von Erotik in der Venus von Urbino vgl. D. Bohde: Haut, Fleisch und Farbe, S. 139-148, sowie Pardo, Mary: »Artefice as Seduction in Titian«, in: James Grantham Turner (Hg.), Sexuality and Gender in Early Modern Europe. Institutions, Texts, Images, Cambridge 1993, S. 55-90.

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übrigen Teile des Bildes wurden hinter einem Gemälde Carlo Sacconis verborgen, das gleichsam als moralisierender Kommentar das Thema des Verhüllens und Enthüllens aufwies, indem ein amor sacro einen amor profano daran hindert, den schützenden Vorhang beiseite zu ziehen. In der Beschreibung des Inventars der Galerie von 1753 heißt es, die »Venere« sei geschützt »con altra tela […] con ordigno d’alzarla e d’abbassarla dipintovi di mano di Carlo Sacconi l’Amor Sacro con face accesa nella destra che impedisce l’Amor Profano di alzare un panno per scoprire detta Venere della quale si vede la teste e un braccio«.35

II. D IE

ANDEREN O RTE DER L IEBE MAISON DE PLAISANCE UND PETITE MAISON

In Anbetracht solcher Indizien erhöhter normativer Kontrollen, die über die praktizierten illegitimen Geschlechterbeziehungen hinausgehend deren mediale Zeugnisse und Wollust befördernde Darstellungen betrafen, erscheint es sinnvoll, die Architekturgeschichte nach weiteren räumlichen Ausdifferenzierungen zu befragen. Erst in jüngerer Zeit richtet sich die von Norbert Elias angestoßene Wohnstrukturanalyse auf die außerehelichen Geschlechterbeziehungen. Es wurde etwa die räumliche Existenz der fürstlichen Mätressen untersucht, wobei der Grad der Nähe ihrer Appartements zu denjenigen der Fürsten als Ausweis ihres Ranges im Günstlingssystem gewertet wurde.36 Daran anknüpfend, aber gewissermaßen in gegenteiliger Perspektivierung, rücken hier Architekturen und Raumtypen in den Fokus, deren gemeinsamer Nenner eine abseitige Lage ist. Erinnert sei an den bereits erwähnten päpstlichen Leibarzt Mancini, der für laszive Darstellungen als Aufbewahrungsort die rückwärtigen 35 | Aus: Archivo delle Gallerie di Firenze, ms 95, n. 1553, Inventario generale di tutte le preziose antichità, e insigni memorie chevi conservano nella Galleria di S.M.I in Firenze […] data de I°Xbre 1753, zit. nach Agostini, Grazia et. al. (Hg.), Tiziano nelle Gallerie fiorentine, Ausstellungskatalog, Florenz 1978, S. 128 und S. 131. 36 | Vgl. Oßwald-Bargende, Sybille: »Der Raum an seiner Seite. Ein Beitrag zur Geschlechtertopographie der barocken Höfe am Beispiel von Schloß Ludwigsburg«, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hg.), Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe im Spätmittelalter und frühen Neuzeit (= Residenzforschung, Bd. 11), Stuttgart 2000, S. 205-235, hier S. 224ff. und S. Ruby: Mit Macht verbunden, S. 70ff. Vgl. auch Ellen Widder (»Konkubinen und Bastarde. Günstlinge oder Außenseiter an Höfen des Spätmittelalters«, in: J. Hirschbiegel/W. Paravicini (Hg.), Der Fall des Günstlings, S. 418-480, hier S. 428f.), die nach dem Ort der Konkubinen und Illegitimen bei Hofe sozial wie lokal fragt.

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Zimmer bzw. die »galerie di giardini« empfahl.37 Im Zusammenhang des Schlossbaus sind die aufkommenden kleinen Räume, vor allem die gut versteckten boudoirs38 oder die vom Haupthaus entfernt gelegenen, oftmals reich dekorierten Pavillonbauten und Lustschlösschen in Betracht zu ziehen. In erweiterter topografischer Perspektive ist an die sich abseits der städtischen oder herrscherlichen Zentren entfaltenden Villeggiaturas zu denken. In der Forschung ist bezüglich Motivationen und Intentionen nur wenig berücksichtigt worden, inwiefern die Modeerscheinung dieser abseitigen Landsitze gerade auch als Resultat der im oberschichtlichen Bereich so nachhaltig gepflegten, zugleich aber zunehmend inkriminierten außerehelichen Geschlechterbeziehungen zu bewerten ist. Neben repräsentativen Bedürfnissen, sozialen Distinktionsbestrebungen und unverfänglichen Zerstreuungen scheint etwa das in Frankreich mit dem 17. Jahrhundert zur Blüte gekommene maison de plaisance als retraite für die nicht legitime Liebe auf dem Land gedient zu haben.39 Begibt man sich auf die Suche nach Profanbauten, die eindeutiger und damit auch für die Forschung besser greifbar als Rückzugsorte der illegitimen Liebe fungierten, rückt die in der Nähe der Stadt und zugleich abseitig gelegene sogenannte petite maison in den Blick. Sie stellt gewissermaßen ein Derivat der maison de plaisance dar und ist dem libertinen Klima des 18. Jahrhunderts entsprungen. Ihre abseitige Lage sollte die nötige Diskretion für galante Feste und vor der Öffentlichkeit verborge37 | Vgl. Mancini, Giulio: Considerazioni sulla Pittura, Bd. 1, herausgegeben von Adriana Marucchi, Rom 1956, S. 143. 38 | Mit Quellenbelegen zu ihrer verbergenden Funktion von außerehelichen Liebesaffären siehe Girouard, Mark: Life in the French Country House, London 2000, S. 147-163, insbesondere S. 149. Der Bruder der Marquise de Pompadour, Marquis de Marigny, ließ sich ein »sehr kleines, sehr warmes« Boudoir einrichten, dessen Dekor nur aus Gemälden mit Aktdarstellungen bestand; vgl. ebd. S. 153. 39 | Vgl. hierzu die Einschätzung durch Krause, Katharina: Die Maison de plaisance. Landhäuser in der Ile-de-France (1660-1730), München 1996, hier S. 9ff. Bei der maison de plaisance konnte das außereheliche Liebesabenteuer gut hinter »unschuldigen« Vergnügungen wie Jagdausflügen, Theater- und Musikaufführungen verborgen werden. Darin mag auch der Grund liegen, warum die hier interessierende Frage noch kaum gestellt wurde, vgl. etwa Hartmann, Claudia: Schloss Marly. Eine mythologische Kartause. Form und Funktion der Retraite Ludwigs XIV., Worms 1995. Caroline Hanken (Vom König geküsst. Das Leben der großen Mätressen, Berlin 1996, S. 19ff.) kommt in ihrer Untersuchung zur Wohnsituation der Mätressen Ludwigs XIV. bereits zu interessanten Ergebnissen und kann zeigen, dass Madame de Montespan mit ihren Kindern abseits von den königlichen Schlössern untergebracht wurde und der König zwischen 1664-1682 zwei getrennte Haushalte führte.

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ne Liebesabenteuer gewährleisten und sie auf diese Weise einer polizeilichen Überwachung entziehen.40 Ihrer Funktion entsprechend zeichnete sie sich durch eine besonders reiche, erotisierende Ausstattung aus, wie dies auch für das uns im Folgenden noch ausführlich beschäftigende Château de Bellevue – die petite maison der Marquise de Pompadour (Abb. 3) – zutrifft.

Abbildung 3: Jean-Baptiste Rigaud, Ansicht von Schloss Bellevue Mit der im Bois de Boulogne gelegenen Bagatelle des Comte d’Artois, des jüngeren Bruders Ludwigs XVI., sei eine der berühmtesten heute noch erhaltenen petites maisons angeführt.41 Literarisch dienten sie gemäß ihrer lasziven Atmosphäre als bevorzugte Orte für Verführungsszenarien. In Jean-François Bastides Roman La petite maison (1753) wurden sie sogar titelgebend.42 Wie Claude Prosper Jolyot de Crébillons Les égarements du cœur et de l’esprit (1735/38) belegt, waren sie semantisch engstens mit der außerehelichen Geschlechterbeziehung konnotiert. Der libertin moraliste Crébillon ist für unseren Zusammenhang deshalb so interessant, da er über die Funktion solcher abseitigen Häuser zur Wahrung öffent40 | Wie Erica-Marie Benabou (La prostitution et la police des mœurs du XVIIIe siècle, Paris 1987, S. 206) zeigt, wurde eine solche schutzstrategische Funktion aber insofern kaum eingelöst, da vonseiten der Polizei gerade die Besitzer solcher petites maisons, besonders im Zusammenhang mit Vergehen der Prostitution, überwacht wurden. 41 | Vgl. Radisich, Paula Rea: Hubert Robert: Painted Spaces of the Enlightenment, Cambridge 1998, hier S. 78ff. 42 | Zur Rolle der petite maison in der libertinen Literatur des 18. Jahrhunderts vgl. Young, Paul J.: Seducing the Eighteenth-Century French Reader. Reading, Writing, and the Question of Pleasure, Hampshire/Burlington 2008, hier S. 55-83.

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licher Reputation reflektiert. Als ursächliche Gründe ihrer Modeerscheinung führt er die für uns zentralen Schlüsselbegriffe »Schicklichkeit« und »Skandalvermeidung« an und kommt darüber hinaus zu der geschlechterhistorisch interessanten Frage, inwiefern sie einen besonderen Nutzen für Frauen haben können: »Je commence même à croire que l’amour des bienséances, plus encore que la nécessité, les a mises à la mode. N’est-ce pas dans une petite maison qu’on soupe sans scandale tête-à-tête? […] Une femme qui se respecte, c’est-à dire, qui avec le cœur tendre, ou l’esprit libertin, veut cacher sa faiblesse, ou ses sottises, peutelle en imposer sans le secours d’une petite maison?« (Crébillon 1985: 193f.)

III. D IE M ARQUISE DE POMPADOUR UND DAS C HÂTEAU DE B ELLEVUE : DIE KÖNIGLICHE MAÎTRESSE EN TITRE UND IHRE PETITE MAISON

Unter geschlechterhistorischer Perspektive sei die Relevanz solcher Heterotopien der Liebe anhand einer der prominentesten Vertreterinnen illegitimer Geschlechterbeziehungen, der Marquise de Pompadour, abschließend diskutiert (Abb. 4). Eine exemplarische Fallanalyse erscheint geboten, da für die medialen Diskurse illegitimer Liebe nur auf diese Weise eine notwendige Kontextualisierung zu leisten ist. Nur so kann die hinter den medialen Diskursen stehende Produzentin, ihre spezifischen sozialen und insbesondere rechtlichen Existenzbedingungen, sichtbar gemacht werden.43 43 | Mit der hier verfolgten Fragestellung hat sich die Forschung zur Marquise de Pompadour bislang nicht befasst, obgleich sie in jüngerer Zeit fundierte wissenschaftliche Beachtung vonseiten der Geschlechterforschung erfuhr. Vgl. Weisbrod, Andrea: Von Macht und Mythos der Pompadour. Die Mätressen im politischen Gefüge des französischen Absolutismus, Königstein/Taunus 2000, und Dade, Eva Kathrin: Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie, Köln u.a. 2010. Zur Kunstpolitik Madame de Pompadours und ihrer Rolle als Auftraggeberin siehe u.a. Scott, Katie: »Framing Ambition: The Interior Politics of Mme de Pompadour«, in: Art History 28 (2005), S. 248-290; Posner, Donald: »Madame de Pompadour as a Patron of Visual Arts«, in: The Art Bulletin 72 (1990), S. 74-105. Vgl. auch die materialreichen Ausstellungskataloge der jüngeren Zeit bei Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Versailles u.a. 2002/2003, und dies.: La volupté du goût. La Peinture française au temps de madame de Pompadour, Tours/Portland 2008/2009. Zur medialen Liebespolitik der Marquise de Pompadour siehe auch C. Denk: Illegitime Liebe.

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Abbildung 4: François Boucher, Porträt der Madame de Pompadour, 1756 Die Marquise de Pompadour begleitete ihren kometenhaften, Standesgrenzen überschreitenden Aufstieg im höfischen Günstlingssystem, den sie insbesondere der (Liebes-)Gunst König Ludwigs XV. verdankte,44 vor allem zu Beginn ihrer Karriere mit einer aufwendigen medialen Liebespolitik, zu deren zentralen Bestandteilen das von ihr mit besonderem Aufwand betriebene Château de Bellevue vor den Toren von Paris zählte. Für die hier verfolgte Fragestellung nach einer Topografie der Bilder illegitimen Begehrens stellt der Fall der Marquise de Pompadour und das von ihr maßgeblich geprägte Château de Bellevue ein Paradigma dar. Die langjährige königliche Mätresse konnte für sich einen zunehmend institutionalisierten, öffentlichen Status reklamieren, was sich, für die innerhöfische Öffentlichkeit deutlich sichtbar, in ihrem Titel als maîtresse en titre bzw. maitres-

44 | Zu dem jüngst eingebrachten Verständnis der Mätresse als weiblichen Günstling vgl. besonders Horowski, Leonhard: »Das Erbe des Favoriten. Minister, Mätressen und Günstlinge am Hofe Ludwigs XIV.«, in: J. Hirschbiegel/W. Paravicini (Hg.), Der Fall des Günstlings, S. 77-125, hier S. 98ff.

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se déclarée ausdrückte.45 Auch wenn die öffentliche Institutionalisierung des französischen Mätressenwesens anhand ihrer Person immer wieder betont wird, gilt es zugleich, ein differenzierteres Bild ihrer Öffentlichkeitstauglichkeit zu umreißen, die im Zuge der sich mit der Aufklärung herausbildenden neuen Öffentlichkeitssphären eine einschneidende Relativierung erfuhr. Letztlich auch bedingt durch die antihöfischen Normen der sich etablierenden Aufklärungsgesellschaft, die ihre Meinungsführerschaft vor allem auch auf dem Gebiet der Sittlichkeit beanspruchte und die Liebesheirat propagierte,46 sollte das neue Legalitätsprinzip der Geschlechterbeziehungen für den französischen König zunehmend wirksam werden. Sein Zuwiderhandeln und insbesondere das seiner Mätressen, die für den königlichen Ehebruch besonders verantwortlich gemacht wurden,47 sollte zu einer bis dahin nicht bekannten öffentlichen Skandalisierung führen. Die rechtsunsichere, viel kritisierte und zunehmend als Normverstoß eingeschätzte illegitime Beziehung prägte in der Folge die mediale Liebespolitik der Mätresse weitaus grundsätzlicher, als dies bislang in der Forschung wahrgenommen wurde. Bereits an anderer Stelle konnte gezeigt werden, welches hohe Konfliktpotenzial die Mätressenliebe der französischen Könige spätestens seit Ludwig XIV. barg.48 Auf der weiblichen Seite führte die Rechtsunsicher45 | Die Financiersehefrau Pompadour war zunächst nicht hoffähig und wurde dies erst durch die Erhebung in den Adelstand am 11.07.1745. Kurz darauf folgte ihre présentation, womit ihr »Amtsantritt« als maîtresse en titre zu verbinden ist. Vgl. E. K. Dade: Madame de Pompadour, S. 70 ff. und insbesondere S. 78ff., sowie A. Weisbrod: Von Macht und Mythos der Pompadour, S. 284f. 46 | Zur aufgeklärten Beziehungsethik und zum neuen Verständnis einer Vereinbarkeit von Liebe und Ehe siehe Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München 2003, insbesondere S. 13ff., und Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt/M. 1982, S. 163ff. Als Ergänzung und Relativierung vgl. Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Wien 2002. 47 | Vgl. zur zunehmenden Kritik am ehebrecherischen Leben Ludwigs XV. und zur Einschätzung der Marquise de Pompadour als Hauptschuldige des königlichen Ehebruchs Falques, Marianne Agès de: The History of the Marchioness de Pompadour, London 1759-1760 2, zit. nach Wine, Hymphrey: »Madame de Pompadour im ›Salon‹«, in: X. Salmon/J. G. Prinz von Hohenzollern (Hg.), Madame de Pompadour, S. 18-28, hier S. 19. 48 | Vgl. C. Denk: Illegitime Liebe. Hinweise zu zahlreichen Konflikten mit den Hofgeistlichen finden sich bei Couton, Georges: La chair et l’âme. Louis XIV entre ses maîtresses et Bossuet, Grenoble 1995, passim. Mehrfach konnte Ludwig XV. das traditionelle Heilungsritual der Skrofelkranken nicht vollziehen, da ihm die Absolution verweigert wurde, was zumindest 1739 zu einem öffentlichen Skandal

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heit der Mätressen zunehmend zu existenzgefährdenden Situationen. Ein wesentliches Merkmal illegitimer Beziehungen liegt in den großen rangmäßigen Diskrepanzen der Liebespartnerinnen und Liebespartner, wobei die zumeist rangniederen Frauen deutlich geringere soziale und machtpolitische Handlungsspielräume besaßen.49 Der rechtsunsichere Status der Mätressen, die keinen, dem der Ehefrauen analogen Rechtsanspruch geltend machen konnten,50 wurde immer dann existenziell, wenn die Mätressen in Ungnade fielen und sie aufgrund des begangenen Ehebruchs Opfer öffentlicher Kriminalisierungen wurden.51 Ihre Rechtsunsicherheit erwies sich auch dann als problematisch, wenn der höherrangige Liebespartner schwer erkrankte oder sein möglicher Tod bevorstand: Als wesentliche Voraussetzung für die Abnahme der Beichte des Königs mit Absolution durch den Beichtvater und die Spende des Sterbesakraments wurde am französischen Königshof die Entfernung der Mätresse vom Hof veranlasst.52 Der Fall der Comtesse du Barry zeigt, wie sehr ihre Entfernung unter dem Beifall bestimmter Hoffaktionen geschah und wie sehr die Notwendigkeit dieser von einer skandalösen Beschädigung des französischen Königtums abgeleitet wurde. Nach dem Tod Ludwigs XV. führte; vgl. Bloch, Marc: Die wundertätigen Könige, München 1998 (19241, 1983), S. 421ff. Die konfliktreiche Situation kulminierte zur »Amtszeit« der Marquise de Pompadour im unmittelbaren Vorfeld des kirchenpolitisch bedeutsamen heiligen Jahrs im Jahr 1750, dem 1751 ein universales Jubiläum folgte. Georges Minois (Le confesseur du roi. Les directeurs de conscience sous la monarchie française, Mesnil-sur l’Estrée 1988, S. 503) dokumentiert dies durch Auszüge aus dem Journal des Marquis d’Argenson. Neben der Verweigerung des Jubiläumsablasses folgten für Ludwig XV. weitere öffentliche Demütigungen, etwa durch die Fastenpredigt des Pater Dumas im Jahre 1752, der die Liebschaften des Königs anprangerte; vgl. auch Lever, Evelyne: Madame de Pompadour, München 2008 (20001), S. 196ff., insbesondere S. 209. 49 | Zu den asymmetrischen Beziehungen siehe G. Ruggiero: The Boundaries of Eros, S. 22, und Sikora, Michel: »Ungleiche Verbindlichkeiten. Gestaltungsspielräume standesverschiedener Partnerschaften im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit«, in: Zeitenblicke 4 (2005). 50 | Eine der wenigen Stellungnahmen zur Rechtssituation der Mätressen hält fest, dass sie keinen, den Ehefrauen vergleichbaren Rechtsanspruch anmelden könnten und »dass unter einer Gemahlin und Maitresse ein grosser Unterschied bleibet […]. Folglich die Jura conjugum keineswegs dieselben angedeyhen koennen.« (Thomasius 1721: 219f.) 51 | Vgl. den durch S. Oßwald-Bargende (Die Mätresse, der Fürst und die Macht, S. 225ff.) gut untersuchten Fall der Gräfin von Würben, der langjährigen Mätresse Herzog Eberhard Ludwigs von Württemberg, die sogar des doppelten Ehebruchs bezichtigt wurde. 52 | Vgl. G. Minois: Le confesseur du roi, S. 499.

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und der Unterbringung der Madame du Barry im Kloster Pont-auxDames, einer Art Gefängnis für Frauen, schrieb Marie Antoinette an ihre Mutter, Kaiserin Theresia: »La créature est mis au couvent et tout ce qui portoit ce nom de scandale a été chassé de la cour.«53 Zuvor hätte die Marquise de Pompadour, obwohl sie längst die engste Vertraute des Königs war und als eine Art premier ministre fungierte,54 fast ein ähnliches Schicksal ereilt, als Ludwig XV. im Jahr 1757 durch einen Mordanschlag verletzt worden war.55 Auch die alljährlichen Hauptfeste des Kirchenjahres stellten eine nur mit hohem strategischem Aufwand zu bewältigende Herausforderung dar und bedingten während der Osterzeit eine séparation de convenance von König und Mätresse.56 Obwohl die Marquise de Pompadour eine der machtvollsten und einflussreichsten Frauenfiguren am Hofe Ludwigs XV. war, blieben auch ihr vor allem zu Beginn ihrer Karriere die Gefährdungen der rechtsunsicheren Mätressenexistenz nicht erspart. In der Folge gerieten die medialen Inszenierungen der Mätresse in ein kaum lösbares Dilemma. Zur Positionierung bei Hofe, zur Darstellung ihrer exklusiven Beziehung zum König, bedurfte sie in besonderem Maße der Medialisierung ihrer Liebesbeziehung. Gleichzeitig boten aber gerade die medialen Inszenierungen durch ihre Öffentlichkeitswirkung zentrale Angriffspunkte für ihre Gegner. Das medial inszenierte »öffentliche Geheimnis« der ehebrecherischen Beziehung provozierte zunehmend einen innerhöfischen57 und mit dem Hinzukommen der neuen Öffentlichkeiten der ville58 besonders kritischen außerhöfischen Gegendiskurs. Unter neuen Vorzeichen wurden die Positionen der Kirche aufgegriffen, auf 53 | Brief vom 14.05.1774, zit. nach Vatel, Charles: Histoire de Madame du Barry, 3 Bde., Versailles 1883, S. 344. Vgl. auch G. Minois: Le confesseur du roi, S. 511. 54 | E. K. Dade: Madame de Pompadour, S. 196ff. und insbesondere S. 206f. 55 | Eindrücklich beschreibt Bernis das Attentat und die Konsequenzen für die Mätresse, die während der Genesungszeit keinen Zutritt zum König hatte; vgl. Bernis, François Joachim de Pierre de: Mémoires et Lettres, herausgegeben von Frédéric Masson, 2 Bde., Paris 1878, Bd. 1, S. 354 und S. 356. 56 | Der Weggang der Mätressen vom Hof zur Osterzeit ist bereits für die Mätresse Heinrichs IV., Gabrielle d’Estrées, verbürgt und war offenbar auch noch zur Zeit der Marquise de Pompadour üblich; vgl. G. Minois: Le confesseur du roi, S. 317 und S. 503. 57 | Innerhöfisch kam zu dem verstärkten Legitimationsdruck der Geistlichkeit derjenige der sogenannten Faktion der dévots hinzu; vgl. ebd. S. 502f. 58 | Zur Entwicklung der Öffentlichkeit der ville zu einer neuen normativen Kraft im Staatsgefüge vgl. immer noch Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Darmstadt 1987 (19621), insbesondere S. 46ff.

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die moralische Vorbildlichkeit des Königs gepocht und die Marquise de Pompadour in Pamphleten, beißenden Spottgedichten und Karikaturen diskreditiert (Abb. 5).59

Abbildung 5: Gabriel de Saint-Aubin, »Pomade pour les levre […]«, 1775 Diesen divergierenden Anforderungen konnte die maîtresse en titre nur durch eine sorgfältige Ausdifferenzierung der Adressatenkreise begegnen. Auffällig zahlreich sind ihre in Rückgriff auf die Tradition der Villegiatura und damit in örtlicher Distanz zu Versailles und Paris gelegenen retraites,60 unter denen das auf dem Plateau von Meudon situierte Schloss Bellevue als eines ihrer bevorzugten diente, oder, um es mit ihren Worten 59 | Zu den sogenannten Fischgesängen vgl. Clairambault-Maurepas, Recueil: Chansonnier historique du XVIIIe siècle, Paris 1879-1884, Bd. 7, insbesondere S. 50ff. und S. 135ff. 60 | Zwischen 1746 und ihrem Tod erwarb, baute oder mietete die Marquise de Pompadour 15 Liegenschaften, neben wenigen Stadthäusern einige Landhäuser sowie Eremitagen in der Nähe der königlichen Schlösser Versailles, Fontainebleau

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zu sagen: »[J]’y suis seule ou avec le roy et peu de monde« (de Pompadour zit. nach Biver 1933: 18).61 Der Grad der Intimität des kleinen Schlosses lässt sich schon allein daran ermessen, dass nur drei Appartements für Übernachtungsmöglichkeiten von Gästen vorgesehen waren.62 Von seiner Funktion her war das Schloss Bellevue eine maison de plaisance,63 indem es den verschiedensten Zerstreuungen, den Künsten wie der Musik und dem Theater gewidmet war. Wendet man sich inner- und außerhöfischen Einschätzungen zu, die weniger ihre unverfänglichen Vergnügungen im Blick hatten, sondern ihre ehebrecherische Lebensführung, wird deutlich, dass es als ihre petite maison angesehen wurde.64 Schließlich spricht die mit hohen sensuellen Reizen versehene Ausstattung dafür, das Château de Bellevue als petite maison der Mätresse zu begreifen.65 An diesem anderen Ort konnte sie ihre Rolle als königliche Mätresse und die sie mit dem König verbindende Liebe ohne Gefahr einer Skandalisierung in einem anspielungsreichen, komplexen Ausstattungsprogramm inszenieren. Für die hier untersuchte Perspektive ist dabei von besonderem Interesse, dass die dort entfalteten unterschiedlichen Liebeshaltungen – von der illegitimen fleischlichen Liebe bis zur legitimen freundschaftlichen Liebe – einer differenzierten Topografie unterworfen waren, die von dem jeweiligen Öffentlichkeitsgrad der Räumlichkeiten bestimmt war.66 und Compiègne; vgl. Biver, Paul: Histoire du Château de Bellevue, Paris 1933, und K. Scott: Framing Ambition, S. 263ff. 61 | Es handelt sich hier um einen Auszug aus einem Brief der Marquise de Pompadour vom 27.01.1749 an die Comtesse de Lutzelbourg im Zusammenhang mit ihren Aufenthalten in ihren Landhäusern und Eremitagen. 62 | Vgl. Gordon, Alden R.: »Le Mécénat artistique de la Marquise de Pompadour et du Marquis de Marigny«, in: La volupté du goût 2008/09, S. 39-57, hier S. 50. 63 | Vgl. M.A. de Falques: The History of the Marchioness de Pompadour, S. 67, dort als »pleasure-house« bezeichnet; vgl. auch die Einschätzung durch K. Scott: Framing Ambition, S. 264f. 64 | Der dem Pariser Großbürgertum zugehörige Advokat Edmond-Jean-François Barbier nennt es in seinem Journal 1749 »une très petite maison de plaisance«. Marquis d’Argenson schreibt in seinem Journal 1749 in gewohnt kritischem Tenor im Zusammenhang der verursachten hohen Kosten von ihrer »petite maison«; beide Einschätzungen zit. nach P. Biver: Histoire du Château de Bellevue, S. 15f. und S. 17. Zur zwiespältigen Haltung Barbiers gegenüber der Mätresse siehe A. Weisbrod: Von Macht und Mythos der Pompadour, S. 241ff. 65 | Vgl. hierzu die Beschreibung einer idealen, auf sensuelle Verführung setzende Rokokoausstattung von Blondel, Jacques-François: L’Homme du monde éclairé par les arts, 2 Bde., Genf 1973 (Paris 17741), insbesondere S. 19 und S. 90. 66 | Einen Zugang für eine Rekonstruktion der Ausstattung bieten P. Biver: Histoire du Château de Bellevue, und A.R. Gordon: Le Mécénat artistique de la Mar-

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IV. D IE TOPOGRAFIE DER L IEBESBILDER IM C HÂTEAU DE B ELLEVUE : NACH INNEN G ELIEBTE , NACH AUSSEN FREUNDIN Der mit am aufwendigsten gestaltete Raum war ihr Schlafzimmer, die sogenannte chambre à la turque, die sie der Sphäre des Harems widmete und damit als einen nach außen abgeschlossenen Raum definierte. Van Loos Haremsvision mit dem Hauptbild der Mätresse als auserwählte Sultane (Abb. 6) lässt sich mit zeitgenössischen Beschreibungen korrelieren, in denen der Harem völlig abgeschirmt, als ein jenseits der Gesellschaft liegender anderer Raum beschrieben wurde.67 Mittels einer Treppe war ihr Schlafzimmer unmittelbar mit dem im ersten Stock liegenden Gemach des Königs verbunden. Für dieses beauftragte sie François Boucher, der sich einen besonderen Namen mit seiner auf séduction setzenden Malerei gemacht hatte und gewissermaßen als ihr Hofmaler fungierte.68 Bouchers viel gerühmter Malstil, sein delikater und schmeichelnder Pinselduktus, mit dem er der Hautoberfläche besondere haptische Reize verlieh, seine forcierte Verwendung von Rottönen und die ihm eigene freizügige Wiedergabe des Körpers sollten auch die beiden Pendants Sonnenauf- und Sonnenuntergang (Abb. 7) prägen. Diese bezogen sich auf Ovids Metamorphosen (II,1-160) und fungierten als Kartons für einen fünfteiligen Gobelinzyklus des königlichen Schlafzimmers. Der Zyklus nahm offen auf den Ehebruch der Bewohner Bezug. Nach Ovids Metamorphosen stieg Apoll jeden Tag vom Ozean mit seinem Wagen auf, um über den Himmel zu fahren und am Abend zurückzukehren, wo er bei Tethys, der Ehefrau des Oceanus, seine nächtliche Ruhe fand. Unschwer ist im Sonnenuntergang die Marquise als Tethys zu erkennen, die Ludwig XV. als Apoll mit offenen Armen empfängt. Zuvor hatte das Thema bereits am Hof des Sonnenkönigs mit Girardons Grotte de Thétis im Schlosspark von

quise de Pompadour et du Marquis de Marigny, S. 46ff., sowie die im Folgenden zitierten Einzelstudien. 67 | Zur Interpretation des chambre à la turque als Heterotopie vgl. Trauth, Nina: »Madame de Pompadour als Türkin? Maskeraden zur kulturellen und geschlechtlichen Selbstdarstellung im orientalischen Portrait des Barock«, in: Viktoria Schmidt-Linsenhoff et. al. (Hg.), Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus, Marburg 2004, S. 75-96, insbesondere S. 83. 68 | Die negativ besetzte »Konstruktion« Bouchers als Maler für die boudoirs durch die zeitgenössische Kunstkritik behandelt Hyde, Melissa: Making up the Rococo. François Boucher and His Critics, Los Angeles 2006, insbesondere S. 45ff.

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Abbildung 6: Carl van Loo, Die Marquise de Pompadour als Sultane, ca. 1752

Abbildung 7: François Boucher, Sonnenuntergang, 1752

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Versailles eine amouröse Interpretation erfahren, indem die Ehefrau des Oceanus mit Apolls Geliebter, der Nymphe Thetis, identifiziert wurde.69 Die luxuriösen Baderäume im Pavillon de la Concierge waren Venus, der Göttin der Schönheit und Liebe, gewidmet, mit der die Marquise die für den Mechanismus ihres Aufstiegs wichtigsten Eigenschaften visualisierte und die in ihren Inszenierungen eine zentrale Rolle einnahm.70 Der mittlere Raum besaß zwei Türen, die in die pièce des bains mit einer Badewanne und in den cabinet de commodité führten. Für den zentralen Raum schuf Boucher die inhaltlich auf die anschließenden Räume bezogenen Supraporten, die Toilette der Venus (Abb. 8) und das Bad der Venus.71 Sie zeugen von der engen »aesthetic complicity«72 zwischen Auftraggeberin und Maler. Der gewählte Frauentypus spielt unmittelbar auf die maîtresse en titre an, entspricht mit der erotisierenden Ausstrahlung den Dekorationsprinzipien einer petite maison und wendet sich vor allem an den königlichen Liebhaber als Adressaten. Außer diesem, so wird man vermuten dürfen, werden die Bilder zu ihren Lebzeiten nur einem ausgewählten Kreis an Höflingen je zu Gesicht gekommen sein.73

69 | Vgl. hierzu und zu der verführerischen Kraft von Bouchers Liebesbildern Hedley, Jo: François Boucher: seductives visions, London 2004, hier S. 108ff. 70 | Zum Venuskult der Marquise vgl. Gaehtgens, Thomas W.: »Die Gestalt der Venus im 18. Jahrhundert in Frankreich«, in: Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hg.): Venus. Bilder einer Göttin, Ausstellungskatalog, München 2001, S. 74-90, insbesondere S. 82f. Venus spielte auch in ihrem Theater eine wichtige Rolle, wie in der eigens für sie geschriebenen Ballettoper La journée galante von Pierre Laujon; vgl. Kaehler, Winston H.: The Operatic Repertoire of Madame de Pompadour’s Théâtre des petits Cabinets (1747-1753), Dissertation, University of Michigan 1971, S. 75, S. 200 und 210f. 71 | Vgl. P. Biver: Histoire du Château de Bellevue, S. 66f. und Montebello, Philippe de et. al. (Hg.): François Boucher, Ausstellungskatalog, New York u.a. 1986/1987, S. 256ff., Kat.nr. 60, sowie K. Scott: Framing Ambition, S. 267. Zur Toilette als wichtiges Motiv ihrer Selbstmodellierung, auch im Empfangszeremoniell, vgl. Seufert, Sabine: »Madame de Pompadour zwischen Koketterie und Frömmigkeit«, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 24 (1996), S. 84-93, und M. Hyde: Making up the Rococo, S. 107ff. 72 | Vgl. Lajer-Burcharth, Ewa: »Pompadour’s Touch: Difference in Representation«, in: Representations 73 (2001), S. 54-88. 73 | Die Gemälde kamen, nachdem der König 1757 das Schloss erworben hatte, in ihre Stadtresidenz (dem heutigen Elysée-Palast) und gingen nach ihrem Tod in den Besitz ihres Bruders, des Marquis de Marigny, über. Sie waren nie im Salon ausgestellt, und die Venus bei der Toilette wurde erst nach ihrem Tod, im Jahr 1783, nachgestochen; vgl. P. Montebello et al. (Hg): François Boucher, S. 256f., Kat.nr. 60.

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Abbildung 8: François Boucher, Die Toilette der Venus, 1751 Die von der Marquise de Pompadour verfolgte topografische Ordnung der Liebesbilder innerhalb ihrer »politics of the interior« von Schloss Bellevue74 folgte einer imaginären Perspektive von innen nach außen. Zeigte sich die Marquise de Pompadour nach innen als verführerische Geliebte, als Venus und Thetys oder als Sultane und Vorsteherin des königlichen Harems, ließ sie sich in den nach außen orientierten Räumen, dem Vestibül und dem Cabinet des Jeux, unverfänglicher als Patronin der Künste feiern (Abb. 9).75 74 | Ihren »politics of the interior« widmete Katie Scott in Framing Ambition eine wichtige Studie, wobei sie, allerdings ohne die unterschiedlichen Liebeshaltungen zu thematisieren, für das Schloss Bellevue resümierend festhält: »There were many rooms, many Pompadours« (Scott 2005: 273). 75 | Im Vestibül befanden sich zwei Statuen, La Poésie lyrique von Lambert-Sigisbert Adam und La Musique von Etienne Pigalle (beide im Musée du Louvre), im Spiel-

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Abbildung 9: Carl van Loo, Allegorie der Architektur, 1752/53 In einem vierteiligen Zyklus von Piazetta mit Schäferszenen verwies sie sogar auf eheliches und familiäres Glück.76 Die Ausstattung von Schloss Bellevue erfolgte zwischen 1751 und 1755 und fiel damit in die Zeit ihrer größten Anfeindungen, auf die sie mit einer Neuorientierung ihrer Rolle an der Seite des Königs von der Geliebten zur königlichen Freundin reagierte. Auf ihre neue, in der Freundschaft legitimierte Beziehung zum König nahm sie im öffentlichsten Ort Bezug, dem Park. Mit einer Skulptur Pigalles gegenüber einem Standfigurenbildnis des Königs ließ sie sich als Freundschaftsgöttin feiern (Abb. 10), dem Urbild der neuen Rollenfindung ihrer späteren Ära. Mit der so demonstrierten Legalisierung ihrer Beziehung in der normkonformen Freundschaft suchte sie sich weiterer

zimmer der Zyklus mit Kinderallegorien von Carle van Loo (San Francisco, The Fine Arts Museum) und zwei weitere Gemälde Van Loos: La Tragédie und La Comédie. 76 | Der Zyklus ist nur in Nachstichen von Giovanni Volpato erhalten; vgl. Ausstellungskatalog. Giovanni Volpato, Bassano del Grappa 1988, S. 66-69, und X. Salmon/J.G. Prinz von Hohenzollern: Madame de Pompadour, S. 200, Nr. 104.

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Abbildung 10: Jean-Baptiste Pigalle, Die Marquise de Pompadour als Freundschaftsgöttin, 1753 Skandalisierung zu entziehen und schuf eine wesentliche Basis für ihr Verbleiben am Hof.77 Neben der vom Öffentlichkeitsgrad bestimmten Topografie ihrer Liebesbilder in Raumfolge und Schlosspark zeugen auch ihre Theateraufführungen als zweiter wichtiger Stützpfeiler ihrer medialen Liebesinszenie77 | Vgl. hierzu etwa die Einschätzung Abbé Bernis, der rückblickend 1757 in einem Brief schrieb: »Notre amie ne peut plus scandaliser que les sots et les fripons. Il est de notorités publique que l’amitié depuis cinq ans a pris la place de la galanterie.« (Brief vom 20.01.1757 an den Comte de Stainville, zit. nach Nolhac, Pierre de: Versailles et la Cour de France. Louis XV et Madame de Pompadour, Paris 1928, S. 273) Zur normgemäßen Figur des Vertrauten und Freundes als Typ des Günstlings vgl. J. Hirschbiegel/W. Paravicini (Hg.): Der Fall des Günstlings, S. 13-39. Zur Freundschaftsikonografie der Marquise de Pompadour siehe nach wie vor grundlegend Gordon, Kathrin K.: »Madame de Pompadour, Pigalle, and the Iconography of Friendship«, in: The Art Bulletin 5 (1968), S. 249-262 sowie A. Weisbrod: Von Macht und Mythos der Pompadour, S. 158ff., und nun auch C. Denk: Illegitime Liebe.

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rungen, wie grundlegend die Frage nach ihren Orten ist. Angesichts der nicht enden wollenden Kritik, die sich neben der Verschwendungssucht auf die nicht eingehaltene Schicklichkeit gegenüber der Königin und Ehefrau Ludwigs XV., Marie Leszczyńzska, bezog, wurden die Aufführungen von der vergleichsweise öffentlichen Hofgesellschaft Versailles’ ins abseitige Château de Bellevue verlegt.78 Auch die theatralen Liebesinszenierungen, in denen die Mätresse vielfach Hauptrollen übernahm, hatten also ihre Öffentlichkeitstauglichkeit weitgehend verloren. Das »königliche« Liebespaar bemühte sich darum, die Kontrolle über die Öffentlichkeitswirksamkeit zu behalten, was sich schon daran zeigt, dass der König seine (Mit-)Zuschauer selbst auswählte.79 Folglich wurden die Aufführungen bei Hof als eine Art Geheimsache behandelt.80 Wie sorgfältig die Marquise de Pompadour schließlich über ihre medial vermittelte öffentliche Erscheinung und deren Adressatenkreise wachte, zeigt ganz besonders ihr Umgang mit den regelmäßig stattfindenden Salonausstellungen der Académie royale, mit denen sich die Kunstkritik als neue normative Kraft etablierte.81 Auf diese neue Herausforderung ihrer Öffentlichkeitstauglichkeit reagierte sie mit schutzstrategischen Maßnahmen. Bezeichnenderweise setzte sie mit ihren Staatsporträts von Boucher und Maurice Quentin de La Tour, in denen sie sich als kultivierte femme savante inszenierte, gezielt auf die neuen Öffentlichkeiten der Salonausstellungen (vgl. Abb. 4).82 Entsprechend ihren verfänglichen In78 | Zur Verlegung des Theaters und seiner endgültigen Schließung im Jahr 1753 siehe Jullien, Adolphe: Histoire du Théâtre de Madame de Pompadour, dit Théâtre des petits cabinets, Genf 1978 (18741), S. 59ff., und Hourcade, Philippe: »De Versailles à Bellevue, 1747-1753: un théâtre de société chez le roi«, in: Revue d’histoire du théâtre 1 (2005), S. 21-42, insbesondere S. 39f. Zum Theater als Medium ihrer Selbstdarstellung vgl. Kaiser, Thomas E.: »Madame de Pompadour and the Theaters of Power«, in: French Historical Studies 19 (1996), S. 1025-1044. 79 | Zu den Statuten, zur Auswahl der Stücke und zum Zeitpunkt der Aufführungen vgl. A. Jullien: Histoire du Théâtre de Madame de Pompadour, S. 3ff., §7 u. 8; zur Rolle des Königs bei der Auswahl der Zuschauer siehe Laujon, Pierre: »Spectacles des petits cabinets de Louis XV«, in: Œuvres choisis de Pierre Laujon, Paris 1811, Bd. 1, S. 71-90, hier S. 77. 80 | Vgl. A. Jullien: Histoire du Théâtre de Madame de Pompadour, S. 9, mit Hinweisen, wie begehrt die Aufführungen waren und wie selektiv die Zulassung der Zuschauer. Zum performativen Charakter der Aufführungen siehe C. Denk: Illegitime Liebe. 81 | Vgl. Démoris, Réné/Ferran, Florence: La peinture en procès. L’invention de la critique d’Art au siècle des Lumiéres, Paris 2001, insbesondere S. 7ff. 82 | Zu den beiden Staatsportraits von La Tour und Boucher siehe Goodman, Elise: The Portraits of Madame de Pompadour. Celebrating the Femme Savante, Berkeley u.a. 2000, und A. Weisbrod: Von Macht und Mythos der Pompadour, S. 167ff.

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halten wurden dagegen ihre Liebesbilder für das Schloss Bellevue erst gar nicht ausgestellt oder nicht mit ihr in Verbindung gebracht. Es dürfte sich kaum um einen Zufall handeln, dass in den livrets von der Ausstattung vor allem die unschuldige Vergnügungen thematisierenden Jagdbilder Oudrys, die ihre Kunsttätigkeit inszenierenden Kinderallegorien van Loos (vgl. Abb. 9) sowie das ihr Leben im Glauben dokumentierende Altarbild La Lumière du Monde von Boucher explizit auf sie bezogen wurden.83 Die unmittelbar das »königliche« Liebespaar betreffenden Gemälde Sonnenaufgang und Sonnenuntergang (vgl. Abb. 7) wurden hingegen ohne weitere Hinweise gezeigt.84 Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen sollte die Mätresse gerüchteweise als Auftraggeberin identifiziert werden, wie La Font de Saint-Yennes moralisierend vorgetragene Kritik zum Salon von 1753 bezeugt. Mit dem Ziel einer Skandalisierung der Mätresse bescheinigte der Kritiker den Pendants, dass sie mit ihren unverhüllten Nackten die Konventionen der Schicklichkeit derart weit überschreiten würden, dass ehrbare Mütter mit ihren Töchtern, Kirchvertreter und wahrhaft Gläubige die Ausstellung meiden müssten. »Plusieurs personnes qui n’ont aucune sévérité ridicule ni dans le commerce ni dans les sentimens, mais qui respectent encore les mœurs & les bienséance, ont été étonnées de voir exposer au public des nudités aussi peu voilées que celles de ces deux tableaux. Elles ont empêché de sages ecclésiastiques, de vrais religieux de voir le salon sur le récit qu’on leur en a fait. Bien des personnes du sexe, qui en ont encore la modestie, ont jugé à propos de n’y point mener leurs filles par cette raison.« (La Font de Saint-Yenne 1970: 42) 85

83 | Collection des livrets des anciennes expositions depuis 1673 jusqu’au 1800. Bd. 15: Salon de 1750, Paris 1870, S. 17: Par M. Oudry: »Quatre Tableaux fait pour Madame la Marquise de Pompadour, destinez pour la Salle à manger du Château de Belle-Vûe«; ebd., Bd. 17: Salon de 1753, S. 36: Par M. Carle Vanloo, »Quatre petits Tableaux de Porte du Château de Belle-Vûe, représentant les quatre Arts Libéraux, sous le même«; ebd., Bd. 15: Salon de 1750, S. 14 »Un tableau […] représentant une Nativité ou Adoration des Bergers, pour la Chapelle du Château de Belle-Vûe«. Zu den religiösen Gemälden als Bestandteil der neuen Tugendsemantik ihrer späteren »Amtszeit« siehe zuletzt Schieder, Martin: »Between Grâce and Volupté: Boucher and Religious Painting«, in: Melissa Hyde/Mark Ledbury (Hg.), Rethinking Boucher, Los Angeles 2006, S. 61-91, insbesondere S. 70ff. 84 | Collection des livrets, Bd. 17: 1753, Par M. Boucher: »Deux grands Tableaux en hauteur de onze pieds sur neuf de large, sous le même Nr. dont l’un représente le Lever du Solei, et l’autre le Coucher.« 85 | Wichtige Hinweise auf die Reaktionen der Kunstkritik liefert H. Wine: Madame de Pompadour im »Salon«, S. 21ff.

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Schnell wird damit deutlich, wie prekär es um ihren Ruf und in der Folge um die öffentliche Reputation Ludwigs XV. bestellt war. Offenbar konnte die Marquise ihre Liebesinszenierungen nicht vor beliebig erweiterten innerhöfischen Öffentlichkeiten und schon gar nicht vor den neuen städtischen stattfinden lassen, ohne sich selbst und den französischen König einer gefährdenden Skandalisierung auszusetzen.

V. R ESÜMEE Für das Verständnis der medialen Diskurse illegitimen Begehrens in der Frühen Neuzeit zeigt sich, wie zentral in diesem Bereich die spezifischen primären Kontexte und ursprünglichen Kommunikationssituationen waren. Gerade ihre heutige ubiquitäre Verfügbarkeit verstellt leicht den Blick auf ihre ursprüngliche Existenz in gesellschaftlichen Gegenräumen mit nur eingeschränkter Zugänglichkeit. Ihre museale Präsentation suggeriert im Rückblick eine Öffentlichkeitstauglichkeit, die sie zu ihrer Entstehungszeit gerade nicht hatten. So erbrachte die Frage nach den ursprünglichen Standorten zahlreiche Indizien, dass es schon früh zu räumlichen Ausgliederungen kam und zu einer sorgfältigen Ausdifferenzierung der Adressatenkreise. Selbst in einer Epoche, die wie das 18. Jahrhundert durch eine »Kultur der körperlichen Exhibition« geprägt war und in der man in der Erotik eine »Art Betriebsenergie« für die gesellschaftliche Konversation und ein Gegenmittel zum gefürchteten ennui sah,86 sollten sich die medialen Darstellungen illegitimen Begehrens ins Verborgene zurückziehen. Sie fanden ihren Ort in gut versteckten boudoirs oder in den geschützten Innenräumen der petites maisons, mit denen die französischen Oberschichten für ihre außerehelichen Beziehungen eine eigene Architekturgattung erfunden hatten. Die Liebesbilder der Marquise de Pompadour bestätigten die eingangs formulierte These zur Topografie als konstituierenden Faktor der medialen Diskurse illegitimen Begehrens. Die Rekonstruktion ihrer topografischen Verortung in Schloss Bellevue ließ ein differenziertes Bild der wesentlich auch nach räumlichen Kriterien ausgerichteten Selbstmodellierung der Mätresse entstehen. Die von ihr medial eingenommenen Liebeshaltungen unterschieden sich nach innen und nach außen von der verführerischen illegitimen Geliebten des Monarchen bis hin zu dessen 86 | Zur »Erotik des Umgangs« im 18. Jahrhundert vgl. eingehend A. Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 16f.

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treuer legitimer Freundin. Anhand der Topografie in Schloss und Park sowie der Ausstellungspraxis in den Salons gelang es zumindest annäherungsweise eine Vorstellung davon zu gewinnen, wem ihre Liebesbilder in ihrer Zeit überhaupt zugänglich waren bzw., in gegenteiliger Perspektive, welche Öffentlichkeiten ausgeschlossen blieben. Der vorliegende Beitrag kann sich nur als eine erste Annäherung für quantitativ umfänglichere und systematischere Untersuchungen zu den medialen Repräsentationen illegitimen Begehrens und ihren Orten verstehen.87 Bedenkt man etwa die großen Rangunterschiede, die abweichenden Handlungsspielräume und die unterschiedlichen rechtlichen Absicherungen der illegitimen Liebespartnerinnen und Liebespartner, erscheinen weitere geschlechterhistorische Differenzierungen wünschenswert: In Ergänzung unseres Fallbeispiels wären dies etwa die bislang kaum beachteten Liebesdiskurse Ludwigs XV. Zu Recht wird man schon jetzt vermuten können, dass auch der König zunehmend vorsichtig mit öffentlichen Medialisierungen umgegangen sein dürfte. Eine in Frankreich gültige Herrschafts- und Inszenierungspraxis schien angesichts der nun auch dem König abverlangten ehelichen Treue an ihren Endpunkt angelangt. Konnte Franz I. die außerehelich erprobte Liebesfähigkeit noch als Indikator für gute Herrschaft vergleichsweise öffentlich inszenieren,88 so dürfte dies für Ludwig XV. nicht mehr ohne weiteres möglich gewesen sein. Anhand der medialen Liebesdiskurse seiner langjährigen Mätresse wurde jedenfalls deutlich, dass die königliche Mätressenliebe im 18. Jahrhundert ihre Öffentlichkeitstauglichkeit bereits weitgehend eingebüßt hatte.

87 | Vgl. hierzu auch die Einschätzung Ruggieros, für den die »illicit world of love and sex outside marriage« einen »coherent discourse of its own« (Ruggiero 1985: 11f.) hervorbrachte. 88 | Zur Situation der Chambre de la Duchesse d’Estampes im Schlossgefüge und ihrem repräsentativen Anspruch gegenüber der innerhöfischen Öffentlichkeit vgl. Ruby, Sigrid: »Die Chambre de la Duchesse d’Étampes im Schloss von Fontainebleau«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67 (2004), S. 55-90, hier S. 89, und dies.: Mit Macht verbunden, S. 66-104, insbesondere S. 72f. Zum geringeren Konfliktpotenzial der Mätressenliebe Franz’ I. und seiner Nachfolger vgl. die Einführung von Emmanuel Le Roy Ladurie zu Claude Grimmer, La femme et le bâtard. Amours illégitimes et secrètes dans l’ancienne France, Paris 1983, S. 45f., sowie ebd., S. 195ff., und Bertière, Simone: Les Reines de France au Temps des Bourbons. La Reine et la favorite, Paris 2000, S. 195f.

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Abb. 5: Gabriel de Saint-Aubin, »Pomade pour les levre […]«, Zeichnung, 18,9 × 13,4 cm, Livres de caricatures tant bonnes que mauvaises, 1775, Folio 288, Buckinghamshire, Waddesdon Manor, Inv.nr. 675. Aus: Hyde, Melissa: Making up the Rococo. François Boucher and His Critics, Los Angeles 2006, S. 125, Abb. 20. Abb. 6: Carl van Loo, Die Marquise de Pompadour als Sultane, ca. 1752, Öl auf Leinwand, 120 × 127 cm, Sankt Petersburg, Eremitage Inv.nr. 7498. Aus: Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Ausstellungskatalog, Versailles u.a. 2002/2003, Kat.nr. 48. Abb. 7: François Boucher, Sonnenuntergang, 1752, Öl auf Leinwand, 318 × 261 cm, Wallace Collection, Inv.nr. P 486. Aus: Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Ausstellungskatalog, Versailles u.a. 2002/2003, S. 282, Kat.nr. 2. Abb. 8: François Boucher, Die Toilette der Venus, 1751, Öl auf Leinwand, 108,3 × 85,1 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv.nr. 20.155.9. Aus: Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Ausstellungskatalog, Versailles u.a. 2002/2003, Kat.nr. 47. Abb. 9: Carl van Loo, Allegorie der Architektur, 1752/53, Öl auf Leinwand, 87,5 × 84 cm, San Francisco, The Fine Arts Museums of San Francisco, Mildred Anna Williams Collection, Inv.nr. 1950.11. Aus: Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Ausstellungskatalog, Versailles u.a. 2002/2003, Kat.nr. 52. Abb. 10: Jean-Baptiste Pigalle, Die Marquise de Pompadour als Freundschaftsgöttin, 1753, Marmor, 166,5 × 62,8 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv.nr. R.F.3026. Aus: Salmon, Xavier/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hg.): Madame de Pompadour. L’Art et L’Amour, Ausstellungskatalog, Versailles u.a. 2002/2003, Kat.nr. 123.

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Bildbegehren und Texterotik Ambivalente Lektüren weiblicher Aktdarstellungen in der Frühen Neuzeit ULRICH PFISTERER

Die »ikonophilen« Liebesverknotungen der Frühen Neuzeit, wie sie Literatur und Theaterbühne inszenierten, erreichten mit Ferrante Pallavicinos Il Principe Hermafrodito von 1640 einen Höhepunkt der Komplexität.1 Aus Furcht darüber, dass Thron und Erbe im Zuge des Salischen Gesetzes verloren gehen könnten, beschließt zum Auftakt dieses Romanzo ein aragonesisches Königspaar in Sizilien, seine einzige Tochter im Glauben aufzuziehen, sie sei ein Junge (um damit natürlich auch den Rest der Welt zu täuschen). Als der vermeintliche Prinz zum »Mann« heranwächst, ergeben sich alle nur denkbaren Geschlechterwirren, Liebes- und Begehrenssituationen: Junge Frauen am Hof versuchen den »Königssohn« zu verführen, der darauf reagieren zu müssen glaubt, seinerseits jedoch eigentlich andere junge Männer bewundert. Der Einsatz von Bildern und teils aus1 | Zitiert wird nach der Ausgabe Venedig 1656. Vgl. aber auch Pallavicino, Ferrante: Il Principe hermafrodito, herausgegeben von Roberta Colombi, Rom 2005 und Coci, Laura: »Bibliografia di Ferrante Pallavicino«, in: Studi secenteschi 24 (1983), S. 221-306. Zur Deutung zuletzt Lattarico, Jean-François: »Pouvoir et identité dans Il Principe hermafrodito di Ferrante Pallavicino«, in: Agnès Morini (Hg.), Identité, langage(s) et mode de pensée, Saint-Etienne 2004, S. 15-45. Zur Tradition von Bühnenstücken mit diesen Thematiken siehe Giannetti, Laura: Lelia’s Kiss. Imagining Gender, Sex, and Marriage in Italien Renaissance Comedy, Toronto u.a. 2009. Zum Problem »sexueller Aufklärung« siehe auch Rang, Brita: »Sexuelle Geheimnisse. Erziehung zur Ehe in den nördlichen Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert«, in: Zeitensprünge 6 (2002) (Themenheft: Das Geheimnis am Beginn der europäischen Moderne, herausgegeben von Gisela Engel et al.), S. 342-368.

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führliche Bildbeschreibungen – etwa die Darstellung einer schlafenden nackten Venus – spielen dabei auf den 95 Seiten des kleinen, mehrfach nachgedruckten Sedezbändchens eine zentrale Rolle für das Liebesbegehren, Liebeswerben und schließlich für die Entdeckung der Täuschung, die »sexuelle Aufklärung« und die »Selbsterkenntnis des Geschlechts«. Bereits diese knappen Stichworte lassen ahnen, dass sich Pallavicinos Bildfantasien, aber auch andere, wenig beachtete Schriftquellen zu Wahrnehmung und Funktion erotisch-sexualisierter Bilder in der Frühen Neuzeit nur unvollständig im Rahmen bisheriger Deutungsvorschläge zu weiblichen Aktdarstellungen fassen lassen.2 Die drei im Folgenden vorgestellten Haupttexte erweisen dabei schon auf den ersten Blick ihre große Spannbreite. Zwei dieser Werke stammen aus der Feder von Männern südlich und nördlich der Alpen (Pallavicino und Schumann), wobei Pallavicinos Romanzo eine Frau zur Protagonistin, Schumanns Schwank einen Mann zum Protagonisten hat. Der dritte Beitrag wurde von einer Autorin (Bigolina) geschrieben, deren Hauptakteurin männliches (Bild-) Begehren (wie es sich weiblicher Vorstellung darstellt) instrumentalisiert. In allen Texten thematisieren die Ekphrasen intensiv und vielgestaltig Liebe, Erotik und Sexualität im Zusammenhang mit Bildwerken. Für das methodische Vorgehen legt dies nahe, nicht sofort auf vermeintlich übergreifende Bildtypen, Thesen und »Gesamterklärungen« abzuzielen, sondern zunächst in Einzelanalysen (über die »Sonderfälle« von Giorgione, Tizian und anderen hinaus) das mögliche Deutungsspektrum weiblicher Aktdarstellungen der Frühen Neuzeit mit ihren singulären Lösungen, Ambivalenzen und Diskrepanzen auszuloten. Erkennbar werden dürfte ein »hermaphroditisches Moment«, wie es Pallavicino in seinem Romanzo beschwört: Hermaphrodit ist dabei nicht (nur) im Sinne einer dauerhaften Verbindung von männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen oder einer Verwandlung vom einen ins andere zu 2 | Zur Forschung zusammenfassend Lüdemann, Peter: Virtus und Voluptas. Beobachtungen zur Ikonographie weiblicher Aktfiguren in der venezianischen Malerei des frühen Cinquecento, Berlin 2008, und – über die Frühe Neuzeit hinaus – McDonald, Helen: Erotic Ambiguities. The Female Nude in Art, London/New York 2001. Stärker auf Ambivalenzen und Einzelfälle zielen dagegen die Untersuchungen zu »Liebesporträts« ab, etwa Bettini, Maurizio: Il ritratto dell’amante, Turin 1992; Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts: Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Berlin 2006; Walter, Ingeborg/Zapperi, Roberto: Das Bildnis der Geliebten. Geschichten der Liebe von Petrarca bis Tizian, München 2007; Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008.

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verstehen – so sehr sich die Frühe Neuzeit auch dafür interessierte.3 Spektakulär (sofern die Deutung zutrifft) versuchte etwa um 1620-30 Pietro della Vecchia die Metamorphose des Teiresias in eine Frau im Bild festzuhalten, ein temporärer Geschlechtertausch, mit dem die Götter erkunden wollten, ob man als Mann oder Frau größere Lust empfinde (Abb. 1).4

Abbildung 1: Pietro della Vecchia, Teiresias verwandelt sich in eine Frau (?), um 1620-30 3 | Ausgangspunkt ist Ovid, Met. 4, 285-388; vgl. etwa Waddington, Raymond B.: »The Poetics of Eroticism. Shakespeare’s ›Master Mistress‹«, in: Donald A. Beeches/Massimo Ciavolella (Hg.), Eros & Anteros. The Medical Tradition of Love in the Renaissance, Toronto 1992, S. 177-193; Daston, Lorraine/Park, Katherine: »The Hermaphrodite and the Orders of Nature: Sexual Ambiguity in Early Modern France«, in: Louise Fradenberg/Carla Freccero (Hg.), Premodern Sexualities, New York 1996, S. 117-136, und Long, Kathleen: Hermaphrodites in Renaissance Europe, Aldershot 2006. 4 | Das Gemälde befindet sich heute in Nantes, Musée des Beaux-Arts, inv. 257; siehe dazu Brejon de Lavergnée, Arnauld/Volle, Nathalie: Musées de France. Répertoire des peintures italiennes du XVIIe siècle, Paris 1988, S. 344; Lissarrague, François: »La fabrication de Pandora: naissance d’images«, in: Jean-Claude Schmitt (Hg.), Ève & Pandora. La création de la première femme, Paris 2001, S. 39-67, hier S. 65f. Vgl. für Darstellungen zu ähnlichen Episoden aus Ovids Metamorphosen Villemur, Frédérique: »Métamorphoses et transgressions de genre: Hermaphrodite et Salmacis vs Vertumne et Pomone (XVIe-XVIIe siècles)«, in: Kornelia Imesch et al. (Hg.), Inscriptions/Transgressions. Kunstgeschichte und Gender Studies, Bern u.a. 2008, S. 253-270.

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Hermaphroditisches Betrachten und Begehren soll hier vielmehr die umfassendere Möglichkeit bezeichnen, zwischen »männlichen« und »weiblichen« Kategorien und Konzepten hin und her zu wechseln, spielerisch auszuprobieren, zu täuschen, zu verkleiden, das eine im anderen zu integrieren oder in diesem aufzuheben – bis hin zu Imaginationen, wie wohl das Begehren und Betrachten des anderen Geschlechts aussehen würde. Auch diese Vorstellungen dürften einerseits durch das medizinisch-anatomische »Ein-Geschlechts-Modell« der Frühen Neuzeit begünstigt worden sein, wonach Frauen als defizitäre Männer bestimmt waren, deren Phallus mangels innerer Wärme nach innen gestülpt blieb.5 Andererseits propagierte die Antike (voran Platon für homoerotische Liebe) und dann der italienische Liebesdiskurs (spätestens seit Petrarca) auch die Vorstellung von der Angleichung der Liebenden durch den Blick und das dadurch ausgelöste Begehren, was zur langsamen Transformation des einen in den anderen führte – möglicherweise wollte etwa Parmigianino in seinem Aktäonzyklus der Rocca di Fontanellato diesen Prozess darstellen.6

FERRANTE PALLAVICINOS I L PRINCIPE H ERMAFRODITO (1640) In Pallavicinos Roman – veröffentlicht zwei Jahre vor dem frühen Tod des Autors und dem berühmten venezianischen (Liebes-)Dichter Giovan Francesco Loredano gewidmet – setzt die ausführliche Erzählung ein, als sich bei dem pubertierenden vermeintlichen Prinzen die »inclinatione dell’appetito« zu regen beginnt. Ein ungenannter Maler, Kunsthändler oder Kunstliebhaber präsentiert am Hof mehrere Gemälde, worauf es zu einer folgenschweren Diskussion vor dem Bild einer schlafenden nackten Venus kommt. Die Qualität der Malerei »entzündet« alle Betrachter und jeder fürchtet, die Schlafende aufzuwecken – allerdings, und hier wird versucht, den Topos der »quasi-lebendigen Malerei« noch zu steigern, boten sich die Körperglieder letztlich derart perfekt dar, dass man doch nur eingestehen konnte, dass diese Form der Vollendung gemalt sein muss. Da die Königstochter in dem dargestellten Körper die anato5 | Am besten entwickelt in Laqueur, Thomas: »Orgasm, Generation, and the Politics of Reproductive Biology«, in: Representations 14 (1986), S. 1-41. 6 | Zusammenfassend zu Parmigianinos Fresken siehe Thimann, Michael: Lügenhafte Bilder. Ovids favole und das Historienbild in der italienischen Renaissance, Göttingen 2002. Vgl. für die Verwandlungsprozesse nur Casoni, Giulio: Della magia dell’Amore, Venedig 1596 (15911), fol. 17v.

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mische Ähnlichkeit zu ihrem eigenen erkennt, glaubt sie als vermeintlicher Mann, einen Gott vor sich zu haben, und wehrt sich vehement gegen die Einwände der sie begleitenden Höflinge, es handle sich offensichtlich um eine Göttin – da ja »zwischen diesem Abbild und einem Mann ein Unterschied von gut einer Handspanne Länge« bestehe.7 Der Vater klärt die Tochter daraufhin im Geheimen auf und überzeugt sie, in der Aussicht auf das Erbe des Königreichs weiterhin ihr Geschlecht verborgen zu halten. Im Folgenden zeigt sich die Macht der Liebe unter dem Verwirrspiel eines hermaphroditischen Hin und Hers der mal männlichen, mal weiblichen Verkleidungen. Der vermeintliche Prinz flirtet zum Schein mit einer unsterblich in ihn verliebten Herzogin. Die Verehrerin erzielt dabei aber keinen größeren Erfolg, als in ihrer Kammer ein Bildnis des Geliebten anzuschmachten und sich als »Bildanbeterin« zu beklagen.8 Wenn sie dem Liebesporträt dabei aufgrund der fehlenden, offenbar nicht mit dargestellten Hände die »Lebendigkeit« abspricht, so scheint dies darauf anzuspielen, dass der nächste Schritt in der Liebesabfolge – der linea Amoris – nicht erfolgen kann, da nach dem Entzünden des Liebesbegehrens durch den Blick die Berührung (und dann die Vereinigung) folgen müsse.9 Bezeichnenderweise wurde in der deutschsprachigen Bühnenadaptation dieses Stückes (anlässlich einer Fürstenhochzeit) durch Kaspar Stieler 1665 unter dem Titel Der vermeinte Printz die Komplexität und Sinnlichkeit des Bildeinsatzes wieder auf das Maß eines öffentlich vorführbaren Dekorums zurückgenommen: Aus dem Gemälde der schlafenden nackten Venus wurde Perseus, der Andromeda vor dem Seeungeheuer errettet.10 7 | Pallavicino 1656, S. 9f.: »[T]ra quel simulacro, & un’huomo, si trovava un buon palmo di differenza.« (Übersetzung U.P.) Zu dieser Passage siehe auch Loh, Maria: Titian Remade. Repetition and the Transformation of Early Modern Italian Art, Los Angeles 2007, S. 37, vgl. auch S. 137. 8 | Vgl. Pallavicino 1656, S. 19ff.: »Misera, ch’io sono (dicea trà se stessa) giunta al confinare la mia prosperità, ne’ delineati ristretti d’un volto effigiato! Dove hò io precipitata la mia generosità, nell’avvilirmi fatta idolatra d’una pittura: Perche hò io permesso, che mi sia involato ogni bene da una Imagine, la quale non hà mani, anzi non hà vita? [...]. Depositava l’anima sua in quelle adorate vaghezze. Godeva, mentre immobili davano segno di non ricusarla. Doleasi mentra senza indicij di vita mostravasi sepolcro, deposito solo di morti.« 9 | Vgl. die ausführliche zeitgenössische Zusammenfassung dazu von Kornmann, Heinrich: Linea Amoris, Frankfurt/M. 1610. 10 | Vgl. Stieler, Kaspar: Der Vermeinte Printz, Lustspiel, Rudolstadt 1665, S. 1f. Zu Andromeda, die von Perseus vor dem Meerungeheuer gerettet wird, vgl. ebd.,

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Im Grunde aber wird in beiden Stücken, bei Stieler wie Pallavicino, die entscheidende kulturelle Konditionierung der Geschlechtserkenntnis und Geschlechterrolle durch die Erziehung thematisiert. Einerseits verwechselt die nicht aufgeklärte Prinzessin vor dem Gemälde die nackten Tatsachen; andererseits schafft sie es durch Erziehung, den gesamten Hofstaat erfolgreich über ihr biologisches Geschlecht zu täuschen und also quasi intellektuell ihr Frau-Sein in ein Mann-Sein zu überführen (ein besseres Argument für die dignità delle donne dürfte sich kaum finden lassen).

VALENTIN S CHUMANNS N ACHTBÜCHLEIN (1559) Valentin Schumanns 1559 in Straßburg gedrucktes Nachtbüchlein zählt zu den zahlreichen und sehr beliebten, im Gefolge von Johann Paulis Schimpf und Ernst (zuerst 1522) erschienenen deutschsprachigen Sammlungen von kurzweilig-belehrenden Schwänken.11 Berichtet wird dort von einem Edelmann, der sich bei einem Augsburger Maler ein Holztäfelchen mit einem im Bett liegenden Frauenakt bemalen lässt. Nachdem der Auftraggeber das über mehrere Tage entstandene, mehrfach präzisierte Endergebnis eingehend begutachtet hat, zwingt er den Maler schließlich zu dessen größtem Erstaunen, alles wieder mit einem grünen Vorhang zu übermalen, sodass der Akt vollkommen und unwiderruflich verschwindet. Diese Erzählung dient als mahnendes Exempel dafür, welcher Unsinn durch die Verfügbarkeit von zu viel Geld entstehen kann. Dass in der Erzähllogik als Bildthema ein (vermutlich schlafender) weiblich-jugendlicher Akt gewählt wurde, dürfte weiterhin der Warnung dienen, dass auch voluptas, vanitas und acedia durch Überfluss von Geld bedient werden. S. 7. Ein Liebesbildnis, das sich eine Herzogin heimlich von einem Prinzen hat anfertigen lassen, beschreibt die Kammerzofe so: »Hier habe ich sein Konterfey bey dem Goldschmiede müssen abholen / der hat es in einen güldenen Rahmen gefasset. Gold stehet gleichwol alle wege fein / zu jüngst auch an den Bildern. Gewiß / es sieht wie ein Engelchen.« (Ebd., S. 13f.) Zum Liebesbildnis im Handschuh, zur Deutung insgesamt, vgl. Beise, Arnd: »Das Geschlecht, eine Frage der ›Gewohnheit‹ und ›Auferziehung‹. Gender-Inszenierung in Kaspar Stielers ›Der Vermeinte Printz‹ (1665)«, in: Zeitschrift für Germanistik 18 (2008), S. 512-529. 11 | Zu dieser Gattung siehe Bachorski, Hans-Jürgen: »Ein Diskurs vom Begehren und Versagen. Sexualität, Erotik und Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts«, in: Helga Sciurie/Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Eros – Macht – Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, Trier 1996, S. 305-342.

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Als ein offenbar wichtiges Detail des Gemäldes wird ein »fein zynen bruntzkächelin« – ein Nachtgeschirr aus Zinn zu Füßen des Bettkastens – hervorgehoben. Auf (tatsächlichen) Bildern des 16. Jahrhunderts findet sich eben ein solches Gefäß etwa unter dem Bett eines nackt schlafenden, sein Geschlecht einladend präsentierenden Mädchens, hinter dem freilich der geflügelte Knochenmann bereits die Todesstunde anzeigt: Barthel Beham und dann nach dessen Vorlage Hans Sebald Beham (dessen Version ist 1548 datiert) haben diese Bilderfindung in Kupfer gestochen (Abb. 2).

Abbildung 2: Hans Sebald Beham nach Bartel Beham, Schlafendes Mädchen und Tod, 1548 Die Spannung zwischen sexueller Attraktion und moralisch richtigem Verhalten angesichts der Vergänglichkeit allen irdischen Lebens (»O DIE STVND IST AVS«, lautet die Beischrift des Stiches) wird hier in nordalpiner Tradition überdeutlich gemacht.12 12 | Vgl. dazu Levy, Janey L.: »The Erotic Engravings of Sebald and Barthel Beham: A German Interpretation of a Renaissance Subject«, in: Stephen H. Goddard (Hg.), The World in Miniature. Engravings by the German Little Masters 1500-1550, Ausstellungskatalog Spencer Museum of Art – The University of Kansas, Lawrence 1988, S. 40-53; Borggrefe, Heiner: »Anatomie, Erotik, Dissimulation. Nackte Körper von Dürer, Baldung Grien und den Kleinmeistern«, in: Andreas Tacke/Stefan Heinz (Hg.), Menschenbilder. Beiträge zur Altdeutschen Kunst, Petersberg 2011, S. 33-55; Müller, Jürgen: Schlafende vom Tod überrascht, in: ders./Thomas Schauerte (Hg.), Die gottlosen Maler von Nürnberg. Konvention

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Die skizzierte Spannung zeigt sich dabei auch im Detail des Nachtgeschirrs, das über die ikonografischen Vanitas-Assoziationen der Körperausscheidungen hinaus als »Realismus-Insel« zugleich psychologische Implikationen transportiert haben dürfte, die die erotische Wirkung des Bildes steigerten: Das scheinbar nebensächlich-funktionale, der alltäglichen Erfahrung verpflichtete Detail unterstreicht die Lebensnähe und damit »reale« Präsenz und Verfügbarkeit der Nackten. Schließlich mag selbst der Umstand, dass der Maler nach den immer neuen Vorgaben des Edelmanns sechs Tage an dem Gemälde arbeitete, als Parodie des göttlichen Schöpfungsaktes aufgefasst worden sein. Der Text lässt sich versuchsweise noch intensiver auf die tatsächliche Kunstproduktion und -rezeption hin lesen: Demnach waren um die Mitte des 16. Jahrhunderts kleine Gemälde mit erotischen Aktdarstellungen im süddeutschen Raum nicht unbekannt, die privaten Auftraggeber zahlten dafür sogar fünf bis sechs Gulden. Diese Täfelchen sind heute zwar praktisch allesamt verloren, in der zeitgenössischen Grafik dürften sich aber Reflexe erhalten haben. Diese letztlich wohl immer auch italienischen Impulsen verpflichteten Gemälde konnten dann – wie südlich der Alpen auch – durch einen Stoffvorhang vor ungewollten Blicken abgeschirmt werden.13 Wobei sich dieses Verbergen und Verlagern des Erotischen in die Imagination des Betrachters als eine Form des ingeniösen Verhüllens in Nachfolge des Timanthes hätte verstehen lassen: Boccaccio, Sannazaro und andere beschrieben das Prinzip des bewussten visuellen Entzugs, der »visuellen Leerstelle« bestimmter erotischer weiblicher Körperteile, die durch die Aktivierung der Betrachterimagination den gesamten Akt nur umso attraktiver und lebensvoller erscheinen ließen.14 In unserem Schwank wäre dieses Vorgehen zur letzten Konsequenz radikalisiert: Hier ist überhaupt nichts mehr zu sehen. Ganz in diesem

und Subvention in der Druckgraphik der Beham-Brüder, Ausstellungskatalog Dürerhaus Nürnberg, Emsdetten 2001, S. 245 (Kat. 68). 13 | Für tatsächliche grüne Vorhänge vor erotischen Gemälden vgl. etwa Lill, Georg: Hans Fugger und die Kunst, Leipzig 1908. Auf Seite 146f. wird das Inventar von 1615 für Schloß Kirchheim mit vier Gemälden der Jahreszeiten mit nackten Frauen beschrieben: »4 schön gemahlte taflen von nackhenden bildern mit grien zindlen fürhängen an irem eysernen stenglin.« 14 | Vgl. etwa Boccaccio, Teseida, Chiosa VII 50, 471; Sannazaro, Arcadia, 3,23. Vgl. auch Simons, Patricia: »Anatomical Secrets. Pudenda and the Pudica Gesture«, in: Zeitensprünge 6 (2002) (Themenheft: Das Geheimnis am Beginn der europäischen Moderne, herausgegeben von Gisela Engel et al.), S. 302-327.

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Sinne eines gewitzten Parodierens von scheinbar besonderer Kunstliebe und Kunstkompetenz dürfte schließlich auch das Interesse des Auftraggebers an dem offenbar sehr genau wiedergegebenen »bruntzkächelin« sein. Solche in ihrer Materialität und Perspektive augentäuschend wiedergegebenen Gerätschaften wurden seit der ersten Generation der Altniederländer und dann mit neuer Intensität und theoretischer Konzeptualisierung um die Mitte des 16. Jahrhunderts als demonstrative »Kunststücke« geschätzt; sie finden sich etwa geradezu als Markenzeichen auf den Gemälden von Georg Pencz.15 Das Eigene von Schumanns Schwank zeigt sich jedoch am deutlichsten in der Gegenüberstellung mit einem früheren nordalpinen Text zur Wirkung von Darstellungen liegender, (halb-)nackter Frauen – mit Johann Stiegels lateinischem Nachruf auf den während einer Bolognareise früh verstorbenen Maler Hans Cranach (1537). Mit großer Wahrscheinlichkeit hat man sich die erwähnten simulacra in Form der von Hans Cranachs Vater Lukas erfundenen, liegenden Quellnymphen vorzustellen: »Einer der öfter gesehen der Camaena [d.h. Helena] ruhende Abbilder, / Welche mit göttlicher Kunst von Dir gemalt wurden, / Verweilte [vor diesen Bildern] liebend und zog aus dem Herzen die tiefsten der Seufzer; / Lieber, als das, was er war, wollte er Paris doch sein. / Ein anderer, wägend der Cypris Reiz oft zwinkernden Auges, / Sprach, Du besiegest auch heute, Venus, die beiden gewiß.« (Schuchardt 1851: 104)16

Imaginative Projektion und liebend-erotische Überwindung der Bildgrenzen sind auch hier zentral – allein bei Schumann aber verwandelt der 15 | Vgl. einen liegenden weiblichen Akt (Vanitas?) aus dem Jahr 1544, dazu Gmelin, Hans G.: »Georg Pencz Maler«, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3 (1966), S. 49-126, hier S. 86f. (Kat. 24). Vgl. zur Mimesis Hauschild, Stephanie: »Spiegelbild und Schatten. Bildnisse des Sebald Schirmer und des Jakob Hofmann von Georg Pencz«, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (2004), S. 105-114. Zum gelehrten Anspruch bei Aktdarstellungen siehe Leuker, Tobias: »Kleine Gabe, komplexe Widmung. Zu Titulus und Ikonographie von Georg Pencz’ Gemälde ›Venus und Amor‹«, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 66 (2005), S. 225-228. 16 | Schuchardt gibt Originaltext und deutsche Übersetzung, die hier leicht durch den Autor verändert wurde: »Saepe aliquis positae spectans simulacra Lacaenae, / Quam tua divina pinxerat arte manus: / Haesit amans, imoque trahens suspiria corde, / Tunc quoque quam quod erat, maluit esse Paris. / Saepe aliquis tremulis Venerem licitatus ocelis / Dixit, adhuc certe vincis utramque Venus.« Zur Deutung siehe Koepplin, Dieter/Falk, Tilman: Lukas Cranach, Basel/Stuttgart 1976, Bd. 2, S. 634f.

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Exklusivitätsanspruch des Auftraggebers, der abgesehen vom Maler als einziger das erotische Wunschbild sehen und vollkommen nach seinen Vorstellungen kontrollieren kann, dieses in eine Art Fetisch. Im Unterschied zu anderen Liebesfetischen jener Zeit, wie Haare, Kleidungsstücke oder Briefe, schafft sich der Auftraggeber hier freilich pygmaliongleich eine Kunstfrau, die er für immer den Hirnventrikeln seiner Imagination einverleibt und die doch zugleich sein Denken und Fühlen als idolum Amoris beherrscht.17 Nicht nur in den Texten nördlich der Alpen,18 sondern auch in einigen Bildern scheinen solche Gedanken vorbereitet: Holbein stellte um 1515 in einer Randzeichnung zu Erasmus’ Encomium Moriae – Stultitiae Laus den Apelles bei der Arbeit am Gemälde einer Venus dar (Abb. 3), obwohl davon im Text nicht die Rede ist. Die Passage behandelt den Umstand, dass viele Menschen allein aufgrund von Nichtwissen und eingebildetem Besitz (eben von vermeintlichen Meisterwerken des Apelles und Zeuxis) glücklich sind. Mehr als nur eine gelehrte Ergänzung aus Plinius (nat. hist. 35, 91f.) könnte die Marginalillustration ein präziser, weiterführender Kommentar zu dieser Form der Torheit sein.19 Denn zunächst einmal waren die beiden hochgerühmten Venusbilder des Apelles entweder beschädigt oder unfertig (dass Holbein seine Apellesvenus nur bis zu den Schienbeinen zeichnete, könnte darauf verweisen). Es handelte sich bei den Venusgemälden also zwar um Originale des Apelles, aber war ihre exorbitante Wertschätzung wirklich gerechtfertigt? Möglicherweise verfielen die Kunstliebhaber gar nicht allein der Malkunst, sondern auch den nackten Frauenkörpern und den durch die Bildwerke erzeugten Lüsten und Hoffnungen. Die Betrachter würden so

17 | Das Bildnis seiner Geliebten von der Hand Tizians bezeichnet etwa auch Giovanni Della Casa in Le Rime herausgegeben von Roberto Fedi, Rom 1978, Bd. 1, S. 37, Nr. 23 als »idolo mio«. Vgl. G. Casoni: Della Magia dell’amore, fol. 48r-v zum »idolo d’amata«. 18 | Zu einem hölzernen Ersatz-Ehemann von 1563 siehe Kirchhof, Hans Wilhelm: Wendunmuth, herausgegeben von Hermann Österley, 4. Bde., Tübingen 1869, Bd. 1, S. 388f. (I, 384); möglicherweise nach den antiken Erzählungen zu Laodamia, am ehesten bekannt durch Hyginus, Fabulae 104 oder Servius, ad Aen. 6, 447. 19 | Vgl. Müller, Christian: Öffentliche Kunstsammlung Basel – Kupferstichkabinett. Katalog der Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts. Teil 2A: Die Zeichnungen von Hans Holbein dem Jüngeren und Ambrosius Holbein, Basel 1996, S. 50-66; Bätschmann, Oskar/Griener, Pascal: Hans Holbein, Köln 1997, S. 13f.; Bätschmann, Oskar: Hans Holbein d.J., München 2010, S. 58f.

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Abbildung 3: Hans Holbein, Apelles malt eine Venus, 1515 – wie es Erasmus auch in den Parabolae formulierte – allein durch Einbildung und Augentäuschung beglückt und die Gemälde zu einer Art Idolverklärt. Die Randzeichnung spitzt demnach am Beispiel des erotisch verführenden Bildes die Torheit der nicht wissenden Betrachter und Besitzer, wie sie der Text allgemein anspricht, besonders zu. In diesem Horizont wird dann auch verständlich, warum 1539 Guillaume de la Perrière in seinem Theatre des Bons Engins die sprichwörtliche Warnung des Apelles »manum de tabula« – also: zum richtigen Zeitpunkt die Hände vom Werk zu nehmen und nicht durch übergroße Sorgfalt etwas wieder zunichte zu machen – durch einen Maler illustriert, der an einem ganzfigurigen weiblichen Aktbild arbeitet (Abb. 4).20

20 | Perrière, Guillaume de la: Le Theatre des Bons Engins, Paris 1539, Nr. 15.

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Abbildung 4: Guillaume de la Perrière, Le Theatre des Bons Engins, Paris 1539 Die Liebe des Malers zu seinem Werk, verstanden in Parallele zum Liebesbegehren zwischen Mann und Frau, ist hier so groß und töricht, dass er sich nicht rechtzeitig und rational kontrolliert davon lösen kann. Vor dem Horizont dieser vielfachen Apelles-Anspielungen ließe sich schließlich überlegen, ob nicht auch bei Schumanns Schwank das über ein Frauenbildnis definierte Verhältnis von Auftraggeber und Maler als satirische Inversion der Berichte über den zwischen Apelles und Alexander des Großen vereinbarten Austausch von Kampaspe und deren Bildnis verstanden werden kann.

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G IULIA B IGOLINAS L A U RANIA (1552) »Non si sa molto di Giulia Bigolina«, bekennt Valeria Finucci in der von ihr herausgegebenen Erstausgabe der Urania.21 Wohl um 1518/19 in Padua geboren, heiratete Bigolina 1534. Ihr Bruder ehelichte später eine der drei Töchter Sperone Speronis. Daneben stand sie auch in Kontakt mit Aretino, Tizian und Bernardino Scardeone. Sie starb vor dem Jahr 1569. Ihr Romanzo Urania ist im Originalmanuskript in Mailand erhalten, die 309 Seiten hat sie um 1552 niedergeschrieben. Der Text schwankt zwischen Unterhaltung und Ernst, er kombiniert verschiedene Liebesgeschichten und exempla mit Diskussionen zu Stellung und Geschlechterverhältnis von Mann und Frau, zu Fragen der Ehre und Tugend. In unserem Zusammenhang interessiert die ausführliche Erzählung von einer »wunderschönen Dame von zwanzig Jahren«, die »seit knapp einem Jahr (ohne ein Kind) Witwe« war.22 Ihr besonderes Vergnügen bestand in einer Porträtgalerie der »edlen Fürsten und Fürstinnen dieser Welt«, die ihr ein eigens angestellter Maler fertigte. Die Herzogin – so wird die Witwe nun angesprochen – versah die Bildnisse nach ihrem Rang mit unterschiedlichen Rahmen aus Gold, Elfenbein, Ebenholz und anderen und schmückte damit einen eigenen Raum aus. Als nun der Maler auf einer Reise, um neue Bildnisse anzufertigen, heimlich den Fürsten von Salerno – den schönsten Mann, den er je gesehen hat – porträtiert und seine Herrin dann dieses Konterfei sieht, verliebt sie sich unsterblich in den Dargestellten. Allein anders als bei Pygmalion, an den sie sich erinnert fühlt, belebt sich das Bildnis nicht, die Signora versinkt in tiefstem Liebesschmerz. Daraufhin ersinnt ihr getreuer alter Ratgeber einen Plan, um auch den Fürsten mithilfe eines Gemäldes in Liebe zu entflammen: Dieses Bild müsste das Urteil des Paris zeigen, wobei die Juno ein Porträt der Herzogin von Bourbon und die Minerva ein Porträt der Tochter des Königs von Polen sein sollte – beide als mit die schönsten Frauen ihrer Zeit gerühmt. Die halbnackte Liebesgöttin Venus aber, die bekanntlich den Siegespreis als die Schönste davon trug, sollte die Züge und Gestalt der verliebten Witwe erhalten – von deren körperlichen Vorzügen der Ratgeber mehrmals den verstorbenen Herzog hatte berichten hören. 21 | Vgl. Bigolina, Giulia: Urania, herausgegeben von Valeria Finucci, Rom 2002. Siehe auch Nissen, Christopher: »Subjects, Objects, Authors: The Portraiture of Women in Giulia Bigolina’s Urania«, in: Italian Culture 18 (2000), S. 15-31. 22 | Die folgende Geschichte und die Zitate daraus bei G. Bigolina: Urania, S. 139-151.

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Die Qualität des daraufhin ausgeführten Gemäldes erwies sich unmittelbar daran, dass selbst der Maler und der greise Ratgeber Mühe hatten, sich gegen seine erotischen Reize zu wappnen. Mit diesem Gemälde ging der Maler dann an den Hof des Fürsten von Salerno, um ihn einerseits zu bitten, sich als Modell für den Paris zur Verfügung zu stellen, und andererseits eine neugierig machende Geschichte über das Modell für die Venus zu erzählen, deren Namen er nicht enthüllen dürfe. Der Fürst von Salerno verliebte sich beim Anblick des Gemäldes wie erhofft, und nach einigem Hin und Her fanden die beiden zunächst nur in ihre jeweiligen Bildnisse Verliebten tatsächlich zusammen. Einzelne Motive dieser Erzählung sind aus anderen Zusammenhängen bekannt: vor allem das »geraubte Bildnis«, mit dem alles beginnt, und dann das Entzünden der Liebe allein durch den Anblick eines gemalten Konterfeis.23 Auch benutzten Männer wie Frauen gleichermaßen Bilder als erotische Stimulanz wie als Trostmittel.24 In einer Geschichte seiner 1513 in Venedig veröffentlichten Selvette erzählt etwa Niccolò Liburnio von einer fiktiven Gerichtsverhandlung um die der Untreue angeklagte Ehegattin Cleopatra.25 Diese scheint dadurch überführt, dass sie ein Gemälde (von der Hand Giovanni Bellinis) vermeintlich von sich und ihrem Geliebten besitzt, der sie umarmt und mit einer Hand ihre nackte rechte Brust liebkost. Gerade diese öffentlich gemachte Geste des Begehrens wird als besonders dreister Dekorumverstoß angeprangert. Allerdings gelingt es erstaunlicherweise dem Verteidiger, den scheinbar erdrückenden Beweis mit dem Hinweis auf die »Freiheit«

23 | Vgl. etwa ein Gedicht Pietro Aretinos von 1542 auf das Bildnis der Geliebten des Diego Urtado de Mendoza von der Hand Tizians (Rogers, Mary: »Sonnets of Female Portraits from Renaissance North Italy«, in: Word & Image 2 (1986), S. 291-305, hier S. 303). Spätere Beispiele bei Sickel, Lothar/Maccarani, Laura: »Una dama ammirata dal cardinale Odoardo Farnese e il suo ritratto rubato commissionato da Melchiore Crescenzi«, in: Renata Ago et al. (Hg.), La Trinitédes-Monts dans la »République romaine des sciences et des arts« (= Mélanges de l’École Française de Rome. Italie et Méditerranée, Bd. 117), Rom 2005, S. 331-350. 24 | Vgl. Matthews-Grieco, Sara (Hg.): Erotic Cultures of Renaissance Italy, Farnham/Burlington 2010; Dal Pozzolo, Enrico M.: Colori d’Amore. Parole, gesti e carezze nella pittura veneziana del Cinquecento, Treviso 2008; Pfisterer, Ulrich: »Freundschaftsbilder – Liebesbilder. Zum visuellen Code männlicher Passionen in der Renaissance«, in: Sibylle Appuhn-Radtke/Esther Wipfler (Hg.), Freundschaft. Motive und Bedeutungen, München 2006, S. 239-259. 25 | Liburnio, Niccolò: Le selvette, Venedig 1513, fol. 69v. Vgl. dazu Roman d’Elia, Una: «Niccolò Liburnio on the Boundaries of Portraiture in the Early Cinquecento«, in: Sixteenth-Century Studies 37 (2006), S. 323-350.

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von Malern und Dichtern, deren Fiktionen nicht die Lebenswirklichkeit widerspiegeln würden, gänzlich zu entkräften. Das spricht dafür, die Erzählung in dem Sinne zu verstehen, dass das Gemälde in der Vorstellung von Autor und Leser nicht zwingend tatsächliche Porträts zeigt, sondern sich im Grenzbereich zu einem in den Jahren um und nach 1500 aktuellen idealisierten Bildtypus bewegte (Abb. 5). Der Bezug auf ein konkretes Liebespaar wäre dadurch schon für die zeitgenössischen Betrachter nur zu vermuten gewesen – der Besitz eines solchen Bildes jedenfalls kein sicherer Beweis für eine Tat.

Abbildung 5: Bernardino Licinio (Umkreis/nach), Liebespaar und Begleiter, um 1520 Ähnlich unbestimmt wird man sich auch die Wirkung von Uranias Urteil des Paris und von anderen, tatsächlichen mythologisch-erotischen Gemälden vorstellen dürfen: Die Wahrnehmung hätte schon bei zeitgenössischen Betrachtern zwischen idealisierten nackten Körpern und porträthaften Gesichtszügen geschwankt. Möglicherweise hätte überhaupt erst ein begleitender Kommentar – wie ihn in der Urania der Maler beisteuert –

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in der Imagination der Rezipienten Wunschbilder oder erhoffte Bezüge zu tatsächlichen Personen evoziert. Kaum anders als in diesem Horizont der Allusion und Ambiguität ist jedenfalls selbst in der Erzählfiktion denkbar, wie sich eine tugendhafte Witwe ansonsten als nackte Liebesgöttin hätte präsentieren können. Alle drei Texte erweitern in ganz unterschiedliche Richtungen das Spektrum der bisherigen Interpretationsvorschläge zu profanen weiblichen Aktdarstellungen der Frühen Neuzeit. Diese lassen sich letztlich sechs prinzipiellen Deutungsansätzen zuordnen (auf den Einsatz religiöser Bilderotik kann hier nicht ausführlich eingegangen werden26). 1. Die Darstellung nackter weiblicher Körper kann durch mythologische (Venus, Diana, Nymphen etc.) oder profan-historische Ereignisse (Lukrezia etc.) sowie durch Personifikationen (Natura, nuda Veritas etc.) gefordert und legitimiert sein. Dies gilt etwa auch für den Holzschnitt der liegenden Nympha in der 1499 publizierten Hypnerotomachia Poliphili, die vielfach an den Anfang der venezianischen Darstellungs-tradition liegender Frauenakte gesetzt wird (ein antikes Beispiel für eine solche halbnackt Schlummernde liefert die Statue der schlafenden Kleopatra im vatikanischen Belvedere). Allerdings trifft nicht zu – wie oft behauptet –, dass es keine vorausgehenden Textzeugnisse für eine liegende, schlafende Venus gäbe (sondern nur nackte schlafende Personen in Novellen und Schwänken, wie Boccaccios Efigenia).27 Bereits Claudian beschreibt, wie sich die nackte Venus eines Tages in der Mittagshitze in eine von Weinreben überwucherte Höhle zurückzieht, wo sie der Schlaf übermannt.28 26 | Vgl. Gaston, Robert W.: »Sacred Erotica: The Classical figura in Religious Painting of the Early Cinquecento«, in: Journal of the Classical Tradition 2 (1995), S. 238-264; Nova, Alessandro: »Erotismo e spiritualità nella pittura romana del Cinquecento«, in: Catherine Monbeig Goguel et al. (Hg.), Francesco Salviati e la bella maniera, Rom 2001, S. 149-169. 27 | Vgl. Meiss, Millard: »Sleep in Venice. Ancient Myths and Renaissance Proclivities«, in: Proceedings of the American Philosophical Society 110 (1966), S. 348-382. Bemerkenswerterweise wird diese These ausgerechnet auch im Zusammenhang mit Boccaccio vertreten; siehe Branca, Vittore: »Interespressività narrativo-figurativa: Efigenia, Venere e il tema della ›nuda‹ fra Boccaccio e Botticelli e la pittura veneziana del Rinascimento«, in: Jean-Pierre Babelon et al. (Hg.), »Il se rendit en Italie«. Etudes offertes à André Chastel, Rom/Paris 1987, S. 57-65. Eine aktuelle Diskussion der Forschungsansätze bei P. Lüdemann: Virtus und Voluptas. 28 | Vgl. Claudian, 25. Epithalamium Paladii et Celerinae, vv. 1-7; auf diese Stelle verweist Wind, Geraldine Dunphy: »Annibale Carracci’s Sleeping Venus: A Source in Claudian«, in: Source 10 (1991), S. 37ff.

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In Boccaccios Elegia di Madonna Fiametta rühmt dann die Protagonistin die Wirkung der Bäder von Baiae (am Meeresstrand, als dem Geburtsort der Göttin Venus gelegen), mit ihren vielen jungen Menschen, dem guten Essen und dem Wein als »in der Lage, nicht nur die schlafende Venus zu erwecken, sondern jeden Menschen vom Tod wiederzubeleben«.29 Auch wenn die Rede von der »dormente Venere« metaphorisch für erwachende Liebe und körperliches Verlangen zu verstehen ist, so bleibt doch auch in diesem Kontext die erste Verständnisebene eindeutig auf die antike Liebesgöttin gerichtet. Genau der hier beschriebene Effekt kann im Übrigen anstatt durch Bad, Nahrung und Wein offenbar auch durch das Betrachten von Gemälden hervorgerufen werden. So formuliert es Ludovico Dolce über Tizians Venus und Adonis für Philipp II.: »Ich schwöre […], daß niemand von noch so scharfem Blick und Urteil nicht bezeugt hätte, daß man diese [Figuren] beim Ansehen nicht für lebendig halten würde; niemand, und sei er noch so abgekühlt durch das Alter oder durch seine harte Komplexion, der nicht sein Blut in den Adern erwärmt, erweicht und in Wallung gebracht fühlte.« (Bottari/Ticozzi 1822: 381)30

29 | Boccaccio, Giovanni: »Elegia di Madonna Fiametta«, herausgegeben von Carlo Delcorno, in: Vittore Branca (Hg.), Tutte le opere di Giovanni Boccaccio, Bd. 5, Verona 1994, S. 1-412, hier S. 99 (V, 17): »Quanto contraria medicina operava il mio marito alle mie doglie [malinconia]! Quivi [in Baiae], posto che i langori corporali molto si curino, rade volte o non mai vi s’andò con mente sana, che con sana mente se ne tornasse; non che le inferme sanità v’Acquistassero! E in verità di ciò non è maraviglia, ché il sito vicino alle marine onde, luogo natale di Venere, che il déa, o il tempo nel quale egli più s’usa, cioè nella primavera, sì come a quelle cose più atto che il faccia, non so; ma per quello che già molte volte a me paruto ne sia, quivi eziando le più oneste donne posposta alquanto la donnesca vergogna, più licenzia in qualunque cosa mi pareva si convenisse che ’n altra parte; né io sola di cotale oppinione sono, ma quasi tutti quelli che già vi sono costumati. Quivi la maggiore parte del tempo ozioso trapassa, e qualora più è messo in essercizio, si è in amorosi ragionamenti, o le donne per sé, o mescolate co’ giovani; quivi non s’usano vivande se non dilicate, e vini per antichità nobilissimi, possenti non che ad eccitare la dormente Venere, ma a risuscitare la morte in ciascuno uomo.« 30 | Hier Dolce an Alessandro Contarini über Tizians Venus und Adonis: »Vi giuro, signor mio, che non si trova uomo tanto acuto di vista e di giudicio, che veggendola non la creda viva; niuno così raffreddato dagli anni, o sì duro di complessione, che non si senta riscaldare, intenerire e commuoversi nelle vene tutto di sangue.« (Übersetzung U.P.). Vgl. zu dieser Passage etwa Ginzburg, Carlo: »Tiziano, Ovidio e i codici della figurazione erotica nel ’500«, in: Tiziano e Venezia. Convegno internazionale di studi, Vicenza 1980, S. 125-135, hier S. 128.

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Diese erotische Attraktion gehört zwingend zum Wesen der antiken Liebesgöttin und scheint daher durch die »Bildaufgabe« gefordert. Dass gerade bei Tizian der Grad sexueller Stimulanz aber nicht einzig vom Thema diktiert wurde, belegt der nicht minder bekannte Brief Dolces zu Tizians Danae für Philipp II., in dem der nackten Geliebten Jupiters auf diesem Gemälde attestiert wird, im Vergleich mit ihr sei die Venus von Urbino eine Kartäusernonne.31 2. Wenn das Thema nur mehr zur vordergründigen Rechtfertigung für den lustvollen Blick auf den weiblichen Akt dient oder wenn ganz darauf verzichtet wird (in Giulio Romanos und Marcantonio Raimondis I Modi), lassen sich frühneuzeitliche Aktdarstellungen als Pin-ups oder gar Frühformen der Pornografie verstehen.32 Als antikes Vorbild hätte das angebliche Blumenmädchen bzw. die Kurtisane Flora und ihr Bildnis dienen können.33 Aretino beschreibt, wie Frauen mehr oder weniger vorsätzlich Haltungen antiker erotischer Bildwerke einnehmen: »[S]i gettò nel letto signorilmente fornito, e spogliatasi tutta ignuda, faceva mostra del più bel proporzionato corpo che mai si vedesse in qual si voglia donna; ella, postasi una delle mani sul fiore guastatole da quel primo che le preruppe il verginal sigillo, si recò l’altra sotto la guancia nell’atto che si scorge un alcune Cleopatre di marmo pario«. (Zit. nach Borggrefe 2006: 406)34

3. Der finanzielle Aufwand, die Qualität und häufig die Größe der Aktgemälde, die stolze Präsentation durch ihre Besitzer, aber auch ein in der Renaissance teils grundlegend anderes Verständnis von Erotik und Sexualität sprechen freilich gegen eine ausschließliche Deutung als Pinups. Wenn »Potenz« als Ausweis von Männlichkeit, wenn schöne Frauen als Zierde für Männer verstanden wurden und wenn das Imitieren an31 | Vgl. dazu Hope, Charles: »Problems of Interpretation in Titian’s Erotic Paintings«, in: Tiziano e Venezia. Convegno internazionale di studi, Vicenza 1980, S. 111-124. 32 | Vgl. dazu Findlen, Paula: Humanismus, Politik und Pornographie im Italien der Renaissance, in: Hunt, Lynn (Hg.), Die Erfindung der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Frankfurt/M. 1994, S. 44-114; Talvacchia, Bette: Taking Positions. On the Erotic in Renaissance Culture, Princeton 1999. 33 | Vgl. Held, Julius: »Flora, Goddess and Courtesan«, in: Millard Meiss (Hg.), De artibus opsucula XL. Essays in Honour of Erwin Panofsky, New York, Bd. 1, S. 201-218, Bd. 2, S. 69-74, sowie C. Hope: Problems of Interpretation in Titian’s Erotic Paintings. 34 | So Aretino in seiner Vita di S. Tomaso d’Aquino zu einer Verführerin des Heiligen.

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tiker Vorbilder (im Umgang mit Geliebten und Hetären) als Beleg von Bildung galt, dann können der Umgang mit cortigiane oneste und repräsentative Darstellungen, die auf eine Liebesbeziehung zu diesen Frauen verweisen, sozialen Status bezeugen. 4. Die radikale Alternative zu den beiden letzten Deutungsansätzen stellt der jüngst nochmals umfassend ausgearbeitete Vorschlag dar, einen Großteil der Aktdarstellungen als Liebesbilder, Hochzeitsallegorien oder in diesem Kontext veranlasste Tugendmodelle und -appelle für zukünftige oder aktuelle Ehefrauen zu sehen.35 Eine ganze Reihe von Bildelementen lassen sich in diesem Horizont aus der Tradition antiker Epithalamia heraus verstehen. Die entscheidende Voraussetzung bestünde darin, dass in der Renaissance Sexualität bzw. voluptas (auch aufseiten der Frau) als unverzichtbarer Bestandteil einer guten Ehe erkannt wurde. Intention dieser Darstellungen sei daher, ohne falsche Scham die ideale Verbindung, aber eben auch die unterschiedlichen Herausforderungen von Tugend und Lust vorzuführen. Im Übrigen könne sich das Sehen schöner, erotischer Bilder am Ehebett positiv auf Empfängnis und Geburt schöner Kinder auswirken.36 5. Eine noch weiter gehende Idealisierung und tugendhafte Vergeistigung postulieren neoplatonische Deutungsvorschläge im Gefolge Erwin Panofskys, die einerseits für sehr viele Bilddetails Erklärungen bereithalten, andererseits aber häufig einigermaßen blind für die Sinnlichkeit und Körperaspekte der Darstellungen scheinen. 6. Schließlich lassen sich alle diese Ansätze auch mit Überlegungen zu künstlerischer Selbstreflexivität verbinden – wenn diese nicht sogar als primäres Movens für einige der Bilder verstanden werden darf: Weibliche Schönheit fungiert in dieser Sicht als Synekdoche für künstlerische Schönheit und »Liebe zur Kunst«. Auch die Bildmedien, die künstlerischen Mittel und Stilelemente können mit Genderassoziationen versehen werden.37 Die erotisch-sexuelle Attraktion der Werke bezeugt die künstlerische Wirkkraft und teils als paragonales Argument sogar die Über35 | Vgl. P. Lüdemann: Virtus und Voluptas. 36 | Vgl. etwa Bell, Rudolph M.: How to Do It. Guides to Good Living for Renaissance Italians, Chicago/London 1999. 37 | Vgl. dazu nur Summers, David: Form and Gender, in: Norman Bryson (Hg.), Visual Culture. Images and Interpretations, Hanover u.a. 1994, S. 384-411; Jacobs, Fredrika H.: Aretino and Michelangelo, Dolce and Titian: Femmina, Masculo, Grazia, in: Art Bulletin 82 (2000), S. 51-67; dies.: Leonardo, grazia, and the gendering of style, in: Claire Farago (Hg.), Leonardo da Vinci and the Ethics of Style, Manchester u.a. 2008, S. 119-145.

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legenheit der Bilder über die Texte. Tizians Serie Venus und Orgelspieler etwa lässt sich so als Variation einer Malereiallegorie deuten.38 Wohl nicht zufällig beschreibt auch Antonio Persio 1576 just Tizians Konzentration und Versenkung im Malakt explizit in Analogie zum Liebesakt und dessen »belebender Wirkung« für das »Werkkind«.39 Alle diese Deutungsansätze benennen Wichtiges und spielen bei den hier vorgestellten Texten unterschiedliche Rollen. Aber sie alle sind in gewisser Weise auch »statisch« und reichen nicht aus, das hier entwickelte »hermaphroditische Potential« der Bilder, ihrer Betrachtung und Funktionen, umfassend in den Griff zu bekommen. Die hier vorgestellten Texte fordern dazu auf, nicht nur nach männlichem Blick und männlichem Begehren angesichts des weiblichen Körpers zu fragen, sondern viel häufiger auch nach weiblichen Absichten und Reaktionen – wobei die Geschlechtergrenzen fließend und kulturell konditionierbar erscheinen. Zudem wäre idealerweise nach Alter, nach sexuell »wissenden« und »unwissenden«, männlichen, weiblichen und »hermaphroditischen« Betrachtergruppen zu differenzieren. Alle diese Personen können offenbar erotische Liebesbilder in Auftrag geben oder zumindest zu ihren Zwecken einsetzen. Das Verwendungsspektrum dieser Darstellungen scheint dabei potenziell unbegrenzt – von der Repräsentation zur sexuellen Stimulation, vom Geschenk zum Fetisch, vom Tugendappell zum Objekt sexueller Aufklärung. Zudem erinnert vor allem Pallavicinos Principe Hermafrodito daran, dass selbst das gleiche Bild von ein und demselben Betrachter 38 | Zu diesem Thema siehe etwa Althoff, Gabrielle: Weiblichkeit als Kunst. Die Geschichte eines kulturellen Deutungsmusters, Stuttgart 1991; Ruvoldt, Maria: The Italien Renaissance Imagery of Inspiration. Metaphors of Sex, Sleep, and Dreams, Cambridge u.a. 2004; Pfisterer, Ulrich: »Zeugung der Idee – Schwangerschaft des Geistes. Sexualisierte Metaphern und Theorien zur Werkgenese in der Renaissance«, in: Ders./Anja Zimmermann (Hg.), Animationen/Transgressionen. Das Kunstwerk als Lebewesen (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 4), Berlin 2005, S. 41-72; Begemann, Christian: »Gebären«, in: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, S. 121-134; zusammenfassend Pfisterer, Ulrich: »Kunst-Liebe | Liebes-Kunst«, in: Kirsten Dickhaut (Hg.), Handbuch der Liebessemantik, Wiesbaden 2011. Zu Tizian siehe Pardo, Mary: »Artifice as Seduction in Titian«, in: James G. Turner (Hg.), Sexuality and Gender in Early Modern Europe. Institutions, Texts, Images, Cambridge u.a. 1993, S. 55-89; Suthor, Nicola: Augenlust bei Tizian. Zur Konzeption sensueller Malerei in der Frühen Neuzeit, München 2004. 39 | Vgl. Persio, Antonio: Trattato dell’ingegno dell’huomo, herausgegeben von Luciano Artese, Pisa/Rom 1999, 69f.; auf diese Stelle verweist erstmals Hope, Charles: Titian, London 1980, S. 169f.

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bzw. ein und derselben Betrachterin in unterschiedlichen Kontexten anders wahrgenommen werden konnte. Lodovico Castelvetro schließlich erinnert in seinem Aristoteleskommentar (1567) an weitere Herausforderungen, wie die Unterschiede von »eindeutigem« und »verhülltem« Darstellen und von privatem und öffentlichem Betrachten: »Zur vierten und letzten Art von angenehmen Dingen, die zum Lachen reizen, zählen alle Dinge, die mit der Fleischeslust zusammenhängen, wie die Schamteile, die lüsternen Vereinigungen, die Erinnerungszeichen und die Gleichnisse dafür. Zu beachten ist jedoch, daß diese besagten Dinge uns dann nicht zum Lachen bringen, wenn sie offen den Augen oder der Vorstellungskraft präsentiert werden, während wir in Gesellschaft anderer Personen sind – dann erzeugen sie Scham und lassen uns erröten«. (Castelvetro 1570: fol. 54r-v)40

Der daraus abgeleitete Rat für Erotik und Sexualität bringt zugleich nochmals eine Hauptschwierigkeit heutiger kunsthistorischer Deutungsanstrengungen von Bildbegehren und Texterotik gleichermaßen auf den Punkt: »Coperta in moltitudine. Scoperta in solitudine.«41

L ITERATUR Althoff, Gabrielle: Weiblichkeit als Kunst. Die Geschichte eines kulturellen Deutungsmusters, Stuttgart 1991. Bachorski, Hans-Jürgen: »Ein Diskurs vom Begehren und Versagen. Sexualität, Erotik und Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts«, in: Helga Sciurie/Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Eros – Macht – Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, Trier 1996, S. 305-342. Bätschmann, Oskar: Hans Holbein d.J., München 2010. Bätschmann, Oskar/Griener, Pascal: Hans Holbein, Köln 1997. Begemann, Christian: »Gebären«, in: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, S. 121-134.

40 | Übersetzung U.P. Auf diese Passage verweist auch Fusenig, Thomas: Liebe, Laster und Gelächter. Komödienhafte Bilder in der italienischen Malerei im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, Bonn 1997, S. 191. 41 | L. Castelvetro: Poetica d’Aristotele, fol. 54v.

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Beise, Arnd: »Das Geschlecht, eine Frage der ›Gewohnheit‹ und ›Auferziehung‹. Gender-Inszenierung in Kaspar Stielers ›Der Vermeinte Printz‹ (1665)«, in: Zeitschrift für Germanistik 18 (2008), S. 512-529. Bell, Rudolph M.: How to Do It. Guides to Good Living for Renaissance Italians, Chicago/London 1999. Bettini, Maurizio: Il ritratto dell’amante, Turin 1992. Bigolina, Giulia: Urania, herausgegeben von Valeria Finucci, Rom 2002. Boccaccio, Giovanni: »Elegia di Madonna Fiametta«, herausgegeben von Carlo Delcorno, in: Vittore Branca (Hg.), Tutte le opere di Giovanni Boccaccio, Bd. 5, Verona 1994, S. 1-412. Borggrefe, Heiner: »Anatomie, Erotik, Dissimulation. Nackte Körper von Dürer, Baldung Grien und den Kleinmeistern«, in: Andreas Tacke/Stefan Heinz (Hg.), Menschenbilder. Beiträge zur Altdeutschen Kunst, Petersberg 2011, S. 33-55. Borggrefe, Heiner: »Tizians ruhende Göttinnen und Dienerinnen der Liebe«, in: Andreas Tacke (Hg.), »… wir wollen der Liebe Raum geben«. Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen 2006, S. 393-421. Bottari, Giovanni/Ticozzi, Stefano (Hg.): Raccolta di lettere sulla pittura, scultura ed architettura, Bd. 3, Mailand 1822. Branca, Vittore: »Interespressività narrativo-figurativa: Efigenia, Venere e il tema della ›nuda‹ fra Boccaccio e Botticelli e la pittura veneziana del Rinascimento«, in: Jean-Pierre Babelon et al. (Hg.), »Il se rendit en Italie«. Etudes offertes à André Chastel, Rom/Paris 1987, S. 57-65. Brejon de Lavergnée, Arnauld/Volle, Nathalie: Musées de France. Répertoire des peintures italiennes du XVIIe siècle, Paris 1988. Casa, Giovanni Della: Le Rime, hg. von Roberto Fedi, 2 Bde., Rom 1978. Casoni, Giulio: Della magia dell’Amore, Venedig 1596 (15911). Castelvetro, Lodovico: Poetica d’Aristotele vulgarizzata, Wien 1570. Coci, Laura: »Bibliografia di Ferrante Pallavicino«, in: Studi secenteschi 24 (1983), S. 221-306. Dal Pozzolo, Enrico M.: Colori d’Amore. Parole, gesti e carezze nella pittura veneziana del Cinquecento, Treviso 2008. Daston, Lorraine/Park, Katherine: »The Hermaphrodite and the Orders of Nature: Sexual Ambiguity in Early Modern France«, in: Louise Fradenberg/Carla Freccero (Hg.), Premodern Sexualities, New York 1996, S. 117-136. Findlen, Paula: »Humanismus, Politik und Pornographie im Italien der Renaissance«, in: Lynn Hunt (Hg.), Die Erfindung der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Frankfurt/M. 1994, S. 44-114.

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Geschlechternorm und Liebesdiskurs aus weiblicher Sicht Tullia d’Aragona, Louise Labé und Gaspara Stampa SILKE S EGLER-MESSNER

I. D IE A MBIGUITÄT WEIBLICHEN S CHREIBENS IN DER R ENAISSANCE In dem Widmungsschreiben an Clemence de Bourges evoziert Louise Labé gleich zu Beginn ihres Werkes die Geschlechterdifferenz als konstitutiven Bestandteil der frühneuzeitlichen Ordovorstellung. Sie stellt heraus, dass endlich die Zeit weiblicher Selbstbestimmung gekommen sei, die es den Frauen ermöglicht, sich zu bilden und den schönen Künsten zu widmen.1 Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, dem Zeitpunkt der Datierung ihres Eröffnungsbriefes, haben männliche Gesetze den Zugang des weiblichen Geschlechts zu Studien verhindert. Nun werden die Frauen nicht nur als Gegenstand der Sorge entdeckt, wie die zahlreichen Traktate zu ihrer Erziehung und zu ihrem tugendhaften Wesen belegen, sondern sie ergreifen selbst das Wort.2 In Labés feministischem Appell an die Lyoneser Damen ermuntert sie die weibliche Elite, sich die »sciences

1 | Vgl. Labé, Louise: Œuvres complètes, Paris 2004, S. 41: »Estant le tems venu, Mademoiselle, que les severes loix des hommes n’empeschent plus les femmes de s’apliquer aus sciences et disciplines.« 2 | Vgl. Segler-Meßner, Silke: »Von der Entdeckung der Selbstbestimmung zur Diskussion über die Stellung der Frau: der Wandel der Geschlechterbeziehungen in der italienischen Renaissance«, in: Anne-Marie Bonnet/Barbara Schellewald (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln 2004, S. 7-35.

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et disciplines«3 als Bereich einer bislang unmöglichen Selbsterfahrung anzueignen. Ziel sei es, das männliche Vorurteil eines fehlenden weiblichen Denk- und Reflexionsvermögens zu widerlegen. Insbesondere privilegierte Frauen, wie die Lyoneser Damen, sollten als weibliches Vorbild fungieren, indem sie den intellektuellen Freiraum nutzen, der ihnen nun offen steht.4 Auch wenn der kämpferische Gestus Labés von einer Veränderung der existierenden patriarchalen Ordnung kündet, lässt sie im Folgenden keinen Zweifel daran, dass die avisierte Emanzipation keine Inversion der real existierenden Machtverhältnisse impliziert, sondern in erster Linie auf eine intellektuelle Partizipation an dem kulturellen Leben der Zeit zielt. Bildung, Ruhm und Schreiben substituieren den traditionellen Schmuck der Frauen, der für eine Konditionierung des weiblichen Schönheitsideals durch den männlichen Blick steht: »Et si quelcune parvient en tel degré, que de pouvoir mettre ses concepcions par esrit, le faire songneusement et non dédaigner la gloire, et s’en parer plustot que de chaines, anneaus, et somptueus habits: lesquels ne pouvons vrayement estimer notres, que par usage.« (Labé 2004: 41) Die äußere Zierde des weiblichen Körpers, die »chaines, anneaus et somptueus habits«, weist ihn als Objekt komplexer sozialer Regulierungsmechanismen und geschlechtsspezifischer Zuschreibungen aus. Die Ketten können als Zeichen des Wohlstands und zugleich der Knechtschaft gedeutet werden. Die Ringe evozieren Liebesbeweise und gegebene Versprechen, aber auch die Pflichten der Ehe, die in der Renaissance mit der rückhaltlosen Anerkennung männlicher Autorität und der Aufgabe weiblicher Studien einherging. Die schönen, luxuriösen Kleider schließlich verweisen auf den sozialen Stand und ebenso auf den Objektstatus der Frau, die von den Männern bewundert und gleichzeitig in Analogie zu dem teleologischen Männlichkeitskonzept der Frühen Neuzeit auf ihr defizitäres Wesen festgelegt wird. Während die äußere Erscheinung der Frau durch Konventionen und Zwänge determiniert ist, die sowohl auf die grundsätzliche Fremdheit des weiblichen Körpers als auch auf das entfremdete Verhältnis des weiblichen Geschlechts zu sich selbst verweisen, eröffnet das Schreiben, wie Labé klar darlegt, einen Raum der Selbstinszenierung, in dem alterna3 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 41. 4 | Vgl. ebd.: »[I]l me semble que celles [= Dames lyonnaises] qui ont la commodité, doivent employer cette honneste liberté que notre sexe ha autre fois tant desiree, à icelles aprendrer: et montrer aus hommes le tort qu’il nous faisoient en nous privant du bien et de l’honneur qui nous en pouvoit venir.«

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tive Rollenmuster erprobt werden können. Mehrere Faktoren haben den Zugang der Frauen zur Schrift in der Renaissance begünstigt, wie die einschlägige Forschungsliteratur herausgestellt hat.5 Neben der fortschreitenden Alphabetisierung und der Aufwertung der sozial-kulturellen Rolle der Frau in der Traktatliteratur und der höfischen Konversation entdecken zahlreiche Verleger, allen voran Gabrielle Giolito, die Frauenliteratur als Gegenstand der Vermarktung, der einer veränderten Erwartungshaltung des Publikums entspricht und zugleich neue Bedürfnisse zu wecken sucht.6 Die zahlreichen Auflagen der Rime Vittoria Colonnas und Laura Terracinas belegen eindrücklich das wachsende Interesse an den Texten von Frauen, denen sogar eigene Anthologien gewidmet werden.7 Ein weiterer zentraler Aspekt, der das Schreiben der Frauen begünstigte, ist die allmähliche Durchsetzung des volgare, das mit dem Aufkommen neuer literarischer Strömungen wie dem petrarkistischen Diskurs assoziiert wird.8 Bereits in Labés Widmungsschreiben zeigt sich, dass eine umfassende Bildung die Voraussetzung literarischer Tätigkeit bildet und auf die Frauen aristokratischer oder bürgerlich-patrizischer Provenienz beschränkt bleibt.9 Darüber hinaus erweist sich das Sprechen über die Liebe als zentrales Sujet weiblichen Dichtens – in dem Widmungsschreiben Labés werden die »plaisir des sentiments« und die »voluptez«10 als Inhalte des Schreibens genannt –, was unter anderem auf die sich ausbreitende Kultur der ragionamenti d’amore zurückzuführen ist. »Das Sprechen über die Liebe wird zum Gesellschaftsspiel, das Dichten zum Kommunikati-

5 | Vgl. Marx, Barbara: »Fremdsprache und Eigenerzählung. Literatur von Frauen in der italienischen und französischen Renaissance«, in: Hiltrud Gnüg/Renate Möhrmann (Hg.), Frauen – Literatur – Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992, S. 35-57. 6 | Vgl. Chemello, Adriana: »La donna, il modello, l’immaginario: Moderata Fonte e Lucrezia Marinella«, in: Marina Zancan (Hg.), Nel cerchio della luna. Figure di donna in alcuni testi del XVI secolo, Venedig 1983, S. 95-170, hier: S. 98, und Panizza, Letizia (Hg.): A history of women’s writing in Italy, Cambridge 2000, S. 3. 7 | Vgl. Domenichi, Lodovico: Rime diverse d’alcune Nobilissime e Virtuosissime Donne, Lucca 1559. 8 | Vgl. Dionisotti, Carlo: Geografia e storia della letteratura italiana, Turin 1967, S. 233. 9 | Vgl. King, Margaret L.: »Die Frau«, in: Eugenio Garin (Hg.), Der Mensch in der Renaissance, Frankfurt a. M. 1996, S. 282-340 und Tiller, Elisabeth: Frau im Spiegel: Die Selben und die Andere zwischen Welt und Text. Von Herren, Fremden und Frauen, ein 16. Jahrhundert, Bd 2, Frankfurt a. M. 1996. 10 | L. Labé: Œuvres complètes, S. 42.

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onsmittel«, wie Ulrike Schneider (2007: 103) in ihrer Untersuchung zum weiblichen Petrarkismus feststellt. Die Trennung zwischen dem Reden über die Liebe und der Liebe selbst bildet die entscheidende Prämisse für die Ausweitung des amourösen Diskurses in der Renaissance. Castigliones Cortegiano oder auch Bembos Asolani belegen in diesem Zusammenhang exemplarisch, dass die Präsenz von Frauen zwar konstitutiver Bestandteil höfischer Konversation ist, aber keine Gleichstellung innerhalb der Kommunikation zur Folge hat, d.h. die anwesenden Frauen bleiben auf ihre moderierende und stimulierende Funktion beschränkt, entwickeln jedoch keine eigenen Positionen.11 Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden am Beispiel der Texte Tullia d’Aragonas, Louise Labés und Gaspara Stampas das weibliche Sprechen über die Liebe im Hinblick auf die Artikulation eines etwaigen Rollenunbehagens beleuchten. Weibliches Sprechen soll hier jedoch nicht mit dem Postulat einer écriture féminine assoziiert oder gar gleichgesetzt werden, die auf einem essentialistischen Weiblichkeitskonzept basiert.12 Den Ausgangspunkt der folgenden Analysen bildet die These einer grundsätzlichen Ambiguität der weiblichen Liebesdarstellung. In dem Maße, in dem die schreibende Frau nur durch den Rekurs auf existierende Traditionen und Modelle Teil des literarischen Diskurses des 16. Jahrhunderts werden kann, adaptiert sie nicht allein vorgegebene Deutungsmuster und Repräsentationsformen, sondern muss zugleich einer spezifischen weiblichen Rollenerwartung Rechnung tragen, um überhaupt gehört zu werden. Weibliches Sprechen über die Liebe realisiert sich demnach im Spannungsfeld zwischen männlichen Normierungsversuchen, welche die weibliche Rede an die Tugenden der Bescheidenheit, der Sittsamkeit und Schamhaftigkeit zu binden suchen, und der Möglichkeit der Revision geschlechtsspezifischer Topoi in den literarischen Texten. Zunächst werden die diskursiv-theoretischen Beiträge Tullia d’Aragonas und Louise Labés zur zeitgenössischen Diskussion über das Wesen und die Wirkungsmacht der Liebe präsentiert. Während in d’Aragonas Dialogo della infinità di amore ein weibliches Subjekt dialogisch eine eigene Liebestheorie entwirft, handelt es sich bei Labés Débat de Folie et d’Amour 11 | Zu Castiglione vgl. Zancan, Marina: »La donna e il cerchio nel Cortegiano di B. Castiglione. Le funzioni del femminile nell’immagine di corte«, in: Marina Zancan (Hg.), Nel cerchio della luna. Figure di donna in alcuni testi del XVI secolo, Venedig 1983, S. 13-56. Zur Rolle der Frau in Bembos Asolani vgl. Schneider, Ulrike: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento. Transformationen des lyrischen Diskurses bei Vittoria Colonna und Gaspara Stampa, Stuttgart 2007, S. 117-126. 12 | Vgl. Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies, Berlin 2008, S. 83.

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um eine philosophische Debatte, in der die Allmacht Amors dekonstruiert und die Unberechenbarkeit menschlichen Verhaltens herausgestellt wird. Sowohl d’Aragona als auch Labé nutzen die prinzipielle Offenheit des Dialogs, um unterschiedliche Standpunkte zu präsentieren und mit genderspezifischen Erwartungshaltungen zu spielen. Abschließend werden die »weiblichen« Liebeskonzepte mit exemplarischen Sonetten Labés und Stampas konfrontiert, die in Anlehnung an das petrarkistische Modell die Situation der liebenden Frau zu modellieren suchen. In den Vordergrund rückt dabei die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Inszenierung eines weiblichen Ich, das auf die Werbung eines Mannes reagiert und im Rahmen der petrarkistischen Konventionen nach einer Möglichkeit der Artikulation ihrer Leidenschaft sucht.

II. G ENDERTOPOI UND ÜBER DIE L IEBE

DAS

S PRECHEN

Tullia d’Aragonas Dialogo della infinità di amore (1547) kann als Replik auf Sperone Speronis Dialogo di amore (1542) gelesen werden, in dem die höfische Dichterin Tullia d’Aragona als Sprecherin auftritt und die Haltung irdisch-sinnlicher Liebe vertritt.13 Bereits die Namengleichheit der textimmanenten Figur und der historischen Persona legt eine Koinzidenz von Fiktion und Realität nahe, die auch die Rezeption ihrer Texte maßgeblich beeinflusst hat. Während Labé und Stampa von zeitgenössischen und späteren Kritikern als Kurtisanen diffamiert wurden, ist in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Œuvre d’Aragonas das Stigma der Prostitution zu einem Wesensmerkmal ihrer Erscheinung geworden, was auf einer konsistent lebensweltlichen Auslegung ihres Dialogo della infinità di amore gründet und dadurch zu Zweifeln an der Autorschaft ihrer Texte führte.14 Indem der Dialog zwischen der Sprecherin Tullia und Benedetto Varchi über die Frage der Endlich- bzw. Unendlichkeit der Liebe als authentisches Abbild der Wirklichkeit gedeutet wird, gerät der ästhetische Gestaltungswille der Verfasserin in den Hintergrund, ja wird sogar

13 | Einen Vergleich der Tulliafiguren in D’Aragonas Dialogo della infinità di amore und Speronis Dialogo di amore nimmt Smarr in ihrem Beitrag vor; vgl. Smarr, Janet L.: »A dialogue of dialogues: Tullia D’Aragona and Sperone Speroni«, in: Modern Language Notes 113 (1998), S. 204-212. 14 | Vgl. Volmer, Annett: Die Ergreifung des Wortes. Autorschaft und Gattungsbewusstsein italienischer Autorinnen im 16. Jahrhundert, Heidelberg 2008, S. 35-38.

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negiert, was zur Folge hat, dass die Differenz zwischen der Autorin und ihrer gleichnamigen Figur nicht wahrgenommen wird.15 Mögliche Aussagen zur genderspezifischen Verfasstheit weiblicher Texte liefern, wie Annett Volmer überzeugend in ihrer Monografie zu den Autorinnen des 16. Jahrhunderts herausstellt, die Vorreden, Widmungsbriefe und Widmungsgedichte, die sogenannten Paratexte, die als diskursive Grauzone zwischen Lebenswelt und literarischem Text zu situieren sind und Aufschluss über die Ambiguität weiblicher Autorschaft geben.16 Auch dem Dialogo della infinità di amore sind zwei Widmungsschreiben vorangestellt, die dem Epigonalitätsvorwurf und dem Verdacht auf Identität zwischen Autorin und weiblicher Dialogfigur Vorschub leisten, sich bei näherer Betrachtung jedoch als Strategien weiblicher Selbstermächtigung erweisen. In dem ersten Schreiben Girolamo Muzios an die Verfasserin, das die Funktion einer verdeckten Herausgeberfiktion übernimmt, wird die außerordentliche Bescheidenheit der Autorin als Grund für die nun folgende heimliche Publikation ihres Werkes genannt.17 Darüber hinaus hat der Herausgeber den ursprünglichen Namen der fiktiven Frauenfigur im Manuskript d’Aragonas, Sabrina, durch den Namen der Autorin ersetzt, deren herausragende Tugendhaftigkeit von mehreren Gelehrten bezeugt wird. Die Konstitution Tullia d’Aragonas als poetessa erfolgt demnach durch den Rückgriff auf eine männliche Vermittlungsinstanz, die im Wissen um die gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen schreibender Frauen die Tugendhaftigkeit der Verfasserin herausstellt und das eigentliche Motiv der Publikation – die Erlangung dichterischen Ruhms – verhüllt. Eine ähnliche Ambivalenz in Bezug auf die weibliche Autorposition reflektiert sich in dem zweiten Widmungsbrief der Autorin an Cosimo de Medici.18 Insofern bereits die Wortergreifung gegen die weibliche Bescheidenheitsregel verstößt, bekräftigt d’Aragona zunächst die vollkommene Unterlegenheit ihrer Person gegenüber dem Herrscher, was einem Akt der Selbstauslöschung gleichkommt, bevor sie ihren literarischen Anspruch in der Verteidigung der lingua toscana deutlich zum Ausdruck bringt, die auch Cosimo de’ Medici verfolgt. Der weibliche Bescheidenheitstopos der 15 | Vgl. Hempfer, Klaus W.: »Lektüren von Dialogen«, in: Klaus W. Hempfer (Hg.), Möglichkeiten des Dialogs. Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart 2002, S. 1-38. 16 | Vgl. A. Volmer: Die Ergreifung des Wortes, S. 50-66. 17 | Vgl. D’Aragona, Tullia: Dialogo della infinità di amore, in: Pozzi, Mario (Hg.), Trattati d’amore del Cinquecento, Rom/Bari 1980, S. 185-248, hier: S. 246. 18 | Vgl. ebd., S. 248.

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vollkommenen Nichtigkeit der eigenen Person dient damit der impliziten Affirmation weiblicher Autorität und legitimiert das weibliche Sprechen. Die Markierung der Geschlechtszugehörigkeit dient als Dispens von der Regelpoetik und bekräftigt das Frau-Sein als das Abweichende. Die Tulliafigur Speronis, die die Vorstellung der göttlichen Natur der Liebe zugunsten einer Akzentuierung ihrer Vergänglichkeit und Irrationalität zurückweist, bildet die Kontrastfolie für den Entwurf einer selbstkritisch argumentierenden alternativen Tulliagestalt im Dialogo della infinità di amore, die sich der Normativität des Gattungssystems Dialog und seiner Äußerungsgrenzen bewusst ist. Auch wenn sie nun nicht mehr als Gast in einer männlichen Gesprächsrunde auftaucht, wie in Speronis Dialogo di amore, sondern die Rolle der Hausherrin übernimmt, die in ihrem Salon die Gelehrten empfängt, problematisiert sie an zahlreichen Stellen ihre Sprecherinnenposition sowie ihren Sprachgebrauch. Gleich zu Beginn, als sie Varchi begrüßt, der zu dem bereits begonnenen Gespräch zwischen ihr und Benucci hinzukommt, rekurriert sie auf den genderspezifischen Topos mangelnder weiblicher Bildung, um einer möglichen Enttäuschung seinerseits zu begegnen und ihn gleichzeitig indirekt zum Widerspruch aufzufordern: »TULLIA: Anzi, non meno per questo che per altre cagioni, vi desideravamo noi tanto. Ma io, per me, dubito piú tosto che non vi abbia a parer di stare anzi a disagio che no, e per questo vi sapesse male di essere venuto, e massimamente toccando il favellare a me, per le cagioni che intenderete. La quale, oltre lo esser donna (le quali voi, per non so che vostre ragioni filosofiche, riputate men degne e men perfette degli uomini), non ho, come ben sapete, né dottrina di cose né ornamenti di parole.« (D’Aragona 1980: 187f.)

Diese Aussage der Tulliafigur ist gerade aufgrund des kommentierenden Klammereinschubs auf mehreren Ebenen lesbar: Zum einen demaskiert sie die vermeintlich wissenschaftlichen Aussagen der Männer über den subalternen Status und die Unvollkommenheit des weiblichen Geschlechts als subjektive Stellungnahmen, die mit fadenscheinigen »ragioni filosofiche« gerechtfertigt werden. Zum anderen stellt sie ihre fehlende systematische Bildung und rhetorische Kompetenz offen zur Schau, die sie insbesondere im zweiten Teil des Dialogs mit der Artikulation ihrer eigenen liebestheoretischen Position konterkariert. Vordergründig reproduziert der Dialog zwischen der Tulliafigur und Benedetto Varchi das zeitgenössische Hierarchieverhältnis der Geschlechter, in dem die Frau zur Ermöglichung ihres Sprechens der männ-

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lichen Autorisierung bedarf, was insbesondere an den Stellen sichtbar wird, an denen sich die weibliche Figur zu Wissensgebieten äußert, die als genuin männliche Domänen gelten.19 So weigert sich Tullia beispielsweise, die Frage nach dem Unterschied zwischen amare und amore zu beantworten, da sie sich in grammatischen Aspekten nicht auskenne. Erst als Varchi erklärt, dass es sich um keine Frage der Grammatik handelt, nimmt die Sprecherin Stellung und bewertet das Substantiv aufgrund seiner Zeitlosigkeit höher als das Verb. Die starre Hierarchie des anfänglich präsentierten Schülerin-Lehrer-Verhältnisses verliert im Laufe des Gesprächs ihre ordnungsstabilisierende Funktion und wandelt sich zu einem spielerischen Wettstreit, in dem beide Gesprächspartner gleichermaßen Kritik wie Zustimmung artikulieren und die Schwächen des Anderen aufdecken. Der Topos weiblicher Unwissenheit erweist sich in Anbetracht der zahlreichen Referenzen der Tullia-Figur auf Platon, Aristoteles, Ficino, Bembo und Speroni als ebenso unhaltbar wie die Setzung männlicher Überlegenheit, welche die Sprecherin als Ergebnis einer verallgemeinernden Logik entlarvt, der es an praktischem Wissen mangelt. Den Ausgangspunkt der liebestheoretischen Debatte zwischen der Sprecherin und Varchi konstituiert das Problem der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit der individuellen Gefühlswelt. Die Frage, »Se si può amare con termino«, initiiert den Dialog über die Unendlichkeit der Liebe, der mit dem Postulat der Kontinuität auf die Kontingenzerfahrung des neuzeitlichen Subjekts reagiert. Dem Aufrufen der Geschlechterhierarchie gleich zu Beginn des Gesprächs korrespondieren dabei zwei unterschiedliche Haltungen der Konversationspartner. Während die TulliaFigur dem logisch-deduktiven Verfahren der philosophischen Reflexion misstraut, rekurriert ihr Gegenüber auf semantische Explikationen und argumentiert auf einer rein abstrakt-theoretischen Ebene. Inhaltlich referieren die Ausführungen der Sprecherin nicht allein auf Speronis Dialog, sondern insbesondere auf Leone Ebreos Dialoghi di amore (1535), in denen der männliche Sprecher die körperliche Vereinigung mit der Geliebten in seine Liebesauffassung einbezieht und damit entgegen dem spiritualisierten platonischen Liebeskonzept Ficinos die sinnliche Liebeserfahrung aufwertet. Ebreos These der Vereinbarkeit von spiritueller Gottesliebe und irdischem Eros wird von der Tullia-Figur aufgegriffen und insbesondere im zweiten Teil des Gesprächs weiterentwickelt, der

19 | Vgl. A. Volmer: Die Ergreifung des Wortes, S. 110.

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sich auf die Frage nach dem Verhältnis von Vergänglichkeit der irdischen Existenz und Unvergänglichkeit der Liebe konzentriert.20 Die Interventionen und Beiträge der Sprecherin zielen insbesondere darauf, die Mängel eines rein theoretischen Liebesdiskurses zu enthüllen, der die lebensweltliche Erfahrung ausblendet. Dabei erweist sich die weibliche Kritik an der Abstraktion philosophischen Denkens als rhetorische Strategie, die der Profilierung des eigenen Standpunkts dient und nicht der Dekonstruktion einer genuin männlich konnotierten Logik. Ihre profunden Kenntnisse der antiken und neuzeitlichen Philosophen lässt die weibliche Figur in ihre Fragen und Anmerkungen einfließen, sodass ihre beständige Ironisierung Varchis als verstaubten Gelehrten sich als Teil des kommunikativen Spiels der Geschlechter herausstellt. Parallel zu der subversiven Revision der genderspezifischen Topoi erweist sich auch die diskursive Struktur von Rede und Gegenrede als Dissimulation einer Kontroverse, d.h. die Sprecherin und der Sprecher befinden sich nicht in einem antagonistischen, sondern in einem komplementären Verhältnis zueinander, in dem die Äußerungen des Gegenübers aufgenommen und in die eigenen Ausführungen integriert werden. So dienen Varchis begriffsgeschichtliche Erläuterungen zu dem Terminus infinito,21 der aufgrund seiner semantischen Polyvalenz nicht eindeutig zu definieren ist, der Tullia-Figur als Basis ihrer Liebeskonzeption. Zur Erläuterung von infinito greift Varchi auf die aristotelische Unterscheidung von Aktualität und Potentialität zurück. In dem Maße, in dem ein Körper dem Akt nach endlich, der Potentialität nach jedoch unendlich sei, ist auch die Liebe potenziell unendlich, in ihrer Aktualisierung jedoch nicht.22 Diese Differenzierung greift die Tullia-Figur auf und appliziert sie auf die Differenz zwischen Liebe und Begehren: Während die Liebe als Grundprinzip menschlichen Seins der Vergänglichkeit enthoben ist, strebt das Begehren stets nach der Eroberung und Inbesitznahme des geliebten Objekts, das in dem Augenblick, in dem es auf das Begehren des Anderen antwortet, an Reiz verliert und durch ein neues Objekt ersetzt werden kann. Als Referenztext führt die Sprecherin hier Boccaccios Decameron an, dessen Novellen exemplarisch das unterschiedliche Wesen von Liebe und Begehren illustrieren.

20 | Vgl. J. L. Smarr: A dialogue of dialogues, S. 108. 21 | »VARCHI: […] questo nome ›infinito‹ termino equivoco, cioè pigliandosi in piú modi e significando diverse cose, bisogna prima dichiarare di qual significato intendete.« (D’Aragona 1980: 212) 22 | Vgl. A. Volmer: Die Ergreifung des Wortes, S. 120.

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Mit ihrer anschließenden Unterscheidung zwischen einer amore volgare/disonesto, die von dem Verlangen bestimmt wird, den Gegenstand der Leidenschaft besitzen zu wollen, und einer amore virtuoso/onesto, die von der Vernunft geleitet wird und die spirituelle Verschmelzung mit dem geliebten Wesen erstrebt, die niemals erreicht wird, reproduziert die Tullia-Figur in nuce die christlich-augustinische Unterscheidung zwischen Caritas und Eros. Ausgehend von der Definition amors als appetitus differenziert Augustinus zwischen einer wahren göttlichen Liebe, die nach dem Ewigen strebt und sich durch Zurücknahme des eigenen Selbst auszeichnet, und einer irdischen Liebe, die sich von Gott abwendet und dem Weltlichen verhaftet bleibt. Er bezieht das Gebot der Selbstverleugnung auf die Caritas, welche die Gegenbewegung zur ungezügelten, maßlosen Liebe zum eigenen Selbst und zur Welt, der Cupiditas, bildet. Der Unterschied zwischen der göttlichen und irdischen Liebe besteht demnach in dem Gegenstand des Strebens. Der Mensch, der sich nur durch den Rückbezug auf etwas Anderes seiner selbst bewusst wird und danach strebt, seine Isolation aufzuheben, hat die Wahl zwischen Welt und Ewigkeit. Entscheidet er sich für die Caritas, die zwischen Mensch und Gott vermittelt, verliert das Weltliche aufgrund der Flüchtigkeit seiner Existenz an Bedeutung. Mit der Erkenntnis seiner Sterblichkeit realisiert der Mensch die Vergänglichkeit alles Irdischen und wird sich gleichzeitig bewusst, dass sein Selbst nur im Bezug zu Gott Bestand haben wird. Die Welt gewinnt in diesem Zusammenhang nur Bedeutung, insofern sie auf die göttliche Schöpfungsordnung verweist. Wählt der Mensch hingegen die Cupiditas, welche die Relation zwischen Mensch und Welt erfasst, verliert er sich im Irdischen und bleibt auf sich selbst und die vergänglichen Dinge verwiesen. Im Gespräch zwischen Tullia und Varchi bleibt die christliche Dimension des Liebeskonzepts nur angedeutet und wird nicht expliziert. Das Ziel der Argumentation Tullias scheint weniger im Beweis der Unvergänglichkeit der Liebe zu bestehen, als in der Demonstration der Wandlungsfähigkeit menschlicher Intimbeziehungen. So wird die sinnlich-körperliche Liebe auf der einen Seite in ihren Ausführungen in Analogie zu dem platonischen Stufenmodell als eine zu überwindende Phase qualifiziert, die zur Verwandlung in eine tugendhafte Liebe führt, während andererseits die amore virtuoso jederzeit wieder in eine amore volgare zurückfallen kann. Die Suspendierung der Leidenschaft als Prämisse der Erfahrung wahrer Liebe impliziert eine Aufwertung der Vernunft als Kontrollinstanz des rein irdischen Eros, der jedoch nie vollkommen gebändigt werden kann, sodass sich die amore virtuoso ständig der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt sieht.

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III. D IE D EKONSTRUKTION DER ALLMACHT A MOURS Der Widmungsbrief Louise Labés verbindet die plaisir d’ écrire mit Ruhm und Ehre, die aus dem Studium der Literatur erwachsen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Bildung in den sciences et disciplines zwar eine Domäne sein mag, die nun auch dem weiblichen Geschlecht offen steht, die Veröffentlichung eines Werkes bedarf jedoch männlicher Unterstützung und Förderung, wie Labé am Ende des Briefes feststellt.23 Der Wunsch, in einem Text die bereits erwähnten »plaisirs des sentiments« und die »autres voluptez« zu evozieren, rückt das Sprechen über die Liebe ins Zentrum des Œuvre Labés, dessen einzelne Teile – Prosa, Elegien, Sonette – eng miteinander verwoben sind.24 In dem Débat de Folie et d’Amour, der den lyrischen Texten vorangestellt ist, tauchen nicht nur zahlreiche Schlüsselbegriffe auf, die in den Sonetten Eingang finden, sondern es werden auch die zentralen Strukturelemente des Liebeskonzepts Labés präsentiert. Bereits der Titel des Streitgesprächs zwischen Folie und Amour verweist auf mittelalterliche wie zeitgenössische Quellen und Modelle, die Labé aufgreift und transformiert.25 In der Exposition wird der Konflikt zwischen Amour und Folie skizziert, der zur anschließenden Verhandlung und dem Urteilsspruch Jupiters führt. Jupiter hat alle Götter zu einem großen Fest eingeladen, zu dem Amour und Folie zu spät kommen. Als Amour die Schwelle der Pforte überschreiten will, kommt Folie ihm zuvor und es folgt ein hitziger Schlagabtausch über ihre jeweiligen Vorrechte und Eigenschaften. Als es Amour nicht gelingt, Folie mit Worten von seiner Überlegenheit zu überzeugen, zieht er einen Pfeil und zielt auf sie. Folie begegnet diesem Angriff, indem sie sich unsichtbar macht. Aus Rache stiehlt sie ihm sein Augenlicht und verdeckt die leeren Augenhöhlen mit einer Binde, die nicht abzunehmen ist. Fortan wird sie Amour durch die Welt führen und ihm das Augenlicht ersetzen. Daraufhin beklagt sich Amour bei seiner Mutter Venus über das erfahrene Unrecht, das von Jupiter gesühnt werden soll. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, in der Apollo die Anklagerede Amours und Merkur 23 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 43; zu der gendermarkierten Widmung an die Lyoneser Damen vgl. Losse, Deborah N.: »Women addressing women. The differentiated text«, in: Anne R. Larsen/Colette H. Winn (Hg.), Renaissance women writers. French texts/American contexts, Detroit 1994, S. 23-37. 24 | Zu dem Werk Labés im Kontext der Renaissance vgl. Rigolot, François: Louise Labé lyonnaise ou la Renaissance au féminin, Paris 1997. 25 | Vgl. Lazard, Madeleine: Louise Labé, Paris 2004, S. 129f.

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die Verteidigungsrede Folies übernimmt. Erst nach diesen Plädoyers, die im Zentrum des Débat stehen, will Jupiter ein Urteil fällen. Venus und Folie sind die einzigen weiblichen Figuren im Débat, die durch ihre enge Beziehung zu Amour miteinander verbunden sind. Die Figur Folies schient dem Ecomium Moriae Erasmus’ entlehnt zu sein und wird in dem Kosmos der römischen Gottheiten als Fremde eingeführt. Venus hält sie für eine »outrageuse Furie«26, und Amour bezeichnet sie als »femme inconnue«27, bis Jupiter klarstellt, dass es sich um eine Göttin handelt und damit alle Zweifel an ihrem legitimen Status beseitigt. In ihrer ersten Begegnung mit Amour wird nicht allein ihre Fremdheit zum Zeichen ihrer untergeordneten Position, sondern auch ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht weist sie dem Liebesgott als unterlegen aus, der den männlichen Herrschaftsanspruch exemplarisch verkörpert und auf seine unangefochtene Allmacht im Himmel und auf Erden verweist.28 Venus hingegen wird in erster Linie als beschützende Mutter präsentiert, die des Blicks ihres Sohnes bedarf, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Als stummes Objekt männlichen Begehrens versinnbildlicht sie die weibliche Passivität und erbittet den Beistand Jupiters. Folie übernimmt in diesem Zusammenhang die Funktion eines weiblichen Gegenmodells, das gegen die Setzung männlicher Dominanz durch Aktivität und Bewegung aufbegehrt. Sie insistiert auf ihrer Gleichwertigkeit gegenüber Amour und besteht auf ihrem Führungsanspruch: »Je te meneray ou conduiray« (Labé 2004: 54). Während sich die Macht Amours auf Gewalt gründet, wie das reichhaltige Kriegsvokabular in seinen Ausführungen belegt, konstituiert sich Folies Autorität aus ihrer Gabe, bestehende Hierarchien und Werte in ihr Gegenteil zu verkehren. Die beiden Plädoyers Apollos und Merkurs spielen mit zwei Registern: Einerseits verhandeln sie gemäß den Regeln der antiken Rhetorik den konkreten juristischen Fall, d.h. den Augenraub Folies, andererseits wandelt sich die gerichtliche Auseinandersetzung in eine philosophische Debatte, in der zwei unterschiedliche Haltungen präsentiert werden, sodass vom ursprünglichen Anlass auf eine allgemein-universelle Ebene abstrahiert wird.29 Apollo führt diese Doppelstruktur der Argumentation ein, indem er zwischen zwei Anliegen unterscheidet: der Rückgabe 26 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 59. 27| Vgl. ebd., S. 50. 28 | Vgl. ebd. 29 | Vgl. Halévy, Olivier: »Plaisir et ingéniosité: La disposition des plaidoyer du Débat de folie et d’amour«, in: Marie-Madeleine Fragonard (Hg.), Le Euvres de Louise Labé, Paris 2005, S. 73-96.

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des Augenlichts Amours, was einer Wiederherstellung der vorherigen Ordnung gleichkommt, und der Alleinherrschaft Amours im Namen der politischen Eintracht, womit die Notwendigkeit der Trennung Amours von Folie einhergeht, die als Ursache allen Übels diffamiert wird. Merkur greift diese Zweiteilung auf, indem er auf die beiden von Apollo genannten Aspekte antwortet. Die Rückgabe der Augen Amours lehnt er mit dem Hinweis auf die männliche Aggression ab, gegenüber der sich Folie zur Wehr setzen musste. Der Forderung nach der räumlichen Verbannung Folies stellt er ihre Gleichwertigkeit gegenüber Amour entgegen, der, ohne sich dessen bewusst zu sein, schon immer ihrer Hilfe bedurfte, um seine Wirkungsmacht zu entfalten. Das von Apollo befürchtete Chaos, das aus der Präsenz Folies an der Seite Amours resultiert, wird von Merkur als Überzeichnung einer faktisch seit Beginn der Menschheit existierenden Situation zurückgewiesen. In Analogie zur Struktur von Anklage und Verteidigung greifen Apollo und Merkur auf unterschiedliche rhetorische Strategien zurück, um Jupiter von der Richtigkeit ihrer Forderungen zu überzeugen. Indem Apollo darlegt, dass der Liebesgott die Seele des Universums sei und damit Amours Selbstdarstellung als »le plus creint et redouté entre les Dieus et les hommes« (Labé 2004: 50) als unbestreitbares Faktum affirmiert, avanciert die Tat Folies zu einem Angriff auf die Harmonie der universalen Ordnung. Diese Amplifikation korrespondiert auf argumentativer Ebene mit einer hyperbolischen Überzeichnung des Verbrechens Folies, das sich in seiner Monstrosität schließlich gegen die ganze Menschheit richtet. Das deklarierte Ziel Apollos erweist sich in einer Stigmatisierung Folies als »détestable« und »execrable«30, um die Affekte des Publikums gegen die Angreiferin Amours zu schüren. Mit dem Entwurf eines Tableaus zukünftiger Übel evoziert er eine Atmosphäre der Bedrohung, die von Folie ausgeht, was in der Verwendung des Verbs creindre und der Wendung avoir peur zum Ausdruck kommt. Im Gegenzug ist die Ausgangssituation Merkurs ungleich schwerer, da er ein feindlich gesonnenes Publikum umstimmen muss. Entgegen der allgemeinen Erwartungshaltung verzichtet er auf eine Gegenanklage Amours und versucht stattdessen die Argumentation Apollos zu entdramatisieren, indem er den Konflikt zunächst als Bagatelle unter Freunden herunterspielt.31 Auch wenn Folie nicht für sich selbst spricht, instrumentalisiert Merkur ihre Stimme, um das Wohlwollen der Zuhörer 30 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 67. 31 | Vgl. ebd., S. 82.

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zu gewinnen. So gibt er in seinem Exordium wieder, was Folie ihm zu sagen verboten hat, und bittet damit indirekt um Mitgefühl und Verständnis. Im Rückgriff auf die rhetorische Figur der Prosopopeia, mit der ein Sprecher einer nicht anwesenden Person seine Stimme leiht, scheint sich Folie selbst an das Publikum und an Amour zu wenden, wodurch der Eindruck eines unmittelbaren Austauschs entsteht.32 Gleichzeitig erweckt der Ton der Vertrautheit, mit dem sich Folie via Merkur an ihren intimen Freund Amour wendet, den Eindruck der Undankbarkeit des Liebesgottes, der scheinbar grundlos diejenige angreift, die ihm so viel Gutes getan hat. Die Instrumentalisierung der abwesenden weiblichen Stimme in Merkurs Plädoyer erweist sich nicht allein als rhetorischer Schachzug, sondern markiert gleichzeitig die Differenz der unterschiedlichen Haltungen Amours und Folies. Während Apollo, basierend auf den drei zentralen Qualitäten Amours – honneur, utilité und plaisir – eine ideale Vorstellung der menschlichen Gesellschaft präsentiert, in der Weisheit, Emulation und uneigennützige Liebe das öffentliche Leben bestimmen,33 liefert Merkur eine satirisch-realistische Vision menschlichen Miteinanders, das aufgrund der prinzipiellen Unberechenbarkeit der Handlungen die Möglichkeit des Scheiterns von Intimbeziehungen ins Zentrum rückt.34 Amour scheint demnach die Haltung selbstloser Liebe zu repräsentieren, die in Anlehnung an das neoplatonische Modell zur Vervollkommnung des Menschen und zur Stabilisierung der menschlichen Ordnung führt. Folie hingegen steht für die Irrationalität der Liebesleidenschaft, die das menschliche Streben nach Kontinuität und Dauer konterkariert und die an die lebensweltliche Erfahrung des weiblichen Geschlechts zurückgebunden wird, welche Labé in den Sonetten lyrisch ausgestaltet. Wenn Merkur in seiner philosophischen Reflexion über die Wirkungen Folies auf das Beispiel der liebenden Frauen rekurriert – die zunächst glauben, sich der Macht des Liebeswerbens widersetzen zu können, um dann festzustellen, dass all ihre Versuche einer rationalen Bändigung der Leidenschaft scheitern, sodass ihnen allein das Schreiben zur Verarbeitung ihrer Gefühle bleibt –, wird die Diskrepanz zwischen Liebestheorie und menschlicher Wirklichkeit offensichtlich, die sich nicht allein mit dem Streben nach dem Guten verrechnen lässt. Jupiters Urteilsspruch schließlich, der Folie als Gefährtin an die Seite des blinden Amours stellt, 32 | Vgl. O. Halévy: Plaisir et ingéniosité, S. 83. 33 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 65-80 (Discours V). 34 | Vgl. ebd., S. 85.

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bestätigt den weiblichen Führungsanspruch und kann gleichzeitig als Abgrenzung von dem Streben nach Aufstieg des platonischen Eros gedeutet werden.

IV. L IEBESERWIDERUNG ALS C HARAKTERISTIKUM DES WEIBLICHEN P ETRARKISMUS Eröffnet sich mit dem Sprechen über die Liebe ein Raum, in dem sich die weibliche Stimme artikulieren kann, so bleibt die literarische Präsentation der weiblichen Liebeserfahrung an normative Modelle des zeitgenössischen Kontextes wie dem Neoplatonismus und dem Petrarkismus gebunden. Auf die Verabsolutierung männlicher Autorität im zeitgenössischen Liebesdiskurs antworten Tullia d’Aragona und Louise Labé nicht mit einer Inversion von philosophisch männlich konnotierter Abstraktion und lebensweltlich weiblich konnotierter Erfahrung, sondern mit dem Versuch einer Harmonisierung von spirituell-tugendhafter und irdisch-sinnlicher Liebe bzw. von Streben nach dem Guten und der Unbegründbarkeit menschlichen Verhaltens. Inwiefern manifestiert sich dieses Spannungsverhältnis zwischen amore virtuoso und amore lascivo in den Sonetten Labés und Stampas? Bereits in dem Gespräch zwischen Varchi und der Tullia-Figur im Dialogo della infinità di amore wird das Verhältnis zwischen Petrarca und Laura im Zusammenhang mit der männlichen These einer mangelhaften weiblichen Liebesfähigkeit thematisiert. Als Beleg seiner Behauptung zitiert Varchi zwei Verse Petrarcas, »ond’io so ben ch’un amoroso stato / in cor di donna picciol tempo dura«, woraufhin die Sprecherin auf die Sprachlosigkeit der Madonna Laura und damit auf die fehlende weibliche Perspektive verweist: »Malizioso che voi sète! Credete voi che non vi abbia inteso? Ma bisognava che madonna Laura avesse avuto a scrivere ella altrettanto di lui quanto egli scrisse di lei, ed avereste veduto vome fosse ita la bisogna« (D’Aragona 1980: 201). Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, wie Ulrike Schneider überzeugend darlegt, dass die Petrarkistinnen des Cinquecento in die Rolle der Madonna Laura schlüpfen, die nun in spiegelbildlicher Verkehrung der Situation auf das Werben des Liebenden antwortet.35 In dem Augenblick, in dem die Frauen das petrarkistische Liebesmodell adaptieren, präsentieren sie sich nicht als Geliebte,

35 | Vgl. U. Schneider: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento, S. 92f.

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sondern als Liebende und transformieren die genderspezifische SubjektObjekt-Relation. Der Wechsel von einer männlichen Sprecher- zu einer weiblichen Sprecherinnenposition vollzieht sich nicht ohne Rücksicht auf die tradierten Genderrollen und hat eine Umcodierung der petrarkistischen Liebessituation zur Folge, die an die spezifische Situation der schreibenden Frau angepasst wird.36 Während die Sprecherin in dem Canzoniere Labés sich zu Beginn als bereits Verlassene in Szene setzt, entfaltet sich die vicenda amorosa Stampas als Adaptation der petrarkistischen Sprechsituation. Die Sprecherin präsentiert sich in der ersten Phase als Werbende, die von dem Geliebten in analoger Weise zu der unnahbaren Haltung Lauras abgewiesen wird. Die Relation zwischen Liebender und Geliebten ist in den Sonetten Stampas durch eine Reihe von Oppositionen markiert, die mit genderspezifischen Zuschreibungen verbunden werden. Bereits die Anrede des Geliebten in der Eingangswidmung illustre mio signore und der damit einhergehende Verweis auf seine hohe Geburt qualifizieren ihn als Mitglied der höfischen Gesellschaft. Die Sprecherin selbst bezeichnet sich mehrfach als bassa und vil, womit sie auf ihre untergeordnete soziale Stellung und auf ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht Bezug nimmt. In Analogie zu der Ausgestaltung der weiblichen und männlichen Sprecherrolle im Dialogo della infinità di amore werden Liebende und Geliebter gemäß den Konventionen des zeitgenössischen Geschlechterdiskurses präsentiert. Im weiteren Verlauf der Liebesentwicklung zeigt sich jedoch, dass sich hinter der Fassade des vollkommenen Helden bzw. des »eroe, perfetto di bellezza«, der keine individuellen Züge erhält, der grausame Geliebte verbirgt, der »amante, imperfettissimo per empietà« oder der »signor crudo e selvaggio / disdegnoso, inumano ed inclemente«. (Zancan 1998: 172) Die dichotomische Spaltung des Geliebten findet sich in der Selbstdarstellung der Sprecherin wieder, die sich aufgrund ihrer Liebesfähigkeit und Treue, mit der sie auf den Zorn und die Kälte des Geliebten reagiert, zur »Heldin der Liebe«37 stilisiert. Während die Selbstinszenierung der Sprecherin in Stampas Rime d’amore auf den petrarkistischen Topos der Unwandelbarkeit der Liebe

36 | Vgl. Osols-Wehden, Irmgard: »Der Mann im Zeichen des Mondes. Zur Dekonstruktion von Geschlechterstereotypen in den Rime der Gaspara Stampa«, in: Anne-Marie Bonnet/Barbara Schellewald (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln 2004, S. 131-148. 37 | Vgl. U. Schneider: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento, S. 294.

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(auch wenn im weiteren Verlauf eine zweite Liebe auftaucht, bleibt die erste Liebeserzählung dominant) zurückgreift, inszeniert Labé parallel zu der von Folie vertretenen Haltung die Wandelbarkeit menschlicher Gefühle als Grund für das Scheitern der Intimbeziehung. Hatte sich die Sprecherin in ihrem Canzoniere zunächst der Werbung des Mannes widersetzt, so muss sie, als sie seine Liebe schließlich erwidert, feststellen, dass sich die Situation verändert hat und die Rollen getauscht sind: Aus der Umworbenen ist die Liebende, aus dem Werbenden der Geliebte geworden, dessen Leidenschaft nun erloschen ist. In dem letzten Sonett schließlich stellt sich die Liebende als Opfer der Täuschung dar und hält dem Geliebten seine Treulosigkeit in Form von Zitaten petrarkistischer Formeln vor, die ironisiert werden.38 Die bereits zu Beginn des Zyklus verlassene Geliebte bleibt auch am Schluss allein zurück und büßt ihre anfängliche Unnahbarkeit mit einem unvergänglichen Liebesschmerz. Von christlich motivierter Reue, wie in den Rime d’amore Stampas, fehlt hier jedoch jede Spur. Insbesondere der Aspekt der Liebeserwiderung, die im männlich petrarkistischen Modell unmöglich ist, avanciert zu einer Konstante weiblichen Petrarkismus, was Elisabeth Schulze-Witzenrath unter anderem darauf zurückführt, dass die Liebeserwiderung sozial sanktioniert sei und dem fortdauernden Werben der Frau mehr Glaubwürdigkeit verleihe.39 Mit der sexuell-sinnlichen Hingabe an den Geliebten taucht jenes Modell des amore lascivo auf, das bereits Tullia d’Aragona als untergeordneten Bestandteil des amore onesto zu rehabilitieren suchte. Sowohl in dem Canzoniere Gaspara Stampas, das chronologisch die unterschiedlichen Phasen der Liebesgeschichte entfaltet, als auch in der Sonettsammlung Louise Labés, die die Lesenden aufgrund der assoziativen Anordnung dazu nötigt, die petrarkistische Situation zu rekonstruieren, finden sich eindeutige Verstöße gegen das tradierte Postulat der Unerreichbarkeit des Geliebten, d.h. die sexuelle Vereinigung wird bei Stampa in eher gedämpfter und verdeckter Form, bei Labé hingegen unverhüllt offen geschildert. Zu den wohl bekanntesten und kühnsten Sonetten des Canzoniere Stampas gehört die Schilderung der Liebeserfüllung aus der Perspektive der liebenden Frau.40

38 | Vgl. L. Labé: Œuvres complètes, S. 134 (XXIII). 39 | Vgl. Schulze-Witzenrath, Elisabeth: Die Originalität der Louise Labé. Studien zum weiblichen Petrarkismus, München 1974, S. 53f. und S. 77. 40 | Vgl. ebd., S. 75.

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»O notte, a me più chiara e più beata che i più beati giorni ed i più chiari, notte degna da’ primi e da’ più rari ingegni esser, non pur da me, lodata; tu de le gioie mie sola sei stata fida ministra; tu tutti gli amari de la mia vita hai fatto dolci e cari, resomi in braccio lui che m’ha legata. Sol mi mancò che non divenni allora la fortunata Alcmena, a cui stè tanto più de l’usato a ritornar l’aurora. Pur così bene io non potrò mai tanto dir di te, notte candida, ch’ancora da la materia non sia vinto il canto. (CIV)« (Stampa 1976: 147)

Zahlreiche Ausgleichsstrategien wie die retrospektive und damit distanzierende Schilderung, der Rückbezug auf die Sonette CIII und CVI, die zum einen auf das neoplatonische Liebeskonzept und zum anderen auf die Unbeständigkeit des Liebesglücks referieren, relativieren den skandalösen Charakter dieser Verse und zielen darauf, das Moment der Liebeserfüllung mit den petrarkistischen Vorgaben zu harmonisieren.41 Ein deutlicher Bruch mit dem petrarkistischen Modell realisiert sich hingegen in dem sinnlich-erotischen Baisersonett Louise Labés, in dem die Liebende den Wunsch nach Liebeserfüllung in Form von Aufforderungen artikuliert und gleichzeitig ihre Bereitschaft zur sexuellen Hingabe signalisiert. »Baise m’encor, rebaise moy et baise: Donne m’en un de tes plus savoureus, Donne m’en un de tes plus amoureus: Je t’en rendray quatre plus chaus que braise. Las, te pleins tu? ça que ce mal j’apaise, En t’en donnant dix autres doucereus. Ainsi meslans nos baisers tant heureus Jouissons nous l’un de l’autre à notre aise. 41 | Vgl. U. Schneider: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento, S. 279f.

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Lors double vie à chacun en suivra. Chacun en soy et son ami vivra. Permets m’Amour penser quelque folie: Tousjours suis mal, vivant discrettement, Et ne me puis donnere contentement, Si hors de moy ne fay quelque saillie. (XVIII)« (Labé 2004: 131)

Die mehrfachen Aufforderungen zum Kuss, die eine ungebremste Sinnenfreude spürbar werden lassen, münden zum Abschluss der Quartette in den Wunsch nach körperlicher Vereinigung, deren Gegenseitigkeit in der Verwendung der Pronomina der ersten Person Plural zum Ausdruck kommt. Die Terzette heben die physische Verschmelzung auf eine geistigseelische Ebene, die in die Zukunft projiziert wird und eine grundlegende Vorstellung des neoplatonischen Liebeskonzepts variiert, »der zufolge der wahrhaft Liebende und Wiedergeliebte sich selbst stirbt, um im Geliebten zu doppeltem Leben wiederzuerstehen« (Schulze-Witzenrath 1974: 129). Gleichzeitig bahnt sich mit der Substitution der ersten Person Plural »nous« durch »chacun« die Auflösung der Liebesgemeinschaft an. Die Liebende spricht für sich allein und scheint sich der zuvor geschilderten Verlassenheit wieder bewusst zu werden. Die Analysen des Dialogo della infinità di amore Tullia d’Aragonas und des Débat de Folie et d’Amour Louise Labés haben gezeigt, dass die These der prinzipiellen Ambiguität weiblichen Schreibens sich auch auf der Ebene der liebestheoretischen Auseinandersetzung erkennen lässt. Beide Schriftstellerinnen nutzen den Dialog, um ihr Wissen und ihre Belesenheit dem zeitgenössischen Publikum zur Schau zu stellen und sich als Exempel weiblicher Bildung zu inszenieren. Gleichzeitig verdeutlichen insbesondere die Paratexte die grundlegende Ambivalenz der weiblichen Autorposition, die von vielfältigen, nicht allein genderspezifischen, Faktoren abhängt. Das rhetorische Spiel mit den Gendertopoi reflektiert das Bewusstsein der schreibenden Frauen für die Beschränkungen, die ihre Beteiligung an dem kulturellen Leben ihrer Zeit reglementieren. Auf der Ebene der petrarkistischen Liebesdarstellung aus weiblicher Sicht wurde deutlich, dass die Adaptation einer männlich tradierten Sprechsituation zu einer Transformation der intersubjektiven Relation zwischen Subjekt und Objekt führt. Neben dem ironischen Spiel mit petrarkistischen Topoi in Labés Sonettsammlung und der Stilisierung des Liebesobjekts zum grausamen Geliebten in Stampas Canzoniere erweist sich die im pe-

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trarkistischen Diskurs sanktionierte Liebeserwiderung als wesentliches Merkmal der weiblichen Variante des Petrarkismus. Auch wenn die Liebeserfüllung nur von kurzer Dauer ist, versuchen die Dichterinnen den amor onesto und den amor lascivo miteinander zu harmonisieren.

L ITERATUR Chemello, Adriana: »La donna, il modello, l’immaginario: Moderata Fonte e Lucrezia Marinella«, in: Marina Zancan (Hg.), Nel cerchio della luna. Figure di donna in alcuni testi del XVI secolo, Venedig 1983, S. 95-170. D’Aragona, Tullia: »Dialogo della infinità di amore«, in: Mario Pozzi (Hg.), Trattati d’amore del Cinquecento, Rom/Bari 1980, S. 185-248. Dionisotti, Carlo: Geografia e storia della letteratura italiana, Turin 1967. Domenichi, Lodovico: Rime diverse d’alcune Nobilissime e Virtuosissime Donne, Lucca 1559. Halévy, Olivier: »Plaisir et ingéniosité: La disposition des plaidoyers du Débat de folie et d’amour«, in: Marie-Madeleine Fragonnard (Hg.), Le Euvres de Louise Labé, Paris 2005, S. 73-96. King, Margaret L.: »Die Frau«, in: Eugenio Garin (Hg.), Der Mensch in der Renaissance, Frankfurt/M. 1996, S. 282-340. Labé, Louise: Œuvres complètes, Paris 2004. Lazard, Madeleine: Louise Labé, Paris 2004. Losse, Deborah N.: »Women addressing women. The differentiated text«, in: Anne R. Larsen/Colette H. Winn (Hg.), Renaissance women writers. French texts/American contexts, Detroit 1994, S. 23-37. Marx, Barbara: »Fremdsprache und Eigenerzählung. Literatur von Frauen in der italienischen und französischen Renaissance«, in: Hiltrud Gnüg/Renate Möhrmann (Hg.), Frauen – Literatur – Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 19992, S. 35-57. Osols-Wehden, Irmgard: »Der Mann im Zeichen des Mondes. Zur Dekonstruktion von Geschlechterstereotypen in den Rime der Gaspara Stampa«, in: Anne-Marie Bonnet/Barbara Schellewald (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln 2004, S. 131-148. Panizza, Letizia (Hg.): A history of women’s writing in Italy, Cambridge 2000.

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Schneider, Ulrike: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento. Transformationen des lyrischen Diskurses bei Vittoria Colonna und Gaspara Stampa, Stuttgart 2007. Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies, Berlin 2008. Schulze-Witzenrath, Elisabeth: Die Originalität der Louise Labé. Studien zum weiblichen Petrarkismus, München 1974. Segler-Meßner, Silke: »Von der Entdeckung der Selbstbestimmung zur Diskussion über die Stellung der Frau: Der Wandel der Geschlechterbeziehungen in der italienischen Renaissance«, in: Anne-Marie Bonnet/Barbara Schellewald (Hg.), Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln 2004, S. 7-35. Smarr, Janet L.: »A dialogue of dialogues: Tullia d’Aragona and Sperone Speroni«, in: Modern Language Notes 113 (1998), S. 204-212. Smarr, Janet L.: Joining the conversation. Dialogues by Renaissance Women, Ann Arbor 2005. Stampa, Gaspara: Rime, Mailand 19762. Tiller, Elisabeth: Frau im Spiegel: Die Selben und die Andere zwischen Welt und Text. Von Herren, Fremden und Frauen, ein 16. Jahrhundert, Bd. 2, Frankfurt/M. 1996. Volmer, Annett: Die Ergreifung des Wortes. Autorschaft und Gattungsbewusstsein italienischer Autorinnen im 16. Jahrhundert, Heidelberg 2008. Zancan, Marina: »La donna e il cerchio nel Cortegiano di B. Castiglione. Le funzioni del femminile nell’immagine di corte«, in: dies. (Hg.), Nel cerchio della luna. Figure di donna in alcuni testi del XVI secolo, Venedig 1983, S. 13-56.

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Homoerotisches Begehren im italienischen Jünglingsporträt des Cinquecento Parmigianinos Bildnis eines jungen Mannes im Louvre ANDREAS PLACKINGER

Selbst dem aufmerksamen Besucher der Grande Galerie des Louvre kann das interessante Bildnis eines jungen Mannes (Abb. 1) inmitten geräuschvoller Besucherströme leicht entgehen. Findet man allerdings Gelegenheit, sich der Tafel näher zu widmen, die unter »Attribué à Francesco Mazzola, dit Parmigianino« firmiert und die museale Kennung Inv. 613 trägt, dann wird man begreifen, warum Friedrich Schlegel und Théophile Gautier begeistert darüber schrieben, Burckhardt und Morelli das Bild besprachen,1 Delacroix, Degas, Cézanne und Leighton Skizzen danach fertigten sowie zahlreiche Reproduktionsgrafiken bis hin zur Zeichenanleitung in Malbüchern für Jugendliche entstanden sind.2 Umso auffälliger ist, dass dieses oft erwähnte Werk in der neueren Kunsthistoriografie kaum ein Echo gefunden hat. 1 | Schlegel, Friedrich: Gemälde alter Meister [1803-1805], herausgegeben von Hans Eichner/Norma Lelless, Darmstadt 19952, S. 27; Gautier, Théophile: »Guide de l’Amateur au musée du Louvre«, in: N.N.: Paris. Guide par les principaux écrivains et artistes de la France, Bd. 1, Brüssel/Leipzig/Livorno 18672, S. 305-415, hier S. 344; Burckhardt, Jacob: »Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die Sammler. Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien«, in: Stella von Boch (Hg.), Jacob Burckhardt Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. VI, München/Basel 2000, S. 263ff.; Morelli, Giovanni: Kunstkritische Studien, Bd. 1 Leipzig 1890, S. 134. 2 | Zur Aufarbeitung der visuellen Rezeption von Louvre Inv. 613 vgl. Plackinger, Andreas: »Quant’è bella giovinezza …« Parmigianinos (?) Bildnis eines jungen Mannes im Louvre. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung des mittelitalienischen Jünglingsporträts in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, unveröffentlichte Magisterarbeit Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2009.

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Abbildung 1: Francesco Parmigianino (?), Bildnis eines jungen Mannes, um 1525 Es scheint, als sei das Jünglingsporträt durch sein plötzliches Auftauchen in den Sammlungen des französischen Königshauses – »als wäre es in unbestimmter Zeit irgendwo vom Himmel gefallen« (Burckhardt 2000: 203) – für eine nähere wissenschaftliche Betrachtung disqualifiziert.3 Tatsächlich gibt es keinerlei Quellen zur Autorschaft und zum Entstehungszusammenhang des Bildes oder zur Identität des Modells. Unermüdlich drehte sich seit dem 18. Jahrhundert das Zuschreibungskarussell um die Namen Raphael, Bacchiacca, Parmigianino und neuerdings Correg3 | Zur Provenienz vgl. Habert, Jean et al. (Hg.): Catalogue des peintures italiennes du musée du Louvre, Paris 2007, S. 75; Brejon de Lavergnée, Arnauld: L’inventaire Le Brun de 1683. La collection des tableaux de Louis XIV, Paris 1987, S. 37, S. 54 und S. 64; Boyer, Jean-Claude/Volf, Isabelle: »Rome à Paris. Les tableaux du maréchal de Créquy (1638)«, in: Revue de l’art 78 (1988), S. 22-41, hier S. 29.

H OMOEROTISCHES B EGEHREN

IM ITALIENISCHEN J ÜNGLINGSPORTRÄT

gio.4 So wichtig und naheliegend die Frage nach dem Urheber der Tafel auch sein mag, interessant wird dieses Bildnis jedoch vor allem durch die ungewöhnliche Art der Präsentation des Dargestellten sowie durch seine Bezüge zu einer Vielzahl von Diskursen des frühen Cinquecento. Inwieweit durch die raffinierte Darstellung eines jungen Mannes Rezipientenerwartungen bedient wurden, vermag Aufschluss zu geben über die Möglichkeit, Fragen nach Jugend, Schönheit und Geschlecht im Medium Bild während des 16. Jahrhunderts zu verhandeln.

M USÉE DU L OUVRE , I NV. 613: B ILDNIS EINES JUNGEN M ANNES Das auf die 1520er Jahre datierbare hochrechteckige Ölgemälde auf Tannenholz zeigt das Brustbild eines jungen Mannes. Der Bildausschnitt ist eng gewählt. Bei Abzug der nachträglichen Anstückungen erscheint die Figur teilweise vom Bildrand überschnitten.5 Vor einem einfarbigen grünen Grund wird der blonde, blauäugige und bartlose Jüngling in dunkler, grün schimmernder Kleidung und mit schwarzem Barett präsentiert. Seine Lippen deuten ein verhaltenes, mokantes Lächeln an. Das Gesicht ist in Dreiviertelansicht gegeben und nach rechts gewandt. Der junge Mann stützt den Kopf in seine Rechte. Die linke Gesichtskontur umspielt kinnlanges blondes Haar. Die weitgehend undefinierte Kleidung6 liegt nicht 4 | Eine Auswahlbibliografie zur Zuschreibungsgeschichte findet sich in J. Habert et al.: Catalogue des peintures italiennes du musée du Louvre, S. 75. 5 | Vgl. Le Cornec, Gaëlle: Les changements de format des tableaux de l’inventaire Le Brun, unveröffentlichtes Mémoire de Maîtrise bei Alain Mérot, Université Paris IV-Sorbonne, Paris 2002, S. 134; N.N.: Raphaël dans les collections françaises. Katalog der Ausstellung Paris (Grand Palais, 15.11.1983 – 13.02.1984), Paris 1983, S. 141 und S. 423. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Erweiterungen den Originalzustand eines möglicherweise vorher verkleinerten Bildes getreu wiederherstellen und in die Betrachtung mit einbezogen werden müssten, ist ein hohes Maß an Betrachternähe gegeben. 6 | Durch die Haltung des Dargestellten ist es schwierig zu entscheiden, ob der Oberkörper vom typischen giubone (oder giubetto) umschlossen ist. Da sich im Italien der Jahrzehnte zwischen 1500 und 1550 gentiluomini, reiche Bürger, Kleinbürger und Handwerker, nicht durch spezifische Kleidungsstücke, sondern durch die Erlesenheit des Materials sozial voneinander differenzierten, liefert die Kleidung in unserem Fall keine näheren Anhaltspunkte zur Person. Zur Kostümgeschichte vgl. Herald, Jacqueline: Renaissance Dress in Italy 1400–1500, London 1981, S. 216, sowie Ozzola, Leandro: Il vestiario italiano dal 1500 al 1550. Saggio di Cronologia documentata, Rom 1940, S. 61.

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fest am Körper des Jünglings an, sondern umhüllt ihn in lockerer Weise. Seine beretta hat der Dargestellte schräg aufgesetzt, durch seine gelagerte Haltung bildet ihr Rand jedoch eine Waagrechte. Der Oberkörper des jungen Mannes ist nach vorne gebeugt und durchmisst den ansonsten nicht näher bestimmbaren Bildraum. In der Fläche ergibt sich ein Gefüge aus Achsen, die das rechte Auge des Jünglings in besonderer Weise inszenieren: Es befindet sich knapp oberhalb des Schnittpunkts der Bilddiagonalen7 und etwa auf der Mitte zwischen den beiden Horizontalen von Schulterlinie und Hutkrempe. Aus der glatten, ausgeleuchteten Gesichtshälfte strahlt das Auge intensiv hervor. Die durch die Bewegung der Pupille vorgegebene Blickachse entspricht dem Lichteinfall. Dadurch, dass der Blick des Dargestellten den Betrachter trifft, muss sich der Beschauer an jener Stelle befinden, von der das Licht ausgeht. Es ist also der offensive Blick des Jünglings und seine Bezogenheit auf den Rezipienten, auf den die Bildanlage nachdrücklich verweist. Der Betrachter des Bildes sieht sich damit konfrontiert, selbst »ungeniert« betrachtet zu werden, womit das Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Bild und Beschauer umgekehrt bzw. auf Gegenseitigkeit ausgerichtet wird. Die bloße Andeutung eines Lächelns sowie die Wachheit des Ausdrucks vonseiten des Dargestellten irritieren und können nicht klar definiert werden. Durch seine halb liegende Pose sowie den Nahsichtigkeit suggerierenden Bildausschnitt wird der Abgebildete an den Betrachter herangerückt.

KONVENTIONEN DES U NKONVENTIONELLEN? J UGEND UND A NMUT Auffällig an der mise en scène im Pariser Bild ist zuallererst der Gegensatz zwischen der Haltung und dem Ausdruck des Dargestellten: Die Gleichzeitigkeit des klassischen Melancholiegestus – dem Aufstützen des schräg genommenen Kopfes auf die Hand, wie in Dürers Melencolia I – und einer wachen, keck-süffisanten Mimik erscheinen widersprüchlich.

7 | Dies trifft dann zu, wenn man davon ausgeht, dass der originale Bildbestand ohne spätere Anstückungen die ursprüngliche vollständige Komposition repräsentiert. Die extrem kalkulierte Bildordnung, die sich daraus ergibt, legt diesen Gedanken unbedingt nahe.

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Die Konterkarierung der Pose durch den Blick führt zur Entfaltung einer ironieartigen Bildstruktur. Dieses Nebeneinanderstellen von entgegengesetzten Eigenschaften ließe sich am ehesten mit der sprachlichen Figur des Oxymorons umschreiben.8 Die scheinbar so beiläufige Darstellung erweist sich als stark rhetorisiert, mit dem Anspruch, Widersprüchlichkeit zu visualisieren. Die Brechung des Rollenmusters kann auch als parodistischer Kommentar auf den schwärmerisch-melancholischen Darstellungstypus junger Männer, wie er sich ab der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts europaweit etabliert hatte, gelesen werden (Abb. 2).9

Abbildung 2: Giorgioneumkreis, sogenanntes Doppelbildnis Ludovisi, um 1512 8 | Vgl. Scheuer, Hans-Jürgen: »Oxymoron«, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. VI, Darmstadt 1992-2007, S. 469-475. 9 | Vgl. Parmigianos Mann mit Buch in Wien (Öl auf Pappelholz, 67,5 × 53 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.nr. 329) oder die Liebesmelancholiker in einem französischen Manuskript in Chantilly um 1530, deren verblüffende Ähnlichkeit mit unserem Bild ins Auge fällt (vgl. François Habert [?]: Manuskript L’amant infortuné, folio 13 verso u. folio 94 verso, Buchmalerei auf Pergament, 22,8 × 13,2 cm, Chantilly, Musée Condé).

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Tatsächlich konnte die Betonung eines melancholischen Temperaments im Jugendalter durchaus als fragwürdig erscheinen. Denn eine Vielzahl schriftlicher Äußerungen zu Jugendlichen aus der Zeit des Quattrocento und des Cinquecento zeichnet in erstaunlicher Konstanz das Bild einer launenhaften, zu tiefergehender geistiger Beschäftigung unwilligen und unfähigen Jugend, die allein äußeren Eindrücken hingegeben ist.10 Lombardellis Traktat De gli ufizii, e costumi de giovani von 1579 ist in dieser Hinsicht besonders interessant. Respektloses Betragen, die »maniera insolente« der »giovani« wird von dem florentinischen Autor mehrfach betont, der schließlich am Ende seiner Ausführungen auf das »decoro che I Giovani debbin conservar« zu sprechen kommt.11 Lombardelli erwähnt Körperhaltungen, die das decorum verletzen und die es daher zu vermeiden gelte; er beginnt mit dem Kopf: »[I]hn auf einer der Hände oder auf beiden anzulehnen, die ihn, mit dem Arm eine Stütze bildend, halten, zeigt eine gewisse Erschöpfung oder das Ausruhen von leeren Gedanken«.12 Über die Art, wie Jugendliche ihre Kopfbedeckungen nicht tragen sollten, gibt Lombardelli gleichfalls Auskunft: Die Kappe in die Stirn zu ziehen sei Sache infamer Menschen, beretta oder Hut schräg oder seitlich zu tragen, zeuge von Eitelkeit.13 Des Weiteren warnt er davor, »niemanden sagen zu machen, dass man Personen mit den Augen verschlingen oder trinken wolle, indem man sie mit Frechheit und Unverfrorenheit ansieht«.14 Auch komme es den giovani nicht zu, andere aus der Schräge und mit Stolz anzublicken oder in liegender Haltung zu erscheinen.15 10 | Vgl. Reinle, Christine: »Jugend als Typus – Jugend als Topos. Stereotype Vorstellungen über Jugendliche bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts«, in: Iris Kwiatkowski/Michael Oberweis (Hg.), Recht, Religion, Gesellschaft und Kultur im Wandel der Geschichte. Ferculum de cibis spiritualibus, Festschrift für Dieter Scheler, Hamburg 2008, S. 393-414. 11 | Lombardelli, Giovanni Paolo: De gli ufizii, e costumi de giovani libri III, Florenz 1579, S. 10 u. 150. 12 | Ebd., S. 150: »[T]enerlo appoggiato à una delle mani, ò à tutt’a due, che lo reggano, facendo sostegno co’l braccio, mostra una certa strachezza, ò certo riposo, di pensieri vacuo«. (Deutsche Übersetzung A.P.) 13 | Ebd., S. 152: »[I]l coprirsi la fronte è cosa da persone infame. Tener la berretta, ò cappello per isquincio, ò per ca[n]to, o per taglio, o su’l collo, ha del vano«. 14 | Ebd., S. 155: »Avvertiscan dunque di no[n] far dire altrui, che si voglian tra[n] gugiare, ò bere le persone co gli occhij risuardando con insole[n]za, e sfacciatezza.« (Deutsche Übersetzung A.P.) 15 | Ebd., S. 156: »Il guardare in traverso, e con fierezza non conviene a’ Giovani«. Sowie S. 170: »A Giovani non co[n]viene il giacere, e massime all’ingiù, fuorche nel letto, l’hore che richiede il sonno«.

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Angesichts der Tatsache, dass Lombardelli, auch wenn sein Text erst von 1579 datiert, die Pariser Tafel regelrecht in allen Details zu beschreiben scheint, drängt sich der Gedanke auf, dass die Darstellung des jungen Mannes ganz gezielt auf die Inszenierung seiner Eigenschaften als Jugendlicher abzielte. Auch der einfarbige grüne Hintergrund sowie der grünliche Schimmer auf der Kleidung liefern dafür ein Indiz, da sie als Hinweis auf die anni verde bzw. die verde età des Dargestellten verstanden werden können.16 Neben den negativ konnotierten Vorstellungen von Jugend lässt sich spätestens ab dem 16. Jahrhundert eine gegenteilige äußerst positive Bewertung dieser Lebensphase erkennen. »Quel caro tempo della tenera età« (Castiglione 1984: 104) wird geradezu topisch mit Schönheit und Liebe assoziiert.17 Mit dem Ende des Quattrocento muss eine enge Verbindung von Schönheit und Anmut als Schlüsselgedanke des Schönheitsdiskurses betrachtet werden.18 Wohl kaum ein Begriff ist in diesem Zusammenhang im 16. Jahrhundert so ausgiebig diskutiert worden wie jene »Anmut, die nicht in Worte zu fassen ist, ein unerklärliches Etwas [non so che]. [...] Das, was ihr Anmut nennt, wurde bei den Griechen charis genannt, was ich immer mit grazia übersetzen würde.« (Dolce 2008: 301f.) Bereits Al16 | Zur mittelalterlichen Farbsemantik vgl. Pastoureau, Michel: »Embleme, Attribute und Inszenierungen der Jugend in der mittelalterlichen Darstellung« in: Giovanni Levi (Hg.), Geschichte der Jugend, Bd. 1, Frankfurt/M. 1996, S. 296-318, hier S. 315. Im Frankreich des 16. Jahrhunderts erwähnt Montaigne Achills »verdeur de son adolescence«; siehe Montaigne, Michel de: Les Essais [1595], auf: http://www.bribes.org/trismegiste/montable.htm (I/27) vom 01.12.2010; vgl. auch G. P. Lombardelli: De gli ufizii, e costumi de giovani libri III, S. A iii recto und S. 120. 17 | Vgl. z.B. Buoni, Tommaso: Academiche lettioni di tutte le specie de gli amori humani in cui si tratta dell’amor naturale, humano, amor de giovani, de maritati, della patria, dell’oro, dell’intemporato & del divino, Venedig 1605, S. 48, verso. Siehe auch Ficino, Marsilio: Über die Liebe oder Platons Gastmahl, herausgegeben von Paul Richard Blum, Hamburg 19933 (14841), S. 162f. (5. Rede, Kapitel VII). Siehe auch Medici, Lorenzo de’: Opere, herausgegeben von Attilio Simioni, Bd. 1, Bari 1913, S. 108 und S. 201 sowie Gottifredi, Bartolomeo: »Specchio d’amore, dialogo di messer Bartolomeo Gottifredi, nel quale alle giovani s’insegna innamorarsi«, in: Giuseppe Zonta (Hg.), Trattati d’amore del Cinquecento, Bari 1912 (1547), S. 249-304, hier S. 257. 18 | Vgl. z.B. M. Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl, 26ff.: »Die Schönheit aber besteht in einem bestimmten Reiz [gratia], welcher hauptsächlich und zumeist auf einem harmonischen Zusammenstimmen mehrerer Eigenschaften beruht.«

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berti erwähnt den besonderen Zauber einer Person, eine »certa non so come la nominare cosa« (Alberti 1969: 325), von der er nicht wisse, wo sie ihren Sitz habe, ob auf der Stirn oder in den Augen, sie sei jedenfalls mit einer gewissen Anmut (leggiadra) und Schönheit (venustà) verbunden, aber nicht in Worte zu fassen. Mit Castigliones 1513-18 verfasstem Cortegiano wird jenes Phänomen in nie zuvor geschehener Gründlichkeit erörtert und mit einer eigenen Terminologie versehen, wobei die dreifache Bedeutungsaufladung des Grazia-Begriffs zu berücksichtigen ist.19 Überspitzt könnte man es wie folgt formulieren: Grazia (Charisma/Anmut/Charme) ist eine grazia (Gnade) Gottes und verhilft zur grazia (Anerkennung/Huld/Gunst) der Mitmenschen, insbesondere des Fürsten, zu dessen Dienst der Hofmann bestimmt ist.20 Wenn Anmut aber eine angeborene Eigenschaft und mithin nicht erlernbar ist, wie kann sie dann als Verhaltensideal in eine Verhaltenspraxis überführt werden? Hier lässt sich die innere Widersprüchlichkeit von Castigliones Argumentation greifen, die er mit seinem Konzept der sprezzatura aufzulösen versucht.21 Die etymologische Herkunft des Begriffs sprezzatura aus dem lateinischen depretio, das sich im Italienischen in diprezzo und in verbaler Form von disprezzare zu sprezzare umformt, unterstreicht Castigliones Ausführungen: Depretio/diprezzo bedeutet nichts anderes als Verachtung. Die scheinbar unbeteiligte interesselose Mühelosigkeit in jeder Tätigkeit dokumentiert die persönliche Autonomie vom angestrebten Ziel einer Handlung. Diese ästhetische Distanzierung von Zweckgerichtetheit durch Leichtigkeit wird zum Ausweis persönlicher Überlegenheit.22 Für eine derartige Lesart jener ambivalenten Haltung des Aufstützens zwischen Melancholie und Normverstoß lassen sich im Fall der Tafel aus 19 | Das Buch vom Hofmann (Libro del Cortegiano) wurde 1528 erstveröffentlicht, seine Grundideen zirkulierten allerdings bereits im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts an den italienischen Fürstenhöfen. Vgl. dazu Wałek, Janusz: »The Czartoryski Portrait of a Youth by Raphael«, in: Artibus et Historiae 12 (1991), S. 201-224, hier S. 217. Siehe auch Orchard, Karin: Annäherungen der Geschlechter. Androgynie in der Kunst des Cinquecento, München 1992, S. 31. 20 | Vgl. Werle, Peter: »›Grazia‹. Zu Konstituierung und Funktion eines Bildungsideals in Baldassare Castigliones ›Libro del Cortegiano‹«, in: Italienische Studien 8 (1985), S. 39-50, hier S. 44, sowie Emison, Patricia: »Grazia«, in: Renaissance Studies 5 (1991), S. 427-460, hier S. 428. 21 | Vgl. Castiglione, Baldassare: Il libro del Cortegiano, herausgegeben von Ettore Bonora, Mailand 1984 (1528), S. 61f. (I/26). 22 | Vgl. Hinz, Manfred: Rhetorische Strategien des Hofmannes. Studien zu den italienischen Hofmannstraktaten des 16. und 17.  Jahrhunderts, Stuttgart 1992, S. 126.

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dem Louvre Hinweise finden.23 Die Geste des Anlehnens visualisiert ebenso wie das kleine rote unregelmäßig verschnürte Bändchen, das die verrutschte Hemdmanschette hält, der locker fallende Kragen und das schräg aufgesetzte Barett ein hohes Maß an Nachlässigkeit. Von besonderer Raffinesse ist ein fast transparenter Pinselstrich, der eine dünne Haarsträhne wiedergibt, die zwischen zwei Fingern hervortritt und spielerisch auf dem Handrücken aufliegt. Der dekorativ-ornamentale Charakter der Pose wird dadurch geschickt inszeniert. Auch das diskrete, äußerst feine und kapriziöse Lächeln zeugt von einer kalkulierten Selbstpräsentation. Das Gleiche trifft auf den Stützgestus zu, der sich zunächst als Ergebnis entspannter Bequemlichkeit, als äußerst intime Haltung gibt. Macht man sich jedoch klar, dass nur der untere Teil der Wange des Jünglings auf der Handwurzel aufliegt, dann erschließt sich dem Betrachter die Konstruiertheit der Pose. Sprezzatura scheint mithin gezielt zum Einsatz gebracht, um durch noble Nonchalance eine anmutige Haltung zu produzieren. Diese Anmut erfasst die gesamte Gestalt. Die kompliziert gegeneinander austarierten Richtungsimpulse von Oberkörper, Kopfwendung und Blickachse schaffen eine bewegliche Figur, die in sich grazia zu verkörpern scheint. Nach Castiglione ist es ein Privileg der grazia (Anmut), dass sie bei Anderen grazia (Gunst) erwirbt.24 Diese Struktur des do ut des, des gegenseitigen Gebens und Nehmens, muss dem zeitgenössischen Betrachter allein durch die sprachliche Mehrdeutigkeit des Begriffs präsent gewesen sein – umso mehr, als der intensive Blickkontakt, auf den hin die gesamte formale Gestaltung des Bildes angelegt ist, ein dialogisches Verhältnis regelrecht aufzwingt.25 Der Jüngling bietet seine grazia dem Betrachter dar, beobachtet scheinbar lässig und gleichgültig, aber mit wachem Blick dessen Reaktion. Betrachter und Dargestellter geraten in eine Beziehung des Umwerbens, wobei offen bleibt, wer die Rolle des Umwerbenden und wer die des Umworbenen einnimmt. 23 | Dass grazia sich in der Haltung manifestiere, ist ein gängiger Topos; vgl. T. Buoni: Academiche lettioni di tutte le specie […], S. 20 recto. Auch in Dantis Skulpturentraktat (1567) wird behauptet, dass Anmut vor allem in Haltungen und Bewegungen zu finden sei; vgl. Pfisterer, Ulrich (Hg.), Die Kunstliteratur der italienischen Renaissance. Eine Geschichte in Quellen, Stuttgart 2002, S. 220. 24 | Vgl. B. Castiglione: Il libro del Cortegiano, S. 48f. (I/14). 25 | Vgl. dazu Saccone, Eduardo: »Grazia, Sprezzatura, Affetazione in the Courtier«, in: David Rosand (Hg.), Castiglione. The Ideal and the Real in Renaissance Culture, London/New Haven 1983, S. 45-67, hier S. 46f., und M. Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 112 und S. 115, sowie Rice, Maria Teresa: »La grace et la sprezzatura chez Baldassare Castiglione«, in: Bibliothèque d’Humanisme et de la Renaissance 65 (2003), S. 233-248, hier S. 234.

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A NDROGYNITÄT

UND J ÜNGLINGSSCHÖNHEIT

Der Reiz der Anmut oder grazia besteht in einem besonderen Anteil an Unbestimmbarkeit, für den der Ausdruck non so che Verwendung findet. Die dezidierte Anwendung dieser Ästhetik des Undefinierbaren auf den Bereich der Geschlechtszugehörigkeit scheint ein Charakteristikum für den Geschlechterdiskurs des Cinquecento zu sein.26 So schreibt beispielsweise Equicola in seinem 1525 erstveröffentlichten und mehrfach aufgelegten Libro di natura d’amore, dass Gesichter nur dann schön seien, wenn sie die Züge beider Geschlechter vereinen.27 Dolce wird 1557 dasselbe in Bezug auf Tizians Adonis bemerken28, und auch Montaigne wird noch in den 1580ern von der gleichen Idee ausgehen. Die gezielte Androgynisierung des jungen Mannes im Bild ist folglich ein Mittel, das dessen Anziehungskraft hervorhebt.29 Die Wahrnehmung und Darstel26 | Vgl. Jacobs, Fredrika H.: »Aretino and Michelangelo, Dolce and Titian. Femmina, Masculo, Grazia«, in: The Art Bulletin 82 (2000), S. 51-67, hier S. 56. 27 | »[I]l volto della donna [...] si loda se ha fattezza di huomo; dell’huomo il viso se ha fattezza feminile. Onde il proverbio quasi p[er] ciascu[n] luogo, femina maschio, & maschio femina ha[n]no gratia.« (Equicola 1587: 119 verso) Die dem Konzept des Androgynen innewohnende Vorstellung von der Zusammenfassung zweier gegensätzlicher Prinzipien (Mann und Frau) lässt sich, wie Orchard bemerkt, durchaus mit Pico della Mirandolas Definition des Schönen in De hominis dignitate von etwa 1486 in Verbindung bringen; hier wird Schönheit als Harmonisierung von Gegensätzen, als »freundschaftliche Feindschaft und einträchtige Zwietracht [concorde discordia]« (Orchard 1992: 29) beschrieben. 28 | »E vedesi, che nell’aria del viso questo unico Maestro ha ricercato di esprimere certa gratiosa bellezza, che participando della femina, non si discotasse però dal virile: vuo dire, che in Donna terrebbe non so che di huomo, & in huomo di vaga Donna: mistura difficile, aggradevole, e sommamente (se creder dobbiamo a Plinio) prezzata da Apelle.« (Dolce in einem Brief an Alessandro Contarini aus dem Jahr 1556, vollständig abgedruckt in Roskill, Mark W.: Dolce’s Aretino and Venetian Art Theory of the Cinquecento, New York 1968, S. 212) 29 | Androgynität konnte in Anlehnung an Platons Symposion als Sinnbild für die Ganzheit des Menschen gedeutet werden und dadurch eine positive Bewertung erfahren. Vgl. Schwartz, Jerome: »Aspects of Androgyny in the Renaissance«, in: Douglas Radcliff-Umstead (Hg.), Human Sexuality in the Middle Ages and Renaissance, Pittsburgh 1978, S. 121-131, hier S. 121ff. Noch 1591 wird Casoni in Della magia d’Amore vom »superbo Androgeno nel quale l’uno e l’altro sesso era misto« (Casoni 2002: 19) schreiben. Vor einem solchen Hintergrund ist eine Aufwertung des androgynen Körpers nachvollziehbar (vgl. K. Orchard: Annäherungen der Geschlechter, S. 33). Interessant ist, dass die positive Bewertung des Androgynen einer extrem negativen Bewertung des Hermaphroditen entgegensteht; vgl. Jones, Ann Rosalind/Stallybrass, Peter: »Fetishizing Gender. Construc-

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lung junger Männer muss darüber hinaus auch im Zusammenhang mit medizinisch-physiologischen Vorstellungen von geschlechtlicher Differenz gesehen werden. In der auf Galen (130-200) und Aristoteles zurückgehenden Tradition, wie sie noch 1545 von Charles Estienne in De dissectione partium corporis humani vertreten wird, sind die Geschlechtsteile von Mann und Frau fast identisch. Die Vagina ist nichts anderes als ein nach innen gestülpter Penis, die Schamlippen entsprechen der Vorhaut, der Uterus dem Hodensack, die Eierstöcke den Hoden. Bei Galen sind die Termini für die Bestandteile des männlichen und weiblichen Geschlechts identisch, was bis ins 19. Jahrhundert nachwirken wird, denn bis dahin bezeichnet orchei sowohl Hoden als auch Eierstöcke.30 Bemerkenswert an einem solchen Geschlechtsmodell ist, dass es rein physiologisch letztlich keinen signifikanten Unterschied zwischen Mann und Frau gibt.31 Geschlecht wird in besonderem Maße sozial definiert.32 Umso interessanter ist daher die prekäre Rolle geschlechtsreifer junger Männer innerhalb der Gesellschaft des italienischen Cinquecento: Das Abhängigkeitsverhältnis vom patriarchalischen Oberhaupt eines Clans weist erstaunliche Parallelen zur Stellung der Frau auf und unterscheidet die Jugend deutlich von anderen Lebensphasen.33 ting the Hermaphrodite in Renaissance Europe«, in: Julia Epstein/Kristina Straub (Hg.), Body Guards. The Cultural Politics of Gender Ambiguity, London/New York 1991, S. 80-111, hier S. 92, und J. Schwartz: Aspects of Androgyny in the Renaissance, S. 126f. 30 | Vgl. Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt/M. 1992, S. 17, 38, 154. 31 | Vgl. ebd., S. 150, sowie A. Jones/P. Stallybrass: Fetishizing Gender, S. 88. 32 | Erst ab dem 18. Jahrhundert scheint sich die Vorstellung eines biologisch trennscharfen Geschlechtsunterschieds durchzusetzen (vgl. ebd.). Zur Frage nach der sozialen Nichtintegration junger Männer vgl. Crouzet-Pavan, Élisabeth: »Eine Blume des Bösen. Jugend im mittelalterlichen Italien (13. bis 15. Jahrhundert)«, in: Giovanni Levi (Hg.), Geschichte der Jugend, Bd. 1, Frankfurt/M. 1996, S. 229295, hier S. 233. 33 | Vgl. Fulton, Christopher: »The Boy Stripped Bare by his Elders. Art and Adolescence in Renaissance Florence«, in: The Art Journal 56 (1997), S. 31-40, hier S. 32 und Bohde, Daniela: »Der hl. Sebastian. Ein Heiliger der Sodomiten?«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln 2004, S. 79-98, hier S. 82. Elisabeth Crouzet-Pavan weist in Eine Blume des Bösen auf Seite 233 darauf hin, dass junge Männer immer als »Sohn des« aufgeführt wurden, so wie Frauen als »Gemahlin des« oder »Witwe des«. Die Persönlichkeit wird damit nicht durch sich selbst definiert.

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Der Jüngling befindet sich in einer seltsamen Zwischenposition zwischen Mann und Frau, die sich auch in der Wahrnehmung dieses Lebensabschnitts niederschlägt. So wird beispielsweise von Rocco noch Mitte des 17. Jahrhunderts in seinem Alcibiade fanciullo, einer unverhüllten Apologie der Knabenliebe, das Alter des adoleszenten Protagonisten als Lebensphase beschrieben, in der die Natur das äußere Erscheinungsbild des Mannes mit dem weiblichen Geschlecht vermischt zeige.34 Wie selbstverständlich wird der fanciullo (bei Rocco umfasst diese Lebensphase ungefähr das Alter zwischen neun und 17 Jahren) mit Zeus’ Geliebtem Ganymed in Verbindung gebracht.35 Auch Dolce nennt in seinem Malereitraktat Frauen und Ganymed in einem Atemzug, um sie dem Erscheinungsbild des Mannes gegenüberzustellen.36 Montaigne geht davon aus, dass männliche Schönheit, ohnehin nur im bartlosen Alter vorhanden, lediglich dann vorliege, wenn sie mit der Schönheit von Frauen vermischt (confuse avec la leur) erscheint.37 Die Schönheit des Jünglings ist im 16. Jahrhundert sowie weit ins 17. Jahrhundert hinein stark weiblich konnotiert. Fausto da Longianos und Firenzuolas auf Cicero zurückgehende Überlegungen zur Schönheit illustrieren derartige Auffassungen. Ihnen zufolge lässt sich bellezza in zwei Aspekte untergliedern, venustà und degnità, wobei venustà, Schönheit im Sinne körperlicher Attraktivität, eher der Weiblichkeit entspreche und degnità, Schönheit im Sinne

34 | »Era il fanciullo Alcibiade di quella età appunto, in cui la natura industre, con piacevoli scherzi, sotto sembianze divine, confonde con maraviglie amorose il sesso feminile. E di donzella tal era forse allor Ganimede, quando ebbe forza di tirar Giove dal cielo in terra«. (Rocco 1988: 27) Vgl. auch ebd., S. 51: »L’aver [die Natur] a’ fanciulli dato sembianza di donzella all’aspetto, non ha insinuato che converta l’uso in un altro uso?« 35 | Vgl. Rocco, Antonio: L’Alcibiade fanciullo a scola, herausgegeben von Laura Coci, Rom 1988 (1652), S. 76. Die italienische Sprache lässt einen erstaunlich großen Differenzierungsreichtum erkennen, wenn es darum geht, einen Jungen oder jungen Mann zu bezeichnen. Vgl. hierzu E. Crouzet-Pavan: Eine Blume des Bösen, S. 230, sowie A. Plackinger: »Quant’è bella giovinezza …«, S. 66-73. Letztlich gilt es, in jeder Quelle anhand des Kontexts abzuwägen, was durch Termini wie putto, fanciullo, garzone oder giovane zum Ausdruck gebracht werden sollte und welche definitorische Trennschärfe im Einzelfall vorliegt. 36 | Vgl. Dolce, Lodovico: »Der Dialog über die Malerei genannt ›Der Aretino‹« [1557], in: Gudrun Rhein (Hg.), Der Dialog über die Malerei. Lodovico Dolces Traktat und die Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 227-318, hier S. 280. 37 | Vgl. Montaigne, Michel de: Les Essais [1595], auf: http://www.bribes.org/trismegiste/montable.htm (III/3) vom 01.12.2010.

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von Würde, dem Manne zukomme.38 Die Angleichung der Vorstellungen von Jünglingsschönheit an Modelle weiblicher Idealschönheit erscheint diesbezüglich symptomatisch. Agnolo Firenzuolas Delle Bellezze delle donne von 1541 sowie Giovanni Luigini da Udines Libro della bella donna von 1554 können als charakteristische Beispiele für die auf antike Rhetorik zurückgehende literarische Spielart der effictio, der panegyrischen Schilderung äußerlicher Vorzüge, angeführt werden.39 Stellt man diesen Werken Beschreibungen idealer Frauenschönheit aus Liebestraktaten des Cinquecento an die Seite, so fassen die bis hin zu einzelnen Metaphern übereinstimmenden Darstellungsschemata – Gold für blonde Haare; Rosen, Lilien und Milch für zart abgetöntes Inkarnat; Sternenglanz für das Strahlen der Augen40 – katalogartig die äußerlichen Merkmale zusammen, die die Erscheinung der idealschönen Frau charakterisieren.41 Die in Bembos Asolani von 1505 heraufbeschworene Vision der idealen Frau ist nahezu identisch mit derjenigen in Casonis Della magia d’amore, erschienen 1591, und zeugt damit von der Langlebigkeit der Einzelmotive.42 Zwar besingt Firenzuola in seinem Delle Bellezze delle donne im 38 | Vgl. Firenzuola, Agnolo: »Delle Bellezze delle donne« [1541], in: Bartolomeo Rossetti (Hg.), Agnolo Firenzuola. I ragionamenti d’amore e altri scritti, Rom 1966, S. 187-246, hier S. 221: »Dice Cicerone che sono due sorti di bellezza, delle quali una ne consiste nella venustà, e l’altra nella dignità, e che la venustà è propria delle donne, e la dignità è propria delli uomini.« Vgl. auch Fausto da Longiano, Sebastiano: De lo istituire un figlio d’un principe da li × anni infino à gl’ anni de la discretione, Venedig 1542, S. D, IV verso: »Et per non pretermettere alcuna cosa che necessaria sia parleremo de la bellezza de li figlioli de principi: laquale si divide in due parti: una consiste ne la venustà, e l’altra ne la degnità: quella pare che più a femine si conve[n]ga, e questa ad huomini, ma tanto maggiormente à li Principi ella si conviene.« 39 | Vgl. A. Firenzuola: Delle Bellezze delle donne und Luigini da Udine, Federigo: Il libro della bella donna [1554], auf: http://www.iperteca.it/download.php?id=1324 vom 01.12.2010, sowie Cropper, Elizabeth: »On beautiful women. Parmigianino, Petrarchismo and the vernacular style«, in: The Art Bulletin 58 (1976), S. 374-394, hier S. 386. 40 | Vgl. Giovanni della Casas Sonett auf Tizians Porträt der Elisabetta Quirini Massola, gemalt 1543, unter VIII im Appendix zu Rogers, Mary: »Sonnets on Female Portraits from Renaissance North Italy«, in: Word and Image 2 (1986), S. 291-305, hier S. 302. 41 | Zusammengefasst finden sich diese Merkmale u.a. bei E. Cropper: On beautiful women, und bei M. Rogers: Sonnets on Female Portraits from Renaissance North Italy, S. 291. 42 | Vgl. Bembo, Pietro: Gli Asolani, herausgegeben von Giorgio Dilemmi, Florenz 1991 (1505), Buch 2, Kapitel XXI, S. 156, sowie Casoni, Guido: Della magia d’amore, herausgegeben von Elisabetta Selmi, Turin 2002 (1591), S. 56.

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Unterschied zu den meisten seiner Vorgänger blaue statt schwarze Augen, doch auch er beharrt auf dem obligatorischen blonden, leicht welligen Haar, dem weißen, mit zartem Rot getönten Teint sowie der hohen und heiteren Stirn.43 Die Anlehnung Bembos und Firenzuolas an das Vorbild Petrarca ist unumstritten.44 Die Beschreibungen schöner Jünglinge folgen exakt den gleichen Mustern und sind daher nur vor dem Hintergrund petrarkistischer Strömungen im 16. Jahrhundert zu begreifen.45 Interessant ist, dass die aufgezählten Charakteristika nicht nur mit dem Louvrejüngling übereinstimmen, sondern auch die technische Ausführung bis ins kleinste Detail darauf abzielt, diese Merkmale hervorzuheben. Die pentimenti zeigen, dass die Position der Mütze verändert worden ist, sodass mehr blondes Haar sichtbar bleibt, auf dem sich das Lichtspiel entfalten kann. Die Differenzierung einzelner Haare durch feinste Pinselstriche sowie die einzeln spielerisch fallenden Strähnen (sowohl der feine Bogen, der auf dem Handrücken aufliegt, als auch die breitere Strähne, die die Handwurzel streift) betonen sinnliche Qualitäten. Der kleine Mund und die regelmäßig gewölbten schmalen Brauen entsprechen den Merkmalen idealer Frauenschönheit ebenso wie der helle Teint, obwohl laut Dolce »grundsätzlich der Haut einer jungen Frau eine andere Farbe zukommt als der eines jungen Mannes« (Dolce 2008: 286). Die äußerst sensible Abtönung des Inkarnats und insbesondere das subtile sfumato der Lippen liefern ein weiteres Indiz dafür, dass einer An43 | Vgl. A. Firenzuola: Delle Bellezze delle donne (Discorso secondo: Dialogo della perfetta bellezza d’una donna), S. 226-231. Als Beispiele für stereotype Elemente weiblicher Schönheit – goldenes Haar, Sternenaugen, schneeweißer Teint mit Rosenschimmer – siehe bei Francesco Petrarca (Canzoniere. Triumphe. Verstreute Gedichte, herausgegeben von Hans Grote, Düsseldorf/Zürich 2002, verfasst um 1348, S. 156, S. 228, S. 342, S. 428 und S. 436) die Sonette XC, CXXXI, CLX, CCXXVII, CCXCII und CCIC. 44 | Vgl. E. Cropper: On beautiful women, S. 375ff. 45 | Vgl z.B. in einer anonymen Festbeschreibung (zit. nach Volpi, Guglielmo: »La bellezza maschile nella poesia volgare del sec. XV«, in: ders., Note di varia erudizione e critica letteraria, secoli XIV e XV, Florenz 1903, S. 36-48, hier S. 47) die Schilderung des Sohnes Francesco Sforzas, der 1459 an der Seite Papst Pius II. in Florenz auftrat. In einem aus zwei Oktaven bestehenden Gedicht Cristoforo Fiorentinos, genannt Altissimo, vom ausgehenden 15. Jahrhundert, das den bezeichnenden Titel Le bellezze d’uno uomo trägt, finden sich die gleichen Körpermerkmale aufgezählt, die auch zum Lob schöner Damen aufgeführt werden könnten, wie z.B.: »La man bianca, dur molle, alba qual neve«, »Le labbra lieti vermiglie e suttile«, »Gli occhi, luccidi, ner, grandi e sdruciti,/ E cigli curvi e folti, alabastrini«; vor allem jedoch das nonplusultra »aurei i crini« [blondes Haar] (zit. in Volpi 1903: 40). Vgl. auch A. Rocco: L’Alcibiade fanciullo a scola, S. 40.

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drogynisierung des Dargestellten durch kalkulierten Einsatz spezifisch künstlerischer Mittel Vorschub geleistet wurde. Auch die kompositorische Betonung der Blickintensität lässt sich in dieser Weise lesen und mit der Forderung nach Augen, die wie Sterne strahlen, gut abgleichen.

H OMOEROTISCHES B EGEHREN : G ESELLSCHAFTLICHE P RAXIS UND NEOPLATONISCHES I DEAL Um die angewandte Bildstrategie der Androgynisierung in ihrer vollen Bedeutung für die Rezeptionshaltung des zeitgenössischen Betrachters annähernd zu erfassen, ist es unumgänglich, sich die Realität männlicher Sexualität im Italien des 16. Jahrhunderts vor Augen zu führen. Wie Rocke in seiner eindrucksvoll akribischen Studie nachweist, in der er schier unendliches Aktenmaterial zu Sodomieprozessen im Florenz des 15. Jahrhunderts ausgewertet hat, war sexueller Verkehr zwischen Männern keinesfalls eine Randerscheinung in der Stadt der Medici. Rein statistisch gesehen ergibt sich gerade nicht das Bild einer Subkultur, sondern das eines die gesamte Gesellschaft durchziehenden Phänomens.46 Rocke zufolge sei im Quattrocento die Mehrheit aller Florentiner Männer im Laufe ihres Lebens in sogenannte sodomitische Aktivitäten verstrickt worden. Denkkategorien des 19. Jahrhunderts wie »Homosexualität« und »Heterosexualität« erweisen sich mithin für die Beschäftigung mit dem Sexualitätsverständnis der Renaissance als in höchstem Maße anachronistisch.47 Kosofsky Sedgwicks Homosozialitätsbegriff liefert hier einen Ausweg.48 46 | Vgl. Rocke, Michael: Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, Oxford/New York 1996, S. 146 und S. 191. Die Namen aller großen historischen Florentiner Familien, wie u.a. Alberti, Albizzi, Altoviti, Bardi, Capponi, Cavalcanti, Machiavelli, Medici, Peruzzi, Pitti Rucellai, Soderini und Strozzi tauchen in den Prozessakten zu Sodomieanklagen auf. Vgl. Canosa, Romano: Storia di una grande paura. La sodomia a Firenze e a Venezia nel Quattrocento, Mailand 1991, S. 49, sowie M. Rocke: Forbidden Friendships, S. 141f. 47 | Vgl. hierzu Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa 1450–2000, Wien 2003, 1. und 2. Kapitel, insbesondere ab S. 91. Siehe auch Simons, Patricia: »Homosociality and Erotics in Italian Renaissance Portraiture«, in: Joanna Woodall (Hg.), Portraiture. Facing the Subject, Manchester/New York 1997, S. 29-51, hier S. 29. 48 | Siehe Kosofsky Sedgwick, Eve: Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire, New York 1985, S. 1-5. Im Gegensatz zur zuvor üblichen

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Die Berücksichtigung der Rolle homoerotischer Begehrensmuster innerhalb sozialer Beziehungsgeflechte zwischen Männern (sogenannte male bondings) jenseits wertender Sexualitätsbegriffe erscheint für die Kunstgeschichte äußerst fruchtbar. So verdeutlicht beispielsweise Simons, wie Hierarchien in männlichen Netzwerken durch Begehrensstrukturen visualisiert werden konnten: Indem man die Darstellung eines Mannes als erotisch aufgeladen inszenierte, wurde dessen Macht über andere, im Sinne von Charisma, sinnfällig.49 Liebesrhetorik sowie körperliche Nähe konnten sowohl Zusammengehörigkeit als auch Achtung und Loyalität bezeugen. Männerfreundschaften, sozial konstituierend für Männlichkeit im 16. Jahrhundert, erhielten damit einen stark affektiven, erotisierten Zug; die Grenzen zwischen amicitia und amor sind schwer zu ziehen.50 Maskulinität umfasste dadurch erotische Elemente, die sich modernen Kategorisierungsversuchen entziehen.51 Innerhalb der homosozial organisierten Gesellschaft des italienischen Cinquecento kommt der »Knabenliebe« als alltäglicher Erscheinung ein zentraler Platz innerhalb der Konstituierung von Männlichkeit zu.52 Dem Modell der antiken griechischen paiderastia folgend ergaben sich unterschiedliche Bewertungen der jeweiligen Rolle im Sexualakt.53 Aus Denunziationen und Gerichtsprotokollen lässt sich entnehmen, dass die Definition des Begriffs, der ursprünglich jegliche Art nicht sexueller gleichgeschlechtlicher Beziehungsstrukturen bezeichnete, schließt Kosofsky Sedgwick in ihre Interpretation von Homosozialität dezidiert homoerotische Elemente in die Betrachtung mit ein. Vgl. auch Randolph, Adrian W.B.: »Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln 2004, S. 35-51, hier S. 43. 49 | Vgl. P. Simons: Homosociality and Erotics in Italian Renaissance Portraiture, S. 32, S. 38 und S. 42ff. 50 | Vgl. Chong, Alan/Pegazzano, Donatella/Zikos, Dimitrios (Hg.): Raphael, Cellini and a Renaissance Banker. The Patronage of Bindo Altoviti, Katalog der Ausstellung Boston (Isabella Stewart Gardner Museum, 08.10.2002-2003), Boston 2003, S. 125. Siehe auch Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008, S. 259, S. 263 und S. 268ff. 51 | Vgl. P. Simons: Homosociality and Erotics in Italian Renaissance Portraiture, S. 36. 52 | So lässt sich für Florenz um 1500 feststellen, dass die Prostitution junger Männer und sexuelle Übergriffe auf Jungen keine Einzelfälle darstellen (vgl. M. Rocke: Forbidden Friendships, S. 163ff.). 53 | Vgl. Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit, Frankfurt/M. 1977-1986, Bd. II, S. 273ff.

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Rolle des patiens für einen Mann als besonders unangemessen galt und stets mit Effeminierung in Verbindung gebracht wurde, betonte sie doch dessen Unterlegenheit unter den agens.54 Aus venezianischen Quellen kann geschlossen werden, dass man in Verhören zum sexuellen Verkehr zwischen Männern stets von der Prämisse einer Mann-Frau-Rollenverteilung (aktiv/passiv) ausging.55 Die Frauenrolle kam, zumindest in der allgemeinen Auffassung, dem Jüngling zu.56 Canosa bemerkt mit Hinblick auf das vorliegende statistische Material, dass homosexuelle Praktiken besonders unter jungen Männern verbreitet waren, wobei eine auffällige Häufung von passiven Partnern in der Altersgruppe der 13- bis 18-Jährigen zu finden gewesen sei; doch auch im aktiven Part seien Jugendliche und junge Männer deutlich in der Mehrheit gewesen. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass »Sodomie« im Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts mit dem Lebensabschnitt der Jugend assoziiert wurde, wovon unter anderem sowohl Bernhardin von Sienas Predigt von 1425 zum Laster der Sodomie als auch Lombardellis nicht näher begründete Anweisung in seinem Jugendtraktat, junge Männer hätten nicht mit Knaben zu sprechen, schließen lassen.57 Dass es vor allem Jugendliche und junge Männer waren, von denen gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken in den Aufzeichnungen der ufficiali di notte, der Florentiner Sittenpolizei, aktenkundig geworden sind, wird in der historischen Forschung durch die schwierige gesellschaftliche Position junger Männer erklärt. Körperlich ausgereift, aber aufgrund der untergeordneten Stellung unter ein Familienoberhaupt noch nicht voll erwerbs- und amtsfähig, was eine Heirat unmöglich machte, gab es für junge Männer keine Möglichkeit, ihre Sexualität in einem gesellschaftlich sanktionierten Rahmen auszuleben. Das Verhältnis mit einer Prostituierten hätte den jungen Mann mit 54 | Vgl. Ruggiero, Guido: The Boundaries of Eros. Sex Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York/Oxford 1985, S. 121. Siehe dazu auch M. Rocke: Forbidden Friendships, S. 103, S. 106, S. 109 und S. 170f. 55 | Vgl. Hergemöller, Bernd-Ulrich: »Die Konstruktion des ›Sodomita‹ in den venezianischen Quellen zur spätmittelalterlichen Homosexuellenverfolgung«, in: Martin Dinges (Hg.), Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in der Geschichte der Frühen Neuzeit, Göttingen 1998, S. 100-122, hier S. 108. Vgl. auch D. Bohde: Der hl. Sebastian, S. 83. 56 | Vgl. G. Ruggiero: The Boundaries of Eros, S. 121. 57 | Vgl. Bernardino da Siena: Prediche volgari sul Campo di Siena 1427, herausgegeben von Carlo Delcorno, Mailand 1989, Bd. II, S. 1147, 34, und S. 1146, 28, sowie S. 1165, 102, sowie G. P. Lombardelli: De gli ufizii, e costumi de giovani libri III, S. 138.

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seiner mangelnden Erfahrung wieder in eine unterlegene und damit als unmännlich definierte Position gebracht.58 Einem jüngeren Mann gegenüber die aggressive, aktive Rolle auszuüben, lieferte die Möglichkeit, dem Ideal dominierender Männlichkeit gerecht werden zu können.59 Hinzu kommt, dass die körperliche Anziehung jüngerer auf ältere Männer – »aspectus adolescentis fascinat seniorem« (Ficino 1993: 326) – als gegeben angenommen wurde und der junge männliche Körper als ein Paradigma für Schönheit galt.60 Dieses Dispositiv konnte jedoch, seines sexuellen Gehaltes weitgehend entkleidet, auch auf eine rein metaphorische Ebene verlegt werden. Die (platonische) Liebesbeziehung zwischen Jüngling und Mann wird von Ficino als Konstellation beschrieben, die an die Tauschstruktur der grazia denken lässt: »Der Ältere genießt mit den Augen die Schönheit des Jüngeren, und der Jüngere genießt geistig die Schönheit des Älteren.« (Ficino 1993: 76f.) Dem Ideal der paiderastia entsprechend, dient das erotisierte Verhältnis zwischen Mann und Jüngling der intellektuellen Veredlung und Vollendung des jungen Mannes, der von seinem (platonischen) Liebhaber in diverse intellektuelle und soziale Lebensbereiche eingeführt wird.61 Nach neoplatonischer Idealvorstellung gelangt der Ältere, der lehrende Part, in einer (nach Ficino selbstverständlich rein unkörperlichen) Verbindung gleichfalls in den Genuss spiritueller Entfaltung. Denn die Schönheit des Jünglings wecke das Verlangen nach Schönheit an sich und sei damit letztlich das Verlangen nach Gott, dem Prinzip aller wahren Harmonie.62 Dass auch und gerade in der Kunstwahrnehmung homoerotische Begehrensmuster (und 58 | Vgl. Ruggiero, Guido: »Marriage, Love, Sex, and Renaissance Civic Morality«, in: James Grantham Turner (Hg.), Sexuality and Gender in Early Modern Europe. Institutions, Texts, Images, Cambridge 1993, S. 10-30, hier S. 23ff. 59 | Vgl. M. Rocke: Forbidden Friendships, S. 162, sowie G. Ruggiero: Marriage, Love, Sex, and Renaissance Civic Morality, S. 24. 60 | Randolph bringt diese Beobachtungen in seinen Überlegungen zu Donatellos David pointiert zum Ausdruck: »Kein Mitglied der Gesellschaft, selbst wenn es sich nicht sexuell angezogen fühlte, konnte die Attraktivität des Knabenkörpers leugnen.« (Randolph 2004: 46) 61 | Vgl. Hartmann, Elke: »Päderastie (παιδεραστία)«, in: Hubert Cancik/Helmuth Schneider (Hg.), Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. IX, Stuttgart/Weimar 1997, S. 139-141. 62 | Vgl. M. Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl, S. 288-299 (6. Rede, Kapitel XVIII). Stets ist es die körperliche Schönheit, die als Weg der Erkenntnis dient. Francesco Cattani da Diaccetto (Panegirico allo amore di Francesco de Catani da Diacceto a Giovanni Corsi e Palla Rucellai, Rom 1526, S. C iii recto) spricht in diesem Zusammenhang von der »divina belleza, la quale piu manifestamente che in altro loco, appare nel corpo humano, e massime nel volto«.

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sei es nur als Teil einer gängigen Rhetorik) eine Rolle spielten, muss daher wenig überraschen.63 Für den Fall des Pariser Bildes bleibt zunächst einmal festzustellen, dass der Dargestellte nach zeitgenössischer Vorstellung genau in jenem Alter steht, in dem er sowohl für reife als auch für junge Männer besonders begehrenswert erscheinen musste. Darüber hinaus handelt es sich um jenes Alter, in dem die Praxis der Sodomie nach gängiger Alltagserfahrung äußerst häufig anzutreffen war. Er konnte damit als ideale Projektionsfläche für jede Art von Begehren verstanden werden, wobei ihm zwangsläufig die passive, unterlegene Rolle zukommen musste. Dieser Part war, wie gezeigt, weiblich konnotiert. Beide Aspekte, passives Abwarten und Effeminierung, hier durch Bezug zu Kategorien weiblicher Idealschönheit herausgestellt, erscheinen als zentrale Momente der Inszenierung, womit einer projektiven erotisierten Wahrnehmung Vorschub geleistet wird. Der junge Mann baut durch seinen intensiven Blick eine Beziehung zum Betrachter auf und adressiert damit dessen Begehren bzw. Besitzerwillen. Die in dieser erstaunlich freimütigen Fixierung des Bildgegenübers liegende Provokation irritiert durch die undefinierbare Mimik des Dargestellten. Die verhaltene, kaum merkliche Spannung der Mundwinkel bleibt rätselhaft, der Betrachter sieht sich mit einer interpretativen Offenheit konfrontiert, die gerade den Reiz des Bildes ausmacht. Bedeutet der Ausdruck Aufforderung, Abwarten, Neugierde, oder nimmt der Jüngling dem vermutlich älteren Betrachter gegenüber jene Rolle ein, wie sie nach antikem Muster typisch für den jungen Mann ist, der, sich seiner eigenen Verführungskraft bewusst, »nüchtern den [hier: vielleicht bald] vor Liebe Trunkenen mustert« oder »sogar geringschätzig auf den [hier: potenziellen] Liebhaber herabschaut«?64 Ognun poi segua la sua fantasia,65 wie Grazzini in seinem homoerotisch aufgeladenen Gedicht zu Donatellos Georg schreibt. Der Betrachter jedenfalls fand sich genau in jener Rolle, die nach (neo-)platonischer Auffassung dem Älteren zu63 | Ein Beispiel dafür liefert Grazzinis In lode della statua di san Giorgio di mano di Donatello a Orsanmichele in Firenze, wohl entstanden zwischen 1547 und 1566. Ausführlich besprochen von Schröder, Gerald: »›Ein jeder folge seiner Phantasie‹. Zu den Funktionsweisen der Imagination bei der Betrachtung von Kunstwerken im 16. Jahrhundert am Beispiel der Statue des heiligen Georg von Donatello«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67 (2004), S. 25-54. 64 | Xenophon: Die sokratischen Schriften, herausgegeben von Ernst Bux, Stuttgart 1956, hier S. VIII und S. 21f. 65 | Grazzini, Antonfrancesco (gen. Il Lasca): Le rime burlesche edite e inedite, herausgegeben von Carlo Verzone, Florenz 1882, S. 528, Z. 57.

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kommt: Er konnte sich dem betrachtenden Genuss der Jugendschönheit hingeben. Mehr noch, seinem intellektuellen Selbstbild wurde geschmeichelt, der Jüngling präsentiert sich in einem Habitus, der grazia evoziert, es lag am Betrachter, ob er grazia (Anmut) mit grazia (Huld, wohlwollender Zuwendung) vergalt. Vor allem jedoch musste sich der erwachsene Rezipient in seinem Selbstbild aktiver Männlichkeit bestätigt sehen. Welche Konsequenz der Betrachter daraus für sich zog, blieb ihm überlassen. Er konnte sich in die Position des Genießenden zurückziehen, der sich an der schönen Gestalt erfreut. Er konnte aber auch – wenn er mit dem entsprechenden Gedankengut vertraut war – über das Wesen der Schönheit und damit ebenso der Kunst reflektieren.

N OVA BELEZA IN ABITO G ENTILE VOLSEL MIO CORE

ALA MOROSA SCHIERA 66 Ü BERLEGUNGEN ZUR FUNKTION DER

PARISER TAFEL

Worin bestand nun die Funktion der Tafel aus dem Louvre? Jede Antwort ist letztlich dazu verurteilt, Spekulation zu bleiben. Das Werk scheint am ehesten jenen giorgionesken Idealbildnissen schöner Knaben verwandt, die geschätzte Sammlerstücke venezianischer Kunstliebhaber waren.67 Wie Koos in ihren Überlegungen zum venezianischen Männerbildnis zeigte, konnte auch die Herausstellung männlicher Attraktivität kunsttheoretische Bedeutung gewinnen, indem die Schönheit des Dargestellten als Synekdoche für die Schönheit des malerischen Werks als solches einstand.68 Vor dem Hintergrund der cinquecentesken Auffassung, dass Schönheit Begehren und in einem weiterführenden Schritt 66 | Zur Rolle von Lehrlingen als Modell vgl. Marschke, Stefanie: Künstlerbildnisse und Selbstporträts. Studien zu ihren Funktionen von der Antike bis zur Renaissance, Weimar 1998, S. 304f. und S. 309ff. 67 | Vgl. hierzu Koos, Marianne: »Amore dolce-amaro. Giorgione und das ideale Knabenbildnis der venezianischen Renaissancemalerei«, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 113-174. 68 | Vgl. Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts, Emsdetten 2006, S. 282. Koos gelingt hier in überzeugender Weise die Fortentwicklung zentraler Gedanken zum kunsttheoretischen Ort weiblicher Schönheit im Anschluss an Cropper, Elizabeth: »The Beauty of Women. Problems in the Rhetoric of Renaissance Portraiture«, in: Margaret W. Ferguson/Maureen Quilligan/Nancy J. Vickers (Hg.), Rewriting the Renaissance. The Discourses of Sexual Difference in Early Modern Europe, Chicago 1986, S. 175-190.

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Liebe hervorrufe,69 musste ein Bildnis, das genau diesen Mechanismus in Gang zu setzen überzeugend beanspruchte, jene höchste Anforderung an Malerei erfüllen, wie sie von Leonardo formuliert worden war: die Affekterzeugung.70 Der Konnex von Liebe und Malerei gehörte zweifellos zur communis opinio der Zeit um 1500, wenn selbst ein Feind jedes l’art pour l’art wie Savonarola selbstverständlich von der Fähigkeit des Bildwerks ausgeht, im Betrachter Liebe zu entfachen.71 Auch Ludovico Dolce schreibt noch 1557 in seinem Dialog über die Malerei: »Aber was soll ich Euch über Francesco Parmigianino sagen? Dieser gab seinen Bildern eine gewisse Anmut [vaghezza], dass sich jeder, der sie betrachtet, in sie verliebt.« (Dolce 2008: 306)72 Interessanterweise wird hier gerade der Maler, der für unser Jünglingsporträt als der wahrscheinlichste Autor infrage kommt, als ein Künstler genannt, dessen Werke im Betrachter Verliebt-Sein auslösen.73 Und Parmigianino selbst hinterlässt auf einem Skizzenblatt zu den Fresken der Madonna della 69 | Vgl. d’Aragona, Tullia: »Dialogo della signora Tullia d’Aragona della infinità d’amore« [1547], in: Giuseppe Zonta (Hg.), Trattati d’amore del Cinquecento, Bari 1912, S. 185-248, hier S. 245; Equicola, Mario: Libro di natura d’amore, Venedig 1587 (1525), S. 34 verso und S. 107 verso; Cattani da Diaccetto, Francesco: I tre libri d’amore di M. Francesco Cattani da Diacceto. Filosofo et gentil’huomo fiorentino, con un panegirico all’amore et con la vita del detto autore fatta da M. Benedetto Varchi, Venedig 1561, Buch 1, S. 56 und Buch 2, S. 87; ebenso M. Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl, S. 74f. (2. Rede, Kapitel IX). 70 | In seinen paragonalen Überlegungen zur Wertigkeit von Malerei und Poesie (Disputa del poeta e pittore, e che differenza è da poesia a pittura) führt Leonardo die Fähigkeit zur Erzeugung eines stärkeren Liebesaffekts als Ausweis der Überlegenheit der Malerei ins Feld (vgl. Leonardo da Vinci: Libro di Pittura, herausgegeben von Carlo Pedretti/Carlo Vecce nach dem Codex Vaticanus Urbinas lat. 1270 der Biblioteca Apostolica Vaticana, Bd. 1, Florenz 1995, S. 149 [25]). Vgl. auch M. Koos: Bildnisse des Begehrens, S. 272-282. 71 | »L’amore è come un dipintore. Un buono dipintore, se e’ dipigne bene, tanto delettano gli uomini le sue dipinture, che nel contemplarle rimangon sospesi, e qualche volta in tale modo che e’ pare che e’ sieno posti in estasi e fuora di loro, e pare che e’ si dimentichino di loro medesimi.« (Savonarola, Sermoni sopra il salmo Quam bonus, Predigt 16, zit. nach Nagel 2003: 352) 72 | Vgl. auch Dolce, Lodovico: L’Aretino. Dialogo della Pittura, herausgegeben von D. Ciàmpoli, Lanciano 1913 (1557), S. 85: »Ma che vi dirò io di Francesco Parmigianino? Diede costui certa vaghezza alle cose sue, che fanno innamorar chiunque le riguarda.« 73 | Eine Diskussion der Zuschreibungsgeschichte würde Stoff genug für einen eigenen Beitrag liefern und kann in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden. Die wesentlichen Merkmale, die für Parmigianino sprechen, fasst Gamba bereits 1924 bündig zusammen: Gamba, Carlo: »Nuove attribuzioni di ritratti«, in: Bol-

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Steccata in Parma eine von Petrarca stammende Zeile, die den Zusammenhang zwischen Schönheit und Liebesaffekt beschwört: »Nova beleza in abito Gentile volsel mio core ala morosa schiera« (Neue Schönheit in edlem Gewand wendet mein Herz zur Liebesschar).74 Fast möchte man meinen, es handelt sich hier um ein künstlerisches Credo. Und in der Tat scheint die kleine Tafel eine derartige Aufgabe zu erfüllen. Was das Werk deutlich von giorgionesken Knabenbildnissen oder dem lyrischen Bildnismodus nach Koos abhebt, ist der konkrete lebensweltliche Bezug durch die dezidiert zeitgenössische Kleidung, die direkte Verbindung zwischen Betrachter und Porträtiertem sowie das Abweichen von rein träumerisch-poetischen Stimmungswerten.75 Der besondere Reiz besteht gerade im Moment des Spielerischen, der kalkulierten Pose, ihrer subtilen Brechung und darin, dass trotz aller Raffinesse die Fiktion des Porträthaften erzeugt wird. Ist das eigenwillige Werk nichts anderes als eine Art Capriccio? Das relativ kleine Format sowie der ungewöhnliche Bildträger Tannenholz76 scheinen auf einen eher experimentellen und okkasionellen lettino d’Arte 4 (1924), S. 193-216, hier S. 215f. Zur Aufarbeitung der Zuschreibungsfrage vgl. A. Plackinger: »Quant’è bella giovinezza …«, S. 21-31. 74 | Zit. nach Vaccaro, Mary: »Parmigianino and Andrea Baiardi. Figuring Petrarchan Beauty in Renaissance Parma«, in: Word and Image 17 (2001), S. 243-258, hier S. 244 (Übersetzung A.P.). 75 | Koos geht davon aus, dass die verstärkte Betonung von sprezzatura im männlichen Porträt »als eine Art der Disziplinierung von Männlichkeit betrachtet werden« (Koos 2006b: 407) kann und damit im Gegensatz zum »lyrischen Subjektentwurf« steht, der mit spezifisch weiblichen Konnotierungen spielt. Das hier besprochene Fallbeispiel widerspricht einer solchen These, indem es beides vereint: das Spiel mit geschlechtlicher Ambiguität bei gleichzeitiger Ausstellung performativer Souveränität, wenn diese auch bereits nur aufgrund des Alters des Dargestellten hinterfragt werden kann. 76 | Wie die Studie von Marette über die als Bildträger verwendeten Holzarten alter Meister belegt, fand Tannenholz äußerst selten Verwendung (die am häufigsten verwendete Holzart [90 Prozent] war in Italien das Pappelholz). Laut dem von Marette statistisch ausgewerteten Material waren von 345 Bildträgern aus dem Italien des 14. bis 16. Jahrhunderts lediglich neun aus Tannenholz hergestellt, was einem Anteil von 2,02 Prozent an der Gesamtheit aller verwendeten Bildträger entspricht (vgl. Marette, Jacqueline: Connaissance des Primitifs par l’étude du bois. Du XIIe au XVIe siècle, Paris 1961, S. 54f. und S. 66). Im Hinblick auf seine Eigenschaften als Bildträger weicht Tannenholz kaum vom in Italien meist verwendeten Pappelholz ab. Allerdings reißt Tanne beim Hobeln leicht ein (vgl. Wagenführ, Rudi: Holzatlas, Leipzig 20076). Die Tatsache, dass ein Künstler auf ein ungebräuchliches und durch seine Bearbeitungseigenschaften weniger geeignetes Material zurückgreift, muss erstaunen. Der außergewöhnliche Bildträger lässt sich vielleicht tatsächlich dadurch erklären, dass das Material eines Gebrauchs-

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Kontext hinzuweisen. Die ungewöhnlich unmittelbare, nahsichtige und intime Haltung erinnert an Zeichnungen, wie sie von jungen Modellen und Gehilfen im Werkstattzusammenhang zu Studien- und Übungszwecken entstanden sind (Abb. 3).77 Liegt hier einer der Ausgangspunkte für die Bildidee? Der Künstler liefert jedenfalls eine Probe seiner Meisterschaft, indem es ihm scheinbar beiläufig gelingt – also ganz einem »Ars est celare artem«-Ideal von sprezzatura entsprechend – eine vermeintlich anspruchslose Bildaufgabe dermaßen ästhetisch-intellektuell aufzuladen, dass ein Anschluss an kunsttheoretische Diskurse um Schönheit und Affekt mühelos möglich ist.

Abbildung 3: Francesco Salviati, Knabenbildnis, um 1532 gegenstandes weiterverwendet wurde, d.h. ein Träger zum Einsatz kam, der nicht für die reguläre Werkstattproduktion vorgesehen war. 77 | Zur Rolle von Lehrlingen als Modell vgl. Marschke, Stefanie: Künstlerbildnisse und Selbstporträts. Studien zu ihren Funktionen von der Antike bis zur Renaissance, Weimar 1998, S. 304f. und S. 309ff.

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Give and Take Michelangelo and the Drawings for Tommaso de’ Cavalieri LISA K. R EGAN

Rumors about Michelangelo’s sexuality were so prevalent in the Renaissance that each of his biographers had, whether implicitly or explicitly, to deny them. “He has also loved the beauty of the human body as one who knows it extremely well,” wrote Ascanio Condivi, “and loved it in such a way as to inspire certain carnal men, who are incapable of understanding the love of beauty except as lascivious and indecent, to think and speak ill of him.”1 Condivi’s defense reveals the degree to which the romantic rumors struck at the core of Michelangelo’s artistic aesthetic, and responded to his art, as well as his life. Their primary subject was the artist’s relationship with Tommaso de’ Cavalieri, a young Roman nobleman with whom Michelangelo became close after meeting in late 1532 through shared noble circles.2 A rapid correspondence in 1533 attests to the intensity of 1 | “Ha eziamdio amata la bellezza del corpo, come quello che ottimamente la conosce, ed ital guisa amata, che appo certi uomini carnali, e che non sanno intendere amor di bellezza se non lascivo e disonesto, ha porto cagione di pensare e di dir male di lui.” Ascanio Condivi, Vita di Michelangelo Buonarroti, ed. by Giovanni Nencioni; Florence, Studio per edizioni scelte, 1998, p. 62. The translation is from Alice Sedgwick Wohl, The Life of Michelangelo by Ascanio Condivi, ed. by Hellmut Wohl; Second edition: University Park, The Pennsylvania State University Press, 1999, p. 105. This kind of prevarication extends to modern biographers as well; see Deborah Parker on Gotti’s attempts to explain away Michelangelo’s ardent language and change the gender of his letters’ recipients – to the confusion of biographers. Deborah Parker, “The Role of Letters in Biographies of Michelangelo”; in: Renaissance Quarterly, 2005, vol. 58, p. 114. 2 | For the details of this relationship, see: Christoph L. Frommel, Michelangelo und Tommaso dei Cavalieri; Amsterdam, Castrum Peregrini Presse, 1979. For the first meeting of the two men, see p. 14—15.

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what would become a lifelong friendship and collaboration, immediately cemented via a series of artistic gifts—initially at least two mythological drawings, the Ganymede [Fig. 1] and the Tityus [Fig. 2], followed by numerous sonnets and additional drawings.3 The Ganymede was primary among the drawings, and depicts an intense and mutual physical relationship between Jupiter, in the form of an eagle, and the shepherd Ganymede, whom he carries off to Olympus to serve as his cup-bearer.4 3 | In addition to Condivi, Vasari famously describes the relationship as very close, but for my purposes its intensity is signaled more by the sheer volume of material associated with it: several existing drawings, additional lost drawings mentioned by Vasari, a half-dozen or so direct letters, substantial indirect correspondence mentioning the relationship, and numerous sonnets written by Michelangelo about Tommaso. For Vasari’s description of Cavalieri, see: Paola Barocchi, Giorgio Vasari: La Vita di Michelangelo nelle redazioni del 1550 e del 1568; Milan and Naples, R. Ricciardi, 1962, vol. 6, p. 108—110. For the letters, see note 4, below. There is an enormous and complex literature on the circumstances surrounding the drawings in particular, much of it regarding which drawings were delivered when, and the authenticity of the various copies of the Ganymede. For complete bibliography, see: Michelangelo: The Drawings of a Genius, ed. by Achim Gnann; Vienna, Albertina, 2011; exhibition 10 Aug. 2010—9 Jan. 2011; cat. 83 and 84, p. 276—280. Modern scholarship has reached a broad agreement that Michelangelo’s first drawings for Cavalieri were sent as an enclosure in a letter of January 1533, and that these first drawings were the Ganymede and the Tityus. My analysis remains focused on the figures of Ganymede and the eagle, which are common to the various copies. A drawing of the Fall of Phaethon also exists in numerous versions; I will mention it only briefly. 4 | The letters appear in Il Carteggio di Michelangelo; ed. Paola Barocchi, Giovanni Poggi, and Renzo Ristori (Florence: S.P.E.S., 1965-83), vols. 3 and 4. There are six letters from Michelangelo to Cavalieri in 1533, and three from Cavalieri to Michelangelo in the same year – not to mention the letters to and from other acquaintances (Sebastiano del Piombo, Benedetto Varchi) that mention the relationship. For a concise summary, see Leonard Barkan, Transuming Passion: Ganymede and the Erotics of Humanism, Paolo Alto, Stanford University Press, 1991, p. 341, note 69. Ganymede’s primary appearances are in Ovid’s Metamorphoses, 10.155-161 and Virgil’s Aeneid, 5.520-557; for a detailed account of the classical sources of the myth see: Barkan, 1991, p. 19—40. The associations of Ganymede with homosexuality were well-established in the Renaissance, as a substantial body of scholarship attests. For the most thorough accounts see: James M. Saslow, Ganymede in the Renaissance: Homosexuality in Art and Society, New Haven, Yale University Press, 1986. Also: V. A. Kolve, “Ganymede/Son of Getron: Medieval Monasticism and the Drama of Same-Sex Desire”; in: Speculum, 1998, vol. 73, p. 1014—1067. Ilene H. Forsyth, “The Ganymede Capital at Vézelay”; in: Gesta, 15, 1976, p. 241—246. Michael Preston Worley, “The Image of Ganymede in France, 1730-1820: The Survival of a Homoerotic Myth”; in: The Art Bulletin, 1994, vol. 76, p. 630—643.

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Figure 1: Michelangelo, Ganymede, c. 1533

Figure 2: Michelangelo, Tityus, 1532

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In general, these drawings have been explained via neo-Platonic philosophy, early on by Erwin Panofsky who saw the pair as an allegory of the ascent of the soul, and more recently by James Saslow and then Leonard Barkan, who, albeit very differently, describe Neo-Platonism as the mythological and philosophical structure that Michelangelo used to simultaneously figure and contain (unsuccessfully) his desire.5 Over time, the drawings have become foundation documents in the history of sexuality, demonstrating the artist’s recognition of, and ability to represent, a forbidden desire.6 I would suggest that artistic practice could perform a similar process of contextualization, whereby transgressive desires are subsumed within a densely layered artistic, economic, social and political relationship. In the following pages I will discuss the ways that the Ganymede in particular, as well as the Tityus, reconfigured both literally and metaphorically the relationship between Michelangelo and Cavalieri, converting potential excesses into reciprocity. The drawings were positioned simultaneously outside the usual systems of artistic exchange—thus signaling the extraordinary status of the relationship— and as premier documents within that system in terms of their educational value for Tommaso and their foundational role in Michelangelo’s 5 | The literature on Michelangelo and the neo-Platonic tradition is vast. For its role in the Ganymede see in particular Erwin Panofsky, Studies in Iconology: Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York, Oxford University Press, 1939, p. 212—228; and, Saslow, 1986, p. 21—28.; also, Barkan, 1991, p. 78—80. Panofsky writes, on p. 216: “Thus it cannot be questioned that this drawing symbolizes the furor divinus, or, to be more precise, the furor amatorius, and this not in an abstract and general way but as an expression of the truly Platonic, all-pervasive and all-effacing passion which had shaken Michelangelo’s life when he had met Tommaso Cavalieri.” Also, on p. 218: “The Ganymede, ascending to Heaven on the wings of an eagle, symbolizes the ecstasy of Platonic love, powerful to the point of annihilation, but freeing the soul from its physical bondages and carrying it to a sphere of Olympian bliss. Tityus, tortured in Hades by a vulture, symbolizes the agonies of sensual passion, enslaving the soul and debasing it even beneath its normal terrestrial state. Taken together, the two drawings might be called the Michelangelesque version of the theme: Amor Sacro e Profano.” 6 | For interpretations of the Ganymede pertaining directly to Michelangelo’s sexuality, see: Saslow, 1986; Barkan, 1991; Stephen Orgel, “Ganymede Agonistes,” in: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, 2004, vol. 10, p. 485–501. For a discussion of the historical understanding of Michelangelo’s sexuality from the Renaissance to the modern day, see: James M. Saslow, “Inventing Michelangelo: The Historical Construction of the Creative Homosexual,” in: Medusa’s Gaze: Essays on Gender, Literature, and Aesthetics in the Italian Renaissance, in Honor of Robert J. Rodini, ed. by Paul A. Ferrara et al. Boca Raton, Bordighera Press, 2004, p. 65—90.

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practice. Indeed, it is this role that allowed Michelangelo, who initially positioned himself as Tommaso’s inferior, to create in the young man the ideal interlocutor—a mirror of himself. Modern ideas of Michelangelo’s personal expression in the drawings have long depended on their status as gifts; indeed, as I will describe, there are clues that Tommaso and Michelangelo had some degree of discussion about who would see the drawings and how, seeming to intimate that both recognized the works should not be exposed to the public gaze. This, in turn, has provided evidence for granting the drawings a special, private designation, complementary to but removed from Michelangelo’s broader production.7 And yet, as is equally often remarked, many of the gifts for Cavalieri became well-known in the Renaissance: Benedetto Varchi used one of the sonnets in his lectures to the Florentine Academy; the so-called Presentation Drawings were widely copied in multiple media, especially the Ganymede, which became the basis of an overwhelming proportion of the representations of its subject in the later 16th century.8 In modern terms there should be tension between a deeply private, even taboo, sentiment and the publicly consumed work of art, but the personal was a space that Michelangelo performatively carved out by staging it against the norms of artistic practice; Michelangelo gave drawings only to friends, not patrons, and he did so as part of establishing his distance from the standard practices of artistic exchange.9 The sentiments of the 7 | For example, Saslow, 1986, p. 50, writes: “Perhaps it was merely modesty that led Cavalieri to try to keep private [Ganymede’s] deeply personal message; but the other drawings in the series were no less confessional in intent. What distinguishes the Ganymede from Tityos and Phaethon is its positive eroticism, which, however purified by Neoplatonic reference, was still susceptible to ‘misunderstanding’ by a public equally familiar with the myth’s more earthy undertones.” 8 | The sonnet is “Veggio co’ be’ vostr’occhi un dolce lume”; see James Saslow, The Poetry of Michelangelo: An Annotated Edition; New Haven, Yale University Press, 1991; poem 89, p. 211. Leatrice Mendelsohn, Paragoni: Benedetto Varchi’s ‘Due Lezzioni’ and Cinquecento Art Theory (Ann Arbor: UMI, 1982); also, Barkan, 1991, p. 81, and p. 133, n. 98. By summer of 1533, the Ganymede was very well known in artistic circles; see Gnann, 2011, cat. 84, p. 278. 9 | Hugo Chapman writes: “Michelangelo’s insistence on giving finished drawings to his friends, rather than to his patrons who craved such refined works, is just one expression of his determinedly independent nature. His desire to set himself apart from his fellow artists is demonstrated by his unwillingness to turn his hand to portraiture.” Hugo Chapman, Michelangelo: The British Museum; London, British Museum Press, 2006; p. 204. Michelangelo was famously aware of his distinction from the craftsman tradition, to the point of remarking, “I was never a painter or sculptor like those who run workshops.” William Wallace, Michelange-

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drawings, however intensely felt, were also part of a public performance of Michelangelo’s special artistic identity—that is to say, an identity that merged the personal and the professional, and that was created by the very works of art he presented as its product. Michelangelo’s correspondence with Cavalieri on the subject of the drawings focuses on the authentic offering, as against the ulterior political and financial motives of courtiers and princes; Michelangelo thus staged his drawings as gifts with no possibility of a physical or monetary equivalence.10 And yet, in presenting his drawings to Cavalieri, Michelangelo suggests that reciprocity is possible—if the gift finds its perfect recipient. Michelangelo’s first surviving letter to Tommaso de’ Cavalieri of 1 January 1533, which included as an enclosure the two drawings of Ganymede and Tityus, carefully constructs an unequal relationship so as to bring it into balance. Michelangelo, having nervously begun by describing his own presumption in being the first to write, and his subordination to Cavalieri on every level, goes on to say, “I should deem myself unborn, or rather stillborn, and should confess myself disgraced before heaven and earth, if from your letter I had not seen and believed that your lordship would willingly accept some of my drawings. This has caused me much surprise and pleasure no less. And if you really esteem my works in your heart as you profess to do in your letter, I shall count that work much more fortunate than excellent, should I happen, as I desire, to execute one that might please you.”11 lo at San Lorenzo: The Genius as Entrepreneur; Cambridge, Cambridge University Press, 1994, p. 1. There is a substantial literature on the degree to which this identity was a performance and a self-mythologization; see in particular Rab Hatfield, The Wealth of Michelangelo; Rome, Edizioni di Storia e Letterature, 2002; series: Istituto nazionale di studi sul Rinascimento. Studi e testi del Rinascimento europeo, vol. 16. Also, Wallace, 1994, p. 1—2 and 98—103. 10 | Alexander Nagel, “Gifts for Michelangelo and Vittoria Colonna”; in: The Art Bulletin, 1997, vol. 79, p. 647: “For Michelangelo and Vittoria Colonna, the drawing conceived as a gift was deliberately exempt from the normal economy of art production in the period.” Nagel lists indulgences, masses, contracts and more as forming an economy of religion; as I will discuss, there was a similar economic and power structure surrounding non-religious art as well, one that Michelangelo’s drawings for Tommaso also evade. Ulrich Pfisterer’s Lysippus und seine Freunde, an important work on the subject of artistic and erotic friendship in Rome, was unfortunately not available at the time of writing this piece. 11 | “E non che appena [mi parete] nato, come in esssa di voi mi scrivete, ma stato mille alter volte al monde, e io non nato, o vero nato morto mi reputerei e direi in disgratia del cielo e della terra, so per la vostra non avessi visto e creduto Vostra

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The gift-drawings are not the fulfillment of the wish of the recipient, but of the giver—and are so only because of the authenticity of the recipient’s desire. The exchange, in other words, must be mutual, not in terms of objects offered but in terms of the degree of desire that is invested in the exchange itself. In his Life of Michelangelo, Giorgio Vasari offers what has become a standard account of Michelangelo’s relationship to gifts: “He did not want gifts from anyone, because it seemed to him that if someone gave him something, he would be obligated to him forever.”12 The artist understood, this quote would indicate, that a gift placed a burden of return— but a return that can never be complete.13 As Alexander Nagel has deS(ignori)a acectare volentieri alcune delle opere mie: di che n’ò auto maraviglia grandissima e non manco piacere. E se vero è che quella così senta dentro come di fuora scrive di stimare le opere mia, se avien che alcuna ne facci, come desidero, che allei piaccia, la chiamerò molto più avventurata che buona.” Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 1. Translation from: The Letters of Michelangelo, ed. and trans. by E. H. Ramsden; Palo Alto, Stanford University Press, 1963; vol. II, p. 182—183. A previous draft of the letter – written before Michelangelo had received Cavalieri’s acceptance of his offer of gifts – reads, “If, however, any one of the things which I promise and hope to perform were to please you, I should count that work much more fortunate than excellent.” Ramsden, 1963, vol. II, p. 193. I am indebted to William Kennedy for sharing with me the manuscript for his forthcoming book on Michelangelo’s poetic and visual figurations of economic relationships. Professor Kennedy definitively unpacks the ways in which Michelangelo’s plays on the name “Cavalieri” and the address “Signore” figure the various material and emotional inequalities Michelangelo felt in his relationship with Cavalieri. Panofsky also discussed further of Michelangelo’s statements of his own subordination and unworthiness; Panofsky, 1939, p. 221. 12 | “Nè voleva presenti di nessuno, perchè pareva, come uno gli donava qualcosa, d’essere sempre oblicato a colui.” Giorgio Vasari, Le opere di Giorgio Vasari con nuove annotazione e commenti di Gaetano Milanesi; Florence, 1878-85; vol. 7, p. 276. Translation mine. 13 | There is a substantial literature on gift-giving in general, and on the norm of reciprocity—that is, that every known culture has some notion not only of the gift, but that it must be returned. For the original social psychology research, see: Alvin W. Gouldner, “The Norm of Reciprocity: A Preliminary Statement”; in: American Sociological Review, 1960, vol. 25, p. 161—178. For the anthropological background, see: Marcel Mauss, The Gift: The Form and Reason for Exchange in Archaic Societies; Trans. W. D. Halls; New York, Norton, 2000. See most recently Serge-Christophe Kolm, Reciprocity: An Economics of Social Relations; Cambridge, Cambridge University Press, 2008. For specifically early modern dynamics surrounding gift-giving see: Natalie Zemon Davis, The Gift in SixteenthCentury France; Madison, University of Wisconsin Press, 2000. For the role of gift-drawings for forging patronage relationships in Baroque Italy, see: Genevieve

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monstrated, Michelangelo understood that the gift was a tool for moving a relationship out of the economic realm of simple exchange and into one of complex mutual obligations; and as much as he sometimes re-sisted such obligations, he was also capable of manipulating them. Indeed, evidence of this appears very early in his career.14 Vasari provides his own example. He follows the famous remark above with an account of Michelangelo’s refusing a delivery of candles that Vasari himself had sent as a gift. Yet, as Leonard Barkan recently pointed out, Michelangelo separately penned an apologetic and grateful poem on the subject of the candles (as well as gifts of sugar, wine and a mule), concluding that nothing he could do would count as a reply, “for it is no present to repay a debt.”15 The distinction between debt and present is an important one— debt flattens all objects, whether candles or poems, into quantities of currency, which have equivalencies.16 Michelangelo, despite his putative gifthatred, in this exchange prefers presents, where the stakes in the exchange exceed, or at least evade, the value of the thing given.17 It is in this light Warwick, “Gift Exchange and Art Collecting: Padre Sebastiano Resta’s Drawing Albums”; in: The Art Bulletin, 1997, vol. 79, p. 630—646. 14 | An article and subsequent book by Alexander Nagel both closely examine the role of gifts in Michelangelo’s religious art, particularly the drawings for Vittoria Colonna. See: Nagel, 1997, p. 647—678. And: Alexander Nagel, Michelangelo and the Reform of Art; Cambridge, Cambridge University Press, 2000, p. 173—176. Even early in his career, Michelangelo procured a dagger for Filippo Strozzi, and in his letters explicitly said that it would have more value if given as a gift than as the fulfillment of a commission. The object in this case is merely a dagger—an object of some limited material value, and no artistic value. William Wallace, “Manoeuvring for Patronage: Michelangelo’s Dagger”; in: Renaissance Studies, 1997, vol. 11, p. 21—26. 15 | “Chè ‘l debito pagar non è presente.” Michelangelo Buonarroti, Rime; Ed. Enzo Noè Girardi; Bari, G. Laterza, 1960; cat. 299. Translation from: Leonard Barkan, Michelangelo: A Life On Paper; Princeton, Princeton University Press, 2010, p. 270. See also Warwick, 1997, p. 632: The gift “is further distinguishable from other types of trade in that the return takes both a material and an immaterial form. The material benefit, or object received, is like that of any trade; the immaterial is prestige, power, honor, or status accumulated through this aestheticized form of exchange.” 16 | I am indebted to Suzanne Walker for offering this formulation, and more broadly for her contributions in commenting on this essay in an earlier draft. 17 | A letter to Vasari from 1551 plays similarly with the notion of indebtedness, Vasari as creditor, and the impossibility of settling the account: “Ora vi dico che celle molte lode che per la decta mi date, se io ne meritassi sol una mi parrebbe, quand’io mi vi decti in anima e in corpo, avervi dato qualche cosa e aver sodisfacto a qualche minima parte di quello che io vi son debitore; dove io vi rconosco

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that one must read the play in Michelangelo’s letters between resentment of the efforts of even his own family to trap him by unsolicited packages of shirts, wine and cheeses, against the ways that such donations might, in turn, be passed on to no lesser figure than the pope as a statement of intimacy and friendship.18 If it seems that a drawing is a very different kind of gift than wines or cheeses, this is largely due to Michelangelo’s own practice of guarding his drawings as personally motivated gifts. Vasari’s remarkable description of Michelangelo’s drawings begins with Michelangelo’s destruction of his own sketches to hide their imperfections from the eyes of critics; this is followed by a discussion of Michelangelo’s relationships with prominent Romans, and ends with the drawings for Cavalieri. The implication is twofold: that Michelangelo opened himself uniquely to those close to him by the gift of what ordinarily he would allow no one to see—and that the gift itself was uniquely perfect, meeting the artist’s exacting standards and elevating the recipient’s prestige. All the while, there is an awareness of the matter of status.19 Michelangelo increased and mystified the drawings’ value, which became both evident and unquantifiable, and he reinforced the larger trend toward privileging the artist’s hand over his materials. In a Michelangelo gift-drawing, two unlike systems come together—the material value of the work of art (the artist’s hand) and the immeasurable value of the impossibility of purchasing a drawing by this artist’s hand, since it could only be procured at his erratic whim. The performance of the personal generated the exceptional value of the gift given even as it proved the primacy of the relationship. This results in a paradox: that the gift of a Michelangelo drawing was, in a basic sense, without a counterpart—completely unreciprocable—even as, by dint of being a gift, it demanded return.

ogniora creditore di molto più che io non ò da pagare; e perchè son vechio, oramai non spero in questa, ma nell’altra vita poter parreggiare il conto: però vi prego di patientia.” Barocchi, 1965-1983, vol. 4, p. 366. Also, Parker, 2005, p. 101. 18 | See, for example, a letter of July 1540 written to his nephew Lionardo, in which Michelangelo complains of the poor quality of a gift of three shirts, and continues, “e quando bene fussino state soctile, non vorrei me l’avessi mandate, perchè, quando n’arò bisognio, manderò I danari da comperarne.” On the other hand, a letter to Lionardo of June 1547 says, “Ò ricievuto una soma di trebiano, manco sei fiaschi, di quaranta quactro: tre rocti e tre n’è restati a la dogana; e dieci n’ò mandai al Papa.” Graziano Bianchi, Michelangelo e il nipote; Florence, Casa Editrice Le Lettere, 2001, p. 14 and p. 21—22, respectively. 19 | See Barocchi, 1962; vol. 6, p. 108—110.

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Michelangelo’s fear of gifts, as Vasari narrates it, is the fear of the open relationship—not that the gift must be reciprocated, but that this might not be possible, generating unending obligation. The gift is excess, or, as Michelangelo put it in one of his poems to Tommaso, usury.20 Yet the Cavalieri drawings perform a relational fantasy of mutuality and reciprocity, by staging a series of unequal, or potentially unequal, relationships that the drawings then bring into balance. This desired reciprocity may have ultimately been in the realm of the psycho-sexual; but the drawings operate literally and metaphorically within a much more pragmatic system of exchange, where the inequalities of the two men were navigated. In his correspondence with Cavalieri, as well as in his sonnets, Michelangelo often plays on the young man’s name as a dual metaphor for his command of Michelangelo’s heart and for the noble birth that Cavalieri possessed and Michelangelo, for all his accomplishments, did not.21 Indeed, the artist is insistent on configuring their relationship with himself as the inferior—an imbalance that he can then redress both metaphorically and socially via the drawings as gifts.22 Gift-drawings, in other words, could forge relationships that crossed social barriers, precisely by appearing not to participate in mercenary exchanges, and they could do so in multiple directions. Nine months after receiving the drawings, Cavalieri wrote to Michelangelo to describe the way in which they had become public: “Cardinal de’ Medici wanted to see all of your drawings, and they were so pleasing to him that he wanted 20 | The poem is “Felice spirto, che con zelo ardente”; it appears written in response to a missive from Tommaso, and refers obliquely to the exchange of drawings. The final stanza reads: “Che sconcia e grande usur saria a farla, / domandoti turpissime pitture / per rïaver persone belle e vive.” James Saslow, The Poetry of Michelangelo: An Annotated Translation; New Haven, Yale University Press, 1991; poem 79, p. 190—191. The poem illustrates precisely the fluidity between the realms of the material and the emotional that Michelangelo manipulates with drawings that he understood as both authentic expressions and valuable objects. 21 | For Michelangelo’s relative wealth and aristocratic ambitions, see: Rab Hatfield, The Wealth of Michelangelo; Series: Istituto nazionale di studi sul Rinascimento. Studi e testi del Rinascimento europeo 16; Rome, Edizioni di Storia e Letteratura, 2002. 22 | Barkan, 2010, p. 226—227, describes the letters as “cautious, with Michelangelo composing multiple drafts and Cavalieri navigating carefully in the complicated territory of the inequalities between them, paradoxically construed by the artist (via elaborate conceits) as reflecting the young man’s superiority, rather than the reverse.” William Kennedy’s forthcoming book on Michelangelo and economic relationships further explores this theme; I am indebted to him for allowing me to read his work pre-publication.

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to have the Tityus and the Ganymede made in crystal; and I did not know how to persuade him not to do the Tityus, and now Maestro Giovanni is doing it. I tried so hard to save the Ganymede.”23 Scholarship has tended to focus on the last line of this statement—that Cavalieri tried, and failed, to keep the Ganymede from being copied. This has been seen as a proof that there was something very personal in it that Cavalieri and Michelangelo both recognized should not be opened to public inspection.24 Yet it is telling that not only Cardinal Ippolito de’ Medici, but also Pope Clement VII, came to see the drawings in the first place. Aside from Clement VII’s obvious authority, Cardinal Ippolito de’ Medici had his own gift-claim to Michelangelo: Vasari writes, immediately following a description of Michelangelo’s destruction of his own drawings, that the proof of Michelangelo’s friendship with great men was the Cardinal’s gift to the artist of an Arab horse he had admired, complete with groom.25 This gift suggests the degree to which the personal token and the valuable art object might operate in shared territory—or indeed, the one (Cavalieri’s memento) might become the other (the Cardinal’s crystal).26 Moreover, though Cavalieri bemoans the copying of the works, one won-

23 | Maria Ruvoldt, “Michelangelo‘s Dream”; The Art Bulletin, 2003, vol. 85, p. 86—113; translation is from p. 94, though I translate the last line differently. Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 49: Tommaso de’ Cavalieri writes to Michelangelo, “Il cardinal de’ Medici a voluti veder tutti li vostri disegni, e sonnogli tanto piaciuti che voleva far fare quel Titio e ‘l Ganimede in cristallo; e non ò saputo far sì bel verso che non habbia fatto far quel Titio, e ora il fa maestro Giovanni. Assai ò fatto a salvare il Ganimede.” 24 | Saslow, 1986, p. 50. Ruvoldt, 2003, p. 105. 25 | “Con tutto ciò ha avuto caro l’amicizie di molte persone grandi e delle dotte, e degli uomini ingegnosi, a tempi convenienti, e se l’è mantenute: come il grande Ipolito cardinale de’Medici, che l’amò grandemente, ed inteso che un suo cavallo turco che aveva, piaceva per la sua bellezza a Michelagnolo, fu dalla liberalità di quell signore mandato a donare con dieci muli carichi di biada ed un servidore che lo governasse, che Michelagnolo volentieri lo accettò.” Barocchi, 1962, 6, p. 109. Translation George Bull, Lives of the Artists, Volume I; New York, Penguin Books, 1965, p. 419. 26 | William Wallace has written on the subject of Michelangelo and the gift of horses, pointing out that the gift of a horse “was exceptional recompense for an artistic commission and signals a rise in the social stature of the artist… distinguishing him from most other men of his occupation.” Wallace also points out that Michelangelo had been given a gift horse on another occasion, and also hired horses – all marks of status. William E. Wallace, »Miscellanea Curiositae Michelangelae: A Steep Tariff, a Half Dozen Horses, and Yards of Taffeta,” Renaissance Quarterly, 1994, 47, p. 20—26.

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ders how the Pope and the Cardinal even knew that they were there to be seen if they were so potentially scandalous that, in a standard reading of Michelangelo’s letter to Cavalieri accompanying the drawings, the sender himself was too cautious to name them, even as he enclosed them. That same letter’s closing line, “Though it is usual for the donor to specify what he is giving to the recipient, for obvious reasons it is not being done in this instance,” is also typically read as signaling a degree of secrecy around the drawing.27 But this reading ignores the fact that the same letter also delegates the job of explaining the drawings to Pierantonio Cecchini—a member of the Ridolfi household with some artistic training from Michelangelo, and another pair of eyes and ears that could spread the knowledge of the works to elite Roman circles.28 The gift both created and affirmed a privileged viewing class, with the most privileged being perhaps the original recipient, but quickly including an elite next level of viewers and forging additional connections of courtesy. Granting a viewing to the cardinals was itself, in other words, a gift—one that Michelangelo had made it possible for Tommaso to offer. Just as the gift-drawings leveled the status between artist and nobleman, so did they forge mutual relationships between nobles. The gift-drawing’s ability to both articulate and level social, economic and relational hierarchies can be seen in a comparison of the Cavalieri letters with those of Pietro Aretino. Aretino began corresponding with Michelangelo in 1535, immediately offering a gift, of sorts—an ekphrastic description of the Last Judgment as he thought Michelangelo ought to paint it. The writing, while vivid, served more to showcase Aretino’s imaginative verbal skill than to provide any kind of useful artistic model—indeed, Aretino’s habit of publishing his letters signals from the beginning that he wanted to involve Michelangelo, whether willingly or not, in a paragone that would eventually become public. Understanding the selfserving competition that Aretino was offering, Michelangelo replied with 27 | “Sarebbe lecito dare il nome delle cosec he l’uomo dona, a chi le riceve: ma per buon rispecto non si fa in questa.” Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 2. Translation Ramsden, 1963, vol. 1, p. 183. 28 | “Non dirò altro. Molte cose alla risposta conveniente restano, per non tediare, e perché so che Pier Antonio, apportatore di questa, saprà e vorrà suprire a quello che io manco.” Barocchi, 1965–, vol. 4, p. 1—2. Ramsden, 1963, vol. 1, p. 183 translates: “I’ll say no more. Many things that might be said in reply remain unwritten, lest you be wearied and because I know that Pierantonio, the bearer of this, can and will supply what I lack.” Ramsden notes Pierantonio’s background as a carver.

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a sharp, if subtle, acknowledgment of the realm in which their exchanges would trade: that he would welcome a reply letter from Aretino, “seeing that kings and emperors esteem it the highest favor to be mentioned by your pen,” a line that deeply undercuts the subsequent expression of sincerity: “If I have anything that you would like, I offer it with all my heart.” That offer—of an existing work, with Aretino’s desire staged ahead of Michelangelo’s offer—is an inverse of the self-abasement and self-offering in the correspondence with Cavalieri. Indeed, Michelangelo’s invocation of courtly exchange—the system of favors by which political power was negotiated—became a constant theme in their correspondence as Aretino grew increasingly dissatisfied. In 1544, he wrote again, insultingly intertwining the terms of monetary payment and courtly favor: “Why will you not repay [remunerate] my devotion to your divine qualities by the gift of some scrap of a drawing, the least valuable [care] in your eyes? I should certainly esteem [apprezzarai] two strokes of the chalk upon a piece of paper more than all the cups and chains which all the kings and princes gave [presentò] me.”29 Aretino’s letter attempts the same alchemy as, on the other end of the spectrum, Vasari’s candles, rendering the small thing beyond value via the relationship forged in the act of giving, and indeed, changing the nature of the relationship itself via the quality of the gift. In fact, Aretino already had what he demanded: Vasari reportedly gave him a Michelangelo wax modello and sketch of St. Catherine in 1535.30 Clearly, Aretino did not want a drawing—he wanted the gift of a drawing, with all of the relational authority that it could bestow; it was the status, not the object, which Michelangelo refused him. Such is the backdrop to Aretino’s famous 1545 blackmail of Michelangelo over the Last Judgment in the Sistine Chapel. Aretino warned in a letter that the artist should be very wary of letting the author loose on the subject of the figures’ obscenity.31 The price of Aretino’s silence was 29 | “Ma perchè, o Signore, non remunerate voi la cotanta divotion di me, che inchino le celeste qualità di voi, con una reliqua di quelle carte che vi son meno care? Certo che apprezzarei due segni di carbone in un foglio, più che quante coppe et catene mi presentò mai questo principe e quello.” Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 181—182. 30 | A thorough summary of this correspondence can be found in John Addington Symonds, The Life of Michelangelo Buonarroti; Philadelphia, University of Pennsylvania Press, 2002, p. 47—50 [republished 3rd edition: London, J.C. Nimmo and Charles Scribner’s Sons, 1899]. 31 | For the original letters, with translations, see André Chastel, A Chronicle of Italian Renaissance Painting; Trans. Linda and Peter Murray; Ithaca, Cornell University Press, 1984, p. 278—279, translations on p. 191—195.

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simple: a drawing by Michelangelo’s hand. Such a gift would, he offered, quiet those who said that only certain Tommasos and Gherardos could obtain these works.32 This document is universally read as a sign of sixteenth-century Italy’s winking knowledge of Michelangelo’s sexuality, and the role of his drawings as affective agents in it; the Tommaso referred to is Tommaso de’ Cavalieri, the Gherardo is Gherardo Perini; at least some of the works obliquely mentioned by Aretino are the Ganymede and the Tityus. Such a reading is surely accurate, but it has historically eclipsed the fact that this letter is really only one in a series exchanged with Michelangelo on the subject of the status of drawings as gifts. In each case, Aretino stages the drawing as something Michelangelo owes him, in return for either devotion or silence. Aretino understands that the gift of a drawing circles between multiple systems of value, from authentic emotion to courtly favor, and derives its worth from the interaction in all of them. Indeed, Aretino’s collapse of these categories into each other is the direct source of the ultimate blackmail’s threat, which closes with a postscript reading, “do not forget that I am one to whose epistles kings and emperors reply.”33 The drawings’ true value lay not in what they were worth, but in what they could do—as Aretino recognized. Though more recent literature on the Presentation Drawings has tended to stop at describing Cavalieri as a “handsome young nobleman,” he in fact had a long and notable career in which the drawings were a direct tool of advancement.34 Cavalieri was Michelangelo’s intimate friend, present at the artist’s deathbed 32 | “Hor così ve lo perdoni Iddio, come non ragiono ciò per isdegno, ch’io hebbi circa le cose desiderate; perchè il sodisfare al quanto vi obligaste mandarmi deveva essere procurato da voi con ogni sollecitudine, da che in cotale atto acquetavate la invidia, che vuole che non vi possin disporre se non Gherardi et Tomai.” Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 216. 33 | “e risolvetevi pur, chio son tale che anco i Re e gli Imperadori respondano a le mie lettere,” Barocchi, 1965-83, vol. 4, p. 217. 34 | For Cavalieri’s biography both before and after Michelangelo, as well as a close account of their collaborations, see: Frommel, 1979. And: Alexander Perrig, “Bemerkungen zur Freundschaft zwischen Michelangelo und Tommaso de’ Cavalieri,” in Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes, Acts of the 21st International Congress of the History of Art, Bonn, 1964; Berlin, 1967, vol. 2, p. 164—171. This information is more accessibly reprised: Alexander Perrig, “Cavalieri, Tommaso de’”; Dizionario Biografico degli Italiani, Rome, Istituto della Enciclopedia italiana, 1960—, vol. 22, accessed at: http://www.treccani.it/Portale/ elements/categoriesItems.jsp?pathFile=/sites/default/BancaDati/Dizionario_Biografico_degli_Italiani/VOL22/DIZIONARIO_BIOGRAFICO_DEGLI_ITALIANI_ Vol22_011144.xml; last accessed on 23 March 2011.

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and effective executor of his will; but he was also the artist’s collaborator and a prominent Roman antiquarian, a credential with the drawings at its foundation.35 The drawings, in particular the Ganymede, circled between modern and ancient in a way that in sixteenth-century Rome had layered social implications. Cavalieri received the first drawings in 1533, when he was in his early twenties. By the mid-1540s, he was an expert consultant on the identification and appraisal of antiquities, called in several times by Alessandro Farnese to consult on the cardinal’s new acquisitions, as well as consulting on antiquities for other Roman noble families.36 By the mid-1550s he had a collection of more than twenty antique sculptures in his own palace and was buildings’ curator for the commune of Rome.37 His career in curating the merged works of the ancient and modern city was at an apex as he cajoled, negotiated and effectively shepherded to completion Michelangelo’s plans for the redesign of the Campidoglio—an inscription on the Palazzo dei Senatori acknowledges his efforts.38 His collection of drawings, many of them by Michelangelo, was admired by both the artistic and noble classes; artists were permitted to copy the collection while Cavalieri lived, and Cardinal Farnese himself purchased it after his death.39 Cavalieri was also close with the artistic circle surrounding Michelangelo in Rome.40 Allowing those artists to copy his drawings inserted Cavalieri’s models into a visual culture enthralled with both antiquity and Michelangelo; it also authorized his expertise on ancient and modern art, and the intersections between them.41 In Cavalieri’s collection, increasingly equivalent realms of taste and knowledge, of art and aristocracy, came together. Cavalieri’s career puts pressure on the visual readings of the drawings as tokens of a socially taboo romance, but it also suggests that the works were key to both men’s artistic identities. The Presentation Drawings were always intended to teach, and in so doing to position Cavalieri as a par35 | For Cavalieri’s immediate arrival at Michelangelo’s deathbed, and subsequent role in inventorying his house and settling his affairs, see Frommel, 1979, p. 89. 36 | Frommel, 1979, p. 79. 37 | Frommel, 1979, p. 80. 38 | That Michelangelo and Tommaso’s friendship quickly became a working relationship is very much the rule among Michelangelo’s acquaintanceship; see Wallace, 1994, p. 4. For details of the Capitoline, and its many difficulties, see Frommel, 1979, p. 81—86. 39 | Perrig, 1960—. 40 | For example, with Sebastiano del Piombo, Leone Leoni and Daniele da Volterra. Perrig, 1960—. 41 | Perrig, 1960—.

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ticular kind of viewer—a mirror of Michelangelo himself. Vasari, in his biography of Michelangelo, introduces the drawings with this near-aside: “To show Tommaso how to draw Michelangelo made many breathtaking drawings.”42 This remark has even led some scholars to attribute drawings to Cavalieri himself.43 Yet we should remember at this point that the paramour who preceded Cavalieri, Andrea Quaratesi (likely the subject of Michelangelo’s only surviving portrait), also received drawing lessons from Michelangelo.44 This act of teaching, easily dismissed as a kind of cover-story, should be seen as a clue into how the drawings shaped and changed both their author and their recipients. As Vasari says, the mundane drawing lesson, and the resulting pragmatic work of art, brought the master Michelangelo momentarily to participate in a craftsman’s culture that he would ordinarily have avoided; by the same token, in so doing the master initiated the object of his affection into his own realm of artistic knowledge and experience.45 Michelangelo’s art lessons for young men create a parallel with the drawings’ function as objects of study.46 The artist’s investment of time and effort, and his self-abasement to the status of craftsman, are repaid in Cavalieri’s expenditure of, as he says in his 42 | “Perchè egli imparassi a disegnare, gli fece molte carte stupendissime.” Barocchi, 1965–1983, vol. 6, p. 109. 43 | Specifically, Alexander Perrig in 1964 attributed one of the multiple versions of the Fall of Phaethon to Cavalieri, though this argument is almost never accepted. 44 | Chapman, 2006, p. 24. 45 | It is impossible to know whether these lessons actually took place in person – but they did in the form of the drawings themselves. As Leonard Barkan has recently argued, many of Michelangelo’s drawings were intended at least in part as instruction for his assistants (see note 44). In the case of the drawing of the Fall of Phaethon for Tommaso de’ Cavalieri, Michelangelo included an inscription on the version in the British Museum offering to redo the drawing if Cavalieri did not like it, or to finish it if he did. Barkan writes, “Looked at from Michelangelo’s side, the reason the messages do not terminally disfigure the work of art that he is creating for his adored friend is that they are the tokens of a passionate act of collaboration, part love and part art.” It is from this perspective of collaboration that I also view the drawings’ role. Barkan, 2010, p. 233. For the inscription, see Barkan, 2010, p. 229: “Tomao, se questo sc[jh]izzo non vi piace, ditelo a urbino, cacio che io abbi tempo caverne facto un altro doman disserra [cp]me vi promessi; e se vi piace e vogliate che io lo finisca rimandatemelo.” 46 | For Michelangelo as teacher, see: William Wallace, “Instruction and Originality in Michelangelo’s Drawings”; in: The Craft of Art: Originality and Industry in the Italian Renaissance and Baroque Workshop, Ed. Andrew Ladis and Carolyn Wood; Athens, GA, University of Georgia Press, 1995, p. 113—133. Also, Barkan, 2010, p. 173—202.

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first surviving letter to Michelangelo, hours of closely examining their product.47 Tommaso’s education is itself Michelangelo’s work of art—but the process of forming Tommaso in turn transforms Michelangelo, embedding in the gift its own mode of return. An earlier generation of scholars saw the Presentation Drawings in general, and the Ganymede in particular, largely in terms of direct classical sources.48 The most frequently cited among these is the Ganymede of Leochares [Fig. 3].

Figure 3: (After) Leochares, Ganymede, 2nd century copy of original from 4th c. BCE

47 | “In questo mezo mi pigliarò almanco doi hore del giorno piacere in contemplare doi vostri desengi che Pier Antonio me à portati, quali quanto più li miro, tanto più mi piacciono.” Barocchi, 1965—1983, vol. 3, p. 445. 48 | For classical examples for both Ganymede and Tityus that make it very clear that Michelangelo was using classical reliefs as a source see: A. Hekler, “Michelangelo und die Antike”; Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 1930, vol. 7, p. 201—223.

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This fourth-century BCE sculpture was known in copies, and from its description by Pliny.49 Sculpted copies, as in Michelangelo’s drawing, figure Ganymede facing forward, which, as Saslow points out, was not a feature of medieval and earlier Renaissance sources—but it was very much a feature of the antique.50 Still, the Leochares Ganymede is at least partly clothed, with his legs in a vertical, walking contrapposto, far from the dramatic, bent-kneed spread of Michelangelo’s version. Ganymede reaches up toward the eagle behind him, but does so as a metaphor for his ascent rather than an embrace. Closer to the Michelangelo version is a different Hellenistic model, widely disseminated, of Ganymede nude or nearly-nude with the eagle behind him, grasping the boy by the hips; as in the Michelangelo version, this Ganymede has one leg sharply bent and one straight, and one arm reaching out to the side, often touching the eagle’s wing.51 Yet Michelangelo’s figure differs from any of these sources in ways that are the direct basis of the drawing’s erotic charge: both legs are bent and spread wide, both arms are extended across the eagle’s wings, and the heads of the two figures are tucked closely together. These innovations create a newly accepting, mutual, even merged rela-

49 | For Pliny and the Leochares Ganymede, see: Barkan, 1991, p. 75—76. 50 | Ganymedes from the Hellenistic period and thereafter abounded in Europe, and many versions, particularly those of small scale, were simultaneously based upon and often closer in intimacy than the monumental Vatican version of the Leochares model. For example, a lamp discovered in Vani in 2007 shows a fully nude, front-facing Ganymede who looks up toward the eagle’s head, which he strokes with his right hand, while his left hand holds onto one of the eagle’s talons, itself formed and positioned as a metaphorical phallus. The nudity and mutuality of the relationship were, in other words, a feature of the classical sources, sources that themselves were very broadly disseminated in multiple media. 51 | This version is highlighted in: Frommel, 1979, p. 42—43. A wide range of examples appear in: Kyle M. Phillips, Jr., “Subject and Technique in HellenisticRoman Mosaics: A Ganymede Mosaic from Sicily”; in: The Art Bulletin, 1960, vol. 42, p. 243—262. His examples range from Tunisia to Pompeii, with some variation in Ganymede’s pose and relationship to the eagle—but the version closest to Michelangelo’s he describes thus: “Not yet completely recovered from the initial shock of being seized, Ganymede gazes at his abductor. The position of the arms and legs, resembling that of a struggling child at the moment it is picked up from a rapid run, emphasized the fright of Ganymede and his attempt to escape. His right arm stretches forth to fend off the eagle’s wing, the right leg is cocked ready to spring, the left leg violently thrusts to the side in an abortive jump.” Phillips, 1960, p. 254. For classical sources extremely close to Michelangelo’s Ganymede and Tityus both, see: Hekler, 1930, especially p. 220.

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Figure 4: Agesander, Athenedoros and Polydoros, Laocoön and His Sons, Early first century copy after original of ca. 200 BCE tionship between bird and boy; that they do not derive from classical Ganymedes might be a proof of this drawing’s special status as a statement of the artist’s personal desire. I would suggest, however, that many of these features can be traced directly to a second sculpture described by Pliny—the Laocoön [Fig. 4] Michelangelo’s Ganymede preserves the sharply flexed left leg of the Hellenistic Ganymedes, but pulls the legs apart and positions them parallel to each other in a mirror image of Laocoön’s. This brings Ganymede’s lower body into a twisted orientation, a perfect figura serpentinata, relative to the upper body, which is similarly modeled, not on classical Ganymedes, nor on imagination, but on the Laocoön. The position of Ganymede’s head, tipped to the side against his own hyperextended left shoulder, and the resulting twist in the torso to bring the right arm behind, are both distinct features of the ancient work. Laocoön’s right arm is itself a hypothetical reconstruction, but this is a further reminder of

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Michelangelo’s connection to the sculpture, as he was famously not only present at its excavation, but was responsible for identifying it based on Pliny’s description. Indeed, it is possible that the prosthetic right arm may be his own work, though the interventions into the Laocoön as we now know it continue to be matters of dispute.52 Whether or not he literally reworked it, the Laocoön trained Michelangelo in the antique even as he expanded on the sculpture as a point of origin; the Ganymede transfers this education to Cavalieri.53 By reiterating the known classical sources for the Ganymede and offering an additional one, I am suggesting that Michelangelo has given Tommaso a knowledge of classical sources as the artist himself understood them—multiple, interwoven, and indistinguishable even as they are recognizable. In 1533 there would have been nothing particularly new about invoking the Laocoön, beyond schooling Tommaso in the most important artistic sources. The Laocoön, once discovered, was a remarkably versatile source, disseminated through Europe via the print tradition and employable in a broad swath of contexts.54 What mattered was the 52 | See the first chapter of Leonard Barkan, Unearthing the Past: Archaeology and Aesthetics in the Making of Renaissance Culture; New Haven, Yale University Press, 1999. The suggestion has even been made that the Laocoön was the work of Michelangelo himself; whatever one makes of this claim, its author also thoroughly and productively examines the restoration work on the sculpture. Lynn Catterson, “Michelangelo’s ‘Laocoön’?”; in: Artibus et Historiae, 2005, vol. 26, p. 29—56. 53 | These sources were layered in the visual tradition as well, since the figures of Ganymede and Laocoön mirror each other in both classical and Renaissance sources. A scene of Laocoön from Pompeii shows a nearly identical figure to the Hellenistic Ganymedes. Now, this painting was of course unknown to the Renaissance – but it must have been of a copied type, because the same cross-fertilization happens in Giulio Romano’s designs for the Sala di Troia in the Palazzo Ducale in Mantua, where one of Laocoön’s sons is nearly identical to that at Pompeii, and to the Hellenistic Ganymede. 54 | Jürgen Müller, for instance, has very recently described Dürer’s development of a method of ironic citation of the Laocoön, among other famous classical sources. Jürgen Müller, “Albrecht Dürer’s Peasant Engravings: A Different Laocoön or the Birth of Aesthetic Subversion in the Spirit of the Reformation”; Journal of Historians of Netherlandish Art, 2011, vol. 3, accessed at http://www.jhna.org/ For the Lacoön as artistic source, see the following: Richard Förster, “Laokoön im Mittelalter und in der Renaissance,” Jahrbuch der Könliglich Preussischen Kunstsammlungen, 1906, vol. 27, p. 149—178. Richard Brilliant, My Laocoön: Alternative Claims in the Interpretation of Artworks; Berkeley, University of California Press, 2000. Salvatore Settis, Laocoönte: Fama e stile; Rome, Donzelli, 1999. Barkan, 1999.

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larger resonance of the quotation. Michelangelo’s Ganymede is unique in representations of the theme in his sublime acceptance of the eagle’s assault—indeed, as we have seen, the most immediate classical sources evoked terror. The conversion of struggle into dreamlike transport is made more remarkable when additionally derived from Laocoön, whose mortal battle with venomous snakes figured the absolute torment of body and mind (and Renaissance notions of how the former must, in art, reflect the latter). This is in part, surely, a figure for Michelangelo’s captivation by Cavalieri himself; but it is also an act of dramatic artistic transformation, mastering and reconfiguring the struggle conveyed by the poses of the classical sources into their opposite.55 Otherness, alienation, refusal and fear become the perfect symmetry of body, movement and mind. This act of transformation positions both Michelangelo and Tommaso within a broader artistic milieu. The drawing for Tommaso, with its intimate mode of exchange and personally motivated invention, should be understood against the backdrop of an artistic culture that knew antiquities largely via prints. Even well-established artists typically accessed classical works most often by print copies, either of sculptures or, more often yet, of medals and coins which themselves often circulated as gifts.56 Drawings and prints in Rome existed in a close, but mercenary, relationship, 55 | In 1967, Svetlana Alpers described the Laocoön as a source for Rubens’ own Ganymede, itself partly drawn from Michelangelo’s. Though she did not describe the Laocoön’s influence on Michelangelo himself, she did describe the Laocoön’s versatility, in that Rubens was able to take it far from its original understandings and use it to bring a sense of acceptance, rather than drama, to a representation of Ganymede. Svetlana Alpers, “Matter and Meaning in Some Rubens Mythologies,” Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1967, vol. 30, p. 272—95; esp. 272—6. 56 | John Cunnally, “Ancient Coins as Gifts and Tokens of Friendship During the Renaissance”; in: Journal of the History of Collections, 1994, vol. 6, p. 129—143. On p. 94 he writes, “The evidence indicates that antique coins circulated easily and rapidly throughout Renaissance Europe, passing from hand to hand among the humanists of every land as a kind of koine, a common bond or network of communication, which enabled lovers of antiquity to recognize and acknowledge one another.” See also: Toby Yuen, “Giulio Romano, Giovanni da Udine and Raphael: Some Influences from the Minor Arts of Antiquity”; Journal of the Warburg and Courtauld Institutes; 1979, vol. 42, p. 263—272. And: Ruth Rubinstein, “Ajax and Cassandra: An Antique Cameo and a Drawing by Raphael”; Journal of the Warburg and Courtauld Institutes; 1987, vol. 50, p. 204—205. Finally: John Shearman, “Raffaele e le ‘arti minori’”; in: Valerio Belli Vicentino, 1465—ca. 1546; ed. Howard Burns, Marco Collareta, and Davide Gasparotto, Vicenza, N. Pozza, 2000, p. 169—174. Even Michelangelo’s own assistants copied after

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with the model system being the lengthy relationship between Raphael, Raphael’s heirs, and the printmaker Marcantonio Raimondi. Raphael funneled Raimondi drawings as the basis of a dissemination of invention and style, and indeed, the remnants of these drawings seem to have established the careers of Raphael’s successors as well.57 Michelangelo’s Ganymede offers an alternative model of artistic transmission, against the printmaker’s mercenary copying, where the drawing is a unique object, an invention rather than a copy. That is, Michelangelo’s Ganymede does not merely instruct Tommaso in the works of the ancients, which any print can do; instead, it hands him their doubled defeat: the Leochares Ganymede and the Laocoön were both works described by Pliny as wonders of the ancient artistic world, now revivified and hybridized in a single, transcendent invention. The drawing is an example of the artist’s ability, not to imitate, but to completely transform his sources, and thus, materially and mentally, his viewer. The other Presentation Drawings, particularly the Tityus, continue the Ganymede’s process of transformation.58 It is often observed that the Tityus is a refiguration of the Ganymede, in which the male figure has been turned sideways and laid down, and the eagle posed threateningly above him rather than embracing from behind.59 Panofsky read this figure as the neo-Platonic punishment for earthly sin, as opposed to Ganymede’s spiritual transport; Tityus’ punishment for attempted rape was to have his liver eternally eaten by vultures. More recent scholarship has associated this work with Michelangelo’s guilt over his desire for Cavalieri, or a recognition of the excesses of the Ganymede.60 Numerous scholars have found in the Tityus the shadow of other figures of Michelangelo’s oeuvre —indeed, the reverse of the drawing reconfigures Tityus to form a Risen Raphael’s engraved works; see: Paul Joannides, “A Michelangelesque Copy after Raphael”; The Burlington Magazine, 1988, vol. 130, p. 530—531. 57 | Julien Stock, “A Drawing by Raphael of ‘Lucretia’”; in: The Burlington Magazine, 1984, vol. 126, p. 423—427. Lisa Pon, Raphael, Dürer, and Marcantonio Raimondi: Copying and the Renaissance Print; New Haven, Yale University Press, 2004. See in particular chapters 1 and 4 in Bette Talvacchia, Taking Positions: On the Erotic in Renaissance Culture; Princeton, Princeton University Press, 2001. 58 | For Ganymede’s primacy, see Barkan, 1991, p. 90. 59 | This is most fully explored by Barkan, 1991, p. 90—93. 60 | In ancient myth, Tityus attempted to rape Latona, Apollo and Diana’s mother, as she prayed; his punishment in Hades was to have his liver continuously devoured by eagles. See Homer, Odyssey, II. 576; also Ovid, Metamorphoses, IV. 453; and Virgil, Aeneid, VI. 595. The major Neo-Platonic reading of this episode is Panofsky, 1939, p. 216—218. For Tityus as guilt, see Saslow, 1986, p. 33—35.

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Christ.61 Here Michelangelo continues the physical and symbolic mutations that he began with the Ganymede: just as Laocoön’s punishment is tamed and transformed into Ganymede’s ecstatic elevation, Ganymede’s heavenly reward morphs into Tityus’ punishment, which nonetheless takes on some of Ganymede’s passive acceptance.62 Michelangelo’s own figures intertwine with each other and with the ancient sources to train Tommaso in what Maria Ruvoldt has called “the hermeneutic possibilities inherent in a single figure.”63 The Ganymede’s major change from its classical sources is the relationship between bird and man; Laocoön’s struggle becomes Ganymede’s sleep—the complete metaphor of acceptance—and so, as many scholars have remarked, Michelangelo’s immersion in Tommaso is given visual form. Yet the drawing also reconfigures the relationship between Ganymede, the eagle, and the viewer. The frontality of the eagle and the bird are not new—they date to the Leochares model—but they are newly intimate; and their sandwiched presentation, directly facing the viewer, demands the viewer’s gaze as the completion of the image in a way that the Tityus, with its self-contained and internally-directed composition, does not. Though efforts have been made to argue Michelangelo’s psychological identification with Ganymede, or the eagle, or both, they have tended to demand psychoanalytic explanations rooted outside the evidence of the visual or textual traditions.64 But the Ganymede’s basic configuration—the frontal youth displayed from behind by a figure of dominance, who offers the young man to the viewer—is a staple of Michelangelo’s art. Just as the Laocoön and the Hellenistic Ganymedes form intertwined source texts for Michelangelo’s drawing, his own Ganymede then reverberates outward, through the Tityus and beyond into his later works. Alexander Nagel has pointed out the importance of the front-facing figure for Michelangelo’s images of the

61 | Barkan most fully unpacks this relationship. “Whatever the chronology, the sequence Ganymede-Tityus-Risen Christ or Risen Christ-Tityus-Ganymede exists in a conceptual unified space, a psychic and hermeneutic palimpsest.” Barkan, 1991, p. 92. 62 | These relationships are worked out with regard to the question of Neo-Platonic dichotomies and Michelangelo’s relationship to his own desire by Barkan, who describes the Ganymede unfolding into Tityus in “a series of mirror imagings.” Barkan, 1991, p. 90 63 | Ruvoldt, 2003, p. 95. 64 | For example, see: James Liebert, Michelangelo: A Psychoanalytic Study of His Life and Images; New Haven, Yale University Press, 1987.

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dead Christ.65 Though the Roman Pietà lays Christ horizontally across the Virgin’s lap, the later versions of the theme present him frontally, held up by supporting figures, whether angels (in the Colonna Pietà drawing), Nicodemus (the Florence Pietà), or, in most examples, the Virgin Mary. This final configuration occurs in the Rondanini Pietà, the last sculpture Michelangelo worked on before his death.66

Figure 5: Michelangelo, Madonna and Child with the Infant St. John, ca. 1533

65 | Nagel, 1997, p. 657—659. 66 | The many images of Christ entwined with the Virgin’s thighs – whether between them or twisted in them – may well have been meant to invoke the notion of Christ as issuing from the Virgin, and of their own particularly intimate physical relationship. That is to say, whether used for Ganymede or Mary/Christ, Michelangelo understood this pose as charged. See: Leo Steinberg, “Michelangelo’s Florentine Pietà: The Missing Leg Twenty Years After”; The Art Bulletin, 1989, vol. 71, p. 480—505.

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In the period of Michelangelo’s first contact with Cavalieri, we find a 1533 drawing of the Madonna and Child with the Infant St. John now in the British Museum [Fig. 5] that shows the Christ Child against the Virgin’s knees in a pose closely resembling the Hellenistic Ganymedes, with the twisted shoulders of the Cavalieri Ganymede; numerous studies for the Medici Madonna in the same period similarly position Christ facing the viewer. The front-facing figure confirms a habit of visual pairing that is evident across Michelangelo’s art, and that has long been the basis of a tight reading of the Tityus as a response to the Ganymede. Yet in this configuration the pair to Christ, or Ganymede, is not the figure bearing him within the image—it is the viewer.67 Michelangelo in drawing, and Tommaso in passionately viewing, both become Ganymede’s pairs, and therefore each others’. In Book 10 of Ovid’s Metamorphoses, Ganymede, who not coincidentally precedes Narcissus in a section of songs about boys beloved by the gods, and girls guilty of, and punished for lust, is the basis of an act of mirroring. Jupiter’s desire occurs because “something was found which [he] would rather be than what he was;” this is Ganymede, who forces the king of gods to change his shape to that of the eagle.68 Michelangelo’s Ganymede, by forming simultaneously Tommaso and the artist himself, creates a referential circle of images and viewings that metaphorically and materially collapse the differences between the two men. The drawing, both by dint of its status as a gift and by its cultivation of a particular set of sources and related images, forms a representational closed system, simultaneously intimate and public. In this the gift achieves a double reciprocity – it finds its perfect fulfillment – as Michelangelo, the besotted inferior, becomes the teacher who authorizes Tommaso’s artistic knowledge; and just as the Ganymede instructs, it reshapes its creator, reverberating through Michelangelo’s own work even as it is absorbed by others.

67 | As Leonard Barkan writes, “The homosexual aspect of the myth of Ganymede… may express the identity or sameness that is a condition of the meeting of two apparently distinct selves, while the fact that this union is figured as between god and man may express the difference that is likewise a condition of such a meeting.” Barkan, 1991, p. 21. 68 | “Rex superum Phrygii quondam Ganymedis amore / arsit, et inventum est aliquid, quod Iuppiter esse, / quam quod erat, mallet.” Ovid, Metamorphoses; ed. and trans. by Franz Justus Miller, Cambridge, Harvard University Press, 1966, vol. 4, book 10, lines 151—153. For a thorough discussion of this passage, see Barkan, 1991, p. 20—22.

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Fig. 4: Agesander, Athenedoros and Polydoros, Laocoön and His Sons, Early first century copy after original of ca. 200 BCE, marble, 214 cm, Vatican, Museo Pio-Clementino, Octagonal Courtyard, Inv. No. 1059, Inv. No. 1064 and Inv. No. 1067. Source: Bruschini, Enrico. Masterpieces of the Vatican, London, 2004, p. 31. Fig. 5: Michelangelo, Madonna and Child with the Infant St. John, ca. 1533, Black chalk on paper, 31,4 × 20 cm, London, The British Museum, Inv. No. 1860-6-16-1. Source: Gnann, Achim. Michelangelo: The Drawings of a Genius, Vienna, 2011, fig. 96, p. 315.

Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester Kunsthistorische Forschung zur Homoerotik zwischen Frauen D ORIS G UTH

Auf der Suche nach Autor_innen für diesen Sammelband, die sich mit Liebesverhältnissen bzw. mit der Homoerotik zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit beschäftigen, bin ich in der Literatur immer wieder auf das bekannte Gemälde Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester von 1590/99 (Abb. 1) gestoßen.

Abbildung 1: Anonym, Gabrielle d’Estrees und ihre Schwester, 1590/99

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Es hat aus mehreren Gründen mein Interesse geweckt und viele Fragen aufgeworfen: Als ein Doppelbildnis zweier nackter halbfigürlicher Frauen mit ungewöhnlicher Gestik – die Frau links im Bild greift auf die Brustwarze der anderen – wird es in populärwissenschaftlicher Literatur als Ikone lesbischer Erotik gefeiert.1 Ist diese Form der zeitgenössischen Rezeption überhaupt zutreffend? Wie wurde dieses Gemälde Ende des 16. bzw. Anfang des 17. Jahrhunderts gelesen? Welche historischen Zeugnisse zu sexuellen Praktiken bzw. Liebesverhältnissen zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit gibt es? Warum gibt es kunsthistorische Forschungen zur Homoerotik zwischen Männern, aber so gut wie keine Analysen von Bildwerken, die weibliche Homoerotik zum Inhalt haben? Möglichen Antworten auf diese Fragen werde ich in einem ersten Teil über eine Rezeptionsgeschichte des Bildes und in einem zweiten Teil über den Forschungsstand (kunst-)historischer Analysen zur Homoerotik zwischen Frauen nachgehen. In der Frühen Neuzeit wurden all jene sexuellen Praktiken zwischen Männern und Frauen, die nicht der Reproduktion dienten, sowie verschiedene Formen von gleichgeschlechtlichem sexuellen Verhalten, Sex mit Tieren und Masturbation unter Sodomie zusammengefasst. Sodomie war nicht nur von kirchlichen Instanzen als widernatürlich und gegen den Schöpfungsakt verstoßend verpönt, sondern sie wurde auch strafrechtlich verfolgt. Trotz dieser Disziplinierungsmaßnahmen hatte nicht normativer und nicht reproduktiver Sex in der frühen modernen Kultur einen großen Stellenwert.2 Die Existenz gleichgeschlechtlicher Erotik kann in juristischen, medizinischen und theologischen Texten belegt und analysiert werden. Im Gegensatz zu heutigen populären Vorstellungen von Geschlecht und Begehren verfügte »der Sodomit« über keine stabile Identität, sondern war in einem sehr relationalen Bezugssystem eingebettet. Die Begriffe »lesbisch« und »homosexuell« stellen keine adäquate Beschreibung für diesen historischen Kontext dar. Sie entsprechen einem kontemporären Verständnis von gleichgeschlechtlicher Identität, die sich nach Foucault erst ab dem Ende des 18. Jahrhunderts ausformulierte. Dieses moderne Verständnis von Homosexualität zeichnet sich dadurch aus, dass sexuelle Praktiken zwischen gleichgeschlechtlichen Personen

1 | Vgl. Baur, Eva Gesine: Meisterwerke der erotischen Kunst, Köln 2005, S. 49f. 2 | Vgl. Crawford, Katherine: The Sexual Culture of the French Renaissance, Cambridge 2010, S. 17; Traub, Valerie: The Renaissance of Lesbianism in Early Modern England, Cambridge 2002, S. 1-35.

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mit einer speziellen Identität der Handelnden verbunden werden. Es entsteht der »Homosexuelle«, dessen Neigung mehr oder weniger ausschließlich von seiner sexuellen Aktivität geprägt ist. In der Frühen Neuzeit gab es diese Form der Kategorisierung nicht: Es gab erlaubte, heterosexuelle Praktiken und per Gesetz erfasste, strafbare Formen, die mit Sodomie umschrieben wurden. Daher scheint der Begriff Homoerotik eine mögliche Brücke zwischen damals und heute zu schlagen, ohne vereinnahmend unsere gegenwärtige Vorstellung auf die vergangene Epoche zu übertragen und damit doch über eine Begrifflichkeit zu verfügen, die ähnliche Phänomene beim Namen nennt.3 Die Unschärfen und Hindernisse, die darin liegen, historisch zu arbeiten und differente Konzepte von Geschlecht und andere Begriffe von Sexualität im gesellschaftlichen Gefüge zu erfassen, bleiben präsent.

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UND SEINE

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Im Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester gibt ein zur Seite geschobener roter Vorhang den Blick auf zwei nackte Frauenoberkörper frei, die sich in einem Badezuber befinden. Sie sind im Dreiviertelprofil den Betrachtenden zugewandt und blicken starr aus dem Bild. Die Frau rechts im Bild hält einen Ring in ihrer linken Hand, die sie auf dem Badezuber aufstützt. Die Frau in der linken Bildhälfte kneift leicht mit ihrem Zeigefinger und Daumen die rechte Brustwarze der anderen Frau. Die beiden wirken wie ein Duplikat der jeweils anderen, die wenigen Unterschiede liegen in den unterschiedlichen Haarfarben, blond und dunkelbraun, sowie den leuchtend roten Lippen der rechten Frau. Mit porzellanartiger Haut und steifer Körperhaltung sind sie mit ihren Blicken ganz auf die Präsentation nach außen hin ausgerichtet. Im Hintergrund erstreckt sich ein dunkler Innenraum, in dem eine sitzende Frau offensichtlich damit beschäftigt ist, an Textilien zu arbeiten. Rechts von ihr befindet sich ein Kamin mit loderndem Feuer. Oberhalb des Kaminsimses hängt ein Gemälde, auf dem ein Unterkörper, nur partiell mit einem Tuch verhüllt, zu erkennen ist. 3 | Harriette Andreadis widmet sich in dem Aufsatz Erotics versus Sexualities den Begriffen »erotisch« und »sexuell« sowie ihrem differenten Verständnis heute und in der Frühen Neuzeit. Vgl. Andreadis, Harriette: »Erotics versus Sexualities. Current Science and Reading Early Modern Female Same-Sex Relations«, in: Kenneth Borris (Hg.): The Sciences of Homosexuality in Early Modern Europe, London 2008, S. 254-257.

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Das Doppelbildnis aus der Schule von Fontainebleau, das im Umfeld von François Clouet anzusetzen ist und mit der Entstehungszeit zwischen 1590 und 1599 datiert wird, befindet sich heute im Louvre. Wie in zahlreichen anderen Bildnissen dieser Zeit ist die Identität der Dargestellten nicht gesichert. Es gibt aber einige Hinweise, dass es sich um Gabrielle d’Estrées, die Mätresse von Heinrich IV., und ihre Schwester handeln könnte. Heinrichs Liebe zu Gabrielle ist historisch überliefert, nicht zuletzt durch einen Brief, den er an seine Geliebte schrieb. In diesem äußert er seine Unzufriedenheit über jedes Bild, das er von ihr gesehen habe, da es nur unzureichend sei. Er sei kompetent zu urteilen und schreibe ihr, da sie in seinem Herzen gemalt sei, in seinen Augen und seiner Seele.4 Keine Hilfestellung für die Identifizierung der beiden Frauen kann durch den Typus des Gemäldes erwartet werden. Es gibt für Mätressendarstellungen am französischen Hof der Frühen Neuzeit keinen einheitlichen Topos.5 Aus Gründen des Schutzes der illegitimen Beziehung vor der Öffentlichkeit gibt es kaum Kunstwerke, die die Mätresse mit ihrem Partner zeigen. Ganz allgemein gibt es jedoch zwei Typologien des Mätressenporträts, das Porträt in eigener Gestalt und jenes als Allegorie, d.h. in historische und mythologische Identifikationsfiguren übertragen. Das Spannungsfeld zwischen neuplatonischer Überhöhung und rein erotischer Interpretation dominierte lange Zeit die Rezeptionsansätze zu derartigen Kunstwerken, wie auch im konkreten Bildnis nachvollziehbar wird. Es gab nur wenige Forscher_innen, die versuchten, die vielschichtigen Bedeutungsebenen zu verbinden.6 4 | Vgl. Zorach, Rebecca: »Desiring Things«, in: Art History 24 (2001), S. 195-212, hier S. 202. 5 | Vgl. Ruby, Sigrid: »Die Mätresse als Günstling am französischen Hof des 16. Jahrhunderts. Zur Portraitkultur von Anne de Pisseleu und Diane de Poitiers«, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hg.), Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004, S. 495-514, hier S. 498; Trauth, Nina: »Die Interessen der Mätressenforschung. Methodische Überlegungen zur Analyse des Mätressenprotraits«, in: Andreas Tacke (Hg.), »… wir wollen der Liebe Raum geben«. Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen 2006, S. 127-156, hier S. 128-138; Lawner, Lynne: Lives of the Courtesans. Portraits of the Renaissance, New York 1987; Zerner, Henri: »The Clouets«, in: ders. (Hg.), Renaissance Art in France. The Invention of Classicism, Paris 2003, S. 195-203; Claudia Denk geht in ihrem Beitrag im vorliegenden Sammelband der Repräsentation der Marquise de Pompadour, der Mätresse des Ludwig XV., nach. 6 | Zu dieser Diskussion vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians«, in: Daniela Erlach/Markus Reisenleitner/Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1994, S. 367-446; Simons, Patricia: »Portraiture, Por-

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Das Sujet der nackten Frauen im Bade war im 16. Jahrhundert weit verbreitet. Auch in der Schule von Fontainebleau entstanden eine Reihe von Werken, die im Motiv sehr ähnlich zu Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester sind.7 Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich die Meinung durch, dass es sich bei Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester um eine allegorische Darstellung der Schwangerschaft Gabrielles handelt.8 Bis heute ist diese Interpretation im Louvre die offizielle geblieben, die sich in folgender Bildunterschrift manifestiert: »The ostentatious gesture may allude to the maternity of Gabrielle and to the birth, in 1594, of César de Vendôme, Henry IV’s illegitimate son.« (Fisher 1998: 252) In dieser Lesart wird die markante Geste des »Brustwarzenzwickens« als Allegorie der Fruchtbarkeit, als ein Hinweis auf die Schwangerschaft, verstanden. Es gibt jedoch keinerlei Tradition dieser Gestik zwischen zwei Frauen und keine vergleichbaren Werke. Einzig Darstellungen von Venus oder anderen allegorischen weiblichen Figuren, die ihre eigene Brust halten, sind bekannt. In diesem deutlichen Verweis auf die Brust werden weibliches Nähren, Fülle und Fruchtbarkeit betont. Eindeutig erotische Komponenten haben Berührungen der weiblichen Brust durch Männer, wie z.B in dem Gemälde Venus und Mars aus der Schule von Fontainebleau (16. Jahrhundert, Musée du Petit Palais). Für eine allegorische Lesart spricht die Tatsache, dass die Darstellung stark artifiziell geprägt ist, die Körper der beiden ostentativ den Betrachtenden präsentiert werden und nicht etwa in einem erotischen Liebespiel miteinander versunken sind. Dennoch schließt sich eine erotische Interpretation dadurch nicht aus. Die markante Geste stellt eine sehr eigenwillige Form dar, auf eine Schwangerschaft bzw. Fruchtbarkeit hinzuweisen. Dieses Zeichen erscheint kaum »zufällig« gewählt. trayal and Idealization. Ambigious Individualism in Representations of Renaissance Women«, in: Alison Brown (Hg.), Languages and Images of Renaissance Italy, Oxford 1995, S. 263-311; Schade, Sigrid: »Himmlische und/oder Irdische Liebe. Allegorische Lesarten der weiblichen Aktbilder der Renaissance«, in: Sigrid Schade/Monika Wagner/Sigrid Weigel (Hg.), Allegorien und Geschlechterdifferenz, Köln 1995, S. 95-112. 7 | Sigrid Ruby listet zahlreiche Bildnisse auf, die zu dieser Gruppe gehören. Vgl. S. Ruby: Die Mätresse als Günstling am französischen Hof des 16. Jahrhunderts, S. 83, Anm. 5. Mithilfe eines dieser Gemälde leiten jeweils Rebecca Zorach und Will Fisher Hinweise auf die Identität von Gabrielle d’Estrées ab. Vgl. dazu Fisher, Will: »Gabrielle’s New Clothes: Cultural Valuations and Evaluations«, in: Textual Practice 12 (1998), S. 131-167, hier S. 254f., und R. Zorach: Desiring Things, S. 198f. 8 | Vgl. R. Zorach: Desiring Things, S. 199f.

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Die Rezeption des Bildnisses ist durch kontroverse Sichtweisen auf die signifikante Gestik zwischen den beiden Frauen geprägt: Zum einen gibt es konservative kunsthistorische Positionen, wie z.B. jene von Roger Trinquet, der 1968 eine mögliche homoerotische Interpretation zwar ins Spiel bringt, um sie dann aber letztendlich zu verwerfen.9 In seiner neuplatonischen Sichtweise scheint die Allegorie der Schwangerschaft über die »Niederungen« einer möglichen erotischen Interpretation zwischen den beiden Frauen zu siegen. Zum anderen lesen queere Ansätze 30 Jahre später die Geste in ihrer möglichen Mehrdeutigkeit: Sie könne als Hinweis auf Gabrielle d’Estrées Fruchtbarkeit verstanden werden, »aber sie wirkt wie eine inzestuöse, lesbische Annäherung« (Chicago/Lucie-Smith 2000: 174). So eröffnen Judy Chicago und Edward Lucie-Smith erneut den Raum für eine homoerotische Lesart. Ausführlich beschäftigte sich Will Fisher, der 1988 eine erste Rezeptionsanalyse lieferte, aus einer queeren Perspektive mit dem Bildnis. Zwischen Trinquets Betrachtungsweisen und jenen Chicagos, LucieSmiths und Fishers liegen 31 Jahre tiefen Schweigens über das Bildnis, welches Will Fisher im Tabu der Homoerotik begründet sieht. Die Ursache für den Wandel in der Rezeption ist sicherlich in den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehen. Aber bereits am Anfang des 17. Jahrhunderts gab es Beschreibungen zu einem ähnlichen Bildnis, die den erotischen Effekt keineswegs leugneten. Pierre de Bordeille Brantôme beschrieb in Les Vies des Dames Gallentes den Effekt eines Bildes mit Frauen im Bade auf die höfischen Damen. Beim Anblick des Bildnisses »entflammte« eine der Frauen so sehr, dass sie ihren Geliebten zur Rückkehr ins eigene Haus drängte, um ihr Feuer zu stillen.10 Die Damen der gehobenen Gesellschaft sind demzufolge durch die nackten Frauen zwar in sexuelle Erregung geraten, ihr erwachtes Begehren stillen sie aber mit einem männlichen Sexualpartner. Die Schilderung des Autors legt die Erotik des Bildes innerhalb einer heterosexuellen Matrix an. Es ist offensichtlich, dass er sein phallozentrisch geprägtes Begehren auf die Betrachtenden überträgt.

9 | Vgl. W. Fisher: Gabrielle’s New Clothes, S. 256f. 10 | Vgl. ebd., S. 257f. Fisher behauptet an dieser Stelle, dass es sich bei dem von Brantôme beschriebenen Bild um das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester handelt. Konkrete Belege führt er dafür aber nicht an. Vgl. weiter Fadermann, Lillian: Köstlicher als die Liebe der Männer. Romantische Freundschaft und Liebe zwischen Frauen von der Renaissance bis heute, Zürich 1990, S. 23f.

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Dieser Zugang zum weiblichen, homoerotischen Liebespiel war keine Ausnahme. In einigen Dichtungen der Libertinage aus dem 16. und 17. Jahrhundert finden sich Texte, die Brantômes Einstellung ähneln. So schreibt beispielsweise Denis Sanguis de Saint-Pavins ausführlich, wie sich zwei schöne Frauen lieben, aber letztendlich in den Armen der Männer landen, um wirkliche Befriedigung zu erlangen. Die Liebe zwischen zwei Frauen könne nicht lange halten, da sexuelle Erfüllung nur durch den Mann erreicht werden kann.11 In diesen Texten männlicher Autoren erfüllt das Liebesspiel zwischen Frauen die Rolle der Stimulation für ein männliches, heterosexuelles Begehren. Es wird als Anregung für den »eigentlichen« heterosexuellen Akt gesehen, der von der Gewissheit getragen ist, dass der Penis und somit der Mann unersetzlich sind. In diesem Sinne scheint die homoerotische Spannung in dem Gemälde »Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester« vornehmlich für ein heterosexuelles männliches Publikum konzipiert zu sein. Diese Annahme findet nicht zuletzt Bestätigung in einem weiteren Gemälde mit ähnlichem Motiv (Abb. 2).

Abbildung 2: Anonym, Zwei nackte Frauen in einem Badezuber, im Hintergrund Heinrich IV., ca. 1600

11 | Vgl. L. Fadermann: Köstlicher als die Liebe der Männer, S. 24.

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Es ist dem Doppelbildnis der Estréesschwestern sehr ähnlich und bietet durch seinen ebenfalls bühnenhaften Kompositionsaufbau den idealen Rahmen für die Präsentation der beiden nackten Frauen. Jedoch mit einer großen Ausnahme: Im Hintergrund ist ein Betrachter, Heinrich IV., zu sehen, wie er die beiden Damen beobachtet. Das Vergnügen des Voyeurs, geschützt durch den Vorhang, ist seinem Gesichtsausdruck abzulesen; als »Backstagefigur« verdoppelt er den Betrachter und spiegelt unverhohlen dessen Schaulust. Das Erscheinen Heinrich IV. im genannten Werk bestätigt auch den heteronormativen Kontext des Bildnisses Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester, der durch die historischen Quellen zu seinem Leben, im Speziellen zu seinem aktiven Sexualleben, noch deutlicher wird. Einige dieser Informationen hat Ann Rose Plogsterth bereits 1991 in ihrer Dissertation für die Interpretation des Bildes herangezogen.12 In einem Artikel der amerikanischen Historikerin Katherine Crawford aus dem Jahr 2003 wurden die historischen Forschungen, die noch zu wenig in die kunsthistorische Forschung eingeflossen sind, umfassend dargelegt. Crawford führt aus, dass Heinrich IV. ein vorbelastetes Erbe antrat, als er zum König gekrönt wurde: Die Unfähigkeit seiner Vorgänger (François II., Charles IX., Heinrich III.), königlich zu repräsentieren – d.h. Männlichkeit mittels Aktivität, physischer Stärke, Selbstkontrolle und Potenz zur Schau zu stellen und damit überzeugend Regierungskompetenz zu verkörpern –, führte zu einer Autoritätskrise der französischen Monarchie Ende des 16. Jahrhunderts.13 Alle drei Vorgänger hatten keine Kinder, Heinrich III. wurde sodomitisches Interesse nachgesagt, das nach damaliger Vorstellung mit »Verweiblichung« und Regierungsschwäche einherging. Daher war für Heinrich IV. der Druck sehr groß, als seine Ehe mit Marguerite, die dazu noch die Schwester von Heinrich III. war, ebenfalls kinderlos blieb.14 Er entwickelte in der Folge die »Angewohnheit«, seinen Mätressen, Françoise de Montmorency-Fosseux, Gabrielle d’Estrées und Henriette d’Entragues, nacheinander die Heirat zu versprechen, wenn sie ihm Kinder gebären würden, vor allem Söhne. Männliche

12 | Vgl. Plogsterth, Ann Rose: The Institution of the Royal Mistress and the Iconography of Nude Portraiture in Sixteenth Century France, Columbia University 1991. 13 | Vgl. Crawford, Katherine: »The Politics of Promiscuity: Masculinity and Heroic Representation at the Court of Henry IV«, in: French Historical Studies 26 (2003), S. 225-252, hier S. 227. 14 | Vgl. ebd., S. 231ff.

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Nachfolger brachten die Potenz des Königs zum Ausdruck, da im Volksglauben davon ausgegangen wurde, dass dann sein Samen männlich sei.15 Als Gabrielle d’Estrées den gemeinsamen Sohn César 1594 gebar, hatte Heinrich zwar seine Männlichkeit und Potenz unter Beweis gestellt, konnte aber noch immer keinen legitimen Thronfolger vorzeigen. Daher war er bestrebt, Gabrielle zu ehelichen. Zu diesem Zweck betrieb er die Annullierung seiner Ehe, die jedoch am Widerstand des Papstes scheiterte, der moralische Bedenken gegenüber dem Vorhaben hatte.16 Der König betrieb sein Ziel, Gabrielle zur Königin zu machen, mit derartiger Vehemenz, dass er viele vor den Kopf stieß. Widerstand regte sich gegen die unverhohlenen öffentlichen Repräsentationen der Mätresse an seiner Seite. Es wurden Zweifel laut, ob der König noch Herr seiner Sinne ist oder durch die Leidenschaft zu dieser Frau seiner Selbstkontrolle und Männlichkeit verlustig ging. Man erkannte darin die Gefahr, dass der König seine privaten Interessen vor die Verantwortungen und Pflichten gegenüber dem Land zu stellen bereit war. Nachdem Gabrielle während ihrer vierten Schwangerschaft am 10. April 1599 verstorben war, gaben sowohl Heinrichs Ehefrau Marguerite als auch der Papst den Widerstand gegen die Annullierung auf, welcher noch im selben Jahr stattgegeben wurde. Wenige Monate später, am 5. Oktober 1600, heiratete Henry IV. Marie dé Medici von Florenz. Seine neue Mätresse war Henriette d’Entragues.17 Für das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester bedeuten diese historischen Fakten eine Stärkung der Interpretation, dass es sich um eine Allegorie der Schwangerschaft und des Eheversprechens – im Bild mittels Ring – von Heinrich IV. handelt. Hinzu kommt noch, dass in medizinischen Büchern Anfang des 16. Jahrhunderts die Bedeutung der rechten Seite ganz allgemein und der rechten Brust im Besonderen als Indikator für die Empfängnis eines männlichen Kindes galt.18

15 | Vgl. ebd., S. 232. 16 | Die Liaison zwischen Heinrich IV. und Gabrielle begann im April 1591. Im August 1592 arrangierte Heinrich IV. eine Ehe zwischen Gabrielle und Nicolas d’Amerval. Bei kurzen Liebschaften blieben die Frauen oft unverheiratet. Wenn eine Beziehung länger andauerte, war es üblich, dass die Mätresse verheiratet war. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes César stellt Gabrielle am 27. August 1594 den Antrag auf Annullierung ihrer Ehe, die von Heinrich vorangetrieben wurde und der am 24. Dezember desselben Jahres stattgegeben wurde. Vgl. dazu ebd., S. 231f. 17 | Vgl. ebd., S. 243-245. 18 | Vgl. ebd., S. 233, Anmerkung 26.

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Die Funktion von Gemälden als Form der Präsentation bzw. der Legitimation einer Beziehung war damals durchaus üblich. Aber wer beauftragte das Bild? Es ist nicht auszuschließen, dass es Gabrielle selbst war. Für das Setting wurde das Sujet »Damen im Bade« verwendet, das zu der Zeit weit verbreitet war. Die erotische Komponente zwischen den beiden Frauen innerhalb einer heteronormativen Matrix widersprach diesem Anliegen nicht, sondern entsprach der sexuellen Kultur der Zeit und spannte den Bogen zu einer erotischen Mehrdeutigkeit. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es für eine mögliche erotische Interpretation bereits am Anfang des 17. Jahrhunderts Belege gibt, überlieferte Interpretationen für eine Allegorie finden sich Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Bandbreite der kunsthistorischen Rezeption spaltet sich – abgesehen von ignorantem Schweigen – in zwei Extrempunkte auf: einerseits die völlige Negation der Homoerotik zwischen Frauen, in der Form eines Konservatismus, der sich schwer tut, über platonische Aspekte hinauszugehen und Erotik zwischen Frauen als Forschungsgegenstand anzunehmen. Andererseits vereinnahmen Teile einer lesbischen Community das Bildnis für sich als Ikone der lesbischen Liebe zwischen Frauen, ohne die heterosexuelle Setzung wahrzunehmen. Eine gewisse Ironie besteht darin, dass die Gestik des »Brustzwickens«, welche die Erotik zwischen den beiden Frauen zum Ausdruck bringt, historisch auch die Ankunft eines männlichen Kindes symbolisiert, d.h. damit ein Sinnbild für heterosexuelle Normativität schlechthin dargestellt wird.19 Seit den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gibt es kunsthistorische Positionen, die differenzierter beide Interpretationsansätze nebeneinander stehen lassen und nicht auf Ausschließlichkeit pochen.20 Letztendlich ist signifikant, mit welchem Zögern und Zaudern sich kunsthistorische Forschungen mit Homoerotik zwischen Frauen auseinandersetzen. In zahlreichen Standardwerken wird dieser Aspekt völlig ausgeblendet. Diese offensichtliche Ignoranz wirft einige Fragen auf, die im nachfolgenden Abschnitt im Zentrum der Analyse stehen. 19 | Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester hat zu zahlreichen »Nachstellungen« bzw. Adaptionen des Motivs von zeitgenössischen Künstler_innen oder Aktivitist_innen angeregt, z.B. die Fotoarbeit Politics of Queer Curatorial Positions: After Rosa von Praunheim, Fassbinder und Bridge Markland (2003) von Tanja Ostojic und Marina Grzinic. Vgl.: http://www.brooklynmuseum.org/eascfa/ feminist_art_base/ gallery/tnha_ ostojic.php?i=1367 vom 05.01.2012. 20 | Vgl. Bouvier, Raphael: »Das Bildnis der Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester – Körperbild und Ästhetik des Körpers im Kontext des weiblichen Aktporträts«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 68 (2005), S. 339-357.

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II. H OMOEROTIK ZWISCHEN FRAUEN UND (KUNST-) HISTORISCHE F ORSCHUNG Während es zunehmend einige kunsthistorische Arbeiten zur Homoerotik zwischen Männern in der Frühen Neuzeit gibt,21 ist das Thema Homoerotik zwischen Frauen in der Kunstgeschichte im deutschsprachigen Raum nicht präsent. Auf der Suche nach den Ursachen dafür stellten sich mir folgende Fragen: Wie weit waren sexuelle Praktiken bzw. Liebesverhältnisse zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit repräsentiert? Existieren (weitere) künstlerische Werke, die Homoerotik zwischen Frauen zum Ausdruck bringen? Wie ist der Umgang der kunsthistorischen Forschung mit der Homoerotik zwischen Frauen? Die historischen Forschungen über Homoerotik zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit erschlossen sich lange Zeit fast ausschließlich über englischsprachige Literatur, die in Form von vereinzelten Beiträgen in Sammelpublikationen und Zeitschriften vorwiegend in den letzten 40 Jahren entstanden sind: Judith Brown (1984 und 1989), Guido Ruggiero (1975), Valerie Traub (1992), Patricia Simons (1974 und 1994) und Louis Crompton (1980) haben auf der Basis von Gerichtsverfahren die gesellschaftliche Verortung sexueller Praktiken zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit analysiert. Im Zentrum ihrer Analysen standen die historisch überlieferten Formen sexuellen Begehrens zwischen Frauen, tolerierte und »widernatürliche« sexuelle Praktiken, und in welchem Ausmaß Letztere bestraft wurden. Die wenigen aktuellen Artikel zur Homoerotik zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit stammen von Patricia Simons (2010), die eine beeindruckende Recherche zur Geschichte des Dildos liefert, sowie von Laura Growing (2007), die einen groben Überblick über Lesbierinnen und ihre »Halbschwestern« im Europa der frühen Neuzeit, 1500-1800, bietet. Das Buch der Historikerin Katherine Crawford (2010) The Sexual Culture in Renaissance France bildet eine interessante Ausnahme unter den Publikationen zur Sexualität in der Renaissance, die sich in der Regel sehr auf den heterosexuellen Kontext konzentrieren.

21 | Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Ulrich Pfisterer, Marianne Koos, Mechthild Fend, Wolfgang Popp, Helmut Puff, Guido Ruggiero, Adrian Randolph sowie die Beiträge von Andreas Plackinger und Lisa Regan in diesem Sammelband.

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Neben den Historiker_innen haben vor allem Literaturwissenschafter_innen das Thema bearbeitet: Eine vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzte Publikation ist Lilian Fadermanns (1990) Buch zu romantischer Freundschaft und Liebe zwischen Frauen in der Literatur von der Renaissance bis heute. Im Sammelband von Louise Olga Fradenburg und Carla Freccero (1996) widmen sich einige Aufsätze dem Thema weiblicher Homoerotik. Gary Ferguson (2008) schreibt in ihrem Buch von den Schnittstellen zwischen Androgynität, Hermaphrodismus und lesbischem Begehren. Carla Freccero (2006) arbeitet mit psychoanalytischen und poststrukturalistischen Ansätzen zu den Verbindungen zwischen queerer Theorie, Zeit und Subjektivität in Texten der Frühen Neuzeit. Valerie Traub (2002) betont die Fülle an historischen Quellen zu weiblicher Homoerotik in der englischen Renaissance und arbeitet deren Präsentationen in Dichtung, Dramen, Medizin, Pornografie und bildender Kunst heraus. Auch Harriette Andreadis (2001) legt in ihrer Publikation den Schwerpunkt auf die literarischen Quellen zu weiblicher Homoerotik in England zwischen 1550 und 1714. Die genannten aktuellen Forschungen zeigen, dass nicht reproduktive und nicht heterosexuelle Praktiken in der Frühen Neuzeit eine große Rolle spielten, auch wenn diese in vielen Standardwerken der Geschichte und Literaturwissenschaften kaum Erwähnung finden. Sexuelle Praktiken zwischen Frauen waren zwar vor den kirchlichen Institutionen eine Sünde und wurden vor den weltlichen Gerichten strafrechtlich geahndet, die Klöster galten jedoch als wichtigste Zentren für Homoerotik zwischen Frauen. Dies war möglich, da diesen Praktiken nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteilwurde wie gleichgeschlechtlichem Sex zwischen Männern.22 Ein eigens eingerichtetes Amt (eine Art Sittenpolizei) in Florenz mit dem Namen »Ufficiali di Notte« widmete sich ganz der Verfolgung von gleichgeschlechtlicher Sexualität, aber vor allem jener zwischen Männern. Das gesellschaftliche Interesse an der Ahndung von Sexualität zwischen Männern war so groß, dass Sodomie stärker bestraft wurde als Vergewaltigung. Letzteres wurde als Ausdruck von Leidenschaft gesehen, Ersteres galt als widernatürlich.23 Die überlieferten Aufzeichnungen geben Auskunft darüber, dass in Florenz mit einer Einwohnerzahl von etwa 22 | Vgl. Brown, Judith: »Lesbian Sexuality in Renaissance Italy: The Case of Sister Benedetta Carlini«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 9 (1984), S. 251-267. 23 | Vgl. Ruggiero, Guido: »Sexual Criminality in the Early Renaissance Venice 1338-1358«, in: Journal of Social History 8 (1975), S. 22ff.

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40.000 zwischen 1432 und 1502 über 70.000 Männer der Sodomie beschuldigt, und 3000 verurteilt wurden.24 Dieser beachtliche Anteil führte dazu, dass sich das Wort »florenzen« als ein Synonym für homosexuelle Praktiken zwischen Männern durchsetzte.25 Historiker_innen verweisen darauf, dass Freundschaften zwischen Männern niemals »sicher« waren, und zwar gerade wegen der homoerotischen Anziehung. »Sexuelle Beziehungen zwischen Männern waren keineswegs die Ausnahme, sondern stellten in der Renaissance einen wichtigen Bestandteil der Definition des Männlichen dar. Sie spielten somit auch eine zentrale Rolle bei der Artikulation des öffentlichen Lebens, denn die Sodomie und ihre Verurteilung strukturierten soziale Beziehungen insbesondere zwischen Männern.« (Randolph 2004: 45)

Diese männliche Form der Homosozialität – ein Begriff, den LipmanBlumen in die Geschlechterforschung eingeführt hat – prägte maßgeblich das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Frühen Neuzeit.26 Die vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit für gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken zwischen Frauen hat hingegen unterschiedliche Konsequenzen: Zwar ist weniger darüber gesprochen und geschrieben worden, doch das eröffnete Frauen auch unbemerkte Nischen, in denen sie ihre Sexualität miteinander in größerer Vielfalt leben konnten. Bedauerlicherweise gibt es in der männlich dominierten Kultur der Frühen Neuzeit keinerlei Texte von Frauen, die sich über gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken oder über ihr Nahverhältnis zu anderen Frauen äußerten.27 Bei den überlieferten Quellen handelt es sich um Aufzeichnungen von Gerichtsverfahren, juristischen Texten, literarischen Werken, theolo24 | Vgl. Randolph, Adrian: »Donatellos David. Politik und der homosoziale Blick«, in: Mechthild Fend/Marianne Koos (Hg.), Männlichkeit im Blick, Köln/ Wien 2004, S. 35-51, hier S. 45. 25 | Vgl. K. Crawford: The Sexual Culture of the French Renaissance, S. 11. 26 | Vgl. Lipman-Blumen, Jean: »Toward a Homosocial Theory of Sex Roles«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 1 (1976), S. 15-31. Adrian Randolph geht auf dieses Phänomen im Rahmen seiner Arbeit über Donatellos David ein und verweist auf Eve Kosofsky Sedgwick und ihre Analyse Between Men: English Literatur and Male Homosocial Desire, New York 1985, als wichtigen Bezugspunkt. 27 | Vgl. Traub, Valerie: »The (In)Significance of ›Lesbian‹ Desire in Early Modern England«, in: Susan Zimmerman (Hg.), Erotic Politics. Desire on the Renaissance Stage, New York/London 1992, S. 150-169, hier S. 155; Simons, Patricia: »Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture: Diana und Other Cases of Donna

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gischen Ausführungen und medizinischen Abhandlungen, die fast ausschließlich von Männern verfasst wurden. Vorerst gilt es, den »Strafbestand«, d.h. das damalige juristische Verständnis der gleichgeschlechtlichen sexuellen Praktiken zwischen Frauen, zu definieren. Sodomie bei Frauen wurde in Frankreich über die Verwendung des Dildos und die Penetration definiert. Dahinter stand die Mutmaßung, dass es damit zumindest einer der Frauen möglich wäre, »den Part des Mannes einzunehmen«. Weder gleichgeschlechtliches Begehren noch sexuelle Aktivitäten ohne Penetration waren Verbrechen, aber die Verwendung »körperlicher Ergänzungen« war Grund für Exekution.28 Alle anderen sexuellen Praktiken zwischen Frauen (gegenseitige Masturbation, aneinander reiben etc.) wurden zwar als wider die Natur angesehen, aber eher bagatellisiert. Sexualität wurde vorwiegend über die Interaktion mit einem Penis definiert – unabhängig davon, ob er nun »echt« war. Der Dildo war Ende des 16. Jahrhunderts bereits in vielen Ländern so bekannt, dass das Wort in einem italienisch-englischen Wörterbuch genannt wurde. Im Italienischen wurde er gerne pastinaca muranese genannt, wobei Aretino unzählig andere Begriffe wie z.B. »fruti del paradiso terestre« dafür anbot.29 Ein Stich von Marcantonio Raimondi aus dem Jahre 1520 (Abb. 3) zeigt eine nackte Nymphe in der Landschaft, wie sie sich mit beschaulicher Ruhe und Anmut einen Dildo einführt. Der bereits erwähnte Pierre de Bordeille Brantôme beschreibt in seinen Texten, wie weit der Dildo Ende des 16. Jahrhunderts in Frankreich verbreitet war und er das Vergnügen hatte, zwei Frauen bei dessen Verwendung zu beobachten.30 Ein weiterer Beleg für den Einsatz des Dildos bei sexuellen Praktiken zwischen Frauen liefert ein Handbuch für medizinische Abhandlungen aus dem 17. Jahrhundert. Dort kommt ein Applikator aus Gold und Silber in der Form eines Penis vor, der mit zwei Bändern versehen war. Ein multifunktionaler Gebrauch war bei dieser Form gegeben: als Applikator für medizinische Notwendigkeiten und als Umschnalldildo für hedonistische Ansprüche gleichermaßen. Con Donna«, in: Whitney Davis (Hg.), Gay and Lesbian Studies in Art History, Binghamton 1994, S. 81-122, hier S. 82f. 28 | Vgl. V. Traub: The (In)Significance of »Lesbian« Desire in Early Modern England, S. 153. 29 | Vgl. Simons, Patricia: »The Cultural History of ›Seigneur Dildoe‹«, in: Allison Levy (Hg.), Sex Acts in Early Modern Italy. Practice, Performance, Perversion, Punishment, Farnham 2010, S. 77-91, hier S. 78. 30 | Vgl. ebd., S. 77.

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Abbildung 3: Marcantonio Raimondi, Frau mit Dildo, 1520er Jahre Frauen haben den Dildo, überzeugt von seinen unübertrefflichen Vorteilen, als »sicher, stumm, gesund und bereit« (Simons 2010: 86) nicht nur für solitären Sex eingesetzt, sondern auch für Sinnesfreuden zwischen Frauen in den unterschiedlichen Teilen Europas. Ebenso empfindlich wie der gemeinsame Gebrauch des Dildos wurden jene seltenen Fälle bestraft, in denen Frauen sich scheinbar eine männliche Geschlechterrolle aneigneten, indem sie Männerkleider trugen, männlichen Tätigkeiten nachgingen, Frauen heirateten usw.31 In gynäkologischen Texten wurde bei jenen Frauen mehrmals eine übergroße Klitoris beschrieben, die als Zeichen für sexuelle Exzessivität galt und sogar die Rolle des Penis einnehmen konnte.32

31 | Vgl. Ferguson, Gary: Queer (Re)Readings in the French Renaissance. Homosexuality, Gender, Culture, Hamsphire/Burlington 2008, S. 271-274. 32 | Vgl. V. Traub: The (In)Significance of »Lesbian« Desire in Early Modern England, S. 153.

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Sowohl mit Dildo als auch mit vergrößerter Klitoris würde die Frau »männlich« und imitiere mit der Penetration den männlichen Körper. Im etablierten Diskurs wurden die große Klitoris und der Dildo zu Objekten kultureller Fantasie. Beide wurden zum Fetisch und stehen so für den Verlust des Begehrensobjekts. Was der Diskurs enthüllt, ist weniger das Begehren der Frauen als das Begehren der Autoritäten konzentriert auf den Penis/Phallus in seinem Moment der nüchternen Ersetzung. Es geht in den Texten primär um die Verteidigung männlicher Vorherrschaft und die kulturellen Ängste des Verlustes.33 Das Überschreiten von Geschlechtergrenzen und die Aneignung von Maskulinität trifft die männlich dominierte Gesellschaft an einer empfindlichen Stelle. Mit Männlichkeit ist eine sozial privilegierte Stellung verknüpft, die aufgrund der herrschenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht geteilt wird. Weiterhin impliziert Männlichkeit den Status des sexuellen Subjektes, der Frauen nicht zugebilligt wurde. Das gewaltvolle Vorgehen, Bestrafen und Verwerfen von »female masculinity« (Judith Halberstam) ist Teil von Hierarchisierungsprozessen, um die heteronormative Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten.34 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sexuelle Praktiken und Liebesverhältnisse zwischen Frauen existiert haben und durch historische Quellen belegt sind; wobei davon auszugehen ist, dass Liebesverhältnisse auch ohne sexuelle Praktiken bestanden haben. Lilian Fadermann spricht in diesem Zusammenhang von romantischen Freundschaften, die viele Aspekte heutiger Liebesvorstellungen beinhalteten, aber eben keine Sexualität.35 Es scheint, als hätte heterosexuelle Männlichkeit einen besonders schützenswerten Status: Jede Form der Abweichung von normativer Heterosexualität wurde geahndet: Sodomie zwischen Männern wurde strenger bestraft als Vergewaltigung. Hier erfolgte teilweise die Legitimation der Tat durch die Leidenschaft des Mannes. Weiblichkeit als die Verkörperung von Natur war in der Bedeutungshierarchie tiefer angesiedelt.36 Diverse Formen »weiblicher Maskulinität« wurden als bedrohliche Imitation eingestuft und rigide bestraft. Diese Schutzstrategien ziehen sich auch in den Bereich der kulturellen Produktion und hin bis zur Fra33 | Vgl. ebd., S. 156. 34 | Vgl. Halberstam, Judith: Female Masculinity, Durham/London 1998. 35 | Vgl. L. Fadermann: Köstlicher als die Liebe der Männer, S. 14. 36 | Siehe dazu den Beitrag von Elisabeth Priedl in diesem Sammelband, indem unter anderem über das Phänomen der Eheschließungen mittels Vergewaltigung berichtet wird.

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ge, wann eine Darstellung Kunst oder Pornografie ist. Solange eine nackte Frau im Bild zu sehen war, wurde dies selten moniert, war jedoch ein entkleideter Mann im Bild, wurde dies eher als anstößig empfunden und als pornografisch bewertet.37 Im Folgenden werde ich auf die Frage eingehen, wie sich die historisch belegte Lebensrealität der Homoerotik zwischen Frauen in den Werken der bildenden Kunst wiederfindet. Es gibt vor allem mythologische und allegorische Darstellungen. In kunsthistorischen Standardwerken sucht man vergeblich nach der Existenz weiblicher Homoerotik, aber in der bereits genannten historischen Literatur gibt es einige Abbildungen und Hinweise auf künstlerische Arbeiten dazu. Eine der wenigen Kunsthistorikerinnen, die sich explizit mit dem Thema beschäftigt haben, ist Rebecca Zorach. Sie spricht sogar von einer »iconography of lesbian coupling« (Zorach 2001: 198) im 16. Jahrhundert. Dabei verweist sie auf Darstellungen, die zwei Frauen mit ineinander verschlungenen Beinen zeigen. Eine Symbolik, die bei heterosexuellen Paaren auf den Liebesakt verweist.38 Viele der Drucke, die in Fontainebleau entstanden sind, zeigen »lesbian couples«, so Zorach. Sie imaginierten Gruppen von Frauen, die am Hofe als Objekte des Wetteifers und des Vergnügens verfügbar sein sollten. Ein Beispiel dafür ist der Stich von Jean Mignon (nach einer Vorlage von Luca Penni) Badende Frauen von 1550 (Abb. 4). Eine Gruppe von nackten Frauen ist mit verschiedenen Formen der Körperpflege beschäftigt und vergnügt sich in einem Bad. Inmitten dieser Runde sitzt ein Frauenpaar, deren Beine ineinander verschränkt sind. Eine der Frauen greift der anderen zwischen die Beine und berührt dabei fast die Vulva. »This imagery can be interpreted in many ways: it might serve as a kind of veiled translation of the male homosocial community implied in the community of viewers. And it might also provide for the viewer’s fantasized entrance into the scene through identification with one of the women involved. More specifically, it might serve as an expression of the logic of sameness, of imitation, that I have been developing: picturing the desiring subject as a nearly exact likeness of its object.« (Zorach 2001: 206) 37 | Vgl. Hammer-Tugendhat, Daniela: »Zur Repräsentation des Liebesaktes in der Kunst der Frühen Neuzeit«, in: Gisela Völger (Hg.), Sie und Er. Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich, Köln 1997, S. 193-198. 38 | Vgl. D. Hammer-Tugendhat: Zur Repräsentation des Liebesaktes in der Kunst der Frühen Neuzeit, S. 194.

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Abbildung 4: Jean Mignon (nach Luca Penni), Badende Frauen, 1550 Mit dieser These des mimetischen Begehrens betont Zorach die Ähnlichkeit zwischen begehrendem Subjekt und begehrtem Objekt. Bilder imitieren dabei nicht nur Subjekte, sondern lösen auch nachahmende Effekte aus. Sie bezieht sich dabei auf Texte von Leonardo da Vinci und Marsilio Ficino, die betonen, dass sich das Bild des begehrten Objekts im Begehrenden spiegelt; eine Dynamik, innerhalb der man sich den begehrten Dingen angleicht. Die Trennung, die sich hier durchzieht und gleichzeitig überwunden werden soll, ist jene zwischen dem materiellen Körper und der immateriellen Seele.39 Problematisch ist diese Form des Zugangs deshalb, weil sie davon ausgeht, dass die Differenz nur zwischen Männern und Frauen besteht und das Verhältnis zwischen Frauen unter »Gleichheit« subsumiert werden könne. Mit dieser Zuteilung besteht die Gefahr der Reproduktion einer heterosexuellen Dominanz, da nicht von der Differenz zwischen Frauen ausgegangen wird, sondern als vorrangiger Bezugspunkt für eine Kategorisierung ein heterosexuelles Differenzverhältnis angenommen wird. Ähnlich dem Motiv Frauen im Bade sind die mythologischen Darstellungen von Diana und ihren Nymphen, mit denen sich Patricia Simons beschäftigt hat. Sie beschreibt bildliche Darstellungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die zeigen, wie die nackten Nymphen sich baden, gegenseitig waschen und an den Brüsten berühren, während Diana 39 | Vgl. R. Zorach: Desiring Things, S. 201ff.

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als Leiterin der reinen Frauengruppe über sie wacht. Die Beliebtheit des Motivs drückt sich im Laufe des 16. Jahrhunderts auf mehreren Ebenen aus: Es gibt immer mehr Darstellungen mit diesem Motiv, die Vielfalt der Objekte mit den unterschiedlichsten Funktionen (Hochzeitstruhe, Geburtsteller etc.) vergrößert sich und die sensuelle Intimität zwischen den Frauenkörpern nimmt zu.40 In Parmigianinos Deckengemälde aus Rocca Sanvitale befindet sich ein Detail mit zwei badenden Nymphen (Abb. 5), die einander innig in die Augen blicken. Eine Nymphe ist gerade dabei, die andere zärtlich an der Schulter zu berühren. In Paolo Veroneses Aktaion beobachtet Diana und ihre Nymphen beim Bade (1560-65) berühren die Hände zweier Nymphen die Genitalien einer anderen, deren Brüste den Busen einer weiteren Frau streifen. In der Literatur der frühen Neuzeit wurde Diana mir ihrer »Frauengruppe« zur Analogie für weibliche (Homo-)Erotik.

Abbildung 5: Parmigianino, Diana bespritzt Actaeon mit Wasser, 1523/24 Unter dem Deckmantel der Keuschheit, die sich auf heterosexuelle und reproduktive Sexualität bezog, konnten sexuelle Praktiken zwischen Frauen »unschuldig« gelebt werden. Vergleichbar der mythologischen Figur des Ganymed, der zu einem Synonym für die Homoerotik zwischen Männern wurde, stellte Diana einen Code für Begehren zwischen

40 | Vgl. P. Simons: Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture, S. 101.

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Frauen dar.41 Die literarischen Texte schaffen sowohl eine fiktionale Öffentlichkeit für gleichgeschlechtliche Erfahrungen als auch ein Publikum, das diese fiktionalen Repräsentationen rezipiert und konsumiert.42 Es ist nicht auszuschließen, dass diese Kunstwerke auch für Betrachterinnen gestaltet und von Frauen in Auftrag gegeben wurden.43 In einigen Kunstwerken wird die sinnliche Homoerotik zwischen den Frauen durch Aktaion unterbrochen, der als Beobachter der badenden Frauen immer wieder ins Bild gesetzt wird und die männliche Schaulust (vgl. Abb. 2) eindringlich vor Augen führt. Das unerwünschte Eindringen Aktaions in die weibliche Sphäre wird von einem weiteren Protagonisten auf anderer Ebene fortgeführt. Zeus, der sich in eine Nymphe verliebt, schwängert diese wider ihren Willen. Somit umfasst der Reiz des mythologischen Motivs um Diana und ihre Nymphen sowohl die erotische Sinnlichkeit der Nymphen als Angebot für heterosexuellen Voyeurismus als auch männliche Inbesitznahme und Eroberungswillen als Ausdruck eines sexualisierten Machtverhältnisses. Neben mythologischen Quellen dienen auch literarische Vorlagen für Motive, in denen die Erotik zwischen Frauen zentral ist. Giovanni Battista Guarini erzählt in Il Pastor Fido (aus dem 16. Jahrhundert) wie es zwischen einer Gruppe von Frauen zu einer Art Wettkampf kommt, wer am besten küssen könne. Ein verliebter junger Mann, Mirtillo, schleust sich, unerkannt als Mann, in die Frauengruppe ein, um der begehrten Amarillis näher sein zu können. Er gewinnt den Bewerb als beste »Küsserin«.44 Damit schreibt die Geschichte eine heterosexistische Tradition fort, die davon ausgeht, dass Sexualität zwischen Frauen letztendlich nicht befriedigend sein kann und Männer als Sexualpartner unersetzlich sind. Diese ideologische Verortung scheint auch der Hintergrund für die Darstellung von Anthon van Dyck aus dem Jahre 1631/32 (Abb. 6) zu sein.

41 | Zu Ganymed und Homoerotik zwischen Männern vgl. Regans Beitrag Give and Take. Michelangelo and the Drawings for Tommaso de’Cavalieri im vorliegenden Sammelband, sowie Saslow, James: Ganymede in the Renaissance: Homosexuality in Art and Society, New Haven 1968. 42 | Vgl. Drouin, Jennifer: »Diana’s Band: Safe Spaces, Publics, and Early Modern Lesbianism«, in: Vin Nardizzi/Stephen Guy-Bray/Will Stockton (Hg.), Queer Renaissance Historiography. Backward Gaze, Ashgate 2009, S. 85-110, hier S. 85f. 43 | Vgl. P. Simons: Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture, S. 97. 44 | Vgl. Traub, Valerie: »Introduction: ›Practicing Impossibilities‹«, in: dies., The Renaissance of Lesbianism in Early Modern England, Cambridge 2002, S. 1-3.

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Abbildung 6: Anton van Dyck, Amaryllis und Mirtillo, 1631-1632 Der junge bekleidete Mann schreitet vom linken Bildrand zur Frauengruppe, während die nackte, hell beleuchtete Amarillis am Boden liegt, ihren Kopf weit nach hinten beugt, um sich hingebungsvoll von einer Frau küssen zu lassen, und sich in erotischer Objekthaftigkeit präsentiert. Dass mit diesen genannten Sujets das Repertoire homoerotischer Bildwerke in der Frühen Neuzeit noch lange nicht erschöpft ist, zeigt meine eigene Recherche, die u.a. in vier Darstellungen personifizierter Tugenden von Hendrik Goltzius fündig wurde. Der Künstler (der übrigens 1592 auch ein Porträt von Heinrich IV. anfertigte) stellt jeweils zwei Tugenden in Form eines nackten weiblichen Paares in einem Landschaftskontext dar. Als Grundlage für die Darstellungen dient ein biblischer Psalm. In Klugheit und Gerechtigkeit (Abb. 7) sind die Frauen einander innig zugewandt: sich küssend und umarmend, die Beine teilweise ineinander verschränkt, ein Verweis auf den Liebesakt. Die liebevollen und zärtlichen Berührungen evozieren eine hocherotische und sensitive Atmosphäre – eingebettet in eine Landschaft, die ihre Natürlichkeit und Unschuld verstärken. Bei den vier differenten Paarkonstellationen übernimmt Goltzius gängige Kompositionen heterosexueller Liebesaktdarstellungen.

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Abbildung 7: Hendrik Goltzius, Klugheit und Gerechtigkeit

Abbildung 8: Hendrik Goltzius, Eintracht und Friede

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Die beschriebenen künstlerischen Arbeiten zeigen eine Vielfalt an visuellen Repräsentationen für weibliche Homoerotik und lassen angesichts der großen Bedeutung nicht heterosexueller und nicht reproduktiver Sexualität in der Frühen Neuzeit die Annahme zu, dass derartige Kunstwerke nicht nur als Stimulans für eine männlich-heterosexuelle Schaulust geschaffen wurden, sondern mitunter auch für ein weibliches Publikum und dessen Begehren. Die historische Forschung belegt eindeutig das homoerotische Gefüge zwischen Frauen in der Frühen Neuzeit, ebenso zeigt eine erste Recherche in der Welt der Kunst, dass gleichgeschlechtliches Begehren zwischen Frauen präsent ist. Überraschend und unverständlich angesichts dieser Fakten ist die »Zurückhaltung« der kunsthistorischen Forschung (im Gegensatz zur »Nachbardisziplin« Geschichte), diesem Umstand Rechnung zu tragen.45 Dieser Nachholbedarf der Kunstgeschichte gegenüber den Queer Studies im Vergleich zu anderen Forschungssträngen, wie z.B. der Literaturwissenschaft, ist unübersehbar. Trotz der Marginalisierung der Homosexualität in der Kunstgeschichte gibt es doch einen Unterschied in der Präsenz hinsichtlich der Homoerotik zwischen Frauen und jener zwischen Männern. Zum Thema homoerotisches Begehren zwischen Männern in der Frühen Neuzeit arbeitet eine kleine Anzahl von Expert_innen.46 Sie verfolgen unter anderem in den Topoi des Jünglingsporträts, der Freundschaftsbilder und der Doppelporträts von Männern die Spuren inhärenter Homoerotik. Zur Ignoranz gegenüber weiblicher Homoerotik liefert Andreas Kraß einen ergänzenden Erklärungsansatz:

45 | Diese Zurückhaltung wird deutlich, wenn man in die einschlägigen Bibliothekskataloge blickt: Im digitalen Fachkatalog des kunsthistorischen Institutes an der Universität Wien gibt es unter dem Schlagwort queer eine Nennung (ein Buch zur Queer Theory, dass sich nicht mit Fragen zur künstlerischen Produktion auseinandersetzt) und unter dem Schlagwort Homosexualität gibt es elf Nennungen (vorwiegend Aufsätze). Vergleicht man dieses Ergebnis mit dem der Fachbibliothek Geschichte der Universität Wien, sieht man die disziplinären Differenzen: unter »queer« sind zwölf und unter »Homosexualität« bereits 127 Publikationen angeführt. Im kubikat, dem Gesamtkatalog dreier deutscher, kunsthistorischer Forschungseinrichtungen, findet man unter dem Schlagwort »queer« wenigstens 43 und zu »Homosexualität« 53 Nennungen, zu Homosexualität und Frauen gibt es aber nur eine Publikation zum 19./20. Jahrhundert. 46 | Vgl. dazu die Arbeiten von Ulrich Pfisterer, Marianne Koos, Mechthild Fend, Wolfgang Popp, Helmut Puff, Adrian Randolph, Patricia Simons sowie die Beiträge von Andreas Plackinger und Lisa K. Regan in dieser Publikation.

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»Patriarchalische Gesellschaften können die Verfolgung lesbischer Frauen insofern vernachlässigen, als diese bereits durch grundsätzliche Frauenfeindlichkeit abgedeckt ist. In dem Maße, wie die weibliche Homosexualität politisch vernachlässigt wird, kehrt sie als erotische Phantasie wieder: Der Patriarch ›genießt‹ sie als Voyeur und behauptet sich somit noch einmal als Subjekt des Begehrens.« (Kraß 2007: 143)

Diese Beschreibung des Umgangs mit weiblicher Homoerotik findet sich im Bildnis »Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester« wieder. Zusammenfassend lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Es gibt starke Tendenzen zu einer heterosexuellen Überbetonung in der kunsthistorischen Auseinandersetzung mit Werken der Frühen Neuzeit. Es fehlt eine (Kunst-)Geschichte homoerotischen Begehrens zwischen Frauen, die in den Kunstwerken der Frühen Neuzeit angelegt ist. Es bedarf eines spezifischen Blicks, Dinge, die man in der bildenden Kunst explizit sehen könnte, zu ignorieren, sie in der Betrachtung zugleich unsichtbar zu machen bzw. spezifische Kunstwerke keines Blickes zu würdigen. Die Blindheit wissenschaftlichen Wissens und Wollens könnte augenscheinlicher gar nicht sein. Offensichtlich wird nicht nach dem geforscht, was es nicht geben darf. Die Leerstellen eines Diskurses, das offenbar Unsagbare, ist im Sinne von Michel Foucault konstituierend für das Sagbare: für das Verhältnis zwischen hierarchischer Geschlechterdifferenz und normativer Heterosexualität. Es geht nicht nur darum, neben einer Frauenforschung auch eine Lesbenforschung in der Kunstgeschichte einzufordern, sondern durch die Anerkennung der komplexen Verhältnisse zwischen Geschlecht und Sexualität in ihren historischen Dimensionen differente Konzeptionen und vielfältige Begehrensstrukturen wahrnehmen zu können und in die Analyse der visuellen Kultur einfließen zu lassen. Das notwendige »queeren« der Kunst bringt neue Perspektiven auf alle bisherigen entwickelten (Kunst-)Geschichten mit sich. Ein spannendes Beispiel, heteronormative Zeichenökonomie zu analysieren und queere Subtexte sichtbar zu machen, liefert z.B. die unorthodoxe Analyse von Will Fisher zu Bronzinos Venus und Amor als Sinnbild bisexuellen Begehrens – ein Thema, das in der Literatur der Frühen Neuzeit immer wieder diskutiert wurde.47

47 | Vgl. Fisher, Will: »Peaches and Figs: Bisexual Erotics in the Paintings and Burlesque Poetry of Bronzino«, in: Allison Levy (Hg.), Sex Acts in Early Modern Italy. Practice, Performance, Perversion, Punishment, Farnham 2010, S. 151-163.

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Für Frauen in der Frühen Neuzeit war es mitunter vorteilhaft, weniger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, denn es mag reale Macht darin liegen, unmarkiert zu bleiben. Für die historische Forschung stellt deren vergleichsweise Unsichtbarkeit allerdings keinen Vorteil dar. Doch auch die Sichtbarkeit hat ihre Tücken und Fallen. In einigen Fällen, in denen weibliche Homoerotik in Kunstwerken benannt wurde, besteht die Gefahr, deren Funktion (Voyeurismus, Fetischismus) innerhalb einer heterosexuellen Matrix zu übersehen – wie z.B. in der Rezeption von »Gabrielle d’Estrées und ihre Schwester«. Hier kommt ein langes historisches Kontinuum zum Tragen, dass weibliche Homoerotik als Stimulans für heterosexuell-männliche Begehrensstrukturen begreift. Die »Ambivalenzen der Sichtbarkeit«48 innerhalb einer phallozentrischen Kunstproduktion herauszuarbeiten, sollte ein Ziel der zeitgenössischen kunsthistorischen Forschung sein. Dieser Fokus ist nicht nur für die Kunstgeschichte im Sinne einer Wissenschaftskritik eine notwendige Korrektur, sondern hat über das Feld der Wissenschaft hinaus Einfluss auf die politische Repräsentation marginalisierter Gruppen heute. Lesbische Frauen beispielsweise als ahistorische Gruppe zu präsentieren, schwächt ihre gegenwärtige politische Position und setzt vorhandene Asymmetrien und Hegemonieproduktionen fort. Die Geschichtslosigkeit »ignoriert die historische Veränderlichkeit der Geschlechter und des Begehrens, indem sie sie im wissenschaftlichen Diskurs der Naturgesetzlichkeit oder im religiösen Diskurs der Schöpfungsordnung verhandelt und somit zu unveränderlichen Tatsachen erklärt« (Kraß 2007: 148). Damit schreibt man nicht nur die Geschichte in die Gegenwart fort, sondern führt auch den Blick auf die Gegenwart durch die »Kämpfe« um die Geschichte weiter. Kosofsky Sedgwicks Ausweg aus dem Dilemma, aus den Erzählungen der Verdrängung, ist eine Denaturalisierung der Gegenwart. Die Verschränkungen der unterschiedlichen historischen Ebenen sowie der wissenschaftlichen Bedeutungsproduktionen mit gesellschaftspolitischen Repräsentationsebenen machen die Arbeit des »queerens« so wichtig und zeigen die Relevanz kritisch-reflektierenden wissenschaftlichen Arbeitens für aktuelle Wirklichkeitsproduktionen auf.

48 | Vgl. Schaffer, Johanna: Ambivalenzen der Sichtbarkeit, Bielefeld 2008.

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(En)gendered: Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004, S. 71-86. Ruby, Sigrid: »Die Mätresse als Günstling am französischen Hof des 16. Jahrhunderts. Zur Portraitkultur von Anne de Pisseleu und Diane de Poitiers«, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hg.), Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004, S. 495-514. Ruggiero, Guido: »Sexual Criminality in the Early Renaissance Venice 1338-1358«, in: Journal of Social History 8 (1975), S. 18-37. Saslow, James: Ganymede in the Renaissance: Homosexuality in Art and Society, New Haven 1968. Schade, Sigrid: »Himmlische und/oder Irdische Liebe. Allegorische Lesearten der weiblichen Aktbilder der Renaissance«, in: Sigrid Schade/ Monika Wagner/Sigrid Weigel (Hg.), Allegorien und Geschlechterdifferenz, Köln 1995, S. 95-112. Schaffer, Johanna: Ambivalenzen der Sichtbarkeit, Bielefeld 2008. Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Wien 2002. Simons, Patricia: »Lesbian (In)Visibility in Italian Renaissance Culture: Diana und Other Cases of Donna con Donna«, in: Whitney Davis (Hg.), Gay and Lesbian Studies in Art History, Binghamton 1994, S. 81-122. Simons, Patricia: »Portraiture, Portrayal, and Idealisation: Ambiguous Individualism in Representations of Renaissance Women«, in: Alison Brown (Hg.), Language and Images of Renaissance Italy, Oxford 1995, S. 263-311. Simons, Patricia: »The Cultural History of ›Seigneur Dildoe‹«, in: Allison Levy (Hg.), Sex Acts in Early Modern Italy. Practice, Performance, Perversion, Punishment, Farnham 2010, S. 77-91. Talvacchia, Bette: »Erotica: The Sexualized Body in Renaissance Art«, in: dies. (Hg.), A Cultural History of Sexuality in the Renaissance, Oxford/New York 2011, S. 175-202. Traub, Valerie: »Introduction: ›Practicing Impossibilities‹«, in: dies., The Renaissance of Lesbianism in Early Modern England, Cambridge 2002, S. 1-3. Traub, Valerie: »The (In)Significance of ›Lesbian‹ Desire in Early Modern England«, in: Susan Zimmerman (Hg.), Erotic Politics. Desire on the Renaissance Stage, New York/London 1992, S. 150-169. Traub, Valerie: The Renaissance of Lesbianism in Early Modern England, Cambridge 2002.

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DORIS GUTH

Trauth, Nina: »Die Interessen der Mätressenforschung. Methodische Überlegungen zur Analyse des Mätressenportraits«, in: Andreas Tacke (Hg.), »… wir wollen der Liebe Raum geben«. Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen 2006, S. 127-156. Tuner, James Grantham: Sexuality and Gender in Early Modern Europe. Institutions, Texts, Images, Cambridge 1993. Zerner, Henri: »The Clouets«, in: ders. (Hg.), Renaissance Art in France. The Invention of Classicism, Paris 2003, S. 195-203. Zorach, Rebecca: Blood, Milk, Ink, Gold. Abundance and Excess in French Renaissance, Chicago 2005. Zorach, Rebecca: »Desiring Things«, in: Art History 24 (2001), S. 195-212.

A BBILDUNGEN Abb. 1: Anonym, Gabrielle d’Estrees und ihre Schwester, 1590/99, ca. 96 × 125 cm, Louvre, Paris. Aus: Zerner, Henri: Renaissance Art in France. The Invention of Classicism, Paris 2003, S. 215. Abb. 2: Anonym, Zwei nackte Frauen (Gabrielle d’Estrées und ihr Schwester?) in einem Badezuber, im Hintergrund Heinrich IV., ca. 1600, Tinte auf Leinwand, Louvre, Paris. Aus: Zorach, Rebecca: »Desiring Things«, in: Art History 24 (2001), S. 195-212, hier S. 199. Abb. 3: Marcantonio Raimondi, Frau mit Dildo, 1520er Jahre, Kupferstich, Nationalmuseum Stockholm. Aus: Levy, Allison: Sex Acts in Early Modern Italy. Practice, Performance, Perversion, Punishment, Farnham 2010, S. 79. Abb. 4: Jean Mignon (nach Luca Penni), Badende Frauen, 16. Jahrhundert, Bibliothèque Nationale, Paris. Aus: Lawner, Lynne: Lives of the Courtesans. Portraits of the Renaissance, New York 1987, S. 164. Abb. 5: Parmigianino, Diana bespritzt Actaeon mit Wasser, 1523/24, Camerino, Fontanellato, Rocca Sanvitale. Aus: Gnann, Achim: Parmigianino. Die Zeichnungen, Bd. 1: Text, Petersberg 2007, S. 65. Abb. 6: Anton van Dyck, Amaryllis und Mirtillo, 1631–1632, Öl auf Leinwand, 120 × 135 cm, Graf von Schönborn, Pommersfelden. Aus: Anthony van Dyck, National Gallery of Art, Washington, 11.11.1990–24.02.1991, S. 241.

D AS B ILDNIS G ABRIELLE D ’E STRÉES UND IHRE S CHWESTER

Abb. 7: Hendrik Goltzius, Gerechtigkeit und Klugheit, um 1600, Kupferstich, 147 × 203 cm, Rijksprentenkabinet Amsterdam, Kupferstichkabinett Dahlem. Aus: Strauss, L. Walter: Hendrik Goltzius 1559-1617. The Complete Engravings and Woodcuts, Bd. 1, S. 316. Abb. 8: Hendrik Goltzius, Eintracht und Friede, um 1600, Kupferstich, 148 × 202 cm, Rijksprentenkabinet Amsterdam, Kupferstichkabinett Dahlem Aus: Strauss, L. Walter: Hendrik Goltzius 1559-1617. The Complete Engravings and Woodcuts, Bd. 1, S. 316.

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Autorinnen und Autoren

Denk, Claudia: Studium der Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften und byzantinischen Kunstgeschichte in München, abgeschlossen mit der Dissertation Artiste, Citoyen & Philosophe. Der Künstler und sein Bildnis im Zeitalter der französischen Aufklärung (1998). Als langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Beteiligung an mehreren Ausstellungen, unter anderem: Venus, Bilder einer Göttin (2001). Seit 2002 Lehrbeauftragte an der Technischen Universität München, 2005-2008 Mitglied des DFG-Netzwerkes Liebessemantik und seit 2008 stellvertretende Beiratsvorsitzende der Christoph-Heilmann-Stiftung. Derzeit tätig an einem Drittmittelprojekt am Bayerischen Nationalmuseum zum Alten Südlichen Friedhof in München; Mitherausgeberschaft der internationalen ICOMOS-Tagung Der bürgerliche Tod (2007). Guth, Doris: Kunsthistorikerin, Assistenzprofessorin an der Akademie der bildenden Künste Wien. Von 2001-2008: Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der Akademie der bildenden Künste; Arbeitsschwerpunkte: Zeitgenössische Kunstproduktion und Geschlechterverhältnisse, Liebe und Feminismus im 20. Jahrhundert, Kunst und Populärkultur in der Zeit des Postsäkularen, Liebe in der bildenden Kunst der frühen Neuzeit, Geschlechterpolitik an Universitäten. Publikationen: Hg. (mit Heide Hammer): Love me or leave me. Geschlechterkonstrukte in der Populärkultur (2009); »Das ist kein Zeichen der Zeit, das ist ein Zeichen der Überspanntheit«. Der Skandal um Gustavs Klimts Fakultätbilder, in: Tobias Natter/Max Hollein (Hg.): Die nackte Wahrheit (2005); On the Representations and Production of Gender Identities in Exhibitions, in: Nina Höchtls/Suzanne van Rossenberg (Hg.): trans/gender (2003).

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Hammer-Tugendhat, Daniela: Professorin für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien. Mitorganisatorin der 3. Kunsthistorikerinnen-Tagung 1986 in Wien. »Gabriele Possanner«-Preisträgerin (2010). Forschungsschwerpunkte: Malerei der Frühen Neuzeit, Geschlechterbeziehungen in der Kunst, Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft. Publikationen unter anderem: Jan van Eyck: Autonomisierung des Aktbildes und Geschlechterdifferenz, in: Anja Zimmermann (Hg.), Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung (2006, Kommentierter Wiederabdruck des Aufsatzes von 1989); Kunst, Sexualität und Geschlechterkonstruktionen in der abendländischen Kultur, in: Franz X. Eder, Sabine Frühstück (Hg.), Neue Geschichten der Sexualität. Beispiele aus Ostasien und Zentraleuropa 1700–2000 (1999); Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts (2009). Krieger, Verena: Kunsthistorikerin, seit 2011 Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Jena, 2008-2011 Professorin an der Universität für angewandte Kunst Wien. Zuvor Lehrtätigkeit in Stuttgart, Bern, Jena, München und Karlsruhe. Aktuelle Forschungsthemen: Ambiguität in der Kunst, Konzepte des Künstlers und der Kreativität, Avantgarde und Politik, Methodenfragen der Kunstgeschichte, Gender. Publikationen unter anderem: Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Ästhetik der russischen Moderne (2006), Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen (2007), (Mit-)Herausgeberin von: Kunstgeschichte und Gegenwartskunst. Vom Nutzen und Nachteil der Zeitgenossenschaft (2008), Ambiguität in der Kunst. Typen und Funktionen eines ästhetischen Paradigmas (2010) und Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung (2011). Pfisterer, Ulrich:Prof. Dr., lehrt am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München. Promotion 1997 an der Universität Göttingen zu Donatello und die Entdeckung der Stile; Habilitation 2006 an der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte insbesondere zur Kunst der Frühen Neuzeit und zur Wissen(schaft)sgeschichte der Kunstgeschichte. Aktuelles Publikationsprojekt Kunst-Geburten in Arbeit. Neuere Publikationen: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille (2008); Hg.: Klassiker der Kunstgeschichte, 2 Bde. (2007-08); Hg.: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe (2003, 20112); (Mit-)Hg.: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450-1620) (2011).

A UTORINNEN

UND

A UTOREN

Plackinger, Andreas: Jahrgang 1983, Studium der Kunstgeschichte, Neuere und Neueste Geschichte sowie Klassische Archäologie in München, Paris und Venedig. Abschlussarbeit zur cinquecentesken Wahrnehmung von mittelitalienischen Jünglingsporträts an der Universität München, ausgezeichnet mit dem Heinrich-Wölfflin-Preis. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Ruhr-Universität Bochum. Zur Zeit Doktorand an der Universität München mit dem Thema Violenza – Gewalt als künstlerisches Konzept in der Nachfolge Michelangelos; seit April 2011 Dissertationsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Priedl, Elisabeth: Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Wien, Graz und Roma III. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom (1996-2000). Leitung der Galerie KlausEngelhorn für zeitgenössische Kunst (2001-2004). 2004 Promotion am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien mit der Arbeit Die beiden Susannen des Kardinals Girolamo Rusticucci. Zum didaktischen Bildprogramm von Santa Susanna in Rom. Ab Oktober 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit Oktober 2010 Senior Scientist an der Akademie der bildenden Künste Wien. Forschungsschwerpunkte: Italienische Kunst und Kunsttheorie der Frühen Neuzeit, nachtridentinische Kunst, Gender in der Frühen Neuzeit. Neueste Veröffentlichung: Santa Susanna’s arazzi finti. The Medium and Roman Counter-Reformation Ideology, in: Tristan Weddigen (Hg.), Unfolding the Textile Medium in Early Modern Art and Literature (2011). Regan, Lisa K., received her Ph.D. from the University of California, Berkeley in History of Art, with a specialization in the Italian Renaissance.  She is currently an independent scholar and a lecturer at several Bay Area institutions.  Her work is focused on art/literature connections and issues of gender in the courts of northern Italy.  Currently she is working on allegories of Fortuna in sixteenth-century Italian art and literature, particularly in Mantua and in relation to ideas of artistic identity.  Her interest in gender and sexuality in the Renaissance is also the subject of a forthcoming co-authored article on Giulio Romano and Pietro Aretino’s I modi as an artistic manifesto.  In all her work, she is engaged with the relationship between word and image and with ideas of authority and artistic identity.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Segler-Meßner, Silke: Professorin für französische und italienische Literaturwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Hamburg. Promotion 1997 an der Universität Bonn mit folgender Monografie über die italienische Aufklärung: Zwischen Empfindsamkeit und Rationalität – Der Dialog der Geschlechter in der italienischen Aufklärung (1998); Habilitation 2003 an der Universität Stuttgart mit einer Arbeit zur Darstellung und Interpretation der Shoah in Frankreich: Archive der Erinnerung. Literarische Zeugnisse des Überlebens nach der Shoah in Frankreich (2005). Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Geschlechterbeziehungen von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne, Liebesdiskurse in der Renaissance, Zeugenschaft und Erinnerungskultur nach der Shoah, postkoloniale Schreibweisen im 20. Jahrhundert, Kulturwissenschaft. Witte, Birgit: Studium der Kunstgeschichte, Mediaevistik und Älteren deutschen Literatur in Hamburg (2001-2005), Abschluss mit einer prämierten Arbeit über die Korrelation von Mediceischer Machtpolitik und dominikanischer Ordenspropaganda im Florenz des 15. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut in Florenz, Max-Planck-Institut (2005-2007). Im Anschluss dort Doktorandin, zeitgleich unter anderem Mitarbeiterin im Projekt Deutsche Ausgabe der Vite Giorgio Vasaris, befasst mit der Kommentierung des Bandes Das Leben des Lorenzo Ghiberti (2011). 2009 und 2011 Stipendiatin am Deutschen Studienzentrum in Venedig. Promotion 2011 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu frühneuzeitlichen Liebesmodellen im Medium des Ehepaarporträts: Amor maritale. Visuelle Codierungen ehelicher Liebeskonzepte in der italienischen Porträtmalerei des Cinquecento.

Image Ursula Bertram (Hg.) Kunst fördert Wirtschaft Zur Innovationskraft des künstlerischen Denkens Oktober 2012, ca. 266 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2102-0

Ulrich Blanché Konsumkunst Kultur und Kommerz bei Banksy und Damien Hirst Oktober 2012, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2139-6

Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur September 2012, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1711-5

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Image Katja Hoffmann Ausstellungen als Wissensordnungen Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 Oktober 2012, ca. 496 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2020-7

Lill-Ann Körber Badende Männer Der nackte männliche Körper in der skandinavischen Malerei und Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts Oktober 2012, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2093-1

Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Juli 2012, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0

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Image Thomas Abel, Martin Roman Deppner (Hg.) Undisziplinierte Bilder Fotografie als dialogische Struktur

Walburga Hülk Bewegung als Mythologie der Moderne Vier Studien zu Baudelaire, Flaubert, Taine, Valéry

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Doris Ingrisch Pionierinnen und Pioniere der Spätmoderne Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen als Inspirationen für ein neues Denken

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Patricia Stella Edema Bilder des Wandels in Schwarz und Weiß Afro-amerikanische Identität im Medium der frühen Fotografie (1880-1930)

Dietmar Kammerer (Hg.) Vom Publicum Das Öffentliche in der Kunst

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Viola Luz Wenn Kunst behindert wird Zur Rezeption von Werken geistig behinderter Künstlerinnen und Künstler in der Bundesrepublik Deutschland

Silvia Henke, Nika Spalinger, Isabel Zürcher (Hg.) Kunst und Religion im Zeitalter des Postsäkularen Ein kritischer Reader Juli 2012, 298 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2040-5

Birgit Hopfener Installationskunst in China Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen

Mai 2012, 246 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1673-6

Juni 2012, 558 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2011-5

Kerstin Schankweiler Die Mobilisierung der Dinge Ortsspezifik und Kulturtransfer in den Installationen von Georges Adéagbo Oktober 2012, ca. 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2090-0

November 2012, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2201-0

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)

Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012

Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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