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German Pages 276 Year 2014
Kerstin Jergus Liebe ist ...
Pädagogik
Kerstin Jergus (Dr. phil.) lehrt Allgemeine Erziehungswissenschaften an der Universität Halle. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bildungstheorie und Bildungsforschung, Diskurstheorie/-forschung und Subjektivierungsanalysen.
Kerstin Jergus
Liebe ist ... Artikulationen der Unbestimmtheit im Sprechen über Liebe. Eine Diskursanalyse
Diese Publikation basiert auf der Dissertation »Generative Unbestimmtheiten. Diskursanalytische Einsätze zu Relationierungen von Subjektivität und Sozialität«, die im Jahr 2010 an der Philosophischen Fakultät III der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg abgeschlossen wurde.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Kerstin Jergus Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1883-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Einleitung: Liebe ist… Zum Phänomen des Sprechens über Unbestimmtheit(en) | 7
I
E INSATZ: Z UR RELATIONALITÄT DES S OZIALEN
1.
Poststrukturalistische Perspektiven auf Sozialität und Subjektivität | 19
1.1. Performatives Sprechen: Signifizierungen von Sozialität und Subjektivität | 21 1.2. Iterative Strukturierungen: Re-Signifizierungen von Sozialität und Subjektivität | 32 1.3. Machtvolle Schließungen: Unmögliche Formierungen von Sozialität und Subjektivität | 47 1.4. Tropologische Bewegungen: Figurativer Sinn | 68 1.5. Unmögliche Schließungen: Relationale Sozialität | 77 2.
Analyseperspektiven | 81
2.1. Analytische Zugänge | 82 2.2. Methodologischer Einsatzpunkt: Figurierungen und Figurationen | 98 2.3. Die Frage(n) der Methode | 103
II
ANALYSEN DES SPRECHENS ÜBER V ERLIEBTHEIT UND L IEBE IM HORIZONT RHETORISCH - DISKURSIVER EINSÄTZE
3.
Liebesfiguren – Fragmente einer Theorie der Liebe | 119
3.1. 3.2. 3.3. 3.4.
Zugänge: Bestimmungen und Unbestimmtheit | 119 Theoretisierungen | 121 Fragmentierungen | 135 Figurierungen und Figurationen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit | 140
4.
Interviews zu Liebe und Verliebtheit | 147
4.1. Zugänge: Inszenierungspraktiken | 147 4.2. Analytische Einsätze zum Sprechen über Liebe und Verliebtheit: Figurierende Figurationen | 161 5.
Artikulationen von Unbestimmtheit(en): ‚Wahrsprechen‘ | 201
III ARTIKULATIONEN VON UNBESTIMMTHEIT (EN): RELATIONIERUNGEN VON S UBJEKTIVITÄT UND SOZIALITÄT – EIN AUSBLICK 6.
Relationierungen von Subjektivität und Sozialität – Zusammenfassende Fokussierungen | 211
7.
Generative Unbestimmtheiten | 225 Literatur | 249 Danksagung | 271
Einleitung: Liebe ist… Zum Phänomen des Sprechens über Unbestimmtheit(en)
Liebe ist… Der Raum, der sich zwischen diesen Pünktchen und dem Versprechen des ‚ist‘ eröffnet, steht im Zentrum der vorliegenden Studie. Dass in den bekannten Comiczeichnungen mancher Tageszeitungen beständig neue Fülleinsätze dieses Raums gefunden werden können, zeigt eine unabschließbare Varianz von Bestimmungen der Liebe an. Der in den Pünktchen enthaltene Imperativ einer permanenten Neu-Bestimmung bringt dabei Unbestimmtheit(en) (erneut) ins Spiel, auf die sich jede Bestimmungsgeste bezieht. Nähert man sich dem Phänomen des Sprechens über Liebe und Verliebtheit, so finden sich leicht Äußerungen wie die der Soziologin Yvonne Niekrenz: „Liebe ist schillernd, magisch, paradox, komplex, rätselhaft und gehört als Konstante zum Erfahrungshorizont des Menschen: Jeder liebt irgendwen oder irgendwas und hat mehr Fragen als Antworten zum Thema ‚Liebe‘. Liebe weckt Neugier, bewegt und das Denken über dieses mysteriöse Phänomen wird so schnell nicht obsolet.“ (Niekrenz 2008: 11; Hervorhbg. K.J.)
Über und von Liebe zu sprechen ruft offenbar eine Thematik auf, die sich der Eindeutigkeit zu entziehen scheint. „The very essence of romance is uncertainty“, pointiert dies Oscar Wilde (1994: 9). Der Liebe scheint einige Unbestimmtheit zu eignen, die dazu führt, sie kaum erschöpfend erfassen
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zu können. Zugriffe und Begriffe scheinen in ihren Versuchen, dem Phänomen der Liebe beikommen zu wollen, scheitern zu müssen – dieses sich Entziehende stattet zugleich die Thematisierungen von Liebe und Verliebtheit mit einiger Faszination und Attraktivität aus. Dies insbesondere, da es sich augenscheinlich um eine anthropologisch dimensionierbare Angelegenheit handelt, in der die Bedeutsamkeit des Denkens und Sprechens über Liebe und Verliebtheit einen Anlass findet. Da „jeder liebt“, kann sich das Sprechen über Liebe und Verliebtheit einiger Aufmerksamkeit sicher sein: ‚Love is all around‘, stellt Yvonne Niekrenz dem Band ‚LiebesErklärungen‘ voran, um die Omnipräsenz der Liebesthematik durch den Musiktitel der Band WetWetWet zu markieren, dem sich nahezu selbstläufig weitere Musiktitel, Bonmots, Zitate, Anekdoten, Geschichten, Analogien, Filmplots und Romanfiguren hinzufügen ließen. Dieses Sprechen ist folglich zugleich damit konfrontiert, kaum mehr als eine ‚Wagenladung voller Banalitäten‘, wie es Roland Barthes einmal formulierte (vgl. 1984), in der Nähe des Kitsches aufrufen zu können. Wie lässt sich verstehen, dass der Liebe und Verliebtheit eine so hohe Bedeutsamkeit zu eignen scheint, diese jedoch nur in formelhaften und abgenutzten Figuren thematisierbar wird? Dies ist eine der Ausgangsfragen, die die Beschäftigung mit dem Phänomen des Sprechens über Liebe und Verliebtheit in der vorliegenden Studie antreiben. Dieses Sprechen wird im Folgenden empirisch im Rahmen von Interviews untersucht und zudem bezogen auf theoretisierende Ansätze zur Liebesund Verliebtheitsthematik analysiert. Wendet sich der Blick diesem Sprechen zu, ergibt sich zunächst eine Breite und Heterogenität von Thematisierungen, die vielfältige Fragen aufwerfen: Wie lassen sich Liebe und Verliebtheit verstehen, die ein derart breites Spektrum an Thematisierungseinsätzen ermöglichen, dabei stets eine subjektive Bedeutsamkeit ins Spiel bringen müssen? Lässt sich Verliebtheit als ein Gegenstand verstehen, über den man ausschließlich ‚als Liebender‘ (Roland Barthes) sprechen darf? Roland Barthes hebt dabei eine spezifische Problematik des Sprechens zu dieser Thematik hervor: „Schwieriges Paradoxon: ich kann von jedermann verstanden werden (die Liebe kommt aus Büchern, ihr Dialekt ist geläufig), aber gehört […] werden nur von Subjekten, die hier und jetzt genau die gleiche Sprache sprechen wie ich.“ (Barthes 1984: 35; Hervorhbg. i.O.)
E INLEITUNG: LIEBE IST … | 9
Wie lässt sich verstehen, dass von der Liebe als dem Moment des Subjekts gesprochen wird, sie zwingend die ‚erste Person‘ (Julia Kristeva) einfordert, und sie zugleich in ihrer Allbekanntheit jede Boulevardnachricht relevant werden lassen kann? Wie ist mit der formelhaften love story in Einklang zu bringen, dass es beinahe unmöglich scheint, etwas allgemein Gültiges über die Liebe und die Verliebtheit sagen zu können? Was bedeutet es, im Sprechen über Liebe stets dessen Fallibilität und begrenzte Geltungsbereiche der eigenen Person oder des eigenen Erlebens markieren zu müssen? Wie lässt sich verstehen, dass über Liebe und Verliebtheit alles gesagt zu sein scheint, sie zugleich ubiquitäre Thematisierungen erfährt und dennoch jedes Sprechen über Liebe und Verliebtheit eine Einzigartigkeit und Außeralltäglichkeit aufruft? Umberto Eco pointiert dieses Verhältnis, indem er es mit postmoderner Literatur analogisiert: „Sie [d.i. die postmoderne Literatur, KJ] erscheint mir wie die Liebe eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, dass er ihr nicht sagen kann: Ich liebe dich inniglich, weil er weiß, dass sie weiß (und dass sie weiß, dass er weiß), dass genau diese Worte schon von, sagen wir, Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich… Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung angenommen.“ (Eco 1984: 5)
Worauf Eco hier hinweist, ist eine gewisse Unmöglichkeit, von der Liebe zu sprechen, die zu einem Umgang führt, der noch die Unmöglichkeit des Sprechens mit aufruft. Sprechen über die Liebe und Verliebtheit scheut sich mithin nicht, über Wesentliches und Grundlegendes zu sprechen, dies jedoch in der Art und Weise, die Verfehlung des Wesentlichen im Sprechen aufrufen zu müssen. Die Ungewissheit und Uneindeutigkeit, die Mysteriösität und Rätselhaftigkeit, die im Sprechen über Liebe und Verliebtheit aufgerufen werden, treiben vielfältige und heterogene Thematisierungen an, deren Gemeinsamkeit darin zu bestehen scheint, als Chiffre für Unbestimmtheit zu fungieren. Sich in das Terrain des Sprechens über Liebe und Verliebtheit zu begeben legt mithin nahe, gerade keine Eindeutigkeiten und Bestimmtheiten zu erwarten. Vielmehr werden Begriffe wie ‚Paradoxie‘, ‚Rätselhaftigkeit‘, ‚Mysterium‘ und ‚Einzigartigkeit‘ zu maßgeblichen Markierungen, von denen aus vielfältige Sprechweisen ihren Ausgang nehmen. Die Unbestimmtheit der Liebes- und Verliebtheitsthematik fungiert als wesentliches Mo-
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ment, um das herum sich das Sprechen über Liebe und Verliebtheit organisieren und seinen Anlass finden kann. Wie nun lässt sich diesem Sprechen in seinen heterogenen Thematisierungshinsichten analytisch begegnen? Wie lässt sich dieses Sprechen in den Blick nehmen, und als einen Umgang mit den aufgerufenen Paradoxien und Entzugsmomenten verstehen? Die hier zu verfolgende Analyseperspektive entfaltet mithin eine Sicht auf das Sprechen, das sich der Produktivität und Generativität paradoxaler Konstellationen verschreibt und dabei Abstand nimmt von anthropologisierenden Argumentationen. Damit ist gemeint, dass der analytische Versuch darin besteht, weder vorab Kategorisierungen vorzunehmen, die der Liebe und dem Sprechen über sie Sortierungen hinsichtlich des sprechenden Subjekts als einem kompetenten und sprachbeherrschenden Wesen zuschlagen, noch die Thematik der Liebe und Verliebtheit erneut in den Horizont der Unbestimmtheitskategorie einzuschreiben. Die Schwierigkeit einer solchen Perspektive auf den Gegenstand der Liebe und Verliebtheit lässt sich darin akzentuieren, selbst in der Analyse noch von der Entzogenheit und Unbestimmtheit der Thematik sprechen und zehren zu müssen – wie eben diese einleitenden Worte aufführen. Die Analyse steht folglich vor dem Problem, eine aufgeführte Charakteristik der Liebes- und Verliebtheitsthematik reifizieren zu müssen, wenn sie sich den Mustern, Typologien und semantischen Einheiten der Thematisierungen zu wendet. Bezogen auf die Thematik der Liebe erscheint diese Problematik möglicherweise nicht so virulent, wie sie sich in anderen Themenhorizonten wie etwa ‚Rassismus‘, ‚Geschlecht‘, ‚soziale Ungleichheit‘ deutlicher ergibt. Die Reifizierungsproblematik verlangt mithin eine Analyseperspektive, die der Faktizität des Sozialen nicht zuarbeitet, indem sie Elemente eines solchen (‚rassistischen‘, ‚sexistischen‘, etc.) Sprechens als Elemente des Sozialen erneut aufrufen und wieder einführen würde (vgl. dazu Hanke 2003). Darüber hinaus lässt sich fragen, wie Praktiken des Sprechens einen Umgang damit finden, zugleich abgegriffene Figuren und (subjektive) Bedeutsamkeit aufrufen zu müssen. Wie gestaltet sich Sprechen um das spezifische Phänomen der Liebe und Verliebtheit, das seine eigene Fallibilität und zugleich anthropologisierende Dimensionen anführen muss? Wie lassen sich diese Erfordernisse des Sprechens über Liebe und Verliebtheit analysieren? Die analytischen Fragen richten sich mithin auf Praktiken des
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Sprechens,1 die bezogen auf das Verhältnis von Selbst und sozialer Ordnung ihre Relevanz gewinnen. Die Analysen der vorliegenden Studie fokussieren folglich nicht die ‚Rätselhaftigkeit‘ und ‚Ungewissheit‘ der Liebe und Verliebtheit. Sie nehmen ihren analytischen Einsatzpunkt von der Fülle und Vielfältigkeit der Liebesthematisierungen und fragen gegenüber anthropologisierenden und ontologisierenden Perspektiven nach den Hervorbringungsweisen und Vollzugslogiken dieses Sprechens. Gegenüber der Annahme einer Eindeutigkeit von Wissen und Wissensordnungen in Bezug auf Liebe wird damit stärker die komplexe und uneindeutige, je neu vorzunehmende Situierung und Hervorbringung von Wissen herausgestellt, die den Blick auf die heterogenen und nahezu unerschöpflichen Thematisierungen um Liebe und Verliebtheit lenkt. Es stellen sich dann Fragen, die nicht auf Definitheit und Hermetik der Liebesthematik abheben: Werden nicht je verschiedene Liebessemantiken aufgerufen, je nachdem, ob Liebe und Verliebtheit hinsichtlich ihrer anthropologischen Bedeutsamkeit (vgl. Bilstein/Uhle 2007), ihrer figürlichen Qualität (vgl. Kristeva 1989), ihrer unmöglichen Verallgemeinerbarkeit (vgl. Barthes 1984) oder aber ihrer Ubiquität aufgerufen wird? Wie verhalten sich diese verschiedenen ‚Semantiken‘ zu der durch sie aufgerufenen und auf sie referierten sozialen Realität? Kommt ‚Liebe‘ bzw. ‚Verliebtheit‘ eine eindeutige, abgeschlossene und unumstrittene Bedeutung zu?2 Wie verhalten sich
1
Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählt Holger Herma (2009) in seiner Interviewstudie zu „Liebe und Authentizität“, die ebenfalls das praktische Moment dieses Sprechens in den Blick nimmt: „Liebe muss zur Erscheinung gebracht, sie muss dargestellt und inszeniert, also symbolisch repräsentiert werden“ (ebd.: 48). Gegenüber meinem Analysegesichtspunkt der Hervorbringungslogik eines nicht definit gesetzten Gegenstandes fokussiert Herma jedoch dabei „das Grundmuster der Liebe“ (ebd.: 57), um zu untersuchen, „wie sich das ‚individuelle Ich‘ in seinem Selbstentwurf in der Liebe auch als ‚historisches Ich‘ entäußert“ (ebd.: 63). Sowohl gegenüber der Selbstidentität von Liebe als auch gegenüber der in dieser wissenssoziologischen Studie unterstellten Adresse eines ‚Ich‘ ist die vorliegende Studie skeptisch und wählt einen anderen Einsatz.
2
Für die folgenden Analysen werden Liebe und Verliebtheit gemeinsam als ein Thematisierungshorizont bezogen auf das Phänomen eines Sprechens verwendet, welches sich in der Relationierung von Sozialität und Subjektivität ereignet. Ursprüngliches Forschungsvorhaben war die Frage nach ‚Bildung angesichts
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diese divergierenden und inkommensurablen Bedeutungen und Semantiken zueinander? Wie lässt sich verstehen, dass vom Geltungsbereich der ersten Person gesprochen wird, und von wo aus wird diese Geltung zuerteilt und (an-)erkannt? Wie wird das Verhältnis von sprachlichen Äußerungspraxen zu kulturellen Ordnungen und sozialer Realität vermittelt? Wie lässt sich folglich das Sprechen über Liebe und Verliebtheit so in den Blick nehmen, dass weder diese Thematik reifizierend als Anthropologem ontologisiert wird noch die Sprechenden als Ursache und Adressen dieses Sprechens mit Spezifikationskompetenz ausgestattet werden? Wie lässt sich das paradoxe Sprechen analysieren, das sich seiner eigenen Unbestimmtheit versichern muss und darin Bestimmungen ausführt? Bezogen auf diese Fragehinsichten heben poststrukturalistische Perspektiven die Uneindeutigkeit und Unabgeschlossenheit von Wissen, Sinn und Strukturen hervor. Sie nehmen ihren Ausgang nicht von der Eindeutigkeit vorliegender Referenzen auf soziale Welt, auf Subjektivitäten oder auf Ordnungen des Sozialen. Der Einsatz dieser Perspektiven verlagert die Analysehinsichten von der Eindeutigkeit, Reibungslosigkeit und Hermetik des Sozialen auf die in die Sprachpraktiken hinein reichende Unabgeschlossenheit, Umkämpftheit und Machtverwobenheit des Sprechens, das für Wirklichkeitsverständnisse konstitutiv wird. Poststrukturalistisch-diskurstheoretische Perspektiven stellen mithin einen analytischen Kontrapunkt dar, der sich sowohl vom „Subjekt als Zurechnungsadresse“ (Nassehi 2008: 82) abgrenzt als auch die Ordnung des Sozialen nicht in ihrer Gegebenheit zum Analyse-Einsatz wählt. Eine solche Perspektive entfaltet mithin eine andere Sichtweise auf das Sprechen über Liebe und Verliebtheit,
des Unbegreiflichen‘ in Begegnungen vor Ort in Gedenkstätten. Anvisiert war dabei der Zusammenhang von didaktisierter Verfügbarkeit ubiquitärer Thematisierungen zum Topos ‚Auschwitz‘, dessen Erfahrungsgehalt im Scheitern der Erfahrung und des Verstehens (vgl. dazu Horn 2005) vermutet wurde und der jeweils dadurch sich zeigenden Lücke im symbolischen Horizont des begrifflichen Aufbereitens und Verstehens. Aus verschiedenen, vor allem forschungspragmatischen, Gründen wurden die angedachten Untersuchungen zur Grenze des Verstehens als bildendem Moment jedoch zu Gunsten der Thematisierung von Verliebtheit und Liebe verschoben. Es finden sich dabei Parallelen der Untersuchungsgegenstände, die sich vor allem auf die Ubiquität und begrifflichsemantische Bekanntheit der Thematiken beziehen.
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das eine ‚Entzauberung‘ der Liebesthematik allein dahingehend vornimmt, dass es sich der Frage widmet, auf welche Weise und mit welchen Effekten ein Sprechen mit ‚Zauber‘ ausgestattet wird. Das exemplarische Phänomen eines Sprechens über Liebe und Verliebtheit, das sich bestimmend der Unbestimmtheit vergewissern muss, soll im Folgenden von dieser poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Perspektive aus in den Blick genommen werden. Meine Analysen folgen somit nicht ‚der Liebe‘ in ‚ihrer Unbestimmtheit‘, sondern sie entfalten eine Sicht auf das Sprechen, das von der Generativität paradoxaler Konstellationen ausgeht und dabei Abstand nimmt von ontologisierenden Herangehensweisen. Damit ist gemeint, weder von einer Einheit der Liebe und Verliebtheit auszugehen, wie eine kategoriale Systematik dies tun würde, sie auch nicht als Anthropologem in seiner Ausdrucksvielfalt zu untersuchen noch das Sprechen über sie einem kompetenten und sprachbeherrschenden Subjekt zuzuweisen. Meine Analysen nehmen ihren Einsatzpunkt3 von der Fülle und Vielfältigkeit der Liebesthematisierungen und fragen gegenüber anthropologisierenden und ontologisierenden Perspektiven nach den Hervorbringungsweisen und Vollzugslogiken dieses Sprechens. Eine von Andreas Reckwitz geforderte „poststrukturalistisch-dekonstruktive Injektion“ (2008: 207) in das Denken des Sozialen werden die folgenden
3
Antje Langer (2008) verweist in ihrer Arbeit am Schnittfeld von Diskursanalyse und Ethnographie auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs ‚Einsatz‘, der sowohl militärische Verwendungen implizieren kann, als auch als Investitionsstrategie in Spielen oder ökonomischen Settings mit einem gewissem Risikowert ausgestattet erscheint. Daneben lässt sich darunter auch ein gewisses Engagement, ein sich mit einer Sache verknüpfendes Interesse verbinden, jedoch auch die technische Applikation oder Implementation und schließlich auch der orchestrierte Zeitpunkt des musikalischen Einsatzes. Langer verweist in diesem Zusammenhang auf den metaphorischen Gehalt, der sich aus dieser Mehrdeutigkeit ergibt (vgl. ebd.:15). Unter eben diesen mehrdeutigen Vorzeichen soll im Folgenden die Verwendung des Wortes ‚Einsatz‘ stehen: Wie noch zu zeigen sein wird, lassen sich im unentscheidbaren Terrain des Sozialen Entscheidungen nur als strategische, interessierte, motivierte und nicht vollkommen begründbare Einsätze verstehen – sie gerieten anderenfalls zur Ausführung von Programmen (vgl. ähnlich: Masschelein/Wimmer 1996: 7f.).
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Überlegungen ernst nehmen und im ersten Teil der Studie eine Diskussion jüngerer poststrukturalistischer und kulturtheoretischer Positionen vornehmen. Leitend für diesen Gang ist dabei die Frage nach den Akzentuierungen des Verhältnisses von Sozialität und Subjektivität. Das Verhältnis von Sprechen und sozialer Wirklichkeit stellt dabei eine erste Linie dar, die Subjektivität im Horizont ihrer sprachlichen Situiertheit über performative Akte der Wirklichkeitsstiftung diskutiert. Daran schließt sich die Frage nach der Strukturiertheit sozialer Ordnungen und subjektiver Identitäten an und verweist sowohl auf die Machtverwobenheit als auch die Unabgeschlossenheit von Ordnungen. Der Status dieser Ordnungen im Verhältnis von Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit wird schließlich über rhetoriktheoretische Perspektiven in den Blick genommen, um die Bewegung zwischen unmöglicher Schließung und notwendiger Öffnung herauszustellen (Kapitel 1). Ausgangspunkt der Lektüren poststrukturalistischer Ansätze stellt dabei die Frage nach analytischen Perspektiven dar, die weder den Gegenstand der Liebe und Verliebtheit noch die Sprecherpositionen ontologisieren möchten. Eine solche Sichtweise auf das Thema der Verliebtheit und Liebe konzentriert sich mithin auf Fragen der Hervorbringung und Gestaltung heterogener Thematisierungen. Den analytischen Konsequenzen bezogen auf empirische Herangehensweisen widmen sich die Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen analytischen Zugängen zu Diskursen, die vor allem im Hinblick auf wissenssoziologische, praxistheoretische und poststrukturalistische Analyseperspektiven diskutiert werden. Die sich aus dieser Diskussion ergebenden methodologischen und methodischen Fragen, vor allem was die Frage der Gegenstandsbestimmung sowie der Interview-Erhebung betrifft, werden darauf hin genauer diskutiert, um die diskurstheoretischrhetorisch inspirierte Analyseperspektive für die vorliegende Studie methodologisch und methodisch ausweisen zu können (Kapitel 2). Im zweiten Teil der Studie werden darauf hin die gewonnen Sichtweisen für Analysen im Horizont rhetorisch-diskurstheoretischer Perspektiven anhand des Sprechens über Liebe und Verliebtheit fruchtbar gemacht. Die Analysen konzentrieren sich dabei auf zwei verschiedene Genre des Sprechens über Liebe und Verliebtheit: Einerseits dem Sprechen im wissenschaftlich-theoretischen Format (Kapitel 3) und dem Sprechen im Rahmen von Interviews (Kapitel 4). Beide Materialien werden dabei untersucht bezogen auf die Konstitutionslogik der Thematik von Liebe und Verliebtheit.
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Die Analysen fragen mithin nach den Elementen dieser Thematik, deren Verknüpfungen, deren Ausschlüssen, und akzentuieren diese in einem abschließenden Schritt bezogen auf die Frage der Situierung von Subjektivität und Sozialität im Sprechen über Liebe und Verliebtheit (Kapitel 5). Im Ausblick dieser Studie werden die analytischen Perspektiven auf die praktischen Vollzugslogiken des Sprechens und die Konstitution sozialer Realität anhand des Bereichs Liebe und Verliebtheit bezogen auf Fragen der Notwendigkeit und Unmöglichkeit ‚subjektiven Sprechens‘ diskutiert, das sich vor dem Hintergrund seiner sozio-symbolischen Qualität ereignet. Diese Perspektive aufnehmend, werden abschließend Analysegesichtspunkte mit poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Perspektiven zusammenführend akzentuiert (Kapitel 6). In einem Neu-Einsatz werden daraufhin verschiedene Anschlussstellen und Fragehorizonte entwickelt, die den Beitrag der vorliegenden Arbeit bezogen auf pädagogische Fragestellungen andeuten (Kapitel 7). Ausgehend von einer Thematik wie derjenigen um Liebe und Verliebtheit, die in besonderem Maße Unbestimmtheit mit Bestimmtheitseffekten versieht, deren Thematisierungsweisen mithin zugleich in ihren Bestimmungen Aufschübe, Entzogenheiten und Verschiebungen prozessieren, widmen sich die folgenden Analysen und Überlegungen der Generativität in den Artikulationen von Unbestimmtheit(en). Ihren spezifischen Einsatzpunkt finden die Analysen folglich in einer Thematik, in der das Subjekt in besonderem Maße auf eine Weise thematisch wird, die es konstitutiv von der Ordnung des Sozialen und nicht ihr gegenüber gebildet versteht. Die angelegte Untersuchungsperspektive auf einen Gegenstand, der ‚Unbestimmtheit‘ ausweisen muss und darin Bestimmungen ausführt, ohne diese jemals fixieren zu können, speist sich aus der Diskussion poststrukturalistischer Perspektiven. Deren Einsatzpunkt einer ‚unbestimmten‘, d.h. kontingenten Qualität von Bedeutungen und einer daraus resultierenden Unabgeschlossenheit sozialer Ordnungen wie auch subjektiver Identitäten leitet zur Frage der ‚Bildung‘ über. Deren Einsatzpunkt fragt nach den Spielräumen und Offenheiten des soziosymbolischen Raumes, der Subjektivität nicht vollends determinieren kann. Die ‚Unbestimmtheit‘ ist also für die folgende Studie kein einheitlicher und bestimmter Versicherungshorizont, der alle Elemente der Studie unter sich subsumieren und kohärent zusammenzwingen könnte. Vielmehr werden verschiedene Akzentuierungen und Füllungsweisen von ‚Unbestimmtheit‘ aufgerufen, die ein relationales und
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komplexes Netz von Verweisungen eröffnen. Diese divergierenden und heterogenen Artikulationen von Unbestimmtheit(en) leiten die Studie sowohl in der Analyse des Sprechens über Liebe und Verliebtheit als auch im Hinblick auf poststrukturalistisch inspirierte Fragestellungen nach dem Verhältnis von Sozialität und Subjektivität.
I Einsatz: Zur Relationalität des Sozialen
1. Poststrukturalistische Perspektiven auf Sozialität und Subjektivität
Seit Längerem produzieren Begriffe wie Diskurs, Performativität und Praxis hohe Anschlussfähigkeiten im (sozial- und kultur-)wissenschaftlichen Feld. Spätestens im Nachgang des ‚linguistic turn‘ gilt der Diskursbegriff nicht nur als etabliert, sondern als „Allerweltsbegriff, dessen schillernde Semantik gerade seine Attraktion zu begründen scheint“ (Bublitz 2003: 9), – was sich ähnlich für den Begriff der Performativität geltend machen lässt.1 Insbesondere im Anschluss an Arbeiten Michel Foucaults, Judith Butlers, Jacques Derridas, Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes rubrizieren unter dem Etikett ‚Poststrukturalismus‘ verschiedene Anschlüsse, deren „Basis […] eine differenztheoretische, am strukturalistischen Verständnis von Sprache orientierte Konzeption des Sozialen [darstellt], die allerdings von den Phantasien einer Schließbarkeit von Strukturen befreit ist. Stattdessen wird die antagonistische und machtförmige Natur des Sozialen – und damit dessen innere Brüchigkeit und Kontingenz – betont.“ (Nonhoff 2007: 7)
Im Folgenden sollen zentrale Einsatzpunkte dieser poststrukturalistischen Perspektive(n) dargestellt werden. Dabei konzentriere ich mich in meiner Darstellung darauf, wie jeweils das Soziale und das Subjekt gefasst werden, um daraus eine analytische Perspektive auf das Sprechen über Liebe und
1
Vgl. dazu zahlreiche Überblicks- und Sammelbände, die zumeist interdisziplinär angelegt sind: Fischer-Lichte/Wulf (2001); Wirth (2002); Kertscher/Mersch (2003); Fischer-Lichte (2004); Fischer-Lichte/Wulf (2004); speziell aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive: Wulf/Zirfas (2007).
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Verliebtheit entwickeln zu können. Ein zweiter Beweggrund dieser Fokussierung auf das Verhältnis von Subjekt und Sozialität liegt in der bildungstheoretischen Herkunft meiner Fragestellung begründet. Für den Bildungsgedanken ist die Problematisierung einer starken Subjektfigur, die sich zu ihrer sozialen Gewordenheit distanzieren könnte, ein zentrales Denkmotiv. Mit dieser Perspektive auf ein Subjekt, das sich gegenüber gesellschaftlichen Funktionseingliederungen verhalten können soll, geht eine Befragung und Infragestellung des Vernunftsubjekts einher. Zugleich wird mit dem Bildungsgedanken stets die Frage danach aufgeworfen, wie diese Distanzierungsbewegung gedacht werden kann. Verschiedene Konzepte wie Emanzipation, Mündigkeit, Kritik oder Autonomie stellen Formulierungen dar, in denen die soziale Formierung des Subjektes zum Ausgangspunkt des pädagogischen Frage- und Denkhorizontes wird. Die folgenden Ausführungen zur poststrukturalistischen Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Subjektivität und Sozialität dienen mir damit auch dazu, bildungstheoretische Motive im Ausblick der Studie diskutieren zu können. Maßgeblich für viele poststrukturalistische Ansätze ist zunächst der Ausgang von einem Verständnis von Sprache, das Wirklichkeit nicht abbildet oder repräsentiert, sondern diese hervorbringt. Die performative Qualität von Sprache ermöglicht die Erweiterung dieser zeichentheoretischen Einsicht auf das Denken des Sozialen überhaupt (1). Entscheidend wird dabei die Frage nach der Stabilität/Kohärenz des Sozialen und sozialer Wirklichkeit – die durch die Aufnahme des Iterabilitätskonzeptes eine Verschiebung von der Strukturierung zur Öffnung und Kontingenz sozialer und subjektiver Identitäten anzeigt (2). Aus dieser Kontingenz und Geöffnetheit resultiert nicht nur ein niemals zu tilgendes Spiel der Differenzen, das den Motor für Versuche der Schließung darstellt, sondern auch eine damit einhergehende Machtförmigkeit und Gewaltsamkeit solcher Schließungsversuche (3). Schließlich stellt sich die Frage, welchen Status diese Schließungen haben können – hier kommt die Dimension der Rhetorizität bzw. Politizität des Sozialen ins Spiel (4). Diese Gedankenlinien zusammenfassend, wird abschließend der Problemgehalt eines solchen Einsatzes hinsichtlich empirischer Analysen vorbereitet (5).
P OSTSTRUKTURALISTISCHE P ERSPEKTIVEN
AUF
S OZIALITÄT
UND
S UBJEKTIVITÄT | 21
1.1. P ERFORMATIVES S PRECHEN : S IGNIFIZIERUNGEN VON S OZIALITÄT UND S UBJEKTIVITÄT Ein maßgeblicher Bezugspunkt für poststrukturalistische Perspektiven ist der Ausgang von einem Verständnis von Sprache, das Wirklichkeit nicht lediglich abbildet oder repräsentiert. Die daraus resultierende wirklichkeitsstiftende, d.h. performative Qualität des Sprechens steht im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts. Referenzen: Differenzen und Identitäten In seinen „Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft“ (1967) fasst der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure Sprache als ein differenzielles System von Zeichen. Die Implikationen dieser Perspektive auf Sprache und das darin implizierte Differenzkonzept stellt eine der Grundlagen poststrukturalistischer Argumentationen dar. De Saussure geht von der Überlegung aus, dass der Wert eines Zeichens in der Einheit von Lautbild (Signifikant) und Vorstellung (Signifikat) bestehe (vgl. ebd.: 78f.). Der Wert des Zeichens sei dabei nicht auf eine ihm äußerliche und es bedingende Wirklichkeit verwiesen, aus deren Bezug heraus es ‚bedeuten‘ könne und die dem sprachlichen Wert des Zeichens präexistent wäre. Vielmehr ergebe sich die Bedeutungsmacht des Zeichens daraus, in ein System von Zeichen eingebettet zu sein und aus diesem Zusammenhang als Differenz zu anderen Zeichen Bedeutung erlangen zu können: „[…] in der Sprache aber gibt es nur Verschiedenheiten ohne positive Einzelglieder“ (ebd.: 143). Diese Relationalität illustriert de Saussure am Beispiel des Schachspiels, in dem die Figuren ihre Bedeutung nur in Bezug auf die anderen Figuren des Spiels und deren Stellung erhalten (vgl. ebd.: 105).2 „Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist beliebig; und da wir unter dem Zeichen das durch die assoziative Verbindung einer Bezeich-
2
Der Unterschied bestehe in der Intentionalität der Schachspieler, die Figuren zu bewegen, „während dagegen die Sprache nicht voraus überlegt; die Figuren, die in ihr mitspielen, verändern ihre Stellung spontan oder zufällig, oder vielmehr: sie verändern sich selbst […]“ (de Saussure 1967:106).
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nung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch einfacher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig.“ (Ebd.: 79)
Die kontingente Verbindung von Signifikant und Signifikat löst damit Sinn und Bedeutung aus der Logik einer Korrespondenz von Bezeichnung und Bezeichnetem heraus. Daraus folgt, Bedeutung als Prozessieren in der zeitlichen Dimension zu verstehen – dies ergibt sich vor allem aus der Einsicht de Saussures in die Verbindung von Vorstellung und Lautbild. Eben letzteres erfordert die ‚lineare‘ Erscheinung als Folge phonetischer Einheiten (vgl. ebd.: 82f.).3 Die Einbettung in eine Folge von Zeichen hebt die Relationalität des sprachlichen Systems hervor, bei der Bedeutung aus der Differenz von vorgehendem und nachfolgendem Phonem resultiert.4 An diese Einsicht in die kontingente Verbindung von Vorstellung und Lautbild, Signifikat und Signifikant knüpft Jacques Derrida radikalisierend an. Er betont, dass auch das Signifikat von dieser Kontingenz eingeholt werde und folglich selbst in die Funktion eines Signifikanten einrücke. Die Bezeichnung beziehe sich auf Bezeichnungen, ohne jemals an den ‚Ursprungsort‘ eines zugrunde liegenden Bezeichneten gelangen zu können. In Derridas Auseinandersetzung mit dem Zeichenbegriff verweist der immer mögliche Bruch mit dem Kontext auf die kontingente und nicht notwendige Beziehbarkeit auf das Signifikat: „Diese strukturelle Möglichkeit, des Referenten oder des Signifikats (und somit der Kommunikation und ihres Kontextes) beraubt zu werden, macht, wie mir scheint, jedes Zeichen, auch ein mündliches, ganz allgemein zu einem Graphem, das heißt, wie wir gesehen haben, zur nicht-anwesenden restance eines differentiellen Zei-
3
Vgl. zu einer Problematisierung auch dieses Merkmals vor allem Derrida (1983) sowie der sich daraus ergebenden Einschränkungen hinsichtlich der graphischen, ikonographischen und assoziativen Dimension von Schriftstücken auch: Fehr (1995; v.a. 10ff.).
4
Vgl. zum Verhältnis der beiden hier angesprochenen Aspekte der ‚Arbitrarität‘ und ‚Linearität‘ auch Quadflieg (2008: 94ff.) sowie Abel (2005), der in diesem Zusammenhang Kreativität situiert: „Entscheidend ist, dass das Verhältnis von Zeichen und Folgezeichen kein interferentielles und kein deterministisches, weder ein logisch noch ein kausal determiniertes, kein apriorisch vorab geordnetes, sondern ein freies Verhältnis ist […]“ (ebd.:13).
P OSTSTRUKTURALISTISCHE P ERSPEKTIVEN
AUF
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chens, das von seiner vorgeblichen ‚ Produktion‘ oder seinem Ursprung abgeschnitten ist.“ (Derrida 2001: 85)
Daraus folgt eine für poststrukturalistische Perspektiven bedeutsame Konsequenz: Bedeutung wird nicht jenseits bzw. außerhalb der Sprache ontologisch in einer ‚Realität‘ fundiert. Vielmehr kommt sie als Effekt ihrer Verwendung, mithin als Effekt des Sprechens in den Blick. Wird das Sprechen zum Ort der Hervorbringung von Sinn, verlagert sich die Aufmerksamkeit auf den Handlungscharakter des Sprechens – mit anderen Worten: auf dessen Performativität, wie insbesondere Judith Butler in ihren Arbeiten präzisiert: „Wir tun Dinge mit der Sprache, rufen mit der Sprache Effekte hervor, und wir tun der Sprache Dinge an; doch zugleich ist Sprache selbst etwas, das wir tun. Sprache ist ein Name für unser Tun, d.h. zugleich das, ‚was ‘ wir tun (der Name für die Handlung, die wir typischerweise vollziehen), und das, was wir bewirken; also die Handlung und ihre Folgen.“ (Butler 2006: 20).5
Judith Butler arbeitet den Aspekt der wirklichkeitsstiftenden, d.h. praktischen Dimension von Sprechen heraus, indem sie aus der Lektüre Austins die Einsicht in die Wirkmacht sprachlichen Handelns entnimmt. Der Sprachphilosoph John Langshaw Austin interessiert sich in seiner Untersuchung „How to Do Things with Words“ (1962) vor allem für jene Fälle, „in denen etwas sagen etwas tun heißt; in denen wir etwas tun, dadurch daß wir etwas sagen oder indem wir etwas sagen“ (ebd.: 35, Hervorhbg. i.O.). Die Hervorbringung von Sachverhalten im Moment ihres Aussprechens wird vor allem in Fällen der Taufe, Eheschließung, Sitzungseröffnungen oder des richterlichen Urteilens besonders eindrücklich. Austins Überlegungen nehmen ihren Ausgang von der Frage, wie performative Sprechakte gelingen können und welche Bedingungen zum Gelingen beitragen können: „Außer daß man die Wörter der performativen Äußerung aussprechen muß, müssen in der Regel eine ganze Menge anderer Dinge in Ordnung sein und richtig ablaufen,
5
Ähnlich formuliert dies Gerald Posselt: „Sprache nennt die Dinge nicht nur bei ihrem Namen, sie ist nie nur bloßes Mittel der Bezeichnung einer vorsprachlichen Wirklichkeit und ein Instrument der Kommunikation; sondern Sprache selbst konstituiert und strukturiert überhaupt erst die Wirklichkeit“ (2005: 225).
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damit man sagen kann, wir hätten unsere Handlung glücklich zustande gebracht“ (ebd.).
Damit ist zugleich ein wichtiger Punkt im Denken des Performativen angeführt: Die Betonung der Frage des Gelingens verabschiedet einen im Rahmen logischer Urteile zu findenden Wahrheitswert. Austin kommt zu diesem Punkt über den Umweg der – im Verlauf seiner Untersuchung fallengelassenen – Opposition von konstativen und performativen Äußerungen. Für konstatierende Behauptungen könne ein Wahrheitswert angenommen werden (bspw.: ‚Es regnet‘). Dem gegenüber könne für performative Äußerungen (bspw. ‚Hiermit erkläre ich die Sitzung für eröffnet‘) dieser Wahrheitswert nicht angenommen werden, da die Referenz im Sprechakt selbst hervorgebracht wird (vgl. Austin 1962: 35ff.).6 Die damit einher gehende Zurückweisung der Bindung an Wahrheitsurteile lässt sich mit de Saussures zeichentheoretischer Fassung der wesenhaften Bedeutungsleere des Zeichens verbinden. Dies impliziert das Fehlen eines (transzendentalen) Bezugspunktes außerhalb des Differenzsystems Sprache, der Wahrheit und Objektivität verbürgen könnte.7
6
Sybille Krämer (2003) liest Austins Vorlesung als Inszenierung „des Zusammenbrechens der Unterscheidung zwischen konstativ/performativ […] zu einer Parabel […] für die Anfälligkeit aller Kriterien und das Ausgesetztsein aller definitiven Begriffe für die Unentscheidbarkeiten, die Unwägbarkeiten und Vieldeutigkeiten, die mit dem wirklichen Leben verbunden sind“ (ebd.: 32). Das sich hierin andeutende Verständnis von Performativität im Sinne von Aufführung und Theatralität bestimmt einen Rezeptionsstrang des Performativen. So findet sich eine auf Inszenierung und Ritualität verkürzte Ausrichtung des Performativitätskonzeptes in den Arbeiten im Umkreis der erziehungswissenschaftlichen Historischen Anthropologie (vgl. etwa Wulf/Zirfas 2007). Eine ausführlichere Differenzierung von Performanz, performance und Performativität findet sich bei Bublitz (2002). Bublitz betont, dass über das Moment der Inszenierung hinausgehend die wirklichkeitskonstituierende Qualität hinsichtlich des Denkens des Sozialen entscheidend ist (vgl. auch Bal 2001, Wirth 2002, Hoffarth 2009, Posselt 2005; zum Konzept der Inszenierung vgl. Seel 2001).
7
Vgl. die hinsichtlich dieses Problems der unmöglichen transzendentalen Sicherung und daraus folgender Konsequenzen bezogen auf pädagogische Thematisierungsweisen Thompson (2007); Schäfer (2009).
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Performative Sprechakte beinhalten neben ihrem praktischen Charakter stets die Dimension der Setzung – insofern sie die Tatsachen, auf die das Sprechen rekurriert, selbst hervorbringen. Das Performativitätstheorem bezieht sich mithin nicht allein auf die Performanz der Aufführung, sondern zugleich auf die wirklichkeitskonstituierende Dimension des Sprechens und macht dies in zweierlei Richtung geltend: bezogen auf die Ebene der Sachverhalte (Signifikanten) als auch die der Referenten (Signifikate), auf die das Sprechen sich bezieht. Die performative Dimension des Sprechens verweist damit auf eine spezifische Form der Referenzialität: Gegenüber einem Verständnis, das für Begriffe in Anspruch nimmt, dass ihnen ein Wahrheitswert in ihrer Referenz auf eine Realität zugeordnet werden kann, wird für die Dimension performativen Sprechens dieser Referent im Sprechen immer zugleich erst hervorgebracht. Bedeutungen konstituieren sich mithin durch die je artikulierte Verbindung von Lautbild und Vorstellung – und sind zugleich auf ihr soziales Prozessieren im Gebrauch verwiesen. Soziale Wirklichkeit bleibt genuin an ihre sprachliche Verfasstheit gebunden. Gegenüber der Vorstellung einer Repräsentationsfunktion von Sprache bezogen auf eine außerhalb von ihr gegebenen Wirklichkeit, wird damit die Verwiesenheit von Wirklichkeit und sprachlicher Artikulation hervorgehoben:8 „Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen, und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in Erscheinung tritt“ (1967: 133). Die Berücksichtigung des performativen Charakters von Sprache – als Hervorbringung von Bedeutung, ergo sozialer Wirklichkeit – verschiebt den Blickwinkel folglich von der Repräsentationslogik von Sprache hin zur Aufmerksamkeit für deren Generativität. Zur Konstitution von Subjektivität: ‚Subjektivationen‘ Judith Butlers Arbeiten öffnen dabei die zeichentheoretische Dimension des Performativen für das Denken von Sozialität und sozialer Wirklichkeit.9
8
De Saussure begreift „Sprache [als] das Gebiet der Artikulation“ (de Saussure 1967:134); vgl. auch den ähnlich gelagerten Artikulationsbegriff bei Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, auf den später eingegangen wird (Laclau/Mouffe 1991: 155).
9
Erziehungswissenschaftliche Bezugnahmen auf das Denken Judith Butlers finden sich u.a. in: Heinrichs (2001), Krauß (2001), Plößer (2005), Hoffarth (2009), Ricken (2006, 2009) sowie insgesamt in Balzer/Ricken (2011).
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Insbesondere in ihrer Auseinandersetzung mit verletzendem Sprechen unterstreicht Butler (2006) die Verbindung von Sprechen und der Konstitution des sprachlichen Raumes – somit dessen, was unter ‚Wirklichkeit‘ verstanden werden kann. Dies lässt sich beispielhaft an der Hervorbringung und Verwendung bestimmter Namen verstehen, die ganz im Sinne de Saussures nicht auf ein bereits bestehendes Korrespondenzverhältnis von Benanntem und Namen abheben, sondern das Benannte erst durch den Namen konstituieren.10 So ist der Ausruf: „Es ist ein Mädchen!“ nicht nur eine sprachliche Handlung, sondern darüber hinaus die Hervorbringung und (Neu)Setzung der zweigeschlechtlichen Ordnung, innerhalb derer diese subjektive Identität ihren Sinn erhält. Der Zusammenhang von sprachlicher Inauguration und Subjektivierung bildet einen Kristallisationspunkt in Butlers Denken und zeigt den Zusammenhang von Sprechen und sozialer Wirklichkeit besonders eindrücklich: Aus der Lektüre Michel Foucaults entnimmt Butler ein Verständnis von Subjektwerdung, welches sich in der paradoxalen Gleichzeitigkeit von Hervorbringung und Reglementierung befindet. Michel Foucault formuliert dies so: „Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht.“ (Foucault 1987: 246f.)
Butler folgt diesem Verständnis und konzentriert sich mit der Übernahme des Neologismus ‚Subjektivation‘, der als Übersetzung des foucaultschen ‚assujettissement‘ fungiert, auf eben diese doppelte Bewegung der Konstitution des Subjektes durch Unterwerfung: „‚Subjektivation‘ bezeichnet den Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozess der Subjektwerdung“ (2001: 8). An Foucault anschließend betont Butler damit den nicht allein restriktiven und dem Subjekt äußerlichen Charakter von Macht. Vielmehr wird Macht als Konfiguration verstanden, durch die das Subjekt erst ermöglicht werde, und somit etwas, „wovon unsere Existenz abhängt und was wir in uns selbst hegen und pflegen“ (ebd.). Die Figur der ‚Subjektivation‘ fasst damit die Aktivierung und Formierung subjektiver Identitäten, die nicht als Aktualisierungen vorliegender Strukturen
10 Vgl. zum benennenden Akt und der Figur des Namens Laclau (1998: 260f.); Butler (1998: 265); (2006: 52ff.); Laclau (2002), Posselt (2005: 384f.)
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bzw. symbolischer Ordnungen, sondern als aus der Regulierung und Restriktion resultierende Effekte des Zusammenspiels von symbolischer Strukturierung und deren konstitutiver Unabschließbarkeit verstanden wird. Dieses Verständnis von Subjektwerdung bezieht sich demnach auf die Vorgängigkeit symbolischer und sozialer Strukturierungen, die immer schon den Platz figurieren, in dem das Subjekt sich einfinden kann – wie sich am Beispiel der Taufe oder Namensgebung zeigt – so dass das Subjekt nicht als souveränes Gegenüber der Macht gefasst wird. Es ist diese Vorgängigkeit sozialer und symbolischer Ordnungen, welche erst die Möglichkeit, ein Subjekt zu werden, eröffnet und dessen Souveränität immer schon unterminiert:11 „Die Macht handelt in bezug auf das Subjekt, und dieses Handeln ist eine Inszenierung des Subjekts; eine unauflösbare Zweideutigkeit entsteht, wenn man zu unterscheiden sucht zwischen der Macht, die (transitiv) das Subjekt inszeniert, es handelnd hervorbringt, und der vom Subjekt selbst inszenierten, handelnd hervorgebrachten Macht, d.h. zwischen der Macht, die das Subjekt formt, und der ‚eigenen‘ Macht des Subjekts. Wer oder was handelt, inszeniert, bringt hier eigentlich handelnd hervor?“ (Butler 2001: 19)
Butler greift zur Näherung an diese Frage auf Althussers (1977) Konzept der Interpellation zurück (vgl. Butler 2001: 101ff.). Im Beispiel Althussers stellt der Ruf des Polizisten „Hey, Sie da!“ die Form des Symbolischen dar, der man sich unterwerfe, indem man sich umdrehe und auf diesen Ruf reagiere.12 Gegenüber Althusser hebt Butler hervor, dass die Anrufungsszene über eine unidirektionale Formierung (als jemand konkretes: Mädchen,
11 Butler spricht in diesem Zusammenhang vom ‚Trauma‘, das darin liegt, in eine vorgängige soziale Ordnung formiert zu werden (vgl. 2006:64f.). Das Trauma der uneinholbaren Benennung (im doppelten Sinne uneinholbar: weil der Name ‚gegeben‘ wurde und weil der Name aus dem nicht dem Subjekt entspringenden soziosymbolischen Horizont stammt) verweist auf den Zusammenhang von Unterwerfung und Konstitution im Subjektivierungsgeschehen. Butler entwickelt aus diesem Zusammenhang jedoch auch die Frage einer kritischen ‚Wendung‘: „Wie lässt sich in die Szene des Traumas eine umgekehrte Weise des Zitierens einführen?“ (ebd.: 64). 12 Zur Figur Um-Wendung vgl. Butler (2001), insbes. zur Tropologie (ebd.: 187f.) sowie zur Figurativität des Sprechens (2006: 18ff.).
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Frau, Passantin, etc. angesprochen zu werden) hinaus gehe (vgl. Butler 2001: 21). Butler setzt sich damit deutlich von einer determinierenden Logik des Subjektivierungsgeschehens ab und arbeitet heraus, dass das dem Ruf folgende Individuum ein ‚Versprechen‘ (an-)erkenne: „Welche Art von Beziehung bindet diese beiden bereits, so dass das Subjekt weiß, wie es sich umzuwenden hat, weiß, dass es dabei etwas gewinnen kann? Wie können wir uns diese „Wendung“ als der Subjektbildung vorausgehend denken, als ursprüngliche Komplizenschaft mit dem Gesetz, ohne die kein Subjekt entsteht?“ (Butler 2001: 102)
Mit dem Konzept der Anerkennung formuliert Butler damit den foucaultschen Gedankengang der gleichzeitigen Unterwerfung und Hervorbringung aus und gibt ihm einen entscheidenden Dreh, indem sie das performative Moment des setzenden Handelns hervorhebt.13 Die Anerkennung als identitätsstiftende Existenzverleihung zielt damit nicht nur auf die Formierung eines Subjekts, sondern auch auf das darin implizierte Selbstverhältnis: „Angesprochen zu werden bedeutet also nicht nur, in dem, was man bereits ist, anerkannt zu werden; sondern jene Beziehung zu erhalten, durch die die Anerkennung der eigenen Existenz möglich wird.“ (Butler 2006: 15)
Die adressierende Anrede konstituiert damit auch ein „leidenschaftliches Verhaftetsein“ (Butler 2001: 11) mit der existenzverleihenden Macht symbolischer Strukturierungen.14 Anerkennung meint damit mehr als wertschätzendes Loben, sondern bezieht sich auf die existenzielle Dimension, in der Subjektivität gestiftet und diese in die Bindung an ihre eigene Unterwerfung verstrickt wird. Besonders eindrücklich arbeitet Butler dies am Beispiel des verletzenden Sprechens heraus. Auch diskriminierende Sprechakte
13 Vgl. zur erziehungswissenschaftlichen Weiterführung des Anerkennungskonzepts, das als ‚Medium des Pädagogischen‘ hinsichtlich der Stiftung pädagogischer Verhältnisse gefasst wird: Bünger (2005), Balzer (2007), Ricken (2006), Balzer/Ricken (2010) sowie Schäfer/Thompson (2010). 14 Die stets unvollständige symbolische Formierung erläutert Butler unter Rückgriff auf die lacansche Figur des ‚Begehrens‘. „Ein gegen sich selbst (sein Begehren) gewendetes Subjekt erscheint nach diesem Modell als Voraussetzung des Fortbestehens des Subjekts. Um als man selbst zu bestehen, muss man also die Bedingungen seiner eigenen Unterordnung begehren“ (2001: 14).
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adressieren ein Subjekt, verleihen ihm eine Existenz, indem sie ihm einen Platz im sozialen Raum zuweisen. Mit dem Konzept der Anerkennung wird folglich die Anrufungsfigur Althussers als konstituierendes Geschehen der Formierung und Bindung an diese Formierung expliziert.15 Dabei legt Butler ihr besonderes Augenmerk auf die Unabgeschlossenheit dieses Subjektivierungsgeschehens, die nicht allein die Gleichzeitigkeit von Hervorbringung und Unterwerfung meint, sondern auf die unmögliche Referenzialität des Subjekts abzielt, so „daß wir notwendig die Perspektive eines bereits gebildeten Subjekts verlieren müssen, um unser eigenes Werden zu erklären“ (Butler 2001: 33f.).16 Das Paradoxale in der Selbstnarration des Subjektes besteht darin, auf sich selbst referieren zu müssen, sich folglich im Horizont sozio-symbolischer Vergewisserungen als Effekt dieser sozio-symbolischen Formierungen hervorbringen zu müssen. In der Positionierung als Subjekt konstituiert sich dieses zugleich auch als die Grenze soziosymbolischer Formierung, als etwas, das die Unmöglichkeit von Formierung anzeigt und bricht. Anhand der unmöglichen Selbstreferenz verdeutlicht Butler damit den Zusammenhang von Adressierung durch die und Anerkennung der Macht soziosymbolischer Formierung: „Wenn es ein Subjekt erst als Konsequenz aus dieser Subjektivation gibt, dann erfordert die erzählende Erklärung dieses Sachverhalts, dass die Zeitstruktur der Erzählung nicht richtig sein kann, denn die Grammatik dieser Narration setzt voraus, dass es keine Subjektivation ohne ein Subjekt gibt, das diesen Prozess durchläuft.“ (Butler 2001: 16).
Butler verwendet an dieser Stelle die rhetorische Figur der Metalepse, um auf die (Voraus-)Setzung eines Subjektes im Sprechen aufmerksam zu machen, das sich im Sprechen erst hervorbringt, zugleich jedoch die Differenz zwischen soziosymbolischen Formierungen und Subjektivität aufruft und re-etabliert.17 Die rhetorische Figur der Metalepse bezieht sich dabei auf die
15 Am Beispiel des Gewissens arbeitet Butler heraus, wie jene Komplizenschaft mit der soziosymbolischen Formierung (Butler 2001) gefasst werden kann. 16 Vgl. Butlers Adorno-Vorlesungen (2003b) zu den ethischen Anschlüssen an diese Fragen von Anerkennung, Verantwortung und Rechenschaft (vgl. u.a.: Sattler 2009, Thompson 2005). 17 Vgl. zu dieser metaleptischen Figur der Umkehrung von Effekt und Ursache v.a. am Beispiel der geschlechtlichen Konstitution von Subjekten: Butler (1991:
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Vertauschung des Nachfolgendem mit dem Vorhergehenden, im hier aufgerufenen Kontext bezieht sie sich auf das Sprechen eines Subjektes, das sich selbst grammatikalisch in die Funktion der Ursache einer Erzählung setzen muss. Sowohl im Hinblick auf die Anerkennung der Macht und des Begehrens, sich ihr um der eigenen Existenz willen zuzuwenden, als auch im Hinblick darauf, sich selbst als Effekt dieser ‚Annahme‘ der Macht vorstellbar zu machen, stellt Butler folglich eine unbestimmte Referenzialität heraus. Die ‚grammatikalische Fiktion‘ des Subjekts zeigt damit generell das Problem der unmöglichen ontologischen Sicherung des Subjekts an: „Im Gegenteil scheint die Wende als tropologische Inauguration des Subjekts zu fungieren, als Gründungsmoment, dessen ontologischer Status dauerhaft ungewiss bleibt. […] Wie kann das Subjekt aus einer solchen ontologisch ungewissen Form der Krümmung und Drehung hervorgehen?“ (Ebd.: 9)18
Die letztlich nie vollständige Konstitution des Subjektes meint damit nicht allein die Hinwendung zur Macht als Möglichkeit, überhaupt zu sein, sondern die Subjektfigur wird durchkreuzt von der unmöglichen Referenz auf sich selbst wie auf die soziosymbolische Ordnung. Sie verweist damit auf ein Außen im Innen, einen ‚Rest‘, der jedoch nicht im Rahmen symbolischer Vergewisserungen einholbar ist. In der Melancholie verortet Butler solch eine Figur des ‚Rests‘, die als innere Topographie eine Spur markiert, die aus der Vorgängigkeit des Sozialen resultiert. Dieser ‚Rest‘ markiert als Platzhalter die anwesende Abwesenheit des Sozialen, d.h. die niemals zur Deckung zu bringende Gleichursprünglichkeit von Subjekt und Subjektivierung. Die performative Hervorbringung im Rahmen soziosymbolischer Codierungen vermag folglich nicht vollständig zu konstituieren, was als Subjekt erscheint. Die melancholische Trauer um den unmöglichen Autonomieverlust zeigt die Unmöglichkeit an, sich aus sich selbst heraus gründen zu können, sondern in den symbolischen Horizont sprachlicher und sozialer Codes verstrickt zu sein. Das Gewissen und die Melancholie werden somit als Nicht-Orte gefasst, die sich nicht vollständig aus der symboli-
49ff.). Vgl. zu diesem Aspekt der Setzung eines ‚Täters hinter dem Tun‘ (Nietzsche) ausführlicher: Meyer-Drawe (1990). 18 Gilles Deleuze fasst Subjektivierung über die Figur der ‚Faltung‘ (1987: 146); vgl. dazu auch Bröckling (2007: 34).
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schen Strukturierung ergeben, aber auch nicht dem Subjekt als Refugien des Widerstandes verfügbar sind. Vielmehr versteht Butler die Verbindung von Macht und Subjekt als uneindeutige und nicht ineinander aufgehende Referenzpunkte, die sich relational zueinander verhalten und von einer spezifischen ‚Unmöglichkeit‘ gekennzeichnet sind: „Das Beharren im eigenen Sein bedeutet, von Anfang an jenen gesellschaftlichen Bedingungen überantwortet zu sein, die niemals ganz die eigenen sind. […] In diesem Sinn funktioniert die Interpellation oder Anrufung, indem sie scheitert, d.h. sie setzt ihr Subjekt als einen Handelnden genau in dem Maße ein, in dem sie daran scheitert, ein solches Subjekt erschöpfend in der Zeit zu bestimmen.“ (Ebd.: 183)19
Diese Schlaglichter zusammenfassend, lässt sich sagen, dass Judith Butler anhand des Konzepts der ‚Subjektivation‘ die generative Dimension von Macht und symbolischer Ordnung erarbeitet. In der Stiftung subjektiver Identitäten, die nicht jenseits, sondern innerhalb dieser Figuration von Macht ihre Existenz erlangen, wird das Geschehen der Subjektwerdung als prozessual, unabgeschlossen und relational konzipiert. Insbesondere die sprachliche Wirkmacht der Benennung – als Konstitution und nicht Bezeichnung des Benannten – verweist dabei auf den performativen Charakter von Sprache, indem diese als handelndes Sprechen auf sich selbst und zugleich auf die von ihr konstituierte Wirklichkeit verweist. Die ‚Effektivität‘ performativer Sprechakte lässt sich selbst noch darin ersehen, dass auch in der verletzenden Ansprache subjektive Identität (an-)erkannt wird, insofern diese jemand als jemand adressiert und somit konstituiert. Der Ausruf der Hebamme „Es ist ein Mädchen!“ artikuliert dabei jedoch mehr als lediglich die soziale Identität der Angerufenen, sondern re-artikuliert zugleich auch
19 Michael Wimmer (2006) betont, dass auch ‚scheiternde‘ und verfehlende Konstitutionen von Sachverhalten dennoch die „vielleicht wichtigste Funktion erfüllt, […] nämlich Wirklichkeits- und Selbstdefinitionen durchgesetzt zu haben“ (24; FN 9). Ulrich Bröckling (2007) weist auf eben diese Dimension der Anrufung hin, in der sich die Verfehlung in den Wirklichkeitsbereich des ‚unternehmerischen Selbst‘ einschreibt und dieses erneut inauguriert. Bröckling verhandelt diesen Zusammenhang von uneindeutiger Anrufung und, daraus resultierend, stets verfehlender, aufschiebender und erneut signifizierender ‚Antwort‘ auf Anrufungen mit dem Begriff der ‚Realfiktionen‘, um die performative Dimension der Figur des ‚unternehmerischen Selbst‘ zu markieren (vgl. 2007: 35ff.; 283f.).
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die soziale Ordnung, innerhalb derer diese Anrufung ihren Sinn erhält. Der Signifikationsvorgang verbindet sich in Butlers Fassung mit der Abhängigkeit subjektivierender Anrufungen von deren wiederholender Neueinsetzung, dies soll im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts stehen.
1.2. I TERATIVE S TRUKTURIERUNGEN : R E -S IGNIFIZIERUNGEN VON S OZIALITÄT UND S UBJEKTIVITÄT Bezogen auf die Subjekthaftigkeit des Subjekts argumentiert Butler, darin nicht eine letztlich stabile Entität nach dem Subjektivierungsgeschehen zu sehen. Vielmehr richtet sie das Augenmerk darauf, dass Subjektivität nur durch stete Neuinszenierung und Neuformierung existieren kann: „Ich würde in der Tat noch hinzufügen, dass ein Subjekt nur durch eine Wiederholung oder Reartikulation seiner selbst als Subjekt Subjekt bleibt, und diese Abhängigkeit des Subjekts und seiner Kohärenz von der Wiederholung macht vielleicht genau die Inkohärenz des Subjektes aus, seine Unvollständigkeit.“ (Butler 2001: 95)
In dieser Formulierung nimmt Butler einen spezifischen Begriff von Wiederholung auf, der sich auf Jacques Derridas Konzept der Iterabilität bezieht. Im Folgenden sollen daher in groben Zügen zunächst einige Markierungen Derridas aufgerufen werden, die sowohl für Argumentationen Judith Butlers als auch für die Arbeiten Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes, auf die ich später eingehen werde, bedeutsam sind. Füllungen der Leere: Iterabilität, Supplement, différance In der Auseinandersetzung mit Austins Sprechakttheorie entwickelt Jacques Derrida (1988) ein Konzept des Zeichens, das sich von Austins Privilegisierung des einbettenden Kontextes absetzt: „Könnte eine performative Aussage gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine ‚codierte‘ oder iterierbare Aussage wiederholen würde, mit anderen Worten, wenn die Formel, die ich ausspreche, um eine Sitzung zu eröffnen, ein Schiff oder eine Ehe vom Stapel laufen zu lassen, nicht als einem iterierbaren Muster konform identifizierbar wäre, wenn sie also nicht in gewisser Weise als ‚Zitat‘ identifiziert werden könnte?“ (Ebd.: 99)
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Derrida nimmt seinen Ausgang von jenen bei Austin ausgeschlossenen Formen des Sprechens, die insbesondere im Misslingen bzw. im Zitieren liegen, um seine Zweifel zu formulieren. Während Austin zwar die prinzipielle Möglichkeit des Misslingens von Sprechakten vor Augen hat, konzentriert er sich vorrangig auf die Bedingungen des Gelingens. Eben diese Entscheidung wird für Derrida zum Einsatzpunkt der Frage danach, inwiefern gerade die Möglichkeit des Misslingens eine konstitutive Bedingung jeden Sprechens besitzt (vgl. Derrida 2001: 93). Der Hintergrund dieser Frage liegt darin, wie Derrida das – bei Austin als ‚parasitäres Sprechen‘ ausgeschlossene – Zitieren als allgemeines Strukturmerkmal des Zeichens versteht. Sich von einem Verständnis von Sprache absetzend, das diese auf den Aspekt des Informationsaustausches reduziert, nimmt Derrida seinen Ausgang vom Funktionieren der Schrift, die sich um die Bedeutung der Abwesenheit von Referenzialität organisiert. Diese Abwesenheit macht Derrida in zwei Richtungen relevant: Ein schriftlicher Code muss nicht nur unabhängig vom Empfänger funktionieren, der als Abwesender adressiert wird und im Moment des Schreibens zugleich anwesend sein muss, um überhaupt adressiert werden zu können. Der Code funktioniert jedoch auch unabhängig vom Sender, der im Schreiben sein eigenes NichtVorhandensein antizipiert, so dass das Geschriebene irgendjemanden erreichen kann. Aus dieser Einsicht entwickelt Derrida die Abwesenheit als konstitutives Moment von Sprache überhaupt (vgl. Derrida 2001: 78ff.). Diese Abwesenheit bezieht sich sowohl auf die Unabhängigkeit des Zeichens und dessen Bedeutungsfähigkeit an die Intentionen des Sprechers, als auch auf die Unabhängigkeit von der Situation oder jedes anderen Kontextes: „Auf dieser Möglichkeit möchte ich bestehen: Möglichkeit des Herausnehmens und des zitathaften Aufpfropfens, die zur Struktur jedes gesprochenen oder geschriebenen Zeichens [marque] gehört und die noch vor und außerhalb jeglichen Horizonts semiolinguistischer Kommunikation jedes Zeichen [marque] als Schrift konstituiert; als Schrift, das heißt als Möglichkeit eines Funktionierens, das an einem gewissen Punkt von seinem ‚ursprünglichen‘ Sagen-Wollen und seiner Zugehörigkeit zu einem sättigbaren und zwingenden Kontext getrennt wurde.“ (Ebd.: 89).
In diesem Bruch mit dem Kontext bestehe die wesentliche Kraft des Zeichens, „so daß es nur Kontexte ohne absolutes Verankerungszentrum gibt“ (ebd.). Im gleichen Zuge gelte für das Zeichen, in der Lage zu sein, „auf
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absolut nicht sättigbare Weise unendliche viele neue Kontexte zeugen“ (ebd.) zu können. Die Möglichkeit, ein bedeutendes Zeichen aus seinem Kontext zu lösen und in anderen Kontexten zu verwenden, konstituiert folglich die bedeutungsgebende Eigenschaft als Zeichen, dessen Funktionsweise Derrida mit ‚Iterabilität‘ benennt. Darunter versteht Derrida mehr als ‚Wiederholung‘ im reproduzierenden Sinne, sondern verknüpft Wiederholung mit Andersheit und impliziert so in der Wiederholung zugleich Verschiebung.20 Derrida stellt damit die intentionale Bewusstheit des Sprechenden als wesentliche Kontextbedingung, wie sie noch in Austins Augen Geltung beanspruchen konnte, in Frage (vgl. Derrida 2001: 100): Weder könne sich die Sprechende in ihrem Gesprochenen gegenwärtig werden, noch könne diese jemals eine Selbstidentität erlangen, insofern diese Bezeichnung ihrer selbst von der Logik der Iterabilität infiziert sei und immer schon eine Aufschiebung und Indeterminiertheit – letztlich eine uneinholbare Differenz – impliziert. Hierin liegt eine der Verbindungslinien zur unbestimmten Referenzialität performativen Sprechens, das Judith Butler am Beispiel der Selbstnarration erläutert (vgl. den Abschnitt ‚Performatives Sprechen‘). Die Indeterminiertheit von Zeichen und Kontext bezieht Derrida schließlich auch auf das Verhältnis von Signifikant und Signifikat: Auch das der Bezeichnung vermeintlich zugrunde liegende Signifikat könne die Bedeutung nicht vollends decken, vielmehr sei – so auch Derridas Kritik an de Saussure – die Bedeutung des Zeichens in seiner Relationalität zu anderen Zeichen insofern ernst zu nehmen, als die Herausnahme eines Signifikanten aus den ihn umgebenden Signifikantenketten dessen Bedeutungsfähigkeit nicht voll ends beschränkt. Vor diesem Hintergrund sei das Signifikat „immer schon in der Position des Signifikanten“ (Derrida 1983: 129) befindlich.21 Derrida
20 Vgl. den Bezug auf das aus dem Sanskrit stammende itara (‚anders‘) (2001: 80) sowie die Bedeutung des lateinischen iterum: abermals, erneut, noch einmal. 21 In Auseinandersetzung mit de Saussures Zeichenkonzept verweist Derrida (1983) auf den Charakter des Zeichens als ‚graphem‘, d. h. als ein primär der Logik der Schrift zugehöriges Element, das von der ‚Spur‘ des Abwesenden im Anwesenden gekennzeichnet sei. Indem Derrida von der Schrift gegenüber dem Sprechen ausgeht, setzt er sich von der Privilegisierung des gesprochenen Wortes und dem damit implizierten Repräsentationsstatus von Schrift ab, den er als einer Logik der ‚Metaphysik der Präsenz‘ auch bei de Saussure vermutet.
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greift demnach den Gedankengang de Saussures der grundlegenden Differenzialität auf, die als Bedingung von Bedeutungsfähigkeit gefasst wird und gleichermaßen für die Seite der Bezeichnung als auch des Bezeichneten gilt. Die Relationalität von Bezeichnung und Bezeichnetem (Signifikant und Signifikat) fasst Derrida „nicht mehr als Einheit von Signifikant und Signifikat, sondern nur noch als reine Struktur des Verweises“ (Quadflieg 2008: 103). Die damit radikaler (als bei de Saussure) gefasste Arbitrarität des Zeichens, d.h. dessen unabschließbare Erzeugungsfähigkeit anderer Kontexte und die sich daraus ergebende Möglichkeit von Bedeutung sei jedoch nicht im Sinne von Polysemie zu verstehen. Dann ginge es lediglich um Bedeutungsvielfalt, die – wenn auch nur theoretisch – sättigbar wäre. Demgegenüber verweist Derrida auf die disseminative Qualität jeder Bedeutungsgebung, die sich auf die doppelte Bewegung der Unabschließbarkeit von Kontexten und Unabschließbarkeit von Bedeutungen und der daraus folgenden Überschüssigkeit an Bedeutungsmöglichkeiten bezieht. Im Gegensatz zur umgrenzten bzw. umgrenzbaren polysemischen Vielfalt an Bedeutungen bezieht sich die disseminative Bedeutungsoffenheit folglich weniger auf einen vorhandenen und zu entbergenden Sinn, sondern auf die Möglichkeit der Etablierung anderen und neuen Sinnes (vgl. Derrida 2001: 82).22 Diese Logik der Verschiebung und des Aufschubs verdeutlicht Derrida insbesondere anhand des von ihm geprägten Konzepts der différance. Dessen semantische Füllungen zwischen Unterscheidung und Aufschub werden dabei so weit ausgereizt, dass in der phonetisch bedeutungslosen Differenz zwischen différence/différance eben jene Abwesenheit eines ankernden Kontextes relevant wird (vgl. Derrida 1988:117f.).23 Jede Unterscheidung etabliere einen Intervall zu dem, was sie jeweils nicht ist. Derrida fasst diese negativierende Bewegung jedoch noch weitaus radikaler: Differenz als Nicht-Identität. Das meint, dass jede im Zeichen markierte (anwesende) Abwesenheit (der Gegenwart, des Senders, des Empfängers, des Kontextes,
22 Vgl. zu einer ähnlichen Figur der Unabschließbarkeit von Sinn: die Konzepte der Wucherung und des Ereignisses bei Foucault (1992). 23 Vgl. lat.: differre: aufschieben, sich unterscheiden, verschieben und lat.: deferre: überbringen, übertragen.
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etc.) jede Identität immer schon durchkreuze.24 In diesem Sinne verweist die différance die nicht vollends fixierbare Bedeutung von Zeichen, die immer schon von der ‚Spur‘ dessen verfolgt werden, was sie nicht sind und wovon sie sich unterscheiden. Die différance bezieht sich somit nicht auf die konkreten Differenzen, sondern verweist auf die Bewegung dieser Differenzierung: „Die différance bewirkt, daß die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist, wenn jedes sogenannte ‚gegenwärtige‘ Element, das auf der Szene der Anwesenheit erscheint, sich auf etwas anderes, als sich selbst bezieht, während es das Merkmal [marque] des vergangenen Elementes an sich behält und sich bereits durch das Merkmal seiner Beziehung zu einem zukünftigen Element aushöhlen lässt, wobei die Spur sich weniger auf die sogenannte Zukunft bezieht als auf die sogenannte Vergangenheit und die sogenannte Gegenwart durch eben diese Beziehung zu dem, was es nicht ist: absolut nicht ist, nicht einmal eine Vergangenheit oder eine Zukunft als modifizierte Gegenwart konstituiert.“ (Ebd.: 125f.; Hervorhbg. i.O.)
Die Bewegung der différance verweist auf ein letztlich nie auffindbares ‚Original‘, d.h. eine Leerstelle, auf die sich unendliche Zitationen beziehen, die jedoch in jeder Zitation als unmögliche Referenz erneut iteriert wird. Dieser Referenzpunkt, der dem Zitieren Einhalt gebieten und damit Bedeutungen fixieren könnte, treibt die Bewegung der différance an. Jeglicher Einsatz im Terrain flottierender Bedeutungen, denen eben kein bedeutungsgebendes Zentrum zur Verfügung steht, ereignet sich im Modus des supplements: „Man kann das Zentrum nicht bestimmen und die Totalisierung nicht ausschöpfen, weil das Zeichen, welches das Zentrum ersetzt, es supplementiert, in seiner Abwesenheit seinen Platz hält, weil dieses Zeichen sich als Supplement noch hinzufügt. Die Bewegung des Bezeichnens fügt etwas hinzu, so daß immer ein Mehr vorhanden ist; diese Zutat aber bleibt flottierend, weil sie die Funktion der Stellvertretung, der
24 Derrida bemerkt in dieser Struktur des Zeichens eine zugleich verräumlichende und verzeitlichende Bewegung, die er mit dem Neologismus ‚Temporisation‘ fasst (vgl. 1988: 117ff.). Die zeitliche und räumliche Dimension der Wiederholung hebt Waldenfels (2001) aus phänomenologischer Sicht unter Rückgriff auf Husserl und Deleuze hervor.
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Supplementierung eines Mangels auf Seiten des Signifikats erfüllt.“ (Derrida 1976: 437; Hervorhbg. i.O.)
Die supplementierende Bewegung resultiert folglich aus der différance: Sie bezieht sich einerseits auf eine Ergänzung im Sinne einer „Fülle, die eine andere Fülle bereichert, die Überfülle der Präsenz“ (Derrida 1983: 250). Die supplementierende Bewegung tendiert jedoch zur Verdrängung des ‚Ersetzten‘ im Beifügen: „Es kommt hinzu oder setzt sich unmerklich an(die)-Stelle-von; wenn es auffüllt, dann so, wie wenn man eine Leere füllt“ (ebd.).25 Die supplementäre Bewegung ist folglich als eine der gleichzeitigen Ein-Setzung und Aus-Setzung von Bedeutung zu verstehen, insofern kein Zeichen vollends auf eine Konstellation innerhalb einer Kette fixiert werden kann. Das Supplement bewegt sich folglich in einem Spannungsfeld der Öffnung und Schließung des Zentrums: als Füllung eines unfüllbaren Zentrums (Schließung durch metaphorische Substitution), die zugleich die Füllbarkeit erneut und permanent aufschiebt (Öffnung durch metonymische Verschiebung). Das Ein-Setzen in einer Kette differenter Elemente ereignet sich im Modus der schließenden Fixierung, allerdings bezieht sich dieses Ein-Setzen auf eine Leerstelle, die durch jedes andere Element ebenfalls gefüllt werden könnte und die Füllbarkeit der Leerstelle erneut aus-setzt. Exkurs: Re-Signifikation und Kritik Es ist dieses Verständnis von Iterabilität, das Wiederholung mit Verschiebung als notwendiger Verfehlung verbindet, auf das sich Judith Butler bezieht, um die Konstitution subjektiver und sozialer Identitäten im Vorgang der Signifikation zu verstehen, und sie dazu veranlasst, im Denken der Iterabilität mehr als eine zeichentheoretische Einsicht, sondern eine „spezifische gesellschaftliche Bedeutung“ (Butler 2006: 250, FN 47) zu vermuten. Vor allem ihre Auseinandersetzung mit hate speech (2006) wird für sie zum Anlass, über den Zusammenhang von Sprechen, Subjektivität und sozialer Ordnung zu reflektieren. Ausgehend von der iterativen Struktur von Sinn denkt Butler die Frage nach Möglichkeiten von Widerstand und verknüpft sie mit der Frage nach Räumen subjektiver Handlungsmächtigkeit (agency):
25 Gerald Posselt (2005) fasst die Figur der Katachrese als doppeltes Supplement.
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„Diese Wiederholung oder besser Iterabilität wird so zum Nicht-Ort der Subversion, zur Möglichkeit einer Neuverkörperung der Subjektivationsnorm, die die Richtung ihrer Normativität ändern kann.“ (Butler 2001: 95)
In ihrer Verwendung der Interpellationsfigur betont Butler deren nicht gründenden, sondern konstituierenden Charakter. Anrufungen bedürfen ihrer steten Wiederholung und – der von Butler herausgearbeiteten notwendigen Wendung folgend – (An-)Erkennung. Der von Butler im Rückgriff auf Derrida verwendete Begriff der Iterabilität impliziert dabei insbesondere, dass die in Anrufungsszenarien sich artikulierenden soziosymbolischen Ordnungen ebenso wenig wie die sich darin und dadurch konstituierenden Subjektivitäten vollkommen determiniert sind – ihnen kommt kein ontologischer Status jenseits dieser Formierung zu. Vielmehr wird die formierende Interpellation von Subjektivität von der Abwesenheit eindeutiger Referenzialität affiziert, wie sich am Beispiel der geschlechtlichen Konstitution verdeutlichen lässt: Zwar artikuliert sich im Ausruf „Es ist ein Mädchen/Junge!“ sowohl die symbolische Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit als auch die konkrete Subjektivierung, die innerhalb dieser Ordnung ihren Sinn erhält. Jedoch ist keineswegs klar, wie genau und konkret zu jedem Zeitpunkt und jeder Situation dieses Mädchen/dieser Junge zu sein hat. Ebenso wenig ist eindeutig bestimmt, wie und wo genau die Grenzen der Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit verlaufen. Das bedeutet, dass die soziale Ordnung nicht homogen, explizit und selbstdurchsichtig ist. Die Rede von der Anrufung als Formierung von Subjektivität impliziert folglich, dass kein notwendiges Verhältnis zwischen soziosymbolischer Ordnung und konkreter Subjektivität besteht. Butler legt ihr Augenmerk auf die Gleichzeitigkeit von Signifikation und Re-Signifikation, indem sie ernst nimmt, dass weder die Bedeutung eines Zitats vom Kontext vollkommen determiniert ist und ebenso wenig Kontexte durch Zitate abschließbar sind. Dass Bedeutungen nicht über eine Verankerung verfügen, eröffnet in Butlers Augen das Potenzial, sie in einen anderen Kontext zu stellen: „Ich möchte sogar behaupten, dass gerade darin, dass der herrschende, autorisierte Diskurs enteignet werden kann, eine Möglichkeit der subversiven Resignifikation liegt.“ (Butler 2006: 246)
Butler rekurriert dabei jedoch weniger auf einen pathetischen Widerstandsbegriff, sondern hat „die Grenzen und Risiken der Resignifizierung als Strategie des Widerstandes“ (ebd.: 66) vor Augen. Die Grenzen dessen,
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was als Subjektivität anerkennbar sein kann, sind zwar nicht fixierbar, aber gerade daraus resultiert ebenfalls das permanente Risiko, sich jenseits dieser Grenzen zu bewegen und seinen Status als Subjekt zu verlieren: „Wenn das Subjekt auf unmögliche Weise spricht, in Formen spricht, die sich nicht als Sprechen oder als das Sprechen eines Subjektes betrachten lassen, dann ist dieses Sprechen entwertet und die Fortdauer des Subjektes in Frage gestellt. Die Konsequenzen eines derartigen Einbruchs des Unsagbaren können von einem Gefühl, dass man ‚zerfällt‘, bis zur staatlichen Intervention reichen, die für die Einlieferung in eine psychiatrische oder eine Strafvollzugsanstalt sorgt.“ (Ebd.: 213)
Die konstitutive Relationalität von Subjektivität und soziosymbolischer Ordnung impliziert, dass beides nicht zur Deckung zu bringen, jedoch auch nicht absolut gegeneinander zu profilieren ist. Sie durchkreuzen einander an den Grenzen des Sag- und Lebbaren, die dauerhaft vom „Abschweifen des Asozialen, das Schwadronieren des Psychotikers“ (Butler 2006: 209) belagert werden. Butler entwickelt diesen Gedankengang weiter, um zu zeigen, dass Identitäten von einem radikalen Bruch, der erst die Kraft der Wirkmächtigkeit dieser Formationen konstituiert, abhängen, und verortet an dieser Stelle die „Möglichkeit des Sprechakts als Akt des Widerstands“ (ebd.: 250). Weit davon entfernt, diese ‚Widerständigkeit‘ mit der semantischen Last von Pathos und heroischer Risikofreudigkeit aufzuladen, wird diese Widerständigkeit als Versuch von Fehlaneignung konzipiert, der die disseminative Unabgeschlossenheit und Unkontrollierbarkeit von Sinn in Anspruch nimmt. Bezogen auf die Grenzen, von denen her das Sagbare vom Unsagbaren getrennt und als lebbar anerkannt wird, arbeitet Butler unter Rückgriff auf psychoanalytische Perspektiven heraus, dass das Verworfene und Ausgegrenzte die Bedingung für die Etablierung von Identität (sozialer und subjektiver Formationen) darstellt.26 Der Ausschluss und die dadurch mögliche Etablierung einer Grenze figurieren die Räume, in denen sich subjektive und soziale Identitäten etablieren können. Von den ‚Umgrenzungen‘ des Anerkennbaren, den Ausgrenzungen nicht lebbarer Subjektivitäten, der
26 Butler verwendet das ‚konstitutive Außen‘ unter Rückgriff auf Derrida (1976) und variiert es über verschiedene Figuren: Umgrenzung, Zensur, Verwerfung, Bruch. Antke Engel kritisiert diese ‚Homogenisierung‘ Butlers des auf verschiedenen Ebenen genutzten Konzepts des konstitutiven Außen (vgl. 2002: 107ff.).
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Zensur des unmöglichen Sprechens her, von den Ausschlüssen also, die nicht in der Hand eines souveränen Subjektes liegen, sondern dessen Platz figurieren, entwickelt Butler ihr Konzept von Handlungsfähigkeit. Sie verbindet damit den Gedanken der iterativen, d.h. nicht abschließbaren Sinngebungslogik mit der Inaugurierung des Subjekts. Die permanente Gleichzeitigkeit von Einsetzung und Verfehlung, die aus der Unfixierbarkeit von Bedeutungen resultiert, unterminiert stets auch die Konstitution des Subjekts.27 Jedoch ist im Signifikationsvorgang, der Sagbares und Unsagbares (notwendig immer wieder neu) hervorbringt, keine Entscheidungsmöglichkeit dahin gehend angelegt, wie diese ‚Verfehlung‘ positiviert werden, d.h. mit einer spezifischen Qualität als ‚kritisches Sprechen‘ ausgewiesen werden kann: „Die Aufgabe der Kritik liegt nicht einfach darin, ‚gegen‘ das Gesetz zu sprechen, als wäre das Gesetz dem Sprechen äußerlich und Sprechen der privilegierte Ort der Freiheit. Wenn Sprechen auf Zensur beruht, dann ist das Prinzip, dem man sich womöglich widersetzen will, zugleich das Formprinzip der Widerrede.“ (Ebd.: 219)
Die Möglichkeit eines ‚kritischen‘ Sprechens situiert Butler in jener Gebundenheit an die es konstituierenden Machtmechanismen, wie etwa der Verwerfung oder der Zensur. Da jedes, so auch ‚kritisches‘ Sprechen seine Grundlage in der Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Beherrschung – in der Konstitution über Zensur und deren Verwerfung – hat, wird unentscheidbar, ob ‚kritisches‘ Sprechen vorliegt. Vielmehr ereignet es sich an jener Grenze des Sagbaren, bezieht sich auf sie und zehrt von ihr. Die Ordnung des Sagbaren und Unsagbaren wird in jedem Sprechen iteriert, d.h. neu eingesetzt und zugleich verschoben.
27 Aus praxistheoretischer Perspektive nimmt Joachim Renn (2005) zwar ähnlich den Ausgangspunkt von der Unterbestimmtheit sozialer Ordnung: Er konzipiert ‚agency‘ über das Bewusstsein „als pragmatisch fungierende Intentionalität“ (ebd.: 121), welches die Lücke ausfülle „und als Träger einer Form der Agency, die sich als leiblich inkorporierte Kompetenz der Verwendung, der Anwendung und der Umwendung zeigt“ (ebd.). Subjekte füllen dann als „resignifizierende Übersetzer und Spezifikateure“ (ebd.: 118) die Uneindeutigkeit sozialer Ordnungen aus. Die Uneindeutigkeit wird jedoch nicht auf die Figur des Subjekts bezogen, so dass sich ‚agency‘ auf eine hermeneutische Figur der Auslegung reduziert.
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‚Kritischen Sprechen‘ kann also nicht für sich beanspruchen, souverän und gegenüber der Macht situiert zu sein. Das kritische und widerständige Moment eines solchen Sprechens ist in gewisser Weise blind: Insofern die Bedingungen dieses Sprechens nicht seine eigenen sind, ist es zugleich ein ungedecktes und geborgtes Sprechen. Die re-signifizierende Fehlaneignung bedient sich dessen, was die disseminative Qualität sprachlicher Performativität ermöglicht, um die Etablierung von Grenzen sichtbar zu machen, ohne für sich in Anspruch nehmen zu können, souverän in- oder außerhalb dieser Umgrenzungen zu stehen. Die (unmögliche) Anerkennung der Verwerfungen als desjenigen, was die Bedingung des eigenen Seins konstituiert, wird zum Ausgangspunkt für eine sprechende Bewegung im diskursiven Terrain, die den Versuch unternimmt, Verschiebungen im Terrain vorzunehmen, ohne mit der Kraft eines solchen Versuches rechnen zu können: „Die Frage ist, ob der uneigentliche Gebrauch performativer Äußerungen den Effekt der Autorität erzeugen kann, wo kein Rückgriff auf eine vorgängige Autorität möglich ist; oder ob fehlangeeignete oder enteignete performative Äußerungen nicht sogar die herrschenden Formen von Autorität und deren Ausschlussmechanismen sichtbar machen können.“ (Ebd.: 247)
Vor dem Hintergrund einer nicht möglichen Autorität, die schon immer durch die Autorität diskursiver Inaugurierung unterminiert ist, kann dennoch der nicht-autorisierte Versuch unternommen werden, dem autorisierten Sinn eine andere Variante abzugewinnen. Diese Möglichkeit ergibt sich aus dem unabgeschlossenen Terrain diskursiver Ordnungen, das selbst die Bedingungen für die unabschließbare Produktion von Bedeutung bereit hält, somit gewaltsam, jedoch nicht endlich fixiert werden kann. Mit ihrer Konzeption von Widerständigkeit nimmt Butler an dieser Stelle in Anspruch, über das Sichtbarmachen der Gewaltsamkeit von Ausschlüssen hinaus auch „eine Vorstellung von Differenz und Zukünftigkeit in die Moderne einzubringen, die eine unbekannte Zukunft entwirft“ (ebd.: 251). In ihrem Entwurf einer ‚Politik des Performativen‘ setzt sie sich damit von juristischen Sanktionen von Diskriminierungen ab. Dies nicht allein, weil damit die Gewaltförmigkeit der Adressierung wiederholt und der Diskriminierung eine erneute Relevanz zuerkannt würde. Ferner problematisiert Butler auch, dass eine juristische Fixierung des Sag- und Denkbaren den politischen Raum der Auseinandersetzung begrenzen und der herrschenden
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Gewalt zuarbeiten würde (vgl. Butler 2006: 107).28 Butler sieht den Einsatzpunkt der Politik und der Möglichkeit von Kritik daher vom Denken des Offenen, von der Unfixierbarkeit von Grenzen aus: „Die Performativität besitzt eine eigene gesellschaftliche Zeitlichkeit, indem sie gerade durch jene Kontexte ermöglicht wird, mit denen sie bricht. Diese ambivalente Struktur im Herzen der Performativität beinhaltet, dass Widerstands- und Protestbedingungen innerhalb des politischen Diskurses teilweise von den Mächtigen erzeugt werden, denen man entgegentritt (was nicht bedeutet, dass der Widerstand auf die Macht reduzierbar oder stets im vorhinein vereinnahmt ist)“ (Ebd.: 70).
Butler visiert hierin eine Zukünftigkeit an, die sich als ungedecktes Unternehmen einer Inanspruchnahme unangebrachter und ungerechtfertigter Redeweisen versteht. Ohne demnach dem fehlaneignenden Einsatz im disseminativen Feld vielfältiger und gestreuter Bedeutungen, die das Terrain diskursiv verfasster Wirklichkeit konstituieren, ein Pathos zuzuschlagen, wird dem Signifikationsvorgang die unhintergehbare Dimension der Resignifikation eingeschrieben und auf die Generativität unausgefüllter Bedeutungen abgehoben. Handlungsmacht setzt damit kein souveränes Subjekt (nach der Subjektivierung) voraus, vielmehr besteht die Handlungsmächtigkeit in der Bewegung der (An-)Erkennung unmöglicher Autonomie, ohne den durch unterwerfende Strukturierungen eröffneten Raum verlassen zu können. Butler figuriert auf diese Weise die Möglichkeit von Handlungsmächtigkeit innerhalb der Aneignung und (Re-)Figurierung sozialer und subjektiver Identitätskonstruktionen. Diese bleiben auf Iterationen angewiesen, um Existenz zu erhalten, so dass ihre Nicht-Fixiertheit zugleich die Bedingung für die Existenz wie auch die Subversion der Existenz von Subjektivität und sozialer Ordnung anzeigt. Die Kontingenz sozialer Ordnung Für das Denken der Konstitution von Subjektivität und Sozialität wird aus der anwesenden Abwesenheit, aus der unvollständigen Wiederholung, die sich aus der Signifikation als Re-Signifikation ergibt, die paradoxe Figur einer unmöglichen Gründung deutlich:
28 Butler schließt jedoch auch nicht aus, dass die juristische Verfolgung diskriminierender Redeweisen angebracht sein kann.
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„Daß keine soziale Formation fortdauern kann, ohne wiedereingesetzt zu werden, und daß jede Wiedereinsetzung die fragliche „Struktur“ aufs Spiel setzt, legt nahe, daß die Möglichkeit ihrer eigenen Öffnung gleichzeitig die Möglichkeitsbedingung von Struktur selbst ist.“ (Butler 1998b: 255f.)
Die Aufnahme des Iterabilitätskonzeptes erweitert auf diese Weise nicht nur die Vorstellung von Subjektivierung als ein notwendig auf Wiederholungen angewiesenes Zur-Existenz-Kommen durch stets erneut aufzubringende Neuinszenierungen und Anrufungen innerhalb soziosymbolischer Ordnungen. Butler spricht hier darüber hinaus die Bedeutsamkeit der Iterabilitätslogik für das Denken von Struktur an, welches seinen Ausgang von der „strukturellen Offenheit (und somit eine[s] „Poststrukturalismus“)“ (Butler/Laclau 1998: 248) nimmt, wie sie an einer Stelle bezogen auf den demokratietheoretischen Ansatz von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe formuliert. Die Strukturalität von Struktur hängt demnach weder von der strukturellen Verfasstheit sozialer Realität ab noch von einer dieser zugrunde liegenden bestimmten Funktionsweise sozialer Welt. Vielmehr lässt sich analog der Figur des nicht einholbaren ‚Originals‘ von Zitaten, das sich nur zitathaft zeigt, hervorheben, dass der Referenzpunkt für Struktur nicht im Rahmen von Struktur gedacht werden kann. Vielmehr ist die Strukturalität der Struktur ein Bruch im Sinne des konstitutiven Außens, eine radikale Andersheit, die jedoch das Innen zu etablieren vermag (und als solche anwesend-abwesend ist). In verschiedenen Hinsichten wurde dieser ‚Bruch‘ bereits aufgerufen: Als Bruch, der das Zeichen vom Kontext trennt und es dadurch erst zum bedeutungsfähigen Zeichen werden lässt; als ausschließende Verwerfung, die Identität etabliert; als Lücke der Faltung, die das Subjekt als Wendung der Macht auf sich selbst hervorbringt; als Grenze, die das Sag- und Lebbare umgrenzt – in diesen Variationen dieser Figur wird ein Riss bedeutsam, der bezogen auf soziale Ordnung und ihrer Struktur als Bruch gedacht werden kann, der die Struktur von einem nicht strukturierten, kontingenten Neu-Einsetzungsakt abhängig werden lässt. In der Betonung der Vorläufigkeit und Brüchigkeit von Struktur sieht Butler einen (auch theorie-)politischen Einsatz, der die Kontingenz des Sozialen in besonderer Weise hervorhebt: „Der Zukunft eine definitive Form zuzuschreiben heißt, sie von vornherein zu kennen, und dann die eigentliche Unerkennbarkeit, genau die Kontingenz, die die Zu-
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kunft als etwas kennzeichnet, das noch nicht ist, zu verwerfen und auszuschließen.“ (Butler 1998a: 211)29
Die aus der Kontingenz der sozialen Ordnung, die abhängig von ihrer permanenten Re-Artikulation ist, resultierende Perspektive bestehe in der „Wiedereinführung der Temporalität und, in der Tat, von Zukünftigkeit in das Denken sozialer Formationen“ (Butler 1998: 255).30 Struktur als einen nicht durch sie selbst bedingten noch hervorrufbaren Effekt ihrer eigenen Unmöglichkeit zu verstehen, stellt nicht nur eine Kon-
29 Die Einführung des Iterabilitätskonzeptes in das Denken des Sozialen verweist in ähnlicher Weise auf eine metaleptische Figur der Umkehrung von Effekt und Hervorbringung. Deren Relevanz für das Denken von Zeitlichkeit bedürfte einer tiefergehenden Auseinandersetzung, um die Auswirkungen auf Konzepte wie Prozessualität, Geschichte und Zukünftigkeit genauer heraus zu arbeiten. Dafür ließen sich sehr verschiedene Linien in ein Gespräch bringen, etwa Bergsons Zeitkonzept (1994), Derridas Konzept der Gabe, des Ereignisses und des á venir (1993; vgl. dazu u.a. Gertenbach 2008; Moebius 2003), Waldenfels‘ phänomenologisch situiertes Konzept der Wiederholung (vgl. 2001), Nassehis systemtheoretische Fassung von Kontingenz (vgl. 2008) oder Luhmanns Überlegungen zum Vertrauen (1989). Ein gemeinsamer Bezugspunkt dieser Linien besteht in der Priorisierung von Kontingenz, die jede auf Sukzessionen und Abgrenzbarkeit sich beziehende Ordnung torpediert. Die daraus resultierende paradoxe Figur des uneinholbaren Bezugs auf etwas, das den Bezug erst konstituiert, wird aus verschiedenen Perspektiven ausformuliert und mit verschiedenen Konsequenzen verknüpft, enthält jedoch insbesondere für das Denken von Bildungsprozessen ein bisher kaum wahrgenommenes Potenzial (vgl. auch Wimmer 2007). 30 Butler formuliert dies in Bezug auf die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes, in deren Betonung der Brüchigkeit und Vorläufigkeit sie einen Ort sieht, an dem die Kontingenz des Sozialen aufgenommen ist. In diesem Zusammenhang steht auch Butlers Kritik am strukturalistischen Denken, das der „Idee des „ewigen“ Charakters des Kapitals […], welche das Kapital so bereitwillig produziert“ eine Art Komplizenschaft gewähre (1998b: 255). Die Beharrungskraft sozialer Ordnungen fasst Butler mit der Figur der ‚Sedimentierung‘ (2006: 81). Damit konzeptualisiert sie die Ungleichverteilung von Macht im sozialen Raum, die nicht jedes Ereignis gleich wahrscheinlich werden lässt.
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sequenz aus der Aufnahme des Iterabilitätskonzeptes im Anschluss an Derrida dar. Für Butler ergibt sich in diesem Konvergenzpunkt ihrer Lektüren Derridas, Austins, Foucaults und Laclaus der Fokus auf die jeder Wirkmächtigkeit von Diskursen und sozialen Formierungen entgegenstehende Unterminierung von Struktur. Butlers Verständnis von Performativität – das auf die prinzipielle Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains bezogen wird – versucht dabei diese Unabgeschlossenheit für das Feld des Politischen zu öffnen. Der Signifikationsvorgang, der soziale Tatsachen im Sprechen hervorbringt und stiftet, wird zugleich als Re-Signifikation konzipiert und mit einem politischen Versprechen verknüpft: „Die Resignifizierung des Sprechens erfordert, dass wir neue Kontexte eröffnen, auf Weisen sprechen, die noch niemals legitimiert wurden, und damit neue und zukünftige Formen der Legitimation hervorbringen.“ (Butler 2006: 71)
Es ist demnach nicht allein und exponiert die Möglichkeit des Scheiterns der Anrufung, die die Wirkmächtigkeit des soziosymbolischen Horizonts zu unterlaufen vermag. Butler betont vielmehr, dass gerade in der ‚gelingenden‘ Anrufung die Bedingungen der Unterminierung sozialer und subjektiver Identitäten hervorgebracht werden (vgl. 2001: 96).31 Die Figur der Iterabilität formuliert die permanente Möglichkeit der Verschiebung, die unaufhebbare Notwendigkeit der Differenz zum Kontext und verweist auf die Beweglichkeit des Strukturierten (der Subjektform, der Figuration, der sozialen Identität).
31 An dieser Stelle ist zu betonen, dass Anrufungen nicht im Sinne der Austinschen Misslingens/Gelingens-Dichotomie funktionieren. Vielmehr scheitern und gelingen Anrufungen gleichzeitig, da sie die Wendung zum Soziosymbolischen und damit subjektivierenden Geschehen prozessieren. Anrufungen sind insofern nur unter der Bedingung ihres ‚Scheiterns‘ wirksam, da eine vollkommene Determination und Reproduktion des Soziosymbolischen unmöglich ist. Die iterative Struktur jeder Bedeutung muss zwangsläufig diese Iteration erneut aufführen und unterliegt somit der aufschiebenden und verschiebenden Kontingenz, die sich aus der nicht-notwendigen Bindung in der Kette/im Feld der Zeichen ergibt. Insofern demnach Bedeutungen und Identitäten immer nur aus der vorläufigen Konstellation von Differenzen resultieren, können Anrufungen immer nur überschüssig/unterbestimmt ‚gelingen‘ (vgl. dazu u.a. Bröckling 2007).
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Es ist dieser Punkt, der die Bedingung für widerständiges Sprechen in der prinzipiell möglichen Aneignung innerhalb des diskursiv strukturierten Terrains des Sagbaren und Unsagbaren situiert und sich an dem Kritikverständnis Michel Foucaults als der „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12), orientiert. Foucaults Überlegungen zur Möglichkeit von Kritik verflechten die Machtförmigkeit mit der generativ wirksamen Uneindeutigkeit sozialer Realitäten (vgl. dazu folgender Abschnitt). Der Fokus auf das generative, da uneindeutige, Moment gegenüber dem reproduzierenden Moment führt zum Gedanken der unabgeschlossenen Struktur. Diese Unabgeschlossenheit bezieht sich sowohl auf die soziosymbolische Ordnung als auch auf die darin sich etablierenden subjektiven und sozialen Identitäten. In der Perspektive Judith Butlers wird dies zum Einsatzpunkt, um Widerständigkeit und Kritik zu denken. Kritisches Sprechen bezieht sich dabei auf den strategischen Einsatz im Feld offener und ungedeckter Bedeutungen, ohne jedoch Strategie auf intentionale Subjektivitäten zurück zu führen. Vielmehr wird Kritik und Handlungsfähigkeit eingedenk der Unmöglichkeit entwickelt, über die Bedingungen, die dieses Sprechen konstituieren, verfügen zu können.32 Die Möglichkeit strategischer Einsätze bezieht sich somit auf den Punkt, an dem die Offenheit und Brüchigkeit von Strukturen als Möglichkeitsbedingung von Strukturalität verstanden und die Geschlossenheit von Identitäten mit ihrer Öffnung verbunden wird. Dies bildet den Übergang zur Frage danach, wie diese Schließungsbewegungen vollzogen werden, demnach nach deren Machtförmigkeit. Es wird im Folgenden unter Rückgriff auf das Denken Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes sowie Michel Foucaults zu sehen sein, wie der Gedanke der prinzipiellen Unabschließbarkeit für soziale Ordnung und subjektive Identitäten bezogen auf das Verhältnis von Signifikation und Re-Signifikation, also Schließung und Öffnung gedacht wird.
32 Vgl. dazu sehr divergierende, sich auf diesen Kritikbegriff beziehende, Einsätze erziehungswissenschaftlicher Reflexionen: bspw. Ruhloff (2003), Thompson (2004), Kubac (2011), Schäfer (2007), Liesner (2007), Pongratz (2007) oder Bünger (2009). Insgesamt zu vielfältigen Einsätzen zu Kritik bei Foucault: Bröckling (2010; v.a. 431ff.).
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1.3. M ACHTVOLLE S CHLIESSUNGEN : U NMÖGLICHE F ORMIERUNGEN VON S OZIALITÄT UND S UBJEKTIVITÄT Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie und auf welche Weise Schließungen im differenziellen Feld von Bedeutungen prozessiert werden, wie also Bedeutungen eine (vorläufige) Fixierung erfahren. Aus den zeichentheoretischen Überlegung Derridas zur konstitutiven Unabschließbarkeit von Kontexten und der sich daraus ergebenden Iterabilität als notwendigem Merkmal von Zeichen sowie aus der Verwendung dieser Figur für das Denken des Sozialen, insbesondere durch die Arbeiten Judith Butlers, ergibt sich die Einsicht in die Unmöglichkeit totalisierender und abschließender Bedeutungsfixierungen. Die Identität – sozialer Formationen ebenso wie die von Subjekten – erscheint folglich immer schon fragmentiert, brüchig und vorläufig. Wie jedoch lässt sich die Wirkmächtigkeit spezifischer Subjektivierungsweisen und spezifischer sozialer Formationen erklären? Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes politiktheoretische Überlegungen (1991) nähern sich diesem Punkt zunächst mit dem Verweis auf die antagonistische, d.h. umstrittene und umkämpfte Verfasstheit des sozialen Terrains, die sowohl Antrieb für Schließungsbemühungen wie auch die gleichzeitige Unmöglichkeit einer letztendlichen Schließung darstellt. Mit dem Hinweis auf die antagonistische Verfasstheit des sozialen Terrains ist darüber hinaus auch angesprochen, dass jede Fixierung von Bedeutung sich durch Konfigurationen und damit durch die Beziehungen von Elementen zueinander ergibt. Diese verhalten sich different zu anderen Konfigurationen im sozialen Raum. Laclau betont dementsprechend, dass das antagonistische Moment insofern als radikal zu bezeichnen sei, als es sich weder um einen bloßen Gegensatz noch um einen dialektischen Widerspruch handelt, sondern eine radikale Verschiedenheit je partikularer Differenzen meint (vgl. Laclau 2007: 26ff.). Das Außen im Innen: Äquivalenzen und Differenzen Die Art und Weise der Entstehung solcher Konfigurationen erfasst Laclau in der Operation der Äquivalenzbildung, welche die Verknüpfung von Signifikanten leistet und somit Sinneinheiten, Diskurse, soziale Formationen zu erzeugen vermag. Die Äquivalenzbildung organisiert folglich Differen-
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zen, indem sie Beziehungen stiftet. Dabei ist „die Verbreitung von Differenzen die Vorbedingung für die Ausbreitung der Äquivalenzlogik“ (Laclau 1998: 241). Ausgehend von dem Spiel der Differenzen (der différance) entwickeln Laclau und Mouffe ein Konzept, wie Differenzen in eine Beziehung treten: Dass das Spiel der Differenzen unaufhörlich aus sich heraus keine Organisation und Fixierung begründen kann, bedeutet, dass kein Modus besteht, aus dem heraus Ketten und Konstellationen differenter Elemente sich notwendig ergeben. Der Modus, in dem Differenzen in Beziehung zueinander treten können, wird durch den gemeinsamen Bezug auf ein Abwesendes hergestellt. Dieses Abwesende ermöglicht die Herstellung von Verbindungen und ist auf diese Weise anwesend, so dass die Derridasche Figur des konstitutiven Außen hier Eingang findet. Über dieses konstitutive Außen wird es möglich, Gleichheitsbeziehungen zwischen Differenzen zu etablieren, indem dieses Außen als radikal anders und nicht Teil der Differenzen selbst vorgestellt werden muss. Erst in ihrem Bezug auf dieses Außen werden die Differenzen austauschbar, d.h. gleichwertig (äquivalent). Laclau und Mouffe erläutern dieses Prinzip am Beispiel politischer Bewegungen, deren partikulare Forderungen sich auf ein Abwesendes – fehlende Gleichheit, Gerechtigkeit oder Transparenz etc. – beziehen.33 Die partikularen Differenzen verhalten sich äquivalent nur in Bezug auf etwas, das sich von ihnen radikal unterscheidet, und erlangen ‚Identität‘, die jedoch von diesem Außen stets durchkreuzt wird (vgl. Laclau 2002: 85ff.). Da die Verknüpfung von Differenzen nicht durch ein Zentrum (wie etwa Struktur, Subjekt, Gott, Gesetz, etc.) fixiert werden kann, stellt die etablierte ‚Identität‘ nicht eine wesensmäßige Gründung dar. Vielmehr argumentiert Laclau antiessentialistisch, indem jede Essenz von ihrer Unmöglichkeit durchkreuzt wird, auf der sie aufruht (vgl. Thompson 2007, Nonhoff 2006).
33 Vgl. Martin Nonhoffs Ausführungen zur ‚Forderung‘ als kleinster Einheit politischer Diskurse (2007: 176ff.). Die vorliegenden Überlegungen interessieren sich weniger für die Funktionsweise des politischen Feldes. Vielmehr steht die Perspektive der radikalen Demokratietheorie auf soziale Wirklichkeit im Vordergrund des Interesses. Der Einsatzpunkt dafür findet sich pointiert im Aufsatz Ernesto Laclaus (2002): „Was haben leere Signifikanten mit Politik zu tun?“, in dem Laclau im Anschluss an de Saussure das Politische in einen Zusammenhang mit der Logik der Signifikation stellt.
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Leerung und Füllung – unmögliche Repräsentationen Das Außen markiert folglich eine Grenze, die jedoch nicht repräsentiert werden kann, insofern gerade ihre radikale Unterschiedenheit von den je konkreten Differenzen die Bedingung dafür ist, diese Differenzen zu übersteigen. Laclau greift an dieser Stelle auf Derridas Argument des fehlenden Zentrums zurück, das eine Sättigung von Kontexten verunmöglicht und auf diese Weise strukturelle Offenheit anzeigt. Dies erlaubt es Laclau, von einer ‚Leere‘ der Signifikanten zu sprechen. Die ‚Leere‘ des Signifikanten (d.h. seine Unfixierbarkeit in einer Kette) kann über zunehmende Einschreibungen so ausgebeutet werden, dass ein Signifikant immer mehr Differenzen um sich zu organisieren vermag und auf diese Weise eine ‚unmögliche Repräsentation‘ ihrer Identität übernehmen kann. Laclau verdeutlicht dies am Beispiel des politischen Feldes, in dem bestimmte Forderungen (mehr Demokratie, gegen Menschenverachtung, etc.) in der Lage sind, verschiedene Lager auf sich zu versammeln – um den Preis, dass die jeweils partikularen Interessen andere Aspekte marginalisieren. Anteile je konkreter, partikularer Differenzen können bezogen auf eine Forderung äquivalent werden und sich auf diese Weise zu Äquivalenzketten verknüpfen lassen.34 Die Bedeutungsfähigkeit des sie (nicht-)repräsentierenden Signifikanten wird folglich weit reichender und der Signifikant immer leerer, da er immer mehr partikulare Differenzen repräsentieren muss. Laclau konturiert diese Figur dieser unmöglichen Repräsentation, indem er auf den supplementierenden Vorgang der Repräsentation verweist: Die der Repräsentationslogik inhärente Problematik, auf ein Abwesendes zu referieren, das in der Repräsentation durch einen Signifikanten niemals vollständig erfasst werden kann, bewegt sich um einen unschließbaren Riss, der nur in der Bewegung eines Supplements ‚besetzt‘ werden kann. Damit ist gemeint, dass die Repräsentation durch einen Signifikanten etwas vollzieht, das sich nicht durch das Repräsentierte (‚Signifikat‘) decken lässt, insofern dies keine totale Identität erlangen kann. Die Repräsentation kann
34 Martin Nonhoff (2006) weist darauf hin, dass formal jeder Signifikant in der Lage sein kann, eine solche unmögliche Repräsentation zu übernehmen. Dem folgend lassen sich ‚Diskursanalyse‘, ‚Foucault‘, ‚Kritik‘, ‚Subjekt‘ oder ‚Bildung‘ ebenfalls als Signifikanten verstehen, die tendenziell leer und damit für jede Re-Artikulation offen sind.
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sich jedoch auch nicht aus dem zu Repräsentierenden ableiten, da keine notwendige Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat/Signifikant besteht. „Die Idee perfekter Repräsentation beinhaltet daher eine logische Unmöglichkeit – aber das bedeutet nicht, dass Repräsentation gänzlich unmöglich wäre. Das Problem ist vielmehr, dass Repräsentation der Name eines unentscheidbaren Spiels ist, das eine Vielzahl sozialer Verhältnisse organisiert, dessen Operationen aber nicht in einem rational erfassbaren und letztlich eindeutigen Mechanismus fixiert werden können.“ (Laclau 2002: 143)
Der Signifikant ist gleichzeitig von Äquivalenz und Differenz beherrscht, so dass eine vollkommene Übernahme der Bedeutung nicht gewährleistet werden kann. Daraus ergibt sich auch, dass das Repräsentierte (‚Signifikat‘) als Signifikant im Vorgang der Repräsentation/Signifikation erst etabliert wird. Diese Figur unterlegt den Aspekt der Wirklichkeitsstiftung performativen Sprechens, den Judith Butler als metaleptische Bewegung versteht (vgl. Abschnitt ‚Zur Konstitution von Subjektivität‘). Wäre das Signifikat (Signifikant), auf den sich die Repräsentation bezieht, selbstevident, wäre die Übersetzungsleistung/Transformation im Repräsentationsvorgang unnötig. Gleichermaßen wäre Repräsentation unmöglich, wenn das zu Bezeichnende absolut different wäre. Da in diesem Fall eine Einlagerung in Bedeutungsketten unmöglich wäre, könnte es keine Bedeutung erzeugen. Folglich ergibt sich aus der unmöglichen Abschließbarkeit der Bedeutung des Signifikanten nicht nur die Bedingung für die (Un-)Möglichkeit des Signifikationsvorganges. Die Kontextunabhängigkeit von Signifikanten weist auch darauf hin, dass Äquivalenz niemals in Identität umschlagen kann (vgl. 2002: 182ff.), so dass sich der Repräsentationsvorgang zwischen unmöglicher Identität und unmöglicher Heterogenität ereignet und aus der Relation beider Pole resultiert: „Es gibt eine Opazität, eine essentielle Unreinheit im Repräsentationsprozess, die zugleich dessen Ermöglichungs- und Verunmöglichungsbedingung ist.“ (Laclau 2002: 142)
Laclau spricht in diesem Sinne vom ‚Gleiten‘ des Signifikanten, das sich aus dessen „tendenzielle[r] Leere“ (ebd.: 185) speise. Damit weist er sowohl auf das kontingente Verhältnis von Signifikant und Signifikat hin, als auch auf den sich daraus ergebenden Überschuss bezüglich der prinzipiel-
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len Unabschließbarkeit von Kontexten, in denen Signifikanten bedeuten können. Wenn Laclau also davon spricht, dass „leerer Signifikant […] genau genommen ein Signifikant ohne Signifikat“ sei (ebd.: 65), ist damit keine ontologische Aussage gemeint, in dem Sinne, dass es leere Signifikanten ‚gibt‘. Die unbestimmte Referenzialiät im Signifikationsvorgang bedeutet, dass das Signifikat nicht die Referenz für die Bedeutungsfähigkeit des Signifikanten darstellt. Die angesprochene Leere ist folglich als ‚tendenzielle Leere‘ zu verstehen, was in zwei Hinsichten bedeutsam ist: Zunächst ist ein Signifikant tendenziell leer, da sein Referent ebenfalls ein Signifikant ist, der auf einen Signifikanten verweist und somit der Signifikationsvorgang keine aus sich selbst heraus bestehende Finalität und Gründung erlangen kann. Dieser Gedankengang nimmt die von Derrida ausgearbeitete Iterabilität auf, die darauf hinweist, dass kein Signifikant auf einen Kontext begrenzt werden und somit keine notwendigen Bindung an ein ‚Signifikat‘ aufrecht erhalten kann. Daraus folgt zudem, dass jeder Signifikant erst aus der Beziehung zu anderen Signifikanten Bedeutungsfähigkeit erlangt. Damit stellt das von Laclau vorgeschlagene Verhältnis von Äquivalenz und Differenz den Hinweis auf die Grenze der Signifikation dar: „Ein leerer Signifikant kann konsequenterweise nur dann auftauchen, wenn eine strukturelle Unmöglichkeit der Signifikation als solcher besteht und diese Unmöglichkeit sich selbst ausschließlich bezeichnen kann als Unterbrechung (Subversion, Verzerrung, etc.) der Struktur des Zeichens. Das bedeutet, dass die Grenzen der Signifikation sich selbst nur als Unmöglichkeit der Verwirklichung dessen enthüllen können, was innerhalb dieser Grenzen liegt. Könnten die Grenzen in direkter Weise bezeichnet werden, dann würden sie der Signifikation selbst angehören und wären – ergo – überhaupt keine Grenzen.“ (Ebd.: 66).
Hierin wird deutlich, dass Äquivalenz und Differenz in einem Verweisungsverhältnis stehen, das nicht vollkommen still gestellt oder austariert werden kann und sich folglich auch nicht signifizieren lässt. Die tendenzielle Leere jedes Signifikanten stellt die Bedingung für den Signifikationsvorgang dar, insofern sie den Einsatzpunkt für Äquivalenzbildungen abgibt. Die ‚Leere‘ ist keine vollkommene, sondern eine tendenzielle Leere. Auf Grund der prinzipiellen Offenheit des Signifikanten kann weder absolute ‚Leere‘ noch absolute ‚Fülle‘ erreicht werden. Auf diesen Punkt weist Oliver Marchart hin:
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„Die Radikalität des radikalen Außen (Nicht-Bedeutung) ist nicht allein die Bedingung der Möglichkeit für die Etablierung der Signifikationsstruktur (Bedeutung), sie ist zugleich die Bedingung der Unmöglichkeit, eine Struktur als geschlossene Totalität zu etablieren (volle Bedeutung).“ (Marchart 2007: 108)
Zwischen den Polen der Leere und der Fülle verläuft eine Grenze, die jedoch nicht eindeutig signifizierbar ist, insofern sie sich in der Bewegung zwischen Leere und Fülle ereignet. Zugleich ist die relationierende Bewegung der Grenzziehung die Bedingung der Möglichkeit von Bedeutungsgebung: Jede Füllung bezieht sich auf die Leere, indem jeder Füllversuch die Leere ausbeutet. Die Leere unterläuft damit zugleich diese Füllbewegung, die sie antreibt, jedoch als Bedingung des Füllversuchs, als seine Unmöglichkeit dauerhaft präsent bleibt.35 „Die wilde Logik der Entleerung der Signifikanten der Universalität durch Ausdehnung der Äquivalenzketten bedeutet, dass keine Fixierung und partikulare Begrenzung des Gleitens des Signifikanten unter dem Signifikat permanent gesichert werden kann.“ (Laclau 2002: 90)
Die stets neu sich iterierende Lücke, die neue Füllbewegungen generiert, verhindert zugleich, dass diese Bewegung jemals an ein Ende kommen kann. Das meint, das die Möglichkeit der Herausnahme aus Signifikantenketten zugleich immer auch eine Notwendigkeit beinhaltet: Unumgänglich bleibt, dass ein Element sich aus der Kette löst und dessen Konfiguration verschiebt. Äquivalenz- und Differenzlogik lassen sich folglich ähnlich dem Modus der Iterabilität verstehen, insofern die Bewegung zwischen Äquivalenz und Differenz das verkettende und neu-verknüpfende ‚Aufpfropfen‘ impliziert. Der soziale Raum wird beherrscht von einer Vielzahl an Äquivalenzketten. Diese sind sich jeweils gegenüber undurchsichtig, da sie die Bedingung für die interne Äquivalenzoperation darstellen, insofern füreinander als Außen fungieren.36 Jede Artikulation ereignet sich folglich als Strukturie-
35 Laclau bezieht sich stark auf Argumentationen Jacques Lacans; hier insbesondere auf die Logik des Objekts klein a und spricht vom ‚Mangel‘ des Sozialen. 36 Die Nähe zur Systemtheorie drängt sich nicht nur in der Figur der Konstitution eines Systems durch Ausschluss und der Produktion von Sinn durch Differenzen auf. Auch die interne Organisation von Diskursen/Systemen entlang von Co-
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rungsbewegung des sozialen Raums, indem sie sich auf den Ausschluss möglicher anderer Konturierungen dieses Raums bezieht. Diese Bewegung bezeichnet Laclau als ‚hegemoniale Relation‘. Die zunehmende Entleerung tragender Signifikanten, d.h. die Verlängerung der Äquivalenzketten, vermag zwar zunehmend mehr Differenzen an sich zu binden. Zugleich ist diesem ‚telos‘ jedoch eine Grenze durch die der Äquivalenzbildung voraus gehenden Differenzialität gesetzt, so dass „aufgrund dieses Erfolges […] die Verbindung des hegemonialen Prinzips mit den Differenzen, die dessen ursprüngliche Identität konstituierten, immer dünner“ (Laclau 1998: 260)
wird. Hegemonie, ein Konzept, das Laclau und Mouffe aus der politischen Theorie Gramscis entnehmen, ist somit ein prozessuales Konzept. Es bezeichnet die Verkettung einzelner Elemente, ereignet sich jedoch in der Bewegung zwischen Äquivalenz und Differenz – und kann insofern keine Finalität erreichen. Im Begriff der Artikulation fassen Laclau und Mouffe dieses Moment der Verkettung bzw. Relation(ierung) differenter Elemente durch Äquivalenzbildung, so dass diese „im Zuge dieser Relationierung erst als differente, sinnhafte Einheiten entstehen“ (Nonhoff 2007: 9). Der konfigurierende – verräumlichende und verschiebende – Vorgang ist ein zentrales Motiv, mit dem Derrida das Zeichen fasst. In ähnlicher Weise verstehen Laclau und Mouffe die Artikulation als die verknüpfende Bewegung von Differenzen, d.h. als eine
des/Knotenpunkten zeigen Analogien auf. Ein entscheidender Unterschied liegt jedoch in der Finalität dieser Operationen: Während Laclau im Hegemoniebegriff die Unmöglichkeit letztendlicher Schließung anzeigt, fokussiert Luhmann weitaus stärker auf die Selbstbezüglichkeit und Selbsterhaltung von Systemen (vgl. ausführlicher zum Verhältnis von System- und Hegemonietheorie: Stäheli 2000, 2008). Marchart weist auf einen unterschiedliches Verständnis des Außen hin: Systemtheoretisch ist das Außen des Systems Rauschen, und wird nicht als radikales Außen gefasst, welches den Modus der Äquivalenz erst in Gang bringt. Indem die Differenz des Außen als Fremdreferenz/Selbstreferenz im Innen etabliert werde, sei sie auf ontischer (und nicht ontologischer Ebene wie die différance) verortet (vgl. 1998: 20).
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„Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs. Die differentiellen Positionen, insofern sie innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheinen, nennen wir Momente. Demgegenüber bezeichnen wir jede Differenz, die nicht diskursiv artikuliert ist, als Element.“ (Laclau/Mouffe 1991: 155; Hervorhbg. i.O.)
Die Artikulation meint damit die Bewegung der Verkettung, die sowohl räumliche (verknüpfende) als auch zeitliche (vorläufige) Qualität besitzt. Als Praxis wird sie deshalb gekennzeichnet, weil sie die Verkettung überhaupt erst vollziehen muss, d.h. nicht notwendig in Beziehung stehende Elemente miteinander in Verbindung bringt. Die artikulatorische Praxis erzeugt folglich eine Konstellation von Differenzen, so dass diese Bedeutung erlangen können. Bedeutung resultiert folglich aus der gleichzeitigen Bewegung der Verräumlichung, Verschiebung, der Etablierung von Figurationen bzw. Konstellationen. Zwischen – Bewegungen Laclau differenziert dementsprechend zwischen der Dimension des Universalen und der Dimension des Partikularen, die jeweils für sich als Grenzfälle unmöglich sind, jedoch stets in einem Verhältnis zueinander stehen und sich im Vorgang der Signifikation ineinander verschränken.37 Während die universale Dimension insofern unmöglich erreicht werden kann, als sie sich nur aus den jeweiligen Differenzen, die keine totale Fülle erreichen können, zusammensetzt, plädiert Laclau ebenso dafür, die Dimension des Partikularen nicht zu verabsolutieren. Insofern kein notwendiges Verhältnis zwischen den je partikularen Differenzen etabliert werden kann, bleibt die Besetzung der ‚universalen‘ Position umstritten. Die kontingente Beziehung
37 Marchart (2007) schlägt eine genauere Kennzeichnung der Grenzpole des totalen Universalismus bzw. Partikularismus vor: „Das Singuläre und das Absolute sind Namen für jenen Zustand von Partikularität/Universalität, der notwendig unmöglich bleiben muss, um als Möglichkeitsbedingung für das Spiel zwischen dem Partikularen und dem Universalen gelten zu können“ (ebd.: 116). Da sich die signifizierende Logik zwischen den unmöglichen Polen des Universalen und Partikularen ereignet, scheint diese Kennzeichnung nicht nötig. Marchart nutzt diese jedoch, um sich von Sakralisierungen des Singulären abzusetzen.
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der Differenzen eröffnet das Spiel der Differenzen, deren je konkrete Artikulation als Verknüpfung umstritten bleibt und bleiben muss.38 Die unmögliche Besetzung des Universalen bildet den Motor für Kämpfe, die nur vorübergehend und nicht letztendlich beendet werden können.39 Vor dem Hintergrund dieser wesentlichen Umkämpftheit situiert sich jede Artikulation als hegemoniale, d.h. mit Macht- und Geltungsanspruch einhergehende ‚Forderung‘ im Verhältnis zwischen Partikularität und Universalität. Laclau nimmt an dieser Stelle erneut die Figur der unmöglichen Grenzpole auf, die ich bereits für das Verhältnis von Leere–Fülle, für das Verhältnis von Äquivalenz–Differenz oder für das Verhältnis von Universalität–Partikularität dargestellt habe: Er unterscheidet zwischen der ontischen und der ontologischen Ebene. Die ontische Ebene bezieht sich dabei auf je partikularen Differenzen, die in Artikulationen Bedeutungen annehmen können, während die ontologische Ebene die prinzipielle Unabgeschlossenheit jeder artikulatorischen Bemühung, folglich die différance/das diskursive Terrain meint. Jede Artikulation (als Effekt der Äquivalenzierung partikularer, d.h. ontischer Elemente) führe folglich spezifische Markierungen im diskursiven Terrain ein, ohne diesen Raum je durchmessen oder determinieren zu können: „Das Scheitern der ontologischen Absorption des ganzen ontischen Inhalts öffnet den Weg für eine konstitutive ‚ontologische Differenz‘, die Macht, Politik, Hegemonie und Demokratie ermöglicht.“ (Laclau 1998: 251)
38 Die Option für die Demokratie als derjenigen Gesellschaftsform, in der die Anerkennung jeder unmöglichen Identität möglich sei, und die damit einhergehende Platzierung von Totalitarismus als Drohszenario (vgl. bspw. Laclau 2002: 78; Mouffe 2007: 44ff.) ist insofern nicht ganz einsichtig. Insofern jede Hegemonie ihre eigene Unmöglichkeit als Totalität impliziert und von daher Totalitarismus selbst eine unmögliche Universalisierung darstellt, wird auf den endlichen Charakter jedes hegemonialen Charakters per se hingewiesen. So betont Nonhoff, „dass Hegemonien (wie die des Neoliberalismus) stets gegnerische hegemoniale Projekte ermöglichen und provozieren“ (Nonhoff 2007: 14). 39 Laclau operiert für diese ‚Besetzungsversuche‘ auch mit dem Terminus der ‚Inkarnation‘: „Ich verstehe unter ‚Hegemonie‘ ein Verhältnis, in dem ein partikularer Inhalt in einem bestimmten Kontext die Funktion übernimmt, eine abwesende Fülle zu inkarnieren“ (2002: 214).
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Worauf Laclau damit aufmerksam macht, ist, dass sich in jeder Artikulation die ontologische Differenz ein- und fortschreibt. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich die hegemonietheoretische Konzeption des Sozialen im Sinne einer antagonistisch verfassten Bewegung zwischen Partikularem und Universalem als eine Konzeption, die der Figur der unmöglichen aber notwendigen Schließung zentrale Relevanz zumisst: „Hegemonie kann somit definiert werden als eine Theorie der strategischen Züge – und der quasi-transzendentalen Bedingungen, unter denen solche Züge möglich sind – die auf einem grundlosen Terrain geführt werden, das vom Spiel der Differenz ermöglicht wurde.“ (Marchart 2007: 119; vgl. auch Thompson 2007)
Sinn resultiert aus der radikalen, d.h. unaufhebbaren und deswegen konstitutiven, Differenz zwischen ontischen Inhalten (konkreten Differenzen – konkreten Artikulationen) und dem auf ontologischer Ebene unabschließbaren Spiel der Differenzen. Die Differenz zwischen ontisch und ontologischer Ebene unterläuft zugleich jede absolute Bedeutung, sie ist insofern zwar radikal, jedoch als Relation bezogen aufeinander: Jede der beiden Ebenen stellt sich als Unmöglichkeit dar. Erst die Bewegung zwischen ihnen erzeugt die Generativität diskursiver Schließungen, die aus der Unabschließbarkeit ihren Antrieb wie ihr Gewicht erhält. Die auf ontologischer Ebene situierte unaufhaltsame Differenzialität kann nur durch eine supplementierende Bewegung zeitweise ‚formiert‘ werden. Die Figuren, über die Laclau diese supplementierende Bewegung anhand verschiedener Relationen – Äquivalenz–Differenz, Politisch–Politik, Universalität–Partikularität, Ontisch–Ontologisch etc. – formuliert, lassen sich zusammenfassend als Konzept der ‚unmöglichen Schließung‘ begreifen. Laclau optiert mit der radikalen Demokratie-/Hegemonietheorie für ein Denken, dass Öffnung und Schließung des diskursiven Terrains als gleichzeitige und aufeinander bezogene Bewegungen versteht. Die Unmöglichkeit, einen der Pole zu realisieren, d.h. jemals Totalität in irgendeiner Hinsicht etablieren zu können, treibt permanent die Schließung der Offenheit an. Die strukturelle Offenheit unterläuft diese Schließungsbewegung, weil sie konstituiert. Die Machtförmigkeit von Schließungen liegt darin, sich über Ausschlüsse zu etablieren und darüber das diskursive Terrain zu konfigurieren. Die Aufrechterhaltung dieser Konfiguration jedoch wird von ihrer eigenen Unmöglichkeit permanent angefochten.
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Laclau bezeichnet die ontologische Ebene der nicht still stellbaren différance als diskursives Terrain und betont, dass dieses „nicht auf Sprache und Schrift begrenzt ist, sondern alle Signifikationssysteme umfasst. In diesem Sinne ist er [der Diskurs, K.J.] gleichbedeutend mit dem gesellschaftlichen Leben.“ (Laclau 2007: 29)40
Die Bewegung, die Laclau hier vollzieht, analogisiert das Terrain der Diskursivität mit dem Terrain des Sozialen. Mit dem Terminus ‚Terrain‘ wird eine spezifische Qualität des Sozialen aufgerufen, die sich aus dieser ‚Verknüpfung‘ von différance, Signifikation und Sozialität ergibt: Das Soziale wird als Raum des Politischen konzipiert, d.h. als ein Raum, dessen Strukturierung dauerhaft umkämpft ist und einer permanenten Verschiebung unterliegt. Laclau und Mouffe markieren an dieser Stelle eine kritische Absetzung von einem Diskursverständnis, das sie Michel Foucaults Arbeiten zuschreiben. Dessen Perspektive auf Diskursivierungen soll im Folgenden schlaglichtartig aufgeführt werden, um die bisher aufgerufenen Linien der performativen Signifizierung im Modus der Iterabilität als wirklichkeitsstiftendem Modus der Re-Signifizierung mit Figuren Foucaults ins Gespräch zu bringen. Zwischen Erhalt und Umformung: Foucaults Machtanalytik Michel Foucaults Studien im Schnittfeld von Macht, Wissen und Subjektivität interessieren sich für die Wirkmächtigkeit diskursiver Äußerungen.41
40 Der Diskursbegriff Laclaus changiert zwischen diesem Verständnis, das als Kennzeichnung für das Terrain unmöglicher und notwendiger Schließungen dient gegenüber einem Verständnis von Diskurs als Ordnungsprinzips (vgl. etwa Laclau 2002: 67): „Der Diskurs wird die Doppelrolle spielen, von der ich vorher gesprochen habe: sowohl partikularer Füller als auch Symbol der Füllfunktion“ (Laclau 2002: 144). 41 Die Performativität, die Laclau und Mouffe im Artikulationsbegriff implizieren, wird in Foucaults Arbeiten nicht explizit verwendet. Zwar bezieht sich Foucault auf ‚sprachliche Performanzen‘ (1973: 156), situiert diese aber zunächst nur unter dem Aspekt deren Erscheinens. Die setzende, aufschiebende und wirkmächtige Figurierung des sozialen Terrains findet sich jedoch durchaus in den Arbeiten Foucaults: Das Verhältnis von ‚Äußerung‘ und ‚Aussage‘ hebt den artikula-
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Sie fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit, unter denen Gegenstände und Sachverhalte wahrgenommen, Selbstverhältnisse thematisiert, Bezugnahmen hergestellt werden – es geht um die Regeln, unter denen „sprachliche Performanzen“ (Foucault 1973: 156) zur Existenz kommen können. So zeigen etwa Foucaults Studien zur „Geschichte des Begehrensmenschen“ (Foucault 1986: 13), wie sich Individuen als Subjekte ihrer Sexualität etablieren müssen. Die Untersuchungsfrage nach dem Verhältnis von ‚Sexualität und Wahrheit‘ (vgl. 1977, 1986, 1986a) geht von der Produktivität aus, die Ausschlüsse entfalten: Indem Sexualität als ‚unterdrückter‘ und ‚verbotener‘ Bereich aufgerufen wird, generiert eben diese spezifische Form neu ansetzende Redeweisen. Das ‚Verbot‘ ermöglicht und erfordert permanente Versuche, den sich als verborgen, geheimnisvoll und verkannt darstellenden Gegenstand der Sexualität zu ‚befreien‘. Das ausgeschlossene und ausgegrenzte Sprechen über Sexualität liefere den Anreiz zum Sprechen. Der sich auf diese Weise etablierende ‚Wille zum Wissen‘ konfiguriert den Bereich der Sexualität auf eine Weise, die das Sprechen über und Verhalten zu Sexualität immer schon und immer wieder als eine zu bergende Wahrheit, die bisher unterdrückt wurde, platziert. Der Bereich der Sexualität wird an Wahrheit gebunden, und installiert ein Regime des ‚Wahrsprechens‘, das seinen Ausgangspunkt von der Verborgenheit der Sexualität nimmt. Foucault macht darauf aufmerksam, dass die dadurch ermöglichte und erforderliche Produktivität des Sprechens auch ein Verhältnis des Subjektes zu diesem Bereich impliziert. Das Erfordernis, der Sexualität beikommen zu wollen/müssen, ihr eine Wahrheit zuschreiben zu wollen/müssen und sie entschlüsseln zu wollen/müssen, ruft Subjekte an, die diese Aussagen über sich selbst vorzuweisen haben (müssen). Entsprechend erfordert die Untersuchung der als „Hermeneutik des Begehrens“ (Foucault 1986: 12) bezeichneten Figur eine
torischen Aspekt als performative Signifizierung des diskursiven Terrains, d.h. als Konfiguration des Raums von Sag- und Denkbarem hervor (vgl. bspw. Wrana/Langer 2007). Es geht mir an dieser Stelle nicht um eine ‚werktreue‘ Exegese Foucaults, vielmehr um die Verweisungslinien, die zwischen Konzepten wie Performativität, Signifikation, Artikulation und ‚diskursiven Praktiken‘ aufgezeigt werden können.
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„Analyse der Praktiken, durch die die Individuen dazu angehalten worden sind, auf sich selber zu achten und sich als Begehrenssubjekte zu entziffern, anzuerkennen und einzugestehen und damit zwischen sich und sich selber ein gewisses Verhältnis einzuleiten, das sie im Begehren die Wahrheit ihres […] Seins entdecken lässt.“ (Ebd.: 11f.).
Die diskursiven Praktiken versteht Foucault als „Bündel von Beziehungen“ (1973: 108). Damit ist gemeint, dass in der Relation, d.h. in der Beziehungsstiftung von Gegenständen, Begriffen, Subjektpositionen und Strategien ein Verweisungsverhältnis etabliert wird, unter dessen Bedingungen ein Bereich wie derjenige der Sexualität als ‚Gegenstand‘ hervorgebracht werden kann. Diesem Ensemble von Beziehungen gilt der archäologische Blick einer Konzentration auf das faktische Erscheinen von Aussagen, die in ihrer Ereignishaftigkeit und zugleich unter den Bedingungen ihrer Formiertheit in den Blick genommen werden. Die Studien zum Sexualitätsdispositiv enthalten sich einer Untersuchungshaltung, die identifizierend vorgeht (vgl. bspw. Foucault 1986: 314). Foucault wehrt sich vehement dagegen, eine Geschichte des Ursprungs oder des Grundes schreiben zu wollen – die Betitelung der eigenen Arbeit unter dem Stichwort der ‚Archäologie‘ löst sich von der Suche nach fundierenden Ideen, Denksystemen, Ursprungsgeschichten oder Kategorien. Vielmehr untersuche die ‚Archäologie‘ „das schon Gesagte auf dem Niveau seiner Existenz“ (Foucault 1973: 190). Gegenüber einer repräsentationslogischen Perspektive, die das Gesagte als ‚Ausdruck-von‘ einem zugrunde liegendem ‚Eigentlichen‘ fasst, geht Foucaults Untersuchung von der Faktizität des Gesagten aus und „behandelt den Diskurs nicht als Dokument, als Zeichen, für etwas anderes […]; sie wendet sich an den Diskurs in seinem ihm eigenen Volumen als Monument. Es ist keine interpretative Disziplin, sie such nicht einen ‚anderen Diskurs‘, der besser verborgen wäre. Sie wehrt sich dagegen, ‚allegorisch‘ zu sein.“ (Ebd.: 198)
Diese Bewegung auf der ‚Oberfläche‘ des Gesagten enthält sich einer hermeneutischen Suche nach dem Sinn, der aus dem Material sprechen könnte. Foucault interessiert sich für die Möglichkeitsbedingungen des Erscheinens von Aussageereignissen und damit für die ‚Positivität‘ dessen, was im dis-
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kursiven Terrain sagbar ist.42 Unter Bezug auf Nietzsches Überlegungen zur Genealogie, führt Foucault diesen Aspekt weiter, um sich von der Orientierung an Ursprungsgeschichten abzugrenzen und die Rückführung auf einheitliche Gründe zu verwehren. Stattdessen speist sich die genealogische Haltung aus der Annahme, „dass es hinter den Dingen ‚etwas ganz anderes‘ gibt: nicht deren geheimes, zeitloses Wesen, sondern das Geheimnis, dass sie gar kein Wesen haben oder dass ihr Wesen Stück für Stück aus Figuren konstruiert wurde, die ihnen fremd waren.“ (Foucault 2002: 168f.)
Die archäologische Untersuchung diskursiver Praktiken der Hervorbringung von Gegenständen verbindet Foucault mit der genealogischen Anstrengung, jegliche (Selbst-)Gewissheit im Ergebnis solcher Untersuchungen zu verabschieden: „[N]iemals darf sich die Ansicht einschleichen, dass ein Wissen oder eine Macht existiert – oder gar das Wissen oder die Macht, welche selbst agieren würden. Wissen und Macht – das ist nur ein Analyseraster.“ (Foucault 1992: 33)
Die archäologisch-genealogische Analytik situiert diskursive Praktiken mithin „im Spannungsfeld von Regelmäßigkeiten und Ereignishaftigkeit“ (Hanke 2003: 98; vgl. auch Lüders 2004: 128ff.). In seiner Auseinandersetzung mit Kant spricht Foucault (1992) dementsprechend von der Ebene der Archäologie als derjenigen, in der die Analyse sich auf den Übergang von „Akzeptiertheit zum System der Akzeptabilität“ (ebd.: 34) konzentriert. Dabei verweist das Kriterium der Akzeptabilität auf den Punkt, dass ‚Wissen‘ immer unter den Bedingungen von Geltungskraft und Fragen der Legitimität, mithin unter machtvollen Bedingungen, hervorgebracht und zu-
42 Foucaults Arbeiten konzentrieren sich auf ‚historische Epochen‘ und der Raum des Sagbaren wird in der Archäologie unter dem Begriff der ‚Episteme‘ gefasst (vgl. 1973: 272ff.). Die Perspektive auf die Formiertheit und Wucherung von Diskursen lässt sich dennoch auch für begrenztere Untersuchungsfelder aufnehmen. Auch wenn auf diese Weise nicht von den Epistemen einer Epoche gesprochen werden kann, so lässt sich aus der Untersuchung von Hervorbringungsweisen und Figurierungen diskursiver Momente unter der Bedingung ihrer Unkontrollierbarkeit als fixiertem Sinn auch analytisches Potenzial für Untersuchungen kleineren Formats ziehen.
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gleich wirksam ist. Foucault nimmt damit nicht einen neutralen Raum diskursiver Abläufe in den Blick, sondern die spezifischen Bedingungen, in denen ‚Wissen‘ als solches gelten darf und Effekte hat – des Anreizes zum Sprechen, der Anrufung als Subjekt solchen ‚Wissens‘, der (An-)Erkennung und Hervorbringung im Verhältnis zu diesem ‚Wissen‘. Wissensformationen sind demnach niemals indifferent, d.h. sie sind den Bedingungen, unter denen sie erscheinen, nicht entzogen. In seiner Vorlesung stellt Foucault den kantischen ‚Legitimitätsprüfungen‘ der Grenzen und Geltungsgründe von Erkenntnisweisen seine Untersuchungsperspektive der ‚Ereignishaftigkeitsprüfungen‘ gegenüber. Diese fokussieren Gegenstände als ‚Macht-Wissen-Komplexe‘, die den diskursiven Raum konturieren, indem sie mit Geltungs- und Wahrheitsansprüchen einher gehen (vgl. 1992: 29ff.). Bliebe die Untersuchung auf der archäologischen Ebene, unterläge sie der Gefahr, sowohl die Untersuchungsgegenstände zu ontologisieren als auch ein Notwendigkeitsgefüge des Erscheinens von Aussageereignissen zu konstruieren – beides liefe darauf hinaus, dem machtvollen und zugleich nicht-notwendigen Erscheinen der Untersuchungsgegenstände in der Analyse eine komplizenhafte Unterstützung zu gewähren. Foucault stellt der archäologischen Perspektive den genealogischen Einsatz zur Seite, der sich einer vereinheitlichenden, grundlegenden und kausalisierenden Analysehaltung entzieht. Der Regulation des diskursiven Terrains wird eine Analyse ihrer Gegenläufigkeiten und Brüche beigestellt, so dass Foucault Diskursivierung in der Gleichzeitigkeit von Öffnung und Schließung situiert. Die auf diese Weise als ‚strategische Analyse‘ ausgewiesene Arbeit situiert ihren Gegenstand „zwischen Prozesserhaltung und Prozessumformung“ (Foucault 1992: 39). Die Analyse wird mithin von dieser Grenzbewegung zwischen Ereignishaftigkeit und Akzeptabilitätsbedingungen/Formiertheit affiziert. Christiane Thompson diskutiert den Einsatzpunkt der Genealogie dementsprechend als ‚Unruheherd‘, der „Analytik und Strategie, Destruktion und Fabrikation, Unbestimmtheit und Bestimmung“ (Thompson 2009: 171) gleichermaßen impliziert. Die Explikation dieses Verfahrens stellt Foucault in einen Zusammenhang mit der Frage: „Was ist Kritik?“ (1992). Die Analyse diskursiver Praktiken als strategisch-kritische Unternehmung meint dabei jedoch nicht das Hervorheben einer ‚eigentlich anderen‘ Geschichte. Vielmehr situiert Foucault seine Untersuchungsperspektive in der diskursiven Logik der Signifikation zwischen ‚Prozesserhaltung und Prozessumformung‘, demnach
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zwischen der Notwendigkeit und der Unmöglichkeit von Schließungen. Diskursive Praktiken gehen folglich mit Effekten einher: Die Verkettung von Elementen (als ‚Bündel von Beziehungen‘) ereignet sich in einem Terrain, das auf diese Weise performativ hervorgebracht und damit re-etabliert wird. Diskursive, d.h. artikulatorische, Praktiken sind damit stets zugleich hegemonial, d.h. mit machtvollen Geltungsansprüchen einhergehend. Ihre performative, d.h. wirklichkeitsstiftende Qualität liegt in der Konfiguration des diskursiven Raumes, die sich zwischen Setzen und Verfehlen, zwischen den Regulationen der Hervorbringung und der niemals endgültig kontrollierbaren Wucherung diskursiver Momente (vgl. Foucault 1992: 35f.) ereignet. Auf Grund dieser Verweigerung von Ursprungserzählungen und Kausalitätsannahmen situieren sich Foucaults Analysen im Horizont einer Kritik, die sich ihrer Parteilichkeit und Verstricktheit nicht entziehen möchte.43 Damit ist gemeint, dass der analytische Einsatzpunkt von jenen „Beziehungen, die sich immer wieder voneinander loshaken“ (Foucault 1992: 38) genommen wird. Die Analyse bewegt sich demnach zwischen ‚Prozesserhaltung und Prozessumformung‘ – indem sie ihren Einsatzpunkt in diesem ‚zwischen‘ findet und von dessen Logik zehrt. Schließungsbewegungen – Öffnungsbewegungen Hiervon ausgehend wird zur Frage, wie sich Formationen im diskursiven Terrain überhaupt behaupten können – wie lässt sich die machtvolle Wirkungsweise vorstellen, die sich entlang der Bedeutung von Begriffen, der Formation von Gegenständen, der Positionierung von Subjektivitäten und der strategischen Verknüpfung ereignet?
43 Christiane Thompson diskutiert Foucaults Einsatz insgesamt vor dem Hintergrund einer ‚kritischen Ontologie der Gegenwart‘ als eine genuin praktische Arbeit der kritischen Haltung an den ‚Grenzen unseres Seins‘ (Foucault 1990), indem die so verstandene Arbeit gerade nicht zur Ruhe und zum Halt unseres Selbstverständnisses beiträgt (vgl. v.a. 2009: 180ff. sowie 2007a). Sie bezieht sich dabei auf ein Verständnis von ‚Erfahrung‘, „die es einem verwehrt, derselbe zu bleiben, wie bisher oder zu den Dingen, zu den anderen, das gleiche Verhältnis zu unterhalten wie vor der Lektüre“ (Foucault 1996a: 34), das Foucault im Gespräch mit Ducio Trambadori aufruft.
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Foucault schlägt dafür ein Verständnis von Macht vor, dass als relationales Verhältnis „nur kraft einer Vielfalt von Widerstandspunkten existieren“ (Foucault 1977: 96) kann. Die diskursiven Praktiken, die über Ausschließungsmechanismen wie Verbote und Ausgrenzungen zugleich formierend und generativ wirken, werden folglich von ihrer Widerständigkeit und Gegenläufigkeit in den Blick genommen.44 Macht wird folglich stets als ein Verhältnis, eine Relationierung verstanden: „Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“ (Foucault 1977: 94), lautet eine der Formulierungen, mit denen Foucault seinen Machtbegriff umreißt. Macht wird relational gefasst: als mehrpoliges ‚Spiel‘ der Auseinandersetzungen, Bezugnahmen, Verkettungen, Verschiebungen, Brechungen, das hegemoniale Konstellationen hervorbringt. Diese nicht-fixierbaren Konstellierungen sind zugleich Anreizung zur Ausweitung und Ansatzpunkt für Machtbeziehungen. Foucault betont mithin, dass Macht nicht eindeutig direktional zu verstehen sei, sondern gerade und im Besonderen durch die Verästelungen, Widerstände, Gegenkräfte und Konterpunkte ihre Effektivität gewinne. An anderer Stelle situiert Foucault dementsprechend Macht als „Möglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der handelnden Subjekte eingeschrieben hat: sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig, aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte, und dies, soweit sie handeln oder zum Handeln 45
fähig sind.“ (Foucault 1987: 255)
44 Foucault weist in „Die Ordnung des Diskurses“ darauf hin, dass neben Verbot und Ausgrenzung das ‚Regime der Wahrheit‘ einen zentralen Ausschließungsmechanismus darstellt (vgl. 1991: 16f.). Judith Butler weist in kritischer Absetzung zu Laclau darauf hin, dass die Etablierung ‚logischer Möglichkeiten‘ ebenfalls als Ausschlussmechanismus fungiere, insofern Logik nicht deskriptiv und neutral sei, sondern stets über Geltungsansprüche den Raum des Sag- und Denkbaren reguliere (vgl. Butler 1998a: 223f.). 45 Insbesondere an dieser Stelle erörtert Foucault sein Verständnis von Macht als in Verhältnissen agierender Plural – deren Voraussetzung stets die Freiheit des Individuums ist. Machtverhältnisse werden als „Handeln auf das Handeln“ (255) anderer spezifiziert, das unter dem Aspekt der ‚Führung‘ als gleichermaßen ak-
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Bezogen auf das diskursive Terrain, in dem ontisch-partikulare Inhalte in Erscheinung treten können, lassen sich die Perspektiven Laclaus/Mouffes und Foucaults dahingehend zusammenführen, dass sich partikulare, vorläufige Schließungsversuche stets vor dem Hintergrund einer ontologischen Unabschließbarkeit des Spiels von Differenzen ereignen. Nicht nur ist der Ausschluss als konstituierende und ermöglichende Bedingung von Sinn gewaltsam und machtvoll, insofern er sich nicht rechtfertigen lässt.46 Die Operation der Äquivalenz, welche Differenzen und Heterogenitäten bezogen auf dieses Ausgeschlossene in Beziehung zu setzen vermag, lässt sich als machtvolle und gewaltsame Operation verstehen. Zugleich stellen die Effekte der Äquivalenzverkettung, von Elementen des Diskurses zu Momenten des Diskurses, Relationen dar, die gerade nicht neutral einen Raum figurieren: Ihr Gefüge – die hegemoniale Relation im Vokabular der Hegemonietheorie – geht selbst mit Formierungs- und Präskriptionsbedingungen einher. Forderungen, Äußerungen oder Beschreibungen verdanken ihre Existenz demnach nicht allein einer gewaltsamen Formierung, die sie überhaupt als sinnhafte Äußerungen erkennbar macht. Sie gehen stets einher mit Strukturierungen des Terrains, das durch sie konstelliert und konfiguriert wird – sie sind nicht allein ein Effekt diskursiver Verknüpfungen, sondern haben Effekte auf die Konfiguration des diskursiven Terrains – darauf verweist die Bezeichnung solcher Relationen als ‚hegemonial‘: Ihre Artikulation kann nicht getrennt von machtvollen Einsätzen verstanden werden, insofern jede Artikulation den Raum des Sagbaren durch Verknüpfungen diskursiver Elemente zu (verräumlichten und verzeitlichten) Momenten formiert – stets gehen sie mit dem Anspruch auf Geltung einher.
tivierendes ‚Anführen‘ und „Sich-Verhalten in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten“ (ebd.) diskutiert wird. Diese Form des ‚Regierens‘ im Sinne des ‚Gouvernements‘ meint, „das Feld eventuellen Handelns anderer zu strukturieren“ (ebd.). Dieser Aspekt wird für die kritische Haltung des ‚nichtso-dermaßen-regiert-werden-wollens‘ leitend (vgl. 1992: 11f.). Diese (Selbst-) Führungslogik erfährt zudem breitere Rezeptionen im Rahmen der Gouvernementalitätsforschungen (vgl. u.a. Bröckling/ Krasmann/ Lemke 2000; Masschelein/Simons 2005; Weber/Maurer 2006; Bröckling/ Krasmann 2010). 46 Vgl. dazu den Austausch zwischen Judith Butler und Ernesto Laclau zur Frage nach der Legitimität spezifischer Ausschlüsse. Beide betonten die Unbeantwortbarkeit einer solchen Frage (vgl. Butler/Laclau 1998: 238ff.).
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An dieser Stelle lassen sich die vielfältigen Kräfteverhältnisse und Beziehungen, in denen Macht sich zeigen und wirksam werden kann, als hegemoniale Effekte der Verknüpfung diskursiver Elemente verstehen. Diesen Aspekt greifen insbesondere Laclau und Mouffe auf, indem sie das diskursive Terrain als jenes antagonistische Feld figurieren, dass durch strategische Verknüpfungen diskursiver Elemente zu Momenten des Diskurses die Formierungsweise diskursiver Realitäten anzeigt. Der Bezug auf zeichentheoretische Einsichten in die Relationalität als Bedingung des Sinngebungsvorgangs spezifiziert die Vorstellung „des Nexus von Macht-Wissen“ (Foucault 1992: 34), den Foucault für seine Analysen herausarbeitet als „die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden.“ (Foucault 1977: 8)
Diese Operation besteht nicht im willkürlichen Verketten frei flottierender Bedeutungsträger, sondern vielmehr im Ausschluss bzw. negativierendem Bezug auf das Ausgeschlossene. Da jedoch auf ontologischer Ebene kein Verankerungszentrum angenommen werden kann, können ontische Inhalte keine Selbstidentität erlangen. Die Fixierung von Bedeutungen kann nicht erreicht werden, da sie ihre Bedingung in einem nicht vorhandenen Zentrum haben. Dieses konstituierende, leere Zentrum stellt also einen unmöglichen Grund dar, einen ‚Nicht-Ort‘ (Derrida) der dennoch vorläufige Fixierungen und Schließungen erzeugen kann. Foucault fasst diesen ‚Nicht-Ort‘ mit seiner paradoxen Bezeichnung des ‚historischen Apriori‘ (vgl. Foucault 1973: 181ff.; dazu Thompson: 2009: 163ff.). Dieses stellt jenen Nicht-Ort dar, der kein lokalisierbares Zentrum im Sinne eines Ursprungs abgibt, von dem alle Aussageereignisse erklärbar wären. Vielmehr meint dieser NichtOrt des ‚historischen Apriori‘ jene Konfiguration eines hegemonialen Gefüges, in dem Beziehungen zwischen Gegenstandsfigurationen, Begriffsbildungen, Anrufungen von Subjekten und strategische Verknüpfungen im diskursiven Terrain Konturierungen vornehmen, die die Wahrscheinlichkeit anderer Verknüpfungen begrenzen. Die Betonung des ‚historischen‘ – im schrillen Gegensatz eines ‚a priori‘ – verweist auf die Vorläufigkeit, d.h. die machtvoll durchgesetzten und machtwirksamen Geltungsansprüche, mit denen Aussagen einhergehen, die vor dem Hintergrund eines auf eine bestimmte Weise figurierten, umgrenzten und strukturierten Raumes akzeptabel werden. Die paradoxe Figur des ‚historischen Apriori‘ besitzt für Fou-
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caults Argumentationen folglich eine ähnliche Stelle, wie die différance des unschließbaren diskursiven Terrains in der Hegemonietheorie: einen unmöglichen Bezugspunkt, der Öffnungs- und Schließungsbewegungen gleichermaßen erfordert wie verunmöglicht. Am Beispiel des Sexualitätsdispositivs lässt sich dies verdeutlichen: Die Regulation des ‚Wahrsprechens‘ im Modus der Entbergung generiert zugleich ihre eigene Durchkreuzung: Die in jeder Rede über Sexualität erneut hervorzubringende Bindung an den „Begehrens-Wert“ (Foucault 1977: 151) erfordert ständiges Neu-Einsetzen, Befragen und Besprechen der auf diese Weise erneut als ‚hintergründig‘ und ‚geheimnisvoll‘ inaugurierten ‚Wahrheit‘. In diesem Sinne fungiert ‚Sexualität‘ als ein ‚leerer Signifikant‘: Als Knotenpunkt organisiert dieser heterogene Elemente unter der Bedingung des Ausschlusses der Wahrheit (über Sexualität). Die stets neu ansetzende Rede über Sexualität figuriert dieses Sprechen im Modus des ‚Wahrsprechens‘, indem als das Außen dieser Sexualität ihre ‚Wahrheit‘ konstituiert wird. Diese Wahrheit bildet folglich die Möglichkeitsbedingung, überhaupt über Sexualität sprechen zu können und sich selbst als Subjekt der Sexualität (an-)erkennen zu können. Zugleich verunmöglicht sie eine ‚vollkommene Wahrheit‘ und stiftet damit den Anreiz zu immer wieder neuen Besetzungsversuchen, Redeweisen, Sprechen über diese Sexualität. Sowohl ‚das‘ Wissen über Sexualität unterliegt folglich der performativen Bewegung zwischen Setzen und Verfehlen, und damit der supplementären Logik des Besetzungsversuchs eines ‚zweiten‘ Ursprungs, wie das so angerufene Subjekt des Begehrens (im doppelten Genitiv) in der Verfehlung ‚der Wahrheit‘ seiner Sexualität zugleich den Anreiz für erneute Besprechungsversuche erhält und generiert.47 Die Reglementierung und
47 Der Zusammenhang zeichen- und diskurstheoretischer Ansätze wird verschieden diskutiert: Während einerseits der Foucaultschen Perspektive vorgeworfen wird, auf der Abgeschlossenheit und Homogenität des Diskurses zu bestehen und sich der polysemischen Qualität des Sprechens zu sperren (vgl. Sarasin 2006, insbes. 65ff.), sehen andere Positionen in der Foucaultschen Fassung der ‚Äußerung‘ eine Reformulierung des Iterabilitätskonzepts im diskurstheoretischen Vokabular (vgl. bspw. Wrana 2006: 127ff.; Wrana/Langer 2007). Für den vorliegenden Zusammenhang ist die ‚korrekte‘ Einordnung Foucaults weniger von Belang. Mich interessiert vielmehr das analytische und theoretische Potenzial der vorgestellten Ansätze. Meine Diskussion dieser Positionen bedient sich
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Formierung subjektiver Positionen, subjektiver Selbstverständnisse, von Selbstthematisierungsweisen und Selbsttechnologien verweist folglich auch auf die Mächtigkeit des Sprechens im Namen der Sexualität, deren Wahrheit gesucht werden muss und stets erneut aufgeschoben wird. Die Formierung hegemonialer Relationen durch den Ausschluss anderer Elemente, die Ähnlichkeiten und Verhältnisse zwischen Elementen ermöglichen und somit Knotenpunkte bilden, an die sich andere Elemente angliedern lassen, verdeutlicht somit in spezifischer Weise die Operationsweise des Diskurses, seine Etablierung und zugleich seine Grenzen: Die ‚Stabilität‘ jeder diskursiven Formation hängt von der Operation des Ausschlusses ab, konstituiert sich nur über das Außen, von welchem es jedoch insofern stets affiziert wird, als dieses Außen verhindert, dass sich ein Diskurs vollständig schließen kann. Artikulationen ereignen sich mithin nicht auf der Basis eines bereits etablierten diskursiven Terrains, vielmehr muss jede Artikulation das diskursive Terrain erneut formieren – sie unterliegt der iterativen Logik jeder Signifikation. Die Machtförmigkeit von Schließungsbewegungen – artikulatorische/ diskursive Praktiken – besteht folglich in ihrer Konstitution via Ausschluss anderer möglicher Verknüpfungen. Artikulationen konturieren damit auch das diskursive Terrain, indem sie die Wahrscheinlichkeit des Erscheinens anderer Verknüpfungen präfigurieren – sie umgrenzen den Raum des Sagund Denkbaren auf je spezifische Weise. Artikulationen lassen sind damit als performative Setzungen verstehen, die mit einem Geltungs- und Wahrheitsanspruch einhergehen, sie ereignen sich stets im Spannungsfeld zwischen Signifikation und Resignifikation. Laclau erarbeitet dabei eine Figur der ‚Bewegung im zwischen‘, deren spezifische Qualität er unter Rückgriff auf rhetoriktheoretische Argumente entfaltet. Dieser Spur soll im Folgenden nachgegangen werden.
dabei – strategisch – der Unabgeschlossenheit dessen, was unter dem Signifikanten ‚Foucault‘ oder ‚Laclau/Mouffe‘ verstanden werden kann.
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1.4. T ROPOLOGISCHE B EWEGUNGEN : F IGURATIVER S INN Gegenüber einer vermeintlichen Neutralität von Begriffen und Kategorien markierte die Rhetorik stets eine an der Wirkmächtigkeit und Effektivität der Rede interessierte Perspektive (vgl. bspw. Haverkamp 1998; SchmidtHaberkamp 2007). So fragt Judith Butler an einer Stelle bezogen auf die Subjektwerdung: „Inauguriert die Unterwerfung in irgendeiner Weise die Tropologie, oder spielt die inaugurative Arbeit von Tropen bereits notwendig eine Rolle, wenn wir uns die Entstehung des Subjektes erklären wollen?“ (Butler 2001: 10)
Ähnlich versteht Ernesto Laclau den Bereich der Rhetorik als wesentlichen Referenzhorizont bezogen auf das Denken des Sozialen: „In diesem Sinne überschreitet eine generalisierte Rhetorik – welche notwendigerweise die performative Dimension mitbeinhaltet – alle regionalen Grenzen und wird gleichbedeutend mit der Strukturierung des sozialen Lebens selbst.“ (Laclau 2001: 147)
Die Rhetorizität des Sprechens interessiert Laclau vor allem im Hinblick auf die Gleichzeitigkeit von Öffnung und Schließung im Signifikationsvorgang (vgl. Laclau 2007: 29f.).48 Insbesondere nimmt er auf die rhetorische Figur – den Tropus – der Katachrese Bezug und betont „dass es sich bei der Katachrese nicht um eine spezifische Trope handelt, sondern dass sie in allen Tropen vorhanden ist und die Rhetorizität als solche auszeichnet.“ (Laclau 2007: 30)
Gerald Posselt (2005) stellt in seiner Untersuchung zur ‚Rhetorik des Performativen‘ den Tropus der Katachrese in den Mittelpunkt. In einer ersten Annäherung spricht Posselt von einer „erzwungenen, notwendigen Metapher“ (2005: 9), so dass sich die Metapher auf die Übertragung eines vorhandenen Ausdrucks auf einen anderen Sachverhalt bezieht, während die Katachrese einen Ausdruck setzt, für den es noch keine Bezeichnung gibt (Tischbein, Gebäudeflügel). Das Unterscheidungskriterium bezieht sich
48 Vgl. zum Status der Rhetorik in den Ansätzen Laclaus und Mouffes: Hetzel (2007) sowie zum Verhältnis vom Performativität und Rhetorik: Hetzel (2003).
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demnach auf die „An- oder Abwesenheit eines ursprünglichen eigentlichen Ausdrucks“ (ebd.: 18, vgl. auch ebd.: 200). Posselt verdeutlicht in seinem Gang durch die Geschichte der Rhetorik anhand der Situierung der Katachrese, dass diese eine doppelte Bewegung kennzeichnet: Einerseits stelle sie eine Figur der Rhetorik dar, die sich auf das Verhältnis zum eigentlichen Ausdruck bezieht, welcher durch die Metapher substituiert, im Falle der Katachrese erst konstituiert werde. Andererseits jedoch verweise die Geschichte der Katachrese auf die Unabschließbarkeit des rhetorischen Systems und damit auch auf die Unterminierung jedes stabilen Sinnes im Signifikationsvorgang (vgl. Posselt 2005: 18). Bereits die Trennung von eigentlichem Ausdruck und uneigentlicher Figurierung wird durch den Tropus der Katachrese gesprengt, wie Posselt am Beispiel des Ausdrucks ‚Zeitverderb‘ bei Aristoteles aufzeigt: Dieser resultiere nicht einfach aus einer Übertragung oder einem Austausch, sondern werde ‚gefunden‘, weil es für diesen Sachverhalt keinen ‚besseren‘ Ausdruck gibt: „Kurz, die Katachrese ist ein eigentlicher Ausdruck, da es keinen anderen Ausdruck gibt, der eigentlicher wäre, und doch ist sie figurativ, da sie immer auf einer tropologischen Bewegung basiert.“ (Ebd.: 19)
Die katachrestische Bewegung resultiert folglich aus der Notwendigkeit, überhaupt eine Bezeichnung finden zu müssen. Im Akt der ‚Erfindung‘ einer Bezeichnung wird die Katachrese in ihrer Qualität als performative, d.h. setzende und wirklichkeitsstiftende, Bewegung deutlich: „In der Tat ist die Katachrese immer (auch) ein Verfahren der Benennung: sie benennt das, was (noch) keinen eigenen Namen in der Sprache hat.“ (Ebd.: 20)49
Der Name: Bezeichnende Setzungen An eben diesem Punkt der Benennung und des Namens lässt sich die Rhetorizität des Sprechens und deren politische Implikationen verdeutlichen. Über die Frage des Verhältnisses von eigentlichem und übertragenem bzw. ausdrücklichem und figurativem Sinn hinausgehend, stellt die Katachrese die Setzung eines Namens dar, der sich nicht auf das Kriterium der Adäquatheit der Bezeichnung gegenüber dem Bezeichneten beziehen kann. Der Signifikant – der Name – stellt vielmehr die diskursive Konstruktion des
49 Vgl. auch Laclau (1998: 260f.); Butler (1998: 265; 2006: 52ff.); Laclau (2002).
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durch ihn bezeichneten Sachverhaltes dar und etabliert auf diese Weise ‚Identität‘, wie Posselt im Anschluss an Laclau bemerkt: „Der sprachliche Akt der Benennung wird als diskursive Praxis verstanden, die den Anschein einer Einheit und Identität dessen hervorbringt, was sie benennt, und dadurch als einheitliche, in Zeit und Raum identische Entität intelligibel macht.“ (Posselt 2005: 22)
Insofern die direkte Referenz auf das Objekt der Bezeichnung nicht möglich ist, referiert der Name nicht auf eine Einheit des Bezeichneten. Vielmehr wird in der Namensgebung diese Einheit erst gestiftet – als nachträglicher Effekt der Benennung. So weist Laclau in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass der Name das Ding begründet“ (Laclau 2002: 33). Gleichwohl mithin der Name bzw. die Bezeichnung sich weder notwendig aus der Referenz auf einen Sachverhalt ergibt noch in logischer oder begrifflicher Ableitung durch Übertragungen, Verallgemeinerungen oder Analogien ergeben kann, besteht dennoch die Notwendigkeit zu bezeichnen. In diesem Sinne lässt sich die katachrestische Setzung als supplementierende Bewegung des Hinzufügens, wo es bereits Bezeichnungen gibt, verstehen. Dieses Supplement geht mit der Tendenz einher, sich als ersten Ursprung zu situieren – als Beginn des Wortes und als Grund. Das sich auf einen fehlenden Grund beziehende Supplement erklärt zudem, inwiefern die Katachrese als ‚notwendig‘ und ‚erzwungen‘ erscheinen muss. Auch hier verdeutlicht sich erneut der nicht in einer Logik der Repräsentation aufgehende Status von Sprache: Repräsentation stellt sich als unmögliche und nachträgliche Figur eines sich erst in der Repräsentation konstituierenden Zusammenhangs (Name und Objekt) dar. Die notwendige Bezeichnung ereignet sich gleichermaßen konstituierend und subvertierend. Judith Butler weist in diesem Zusammenhang auf die unmögliche Referenz des Subjektes auf sich selbst hin. Butler fragt, inwieweit die Um-Wendung des Subjekts zur Anrufung als tropische Geste verstanden werden kann, insofern deren Effekt – das Subjekt – aus der Verbindung von sprachlicher Konstitution und subjektiver ‚Wendung‘ resultiere, mithin das Subjekt selbst als jene unmögliche Figur erscheine, die tropologischen Charakter habe (vgl. Butler 2001: 187f.). Eine Abgrenzung des figurativen von einem eigentlichen Sprechen wird somit insbesondere durch die Figur der Katachrese irritiert: Eigentlicheres als der sich aus dem Zwang und der Notwendigkeit von Benennung ergebende Ausdruck kann nicht gefunden werden – jedoch stellt
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eine solche Bezeichnung sich zwischen die Differenz von eigentlicher und figürlicher Rede: „Indem die Katachrese sich der Opposition zwischen eigentlicher und übertragener Bedeutung entzieht, nimmt sie eine Zwischenposition ein und steht für die Möglichkeit und das Versprechen, dass eine neue Art eines eigentlichen Sinns produziert werden kann. Doch wenn es prinzipiell möglich ist, einen neuen eigentlichen Sinn hervorzubringen, dann ist zu vermuten, dass es vielleicht niemals einen eigentlichen Sinn gegeben hat.“ (Posselt 2005a: 384)
Insofern die Bewegung der Katachrese sich auf die Lücke im sprachlichen System bezieht, für die noch keine Bezeichnung vorhanden ist, lässt sich folglich auch keine Geschichte der Sprache annehmen, die lediglich bei Bedarf erweitert werde (vgl. Posselt 2005: 203ff.). Gegenüber dieser essenzialisierenden Perspektive auf die Polysemie (Bedeutungsvielfalt) von Sprache, tritt deren Charakter der Dissemination (Bedeutungsoffenheit) hervor. Diese Argumentation lässt sich unter Rückgriff auf Laclaus Überlegungen im Anschluss an Paul de Man verschärfen. Laclau diskutiert die Verhältnisse von Metonymie, Metapher und Katachrese bezogen auf das diskursive Terrain unabschließbarer Bedeutungen. Dabei diskutiert er die artikulatorische Praxis der Bedeutungsgebung als gleichzeitige Bewegung der Öffnung und Schließung anhand der Tropen Metonymie und Metapher: Metonymische Verschiebungen stellen äquivalenzierende Analogiebildungen der Öffnung dar, während metaphorische Ersetzungen die Bewegung der Schließung anzeigen. Die Möglichkeit von Bedeutungen ergibt sich folglich daraus, mittels metonymischer Verschiebungen Verknüpfungen so figurieren zu können, dass ihre Gemeinsamkeit durch eine metaphorische Ersetzung ‚repräsentiert‘ werden kann. Laclau hebt dabei hervor, dass eine prinzipielle Unentscheidbarkeit für einen dieser Pole angelegt ist und gerade darin die Bedingung der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Bedeutungen liegt. „Dieser Vorgang genereller Rhetorisierung findet nur statt, soweit keine der Bedingungen, unter denen jede Trope das werden würde, was sie wörtlich zu sein behauptet, erfüllt ist.“ (Laclau 2001: 170)
Die Grenze, die zwischen Rhetorik und Wörtlichkeit, zwischen Metonymie und Metapher, zwischen Innen und Außen verläuft, unterliegt der Signifikationslogik des diskursiven Terrains, d.h. sie verschiebt sich mit jeder Ar-
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tikulation, ihr Verlauf ist nicht letztgültig abgesteckt. Darin liegt nicht nur die Bedingung der Möglichkeit verschiebender und ersetzender Figurierungen des diskursiven Terrains, folglich jeder Bedeutungsgebung, sondern zugleich auch die Unmöglichkeit, Bedeutungen vollends zu schließen: „Die Bedingungen ihres vollen Erfolgs sind die Bedingungen ihrer Auslöschung“ (Laclau 2001: 170). Die rhetorischen Figuren der Metonymie, Metapher und Katachrese situieren sich dabei in einem Spannungsfeld gegenseitiger Verweisung und Abgrenzung, die sich nicht zu einer Seite hin auflösen lassen. Dies bedeutet, dass auch zwischen Polysemie und Dissemination kein radikal differentes Verhältnis bestehen kann: Ihre Grenze kann nicht eindeutig aufrecht erhalten werden. Die Argumentation Laclaus verwendend, ließe sich darauf hinweisen, dass reine Polysemie den Raum der Bedeutungen begrenzt hält, indem dieser Raum an einem (wenn auch theoretischen) Punkt erschöpft wird – reine Dissemination hingegen käme der Unmöglichkeit von Bezeichnungen gleich, insofern Markierungen im Raum differenter Elemente in ihrer Unkontrollierbarkeit nicht vorgenommen werden könnten. „Es ist, als ob die Bedingungen für eine Rhetorik – deren tropologische Bewegungen das Terrain eines Grundes bilden, der selbst nicht gegründet ist – in der Unmöglichkeit gefunden werden können, die Definition von jeder einzelnen Trope wörtlich zu nehmen, und in der Notwendigkeit, die Logik zu betonen, mit der sie dazu tendieren, ineinander überzugehen. Dasselbe gilt für die Hegemonie: Die Bedingungen ihres vollen Erfolgs sind die Bedingungen ihrer Auslöschung.“ (Laclau 2001: 170)
Die Möglichkeit der Bezeichnung hängt mithin von der Bewegung zwischen Polysemie und Dissemination ab, die gerade nicht still gestellt werden kann – diese Bewegung hat zugleich zur Bedingung ebenso wie als Effekt die machtvolle (unter der Bedingung von Ausschlüssen sich etablierende) Qualität jedes Sprechens.50 „Wenn Metonymie nur Metonymie wäre, sollte ihre Grundlage eine Kontiguität sein, die nicht durch Analogie kontaminiert ist, und in diesem Fall würden die wört-
50 Laclau entfaltet dieses Argument am deutlichsten im Anschluss an rhetoriktheoretische Argumente Paul de Mans (2001) und im Anschluss an die Signifikationstheorie Ferdinand de Saussures (2002: 65ff.).
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lichen Trennungen in einem gegebenen diskursiven Raum die Grenzen der metonymischen Bewegung gänzlich kontrollieren. Wenn Analogie unbestritten herrschte, hätte eine volle Totalisierung stattgefunden, welche die Analogie in Identität kollabieren ließe – und die tropologische Bewegung würde aufhören. Wenn die Synekdoche tatsächlich in der Lage wäre, das Ganze durch den Teil zu ersetzen, würde das bedeuten, dass das Ganze unabhängig vom Teil aufgefasst werden könnte. Wenn Katachrese auf einer tropologischen Bewegung begründet werden könnte, die von totaler Heterogenität ausgeht, könnte sie nur stattfinden, sofern die Unterscheidung zwischen dem Homogenen und dem Heterogenen mit strikter Präzision etabliert würde.“ (Laclau 2001: 170)
Füllung oder Konstitution der Leere? Diese Figur der Bewegung zwischen Setzung und Verfehlung, Öffnung und Schließung entwickelt Posselt an anderer Stelle zum Gedankengang weiter, dass die katachrestische Bezeichnung sich nicht nur auf einen Mangel und eine Lücke im sprachlichen Repertoire beziehe, sondern diese selbst erst konstitutiere. Um dies zu verdeutlichen, macht Posselt einen Gang durch die Linien der Figur des ‚Vatermordes‘ (frz. parricide), die in der Tradition der Rhetorik stets eine besondere Rolle gespielt habe. Zunächst bezeichnete sie denjenigen, der den Vater ermordete, dann schließlich jedoch auch die Mörderin der Mutter, anderer Verwandter oder heiliger Personen. Zugleich bezeichne das französische parricide auch den Akt an sich: den Vatermord. Für die katachrestische Bewegung im ‚Vatermord‘ lässt sich demnach nicht genau bestimmen, worin das Verhältnis von Bezeichnung und Geschehen besteht: Die Figur der parricide enthält sowohl eine metonymische Verschiebung und metaphorische Ersetzung der Übertragung vom Täter (als Ursache) auf die Tat (die Wirkung) als auch eine metonymische Verschiebung des Rückschlusses von der Handlung auf eine Ursache. „Wenn aber nicht entschieden werden kann, was zuerst war, der Täter oder die Tat, dann ist die Katachrese nicht nur doppelt figuriert (metaphorisch und metonymisch), sondern dann besteht auch die Gefahr, dass sie alle Oppositionen – nicht nur die von eigentlich/uneigentlich, wörtlich/figuriert, sondern auch die von bewusst/unbewusst, Freiheit/Notwendigkeit – kollabieren lässt.“ (Posselt 2005: 207)
Nicht allein aus dieser Spannung, die sich aus der unmöglichen Situierung der Katachrese innerhalb und außerhalb des rhetorischen Systems und des rhetorischen Vokabulars ergibt, lässt sich eine spezifische Bedeutung des
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Vatermordes als „Katachrese par excellence“ (ebd.: 140) erkennen. Unter Bezug auf Quintilian zeigt Posselt, das in der parricida sowohl griechische als auch lateinische Wurzeln sowie beide Geschlechterformen ineinander fließen – die Bestimmung des ursprünglichen Verwendungszusammenhangs demnach unentscheidbar sei. Das katachrestische Moment sei folglich weniger in der Übertragung des Mordes am Vater auf die Ermordung anderer zu sehen, sondern in der Verbindung des Mordes mit dem Vater – der Etablierung des Vaters. „Die Leistung der Katachrese ist folglich nicht, dass sie – ausgehend von einem proprium – das benennt, was noch keinen Namen in der Sprache hat, sondern dass sie dieses proprium überhaupt erst konstituiert und institutionalisiert, indem sie es als das Eigenste, Eigentlichste und Ursprünglichste, das heißt in letzter Konsequenz als Vater figuriert und setzt.“ (Ebd. 140)
Insofern sei der sich in der Katachrese als ‚Ursprung‘ darstellende, durch den Mangel einer Bezeichnung ‚erzwungene‘ Bezeichnungsvorgang die gleichzeitige Hervorbringung dieses Mangels – eines Grundes, der nur als abwesender adressiert werden kann – zu verstehen. „Anders gesagt, die An- oder Abwesenheit eines eigentlichen Ausdrucks ist immer schon eine Sache der Vergangenheit. Vielleicht könnte man sogar so weit gehen zu sagen, dass die lexikalische Lücke, der Mangel eines eigenen, eigentlichen oder ursprünglichen Ausdrucks bereits die Wirkung einer retroaktiven Setzung ist. Die Katachrese wäre dann nicht einfach die Supplementierung eines Mangels, der als solcher vor und außerhalb der Sprache existiert, sondern die Katachrese selbst würde diesen ‚Mangel‘ überhaupt erst konstituieren und im Raum der Sprache intelligibel machen.“ (Ebd.: 139)
Missbräuchliche Fehlaneignungen Die Katachrese wird auch als missbräuchliche Metapher bezeichnet – insofern diese einen bestehenden Ausdruck zur Bezeichnung von etwas, für das es noch keinen Ausdruck gibt, verwendet. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, rekurriert Gerald Posselt auf Austins Versuch, eine spezifische Form von Sprechakten zu diskreditieren: Jene Sprechakte, in denen zwar eine Handlung vollzogen wird, die Sprechende den im Sprechakt artikulierten Sinn jedoch nicht authentifiziert, wie im Falle eines nicht eingehaltenen Versprechens. Die Aussage „Hiermit verspreche ich, dir immer treu zu
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sein“ kann in Austins Augen nur dann als gelungenes Performativum gelten, wenn sowohl das Versprechen aufrichtig gegeben als auch darauf hin als Versprechen bindend eingehalten wird. Trifft eine der beiden Bedingungen nicht zu, stellt dies in Austins Augen einen Missbrauch dar. Austins Versuch, diese Form als ‚Missbrauch‘ in seiner Theorie der Sprechakte zu situieren, untersucht Posselt nun als „Sprechakt par excellence“ (ebd.: 213): Indem Austin einerseits bestimmte Fälle von Performativa mit einer Bezeichnung versieht, vollziehe er den performativen Sprechakt der Taufe. Andererseits verweise seine Befürchtung, die Begriffe könnten mehr leisten, als er beabsichtigt habe, darauf, dass der „Versuch, von einem Signifikanten Besitz zu ergreifen und von diesem Gebrauch zu machen, […] nicht zu trennen [ist] von dem Umstand, dass man durch diesen Signifikanten selbst schon in Gebrauch genommen ist.“ (Ebd.: 234)
Insofern Austin die Eindeutigkeit seiner Begrifflichkeit nicht garantieren oder kontrollieren könne, indem er einen Ausdruck verwendet für einen Fall von Sprechakten, die noch keinen Ausdruck haben, vollziehe er das performative Verfahren der Benennung – in der missbräuchlichen Form, die er im selben Moment zu benennen versucht: „Der Verstoß gegen die Regel, deren Beachtung nach Austin die notwendige Bedingung für das Glücken einer performativen Äußerung ist – jedoch nicht für das Zustandekommen der Handlung selbst –, kann nur durch einen Verstoß gegen genau diese Regel benannt und mit Namen genannt werden.“ (Ebd.: 213)
Der Missbrauch des Verfahrens stellt sich demnach nicht als Ausnahmefall, sondern als grundlegender Modus des Sprechens – „in der Subversion des Bezeichnungsprozesses selbst“ (Laclau 2002: 69) – dar. Die katachrestische Bewegung ist folglich konstitutiv für Signifikationsprozesse, während sie zugleich verhindert, dass die Bedeutungskette auf ein Letztes bzw. Eigentliches (auf den Taufakt der Benennung) zurückführbar wäre. Judith Butler (2006) spricht in diesem Sinne von Fehlaneignungen, die sich auf die missbräuchliche Verwendung von Begriffen beziehen und korreliert diese katachrestische Bewegung sowohl mit dem Verfahren der Dekonstruktion als auch dem Programm einer ‚Politik des Performativen‘.51
51 Vgl. insbes. Butler (2006), sowie mit Bezug auf Gayatri Chakravorty Spivak: „Katachrestische Effekte im politischen Diskurs sind nur möglich, wenn Begrif-
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So verwendet Judith Butler die Figur ‚Wende‘ als tropologische Bewegung im Zusammenhang der performativen Hervorbringung des Subjektes und verweist auf die figurative Qualität von Sprache (2006: 18f.). Diese ereignet sich im Modus des performativen Sprechakts der Wirklichkeitskonstitution. Anrufungs- und Anerkennungspraktiken verlaufen nicht eindirektional, sondern als metaleptische Bewegungen, die Direktionalität hervorbringen: eine Geschichte des Subjekts, die nicht erzählt werden kann. Insofern sowohl die Markierung im Terrain der Differenzen als gewaltsame, erzwungene und missbräuchliche Verknüpfung von Signifikanten verstanden werden muss, als auch zugleich darin die Bedingung der Möglichkeit von Signifikation überhaupt besteht, lässt sich für ein ‚kritisches‘ Sprechen kein moralischer Mehrwert in Anspruch nehmen: Jedes Sprechen ereignet sich über Ausschlüsse und die erzwungene, gewaltsame Verbindungen von Signifikanten, so dass auch ‚kritisches‘ Sprechen seine Wirkungen und Platzierungen nicht absehen kann. Das Versprechen der performativen Äußerung, auf das Judith Butler verweist, wäre folglich stets „zuerst ein katachrestisches Versprechen, d.h., nicht ein Versprechen einer gesicherten Identität und Kontinuität, sondern das Versprechen eines fortgesetzten Neuanfangs.“ (Posselt 2005a: 386)
Es lässt sich nun genauer sehen, inwiefern die katachrestische Bewegung die Iterabilität des Zeichens spezifiziert: Bedeutung ergibt sich nach den vorliegenden Überlegungen nur aus der Differenz zu anderen Zeichen. Ihre Relation innerhalb einer Kette bzw. eines Feldes von Differenzen etabliert den Wert eines Zeichens. Der bedeutende Wert des Zeichens ergibt sich weder aus der Referenz auf das Bezeichnete, insofern dies selbst als Referenz im Sprechen hervorgebracht wird, noch aus der logischen Relation zu anderen Zeichen. Das Zeichen existiert innerhalb der Kette von Zeichen, jedoch ist es zugleich konstitutiv differentiell, insofern es stets die Bewegung der Katachrese als Konstitution des Mangels nachvollziehen muss – es stets aus der Kette herausgelöst werden kann und andere Werte annehmen kann. Die Katachrese stellt in dieser Perspektive tatsächlich keine rhe-
fe, die traditionell in einer bestimmten Weise bezeichnet haben, für andere Zwecke fehlangeeignet werden“ (ebd.: 226). Außerdem jüngst in Bezug auf die radikale Demokratietheorie und den Zusammenhang von hegemonialen Relationen und Resignifikation: Butler (2009: 353ff.).
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torische Figur unter anderen dar, vielmehr bezieht sie sich auf das Moment der supplementierenden ‚Aufpfropfung‘. Es etabliert und iteriert den Mangel eines fehlenden Zentrums, auf den sich jede Bezeichnung bezieht. Posselt verweist dementsprechend „auf den konstitutiven Charakter katachrestischer Bezeichnungsprozesse sowohl für die Formierung des Subjekts als auch für das Feld des Sozialen.“ (Posselt 2005: 210)
Ernesto Laclau betont jedoch an dieser Stelle, die Rhetorizität gerade nicht als ‚die‘ eine Perspektive auf das Soziale mit einem Wahrheitswert aufzuladen: Er hebt hervor, dass Rhetorizität nicht strikt wörtlich zu nehmen sei, sondern „vom Aufrechterhalten eines unstabilen Gleichgewichts“ (ebd.: 159) zwischen Rhetorizität und Wörtlichkeit abhängig sei – worin Laclau die Bedingung für die Möglichkeit hegemonialer, d.h. vorläufig schließender Bewegungen verortet (vgl. Laclau 2001: 170f.). Aus der tropologischen Verwiesenheit einer unmöglich ‚reinen‘ Rhetorizität und einer unmöglich ‚reinen‘ Wörtlichkeit entwickelt Laclau eine Perspektive auf die Relationalität des Sozialen: Ebenso wie Universalität und Partikularität unmögliche Pole bilden, bilden die Rhetorizität und die soziale Wirklichkeit keine ‚reinen‘ Pole, die aus sich heraus bestehen würden. Vielmehr hebt Laclau über verschiedene Figuren hinweg hervor, dass es die Unauflöslichkeit zu einem der Pole hin ist, d.h. deren permanente Verwiesenheit aufeinander, aus der jede Bedeutung resultiert. Wird mithin im Folgenden auf metaphorische, metonymische oder katachrestische Bewegungen Bezug genommen, so unter der Prämisse, diese nicht als ‚reine‘ Unterscheidungen zu etablieren, sondern vor dem Hintergrund einer notwendigen und zugleich unmöglichen Grenze, die zwischen diesen leeren Begriffen verläuft und die Bewegung der Signifikation antreibt.
1.5. U NMÖGLICHE S CHLIESSUNGEN : R ELATIONALE S OZIALITÄT Das Aufrufen einiger Elemente unter dem Namen ‚poststrukturalistisch‘ firmierender Perspektiven lässt sich so zusammenfassen, dass Bedeutungen und Sinn nicht vorliegen, sondern hervorgebracht werden. Die praktische Logik dieser performativen Bewegung der Wirklichkeitsstiftung resultiert aus der Unabgeschlossenheit von Bedeutungen. Diese Unabgeschlossenheit
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wirkt generativ, insofern sich permanente Schließungsbewegungen auf sie beziehen, ihre Schließung jedoch nicht vollends fixieren können. Die Praxis der Bedeutungsgebung wird ermöglicht und durchkreuzt durch den differentiellen Wert von Zeichen, die sich auf dem Boden des diskursiven Terrains, das radikal heterogen und antagonistisch verfasst ist, in einem unendlichen Spiel befinden. Muss ein Zeichen mit anderen Zeichen in Konstellationen auftreten können, um zu bedeuten, dann besteht diese Möglichkeit jederzeit und ein Zeichen kann nicht auf einen Kontext festgelegt werden. Der unmögliche Rückgang auf einen Ursprung von Bedeutungsketten bleibt dauerhaft verwehrt, insofern im Signifikationsprozess zugleich die Leere (eines ankernden, fixierenden Zentrums), auf den sich die Bezeichnung bezieht, als auch die ‚unmögliche‘ Fülle dieser Leere reiteriert werden. Bezeichnungen und damit Signifikantenketten supplementieren dieses Zentrum, indem sie Verknüpfungen etablieren, die nur vorläufig als ZeichenKonstellationen Bestand haben, insofern sie wiederholt werden müssen – zugleich re-etablieren diese eine Lücke, auf die hin einsetzend sie sich beziehen. Insofern jedoch auch keine Signifikantenkette diese evozierte Lücke schließen kann, schreibt sich die disseminative Qualität sozialer Wirklichkeit in jedem Signifikationsprozess erneut fort. Auf diese Weise lässt sich jeder Signifikationsvorgang stets als Re-Signifikationsvorgang vorstellen – dem iterativen Neu-Ansetzen unterworfen, welches Identität nicht konstituieren kann, sondern stets erneut artikulieren und hervorbringen muss. Jede unmögliche und zugleich notwendige Bewegung der Schließung im unabschließbaren Terrain – jede Artikulation – lässt sich mithin als eine katachrestische Bewegung verstehen, als erzwungene und notwendige Bezeichnung, da kein ein-eindeutiger Referenzpunkt verfügbar ist. Die Relation diskursiver Elemente, ihre Verknüpfung zu Momenten im diskursiven Terrain, vermittelt sich mithin in der performativen Bewegung zwischen Setzung und Verfehlung. Diese wird ermöglicht durch konstituierende Ausschlüsse, folglich durch gewaltsame, nicht-notwendige Verknüpfungen etablierende Konstellationen. Diese Konstellationen figurieren das diskursive Terrain und etablieren das Sag- und Denkbare durch Aus- und Umgrenzungen, vor deren Hintergrund soziale und subjektive ‚Identitäten‘ sich ereignen können. Das Potenzial der diskurstheoretisch-rhetorisch orientierten Perspektiven für empirische Analysen lässt sich dahingehend schärfen, auf die Kons-
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titutionslogiken und Hervorbringungsweisen von Gegenständen zu fokussieren. Dabei wird jedoch nicht die konstituierte Entität des diskursiven Terrains, seiner Elemente und der darin figurierten Bedeutungen in den Blick genommen, sondern diese hinsichtlich ihrer Unabgeschlossenheit fokussiert. Relevant werden mithin nicht allein die Konstitutionsweisen, unter denen Gegenstände als ontische Inhalte in Erscheinung treten. Vielmehr ist für die analytische Perspektive die rhetorisch-tropologische Qualität dieser Inhalte im Changieren zwischen Bestimmung und Unbestimmbarkeit, zwischen Öffnung und Schließung bedeutsam. Die rhetorisch-diskurstheoretische Perspektive interessiert sich weiter noch für die Unausgefülltheit und Beweglichkeit von Signifikanten, die spezifische Verknüpfungen eingehen können, um jeweils ver- und aufschiebend zu artikulieren, was unter ‚Liebe‘, ‚Verliebtheit‘ oder ‚Unbestimmtheit‘ gefasst werden kann. Einsätze im rhetorisch-diskursiven Terrain sozialer Wirklichkeit erfordern für empirisches Arbeiten darüber hinaus die Reflexion auf den Status der sich als notwendige aber unmögliche Schließungen darstellenden Analyse-‚Ergebnisse‘. Analysen stellen sich vor diesem Hintergrund als katachrestische Bewegungen dar, insofern sie Bedeutungen generieren und konstitutiv heterogene Materialien unter einer Forschungsperspektive organisieren. Sie sind dabei sowohl in Wahrheitsregime und Macht-WissenKomplexe verstrickt als sie auch selbst Bezeichnungen in doppelter Supplementarität einführen. Das doppelte Supplement bezieht sich erstens auf den Forschungsvorgang der Etablierung von Ordnungen, Organisationsweisen und Analysen von Texten – die nur mittels katachrestischer Signifikationen im Hinblick auf Fragestellungen und Forschungsperspektiven Kohärenz erzeugen können. Die supplementäre Bewegung bezieht sich zweitens jedoch auch auf das Regime des Wahrsprechens, in dem sich jede Forschung zu bewegen hat. Vor dem Hintergrund der erarbeiteten Gleichzeitigkeit von Signifikation und Resignifikation wird jede Analysepraxis als eine soziale Praxis der Übersetzungs- und Neuformierungsarbeit verstanden, die Interpretationen in den Vorgang der Resignifikation verstrickt.52
52 Vgl. zur Nahelegung eines solchen Verständnisses von Interpretation: Posselt (2005: 84) sowie in ähnlicher Weise zum Status etymologischer Arbeit: „So verstanden ist Etymologie in erster Linie disseminierende Tätigkeit, die die Bedeutungen vervielfältigt und gegeneinander verschiebt, nicht eine Suche nach
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Schließlich verlängert sich die Reichweite dieser Verstrickung von Signifikation und Resignifikation auch in den Bereich der wissenschaftlichen Verständigung über ‚Ergebnisse‘ und ‚Erkenntnisse‘, die nur als ‚hegemoniale Relationen‘ im Feld unabschließbarer Positionierungen ‚Gültigkeit‘ beanspruchen können. Ich werde aus diesem Grund im Folgenden von ‚Analyse‘ und nicht von einer interpretierend-rekonstruktiven Herangehensweise sprechen und deren Einsatz im Folgenden genauer konturieren. Die nun folgenden Überlegungen werden die Fäden der diskurstheoretischen und poststrukturalistischen Verständigungen aufnehmen und sie bezogen auf analytische Zugriffe diskutieren (Kapitel 2). Leitend wird dabei stets der Ausgang von jener Bewegung der unmöglichen und notwendigen Schließung sein, deren Einsatz für Analysen und ‚Ergebnisse‘ auszuweisen sein wird. Daran schließt sich der zweite Teil der Studie an, der Thematisierungen zu Verliebtheit und Liebe anhand von Interviews (Kapitel 4) und theoretisch-wissenschaftlichen Textualitäten (Kapitel 3) analysiert. Eine Fokussierung dieser Analysen leistet Kapitel 5, in dem die Konstitutionslogiken der Diskursivierungen von Liebe und Verliebtheit verdichtet diskutiert werden. Im dritten Teil der Studie wird abschließend ein Ausblick auf die sich aus den bisherigen Überlegungen und den analytischen Perspektiven ergebenden Fragehorizonte vor dem Hintergrund spezifischer Relationierungen von Subjektivität und Sozialität im Rahmen erziehungswissenschaftlicher Thematisierungsweisen exemplarisch angedeutet (Kapitel 6 und 7).
einer eindeutigen, alle Ambiguitäten vereinheitlichenden ersten Bedeutung“ (ebd.: 41).
2. Analyseperspektiven
Die vorangegangenen Überlegungen zur tropologisch-diskursiven, d.h. der Signifikationslogik unterliegenden, Qualität sozialer Wirklichkeit sollen im Folgenden bezogen auf ihr analytisches Potenzial Verwendung finden. Die aufgenommenen Linien poststrukturalistischer Ansätze entwickelten eine Perspektive auf Sozialität, die Artikulationen als wirklichkeitsstiftende, d.h. performative Verknüpfungspraktiken heterogener Elemente begreifen. Bedeutsam wird dies hinsichtlich des Sprechens über Liebe und Verliebtheit, insofern Diskursmomente wie bspw. ‚Unbestimmtheit‘ oder ‚Unwägbarkeit‘ den Raum dessen konturieren, was als Sprechen über ‚Liebe‘ und ‚Verliebtheit‘ gelten darf. Die aufgerufenen Linien kreisen um ein Verständnis von Sozialität, welches diese als Raum permanenter Auseinandersetzungen fasst und von hier aus die Frage nach Subjektivität situiert. Für diese Situierungen sind die empirischen Analysen der Ausgangspunkt, jedoch bleibt das Verhältnis von Theorie und Empirie insofern nicht unberührt, als die Analysen selbst bereits den Einsatzpunkt in einem Feld suchen, das als umstritten und damit für analytische Einsätze offen figuriert wird. Den Fokus auf die Unabgeschlossenheit und Verschiebbarkeit diskursiver Räume zu legen, bestimmt demnach nicht allein die analytische Arbeit, sondern impliziert Konsequenzen für den Status dessen, was als ‚Erkenntnis‘ gilt. Die Verhältnisbestimmung von Theorie und Empirie ist dem strategischen Spiel des diskursiven Terrains unterlegen, d.h. es wird als Praxis der Austarierung ohne Fixierungsmöglichkeit verstanden. Damit einhergehend wird die Besetzung und ‚Fehlaneignung‘ (vgl. Butler 2006: 217ff.) von Signifikanten und Begriffen als Einsatzpunkt sichtbar. Seit Längerem nehmen einige Forschungsansätze die Konstruktivität sozialer Wirklichkeit zum Ausgangspunkt ihres analytischen Zugangs. Es
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sollen daher im Folgenden zwei maßgebliche Linien solcher Methodologien – die wissenssoziologische und die praxistheoretische Linie – aufgerufen werden, um daran anschließend meinen empirischen Zugang auszuweisen. Insbesondere wird dabei die Frage des methodischen Vorgehens diskutiert, d.h. des Umgangs mit Kontingenz, des Status’ von Interviewmaterial sowie meiner Vorgehensweise. Die folgende Diskussion einiger diskursanalytisch inspirierter Forschungen soll nicht dazu dienen, eine ‚wahrere‘ Position auszuweisen, die das Terrain diskurstheoretischer Verständigungen schließen würde. Vielmehr soll der Hinweis genügen, dass sich jede Rezeptionsweise – so auch die vorliegende – der disseminativen Logik von Signifikanten (wie etwa ‚Wissen‘, ‚Subjekt‘, ‚Interpretation‘ oder ‚Diskurs‘) bedient. Eine Diskussion diskursanalytischer Zugänge zu Analysen, die sich unter den Stern einer ‚korrekten‘ Perspektive auf Diskursivierungen stellte, würde selbst eine Wahrheitsfigur installieren. Vielmehr dienen die folgenden Ausführungen als vorbereitende und schärfende Darlegungen, um den analytischen Fokus meiner Studie stärker akzentuieren zu können.
2.1. ANALYTISCHE Z UGÄNGE Wissenssoziologische Analyseperspektiven Es ist insbesondere der in Foucaults Studien besonders bedeutsame Wissensbegriff, der den Anschluss an gegenwärtige sozialwissenschaftliche Forschungsansätze leistet. Foucault fasst Wissen stets im Zusammenhang mit Macht (vgl. 1992) und hebt damit hervor, dass Wissen stets in die diskursive Praxis der Formierung eingebettet sei. Wissen bezieht sich auf die Formierung und Erscheinungsweise von Gegenständen, zugleich markiere es damit auch den Bereich des als ‚wahr‘ Akzeptablen, figuriere ebenfalls die Positionierung des Subjekts, formiere zudem die Relationierung und Anwendung von Aussagen und zeige darüber hinaus die Aneignung und Umgrenzung der Diskursgegenstände (vgl. Foucault 1973: 259f.). Diese Vervielfältigung des Konzepts von ‚Wissen‘ scheint keine vereindeutigende Verwendungsweise nahe zu legen. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Fassungen, dass sie als ‚Positivitäten‘ auf der Ebene des diskursiven Terrains situiert sind. Foucaults Studien lehnen dezidiert ab, eine andere, tiefe-
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re, zugrunde liegende oder latente Version ‚entdecken‘ zu wollen („nicht das halb verschwiegene Geschwätz eines anderen Diskurses“; Foucault 1973: 43). Vielmehr hebt Foucault hervor, dass es seine Perspektive keine sei, die reine ‚Wissensbestände‘ fokussiert. Foucault betont damit, dass ‚Wissen‘ keinen Status jenseits formierter und damit machtvoller Artikulationen besitzt, was eine Verstrickung des Forschungseinsatzes in diese Macht-Wissen-Komplexe impliziert, da Wissen nicht aus einer ‚objektiven‘ Position der intersubjektiven Beobachtung erschlossen werden könne. Die Analyse wird folglich als eine soziale Praxis verstanden, welche den Aneignungs- und Regulierungsweisen des sozialen Terrains unterliegt. Ralf Konersmann hebt diesen Aspekt für die diskursanalytische Vorgehensweise hervor: „Seine Unbestimmtheit, die Schwäche und Stärke zugleich ist, gewinnt der Diskursbegriff dadurch, dass er nicht nur die Organisation des Wissens beschreibt, also eine Form, sondern auch seine Produktion, als eine Praxis, und dass er weiterhin nicht nur die institutionellen Rahmenbedingungen des Wissens anspricht, sondern auch die Politik.“ (Konersmann 1991: 77)1
Als Hintergrund für diese Konjunktur diskurstheoretischer Verständigungen und Rezeptionsweisen der letzten Jahre2 formulieren die Herausgeber des Handbuchs ‚Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, dass
1
Um die Methodisierbarkeit und Systematisierbarkeit der diskursanalytischen Forschungsperspektive rankt sich eine breitere Diskussion, vgl. dazu exemplarisch die Beiträge in Feustel/Schochow (2010) sowie die Aufsätze in Angermüller/van Dyk (2010).
2
Johannes Angermüller (2005) vermutet, dass die verstärkte Rezeption diskurstheoretischer Ansätze mit zwei Punkten zusammenhängt: Zunächst führe die Poststrukturalismusrezeption nach anfänglichen Abwehrbewegungen nun zur offensiven Auseinandersetzung mit „post-essentialistischer Theoriebildung“ (25). Zum Zweiten hätten sich im (die soziologische Theoriebildung lange Zeit bestimmenden) Konflikt zwischen diskurs-ethischen vs. systemtheoretischen Positionen Letztere durchgesetzt. Dies gehe mit einer stärkeren Infragestellung von Referenzen wie ‚der Gesellschaft‘ bzw. ‚den Subjekten‘ einher.
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„die Analyse der sozialen Produktion, Fixierung und Transformation dieser Wissensverhältnisse zu einem zentralen, unausweichlichen Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung“ (Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver 2006: 8)
werde. Als weitere Begründungsfiguren werden zudem die ‚Wissensgesellschaft‘, welche die Analyse der Erzeugung und des Gebrauchs von Sprache und Wissensordnungen nahe lege, aufgerufen und neben die Begründungsfigur der Konflikthaftigkeit sozialer Felder gestellt, die sich „immer häufiger diskursiv, d.h. über symbolische Praktiken und Kommunikation“ (ebd.: 9) vermittle. Darin liegen durchaus Ähnlichkeiten zu Foucaults Betonung des politischen Charakters von Wissen als ‚Macht-Wissen-Komplex‘ bzw. der hegemonietheoretischen Perspektive auf die Politizität des Sozialen. Allerdings nehmen wissenssoziologische Perspektiven ihren Ausgangspunkt von einem Verständnis sozialer Wirklichkeit als gemeinsam von sozialen Akteuren hervorgebrachter und geteilter ‚Alltagswelt‘.3 Die Konstruktivität sozialer Wirklichkeit bezieht sich folglich auf die Aus-Deutungsleistungen sozialer Akteure. Wissen wird hierbei als Medium der Weltkonstitution über subjektive Deutungen verstanden. In diesem Sinne eigne ‚dem Wissen‘ eine spezifische Objektivität, da es intersubjektiv hervorgebracht und geteilt werde: „Dieser subjektiv mit einem Handeln verbundene Sinn ist zugleich ein sozialer, ist objektivierte Bedeutung, die als gesellschaftliches Wissen beschrieben werden kann.“ (Keller 2006: 119)
Der wissenssoziologischen Diskursanalyse geht es im Besonderen um die Erforschung der „Prozesse der sozialen Konstruktion und Vermittlung von Deutungs- und Handlungsweisen auf der Ebene von institutionellen Feldern, Organisationen und sozialen
3
Als Anschlusspunkte werden neben der Wissenssoziologie von Berger/Luckmann (1980) Bezüge zum Symbolischen Interaktionismus (Mead, Garfinkel, Goffman) sowie die Lebenswelttheorie im Anschluss an Alfred Schütz genannt (vgl. bspw. Keller et al. 2005). Gemeinsam ist diesen Referenzpunkten – verkürzt gesagt – ein Verständnis sozialer Wirklichkeit, welche das Handeln sozialer Akteure und deren Konstruktionsweisen sozialer Wirklichkeit privilegiert.
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Akteuren [...]. Im Anschluss daran untersucht sie zweitens die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse.“ (Keller 2005: 71)
Sie ziele auf die Erforschung der „Genese von lebensweltlich eingebettetem Alltags- und Routinewissen sozialer Akteure“ (ebd.). Die dafür vorgeschlagene ‚interpretative Analytik‘4 bewege sich zwischen Rekonstruktion und Konstruktion: Als eine interpretierende Bezugnahme auf empirische Daten, welche sie in forschungsleitende und wissenschaftliche Zusammenhänge stelle (vgl. Keller 2008: 80). Der Wissensbegriff fungiert dabei als sinnstiftende Grundlage sozialer Ordnungen. Dadurch wird eine hermeneutisch-interpretierende Herangehensweise ermöglicht. Besonders prägnant formuliert dies Rainer DiazBone: „Das Diskursmodell behauptet, dass es eine latente Ebene gibt, auf der sich eine Strukturiertheit des Wissens erst zeigt […]. Die Methodologie der Diskursanalyse könnte als eine Hermeneutik zweiter Ordnung charakterisiert werden: Aufgabe der Diskursanalyse ist, eine den Individuen nicht einsichtige Regelmäßigkeit (die der Formationsregeln) innerhalb einer diskursiven Praxis für eine analysierende Praxis intelligibel zu machen, d.h. rekonstruierend zu verstehen.“ (Diaz-Bone 1999: 126)
Dieser Interpretationsbegriff leitet sich folglich von einem Wissenskonzept her, das durch ‚Implizitheit‘ geprägt ist und zugleich strukturierend wirkt – ‚hinter dem Rücken‘ und durch die Medien der Akteure. Die Aufgabe sozialer Akteure besteht darin, sich dieses Wissen anzueignen, worin das Potenzial und die Notwendigkeit einer kreativen und nicht-identischen Variation liege. Damit wird ebenfalls eine theoriestrategische Stelle für wissenschaftliche Forschung eröffnet: Dieser obliegt es, die Aneignungs- und Hervorbringungsprozesse von sozialer Wirklichkeit zu beobachten und verstehend zu rekonstruieren. In der wissenssoziologischen Perspektive ist die Konstitution sozialer Wirklichkeit ein Effekt der subjektiven Hervorbringung von Sinn.
4
Diese Formulierung wird von Dreyfus/Rabinow übernommen, die den ‚Interpretationsbegriff‘ jedoch als spezifischen Einsatz markieren, der an Foucaults Arbeiten im Horizont einer ‚kritischen Ontologie der Gegenwart‘ (vgl. Thompson 2009) sichtbar werde; vgl. Dreyfus/Rabinow (1987: 23).
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Gegenüber dieser supplementierenden Fokussierung auf die Sinnauslegung und die hermeneutisch-bergende Erschließung von Sinn heben diskurs- und rhetoriktheoretische Perspektiven weitaus stärker die Uneindeutigkeit, Umkämpftheit und Unabgeschlossenheit von Sinn bzw. sozialer Wirklichkeit hervor. Diese reicht auch noch in den wissenschaftlichforschenden Konstitutionsprozess von Wissensgehalten hinein, da auch dieser sich der Verwobenheit von Wissen und Macht nicht entziehen kann. Eine unterstellende ‚Verstehens- und Auslegungskompetenz‘ sowohl auf Seiten subjektiver ‚Akteure‘ als auch der Forscher/innen-Figur blendet folglich die Relationalität und Kontingenz des Sozialen ab. In seiner Sondierung der diskurstheoretisch informierten Sozialforschung sieht Johannes Angermüller (2005) insbesondere in der Situierung von Subjektivität einen zentralen Markierungspunkt, an dem sich ‚dekonstruktive‘ von ‚rekonstruktiven‘ Vorgehensweisen unterscheiden lassen. Letztere gingen „in der Regel in der einen oder anderen Form von einer Handlungseinheit, […] einem ‚Agens‘“ (ebd.: 38) aus. Die Konsequenzen dieses Ausgangspunktes über subjektive Vermittlungs-, Ausdeutungs- und Handlungsweisen, fasst Angermüller für die verschiedenen Ebenen der Analysen zusammen: Diese bestehen in der Präferenz des Handlungskontextes und der Lebenswelt von Individuen als Analysegegenstand, ferner in einer ontologischen Fundierung des Gegenstandes in der Einheit und Objektivität der generierten Wissens- und Sinnordnungen der Sozialwelt, zudem in der Präferenz semantischer Analysen und Exegesen, die bezogen auf homogene Muster aus dem Material freigelegt werden (Repräsentationsmodell), sowie in der methodischen Vergewisserung als Explikation des verstehenden Nachvollzugs der alltagsweltlichen Deutungen und dem Abzielen auf eine ‚dichte Beschreibung‘ des sinnhaften Geschehens im ‚Sprechenlassen‘ des Materials (vgl. Angermüller 2005: 38ff.). Angermüller fragt insbesondere für den Zusammenschluss von Diskursanalyse und Wissenssoziologie nach der Kompatibilität beider Zugänge. Vor allem bezogen auf den Status des ‚Wissens‘ stelle sich diese Frage, insofern ‚Wissen‘ als homogener, repräsentationslogisch im semantischen Gehalt sich ausdrückender und verstehbarer (‚rekonstruierbaren‘), über alltagskompetente Akteure hervorgebrachter Ordnungsrahmen situiert werde. Die Konstruktion und Konstitution von Wissen im Zusammenhang mit Geltungsansprüchen, die praktisch vollzogen, performativ hervorgebracht und
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dauerhaft umkämpft sei, werde dabei systematisch nicht aufgenommen bzw. bleibe abgeblendet (vgl. ebd.: 30). Praxistheoretische Analyseperspektiven Demgegenüber betonen praxistheoretische Analysehinsichten weit stärker die Vollzugslogik von Äußerungspraktiken. Sie grenzen sich von einer Fundierung des Sozialen in einem autonomen Handlungssubjekt als ursächlicher Adresse von Äußerungen ebenso ab wie von der Fundierung des Sozialen in Strukturen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Wirklichkeit symbolisch, d.h. über soziale und sprachliche Codierungen, organisiert sei.5 Mit der praxistheoretischen Perspektive geht mithin eine spezifische Relationierung von Subjektivität und Sozialität einher – deren verbindende Schaltstelle ebenfalls in der Situierung von Wissen gesehen werden kann. Andreas Reckwitz bestimmt diese „genuin praktische Form des Wissens“ (Hörning 2004: 32) ausführlicher: „Das ‚praktische Wissen‘, das in einer sozialen Praktik mobilisiert wird und das die Praxistheorie rekonstruieren will, umfasst dabei verschiedene Elemente: ein Wissen im Sinne eines interpretativen Verstehens, d.h. einer routinemäßigen Zuschreibung von Bedeutungen zu Gegenständen, Personen, abstrakten Entitäten, dem ‚eigenen Selbst‘ etc.; ein i.e.S. methodisches Wissen, d.h. script-förmige Prozeduren, wie man eine Reihe von Handlungen ‚kompetent‘ hervorbringt; schließlich, das, was man als ein motivational-emotionales Wissen bezeichnen kann, d.h. ein impliziter Sinn dafür, ‚was man eigentlich will‘, ‚worum es einem geht‘ und was ‚undenkbar‘ wäre.“ (Reckwitz 2006: 292)
Gleichwohl im praxistheoretischen Fokus auf soziale Wirklichkeit, die zwischen ‚Beharrung und Neuschöpfung‘ (Hörning 2004) situiert wird, eine Überwindung des „klassischen Zweck-Mittel-Handlungsmodells“ (Hörning 2004:30) angekündigt wird, lassen sich jedoch auch im so gefassten PraxisKonzept Anklänge an handlungstheoretische Implikationen sehen: Zwar werden die Einschätzung der Situation und die daraus abzuleitenden Zwecke und Ziele nicht mehr vor, sondern in die Handlung verlegt (vgl. Hör-
5
Vgl. auch Reckwitz (2006: 105ff.). Es lassen sich in jüngerer Zeit vermehrt empirische Anschlüsse an das Konzept der Praxistheorien ausmachen, vgl. bspw. Hirschauer (2004); Breidenstein (2006); Kolbe et al. (2008).
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ning 2004:31), allerdings bleibt der Ausgang von einer Situationsdefinition, gegenüber der sich überhaupt Zwecke und Ziele entwickeln lassen, maßgeblich.6 Dass sich Situationen, und auch die Trennung von Situation und Praxis selbst bereits als vielschichtig, unbestimmt und gegenläufig darstellen könnten, wird in diesem Modell nicht aufgenommen. Das praxistheoretische Proprium besteht hier in der Rationalitätsannahme und impliziter Geleitetheit praktischen Tuns. Ähnliche Fragen stellen sich zudem an das für die Praxistheorie maßgebliche Konzept der ‚Wiederholung‘, die – zumindest theoretisch – ein Original unterstellt: So wird bei Hörning (2004) zwar die Gleichzeitigkeit von Beharrung und Verschiebung hervorgehoben. Indem jedoch die wiederholende Praxis in einer Anwendungs- und Aktualisierungsfolie angedacht wird, stehen Praktiken stets in einem durch Wissensordnungen begrenzten Feld.7 Die Wissensbasiertheit sozialer Praktiken wird folglich in
6
Die Unschärfe des teils synonym, teil abgrenzend verwendeten Handlungsbegriffs findet sich auch bei Reckwitz (vgl. bspw. das Kapitel ‚Kulturtheorie‘ als Typus der Handlungserklärung, 2006: 91ff.). Die begriffliche Unschärfe zwischen Handlung, Verhalten, Praxis erlaubt zwar Abgrenzungen von der Zurechnung auf intentionale, autonome Handlungssubjekte, zugleich jedoch handelt sie sich eine Situierung von Subjektivität ein, die semantische Lasten des Handlungsbegriffs nicht aufzulösen vermag. Vgl. zum Handlungsbegriff bspw. Derbolav (1974: 992ff.), der an dieser Stelle auf die gemeinsame etymologische Wurzel als ‚praxis‘ verweist. Derbolav weist ferner auf die durch Aristoteles’ Theorie sittlichen Handelns erfolgte Einschreibung einer verantwortlichen Täterschaft. Die etymologische Tradition des Praxis-Konzepts verweist zudem stärker auf den Vorgang des ‚Herstellens, Tuns‘ im Gegensatz zur poiesis, die den Vollzug betont (vgl. Bien 1989: 1277ff.). Dieter Mersch und Jens Kertscher verweisen auf zwei zumeist in Handlungstheorien implizierten Annahmen: „Erstens den Begriff der Intentionalität, soweit Handlungen auf Absichten, Ziele oder Motive fußen, sowie zweitens den Begriff der Regel“ (Kertscher/Mersch 2003: 8).
7
Nicht nur aus zeichentheoretischer Perspektive wäre dieser Wiederholungsbegriff um den Aspekt der Iterabilität zu erweitern. Auch Bernhard Waldenfels (2001) verweist auf den sich in der Wiederholung zeigenden abwesenden Grund, der sich zugleich instituiere wie verschiebe, so dass der Bezugspunkt
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die Implizitheit und damit außerhalb der kognitiven und autonomen Verfügbarkeit eines handelnden Subjektes verschoben. Dennoch zeigt sich ein strukturalistischer Bias der Generiertheit sozialer Handlungen und Bedeutungen: „Praktiken sind fraglose Anwendungen“ (Hörning 2004: 33). Andreas Reckwitz problematisiert eben diese praxistheoretische „Neigung zu Homogenisierungen und Reproduktionsmodellen“ (2008: 206). Stattdessen plädiert er für eine „poststrukturalistisch-dekonstruktive Injektion in die Praxistheorie und die Diskurstheorie“ (ebd.: 207), um die Instabilitäten und Überlagerungen sozialen Sinns stärker zu berücksichtigen. Reckwitz argumentiert, dass sowohl für praxistheoretische als auch für diskurstheoretische Ansätze die Materialität von Praktiken bedeutsam sei: Die Praxistheorie fasse diese über die Aspekte der Inkorporiertheit von Wissensbeständen sowie anhand von Artefakten, die als Träger von Praktiken fungierten (vgl. Reckwitz 2003: 290f.). Der sich daraus ergebende Aspekt der Implizitheit von Praktiken bzw. deren wissensbasierter Regelgeleitetheit begründe auch deren „Fundierungscharakter […] als kleinster Einheit der kultur- und sozialwissenschaftlichen Analyse“ (Reckwitz 2008: 192). Diskurse seien demgegenüber material in dem Sinne, als sie „Signifikationsregime, die jegliche Form menschlichen Handelns als sinnhaftes Handeln fundieren“ (ebd.), darstellten. Diskursive Praktiken8 werden als Zeichen verwendende Praktiken der Repräsentation verstanden (vgl. Reckwitz 2008: 204f.). Dies erlaubt es Reckwitz, Praktiken und Diskurse unter dem Aspekt ihrer gegenseitigen Verwiesenheit als „instabile Praxis/Diskursfor-
von Wiederholungen gerade nicht in einer zugrunde liegenden Strukturiertheit liege. 8
Reckwitz bezieht sich auf die Unterscheidung diskursiver/nicht-diskursiver Praktiken, die Foucault durchaus selbst einführt (vgl. 1973; vgl. dazu auch Reckwitz 2006: 354; „Foucaults Projekt einer textualistischen Archäologie“). Reckwitz folgert daraus die Präferenz der Analyse vorrangig historischer Materialien und der paradigmatischen Forscherhaltung „einer Geisteswissenschaftlerin als Textinterpretin“ (Reckwitz 2008: 198). Daniel Wrana und Antje Langer legen dar, inwiefern diese Verhältnisbestimmung von Diskursen und Praktiken zu kurz greift (vgl. Wrana/Langer 2007).
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mationen“ (ebd.: 201) zu konzipieren, um ihr analytisches Potenzial für die Umkämpftheit und Widersprüchlichkeit des Sozialen zu markieren.9 Auch wenn die Uneindeutigkeit des Sozialen hier berücksichtigt wird, muss jedoch gefragt werden, ob die Aufnahme diskurstheoretischer und signifikationslogischer Argumente die Figur der Implizitheit nicht grundlegender berührt: Werden Praktiken, Handlungen, Wissen und Sozialität als sinnhaft konstituiert verstanden, wäre die sprachliche Verfasstheit von Sozialität, Wissen und Subjektivität stärker zu betonen. Die Körperlichkeit von Praktiken und ihre Implizitheit stellen jedoch theoriestrategisch im Rahmen der Praxistheorie zugleich die Ankerpunkte dar, welche die Anschlussfähigkeit für empirische Analysen gewährleisten: So hebt Reckwitz nicht nur die Ethnographie als ‚kongeniale‘ Forschungspraxis hervor (vgl. ebd.: 196), sondern stellt heraus, dass über die monumenthafte Faktizität hinaus die körperlich-materiale Praxis erforscht werden müsse, welche in ‚Dokumenten‘ ihren Ausdruck finde (vgl. Reckwitz 2008: 201):10 „Der Forscher ist immer auf einen ‚Rückschluß‘ vom Expliziten aufs Implizite, von den Bewegungen auf den ‚sozialen Sinn‘ angewiesen.“ (Ebd.: 196)
Gleichwohl folglich in praxistheoretischen Methodologien die Konstitutionslogik sozialer Wirklichkeit und die Praktiken des Sprechens Berücksichtigung findet, lassen sich dennoch einige problematische Weichenstellungen hervorheben: Praxistheoretische Perspektiven nehmen ihren Ausgang von einer durch implizite Wissensordnungen strukturierten sozialen Welt,
9
Bezogen auf die darin angedeutete Überbau-Unterbau-Figur sei auf Urs Stähelis Auseinandersetzung mit dem Praktikenbegriff der Cultural Studies verwiesen (vgl. 2004). Er argumentiert, dass, indem die Cultural Studies Widerständigkeit und Variationen in den lokalen, konkreten Aneignungspraktiken situieren, und diesen gegenüber ein homogenisierter, globaler Machtraum gesellschaftlichsozialer Formationen angenommen wird, eine Dichotomie von Mikro- und Makroebene wieder eingeführt werde. Die darin liegende Begrenzung des politischen Raumes auf theoretischer Ebene sei zu Gunsten der Heterogenität machtvoller diskursiver Praktiken zu öffnen.
10 Dies bezieht sich auf eine Argumentation Michel Foucaults (1973), dessen Analysen sich von einer hermeneutisch-exegetischen Analyse des verborgenen Sinns abgrenzen und den Monument- gegenüber dem Dokumentcharakter des Analysematerials betonen.
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in der verstehende Akteure diese Ordnungen interpretierend aufnehmen und in routiniert-schemenhaften Wiederholungen über praktische Vollzüge reproduzieren. Besonderen Stellenwert erhalten dabei die Träger dieser Praktiken: die sozialen Akteure, die als Subjekte zwar nicht einheitlich codiert, jedoch die Verbindung von Praktiken und sozialen Wissensbeständen leisten. ‚Soziale Akteure‘ verhelfen folglich durch Sinnzuschreibungen und Interpretationsleistungen – als interpretierende „Spezifikateure“ (Renn 2005: 118) – diesen kollektiven Wissensordnungen zur Existenz (vgl. Reckwitz 2006: 165). Ähnlich der wissenssoziologischen Diskursanalyse werden soziale Akteure in die Position eines Mediums sozialer Ordnung eingerückt. Dies eröffnet zugleich den Einsatzpunkt, einen Beobachterblick auf die verborgenen und impliziten Wissensbestände zu etablieren. Die praxistheoretische Positionierung sozialer Akteure kann in diesem Sinne auch als ‚Anrufung‘ verstanden werden, die eine analytische Perspektive auf die zu entbergenden Wissensgehalte ermöglicht. Ähnlich formuliert dies Armin Nassehi – wenn auch aus systemtheoretischer Perspektive: „Das empirische Datum des bürgerlichen Subjekts als auskunftsgebender, sich einer Vernunft unterwerfender Zurechnungsadresse schreit geradezu nach verstehender Soziologie, nach einer Soziologie, die an sich selbst beobachtet, was der Alltag stets tut: auslegen“ (Nassehi 2008: 82; Hervorhbg. i.O.)
Die (supplementierende) Unterstellung, Hervorbringung und Etablierung eines routiniert handelnden sozialen Akteurs im Rahmen der Praxistheorie korrespondiert dabei mit dem Verständnis eines reibungslosen und harmonischen Passungsverhältnisses intersubjektiv geteilter Geltungs- und Wissensbestände.11
11 Nicht ohne Grund ist die Sozialtheorie Pierre Bourdieus und dessen Praxiskonzept eine bedeutsame Referenz der Praxistheorien. Dessen praxeologische Argumente werden dabei weniger unter dem Aspekt der symbolischen Gewalt, d.h. der sprachlich-performativen Hervorbringung des Sozialen diskutiert. Vielmehr wird vorrangig auf den Aspekt der inkorporierten strukturierten und strukturierenden Hexis des Sozialen in Form des körperlichen Generierungs- und Strukturierungsmoments des Habitus Bezug genommen. Die Relationalität und Agonalität des sozialen Raums bleibt somit häufig außer Acht. Wenig beachtet wird auch der Zusammenhang von Habitus, Praxis und Feld, in dem das praktische Moment habitueller Orientierungen überhaupt erst existieren und wirksam wer-
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Sowohl wissenssoziologische als auch praxistheoretische Perspektiven lassen sich zusammenführen bezogen auf ihr Verständnis sozialer Realität, die über Deutungen, Handlungen und Praktiken hergestellt wird. Nähen zu poststrukturalistischen Ansätzen liegen in dieser Betonung der Konstitution sozialen Sinns, die performativitätstheoretische Ansätze in signifizierenden Praktiken verorten.12 Jedoch wird in wissenssoziologischen und praxistheoretischen Methodologien soziale Wirklichkeit als Wissen i.S. eines sozial und intersubjektiv mehr oder minder verfügbaren Sinns konzipiert. Sozialer Sinn wird so gefasst, dass dieser Subjekten bzw. sozialen Akteuren in mehr oder weniger bewusster Form zueignet.13 Daraus resultiert eine Forschungsperspektive, die den impliziten Sinn und das praktische Wissen beobachten und rekonstruieren, d.h. verstehend nachvollziehen kann – insofern wissenschaftliche BeobachterInnen mit der alltagsweltlichen Kompetenz der Weltausdeutung und -aushandlung ausgestattet werden. In beiden Forschungsrichtungen wird damit ein Modell sozialer Wirklichkeit zugrunde gelegt, welches Subjektivität und Sozialität gegeneinander profiliert, und deren Organisationsweise über Routinisierungen, Gewohnheiten, schemati-
den kann, was folglich auf ein sehr spezifisch gefasstes Verwiesenheitsverhältnis von Praxis und Feld deutet. Dass die Korrespondenz von sozialer Ordnung und habitueller Strukturierungen und Strukturiertheiten die Fokussierungen auf die Reproduktion bestehender Ordnungen nahe legt, soll an dieser Stelle jedoch nicht von der Hand gewiesen werden (vgl. bspw. Bourdieu 1998: 48ff., Bourdieu 2005; kritisch: Butler 2006). Es geht mir an dieser Stelle eher um den Punkt, dass eine Bourdieu-Rezeption auch andere Momente, im Besonderen die Umkämpftheit sozialer Felder, die Macht-Problematik, nicht zuletzt eine Praxeologie der symbolischen Verfasstheit sozialer Realität berücksichtigen könnte (vgl. bspw. Alkemeyer 2006, Rieger-Ladich 2006, in Teilen auch in kritischer Absetzung zu Reckwitz: Meier 2004: 67). 12 Wenngleich sich Renn (2005) ebenfalls auf die Arbeiten Butlers bezieht und für die Aufnahme der „Dimension der Performativität“ (ebd. 123) in empirischen Analysen plädiert, bleibt dabei ‚Performativität‘ auf den Aspekt der Aufführung reduziert (ähnlich auch bei Reckwitz 2003, 2006). 13 Die Reibungslosigkeit des Sozialen lässt soziale Akteure zu verstehenden ‚Komplizen‘ der sozialen Ordnung werden. Judith Butlers Vorwurf der Komplizenschaft von sozialtheoretischen Ansätzen mit bestehenden Ordnungen des Sozialen lässt sich hier anfügen (vgl. Butler 1998b: 255).
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sche Repertoires weitgehend stabil und eher von reproduzierenden Trägheitsmomenten geprägt ist. Damit wird die Thematisierung von Macht außen vor gelassen, so dass sich ein Bild des Sozialen und seiner Ordnungen einstellt, das sich konfliktfrei, reibungslos und harmonisch zu organisieren scheint. In dieser Hinsicht ist die bereits aufgerufene Differenz zwischen Dissemination (Bedeutungsoffenheit) und Polysemie (Bedeutungsvielfalt) von methodologischer Relevanz: So überrascht es nicht, dass der Hinweis auf polysemische Instabilitäten und Mehrdeutigkeiten durchaus in praxistheoretischen und wissenssoziologischen Argumentationen Aufnahme findet, ohne jedoch die Argumente der Implizitheit und Eindeutigkeit von Wissen bzw. sozialer Ordnung in Frage zu stellen (vgl. bspw. Reckwitz 2008: 191ff., Renn 2005: 115). Während Polysemie auf die Mehrdeutigkeit von Sinn verweist, betont Dissemination dessen Unabgeschlossenheit. Während erstere eine analytische Herangehensweise nahelegt, die sich der Ausdeutung widmet, wird letztere stärker nach den Konstitutions- und Konstruktionsbedingungen des Gesagten fragen und von dessen Uneindeutigkeit ausgehen (vgl. ausführlicher zur Differenz Polysemie/Dissemination den Abschnitt Zwischen – Bewegungen). Poststrukturalistische Diskursanalysen In jüngerer Zeit lassen sich im Feld empirischer Analysen breite Bezugnahmen auf diskurstheoretische Einsichten ausmachen, deren Gemeinsamkeit ungeachtet aller Differenzen in ihrem Rekurs auf die Arbeiten Michel Foucaults gesehen werden kann. Es ist Reiner Keller an dieser Stelle also Recht zu geben: „Es gibt keine Foucaultsche Diskursanalyse“ (Keller 2008: 73). Ich werde im Folgenden exemplarisch einige Studien aufrufen, an die meine Studie in verschiedenen Hinsichten anschließt. Das derzeit beinahe explodierende Feld von Diskursanalysen lässt sich in seiner Breite an dieser Stelle nicht darstellen. So untersucht etwa Christine Hanke (2003) die Diskursivierungen von Anthropologien in der „Konstitution von ‚Rasse‘ im physischanthropologischen Diskurs an der Wende zum 20. Jahrhundert“ (ebd.: 97). Insbesondere zeigt sie in ihren diskursanalytischen Bezugnahmen auf poststrukturalistische Konzepte, vor allem Lacans (Mangel) und Derridas (Supplement), die Bewegung zwischen Öffnung und Schließung. Gegenüber einer vordergründigen Evidenz anthropologischer Kriterien, die den
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Rassediskurs bestimmten, erschließt Hanke in ihrer Untersuchung die Leere des ‚Rasse‘-Konzeptes, das gerade in seinen vielfältigen Bestimmungsversuchen als nicht vollkommen definierbar und nur vorläufig besetzbar erscheint (vgl. insbes. ebd.: 112f.). Den diskursanalytischen Einsatzpunkt sieht sie dabei im Anschluss an Foucault im „Spannungsfeld von Regelmäßigkeiten und Ereignishaftigkeit“ (ebd.: 98). Als maßgebliches Problem der diskursanalytischen Strategie wirft sie die Frage auf, „inwieweit sie dem Wuchern des Diskurses Raum gibt oder inwiefern sie es bändigt“ (ebd.: 100). Dieses Problem stellt sich für Hanke umso dringlicher, als ihr Untersuchungsgegenstand damit konfrontiert ist, Semantiken um ‚Rasse‘ erneut aufrufen zu müssen. Einen Umgang mit dieser Problematik der Reifizierung, die im Fall des Sprechens über ‚Rasse‘ besonders augenscheinlich in das Problem der ReAutorisierung verstrickt wird, findet Hanke in einem forschungslogischen Zweischritt: zunächst der Suche nach Kohärenzen und der darauf folgenden Inblicknahme von Differenzen. Dieser Doppelschritt versucht, dem Spannungsfeld von Reguliertheit und Ereignishaftigkeit Rechnung zu tragen, führt für Hanke jedoch zur nachträglichen Befragung des eigenen Einsatzes: „Im Rückblick bleibt für mich die Frage offen, inwieweit die Berücksichtigung der beiden Aspekte des Diskurses [Regelmäßigkeiten und Ereignishaftigkeit, KJ] […] ein Nacheinander bleiben muss. […] Zu fragen wäre dann, wie die sich im vorliegenden Text durchziehende Hilfskonstruktion des Einerseits-Andererseits der beiden Perspektiven auf den Diskurs zu durchbrechen ist […].“ (Ebd.: 115)
Bezogen auf die Relationalität des Sozialen, das sich zwischen Öffnung und Schließung ereignet, ließe sich für diese Frage hervorheben, dass Regulation und Ereignishaftigkeit weniger ‚zwei Perspektiven auf den Diskurs‘ darstellen. Vielmehr lassen sie sich als artikulatorische Praktiken der Verknüpfung von Elementen verstehen, die sich aus der Unausgefülltheit von Bedeutungen ergeben. ‚Regulation‘ bezieht sich folglich auf die Verknüpfungsbewegung, die das Erscheinen diskursiver Momente konfiguriert. Mit anderen Worten ließe sich andeuten, dass der Rückgriff auf rhetoriktheoretische und signifikationslogische Argumente den Hinweis auf die Figurativität und Vorläufigkeit von Konzepten wie ‚Rasse‘ oder ‚Verliebtheit‘ bzw. ‚Liebe‘ enthalten. Die ‚Ereignishaftigkeit‘ bezieht sich womöglich auf eben diesen Aspekt der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit, mithin auf die
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Kontingenz des Sozialen. ‚Regulationen‘ und ‚Ereignishaftigkeiten‘ können in diesem Sinne nicht trennscharf gegeneinander profiliert werden, sie sind aufeinander bezogene Momente der Diskursivierung, d.h. der Sinngebung. Unter Rückgriff auf hegemonietheoretische Argumente Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes untersucht der Politikwissenschaftler Martin Nonhoff (2006) die Etablierung des Signifikanten ‚Soziale Marktwirtschaft‘. Seine Analyse fokussiert dabei die verschiedenen Verweisungsketten, die aufeinander bezogen den Raum des Sagbaren um den Signifikanten ‚Soziale Marktwirtschaft‘ konfigurieren. Nonhoff erarbeitet dabei eine Ausdifferenzierung der Verweisungsketten, deren praktisch zu vollziehende Verknüpfungen den Untersuchungsgegenstand bilden. Als Artikulationen gefasst, versteht Nonhoff Beschreibungen des Sozialen demnach in ihrer politischen Dimension, d.h. als hegemoniale Relationen, die mit Wahrheits- und Geltungsansprüchen einhergehen, indem sie das diskursive Terrain konfigurieren und konturieren: „Stets hängen solche Weltbeschreibungen damit zusammen, dass ein bestimmtes menschliches Selbstverständnis transportiert und ein bestimmtes menschliches Verhalten nahe gelegt wird […]. Mit Weltbeschreibungen gehen also regelmäßig auch Prozesse der Subjektivierung einher.“ (Nonhoff 2008: 299f.)
Insbesondere verweist Nonhoff auf die Bedeutung der Rhetorizität für das Denken des Sozialen (vgl. 2007: 10), das im Anschluss an die radikale Demokratietheorie Laclaus und Mouffes als grundlegend mit dem Politischen verflochten gefasst wird, d.h. als ein unabgeschlossenes und umstrittenes Terrain in den Blick kommt: „Demnach ist das Politische zu begreifen als jene dynamische Logik, im Rahmen derer im diskursiven Raum über die partikulare Besetzung des leeren Ortes des Allgemeinen in konflikthafter Weise verhandelt wird. Entsprechend lässt sich ein Diskurs dann als politischer Diskurs begreifen, wenn in ihm das Allgemeine konflikthaft verhandelt wird.“ (Nonhoff 2007: 181)
Im erziehungswissenschaftlichen Bereich lassen sich in jüngerer Zeit zwei Tendenzen diskursanalytischer Zugänge bemerken, die einerseits auf Konstitutionslogiken des Pädagogischen und andererseits auf die Thematisierung von Subjektivierungen anhand von Selbstpraktiken fokussieren. Für den ersten Bereich lässt sich insbesondere die Studie Jens Oliver Krügers anführen, der diskursanalytisch die pädagogischen Thematisie-
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rungs- und Auseinandersetzungsweisen mit Ironie auf die Frage hin verfolgt, wie sich ein pädagogischer Diskurs um den Signifikanten Ironie konstituiert. Insbesondere macht Krüger darauf aufmerksam, nicht von einer oder der Identität des Pädagogischen auszugehen. Vielmehr stellt Krüger heraus, die heterogenen und widersprüchlichen Positionierungen zur Ironie seien „produktiv für die Hervorbringung unterschiedlicher diskursiver Wucherungen“ (Krüger 2011: 187).14 Für den zweiten Bereich, der Analyse von Subjektivierungsweisen, lässt sich die Studie von Daniel Wrana (2006) anführen. Er untersucht Lernjournale auf ihre Selbstführungslogiken hin, die als Praktik der Hervorbringung von Subjekten funktional vor allem im Rahmen neoliberaler und gouvernementaler Regierungspraktiken erscheinen. Dabei erarbeitet Wrana eine Analytik diskursiver Figuren, indem er an Foucaults Fassung ‚diskursiver Praktiken‘ anschließt und diese mit dem Iterabilitätskonzept poststrukturalistischer Ansätze verbindet. Wrana setzt sich damit von Analysen auf semantischer Ebene ab, um der Machtanalytik diskursiver Praktiken die Untersuchung der Konstitution von Subjektpositionen und Weltbezügen sowie die der Materialität des diskursiven Raumes zur Seite zu stellen (vgl. ebd.: 130ff.). Die instruktiven und ausführlichen Analysen der Selbstpraktiken in den Lernjournalen diskutiert Wrana jedoch abschließend allein unter dem Horizont des gouvernementalen Regierens. Im Ergebnis stellt Wrana fest, dass sich dieses in den Lernjournalen als stabile Reihe nicht und nur vereinzelt nachweisen lassen (vgl. ebd.: 244f.). Wranas Hinweise auf die Figurativität solcher Konzepte und seine Analytik von Figuren lassen sich an dieser Stelle weiter führen: Eine sich daran anschließende Frage wäre die, inwiefern die Lernjournale als ‚Technologien des Selbst‘ verstanden werden könnten. Die Hervorbringung, Befragung, Thematisierung und Beschreibung des eigenen Selbst in der performativen Dimension könnte in diesem Sinne als Anreizung zu Selbstverhältnissen verstanden werden. In-
14 Ähnliche Einsatzpunkte diskursanalytischer Forschungen wählt auch Alfred Schäfer (2009 und 2011). Christiane Thompson diskutiert die Diskursanalyse ausgehend vom ‚Ordnungsproblem‘ (2011). Im Schnittfeld von Ethnographie und Diskursanalyse untersucht Antje Langer die Diskursivierungen von ‚Körper‘ im Bereich der Schule (vgl. 2008) sowie Marion Ott (2011) die Subjektivierungsprozesse in den Diskursivierungen um ‚Kompetenz‘ im Arbeitsmarktprofiling.
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wiefern die Konfiguration ‚Gouvernementalität‘ bezogen auf deren Nachweis tatsächlich still gestellt werden kann lässt sich weiterführen: Wie Selbstführungslogiken gefasst werden, ist nicht vorab und letztlich bestimmt, sondern affiziert die Untersuchungslogik, die sich in das Aufrufen und Neu-Einschreiben ‚gouvernementaler Regierungspraktiken‘ verstrickt – folglich (re)signifiziert, was unter ‚Selbstführung‘ firmiert.15 Auch Jenny Lüders (2007) untersucht aus diskurstheoretischer Perspektive Selbstpraktiken in Weblogs und diskutiert diese vor allem anhand der Frage nach der Möglichkeit von Bildung. Dabei stellt sie den Status ihrer Analysen in den Horizont einer bildungstheoretischen Vergewisserung: „Insofern erscheint es notwendig, für die Begründung eines Bildungsbegriffs als Ort der Zielbestimmung und Kritik pädagogischen Handelns eine fünfte ‚Dimension‘ einzuführen: die Befragung bildungstheoretischer Überlegungen durch die qualitative Bildungsforschung. Erstens um die theoretisch-abstrakten Begriffe zu ‚korrigieren‘, zweitens um einen genaueren Blick auf Prozessstrukturen zu entwickeln und drittens um Aussagen über hemmende und förderlich wirkende Rahmenbedingungen für Bildungsprozesse zu analysieren, um diese dann – unter der Prämisse ‚Bildung soll sein‘ – als mögliche Leitlinie für pädagogisches Handeln zu nutzen.“ (Lüders 2007: 56)
Lüders zeigt in ihren Analysen auf, inwiefern eine solche, den Analysen vorgreifende, Zweckbestimmung im „Anspruch einer prinzipiellen Möglichkeit der Identifizierung solcher Bildungspotenziale“ (ebd.: 187) problematisch wird. Um den grundlegenden Wandel von Selbst- und Weltverhältnissen markieren zu können, verwendet Lüders Foucaults paradoxales Konzept der ‚Entsubjektivierung‘. Ihre Analysen zeigen, dass ein rhetorisches Offenhalten von Selbstidentitäten, etwa durch die stilistische Verwendung von Zitaten, beobachtbar sei. Inwiefern jedoch daraus eine Erschließung von Bildungsprozessen sowie Entsubjektivierungen möglich wäre, wird auch für Lüders selbst fraglich (vgl. Lüders 2006: 249ff.). Diese exemplarisch und schlaglichtartig aufgerufenen Studien verweisen auf zwei Punkte: Erstens wird das Verhältnis von diskursiven Schließungs- und Öffnungsbewegungen verschieden gefasst und empirisch ausbuchstabiert. Zweitens besteht eine spezifische Schwierigkeit empirischen
15 Vgl. zu einer ähnlichen Diskussion bezogen auf die Differenz ästhetischer und disziplinierender Selbstführungslogiken: Menke (2003).
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Arbeitens darin, mit der Problematik der Reifizierung umgehen zu müssen. Konzepte wie ‚Rasse‘, ‚Soziale Marktwirtschaft‘, ‚Gouvernementalität‘ oder ‚Bildung‘ stellen keine definiten Versicherungshorizonte bereit. Um überhaupt einen empirischen Frageraum eröffnen zu können, muss ihre figurative, d.h. auf- und verschiebende Qualität Berücksichtigung finden. Diesen Einsatzpunkt sollen die folgenden Überlegungen genauer ausweisen.
2.2. M ETHODOLOGISCHER E INSATZPUNKT : F IGURIERUNGEN UND F IGURATIONEN Die Wirkmächtigkeit artikulatorischer Äußerungen und Sprechens im diskursiven Terrain betrifft nicht zuletzt die Gegenständlichkeit der Forschungsgegenstände. Gegenstands- und Ereignislogiken Die figurative Qualität von Bedeutungen und Sinn, die sich in der Bewegung zwischen Signifikation und Re-Signifikation, zwischen Autorisierung und Re-Autorisierung, zwischen Artikulation und Re-Artikulation ereignet, führt zu Konsequenzen für die analytische Forschungsstrategie: Diese verweigert sich der Suche auf dahinter liegende, zugrunde liegende oder sich zeigende Bedeutungsfigur(en). Vielmehr lehnt sie sich an Foucaults ‚glücklichen Positivismus‘ an (vgl. 1973: 182). Davon ausgehend, dass im diskursiven Gefüge prinzipiell unabschließbare Variationsmöglichkeiten des Sagbaren vorhanden sind, interessiert sich der diskurstheoretische Blick dafür, wie es komme, „daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?“ (ebd.: 42). Der Untersuchungsfokus liegt demnach auf der spezifischen Figuration und Figurierung des diskursiven Terrains. Dies impliziert eine analytische Bewegung auf der ‚Oberfläche‘ des Materials, des Textes, des Datums. Entgegen einer Fragerichtung, AussageEreignisse von der Warte der Reguliertheit aus betrachtet und diese als ‚regel‘-(non)konform qualifiziert, die also ein Entsprechungsverhältnis zwischen Aussage und Ausgesagtem annimmt, wird die ‚Ereignishaftigkeit‘, d.h. die figurative Qualität von Bedeutungen zum Ausgangspunkt genommen.
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‚Ereignishaftigkeit‘ meint damit erstens, dass Artikulationen in der Faktizität ihres Erscheinens in den Blick genommen werden. Artikulationen in ihrer Ereignishaftigkeit beziehen sich auf das kontingente Moment jeder Artikulation, auf das Foucault mit den Metaphern der ‚Zerstreuung‘ und ‚Wucherung‘ aufmerksam macht. Gegenüber wissenssoziologischen und praxistheoretischen Forschungsansätzen, die Artikulationen als Ausdruck oder Träger von Wissensordnungen verstehen, wird hierbei die Kontingenz und die Performativität des Sozialen stärker berücksichtigt. Dass eine Artikulation erscheint, bedeutet lediglich, dass sie möglich war. Die Analyseperspektive richtet sich darauf, unter welchen Ausschlussbedingungen ihr Erscheinen reguliert wird und welche Effekte dies hinsichtlich der Konfiguration des diskursiven Terrains zeitigt. Damit wird das performative, wirklichkeitsstiftende, setzende und zugleich verschiebende Moment jeder Artikulation betont. Das Ereignishafte der Aussage wird zweitens auch insofern prominent gehalten, als es selbst als diskursive Praxis, d.h. zugleich reguliert als auch regulierend gefasst wird: Jedes Aussageereignis unterliegt zwar dem Prinzip der Formierung im Rahmen dessen, was sagbar und unsagbar erscheint, jedoch ist diese Grenzziehung keine fixierbare, sondern muss diskursiv permanent aufrecht erhalten werden. Notwendig unterliegt dabei jede Artikulation der iterativen Logik von aufschiebender Wiederholung, die zugleich sich selbst sowie das dadurch figurierte diskursive Terrain formiert und (re-)autorisiert. Mit der doppelten Fassung von Ereignishaftigkeit wird die figurative Qualität des Sprechens für die Analysen bedeutsam: Untersucht wird die Faktizität des Gesagten und die dadurch eröffnete und begrenzte Figurierung des diskursiven Terrains – wobei es gerade nicht darum geht, die Artikulationen und deren Konfigurationseffekte in ein Bedingungsverhältnis zu bringen. Dies setzt sich von wissenssoziologischen und praxistheoretischen Methodologien insofern ab, als das Gesagte nicht vor dem Hintergrund einer angenommenen Ordnung seinen Sinn erhält. Der analytische Blick geht demgegenüber von der Frage aus, über welche konstellierend-verknüpfenden Figurierungen es möglich wird, etwas als (Wahr-)Sprechen, als Figuration im diskursiven Terrain (an-)erkennen zu können, d.h. wie Intelligibilität (Butler) bzw. Akzeptabilität (Foucault) erzeugt und prozessiert wird. Ausgehend von der ‚Ereignishaftigkeit‘ stellt sich dann jedoch die Frage nach dem Bezugspunkt empirischer Analysen, der weder in einer zu-
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grunde liegenden Wirklichkeit, noch in einer Subjektivität, die jenseits dieser positioniert ist, gesehen werden kann. Die Signifikationslogik der Hervorbringung sozialer Wirklichkeit affiziert somit die Frage nach den Gegenständen und deren Zugänglichkeit für empirische Zugriffe. Gegenstände empirischer Analysen können demnach nicht jenseits der symbolischrhetorischen Figurierung in Begriffen angenommen werden, insofern Begriffe der Differenz von Setzung und Entzug nicht entgehen. Auch Begriffe lassen sich als Signifikanten im diskursiven Gefüge verstehen, die insofern gleiten, als sie nicht unter Bezug auf ein Signifikat abgesichert und bestimmt werden können. Die Relationalität der Signifikanten zueinander und die damit verbundene unmögliche Abschließbarkeit von Kontexten, in denen Signifikanten Bedeutung erlangen können, setzen sich von einem Bezug auf an sich gegebene Sachverhalte und Gegenstände ab. Vielmehr erscheinen Gegenstände und Sachverhalte erst im Lichte ihrer diskursiven Konstituiertheit. Das bedeutet zum einen, dass sie nicht jenseits eines begrifflichen Zugriffs erfassbar sind, sondern jeder begriffliche Zugriff diese setzt. Zum anderen verfehlt jeder begriffliche Zugriff seinen ‚Gegenstand‘, insofern er nicht kontrollieren kann, welche Bedeutungen im Zugriff mit evoziert werden. Für diskursanalytische Einsätze schlägt Christine Hanke entsprechend vor, diese mit dekonstruktivistischen Perspektiven zu verbinden, um auf diese Weise die „Durchkreuzung ein-deutiger Ergebnisse und neuer Wahrheiten“ (Hanke 2003: 116; Hervorhbg. i.O.) zu forcieren, was sie vor allem über den Anschluss an zeichentheoretische Überlegungen für besonders aussichtsreich hält. Die doppelte Bewegung von Öffnung und Schließung, d.h. von Setzen und Entzug betrifft dann auch die Analyse. Auch für sie gilt in ihrem Zugriff, dass ihre Forschungsgegenstände nur vorläufig, unvollständig und interessiert, mithin strategisch in den Blick kommen. Die Analyse lässt sich folglich als signifizierendes und damit notwendig resignifizierendes Vorgehen verstehen. Analysen stellen ebenfalls Artikulationen dar, insofern sie Verknüpfungen differenzieller Elemente vollziehen, die unter strategischen Gesichtspunkten (Forschungsfragen/Forschungsinteresse) vorläufige Konstellationen herbeiführen und auf diese Weise unabgeschlossene und möglicherweise andere Verweisungsketten eröffnen. Die Analysen und ihre Ergebnisse situieren sich damit immer auch im Horizont von Geltungsansprüchen. Die hier vorgeschlagene Analysepers-
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pektive grenzt sich damit von einer hermeneutischen Unterstellung und Suche nach zugrunde liegenden Sinn- und Wissensordnungen ab. Sie geht umgekehrt den Weg vom Ereignis des Sinnhaften und fragt nach dessen Hervorbringungsweise unter der Bedingung seiner unabschließbaren, d.h. figurativen Qualität. Figurierungen und Figurationen: Relationale Bewegungen Die bisher diskutierten Aspekte zur Signifikationslogik als notwendiger und unmöglicher Konstitution von Sinn verweist darauf, dass Artikulationen diese Bewegung der Öffnung und Schließung immer erneut prozessieren. Aus diesen Überlegungen resultiert mein methodologischer Einsatz, der die figurative Qualität von Sinn zum Ausgangspunkt nimmt, um Schließungsund Öffnungsbewegungen in der Diskursivierung von ‚Liebe‘ und ‚Verliebtheit‘ zu analysieren. Der Zusammenhang von artikulatorischen Schließungsbewegungen mit auf- und verschiebenden Effekten, die das diskursive Terrain, in dem sie sich ereignen, aufrufen, re-iterieren und umgrenzen, wird im Folgenden als Figurationen und Figurierungen bezeichnet. Diese Analytik lässt sich durch die von Daniel Wrana erarbeitete Analyseperspektive inspirieren, deren Fokus auf diskursiven Figuren in der Analyse von Lernjournalen liegt: „Als diskursive Figur lässt sich, ähnlich der rhetorischen Figur, allgemein eine im Text lokalisierbare Figuration von Elementen bezeichnen. Diese Figuration ist das Produkt eines Äußerungsaktes. Wenn der Äußerungsakt als ein wiederholbarer und wiederholter Akt eine diskursive Praktik darstellt, also ein wiederholtes Konstellieren einer Reihe von Elementen auf eine bestimmte Weise, dann ist die diskursive Figur die Konstellation, die aus diesem Akt resultiert. Die Figuren verhalten sich zu den diskursiven Praktiken wie das opus operatum zum modus operandi. Diskursive Praktiken lassen sich analysieren, indem man die Figuren als ihre produzierte Spur analysiert.“ (Wrana 2006: 139)
Daran anschließend, mit einiger Skepsis jedoch gegenüber einer Fokussierung auf ‚Produkte‘, möchte ich das Verhältnis von Figuren, Figurationen und Figurierungen im hier dargelegten diskursiven Terrain genauer spezifizieren. Es kommt mir dabei insbesondere darauf an, nicht ein Raster der ‚Identifizierung‘ auf das Material anzulegen, sondern das sich in Bewegungen befindliche Verhältnis zwischen Figurierung und Figuration hervorzuheben.
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Im hier vorgeschlagenen und für die folgenden Analyseschritte leitenden Verständnis meinen Figurationen die konstellative Verknüpfung von figurativen Elementen (Figuren), die unter (metaphorisch-katachrestischen) Bezeichnungen firmieren, wie etwa ‚Liebe‘, ‚Verliebtheit‘ oder ‚Unwägbarkeit‘. Die Füllungen und Besetzungen eben dieser Figurationen werden als Figurierungen verstanden, was auf die (tropologisch-metonymische) Bewegung hinweist, die diese Füllungsversuche antreibt. Dies verweist zugleich auf deren Effekte der Konfiguration des diskursiven Terrains. Das Verhältnis von Figuration und Figurierung wäre dabei missverstanden, wenn es sich als ein Bedingungsverhältnis darstellen würde. Es verhält sich gerade nicht so, dass Figurierungen (als Praxis der Verkettung) im ‚Ergebnis‘ spezifische Figurationen erzeugen oder konstituieren würden. Vielmehr befinden sich Figurierungen und Figurationen in einem Spannungsfeld der gegenseitigen Stabilisierung wie Unterminierung: Figurierende Besetzungsversuche (i.S.v. ‚Praktiken‘) etablieren Bedeutungen in einem diskursiven Terrain, welches durch spezifische Figurationen (i.S.v. ‚Knotenpunkten‘) Gestalt gewinnt. Die Unmöglichkeit totalfixierter Bedeutungen verhindert jedoch eine vollkommene Etablierung dieses Terrains. Figurierungen beziehen sich mithin auf Figurationen – das Sprechen über Liebe ruft spezifische Figuren (i.S.v. ‚Elementen‘) auf, um als Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe (an-)erkennbar zu sein – zugleich jedoch re-etabliert es dieses Terrain in der iterativen Wiederholung jener figurativen Elemente. In der Bezugnahme auf die Unausgefülltheit des diskursiven Terrains – wie wäre das Sagbare jemals zu fixieren? – liegt nicht nur der Motor für die Figurierungsbewegungen, sondern zugleich deren Grenze. Das rhetoriktheoretisch inspirierte Argument Laclaus, das er bezogen auf das Verhältnis von Partikularität und Universalität diskutiert, lässt sich in diesem Zusammenhang so verwenden, dass ‚Figurationen‘ keine selbstidentischen Entitäten – mithin keine ‚Produkte‘, deren Spur sich (hermeneutisch?) versichert werden müsste – darstellen, sondern gerade ihre unfixierbare Unabschließbarkeit erneute Schließungen provoziert und ermöglicht. Ebenso können auch figurierende Schließungsbewegungen nicht ohne einen Bezug auf ‚Figurationen‘, d.h. spezifische Gestaltungen des diskursiven Terrains, verstanden werden, insofern das diskursive Terrain in einem solchen Fall allein aus Bewegungen bestünde. Die unauflösbare, d.h. im Sinne Laclaus radikal heterogene, Differenz zwischen Figurie-
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rungsbewegung und Figuration impliziert zugleich die Unmöglichkeit der Realisierung einer der beiden Pole. Das relationale Verhältnis von Figurierung und Figuration stellt folglich die Bedingung der Signifikation als auch die Unterminierung letztlicher Fixierbarkeit von Signifikanten dar.16
2.3. D IE F RAGE ( N ) DER M ETHODE Inwiefern durch methodische Operationalisierungen der Unabschließbarkeit von Sinn Einhalt geboten werden kann, wird damit zur Frage. Wohl kaum wird eine methodische Vorabbestimmung die Kontrolle über die Untersuchungsgegenstände geben können, ohne dass bereits in der methodischen Bestimmung das mögliche ‚Ergebnis‘ vorhersehbar wird.17 Auch der anders
16 Diese Analysen von Figurationen grenzen sich mithin auch ab von ‚Figurationsanalysen‘, wie sie im Anschluss an Norbert Elias angedacht wurden. Gleichwohl wäre eine Diskussion des Eliasschen Figurationskonzepts im Zusammenhang diskurstheoretischer Perspektiven noch zu leisten (vgl. Elias 2006; Bartels 1995; Treibel 2009). Weitere Bezugnahmen auf das Figurationskonzept lassen sich vor allem in den Kunstwissenschaften (vgl. bspw. Boehm/Brandstetter/v. Achatz 2007) ausmachen sowie in der Literaturtheorie (vgl. bspw. Koller/Rieger-Ladich 2009) – die Attraktivität des Figurationskonzepts verweist nicht zuletzt auf dessen Unabgeschlossenheit der Überfülle und tendenziellen Leere, in die sich die vorliegenden Analysehinsichten besetzend einschreiben. 17 Besonders eindrücklich zeigt sich dieses Problem in der narrationsstrukturellen Analyse nach Schütze (vgl. bspw. 1987), der von einem pathologisierenden Modell der ‚Verlaufskurve‘ ausgehend die pathologische Defizitentwicklung der sprechenden Subjekte in den Blick bekommt. Ähnliches lässt sich für die Latenzvermutung der Objektiven Hermeneutik sagen, die objektive Strukturen in den Äußerungen und Dokumenten vorfinden will und wird – solange ihr Ausgangspunkt stets die Strukturiertheit sozialer Wirklichkeit und habitueller Subjektivitäten sein wird, die in krisenhaften Momenten Bewährungsmuster entwickeln (vgl. bspw. Oevermann 2004). Von einer anderen Warte aus wirft Reiner Keller (2010) der Gouvernementalitätsforschung vor, über keinen ausgewiesenen Methodenapparat zu verfügen und sich in der Illustration von Regierungslogiken der Selbstführung erschöpft zu haben. Ob Methoden zwingend empiri-
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gelagerte Ansatz, die Methoden ausgehend von den Gegenständen zu entwickeln, unterstellt einen kausalen Entsprechungszusammenhang, der die Forschungsgegenstände bereits vorab figuriert. So plädiert etwa der Soziologe Stefan Hirschauer (2008) für ein Methodenverständnis, deren Status er als „gegenstandsrelative Formen zur Sicherung des Innovationspotenzials primärer Sinnstrukturen“ (ebd.: 184) fasst. Dem folgend werden Methoden als „generalisiertes voicing“ (ebd.: 182) im Sinne des Verstärkens und Mobilisierens des Eigen- und Gegensinns „primärer Sinnstrukturen“ (ebd.: 183) gefasst. Hirschauer hebt an dieser Stelle durchaus auf die Konstitutionslogik der – in diesem Fall – soziologischen Forschung ab und versteht die „Gegenstandskonstitution in der Soziologie [als] eine Artikulationsaufgabe“ (ebd.: 183). Zudem kritisiert er einen Naturalismus in der Sozialforschung: „Da ist kein Boden der Tatsachen“ (ebd.: 167). Dennoch wird weiterhin von vorgängigen Sinnstrukturen ausgegangen, welche die Forschungslogik fundieren. Wie jedoch von der Beschreibung und Entdeckung von Praktiken zu überraschenden Beschreibungen zu gelangen ist, die theoretische Relevanz beanspruchen, bleibt an dieser Stelle unausgeführt. Der nicht ausgewiesene Status jener ‚primären Sinnstrukturen‘ bleibt einem strukturalistischen bzw. wissenssoziologischen Bias verhaftet, der die aufgerufene Differenz zwischen analytischem Zugriff und Gegenständlichkeit des Gegenstandes repräsentationslogisch fundiert und damit eindampft. Demgegenüber begreifen Hans-Christoph Koller und Jenny Lüders die Frage der Methodisierung der Diskursanalyse „als Teil der Kämpfe um die Bemächtigung des Diskurses […], bei denen es […] keinen neutralen Standpunkt [gibt], von dem aus die ‚Güte‘ bzw. die Regelkonformität einer Diskursanalyse objektiv beurteilt werden könnte. In diesem Sinne sind auch Methodenfragen Machtangelegenheiten.“ (Koller/Lüders 2004: 72; Hervorhbg. 18
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schen Frageraum als ‚theoretische Konzepte‘ eröffnen oder nicht auch schließen, wäre (insbesondere die wissenssoziologische Methodologie) zu fragen. 18 Vgl. insgesamt zum ‚methodischen‘ Status der Diskursanalyse die Beiträge im von Robert Feustel und Maximilian Schochow (2010) herausgegebenen Band sowie die Beiträge in Angermüller/van Dyk (2010).
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Methodische Kontrollierbarkeit: Wo ist der Ankerpunkt? Gegenüber Versuchen der Operationalisierung und Absicherung durch Methodisierung plädiert Alfred Schäfer (2006) für eine ‚Empirie des Unzugänglichen‘. Diese radikalisiert die empirische Haltung gegenüber Forschungsgegenständen, indem sie diese nicht nur als ‚noch nicht‘ erschlossen versteht. Vielmehr geht die Formulierung der ‚Unzugänglichkeit‘ davon aus, dass die Gegenstände der Untersuchung nicht bestimmbar sind. Diese Argumentation findet sich auf der Linie Foucaults, in der Untersuchungsgegenstände nicht als Dokumente, die mittels methodischer Zugriffe ‚sprechen‘ könnten, verstanden werden. Schäfer argumentiert für ein Gegenstandsverständnis, das dieses „gerade nicht […] in einem identifizierenden Vorgriff auf das zu Erforschende, zu Befragende, vorab bestimmt“ (Schäfer 2006: 89; Hervorhbg. i.O.; vgl. ähnlich aus systemtheoretischer Sicht: Nassehi/Saake 2002). Kritisch wendet sich Schäfer damit gegen ein repräsentationslogisches Verständnis, das zwischen der ‚untersuchten‘ Wirklichkeit des Materials/der Forschungsgegenstände und der forschenden Bezugnahme auf diese unterscheide. Demgegenüber bestimmt die von Glaser/Strauss (1998) und Strauss/ Corbin (1999) vertretene Grounded Theory die Gegenstandsadäquatheit als Proprium der Methodenwahl, indem forschungslogische und methodische Überlegungen von der Charakteristik des Gegenstandes aus entworfen werden. In dieser Zurückhaltung gegenüber den Erwartungen an Standardisierungen von Forschung sieht Hirschauer (2008) den Gewinn eines qualitativen Zugriffs, auch wenn dadurch „das Methodische […] eine gänzlich offene Frage“ (ebd.: 181) wird. Dass diese Frage offenzuhalten ist und nicht von einem Entsprechungsverhältnis von Gegenstand und Methode ausgegangen werden kann, macht Schäfer nicht nur bezogen auf die Einklammerung theoretischer Konzept geltend. Die Unfixierbarkeit von Sinn, d.h. die Distanznahme zu einem Wirklichkeitskonzept, das sprachlich und sinnhaft repräsentiert wird, reicht auch in die Gegenständlichkeit hinein. Eine solchermaßen ‚problematisierende Empirie‘ (vgl. Schäfer 2011) prozessiert folglich eine unmögliche Identifizierung: Analytische Zugriffe vollziehen vorläufige Schließungen der Forschungsgegenstände, welche ihre Existenz der Unmöglichkeit, vollkommen ausgefüllt zu werden, verdanken. Schäfer macht auf die Paradoxie
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dieser Herangehensweise aufmerksam, die Schließungen vollzieht, obwohl sie Unbestimmtheit des Forschungsgegenstands zum Proprium nimmt.19 Gerade darin jedoch sieht Schäfer die Eröffnung eines empirischen Frageraumes, der sich der Vermessung und Identifizierung des Gegenstandes verweigert.20 Ganz ähnlich fasst dies Ralf Konersmann (1991) für die Foucaultsche Diskursanalyse zusammen: „Die Diskursanalyse spricht nicht mehr unmittelbar von den Sachen, davon also, ‚wie es eigentlich gewesen [sic]‘, sondern davon, unter welchen Umständen, Bedingungen und Voraussetzungen, nach welchen Regeln, Vorlieben und Verfahrensweisen sie präpariert und wahrgenommen werden. In dieser Perspektive hört das Verhältnis von Ordnung und Ereignis auf, gegensätzlich zu sein.“ (Ebd.: 84)
Konersmann hebt damit die Verwiesenheit von ‚Ordnung‘ (i.S.v. Regelhaftigkeit) und Ereignishaftigkeit hervor. ‚Regelhaftigkeit‘ bezieht sich somit auf dauerhaft unausgefüllt bleibende Regeln, und meint folglich nicht Determination, sondern Umgrenzung. Diese Umgrenzungen der Wahrscheinlichkeit von Aussageereignissen haben jedoch keinen fixen Ankerpunkt. Die nicht-fixierbaren Umgrenzungen machen folglich den Motor der Generativität aus. Dieses Moment der Generativität vor dem Hintergrund der kontingenten, d.h. figurativen Qualität von Sinn steht im Mittelpunkt meines Forschungsinteresses. Der Umgang mit dieser Kontingenz und Relationalität wird in der qualitativen Sozialforschung selten auf die analytische Arbeit selbst bezogen. Aus systemtheoretischer Sicht werfen deshalb Armin Nassehi und Irmhild Saake (2002) der qualitativen Sozialforschung vor, vorrangig um „Kontingenzdomestikation“ (ebd.: 68) bemüht zu sein. Weder werde die Kontingenz der untersuchten sozialen Wirklichkeit noch diejenige der Forschungsperspektive in Rechnung gestellt. Ähnlich wie Alfred Schäfer argumentieren sie daher für ein Gegenstandsverständnis, das seinen Ausgang
19 Damit ist nicht gemeint, die „unbestimmbare[n] Wirklichkeit […] als wahre Wirklichkeit gegenüber allen metaphorischen und begrifflichen Näherungen“ (Schäfer 2009a: 231) auszuweisen und ihr damit erneut einen Status als transzendental zukommen zu lassen. 20 Von dieser Perspektive der Differenzialität zwischen Öffnung und Schließung schlägt Schäfer (2006) die Brücke zur bildungstheoretischen Reflexion, die aus einem differenziellen Subjektverständnis ihren theoretischen Horizont gewinne.
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von der „Kontingenz des Gegenstandes“ (ebd.: 70) nimmt. In kritischer Absetzung von einer an Sequenzlogiken des Ursprungs und der Linearität orientierten Forschung (vgl. ebd.: 80), plädieren die AutorInnen dafür, die Kontingenz von Sinn schließlich auch für die Forschungsperspektive geltend zu machen: „Methodische ‚Kontrolle‘ ist dann kein Eindeutigkeitsgenerator mehr, sie sediert nicht den Beobachter […]. Methodische ‚Kontrolle‘ meint auch nicht mehr die (vergebliche) Suche nach gegenstandsadäquaten Methoden, konstituieren diese doch ihre Gegenstände. Methodische ‚Kontrolle‘ kann dann nur noch heißen: Einsicht in die epistemologische Verschlingung von Forschung und Gegenstand […].“ (Ebd.: 81)
Wenngleich sich die AutorInnen an dieser Stelle auch vom Konzept der différance als Bewegung der disseminativen Verschiebung und Markierung kritisch absetzen, lässt sich dennoch an deren Argument anschließen: Die Infragestellung der Kontrollierbarkeit von Sinn – über Sicherungen durch Wirklichkeit, Subjekt, Methode oder Wissen – setzt ‚Kontrolle‘ tatsächlich in Anführungszeichen. Der Hinweis auf die Verbindung von Forschung und Gegenstand beginnt nicht erst bei der Methode und endet auch nicht damit. Die systemtheoretische Perspektive auf Sinngebung durch Kontingenzreduktion via Ausschluss verbindet sich an dieser Stelle mit der poststrukturalistischen Einsicht in die unmögliche Dauerhaftigkeit solcher Sinngebungen. Der Hinweis der Autoren, in empirischen und theoretischen Arbeiten den Umgang mit Kontingenz zu prozessieren sowie für analytische Einsätze leitend und fruchtbar zu machen, soll an dieser Stelle aufgenommen werden.21 Für Analysen impliziert die Figurativität sozialen Sinns den Anspruch, der kontingenten Konstitutionslogik des Sozialen und der daraus sich ergebenden Generativität zu folgen. Diese bilden schließlich und nicht zuletzt auch den Einsatzpunkt für Resignifikationen und Übersetzungen – mithin
21 Dass darin einige Provokation für die qualitative Sozialforschung liegt, zeigen die Reaktionen auf diesen Aufsatz (vgl. Hirschauer/Bergmann 2002, Nassehi/Saake 2002a). Weitere Auseinandersetzungen mit Kontingenz und deren epistemologischen und methodischen Konsequenzen, die vor allem über die sprachlichen Figuren wie Metapher und Metonymie fokussiert werden, finden sich im bspw. im kunsttheoretisch angelegten Band, den Jörg Huber und Philipp Stoellger herausgegeben haben (Huber/Stoellger 2008).
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Analysen. Ein solcher Einsatz bewegt sich folglich im Rahmen von Erkenntnispolitik und Macht-Wissen. Er bemisst sich an der Frage, „wie ein Umgang mit ‚sozialer Wirklichkeit‘ erfolgen kann ohne die Relationalität auf die eigene Forschungsperspektive auszublenden und ohne die Kontingenz im Sozialen und deren Produktivität auszulöschen.“ (Jergus/Thompson 2011: 106)
Im Ergebnis? Die Perspektive auf die Bewegungen der Schließung, Setzung und Verfehlung in der performativen Konstitution von Bedeutungen reicht folglich in die Analyse selbst hinein. Artikulationen in ihrer Ereignishaftigkeit in den Blick zu nehmen, bedeutet somit auch, sie von ihrer Bindungskraft an Theoriegebäude, an Ideen, an kategoriale Verständigungen, an Ursprünge zu lösen. Die Analyse zehrt folglich von der Logik der Signifikation im Terrain unabschließbarer Bedeutungen, die momenthaft und figurativ machtvolle Konstellationen mit Bindungskraft erzeugen. Die Möglichkeitsbedingung des Ausschlusses, die zugleich die Unmöglichkeitsbedingung fixierten Sinns darstellt, wird zum analytischen Ausgangspunkt von „Beziehungen, die sich immer wieder voneinander loshaken“ (Foucault 1992: 38). Die Analyse bewegt sich demnach zwischen ‚Prozesserhaltung und Prozessumformung‘ – indem sie ihren Einsatzpunkt in diesem ‚zwischen‘ findet und von dessen Logik zehrt.22 Dies impliziert gegenüber interpretierenden und hermeneutischen Exegesen einer Suche nach der untergründigen, latenten, grundlegenden Figur einer Ordnung, von der her und auf die hin sich Aussageereignisse erklären ließen, eine andere Ausrichtung der Analyse: Analytiken dieser Art bewegen sich im Raum resignifizierender ‚Fehlaneignungen‘, so dass sie sich der figurativen Qualität des diskursiven Terrains annähern und bedienen.23 Die Analyse bewegt sich folglich im Spiel der Bedeutungsoffenheiten und greift darin ein, indem sie
22 Vgl. dazu auch Thompson (2009), die diesen Grenz- und Umschlagpunkt als Ausgangspunkt für theoretische und empirische Perspektiven auf „Subjektivierungen […] vor dem Hintergrund ihrer Schließung durch Machtstrukturen und gleichzeitig vor dem Hintergrund, dass diese Schließung auf einer Fiktion beruht“ (ebd.: 201f.) versteht. 23 Vgl. zur Nahelegung eines solchen Verständnisses von ‚Interpretation‘ als resignifizierendes und übersetzendes Vorgehen: Posselt (2005: 84).
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vermeintlich gesicherte, sich als ‚wahr‘ generierende, Konstellierungen als Momente eines Diskurses versteht. Momente existieren in und aufgrund ihrer kontingenten, nicht-kausalen und nicht-notwendigen Ereignishaftigkeit. Dies wiederum bedeutet zudem, dass Momente nur eine vorläufige Fixierung ihres Gehalts erlangen können. Während demnach die Analyse von dieser disseminativen Logik zehrt, indem sie sich der Unabschließbarkeit von Bedeutung und damit deren strategischer Platzierung im umkämpften Terrain des Diskurses bedient, bewegt sie sich in diesem umkämpften Terrain. Ihr ‚Loshaken der Beziehungen‘, ihr Einsatz im Riss zwischen Setzung und Verfehlung, wird zu einem strategischen Spiel um Bedeutungen – ohne dass dieser analytische Einsatz seine ‚Gegenstände‘ und ‚Ergebnisse‘ kontrollieren könnte. Ergebnisse solcher Analysen situieren sich demnach nicht jenseits des Terrains, in dem sie Gehör und Anlass finden. Foucaults genealogische Perspektive macht darauf aufmerksam, dass ‚Wissen‘ den Bedingungen des ‚Wahrsprechens‘ unterliegt. Analysen bewegen sich damit nicht nur auf der Gegenstandsebene im Zwischenraum von ‚Prozesserhaltung und Prozessumformung‘. Sie stellen darüber hinaus strategische Einsätze dar, die Auskünfte und Herkünfte über ihren Einsatz nur unter der Bedingung geben können, sich selbst und ihre Effekte nicht vollkommen kontrollieren zu können. Dies gilt nicht zuletzt für die (Re)Präsentation und Darstellung der Analysen – auch diese bewegen sich auf dem schmalen Grat des ‚Wahrsprechens‘. Die analytische Bewegung ereignet sich mithin zwischen ‚Prozessumformung und Prozesserhaltung‘, die folglich nicht interesselos, sondern unter den Bedingungen von Formiertheit und Figurierung ‚Ergebnisse‘ platziert. Diese sind weder indifferent gegenüber dem Terrain, in dem sie gehört werden noch bleiben sie gegenüber ‚den‘ Gegenständen neutral. Sie verfügen ebenfalls nicht darüber, welchen Öffnungen und welchen Schließungen, welchen Wahrheitswerten ihre Figuren unterliegen. Interviews – unmögliche Verheißungen? In diesem Sinne werden ‚Materialien‘ als so genannte ‚Daten‘ nur künstlich auf eine Form zu beschränken sein. Da die Umgrenzungen jedes diskursiven Terrains nur als ‚unscharfe Ränder‘ (vgl. Krüger 2011) existieren, gibt es keinen festgelegten Ort der Sinnproduktion. Vielmehr bietet es sich an, die Konstitution von Gegenständen, die Modalitäten von Äußerungen, die Begrifflichkeiten und die diskursiven Strategien über verschiedene Materia-
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lien hinweg in den Blick zu nehmen. Für die vorliegende Studie beschränken sich die Analysen auf Interviews, die zu Beginn der Forschungsarbeit geführt wurden. Daneben werden theoretisierende Vergewisserungen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auf die Konstitution der Verliebtheits- und Liebesthematik hin diskutiert. Die leitende Frage nach der Hervorbringung von ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ wird zur Frage danach, wie eine sich an der Grenze des Kitsches bewegende, formelhafte und allgegenwärtige Thematisierung von Liebe und Verliebtheit mit subjektiv hoher bzw. existenzieller Bedeutsamkeit ausgewiesen werden kann. Um einem Missverständnis vorzubeugen, sei vorgreifend darauf hingewiesen, dass es der Analyse gerade nicht darum gehen wird, eine solche subjektive Bedeutsamkeit rekonstruieren oder identifizieren zu wollen. Dass jedoch gerade Interviews mit der Verheißung einhergehen, Auskünfte zu erhalten, stellte auch einen Ausgangspunkt der hier vorliegenden Studie dar: So entschied ich mich für die Erhebung von Interviews mit der Hoffnung, die Interviewten würden meine Idee zur Sprache (oder auch zum Stottern und Schweigen) bringen, dass das ‚Verliebtsein‘ etwas mit dem Ausgesetzt-Sein (ausgeliefert sein) des Subjekts zu tun habe – die Interviews sollten also für mich das Zögern, Suchen, NeuAnsetzen des verliebten Sprechens (als Ausdruck des verliebten Seins) dokumentieren. Diese Hoffnung verbindet sich typischerweise mit dem Erhebungsverfahren des Interviews. Exemplarisch sei hier die Situierung des Interviews durch Arnd-Michael Nohl aufgerufen: „Im Interview kommen in besonderer Weise Komponenten der Alltagskommunikation zur Geltung: Geschichten erzählen, einander zuhören, argumentieren, Standpunkte deutlich machen, von Erlebnissen berichten etc. Daher lassen sich mit diesem Erhebungsverfahren nicht nur die Perspektiven und Orientierungen, sondern auch die Erfahrungen, aus denen diese Orientierungen hervorgegangen sind, zur Artikulation bringen. Aus diesem Grund wird hier sehr darauf geachtet, dass die Interviewten nicht nur frei, d.h. ohne Vorgaben, ‚ihre Meinung sagen‘ können, sondern den Forschenden auch von ihren Erfahrungen erzählen.“ (A.-M. Nohl 2009: 7)
Im Sinne dieser ‚Auskunftslogik‘ werden die Interviewten auch als ‚Informanten‘ bezeichnet (vgl. bspw. ebd.: 24; Schütze 1987: 146). Im Vokabular journalistischer und kriminalistischer Ermittlungen geht es solchen ‚Forschungsunternehmen‘ darum,
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„nicht nur Meinungen, Einschätzungen, Alltagstheorien und Stellungnahmen der befragten Person abzufragen, sondern Erzählungen zu deren persönlichen Erfahrungen hervorzulocken.“ (A.-M. Nohl 2009: 20; Hervorhbg. K.J.)
Ökonomisch kalkulierend muss auch über die richtige Strategie – den erzählgenerierenden Stimulus – „das ganze Erzählpotenzial abgeschöpft werden“ (ebd.: 22).24 Die Interviews irritierten jedoch eben diese Hoffnung auf ‚Ausdruck‘ eines der Liebe ausgesetzten Subjekts vor allem dadurch, dass sie ausladende, routinisierte und ausschweifende Ausführungen enthielten. Zwar fanden sich auch zögerliche Versuche des Neu-Einsetzens und Eingrenzungen des Gesagten mit dem Vorbehalt, das Thema nicht erschöpfend besprechen zu können. Jedoch waren die Interviews vor allem eines nicht: Die Illustration der These, das sich in Grenzzuständen befindende Individuum spreche in einer Sprache am Rande des Symbolischen. So lässt sich beispielsweise – um einen Vorblick auf die folgenden Analysen zu geben – Verliebtheit mit Außeralltäglichkeit–Exklusivität– Bedeutsamkeit verknüpfen oder aber mit Überraschung–Verlust–Zulassen– Trennungsschmerz verketten oder auch analogisierend über Energie– Leidenschaft–Musik–Dichten figurieren. Alle drei Konstellationen lassen sich in einen Zusammenhang damit bringen, dass es sich bei Verliebtheit und Liebe um eine seltene ‚Sternstunde‘ im Leben, um eine unwägbare Angelegenheit und einen thematisierenswerten Sachverhalt handelt. Zugleich lassen sich diese Konstitutionsweisen von Verlieben und Liebe als je verschiedene Figurierungen eines unwägbaren und uneindeutigen Gegenstandes verstehen, so dass ‚Unbestimmtheit‘ nicht einen einheitlichen Bezugsrahmen abgeben, sondern auf je neue Weise in den je konkreten Artikulationen hervorgebracht und gefüllt werden muss.
24 Aus sehr verschiedenen Perspektiven kritisieren Stefan Hirschauer und Armin Nassehi die Verwendung von Interviews im Rahmen der qualitativen Sozialforschung als einerseits in der Plausibilisierungsfunktion aufgehende „domestizierte Form der Empirie“ (Hirschauer 2008: 177) und als andererseits im Vertrauen auf die „Reibungslosigkeit des Sozialen“ (Nassehi 2008: 84) an ein spezifisches bürgerliches Selbstverständnis anknüpfend, das an reflektierende und auslegende Weltverständigungspraxis anschließt.
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Damit lässt sich folglich kaum mehr davon ausgehen, dass ‚die Liebe‘ ‚die Liebe‘ ist. Weder also kann eine Äußerung im diskursiven Terrain zu Verliebtheit und Liebe auf eine naturaliter gegebene Bezugsgröße der ‚Liebe an sich‘ verweisen, noch können Aussagen in den Interviews als Fälle der Thematik ‚Liebe‘ bzw. ‚Verliebtheit‘ angenommen werden. Dies führte zu zwei Konsequenzen: 1. Die Heterogenität des Materials – es scheint wenig zu geben, was sich nicht im Zusammenhang mit Liebe/Verliebtheit thematisieren lässt – verweigerte sich analytischen Zugriffen auf zugrunde liegende Muster, Typiken oder Sinnhorizonte. Vielmehr musste sich der analytische Blick auf die jeweils konkreten Artikulationen und Verknüpfungen konzentrieren, mit denen sich die Liebesthematik auf eine bestimmte und spezifische Weise darstellte. – Die Analyse konzentrierte sich dementsprechend auf die Faktizität des Gesagten, um in den Blick zu nehmen, wie Konzepte, Begriffe und subjektivierende Positionen figuriert und platziert werden. 2. Damit in Verbindung steht eine weitere Konsequenz: die Verabschiedung eines vorgeordneten Thesenentwurfs, der die Liebes-/Verliebtheitsthematik als Exemplum versteht, in der das Subjekt einem Gegenstand ausgesetzt sei, der in besonderer Weise die symbolische Konstitution des Subjektes erfahrbar mache. Diese Bestimmung des Verliebtheits- und Liebesthemas im Hinblick auf bildungsrelevante ‚Grenzerfahrungen‘ würde ein dichotomisches Verhältnis von Bildungstheorie und Bildungsforschung reifizieren: Diese vorgreifende Figurierung des Themas würde die Analysen bereits im Horizont dieser Erfahrungsfigur lesen und das Sprechen in den Interviews auf die Dimension der Grenze festlegen. Eine so angelegte Analyse würde entweder in der Logik der empirischen Illustration (bildungs-)theoretischer Vergewisserungen den eigenen Analyseeinsatz beschränken oder aber in einer unterkomplexen Wirklichkeitskonstruktion die Interviews mit Authentizitätsaufladungen versehen. Für den Fall der empirischen Illustration spricht der Soziologe Stefan Hirschauer – wenn auch in etwas anders gelagerter Absicht – von „theoretische(r) Bauchrednerei“ (2008: 177), die insbesondere das Genre der Interviews als prädestiniertes Auskunftsmittel qualitativer Sozialforschung betreffe: „Interviews liefern eine domestizierte Form der Empirie, die leicht an den soziologischen Diskurs anschließbar ist: Die Daten sind bereits diskursiv verfaßt, die soziale Situation ist von und für die Forschung veranstaltet, der Teilnehmer kann unmittel-
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bar für den soziologischen Gesprächspartner Rationalisierungen entwickeln, im Falle des Experteninterviews wird er auch in seiner Rolle an den Sozialexperten assimiliert. Wenn er dann auch soziologisch belesen ist, schafft der Gebrauch des Interviews im Dienste der Illustration ein Textgenre, an das Geertz noch nicht dachte: eine theoretische Bauchrednerei. Bei Lektüre der Studie spricht – welch erstaunliche Fügung! – die Theorie durch den Informanten.“ (Ebd.: 177)
Demgegenüber wird für die folgenden Analysen die Frage leitend sein, wie Liebe und Verliebtheit thematisiert werden und zwar bezogen auf die konstituierende Artikulation – mithin auf ihre performative Qualität der Setzung, Bezeichnung und Verfehlung. Die analytische Arbeit orientiert sich folglich gegenüber der Suche nach Kohärenz und Widerspruchsfreiheit vielmehr an der Unabgeschlossenheit der Thematisierungsweisen. Es sind gerade die Widersprüchlichkeiten, Gegenläufigkeiten und Brüche, die besondere Relevanz für die Konstitution des Gegenstandes haben. Die Analyseperspektive dreht folglich den von Christine Hanke (2003) aufgeworfenen Weg um. Während Hanke ausgehend von der Suche nach Kohärenzen die Diskontinuitäten in den Blick nimmt (vgl. den Abschnitt Poststrukturalistische Diskursanalysen, S. 93ff.), gehe ich von der Diskontinuität, d.h. der kontingenten Nicht-Notwendigkeit aus, um darauf folgend nach den Verknüpfungsweisen zu fragen. Dies trägt der Frage, wie in der Analyse vermieden werden kann, den Gegenstand reifizierend zu reproduzieren, Rechnung. Damit ist gemeint, dass – im Vorblick auf die folgenden Analysen – es nicht darum gehen wird, das Sprechen über Verliebtheit und Liebe erneut in den Horizont der ‚Unbestimmtheit‘ einzuordnen. Vielmehr wird ‚die‘ Unbestimmtheit als figuratives Element verstanden, dem keine Einheitlichkeit oder Definitheit eignet, sondern das permanenten Füllungs- und Besetzungsbewegungen unterliegt. Der andere Fall, nämlich der einer Authentizitätsaufladung, ist jedoch komplizierter gelagert: Die Form des Interviewmaterials legt die Identifikation von Sprecherpositionen nahe, auf die sich die Analysen konzentrieren und die zur gleichzeitigen Ausblendung der als neutral oder irrelevant verstandenen ‚Interviewerin‘-Figur führen kann. Die Nahelegung des sprechenden Ich, das Textkohärenz verbürgen soll und zugleich authentische Auskünfte gibt, stellt eine Verführungsspur für die Analysen dar. Dieser kann begegnet werden, indem auf die Figurationen aller Äußerungsakte im Sinne der Errichtung eines Monuments (vgl. Foucault 1973: 198) abgehoben wird. Verfolgt wird auf diese Weise die Konstitution der Liebesthema-
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tik unabhängig davon, von welcher Sprecherinposition aus diese verzeichnet werden. Darüber hinaus jedoch besteht auch eine ‚Authentifizierungsstrategie‘ darin, die Äußerungen in den Interviews als Ausdruck einer vorfindlichen Wirklichkeit zu figurieren, und den Status des Materials als eine letzte Versicherungsebene anzunehmen. Demgegenüber gilt es, die Äußerungen in ihrem wirklichkeitskonstituierenden Charakter in den Blick zu nehmen: Die Analysen nehmen somit ihren Ausgang gerade nicht von einer vorgreifenden Idee oder Konzeption von Liebe und Verliebtheit, sondern wenden ihren Blick auf die Herstellung und Hervorbringung dieses Gegenstandes. Der leitende Fokus verschiebt sich somit auf die Analyse der spezifischen Konstitutionslogiken dessen, was Verliebtheit und Liebe bedeuten kann – die je spezifischen Füllungen eines Gegenstandes, dessen Füllbarkeit unausschöpflich zu sein scheint. Die die Analyse leitende Frage verschiebt sich damit zur Frage danach, wie die jeweiligen Füllungs- und Schließungsversuche vorgenommen werden. Die Analyse nimmt folglich ihren Ausgangspunkt von der Ebene des Heterogenen und Ereignishaften, um daran zu fragen, wie Schließungsbewegungen (d.h.: Figurierungen) um diskursive Figuren und Figurationen vollzogen werden. Daneben ist es jedoch bedeutsam, diese Schließungen gerade nicht einem Horizont von Wahrheit unterzuordnen, sondern auf die Unabschließbarkeit dieser Figurationen zu verweisen. Dazu dient nicht zuletzt die Adressierung der wissenschaftlich-theoretischen Diskursivierungen von Verliebtheit und Liebe. Die analytische Bewegung kommt demnach nicht umhin, über die Arbeit am Material Schließungen vorzunehmen, die sich in der Identifizierung diskursiver Momente, diskursiver Figuren und diskursiver Figurationen findet – diese ‚Identifizierungen‘ werden jedoch stets unter dem Vorzeichen der unmöglichen Festschreibung und Kontrollierbarkeit von Bezeichnungen innerhalb der Analytik den Status von notwendig-unmöglichen Figuren erhalten. Das bedeutet auch, keine definite Grenze des Datenkorpus angeben zu können. Im Umkehrschluss ist damit gesagt, dass auch eine exemplarische Analyse von einem einzigen Interview oder Text diese Bewegung der Öffnung und Schließung herausarbeiten könnte. Da die Analyse in einem Feld unabschließbarer Bedeutungen erfolgt, legitimiert sich eine Korpus-Eingrenzung nicht repräsentationslogisch, sondern als unmögliche und notwendige Schließung.
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Die Unbestimmtheit und Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains wird demnach in zwei Richtungen geltend gemacht: Zunächst wird der ‚Gegenstand‘ Verliebtheit nicht vorab definit gesetzt ebenso wenig als abschließend definierbar verstanden – es geht um die Gleichzeitigkeit von Wucherung und Reglement dessen, was im diskursiven Terrain der Verliebtheit und Liebe sagbar ist. Damit einher geht zweitens die spezifische Ausrichtung auf das supplementäre Moment jedes Sprechens: die notwendige und unmögliche Schließung, die in jedem Neu-Ansetzen etwas hinzufügt zur Fülle des Gesagten und dabei die Füllung erneut aufschiebt. Es geht nicht um Rekonstruktionen bestimmter semantischer (Wissens-) Gehalte, sondern um die Vielfältigkeit und Heterogenität des Sagbaren und die gleichzeitige Konstitution dessen, was in der Thematisierung von ‚Verliebtheit‘ ermöglicht und erforderlich wird. Beide Aspekte wiederum müssen auch für die Analyse selbst eingeholt werden: Weder kann es deshalb darum gehen, die Aussagen auf AutorInnen oder Sprechende zurückzuführen, noch ein angemessenes und kohärentes Sprechen im Diskurs der Liebe bzw. Verliebtheit anzunehmen. In den Blick genommen werden soll daher die wuchernde Ereignishaftigkeit dessen, was die diskursive Formation um Verliebtheit und Liebe ermöglichen kann. Die Vorgehensweise: Nachträgliche Kohärenz Das analytische Vorgehen lässt sich – nur retrospektiv Kohärenz erzeugend – folgendermaßen zusammenfassen: In einem ersten Schritt wurden zunächst die insgesamt 14 Interviews gesichtet (zur Erhebung vgl. den folgenden Abschnitt). Die Sichtung und Sortierung des Interviewmaterials erfolgte quer über alle Interviews hinweg, um die Fülle der Thematisierungen in den Blick nehmen zu können sowie Varianzen und Wiederholungen einzelner Elemente in ihren jeweiligen Verknüpfungshinsichten untersuchen zu können. Darauf hin wurden einzelne Interviews genauer analysiert. Diese Einzelanalysen innerhalb einzelner Interviews verfolgten, welche Elemente in welchen Zusammenhängen angeführt werden. Leitend waren dabei folgende Analysefragen: Wie wird über Liebe gesprochen? Welche Konzepte (Elemente) werden angeführt? Wie werden die jeweiligen Elemente ausgefüllt und platziert? Mit welchen anderen Elementen werden sie auf welche Weise verknüpft? Daneben stellte sich die analytische Frage nach den Autorisierungsstrategien, die das ‚Wahrsprechen‘ im diskursiven Terrain um
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Verliebtheit und Liebe ermöglichen: Was muss aufgerufen werden, um das Sprechen über Liebe und Verliebtheit zu ermöglichen? Welche Ausschlüsse werden vorgenommen oder ergeben sich zwangsläufig? Welche ‚Verbote‘ werden eingeführt? Welche Verknappungsargumente und Begründungsfiguren ergeben sich? Wie etabliert sich das diskursive Terrain um Verliebtheit und Liebe? Wie wird eine Bedeutsamkeit des Themas hergestellt? Eine weitere Fragerichtung zielte darauf ab, die Heterogenität der vielfältigen Verknüpfungen und Varianzen darauf hin in den Blick zu nehmen, welche Effekte sie haben: In welchen Hinsichten werden Erfordernisse und Notwendigkeiten markiert? Welche Anrufungen gehen damit einher? In welchen Hinsichten werden ‚Entscheidungen‘ erforderlich? In welchen Hinsichten werden Selbstthematisierungen notwendig? In welchen Hinsichten wirkt der Thematisierungsanlass zu Verliebtheit und Liebe produktiv und generierend? Welche Thematiken und Verknüpfungen werden durch die Bewegung im diskursiven Terrain um Verliebtheit und Liebe ermöglicht? In einem dritten Schritt wurden die sich aus diesen Analysen ergebenden heuristischen Figurationen schließlich erneut quer über alle Interviews in ihrer Varianz, Streuung und Verschiebung untersucht – allerdings nicht bezogen auf eine ‚theoretische Sättigung‘ oder der Vorbereitung typisierender Kategorisierungen, vielmehr um sowohl die je konkreten (ereignishaften, nicht identischen) Artikulationen und die dennoch dadurch als Effekt und Bedingung zu verstehenden Umgrenzungen und Etablierungen des diskursiven Terrains um Verliebtheit und Liebe in den Blick nehmen zu können. Dieser Untersuchungsschritt der Perspektive auf die (künstliche) Gesamtheit des Materials fragt mithin nach der generativen und zugleich machtvollen Qualität des Sprechens im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit. Die Analyse der Theoretisierungen im wissenschaftlichen Genre erfolgte in ähnlicher Weise, jedoch ergab sich diese Analysebewegung zwischen drei Ebenen (Heterogenität – Verknüpfungsweisen – Varianzen) erst im Zuge der Auseinandersetzung mit theoretisch-wissenschaftlichem Material. Dieses diente anfangs nicht als Analysematerial, sondern sollte den Status eines Hintergrundmaterials im Sinne eines Forschungsstands erhalten. Eine solche Vor-Ordnung des analytischen Zugangs durch eine wissenschaftliche Systematisierung würde Letztere jedoch in einen Wahrheitshorizont einrücken, der der Analyse der Interviews einen illustrierenden Status zuweisen würde (vgl. dazu die folgenden Ausführungen).
II Analysen des Sprechens über Verliebtheit und Liebe im Horizont rhetorisch-diskursiver Einsätze
3.
Liebesfiguren – Fragmente einer Theorie der Liebe
3.1. Z UGÄNGE : B ESTIMMUNGEN
UND
U NBESTIMMTHEIT
Ein Gemeinplatz – und zugleich mein analytischer Einsatzpunkt – über die Liebe lautet: „Liebe kann nicht erklärt und nicht beschrieben werden“ – so der Literaturwissenschaftler Gerhard Neumann in seiner Einleitung zu einem Symposion „Über die Liebe“ (Neumann 2001: 14). Nahezu jede Abhandlung aber auch jede Unterhaltung über die Liebesthematik nimmt ihren Ausgang von dieser Feststellung – und redet, schreibt, spricht seiten- und stundenlang von ihr. Julia Kristeva fragt: „Das Wagnis eines Liebesdiskurses, eines Diskurses der Liebe, entspringt doch wohl vor allem der Unbestimmtheit des Objekts. Worüber wird eigentlich gesprochen?“ (Kristeva 1989: 10)
Der folgende Gang durch theoretisierende Zugriffe auf die Liebes- und Verliebtheitsthematik könnte als eine Listung des Forschungsstandes (miss-)verstanden werden – demgegenüber möchte ich mein Vorgehen als analytischen Zugang situieren, der das Sprechen im wissenschaftlichen Terrain über Liebe und Verliebtheit gerade nicht mit Wahrheitswerten ausstattet, wie dies eine Rahmung als ‚Stand der Forschung‘ nahe legen würde. Vielmehr wird für die folgenden Darstellungen die Frage danach leitend sein, wie über Liebe und Verliebtheit gesprochen werden kann, welche Figuren aufgerufen, in welcher Weise platziert, verknüpft und gebraucht werden und mit welchen Effekten dies einher geht. Um eine die Liebes- und
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Verliebtheitsthematik ontologisierende Schließungsgeste mittels inhaltlicher Vorab-Definitionen zu vermeiden, bietet sich der rhetorischdiskursanalytische Zugang an. Damit wird nach den Autorisierungs-, Figurierungs- und Konstitutionsweisen gefragt, die die Gegenständlichkeit des Gegenstandes Liebe und Verliebtheit hervorbringen, (an-)erkennbar werden lassen und zugleich der iterativen Logik jeder Bezeichnung unterliegen. In einer ersten Hinsicht interessiere ich mich demnach für die sich als ‚wissenschaftliches Sprechen‘ etablierenden Artikulationen von Liebe und Verliebtheit. In einem zweiten Schritt werden unter der ebenfalls rhetorisch-diskursanalytisch inspirierten Perspektive Interviewmaterialien analysiert. Neben diesen beiden Materialsorten wären zudem andere Genres denkbar, wie etwa Ratgeberliteratur, Boulevardmeldungen, Filme, Soaps, Musik, Internetforen, etc. Ich beschränke meine Analysen auf diese zwei Formate – theoretisierende Zugriffe und Interviews – aus primär forschungspragmatischen Gründen der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit des empirischen Materials von einerseits wissenschaftlichen Verständigungen und andererseits der zu Beginn meines Forschungsvorhabens erhobenen Interviews. Eine linearisierte Abfolge der Darstellung in zwei Schritten legt dabei nahe, dass es sich um eine logische Erweiterung, eine fundierende Argumentation oder um eine synthetisierende Schlussfolgerung handeln könnte. Demgegenüber möchte ich hervorheben, dass die beiden Analysematerialien – theoretisierende Verständigungen und empirisches Interviewmaterial – gleichermaßen in analytischer Hinsicht diskutiert werden sollen. Bezogen auf die Untersuchungsperspektive sind sie für den Fragehorizont in ihrer Platzierung als erster oder zweiter Schritt austauschbar. Zwei gängige Darstellungsmöglichkeiten bieten sich an und sind jeweils mit eigenen Problemen behaftet: Werden die Analysen der Interviews den theoretisierenden Verständigungen vorangestellt, korrespondiert das einer Leseerwartung der Schließung und Rückbindung analytischer Ergebnisse an theoretische Konzepte. Wird demgegenüber einer empirischen Analyse die Theoretisierung und Sichtung eines ‚Forschungsstandes‘ vorangestellt, liegt eine Leseweise nahe, die die Interviewanalysen im Lichte der vorangestellten Theoretisierungen als Ausführungen und ‚Fälle-von‘ lesbar werden ließe. Beide Lesehinsichten bedienen dabei nicht nur etablierte Forschungs- und Darstellungslogiken empirischen Materials (induktive oder aber deduktive Vorgehensweisen), sie re-etablieren auf diese Weise
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auch eine gängige Dichotomisierung im wissenschaftlichen Terrain, die zwischen Empirie und Theorie verläuft (vgl. dazu: Wigger 2004, Pongratz/Wimmer/Nieke 2006, Th. Fuchs 2011 sowie für die soziologische Perspektive: Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008). Demgegenüber verstehen sich die folgenden Darstellungen als empirische Analysen, die das Sprechen über und von Liebe und Verliebtheit in den Blick nehmen – ich untersuche mithin sowohl die Theoretisierungen als auch die Interviews als Artikulationen, die auf ihre Elemente, deren Verknüpfung und der daraus resultierenden Etablierung des diskursiven Terrains in und um Liebe und Verliebtheit hin untersucht werden. Ich habe mich aus Darstellungsgründen, die in meinen Augen eine bessere Lesbarkeit zu ermöglichen scheinen, dafür entschieden, zunächst die Analysen wissenschaftlich-theoretisierender Verständigungen über Liebe und Verliebtheit und daran anschließend die Analysen der Interviews darzulegen. Die Auswahl der Theoretisierungen erfolgt dabei exemplarisch und nicht entlang eines den Stand der Liebesthematisierungen im wissenschaftlichen Terrain repräsentierenden Darstellungsmodus. Es geht mir dabei weniger um einen Gang durch die ‚Theorie der Liebe/Verliebtheit‘, sondern um spezifische Figurierungsweisen. Ähnlich, wie für die Interviews gesagt werden kann, dass ein ‚theoretischer Sättigungspunkt‘ auf Grund der Unabschließbarkeit von Sinn nicht gefunden werden kann, lässt sich dies auch für die Theoretisierung von Liebe und Verliebtheit geltend machen. Es werden im Folgenden also nicht (nur) ‚klassische‘ Thematisierungen in den Blick genommen, sondern vor allem möglichst heterogene Perspektiven auf ihre Varianzen und Verknüpfungen hin untersucht.
3.2. T HEORETISIERUNGEN „Sollten wir also nicht wenigstens den Versuch machen, ‚Liebe‘ zu definieren – auch wenn wir wissen, dass wir das ‚Wesen‘ der Liebe nicht zu ergründen vermögen, jedenfalls nicht über das hinaus, was unsere Kultur dazu bereits in Hülle und Fülle anbietet?“
fragt Günter Burkart (1997: 53) zu Beginn seiner soziologisch-milieutheoretischen Untersuchung von Liebe im Zusammenhang mit Lebenslaufperspektiven. Ein gewisses Wagnis, zumindest eine Herausforderung scheint darin zu liegen, der Liebe und ihrem ‚Wesen‘ beikommen zu wol-
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len. Definitorische Kategorisierungen werden dabei nur unter Berufung auf Unvollständigkeit, Begrenztheit und ein sich entziehendes ‚Wesen‘ der Thematik möglich – und zugleich besonders produktiv: Burkart thematisiert hernach vielfältige Aspekte des (Liebes)Paares: seiner Entstehung, seiner Bindung, seiner Formen, seiner Teile, seines Endes, seiner Zukunft, seiner Normativität etc. Die Eingrenzung des Geltungsbereichs der eigenen Analyseperspektive und die Fokussierung auf spezifische Aspekte müssen dabei zunächst nicht allgemein der Liebesthematik zugeschlagen werden; sie autorisieren zunächst ein Sprechen im spezifischen Analysefokus und stellen ein gängiges Repertoire wissenschaftlichen Sprechens dar. So unternimmt etwa Peter Fuchs (1999) im Anschluss an Niklas Luhmanns Untersuchung der Semantik der „Liebe als Passion“ (1982) den systemtheoretischen Beobachtungsversuch, Liebe als spezifischen Code der Konstitution von Intimsystemen vorzustellen (vgl. auch Luhmann 2008). Die Operation der Liebe biete durch den Code „Wir zwei/Rest der Welt“ die Möglichkeit, innerhalb eines funktional differenzierten Gesellschaftssystems die so genannte „Komplettberücksichtigung des Anderen“ (inklusive der „Komplettzugänglichkeit des Anderen“) zu gewährleisten (P. Fuchs 1999: 24). Der Zugriff über das soziologische Theorem funktionaler Differenzierung von Gesellschaften ermöglicht hierbei die Beobachtung und Beschreibung dessen, was Liebe sei – als kommunikative Konstruktionsleistung auf der Ebene sozialer Systeme und unter ausdrücklichem Ausschluss affektiver und psychischer Dimensionen. Hierbei führt der systemtheoretische Zugang zu einer Bestimmung der Liebe als Funktion sozialer Ordnung. Gleichwohl ist es durchaus interessant zu verfolgen, wie die Diskursivierung der ‚Liebe‘ innerhalb des nüchternen systemtheoretischen Vokabulars dennoch ein ‚Anderes‘ des theoretischen Zugriffs aufruft, von diesem jedoch unter Bezug auf ein spezifisches Vokabular unangefochten bleiben möchte. Diese Diskursivierungen neutralisieren ‚das Andere‘ und setzen es zugleich in ein Recht, das ihnen jenseits des systemtheoretischen Zugriffs einen bedeutsamen Ort im Sprechen über die Liebe zuweist: „Denn wenn man etwas über die Liebe, Intimität, Sexualität, Familie sagen kann, ohne groß nachzudenken, dann ist dies wohl, dass es kein Menschenleben gibt, das durch diese Dinge nicht um- und umgewirbelt würde, das nicht seine wenigen Verzückungen und seine vielen Leiden gerade von ihnen her bezöge, weltweit, würde ich mich getrauen zu sagen, in welchen Formen auch immer.“ (Ebd.: 12)
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Auch an dieser Stelle lässt sich bemerken, dass einerseits ‚Liebe‘ als Verzückung, Leiden, Wirbel so positioniert und gefüllt wird, dass ihr eine Qualität zueignet, die im theoretischen Vokabular nur ausschließend bzw. abgrenzend angesprochen, zugleich damit jedoch aufgerufen wird. Darüber hinaus wird eine Form des Sprechens autorisiert, die als Mut zum Wagnis und als Herausforderung des Sprechens figuriert wird. Dabei schließen sich diese beiden Aspekte nicht aus, sondern gehen ein Verhältnis der gegenseitigen Etablierung ein: Zugleich für alle Menschen ‚weltweit‘ geltend, wird Liebe mit einer Besonderheit ausgestattet, für die auch ohne theoretisierenden Zugriff (‚großes Nachdenken‘) Geltungsreichweiten markiert werden können. Die so gefüllte Liebe wird zugleich mit einen besonderen Anspruch aufgeladen (generelle und globale Aussagen treffen zu können). Daran wird die Herausforderung des Sprechens über Liebe besonders deutlich gemacht (‚würde ich mich getrauen zu sagen‘). Wird bereits in der systemtheoretischen Beobachtung Luhmanns bestimmt, dass Liebe „nicht nur eine Anomalie ist, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit“ (1982: 10), verfolgt die daran anschließende Perspektive Caroline Sommerfeld-Lethens die Konstruktivität des Liebestopos bezogen auf Verschiebungen und Wiederholungen anhand von Liebesliedern. Auch sie nimmt ihren Ausgang von der Vieldeutigkeit der Liebe: „Was Liebe ist, darüber lässt sich vorzüglich streiten, nicht zuletzt in einer Partnerschaft, eben gerade weil Liebe vielfach etwas ‚Nicht-Greifbares‘ ist und nur ‚schwer zu umschreiben‘. Sie ist ein ‚weiter Begriff‘, der schließlich ‚unergründlich‘ und für viele ‚nicht definierbar‘ erscheint. Dennoch wird Liebe im Alltag umschrieben; etwa mit Hilfe von Metaphern, wie ‚Schmetterlinge im Bauch‘ oder ‚auf Wolken schweben‘. Liebe ist demnach – dem allgemeinen Konsens folgend – ein Gefühl.“ (Sommerfeld-Lethen 2008: 53, Hervorhbg. i.O.)
Die Hervorhebungen Sommerfeld-Lethens markieren einerseits eine Verkettung verschiedener Hinsichten der Unbestimmtheit, denen das Sprechen über Liebe zu unterliegen scheint. Im Zusammenhang von ‚Metaphern‘, die ebenfalls eine Unentschiedenheit von begrifflicher Fixierung und sich entziehender Bedeutung markieren, und Evidenzmarkierungen des common sense autorisiert sich dabei ein Sprechen, das die Bestimmung als ‚Gefühl‘ akzeptabel werden lässt. Von dieser Perspektive der Unentschiedenheit, polysemischer Begriffsweite und alltagsnahen Sprechens setzt SommerfeldLethen die sozialwissenschaftliche Perspektive ab, die in der Lage sei,
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„Liebe durchaus anders [zu] beschreiben“ (ebd.). Luhmanns Figurierung der ‚unwahrscheinlichen‘, ‚anomalen‘ Liebe folgend, welche sozial praktikabel, funktional und historisch verfolgbar sowohl ihre Unwahrscheinlichkeit erhalten könne als auch produktiv im Sinne der Etablierung sozialstruktureller Bindung wirke (vgl. 1982), nimmt die Autorin in ähnlicher Weise ihren Ausgangspunkt von einer sich entziehenden, überdeterminierten, über den begrifflichen Zugriff hinausweisenden Liebesfigur. Die Zuweisung und begriffliche Fixierung eines nicht bestimmbaren Gegenstandes erscheint in dieser Hinsicht als eine Autorisierungsweise des Sprechens, deren Bestimmungseffekte zugleich die Verfehlung der Bestimmung aufrufen. Weiteren ‚Liebeserklärungen‘ aus soziologischen Perspektiven widmet sich ein Band (Niekrenz/Villàny 2008), dessen explizites Ziel nicht allein darin besteht, Liebe und Verliebtheit über vielfältige soziologische Zugriffe beobachten zu wollen, sondern auch „das Interesse an soziologischen Theorien [zu] wecken und zugleich eine Liebeserklärung an die Soziologie und ihre leistungsfähigen Konzepte [zu] sein.“ (Niekrenz 2008: 12)
Unter dieser Leitperspektive finden sich beispielsweise ethnologisch-strukturalistische Perspektiven im Anschluss an die Arbeiten Claude LéviStrauss’ zum Inzesttabu und Frauentausch (vgl. Lévi-Strauss 1981; dazu aus rhetoriktheoretischer Perspektive: Posselt 2005: 162ff.), die in der Fokussierung auf die Tausch-Perspektive Liebe vermissen lassen: „Liebe kommt hier nicht vor. Liebe ist kein Gegenstand der frühen Arbeit über die elementaren Verwandtschaftsstrukturen, vielmehr ist Liebe ein Neben- oder Ausfallprodukt der Etablierung von Tauschbeziehungen.“ (Junge 2008: 97)
Gleichwohl sind auf diese Weise theoretische Gewinne auch aus der ‚lieblosen‘ Perspektive der strukturalen Anthropologie zu erhalten:1 „Liebe ist – auch wenn Lévi-Strauss dies nicht ausbuchstabiert – nicht ohne soziale Regulation zu denken.“ (Junge 2008: 99)
Dem Anspruch des Bandes, eine Verbindung zur soziologischen Theoretisierung zu leisten, folgend werden schließlich aus der Tausch-Perspektive
1
Der Titel des Aufsatzes von Mathias Junge lautet: ‚Liebeloser Frauentausch‘.
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Diagnosen entwickelt, die Liebe hinsichtlich einer ökonomischen Dimension bestimmen können: „Liebe ist ein Gegenstand, der nicht nur käuflich erworben werden kann, sondern Liebe ist auch ein Gegenstand, der selber unter der Perspektive einer Investition betrachtet wird. […] Liebe als das Erstrebte wird simuliert und zum Gegenstand von Strategien der Darstellung von Liebe. Zuletzt bleiben Simulationen von Liebe ohne Liebe, weil Liebe durch ihre Simulation nicht erreicht werden kann. Solche Tendenzen wiederum verstärken die Ökonomisierung der Liebe und ein verhängnisvoller sich selbst verstärkender Kreislauf ist in Gang gesetzt. All das sind – zieht man die Betrachtung zusammen – schlechte Aussichten für die Erfahrung und die Entfaltung von Liebe als einem Phänomen, das alltagsweltlich betrachtet, vor allem ein Merkmal aufweist: Sie ist nicht kalkulierbar.“ (Ebd.: 101)
Während einerseits das Fehlen der Liebe bemerkenswert scheint, lassen sich gleichermaßen Bestimmungen vornehmen, die über die Einführung tauschbarer Operationalisierbarkeit zu Kosten-Nutzen-Erwägungen aufrufen. Zugleich erschöpfen sie sich nicht darin, insofern der Liebe ein unkalkulierbares Moment zugesprochen wird. Eine ähnliche Perspektive, die Liebe und Romantik vor dem Hintergrund ökonomischer Logiken diskutiert, nimmt Eva Illouz (2003) in ihrer Studie „Der Konsum der Romantik“ ein: „Es geht darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, über die romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen.“ (Ebd.: 1)
Dabei figuriert ‚der Kapitalismus‘ explizit als eine „Entität“ (ebd.), die zwar „janusköpfig“ (ebd.) sei, jedoch als Folie der Diskussion einen Referenzpunkt abgibt, der einerseits die Diskussion von Liebe und Verliebtheit unter ökonomischen Aspekten und im Zusammenhang von Konsum, Klassenstruktur und kultureller Praxis erlaubt, dabei zugleich ‚den‘ Kapitalismus (als auch ‚die‘ Soziologie) als Figur fixiert und re-autorisiert:2
2
Ähnliche Einsatzpunkte der Thematisierung von Liebe und Verliebtheit nehmen die Arbeiten im Umkreis der Kritischen Theorie vor, indem sie – zwar in verschiedenen Hinsichten – die Diskussion der Liebe als Referenzpunkt der Kritik kapitalistischer Gesellschaftsordnung nehmen – wobei Liebe/Verliebtheit entweder als eine unmögliche, dennoch Anlass zur Hoffnung gebende Lebensform
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„Die romantische Liebe ist ein exemplarischer Fall für die Soziologie des Spätkapitalismus, denn sie weist die Widersprüche dieser Kultur in gleichsam kondensierter Form auf: zwischen der Sphäre des Konsums und derjenigen der Produktion […]. Der kultureller Widerspruch zwischen der Konsumsphäre und der Produktionssphäre liegt (sozusagen) im Herzen der modernen Bedeutungen romantischer Liebe; romantische Praktiken speisen sich gleichzeitig aus den weit verbreiteten, aber konfligierenden kulturellen Idiomen von Hedonismus und Arbeitsdisziplin“ (ebd.).
Einen anderen Einsatzpunkt wählt die Autorin im Rahmen des Bandes ‚LiebesErklärungen‘, indem sie zunächst die Liebe auf spezifische Weise füllt: „Das kulturelle Modell Liebe ist auf den ersten Blick die klarste Illustration dessen, was wir heute als vormoderne, ‚verzauberte‘ Version von Liebe bezeichnen. Sie beinhaltet einige wiederkehrende Merkmale: Zum einen wird sie als einzigartiges Ereignis erlebt, das plötzlich und unerwartet auftauchen kann; sie ist unerklärlich und irrational; sie ist schon beim ersten Treffen aufgeflammt und beruht deshalb nicht auf kognitivem oder gesammelten Wissen über das Gegenüber. Sie bringt das Alltagsleben des Einzelnen durcheinander und rührt die Seele zutiefst auf. Die Metaphern, die diesen Geisteszustand beschreiben, deuten oft auf eine Kraft hin, die überwältigend und übermächtig ist (Hitze, Magnet, Donner, Elektrizität). Das geliebte Objekt löst überwältigende und unkontrollierbare Gefühle beim Liebenden aus. […] Die Absolutheit und Unbedingtheit der Hingabe ist deshalb hundertprozentig. ‚Verzauberte‘ Liebe ist dementsprechend spontan und unbedingt, überwältigend und ewig, einzigartig und total. Dieses Verständnis der romantischen Liebe bekräftigt die radikale Einzigartigkeit des geliebten Menschen, die Unmöglichkeit, ihn durch einen anderen zu ersetzen und außerdem die Weigerung, die Gefühle durch Berechnung und Vernunft zu ersetzen.“ (Illouz 2008: 214)
Diese Vielfalt an Füllungen ermöglicht es der Autorin, einen spezifischen Punkt einzuführen, indem eine Figurierung von Liebe vorgenommen wird, der wissenschaftliche Erklärungen keinesfalls gerecht zu werden vermögen:
bei Fromm (1980) oder eine mit revolutionärem Potenzial ausgestattete, von ihrer unterdrückenden Sublimierung zu befreiende Sexualität bei Marcuse (1970) figuriert wird (vgl. dazu auch Marz 2008). Siehe auch den analytischen Einsatz Foucaults zu den Figurierungen einer solchen ‚Repressionshypothese‘, die sich als Moment eines produktiven ‚Wahrsprechens‘ (1977) verstehen lässt.
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„Alle diese Erklärungen unterminieren den Blick auf die Liebe als unbeschreibliche, einzigartige und quasi-metaphysische Erfahrung. […] Sie wird nicht länger als göttliches Phänomen betrachtet, sondern als eines, das der Erklärung und Kontrolle bedarf. Damit wird die Liebe auch nicht mehr als mystisches Ereignis, sondern als Reaktion auf evolutionäre, biologische und psychologische Gesetze angesehen.“ (Ebd.: 216)
In dieser die Liebe und Verliebtheit sakralisierenden Thematisierungsweise wird zugleich ermöglicht, von der Liebe zu sprechen – wenn auch nur als einem sich entziehenden Gegenstand –, dieses Sprechen als ein sich von anderen Zugängen abgrenzendes zu autorisieren, und schließlich zudem auch kritische Markierungen vorzunehmen.3 Entsprechend der Verknüpfung von Liebe, Mystik, Leidenschaft, Zauber können Differenzierungen zwischen verspielter Uneindeutigkeit und Ironie eingeführt werden, wobei letztere als „schädlich für die Liebe“ (ebd.: 219) bezogen auf das Verhältnis von Wissen, Wahrheit und Uneindeutigkeit markierbar wird.4
3
Gegenüber dem stärker auf die Diskussion und Analyse des Kapitalismus fokussierenden Band von 2003 ermöglicht das Aufrufen der Liebe der Autorin an dieser Stelle eine Positionierung zur Gender-Frage: „Feminismus markiert deshalb einen wichtigen Einschnitt in die Geschichte der Liebe, weil er den Schleier des männlichen Rittertums und den geheimnisvollen weiblichen Nimbus herunterriss, der Frauen gleichzeitig zu Sklaven und Gottheiten und Männer zu Peinigern und Rettern machte“ (Illouz 2008: 217).
4
„Verführung ist ambivalent […]. Don Juan, Casanova, Cleopatra – sie alle umgibt eine Art Souveränität und Selbstbeherrschung, die nicht durch Regeln gebunden werden kann. Ambiguität ist nötig, um Unsicherheit in Bezug auf die Absicht und den Begriffsinhalt des Sprechens aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne erlangt man sowohl die Macht als auch die Freiheit, etwas zu sagen, ohne es zu meinen“ (Illouz 2008: 218). Demgegenüber sei die Ironie „ein rhetorischer Trick einer Person, die zuviel weiß, die Wirklichkeit aber nicht ganz ernst nehmen möchte. Modernes romantisches Bewusstsein hat die rhetorische Struktur der Ironie, weil sie von einem entzauberten Wissen durchzogen ist, das volles Vertrauen und Verbindlichkeit verhindert“ (ebd.: 219). Vgl. demgegenüber Thematisierungen von Ironie, die von der Unentscheidbarkeit zwischen ernsthafter und ironischer Rede ausgehen: De Man 1988; sowie Krüger 2008, 2011 und Aßmann/Krüger 2011.
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Aus sozialpsychologischer Sicht stellt sich demgegenüber die wissenschaftliche Erklärung als lohnenswert dar: „Abschließend sei die Frage gestellt, ob sich die Erforschung der Liebe lohnt. Sicher aus theoretischer Perspektive, da sich weitreichende Einsichten über enge Beziehungen ergeben. Aber ich meine auch, dass sich langfristig – und schon jetzt erkennbar – wichtige Erkenntnisse für die Beratung bei Konflikten und Schwierigkeiten in der Partnerschaft und für das Lernen der Planung einer erfolgreichen Partnerschaft ergeben. So kann der einzelne prüfen, welche Liebesstile ihn oder sie besonders auszeichnen und welche Liebesstile der Partner oder die Partnerin bevorzugen sollte.“ (Bierhoff 1991: 229)
Auch die Operationalisierbarkeit der Liebe und der Verliebtheit erscheinen erstrebenswert und machbar (vgl. Amelang/Ahrens/Bierhoff 1991): Wird zunächst unter der Überschrift „vorläufige Begriffsbestimmung“ (Bierhoff 1991: 197) die Verstreuung verschiedener Äquivalente wie „innige Zuneigung“, „Verliebtheit“, „Hingabe“, „Zärtlichkeit“, „romantische Liebe“, „Vertrauen“, „Mögen“ (als Differenzbegriff zu ‚Liebe‘), „Leidenschaft“, „Ergebnis positiver und negativer Erfahrungen mit dem Partner/der Partnerin“, „sexuelle Anziehung“, „Idealisierung“, „Faszination“, „Exklusivität“ (ebd.: 198ff.) aufgerufen, werden hernach Erklärungsmodelle für das Auftreten von Liebe und Verliebtheit vorgeschlagen: Als „Fehlattribution von Resterregung“ (ebd.: 215) erklärt die „Erregungs-Transfer-Theorie“ (ebd.: 214) das Entstehen von Liebe und Verliebtheit als Vermischung von Gefühlen, die in (physiologisch) anregenden Situationen (als Beispiel wird Sport angeführt) ein Objekt suchen: „Schon Ovid hatte auf den Umstand hingewiesen, dass die Betrachtung eines Gladiatorenkampfes leidenschaftliche Gefühle in einer Frau gegenüber dem sie begleitenden Mann auslösen kann.“ (Ebd.: 214)
Es ist dies eine der wenigen gefundenen Perspektiven auf Liebe und Verliebtheit, die ihren Geltungsbereich nicht im Aufrufen eines über ihren theoretischen Zugriff hinausgehenden ‚Wesens‘ der Liebe markieren. Zugleich erzeugt die zu Beginn der Erörterungen aufgeführte Polysemie des
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Liebesbegriffs ein spezifisches Spannungsfeld zum technischen Vokabular der psychischen Attribution und ermöglicht diese.5 Auch im erziehungswissenschaftlichen Terrain können vielfältige Verknüpfungen mit dem Liebes-Thema hergestellt werden: Nicht nur lässt sich „Lieben als Lernprozess“ (Wyss 1988) figurieren, indem nach ausführlichen Vergewisserungen zu vielfältigen Aspekten der Liebe – vom ‚Ergriffen-Werden‘ über ‚Existenzintensivierung‘, ‚Sexualität‘, ‚Destruktion‘, ‚Eifersucht‘ bis hin zu ‚Teufelskreisen‘ und ‚Projektionen‘ – die „Unmöglichkeit einer Definition der Liebe“ (ebd.: 111) markiert wird, der „nur eine möglichst umfassende (phänomenologische) Beschreibung der Liebe […] gerecht“ (ebd.: 112) werde. Die Notwendigkeit des Lernens der Liebe (vom Lehren wird dezidiert nicht gesprochen) entwickelt dabei pädagogische Einsatzpunkte, die auf einem anthropologisierenden Argument aufruhen, dessen soziokulturelle Funktionalität anerkannt, zugleich jedoch auch mit einem gesellschaftskritischen Moment zurückgewiesen wird, indem Liebe als Refugium soziokultureller Normierungen platziert wird: „Je weniger die Neuzeit erfüllende Möglichkeiten bietet, dem einzelnen seine Existenz tragbar zu gestalten, um so intensiver wird die Suche (Sehnsucht) nach der Erfüllung des persönlichen Daseins durch die Liebe in den Vordergrund treten.“ (Ebd.: 125f.)
In dieser (pädagogischen Reflexionen nicht unbekannten) paradoxalen Konstellation wird ein zunächst ein ‚Mangel‘ figuriert, dessen Bearbeitung pädagogische Einsatzpunkte eröffnet. Diese markieren schließlich Eingriffs-, Zugriffs- und Machbarkeitsansprüche (vgl. zur ähnlich funktionierenden Figur des ‚Empowerment‘: Bröckling 2003). Die Bearbeitung dieser Paradoxie wird hierbei als Aufgabe der Liebenden verstanden, die in ein spezifisches Verhältnis zu sich selbst und ihrer Liebe gebracht werden – bzw. sich bringen müssen:6
5
Ich spreche hier von ‚Polysemie‘, da die aufgerufenen Bedeutungen als solche figuriert werden. Dass ‚Polysemie‘ in einem Verweisungsverhältnis zu Dissemination als Bedeutungsoffenheit steht, wurde bereits dargestellt (vgl. den Abschnitt: Zwischen – Bewegungen)
6
Die Nähe zu Konzepten, die sich in jüngerer Zeit um den Signifikanten ‚Bildung‘ gruppieren, wie etwa Selbstwirksamkeit, Kompetenzen, Lernen des Lernens, Selbstregulierungsfähigkeit und Selbstreflexivität etc., sei an dieser Stelle
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„Als Geschehen ist Lieben von vornherein nicht ‚machbar‘ und nicht ‚manipulierbar‘. […] Aus dem Geschehen, dem der einzelne in der Liebe ausgeliefert ist, einen gemeinsamen, für den Partner als ‚Mit-Betroffenen‘ gangbaren Weg zu bilden […] bestimmt sich das Lieben als Lernprozess. Die Partner müssen im Erlernen der Liebe nichts ‚Neues‘ lernen. – Wie gezeigt worden ist, wird in den verschiedenen Arten der Zuneigung das in der Liebe zu Erlernende als vorhandene Möglichkeit nur wahrgenommen, aufgegriffen, schrittweise entwickelt und entfaltet.“ (Wyss 1988: 155)
Ähnlich werden Erziehung und Liebe auch in der Schrift „Weisheit der Liebe“ analogisiert, um sie anthropologisch zu situieren: „Liebe ist eine Idee, muss erlernt werden und wird in der Erfahrung bekannt. […] Erziehung zur Liebesfähigkeit und Liebesbereitschaft ist deshalb der Hauptweg zur Realisierung der Liebe, denn: ‚Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss‘ (Kant: Über Pädagogik A, 1).“ (Wacker 1984: 124f.)
So lässt sich aus dem Zusammenhang von Liebe und Erziehung eine Anforderung formulieren, die „zur pädagogischen Aufgabe im Weltmaßstab“ (ebd.: 124) gerät und von der die Zukunftsfähigkeit der Menschheit abhänge. Schließlich kann neben dem Erlernen und dem Erziehen auch zur Frage werden, inwiefern „Bildungsprozesse als Liebesprozesse“ (Titz 2007: 250) verstanden werden könnten. „Die These ist in der Überschrift mit einem Fragezeichen versehen: Bildungsprozesse als Liebesprozesse? Positiv formuliert lautet die These: Liebesprozesse und Bildungsprozesse sind ineinander verschränkt. Ohne Liebe keine Bildung.“ (Ebd.: 250)
Titz bezieht sich an dieser Stelle auf eine Formulierung Max Horkheimers: „[D]er Sache, der ich Zeit schenke, schenke ich Liebe […]“ (Horkheimer 1972: 166). Von hier aus wird sowohl im Verständnis von Liebe als auch ‚des‘ Menschen die Bezogenheit auf Andere(s) als ein Zusammenhang fi-
lediglich bemerkt. Die Analogien aber auch Differenzen hinsichtlich eines so figurierten Bildungs- und Liebesverständnisses erforderten genauere Bearbeitung. Für eine Analyse der Einschreibung von ‚Bildung‘ in den frühkindlichen Bereich vgl. Jergus/Thompson (2011), für Analysen der Anrufungsfigur des sich selbst regulierenden Selbst vgl. Bröckling (2007), zum Verhältnis von ‚Bildung‘ und ‚Selbstführung‘ vgl. Masschelein/Ricken (2003).
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guriert, der sich durch die „innere Verbindung von Liebe und Wahrheit“ (Titz 2007: 254) der Instrumentalisierung und Normalisierung ‚des Menschen‘ verwehre (vgl. ebd.: 260). Ebenfalls ausgehend von einer anthropologisierenden Argumentation wird Liebe in anderen erziehungswissenschaftlichen Thematisierungen zur „Grundbedingung pädagogischen Handelns“ (Bilstein/Uhle 2007). Indem durch Figuren wie Platon, Rousseau, Dilthey, Natorp, Spranger oder Korczak eine pädagogische Tradition figuriert und damit zugleich der Band in diese Tradition gestellt wird, kann die Perspektive der Historischen Anthropologie mit einer besonderen Eignung bezogen auf die Liebesthematik verknüpft werden: „Führt man sich die Beiträge des vorliegenden Bandes noch einmal in Gänze vor Augen, […] zeigt sich auch – vielleicht am Thema Liebe deutlicher als irgendwo sonst – die unabdingbare Notwendigkeit, anthropologische Fragen- und Problemstellungen im Horizont ihrer doppelten Historizität zu verfolgen […].“ (Bilstein/Uhle 2007: 16)
Besonderen Stellenwert gewinnt die Thematisierung von Liebe im Rahmen erziehungswissenschaftlicher Vergewisserungen bezogen auf die Rede vom ‚pädagogischen Eros‘. Unter vielfältigem Rückgriff auf Platons ‚Symposion‘ und die darin aufgerufenen Erosfigurationen7 wird spätestens in den re-
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Eine ausführliche Diskussion von Platons ‚Gastmahl‘ (1994), seiner verschiedenen Eros-Thematisierungen und der für die erziehungswissenschaftliche Rezeption relevanten Verwendung muss hier aus Platzgründen unterbleiben; vgl. dazu u.a. Kristeva (1989); Koller (1993); Müller (1993); Bernardete (2001); Reinsberg (2007); Althans (2007); Strobach (2008). Die Füllung, Besetzung, Verwendung, Befürwortung und Abweisung der damit einhergehenden Effekte bezogen auf erziehungswissenschaftliche Theoretisierungen, Handlungs- und Subjektivitätskonzeptionierungen und Bearbeitungen von Paradoxien gäben Stoff für eine eigene Untersuchung; nicht zuletzt unter den Vorzeichen jüngerer Missbrauchsfälle an kirchlichen und pädagogischen Institutionen im Frühjahr 2010. Diese Untersuchung könnte Fundstellen in Platons Symposion, Diltheys Pädagogik, Pestalozzis Bezug zum Kind (vgl. dazu u.a. Koller 1990, 1993, Stenger 2007), Schelers Anthropologie (vgl. dazu u.a. Uhle 2007; Müller 1993), Sprangers Lehrerkonzept (vgl. dazu u.a. Gaus 2007), Korczaks Verhältnisbe-
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formpädagogischen und geisteswissenschaftlichen Konzeptionierungen die Formel des ‚pädagogischen Eros‘ bedeutsam und führt zu vielfältigen Thematisierungsweisen. Herman Nohl nimmt dabei eine zum damaligen Zeitpunkt dringliche Abgrenzung des Eros zu Gunsten der ‚pädagogischen Liebe‘ vor, um darin die Bestimmung des pädagogischen Verhältnisses zu markieren: „Die Grundlage der Erziehung ist also das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben und seiner Form komme. Dieses erzieherische Verhältnis baut sich auf auf einer instinktiven Grundlage, die in den natürlichen Lebensbezügen der Menschen und in ihrer Geschlechtlichkeit verwurzelt ist. […] Die wahre Liebe des Lehrers ist die hebende und nicht die begehrende, und das pädagogische Verhältnis ist eine wirkliche Gemeinschaft, wo dem Gefühl auf der einen Seite das entsprechende auf der anderen gegenübersteht.“(H. Nohl 1949: 136)8
Im Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz, zwischen Natürlichkeit und Herstellung, zwischen Reife und Wachstum situiert sich die Liebe in einer leidenschaftlichen Variante gegenüber körperlich-begehrendem Eros, die ein Wollen markiert, dessen Machtförmigkeit zugleich in der Natürlichkeit des pädagogischen Verhältnisses aufgehoben wird (vgl. zu H. Nohl u.a.: Klika 2000; zur Machtförmigkeit des pädagogischen Bezugs vgl. u.a. Ri-
stimmung von Kind und Liebe (vgl. dazu u.a. Oelkers 1987; Wrybonik 2007) sowie vor allem Nohls Konzept des ‚pädagogischen Bezugs‘ (vgl. dazu u.a. Klika 2000) in den Blick nehmen und nach den jeweiligen Relationierungen, Autorisierungen und Bestimmungen pädagogischer Perspektiven, pädagogischer Relata und pädagogischer Handlungsräume befragen. 8
Den Hintergrund der Bedeutsamkeit einer Differenzierung von ‚pädagogischer Liebe‘ und ‚pädagogischem Eros‘ stellen Vorfälle sexueller Gewalt im Umkreis der Jugendbewegung dar. Prominentester Fall war dabei derjenige Gustav Wynekens, der sich in seinem strafrechtlichen Verfahren dahingehend verteidigte, dass sich in der ihm vorgeworfenen körperlichen Nähe zu einem Jungen die pädagogische Beziehung in ihrer Vollkommenheit ausdrücke (vgl. dazu Müller 1993; Geuter 1994). Diese Fälle führten zur Problematisierung körperlichsinnlicher Nähe und vielfältigen Abgrenzungsbewegungen innerhalb der zu diesem Zeitpunkt hegemonialen geisteswissenschaftlichen Pädagogik, vor deren Hintergrund die Differenzierung von Eros und Liebe bedeutsam wurde.
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cken 2009). Dabei ruft selbst die ausschließende Abgrenzung des ‚Begehrens‘ dessen durchaus mögliche Kombination mit Pädagogik, Liebe und Erziehung erneut auf und bringt sie ins Spiel. Die Begründung und Situierung pädagogischer Bezugnahmen, ihre Gegenstandsbestimmung wie auch ihr Handlungsraum changieren zwischen Abgrenzungen zur familialen sinnlichen, christlichen Nächstenliebe, um eine Spezifizität zu markieren, die im Anderen zwischen Objekt- und Subjektstatus differenzieren muss: das Kind/den Educandus als zugleich in seiner Andersheit unantastbar und dennoch des ‚Hebens‘ zu einem ihm innewohnenden Ideal bedürftig zu situieren – so dass pädagogische Aspirationen einen ethisch denkbaren Einsatzpunkt finden können (vgl. dazu Uhle 2007: 110ff.). Dabei scheint gerade die Komposition von ‚pädagogisch‘ und ‚Eros‘ immer wieder zum Einsatzpunkt von Problematisierungen zu werden und der Uneindeutigkeit Vorschub zu leisten. So befragt Müller diese Verknüpfung dahingehend, „ob der Terminus ‚pädagogischer Eros‘ primär adjektivisch […], also als Erziehereigenschaft analog etwa zu ‚pädagogischer Geduld‘, oder primär als adjektiviertes, abstraktes Substantiv, in Analogie z.B. zu ‚pädagogischer Bezug‘“ (Müller 1993: 40)
zu verstehen sei. Die Problematik, die sich aus dem Zusammenhang von Begehren, körperlich-sinnlicher Nähe, Machteinsatz und pädagogischer Einflussnahme ergibt, lässt sich mithin nicht ohne weiteres still stellen. Sie wirkt im Gegenteil generativ über und durch Aus- und Abgrenzungen erotischer Konnotationen (vgl. bspw. Buber 1926: 28) hinsichtlich der Situierung pädagogischer Einsätze, die sich vor allem um ‚die Liebe‘ gruppieren, wie auch in jüngster Zeit bspw. Reinhard Uhle in seinem Plädoyer für eine ‚emphatische Pädagogik‘ dies vornimmt:9 „Wenn Liebe nur Mittel und nicht gleichzeitig Zweck von Erziehung und Bildung ist, entfällt diese Hochschätzung von Liebe in öffentlicher Erziehung. Dann genügen
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Vgl. dagegen auch Althans (2007), die ‚das Begehren‘ (‚der Erzieherin‘) aufnimmt, um in einer an der weiblichen Rolle sozialpädagogischer Theorie- und Konzeptbildung interessierten Perspektive die Analogien und Abgrenzungen mütterlich-weiblicher Liebe auf ihre Naturalisierungs- und Abgrenzungsstrategien zu verfolgen.
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Wohlwollen und Sympathie als Erziehungsmittel, können sie doch der Herstellung von Arbeitsbündnissen in Lehr-Lernprozessen mit unterschiedlichen Zielen dienen, weil auch Wohlwollen und Sorge um das Wohlergehen von Anderen genau wie Liebe zur Erhöhung von Folgebereitschaften zu führen vermag. Man braucht die Liebe in solchen pädagogischen Kontexten nicht mehr zu lieben.“ (Uhle 2007: 114)
Während hier Nähe unter dem Stern der Liebe unproblematische ‚Folgebereitschaften‘ legitimiert, sowie die Unsteuerbarkeit des pädagogischen Bildungsprozesses mit derjenigen der Liebe analogisierbar gesetzt wird, können zugleich von einer Figur der Liebe aus kritische Einsatzpunkte gegenüber pädagogischen Zugriffen gewonnen werden, wie Karl Jaspers pointiert: „Wer sich erzogen fühlt, fühlt sich um die eigentliche Liebe betrogen“ (1954: 129). Ebenfalls greift Sabine Seichter (2007) das Konzept der ‚pädagogischen Liebe‘ auf, um daran eine spezifische Perspektive auf die Gestaltung pädagogischer Verhältnisse zu entwickeln. Gleichwohl sie die „Vieldimensionalität der Liebe“ (ebd.: 31ff.) aufruft, versteht sie ‚pädagogische Liebe‘ als ein ‚Deutungsmuster‘, welches sich in seinen Varianzen als Invariante zeige, „kraft einer Unterscheidung zwischen Liebe als einem konkreten Geschehen und Liebe als einem theoretischen Konstrukt sowohl die historische Genese des Begriffs als auch seine systematischen Implikationen prüft und am Ende die Frage stellen wird, ob die pädagogische Liebe tatsächlich an ihr Ende gekommen ist oder ob sie nicht unter einem anderen Namen – quasi unter Pseudonym – und unter anderer Identität – quasi inkognito – weiterlebt.“ (Ebd.: 26)
Vor allem wird es durch diesen identifizierenden Gestus einer sich in verschiedenen Gestalten zeigenden Einheit möglich, einen theoretischen Einsatzpunkt zu markieren, der pädagogische Prozesse über den Zugriff auf die ‚Person‘ thematisiert, ohne die darin implizierte Selbstführungslogik problematisieren zu müssen: „Die bekannte These von Karl Marx, wer andere emanzipieren wolle, müsse selbst emanzipiert sein, könnte hier als eine Art pädagogischer Liebesformel im Sinne der Geisteswissenschaftlichen Pädagogen umformuliert werden: Wer andere in ihrem Personwerden fördern will, muss selber eine mündige Person sein.“ (Ebd.: 164)
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Mit dieser Skizzierung wissenschaftlich-theoretisierender Zugriffe, die in vielfältigen Varianten Liebe als Referenzpunkt der Diskussion von Theoremen, Konzepten und kritischen Standpunkten figurieren (und dabei verschiedene Autorisierungsgesten sowohl der Bestimmung einer ‚wesenhaft unbestimmten‘ Liebe und als auch des eigenen Sprechens variieren), soll nun in ein Feld des Sprechens über Liebe und Verliebtheit übergeleitet werden, das seinen Einsatzpunkt von der Problematisierung des Sprechens über Verliebtheit und Liebe aus nimmt.
3.3. F RAGMENTIERUNGEN „Wer wirklich ehrlich und wahrhaftig über die Liebe reden will, der müsste vorher selbst viel und intensiv geliebt haben. […] Hinter dem so vorgestellten Ideal bleibt der Verfasser nachfolgender kleiner Liebeslehre weit zurück, und es erhebt sich mit diesem Eingeständnis die Frage, warum er dann überhaupt anfangen darf zu reden. Das ist keine nur rhetorische Frage, sondern eine ganz urwüchsige und echte Verlegenheit. Verlegenheit indessen ist ein echter Anfang zu lieben und über Liebe zu reden. […] Wie kann man von Liebe reden? Soll man berichten, darstellen, zeichnen, dichten, verkünden, lehren usw.? Keines der aufgezählten Mittel reicht hin oder her. Ein schlichter Minnegesang des Walther von der Vogelweide sagt vielleicht mehr aus als tausendseitige Liebesgelehrsamkeit, und eine einzige Liebesoffenbarung verkündet Wesentlicheres als vielfältige Belehrung und Aufklärung. […] Hier haben wir es mit einem Essay zu tun. […] Der Essay darf unvollständig sein; diese Unvollständigkeit ist deshalb für das Thema der Liebe überaus passend, weil auch diese stets unvollständig bleibt.“ (Wacker 1984: 13ff.)
Mit diesen Worten leitet Peter Wacker seine Schrift ‚Weisheit der Liebe‘ ein, und markiert auf diese Weise die Liebesthematik als problematisch hinsichtlich ihrer Form der Darstellung. Während sich verschiedene Varianten anzubieten scheinen, wird auf einen ‚wahren‘ und ‚authentischen‘ Charakter der Liebe angespielt. So wird Liebe nicht nur als fragmentarischunvollständig, ‚intensiv‘ und ‚wahr‘ figuriert, sondern zugleich mit Zwängen ausgestattet, die das Sprechen über sie reglementieren. Die Form des Essays wird als ‚adäquate‘ Form gewählt, die den Restriktionen – mit denen ‚die‘ Liebe aufgeladen wurde – zu entsprechen scheint. Auch Georg Simmels Nachdenken über die Liebe findet sich in einer Sammlung von „Essais“ und wird darüber hinaus als „Fragment über die
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Liebe“ (1957) etikettiert. Simmels Überlegungen kreisen um den Zusammenhang, die Differenz und die Übergänge von Erotik, Sexualität, Gattungsleben, Fortpflanzung und Liebe. Dabei changiert Simmel in einem Gestus der Bestimmung von Liebe als „gestaltend, […] insofern sie ihren Gegenstand als ein völlig genuines Gebilde schafft“ (Simmel 1957: 19), als „eine[r] unbegründete[n] primäre[n] Kategorie“ (ebd.: 20), als eine[r] mit Sexualität und Erotik verknüpften Dimension und vorsichtigen Öffnungen, die mit dem Genre-Etikett des Essays korrespondieren: „Die Inhaltlichkeit der Liebe in diesem reinen Sie-selbst-Sein positiver zu bestimmen, als mit dem vorherigen Versuch, ihre Zusammengesetztheit aus andersartigen Elementen abzuweisen, ist aber vielleicht eine unlösbare Aufgabe.“ (Ebd.: 25)
Gleichermaßen werden in der Form des Essays, das als Fragment zudem jeden systematisierend-kategorisierenden Status begrifflicher Bestimmungen zurücknimmt wie ihnen zugleich Gewicht verleiht, Bestimmungen und Zuweisungen ermöglicht, die in einem Spannungsfeld zur formalen Situierung dieser Bestimmungen stehen. Eine Problematisierung steht auch am Beginn des Nachdenkens über Liebe bei Jean-Luc Nancy: „Sollte die Liebe bedroht sein? […] Sollte sie Opfer des Individualismus oder eines Subjektivismus werden, der alles auf Erträge einer Verführungskraft zurückführt, verbunden mit sexuellen, gefühls- und soziopsychodramatischen Techniken? […] Muss man nicht befürchten, dass die Liebe sich hierbei sogar mit dem Begehren vermischt? Oder aber mit dem Mitleid? Mit der bloßen Körperliebe oder der bloßen Opferliebe? Einer seelenlosen oder freudlosen Liebe? Ohne Glanz? […] Die Antwort auf diese falsch gestellten Fragen scheint derart evident, dass man sich ihr sogleich verweigern müsste.“ (Nancy 2010: 7)
Nancy verfolgt daraufhin die „bemerkenswert ambivalente Sprache“ (ebd.: 10) einer ‚Tradition‘, die antike und jüdisch-christliche Motive aufnehme und variiere, und den Zusammenhang von Politik und Liebe im Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit aufrufe und verschiebe: „Einerseits wird versichert, dass das Zusammenleben die Liebe als Prinzip benötigt […]. Andererseits spricht diese Tradition nicht weniger dafür, dass die Liebe in der Privatsphäre ihren Platz hat und sich weder als Bestandteil noch als Modell in den öffentlichen Bereich einmischen kann. Dieses Paradoxon verweist auf eine innere Dissoziierung der Liebe selbst.“ (Ebd.)
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Seine ursprünglich als Vortrag gehaltenen Überlegungen schließt Nancy mit einer Bezugnahme auf seine Position als Sprecher und der Eingrenzung des Geltungsbereichs des Gesagten: „Ich skizziere lediglich auf eine sehr vage Weise Hypothesen, die kaum welche sind. Ich möchte mich keinen Projektionen ausliefern.“ (Ebd.: 34)
Roland Barthes (1984) führt diesen Problemhorizont der Bestimmung und der Form des Sprechens weiter, indem er auf eine Systematisierung vollends verzichtet, da jede Gliederung das „Monstrum“ einer ‚Philosophie der Liebe‘ bescheren würde (ebd.: 21). Um jede Systematizität und Sinnlogik zu vermeiden, führt Barthes Figuren der Liebe – Brief, Erwartung, Herz, Drama, Berührung, Ich-liebe-dich, etc. – in der „absolut bedeutungslose[n]“ (ebd.: 21) und ‚willkürlichen‘ Gliederung des Alphabets auf und erhält „Fragmente einer Sprache der Liebe“ (so der Titel seiner Darstellung). Dem Diskurs der Liebe als einer „Bewegung des Hin-und-Her-Laufens“ (ebd.: 14) folgt Barthes mithin durch die Betonung der Form, die dem Liebesgeschehen korrespondiere:10 „Der Liebende hört in der Tat nicht auf, in seinem Kopf hin und her zu laufen, neue Schritte zu unternehmen und gegen sich selbst zu intrigieren. Sein Diskurs existiert immer nur in Gestalt von Sprach-„Anwandlungen“, die ihm nach Maßgabe geringfügigster, aleatorischer Umstände zustoßen.“ (Ebd.:15)
Barthes vermeidet durch die von ihm gewählte Form der Darstellung eine Flucht aus der Immanenz, die den ‚Liebesdiskurs‘ auszeichne und keine „Metasprache“ zulasse: „[E]s ist ein horizontaler Diskurs: keine Transzendenz, kein Heil, kein Roman (aber viel Romanhaftes)“ (ebd.), formuliert Barthes in diesem Zusammenhang. Sprechen also nicht zuletzt das Klischee und der Schlager, der Liebesroman oder Liebesfilm am klarsten von ihr – lässt sich also über die Liebe überhaupt etwas anderes sagen als eine „Wagenladung von Banalitäten“ (ebd.: 190)? Einen ähnlichen Umgang mit der Thematik der Liebe findet Julia Kristeva (1989), indem sie Figuren ‚der Liebe‘ aufruft und ‚durcharbeitet‘: an-
10 Vgl. dazu auch Junge (2008: 99): „Durch die beliebige, dem Leser überlassene Abfolge der Wahl einzelner Stichworte entsteht jeweils ein anderes ‚Universum der Liebe‘, ohne dass eines davon das ganze Universum der Liebe darstellen und zu erfassen beanspruchen kann.“
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gefangen vom Hohelied Salomons über Narziss, Don Juan, Romeo und Julia bis hin oder zurück zur christlichen Agape. Hierbei zeichnet sie Geschichten des diskursiven Terrains um Verliebtheit und Liebe durch die Lektüre ihrer Figuren nach. Kristeva betont dabei auch – und dies wird mich weiter unten erneut interessieren – dass diese „Geschichten von der Liebe“, wie ihre Darstellung tituliert wird, eine subjektive Verstrickung implizieren: „Die unmögliche, unangemessene, unmittelbar anspielende und sich jeder gewollten Direktheit entziehende Sprache der Liebe setzt Metaphern frei: Sie ist Literatur. Singulär wie sie ist, lasse ich sie nur in der ersten Person gelten.“ (Kristeva 1989: 9)
Die Konzentration auf eine spezifische Form findet sich ebenfalls im Rahmen literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit dem Thema um Verliebtheit und Liebe. Der eingangs zitierte Gemeinplatz der Unbeschreibbarkeit von Liebe führt in der literaturwissenschaftlichen Perspektive Gerd Neumanns zur Konsequenz der Behandlung der Liebesthematik in Geschichten – als jener Form, in der ‚Liebe‘ zwar nicht erklärbar, jedoch „lesbar“ werde (Neumann 2001: 14). Die Lektüre und Darstellung von Geschichten und Figuren der Liebe legen damit nahe, dass die Liebe eine bestimmte Form der Artikulation verlangt, um sich darstellen zu können – auch wenn die Form die Unzugänglichkeit nicht aufzulösen imstande ist. Dies lässt die Vermutung zu, dass gerade die Bestimmung der Liebe als unbestimmt – atopisch, unsagbar und flüchtig – einen Fluss der Rede in Gang setzt, für die es ein spezifisches Repertoire gibt. Die Formen, in denen Liebe zur Sprache kommt (und kommen kann), zeigen einerseits einen Umgang mit ‚dem‘ Unbestimmten an der Liebe an. Andererseits reproduzieren diese Umgangs- und Thematisierungsweisen gerade die Form und die Semantik der Liebe als jenes Unbestimmte, das sich seiner Unbestimmtheit versichern muss: „Meinen wir dasselbe, wenn wir von der Liebe sprechen? Und was meinen wir? Die Liebe als Prüfung ist ein Prüfstein der Sprache: ihrer Eindeutigkeit, ihres referentiellen und kommunikativen Vermögens.“ (Kristeva 1989: 10)
Im diskursiven Terrain um Verliebtheit und Liebe wird folglich die Relevanz von Unbestimmtheit auf verschiedene Weisen als ein Charakteristikum der Liebe und Verliebtheit ausgewiesen und aufrecht erhalten. Sich diesem zu entziehen scheint nur unter Verlust des Spezifischen der Ver-
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liebtheit und Liebe möglich, oder innerhalb dieser verbleibend durch die Bestätigung ihrer Form – Liebesgeschichten, Narrationen, Poesie – und damit unter der ‚drohenden‘ Preisgabe des analytischen Standpunktes, wie dies insbesondere die Vorgehensweise von Roland Barthes betont. Die Betonung einer spezifischen Form legt dabei nahe, sich besonders eng am ‚eigentlichen‘ Geschehen der Liebe und Verliebtheit zu ereignen und etabliert ein Korrespondenzverhältnis: Bereits Andeutungen – Romeo und Julia, der Liebesbrief, Werther, Sehnsucht, der Kuss, der Pfeil des Amor – reichten aus, um das Feld des Diskurses zu eröffnen, ganz so, wie das Verlieben und die Liebe sich in Andeutungen – Blicken, Gesten, Komplimenten – affizieren lasse. Das Vorgehen Roland Barthes’ etabliert diese Korrespondenz zwischen einer Logik der Liebe und deren Thematisierungsform durch einen Zweischritt: zunächst darauf zu verzichten, den Diskurs der Liebe beschreiben zu wollen, sondern die Figuren des Diskurses aufblitzen zu lassen – ich erinnere an die bedeutungslose Gliederung einer Konstellation von Elementen, deren Ordnung gerade vermieden werden soll – ihre Andeutung reiche aus. Der zweite Schritt Barthes’ besteht darin, keine theoretisch-beobachtende Position für sich reklamieren zu wollen, sondern vielmehr die Position des Liebenden selbst einzunehmen und von dort aus zu sprechen. Die Andeutungen von Elementen konstituieren augenscheinlich das liebende Subjekt: „Zur Konstitution dieses liebenden Subjekts sind Bruchstücke verschiedensten Ursprungs ‚montiert‘ worden“ (Barthes 1984: 21). Über die Liebe zu sprechen – sich im diskursiven Terrain der Liebe zu bewegen – erfordert offenbar eine bestimmte Form und ermöglicht über diese Form zugleich subjektiv(ierend)e Positionen, die Roland Barthes dazu (ver-)führen, seinen „Fragmenten“ die Worte voran zu stellen: „Es ist also ein Liebender, der hier spricht“ (ebd.: 23). Nicht zuletzt also erfordert und ermöglicht das Sprechen im diskursiven Terrain der Liebe und Verliebtheit jene erste Person, die laut Julia Kristeva den Geltungsbereich des Sprechens dieses Terrains markiert. Darauf Bezug nehmend fügt Kristeva an anderer Stelle hinzu: „Die Liebe ist die Zeit und der Raum, in denen sich das ‚Ich‘ das Recht nimmt, außergewöhnlich zu sein. Souverän und dabei nicht einmal Individuum. Teilbar, verloren, vernichtet; aber durch die imaginäre Verschmelzung mit dem Geliebten auch den endlosen Räumen einer übermenschlichen Psyche gleich. Paranoid? In der Liebe bin ich am Gipfel der Subjektivität.“ (Kristeva 1989: 13)
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3.4. F IGURIERUNGEN
UND F IGURATIONEN IM DISKURSIVEN T ERRAIN UM L IEBE UND V ERLIEBTHEIT
Vorerst lässt sich festhalten, dass für die wissenschaftlichen Thematisierungen von Verliebtheit und Liebe die Relevanz der Unbestimmtheit und Unabgeschlossenheit deutlich gemacht wird. So verweisen vereindeutigende spezifische Theorievokabulare auf kategorisierende Einordnungen, die die Liebe in anderen (Funktions-) Zusammenhängen erklärbar werden lassen, wenn auch zugleich stets betont werden muss, das Wesen der Liebe damit nicht erschöpfend und vollends erfassen zu können. So dient ‚Liebe‘ auf- und verschiebend im Horizont systemtheoretischer Zugriffe beispielsweise als Thematisierungsrahmen von Funktionszusammenhängen in der Differenz personaler, psychischer und sozialer Systeme – wodurch nicht nur die Bedeutsamkeit der Liebe aufgerufen, sondern zugleich die Bedeutsamkeit der – in diesem Fall – systemtheoretischen Perspektive exemplifiziert wird (vgl. analog Niekrenz/Villàny 2008: 12). Die Bezeichnung ‚Komplettberücksichtigung‘ lässt sich als katachrestischmetaphorische Schließung verstehen, die aus der Notwendigkeit heraus, etwas bezeichnen zu müssen, ihren Status gewinnt. Zugleich kann nicht gesagt werden, dass diese Bezeichnungen Identität oder Kompatibilität beanspruchen könnten: Komplettberücksichtigung lässt sich zwar verstehen als das Anerkennen und Annehmen des Anderen, jedoch zeigt sich bereits in solchen ‚Übersetzungsleistungen‘ das figurative Moment jedes Sprechens. Während diese Theoretisierungen also einerseits bestimmende Schließungsversuche vollziehen, re-autorisieren sie zugleich ein Anderes dieses Sprechens, das sich nicht in den Bestimmungsversuchen einholen lässt, wie etwa die Verweise auf das außerhalb systemtheoretischen Zugriffs, opak und diffus, bleibende ‚Eigentliche‘ der Liebe, dem durch theoretische Zugriffe Entzauberung drohe: „Worauf Sie sich einlassen, wenn Sie hier teilnehmen wollen, das ist nicht die Poesie der Liebe, nicht der seltsame Kitzel des Redens über Sexualität, das ist wissenschaftliche Prosa, die nur einen Effekt hat, den dieser oder jene schätzen wird, dass wir nicht um die Dinge herumreden können und wollen, die es zu bezeichnen gilt“ (Fuchs 1999: 11),
markiert etwa Peter Fuchs am Beginn seiner Vorlesungsreihe. Figurierungen dieser Art adressieren damit eine besonders hohe Relevanz der Thema-
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tisierung von Verliebtheit, die mit ihren Bestimmungsversuchen auf Unbestimmtheiten verweisen. Dem korrespondierend lassen sich die gegensätzlichen Versuche verstehen, ein ‚Spezifisches‘ des Liebesdiskurses in der Vermeidung von Kategorisierungen zu finden. Auf diese Weise wird ein Thematisierungshorizont eröffnet, der unter Ausschluss kategorialer Systematisierung seine Relevanz erhält und vielfältige Thematisierungsmöglichkeiten eröffnet. Auch jene Darstellungsweisen wie die von Roland Barthes entbehren dabei gerade nicht einer Systematik – vielmehr weisen sie der Liebe ein bestimmtes Charakteristikum zu. Das Sprechen über Liebe und Verliebtheit autorisiert sich hierbei im Rekurs auf die Unabgeschlossenheit ‚der Liebe‘ und verlangt subjektiv(ierend)e Positionierungen vor dem Hintergrund einer zu vermeidenden Verallgemeinerbarkeit. Die Bemühungen um die Vermeidung und Tabuisierung von Systematizität lassen sich vor diesem Hintergrund als rhetorisch-figurative Einsätze verstehen, die einerseits die Liebesthematik veruneindeutigen, andererseits jedoch darin eine spezifische Bestimmung vornehmen, die das Sag- und Denkbare im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit in spezifischer Weise konturiert. Werden verallgemeinernde Sprechweisen tabuisiert und die Aufforderung zu einem ‚authentischen Sprechen‘ im Nachvollzug des diskursivierenden, diskurrierenden Sprechens der Liebenden als einzig mögliche Sprechweise im diskursiven Terrain der Liebe autorisiert, so wird ein ‚wahres‘ Sprechen als dasjenige gekennzeichnet, das sich auf subjektiv(ierend)e Positionierungen bezieht. Zugleich wird dabei eine Unbestimmtheit und Unabgeschlossenheit ausgewiesen, die gegenüber den systemtheoretischen Erklärungsversuchen ihr Anderes über die ‚Monstrosität‘ und Unangemessenheit theoretischer Zugriffe aufruft. In der Konstellation von unbestimmter Liebesthematisierung und wahrsprechender ‚Authentizität‘ im je konkret-situativen Geltungsbereich werden subjektiv(ierend)e Positionierungen möglich und zugleich notwendig. Die Relevanz der ersten Person wird aufgerufen (vgl. Kristeva 1989), die zugleich auf Uneindeutigkeiten verweist wie auch das Begehren der Schließung erzeugt, so dass subjektiv(ierend)e Positionen einer ‚existenziell‘ bedeutsam werdenden Liebe und Verliebtheit äquivalent gesetzt werden.11
11 Der Zusammenhang von „Liebe und Authentizität“ wird in der wissenssoziologisch angelegten Studie von Holger Herma (2009) zu den generationellen Re-
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Der Rekurs auf eine Wahrheit, die sich im ‚authentischen‘ Sprechen über Liebe erst (an-)erkennbar zeigt, und der Verweis auf das Geltungskriterium der ‚ersten Person‘ (Kristeva) figurieren zudem eine notwendige Positionierung von Subjekt(ivität)en im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit. So können etwa entlang der Liebesthematik zeitdiagnostische oder historisierende Perspektiven auf spezifische Formen neuzeitlicher Subjektivität entwickelt werden. Dies findet sich nicht nur in der systemtheoretischen Thematisierung der Herausbildung von neuzeitlicher Individualität, für welche die romantische Liebessemantik besonders bedeutsam sei (vgl. Luhmann 1982; P. Fuchs 1999). Auch aus wissenssoziologischer Perspektive könne „die jeweilige Codierung, Diskursivierung, (Be)Deutung der Liebe zugleich über moderne Konstruktionen von Individualität und Subjektivität in deren jeweiliger lebensweltlichen Einbettung informier[en]“,
wie dies Holger Herma herausstellt (2006: 208; vgl. auch ders. 2009). Daneben kann aber auch die Begriffsgeschichte von Liebe entlang der Thematisierung von (subjektiver) Identität aufgerufen werden. Diese Linie der Thematisierung neuzeitlicher Subjektivität im Zusammenhang gesellschaftlich-sozialer Veränderungen wird in sehr unterschiedlichen Perspektiven in ähnlicher Weise gezeichnet (vgl. bspw. Beck/Beck-Gernsheim 1990, Sennett 1983, Giddens 1993, Dux 1994). Ein Zusammenhang von Subjektivität und Liebe kann dabei auf diese Weise in verschiedenen Hinsichten artikuliert werden: Thematisiert wird sowohl die Subjektwerdung entlang der Liebesfähigkeit, wie etwa bei Günter Dux (1994), der seinen Betrachtungen zur Liebe ein Kapitel zur Ontogenese des Subjekts voran stellt und schlussfolgert: „Nur Subjekte lieben“ (ebd.: 43). Ebenfalls kann die Selbstwendung des Subjekts auf sich selbst unter liebenden Vorzeichen zur Bedingung von Liebesfähigkeit erklärt werden, wie dies so weit auseinander liegende Thematisierungen wie diejenige Erich Fromms (1980) oder die von Dieter Wyss (1988) vornehmen. Schließlich kann auch die Konsti-
Artikulationen von ‚Liebesidealen‘ und ‚Authentizitätsidealen‘ untersucht. Herma analysiert zwar ebenfalls das Sprechen über Liebe als Praxis, fundiert dieses Sprechen jedoch in einer vorliegenden Liebessemantik, deren Ausdruck je nach Generationenlage rekonstruierbar sei.
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tution des Subjekts in einem spezifischen Sprechen figuriert werden (vgl. Barthes 1984). Auf diese Weise werden Positionen subjektiven Sprechens figuriert, die Subjekt(ivierung)e(n) erforderlich und möglich werden lassen. Daneben figurieren subjekt(ivierend)e Positionierungen selbst als Wahrheitsmomente des Sprechens im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit, die entweder im ‚authentischen‘ oder aber im a-theoretischen Sprechen als ‚wahrhaftiges‘ Sprechen autorisiert wie gleichermaßen zu einem Erfordernis des Sprechens werden. In diesem Spannungsfeld ereignen sich mithin Subjektivierungen, die zugleich notwendig als auch ermöglicht werden – es wird auf diesen Aspekt des als ‚wahr‘ anerkennbaren Sprechens zurück zu kommen sein (vgl. Abschnitt zu ‚Wahrsprechen‘). Die ‚Unbestimmtheit‘, die im wissenschaftlich-theoretisierenden Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit etabliert wird, unterliegt darüber hinaus einer gewissen Ambivalenz. Indem Bestimmungen von Liebe und Verliebtheit als ‚unbestimmt‘ vorgenommen werden, etabliert sich ein spezifisches Diskursmoment, welches Elemente wie ‚unwägbar‘, ‚atopisch‘, ‚unwahrscheinlich‘, ‚magisch‘, ‚verzaubernd‘ etc. um sich gruppiert und die diskursiven Figurationen um Liebe und Verliebtheit (an-) erkennbar werden lässt. Zugleich generiert eben dieses Oszillieren einer bestimmt-unbestimmten Liebe und einer sich diesen Bestimmungen stets entziehenden Liebe die vielfältigen und variantenreichen Füll- und Besetzungsversuche, auf die hin sich das Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit hin autorisiert und dieses Terrain zugleich reautorisiert. Folgt man den Varianzen heterogener Einsätze, die im Terrain um Verliebtheit und Liebe ermöglicht werden, so ergibt sich der Eindruck, dass erst das Ausweisen der Unmöglichkeit des Sprechens dieses Sprechen ermöglicht. ‚Wahrsprechen‘ im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit befindet sich mithin in einer Bewegung zwischen einer (an-)erkennbaren Füllung – deren Varianz um ‚Unbestimmtheit‘ herum unerlässlich scheint – und der Re-Etablierung dieser Unerlässlichkeit, die im Sinne eines ‚Wahrheitsregimes‘ diese (An-)Erkennbarkeit signifiziert und resignifiziert. Die hier angedeuteten Linien und Diskursmomente stellen sich mithin als spezifische Bestimmungsversuche dar, die verdeutlichen, inwiefern über Liebe alles gesagt werden kann und zugleich niemals alles gesagt sein wird. Die zugewiesene Unbestimmtheit des Liebesthemas wird dabei zur Ermög-
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lichungsbedingung eines Sprechens über Liebe und Verliebtheit, die ihre Wahrheit in der Unmöglichkeit einer abschließenden Thematisierung finden. Vor allem subjektiv(ierend)e Positionierungen und Figurierungen des Sprechens werden dadurch ermöglicht und zugleich notwendig, ein sich stets aufschiebendes und neu einsetzendes Sprechen im diskursiven Terrain um Verliebtheit verlangt Entscheidungs- und Schließungsfiguren. Der Durchgang durch das Genre theoretisch-wissenschaftlicher Verständigungen und Annäherungen an das Liebesthema verwies zudem auf einen weiteren Punkt: Zwar müssen spezifische Momente des Diskurses stets erneut aufgerufen werden, um sich als Sprechen im Diskurs der Liebe figurieren zu können. Die Skizzierungen wissenschaftlicher Verständigungen dienen jedoch nicht dazu, den Bereich des Sprechens über Liebe vorab zu bestimmen und auf spezifische Figuren festzulegen, sondern vielmehr dieses Sprechen selbst als der Unabgeschlossenheit von Figurationen unterliegend in den Blick zu nehmen. Die Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains um Liebe und Verliebtheit iteriert Figuren, wie etwa ‚Unwahrscheinlichkeit‘, ‚Anomalie‘, ‚klischeehafte Banalität‘, ‚Moment paranoider Subjektivität‘, etc., ohne sie fixieren zu können. Sie werden je erneut (ereignishaft) und damit zugleich verschiebend (iterierend) figuriert, d.h. platziert und gefüllt. Die Figurierungen (diskursiven Praktiken) etablieren mithin nicht allein spezifische Figurationen des diskursiven Terrains um Liebe und Verliebtheit, indem sie spezifische Figuren setzen, füllen und platzieren, sondern re-etablieren zugleich die generative, weil unmögliche Einheit und unmögliche Differenz zwischen Figurationen und Figurierungen, die dennoch in einem komplexen Bezugsverhältnis zueinander stehen. Jede Figuration treibt erneut Figurierungen an, sie setzt sich in eine Lücke ein, die sie damit erneut aufruft (vgl. Posselt 2005: 139). Figurierungen wiederum können nur über den Modus der Signifikation, d.h. über die Verkettung von Elementen des diskursiven Terrains zu Momenten vollzogen werden. Figurierungen lassen sich mithin als Bewegungen der Etablierung von Sinn, d.h. als Verkettungen und Schließungsversuche verstehen, deren Effekte – Figurationen – jedoch erneut auf Figurierungen verweisen, diese antreiben, sie hervorbringen. Figurationen fließen mithin in Figurierungen über, welche Elemente der Figurationen aufrufen, setzen, platzieren, verketten, so dass Figurierungen auch in Figurationen überfließen, ohne dass zwischen Figurationen und Figurierungen jemals ein austariertes oder fixiertes Gleichgewicht entstehen könnte.
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Einsatzpunkt der folgenden Analysen von Interviews stellt folglich die Annahme dar, dass der ‚Gegenstand‘ der ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ nicht als eindeutig und klar umrissene Kategorie angelegt wird. Vielmehr werden die Analysen geleitet von der Annahme, dass ‚die Unbestimmtheit‘ keine ontologische Qualität im Sinne einer fundierenden Gegenstandsbestimmung darstellen kann, sondern selbst als diskursives Moment aus den Elementen des diskursiven Terrains artikuliert werden muss (vgl. Laclau/Mouffe 1991: 141). Wie also wird diese ‚Unbestimmtheit‘ und die ‚Unabgeschlossenheit‘ so artikuliert, dass sie sowohl bedeutsam für schließende Thematisierungseinsätze als auch generativ hinsichtlich stets neu ansetzender Thematisierungseinsätze wirken können? In Absetzung zu der sich in den wissenschaftlichen Theoretisierungen zeigenden ontologisierenden Bestimmung der Liebe und Verliebtheit als ‚unbestimmt‘ interessieren sich die folgenden Analysen für die konstitutive Differenz zwischen ontisch-semantischen Erscheinungsweisen und ontologisch-differenzieller Unabgeschlossenheit – mithin für die Art und Weise der Konstitution einer sich als unbestimmt zeigenden Liebe/Verliebtheit. Gegenüber den Theoretisierungen, die Liebe auf eine Weise figurieren, die diese als ‚unbestimmt‘ bestimmen, ihr eigenes Sprechen darüber ebenso wie das zugreifende Theorem autorisieren, und damit jeweils erneut auch das Terrain um Liebe und Verliebtheit re-autorisieren, verfolgen meine Analysen die Konstitutionslogik dieses Gegenstandes – der Gegenstand der Liebe wird nicht vorab gesetzt, sondern als ein Signifikant verstanden, der verschiedentlich gefüllt werden kann und muss. Liebe und Verliebtheit gewinnen ihre ‚Realität‘ im Feld tropologischer Bewegungen, die zwischen der Unmöglichkeit von Bestimmung und der Notwendigkeit von Bestimmung ihre Bedingung haben wie ihre Verfehlung finden, mithin von der Unmöglichkeit von Bestimmung affiziert werden – gleichermaßen mit Effekten einhergehen, die das Sprechen im diskursiven Terrain autorisieren, dieses Terrain (re-)etablieren, seine Füllungen zugleich ver- und aufschieben und stets erneut geltend machen, was als Sprechen (an-)erkennbar sein kann und welche Positionierungen erforderlich und ermöglicht werden. Eine spezifische Problematik zeigt sich dabei insbesondere in der Darstellung dieser Analysen des wissenschaftlich-theoretisierenden Genres: Meine Darstellungen kommen nicht umhin, die Figuren erneut aufzurufen, die Sprechweisen damit als relevant, elementar und bedeutsam zu markieren, ihren Platz im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit erneut zu
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inaugurieren – die Analysen zehren nicht zuletzt von der Logik der Signifikation. Im ersten Teil wurde darauf hingewiesen, dass die Signifikationslogik jedoch dem iterativen Moment unterliegt, das zugleich Setzung und Verfehlung beinhaltet, insofern kein Element im diskursiven Terrain jemals in seiner Bedeutung fixiert werden kann. Die dargestellte Polysemie der Begriffs-Füllungen von Liebe lässt sich folglich als Dissemination verstehen. Die diskursiven Schließungsgesten der Füllung von Liebe und Verliebtheit sind gerade nicht wie im Falle der Polysemie (wenn auch nur theoretisch) umgrenzbar, auch wenn sie sich als eine polysemische Bedeutungsvielfalt inszenieren. Gerade diese Inszenierung der Varianz einer Figur jedoch setzt sich in die disseminative Qualität des diskursiven Terrains ein, indem es dessen unmöglichen Begrenzungen als begrenzbar markiert. Für die vorliegend aufgerufenen Figurierungen und Figurationen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit, deren Bemühen in der zuweisenden Bestimmung von Liebe und Verliebtheit als ‚unbestimmt‘ aufgerufen wurden, lässt sich dieses Verhältnis spezifizieren, um den Einsatz der Analyse genauer zu schärfen. Die Figurativität des Sprechens zeigt sich besonders eindrücklich in dem Versuch, die Unbestimmtheit aufrecht zu erhalten und immer wieder als Diskursmoment – und damit als Moment der Wahrheit dieses Diskurses – einzuführen. Zugleich zeigt sich, dass diese Unbestimmtheit je verschieden ausgefüllt wird und nicht per se einer semantischen Einheit entspricht. Es soll dies der Ausgangspunkt für die folgenden Analysen von Interviews zur Verliebtheit sein, die sich der Varianz dieser notwendigen und letztlich doch unmöglichen Schließungsversuche widmen. Die leitende Analysefrage wird dabei sein, über welche figurierenden Bewegungen in den Interviews ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ in Erscheinung treten kann, welche Elemente, Figuren und Verschiebungen dabei aufgerufen und platziert werden sowie welches diskursive Terrain um Verliebtheit und Liebe dabei wie konfiguriert wird.
4.
Interviews zu Liebe und Verliebtheit
4.1. Z UGÄNGE : I NSZENIERUNGSPRAKTIKEN Bevor einzelne Figurationen und Figurierungen der Liebes- und Verliebtheitsthematik dargestellt werden, sollen einige Aspekte der Erhebungssituation näher beleuchtet werden, die einen ersten Blick auf die Gestalt(ung) des Materials ermöglichen. Dies begreife ich weniger als eine Form der ‚Methodendiskussion‘, sondern ich betrachte im Folgenden das ‚Erhebungssetting‘ unter dem Blickwinkel einer Praktik der Diskursivierung von Liebe/Verliebtheit. Es kommt mir insbesondere darauf an, die im Abschnitt zu Fragen der Methode aufgerufenen Überlegungen zum ‚Erhebungsinstrument‘ Interview bezogen auf die Gestalt und Gestaltung des Materials zu unterlegen. Zunächst als ‚Nebenprojekt‘ angedacht,1 wurden über Aushänge Interviewpartner_innen gesucht. Die Aushänge hatte ich an den schwarzen Bret-
1
Ursprüngliches Forschungsthema war die Frage nach ‚Bildung angesichts des Unbegreiflichen‘ anhand von Begegnungen in Gedenkstätten in Oswiecim/ Auschwitz. Im Mittelpunkt sollte dabei der Erfahrungsgedanke stehen. Vermutet wurde, dass sich in der Lücke zwischen didaktisierten Wissensinhalten und je singulär-partikularer ‚Übersetzung‘ von Wissen bildungsrelevante Erfahrungen als ‚Scheitern von Erfahrung‘ (Horn 2005) und Verstehen ereignen. Unter anderem aus forschungspragmatischen Gründen wurde diese Fragestellung nach dem Zusammenhang von Wissen und der Grenze des Verstehens auf die Thematisierungen von Verliebtheit und Liebe verschoben. Die damit einhergehenden Neu-
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tern der Stadt, den beiden Hochschulen in Halle sowie in Cafés verteilt. Es kam auch vor, dass über die Interviewpartner/innen Freunde und Freundinnen ‚akquiriert‘ wurden, die spontan ein Interview mit mir verabredeten. Insgesamt führte ich daraufhin 14 Interviews, deren Analysen ich im Folgenden darstellen werde. Das Interesse an den Interviews war so groß, dass ich einige Interviews mehr hätte führen können – meine Ressourcen grenzten das Interviewkorpus auf diese Anzahl ein. Da der Analysefokus nicht von einer Repräsentativität ausgeht und die Unabschließbarkeit und Generativität von Füllungen in Rechnung stellt, haben die Zahlenangaben zum Datenkorpus auch keine analytische Relevanz. Dies trifft ebenso auf die Zusammensetzung der Interviewpartner/innen zu: Aussagen über Geschlecht, soziale Herkunft, Lebensalter, Beruf, etc. enthalten keinen analytischen Wert bezogen auf die Diskursivierungen der Liebes-/Verliebtheitsthematik. Wie wäre die soziale Position mit den Diskursivierungen in Zusammenhang zu bringen, ohne die Artikulationen in ein Repräsentationsverhältnis zu den Sprechenden zu bringen und das „Subjekt als Zurechnungsadresse“ (Nassehi 2008: 82) einzuschreiben? So viel sei jedoch gesagt, dass in der Hauptsache Studierende und etwas weniger Männer als Frauen an den Interviews teilnahmen. Der Text der Aushänge lautete folgendermaßen:
(un)glücklich verliebt? Im Rahmen meiner Promotion interessiere ich mich für Erfahrungen mit (un)glücklicher Verliebtheit, die sicher jede/r auf die eine oder andere Weise gemacht hat. Ich würde mich sehr freuen, Interviewpartner/innen dafür gewinnen zu können. Das Interview dauert ca. eine Stunde, wird auf jeden Fall anonymisiert und mit € 10 belohnt.
Bei Interesse und Nachfragen bitte einfach melden unter: [email protected]
justierungen führte u.a. zur Infragestellung des ‚Auskunftsmediums‘ Interview und der Präferenz der diskursanalytischen Vorgehensweise.
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Die Interview-InteressentInnen meldeten sich daraufhin bei der angegebenen E-Mail-Adresse auf relativ unkomplizierte Weise, und schnell konnten Termine vereinbart werden. Beispiele für eine solche Kontaktaufnahme lesen sich wie folgt: Betreff: Interview noch möglich? Von: XY An: Datum: 04.05.07 13:39:53 Uhr Hallo, ich habe ihren Aushang im Edeka der Ludwig-Wucherer-Strasse in Halle entdeckt und würde gerne an einem Interview teilnehmen, wenn dies noch möglich sein sollte. Ich schreibe gerade an meiner Abschlussarbeit und dsh. zeitlich relativ frei verfügbar. Beste grüße XY
Oder auch: hallo wir sind zwei studentinnen und würden uns gerne für ein interview zur verfügung stellen. vielleicht kannst du uns vorab etwas genaueres über deine promotion etc. erzählen. viele grüße XY und Z
Diese Kontaktaufnahmen wurden von mir jeweils mit einer E-Mail beantwortet, die den Termin und den Ort festlegte sowie einige Erläuterungen zum Hintergrund des Vorhabens enthielt. Einige Interview-Interessierte hatten auch um zusätzliche Informationen gebeten. Die Beschreibung meines Vorhaben sollte die Unabgeschlossenheit der Arbeit und der Fragestellung – und damit auch die Unabgeschlossenheit des zu Thematisierenden – andeuten. Vor allem war ich in meiner Darstellung des Forschungsvorhabens bestrebt, Vorläufigkeit anklingen zu lassen. Die Situierung des Interview-Settings war darum bemüht, einen Raum der Offenheit und zugleich ‚Diskretion‘ nahezulegen. Beispielhaft liest sich eine solche Korrespondenz im Rückwärtsgang folgendermaßen:
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Hallo, Mittwoch 11 Uhr würde klappen, allerdings habe ich um 12:15 Uni, aber wenn es nur eine Stunde dauert, dann ok. Gruß XY > -----Ursprüngliche Nachricht----> Von: [email protected] > Gesendet: 09.05.07 14:22:25 > An: XY > Betreff: Re: antwort auf deine Annonce> > Hallo XY, > > vielen Dank für die Rückmeldung! Ich bin immer noch sehr an Interviewpartnern interessiert! > > Ein paar kurze Worte zu meinem Vorhaben: Ich promoviere hier an der MLU und interessiere mich für Situationen, in denen man selbst in Frage gestellt wird. Ich denke, dass Verliebtheit bzw. unglückliche Verliebtheit eine solche (Grenz-)Erfahrung darstellt. Eine sich anschließende Frage ist dann, ob Situationen dieser Art in besonderem Maße Bildungsprozesse lostreten können bzw. ob Veränderungen des Selbst dabei überhaupt eine Rolle spielen. Ich stehe noch am Anfang der Arbeit und die Interviews sollen mir dabei helfen, genauer herausfinden zu können, um was es bei Verliebtheit bzw. unglücklicher Verliebtheit geht und was dabei eine Rolle spielt. > > Ich würde vorschlagen, wir treffen uns nächsten Mittwoch (16.05.07) um 11.00 Uhr bei mir zu Hause, wenn das möglich ist? Ein anderer Ort (ein ruhiges Café o.ä.) wäre für mich auch möglich. > > Bitte gib kurz Bescheid, ob der Termin passt. > > So weit, eine schöne Rest-Woche wünscht > > Kerstin Jergus. > > -----Ursprüngliche Nachricht----> > Von: XY > > Gesendet: 06.05.07 15:58:02 > > An: [email protected] > > Betreff: antwort auf deine Annonce> > > > Hallo, > > mein Name ist XY und ich würde gerne an deinem Projekt mitmachen. Ich führe seit 7 Monaten eine Fernbeziehung und hätte einiges zu erzählen. > > Schöne Grüße > > XY
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Gleichwohl die Zeilen zum Forschungsvorhaben eine offene, suchende und noch nicht abgeschlossene Fragestellung anklingen lassen sollen, werden darin durchaus bestimmte Thematisierungsweisen nahegelegt. Im Besonderen wird dabei ein spezifischer Zusammenhang zwischen dem Thema der Verliebtheit und dem Selbst eingeführt, der bezogen auf eine bildungsrelevante Veränderung konkretisiert wird. Das Vorhaben wird folglich so situiert, dass Selbstthematisierungen eine maßgebliche Relevanz erhalten. Diese Selbstthematisierungen werden vor allem hinsichtlich der Unabgeschlossenheit des Vorhabens als auch des Gegenstandes der Verliebtheit forciert. Die Verknüpfung von Selbst–in Frage stellen–Grenze–Erfahrung– Situationen–unglücklich–Verliebtheit eröffnet einen Thematisierungshorizont, in dem Aussagen nicht nur in einem vorläufigen Raum platziert werden, sondern zugleich der Zusammenhang zu einer Thematisierung des Selbst hergestellt wird. Daneben wird ein Setting angeboten, das Privatsphäre und Diskretheit verspricht, so dass zur Verkettung von Selbstthematisierung, Verliebtheit und Veränderung eine Inszenierung des Interviewthemas als bedeutsam tritt. Gegenüber einem offiziellen Setting wie etwa der Universität wird das Interview als ein Gespräch in privaten Räumen gerahmt. Die vorwegnehmende Rahmung eines solchen Gespräches – das Bemühen um Diskretion, die Anklänge an die ‚Natürlichkeit‘ eines freundschaftlichen Gespräches, die Situierung in privaten Räumen – evozieren zugleich eine gewisse Dramatik der Gesprächsinhalte. Nahegelegt wird auf diese Weise, dass dabei etwas auf dem Spiel stehen könnte, sei es das zu Thematisierende, das thematisierende Selbst oder auch die Intimität der Person. Die konkret ablaufenden Interviewsituationen seien im Folgenden exemplarisch in einem verdichteten Protokoll geschildert: Nachdem die Interviewpartnerin meine Wohnung betreten hat, entsteht ein kurzer Small Talk über die Wohnung, ihre Lage und ihre Einrichtung. Ich biete Kaffee oder Tee an, und die ‚Besucherin‘ (denn daran erinnert die Rollenverteilung oder die Szene, die wir gerade aufführen) nimmt im Wohnzimmer Platz. Ich kommentiere etwas verlegen die chaotische Situation – meine Umzugskisten stapeln sich in der Hälfte des Zimmers. Wir setzen uns einander gegenüber, zwischen uns steht ein kleiner Tisch mit Tee und Honig sowie dem digitalen Aufnahmegerät, das klein und unscheinbar darauf liegt und oft kommentiert wird. Ich beginne mit ein paar Worten zum Ablauf des Interviews, schalte dann das Gerät an und steige mit einer Frage oder Bemerkung ein, die das Interviewthema eröffnet. Meist dauert das Interviewge-
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spräch gut eine Stunde, selten wird es durch Telefonanrufe unterbrochen. Nach dem offiziellen Abschluss lasse ich das Gerät meist angeschaltet, meist schließen sich seitens der Interviewten Fragen nach meinem Vorhaben an: In welchem Fach ich arbeite? Wie viele Interviews habe ich schon geführt? Reicht eine so geringe Anzahl der Interviews? Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Schließlich hole ich die Datenschutzerklärung ein und frage, ob die Interviewten bereit wären, ein zweites Mal zur Verfügung zu stehen. Beides wird unproblematisch und schnell positiv beschieden. Schließlich bezahle ich die zehn Euro, was in den meisten Fällen die Situation beendet und wir verabschieden uns mit guten Wünschen füreinander.
In zwei Interviewsituationen außerhalb meiner Wohnung lassen sich ebenfalls Inszenierungen und Herstellungen von ‚Privatsphäre‘ bemerken: Ein einziges Mal nahm eine Interviewpartnerin das Angebot, sich in einem Café zu treffen, wahr, und mit einem weiteren Interviewpartner traf ich mich am WG-Küchentisch seiner vorübergehenden Bleibe. Im Café bemühten wir ‚Gesprächspartnerinnen‘ uns darum, innerhalb des Geräuschpegels der Musik zu verbleiben und Gesprächspausen zu machen, sobald der Geräuschpegel des Cafébetriebs sank. Diese Anstrengungen zielten offenbar auf die Herstellung einer ‚geschützten Situation‘, die es ermöglichen sollte, über Dinge zu sprechen, die eine gewisse ‚Privatsphäre‘ benötigten, die ‚nicht jeder‘ hören sollte oder die ‚unter uns bleiben‘ sollten. Ähnliches lässt sich für die Küchentisch-Szenerie sagen: Obwohl es sich um eine 5Personen-WG handelte, war über den ‚Besuchszeitraum‘ von ca. zwei Stunden an einem Vormittag keine weitere Person anwesend – möglicherweise ist das nicht ungewöhnlich für diesen Zeitraum, den der Interviewpartner vorgeschlagen hatte. Auf diese Weise war in jedem Fall eine störungsfreie Atmosphäre garantiert, die eine Art freundschaftlichen Besuch bei Tee am Küchentisch ermöglichte. Insgesamt legte ich stets Wert darauf, eine Atmosphäre zu schaffen, die ‚undramatisch‘ und alltäglich erscheint. Die Gemütlichkeit sollte Anklänge an Gesprächssituation mit der besten Freundin bzw. dem besten Freund ermöglichen – der Gesprächscharakter sollte gegenüber dem des Interviews im Mittelpunkt stehen. So werden auch ‚die Rollen‘ aufgeführt: Kaffee und Tee werden getrunken, Plaudereien über die Wohnung und das Wetter eröffnen das Gespräch, es wird gelacht und gekichert, man macht es sich gemütlich im Sessel und am Kaffeetisch. Mein Zuhause oder ein Café stellen die prädestinierten Orte eines vertraulichen Austauschs über private Dinge dar. Auf diesem Wege ruft die Situation Symmetrie auf: Mein Zu-
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hause wird geöffnet, so dass der Öffnung für die privaten und die eigene Person berührenden Thematisierungen nichts im Wege stehen könnte – nahe gelegt wird auf diese Weise ein Aus-Tausch, ein Tauschgeschäft. Der geschäftliche Charakter wiederholt sich auch nach dem Interview auf ganz anderer Ebene in Form der ‚Bezahlung‘ der Interviewpartner/innen. Die Bezahlung bricht jedoch zugleich auch den Charakter des ‚freundschaftlichen‘ und intimen Gesprächs. Während des Interviews wird bezüglich der Motivation der Interviewpartner/innen dann auch nicht auf den finanziellen Aspekt verwiesen – vielmehr werden Interesse sowie Neugier gegenüber dem Thema und dessen Bearbeitung geäußert. Auch während des Interviewgesprächs tauchen Konstellationen auf, die den idealtypischen Interviewverlauf unterbrechen. Teilweise sind dies Anrufe oder Störungen in der Situation – wie im Falle dieses Interviews:2 M: Und, ähm, bei den anderen Malen, also ich glaub, man muss halt grundsätzlich äh, dazu bereit sein, sich auf jemanden einlassen zu wollen. [Handyklingeln] mh, scheiße, Entschuldigung! KJ: Macht nichts. M: Ja, hallo? – –– Karina! Was geht? – – – Ja, da ist irgendwie, da ist irgendwie ne rocksteady crew und so was, h-hm. – Hm. – Ja – ja, pass mal auf, hier – ich bin
2
Es seien noch einige Lesehinweise gegeben: Während der Transkription wurden zwar kleinste Pausen aufgezeichnet, da zu diesem Zeitpunkt die forschungsleitende Frage noch darin bestand, der Schwierigkeit des verliebten Sprechens ‚auf die Spur‘ kommen zu können. Demgegenüber zeigte sich während der Analysearbeit, dass diese Fokussierung, die ‚Grenze des Sagbaren‘ aufzeigen zu können, problematisch situiert war. Dementsprechend wurde in der Darstellung um der besseren Lesbarkeit willen auf die Verzeichnung der kürzeren Pausen verzichtet, lediglich längere Pausen werden angeführt. Betonungen werden kursiv markiert. Die InterviewpartnerInnen werden mit Buchstabenkürzeln und Geschlechtsmarkierungen markiert, während das Kürzel ‚KJ‘ für die Interviewerin steht. Dass in den Buchstabenkürzeln (inklusive der m/w-Differenz) keine eigene analytische Relevanz ohne supplementierende Unterstellung einer kohärenten Sprecher_inPosition liegen kann, wurde bereits angedeutet (vgl. auch S. 160f.). Die Kürzel dienen folglich der Lesbarkeit. Passagen, die zwischen so genannten ‚Emoticons‘ - eingefügt sind, weisen darauf hin, dass diese lächelnd, belustigt, heiter, ironisch oder amüsiert gesprochen wurde. Alle Namen sind fiktiv.
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gerade noch, ähm – i-ich unterhalt mich grad noch mit jemanden – und ich muss dann noch mal in den Baumarkt, irgendwie und dann muss ich mal kurz was essen, und ähm, wann wollen wir uns denn treffen? – Üh! – Ach so! Weil diese Spiele-Party geht ja schon um acht los! – Eh! Spieleparty, na hier bei Hanna und so, was ich dir gezeigt hab. – La-la-laBim! Na habt ihr-äh, hast du was zu essen für mich? – Bei Dir? – – Ja. – – – – Na, naja, irgendwas kleines, so riesig muss es ja nicht sein, da würd ich sagen, dass ich so zwischen – um acht und viertel neun bei dir vorbei komm? – –Okay. – Viertel nach acht, Karina! […] Okay, dann, bis später, ne?! – Tschühü! KJ: Ich kann dir jetzt höchstens, ich kann dir Reiswaffeln oder irgendwas anbietenM: Nein! Nein, nein! Nee, ich hab jetzt noch keinen Hunger aber dann brauch ich nicht mehr nach Hause zu gehen. Weil, die wohnt auch gleich hier um die Ecke, dann muss ich nicht über die Brücke fahren und so. KJ: Ja. M: Jetzt geht es noch, aber, ich trink noch nen Schluck Tee! KJ: [lacht] Ähm- (Mw_654-682)
Während die Interviewpartnerin hier eine Bezeichnung für die Situation im Sinne eines Gesprächs wählt, findet sich auch im Angebot der Interviewerin erneut eine Inszenierung einer eher freundschaftlichen Atmosphäre gegenüber etwa derjenigen eines geschäftlichen Termins. Andere Brüche beziehen sich auf die herkömmliche Rollenverteilung, die an manchen Stellen eher einen dialogischen Charakter oder auch fast eine ‚Umkehrung‘ der ‚Rollen‘ darstellt, wie dies in der folgenden längeren Passage aus einem Interview deutlich wird:3 A: Da dachte ich, okay, da ist der vielleicht auch ziemlich verletzt oder so. Und ich dachte irgendwie immer, vielleicht vertraut der mich nicht so richtig, oder keine Ahnung, das, da hab ich teilweise auch gedacht, vielleicht nimmt der das ja doch
3
Hierbei beziehe ich mich auf gängige Interviewverfahren, die mit einem auf Erzählungen generierenden ‚Erzählstimulus‘ (Erzählaufforderung) beginnen (vgl. Schütze 1987, Froschauer/Lueger 2003: 62f., A.-M. Nohl 2009: 22) und ferner die Rollen auf eine neutrale, die Erzählung anstoßende, ‚hervorlockende‘, überblickende und abschließend forschungsbezogen nachfragende Forscher_in-Figur gegenüber der erzählenden, Auskunft gebenden, ihre Erfahrungen explizierenden ‚Informanten‘-Figur verteilen (vgl. u.a. Froschauer/Lueger 2003, A.-M. Nohl 2009).
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nicht so ernst wie ich, oder, in den sieben Tagen, [lacht] Also es war eigentlich einfach ein riesengroßes Rätsel für mich, dass er das jetzt so plötzlich beenden konnte. KJ: H-hm. Also von daher kann ich den Impuls verstehen, das aufzuschreiben. Also so [räuspert sich] vom, sich selbst als Teil dieses Rätsel auch auf die Spur zu kommen oder so, das kenn ich auch-also ich kenne das auch, dass ich gerade so in so Situationen, wo man unglücklich verliebt ist, also einmal kenn ich dieses, raus und weg gehen und ich kenn das aber auch dieses drüber reden müssen, drüber reden müssen, um das so los zu werden und um irgendwie es auch zu verstehen. A: H-hm. KJ: Obwohl, man’s ja dann [lachend] immer nicht verstehtA: H-hm. KJ: Aber das kann ich irgendwie weil Du jetzt gesagt hast, Du würdest das nicht mehr machen, mit diesem drin rum rühren, aber ich glaub man macht das nicht nur für den anderen, sondern, ich glaub, man macht das ein Stück weit auch für sich selbst, um sich- weil meistens ist es ja so, in dieser ersten Phase, da denkt man nicht drüber nach. A: H-hm. KJ: Da will man auch nicht so richtig drüber nachdenken, was man da so macht, und so, da will man dabei sein undA: In welcher ersten Phase? KJ: Na, in dieser ersten Phase, die Du jetzt, sozusagen, Ihr habt Euch gesehen, und dann habt Ihr Euch jeden Tag gesehen, oder so dieses daA: H-hm. KJ: will man ja auch keine Zweifel oder sowas aufkommen lassen, da will man nur das Erlebnis, so. A: H-hm. KJ: Und i-ich glaube, dass also ich kenne das, dass irgendwann dieser Moment kommt, wo man so das Gefühl hat, das kapieren zu müssen, was man da macht. A: H-hm. KJ: Und Schreiben find ich, ist eine der Praktiken, die einem das soA: Ja, also das Aufzuschreiben, das war sicherlich auch gut, aber das ihm halt auch zu schicken, also dasKJ: H-hm. A: Meint ich halt, das würd ich nicht mehr machen.
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KJ: H-hm. (5sec.) Und habt Ihr dann später noch mal darüber gesprochen, was- was da passiert ist? (6sec.) (Aw_453-494)
Die Konstellation des Interview-Gesprächs dreht sich an dieser Stelle um: Einen Faden der Interviewten aufnehmend wird ein eigener Einsatzpunkt gefunden, der seitens der Interviewten mit – abwartendem? ungeduldigem? zustimmenden? distanzierenden? – „H-hm“ oder auch mit Rückfragen beantwortet wird. Es ist zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nicht absehbar, ob sich dieser Rede-Einsatz zur Einleitung einer neuen Frage, einer anderen Thematik oder eher eine verselbständigte Ausführung der Interviewerin entwickeln soll. Die ‚Dialog-Anteile‘ der ‚Interviewerin‘ drehen sich in dieser Passage um ein als ‚Praktik‘ figuriertes Schreiben, die in einen Selbstthematisierungszusammenhang gestellt wird.4 Die spärlichen Einsätze der Interviewten nehmen diesen Faden des Schreibens als ‚Selbsttechnik‘ nicht auf, sondern situieren das Schreiben als kommunikativen Akt der Adressierung des Anderen. Während also einerseits eine Forcierung des Zusammenhangs von Selbst und Liebesthematisierungen anhand des Schreibens vorgenommen wird, wird andererseits dieser Aspekt der Schreibpraktik anders platziert: Die Schreibpraktik wird hier nicht als Selbsttechnik figuriert, sondern vor allem in den Zusammenhang des Verschickens, also einer konkreten Adressierung des Anderen, gestellt. Die von der Interviewenden forcierte Platzierung von Schreiben und Selbstthematisierung wird dabei eher als ein Nebeneffekt, jedoch nicht als zentrales Moment des Schreibens figuriert. Diese je verschiedene Verkettung und Konstellierung einzelner Elemente verweisen auf die Unabgeschlossenheit des Thematisierungshorizontes um ‚Verliebtheit‘ und vor allem darauf, dass es keine präfigurierenden Einsätze der Interviewerin gibt. Diese Einsätze unterliegen der permanenten iterativen Logik, die ‚Schreiben‘ ebenso wie ‚Liebe‘ und ‚Verliebtheit‘ je neu und anders platzieren. So lassen sich sowohl Enttäuschung–Schreiben–Selbstreflexion in einen Zusammenhang stellen, als auch Enttäuschung–Schreiben–Verschicken–Zurückweisung miteinander kombinieren. Darin differieren jedoch Anrufungen und Figurierungen von Subjektivität durchaus: Während im Rahmen reflektierender Praktiken im Schreiben ein sich vor dem Hintergrund eines ‚Rätsels‘ for-
4
Vgl. zum Schreiben als Selbstpraktik am Beispiel des Führens von Lernjournalen in der Erwachsenenbildung: Wrana 2006.
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mierendes Selbst figuriert wird, wird im zweiten Fall ein sich vor dem Anderen erklärendes und öffnendes Selbst figuriert, das sich bezogen auf den Anderen darstellt. Auch wenn der Faden des Schreibens als einer Praktik für beide Konstellationen aufgenommen wird, so ist doch die Praktik des Schreibens eine jeweils andere, die in Verbindung mit anderen Elementen auch andere Subjektivitäten nahelegt. Die Inszenierungspraktiken des Interviewsettings verweisen auf mehrere Ebenen: Verschiedene Anstrengungen werden unternommen, das Thema der ‚Verliebtheit‘ mit Bedeutsamkeit aufzuladen und ihm eine für die beteiligten Subjektivitäten relevante und gewisse ‚riskante‘ Dimension zu geben. Anhand der Situierung des Vorhabens, des Interviews, der Treffpunkte und Thematisierungsweisen werden Rahmungen vorgenommen, welche die Thematisierungen von Verliebtheit und Liebe mit Relevanz und hoher subjektiver Bedeutsamkeit aufladen und als solche inszenieren. Eine erste analytische Näherung an diese Praktiken könnte darin bestehen, eine spezifische ‚Charakteristik‘ des Gegenstands der Verliebtheit herauszustellen. So ließe sich etwa argumentieren, dass die hier sich andeutenden Vorkehrungen und Forcierungen in der Thematisierung und ihrem Setting dem Gegenstand ‚angemessen‘ wären. Einige Plausibilität könnte die These für sich in Anspruch nehmen, dass über Verliebtheit zu sprechen möglicherweise nicht schnell zwischen ‚Tür und Angel‘ vor sich gehen könnte. Die Verbindung von Verliebtheit–Intimität–Verletzlichkeit–Privatsphäre könnte mit Akzeptabilität rechnen – unabhängig zunächst von der Forschungssituation, die ihren so genannten ‚Informanten‘ (vgl. A.-M. Nohl 2009: 24; Schütze 1987: 146) Diskretion, Anonymität und die Vermeidung der Zurechenbarkeit auf konkret empirische Personen zusichert. Erfordert folglich der Gegenstand der Verliebtheit spezifische Vorkehrungen und Rahmungen, die seine Thematisierbarkeit ermöglichen? Die Rede von der Gegenstandsangemessenheit wird zwar meist in der Diskussion um die adäquate Wahl der Methoden angeführt, sie könnte jedoch auch für die Erhebungssituationen in Anspruch genommen werden.5 Dennoch lässt sich fragen, welches Gegenstandsverständnis an dieser Stelle in Anschlag gebracht wird, das im konkreten Fall der ‚Verliebtheit‘ diesen bereits in der
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Die Gegenstandsadäquatheit als Proprium der Methodenwahl wird von der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998, Strauss/Corbin 1999) vertreten.
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Erhebung als intim, bedeutsam, existenziell, und damit im Zusammenhang auch subjektive Positionierungen erfordernd, konstituiert? Demgegenüber lassen sich die hier aufgerufenen Bemühungen und Praktiken der Aufladung mit ‚subjektiv-existenzieller‘ Bedeutsamkeit des Sprechens über Liebe und Verliebtheit auch so verstehen, dass darin spezifische Umgrenzungen der Thematisierungsweisen zu Verliebtheit vorgenommen werden. So lässt sich darauf aufmerksam machen, dass der Gegenstand der Verliebtheit nicht naturaliter oder selbstidentisch vorliegt und aus sich heraus Anforderungen an Erhebung und Analyse heranträgt. Vielmehr kann argumentiert werden, dass in den Inszenierungspraktiken des Interviews ein spezifisches Verständnis von Verliebtheit in den Zusammenhang mit Selbstthematisierungen und persönlicher Betroffenheit gestellt wird. Aus diesem Blickwinkel könnte zwar immer noch davon gesprochen werden, dass Verliebtheitsthematisierungen spezifische Rahmungen erforderlich machen – jedoch muss hinzugefügt werden, dass dieses Erfordernis selbst bereits eine Thematisierungsweise darstellt. Diese Thematisierungsweise inauguriert Verliebtheit und Liebe als subjektiv bedeutsam und das Selbst existenziell betreffend, indem sie Dramatisierungsgesten, Zuweisungs- und Umgrenzungsgesten und Aufladungen vollzieht. Im Bemühen der situativen Rahmung als unkompliziertes Treffen mit Anklängen an freundschaftliche Gespräche rekurriert eine solche Entdramatisierungsgeste damit zugleich auf eine ‚dramatische‘ Dimension des zu Thematisierenden. Verliebtheit wird in der Kontaktaufnahme und der Interviewsituation auf verschiedenen Ebenen (Vorstellung des Promotionsthemas, Wahl der Orte, Gestaltung der Interviewsituation, Ablauf des Interviews, etc.) als Thema figuriert, dessen Relevanz für Selbst-Thematisierungen gesetzt und mit einer Bedeutsamkeit der Thematisierungen aufgeladen wird. Das beiderseitige Bemühen verwies und inaugurierte demnach in der Situation des Sprechens auf einen ‚geheimnisvollen‘ Charakter, einen Gegenstand, bei dem es um ‚Persönliches‘ gehen könnte. Intimität und existenzielle Bedeutsamkeit werden auf diese Weise für Verliebtheit aufgerufen. Daneben taucht das Moment des Tauschs auf mehreren Ebenen auf. Die situative Inszenierung als Tausch von Intimität – meine Wohnung/Privatsphäre gegen die intimen Erfahrungen – verflicht sich mit der ersten Figur des Rekurses auf die Dimension der persönlichen und subjektiven Bedeutsamkeit des Besprochenen. Wie jedoch verhält sich die ökonomische Di-
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mension der Bezahlung des Interviews zur Intimität des zu Sagenden? Lässt sich nicht erneut auch hierbei eine Brücke zur Charakterisierung des ‚Gesprächs‘ als ‚intimes‘ verstehen? Gerade im Bruch durch den ‚profanen‘ Bezahlakt, der das ‚Gespräch‘ als Interview situiert, wird zugleich die Differenz von Interview und intimen Gespräch angeführt. Die Bezahlung wurde von der Gesprächssituation situativ völlig losgelöst – die dadurch als ‚intimer Raum‘ wiederum bestärkt wurde. Die Auseinandersetzungen mit den Inszenierungspraktiken sollen – um einem Missverständnis vorzubeugen – nicht nahe legen, die Situation des Interviews, die Präfigurierungen des Themas der Verliebtheit im Zusammenhang mit Selbstthematisierungen und die Nahelegung des ‚subjektivexistenziellen‘ Gehalts des zu Besprechenden würden die Aussagen der Interviews determinierend bestimmen. Ich begreife die Darlegung der Hervorbringung des Materials demgegenüber als eine erste analytische Näherung, die dem Einsatz der diskurstheoretisch-rhetorischen Analysehinsicht auf die Hervorbringung und Logik der Konstitution von Gegenständen folgt. Vor diesem Hintergrund stellen sich methodische Vergewisserungen und methodologische Reflexionen nicht als Kriterien der Güte der Forschung dar, die ihren Halt in der Transparenz und Ausführlichkeit der methodischen Diskussion finden würden (vgl. Steinke 2002: 324ff., kritisch: Angermüller 2005: 30). Demgegenüber verweist die Diskussion der Inszenierungsgesten durch ‚Dramatisierung‘ und ‚Ökonomisierung‘ auf die Herstellung und Figuration eines Gegenstandes, der gerade nicht erst in einer textlichen Gestalt einen ‚Ausdruck‘ findet. Vielmehr wird dieser als ein Gegenstand konstituiert, der in der Verkettung von Signifikanten ein Netz bildet, in dem spezifische Thematisierungen von Verliebtheit und Liebe nahegelegt und hervorgebracht werden. Die Perspektiven auf die Hervorbringung des Materials verstehe ich als Analysen der Figurierung des diskursiven Terrains, in dem spezifische Verknüpfungen von Elementen Figuren etablieren, aufrufen, variieren und dabei die Relevanz des Gesagten autorisieren. An geeigneten Stellen werden auch im Folgenden Einsätze der Interviewerin und der Interviewten aufgerufen, um im Sinne Foucaults die Analyse eines ‚Monuments‘, d.h. der gesamten textlichen Gestalt, in den Blick zu nehmen, die Texte nicht als ‚Dokumente‘ auf einen in ihnen verborgenen Sinn hin auslegt. Die Figurierungen von Figurationen, denen keine letztliche Fixierbarkeit zukommt, auf die hin sich be- und einsetzende Figurierungen beziehen
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und zugleich das diskursive Terrain um Verliebtheit und Liebe signifizieren und mit spezifischen Figurationen umgrenzen, stehen im Mittelpunkt der folgenden Analysen. Damit einher geht eine Abgrenzung von einer ‚Neutralität‘ der Forschung, deren Einsätze gerade nicht abgeblendet werden, sondern als Diskursivierungen in den Blick genommen werden. In diesem Sinne wird auch dem Material kein natural-neutraler Status zugewiesen: Die spezifische Perspektive meines analytischen Einsatzes interessiert sich für die Hervorbringung und Konstitution der Figurationen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit, dessen Varianzen, Verschiebungen und Regelmäßigkeiten. Diese ersten Perspektiven auf das Material sollen im Folgenden anhand thematischer Fokussierungen einzelner Interview-Passagen weiter geführt werden. Einige Lesehinweise seien vorweg noch gegeben: Die Darstellung folgt dabei einer pragmatischen Entscheidung um der Lesbarkeit willen, indem spezifische Figurationen detaillierter dargestellt werden. Die Auswahl einzelner Interviewpassagen, die in keinem Fall die Dichte und Diversität des Materials aufnehmen kann, soll folglich analytische Fokussierungen pointieren. Die auf diese Weise gewählte Darstellung exemplarischer Hinsichten bezogen auf spezifische Figuren und Figurationen spiegelt mithin keineswegs die Heterogenität und Komplexität des Materials wider – sie reduziert den analytischen Vorgang um der Anschaulichkeit willen auf bestimmte Hinsichten, die das diskursive Terrain forschungsstrategisch begrenzen. Einer ersten ausführlichen Analyse eines einzelnen Interviews, die im folgenden Abschnitt dargestellt wird, folgen Darstellungen von drei spezifischen Figurationen und deren Varianzen (in Figurierungen). Daran schließt sich ein anderer Einsatz der Inblicknahme dieser Varianzen einzelner Figuren, Figurationen und deren Figurierungen bezogen auf das spezifische Moment subjektiv(ierend)en Sprechens an. Ein Hinweis zur Darstellung der Interviews soll an dieser Stelle noch erfolgen: Die Interviews wurden mit Code-Namen versehen, die auch in die Darstellung eingegangen sind und am Ende jeder Passage als Kürzel mit Geschlechtskürzel (w/m) auftauchen werden. Wenn im Folgenden die Passagen in einem Modus dargestellt werden, in dem von den Äußerungen einer Person gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die textliche Konfiguration zweier Sprechereinsätze (Interviewerin und Interviewte). Diese werden – um auch eine gängige Schreib- und Leseweise von Interviewmaterial zu irritieren – mit den Kürzeln „KJ“ für meine eigenen Sprecheinsätze als
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Interviewerin und Buchstabenkürzeln für die Sprecheinsätze der Interviewten gekennzeichnet. Die dadurch jedoch nicht zu vermeidende Nahelegung subjektiver Kohärenzen im Darstellungsmodus soll in ihrer Problematizität kurz erneut aufgerufen werden. Der katachrestische Akt des Benennens dessen, was keinen Namen hat, wurde bereits im ersten Teil ausführlich diskutiert – es sei an dieser Stelle jedoch daran erinnert, dass die Bezeichnung, und damit insbesondere der Name, stets von dem unmotivierten, d.h. nicht notwendigen Verhältnis von Signifikat und Signifikant (de Saussure) durchkreuzt wird (vgl. de Saussure 1967: 80; sowie Laclau 1998: 260f., Laclau 2002: 201ff., Butler 1998: 265, Butler 2006: 52ff., Posselt 2005a: 384f.). Jede Namensgebung stellt einen performativen Akt dar, der zwischen Setzung und Verfehlung zugleich wirklichkeitskonstituierende Züge hat. Bezogen auf die Darstellung zeigt sich der Problemhorizont einer als katachrestisch-metaleptische Figuration verstandenen Subjektivität besonders deutlich: Gleichwohl die Kürzel als Codes für textliche Äußerungsmodi fungieren, wohnt ihnen doch zugleich die Nahelegung des „Subjekts als Zurechnungsadresse“ (Nassehi 2008: 82) inne. Die Unmöglichkeit, sich dieser Notwendigkeit der Bezeichnung zu entziehen, soll jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser Darstellungsmodus nur eine unmögliche und notwendig verfehlende Adressierung sein kann – sowohl bezogen auf die hier nicht im Interesse stehenden empirischen Subjekte, vor allem aber auch bezogen auf die sich im Darstellungsmodus konstituierende Subjektivierungsadresse, die als Effekt des analytischen Forschungseinsatzes zu verstehen ist.
4.2. ANALYTISCHE E INSÄTZE ZUM S PRECHEN L IEBE UND V ERLIEBTHEIT : F IGURIERENDE F IGURATIONEN
ÜBER
Ein erster Einsatz: Figurierungen von Verliebtheit als ‚Sternstunde‘, ‚Unwägbarkeit‘ und ‚Erzählanlass‘ Für einen ersten ausführlicheren Analyse-Einsatz wähle ich ein Interview, das als einziges in einem Café stattfand. Das Café als ein typischer Ort für
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freundschaftliche und private Gespräche wurde von der Interview-Partnerin selbst gewählt und eröffnet den Raum für einen ‚Austausch‘. Bereits oben angedeutete Rollenwechsel und die im Folgenden anklingende Gesprächsaufteilung sprechen für eine gewisse ‚Ökonomie‘ der Auskünfte, die eher der Form des Gesprächs als der des Interviews folgt. Damit ist gemeint, dass im Anklang an eine Rahmung als ‚Austausch unter Freundinnen‘ häufiger die Form des Frage-Antwort-Verlaufs bzw. des ErzählaufforderungErzählung-Verlaufs unterbrochen wird, und es geboten scheint, sprechende Rollen zu übernehmen – dies kann über alle Interviews hinweg verfolgt werden. Die ‚Auskünfte‘ der Interviewerin beziehen sich dann auch auf ihre persönlichen Erfahrungen mit Verliebtheit, die sie im o.g. Beispiel als Praktiken gerahmt wissen will. Die Interviewte übernimmt in dieser Passage die zuhörende Rolle, setzt dann jedoch damit ein, inwiefern die konkrete Handlung, einen Liebes-Abschiedsbrief geschrieben zu haben, für sie Bedeutung hat und vor allem, welche Konsequenzen sie für sich aus der Reaktion des anderen zieht: KJ: Und Schreiben find ich, ist eine der Praktiken, die einem das soA: Ja, also das Aufzuschreiben, das war sicherlich auch gut, aber das ihm halt auch zu schicken, also dasKJ: H-hm. A: Meint ich halt, das würd ich nicht mehr machen. (Aw 486-490)
Insgesamt ist dieses Interview eher kurz (ca. 30 Minuten) und das Gespräch liest sich als ein sehr schwerfälliges voller gegenseitiger Irritationen: Sehr viele Pausen werden verzeichnet und oft finden sich auf Fragen und Bemerkungen der ‚Interviewerin‘ Antworteinsätze der Interviewten, die entweder die Frage zurück weisen oder Unverständnis für den Frageeinsatz artikulieren. A: Ja. -auf jeden Fall- -H-hm. - Ach genau, und dann ist noch wichtig, dass man, wenn man verliebt ist, ist man stolz auf die Person, also man will sie dann überall allen zeigen, und vorstellen, und wenn man’s nicht ist, dann ist es weniger so, natürlich, also, da zweifelt man noch so ein bisschen, ob man den mit nach -Hause bringen kann oder so- aber dann, will man das ganz schnell machen und ihn der -Mutti zeigen- [lacht] KJ: H-hm. A: Ja.
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KJ: Was denkst Du, womit das zusammen hängt? A: Was jetzt, dass man stolz ist? KJ: H-hm. A: Hm. (8 sec.) Weiß ich nicht. (Aw_53-68)
Oder auch: KJ: Also ist da ne, gibt’s da so, na, in dem Sinne so was wie Vorbilder oder so-also, dass man so, okay, wenn man, wenn ich mich die und die Sachen frage, oder, Verliebtheit heißt, man denkt über Kinder nach, man denkt über Familie nach, man denkt über gemeinsame Zukunft nach, also es gibt so Sachen, die die passieren müssen? A: Passieren müssen? In meinem Leben? Oder was? KJ: Na, für-also A: Nee. KJ: Was weiß ich, wenn der Typ jetzt zum Beispiel nicht, nicht, Dich zum Essen einladen würde, oder so, nur mal als Beispiel. A: Hm. KJ: Dass Du dann denken würdest, naja, okay, das gehört aber für mich schon dazu, weißte, so mein ich das mit Vorbildern, weil Du das jetzt gesagt hast, zum Beispiel mit diesen Fragen mit Kindern und Familie und ähm, gemeinsamer Zukunft und so, das sind ja [räuspert sich] in dem Sinne, vielleicht typische Sachen, wie im Film. A: Irgendwie versteh ich die Frage-also ich versteh den Zusammenhang zwischen zum Essen einladen und Kinder, Familie, den versteh ich jetzt nicht ganz. (..) KJ: Na, ich meine nur, dass das sozusagen äh- (Aw_104-120)
Oder auch: A: Das find ich eigentlich, ziemlich spannend. KJ: H-hm. (5sec.) Und hat er Dich in ner, in ner bestimmten Weise angesprochen oderA: Im übertragenen Sinn oder? KJ: H-hm. A: Als ich den gesehen hab, das erste Mal oder? KJ: H-hm. (Aw_200-208)
Diese Irritationen und ‚Nicht-Passungen‘ der beiden Sprechereinsätze verweisen darauf, dass die Hervorbringung (gegenüber dem ‚Hervorlocken ei-
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ner Erzählung‘) nicht allein in der Strukturierungsleistung durch den Erfahrungs- und Erzählhorizont der Interviewten abgedeckt wird. Entgegen der ersten Intuition, diese Passagen aus dem Analysekorpus zu entfernen, insofern sie keine narrativen oder argumentativen Passagen enthalten, will ich im Monument dieses Textes die gemeinsamen, gegenläufigen und diversen Einsatzpunkte in den Blick nehmen, die den Gegenstand der Verliebtheit auf eine spezifische Weise hervorbringen – unabhängig davon, ob sie von einer einzigen Sprecherposition aus verzeichnet werden.6 Insgesamt lassen sich in diesem Interview zwei größere Themenstränge ausmachen: Zunächst derjenige der aktuellen Verliebtheit, die recht schnell zu Beginn des Interviews aufgerufen wird: „also -es ist grad wieder aktuell bei mir-“ (Aw_23). Worin dieses positiv gesetzte „Gefühl von Glücklichsein, Kribbeln im Bauch, […] Euphorie“ (Aw_7f.) erkennbar wird, ist ein sich „irgendwann“ einstellender „Punkt“ (Aw_27), an dem das Empfinden von interessiertem Abwarten in Vorfreude auf den Anderen umschlägt. Dieser Umschlagpunkt bezieht sich auf eine andere emotionale Reaktion beim Gedanken an den Anderen: ich hab halt ein anderes Gefühl im Bauch, wenn ich an ihn denke. Vorher war’s halt so, hm, naja mal gucken, wann wir uns wiedersehen- […] Und jetzt ist es mehr so: -Ah, ich freu mich!- (Aw_28-32)
Das Interview ereignet sich offenbar zu einem Zeitpunkt des kairos, der eine gerade aktuelle Verliebtheit betrifft. Wenngleich im Gespräch jedoch weder Aufgeregtheit, Euphorie, ausgelassene Heiterkeit oder Glückseligkeit bemerkbar werden, wird das Verlieben mit einem Seltenheitswert ausgestattet: „Und es passiert nicht allzu oft, also mir jedenfalls“ (Aw_8f.). Die Verbindung von Seltenheitswert und der Eingrenzung des Geltungsbereichs des Gesagten auf die persönliche Ebene betont den Aspekt des Außergewöhnlichen. Der Einsatz der Interviewerin: „Und sind die Situationen, in denen Ihr Euch begegnet, anders?“ (Aw_36) als auch die Einsätze der Interviewten arbeiten hierbei eine Differenz heraus, die sich an einem nicht weiter benennbaren Punkt entfaltet: Ist die Differenz zwischen
6
Viele Interviewverfahren betonen als einen ersten analytischen Schritt die Festlegung auf Textgenres, die sich etwa in argumentative, deskriptive, narrative unterscheiden lassen, um sich auf die Narrativierungen zu konzentrieren., vgl. etwa Schütze (1987), Bohnsack (2007).
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gespannter Neugierde auf ein Wiedersehen und der Vorfreude auf den Anderen kaum auszumachen, so wird sie doch relevant gemacht, indem zwischen diesen beiden emotionalen Bezugnahmen auf den Anderen „dann halt so ein Punkt, wo man merkt, jetzt bin ich verliebt“ (Aw_27f.) bemerkbar gemacht wird. Dieser Punkt scheint nicht von anderen Umständen, von Reaktionen des anderen, von Erlebnissen, Ereignissen oder Erfahrungen abzuhängen. Auch ist dieser Bruch der Einführung eines Vorher-Nachher zeitlich nicht lokalisierbar, sondern wird mit dem unbestimmbaren „irgendwann“ (Aw_27) zugleich als etwas Absehbares, jedoch nicht in seinem Eintreffen bestimmbares situiert. Dies wird durch eine Redeweise des ‚irgend‘ begleitet, die sich auf die Bezeichnung der Verliebtheit selbst bezieht: A: Also ich hatte irgendwie immer hinterher das Gefühl, dass ich wie verzaubert bin, dass ich irgendwie so auf Wolken geschwebt bin, oder so was, nachdem wir uns gesehen hatten, weil so, in der langen Zeit von drei bis vier Wochen, da kühlt ja alles ab, irgendwie. Ich hab mir dann immer so eingeredet, dass er ja bestimmt -gerne mit mir zusammen wäre- das hab ich immer so interpretiert und das hat mich irgendwie getröstet und irgendwie hab ich mir dann manchmal vorgestellt, dass wir vielleicht doch irgendwann mal doch noch mal zusammen kommen. KJ: H-hm. A: Wenn er dann irgendwann mal mehr Zeit hat oder so. (5sec.) (Aw_523-533)
Das Einsetzen des sich Verliebens bezieht sich auf die Verliebtheit selbst – es sind keine Selbstreflexionen, keine Fragen, keine Erläuterungen nötig, um diesen Punkt ausführlicher zu situieren. Beinahe aus dem Nichts entsteht die Verliebtheit und erst ihr Bemerken führt eine Differenz zwischen vorher und nachher ein: Also ich seh’ ihn erst, ähm, am Wochenende wieder und dann, vorher war’s halt noch nicht, dass ich verliebt war. […] Ich weiß ja nicht, wie er jetzt reagiert, wenn ich jetzt plötzlich verliebt bin. (Aw_39-41)
Dass das Erfasstsein vom Gefühl der Verliebtheit ‚plötzlich‘ und sprachlich schwer einholbar ist, verhindert jedoch nicht, dass darin eine ausschlaggebende Differenz des eigenen Verhältnisses zu sich selbst und zur Welt vermutet wird: Dem anderen wird es bemerkbar sein müssen und auch eine Reaktion abfordern. Das Verliebtsein scheint sich mitteilen zu können und
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zu müssen. Darüber hinaus verbindet sich Verliebtsein mit Spannung und Aufregung: Wie wird der Andere reagieren? Es scheint hier etwas auf dem Spiel zu stehen – aber was? Die eigene Existenz zumindest wird insofern ‚bereichert‘, als der Andere als eine Art vorzeigbarer ‚Besitz‘ ein anderes Auftreten ermöglicht: „Stolz“ (Aw_54) will man „ihn der -Mutti zeigen[lacht]“ (Aw_58); er kann als eine Art Accessoire dienen, bei dessen Anblick sich die Reaktion des ‚haben-Wollens‘ ähnlich wie bei einem Einkaufserlebnis einstellt. Dies ähnelt der ersten Reaktion auf den Anderen, die auf die ‚Oberfläche‘ des Anderen, den ersten Eindruck zielt: A: Ja, also ich hab den gesehen und dachte sofort: Boah! -Den will ich haben! KJ: -H-hmA: So ungefähr, also das war auch einfach das Aussehen und die Ausstrahlung, das war nicht groß irgendwas anderes. (6sec.) (Aw_209-214)
Die Beschreibung der Entstehung der Verliebtheit verweist jedoch auch darauf, dass nicht nur der äußere Eindruck eine Rolle spielt – der offenbar nicht den alleinigen Bezugspunkt des Interesses ausmachen darf: „-Das klingt jetzt so oberflächlich-“ (Aw_194). Zwar wird zunächst und vorrangig der Eindruck des Anderen angeführt, die Relativierungen, dass dies zu oberflächlich sei und zumindest der Möglichkeit nach auch „irgendwas anderes“ noch ausschlaggebend sein könnte, führen ein unausgeführtes ‚surplus‘ an. Dieses könnte sich auf die Individualität, die Persönlichkeit oder den Charakter des Anderen beziehen, auf seine Handlungsweisen, seine Praktiken, seine Zuwendungsweisen, seine Kommunikationsformen – in der negativierenden und unbestimmten Adressierung dieses zusätzlichen mehr, von dem aus die entscheidende Differenz zwischen Sympathie und Verlieben entwickelt wird, stellt sich eine diffus bleibende Bezugnahme auf den Anderen her. Die Art und Weise dieser Herstellung im Modus der Benennung und gleichzeitigen Kennzeichnung des Benannten als unabgeschlossen – da könnte noch irgendetwas anderes eine Rolle spielen – ruft ‚sich verlieben‘ als einen Sachverhalt auf, der mit einigen Unwägbarkeiten und jenseits kontrollierbarer Einsatzpunkte einhergeht. So wird auch dem Interesse des Anderen an der eigenen Person Relevanz beigemessen, um das Verlieben zu ermöglichen. Erst bei Absenz eines solchen Interesses liegt es dann in der eigenen Hand, einen Umgang mit der Verliebtheit zu finden, indem ein ‚Rückzug‘ angetreten werden kann: „Weil das muss ich nicht haben“ (Aw_230). Dies bezieht sich auf das bereits er-
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folgte Verspinnen in die verliebte Beziehung zum anderen, die mit einem Risikowert ausgestattet wird und abwägende Entscheidungseinsätze erforderlich werden lässt: „Find ich, also sonst, mach ich da nicht weiter, wenn ich merke, der findet mich doof“ Aw_225f.) Der Umschlagpunkt und das Einsetzen der Verliebtheit sind weder exakt lokalisierbar, genau benennbar, noch an fixen Merkmalen festmachbar. Er trifft jedoch auf entscheidende Weise eine zeitliche Dimension, die eine Differenzierung zwischen vorher und nachher ermöglicht. Auf diese Weise bringt er sich selbst als punktueller Bruch hervor und ermöglicht zugleich die Verknüpfung zwischen vorher und nachher. So werden Neugierde und Sympathie für den Anderen (gegenüber der Vorfreude auf den Anderen) ebenso wie der empfundene Stolz über die Bereicherung durch den Anderen bezogen aufeinander ebenso wie getrennt voneinander durch einen Umschlagpunkt, der sich die Bezeichnung ‚verliebt‘ gibt. Dies ließe sich hegemonietheoretisch als jene Logik der Organisation von Differenzen fassen, die sich im diskursiven Terrain der Verliebtheits-Liebes-Thematik hervorbringen lässt und zugleich diesen Diskurs hervorbringt. Die Doppelbewegung von Äquivalenzierung (vorher–nachher) und Differenzierung (vorher–nachher) erfolgt, indem der indifferente Punkt des Umschlagens als ‚sich verlieben‘ bezeichnet wird und damit die gleichzeitige Verknüpfung und Differenzierung von Neugierde und Vorfreude leistet. In dieser Artikulation werden in den differierenden Verknüpfungen die Elemente des diskursiven Terrains ebenso wie dieses selbst erneut inauguriert: Sein Platz und seine Mächtigkeit als Organisationselement wird durch ÄquivalenzDifferenz-Logiken erneut inszeniert und damit ‚der Diskurs‘ erneut signifiziert. Ein anderer Themenstrang dieses Interviews taucht relativ schnell als eine ‚Geschichte‘ auf. Als Wechsel des Themas wird dies von der Interviewten forciert und zwar direkt im Anschluss an eine Passage über die seitens der Interviewerin angeführte Bedeutsamkeit des Sprechens über Verliebtheit: KJ: H-hm. (5sec.) Und ähm, redest Du mit Deinen Freundinnen darüber? Oder mit Freunden oder Familie oder so? Also man-über das, so grad in Dir ist? (...) A: H-hm. KJ: Ist das wichtig? A: Ja. Auf jeden Fall. Also das muss irgendwie raus. [lacht]
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KJ: -H-hmA: Das kann nicht drinne bleiben, das erzähl ich allen möglichen Leuten, die das hören wollen -oder auch nicht hören wollenKJ: -H-hm- Wieso denkst Du, dass es wichtig ist? (4 sec.) A: Hm, also ich könnt mir vorstellen, wenn ich niemanden hätte, dem ich das erzählen könnte, dann wär das nur die halbe Freude. KJ: H-hm. A: Weil das darüber reden, das macht ja auch Spaß. Ich dachte eigentlich, dass wir über unglücklich verliebt sein reden. [lacht kurz] KJ: Ja, na, wenn Du- Gerne! [lacht] A: [lacht] Themawechsel oder was? KJ: Wie, ja, (..) ja. A: Tja, ich war mal verliebt, das war ähm, vor anderthalb Jahren. (Aw_236-250)
Diese Thematisierung nimmt die Form einer Geschichte an, die mit einem fast klassischen Auftakt beginnt: „Tja, ich war mal verliebt, das war, ähm, vor anderthalb Jahren“ (Aw_250). Sehr ausführlich kann in dieser Geschichte erzählt werden, wie die Interviewte im Zuge eines Studienaustauschs einen Mann via Internet kennenlernte, der vor Ort ihren ersten Bezugspunkt im neuen Land darstellte, was zu zunächst sehr intensiven Begegnungen führte. Allerdings divergierten die Erwartungen an eine Fortsetzung zur möglichen Intensivierung in einer Liebesbeziehung und die tatsächlichen Begegnungen vor Ort: Entworfen wird eine Teleologie der Verliebtheit, die eines Gleichklanges zweier Individuen bedarf, und sich auf die Extrempunkte entweder der Liebesbeziehung oder der unerfüllten Verliebtheit zu bewegt. Die Liebesgeschichte in Italien verlief in Richtung des letzteren Pols: A: Ja, und so ging das dann weiter, dass wir uns so alle zwei Wochen irgendwie mal für ein paar Stunden gesehen haben, und ich hab irgendwann gesagt, das geht so nicht. Weil das, halt ich nicht aus, das ist ja total krass, erst ist man sich so nah und dann zwei Wochen so weit weg! KJ: H-hm. A: Und dann hat er gesagt, hm, was machen wir denn da?! [lacht] Da hab ich gesagt, na, entweder du nimmst mich ganz oder gar nicht. KJ: H-hm.
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A: Weil ich war wirklich schon an dem Punkt, wo ich verliebt war, und dass nicht mehr so weiter machen konnte, da hat er gesagt, hm, na toll. [Handyklingeln] Weiter? KJ: Ja. A: Und dann hat er gesagt, na gut, bevor ich ganz auf Dich verzichte, dann sehen wir uns halt jetzt jeden Tag, so wie -Du das willst-. KJ: H-hm. A: Und dann haben wir das dann ne Weile so gemacht, das war vielleicht ne Woche oder so. KJ: H-hm. A: Und dann hat er gesagt, nee. Das geht so nicht, ich hab eigentlich vor, im Dezember äh, nach Amerika zu gehen, also, hat er gesagt, und ich kann mir, ich, kann einfach keine Freundin haben, ich hab so viel zu tun und ich will mich nicht verlieben und wir müssen das jetzt irgendwie beenden hier. Ja, und da war für mich irgendwie. -ne Welt zusammen gebrochen-. (Aw_312-335)
Mit der Intervention der Interviewten wird die Logik einer ‚natürlichen‘, teleologischen Entwicklung von Verliebtheitsgefühlen durch fehlende Synchronität ‚zweier Herzen‘ unterbrochen. Allerdings führt dieser Schritt nicht ein ‚happy end‘ herbei, vielmehr überführt sie diese Geschichte in eine Erzählung des ‚gebrochenen Herzens‘. Die unerfüllt bleibende Verliebtheit – die durch die Divergenz des Erlebens und Wollens beider Beteiligter markiert wird – wird schließlich so gewendet, dass die Figur der Synchronität auch für das Leiden am ‚gebrochenen Herzen‘ Geltung hat: A: Also ich hab mir dann irgendwie eingeredet, dass ihm das-was heißt eingeredet, das glaub ich bis heute, dass ihm das genau so weh tat, wie mir, dass wir uns dann getrennt haben und so. KJ: H-hm. A: Ich weiß nicht, man entwickelt dann irgendwie so irgendwelche SchutzMechanismen. KJ: H-hm. A: Damit’s nicht ganz so weh tut und wenn man halt weiß, dem anderen tut’s halt auch weh, dann geht’s einem bissel besser, find ich. (Aw_349-357)
Auf diese Weise wird der Schmerz über die unerfüllte Erwartung in eine Beziehungsform durch die Gemeinsamkeit im Schmerz überführt. Dieser Schmerz des gebrochenen Herzens scheint ebenso mitteilsam zu sein wie
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die Verliebtheit: Die Interviewte schreibt dem Mann einen Brief, um ihr Erleben zu teilen: Das fand er nicht so toll, aber ich wollte halt gerne, dass er das weiß, wie ich das alles empfunden hab. Weil ich dachte, der versteht das wahrscheinlich auch nicht so richtig, genauso wie ich ihn so wenig verstehe“ (Aw_402ff.).
Die Synchronisierung im Schmerz wird durch den Anderen jedoch noch deutlicher zurückgewiesen als die vorherige Beziehungserwartung, und die Interviewte bleibt allein zurück mit dem „Rätsel“ (Aw_456) einer im Status der angebahnten Beziehung verbleibenden ‚Liebesgeschichte‘. Eine Variante für die gleichzeitige Verfügbarmachung und Distanzierung des Geschehens wird hierbei in der Verortung dieses ‚Rätsels‘ in der kulturellen Differenz ausgeführt. Das Erlebnis der Verliebtheit verschiebt sich somit in eine Art Zwischenraum, welcher die Interviewte erst drei Monate nach Beginn ihres Aufenthaltes „geistig ankommen“ (Aw_422) lässt. Die Verliebtheit und Bezugnahme auf den anderen nimmt ihren Ausgang im InternetChat, während die Interviewte noch in Deutschland weilt. Sowohl der ‚Zwischen-Raum‘ des Internet als auch der unbestimmte Raum der Verliebtheit, der sich im Chat anbahnt, bilden somit bezogen auf den ItalienAufenthalt eine Brückenfunktion, die es in der Erzählung ermöglicht, Differenzen zu benennen. Diese Differenzen beziehen sich sowohl auf den Einsatzpunkt der Verliebtheit (vorher-nachher) als auch die daraus folgenden Verknüpfungen verschiedener Bezugnahmen auf den Anderen (und sich selbst). Ferner können Differenzen zwischen verschiedenen Welten, die im Auslandsaufenthalt entlang der ‚love story‘ thematisierbar werden, wie etwa die Verknüpfung mit kulturellen und geschlechtlichen Differenzen, möglich. Die Figurierung in Form einer Geschichte als ‚Italienromanze‘ lässt den Italienaufenthalt besonders herausgehoben und erzählenswert werden und verleiht ihm durch diese love-story-line Gewicht.7 Es finden sich demnach metonymische, d.h. verschiebende und aufschiebende Bewegungen in der Thematisierung von Verliebtheit, die auf eine andere Weise
7
Die „story-line“ meint hier lediglich die narrativierende Form. Tina Denninger, Silke van Dyk, Stephan Lessenich und Anna Richter schlagen in ihren gouvernementalitätsorientierten Forschungen zum Altern eine analytische Verwendung von ‚story line‘ vor, die verschiedene Materialien und Äußerungsmodi zusammenführt (vgl. Denninger et al. 2010).
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die Relevanz und Bedeutsamkeit des Verliebens so figurieren, dass dessen Thematisierung bedeutungsvoll erscheint. Die Figurierung einer ‚Sternstunde‘ entfaltet sich auf verschiedene Weise über die beiden Thematisierungen hinweg: Einerseits betont sie in der aktuellen Verliebtheit die Lust am erzählenden Hervorbringen als eine Möglichkeit, sich selbst zu thematisieren, wenngleich in der zurückhaltenden, knappen und auskunftsförmigen Redeweise der ‚Spaß‘ am Erzählen kaum bemerkbar wird. Gerade jedoch die Verknüpfung von Lust und tastender Redeweise betonen das Moment des einzigartigen Geschehens, dem beizukommen von Bedeutung wird – schließlich handelt es sich dabei um eine besondere und seltene Angelegenheit. Dass es sich um ein ‚inneres‘ Geschehen handelt, um ein Gefühl, das jedoch der Erzählung und seiner ‚Veräußerung‘ bedarf, eröffnet eine Dimension der Differenz, in der die Unmöglichkeit, der Verliebtheit sprechend auf den Grund zu kommen, thematisierbar wird: Die Differenz zwischen Innen und Außen, zwischen Erleben und Erzählen bringt das Spannungsfeld hervor, in dem die Versuche, der stets erneut verfehlten ‚Wirklichkeit‘ von Verliebtheit/Liebe beizukommen, ihren Ausgang nehmen: Also, das muss irgendwie raus. […] Das kann nicht drinne bleiben, das erzähl ich allen möglichen Leuten, die das hören wollen oder -auch nicht hören wollen-. (Aw_236ff)
Auch dient die ‚Sternstunde‘ in der anderen Thematisierungshinsicht der love story als Element eines ‚Bildungsromans‘ und zur Hervorbringung biographischer Verknüpfungen: A:
Daraus hab ich gelernt, -dass ich sowas nicht wieder mache-
KJ: Was jetzt, so? A:
Also so was, so, da noch so drinne rumrühren, dann später. (Aw_414-416)
Die außergewöhnliche, seltene ‚Sternstunde‘ einerseits und andererseits das Risiko, verletzt zu werden, spielen dabei zusammen, um eine Figur zu entwerfen, die anzeigt, dass etwas auf dem Spiel steht: Obwohl ich mittlerweile, ziemlich tolerant bin, also glaub’ ich, bild’ ich mir ein, dass das irgendwie mir dann sage, okay, der ist halt so und ich [räuspert sich] ich nehm’ den so, wie er ist. (5sec) Aber so bestimmte Sachen, wie wenn er jetzt was weiß ich, sich Heroin spritzen würde, oder so, das wär dann vielleicht nicht mehr so, oder wenn er kriminell wäre, oder- (6sec.) (Aw_127-132.)
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Die „Toleranz“, die sich in der Bezugnahme auf den anderen um das eigene Verliebtsein legt, ruft eine Vorsicht auf und impliziert, dass es etwas zu verlieren gibt. Die Formulierungen zielen darauf ab, ein Risiko abzufedern, das gerade durch diese ‚Vorsichtsmaßnahmen‘ als Risiko in den Zusammenhang der Verliebtheit gestellt wird. Es ist demnach sowohl eine einzi gartige positive emotionale Qualität vom Verliebtsein zu erwarten als auch eine mögliche Enttäuschung, die in diesem Interview nicht nur über die Verletzung aus einer ungleichen Synchronität (Art und Weise und Anzahl der Treffen, Einigung auf das Vokabular des Paares, etc.), sondern auch über die zurückgewiesene Nähe und Gemeinsamkeit durch die Ablehnung des Briefes thematisiert wird. Insgesamt lässt sich dieser erste Analyseeinsatz so zusammenfassen, dass hier Verliebtheit mit einem Seltenheitswert und einem Risikowert ausgestattet wird, welche die Sprecheinsätze ermöglichen und erforderlich machen. Der Zusammenhang von Lust am Erzählen und Verliebtheit wird mithin etabliert, jedoch in zwei verschiedenen Formen ausgeführt: Einerseits scheint sich die in der Vergangenheit geschehene ‚Geschichte‘ der ItalienRomanze der Erzählung anzubieten und möglicherweise durch ihre Form als ‚Geschichte‘ verfügbar zu sein. Demgegenüber erscheint die ‚aktuelle‘ Verliebtheit nicht in diesem Sinne eine Form (als Erzählung) zu finden, sondern eher bruchstückhaft und weniger narrativ thematisiert. Beide Themenstränge treffen sich jedoch in der Figurierung als bedeutsames Geschehen, das sowohl in den spärlichen Andeutungen zur aktuellen Verliebtheit als auch in der zur Erzählung geronnenen love story in Italien aufrufen, dass es bedeutsam sein könnte und sollte, etwas zu erzählen, darüber zu sprechen, sich auszutauschen und mitzuteilen. Im Interviewtext lässt sich das Bemühen um die Hervorbringung jenes Moments der ‚Verliebtheit‘ (denn in diesem Interview geht es weniger um ‚Liebe‘) als einer Art ‚Sternstunde‘, als hervorgehobenes Moment, besondere Gelegenheit, eine seltene Situation beobachten: Neben der emotionalen positiven Qualität der Verliebtheit wird hervorgehoben, dass diese keine Alltäglichkeit darstelle. Auch die Einsätze der Interviewerin – meine Einsätze – arbeiten immer wieder auf das Moment des Besonderen hin, indem die Fragen auf eine Form der Andersheit, des anderen Erlebens, der Veränderung anspielen. Wenngleich diese Einsätze weniger im Repertoire eines von mir forcierten Erfahrungsvokabulars aufgenommen werden, rufen die beiden Themenstränge eine Form der Besonderheit und Bedeutsamkeit auf.
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Über die im Repertoire des diskursiven Terrains um Liebe und Verliebtheit – auch in anderen Interviews immer wieder – aufrufbaren Figuren wie etwa ‚Verzauberung‘ (Aw_523), ‚auf einer Wolke schweben‘ (Aw_524)‚ ‚Welt zusammen brechen‘ (Aw_335) etc. hinaus finden sich Thematisierungsweisen vor allem in den beiderseitigen Einsätzen einer Arbeit an der ‚Sternstunde‘ der Verliebtheit, die so figuriert wird, dass sie in ihrer Außeralltäglichkeit zugleich mit einem Risikowert ausgestattet ist. Im ersten Thematisierungsstrang der momentanen Verliebtheit wird eine Differenz durch die Verliebtheit selbst hervorgehoben – die Bezugnahmen auf den Anderen bestehen in einer anderen emotionalen Färbung, es tauchen Fragen auf, es gibt eine Konzentration auf den anderen und vor allem scheint diese neue Situation auf Mitteilsamkeit zu drängen. Die Form einer narrativen Geschichte adressiert wiederum die ‚Sternstunde‘ der Verliebtheit, der beizukommen man mittels Geschichten versuchen kann. Hinsichtlich der Frage, ob und was auf dem Spiel steht, lässt sich sagen, dass in der Thematisierung erst etwas als auf dem Spiel stehend hervorgebracht wird. Die Lust am Erzählen, am Nahekommen und am Finden werden erzeugt und ermöglichen auf diese Weise die Hervorbringung eines Selbst, dessen Einsatzstellen eben jene Unwägbarkeiten bilden, in denen die Unbestimmtheit und Risikobehaftetheit angeführt werden. Das Riskante und Unwägbare an der Verliebtheit und Liebe wird hier sowohl über die Möglichkeit von Verletzung/Zurückweisung angeführt als auch in einer Potenzialität, die der Verliebtheit selbst eigen ist, angesprochen: eine Verheißung auf Euphorie, ein Geheimnis, das Lust am Erzählen bereiten kann. Was damit zugleich gestiftet wird, ist die Figurierung eines Anlasses, der Erzählungen ermöglicht und damit auch den Raum für subjektivierende Positionen eröffnet. Auf dieser Weise wirkt es generativ, eine seltene und riskante Verliebtheit zu figurieren, der es auf die Spur zu kommen gilt und die gerade durch ihre Unwägbarkeit den Raum eröffnet, zu sprechen und dabei niemals an ein Ende zu kommen. Die Lust am Erzählen resultiert aus dieser seltenen und deshalb so bedeutsamen Verliebtheit und im Interview erschaffen diese Erzählungen einen Raum, der insofern generativ für Selbstthematisierungen ist, indem Geltungsbereiche des Sprechens auf den eigenen Erlebenshorizont beschränkt werden und das Erfordernis erzeugt wird, über Liebe und Verliebtheit zu sprechen.
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Es lassen sich nun zusammenfassend drei verschiedene Figurationen von Verliebtheit und Liebe ausmachen, die im Folgenden auf ihre Varianzen und Relationen untereinander untersucht werden sollen: Eine erste Thematisierungshinsicht stellt Liebe und Verliebtheit als eine ‚Sternstunde‘ heraus. Indem ihre seltene, mit Risiken behaftete und bedeutsame Relevanz aufgerufen wird, verweist diese sowohl in Form von knapper Spärlichkeit als auch in Form einer routinisierten Erzählung darauf, dass es von Bedeutung ist, darüber zu sprechen. Eine Bedingung des Wahrsprechens im diskursiven Terrain der Verliebtheit und Liebe scheint darin zu liegen, die Bedeutsamkeit und Außergewöhnlichkeit herauszustellen. Darin liegen Nähen zur Figurierung von Sexualität als eines zu entbergenden Sachverhalts, wie sie Foucault in den Studien zu Sexualität und Wahrheit erarbeite. Aus diesen Studien lässt sich zudem der Hinweis entnehmen, dass Verliebtheit und Liebe keine Selbstevidenz und Selbstidentität eignet, sondern vielmehr ein spezifisches Äußerungsfeld figuriert, das erlaubt und erzwingt, ein Selbstverhältnis dazu einzunehmen. Eine zweite Thematisierungshinsicht betrifft die damit im Zusammenhang stehende Unwägbarkeit und teleologische Logik. Diese nimmt ihren Ausgang von einem unbenennbaren Punkt, welcher die Möglichkeit für Differenzierungs- und Entscheidungseinsätze eröffnet. Zusammen mit einer unbestimmt bleibenden, jedoch nicht auf Dauer stellbaren Situativität ergeben sich strategische Einsatzpunkte, die sowohl Selbstthematisierungen antreiben, als auch in der Entscheidungsnotwendigkeit auf eine gewisse Riskanz der Angelegenheit verweisen. Eine dritte Thematisierungshinsicht lässt sich in der Figurierung von ubiquitären Anlässen des Erzählens – hier am Beispiel der Thematisierung des Italienaufenthaltes – finden. Indem analogisierend und metonymisch andere Erzählstränge aufgerufen werden, die sich mit und über die Verliebtheit verbinden lassen, wird sowohl die Relevanz der Verliebtheit als einer ubiquitär verbreiteten und existenziell bedeutsamen Gegenstandes aufgerufen, als auch eine story line der Erzählung und Thematisierung angeboten. Diese drei figurierenden Figurationen der Diskursivierung von Liebe und Verliebtheit will ich nun über die weiteren Interviews hinweg verfolgen und sie als heuristische Einsatzpunkte verstehen, die in ihrem Zusammenspiel von Verliebtheit als ‚Sternstunde‘, als ‚Unwägbarkeit‘ und als ‚Ubiquität‘ variiert werden und Verliebtheit und Liebe als einen Gegens-
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tand konstituieren wird, der zum Anlass des Redens wird und werden muss. Die Analysen nehmen somit die Konstellation dieser drei figurierenden Figurationen als öffnende Heuristik und interessieren sich genauer noch dafür, wie diese jeweiligen Thematisierungsstrategien konkret gefüllt werden und was durch diese je konkreten Neu-Einsätze ermöglicht wird. Sie untersuchen mithin diese drei Figurierungen von Verliebtheit im Folgenden über mehrere Interviews hinweg und verfolgen deren Varianzen und Generativität anhand der Diskursivierungen in allen Interviews. Die – unumgängliche – Darstellung in einer Aufeinanderfolge von a), b) und c) soll dabei gerade nicht nahe legen, es handele sich um ein aufbauendes Schema, mit dessen Hilfe die Thematisierungen von Verliebtheit und Liebe vollends erfasst wären. Sowohl wären weitere Figurationen denkbar, als auch die vorgenommene Rubrizierung unter a), b) und c) austauschbar bleibt. Die Konzentration auf diese drei Figurationen und ihre (An-)‚Ordnung‘ sind dem Rahmen der Studie und der Notwendigkeit einer lesbaren Darstellung geschuldet. Verliebtheit als ‚Sternstunde‘ – Sprech- und Erzähleinsätze Die Bedeutsamkeit von Verliebtheit stellt sich auch auf andere Weisen dar – Kleinigkeiten werden bedeutsam, die Wahrnehmung der Umwelt, von Begegnungen mit anderen und seiner selbst verändert sich und fokussiert sich – vor allem bezogen auf den Anderen, der weniger als Anlass figuriert, sondern Thematisierungs- und Konzentrationspunkt wird. Die Verliebtheit und das Verliebtsein ereignen sich vorrangig auf einer selbstbezüglichen Ebene – die Verliebtheit wird zum Knotenpunkt für Selbstthematisierungen, Bedeutungsverschiebungen, zu Prioritätenverschiebungen, die durch den ‚Ausnahmezustand‘ der Verliebtheit versteh- und entschuldbar werden. P: Ähm (5s.) ja und dann kommt’s immer drauf an ob der jetzt gerade in der Nähe ist oder ob der, ob der weg ist oder wenn man jetzt, also wenn man gerade zusammen ist irgendwie an nem weiß nicht, an nem Chor-Wochenende oder so, da war’s bei mir häufig -, der ganze Chor ist da versammelt, also viele Leute und dann versucht man natürlich, irgendwie Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, also durch was auch immer und freut sich über jeden Blick, den man erhaschen kann oder wo man denkt, dass man von dem andern besonders behandelt worden ist und dann (4s) mmmhh, ja, plötzlich kriegen Kleinigkeiten ne ganz riesen große Bedeutung ähm, so Sachen, auf die man sonst gar nicht so besonders
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achtet oder die untergeh’n, plötzlich hat alles viel mehr Bedeutung und man ist viel verletzlicher (9s) und Verliebtsein bedeutet auch irgendwie, dass man bestimmte andere Dinge ausschaltet, oder die, die sind dann plötzlich nicht mehr so wichtig, also ähm also, bestimmte also ich hab dann oft also bestimmte Freunde, die war’n dann eben nicht mehr so oder ich war nicht mehr so aufmerksam oder so, es war eben alles sehr zentriert auf eine Person. (9s) KJ: H-hm. P: Was bei mir dann oft immer noch so war, obwohl ich natürlich gerne attraktiv und besonders sein wollte dann also für den anderen, ist’s aber oft auch, also für mein Gefühl zumindest ins Gegenteil umgeschlagen, ne, dass ich dann ganz schüchtern war und ähm, unsicher und wenn ich angesprochen worden bin, überhaupt nicht so richtig wusste, was ich dazu sagen sollte oder irgendwie mich danach geärgert habe, was ich da jetzt gesagt habe oder wie ich das gesagt hab und dann zehntausendmal überlegt hab wie, wie ich überhaupt dem anderen begegne oder auch was ich ihm sage oder (10s) ja ich weiß nicht- (Pw_14-42)
Die Relevanz und Bedeutsamkeit der besonderen Situation stellt sich insbesondere über die Selbstbeobachtung und Selbstbefragung her, die zwar in den Begegnungen mit dem Anderen ihren Ausgangspunkt nehmen, vor allem jedoch eine Aufladung mit existenzieller Bedeutsamkeit noch der kleinsten Äußerung und Bewegung ermöglichen: In einem besonderen Licht erscheinen zu wollen und sich selbst auf alle Regungen, Äußerungen und Handlungen hin kontrollieren und beobachten zu müssen. Beides zusammen verweist auf die Außergewöhnlichkeit der Situation, in der einiges auf dem Spiel zu stehen scheint, dessen sich inszenierend, beobachtend und kontrollierend versichert werden muss. Dabei stellen diese Inszenierungsund Sicherungspraktiken eigens eine Diskursivierung dar, die Liebe und Verliebtheit mit einem Risikowert ausstattet. Verlieben und Verliebtsein stellen sich als flüchtige und momentane Angelegenheit dar: „Man will ja nicht dauerhaft verliebt sein“ (Hw_779). Dem Verlieben eignet eine spezifische Logik: Weder kann es erzwungen, hergestellt oder verfügt werden, ebenso wenig kann es erhalten oder mit Dauer ausgestattet werden. Vielmehr unterliegt es einer gewissen Teleologie: sich zu etwas anderem zu entwickeln – in die beiden gegensätzlichen Pole Beziehung (die mit Liebe äquivalent gesetzt wird) oder Enttäuschung und Schmerz. Zwischen beiden Polen bestehen durchaus Nähen bezogen auf die Situativität von Verliebtheit, die selbst noch in der Einführung von Synchronität hinsichtlich des Schmerzes durch Enttäuschung bzw. Ver-
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letztheit liegen kann. An anderer Stelle wird vor allem ein Konzept von ‚Wachstum‘ aufgerufen, das für beide Entwicklungsrichtungen relevant gemacht wird (vgl. folgenden Abschnitt zu ‚Unwägbarkeit‘). Gleichwohl ‚Wachsen‘ eine eindirektionale, anreichernde und vor allem natürliche Entwicklung in Anschlag bringt, wird das ‚Wachsen‘ nicht allein für die Bewegung auf die ersehnte und verheißungsvolle Dimension der Liebesbeziehung, sondern auch für die gegenläufige Bewegung auf das Ende der Liebe hin angeführt. Es ist dabei zu präzisieren, dass die Verwendung des ‚Wachsens‘ für den verletzenden und leidvollen Pol erst über den vorher erreichten Pol der Liebesbeziehung angeführt wird. Figurierungen in dieser Hinsicht entsprechen auch die metaphorischen Umschreibungen von Verliebtheit und Liebe als ‚rosarote Brille‘ und einer anderen Weltsicht, die aus dem indifferent bleibenden Punkt des Einsetzens der Verliebtheit entspringen: Ja, es passiert halt irgendwas, mit einem. Und ich glaub, wenn das halt auch einen so überfährt, irgendwie so, man wacht wieder, so ein bisschen wie auf, irgendwie. Man sieht auch das Besondere an den kleinen Sachen, man wirft sich halt wieder in so, ist halt irgendwie, das, es erweckt eine, seine Synapsen, oder seine, auch seine Nerven und so was, das macht dich sensibel ein bisschen, naja, lässt dich die Welt ein bisschen mit anderen Augen sehen, also ich mein, das ist schon auch wahr, mit dieser rosaroten Brille und so was. Also ich war dann auch zum Beispiel, meiner Mutter gegenüber total lässig, wenn’s da irgendwelche Probleme gab, dacht ich mir, ja, lass sie labern, weil, du musst da gar nicht drauf einsteigen, -ist doch egal! - irgendwie so, da war man dann auch ausgeglichener. (Mw_738-750)
Gegenüber der Verliebtheit wird Liebe zu einer fast langweiligen, zumindest jedoch routinebehafteten Alltäglichkeit, die sich zwar aus der Verliebtheit entwickelt, jedoch ihr gegenüber ein herausgehobenes Moment darstellt. Allerdings stehen diese Differenzierungen dennoch in einem Verweisungsverhältnis der gegenseitigen Abgrenzung und Bezugnahme aufeinander: Liebe ist nicht Verliebtheit und doch ist Verliebtheit irgendwie Liebe. KJ: Was Dir noch einfällt, was Du vielleicht noch sagen willst. (5sec.) M: Hm. Also mir ist jetzt gerade aufgefallen, dass es wirklich, also für mich sehr wichtig ist, dass, das Verliebtsein nicht als etwas, also für mich ist Verliebt-Sein nicht etwas, was am Anfang passiert, was dann weg ist und dann kommt Liebe, sondern, Verliebt-Sein, ich will die ganze Zeit verliebt sein, so. Ich brauch im-
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mer wieder dieses, dieses frische Gefühl, dieses, wenn ich ihn jetzt zum Beispiel ein paar Tage lang nicht gesehen hab und dann seh’ ich ihn wieder, dass ich mir denke: Wow! Krass! Das ist so’n Typ! Irgendwie, dass man halt verknallt ist und nicht so, ach, da ist er ja wieder! Was ich halt immer so rein äußerlich, also ich mein, ich steck ja in den Leuten nicht drin so, aber auch in mei-unter meinen Bekannten und so, wo ich manchmal das Gefühl hab, oh, das ist aber schon ganz schön eingefahren irgendwie, aber, da steck ich nicht drin, am Ende sagen die auch, ich bin jeden Tag neu und frisch verliebt, in meine Partnerin oder meinen Partner, also das ist mir- äh, das ist mir schon sehr wichtig. Also, das Verliebtsein ist eigentlich so -das Wichtigste- irgendwie. (Mw_869-885)
Besonders wird in diesen Thematisierungen die Geltungsreichweite des Gesagten bezogen auf die eigene Person betont. Sehr häufig wird auf diese Weise eine individuelle Bezugnahme vorgenommen, die sich der Verallgemeinerbarkeit verweigert und ihre Geltungsansprüche nicht aus dem generalisierenden Horizont einer allgemein bestimmbaren Verliebtheit und Liebe gewinnt, sondern ihre Wahrheit in der unmöglichen Bestimmung findet. Erst indem die begrenzte Geltungskraft aufgerufen wird, die sich auf die eigene Person und ihr Erleben eingrenzt, lässt sich etwas über die Verliebtheit und die Liebe sagen. Ähnliche Figurierungen einer Umgrenzung des Sagbaren finden sich auch in den im vorigen Abschnitt dargestellten Theoretisierungen. Es sei insbesondere an das Verallgemeinerbarkeitsverbot bei Roland Barthes (1984) und die Geltungskraft der ersten Person bei Julia Kristeva (1989) erinnert. Auf diese Weise wird in der je konkreten Bestimmung als einer möglichen Variante ein unabgeschlossener, offener Bedeutungs- und Thematisierungshorizont inauguriert. Also würd’ ich jetzt sagen, würdest du über mich jetzt ne Arbeit schreiben, wie mein Verliebtseins- äh, Modus, mein Verliebtseins-Verhalten ist dann, glaube ich, dann könntest darüber, du könntest da nur ne Geschichte schreiben. Wie’s bei dem war, wie’s bei dem war, wie’s bei dem war, aber so ähm, das ist ganz schwierig, dann auch gemeinsame Punkte dann irgendwie so zu finden. (Mw_924-929)
Eine Differenzierung von Verliebtheit und Liebe kann darüber hinaus über die zeitliche Dimension vorgenommen werden: Liebe entwickelt sich zwar aus Verliebtheit, jedoch erscheint letztere symptomhaft, überfallsartig und momenthaft – ein vorübergehendes Phänomen, woraus sich seine Bedeutung speist. Besonders die Neuheit wird gegenüber der Alltäglichkeit der Liebe stark gemacht, so dass nicht zuletzt die schwungvolle, seltene und
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deswegen besonders bedeutungsvolle Verliebtheit zum Einsatzpunkt für Erzählungen wird und auf diese Weise einen Thematisierungsrahmen vorgibt (vgl. Abschnitt zu Aufschüben und Verschiebungen), die dem eigenen Erleben und der Verliebtheit zugleich hohe Bedeutsamkeit verleiht. G:
Dass ich gerne Zeit mit dieser Person verbringe und in diesem Gefühl von Verliebtheit, dass man, das ist ein anderes Gefühl als wenn man nicht verliebt ist, also, mh, auch vom Körperlichen. Dass man wenig Schlaf braucht, also das ist bei mir auf jeden Fall so. Dass man sehr aufgeregt ist, dass man auch so’n bisschen die Motivation hat, seine Sachen so zu erledigen, also, so, als erblüht man neu.
KJ: H-hm. G:
Ja. ähm, wobei ich aber auch ’nen Unterschied sehe zwischen Verliebtsein, und dann, ähm, lieben.
KJ: H-hm? G:
Also wenn ich eine Person neu kennen lerne und sich da, mein verliebt- meine Verliebtheit einsetzt, dann, ist das ein anderes Gefühl, als wenn ich dann später diese Person liebe. Dann bin ich vielleicht auch noch verliebt.
KJ: H-hm. G:
Aber, ich liebe diese Person mehr. Ist das verständlich?
KJ: H-hm. G:
- Also (5 sec.) ja, von, von diesen Anfangssymptomen, die ich halt gesagt hab, die schwächen ab. Und, auch unterschiedlich zu diesen Personen. Also, unterschiedlich zu den Personen, die-mit denen ich jetzt zusammen war, oder verliebt war, dass es unterschiedlich andauert. Und, ja, was kann man dazu noch sa-also, wobei, man, trotzde-also so! - Man ist, verliebt, man verliebt sich in eine Person, nach ner Zeit, liebt man diese Person. Und, zwischendurch hat man immer noch diese, sag ich mal, Symptome, die so aufkommen, wie am Anfang von diesem Verliebtsein. ja. [lacht]
KJ: -H-hm-, und was genau macht diesen Übergang aus oder den Unterschied? G:
H-hm. Das, ist ne gute Frage.
KJ: Oder woran merkst Du das? G:
Ja ich-also ich denke mal, dass, wenn man ne längere Zeit zusammen verbracht hat, beziehungsweise zusammen ist, macht man auch Sachen durch, also gar nicht jetzt, Tragödien oder so, sondern man bewältigt gemeinsam den Alltag und auch die-die, die Herausforderungen, die da auf einen zukommen. Und, es, trä-also erst mal, dass das so festigt, und das einem auch so diese Sicherheit gibt, die man, glaub ich, in dem Verliebtsein am Anfang für mich
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nicht hatte, also dieses neue Gefühl, da denkt man nicht über Sicherheit nach oder so, da ist die Person neu und man, möchte sie neu kennen-also näher kennen lernen und [holt Luft] ja, und dann kommt auch dazu, dass vielleicht auch Zweifel entstehen, zwischendurch. [holt Luft] Also in dies-wenn man liebt. Dass man immer Zweifel hat, also, nicht immer, aber zwischendurch sich überlegt, ja, ist das denn jetzt, so das, was ich möchte, ist das überhaupt der Richtige in meinem Fall? Also ein Mann. Und, ja, dass sich so ein bisschen halt der Alltag einschleicht. Und natürlich auch die Dauer, also die ist auch ne Zeitspanne. (4sec.) Ja. (Gw_17-64)
Gleichwohl Liebe und Verliebtheit sich nicht gegenseitig ersetzen, sich jedoch auch nicht trennscharf gegeneinander profilieren lassen, scheint die Liebe sich beinahe zwangsläufig einzustellen – sie brauche nur ihre Zeit. Liebe bildet folglich auch einen Pol der teleologischen Logik von Verliebtheit, die sich nicht dauerhaft erhalten lässt, wie im folgenden Abschnitt genauer dargestellt werden wird. Verliebtheit als ‚Unwägbarkeit‘ – Differenzierungs- und Entscheidungseinsätze Die folgenden Analysen konzentrieren sich auf einen anderen Aspekt der Thematisierung und Figurierung des Gegenstandes ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ als einer unwägbaren Angelegenheit, die in der Logik einer Teleologie des Verliebens im Zusammenhang mit unentscheidbaren Differenzen aufgerufen wird. So werden etwa bereits zum Auftakt eines im Folgenden zunächst detaillierter im Mittelpunkt stehenden Interviews im Modus von Gegensätzlichkeiten Differenzierungen eingeführt: KJ: Ganz offen, was, äh, geht Dir durch den Kopf zum Thema Verliebtheit, unglückliche Verliebtheit? H: Unglückliche oder glückliche? KJ: Wie Du willst. H: /Oder beides? KJ: Hm. Genau. H: Mh. Na, Verliebtheit als ein sehr schönes Gefühl. Ein sehr schöner Zustand[lacht] KJ: [lacht] H: Als ein, jetzt wollt ich grad sagen, Ausnahmezustand, aber, na, wenn ich so anfange, darüber nachzudenken, dann als was sehr Ungewisses, also, ich könnt
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jetzt nicht sagen, dazu geht mir das und das und das durch den Kopf, sondern da kommt immer mehr dazu und ähm, also, was sehr, ähm, nicht leicht Greifbares. So. H-hm. KJ: H-hm. Hm. H: Von daher geht mir da jetzt, jetzt gerade so gar nicht so viel so durch’n Kopf. (Hw_9-25)
Die artikulierte Gleichrangigkeit von jeweils positiv besetztem ‚Gefühl‘ und ‚Zustand‘ ruft sowohl eine subjektive und jenseits des begrifflich Fassbaren gelagerte Dimension (Gefühl) als auch eine der präzisierbaren Bestimmbarkeit auf (Zustand). Jedoch wird gleich im Anschluss die Vagheit oder Schwierigkeit einer Begriffsfassung betont. In die Nähe von „Ausnahmezustand“ (Hw_18) gerückt, jedoch auch als „ungewisses“ (Hw_19) oder „nicht leicht greifbares“ (Hw_21f) Gefühl bezeichnet, scheint sich Verliebtsein so füllen (und entleeren?) zu können, dass der Interviewten – nach dem ersten Einsatz „jetzt gerade gar nicht so viel durch den Kopf“ geht (Hw_25). Auf die gegen Ende des Interviews gestellte Frage nach verbliebenen Aspekten, wird geäußert: Nee, also die Definition Verliebtheit, Liebe, -das [lacht]- ich glaube, das hat auch keinen Sinn mehr. Das irgendwie, also sozusagen zu verbalisieren“ (Hw_711f.).
Schließlich wird am Ende dieses Interviews Verliebtheit als „gewagtes Thema“ (Hw_1069) bezeichnet. Auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Hinsichten bewegen sich die Einsätze im Rahmen unentschiedener (unentscheidbarer?) Figurierungen, die zwar ebenfalls mit Verheißungen auf positives Erleben (Gewagtheit) konnotiert werden, vor allem jedoch auf Unentschiedenheiten und Unbestimmtheiten verweisen. Der überlegende, vorsichtige und tastende Modus des Sprechens verbindet sich mit dieser uneindeutigen und augenscheinlichen Vagheit. Meine Formulierungen sollen dabei keinesfalls nahelegen, die analytischen Bemerkungen bezögen sich in irgendeiner Form auf das authentische Prozessieren einer subjektiven Suche und Platzierung – demgegenüber möchte ich herausstellen, dass Verliebtheit hier auf eine Weise figuriert wird, die diese zu einem unbestimmten, uneindeutigen und damit zu subjektiv(ierend)en Einsätzen aufrufendem Thema werden lässt.
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Besonders relevant wird hierbei eine gewisse Vorläufigkeit und Situativität gemacht – die über die Figuren von ‚Wachstum‘ und ‚Dauer‘ hervorgebracht wird: So unterliege Verliebtheit einer teleologischen Logik: Weil Verliebtsein ja eigentlich eher so dieser Anfangszustand ist. Und dann ja eigentlich zu mehr heranwächst, sozusagen (Hw_37ff.) [und, K.J.] man sich […] erst so ähm, kennen lernt und das wächst dann eben zu mehr, also es kann sozusagen dann zur Liebe wachsen (Hw_67f), [und, K.J.] dass Liebe auf jeden Fall aus diesem Verliebtheitszustand heraus wächst. Und dass eben, sozusagen, so ein fließender Übergang ist, aber diese Verliebtheit schon die Basis dessen ist (Hw_250ff).
Sie sei nicht dauerhaft – zwangsläufig gehe sie in etwas anderes über; dies jedoch auf verschiedene Weisen: als „Sprung“ (Hw_161) oder „Umbruch“ (Hw_236) oder „fließender Übergang“ (Hw_250). Sie könne sich zu Liebe oder einer Beziehung auswachsen; ohne Wachstum jedoch könne sich auch die Beziehung und die Liebe beenden: „dass sie nicht mehr weiter wächst, oder dass sie irgendwie, dann ist es keine Beziehung mehr“ (Hw_349). Gleichzeitig könne aber auch dieses Wachstum zum Ende der Beziehung führen – wenn ein gewisses Unwohlsein erscheint und sich manifestiert: das sowas eben eigentlich nie auf einmal kommt, sondern eben, ja immer schon so, so mitschwingt und eigentlich ja, dann eben auch -wächst- [lacht kurz]. (Hw_587)
Nicht auf Dauer angelegt, führt die Verliebtheit Entscheidungszustände herbei, die als Übergänge in Beziehungen oder aber Offenbarwerden einer fehlenden Reziprozität gefasst werden. Das Treffen von Entscheidungen wird unausweichlich, diese können jedoch nur das Ende von Verliebtheit und Liebe herbei führen; während diese nicht erzwungen werden können: Dezidiert wird eine eigene Handlungs- und Entscheidungsmacht für die Herstellung von Verliebtheit und Liebe ausgeschlossen: Aber ob man umgekehrt-also sagen kann, Mensch, das würde aber so toll passen, und jetzt lieb ich den, ähm, also das-das, das sind wir, also ich kenn den jetzt, was weiß ich, seit nem halben Jahr, und jetzt muss das ja Liebe langsam sein, das kann man glaub ich nicht (Hw_263ff).
Dennoch wird das eigene Agieren nicht vollends ausgeschlossen, sondern ist gefordert im Zulassen:
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Also man kann sich glaub ich schon-man kann das glaub ich schon kaputt machen, würd ich sagen, selbst, ohne dass jetzt die Umstände da irgendwas mit zu tun haben, indem man sich einfach selber versperrt (Hw_259ff).
Was man beim Verlieben in der Hand hat, ist offenbar, dies aus der Hand zu geben. Die anstehenden Entscheidungen werden mit sich selbst ausgemacht – die Exklusivität der Zweierbeziehung reicht so weit, dass Dritte auch während der Entscheidungsfindung nicht helfen können – wohl aber zur Verarbeitung der Entscheidung. Die Entscheidungsfindung wird jedoch auch nicht mit dem Anderen geteilt, sondern ist bereits ein Verlassen der verpflichtenden Exklusivität des „WIR ZWEI/Rest der Welt“ (P. Fuchs 1999). Für den anderen stellt dies „Überraschung“ (Hw_151) dar, die den Gleichklang des liebenden ‚Zustandes‘ aufkündigt. Das Überraschungsmoment gehört jedoch auch zur Verliebtheit selber: Zunächst könne die Verliebtheit einen ‚packen‘ – jedoch könne man auch innerhalb der Beziehung ‚gepackt‘ werden: durch das plötzliche Verschwinden der Liebe: […] dass ich bei der vorherigen Beziehung so, also richtig, rosarot verliebt war, und sozusagen, total ähm, ja, das, das hält ewig und ähm, mir so sicher war, und dann aber doch nach ähm, nach zwei Jahren ich sozusagen von mir her gesagt hab, da, nee, war's auf einmal, weg. Die, die Liebe und also ich das am Anfang eben überhaupt nicht gedacht hätte (Hw_166-170).
Dieses plötzliche Verschwinden unterliegt jedoch keiner souveränen Verfügung, sondern stelle eine jederzeit mögliche Wendung dar, der man ausgeliefert sei: aber auf einmal, ja, hat man, den anderen nicht mehr so gern geküsst […] oder wie es dazu kam, keine Ahnung, auf einmal hat man eben gemerkt […] okay, wenn ich mir jetzt vorstelle, irgendwie so Sachen wie, den Rest meines Lebens oder sowas, dass man sich das dann auf einmal, also das-diese Vorstellung einen auf einmal einengt, und das ist dann der Punkt-oder war für mich wo ich dann gemerkt hab, nee da-f-dann fehlt was, also dann ist was weg (Hw_295f).
In der Unabsehbarkeit („in dem Moment kommt’s für einen immer dann total überraschend, wenn man’s sich dann eingesteht“, Hw_310) liegt auch eine gewisse Tragik, die weniger aus eigener Verletzung als aus dem Schuldgefühl dem Anderen gegenüber resultiert, ihm – ohne Grund und ei-
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gene Intention – verletzen zu müssen. Deshalb seien die zu fällenden Entscheidungen auch mit einer Schwere versehen, denn die Beziehung impliziere Verantwortung, ohne absehen zu können, ob diese getragen werden kann: dass ne Beziehung auch Verantwortung ist, oder einfach, dass man ja dass man da zu zweit ist, und dass man nicht einfach so nur für sich selber dann entscheiden kann, jetzt gefällt’s mir und jetzt nicht, sondern dass da einfach auch noch, jemand anderes ähm, ist-genauso stark oder ja, also dass einfach-dass man einfach für zwei Personen da zusammen etwas eingeht und dass man da nicht einfach alleine für sich da wieder raus treten kann (Hw_385ff).
Die angesprochenen Übergänge und Bewegungen können sich ankündigen oder zeigen („Und da ist für mich gerade nur irritierend, dass es mich irritiert“ Hw_163), und führen dann zu (Selbst-) Fragen und Entscheidungen, wie in der folgenden Passage über die Einsätze der Interviewerin und Interviewten gleichermaßen aufgerufen wird: KJ: H-hm. (5sec.) Und was [räuspert sich], weil Du das ja eingeleitet hast mit, dass Du gerade Dich fragst, so, dass äh, was, was fragst Du Dich da? H: Hmmm. (8 sec.) Hm. Ich hab die Frage, würd ich jetzt schieben, weil ich da erst-also weil ich da sozusagen gerade ähKJ: Ja. H: erst gestern abend, also so da saß und äh, irgendwie darüber nachgedacht, also äh, sprich, also da kann ich jetzt grad noch gar nichts zu sagen, weil’s nur so ein Gefühl ist, dem ich irgendwie auf’n Grund gehen muss. KJ: /H-hm. H-hm. H: Aber. Ja, kann ich da jetzt noch nichts zu sagen. KJ: Ähm, dann vielleicht ähm, was nimmst-was nimmst Du denn wahr, da als dieses Gefühl, oder wie nim-also, ist das, die-meine Frage zielt eher dahin, also, dass sich was ändert, kann man ja zum Beispiel daran sehen, dass der andere anders ist, dass die Beziehung anders ist, die Begegnungen anders sind, oder dass man selbst vielleicht anders istH: H-hm. KJ: Und-also Du musst das sozusagen jetzt gar nicht sagen, was Dir da durch den KopfH: Ah okay! (..) H-hm. KJ: geht, wenn das irgendwie grad so ähmH: Na, ich kanns grad einfach selber noch nicht so greifen, also-
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KJ: Ja, aber ich find’s interessant sozusagen, ähm, dass Du das so beschreibst als [räuspert sich] da ist ein Gefühl, was versucht, Dir was zu sagen, oder was Du wahrnimmst oder so. H: [holt Luft]KJ: Mich interessiert eher woher das kommt. H: /Jaja. KJ: Oder ob Du ne Idee hast, so- (Hw_124-151)
Einem Gefühl, einer Unwägbarkeit, einer Irritation nachgehen zu müssen, die nicht auf sich beruhend gelassen werden kann, wird hier von der Interviewerin und Interviewten gleichermaßen als Erfordernis figuriert, dem erklärend, vergewissernd, befragend nachgegangen werden muss. Ein ‚Wille zum Wissen‘ (Foucault 1977) wird etabliert und die Unklarheit duldet keinen Aufschub. Dabei müsse es sich nicht zwingend um ein reflexives Vergewissern handeln, vielmehr wird vor allem das Bemühen und die Unausweichlichkeit der Beschäftigung mit einer Irritation in den Zusammenhang mit Veränderung in vielfältiger Hinsicht (Beziehung, Selbst, Anderer, Begegnung) gestellt. Mit diesem Gefühl könne man sich selbst konfrontieren (vgl. Hw_577ff.), wobei dazu eine Vielfalt an Techniken und Praktiken dieser Auseinandersetzung mit sich selbst, wie etwa Musik hören, Schreiben, Erinnern, Photos anschauen bzw. verstecken, Schlafen, Wachen, Spazieren, Laufen, Alltagswechsel, angeführt wird (vgl. Hw_646ff.). Die mitteilsame und auf Auseinandersetzung drängende Unwägbarkeit der Liebe und Verliebtheit erfordert offenbar subjektiv(ierend)e Einsätze der Selbstbefragung, Entscheidungsfindung, Reflexion und Selbstkonfrontation. Eine weitere Einsatzstelle für Selbstthematisierungen besteht in der Figurierung von Verliebtheit und Liebe als ein Sachverhalt, der zahlreiche und verschiedenartige Unterscheidungen ermöglicht (und erfordert?): So kann zwischen verschiedenen Formen der Bezugnahme auf den Anderen unterschieden werden: verguckt sein, verknallt sein, verliebt sein, sich lieben, in Beziehung sein. Dem folgen jeweils verschiedene Umgangsweisen, wie sie im Gespräch mit Freundinnen und Freunden thematisiert werden können: sich lieben, sich trennen und auch verlieben werden auf die Zweierexklusivität bezogen und sind Dritten kaum zu kommunizieren, während das Verguckt-Sein sich sehr gut besprechen lasse, da der andere – das Objekt des Verguckt-Seins – in diesem Geschehen nur als dieses Objekt auftauche. Auch können verschiedene Formen der Beziehung zum An-
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deren differenziert werden – Affäre, Freundschaft, Verliebtheit, Beziehung. Desweiteren lassen sich aber auch anhand des eigenen Umgangs mit Verliebtheit–Trennung–Entscheidung Freundschaften differenzieren, je nachdem, was in diesen möglich sei – schweigen, Kraft tanken, reden. Vor allem bemesse sich die „Qualität von Freundschaften“ (Hw_559f) danach, wie sehr der/die Freund/in auch toleriert, dass man sich der Thematisierung des eigenen Empfindens entzieht. Differenzierungen werden darüber hinaus durch das Entwerfen von Gegenbildern vorgenommen: So wird vor allem das „jugendlich-verliebt-sein“ (Hw_404) angeführt, welches in seiner Unbeschwertheit (vgl. 409) verloren sei und dessen „zack-bum“-Qualität (Hw_416) vermisst wird. Dabei wird jedoch nicht generell ausgeschlossen, dass diese Qualität noch erreichbar sei. Vielmehr erscheint das zweifelnde, nachdenkliche Verliebtsein, die Reflexion über den Grad der Verliebtheit auch als Zeichen zu gelten, welches die Verliebtheit selbst befragt: „ob da sozusagen man einfach zu viel Kopf zulässt, oder ob’s dann nichts ist, wenn der Kopf mit dabei ist“ (Hw_420f) bzw. auch „ob man einfach zu verkopft ist“ (Hw_423). Das Nachdenken über und das Befragen der Verliebtheit ermöglichen somit nicht allein Schlüsse (oder besser: Fragen) hinsichtlich der Beziehung und ihrer Qualität, sondern auch Fragen bezüglich des eigenen Selbstverhältnisses zur Liebe und zur Beziehung wie schließlich auch hinsichtlich des eigenen Selbst (bspw. Alter, Verkopftheit). Der Zweifel – die Verkopftheit – kann sich zudem auch aus Erfahrungen – „Verliebtheitsnarben“ (Hw_153 und 174ff.) speisen – was wiederum mit der eigenen Reife und dem eigenen Alter in Verbindung gebracht wird. Dies verknüpft sich mit der verlorenen Unbeschwertheit, die von Nachdenken, Zweifel, Skepsis und Zögern nichts weiß. Die zahlreichen Differenzierungen, die zu unentscheidbaren Antworten, jedoch stets neuen Frageansätzen führen, stellen hierbei eine Figurierung von Verliebtheit und Liebe her, die subjektiv(ierend)e Einsätze erfordert. Quer zu diesen Darstellungen und Differenzierungen lässt sich die Thematisierungsweise von ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ an diesen Stellen insofern als besonders markieren, als darin eine häufige Verwendung des generalisierenden und distanzierenden ‚man‘ im Wechsel zum spärlicher auftauchenden ‚ich‘ verwendet wird. Hierbei ergibt sich das Bild einer reflektierenden und distanzierenden Bezugnahme auf das Thema, das sich fast auf einer Meta-Ebene zu bewegen scheint.
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KJ: H-hm, ja, erzähl einfach die-wenn das okay, ist, kannst Du einfach die Geschichte erzählen. H: Ähm, na, das war eben ein Bekannter, der, ähm, den ich sozusagen recht ähm, anziehend fand und dann eben durch äh, Zufall ihn auch näher kennen gelernt habe, und er dann auch, ähm, ist so bisschen so ein, ähm, Flirt-Typ gewesen sozusagen, und ich eben das auch immer nicht so greifen konnte. Ist das jetzt nur bei Dir so oder auch bei anderen? Oder auch bemerkt hab, das ist auch bei anderen so. Und, ähm, (5sec) dann eben, ja, also zuerst der Punkt war, wo ich dachte, da könnte, was draus werden und auch von seiner Seite dann festgestellt hatte, dass es bei ihm, ja, willkürlich ist, also sprich, dass er gerade in so ner AustobPhase ist, und praktisch bei allen Frauen äh, da irgendwie jetzt ähm, der Charmeur ist, und, ähm, das war dann auf jeden Fall schon ähm, schmerzhaft, wobei ich da gemerkt habe, dass ich da auch ganz viel rein projiziert habe. Also das ist vielleicht auch noch, bei diesem Verliebtsein, und Verguckt-Sein und alles, dass dieses, was man in jemanden hinein projiziert, was er eigentlich nicht ist, oder, was er vielleicht nur teilweise ist, und Liebe ist glaub ich dann, wenn ihn eben, so ohne was hinein zu projizieren sieht. (Hw_736-753)
Zugleich gewinnt durch diese Thematisierungsweise jenes Riskante und Unwägbare – das einen ‚packen‘ kann – seine eigene Qualität als organisierendes Moment jener Rede über ‚Verliebtheit‘. Aufgerufen wird somit etwas, demgegenüber man sich distanzieren muss, worüber abwägend und reflektierend gesprochen werden kann und demgegenüber objektivierende Zugriffe verlangt zu sein scheinen. Auch hierin lässt sich eine Dramatisierungsstrategie in der Konstitution von Verliebtheit und Liebe sehen. Daneben stellt sich die Unabsehbarkeit, die einen ‚packen‘ kann, auch als eigene Qualität der ‚Verliebtheit‘ her – als vielleicht schon verlorene Unmittelbarkeit ohne Notwendigkeit der Reflexion, die erneut und in anderer Weise etwas aufruft, das jenseits des begrifflichen Vergewisserns thematisierbar wäre, und mit Riskanz und Unwägbarkeit ausgestattet wird. Der Einsatz der Interviewerin – „wenn das okay ist“ – wiederum ruft einen Risikowert auf, etwas auf dem Spiel stehendes, das ‚taktvolle‘ Respektieren einer aufgerufenen ‚Privatsphäre‘, deren ‚Preisgabe‘ nicht ohne weiteres angenommen werden kann. Diese ‚taktvollen‘ Frage-Einsätze finden sich des Öfteren in verschiedenen Interviews – sie inszenieren und figurieren darin eine Referenzadresse, die sich auf eine ‚schützenswerte‘ Innerlichkeit bezieht, auf die in einer metaleptisch-performativen Referenzialität hervorbringend Bezug genom-
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men wird. Das Aufrufen eines Selbstverhältnisses, auf das sich das Sprechen zu beziehen habe, lässt sich so verstehen, dass darin eine spezifische ‚Authentizität‘ der Liebe und des Sprechens über die Liebe figuriert wird, die sich dem Sprechen zu entziehen scheint: KJ: H-hm. Und wie ist das, ähm, was wird da bei einem angesprochen? Also, was, wird Dich, was spricht jemand, wo Du merkst, okay, das ist vielleicht dann verknallt, verliebt oder so, was, was wird’n da bei Dir angesprochen? M: Mein Interesse. [lacht] @Das, aberKJ: Und wie, wie, wie wie sieht das dann aus, alsoM: H-hm. KJ: In Dir? Wenn Du verliebt bist? M: Also Du willst wissen, wie’s bei mir aussieht, wenn ich verliebt bin? KJ: H-hm. M: Also jetzt nicht der Prozess, wie das klappt, sondern wie’s dann in mir aussieht? KJ: Also wenn das möglich ist? M: Ähm, KJ: Zu beschreiben. M: H-hm. Ähm, ich bin auf jeden Fall entspannter. Ich bin geordneter irgendwie. Also ich-weil dann halt ein krasser Fixpunkt existiert […]. (Mw_360-372)
Hierbei wird mithin nicht allein eine gewisse Entzogenheit, Überschüssigkeit oder Überfülle der Liebes- und Verliebtheitsthematik angesprochen, der schwer beizukommen ist. Zugleich wird nahegelegt, dass das Bemühen um diese Näherungen in einem Zusammenhang mit Selbstverhältnissen und Innerlichkeit gebracht werden kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in diesem Interview einerseits Unbestimmtheit als Ungewissheit–Unverfügbarkeit–Überraschung im Rahmen eines begrifflich und generalisierend sich versichernden Vokabulars als das Außen dieses Vokabulars hergestellt wird – das, worin die Notwendigkeit von Vorsicht, Überlegung, Nachdenken und Zweifel ihren Anlass findet. Diese Unverfügbarkeit bezieht sich dabei sowohl auf die „zack-bum“-Qualität der Verliebtheit, die hypothetisch noch möglich sein könnte als auch auf das sich ebenfalls der Verfügung entziehende Verschwinden der Liebe. Dieser Unverfügbarkeit gegenüber erscheinen SelbstVergewisserungen, Selbstthematisierungen und auch Differenzierungen der ‚Verliebtheit‘ äquivalent, insofern diese den Einsatzpunkt der Differenzen (junge–alte, paradiesische–realistische, Zulassen–Verkopftsein, etc.) dar-
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stellen, jedoch in diese Differenzen selber hineinreichen, indem diese unentscheidbar werden: wobei ich das auch wieder, also ich-ich hab nicht so die eine Antwort, also da bin, bin auch wieder hin- und her gerissen (Hw_412f).
Nicht allein die Unwägbarkeit des sich Verliebens, dessen teleologische Logik immer wieder Entscheidungs- und Reflexionseinsätze erforderlich macht, sondern auch die Verliebtheits- und Liebesthematik mit ihren zahlreichen Differenzierungs- und Frageanschlüssen fordern hierbei ein sich selbst thematisierendes, befragendes, beobachtendes und abwägendes Subjekt ein, das einerseits dem Geschehen der Liebeslogik ausgeliefert, jedoch mit spezifischen und notwendigen Einsätzen gefordert ist. Wie wenig man sich der Liebe und Verliebtheit sicher sein kann, wird in vielfältigen Figurierungen hervorgebracht und zumeist mit fragenden Einsätzen verbunden. Nicht einmal der ‚Wahrheit‘ der Verliebtheit bzw. des Verliebtseins könne man sich sicher sein: R: Aber ich verfall nicht in dieses paranoide Verliebtsein, so nenn ich das immer, also dieses hoho, nicht essen und nicht schlafen und äh irgendwie dreht sich alles nur noch um die Person. KJ: Ja. R: Das hab ich ja noch nie erlebt. KJ: Ja. R: -Vielleicht war ich ja auch noch nie verliebt! - [lacht] (Rm_431-437)
In der Figurierung des Ausnahmezustandes, der a-normales Verhalten gerade zu seiner Wahrheit werden lässt, indem bspw. ‚paranoides‘ Verhalten und ‚paranoides Sprechen‘ (vgl. Kristeva 1989) in ein Recht gesetzt werden, lassen sich zwar Kriterien finden, an denen ein Verliebtsein erkennbar werde. Dass diese jedoch nicht definit sind, sondern mögliche, d.h. in ihrer Gültigkeit immer fragliche Kriterien darstellen, führt zur permanenten Unsicherheit. Verliebtheit und Verliebtsein muss sich nicht auf die eine bestimmte und spezifische Weise ereignen und zeigen, sie muss nicht zwingend die ganze Welt und das ganze Leben umkrempeln – aber es kann so sein. Von der Verliebtheit kann man keine Eindeutigkeit erwarten – nicht zuletzt ermöglicht und erfordert sie damit einen Selbstthematisierungseinsatz, der vor dem Hintergrund der Fraglichkeit und Unwägbarkeit der Ver-
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liebtheit weder Kriterien im Gegenstand der Verliebtheit fixieren, noch ankernden Boden in der eigenen Selbstgewissheit finden kann: KJ: Macht der andere mich anders? Weil er mich auf ne bestimmte Art und Weise anspricht, weil er bestimmte Seiten in mir hervor ruft oder so. N: Oder ist man das selber? Also-oder hat man einfach die vielen Facetten in sich und die wären auch-die würden auch ohne den anderen kommen? KJ: Ja. Genau.
Die ‚Unbestimmtheit‘ der Liebe und Verliebtheit hat nicht nur ‚unscharfe Ränder‘ (Krüger 2011), die keine definiten Kriterien liefern, ob man überhaupt, immer noch, schon wieder oder erneut verliebt sei bzw. sich immer noch, bereits schon, mehr oder weniger oder überhaupt liebe. Die indefiniten Grenzen führen auch zu allen möglichen Aufschiebungen und Verschiebungen, die im Folgenden dargestellt werden sollen. Verliebtheit als ubiquitärer Thematisierungsanlass – metonymische und metaphorische Einsätze Eine ganz spezifische Thematisierungsweise nimmt ein weiterer Interviewpartner vor: KJ: dann äh, vielleicht ganz am Anfang, ganz offen, was ist Verliebtheit, was fällt Dir dazu ein, was ist das für Dich? Hast Du ne Geschichte der VerliebtheitDeiner Verliebtheit oder was auch immerR: Jaa-da muss ich erst überlegen. (…) R: Mh. Verliebtheit. Jetzt auf die äh-Frau bezogen? Oder allgemein Verliebtheit? KJ: NaR: Man kann sich ja zum Beispiel ähm-ich surfe sehr leidenschaftlich-bin verliebt KJ: Was, in? R: Surfen, ich surfe zum Beispiel, ist das auch ne Art der Verliebtheit? KJ: H-hm. Na, erzähl mal! Das find ich spannend. R: Äh, also wie gesagt, ich hab vor, vor Jahren schon, mit 18 angefangen zu skaten und zu snowboarden und irgendwann haben wir uns-also, ich und meine besten Kumpels überlegt was gäbe es denn für ne Alternative im Sommer? Naja, okay, surfen. Bretter gekauft, und einfach mal ans Meer gefahren. Und das haben wir ähm, einen Monat lang, Frankreichküste, und das war das-also der-der Anfang vom Ende. Also seitdem ähm, (4sec.) sieht die Welt ganz anders, ich bin gleich
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ein ganz anderer Mensch, also die Liebe zu dem, zu der Leidenschaft, also zu dem Hobby, Surfen, ist so groß geworden, hätt ich niemals gedacht. (Rm_5-30)
Zunächst wird für die Thematisierungswahl zwischen dem Abstraktum ‚der Frau‘ und der ‚allgemeinen Verliebtheit‘ unterschieden. Recht schnell jedoch wird dieser generalisierende Perspektive auf das ‚Surfen‘ verschoben, auch wenn zunächst fraglich scheint, ob diese Thematisierungsweise im Zusammenhang mit Verliebtheit Geltung beanspruchen kann. Nach einer erzählenden Ausweisung der Herkunft des ‚Hobbys‘ wird vor allem über die Passion und Leidenschaftlichkeit (Rm_32f.) eine Verbindung zwischen ‚Surfen‘, ‚Verlieben‘ und ‚Liebe‘ hergestellt. Ausschlaggebend und verbindend erscheint dabei eine Veränderung sowohl der Welt – die sich anders darstelle – als auch der eigenen Persönlichkeit, die in ihrer Gesamtheit als ‚Mensch‘ betroffen sei. Dem Surfen wird eine existenziell bedeutsame Qualität gegeben, die sich nicht auf die Situativität des Surfens allein bezieht, sondern in einer umfassenden Weise relevant gemacht wird. Eine uneingeschränkt positive Wirkung („es macht mich unheimlich glücklich“ Rm_36) korrespondiert mit den negativen Folgen der Abwesenheit („es macht mich wahnsinnig, wenn ich nicht surfen kann“ Rm_35). Besonders betont wird hierbei die genießende und euphorisierende Qualität, die zunächst auf sich selbst bezogen erlebbar wird („Wo ich allein bin, ja, das ist ja, meine eigene Welt, genau“ Rm_365) und zudem ihre Steigerung im Teilen dieses Gefühls und Erlebens mit anderen findet („Aber das Teilen der Gefühle miteinander, das ist natürlich noch ne Stufe höher“ Rm_66). Auch das Surfen als analogisierende, ausweichende und aufschiebende Thematisierungsweise im Zusammenhang mit Verliebtheit ist gekennzeichnet von Außeralltäglichkeit und Seltenheit, die ihm einen besonderen Reiz verleihen: Und der ganze Lifestyle wie morgens früh aufstehen, also früh pennen gehen, wenig Party, also keen Alkohol und so wat.[…] Die Leute kennen lernen, die Kultur kennen lernen, minimalistisch, also spartanisch leben, das ist für mich am allerbesten, keene Hotels, und keene Touris, einfach nur mit der Natur als solches auch, einfach für mich, was mir hier zum Beispiel in der Großstadt fehlt. […] Also, hier ist halt jetzt Studium und hier, Großstadt als solche und so wat. Das ist-also wie gesagt, gleicht mich wieder aus, ich tanke energy und det ist so meine Liebe zum Surfen, zum ganzen Lifestyle, als solches. (Rm_128-138)
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Die Leidenschaft („als solche, jetzt, das ist, sieh das mal nicht als Sport“ 120) bildet dabei das Scharnier zur Thematisierung des Surfens als erstem Einsatz zur ‚Verliebtheit‘. Bezogen auf die passionierte Verstrickung in eine Beschäftigung können dabei verschiedene Tätigkeiten äquivalent gesetzt werden: R: Aber ich glaube, bei-bei Musikmachen, könnte man glaub ich sich genau so gut fallen lassen, oder dann einfach mal, äh, absolut abschalten, in der Leidenschaft. KJ: H-hm. R: Das kenn ich, also wie gesagt, aus meinem Freundeskreis kenn ich diverse Musiker. KJ: H-hm. R: Und die haben’s mir auch beschrieben, die sind einfach just in the music. KJ: H-hm. Ja. R: Und so ist es mit mir genau das gleiche. KJ: Ja, na, das find ich halt ziemlich spannend. R: Ja. Ich glaub Musik is äh, Musik und Sport sind so zwei Sachen. KJ: H-hm. R: Wobei auf der anderen Seite äh, kenn ich ’nen Kumpel von mir, der dichtet sehr gerne und da driftet er wiederum in seine eigene Welt. KJ: H-hm. R: Also det ist für ihn das A und O einfach, Dichten. Der schreibt Gedichte, das ist der Wahnsinn! KJ: H-hm. R: Geht auch, also im Endeffekt ist es egal, was man macht. KJ: Ja. R: Solange diese Liebe, diese Leidenschaft damit zu tun hat. (Rm_552-573)
Der gemeinsame Bezugshorizont von Musizieren, Sport treiben und Dichten erschöpft sich dabei gerade nicht in der Charakterisierung als ‚Beschäftigung‘ oder ‚Tätigkeit‘. Vielmehr wird herausgestellt, dass ein spezifisches Verhältnis dieser Praktiken und dem Selbst enthalten sein muss, dass aus der Kombination von Liebe und Leidenschaft resultiert. Im leidenschaftlichen Tun changiert das sich entspinnende Verhältnis von Selbst und Tun zwischen affizierender, vereinnahmender Bindungskraft der Sache und einer sich hingebenden und einlassenden Haltung des Selbst gegenüber der Sache. An einer anderen Stelle wird diese Figurierung um die Thematisierung als Energie und Kraft gebende Quelle erweitert. Bezogen auf diese
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Kraft- und Energiequelle werden das Surfen ebenso wie der/die Partner/in oder auch die engagierte und aufblühende Beschäftigung im Studium bzw. Beruf äquivalent gesetzt. Die Konstellation von Verliebtheit-LeidenschaftLiebe-Kraftquelle spielt neben der uneingeschränkt positiven Wertigkeit dieser Konzepte vor allem auf spezifische Bezugnahmen auf das darüber affizierte und sich affizierende Selbst an. Der Einstieg über das Surfen auf die Frage hin, ob man ‚die Frau‘ oder ‚allgemein Verlieben‘ fokussieren solle, wählt hierbei eine Thematisierungsweise, die in Form einer aufschiebenden Figurierung eine Analogie von Verliebtheit und Surfen herstellt, deren Vokabular ununterscheidbar wird: R: Ich bin dann immer sehr, hach, voller äh, Elan und Vitalität, wenn ich wieder komm, ich sp-also ich sprüh ja so vor, vor, vor Kraft und Energie. Und tank da, also da ist wirklich viel Energie dabei. KJ: Und kannst Du das ähm, mitteilen? R: Das sieht man. KJ: Ja. R: Das merkt man. KJ: Ja. R: Ja. Das ist, also ich hab’n riesen Grinsen auf meiner Fresse den ganzen Tag. (Rm_481-491)
In einem anderen Interview findet die Energie-‚Metapher‘ ebenfalls Verwendung, um in verschiedenen Hinsichten Verliebtheit zu thematisieren. Das Verliebtsein wird sowohl an einem höheren Energielevel erkennbar, das nicht allein „die Wahrnehmung von Zeit und Raum“ (Em_29f.) betrifft („dann hat man Energie, man fährt schneller Fahrrad, man bewegt sich schneller von A nach B“ Em_30f.) als auch in körperlichen Veränderungen erfahrbar wird („dass ich dann auch sehr fahrig vielleicht sein kann“, Em_42f.). Aber auch zur Kennzeichnung der Alltäglichkeit von Liebe kann ‚Energie‘ dienen (Em_73f.), ebenso wie Energie geteilt werden kann („Ich sammle Energie und die kriegt sie auf jeden Fall wieder ab“ Em_340f.). Auch im Sinne einer Ressource kann Energie in die Liebe investiert werden („muss man auch Energie rein stecken, sich immer wieder so diesem Zauber bewusst zu werden“ Em_335f). Ihr Niveau dient ferner als Gradmesser und Anzeichen des Standes von Verliebtheit, der zu Entscheidungseinsätzen auffordert, bei denen man
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sich klar überlegt, was halt jetzt grad meiner Energie den Bremser gibt und ähm, ja, und wieweit ich auch zufrieden damit bin, so langsam zu laufen“ (Em_438f.).
Auch an dieser Stelle wird aufgerufen, dass Verliebtheit in Form eines Energiezustandes nicht dauerhaft, sondern situativ ist, dass sie unwägbaren Dynamiken unterworfen bleibt, über die man nicht souverän verfügen kann, die jedoch einen Umgang in Form von Selbstbefragungen und mit den möglicherweise daraus resultierenden Entscheidungen verlangen. Dabei kann sowohl die Verliebtheit befragt werden, deren Energielevel sich verändert hat, als auch die eigene Person, die sich möglicherweise auch mit einer anderen Geschwindigkeit arrangieren kann. Gleich einer Ressource muss Energie auch genutzt werden. Anklänge an ein Verknappungsargument werden vorgenommen, die die Bedeutsamkeit und Außeralltäglichkeit streifen. Gegenüber einem Ressourcenverständnis, das verbraucht, umgewandelt und investiert werden muss, eignet der energetischen Verliebtheit jedoch eine Art Selbstbezüglichkeit zu, die sich selbst belohnt. E: Mh, [räuspert sich] naja, ich verliebt sein hat ja auch viel mit, mit dem vorausplanen zu tun, man hat diese Energie und man will sie nutzen und plant dann äh, Überraschungen oder man plant ähm, ja, irgendwelche Vorhaben, die man halt für den Anderen, oder halt, ähm, machen will. Und ja, so. Da, ist man einerseits mit der Planung beschäftigt, auch so zweigleisig, also einersei-einerseits mit der Planung, andererseits mit ähm, [räuspert sich] natürlich dem A-Auskosten dieses Moments, wenn dann diese Überraschung sitzt, oder keine Ahnung mit, wenn man dann dieses Vorhaben erfüllt, ja? Also so, das, dass man da zusammen sich an nem Strand getroffen hat und so. Das äh, genau, das Auskosten, und dann natürlich ihr, ihr Blick, wie sie sich freut, das ist natürlich dann so, [schnalzt mit der Zunge], dannKJ: Und, sind das so Sachen, wenn Du so was machst, zum Beispiel mit diesem Plan oder so ähm, ist das was Typisches, woran Du auch erkennst, dass Du verliebt bist? E: H-hm. Ich denk, dass mein Aktivitätsniveau oder damit korreliert also sozusagen, je verliebter ich bin, desto aktiver bin ich auch. [räuspert sich] Ich bin jetzt seit zwei, oder anderthalb Jahren verheiratet.8 (Em_49-65)
8
Auf dieses unvermittelte ‚Geständnis‘ wäre gesondert einzugehen, vgl. dazu Hinweise bei Reh 2004.
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Diese Korrelation von Verliebtheit und Energieniveau verlangt nicht nur eine Synchronisierung hin auf eine gemeinsame und gleichmäßige Bewegung („Bahn“, „Laufgeschwindigkeit eines Films“) in der Liebesbeziehung, sie liefert auch einen Begründungszusammenhang für eine Sehnsucht nach der ‚Sternstunde‘ der Verliebtheit: So dass man gemeinsam so ’nen flow hat. Das ist glaub ich-dass es den, die, die meisten Leute sind sich schon glaub ich bewusst, oder ich bin mir auch, dass das halt am Anfang halt super viel Energie, super viel Geschwindigkeit aber und das ist schön und das kostet man aus und ich glaub so, was wirklich das Be-oder das Bedürfnis der meisten ist ja so ne sta-sagt man ja so, ne stabile, glückliche Beziehung, ich will doch nur glücklich sein, blablabla, aber es geht da auch vor allem um dieses, dass dein Leben so in so ’ner Bahn läuft, und du halt, du hast da ’nen Energiehaushalt, auf den du dich vertrauen, verlassen kannst. Und das all-das ist allein natürlich schwieriger. Allein musst Du immer wieder Energie aufbringen und zu zweit ist das leichter. (Em_464-473)
Energie ‚aufzubringen‘ stellt sich als anstrengende und mühevolle Sache dar, der die Erleichterung durch eine Partnerschaft gegenüber gestellt wird – auch wenn unausgeführt bleibt, wodurch diese Erleichterung sich ergibt, sie scheint in gewisser Weise selbstevident zu sein. Die Energie-Metapher zersplittert demnach in verschiedene Hinsichten, die sowohl ökonomische Argumentationen aufruft, indem Nutzen, Gewinne, Investitionen und Selbstgewinne angedeutet werden, diese brechen sich jedoch zugleich in der Konstellierung von Energie und Verliebtheit, die in der Synchronisierungsnotwendigkeit zweier Energiebahnen ihr Optimum findet. Auf diese Weise wird Energie als Bewegung gegenüber einem Zustand oder eines Levels thematisiert und mit einer Dynamik ausgestattet. Diese entzieht sich der Verfügung, wie es die Investition oder Nutzbarmachung verlangen würde, verlangt nicht zuletzt Entscheidungseinsätze, die sich von der Investmentfigur zur Selbstthematisierung drehen. Ferner wird sie zu einer Triebkraft: Für mich so dieses Verliebtsein, als als den Motor oder als die Energie die mich aber getrieben hat, ja. Ich weiß dann zum Beispiel wie ich mit ’nem Mädel zusammen halt, die hat bei mir im selben Dorf gewohnt und ich wollte ihr, das war dann in der achte, neunte Klasse, also es war auch schon so ne, so’n Beziehung, so ein bisschen auf ’nem höheren Niveau, zumindest für meine-für meine damaligen Vorstellungen, und ich wusste halt, ey, pass mal auf, also irgendwann mal schenkt man den Frauen
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ja Blumen, ja, meistens Rosen, gut, so, mit diesem Gedankengang bin ich dann halt das ist so, man hat diesen Gedanken, und auf einmal findest Du dich in dem Blumenladen und ich hab so ne langstielige Rose, ohne irgendwas dran gekauft, das Verliebtsein hat mich wahrscheinlich dazu hingetrieben, und also in den Blumenladen getrieben und dann ist-bin ich so in der Realität aufgewacht, hey! Dieses Kaff ist voll von Deinen Freunden,-wenn die Dich mit ’ner Rose sehen-, ey, boah, da bist Du erst mal die Pussy schlechthin. Also was hab ich gemacht, ich hab mir dieses Ding hier so in die Jacke geschoben, -den kompletten Arm verkratzt,-und bin dann zu ihr hingefahren (Em_880-896).
Von der Energie-Metapher her lässt sich auch die spezifische Funktion von Musik erhellen, die nicht nur in diesem Interview zur Thematisierung von Verliebtheit und Liebe herangezogen wird (vgl. auch Sommerfeld-Lethen 2008). Dabei werden zum einen Begegnungen und Situationen mit der Partnerin an Liebeslieder geknüpft, die sowohl die Stimmung in einer speziellen Situation erinnerbar machen, als auch für die Beziehung selbst stehen können („wenn du dir das einmal auf die Fahnen geschrieben hast, sozusagen, wie in deiner Beziehung ein Liebeslied“ Em_504ff.). So bleiben Liebeslieder auch „bestimmten Leuten vorbehalten“ (Em_566), die man notfalls auch mit dem Ende der Beziehung „abgeben muss“ (Em_557), da ihre stellvertretende – metaphorische – Position die unangenehme Erinnerung an Verletzung und Schmerz aufruft: KJ: Und, kannst Du die jetzt wieder hören? E: Ich äh, vor bestimmten Liedern drückt man sich. (Em_560-562)
Aus dieser engen Verknüpfung von Liebeslied und Liebessituation, die in ein gegenseitiges Verweisungsverhältnis gebracht werden, ergibt sich zum anderen auch eine anzeigende Funktion der Liebeslieder für den Stand der Beziehung: Ich, ich denk ähm, Musik ist halt bei mir immer irgendwie so den, den es, das ist so ein Part, der immer dazu gehört, und mit dem ich mich auch regelmäßig so überprüfen kann, wie ich, was ich grad so brauch, ne. Ähm, und, ja das ist dann wirklich so, dass man dann ähm, wenn du das so wegzappst und dich dann später fragst, warum hast du das warum hast du weiter gedrückt, oder warum wolltest du das jetzt nicht hören? (Em_534-539)
So, wie ein Lied metaphorisch für eine Beziehung steht und diese sich in ihm ausdrücken und nacherlebt werden kann, wird auch die veränderte,
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verschwindende oder irritierende Verliebtheit über das Medium der Musik erfahrbar. Während also die Liebeslieder sowohl eine Wahrheit auf vorrangig textlicher Ebene stellvertretend anzeigen, liegt in ihnen auch eine andere Wahrheit, indem sie ähnlich wie die Energie als Gradmesser dienen, der die Verliebtheit und das eigene Verhältnis dazu befragen kann. Schließlich werden neben analogisierenden und metaphorischen Thematisierungen der Verliebtheit und Liebe vor allem entlang der Linie einer love story Strukturierungen aufgenommen, die den erzählten Begegnungen und Erlebnissen nicht nur eine Rahmung, sondern auch eine spezifische Herausgehobenheit verleihen können, wie dies eine andere Interviewpartner vornimmt: Zum Beispiel bin ich mal um jetzt mal ganz konkret ein Beispiel zu nennen, ich bin in Schottland und hab mich, und hab dort auf ’ner Farm gearbeitet und hab mich- in einen von diesen ähm Schäfern dort verliebt und er sich offenbar auch in mich und äh, wir mussten also dann mal da Schafe zusammen treiben, also da irgendwie über so ein riesen großes Gebiet laufen und die Schafe in eine Richtung treiben uuund bei der Gelegenheit äh, natürlich musste das alles auf Englisch leider stattfinden und da war ich da noch nicht so fit und, ja, bei der Gelegenheit fing er halt an, sich mit mir zu unterhalten und so weiter und ich war total nervös und hab mich gefragt, obwohl ich da jetzt eigentlich da schon ne Weile gewesen war und mein Englisch sich auch verbessert hatte und ich eigentlich da auch schon ganz gut sprechen konnte, warum ich’s auf einmal jetzt dann doch wieder so unheimlich schwer fand und ähm ich hab also er hat mir ganz viele Fragen gestellt und so weiter und ich hab nur total kurz geantwortet, obwohl das eigentlich auch gar nicht so mein Ding ist, ich bin dann eigentlich auch sehr offen und erzähle viel, wenn ich normal bin, sag ich mal, und da war es auf einmal überhaupt nicht so und ähm, zum Glück hat er immer weiter gefragt und hat das Interesse dabei nicht verloren, das war die ganze Zeit über meine Sorge, nämlich, was kann ich ihm denn nur erzählen, aber ich konnte irgendwie nicht und hatte Angst-wovor man auch Angst hat, ähm, oder ich ganz konkret Angst hatte, war, dass ich irgendwas sage, dass mir entweder dass ich irgend ’nen Hobby hab oder irgendeine oder irgend ’ne Vorliebe oder so was von mir preisgebe, die bei dem andern auf total Unverständnis stößt, ne, und das wäre in dem Fall ja auch viel möglich gewesen, weil unsere Welten ja total verschiedene gewesen sind, ne, irgendwie, ich komme aus der Stadt und studiere und was weiß ich, ne, das sind alles so Dinge von denen er im Prinzip nichts wusste, ne, das Leben war ein komplett anderes und im Prinzip war ich ja schon anders, indem ich versucht hab, mich in die-
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sem Leben einzufinden dort, ne, also mitten auf dieser Farm in der, in the middle of nowhere, ne. (Pw_49-79)
Narrativierungen über die story line der Liebesgeschichte, die entweder an fremden Orten, oder aber in unmöglichen Konstellationen, jedoch meist mit außergewöhnlichen und herausragenden Ereignisketten in Verbindung gebracht werden, geben dabei einen prädestinierten Thematisierungsweg ab, wie nicht nur die ‚Italienromanze‘ in Erinnerung ruft. Ebenso lassen sich ganz verschiedene Varianten des Topos ‚unmögliche Konstellation‘ finden: Es ist, es war mir einfach nur so klar, das bestimmte Dinge einfach nicht er hat einfach meine Kriterien, die ich an einen Traummann hatte, nicht erfüllt und deshalb kam er eigentlich nicht in Frage […]. (Pw_569ff.) […] dass ich mit meinem Freund zusammen bin, ähm, seit letztem Jahr Oktober. Wobei vorher wir auch so ne Affäre hatten, sag ich jetzt mal, ähm, und das eigentlich auch vom ähm, von mir aus so als Affäre angesehen wurde, weil ich in ’ner anderen Stadt war und wusste, ich ziehe um. So, und dann bin ich umgezogen, und dann hat sich aber, ähm, daraus so gesehen, ne Beziehung entwickelt, was ich nicht gedacht hätte, aber, ja. (Gw_66ff.) […] hätt ich eigentlich nie gedacht, dass ich mal jemanden irgendwie auf ’ner Party kennenlerne, und dann wirklich auch sich da so richtig was draus entwickelt, also und ähm, im Prinzip war es so, dass wir an sich schon ähm, ziemlich, am Anfang schon ziemliche Querelen hatten. (Nw_22ff)
Ferner lässt sich auch ein großes Reservoir verfügbarer Beispiel- und Erfahrungsberichte im Sprechen über Verliebtheit und Liebe aufrufen: G: Also, (5 sec.) Na ja, (5 sec.) Also ich glaube, ich versteh die Frage -nicht-. KJ: H-hm. Na, Du hast das vorhin so ein bisschen angedeutet, dass sozusagen Du schon, also dass das auch, ne Aufregung war, dann auch mit Freundinnen das zu besprechen, oder so. Und die Frage-also meine Frage ist, ist das was, was wichtig ist für das Gefühl? Also, dass man das, was da selber in einem abgeht, dass man das irgendwie auch wahrnehmen kann, oder begreifen kann oder keine Ahnung. Oder gibt’s andere Sachen wie ähm, also mir geht das zum Beispiel so, wenn ich merke, daran merk ich zum Beispiel, dass ich verliebt bin oder so, oder dass, äh, naja, das ist dann schon mehr als verliebt sein, dass ich da-also, so ein Quatsch wie, ach das ist, der hat das und das Horoskop und ich bin-alsoG: Hm.
I NTERVIEWS ZU L IEBE UND V ERLIEBTHEIT | 199
KJ: -so'n Kram, dass man, auf einmal so, auf so was total abfährt und denktG: Hm. KJ: -Oahr das passt ja! - oder so. G: Ach so. KJ: Dass man da nach so Sachen sucht(.) die, eigentlich soG: Also sowas, ja. KJ: Also, weiß ich nicht, aber, also, ist die-worum geht es zum Beispiel, wenn Du mit Deinen Freundinnen darüber redest? Oder wie redet Ihr darüber? (Gw_357376)
Oder auch in anderer Weise: M: […] oder ein anderes Beispiel, ne andere Freundin, die ist halt auch so übelst, hat so ein offenes Herz übelst und erzählt jedem ihre Probleme und ähm, teilt alles, was irgendwie ihr, ihre Seele und ihren Geist angeht, und die kann mir eigentlich jede Woche erzählen, dass sie neu verknall-also die sagt immer so, ach, ich muss dir unbedingt was erzählen, ich hab ’nen Jungen kennen gelernt, ich hab mich verliebt und so, deswegen denk ich schon mal, dass ähm, diese emotionale Schiene irgendwie, die muss auf jeden Fall da sein, diese emotionale Bereitschaft, ähm, mit jemanden, was eingehen zu wollen, und mh, äh, jemanden kennen zu lernen, mit jemanden zusammen zu kommen und so was, und, ich äh, aber andererseits hab ich eigentlich auch Verständnis, wenn jemand sagt, ich will, ich will eigentlich alleine bleiben, ähm, dass es den halt auch voll packen kann. So, also wie’s mal, wie man’s halt aus -dem Fernsehen kennt und soKJ: -H-hmM: Aber das ist dann auch-also das ist unter meinen Freunden auch schon vorgekommen, dass sich da jemand verknallt hat, obwohl das bei dem überhaupt gar nicht gepasst hat. so, also, im Zeitplan und blablabla. Und der dann alles über Bord geschmissen hat weil er halt einfach verknallt war und das war halt dann so ne richtige love-story, irgendwie, und, und wenn er rational hätte handeln können, dann hätt er’s nicht, dann wär er das nicht eingegangen, weil das ist halt irgendwie schon, ein Stückchen von der Zukunft, also blablabla mit Studium und sowas, aufgegeben hat und Karriere und dödödödö aber er hat’s halt gemacht, weil er sich, verknallt hat. (Mw_695-717)
Nicht selten werden von den Interviewten und der Interviewerin gleichermaßen diese Analogien sowohl als Gegenbeispiele, als auch als unterstützende Beispiele angeführt, so dass Liebe und Verliebtheit als Figuration figuriert wird, die als „primäre Kategorie menschlichen Lebens“ (Niekrenz
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2008: 12) vielfältige und unzählige Thematisierungsweisen und Verknüpfungen um sich versammeln könne. Gleichwohl rufen die verschiedenen Formen des Aufschubs, der metonymischen Thematisierung über Umwege, Ersatzthemen, Beispielgeschichten und metaphorischen Analogien nicht allein ein ubiquitäres und weites Spektrum dessen auf, was über und mit der Liebe gesagt werden kann. Die Formen der aufschiebend-metonymisch und schließend-metaphorischen Sprechweise re-autorisieren dabei zugleich die außeralltägliche und damit bedeutsame Qualität der Verliebtheit, deren Relevanz sich in allen Lebensbereichen und in den banalsten Kleinigkeiten ausmachen lässt. So erlaubt die Liebes- und Verliebtheitsthematik einerseits eine story line der Thematisierung sehr verschiedener Sachverhalte, wie zugleich diese Thematisierungsweisen Verliebtheit als Sternstunde einer seltenen, außeralltäglichen und deshalb umso bedeutsameren Angelegenheit in den Blick rücken, die aufgrund ihres unwägbaren und unbestimmten Charakters bestimmende und dennoch erneut aufschiebende Sprecheinsätze ermöglicht und erfordert.
5. Artikulationen von Unbestimmtheit(en): ‚Wahrsprechen‘
Die vorgenommen Analysen der Konstitutions- und Figurationslogiken von Verliebtheit und Liebe sowohl im theoretisch-wissenschaftlichen Genre als auch in den Interviews lassen sich in ihrem Ergebnis als Varianzen der Figurierung eines herausgehobenen, unwägbaren und offenen Sprechanlasses pointieren. Während in wissenschaftlichen Verständigungen und theoretisierenden Zugriffen auf (mindestens) zweierlei Weise der Liebe und Verliebtheit eine Unbestimmtheit zugewiesen wird, leitete die Analysen der wissenschaftlich-theoretischen Zugänge wie die der Interviews die Frage danach, wie diese Unbestimmtheit als konstitutives Moment eingeführt und variiert wird – mithin: wie diese ‚Unbestimmtheit‘ zugleich als ein schließendes wie öffnendes Moment im diskursiven Terrain der Liebe und Verliebtheit fungiert. Formen wissenschaftlich-theoretisierender Zugänge rufen dabei beispielsweise in kategorisierenden Zugriffen die Liebesthematik als besonders relevante Erfahrungsdimension auf, an der sich nicht nur die theoretische Brauchbarkeit des jeweiligen Ansatzes beweisen kann, sondern zugleich stets das jenseits dieser Zugriffe liegende ‚Eigentliche‘ oder ‚Andere‘ von Verliebtheit und Liebe autorisiert wird. Bestimmendes und kategorisierendes Sprechen über die Liebe erhält mithin Geltung im Aufweis eines jenseits begrifflicher Zugriffe Liegenden, so dass sich Bestimmungsversuche nur vor einem Horizont der Unbestimmtheit ereignen können, der als das ‚Eigentliche‘ in seiner Zauberhaftigkeit, Mysteriösität, Unzugänglichkeit (s)einen Wahrheitswert erhält. Gleichermaßen verweisen davon zu unterscheidende Formen wissenschaftlich-theoretisierenden Sprechens in der
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Zurückweisung jeder Verallgemeinerbarkeit und der Eingrenzung des Geltungsbereichs hinsichtlich subjektiv(ierend)en Sprechens auf eine anders gelagerte spezifische Bestimmung von Verliebtheit und Liebe als ‚unbestimmt‘. Die dargestellten Versuche, charakteristische, dem liebenden und verliebten Sprechen/Erfahren analog gesetzte Formen – wie etwa Poesie, Un-Ordnung, Geschichten, Figuren – identifizieren sowohl den atopischunbestimmten Charakter der Verliebtheit und Liebe wie sie zugleich ein subjektiv(ierend)es Moment des Sprechens in und um das diskursive Terrain der Verliebtheit und Liebe als angemessenes Sprechen mit Wahrheitswerten ausstatten. Diesen Thematisierungshinsichten gemeinsam ist ein ontologisierender Gestus des Aus- und Zuweisens der ‚unbestimmten‘ Charakteristik von Liebe und Verliebtheit. Diese bringt nicht allein eine selbstidentische und essenzielle Wesenheit von Liebe und Verliebtheit hervor, sondern verweist zugleich auf Autorisierungsgesten des Wahrsprechens im diskursiven Terrain um Verliebtheit und Liebe. Sowohl das Aufrufen eines nicht im Begrifflichen aufgehenden ‚Unbestimmten‘ als auch das Verbot der Verallgemeinerbarkeit spielen dabei zusammen, indem sie subjektiv(ierend)es Sprechen in verschiedenen Formen als Kriterium des Sprechens über Verliebtheit und Liebe ausweisen und autorisieren. So werden die eigenen Erfahrungen, von denen mittels der ‚ernüchternden‘ Theoriesprache systemtheoretischer Provinienz (P. Fuchs, Luhmann) abzusehen sei, ebenso wie verwirrt-diskurrierendes (Barthes), ‚paranoid‘-subjektives (Kristeva) Sprechen in – als der Theoriesprache gegenüberstehend gesetzten – Formen von Poesie, Erzählung, Lyrik äquivalent figuriert hinsichtlich der Möglichkeit, etwas ‚Wahres‘ über Liebe und Verliebtheit sagen zu können. Die rhetorischdiskurstheoretisch inspirierte Perspektive auf die Konstitution von Verliebtheit und Liebe verweist demgegenüber darauf, dass ‚Wahrsprechen‘ sich nur vor dem Hintergrund ausschließender Bewegungen von ÄquivalenzDifferenzlogiken ereignen kann. Schließungsversuche im Zuweisen eines spezifischen Charakteristikums von Verliebtheit und Liebe – der Unbe s timmtheit – ereignen sich mithin nur vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit, vollumfängliche Geltung (Totalität) erreichen zu können. Schließungsund Bestimmungsversuche erzeugen neue Schließungen, da sie sich sowohl auf die Unabgeschlossenheit beziehen, als auch die Unschließbarkeit (Unbestimmbarkeit) stets erneut durch die Verfehlung einer totalen Schließungsbewegung prozessieren. Von dieser Dynamik her lässt sich nicht nur
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das Gewicht von Bestimmungsversuchen subjektiv(ierend)er Einsätze, sondern auch die Generativität der vielfältigen, gegenläufigen, ausufernden Bestimmungsversuche verstehen. Drei analytische Figurationen der Thematisierung von Verliebtheit und Liebe im Rahmen von Interviews wurden dabei in ihren Variationen untersucht, so dass die Generativität der gerade nicht semantisch-ontologischen Einheiten entsprechenden Figurationen von Verliebtheit als ‚Sternstunde‘, Verliebtheit als ‚Unwägbarkeit‘ und Verliebtheit in metonymisch-metaphorischen Aufschüben in den Blick genommen werden konnte. Diese drei exemplarischen Figurationen erheben nicht den Anspruch, das Terrain um Liebe und Verliebtheit vollends er- oder durchmessen zu haben. Dieses Terrain besitzt kein Zentrum und keine Grenze, die definit und dauerhaft stabilisiert werden könnten. Die drei Figurationen zeigen sowohl in ihrem Zusammenspiel als auch in ihren Varianzen möglicher Füllungen auf, wie verschiedene Thematisierungshinsichten die Konstitution und Re-Autorisierung eines ‚unbestimmten‘ Liebesmotivs leisten. Die Verliebtheit und Liebe als ‚Sternstunde‘ lassen sich über deren Seltenheit, Außeralltäglichkeit und (auch in Relation zur Liebe) Momenthaftigkeit hervorbringen. Gespeist wird dies von einer nicht dauerhaften, situativen, teleologisch sich entfalteten Logik, die nicht nur sich selbst hervorzubringen und zu belohnen scheint, sondern zugleich in ihrer ‚Unwägbarkeit‘ Frage-, Entscheidungs- und Differenzierungseinsätze ermöglicht. Diese beziehen sich dabei nicht allein auf die Verliebtheit und Liebe selbst, sondern lassen diverse analogisierend-metaphorische Thematisierungen äquivalent werden, so dass nahezu alles anhand und über Verliebtheit und Liebe thematisierbar wird. Diese Figurationen verweisen aufeinander: Aus der teleologischen Eigenlogik der Verliebtheit ergibt sich ihr seltener, dadurch jedoch besonders relevanter, Status, der sich in den aufschiebenden Äquivalenzthematisierungen der eigenen Relevanz und Uneindeutigkeit versichert. Werden Liebeslieder, Surfen und Beispielsammlungen für die Thematisierung von Verliebtheit und Liebe relevant gemacht, erzeugen sie sowohl die außeralltägliche Bedeutsamkeit einer flüchtigen ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘, derer sich auch in differenzierenden und selbstthematisierenden Frage- und Differenzierungseinsätzen vergewissert werden muss. Alle drei Hinsichten rufen eine ‚existenziell‘ anmutende Bedeutsamkeit auf, die über variantenreiche Thematisierungseinsätze die Generativität einer sich als ‚unbestimmt‘,
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‚bedeutsam‘ und ‚riskant‘ konstituierenden Angelegenheit anzeigen. Den Möglichkeiten, sich dieser im besprechenden und bestimmenden Modus neu-einsetzend, vervielfältigend, verfehlend zu nähern, korrespondieren die Notwendigkeiten, differenzierende, entscheidende und fragende Einsätze zu finden. Ermöglicht und verlangt werden dabei Einsätze subjektiv(ierend)en Sprechens, Selbstbefragungen, Inszenierungen, Selbstpraktiken – ein vielfältiges und variantenreiches Feld der Selbstthematisierung eröffnet sich und wird notwendig angesichts der konstituierten Bedeutsamkeit des Sprechens im diskursiven Terrain um Verliebtheit und Liebe. Das Begehren und die Lust am Sprechen gehen miteinander einher, versuchen sich am sich stets entziehenden und aufgeschobenen ‚wahren‘ Kern, dem beizukommen der Herausforderung wie der scheiternden Produktivität des Sprechens im diskursiven Terrain der Verliebtheit und Liebe Bedeutsamkeit verleiht. In dieser Hinsicht interessierten sich die hier vorgestellten Analysen für die Generativität in der Konstitution eines sich in seiner ‚Unbestimmtheit‘ als wahr autorisierendem diskursiven Terrains von Verliebtheit und Liebe. Leitend war dabei die Frage, über welche Verknüpfungen, welche Konstellationen, welche Verkettungen von dem nicht vorab definierten ‚Gegens tand‘ der Liebe und Verliebtheit gesprochen wird. In den spezifischen Figurierungen und Figurationen des diskursiven Terrains um Liebe und Verliebtheit wird dabei eine oszillierende Dimension jenes ‚Wahrsprechens’ bemerkbar:1 ‚Wahrhaftiges‘ Sprechen autorisiert sich in diesem Terrain im Aufrufen spezifischer Figuren und deren Platzierung und Füllung, die zugleich das Terrain re-figurieren, in dem diese (an-)erkennbar sind. Diese Erkennbarkeit bezieht sich mithin zunächst auf die Gegenständlichkeit von Liebe und Verliebtheit, die auf je spezifische Weisen konstituiert wird. Die Verbindung von Erkennung und Anerkennung verweist dabei jedoch auf ein weiteres Moment der ‚wahrsprechenden‘ Bewegung im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit: Neben der ‚Unbestimmtheit‘ wird als ein wesentliches Diskursmoment die Positionierung von ‚Subjektivität‘ eingebracht, die auf vielfältige Weisen, wie etwa über das Verbot von Verallgemeinerbarkeit, über die Dichotomisierung von Theorie und Alltags-
1
Die weitläufigen Einsätze Foucaults zur Situierungen des ‚Wahrsprechens‘ bzw. parrhesia können an dieser Stelle nicht angemessen aufgenommen werden (vgl. dazu u.a. Foucault 1996b, 2010 sowie Bezugnahmen darauf im Hinblick auf die Frage der Kritik: bspw. Bröckling 2010, Kubac 2011).
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welt, über die Eingrenzung von Geltungsbereichen des Sprechens auf den singulären Erlebnishorizont oder auch über die Aufladung des liebenden Sprechens mit ‚Authentizität‘ vorgenommen wird (vgl. dazu insbes. Herma 2009). Die (An-)Erkennbarkeit des Sprechens bezieht sich mithin nicht allein auf die Gegenständlichkeit des Gegenstandes ‚Liebe‘/‚Verliebtheit‘, sondern muss sich auch als Sprechen eines Subjektes erkennbar geben. In diesem subjektiv(ierend)en Sprechen liegt mithin eine Notwendigkeit, die Effekte hinsichtlich spezifischer Figurierungen von Subjektivität in diesen Positionierungen des Elementes ‚Subjekt‘ im diskursiven Terrain mit sich bringt:2 Dieses Sprechen muss sich nicht allein in einer metaleptischen Bewegung der nachträglichen Hervorbringung seiner selbst als Ursache dieses Sprechens erkennbar geben, sondern wird zugleich mit der Bedingung eines ‚wahrhaftigen‘ Sprechens verknüpft, um (an-)erkennbar zu sein. Die unmögliche Schließung der Signifikanten ‚Liebe‘ und ‚Verliebtheit‘ konstituiert und iteriert mithin nicht allein eine Lücke im soziosymbo-
2
An dieser Stelle ließen sich die Analysen weiter treiben bezogen auf die Frage, worin je verschiedene Figurierungen von Subjektivität und deren Positionierung im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit bezogen auf je spezifische Selbstverhältnisse, Selbstreferenzen oder Selbstthematisierungen unter den analytischen Figurationen von ‚Sternstunde‘, ‚Unwägbarkeit‘ und ‚Erzählanlass‘ bestehen könnten. Denkbar wäre, in einem so anvisierten zusätzlichen Analyseschritt, die Varianzen subjektiv(ierend)er Positionen im Terrain um Liebe und Verliebtheit bezogen auf bspw. Praktiken oder Technologien des Selbst zu untersuchen, die hinsichtlich der Außeralltäglichkeit, der Unabsehbarkeit, der metonymisch-metaphorischen Thematisierung differieren und sich überlagern könnten sowie Unterschiede auch bezogen auf die Notwendigkeit der Ausweisung des Sprechens als eines Sprechens von ‚Subjekten‘ über die Figurierung von ‚Authentizität‘ hinaus analysierbar werden ließen. Eine solche Analysearbeit würde den vorliegenden Arbeitsrahmen sprengen, jedoch bezogen auf die Perspektive um Relationierungen von Subjektivität und Sozialität ein weiter führendes Analysepotenzial implizieren. Dies zu verfolgen wäre viel versprechend in theoretischer und empirischer Hinsicht bezogen auf differierende Figurierungen von Selbst, Subjektivität und Selbstreferenzen. Eine solche Untersuchungsperspektive würde sich diesseits einer Adressierung von Subjekten als Letztvergewisserungsinstanzen ebenso wie diesseits strukturalistischer Erklärungshorizonte bewegen.
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lischen Horizont, auf die hin einsetzend sich das Sprechen beziehen und mit subjekt(ivierend)en Effekten einhergehen kann. Zugleich unterliegt die so figurierte Subjektivität, um an-erkennbar zu sein, einer spezifischen Füllung, die Subjektivität in ein Selbstverhältnis verstrickt, das sich hervorbringen muss. „Es geht um eine Praxis, in der das Subjekt im Eingeständnis der Wahrheit erzeugt wird“ (Reh 2004: 179) formuliert Sabine Reh bezogen auf Foucaults ‚Begehrenssubjekt‘. Insbesondere die Studien Foucaults zur Etablierung eines Wissensbereiches um den Sachverhalt ‚der‘ Sexualität herum lassen sich für die Überlegungen hinsichtlich eines Bereiches ‚der‘ Verliebtheit/Liebe aufnehmen, indem von der Naturalität und Dignität eines solchen Gegenstandes abgesehen wird. Inspirationen lassen sich zudem vor allem bezogen auf die Etablierung eines ‚Regimes der Wahrheit‘ finden: Wird die Rede über Sexualität besonders dann möglich und produktiv, wenn sie unter den Vorzeichen des Verbotenen steht und mithin als Geheimnis figuriert wird, lässt sich für ‚die‘ Liebe zeigen, dass es einen ähnlichen Motor der Produktion von Rede zu geben scheint: Erst wenn die Unmöglichkeit der Rede über Verliebtheit und Liebe angezeigt wird und damit ‚Wahrsprechen‘ über Liebe nur unter den Vorzeichen ihrer Verfehlung und des Entzugs eingeführt wird, kann das Sprechen über Liebe und Verliebtheit ermöglicht werden und zugleich eine enorme Produktivität entfalten. Die Ähnlichkeitsbeziehung von ‚Begehrens-‘ und ‚Liebessubjekt‘ kann darin gesehen werden kann, sich im Sprechen einer Wahrheit des Begehrens ebenso wie der Liebe zu verpflichten. Auch dieser Zwang zu und dieses Erfordernis einer selbstbezüglichen Subjektivität unterliegt jedoch der iterativen Logik, die sich im Spannungsfeld bestimmend-schließenden und öffnend-verfehlenden Changierens ereignet – mithin unkontrollierbaren Effekten des Signifizierens-Resignifizierens unterliegt. Weder stellt sich mithin Verliebtheit als Verliebtheit, Unbestimmtheit als Unbestimmtheit, noch Subjektivität als Subjektivität dar – in den jeweiligen Figurierungen von Verliebtheit, Liebe, Unbestimmtheit und ‚subjektiv(ierend)en Momenten‘ werden diese je erneut und anders gefüllt, gehen mit differierenden Verknüpfungen einher und generieren in auf- und verschiebenden Setzungen zugleich die Versuche, dem ‚Eigentlichen‘ der Verliebtheit und Liebe auf die Spur kommen zu müssen. Die sich dabei zeigenden Bestimmungs- und Füllungseinsätze ereignen sich vor dem Hintergrund einer unmöglich total werdenden Bestimmung – sie produzieren dabei nicht allein das Scheitern und neu einsetzendes Begehren nach Schlie-
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ßung, sondern zugleich reproduzieren sie öffnende, verzweigende, verschiebende Momente – diese können als subjektiv(ierend)e Momente verstanden werden. Die Notwendigkeit re-autorisierenden, re-signifzierenden, aufschiebenden und iterativen Sprechens generiert mithin die Unabschließbarkeit des diskursiven Terrains erneut und verweist auf eine Subjektivität, die zwischen Notwendigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit schillert – diese Perspektive auf Subjektivität in Relationierung zu Sozialität lässt sich genauer nun vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Einsätze verfolgen und exemplarisch auf Fragehorizonte im Terrain pädagogischen Sprechens beziehen.
III Artikulationen von Unbestimmtheit(en): Relationierungen von Subjektivität und Sozialität – ein Ausblick
6. Relationierungen von Subjektivität und Sozialität – Zusammenfassende Fokussierungen
Die im vorangegangenen Abschnitt vorgenommenen Analysen zum Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit nehmen ihren spezifischen Einsatzpunkt von einem diskurstheoretisch-rhetorisch inspirierten Horizont aus. Sie verweisen dabei auf einen Zusammenhang von Sozialität und Subjektivität, der sich entlang der Figurierung von ‚Wahrsprechen‘ in diesem Terrain schärfen lässt. Die Analysen zweier verschiedener Formate des Sprechens im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit arbeiteten dabei nicht allein Etablierungs- und Konstitutionsbewegungen des Gegenstandes ‚Verliebtheit‘ und ‚Liebe‘ heraus. Zugleich verwiesen sie stets auf die Re-Etablierung des diskursiven Terrains in der jeweiligen Verknüpfung, Verkettung und Platzierung spezifischer Figuren, die Sprechen in diesem Terrain (an-)erkennbar werden lassen. Das Aufrufen dieser Figuren – wie etwa ‚Unwägbarkeit‘, ‚Wachstum‘, ‚Verzauberung‘, ‚Authentizität‘ – signifiziert mithin zugleich diese Figuren wie es dieses spezifische Terrain (re-) signifiziert. Unter Rückgriff auf diskurstheoretisch-rhetorische Perspektiven lässt sich dieses Signifizieren insofern als ein Re-Signifizieren verstehen, da diesen Figuren keine wesensmäßigen, letztlich fixierten Bedeutungsgehalte eignen. Vielmehr konstituieren ihre je spezifischen Relationierungen und Verkettungen ihre Bedeutung und konturieren in diesen Figurationen das Terrain des Sagbaren und Unsagbaren je neu. Die Notwendigkeit der iterativen Re-Figurierung resultiert aus der Unabgeschlossenheit und Fragilität der Figurationen, die zwar mittels metaphorisch-katachrestischer Füll- und Besetzungsversuche schließende Bestimmungen erhalten, zu-
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gleich jedoch der Unmöglichkeit unterliegen, diese Schließungen in ihren Figurationen jemals stabilisieren und vollkommen fixieren zu können. Unter Zuhilfenahme rhetorischer Perspektiven lässt sich dies als ein unaustarierbares Verhältnis metonymisch-verschiebender und metaphorisch-einsetzender Bewegungen verstehen. Die Diskursivierungen von Liebe und Verliebtheit ereignen sich folglich als katachrestisch-metaphorische Schließungsgesten im diskursiven Terrain, welches sie in spezifischer Weise konfigurieren – worin ihre performative, d.h. auch machtförmige Relevanz in Form von strukturierenden Effekten in diesem Terrain zu verstehen ist. Zugleich beziehen sich diese nur vorläufigen – d.h. machtvoll durch Ausschlüsse und supplementierende Besetzungen wirksamen – Figurierungsbewegungen auf die Unausgefülltheit, Vorläufigkeit und Fragilität jeder Figuration, die ihren Bestand und ihre Unmöglichkeit nur in der iterativen Logik jeder Bedeutungsgebung erhalten kann – Sie ereignen sich mithin in der Bewegung zwischen Signifikation und Resignifikation, Polysemie und Dissemination, Regulation und Ereignishaftigkeit, Setzung und Verfehlung. Das sich auf diese Weise als ‚wahres‘ Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit erkennbar gebende Sprechen re-etabliert mithin Formen des Wahrsprechens, die sich auf die Gegenständlichkeit von Liebe und Verliebtheit und damit einhergehend auf das Terrain um Liebe und Verliebtheit beziehen. Da diese Umgrenzungen und Besetzungen des Sprechens um Liebe und Verliebtheit jedoch aus sich heraus keine dauerhafte Stabilität erzeugen können, wird dieses Terrain stets zugleich neu, auf- und verschiebend inauguriert. Das Sprechen in diesem Terrain unterliegt Wahrheitsbedingungen, die in den hier dargelegten Analysen auf Figurierungen von Verallgemeinerbarkeitsverboten, Überschüssigkeit der Semantik der Liebe, Geltungsbegrenzungen, Unbestimmtheit, Außeralltäglichkeit, Unwägbarkeit, Ubiquität, etc. hin spezifiziert werden konnten. Zugleich implizieren diese Figurierungen je spezifische Positionierungen von Subjektivität, die in Form von Entscheidungsmomenten, Selbstthematisierungen, Wahrheitsmomenten, etc. als relevante Diskurselemente des Sprechens über Liebe und Verliebtheit aufgerufen werden. Auf verschiedene Weisen wird mithin subjektiv(ierend)es Sprechen nahe gelegt, verlangt und ermöglicht. Es werden Verbote der Verallgemeinerbarkeit und der Zwang, der Liebe auf den Grund gehen zu müssen, artikuliert, ebenso wie ein spezifisches Verhältnis zu sich selbst erst Liebesfähigkeit hervorbringen kann. Ferner führt das Sprechen im Terrain um Liebe und Verliebtheit zu einer
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bekennenden und selbstbefragenden Subjektivität, die über Differenzierungen, Entscheidungsnotwendigkeiten und über Unwägbarkeiten eine Positionierung als erforderlich erfährt. Das Sprechen über Liebe wird in einem subjektiv(ierend)en Geltungsbereich umgrenzt, außeralltägliche Bedeutsamkeit wird zum Sprechanlass, in dem verschiedene Beispielgeschichten metonymisch-aufschiebend platziert werden. Gleichwohl diese Elemente zu je verschiedenen Diskursmomenten figuriert werden, deren Effekte in verschiedenen Hinsichten als machtvolle und instabile (Kon)Figurationen des diskursiven Terrains um Liebe und Verliebtheit erneute Figurierungen verlangen und ermöglichen, kann darin zugleich auch die Nahelegung und der Zwang zu einem subjekt(ivierend)en Sprechen ausgemacht werden – wobei über Effekte bezüglich der Selbstverhältnisse und Selbstreferenzen der Interviewten analytisch keine Aussagen zu treffen sind. Wahrsprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit bezieht sich mithin nicht allein auf die Gegenständlichkeit von Liebe und Verliebtheit, die sich in diesem Terrain autorisiert, wie sie auch dieses Terrain zugleich re-autorisiert. Vielmehr legt das Regime des Wahrsprechens im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit ein spezifisch subjektiv(ierend)es Sprechen nahe, dessen Effekte bezogen auf sich vollziehende Selbstreferenzen auf der hier angelegten Analyseebene hinsichtlich der Konstitutionslogik von Verliebtheit und Liebe nicht ohne supplementierende Unterstellungen abgesehen werden können. Bezogen auf diese Ebene des ‚Wahrsprechens‘, kann unter Rekurs auf das Performativitätstheorem jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Selbstbezüglichkeit, die Nahelegung eines ‚authentischen Sprechens‘, ebenso wie die Aufforderung, im Sprechen der eigenen Singularität ‚Ausdruck‘ zu verleihen, indem man sich als jemand ‚komplett zu Berücksichtigenden‘ (P. Fuchs 1991) (an-)erkennbar zu geben hat, als Anrufungen verstanden werden können. Deren performative Qualität der Wirklichkeitskonstitution kann selbst dann noch Effekte zeitigen, wenn ihre Befolgung verfehlt wird. Nicht allein auf der Ebene der Signifikation des Liebes- und Verliebtheitstopos wird folglich die Generativität, in immer neuen Einsätzen, Liebe und Verliebtheit zu füllen, erzeugt. In den spezifischen Figurationen dieses diskursiven Terrains werden zugleich subjektiv(ierend)e Wahrheitsmomente eingeführt, die das Sprechen dahingehend anrufen, sich als ein ‚authentisches‘, ‚wahrhaftiges‘
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und ‚subjektives‘ Sprechen (an-)erkennbar zu zeigen.1 In diesen Anrufungen wird nahegelegt, in der als atopisch-unbestimmt figurierten Liebe eine Wahrheit, einen ‚eigentlichen Kern‘, eine ‚authentische‘ Position zu finden, so dass sich das Sprechen im diskursiven Terrain um Verliebtheit und Liebe als ein Sprechen ‚des Subjekts‘ ausweisen muss. Dieser Zusammenhang von performativer Äußerungspraxis, welche sich zu anderen diskursiven Elementen relational verhält, mit der dadurch sich ergebenden Konturierung des diskursiven Terrains, spannt das ‚Feld‘ auf, in dem Subjektivierungen erforderlich und ermöglicht werden. Die Analysen der Interviews und Theoretisierungen zu Verliebtheit und Liebe zeigen die Diskursivierungen eines heterogenen, unabgeschlossenen und gegenläufigen diskursiven Terrains. Die diskurstheoretisch-rhetorisch inspirierte Analyseperspektive stellt insofern einen geeigneten Analyserahmen dar, als sie nicht von einer Definitheit bzw. Schließbarkeit dieses Terrains ausgeht, sondern davon ausgeht, dass gerade jene zweifache ‚Unbestimmtheit‘ (als konstituierendes und konstitutives Diskursmoment) der Verliebtheit und Liebe den Raum bereitet, in dem sich Individuen zu dieser Unabgeschlossenheit und Vielfältigkeit verhalten müssen – Subjektivierungen mithin erforderlich und ermöglicht werden. Bezogen auf diesen Punkt, betont Sabine Reh unter Rekurs auf Judith Butler und Michel Foucault, dass „das Sprechen über sich selbst bzw. das Sich-Selbst-Sprechen zwar als Zwang zur Manifestation des Selbst verstanden [wird], ohne den das Subjekt im Rahmen einer vorgegebenen und gesellschaftlich konstituierten Adressierungsszene gar nicht er-
1
Die Differenzierung von Erkennbarkeit und Anerkennbarkeit bezieht sich in den hier vorliegenden Überlegungen auf die Bewegung der Iteration, die spezifische Figuren wie die der Diskursivierungen von Liebe und Verliebtheit (wie etwa Überschüssigkeit der Semantik, Unwägbarkeit, und insbesondere das Diskurselement ‚Subjekt‘) aufrufen muss, um erkennbar zu sein, und darin die Grenzen des Anerkennbaren im Sinne des ‚Wahrsprechens‘ erneut inauguriert wie verschiebt. Die Varianzen, Positionierungen und Überlagerungen der Figur ‚Subjekt‘ über verschiedene Figurationen wie etwa ‚Authentizität‘, ‚Einzigartigkeit‘, ‚Unverwechselbarkeit‘ wären ein weiter zu treibender Analyseschritt, der je spezifische Selbstverhältnisse und Selbstreferenzen in den Blick nähme.
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scheint […], dieses aber nicht notwendig mit der Suche nach einer vermuteten ‚inneren Wahrheit‘ als dem inneren Kern der Person identisch“ (Reh 2004: 179)
sei. Die ‚Innerlichkeit‘ der Subjektivität kann nicht Gegenstand und Fokus der Analyse sein, die über Selbstreferenzen und Selbstverhältnisse als Effekte des Sprechens keine Auskunft geben wird – wohl aber können Varianzen und Differenzierungen dieses Diskurselements ‚Subjekt‘ hinsichtlich seiner Figurierungen im Terrain um Liebe und Verliebtheit analysiert werden. Die hier analysierten Elemente eines sich etablierenden ‚Wahrsprechens‘, können zunächst jedoch darauf hinweisen, dass in diesem Fall ‚Wahrsprechen‘ in zweierlei Hinsicht verlangt (und ermöglicht) wird: das Sprechen als Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit erkennbar und als Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit anerkennbar werden zu lassen. Dieses Erfordernis, sich auf Varianzen von ‚Unbestimmtheit‘ beziehen zu müssen und dabei zugleich und stets subjektiv(ierend)es Sprechen auszuweisen, ist jedoch nicht entschieden oder definiert. Zwar konnten unter dem Aspekt ‚Wahrsprechen‘ die Zwänge der Diskursivierungen von Liebe und Verliebtheit herausgearbeitet werden, jedoch sind diese Zwänge keine definiten und trennscharf zu ziehenden Umgrenzungen. Auf diesen Punkt weist insbesondere Christoph Menke (2003) hin, der sich die Frage stellt, ob und worin ein kritisch-subversives Potenzial in den bei Foucault in mehrfacher Weise figurierten ‚Übungen‘ liege. Er weist in seinen Überlegungen dabei auf eine „Kippfigur“ dieser praktischen Übungen hin, die zwischen disziplinierender Einübung und ‚ästhetischer Existenz‘ changiere: Eine Unterscheidung von Übungen hinsichtlich ihrer unterwerfend-normalisierenden oder aber ihrer überschreitend-subversiven Effekte könne auf inhaltlicher Ebene gerade nicht getroffen werden: „Jede einzelne Übung kann ebenso disziplinierend wie befreiend sein; jede Übung, ja schon sich zu üben ist zweideutig. Es gibt daher keine Methode der Übung, der man folgen könnte, um der Disziplinierung zu entkommen. Nichts, keine Anleitung, aber auch kein Bruch mit jeder Anleitung, kann sicherstellen, dass man eine ästhetisch-existenzielle Übung ausführt.“ (Ebd.: 299)2
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Menke bezieht sich auf Foucaults Begriff der ‚Haltung‘, welche „nicht durch Entscheidungen erworben, […] sich auch nicht an Entscheidungen festmachen“
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Diese Figur des Oszillierens lässt sich bezogen auf das Moment des ‚Wahrsprechens‘ im Terrain um Liebe und Verliebtheit dahingehend verwenden, dass das Sprechen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit in einer Weise erkennbar werden muss, welche die Gegenständlichkeit von Liebe und Verliebtheit betrifft und im Besonderen als ein Element dieser Gegenständlichkeit auf ein ‚wahrhaftiges‘ Sprechen hin figuriert werden muss. Diese ‚Zwänge‘ im Sprechen über Liebe und Verliebtheit haben jedoch gerade keine ‚scharfen Ränder‘, sondern unterliegen Variationen sowohl bezogen auf ‚Unbestimmtheit‘ als auch bezogen auf ‚Subjekt‘, das in diesem Sprechen inszeniert und dargestellt werden muss. Varianzen von Subjektivität Vor dem Hintergrund der eingeführten ‚poststrukturalistischen‘ Ansätze lassen sich dabei verschiedene Perspektiven auf ‚Subjekte‘ bzw. ‚Subjektivitäten‘ ausmachen, deren Bezüge im Folgenden auf die Thematisierung von Subjektivität hin zusammenfassend geschärft werden sollen. Dies dient nicht nur einer zusammenfassenden Akzentuierung bezogen auf das Verhältnis von Sozialität und Subjektivität, sondern soll es im Anschluss auch ermöglichen, Frage- und Denkeinsätze im Horizont jener Relationierungen von Sozialität und Subjektivität markieren zu können. Diese Überlegungen zum diskursiv-rhetorisch verfassten Terrain des Sozialen in seiner performativen Qualität aufnehmend, lassen sich einige Linien schärfen, die vor allem unter der Perspektive auf Subjektivität den weiteren Gang der Studie bestimmen. Die Konsequenz aus der dargestellten diskursiven Qualität und Hervorbringung sozialer Wirklichkeiten3 (und damit sozialer und subjektiver
(Menke 2003: 299) lässt, um die Differenz zwischen disziplinierender Normalisierung und subversiver Überschreitung zu markieren – worin sich die Unentscheidbarkeit fortsetzt und eine weitere ‚Kippfigur‘ aufgerufen wird. Vgl. durchaus divergierende Bezüge auf Menkes Thematisierung der Differenz von Disziplinierung und ‚Befreiung‘ als auch bezogen auf die Frage der ‚Ästhetik der Existenz‘ (u.a. Weiß 2005, Brinkmann 2008, Thompson 2009). 3
Damit ist nicht beabsichtigt, die figurative, diskursive Qualität ‚der‘ Wirklichkeit als ein angemesseneres bzw. adäquateres Verständnis zu etablieren und damit ‚die Wirklichkeit‘ erfasst zu haben. Die Stilisierung der einführenden Über-
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Ordnungen bzw. Identitäten) besteht in einem Verständnis von Subjektivität, die nunmehr als paradoxale Bezugsfigur erscheint. Insofern sie jeder Substanzialität entbehrt, bleibt sie dabei ein unmöglicher Referenzpunkt. Weder kann sie also für die Selbstthematisierungen und -reflexionen einen sichernden Bezugspunkt abgeben, insofern jede Reflexion auf sich selbst immer schon von der verfehlenden Logik des Zugriffs mittels symbolischer Vergewisserungen affiziert wird. Auch kann eine so verstandene Subjektivität keinen sichernden Bezugspunkt bzw. keine Zurechnungsadresse abgeben, da sie als Effekt sozio-symbolischer Formierungen ‚Bestand‘ nur im Rahmen artikulatorischer Positionierungen haben kann.4 Als unmöglicher Bezugspunkt zwischen Öffnung und Schließung wird Subjektivität in der signifizierenden, d.h. performativ-figurierenden Bewegung platziert. Da diese Platzierung nicht fixiert werden kann und in diesem Sinne nicht vollends ausgefüllt ist, impliziert dieser setzende Akt einer Subjektadresse zugleich die Verfehlung dieses ‚Ursprungs‘ und dessen permanente Wiederholung und lässt ein komplexes Relationsverhältnis von soziosymbolischen Formierungen und Subjektivität in den Blick kommen. Von den symbolischen Formen des diskursiven Terrains im sprechenden Akt ins Sein gerufen, kann sich Subjektivität zu sich selbst und zu seiner Formiertheit stets immer nur im Medium dieser formierenden symbolischen Codes verhalten – Subjektivität stellt sich als ‚Effekt‘ machtvoller symbolischer Formierungen dar. Insofern jedoch Macht nur als Kräfteverhältnis ansetzen kann, bleibt auch ‚die‘ Macht auf die Subjektivität der Subjekte verwiesen (vgl. Bröckling 2007a: 20). Damit ist gemeint, dass die Konstitution von Subjekt(ivität)en sich in einem nicht durchmessbaren Feld ereignet, dass Figurierungen des diskursiven Terrains mit wirkmächtigen Anrufungen einher-
legungen als ‚Einsatz‘ soll markieren, dass unter den Vorzeichen der hier dargestellten Signifikationslogik die Rede von ‚der Wirklichkeit‘ eine unmögliche, zugleich jedoch notwendige Referenz ist, d.h. nur in gebrochener Form des Aufrufens einer Referenz, die sich zugleich als Referenz verunmöglicht und dennoch in dieser Gebrochenheit Effekte zeitigt. 4
Vgl. zu einer Kritik der Rede vom ‚Subjekt als Effekt‘ die Überlegungen Stephanie Gräfes (2010), die den ‚Eigensinn‘ von Subjektivitäten als jene Überschüssigkeit bzw. Unterbestimmtheit soziosymbolischer Formierungen diskutiert, dabei jedoch Gefahr läuft, eine idiosynkratische Sichtweise auf ein selbstverfügendes Subjekt erneut zu inaugurieren.
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gehen, die jedoch keine Definitheit erzeugen können, und dass diese nicht zuletzt für theoretisierende Bezugnahmen – wie etwa das Denken von Bildung oder die Frage nach kritischem Widerstand oder die Frage nach dem Ankerpunkt empirischer Analysen – Positionierungen von Subjekt(ivität)en erforderlich wie möglich werden lässt. Es ist dieses Spannungsfeld von Notwendigkeit und Unmöglichkeit des Bezugs auf ein Subjekt, welches ein Verständnis von Subjektivität nur unter der Bedingung ihrer machtvollen Hervorbringung im Rahmen performativer sprachlicher Einsetzungsakte, deren Setzung zugleich die Lücke im diskursiven Terrain erneut inauguriert, in den Blick zu bringen versucht. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach der Konstitutionslogik von Subjekt(ivität)en zur vordergründigen Fokussierung, deren Relevanz im Folgenden hinsichtlich empirischer Untersuchungen als auch bezogen auf Thematisierungen von Bildung und Subjektivität verfolgt werden soll. Zunächst seien jedoch einige Markierungen poststrukturalistischer Perspektiven stärker noch auf die Thematisierungen von Subjektivität in Erinnerung gerufen und geschärft. Michel Foucaults Arbeiten zum Verhältnis von Macht und Sozialität erarbeiten „nicht die Analyse der Machtphänomene […], vielmehr eine Geschichte der verschiedenen Verfahren […], durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden.“ (Foucault 1987: 243; kritisch dazu: Butler 2003a: 59ff.)
Foucaults Studien nehmen dabei ihren Einsatzpunkt von den heterogenen Formen, Techniken und Weisen, in denen spezifische Selbstverhältnisse und ein Selbstverständnis als ‚Subjekt‘ nahe gelegt werden. Diese Formierungen von Subjektivität erhalten ihre einschneidende Perspektivverschiebung durch Foucaults Situierung von Macht, die in formierenden Machtregulationen die generativen, d.h. anreizenden Momente einer Hervorbringung von Subjektivität sieht, wie dies besonders eindrücklich in den Studien zur Sexualität und der Formierung eines ‚Begehrenssubjekts‘ dargestellt wird. Foucaults Fokussierung auf Subjektivierung, die sich im Spannungsfeld von normalisierender Unterwerfung und ermächtigender Hervorbringung ereignet, analysiert jene ‚Technologien des Selbst‘, die Anreize liefern, Referenzen auf eine mit Innerlichkeit ausgestatte Subjektivität vorzunehmen. Über Geständnisse, Verbotsüberschreitungen, selbstreflexive Markierungen, etc. etablieren sich mithin Formen des Sprechens, die die Referenz auf sich selbst zum Wahrheitsmoment des Sprechens werden las-
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sen – auf dieser Linie lassen sich das Sprechen im Terrain um Sexualität und das Sprechen im Terrain um Verliebtheit und Liebe durchaus annähern. Bezogen auf diese Figurierung von Subjektivität in der Bewegung zwischen Unterwerfung und Hervorbringung ergeben sich analytische Perspektiven diesseits einer Fokussierung des „Subjekt[s] als Zurechnungsadresse“ (Nassehi 2008: 82), wie Ulrich Bröckling bezogen auf die im Anschluss an Foucault arbeitenden Gouvernementalitätsanalysen hervorhebt: „Die Genealogie der Subjektivierung lässt die Unterscheidung von Innen und Außen nicht fallen, doch statt Höhlenforschung oder Innenarchitektur der Seele zu betreiben, fragt sie danach, welche Wissensdispositive und Verfahren Menschen veranlassen konnten und können, ihr Selbstverständnis in dieser Weise topographisch zu bestimmen. Sie untersucht, wie ein Innen sich konstituiert, ohne es immer schon vorauszusetzen. Genau darauf zielt das Bild vom Selbst als Faltung, d.h. als mehr oder weniger flüchtige oder stabile Form des Sich-zu-sich-in-Beziehung-Setzens. Eine Falte bezeichnet ein Verhältnis von Innen und Außen, bei der beide Seiten nur von der Beziehung des anderen her zu denken sind. Das Innere ist nichts anderes als ein auf sich selbst zurückgewendetes Äußeres – und umgekehrt.“ (Bröckling 2007: 34)
Die Perspektive Foucaults akzentuiert Subjektivität als Effekt soziosymbolischer Figurationen, in denen spezifische diskursive Formationen spezifische Formen von Subjektivität nahelegen, umreißen und Anreize geben, sich als begehrendes oder liebendes Subjekt zu verstehen und hervorzubringen. Zugleich verweist Foucault neben der Perspektive auf die machtvollen Regulationsweisen dieser Subjektivitätsnormen auch auf Effekte, die in seinem Vokabular unter ‚Ereignishaftigkeit‘ rubrizieren. Die Referenz auf ein Selbstverhältnis, das sich etablieren und sich zu erkennen geben muss, um anerkennbar zu sein, zeigt sich mithin nicht allein als Erfordernis dieses Sprechens, sondern zugleich als Möglichkeit der Verschiebung, die sich mit der je ‚ereignishaften‘ Neu-Einsetzung eröffnet. Worauf Christoph Menke bezogen auf die zwischen Disziplinierung und Befreiung changierende Kippfigur der ‚Übung‘ bei Foucault aufmerksam macht, lässt sich mithin auf die ‚Technologien des Selbst‘ generell beziehen, insofern die Figur ‚Subjekt‘ in der unterwerfenden Hervorbringung konstituiert wird. Im Hinblick auf die Perspektive Foucaults beziehen sich Effekte im diskursiven Terrain nicht allein auf die machtvolle Normierung einer Subjektivität, sondern auch auf die damit einhergehende überschüssige Undeterminiertheit jeder Figuration – folglich auch derjenigen der Subjektivität.
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Judith Butler fokussiert in ihrer Lektüre Foucaults unter Bezug auf Jacques Derridas Iterabilitätskonzept eben jene Indeterminiertheit und paradoxale Bewegung der Subjektivierung als eine metaleptische Bewegung der grammatikalischen Figurierung einer Subjektadresse, die sich im Sprechen erst hervorbringt und zugleich auf sich als subjektivem Ursprung des Sprechens referiert. Unter performativitätstheoretischen Vorzeichen akzentuiert Butler mithin Subjektivierung als tropologische Bewegung der Konstitution eines ursächlichen Subjekts über die je neu zu zitierende Subjektivität, d.h. die Konstitution und Referenz des Nietzscheanischen ‚Täters hinter dem Tun‘ (vgl. dazu auch: Meyer-Drawe 1990). Subjektivierung ereignet sich mithin als Doppelbewegung der Setzung und Verschiebung, die das Subjekt unterwerfend hervorbringt, indem dieses als Ursprung und nicht als Effekt in Szene gesetzt werden muss. Die Performativität dieser Setzung bezieht sich dabei nicht allein auf die notwendige Inszenierung einer selbstreferenziellen Subjektivität. Sie bezieht sich zugleich auf die Unabgeschlossenheit und tendenzielle Leere, die jeder Norm eignet, wie unter Rückgriff auf die Signifikationslogik im Anschluss an Ferdinand de Saussure und dessen Weiterführungen durch Jacques Derrida gezeigt werden konnte: Die Hinweise Ferdinand de Saussures auf die Relationalität aller Bedeutung, die sich erst aus der Verkettung von Signifikanten, mithin gerade nicht aus einer wesensmäßigen Fundierung durch Signifikate wie ‚dem Subjekt‘, ergibt, wurden von Jacques Derrida auf die Unausgefülltheit jedes Signifikanten hin erweitert. Die Konsequenz aus dieser nicht über ein verankerndes Zentrum, nicht über das Dach eines Signifikates, nicht unter Ableitung eines fundierenden Wesenskerns fixierbaren Beschaffenheit eines Signifikanten besteht in der unabschließbaren Bewegung zwischen Füllung und Leerung, zwischen Besetzung und Verschiebung aller sinngebenden Bewegungen. Performativität bezieht sich mithin auf die Bewegung einer setzenden Referenz: der Konstitution von Bedeutung und des Terrains, in dem diese Bedeutung sich ereignen kann, der gleichzeitigen Konstitution von Referent und Referiertem, Text und Kontext. Diese unterliegt jedoch zugleich stets der verfehlenden Besetzung, insofern der Referent bzw. das Signifikat selbst unausgefüllt, mithin selbst „in der Position eines Signifikanten“ (Derrida 1983: 129) zu verstehen ist. Bezogen auf die Figur eines Subjekts wäre folglich zu präzisieren, dass auch die normalisierend-unterwerfende Hervorbringung zwischen Setzung und Verfehlung changiert, worauf Ulrich Bröckling pointiert hinweist:
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„Ein Subjekt zu werden ist etwas, dem niemand entgeht und das zugleich niemanden gelingt.“ (Bröckling 2007: 30)
Butler akzentuiert mithin die ‚Ereignishaftigkeit‘ jeder Äußerung, die Foucault (1992) zwischen ‚Prozessumformung und Prozesserhalt‘ situierte, unter Verweis auf die performative Dimension jedes Sprechens dahingehend, dass diese die notwendige Verfehlung in jeder Setzung bezogen auf die Norm der Subjektivität konstitutiv impliziert. Butler entfaltet dieses Argument in zweierlei Hinsicht: „Um zu sein, können wir sagen, müssen wir anerkennbar sein; aber die Normen in Frage zu stellen, durch die uns Anerkennung zuteil wird, bedeutet in mancher Hinsicht, sein schieres eigenes Sein zu gefährden, in seiner eigenen Ontologie fragwürdig zu werden, seine Anerkennbarkeit als Subjekt aufs Spiel zu setzen.“ (Butler 2003a: 64)
Eine sich aus der Möglichkeit von Verschiebung ergebende Perspektive auf ein anderes Sprechen an der Grenze des Sag- und Denkbaren, mithin die Möglichkeit von Kritik, diskutiert Butler jedoch nicht allein hinsichtlich resignifizierenden Sprechens, d.h. im riskanten Versuch, ein unautorisiertes Sprechen zu autorisieren. Vielmehr weist Butler darauf hin, dass diese ‚Norm‘ selbst unausgefüllt und nicht fixiert, folglich tendenziell leer ist – sie somit stets zu viel und zu wenig verspricht. Die Konformität mit der Norm wird selbst zur Bewegung der In-Frage-Stellung der Norm: „Ganz ähnlich könnten wir sagen, dass uns die Normbefolgung einen Augenblick lang die volle Anerkennbarkeit verleiht; da aber diese Normen begrenzt sind, erfährt man in der Konformität selbst das Zeichen seiner Beschränkung.“ (Ebd.)
Insofern bezieht sich das Verhältnis von Subjekt und Macht nicht allein auf die auch verfehlende, weil iterierenden Notwendigkeiten unterliegende, Unterwerfung in der Hervorbringung des Subjekts, dessen Effekt in der Verfehlung auch die Möglichkeit von Kritik, die Möglichkeit eines anderen Sprechens und die Möglichkeit eines anderen Seins impliziert. Butlers Hinweis auf die Leere der Norm kann auch so verstanden werden, dass kritisches Sprechen sich auf das „Versprechen dieser Norm“ (ebd., Hervorhbg. K.J.) bezieht, folglich auf die Unabgeschlossenheit, die jeder Norm inhärent ist und auf die hin machtvolle Ein- und Besetzungsversuche mit subjektivierenden Effekten einhergehen. Subjektivierungen ereignen sich mit-
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hin in der Bewegung zwischen der Möglichkeit und der Unmöglichkeit unterwerfender Normierungen.5 „Wenn ein Subjekt dadurch zum Subjekt wird, dass es in die Normativität der Sprache eintritt, dann gehen diese Regeln der Subjektbildung voraus und orchestrieren sie. Obwohl es in die Normativität der Sprache eintritt, existiert das Subjekt vor diesem Eintritt in die Sprache nur als eine grammatikalische Fiktion. Darüber hinaus hat […] dieser Eintritt in die Sprache seinen Preis: Die Normen, durch die das sprechende Subjekt als solches zu existieren beginnt, differenzieren das Subjekt vom Unsagbaren, d.h. sie schaffen das Unsagbare als Bedingung der Subjektbildung“ (Ebd.: 211).
Die Subjektivität des Subjektes lässt sich demnach als eine durchkreuzte, unabgeschlossene, als eine nur in diesem Raum zwischen Setzung und Verfehlung existierende Subjektivität verstehen. Die Rede von einem Subjekt nach der Subjektivierung, das Bild einer fixierten Konstitution des Subjektes, erscheint vor diesem Hintergrund als eine Verkürzung. Vielmehr wäre mit der Bezeichnung ‚Subjekt‘ – im Hinblick auf die Iterabilität jeglicher Sinnformationen, so auch sozialer Ordnungen und subjektiver Identitäten –
5
Ulrich Bröckling (2007) fasst diesen Aspekt der Nicht-Identität und Verfehlung in seiner Genealogie der Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst als den Imperativ der Marktlogik, anders sein zu müssen. Für ihn stellt sich nicht zuletzt die Frage danach, ob und welche Möglichkeiten vorstellbar sind, „anders anders“ (ebd.: 285) sein zu können, und der machtvollen Forderung danach, anders zu sein, widerständige und kritische Praktiken entgegen zu setzen, die nicht (sofort) Vereinnahmungs- und Ausweitungspol des unternehmerischen Imperativs werden. Als Formen eines anderen Seins, um „nicht dermaßen regiert zu werden“(Foucault 1992: 12) diskutiert Bröckling Depression, Ironie und Müßiggang. Bröckling deutet damit an, dass kritische Praktiken im Rahmen diskursiver Formationen die Platzierung als Subjekt gefährden, was Foucault unter dem Grenzkonzept der ‚Entsubjektivierung‘ fasst. Christiane Thompson diskutiert diesen Aspekt im Horizont des Erfahrungsbegriffs, den Foucault für diese Art von Kritik ins Spiel gebracht hat (vgl. Thompson 2009: 189ff.). Auch Butler (2006) macht für die Frage widerständiger Resignifikationsversuche darauf aufmerksam, dass diese damit einhergehen, an der Grenze des sozial Anerkennbaren, in der Gefährdung des eigenen Subjektseins zu sprechen (vgl. auch Bröckling 2010, Gräfe 2010 sowie Bröckling/Krasmann 2010).
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eine unaufhörlich zwischen Setzungen und Verfehlungen oszillierende Figur gemeint. ‚Subjekt‘ bezeichnet in diesem Verständnis folglich eine Figur, die als signifizierende Schließung ihre eigene Unschließbarkeit aufruft und erneute Schließungen (Re-Signifizierungen) generiert. Bezogen auf diese Schließungsbemühungen im diskursiven Terrain präzisieren die Arbeiten Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes die Figurierung von Figurationen, so auch derjenigen ‚des Subjekts‘, im diskursiven Terrain als einem durch Unschließbarkeit gekennzeichneten Terrain. Mit den signifikationstheoretisch-rhetorischen Argumenten Laclaus im Anschluss an Lektüren Derridas und de Mans lässt sich die Figurierung von Subjektivität als katachrestisch-metaphorische Bewegung der Setzung des ‚Subjekts‘ im Moment der Unentscheidbarkeit verstehen. Das ‚Subjekt‘ erscheint dann als supplementäre und ereignishafte Einsetzung, der sich symbolisch nur im Rahmen diskursiver Verständigungen genähert werden kann, die jedoch zugleich die unsignifizierbare Lücke stets erneut als Impuls und Verunmöglichung dieses Subjekts generieren (vgl. dazu u.a. Moebius 2005; Thompson 2007). Laclaus Anschlüsse an rhetorische Perspektiven akzentuieren dabei „[d]ie Unabschließbarkeit von Diskursen […] in denen der Mangel des Diskurses in Form von Unentscheidbarkeiten zu Tage tritt“,
wie Urs Stäheli (1999: 155) hervorhebt. Schließungsbewegungen verweisen mithin auf Positionierungen von Subjekt(ivität)en, die als unmögliche und dennoch notwendige Figurationen zu verstehen sind. Die Unmöglichkeit bezieht sich dabei auf ihre unabschließbare Konstituiertheit, ihre tendenzielle Leere und überschüssige Fülle, die der Subjektfigur stets neue Einschreibungs- und Besetzungsversuche abverlangt und zuweist, ohne diese jemals verankern bzw. fixieren zu können. Diese Schließungsbewegungen erzeugen strukturelle Effekte, wie etwa Positionierungen von Subjektivität, die jedoch nur inadäquat im Rahmen soziosymbolischer Vergewisserungen signifiziert werden können und nicht zuletzt damit auch die Unmöglichkeit totalisierender Normalisierung anzeigen. Laclaus Perspektive auf tropologische Bewegungen zwischen unmöglichen Polen, die er anhand verschiedener Relationen (Universalität–Partikularität, Differenz–Äquivalenz, Rhetorizität–Wörtlichkeit, ontologisch-ontisch, etc.) ausformuliert, lässt sich auch für die hier aufgerufenen Figurationen von Subjektivität verwenden: Subjektivität ereignet sich mithin weder als rein normalisierend-diszipli-
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nierende Einsetzung im sozio-symbolischen Horizont, ebenso wenig als Gründung und Konstitution eines autonomen Vernunftsubjekts, das sich der sozialen Ordnung gegenüber verhalten und distanzieren könnte. Die Unmöglichkeit beider Pole, das Aufrechterhalten und unmögliche Austarieren ihres Gleichgewichts jedoch zeitigt Effekte, die sich in je neuen Positionierungen und Figurationen von ‚Subjekten‘ niederschlagen und nicht zuletzt unentscheidbar werden lassen, inwieweit sich ein subjektiv(ierend)es Sprechen formierend-normalisierend oder verschiebend-kritisch ereignet. Diese Varianzen zwischen normalisierend-unterwerfender Signifikation, disseminativer Generativität, re-signifizierender Autorisierung, effektvoll-performativer Anrufung, grundloser Markierung und artikulatorischer Besetzung lassen sich zusammenführen bezogen auf ihren Einsatzpunkt in einem rhetorisch-figurativen Terrain, der es verunmöglicht, Subjektivität als fixierbar-konstituierte Entität zu verstehen. Ordnungen des Sozialen wie Identitäten von Subjekten erhalten vielmehr vor dem Hintergrund der hier aufgerufenen poststrukturalistischen Ansätze ihre Gestalt innerhalb eines tropologisch-diskursiven Terrains, in dem zwischen Figurationen des Sozialen und Subjektiven und deren Figurierungen ein unabgeschlossenes und unaustariertes Verhältnis besteht, das nur unter machtvoll-hegemonialen Ein- und Besetzungsversuchen vorläufige Schließungen erfährt. Diese Schließungen, die in katachrestisch-metaphorischen, inadäquaten Repräsentationen Figurationen wie die eines Subjektes hervorbringen, ereignen sich und unterliegen der Unabschließbarkeit metonymischer Verschiebungen und Aufschübe. Subjektfigurationen und Subjektfigurierungen können nicht vollends konstituiert werden ohne die sie konstituierende Lücke, auf die hin sie sich be- und einsetzend beziehen und die sie erneut supplementierend, d.h. als Ursprung ausweisend, iterieren. Sie bleiben bezogen und ereignen sich vor dem Hintergrund ihrer Positionierung, Figurierung, Einsetzung und Formierung im soziosymbolischen Horizont. Diese poststrukturalistischen Perspektiven auf das diskursiv-rhetorische Terrain, in dem Figurationen von Subjektivität als unmögliche und notwendige Figurierungen generiert werden, lassen sich jedoch daraufhin befragen, welche Effekte und Varianzen verschiedene Relationierungen von Sozialität und Subjektivität erzeugen können. Dies leitet über zu einer Fokussierung spezifischer Formen, in denen die Figur der Bewegung und Öffnung v.a. hinsichtlich der Fragehorizonte von Bildung und Kritik weiter geführt werden können.
7. Generative Unbestimmtheiten
Die Diskussion poststrukturalistischer Verständigungen ebenso wie die Analysen der Interviews und Theoretisierungen im diskursiven Terrain um Liebe und Verliebtheit verweisen im Besonderen auf eine spezifische Perspektive auf Subjektivität, die als Moment sozio-symbolischer Formierungen gefasst wird – und zugleich die Frage aufwirft, wie Markierungen diesseits dieser sozio-symbolischen Normalisierungen gedacht werden können. Vor allem letztere Frage wird auch im Terrain um Bildung und Pädagogik relevant. Die Frage, wie Subjekte sich gegenüber und zu gesellschaftlichen Vereinnahmungen situieren und gerade nicht darin aufgehen, stellt einen maßgeblichen Ausgangspunkt bildungstheoretischer Überlegungen dar. Wird Subjektivität als zutiefst in der Ordnung des Sozialen induzierter Effekt (vgl. Ricken 2002), als gerade nicht autonomes, sondern effektiv und funktional hinsichtlich der Hervorbringung eines ‚unternehmerischen Selbst‘ (vgl. Bröckling 2007; Masschelein/Ricken 2003) gefasst, wird folglich die Relationierung von Sozialität und Subjektivität zu einer bildungstheoretisch relevanten und zugleich umstrittenen Frage. Relationierungen des Verhältnisses von Subjektivität und Sozialität werden im Terrain des Pädagogischen unter anderem im Nachdenken über ‚Bildung‘ vorgenommen, auf das ich mich im Folgenden exemplarisch beziehen will, um analytische Fragehorizonte aus der Rezeption poststrukturalistischer Einsätze andeuten zu können. Ganz ähnlich verstehe ich Elisabeth Sattlers (2009) Einsatzpunkt zu Beginn ihrer ‚Erziehungswissenschaftlichen Studien zur modernen Subjektivität‘, „die sich in unterschiedlicher Weise um die moderne Vorstellung des Menschen als Subjekt formieren. Ein solches (Selbst)Verständnis des Menschen als Subjekt ist je-
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der pädagogischen Reflexion mehr oder weniger explizit eingeschrieben. Selten wird dieses Subjekt jedoch selbst zentraler Analysegegenstand. Es entzieht sich in der Regel dem direkten Blick, der sich im erziehungswissenschaftlichen Kontext dann auf unterschiedliche Konzeptionen von Bildung oder Erziehung bzw. Lernen oder Lehren u.a.m. richtet und dabei den Unterfaden – das jeweilige Verständnis des Menschen als Subjekt – zwar notwendigerweise voraussetzt und (unbestimmt) bestimmt, aber eben selbst nicht zur Sprache bringt.“ (Sattler 2009: 7)
Gegenüber diesem letzten Punkt sind die hier im Folgenden anzudeutenden Gedankenlinien skeptischer, indem sie eben diese Thematisierungen von Subjektivität zum Ausgangspunkt nehmen. Vielmehr nehmen sie ihren Einsatz in der Perspektive auf ein unabschließbares Terrain des Pädagogischen, dessen Be- und Einsetzungen je neu in Thematisierungen von Bildung, Lernen, Erziehung etc. spezifische Relationierungen von Subjektivität und Sozialität vornehmen. Die im letzten Abschnitt dargestellten Fokussierungen poststrukturalistischer Perspektiven auf Subjektivität, die im Horizont soziosymbolischer Vergewisserungen sich ereignet und signifiziert wird, verstehe ich als Ausgangspunkt eines exemplarischen Fragehorizonts bezogen auf erziehungswissenschaftliche Vergewisserungen, die sich mit der Perspektive auf Subjektivität in Relation zu Sozialität befassen. Die Frage der Bildung Wie das Verhältnis von Subjektivität und Sozialität relationiert wird, kann als ein Ausgangspunkt der Thematisierung von ‚Bildung‘ gesehen werden, die ihren Einsatz im Nachdenken darüber findet, wie Individuen jenseits gesellschaftlich-sozialer Funktionseingliederungen zu verstehen sind. Bezug nehme ich hierbei auf ein Verständnis von Bildung, das sich nicht in der Gegebenheit von Welt und Selbst erschöpft, sondern deren relationales Verhältnis zum Ausgangspunkt des Nachdenkens nimmt, wie es beispielsweise in der Bildungstheorie Wilhelm von Humboldts angelegt wird (vgl. Humboldt 1794/1980).1 Humboldts Fragment einer „Theorie der Bildung“
1
Ausführlicher werden die Lektüren des Humboldtschen Fragments u.a. von Christiane Thompson (2009) aufgenommen, die unter Rückgriff auf Adorno und Foucault eine Diskussion des Bildungskonzepts entlang des Erfahrungsbegriffs vornimmt. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem neuhumanistischen Bildungsdenken findet sich bei Schäfer (1996). Koller (2006) verbindet bil-
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figuriert das Selbst als notwendig auf ein radikal Anderes, die Welt, verwiesen, und problematisiert die Souveränität eines Subjekts, das sich gegenüber der Welt distanzieren könnte (vgl. dazu u.a. Ricken 1999; Thompson 2009; Schäfer 2009). Die viel zitierte „Verknüpfung unseres Ich mit der Welt“ (Humboldt 1794/1980: 236) fokussiert folglich ein relationales Verhältnis von Welt und Selbst, welches Humboldt als ‚Bildung‘ thematisiert. Das Subjekt kann sich in diesem ‚Wechselverhältnis‘ gerade nicht selbst durchsichtig werden, auch nicht der Welt gegenüber und verfügend situieren. Vielmehr wird dabei jenes radikal Andere – die Welt –, an das das erfahrende Selbst gebunden bleibt, als eine unverfügbare Widerständigkeit konzipiert. Humboldt thematisiert unter der Bezeichnung ‚Bildung‘ demnach Subjektivität vor dem Hintergrund ihrer soziosymbolischen Verstrickung, die das Subjekt durch Entzugsmomente und Alterität gekreuzt versteht, und Verschiebungen im Verhältnis des Selbst zu sich und zur Welt als ‚bildende Momente‘ in den Blick nimmt (vgl. dazu auch Benner 2005). Thematisierungsweisen dieser ‚Verschiebungen‘ werden im erziehungswissenschaftlichen Feld unter anderem in der Bezugnahme auf ‚Bildung‘ vorgenommen. Ich möchte im Folgenden einige dieser Thematisierungsweisen exemplarisch herausgreifen, um auf Fragehorizonte aufmerksam zu machen, und deren Verbindung zu poststrukturalistischen Perspektiven andeuten zu können. Thematisierungen von ‚Bildung‘ interessieren mich im Folgenden bezogen auf die Anschlüsse an das Verhältnis von Sozialität und Subjektivität und ihre je verschiedenen Figurierungen der Art der ‚Verschiebung‘ im Verhältnis von Welt und Selbst. So thematisieren Anschlüsse an die pragmatische Philosophie John Deweys im Hinblick auf den Zusammenhang von Negativität und Bildung krisenhafte Momente einer Nicht-Passung von Selbst und Welt als Ausgangspunkt für Veränderungen und Verschiebungen des Welt-SelbstVerhältnisses. Allerdings wird dabei das Moment des Negativen nicht als radikales, d.h. konstitutiv unverfügbares Ereignis in den Blick genommen,
dungstheoretische und empirische Anschlüsse und entwirft unter Rückgriff auf Lyotards Konzept des Widerstreits eine Theorie von Bildungsprozessen (Koller 1999). In ihrer kritischen Diskussion des Bildungsbegriffs im Hinblick auf dessen Funktionalität bezogen auf die darin implizierten Selbstführungslogiken fragen Masschelein und Ricken (2003): „Do we still need the Concept of Bildung?“
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sondern positiviert als Gewinn und Ausgangspunkt für bildende Erfahrung, wie die Formulierungen Benners andeuten: „Negative Erfahrungen gibt es nicht nur in pädagogischen Kontexten, sondern auch in allen anderen Bereichen menschlichen Handelns und Denkens. […] Wer nicht aus Fehlern lernen kann, der wird auch durch Schaden nicht klug. Negative Erfahrungen aber müssen nicht schädlich sein. Sie könnten zu jenem Grundbestand von Erfahrungen gehören, auf dem wir – skeptisch und neugierig zugleich – weiterleben können.“ (Benner 2005: 397; ähnlich: English 2005)
In der Einhegung krisenhafter Ereignisse werden diese dabei nicht als Entzugs-, sondern als Bezugsmomente stilisiert, die Negativität immer schon in den Bereich des Verfügbaren einrückt. Daraus folgt, dass die hier von Benner verfolgte Relationierung von Sozialität und Subjektivität als eine souveräne Adresse figuriert, die sich distanzierend zu Entzugs- und Negativitätsmomenten in ein Verhältnis zu setzen vermag. Diese Konzipierung von Subjektivität und ihres Verhältnisses zu Sozialität legt folglich eine souveräne, kohärente und integrierte Subjekt-Figur nahe, die lediglich NeuJustierungen und Anpassungen vornehmen muss, wenn sie mit Irritationen konfrontiert wird. Ein solches Verständnis entproblematisiert hierbei den sie konstituierenden soziosymbolischen Bezug jeder Subjektivität, die nach den vorliegenden Überlegungen gerade nicht in einem souveränen Verhältnis zur Welt und der sie konstituierenden sozio-symbolischen Verfasstheit stehen kann. Demgegenüber nehmen Ansätze einer ‚transformatorischen Bildungsprozesstheorie‘ ihren Ausgangspunkt von einem grundlegend unverfügbaren Moment von Subjektivität. Diese wird als ‚Selbst- und Weltverhältnis‘ figuriert und ‚Bildung‘ bezogen auf ihre Prozessualität diskutiert. Das Kriterium, das hierbei eine Rede über veränderte Selbst- und Weltverhältnisse geltend werden lässt, wird dabei im Ansatz Hans-Christoph Kollers als die Etablierung neuer Sprachspiele (vgl. Koller 1999; 2005; 2006) und im Ansatz Rainer Kokemohrs als ‚Bildungsvorhalt‘ auf der Ebene textlicher Konfigurationen konzipiert (vgl. Kokemohr 2003; 2007). Dabei substituiert die Figur des ‚Welt- und Selbstverhältnisses‘ theoriestrategisch die Figur des Subjektes, woraufhin dieses Verhältnis sowohl für bildungstheoretische als auch empirische Adressierungen thematisierbar wird. Die Adressierung einer theoriearchitektonischen Entität etabliert dabei eine Referenz, die in der
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oszillierenden Bewegung zwischen Welt und Selbst eine spezifische Relationierung von Subjektivität und Sozialität ermöglicht. Wie wäre daraufhin die Rede von Bildungsprozessen verstehbar, die als Transformationsgeschehen zeitlich lokalisierbare qualitative Unterschiede zwischen vorher–nachher markieren müsste? Bezogen auf das Verhältnis von Sozialität und Subjektivität argumentiert der Soziologe Stephan Moebius (2005) aus dekonstruktivistischer Perspektive, dass Subjektivierungen dann eine kritische Komponente erhalten, wenn es dem Subjekt ‚gelingt‘, sich von ‚figurierten‘ Positionen zu lösen und sich als jenes Verhältnis von Unterwerfung und Hervorbringung ‚gewahr‘ zu werden. Es wäre dies eine Perspektive, die hinsichtlich des Denkens von Bildung vor dem Hintergrund der diskursiven Qualität des Sozialen auch Anschlüsse für erziehungswissenschaftliche Reflexionen bereit hält: Insbesondere die Arbeiten Rainer Kokemohrs stellen einen ähnlichen Zusammenhang der unmöglichen aber notwendigen Konstitution des Subjektes innerhalb des soziosymbolischen Terrains heraus, das durch die Logik der unmöglichen Schließung gekreuzt wird. Kokemohr betont zunächst im Anschluss an Waldenfels und Ricoeur, dass die Erfahrung des Anderen/Fremden paradigmatisch für die Herausforderung bestehender Welt- und Selbstverhältnisse sei, deren Potenzial darin bestehe, neue Welt-Entwürfe herauszufordern. Analytisch untersucht er textliche Figurationen auf deren Potenzial der Eröffnung/Beschränkung solcher neuen Entwürfe hin (vgl. Kokemohr 2007: 39ff.). Im Anschluss an Ricoeurs Überlegungen zur narratologischen Qualität von Welt- und Selbstkonstitutionen entwickelt Kokemohr ein Verständnis von Welt und Selbst im Rahmen figurativer Konstellationen, die in der Erzählung (vorläufige) Welt- und Selbstentwürfe hervorbringt. Kokemohrs Perspektive changiert dabei in der Situierung dieser ‚Entwürfe‘: Ein Verständnis im Sinne von Faktizität einer vorliegenden Kohärenz, die nur in besonderen und herausgehobenen Momenten irritiert würde, sonst jedoch recht reibungslos in ihrem Wechselspiel von Welt und Selbst prozessiere, legt Kokemohr nahe, indem er häufig auf die ‚Gegebenheit‘ des Welt- und Selbstverhältnisses verweist, die in ihrer Gegebenheit in krisenhaften Situationen herausgefordert würden. Das transformatorische Potenzial einer verändernden Bildung besteht von hier ausgehend in der „Veränderung von Grund legenden Figuren meines je gegebenen Welt- und Selbstentwurfs“ (2007: 21), die der ‚Bewährung‘ durch Anschlüsse (vgl. ebd.: 18) und der Stabilisierung bedürfen.
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Ein anders gelagertes Verständnis im Sinne von je neu einsetzende Figurationen und Signifikationsmomenten deutet sich in Kokemohrs Bezugnahmen auf Signifikationslogiken des Subjektivierungsvorgangs an (vgl. ebd. 16f.), sowie in Formulierungen, die von der Nötigung zu je neuen Selbst- und Weltentwürfen sprechen (vgl. Klass/Kokemohr 1998). In diesem Fall wären Entwürfe je situativ und figurativ aufgeschobene und damit unmögliche wie notwendige Bedingungen von Subjektivierungen.2 Vor allem die Übernahme des Ricoeurschen Vokabulars der Prä-, Kon- und Refiguration deutet das Potenzial rhetorisch-troplogischer Perspektiven auf das Verhältnis von Sozialität und Subjektivität an, dies nicht zuletzt, als auch Kokemohr die eigene Analysetätigkeit als refigurierende Analyse fasst (vgl. Kokemohr 2007: 46).3 In der ‚transformatorischen Bildungsprozesstheorie‘ (vgl. auch Marotzki/Koller/Sanders 2009) werden soziale und subjektive ‚Ordnungen‘ als offen und unabgeschlossen figuriert. So wird die Möglichkeit einer Veränderung des Selbst-Welt-Verhältnisses als ‚Bildungvorhalt‘ thematisiert, der sich der Entscheidung zwischen formierender und öffnender Transformation des Subjektes verweigert. Allerdings lässt sich fragen, worin die hervorgehobene Prozessqualität von ‚Bildung‘ ihren Ankerpunkt findet. Die Aufnahme rhetorisch-diskurstheoretischer Perspektiven könnte an eben dieser Stelle die Figur der ‚Transformation‘ im Denken von Bildungsprozessen erweitern: Insofern Linearität und Prozesshaftigkeit nur durch das Moment
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Wie sich an dieses Konzept permanenter Neu-Einsätze ein transformatorisches Potenzial herantragen lässt, das eine Figur des Bestehenden mit einer Figur des dieses Bestehende unterbrechenden Ereignisses anbringen muss, scheint fraglich. Kokemohrs Bezugnahmen auf die gleichzeitige Schließung und Reproduktion der Lücke im Signifikations- wie im Subjektivierungsgeschehen geben Hinweise darauf, dass Kokemohr diese Differenz im Blick hat (bspw. 57, FN 22).
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Auch Hans-Christoph Koller (1993) arbeitet mit rhetorischen Figuren: In einem Aufsatz zum Schreiben Pestalozzis identifiziert er Tendenzen metaphorischer und metonymischer Schreibweisen, die er in Zusammenhang mit pädagogischen Zielen Pestalozzis bringt. Die Argumentationen Laclaus aufnehmend, wären eben diese Identifikationen analytisch dahingehend zu erweitern, dass zwischen metonymisch-verschiebenden und metaphorisch-einsetzenden Bewegungen keine letztliche Entschiedenheit zu erlangen ist.
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eines Bruchs mit dem Kontext etabliert werden können, lässt sich auf die Abhängigkeit eines Bildungsprozesses von dessen konstitutiven Außen hinweisen. Damit gemeint ist die Einführung der Figur des Ereignisses, welches heterogene Momente (vorher-nachher) so zu organisieren vermag, dass sie bezogen auf das Ereignis äquivalent und in einem Prozess organisierbar verstanden werden können.4 Der ereignishafte Bruch als konstitutives und konstituierendes Außen der ermöglichten und ermöglichenden Rede von ‚Bildung‘ ebenso wie der Referenz eines Subjektes auf dieses Außen wäre in diesem Sinne jedoch allein retrospektiv signifizierbar. Als Markierung eines Umschlagpunktes, einer ‚krisenhaften‘, ‚bildenden‘ Qualität wäre der Bruch allein im Rahmen soziosymbolischer Codierungen angebbar, d.h. gerade nicht die Radikalität dieses Außen/Ereignisses adäquat repräsentierend. Bezogen auf empirische Analysen wäre dieses Außen, im Sinne eines ‚krisenhaften Momentes‘, einer ‚bildenden Erfahrung‘ oder einer ‚Selbstveränderung‘ lediglich supplementierend dem Sprechen eines Subjektes zuschlagbar. Dieser konstituierende Bruch, der die Rede von einem Prozess erst ermöglicht, könnte als Ereignis oder ‚Gabe‘ (vgl. Derrida 1993; Wimmer 1996) gefasst werden. Es würde dann auf eine durchkreuzte, d.h. niemals ‚gegebene‘ Subjektivität verweisen, die sich zwischen Formierung und Öffnung ereignet. Norbert Ricken fasst eine so verstandene „relationale Subjektivität“ (2007: 169, ausführlicher in: Ricken 1999: 110ff.) und nimmt damit stärker die „Konstitutionsproblematik von Subjektivität (2007: 168) in den Blick.
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Michael Wimmer (2007) fasst das Denken von Prozessualität bezogen auf ‚Bildung‘ in ähnlicher Weise ausgehend von einem radikalen Bruch. Mit der Figur des Wahns konzeptualisiert er jenen Ein-Bruch, der nicht in der Logik der Prozessualität denkbar und darstellbar ist, jedoch erst die Rede von einer temporalen Struktur (vorher–nachher) ermöglicht. Darin liegen nicht nur Nähen zu poststrukturalistischen Perspektiven bezogen etwa auf Strukturalität bei Judith Butler und Jacques Derrida, auf den sich Wimmer auch an anderer Stelle (vgl. 2006) bezieht. Auch stellt dies eine Folie für das Denken von Temporalität dar, deren Konstitution nicht in der temporalen Logik einholbar ist (vgl. dazu auch Gertenbach 2008). Hierin ließe sich nicht zuletzt eine Verknüpfung der hegemonialen Operation (Äquivalenzen und Differenzen zugleich) sehen, die im konstituierenden Außen eines Bruchs (der als ‚Bildung‘ signifiziert werden kann) erst die Rede von einem Prozess ermöglicht.
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Das Verhältnis von Subjektivitäten und deren soziosymbolische Ein- und Besetzungen werden dabei nicht als einheitsstiftende Bewegungen, sondern „als Verstörung jeder möglichen Totalität und Geschlossenheit“ (ebd.: 169) gefasst. Unter Rückgriff auf Judith Butlers anerkennungstheoretische Perspektiven auf Subjektivität nimmt Ricken die Verflechtung von Sozialität und Subjektivität ernst und geht von einer konstitutiv sozial situierten Subjektivität aus. Die bereits aufgerufenen Figurierungen von Subjektivität, deren Verhältnis zu ihrer soziosymbolischen Formiertheit als Markierung eines möglichen Denkens von ‚Bildung‘ thematisiert wird, erweitert Ricken auf das Moment der Entzogenheit hinaus, insofern „es nicht nur darum geht, sich zu sich selbst als einem Verhältnis zu anderen zu verhalten, sondern sich auch zu der daraus resultierenden Selbst- und Anderenentzogenheit zu verhalten, ohne sich damit gänzlich als Jemand vor sich selbst bringen zu können.“ (Ricken 2006: 224)
Das analytische und theoretische Potenzial eines solchen relationalen und durch Entzogenheitsmomente gekreuzten Subjektivitätsverständnisses bestehe dann in der Perspektive auf die Subjektwerdung, die sich jenseits einer die erziehungswissenschaftlichen Reflexionen weitenteils bestimmenden Unterwerfungs- und Erzeugungsdichotomie bewege. Vielmehr grenze sich diese von „linearen Konstitutionsanalysen“ (Ricken 2007: 172) der Subjektwerdung ab, die auf die zeitliche und prozessuale Dimensionierung von Bildungsgeschehen fokussierten.5 Ähnlich nimmt Alfred Schäfer seinen Einsatzpunkt von der konstitutiven Differenzialität aus, die jede Subjektivität durchziehe (vgl. 2003; 2005; 2006; 2011). Er figuriert die Relationalität von Sozialität und Subjektivität als unmöglich-notwendigen Bezugspunkt der Rede von ‚Bildung‘ und stellt sie „als Proprium der bildungstheoretischen Reflexion“ (2006: 93) in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Bezogen auf das Verhältnis soziosymbolischer Vergewisserungen und sich darin aufschiebend-verfehlender Selbst-
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Zusammen mit Nicole Balzer fasst Norbert Ricken den Einsatz anerkennungstheoretischer Überlegungen noch weiter, indem Anerkennung als ‚Medium des Pädagogischen‘ konzipiert wird, das in der Adressierung von Subjektivität pädagogische Beziehungen nicht begleite, sondern stifte (vgl. Balzer/Ricken 2010).
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referenzen hinsichtlich von Äußerungspraktiken bspw. im Rahmen von Interviews konkretisiert Schäfer dieses Proprium als „Frage danach, was es für die sich inszenierenden Subjekte (wenn man sie nicht nur als einfach naiv unterstellen will) heißt, dass sie sich in ihren Darstellungen ihrer selbst nicht zu erreichen vermögen, dass sie die Differenz von Symbolischem und Imaginärem, von Aussage und Ausgesagtem nicht zu schließen vermögen. Was heißt es also, dass sich die Menschen (auch und gerade in Darstellungen ihrer Selbst-, Fremd- und Weltverhältnisse) zu sich selbst als einer Differenz verhalten müssen, dass sie das, was sie ausmacht, nicht zu identifizieren vermögen, ohne es zu verfehlen?“ (Schäfer 2006: 93)
Dieser konstitutiven und konstituierenden Relationalität von Subjektivität und Sozialität gewahr werden zu können, mithin, sich selbst zur konstitutiven „Verhältnishaftigkeit“ (Meyer-Drawe 2007: 91) in ein Verhältnis bringen zu müssen, stelle den kategorialen Ausgangspunkt für die Reflexion auf Bildung im Modus der Möglichkeit dar (vgl. bspw. Schäfer 2006; 2011a sowie dazu: Thompson 2009: 206ff.). Diese Bestimmung vor dem Hintergrund des Unbestimmbaren verweist auf die Grenze soziosymbolischer Vergewisserungen. Sie trifft auf die diskurstheoretische Einsicht in die zugleich unmöglichen und notwendigen Schließungsbewegungen im diskursiven Terrain unabschließbarer Sinngebungsprozesse, die je neu signifizieren müssen, wie Subjektivität besetzt werden kann und muss. Eine solche Figuration von Subjektivität nimmt ein Sprechen in den Blick, das sich im Verhältnis und auch als Differenz zu einer unterwerfend-normalisierenden Hervorbringung von Subjektivität befindet. Dabei bleibt dieses verschiebend-kritische Sprechen an die Unmöglichkeit gebunden, je eindeutig und definit identifizieren zu können, inwiefern „das Versprechen der Bildung“ (Schäfer 2011a) Effekte dies- oder jenseits der Unterwerfung zeitigt. Eine Gemeinsamkeit dieser exemplarisch aufgerufenen Relationierungen von Subjektivität und Sozialität besteht darin, ihren Einsatz von der Verflechtung von Subjektivität und Sozialität aus zu nehmen. Die verschiedenen Signifizierungen von ‚Bildung‘ variieren dabei um jenes Moment, in dem sich die Unabgeschlossenheit sozio-symbolischer Figurationen ‚zeigt‘. Diese Skizzierungen lassen sich bezogen auf die eingeführten, durchaus divergierenden poststrukturalistischen Perspektiven mit Blick auf das Verhältnis von Subjektivität und Sozialität zusammenführen: Das ‚Gewahrwerden‘ und ‚Sich-Zeigen‘ der Unabgeschlossenheit sowohl des Sozialen als
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auch der Subjektivität wäre eine nicht positivierbare ‚Ein-Sicht‘ in das Konstituiertsein von Subjektivität, die jedoch nicht in der Konstituiertheit aufgehen kann. Sich souverän zu dieser Konstituiertheit zu verhalten, bleibt jedoch insofern unmöglich, als diese Kluft zwischen Konstituiertheit und Überschuss selbst nur in soziosymbolischen Vergewisserungen signifiziert werden kann. Dies bedeutet jedoch, sich immer wieder nur der Kluft nähern zu können, ohne ihrer jemals habhaft zu werden, sie erneut aufzuschieben, die ‚Lücke‘ erneut zu reproduzieren, kurz: der Iterationslogik zu unterliegen. Ernesto Laclau versteht diesen Riss eines unausgefüllten Moments, jene Situation unentscheidbarer Entscheidungen auch als den ‚Moment des Subjekts‘ (vgl. 1999: 126, vgl. auch Moebius 2005: 144 sowie Thompson 2007: 397). Damit ist zunächst gemeint, dass die Unausgefülltheit bzw. Überschüssigkeit keine Definitheit erzeugen können – sie sind nicht vollends zu durchmessen und in diesem Sinne unentscheidbar. Damit ist jedoch nicht jene ‚Spezifikation‘ (Renn 2005) oder Auslegungspraxis gemeint, die wissenssoziologische oder praxistheoretische Ansätze in das Vermögen sozialer Akteure hineinlegen. Vielmehr wird mit diesem ‚Moment des Subjekts‘ auf die Bewegung zwischen Formierung und Unausgefülltheit verwiesen: die Formierung des Subjekts in der gleichzeitigen Unterwerfung und Hervorbringung durch sozio-symbolische Positionen, die den Platz figurieren, an dem sich das Subjekt einfinden kann und anerkennbar wird. Mehr noch als diese soziosymbolische Existenzzuweisung ist mit der unentscheidbaren Entscheidung jedoch jene Dimension von Subjektivierungen angesprochen, die auf das supplementäre Moment jener Subjektpositionierung verweisen. Am Beispiel des Namens und der Benennung wurde bereits verdeutlicht, worin diese Bewegung liegt, die Existenz performativ hervorbringt, d.h. stiftet und zugleich keine definiten Grenzen erzeugen kann. Der Name ebenso wie die Norm bleiben unausgefüllt und verlangen dennoch Ausfüllungen – unentscheidbare Entscheidungen. Insofern eine Subjektposition nicht vollends figuriert werden kann, sie also zugleich unausgefüllt und überschüssig verfasst ist, sind Subjektpositionen (un-) mögliche Figurationen. Aufgrund dieser Indefinitheit kann keine Subjektposition jemals eingenommen werden – Subjektpositionen präfigurieren und umgrenzen die Möglichkeiten dessen, was sag- und lebbar ist, und gewinnen ihre Mächtigkeit aus dieser unscharfen Grenze. Das von Ulrich Bröckling (2007) angesprochene ‚Drama der Subjektivierung‘, das seine eigenen Verfehlungen impliziere und gerade daraus die performative Wirk-
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mächtigkeit von Anrufungsszenarien gewinnt, verweist damit jedoch auch und zugleich auf seine eigenen ‚Misslingensbedingungen‘. Bezogen auf die Frage, wie ‚Bildung‘ thematisiert werden kann, wäre unter diesen Vorzeichen darauf hinzuweisen, dass mit ‚Bildung‘ eben jene Grenze soziosymbolischer Figurierung und Formierung als ‚Möglichkeitsraum‘ adressiert werden kann – ohne diese Grenze soziosymbolisch adäquat repräsentieren, noch empirisch identifizieren zu können. So verstanden wären das Denken von ‚Bildung‘ als Thematisierungsweisen notwendiger ‚Unmöglichkeiten‘ zu sehen, die stets nur darauf hinweisen können, dass sie sich auf jene Unschließbarkeit und unaustarierbare Bewegung der soziosymbolischen Figurationen beziehen, die nicht schließbar sein werden. Situieren diese Perspektiven bildungstheoretischer Relationierungen ‚das Subjekt‘ als eine unmögliche und notwendige Figur? Unmöglich, weil sie das Jenseits der Gesellschaft, eine Versöhnungsfigur, eine Fiktion anzeigt, notwendig, weil ihr Effekt darin besteht, etwas Unmögliches denkbar zu machen?6 Erhält mithin die Möglichkeit, Bildung zu denken, ihr Gewicht aus der Unmöglichkeit, Subjektivität und Sozialität radikal voneinander getrennt situieren zu können? Diese Relationierungen von Subjektivitäten und Sozialitäten verweigern sich in jedem Falle emphatischen Begriffen eines Subjekts, das sich zu der konstitutiven und konstituierenden Unabgeschlossenheit – der Leere und Überschüssigkeit jeder Normierung, so auch der Konstitution von ‚Subjekten‘ – positiv verhalten könnte, i.S. einer Selbstbemächtigung oder autonomen Widerständigkeit. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, eine solche Subjektivierungsweise identifizieren zu können: kaum möglich, die ‚Anlässe‘ oder ‚Situationen‘ solcher ‚Erfahrungen‘ umreißen, benennen oder herstellen zu können, unmöglich jedoch in jedem Fall ihre adäquate
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Eine gesonderte Analyse wäre es wert, Figurationen und Figuren dieser Signifizierung eines ‚anderen Sprechens‘ zu untersuchen: Fiktion, Versöhnung, Imagination, Kritik – unter welchen Bedingungen des Ausschlusses wird auf welche Weise die Relationierung von Subjektivität und Sozialität im bildungstheoretischen Terrain signifiziert, in die Schwebe gebracht, fixiert? Welches Terrain um Bildung und Pädagogik wird auf diese Weise autorisiert und verschoben? Welche Mächtigkeiten und Wahrheitswerte werden auf welche Weise etabliert, legitimierbar und akzeptabel gemacht?
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symbolische Repräsentation – weder für das solche ‚Erfahrungen‘ machende Selbstverhältnis des Individuums noch für (empirische) Beobachtungen. Die Frage der Bildungsforschung Auf Bildung und Bildungsprozesse fixierend-identifizierend zugreifen zu wollen, stellt sich vor diesem Hintergrund als durchaus problematisch dar. Wird unter ‚Bildung‘ eine unmöglich-notwendige Artikulation verstanden, die innerhalb soziosymbolischer Vergewisserungen die Grenzen dieses soziosymbolischen Horizonts adressiert, verbleiben Signifizierungen dieser Grenze notwendig unmöglich. Damit ist gemeint, dass – ähnlich wie Christoph Menke dies für die Kippfigur praktischer Übungen bei Foucault gezeigt hat – keine Entschiedenheit darüber zu erlangen ist, inwiefern ‚Bildung‘ sich ereignet. Jede Signifizierung von ‚Bildung‘ würde notwendig diese in das Feld bestehender Ordnungen einschreiben, deren Unabgeschlossenheit jedoch zugleich Bezugspunkt des ‚Bildungsgedankens‘ ist. Der (theorie- und erkenntnis-)politische Einsatz des Denkens von ‚Bildung‘ besteht darin, die Möglichkeit zu adressieren, dass die Umgrenzungen des Sag- und Denkbaren nicht definit sind. Damit ist eine andere Perspektive vorgeschlagen, als ‚Bildung‘ über die Subjektadresse zu konzipieren. Statt „Höhlenforschung […] des Innen“ (Bröckling 2007: 34) zu betreiben, wie Ulrich Bröckling einmal jene Adressierungen eines Subjekts beschreibt, welches supplementierend unterstellt wird und sich in das Anrufungsszenario des Subjekts einschreibt, wird unter signifikationslogischen Vorzeichen die unmögliche Formiertheit von Subjektivität und Sozialität als relationaler Zusammenhang in den Blick genommen. Anvisiert ist damit eine Perspektive auf Subjektivität, die deren soziosymbolischer Formiertheit Rechnung trägt, insofern es nicht darum gehen kann, identifizierende Zugriffe auf jenes unmögliche Moment zu bestimmen. Damit wird jedoch fraglich, wie analytische Prozesse jenes unwirklich-wirklichen Moments gedacht werden können.7
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An diesem Punkt treffen sich das Denken von ‚Bildung‘ und das Denken von ‚Kritik‘: Sie zielen auf jene Grenze, die das Sagbare vom Unsagbaren trennt, ohne diese Grenze signifizieren zu können. Die Adressierung der Unabgeschlossenheit jenes Verflechtungszusammenhangs von Subjektivität und Sozialität stellt den kategorialen Ausgangspunkt des Kritik- wie des Bildungsgedankens
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Das Problem des identifizierenden Zugriffs trifft auch noch auf die von Hans Christoph-Koller markierte Grenzbestimmung bildungstheoretischer Bemühungen zu, die Wirklichkeit von Bildungsprozessen erfassen zu können „bzw. die Frage zu beantworten, ob und inwiefern sich Bildung in dem von ihnen [d.i.: bildungstheoretischen Kategorien,. K.J.] beschriebenen Sinn in der Wirklichkeit vorfinden lässt (wie immer man dabei den Begriff ‚Wirklichkeit‘ fassen mag).“ (Koller 2006: 123)
Das von Koller vorgeschlagene Verständnis von ‚Wirklichkeit‘ ist dabei gerade nicht ohne Belang, insofern dieses in eine dichotomische Position gegenüber begrifflicher Verständigung gebracht wird. Kollers Bemerkung, dass bildungsphilosophische Begriffe nicht geeignet sind, Wirklichkeit zu erfassen, ist folglich zuzustimmen. Begriffe existieren nicht in einem neutralen Raum, sondern stiften Wirklichkeiten. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Betonung liegt dabei auf dem Plural, d.h. Begriffe und ihre Konstellationen figurieren und formieren Räume des Sag- und Denkbaren, die als hegemoniale Konstellationen weitreichend sein können, jedoch die Rede von ‚der‘ Wirklichkeit als einer eindeutigen und identifizierbaren Grundlage verunmöglichen – diskursive Räume existieren unter der Bedingung des Ausschlusses, und dieser Ausschluss verunmöglicht zugleich eine totale Präsenz des diskursiven Raumes, wie er diesen Raum (bspw. die pädagogische Wirklichkeit) als momentane Konstellation ermöglicht. Diese dichotomische Gegenüberstellung von Bildungsforschung und Bildungstheorie kritisiert Alfred Schäfer (2006) als repräsentationslogisches Modell, das in beiden Hinsichten auf eine Wirklichkeit jenseits des Zugriffs rekurriere. Schäfer plädiert demgegenüber für eine analytische Herangehensweise, die von der Nicht-Eindeutigkeit von Wirklichkeit und der Unabschließ-
dar. Beide laufen permanent Gefahr, mit diesen Adressierungen norm(alis)ierend und formierend zu wirken und Subjekte zu stiften. Judith Butler macht aus diesem Grund darauf aufmerksam, dass Kritik in einem Zusammenhang mit der Anerkennbarkeit von Subjektivität steht, die das epistemologische Feld ihrer eigenen Gewordenheit in Frage stellt und damit ihr eigenes Subjektsein aufs Spiel setzt (vgl. Butler 2002; Foucault fasst dies unter ‚Erfahrung‘ und signifiziert diese Unmöglichkeit als ‚Entsubjektivierung‘, vgl. Foucault 1996a; dazu u.a. Masschelein 2003, Thompson 2004, Thompson 2009).
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barkeit von Sinn ausgeht. Dies gelte sowohl für das Denken von ‚Bildung‘ als auch deren empirische Analysen, so dass diese aus der Relationierung von Subjektivität und Sozialität „eine Realitätsvorstellung gewinnt, die das Verhältnis von Kategorienreflexion und empirischer Forschung nicht als platten Gegensatz erscheinen lässt“ (ebd. 89). Ähnlich argumentiert Christiane Thompson (2009), die unter Rückgriff auf Adornos ‚Denken in Konstellationen‘ eine Theorie- und Analyseperspektive entwirft, die sich einer Dichotomie theoretisierender und empirischer Analysen verweigert: „Es wäre also eine Erfahrungskonstellation für die Analyse von Subjektivierungsprozessen zu Grunde zu legen, die es ermöglicht, den Raum aufzuspannen, in dem sowohl subjektive Zurechnung als auch die reine Übernahme von objektiven Bedeutungen zu kurz greifen und an dem die Subjektivierung auf einer Grenze von Erkennen und Verkennen des Ich situiert ist. Auch in der empirischen Befassung mit ‚bildender Erfahrung‘ bleibt dann die ‚Widerständigkeit der Bildung‘ leitend – als Unmöglichkeit einer identifikatorischen Selbstbestimmung oder objektivierenden Vereinnahmung.“ (Thompson 2009: 219f.)
Es ist eben dieser Punkt, der auf die Wirklichkeitsdimension einer differenten und unabgeschlossenen sozialen Realität abhebt, der den entscheidenden Zusammenhang von Bildungsforschung und Bildungstheorie hinsichtlich des Denkens von Subjektivität leisten kann. Die Unabgeschlossenheit des Sozialen und die Unabgeschlossenheit von Subjektivierungen eröffnen empirische Frageräume, welche die praktischen Vollzüge der Konstitution von Sinn erhellen, ohne kategoriale und belegende Vermessungen vornehmen zu wollen. Bezogen auf diese Figurierungen von ‚Bildung‘ hinsichtlich ihres Einsatzpunktes in der Relationalität von Subjektivität und Sozialität bleiben zwei Fragehorizonte zu markieren, die ihren gemeinsamen Problematisierungs- und Bezugspunkt in der unmöglichen und notwendigen Schließung des unschließbaren Terrains des Sozialen finden: Es bleibt erstens offen, wie ‚Bildung‘ als Markierung verstanden werden kann, die Subjektivierungen im Spannungsfeld von Er- und Bemächtigung immer schon als der Notwendigkeit unterliegend, neu-eingesetzt zu werden und neu-einsetzend ‚Bestand‘ haben zu können, als ihren kategorialen Ausgangspunkt nimmt. Subjektivität wird folglich im Horizont einer Rede von ‚Bildung‘ stets als vorläufige, somit unmöglich vollumfänglich konstituierbare Subjektivität bezogen auf ihre Relationierung zu Sozialität
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thematisch. Es bleibt zu fragen, wie sich diese jeweils neue Situierung, die in ihrer je neuen Figurierung im sozio-symbolischen Terrain die Relationierung von Sozialität und Subjektivität vor dem Hintergrund einer unmöglich adäquaten soziosymbolischen Repräsentation erneut signifizieren muss, eine Qualität erhalten kann, die dann als ‚bildendes Moment‘ verstehbar wäre. Kurz gefragt: Lassen sich Subjektivierungsprozesse als iterierende Praxis der Wiederholung und Verfehlung, der Disziplinierung und Befreiung, der Be- und Ermächtigung als ‚Bildung‘ verstehen? Der Hinweis verschiedener poststrukturalistischer Einsätze auf das resignifizierende, widerständige, kritische Moment des Gewahr-Werdens jenes Risses, der zugleich den Motor der Neu-Einsetzungsversuche aller sprachlichen Sinngebungsprozesse ebenso wie subjektiver Identifizierungsbemühungen darstellt, könnte als Moment eines solchen qualitativen Umschlages vorgestellt werden. Die aufschiebende und immer aufgeschobene Herstellung eines Ereignisses, wie desjenigen eines anderen Sprechens, das die Differenz zwischen Subjektivität und Sozialität einzieht, aufruft und Effekte hinsichtlich der (Denk)Möglichkeit von Kritik haben kann, könnte unter diesen Vorzeichen mit dem Namen ‚Bildung‘ bezeichnet werden – der aus sich heraus weder Notwendigkeit, noch Effektivität, noch Legitimität entfalten kann oder hinsichtlich dieser Bedeutungsumgrenzung kontrollierbar wäre. Dieser Name würde dann verweisen auf ein potenziell kritisches Sprechen, auf die Möglichkeit eines Anders-Seins, das symbolisch nicht adäquat einholbar wäre. Die Unmöglichkeit einer adäquaten soziosymbolischen Repräsentation eines anderen, möglicherweise kritischen, Sprechens wäre folglich sowohl für das sich seiner selbst als Verhältnis der Differenz, d.h. als „Verhältnis zu unserer Verhältnishaftigkeit“ (Meyer-Drawe 2007: 91), gewahr werdende Subjekt ebenso wie für empirische Beobachtungen hervorzuheben. Daraus resultiert zweitens die Frage nach Analysen von ‚Bildung‘ und Bildungsprozessen: Vor dem Hintergrund einer unmöglich fixierbaren, jederzeit notwendig neu einsetzenden Situierung von Subjektivitäten müssen sie sich einer empirischen Identifizierbarkeit versagen. Bildungstheoretische Anschlüsse können jedoch sehr wohl die Signifizierungen des Pädagogischen, Autorisierungsprozesse von Subjektivitäten, Figurierungen von Subjektivität und Figurationen von Bildung auch empirisch-analytisch in den Blick nehmen. Jedoch können sie über die Möglichkeit von Bildung i.S. des ‚Bildungsvorhalts‘ hinaus kaum etwas sagen. Bedauernswert muss dies gerade nicht sein, wird es auf diese Weise doch möglich, theoretisch-
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empirische Analysen zu betreiben, die der Faktizität der bestehenden Ordnung – weder der Ordnung ‚des Subjekts‘, noch der Ordnung ‚des Gegenstandes‘, noch der Ordnung ‚der Empirie‘ oder der Ordnung ‚der Bildung‘ – zuarbeiten. Damit ist gemeint, analytisch und theoretisch die ‚Komplizenschaft‘ mit der Ordnung als kategorialen Ausgangspunkt zu nehmen, von der her ihre Unausgefülltheit und Umkämpftheit, ihre Verfehlung und Setzung den Einsatz bildet, um Analysen und Theoretisierungen von Subjektivität als unabgeschlossene soziosymbolische Formierung in den Blick zu nehmen.8 Eine so verstandene Analysearbeit nimmt die rhetorischfigurative Qualität des sozialen Terrains zum Ausgangspunkt. Dessen vielfältige, gegenläufige, formierende und widersprüchliche Figurationen trei-
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Die Formulierung der ‚Komplizenschaft‘ bezieht sich auf ein Unbehagen Butlers an strukturalistischen Konzeptionen, die nicht in den Blick nehmen, inwiefern das Soziale Re-Figurationen unterworfen ist, und somit stärker das Trägheits- und Unterwerfungsmoment sozialer Bedingungsverhältnisse hervorheben. Diese Kritik ließe sich jedoch auch auf Teile qualitativer Sozialforschung übertragen. Insbesondere die Wissenssoziologie und ihre diskursanalytische Rezeption reproduzieren diesem Verständnis folgend die Beständigkeit sozialer Ordnungen, indem sie eine von allen Akteuren geteilte und interpretierte soziale Wirklichkeit annehmen. Sie unterstellen dabei nicht nur eine reibungslose und konfliktfreie soziale Ordnung, indem sie Ungleichheiten und Machtkonstellationen ausblenden. Sie inaugurieren und unterstellen zugleich auch eine souveräne Subjektfigur, die aktiv und souverän über Wissensbestände verfügen kann, indem sie dies ausdeutet. Auch Kokemohrs Verständnis empirisch-analytischen Arbeitens lässt sich so verstehen, dass die Einheitlichkeit (nicht Eindeutigkeit) des referenziellen Bezugsrahmens unhinterfragt bleibt; dies zeigt sich insbesondere in seiner Analyse jener Diskussion um die Frage, inwieweit ein bestimmtes Verhalten als rassistisch zu verstehen sei. Unproblematisiert bleibt, dass ‚Rassismus‘ identifizierbar und bestimmbar erscheint (vgl. ebd.: 63; insbes. Schema 7: Der Ausgangspunkt der Analyse bleibt eine eindeutige Frage: „Ist das Verhalten des Kassierers rassistisch?“). Der Signifikationslogik des Sozialen Rechnung zu tragen, würde für analytisches Arbeiten auch bedeuten, die unmögliche Referenzialität von ‚Rassismus‘ zu betonen, und „Figurationen, die auf der Signifikantenkette gleiten“ (Kokemohr 2007: 17), nicht nur für die SprecherInnenpositionen der verschieden figurierten Ichs, sondern auch für die Gegenstände der Analyse sowie die Analyse selbst aufzunehmen.
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ben sowohl Subjektivierungen an als auch (bildungs)theoretische Bezugnahmen darauf. Letztere werden dann als figurierende, hegemonialmachtvolle Ein- und Besetzungsversuche verstanden, über deren Geltungsbedingungen und Status jederzeit zu streiten wäre. Forschungsrichtungen dieser Art können dabei keinen Aufschluss über das Stattfinden von ‚Bildung‘ geben – Bildungsforschung im so verstandenen Sinne löst eine unglückliche und bequeme Trennung in die Lager Theorie–Empirie auf (vgl. dazu bspw. Nassehi/Saake 2002; Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008; Pongratz/Wimmer/Nieke 2006; Wigger 2004; jüngst: Th. Fuchs 2011), insofern der gemeinsame Bezugspunkt solcher Forschung in der diskursiven Qualität des Sozialen liegt, d.h. im Bezug auf notwendige und zugleich unmögliche Markierungen im unabschließbaren Feld der Signifikation. Dies impliziert auch, Schnittstellen zwischen disziplinären Zugriffen kultursoziologischer, pädagogischer und kulturtheoretischer Ansätze zu eröffnen, die das Verhältnis von Subjektivität und Sozialität in den Blick nehmen. Die hier eingeführte Analyseperspektive vor dem Hintergrund diskurstheoretisch-rhetorischer Argumentationen eröffnet folglich Fragerichtungen bezogen auf die Thematisierung von Subjektivität, die gegenüber kategorialen Vermessungen und Bestimmung von Subjektivierungsweisen diese vor dem Hintergrund soziosymbolischer Formierungen anvisiert. Das meint, Subjektivierungen in Relationalität zu Sozialität in den Blick zu nehmen, ohne sich des Gehalts von ‚Bildung‘ sicher sein zu können oder das Verhältnis von Subjektivität und Sozialität unter so verschiedenen Bezeichnungen wie ‚Kritik‘, ‚Bildung‘ oder ‚Subjekt‘ zu schließen. Ihre – generativ-produktive – Perspektive auf die Relationierung von Subjektivität und Sozialität nimmt die Verstricktheit in soziosymbolische Vergewisserungen zum Ausgangs- und Einsatzpunkt, von dem aus die Unabgeschlossenheit dessen, was eine Veränderung des Selbst, ein Verhältnis zur Ordnung des Sozialen, eine Grenze des soziosymbolischen Horizonts bedeuten kann, zum Anlass divergierender, mithin auch (erkenntnis- und theorie-) politischer Artikulationen und Analysen wird. Abschließend: Offenes Dass diese Fragen offen bleiben und erneuten Signifizierungen und Resignifizierungen unterliegen, kann mithin auch als Gewinn von (pädagogischer und generell analytisch orientierter) Theoriebildung verstanden werden. Der im Titel meiner Studie aufgenommene Faden der Unbestimmtheiten,
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deren Generativität sich in den Diskursivierungen von Liebe und Verliebtheit zeigen ließ, und der ein zentrales Moment poststrukturalistischer Perspektiven darstellt, rückt damit die Unabgeschlossenheit des Sozialen und des Subjekts ins Zentrum bildungstheoretischer und bildungsforschender Bemühungen. Dies ließe sich nicht zuletzt auf die Artikulationsweisen des Pädagogischen selbst beziehen und nimmt damit die Generierung von Geltungskraft dieser Artikulationen in den Blick. Davon ausgehend, dass ein letzter Versicherungshorizont wie ‚die Bildung‘ oder ‚das Subjekt‘ keine fixierbaren Ankerpunkte abgeben, lassen sich nicht nur empirische Frageräume eröffnen, wie jeweilige Fixierungen vollzogen werden. Es bedeutet auch, diesen Horizont des Pädagogischen als ein soziales Terrain zu begreifen, welches permanenten Schließungs- und Öffnungsbewegungen unterliegt und definite Grenzen nicht etablieren kann. In eben dieser Hinsicht verstehe ich die Anmerkung Alfred Schäfers und Christiane Thompsons, die bezogen auf das Verhältnis von Bildung und Wissen hervorheben: „Das Feld der ‚Bildung‘ existiert dann als Medium der Auseinandersetzung um das, was ‚Bildung‘ heißen kann“ (Schäfer/Thompson 2009: 191).
Die sowohl bezogen auf poststrukturalistische als auch auf pädagogische Perspektiven aufgerufene Unentscheidbarkeit zwischen Unterwerfung und Entunterwerfung, zwischen Signifikation und Resignifikation, zwischen Formierung und Subversion, zwischen Subjektivität und Sozialität, zeitigt folglich spezifische Konfigurationen im Terrain des Pädagogischen. Diese führen nicht nur die Denkmöglichkeit einer Differenz von Sozialität und Subjektivität ein, die vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit ihrer radikalen Auflösung zu einem der Pole hin ihr Gewicht erhält. Zugleich nehmen diese Artikulationen ihren Einsatz- und Ausgangspunkt von Unbestimmtheiten im Rahmen der Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains um Bildung und Pädagogik. Auf diese hin einsetzend beziehen sich Relationierungen von Subjektivität und Sozialität unter sehr verschiedenen Signifikanten wie etwa ‚Bildung‘, ‚Kritik‘, ‚Emanzipation‘, ‚Autonomie‘, ‚Subjekt‘ etc. Die Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains lässt sich folglich als – konstitutiv und konstituierend – generatives Moment verstehen, das performative Effekte hinsichtlich von Markierungen und Konturierungen dieses Terrains zeitigt.
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Die Kontingenz des Sozialen zum Ausgangspunkt zu nehmen macht auf die Politizität des Sprechens im pädagogischen Terrain aufmerksam. 9 Dies verweist darauf, dass jede Artikulation im pädagogischen Terrain nicht nur Figurationen von Subjektivität aus der Relationierung von Sozialität und Subjektivität gewinnt, sondern zugleich das pädagogische Terrain auf diese Weise als ein spezifisches aufruft, figuriert und autorisiert – mit Effekten hinsichtlich der Konturierung ‚des‘ Pädagogischen, das in jeder Artikulation ein je anderes wird.10 Jens Oliver Krüger nimmt an eben diesem Punkt Untersuchungen zur Konstitutionslogik des Pädagogischen im Terrain um Ironie vor, die je verschiedene Distanzierungen, Affirmationen, Einsätze und Besetzungen zeitigt (vgl. Krüger 2011). Dies weiterführend kann aus der hier vorgeschlagenen analytischen Perspektive, die sich von diskurstheoretisch-rhetorischen Perspektiven inspirieren lässt, für pädagogische Beschreibungsweisen und das Sprechen im pädagogischen Terrain die Signifikationslogik zwischen metonymisch-verschiebenden und metaphorischschließenden Bewegungen geschärft werden: Verstanden als ein soziales
9
Bezogen auf das umstrittene und besetzbare Feld des Pädagogischen weist Thompson auf die Potenzialität resignifikatorischer Besetzungsversuche hin und diskutiert diese anhand von Praktikumsberichten (vgl. 2009a). Die sich hierin andeutende Re-Figuration wäre auch für andere relevante erziehungswissenschaftliche Konzepte wie Biographie, Identität, Autorität, Zukünftigkeit, etc. unter den Vorzeichen der hier eingeführten diskurstheoretisch-rhetorischen Perspektive zu verfolgen. So ließe sich die Rede von Biographie, Bildung oder Identität unter den Vorzeichen einer poststrukturalistisch inspirierten Rede im Modus des à venir diskutieren (vgl. eine solche Figur für die Sozialwissenschaften: Moebius 2003: 384ff.) bzw. die bei Christiane Thompson (2009a: 214f.) angedeutete (Re)Figurierung von ‚Biographie‘ bezogen auf deren unmögliche Konstitution und performative Hervorbringung im Anschluss an Denkfiguren von Lefort (1990) zum unerreichbaren Ursprung von Gesellschaft und Castoriadis (1984) zur imaginären und aufschiebenden Selbstsetzung von Gesellschaft weiter denken (vgl. dazu auch: Bonacker 2008: 34ff.; dagegen: Th. Fuchs 2011).
10 Dieses Argument begleitet in meinen Augen die Ausführungen Alfred Schäfers zur ‚Erfindung des Pädagogischen‘, die je spezifische Relationierungen von Bildung, Subjektivität, Sozialität und Macht in ‚klassischen‘ Bildungstheorien der Neuzeit bezogen auf eben diese Signifizierungen des Pädagogischen durch pädagogische Artikulationen untersuchen (vgl. 2009, v.a. 389ff.).
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Terrain unabgeschlossener Bedeutungen dessen, was unter ‚Kritik‘, ‚Emanzipation‘, ‚Bildung‘ etc. gefasst werden kann, zeigt sich damit auch, dass Signifizierungen des Pädagogischen und Artikulationen von Pädagogiken im Terrain des Pädagogischen machtdurchwobene Praktiken der Geltungsund Bedeutungsgebungen darstellen. Jede katachrestisch-metaphorische Schließung in der Besetzung des pädagogischen Terrains konstituiert sich durch Ausschlüsse und zeitigt dabei Effekte auf die Figuration und Figurierung des pädagogischen Terrains – ein diskurstheoretisch-rhetorisch inspirierter Analyseansatz würde sich folglich auch auf diese Ausschlussmechanismen konzentrieren, die ‚der Bildung‘ oder ‚der Kritik‘ ihre Wahrheitswerte verleihen.11 Christiane Thompson weist darauf hin, dass insbesondere durch die Aufnahme kulturwissenschaftlich-poststrukturalistischer Perspektiven in der Fokussierung auf die Konstitutionslogiken im pädagogischen Terrain eine allgemeine Reflexionsaufgabe der analytisch-erziehungswissenschaftlichen Perspektive jenseits des Theorie-Empirie-Dualismus zu vermuten ist (vgl. Thompson 2009: 212ff.). Bezogen auf die hier vorge-
11 Hinsichtlich einer Ontologisierung von Unbestimmtheiten und Unmöglichkeiten verweist Giorgio Agamben (2003) auf die politische Dimension eines solchen Sprechens: In der Thematisierung von ‚Auschwitz‘ weist er auf die Gefahr der Sakralisierung des Unbegreiflichen hin. Daraus lässt sich für den vorliegenden Zusammenhang der Hinweis auf die tropologische Qualität aller begrifflichen Figurierungen entnehmen. Ebenfalls kommt damit die stets politische Dimension jeden Sprechens in den Blick: „Deswegen sollten diejenigen, die heute auf der Unsagbarkeit von Auschwitz insistieren, mit ihren Behauptungen vorsichtig sein. Wenn sie damit sagen wollen, dass Auschwitz ein singuläres Ereignis war, angesichts dessen der Zeuge gewissermaßen jedes seiner Worte der Probe einer Unmöglichkeit zu sagen unterziehen muss, dann haben sie recht. Doch wenn sie Singularität mit Unsagbarkeit verbinden und aus Auschwitz eine absolut von der Sprache getrennte Realität machen, wenn sie im Muselmann die das Zeugnis konstituierende Relation zwischen der Unmöglichkeit und der Möglichkeit zu sagen durchtrennen, dann wiederholen sie unbewusst die Geste der Nationalsozialisten […].“ (ebd.: 137). Dies wirft auch die Frage auf, inwiefern in einer solchen Zuweisung von Unbegreiflichkeit und Unbestimmtheit das hegemonialmachtvolle Moment des Sprechens abgeblendet werde – ließe sich dies nicht ebenfalls in Bezug auf die Wahrheitswerte und Mächtigkeiten des Sprechens im Namen von ‚Kritik‘, im Namen ‚des Subjekts‘, im Namen der ‚Bildung‘ fragen?
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nommenen Überlegungen und die Rezeption poststrukturalistischer Perspektiven lässt sich dies unterstreichen im Blick auf die Konstitutions- und Besetzungsweisen des Pädagogischen. Hinsichtlich der Artikulationen, die Subjektivität und Sozialität als Verhältnis je neu relationieren, ließ sich andeuten, inwiefern jede Artikulation im pädagogischen Terrain sich auf die Konfiguration dieses Terrains bezieht, dessen tendenzielle Leere bzw. überschüssig-disseminative Fülle den Einsatzpunkt und Motor je neuer Figurierungen dieses Terrains darstellt. Die Unentscheidbarkeit zwischen Unterwerfung und Entunterwerfung, zwischen Signifikation und Resignifikation, zwischen Formierung und Subversion, konturiert folglich das Terrain des Pädagogischen. Diese beziehen sich nicht allein auf die Denkmöglichkeit der Differenz von Sozialität und Subjektivität, die vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit ihrer radikalen Auflösung zu einem der Pole hin ihr Gewicht erhält. Zugleich läuft diese auf Unbestimmtheiten im Rahmen der Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains hinaus, auf die hin einsetzend Subjektivitäten figuriert werden und sich figurieren können. Die zentrale Bewegung im ‚Zwischen‘, die sich auf eine Argumentation Ernesto Laclaus bezieht, der Bedeutungen aus der Unauflöslichkeit von Polen und der unmöglichen Fixierung von Grenzen resultieren sieht, ließ sich sowohl für die vorgenommenen Analysen als auch für Theoriebildung aufnehmen. Dabei konnte hervorgehoben werden, inwiefern Ein- und Besetzungen als katachrestisch-metaphorische Schließungen hegemonialen Charakter haben, die von metonymisch-verschiebenden Bewegungen im diskursiven Terrain zehren, d.h. Schließungen und Öffnungen zugleich antreiben. Diese Perspektive verweist folglich auf eine politische Dimension jedes Sprechens, die für analytische Perspektiven im Terrain des Pädagogischen eine Fokussierung auf die Konstitutionslogiken und Artikulationsweisen in diesem Terrain stärkt. In diesem Sinne wären Fragen der ‚Erkenntnispolitik und Konstruktion pädagogischer Wirklichkeit‘ (vgl. Reichenbach/Ricken/Koller 2011) weiter zu verfolgen, um abseits tradierender und dichotomisierender Positionierungen eine pädagogische Theoriebildung und Analysearbeit zu betreiben, die ihren Ausgangspunkt von der Unabgeschlossenheit und Relationalität des Sozialen wie von Subjektivität aus nehmen. Die auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Hinsichten vorund aufgenommenen Perspektiven und Analysen lassen sich vorläufig be-
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zogen auf die Perspektive der Relationalität von Subjektivität und Sozialität akzentuieren: Sprechen im diskursiven Terrain des Sozialen kann nichtkontrollierbare Effekte zeitigen. Die Potenzialität unkontrollierbarer, offener Effekte, d.h. die Möglichkeit von ‚Bildung‘ und auch die Möglichkeit von ‚Kritik‘, bleibt dabei bezogen auf die Notwendigkeit, im Sprechen signifizieren zu müssen. Subjektivität in Relation zu Sozialität zu verstehen, lässt sich folglich weder allein auf normalisierend-disziplinierende Unterwerfungen begrenzen; ebenso wenig lässt es sich als ein kritisch-befreiendes Sprechen dieser Subjektivität bestimmen. Subjektivität und Sozialität stellen vielmehr konstituierende und konstitutive Pole dar, die sich aus der Verwobenheit der Subjektfigur in ihrer soziosymbolischen Verfasstheit ergibt. Ein Subjekt ist eine relationale, d.h. figurative ‚Leerstelle‘, die nicht als vollends fixierter Konstitutionseffekt existiert: Jedes Sprechen figuriert Subjekte, referiert auf sie und bringt sie hervor, zugleich verfehlt es diese Formierung, die ihre eigene Unmöglichkeit in den von ihr produzierten Notwendigkeiten impliziert. Die Möglichkeit der Bildung erhält mithin vor dem Hintergrund ihrer Unmöglichkeit wie ihrer Notwendigkeit ihr Gewicht.12 Die Nichtstillstellung dieser Bewegung zwischen Zwang und Frei-
12 Auf diese Paradoxie und ihre Aufrechterhaltung hin argumentiert Michael Wimmer unter Bezug auf Derridas Konzept der Dekonstruktion, die fruchtbar hinsichtlich erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung als auch pädagogischen Handelns gemacht werden könne: „Die Akzeptanz der pädagogischen Paradoxie als unauflösbarer Kern der Pädagogik führt nicht notwendig zu einem Scheitern der Pädagogik, sondern zu einem anderen Selbstverständnis, da der Anspruch auf Ermöglichung von Erziehung und Bildung nicht preisgegeben, sondern nur gebrochen wird, indem die pädagogische Paradoxie nicht weiter als Schwäche und Verunmöglichung aufgefasst wird. Die Akzeptanz bedeutet also keine Resignation, sondern das Festhalten des Ermöglichungsanspruchs impliziert die Behauptung einer Ermöglichung des Unmöglichen, also einer anderen Möglichkeit des Möglichen. In der Paradoxie der Pädagogik zeigt sich nämlich in aller Klarheit das, was Derrida in seinen dekonstruktiven Analysen als grundlegende Problematik der praktischen Philosophie aufgezeigt hat: Es ist nicht möglich, Bedingungen der Möglichkeit praktischen Gelingens anzugeben, die nicht zugleich als Bedingungen der Unmöglichkeit verstanden werden können“ (2006: 368f.). Dem wäre lediglich hinzuzufügen, dass sich auch diese Signifikation des Pädagogischen vor dem Horizont einer Unbestimmbarkeit ereignet und,
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heit, zwischen Unterwerfung und Produktion, zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit erst eröffnet, verlangt und ermöglicht auch den Einsatz eines anderen Sprechens. Die hier skizzierten exemplarischen Fragerichtungen wurden hier entlang der Signifizierung des Problems der Ununterscheidbarkeit zwischen unterwerfend-normalisierender und kritischverschiebender Subjektivität hinsichtlich der Thematisierungen von ‚Bildung‘, von ‚Kritik‘ sowie ‚pädagogischer Theoriebildung‘ angedeutet – deren weitere Analysen vor dem Hintergrund diskurstheoretisch-rhetorischer Perspektiven stellen ein viel versprechendes und auszuarbeitendes Forschungsfeld dar, das sich jenseits einer Dichotomisierung von ‚Bildungstheorie und Bildungsforschung‘ (vgl. dazu Pongratz/Wimmer/Nieke 2006) situieren lässt und stattdessen seine Analysehorizonte in der Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains des Sozialen findet. Die Rezeption poststrukturalistischer Ansätze lässt sich folglich, neben ihrem hier ausgewiesenen empirischen Analysepotenzial und auch neben den weiterführenden Theoriebildungsperspektiven, auf die Hervorhebung eines unausweichlich bleibenden Oszillierens in der Unabgeschlossenheit des diskursiven Terrains hin akzentuieren – und dessen machtvollhegemoniale Einsätze stets verlangen und ermöglichen, ihnen einen neuen und anderen Sinn abgewinnen und einschreiben zu können. Mit den Worten Judith Butlers ließe sich mithin vorläufig schließen: „Resignifizierung wird so zu einer Möglichkeit, Performativität und Politik neu zu lesen.“ (Butler 2006: 113; Hervorhbg. i.O.)
Die hier vorgenommene Rezeption und Bezugnahme auf poststrukturalistisch-diskurstheoretische Ansätze birgt mithin ein (weiter auszulotendes) Potenzial für analytische Perspektiven, die sich zwischen Signifikation und Resignifikation ereignen. Die hier eingenommenen und vorgeschlagenen Sichtweisen verweisen nicht zuletzt auf ein politisches Moment jeder Signifikation, die nicht umhin kann, resignifizierend sich ein- und besetzend auf die Unabgeschlossenheit von Bedeutungen beziehen zu müssen.
unter Hinweis auf Argumentationen Schäfers (2009), es sich beobachten lässt, in welcher Weise hier nicht nur die Pädagogik, sondern auch das pädagogische Terrain in spezifischer Weise figuriert wird.
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Danksagung
Schreiben ist ein Prozess, dem mehr zugehört als das daraus entstehende Produkt. Mein Schreiben verdankt sich vielen Gesprächen, Texten und Kontexten. Mein erster Dank gilt meinen Gutachtern. Die kritischen und konstruktiven Anregungen und Hinweise von Alfred Schäfer waren wichtige Impulse für mein Denken und Schreiben. Der Austausch mit ihm, seine Anfragen, die Präferenz des Gesprächs und (manchmal auch) die Anmahnung von Muße führten mich stets weiter und vermittelten mir immer das Gefühl, eine produktive und relevante Frage zu bearbeiten. Ulrich Bröckling erklärte sich nicht nur spontan und ohne Umschweife zu einer Begutachtung bereit, sondern eröffnete in seinen Arbeiten und in Begegnungen weiterführende Kontexte des Denkens und Sprechens. (Danke für die Inspiration des Titels!) Dem Land Sachsen-Anhalt bin ich für die finanzielle Unterstützung im Rahmen eines Stipendiums und der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg für den Ort, an dem diese Arbeit entstehen konnte, sehr verbunden. Den Interviewpartner/innen, die ihr Sprechen zur Verfügung stellten und sich auf ein unklares Unterfangen einließen, sei an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt. Dass das Schreiben mehr als eine ‚Schreibtischarbeit‘ war, verdanke ich auch verschiedenen Kontexten, die im Gespräch und Austausch etwas entstehen ließen, das mir Kraft und Stoff zum Weiterdenken aufgab: Die Diskussionen im Kolloquium ‚Systematische Erziehungswissenschaften‘ stellten einen bereichernden und konstruktiven Ort des Sprechens und Denkens dar, an dem die Offenheit des Gedankens einen Platz hat. In der herzlichen, konstruktiven und lustigen Atmosphäre des Arbeitskreises Diskursanalyse
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entspannen sich mit Jens Oliver Krüger, Sandra Koch, Juliane Siegert, Anna Roch und Sabrina Schenk viele Fäden, die meine Analysen vorantrieben. Sehr viel verdanke ich auch dem Austausch mit Christiane Thompson, die eine wichtige Partnerin im Gespräch, im Lesen und im Schreiben ist. Besonders danken möchte ich Jens Oliver Krüger, dessen Blick der Promotionsfassung wichtige Hinweise auf den Weg gab und auch Sabrina Schenk, deren präzise und aufmerksame Korrekturen die Umarbeitung zur vorliegenden Fassung entscheidend erleichterte. Sandra Koch war stets und zu jedem Zeitpunkt eine wichtige Austauschpartnerin für wirklich jede Frage, die dies- und jenseits des Schreibens Relevanz beanspruchte. Anna Roch gab zwischen Spielplatz und PC hilfreiche Anstöße, meine analytischen und theoretischen Perspektiven zu schärfen. Felix Knothe sei gedankt für die Gewissheit eines letzten Korrekturblicks, die mir bei der Erstellung der Buchfassung half. Danken möchte ich auch Gabriele Handke für ihre Hilfe bei den letzten Korrekturschritten. Viele andere Unterhaltungen, Gespräche, Situationen und Hinweise waren wichtige Inspirations- und Energiequelle und trugen dazu bei, dass unentscheidbare Entscheidungen zum Abschluss (yes!) eines nicht abschließbaren Themas führten. Schließlich gilt mein Dank meinen Eltern und meiner Familie, in deren Liebe ich einen Halt wusste, der mir Kraft, Energie und Ansporn war und mich während der gesamten Arbeit viele Wege um einiges weiter trug, als zunächst denkbar schien. Nicht nur die unbedingte Unterstützung, sondern vor allem die Liebe, die mir mein Mann Christian Linsenmeier, auch in und mit unserem Sohn Oskar, schenkt, ist in Worten nicht einzuholen. Danke. Liebe ist…
Image Thomas Abel, Martin Roman Deppner (Hg.) Undisziplinierte Bilder Fotografie als dialogische Struktur Dezember 2011, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1491-6
Elize Bisanz (Hg.) Das Bild zwischen Kognition und Kreativität Interdisziplinäre Zugänge zum bildhaften Denken Oktober 2011, 426 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1365-0
Dietmar Kammerer (Hg.) Vom Publicum Das Öffentliche in der Kunst Januar 2012, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1673-6
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Image Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Dezember 2011, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0
Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts 2010, 256 Seiten, kart., 135 Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-420-1
Eva Reifert Die »Night Sky«-Gemälde von Vija Celmins Malerei zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis November 2011, 250 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1907-2
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Image Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hg.) Räume in der Kunst Künstlerische, kunst- und medienwissenschaftliche Entwürfe 2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1595-1
Elize Bisanz Die Überwindung des Ikonischen Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft 2010, 184 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1362-9
Jeannette Neustadt Ökonomische Ästhetik und Markenkult Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst Mai 2011, 468 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1659-0
Christine Nippe Kunst baut Stadt Künstler und ihre Metropolenbilder in Berlin und New York Mai 2011, 382 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1683-5
Lars Blunck (Hg.) Die fotografische Wirklichkeit Inszenierung – Fiktion – Narration
Alejandro Perdomo Daniels Die Verwandlung der Dinge Zur Ästhetik der Aneignung in der New Yorker Kunstszene Mitte des 20. Jahrhunderts
2010, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1369-8
Dezember 2011, ca. 330 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1915-7
Julia Bulk Neue Orte der Utopie Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen
Lars Spengler Bilder des Privaten Das fotografische Interieur in der Gegenwartskunst
Dezember 2011, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1613-2
Anita Moser Die Kunst der Grenzüberschreitung Postkoloniale Kritik im Spannungsfeld von Ästhetik und Politik September 2011, 332 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1663-7
Mai 2011, 358 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1778-8
Katrin H. Sperling Nur der Kannibalismus eint uns Die globale Kunstwelt im Zeichen kultureller Einverleibung: Brasilianische Kunst auf der documenta Oktober 2011, 390 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1768-9
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